Die religiös motivierte Knabenbeschneidung im Lichte des Strafrechts: Zugleich ein Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen elterlicher Einwilligung [1 ed.] 9783428541546, 9783428141548

Nicole Steiner befasst sich mit einer aktuellen und kontrovers diskutierten strafrechtlichen Thematik. Dabei steht die F

107 23 2MB

German Pages 328 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die religiös motivierte Knabenbeschneidung im Lichte des Strafrechts: Zugleich ein Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen elterlicher Einwilligung [1 ed.]
 9783428541546, 9783428141548

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 245

Die religiös motivierte Knabenbeschneidung im Lichte des Strafrechts Zugleich ein Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen elterlicher Einwilligung

Von

Nicole Steiner

Duncker & Humblot · Berlin

NICOLE STEINER

Die religiös motivierte Knabenbeschneidung im Lichte des Strafrechts

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 245

Die religiös motivierte Knabenbeschneidung im Lichte des Strafrechts Zugleich ein Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen elterlicher Einwilligung

Von

Nicole Steiner

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ulrich Schroth, München

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Wintersemester 2012/2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14154-8 (Print) ISBN 978-3-428-54154-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84154-7 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, welche im Wintersemester 2012/2013 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Zu Beginn der Untersuchung im Jahr 2010 war nicht abzusehen, in welchem Ausmaß sich um das vormals allein in Fachkreisen diskutierte Thema eine gesellschaftliche und politische Debatte entwickeln würde. Auslöser war das Urteil des LG Köln vom 07.05.2012 (Az. 151 Ns 169/11), das nicht nur eine lebhafte Diskussion anstieß, sondern auch den Gesetzgeber zu einem raschen Tätigwerden veranlasste: Bereits Ende 2012 trat der neue § 1631d BGB in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war das Manuskript der Dissertation bereits fertiggestellt und eingereicht, daher wird auf den neuen § 1631d BGB in einem eigenen Abschnitt am Ende der Arbeit eingegangen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis März 2013 eingearbeitet, später erschienene Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Diese Arbeit wäre undenkbar ohne eine Vielzahl von Menschen, die mich in vielfältiger Weise unterstützt haben. Einige davon seien an dieser Stelle besonders hervorgehoben: Mein erster und besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Ulrich Schroth für seine fortlaufende Unterstützung und Förderung. Er ließ mir großzügige Freiheiten zur Entwicklung eigener Gedanken und hat mich gerade in der turbulenten Schlussphase in wertvoller Weise unterstützt. In der Tätigkeit an seinem Institut liegen die Fundamente dieser Arbeit. Herrn Professor Dr. Matthias Krüger gebührt Dank für die überaus rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Ich danke Frau Professor Dr. Petra Wittig für die angenehme mündliche Prüfung sowie für die Förderung während meiner gesamten Promotionszeit. Außerdem gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder sowie Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe. Dank gebührt der Hanns-Seidel-Stiftung für die Förderung der Arbeit durch ein Promotionsstipendium aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Ich bedanke mich außerdem bei der Münchener Juristischen Gesellschaft e. V. für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Promotionspreis 2013.

6

Vorwort

Ein herzliches Dankeschön möchte ich meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen an der LMU aussprechen, die mich in jeder Hinsicht unterstützt und motiviert haben. Ich habe die angenehme und kooperative Arbeitsatmosphäre stets sehr geschätzt. Besonders bedanken möchte ich mich bei Frau Dr. Katja Oswald, die mich fortlaufend in meinem Vorhaben bestärkt und damit einen wesentlichen Beitrag zu dieser Arbeit geleistet hat. Ihre Denkanstöße in zahlreichen Gesprächen sowie die kritische Durchsicht des Manuskripts waren für mich von großem Wert. Für das umfassende und gründliche Korrekturlesen des Manuskripts danke ich Christian Schneider. Dank gebührt auch Anna Schmelcher und Ruth Weyrich, die mir bei sämtlichen nicht-juristischen Fachfragen kompetent zur Seite standen. Schließlich bedanke ich mich bei Leonhard Glas für seinen steten Rückhalt sowie bei meinen Eltern für ihre uneingeschränkte Unterstützung während meiner gesamten Ausbildung. München, im Juni 2013

Nicole Steiner

Inhaltsverzeichnis A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem . . . I. Untersuchungsgegenstand und -methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . .

21 24 26

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung . . . . . . . I. Geschichtliche Ursprünge der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung am Beispiel von Judentum und Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religiöse Ursprünge der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschneidung im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religiöse Bedeutung der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Beschneidung im Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religiöse Bedeutung der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zirkumzision in der ärztlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vor- und Nachteile der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Vorteile der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorbeugende Wirkung gegen Infektionen des Harnsystems . . . . bb) Geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren . . . . . . cc) Geringere Übertragbarkeit von Geschlechtskrankheiten . . . . . . . dd) Vorbeugende Wirkung gegen HIV-Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . ee) Hygienische Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Nachteile der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mögliche Komplikationen der Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeine Komplikationsrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlust der Vorhaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Risiken der Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 29 29 30 30 32 33 33 35 36 36 38 38 38 39 41 43 45 46 46 48 50 50 51 52

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung I. Zugrunde liegende Fallkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Knabenbeschneidung im Lichte der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . 1. Strafbarkeitsrisiken des Eingreifenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55 55 56 56

8

Inhaltsverzeichnis a) Einfache Körperverletzung i. S. d. § 223 I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Körperliche Misshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teleologische Reduktion des § 223 I StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährliche Körperverletzung i. S. d. § 224 I Nr. 1, Nr. 2 StGB . . . . c) Fahrlässige Körperverletzung i. S. d. § 229 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeitsrisiken der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . 1. Die Knabenbeschneidung auf Grundlage der Lehre der Sozialadäquanz a) Die Lehre der Sozialadäquanz nach Welzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Knabenbeschneidung als sozialadäquate Handlung? . . . . . . . . . . aa) Der Ansatz von Exner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sozialadäquanz im Lichte der modernen Strafrechtslehre . . . . . . . . a) Die Problematik der Lehre der Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Lösungsansatz nach Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Knabenbeschneidung auf Grundlage der objektiven Zurechnung und einer restriktiven Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlaubtes bzw. rechtlich irrelevantes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restriktive Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Knabenbeschneidung und der Streit um den ärztlichen Heileingriff . . . 1. Die strafrechtliche Problematik ärztlicher Heileingriffe . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Tatbestandserfüllung i. S. d. § 223 I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandserfüllung i. S. d. § 223 I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschneidung als ärztlicher Heileingriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Indikation als zentrales Definitionskriterium des ärztlichen Heileingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Indikation der religiös motivierten Knabenbeschneidung? . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 59 59 60 62 63 63 63 64 64 65 65 67 69 69 70

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugrunde liegende Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Einwilligungserfordernis i. R. d. Körperverletzungsdelikte . . . . . . . II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Individualrechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB als dogmatische und systematische Grundlage der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zusammenhang von Dogmatik und Systematik der Einwilligung mit dem zugrunde gelegten Rechtsgutsverständnis . . . . . . . . . . b) Der Individualgüterschutz im Problemkreis der Rechtsgutstheorie . .

81 81 81 82 83

III.

IV.

V.

72 72 73 74 75 75 76 77 77 79 80

83 83 85

Inhaltsverzeichnis

III.

c) Das (Individual-)Rechtsgut in Abgrenzung zum Handlungsobjekt . . . 2. Das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die unterschiedlichen Modelle von Individualrechtsgütern . . . . . . . . aa) Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit (paternalistisches Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einheit von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit (liberales Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Basismodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diskussion der unterschiedlichen Modelle in Bezug auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die zentrale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . (1) Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Problematik des Basismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die körperliche Unversehrtheit als per se schützenswertes Gut? cc) Wortlautargumente i. R. d. Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB am Beispiel der Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung der verschiedenen Aspekte der Dispositionsfreiheit (1) Der tatsächliche Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die rechtliche Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . (4) Das (allgemeine) Selbstbestimmungsrecht ohne Körperbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtsgutsverletzung im Fall der Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die körperbezogene Selbstbestimmung als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Erforderlichkeit der Verletzung des Willens oder der Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Einwand der fehlenden Gleichbehandlung . . . . . . . (b) Der Einwand des Rückgriffs auf Fiktionen . . . . . . . . . . . (c) Der Einwand des Entstehens von Schutzlücken sowie der Aufspaltung des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kein Ausreichen einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ohne Körperbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der verfassungsrechtliche Hintergrund des liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische und dogmatische Konsequenzen des liberalen Rechtsgutsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 86 87 87 88 88 89 90 90 90 92 93 94 95 95 96 97 97 98 99 99 100 101 101 102 103 105 106 108 108

10

Inhaltsverzeichnis

IV.

1. Die systematische Einordnung der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung anhand des Formulierungsstils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deliktsystematische Aspekte zur Einordnung der Einwilligung . . . . aa) Die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund? . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Theorie der Interessenpreisgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Theorie der Interessenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kritische Würdigung dieser Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Funktionen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Voraussetzungen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einwilligungsfähigkeit eines Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung einer wirksamen eigenen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die einzelfallbezogene Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtlicher Rahmen der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . (a) Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Problematik der Konkretisierung von Einsichtsund Urteilsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Konkretisierung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit anhand medizinischer Kriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Dringlichkeit und Vernünftigkeit des Eingriffs . . (bb) Fehlende Indikation des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . (cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Tatsächliche Ausfüllung der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . (a) Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs . . . . . . (b) Das Alter des Minderjährigen als Indiz . . . . . . . . . . . . . (c) Dringlichkeit und Indikation eines Eingriffs . . . . . . . . . (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit durch den Arzt . . . cc) Die Fähigkeit zur Einwilligung in die religiös motivierte Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Einfluss von § 5 KErzG auf das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 109 110 110 110 111 111 112 113 114 115 115 116 116 117 117 121 121 122 123 124 124 125 126 127 127 128 128 129 130 130 132 133

Inhaltsverzeichnis

3.

4.

5.

6.

(2) Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen in Bezug auf die Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiwilligkeit der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiheit von Willensmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Irrtumsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Problem der Rechtsgutsbezogenheit bei täuschungsbedingten Irrtümern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Problematik nicht täuschungsbedingter Irrtümer . . . . . . . . . Die ärztliche Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arten der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstbestimmungsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Diagnoseaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verlaufsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Risikoaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) . . . . . . . . . . . b) Durchführung und Umfang der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufklärungsumfang bei fehlender Indikation und bei fehlender Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehlende Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fehlende Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Aufklärungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufklärungspflichten eines Nicht-Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlende Sittenwidrigkeit i. S. d. § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Sittenverstoß i. S. d. § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die nicht kunstgerecht durchgeführte Beschneidung . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Genitalverstümmelung von Mädchen bzw. Frauen . . . . . . . . Formale Voraussetzungen und subjektive Seite der Einwilligung . . . . . .

E. Die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugrunde liegende Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die stellvertretende Einwilligung auf Grundlage des liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Bedürfnis des einwilligungsunfähigen Minderjährigen nach körperbezogener Selbstverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich zur Einwilligung im klassischen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenzen für Systematik und Funktionen der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

134 135 135 136 137 140 142 143 144 144 145 146 147 147 149 149 150 151 152 154 155 156 157 158 160 160 160 161 161 163 165 166

12

Inhaltsverzeichnis

III.

1. Verfassungsrechtliche Prägung der elterlichen stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der grundrechtliche Schutz von Familie und Erziehung . . . . . . . . . . aa) Art. 6 II 1 GG: Elternrecht und Elternpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Kindeswohl als Leitprinzip der elterlichen Erziehung . . . . b) Das staatliche Eingreifen in die elterliche Erziehung . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 6 II 2 GG: Das staatliche Wächteramt . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Kindeswohl als Leitprinzip des staatlichen Eingreifens . . . cc) Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingreifens . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Wächteramt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Garantie des Art. 4 I, II GG bei religiös motivierten Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutz der Glaubensfreiheit in Art. 4 I, II GG . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schutzumfang in positiver Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Schutzumfang in negativer Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis von Art. 4 I, II GG zu Art. 6 II GG . . . . . . . . . . . . . . 4. Die einfachrechtliche elterliche Sorge in Abgrenzung zum verfassungsrechtlichen elterlichen Erziehungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einordnung der elterlichen stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung in den verfassungsrechtlichen Hintergrund . . . . . . . . . a) Die elterliche stellvertretende Einwilligung im Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG (i.V. m. Art. 4, I, II GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kindeswohl als Grenze der elterlichen stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab der elterlichen Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zusammenhang zwischen Kindeswohldefinition und Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modelle zur Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansätze auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Ansatz von Putzke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Ansatz von Herzberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Ansatz von Schramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Ansatz von Jerouschek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansätze auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Ansatz von Fateh-Moghadam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Ansatz von Valerius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 169 169 169 171 172 172 172 173 173 175 175 175 176 177 177 179 179 180 181 182 184 184 184 185 187 188 188 189 190 191

Inhaltsverzeichnis

IV.

cc) Der Ansatz von Exner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Ansätze von Schwarz und Zähle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansätze auf Grundlage beider Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das LG Köln vom 07.05.2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die unterschiedlichen Modelle zur Kindeswohlbestimmung vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . . . b) Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . aa) Das staatliche Wächteramt im Hinblick auf das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Vorrang der Elternverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung als Grundlage einer angemessenen Wahrnehmung der Selbstbestimmung des Kindes 5. Ergebnis: Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung als Grundlage der elterlichen Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze zur Konkretisierung des Kindeswohls als Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untauglichkeit der dogmatischen Grundlage der Fremdbestimmung b) Untauglichkeit der Grenzen der Einwilligung im klassischen Sinne c) Besondere Dogmatik der elterlichen stellvertretenden Einwilligung 2. Die Grundrechte des Kindes als Konkretisierung des Kindeswohls . . . . a) Die Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht als Konkretisierung des Kindeswohls? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die körperliche Unversehrtheit als Konkretisierung des Kindeswohls? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Menschenwürde als Konkretisierung des Kindeswohls . . . . . . . . aa) Die absolute Grenze der Menschenwürde im Hinblick auf die Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Exkurs: Die absolute Grenze der Menschenwürde im Hinblick auf die Genitalverstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfachgesetzliche Ausgestaltungen des elterlichen Erziehungsrechts als Konkretisierung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Konkretisierungen des Kindeswohls in speziellen Bereichen . . . aa) Der absolute Ausschluss der elterlichen Dispositionsbefugnis . . bb) Konkretisierung des Kindeswohls durch das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung aus § 1631 II BGB . . . . . . . . . . . . . . .

13 192 193 194 195 195 196 197 199 199 200 201 202 203 203 204 204 205 206 207 208 210 212 212 214 214 215 215 215 216

14

Inhaltsverzeichnis

V.

(1) § 1631 II 1 BGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung (2) § 1631 II 2 BGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung (3) Exkurs: § 1631 II BGB im Hinblick auf die Genitalverstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die allgemeinen Konkretisierungen des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . aa) Konkretisierung durch § 171 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 171 StGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung . . . . (2) Exkurs: § 171 StGB im Hinblick auf die Genitalverstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierung durch § 1666 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schranke der Kindeswohlgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kindeswohlgefährdung als Risiko-Nutzen-Abwägung . . . . . . . . . . . a) Unmöglichkeit der Beurteilung der Kindeswohlgefährdung anhand einzelner Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Problematik von Abwägungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Maßstab der Risiko-Nutzen-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kriterien der Risiko-Nutzen-Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risiken und Nachteile des Eingriffs (negative Seite) . . . . . . . . . . . . . aa) Risiken und Nachteile in medizinischer Hinsicht . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Risiken und Nachteile: Rationale Begründbarkeit . . . . b) Nutzen und Vorteile des Eingriffs (positive Seite) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nutzen und Vorteile in medizinischer Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Nutzen und Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Religiöse Vorteile: Vertretbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere vertretbare Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Kindeswohlbezug von Risiken und Nutzen der einzustellenden Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Kindeswohlbezug der Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Kindeswohlbezug der Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vor- und Nachteile Dritte betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Kindeswille als einzustellendes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Notwendigkeit der Berücksichtigung der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen i. R. d. stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Kindeswille als Vor- bzw. Nachteil i. R. d. Risiko-NutzenAbwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Risiko-Nutzen-Abwägung im Hinblick auf die religiös motivierte Beschneidung beim überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die von einem Arzt kunstgerecht und unter hygienischen Bedingungen durchgeführte Zirkumzision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die mit der Zirkumzision verbundenen Risiken . . . . . . . . . . . . . .

217 217 221 221 221 222 222 223 223 225 225 229 230 232 233 233 234 234 234 235 235 237 237 237 238 239 239

240 241

243 243 243

Inhaltsverzeichnis bb) Der mit der Zirkumzision verbundene Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Abwägung von Risiken und Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die traditionelle sowie die nicht kunstgerecht durchgeführte Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Die Grenze der Kindeswohlgefährdung im Hinblick auf die Genitalverstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Risiko-Nutzen-Abwägung im Hinblick auf die religiös motivierte Beschneidung beim teilweise zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der dem Eingriff entgegenstehende Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vetorechte des einwilligungsunfähigen Minderjährigen gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vetofähigkeit als feste Größe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vetoberechtigung als feste Größe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Mögliche rechtliche Grundlagen von Vetorechten einwilligungsunfähiger Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Geschriebene und ungeschriebene Vetorechte in speziellen Bereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Regelung des § 1626 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der Maßstab der Kindeswohlgefährdung als angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Risiko-Nutzen-Abwägung bei entgegenstehendem Kindeswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Berücksichtigung der Teilfähigkeiten des Minderjährigen zur körperbezogenen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Berücksichtigung der (Teil-)Fähigkeiten des Minderjährigen zur religiösen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Regelung des § 5 S. 1 KErzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Regelung des § 5 S. 2 KErzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der den Eingriff befürwortende Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die von einer kompetenten Person kunstgerecht durchgeführte Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Andere Fallkonstellationen der Beschneidung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligungsfähigkeit der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinsame Einwilligung beider Elternteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freiwilligkeit der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die ärztliche Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufklärungspflicht gegenüber den Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 243 247 247 247 250

250 250 251 251 254 255 255 256 258 259 259 260 260 262 263 265 265 266 268 268 269 270 272 274 274

16

Inhaltsverzeichnis aa) Die Eltern als Aufklärungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Aufklärungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Durchführung und Umfang der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die am Kindeswohl orientierte Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Beschränkung des Aufklärungsumfangs . . . . . . . . . . . dd) Aufklärung durch einen Nicht-Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufklärungspflicht gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufklärung durch den eingreifenden Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Therapeutische Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Selbstbestimmungsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundlage der Aufklärungspflicht gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen . . . . . . . . . . (b) Gestaltung und Umfang der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . bb) Aufklärung durch einen eingreifenden Nicht-Arzt . . . . . . . . . . . cc) Informations- und Besprechungspflicht seitens der Eltern . . . . . dd) Rechtsfolgen bei fehlender Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Formale Voraussetzungen und subjektive Seite der stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Urteil des LG Köln vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse . . . . . . . . . VIII. Der neue § 1631d BGB vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse . . . . . . . . . 1. Anmerkungen zu § 1631d I 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anmerkungen zu § 1631d I 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anmerkungen zu § 1631d II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ergebnisse im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum tatsächlichen Hintergrund der religiös motivierten Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur rechtlichen Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung . . . . . 4. Zur elterlichen stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274 275 276 276 277 278 280 280 280 281 281 282 282 283 283 284 285 287 287 291 294 296 297 297 297 297 298 299 304

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. Abschn. AcP AIDS AMG Anm. AöR arab. ArchKrim Art. Ausg. Az. BayObLG Begr. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BR-Drs. BrJSurg Bsp. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. ca. CanMedAssocJ DÄBl. DRiZ DVBl.

andere Ansicht am Ende alte Fassung Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis Acquired Immune Deficiency Syndrome Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts arabisch Archiv für Kriminologie Artikel Ausgabe Aktenzeichen Bayerisches Oberstes Landesgericht Begründer Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrat Drucksache The British Journal of Surgery Beispiel Bundestag Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise circa Canadian Medical Association Journal Deutsches Ärzteblatt Deutsche Richter Zeitung Deutsches Verwaltungsblatt

18 E-StGB 1960 E-StGB 1962 ebd. EF-Z f. FamRZ FAZ ff. Fn. FPR FuR GA Gal Gen GenDG GG ggf. GLJ h. Lit. h. M. HIV HPV Hrsg. i. d. R. i. E. i. R. d. i. R.e. i. R.v. i. S. d. i. S. e. i. S. v. i. Ü. i.V. m. insbes. JA JAMA JR Jura JuS JZ Kap.

Abkürzungsverzeichnis Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1960 mit Begründung Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 mit Begründung ebenda Zeitschrift für Familien- und Erbrecht (Österreich) folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Familie Partnerschaft Recht Familie und Recht Goltdammers Archiv für Strafrecht Der Brief an die Galater (Neues Testament) Das Buch Genesis (Altes Testament) Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz) Grundgesetz gegebenenfalls German Law Journal herrschende Literaturmeinung herrschende Meinung Human Immonodeficiency Virus Humane Papillomaviren Herausgeber in der Regel im Ergebnis im Rahmen der/des im Rahmen einer/eines im Rahmen von im Sinne der/des im Sinne einer/eines im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit insbesondere Juristische Arbeitsblätter The Journal of the American Medical Association Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel

Abkürzungsverzeichnis KastrG KErzG KlinPädiatr KritJ KritV lat. Lev LG Lit. LS m.w. N. MedR MonatsschrKinderheilkd NEnglJMed NJOZ NJW NStZ o. Ä. OLG öStGB OVG R&P Rn. Rspr. RW s. S. SGB VIII sic sog. st. Rspr. StGB str. StV SZ TPG u. a. Urt. v.

19

Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden Gesetz über die religiöse Kindererziehung Klinische Pädiatrie Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft lateinisch Das Buch Levitikus (Altes Testament) Landgericht Literatur Leitsatz mit weiteren Nachweisen Medizinrecht Monatsschrift Kinderheilkunde The New England Journal of Medicine Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht oder Ähnliche/s Oberlandesgericht österreichisches Strafgesetzbuch Oberverwaltungsgericht Recht & Psychiatrie Randnummer Rechtsprechung Rechtswissenschaft siehe Seite Sozialgesetzbuch – Achtes Buch wirklich so sogenannte/sogenannter/sogenanntes ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch strittig Der Strafverteidiger Süddeutsche Zeitung Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben und andere/unter anderem Urteil vom/von

20 v. a. v. Chr. VersR VGH vgl. WHO WRV z. B. z. T. ZIS ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis vor allem vor Christus Versicherungsrecht Verwaltungsgerichtshof vergleiche World Health Organization Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem Wo Religion und Recht aufeinandertreffen, sind Konflikte keine Seltenheit. Ob das Tragen von Kopftüchern im Unterricht1 oder das Aufhängen von Kruzifixen in Klassenzimmern,2 das religiöse Schächten von Tieren3 oder die Verweigerung von Bluttransfusionen durch Zeugen Jehovas:4 Das weitläufige Feld von Religion, Tradition und modernem Recht birgt eine Vielzahl an Kontroversen, zu denen auch die Diskussion um die Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung zählt. Diese Diskussion ist aber keine rein religiöse, sondern betrifft im Kern die Frage, inwieweit die Eltern in körperliche Eingriffe beim Kind einwilligen dürfen. Es geht damit um die Reichweite des elterlichen Erziehungsrechts sowie um das grundsätzliche Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat. In diesen Problemkreis fallen neben der religiös motivierten Knabenbeschneidung sämtliche indizierten und nicht indizierten Eingriffe beim Kind, in welche die Eltern stellvertretend einwilligen wollen – von der dringend notwendigen Blinddarmoperation über das Entfernen eines bei Geburt vorhandenen zusätzlichen Fingers oder das Anlegen abstehender Ohren bis hin zu vermeintlichen Banalitäten wie das Stechen von Ohrlöchern. Um die Frage nach der Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung ist seit einiger Zeit eine intensive Debatte entbrannt, die zunächst vor allem unter Juristen, Medizinern und Religionsvertretern ausgetragen wurde.5 In Folge 1 Vgl. nur BVerfG, NJW 2003, 3111; BVerwG, NJW 2002, 3344 ff.; NJW 2004, 3581; NJW 2008, 3654. 2 Vgl. nur BVerfG, NJW 1995, 2477; BVerwG, NJW 1999, 3063; VGH München, NVwZ 2002, 1000. 3 Vgl. nur BVerfG, NJW 2002, 663; NJW 2002, 1485; BVerwGE 112, 227; BVerwG, NVwZ 2007, 461; VGH Kassel, NVwZ 2000, 951; VGH München, NVwZ-RR 2010, 262. 4 Vgl. nur BVerfG, NJW 2002, 206; OLG Celle, NJW 1995, 792; OLG München, NJW-RR 2002, 811. 5 Vgl. hierzu nur Putzke, in: FS Herzberg, 669; Putzke, NJW 2008, 1568; Putzke, MedR 2008, 268; Stehr/Putzke/Dietz, DÄBl. 105 (2008), A1778–A1780; Herzberg, JZ 2009, 332; Herzberg, ZIS 2010, 471; Herzberg, MedR 2012, 169; Schwarz, JZ 2008, 1125; Jerouschek, NStZ 2008, 313; Zähle, AöR 134 (2009), 434; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 149 ff.; Schramm, Ehe und Familie, S. 224 ff.; Rosenkranz, Bund der Beschneidung; Staszewski, Goldener Schnitt; SwatekEvenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis.

22

A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem

einer Entscheidung des Landgerichts Köln, das die Beschneidung aus religiösen Gründen trotz stellvertretender Einwilligung der Eltern als strafbare Körperverletzung einstufte,6 verlagerte sich die Diskussion zudem auf eine breite gesellschaftliche Ebene.7 Neben anerkennendem Zuspruch einerseits8 und teils heftiger Kritik andererseits9 wurden in weiten Teilen auch Forderungen nach einer eindeutigen gesetzlichen Regelung laut.10 Denn wegen der fehlenden Bindungswirkung führte das Urteil des LG Köln – mehr noch als die vorangegangene wissenschaftliche Diskussion – zu erheblicher Rechtsunsicherheit,11 die nicht nur sämtliche Ärzte betraf, die den Eingriff auf Wunsch der Eltern durchführten. Spürbare Auswirkungen zeigten sich vor allem auch für die in Deutschland lebenden ca. 102.000 Juden12 und ca. vier Millionen Muslime,13 denn die Knabenbeschneidung ist wesentlicher Bestandteil deren Re6

LG Köln, Urt. v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128. Vgl. hierzu Widmann, in: Heil/Kramer, 219 ff.; vgl. nur die Diskussion zu dem Thema in der Sendung von Anne Will am 11.07.2012, http://daserste.ndr.de/annewill/ archiv/gaesteliste657.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); vgl. auch den interdisziplinären Blickwinkel in Heil/Kramer (Hrsg.), Beschneidung. 8 Vgl. nur Schulte Drach, http://www.sueddeutsche.de/panorama/umstrittenes-koel ner-urteil-pro-fragwuerdige-beschneidung-der-religionsfreiheit-1.1394792 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); Putzke, Legal Tribune Online v. 26.06.2012; ebenso die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie, vgl. http://www.dgkic.de/index.php/presse/189pressemitteilung-juli-2012 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 9 So der Zentralrat der Juden in Deutschland, vgl. http://www.zentralratdjuden.de/ de/article/3705.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); ebenso der Zentralrat der Muslime in Deutschland, vgl. http://www.zentralrat.de/20584.php (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); vgl. auch Drobinski, http://www.sueddeutsche.de/panorama/umstritte nes-koelner-urteil-contra-richter-machen-sich-zur-ueber-religion-1.1394984 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); http://www.spiegel.de/panorama/justiz/bischofskonferenz-kri tisiert-beschneidungsurteil-a-841280.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13; Schlömann, SZ v. 17.07.2012, S. 11. 10 20 muslimische Organisationen haben in einer gemeinsamen Erklärung den Bundestag dazu aufgefordert, die bestehende Rechtsunsicherheit zu beheben, vgl. http:// www.sueddeutsche.de/politik/muslime-und-juden-reagieren-heftiger-widerstand-gegenbeschneidungsurteil-1.1402167 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); ebenso der Zentralrat der Juden in Deutschland, vgl. http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3705.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); auch Stimmen von Politikern gingen in diese Richtung, vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/diskussion-ueber-religioeses-ritual-mer kel-will-beschneidung-erlauben-1.1414103 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); vgl. Muckel, JA 2012, 636, 637. 11 Ebenso Fateh-Moghadam in http://www.spiegel.de/panorama/justiz/bischofskon ferenz-kritisiert-beschneidungsurteil-a-841280.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); BT-Drs. 17/11295, S. 6; anders Putzke, Legal Tribune Online v. 26.06.2012: „[. . .] die Rechtslage ist seit dem Urteil des LG klar.“ 12 Quelle: Statistisches Bundesamt, Zahlen aus 2011, vgl. https://www.destatis.de/ DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/Alters gruppenFamilienstand.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 13 Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Zahlen aus 2009, vgl. http:// www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Sonstige/muslimisches7

A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem

23

ligion. Verweigern Ärzte aus Angst vor Bestrafung die Vornahme des Eingriffs,14 so wird dieser wichtige Teil der Religionsausübung sowie der religiösen Erziehung in Deutschland de facto unmöglich gemacht. Diese Situation begründete außerdem die Gefahr, dass das Ritual entweder im Herkunftsland der Eltern15 oder gar heimlich – fernab von Krankenhäusern – durchgeführt wird, und damit für das Kind das Risiko der mangelnden Einhaltung medizinischer Standards sowie Hygienevorschriften.16 Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung beim Gesetzgeber auf offene Ohren gestoßen:17 Am 28.12.2012 und damit relativ kurze Zeit nach dem umstrittenen Kölner Urteil trat § 1631d BGB in Kraft, der die „Beschneidung des männlichen Kindes“ im Kontext der elterlichen Sorge regelt.18 Die Norm soll die grundsätzliche Zulässigkeit der Knabenbeschneidung in Deutschland sicherstellen und damit die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigen.19 Dass der neue § 1631d BGB die Debatte um die Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung tatsächlich beenden wird, steht allerdings nicht zu erwarten – dies zeigen nicht zuletzt die kritischen Beiträge zu der Neuregelung.20

leben-kurzfassung-deutsch.pdf;jsessionid=6B2B006FF1AB2EDC61477ECDA1C4B809. 1_cid244?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 14 Das Jüdische Krankenhaus in Berlin etwa reagierte auf das Urteil insoweit, als es bis auf Weiteres keine religiös motivierten Knabenbeschneidungen mehr vornehmen wollte, vgl. http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-umstrittenem-urteil-juedischeskrankenhaus-stoppt-religioese-beschneidungen-1.1397500 (zuletzt aufgerufen am 30.05. 2013). 15 Vgl. hierzu Kelek, Söhne, S. 133 ff., die über die Beschneidung in der Türkei berichtet. 16 Vgl. hierzu http://www.spiegel.de/panorama/justiz/bischofskonferenz-kritisiertbeschneidungsurteil-a-841280.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); http://www. spiegel.de/panorama/gesellschaft/islamische-religionsgemeinschaft-kritisiert-beschnei dungsurteil-a-841234.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); Kreß, MedR 2012, 682, 683; kritisch hierzu Herzberg, ZIS 2012, 486, 497. 17 In Reaktion auf das Urteil sowie die daran anschließende Debatte forderte der Bundestag die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzesentwurfs auf, um die grundsätzliche Zulässigkeit medizinisch fachgerechter Beschneidungen bei Knaben sicherzustellen, vgl. die Resolution vom 19.07.2012 auf Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP, BT-Drs. 17/10331. Dies wurde nunmehr umgesetzt, vgl. BR-Drs. 597/12; BTDrs. 17/11295; BGBl. 2012 I, S. 2749 f.; vgl. zu dem fast hektisch durchgeführten Gesetzgebungsverfahren Fischer, StGB, § 223, Rn. 45 ff. 18 Vgl. BGBl. 2012 I, S. 2749 f. 19 Vgl. BR-Drs. 597/12; BT-Drs. 17/10331; 17/11295. 20 Vgl. nur – mit unterschiedlichem Inhalt – die Kritik am Gesetzesentwurf bzw. am Gesetz bei Hassemer, ZRP 2012, 179 ff.; Merkel, SZ v. 25.08.2012, S. 12; Herzberg, ZIS 2012, 486, 503 ff.; Walter, JZ 2012, 1110 ff.; Jens, Sündenfall, S. 13 ff.; http:// www.sueddeutsche.de/wissen/gesetzentwurf-des-bundeskabinetts-kinderaerzte-kritisie ren-beschneidungsregeln-1.1497041 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013).

24

A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem

Inmitten der Diskussion um Sinn und Zweckhaftigkeit von Letzterer stellt sich also nach wie vor die zentrale Frage nach der Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung auf Grundlage des deutschen Rechts.21

I. Untersuchungsgegenstand und -methoden Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist damit die Frage nach der Strafbarkeit einer beim Minderjährigen auf Wunsch der Eltern durchgeführten religiös motivierten Beschneidung im Sinne der vollständigen oder teilweisen Entfernung der Penisvorhaut (Zirkumzision).22 Den rechtlichen Ausgangspunkt bildet hierfür zunächst das geltende deutsche Recht unter Ausklammerung des neuen § 1631d BGB, auf welchen erst am Ende der Arbeit eingegangen wird.23 Die zu untersuchende Frage ist auf Grundlage der elterlichen stellvertretenden Einwilligung für das nicht einwilligungsfähige Kind zu beantworten. Dieses strafrechtliche Institut, dessen Dogmatik, Systematik und Voraussetzungen bisher kaum geklärt sind,24 steht im Zentrum der Arbeit (E.). Hierbei wird explizit nicht die stellvertretende Einwilligung für Einwilligungsunfähige im Allgemeinen, sondern im Speziellen die stellvertretende Einwilligung der Eltern für das nicht einwilligungsfähige Kind untersucht, die von dem besonderen Beziehungsgeflecht zwischen Eltern, Kindern und Staat geprägt ist. Ausgangspunkt für die Erarbeitung der elterlichen stellvertretenden Einwilligung sind die Dogmatik, Systematik und Voraussetzungen der Einwilligung im klassischen Sinne, deren Darstellung in ihren Grundzügen einen wichtigen Teil der Arbeit ausmacht (D.). Bevor jedoch überhaupt auf die Einwilligung bzw. auf die stellvertretende Einwilligung im Strafrecht eingegangen werden kann, ist eine Abklärung der grundsätzlichen strafrechtlichen Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung erforderlich (C.). Hierzu gehört nicht nur die Erörterung der in Betracht kommenden Tatbestandsmerkmale der Körperverletzungsdelikte, sondern auch

21 Zu betonen ist, dass die hier aufgeworfene rechtliche Frage von der geschilderten politischen Diskussion zu trennen ist. Im Folgenden wird untersucht, ob die religiös motivierte Zirkumzision auf Grundlage des deutschen Rechts – zunächst unter Ausklammerung des neuen § 1631d BGB – strafbar ist. Nicht untersucht wird dagegen, ob der Eingriff in Deutschland strafbar sein soll oder nicht. Insofern bleiben politische Überlegungen bei der nachfolgenden Untersuchung außer Betracht. 22 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zirkumzision“; Blaschke, Beschneidung, S. 2. 23 Das Manuskript war fertiggestellt, bevor die Neuregelung in Kraft trat. Daher wird § 1631d BGB in einem eigenen Abschnitt am Ende der Arbeit behandelt, vgl. E.VIII. 24 Vgl. nun aber grundlegend Fateh-Moghadam, RW 2010, 115 ff.

I. Untersuchungsgegenstand und -methoden

25

die Frage nach einer möglichen Einordnung der Beschneidung als sozialadäquate Handlung oder als ärztlicher Heileingriff. Basis dieser drei Schwerpunkte der strafrechtlichen Untersuchung ist eine Einführung in die religiösen und medizinischen Hintergründe der Zirkumzision (B.), auf die im Rahmen der rechtlichen Untersuchungen immer wieder zurückgegriffen wird. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit durchgeführten Untersuchungen konzentrieren sich auf die Problematik einer möglichen Strafbarkeit der religiös motivierten Zirkumzision. Insofern werden die eben genannten rechtlichen Schwerpunkte jeweils mit Fallkonstellationen zur Knabenbeschneidung eingeleitet, die im Groben wie folgt gegliedert sind: Zunächst wird auf die grundsätzliche strafrechtliche Problematik der Beschneidung – unabhängig von einer wirksamen Einwilligung des Rechtsgutsträgers oder seiner gesetzlichen Vertreter – eingegangen,25 anschließend geht es um die Konstellation einer Beschneidung mit Einwilligung des einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgers.26 Im Zentrum steht daraufhin der Fall einer Knabenbeschneidung aufgrund stellvertretender Einwilligung der Eltern für den einwilligungsunfähigen Minderjährigen.27 In diesem Rahmen wird auch besprochen, inwieweit sich bereits vorhandene intellektuelle Teilfähigkeiten des einwilligungsunfähigen Kindes auf die elterliche stellvertretende Einwilligung auswirken.28 Über die grundsätzlichen Fallkonstellationen hinausgehend wird an geeinigten Stellen immer wieder auf Abwandlungen derselben eingegangen, um den unterschiedlichen Problematiken gerecht zu werden, die sich bei der Frage nach der Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung stellen und dem breiten Spektrum an denkbaren Fallbeispielen geschuldet sind. Darüber hinaus wird exemplarisch an einigen Stellen auf die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen eingegangen, um die Ausführungen zur Knabenbeschneidung nochmals aus einem anderen Blickwinkel zu verdeutlichen. Ehe nun mit Abschnitt B. in die Untersuchung eingestiegen wird, erfolgt schlaglichtartig eine Darstellung der bisherigen Rechtsprechung zur Knabenbeschneidung, insbesondere des aktuellen Urteils des LG Köln. Auf Letzteres wird zudem am Ende der Arbeit zusammenfassend Bezug genommen,29 bevor abschließend die Neuregelung des § 1631d BGB besprochen wird.30

25 26 27 28 29 30

Vgl. C. Vgl. D. Vgl. E. Vgl. E.V.5. Vgl. E.VII. Vgl. E.VIII.

26

A. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung als strafrechtliches Problem

II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Knabenbeschneidung Vor dem viel diskutierten strafrechtlichen Urteil des LG Köln vom 07.05. 201231 musste sich die Rechtsprechung in Deutschland mit der Knabenbeschneidung nur in verwaltungsrechtlicher 32 oder zivilrechtlicher Hinsicht beschäftigen. Für die im Rahmen dieser Arbeit aufgeworfenen Fragestellungen sind dabei insbesondere die zwei folgenden Urteile interessant:33 In einem zivilrechtlichen Urteil ging das LG Frankenthal34 von der Unwirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung in eine rituelle Zirkumzision aus, die von einem Nichtmediziner unter nicht sterilen Bedingungen sowie ohne ausreichende Betäubung des neunjährigen Jungen durchgeführt wurde. Nach Ansicht des Gerichts lag wegen der fehlenden Orientierung am Kindeswohl ein Sorgerechtsmissbrauch seitens der Eltern vor. Das OLG Frankfurt a. M.35 beurteilte in seinem Beschluss über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe die Erfolgsaussichten einer Schmerzensgeldklage eines nicht einwilligungsfähigen, zwölfjährigen Jungen gegen den nicht sorgeberechtigten Vater als positiv. Der Vater hatte aus religiösen Gründen ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter eine nicht indizierte Beschneidung seines Sohnes veranlasst. Hierin sah das OLG Frankfurt a. M. eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Jungen. Es wurde dabei offen gelassen, ob die stellvertretende Einwilligung in eine Beschneidung durch die – sorgeberechtigten – Eltern vom Erziehungs- und Sorgerecht umfasst ist.36 Während die bisherigen – zivilrechtlichen bzw. verwaltungsrechtlichen – Urteile weitgehend unbemerkt blieben,37 ist um das erste die Beschneidung betreffende strafrechtliche Urteil des LG Köln vom 07.05.201238 eine lebhafte gesellschaftliche Diskussion entbrannt. 31

Az.: 151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128. Vgl. etwa OVG Lüneburg, NJW 2003, 3290, das die Übernahme der Kosten einer Beschneidung durch den Sozialhilfeträger bejaht. Vgl. auch OVG Lüneburg v. 22.09. 1993 – 4 L 5670/92, wo ein grundsätzlicher Anspruch auf Beihilfe für die Beschneidungsfeier bejaht, im konkreten Fall aber verneint wurde. 33 Vgl. zur Rechtsprechung auch Putzke, NJW 2008, 1568 ff.; Überblick bei Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 97. 34 MedR 2005, 243. 35 NJW 2007, 3580. 36 Die Vorinstanz hatte dagegen den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit dem Argument abgelehnt, dass die Beschneidung von Knaben im muslimischen Lebens- und Kulturkreis sozialadäquat und es außerdem nicht erkennbar sei, dass der Minderjährige nicht die erforderliche Einsichtsfähigkeit besessen habe. Vgl. hierzu OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580. 37 Dies gilt freilich nicht für juristische, medizinische und religiöse Fachkreise, vgl. nur die Besprechung diverser Urteile bei Putzke, NJW 2008, 1568 ff. 38 Az.: 151 Ns 169/11; NJW 2012, 2128 f. 32

II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Knabenbeschneidung

27

Das Gericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine lege artis und unter örtlicher Betäubung von einem Arzt durchgeführte Beschneidung an einem Vierjährigen, die medizinisch nicht indiziert war und auf Wunsch sowie mit Einwilligung der Eltern erfolgte, eine gefährliche Körperverletzung i. S. d. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB darstellt.39 Zwar sah das LG Köln hier nicht den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung i. S. d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, wohl aber den der einfachen Körperverletzung i. S. d. § 223 I StGB als erfüllt an: Der Tatbestand sei weder unter dem Aspekt der Sozialadäquanz ausgeschlossen, noch habe der Arzt aufgrund einer wirksamen Einwilligung gerechtfertigt gehandelt. Wegen der fehlenden Einwilligungsfähigkeit komme von vornherein keine Einwilligung des Vierjährigen selbst in Betracht. Aber auch die vorliegende stellvertretende Einwilligung der Eltern könne keine rechtfertigende Wirkung entfalten, da die Beschneidung des einwilligungsunfähigen Kindes dessen Wohl nicht entspreche und diese Erziehungsmaßnahme damit nicht vom elterlichen Sorgerecht gedeckt sei. Die Grundrechte des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung seien schwerer zu gewichten als das Erziehungsrecht sowie die Religionsfreiheit der Eltern.40 Damit bejahte das Gericht zwar eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung, es sprach den Arzt im konkreten Fall aber wegen der Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums i. S. d. § 17 S. 1 StGB frei.41 Die in Konsequenz dieses Urteils hervorgegangenen Diskussionen um das Verhältnis von Recht und Religion im Allgemeinen sowie um die Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung im Besonderen zeugen von der Aktualität der nachfolgend untersuchten Thematik.

39

NJW 2012, 2128. NJW 2012, 2128 f. 41 NJW 2012, 2128 f. Die Vorinstanz hatte eine dem Kindeswohl entsprechende und daher wirksame Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern angenommen und daher den Arzt freigesprochen, vgl. AG Köln, Urt. v. 21.09.2011 – 528 Ds 30/11. 40

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung Bevor in strafrechtlicher Hinsicht auf den Untersuchungsgegenstand eingegangen wird, werden im Folgenden die religiösen und medizinischen Hintergründe der Knabenbeschneidung beleuchtet, um so eine Grundlage für die daran anschließenden juristischen Ausführungen zu schaffen.

I. Geschichtliche Ursprünge der Beschneidung Das Ritual der Beschneidung hat eine sehr lange Tradition, deren Ursprünge nicht exakt festgestellt werden können. Es reicht wohl bis ins Jahr 4000 v. Chr. zu den alten Ägyptern1 oder sogar bis in die Steinzeit zurück.2 Der Brauch ist insbesondere in Afrika, Amerika und Australien seit langer Zeit bekannt und wurde aus medizinischen, sexuellen, gesellschaftlichen3 oder religiösen Gründen durchgeführt.4 Von den Ägyptern übernahmen die Israeliten den Brauch der Beschneidung,5 von wo aus das Ritual insbesondere Eingang in die Traditionen von Judentum und Islam fand.6 Dagegen konnte es sich im Christentum nicht durchsetzen.7 Die Beschneidung ist auch in einigen kleineren Religionsgemeinschaften bekannt, außerdem wurde der Eingriff von den verschiedensten Stämmen und Kulturen aller Epochen in unterschiedlicher Form praktiziert.8 1

Gollaher, Geschlecht, S. 13 und S. 15. Blaschke, Beschneidung, S. 6; vgl. zu den möglichen Hintergründen der Beschneidung Franz, FAZ v. 09.07.2012, S. 7. 3 Die Beschneidung galt als Zeichen des Ansehens und war ein Merkmal der Zugehörigkeit zur Oberschicht, Gollaher, Geschlecht, S. 19. 4 Küng, Judentum, S. 33; Blaschke, Beschneidung, S. 17. 5 Gegen eine Übernahme des Rituals durch die Israeliten von den Ägyptern argumentiert Blaschke, Beschneidung, S. 43 ff. 6 Gollaher, Geschlecht, S. 19. 7 Insbesondere der Apostel Paulus setzte sich dafür ein, die Beschneidung von der körperlichen auf eine geistige Ebene zu heben und die Heilserwartung von der inneren Zugehörigkeit zu Jesus Christus abhängig zu machen, Gollaher, Geschlecht, S. 51 ff.; Küng, Judentum, S. 34 ff.; vgl. Gal 5, 6: „Denn in Jesus Christus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.“ 8 Gollaher, Geschlecht, S. 79 ff. Rituelle Beschneidungen fanden und finden etwa bei den Aboriginals oder bei den Merina auf Madagaskar statt. Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 88 ff. und S. 92 ff. 2

II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung

29

Meist vermischen sich religiöse Beweggründe mit weiteren Motiven, sodass eine klare Differenzierung zwischen religiösen und anderen Gründen der Beschneidung gar nicht möglich ist.9 Entscheidend ist, dass die Beschneidung jedenfalls auch religiös motiviert ist. Daneben ist die Beschneidung nicht nur als Ritual oder religiöse Pflicht bekannt, sondern wird in einigen Ländern auch als medizinisches Verfahren aus hygienischen bzw. vorbeugenden Gründen durchgeführt – klassisches Beispiel hierfür sind die USA, wo die Beschneidung eine gängige Praxis an Neugeborenen darstellt.10

II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung am Beispiel von Judentum und Islam Die religiösen Hintergründe der Beschneidung werden – stellvertretend für alle das Ritual praktizierenden Religionen – am Beispiel von Judentum und Islam dargestellt. Ziel ist dabei nicht, sämtliche Strömungen innerhalb der jeweiligen Religionen und ihre Haltung zu dem Ritual zu analysieren, sondern allein die zentralen Hintergründe, Gebräuche und Motive zur Vornahme der Beschneidung aufzuzeigen, um einen Einblick in diese religiösen Traditionen zu gewinnen. 1. Religiöse Ursprünge der Beschneidung Als religiöser Ritus findet die Beschneidung ihren Ursprung bei Abraham, dem Urvater der monotheistischen Religionen.11 Hierzu findet sich im Alten Testament12 folgende Geschichte:13 9 Blaschke, Beschneidung, S. 17, sieht in der Beschneidung einen Ritus, „dem Sexualität, soziale Gesichtspunkte und Religion in ihrer gegenseitigen Bezogenheit zugrunde liegen.“ 10 Diese Entwicklung geht auf das Jahr 1870 zurück, ab dem ein Arzt namens Sayre die Beschneidung zuerst zur Heilung von Lähmungen, später auch zur Linderung weiterer ernsthafter Erkrankungen wie Epilepsie oder Leistenbrüchen einsetzte. Durch seine Anpreisung dieser einfachen Methode gleichsam als Wundermittel zur Heilung schwerer Krankheiten trug er durchaus dazu bei, dass sich die Beschneidung als Heilmaßnahme etablierte. Seine vermeintlichen Erfolge, die er zunächst bei den Operationen vorweisen konnte, waren allerdings allesamt auf andere Ursachen zurückzuführen. Vgl. zu dieser Entwicklung im Gesamten Gollaher, Geschlecht, S. 103–120. Heute ist die Anzahl an Beschneidungen in den USA rückläufig, vgl. Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13. 11 Vgl. Küng, Judentum, S. 39 und S. 42. 12 Das Alte Testament ist ein wichtiges spirituelles Erbe jüdischen Ursprungs, das als bedeutende Hinterlassenschaft über das Judentum hinausgeht, vgl. Wehr, Weltreligionen, S. 29. 13 Der Begriff „Geschichte“ ist bewusst gewählt, da es sich bei den im Folgenden beschriebenen religiösen Hintergründen nicht um historische Fakten handelt – so war

30

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung „Als Abraham neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin Gott, der Allmächtige. [. . .] Ich will einen Bund stiften zwischen mir und dir und dich sehr zahlreich machen. [. . .] Das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern. [. . .] Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein. [. . .] Du aber halte meinen Bund, du und deine Nachkommen, Generation um Generation. Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld von irgendeinem Fremden erworben, der nicht von dir abstammt. [. . .] So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen.“ 14

Abraham15 kommt der ihm von Gott auferlegten Pflicht nach16 und erlangt dadurch für Geschichte und Theologie des Judentums grundlegende Bedeutung.17 2. Die Beschneidung im Judentum a) Religiöse Bedeutung der Beschneidung In religiöser Hinsicht ist der Ursprung der Beschneidung bei Abraham18 gleichzusetzen mit dem Beginn der Geschichte des Judentums.19 Die Beschnei-

historisch betrachtet die Beschneidung zur Zeit Abrahams bereits eine alte Tradition, vgl. Küng, Judentum, S. 33. Dies ist insofern unproblematisch, als dieser Abschnitt ja gerade dazu dient, den religiösen Motiven der Beschneidung nachzugehen. Vgl. zu Unterschieden und Überschneidungen von historischen Fakten einerseits und Glaube andererseits Malamat, in: Ben-Sasson, S. 64. 14 Gen 17, 1–14. 15 Abraham ist als Stammvater der Israeliten nicht nur im Alten Testament eine wesentliche Figur, er ist auch zentrale Gestalt in weiteren Quellen des Judentums, so z. B. im Jubiläenbuch (Jub). Dort werden die oben dargestellten Ursprünge der Beschneidung ähnlich, allerdings mit etwas anderen Ausgestaltungen, beschrieben, s. etwa Jub 15, 25 ff. Vgl. hierzu Blaschke, Beschneidung, S. 133 ff.; Ego, in: Böttrich/Ego/Eißler, 11, 22 ff. 16 Gen 17, 23–27. 17 Küng, Judentum, S. 29; vgl. zu den Hintergründen der Beschneidung auch Franz, FAZ v. 09.07.2012, S. 7; Kreß, MedR 2012, 682 f. 18 Während im Bund zwischen Gott und Abraham der Bund eines Einzelnen gesehen werden kann, ist der Bund am Sinai (vermittelt durch Moses) als Bund mit dem ganzen Volk zu sehen, vgl. Küng, Judentum, S. 70 f. 19 Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 1; vgl. ausführlich zur Geschichte Küng, Judentum, S. 87 ff.

II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung

31

dung ist Symbol und Bestätigung des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel, der das wichtigste Element des jüdischen Glaubens darstellt.20 Diese besondere Bedeutung der Beschneidung verdeutlicht auch eine weitere Episode der jüdischen Religion: Moses führte die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft heraus und erneuerte den Bund von Gott mit dem Volk Israel. Hierfür war wiederum die Beschneidung das wichtigste Zeichen.21 Sie ist das zweite der 613 Gebote der Tora,22 die auf das Wort Gottes zurückgeführt wird und dadurch ihre Verbindlichkeit erfährt.23 Es wird ausdrücklich bestimmt: „Am achten Tage soll man die Vorhaut des Kindes beschneiden.“ 24 Damit ist es die erste Pflicht25 des Vaters, seinen Sohn am achten Tag nach der Geburt beschneiden zu lassen.26 Durch Festlegung dieses Termins werden sogar der heilige Sabbat und der noch wichtigere Versöhnungstag hinten angestellt, was die Bedeutung des Rituals nochmals erhöht.27 Es sind aber nicht nur die religiösen Überlieferungen und Gebote, in der die Wichtigkeit des Rituals zum Ausdruck kommt. Die Beschneidung erlangte im Laufe der jüdischen Geschichte auch als ganz reales Zeichen des Zusammenhalts enorme Bedeutung:28 Trotz Diaspora, trotz Kreuzzügen, Pogromen und Massakern an Juden bestand die Religion durch Beibehalten der religiösen Bräuche und Feste sowie durch das Lernen und die Weitergabe von Tora und Talmud von Generation zu Generation fort.29 Dabei konnten während aller dunkler Episoden durch das Zeichen des Beschnittenseins die Besonderheiten des Volkes Israel bewahrt und Assimilation verhindert werden – obwohl oder vielleicht gerade weil

20 Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht, S. 4; Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 298 f.; Küng, Judentum, S. 584 und S. 639; Brämer, Judentum S. 100. Allerdings sprachen sich sehr liberale Ansichten auch immer wieder für die Aufhebung des Rituals aus, vgl. Wehr, Weltreligionen, S. 32 f. 21 Zu dem Ganzen Gollaher, Geschlecht, S. 20; Malamat, in: Ben-Sasson, S. 50 ff.; vgl. Lev 12, 3. 22 Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 298. 23 Küng, Islam, S. 657. 24 Lev 12, 3; vgl. Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 300. 25 Mizwa, vgl. Wehr, Judentum, S. 54. 26 Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 2; Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 298 und S. 303: Der Mohel als traditioneller Beschneider führt diese Pflicht nur stellvertretend für den Vater aus. 27 Im Falle von Krankheit oder Schwäche des Kindes können Ausnahmen gemacht werden, da neben dem Beschneidungsgebot der Grundsatz „Zum Leben!“ gilt. Dieses Gebot der Tora, ein Leben zu erhalten, ist wichtiger als alles andere. Vgl. zu dem Ganzen Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 300. 28 Vgl. ausführlich zur Geschichte Küng, Judentum, S. 87 ff. Die Beschneidung wurde zu einem der am heftigsten verfolgten Gebote in der jüdischen Geschichte, Staszewski, Goldener Schnitt, S. 2. 29 Vgl. Küng, Islam, S. 689 ff.

32

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

es in einigen Zeiten sogar Todesgefahr bedeutete.30 Die Beschneidung beinhaltet damit eine weitreichende Symbolik und ist zentrales Identifikationsmerkmal.31 Sie wurde zum besonderen Zeichen der Zugehörigkeit zum israelitischen Volk.32 Auch wenn die Beschneidung eine der wichtigsten Bestimmungen in der jüdischen Religion ist,33 ist sie nicht zwingende Voraussetzung für einen Mann, um überhaupt Jude sein zu können; dies richtet sich vielmehr nach der Abstammung von einer jüdischen Mutter.34 Nichtsdestotrotz ist die Beschneidung religiöse Pflicht.35 Auch ist der Übertritt zur jüdischen Religion sehr restriktiv geregelt und an viele Bedingungen, unter anderem an die Beschneidung, geknüpft.36 b) Durchführung des Rituals Der „Bund der Beschneidung“ (Brit Mila)37 wird am achten Tag nach der Geburt vollzogen.38 Gleichzeitig erhält der Junge seinen hebräischen Namen, mit dem er insbesondere bei religiösen Anlässen angesprochen wird.39 Die Zeremonie folgt einem festen Ablauf,40 wobei zum eigentlichen Eingriff drei Schritte gehören: Die Abtrennung der Vorhaut (Chituch), die gänzliche Freilegung der Eichel (Peri’a)41 und das Aussaugen der Wunde (Metzitza).42 Auf die 30

Vgl. auch Küng, Judentum, S. 33 und S. 191 ff. Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 299; Neumann, Bund und Bekenntnis, S. 2. 32 Küng, Judentum, S. 33. Für viele Juden gehört die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk und die zum jüdischen Glauben zusammen, vgl. Küng, Judentum, S. 641. 33 Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 1. 34 Wehr, Judentum, S. 54. Außerdem gehört zur jüdischen Religion jeder Mensch, der an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glaubt und sich so zum Teil der jüdischen Glaubensgemeinschaft macht, vgl. Küng, Judentum, S. 639. 35 Vgl. Neumann, Bund und Bekenntnis, S. 2. 36 Brämer, Judentum, S. 13 f. 37 Brämer, Judentum, S. 100; Neumann, Bund und Bekenntnis, S. 2. 38 Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht, S. 1; Wehr, Weltreligionen, S. 64 f. 39 Staszewski, Goldener Schnitt, S. 2; Wehr, Judentum, S. 55; Brämer, Judentum, S. 101. 40 Es werden Kerzen entzündet, der Junge wird ins Zimmer gebracht. Der Mohel erklärt die Zeremonie, anschließend wird das Kind auf den Stuhl des Elias gelegt, der als Symbol für den Geist Elias’ aufgestellt wurde. Während der Beschneidung und der Namensgebung wird das Kind vom Sandik, seinem Paten, gehalten. Im Anschluss an die Zeremonie findet üblicherweise ein großes Festessen statt. Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 41; Brämer, Judentum, S. 101. 41 Die Peri’a als radikale Entfernung der Vorhaut wurde erst eingeführt, als im Laufe der Geschichte aus unterschiedlichen Gründen versucht wurde, die Beschneidung optisch wieder rückgängig zu machen. Sie entwickelte sich dann zur allgemein verbreiteten Form der jüdischen Beschneidung, Gollaher, Geschlecht, S. 32 f. 42 Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 2; Deusel, in: Heil/Kramer, 181, 182. Während heute für das Ritual sterile Utensilien verwendet werden, wurde der Eingriff über lange Zeit hinweg unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 42 ff. 31

II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung

33

traditionelle Form der Metzitza wird heute aufgrund der von ihr ausgehenden Ansteckungs- und Gesundheitsgefahren verzichtet.43 Der Eingriff wird in der Regel von einem Mohel, also einem dafür ausgebildeten rituellen Beschneider durchgeführt.44 Bisweilen ist dieser zugleich approbierter Arzt.45 Ort der Beschneidung kann die Synagoge sein,46 es ist aber auch eine Beschneidungsfeier im Krankenhaus nicht unüblich.47 3. Die Beschneidung im Islam a) Religiöse Bedeutung der Beschneidung Um die Bedeutung der Beschneidung im Islam darzustellen, hilft ein Blick auf die Wurzeln und religiösen Grundlagen dieser Religion: Die islamischen Ursprünge gehen auf den Propheten Mohammed48 zurück, der im sechsten Jahrhundert nach Christus als „Vollender“ 49 des Islam wirkte und aus muslimischer Sicht der letzte und größte Prophet ist, der vielen anderen Propheten – Adam, Abraham,50 Moses und Jesus51 – nachfolgte.52 Mohammed erhielt Offenbarungen überbracht,53 die nach islamischem Glauben direkt auf Gott zurückzuführen54 und Grundlage des Korans55 sind. Der Ko43 Früher saugte der Mohel im Rahmen der Metzitza den blutende Penis mit seinem Mund ab, um die Wunde zu versorgen, Gollaher, Geschlecht, S. 43 und S. 48; Gesundheit/Grisaru-Soen/Greenberg u. a., Pediatrics 114 (2004), e259–e263; Deusel, in: Heil/ Kramer, 181, 182. 44 Gesundheit/Grisaru-Soen/Greenberg u. a., Pediatrics 114 (2004), e259–e263; Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht, S. 4; Neumann, Bund und Bekenntnis, S. 2; Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 1. 45 So etwa Rosenkranz, Bund der Beschneidung, der Facharzt für Chirurgie und gleichzeitig traditioneller Mohel ist. 46 Lau/Meislich/Magall, Juden, S. 301. 47 Vgl. Blaschke, Beschneidung, S. 4; Brämer, Judentum S. 100. 48 Auch Muhammad. Er lebte von ca. 570 bis 632 n. Chr., vgl. Küng, Islam, S. 133 f., und Suleiman, Islam, S. 69 und S. 75. 49 Suleiman, Islam, S. 67; Wehr, Weltreligionen, S. 26. 50 Arab.: Ibrahim. 51 Eißler, in: Böttrich/Ego/Eißler, 116. 52 Suleiman, Islam, S. 67: Er fand zahlreiche Anhänger, was zu einem raschen Ausbreiten der muslimischen Religion im arabischen Raum führte. 53 Suleiman, Islam, S. 82 ff. und S. 118. 54 Küng, Islam, S. 99. Zur Authentizität des Koran im Selbstverständnis der Muslime vgl. Suleiman, Islam, S. 127–137. 55 Qur’an. Er fügt sich wie ein Mosaik aus den verschiedenen Offenbarungen zusammen. Da es sich beim Koran nach muslimischen Glauben um das Wort Gottes selbst handelt, bedarf es keiner Aufzeichnung desselben. Schriftliche Fixierungen dieses Wort Gottes werden deshalb auch nicht als Qur’an, sondern als Masahif bezeichnet, vgl.

34

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

ran ist Gottes Wort und bildet damit die Mitte des Islam.56 Er ist für alle Muslime die Wahrheit (also der Ursprung jeder Gotteserfahrung), der Weg (also der Maßstab des Handelns), und das Leben (also die Grundlage islamischen Rechts und Gebets).57 Eine weitere Grundlage des Islam sind die Sunna des Propheten, also Handlungen und Aussagen desselben sowie die Bestätigung von Handlungen oder Aussagen anderer durch den Propheten,58 wobei vor allem die Regeln des Koran konkretisiert oder erklärt werden.59 Aufgrund des Korans ist ein Muslim dazu verpflichtet, die Sunna zu befolgen, denn kein anderer als Mohammed selbst war besser dazu befähigt, den Koran zu verstehen.60 Die Vorschriften der Sunna nehmen damit als direkt auf den Propheten zurückgehend die Stellung eines Gebots ein.61 Im Laufe der Zeit hat sich hierzu eine ganze Hadith-Wissenschaft62 entwickelt, die neben der Koran- und der Rechtswissenschaft im Islam besteht und Authentizität und Inhalt der Aussprüche des Propheten überprüft.63 So ist beinahe alles im muslimischen Leben, was der Koran offen lässt, durch eine Aussage des Propheten gestützt, es finden sich Aussagen zu Glaubensfragen, zur Lebens- und Staatsführung, aber auch zu alltäglichen Dingen wie Essen und Kleidung.64 Wenn auch der Koran das alleinige Wort Gottes darstellt, so entwickelten sich Hadith und Sunna als dessen Ergänzung und Konkretisierung zu weiteren wichtigen islamischen Quellen.65 Zentrale und erste Pflicht eines Muslims ist der Glaube an den einen und einzigen Gott, der Grundlage und Sinn von allem ist.66 Neben dem Glaubensbekenntnis als dem ersten der fünf Grundpfeiler der Religion bestehen das tägliche Suleiman, Islam, S. 86 und S. 118 f. Dieses grundlegende Buch ist in 114 Suren (Abschnitte) eingeteilt, die aus über 6000 einzelnen Ayah (Versen) bestehen, vgl. Suleiman, Islam, S. 119; Küng, Islam, S. 97. 56 Küng, Islam, S. 93 ff. 57 Küng, Islam, S. 100: Sein Stellenwert im Islam entspricht dem Stellenwert der Tora im Judentum und dem von Jesus Christus im Christentum. 58 Überliefert wurden die Sunna durch die Ahadith, nämlich kurze Berichte über die Äußerungen und Handlungen Mohammeds, die bereits ab Beginn des 8. Jahrhunderts gesammelt wurden, vgl. Suleiman, Islam, S. 260; Küng, Islam, S. 328. 59 Suleiman, Islam, S. 139 f. und S. 271. 60 Suleiman, Islam, S. 140. 61 Gollaher, Geschlecht, S. 68. 62 Arab.: ’Ulumu-l-Hadith. 63 Küng, Islam, S. 328 f. Schon früh wurden – teils als Lebenswerk – die Aussprüche und Handlungen Mohammeds gesammelt, geprüft, thematisch geordnet und niedergeschrieben, Suleiman, Islam, S. 141 ff. 64 Küng, Islam, S. 328. 65 Küng, Islam, S. 333 f. 66 Küng, Islam, S. 115.

II. Religiöse Hintergründe der Beschneidung

35

Pflichtgebet, die Pflicht des Almosengebens, das rituelle Fasten und die Pilgerfahrt nach Mekka als weitere Hauptpflichten im Islam, die dessen zentrale Strukturen charakterisieren.67 Zur Einordnung der Beschneidung in dieses Gefüge lässt sich zunächst feststellen, dass sie im Koran nicht erwähnt ist.68 Im Rahmen der Hadith-Wissenschaft wurden demgegenüber eine Vielzahl von Aussagen Mohammeds zur Beschneidung erörtert, die die Wichtigkeit derselben bestätigen:69 Er erwähnt in den überlieferten Aussagen die Beschneidung mehrmals als ein wichtiges Ritual, das zur körperlichen Reinheit gehört.70 So ist die Beschneidung im Islam von der Sunna umfasst und nimmt damit die Stellung eines Gebots ein.71 Sie wird als selbstverständlich angesehen72 und entwickelte sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einem Symbol der Verbreitung des Islams, zum Maßstab individueller Reinheit sowie zum Zeichen dafür, dass der Mann dem Vorbild des Propheten folgt.73 Das Ritual ist damit wesentlicher und zentraler Teil des islamischen Lebens.74 Allerdings ist die Beschneidung nicht konstitutiv für die Zugehörigkeit zur muslimischen Religion.75 b) Durchführung des Rituals Im Gegensatz zur Beschneidung im Judentum, in dem der Ablauf der Zeremonie relativ fest vorgegeben ist, stellt das muslimische Ritual ein weniger strenges dar, bei dem die unterschiedlichsten Varianten der konkreten Durchführung existieren.76 Außerdem geht der körperliche Eingriff in der Regel nicht so weit wie 67 Ausführlich dazu Suleiman, Islam, S. 176–182; Küng, Islam, S. 170–186; Wehr, Weltreligionen, S. 152 ff. 68 Küng, Islam, S. 676; Elias, Islam, S. 116. 69 Gollaher, Geschlecht, S. 68. Problematisch an der Hadith-Wissenschaft ist allerdings, dass (vorsätzliche) Fälschungen der Traditionen bei der Übermittlung ein Leichtes waren, vgl. Elias, Islam, S. 39 ff. 70 Gollaher, Geschlecht, S. 68. Diese Selbstreinigung, dazu die Selbsterziehung, sollen zur Zufriedenheit der Seele, zu innerer Ruhe und zum eigentlichen Selbst des Menschen führen, vgl. Suleiman, Islam, S. 193 und S. 260. 71 Gollaher, Geschlecht, S. 68. 72 Gollaher, Geschlecht, S. 70. 73 Dazu Gollaher, Geschlecht, S. 72 ff. 74 Gollaher, Geschlecht, S. 77; vgl. zur Beschneidung im Islam auch Neumann, DRiZ 2012, 221 f. 75 Suleiman, Islam, S. 26: Jeder, der folgenden Satz willentlich und bei Bewusstsein ausspricht, gilt als Muslim: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt, (der als einziger das Recht hat, angebetet zu werden) und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte (und Diener) Allahs ist.“ 76 Gollaher, Geschlecht, S. 70 f. Dort finden sich auch Beispiele unterschiedlicher Praktiken. Im Laufe der Geschichte lassen sich unter hygienischen Gesichtspunkten

36

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

bei der im Judentum vorgenommenen Peri’a, also der radikalen Entfernung der Vorhaut.77 Auch der Zeitpunkt der Beschneidung kann flexibel gewählt werden, wobei allerdings Einigkeit dahingehend besteht, dass der Knabe zu Beginn der Pubertät beschnitten sein muss und er ab diesem Zeitpunkt nur unter dieser Voraussetzung am Gottesdienst teilnehmen darf.78 In der Regel wird der Eingriff beim Kleinkind oder in der frühen Jugend vorgenommen, wobei eine Vornahme in Krankenhäusern nicht unüblich ist.79 Zum Teil wird der Eingriff aber auch in Privatwohnungen durchgeführt.80

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision Aus medizinischer Sicht betrachtet handelt es sich bei der Zirkumzision, die als rituelle Handlung einen so vielfältigen geschichtlichen und religiösen Hintergrund hat, um einen eher unproblematischen chirurgischen Standardeingriff, dessen Vorteile allerdings umstritten sind. 1. Die Zirkumzision in der ärztlichen Praxis Durch die Zirkumzision, einen der am häufigsten durchgeführten urologischen Eingriffe,81 wird die Vorhaut des Penis durch einen zirkulären Schnitt abgetrennt.82 Sie kann auf zwei Weisen durchgeführt werden, nämlich unter Erhaltung eines Großteils der Vorhaut oder radikal, also unter vollständiger Entfernung der Vorhaut.83 Letztere Vorgehensweise wird auch komplette bzw. totale Zirkumzision genannt.84 nicht unproblematische Durchführungsweisen finden. Vgl. zur unterschiedlichen Durchführung auch Elias, Islam, S. 116. 77 Gollaher, Geschlecht, S. 71. Vgl. hierzu Abschn. B, Fn. 41. 78 Gollaher, Geschlecht, S. 70. 79 Vgl. LG Frankenthal, MedR 2005, 243: Hinweis auf die Verbreitetheit des Rituals aufgrund der Existenz eines eigenen Perimed-Aufklärungsbogens für die rituelle Beschneidung. Das Jüdische Krankenhaus Berlin etwa will in Konsequenz des Urteils des LG Köln vom 07.05.2012, NJW 2012, 2128, keine religiös motivierten Knabenbeschneidungen mehr vornehmen, vgl. http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-umstritte nem-urteil-juedisches-krankenhaus-stoppt-religioese-beschneidungen-1.1397500 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 80 So etwa im vom LG Frankenthal, MedR 2005, 243, zu beurteilenden Fall. 81 Stark, in: Steffens/Langen, 343. 82 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zirkumzision“. 83 Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 190. 84 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zirkumzision“. Bei der totalen Zirkumzision werden äußeres und inneres Vorhautblatt fast vollständig entfernt. Der Rest des inneren Vorhautblatts wird dann mit der Penisschafthaut vernäht, Ringert/Zöller, in: Jocham/Miller, 466, 471.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

37

Zum Teil liegen der Vornahme einer Beschneidung Krankheiten beim Patienten zugrunde,85 so etwa im Fall einer vorhandenen (narbigen) Phimose,86 gegebenenfalls als Konsequenz einer Paraphimose,87 bei (rezidivierender) Balanitis,88 bei Feigwarzen89 sowie eventuell im Fall eines Peniskarzinoms. Nicht durchgeführt werden darf die Zirkumzision dagegen etwa bei lokalen Infektionen oder bei angeborenen Penisanomalien.90 Umstrittenster Punkt der Zirkumzision aus medizinischer Sicht sind die Vorteile derselben.

85

Vgl. hierzu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zirkumzision“. Umstritten. Die Phimose ist eine Verengung der Penisvorhaut, die auch zu einer Paraphimose und anderen Komplikationen führen kann, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Phimose“. Eine solche kann zwar angeboren sein, wird aber in den meisten Fällen im Erwachsenenalter erworben, Ringert/Zöller, in: Jocham/Miller, 466, 470. Vor dem Hintergrund, dass bis zum zweiten oder dritten Lebensjahr eine Vorhautverklebung meist physiologische Ursachen hat und eine Zirkumzision in diesen Fällen nicht erforderlich ist, bleiben noch ca. 8% der Sechs- bis Siebenjährigen, bei denen eine behandlungsbedürftige Vorhautverengung vorliegt, sowie ca. 1% der Sechzehn- bis Achtzehnjährigen, bei denen dies der Fall ist, vgl. Bonfig/Riedmiller, in: Speer/Gahr, 709, 710. Vgl. auch Hoffmann, Pädiatrie, 406. Es sei erwähnt, dass selbst in solchen Fällen nicht immer eine Beschneidung, sondern von manchen Ärzten auch eine heilende Salbe empfohlen wird. So vertreten Ringert/Zöller, in: Jocham/Miller, 466, 471, dass in 90% der kindlichen Vorhautverengungen das Auftragen einer Corticosteroidcreme über einen Zeitraum von ca. vier Wochen genügt. Bei einer Vorhautverengung im Erwachsenenalter sehen sie die Zirkumzision als standardmäßig indiziert an. Andere Mediziner ziehen allerdings in allen Fällen die Operation einer Salbentherapie vor, so z. B. Bonfig/Riedmiller, in: Speer/Gahr, 709, 710. 87 Akute Einklemmung der zu engen Vorhaut des Penis hinter dem Eichelkranz, wodurch Schwellungen und Durchblutungsstörungen auftreten. Da die Paraphimose eine akute Notfallsituation darstellt, muss zuerst das Abklingen des damit verbundenen Ödems bzw. der Entzündung abgewartet werden, bis eine Zirkumzision vorgenommen werden kann. Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 191. 88 Entzündung des Glans penis (der Eichel) und in den meisten Fällen auch des inneren Vorhautblatts, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Balanitis“. Teilweise wird geschätzt, dass Balanitis bei etwa 3% der unbeschnittenen Männer auftritt, so Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 253. Teilweise werden aber ganz bewusst keine Zahlenangaben zur Häufigkeit gemacht, da sie als zu ungesichert angesehen werden, Hoffmann, Pädiatrie, 407. Bei leichteren Fällen von Balanitis kann die Therapie auch durch Reinigung und Antibiotika erfolgen, Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 254. Bei schwereren Fällen wird teils sofort die Zirkumzision empfohlen, so Sökeland, ebd.; Wagenlehner/Schiefer/Weidner, in: Jocham/Miller, 492, 515. Teils wird die Indikation einer Beschneidung erst im Falle einer rezidivierenden Balanitis angenommen, wenn die Entzündungen also häufiger auftreten, Hoffmann, Pädiatrie, 408. 89 Condylomata acuminata, für die allerdings ebenfalls eine Reihe von anderen Therapiemöglichkeiten bestehen, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Condylomata acuminata“. 90 Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 190: Insbesondere im Falle einer Hypospadie (Fehlbildung der Harnröhre) ist eine Zirkumzision kontraindiziert. Vgl. zum Begriff Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „ Hypospadie“. 86

38

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

2. Vor- und Nachteile der Zirkumzision Um die möglichen Vorteile der Zirkumzision besteht schon seit langem ein heftiger Streit zwischen den Befürwortern des Eingriffs auf der einen und den Beschneidungsgegnern auf der anderen Seite. So verwundert es nicht, dass es einerseits eine Vielzahl an Untersuchungen zu den möglichen Vorteilen der Beschneidung gibt, die sich andererseits erheblicher Kritik und dem Versuch ausgesetzt sehen, die jeweils gewonnenen Ergebnisse zu relativieren.91 Im Folgenden sollen die Ergebnisse zu den am häufigsten angeführten möglichen Vorteilen der Zirkumzision sowie die darauf bezogene Kritik angesprochen werden. Dabei handelt es sich um eine rein darstellende Betrachtung, an die eine Beschreibung der Nachteile und Risiken der Zirkumzision anschließt. Eine Bewertung erfolgt erst i. R. d. Ergebnisses.92 a) Mögliche Vorteile der Zirkumzision aa) Vorbeugende Wirkung gegen Infektionen des Harnsystems Bereits in den 80er Jahren wurde eine vorbeugende Wirkung der Beschneidung gegen Infektionen des Harnsystems93 vermutet.94 Untersuchungsergebnisse deuteten darauf hin, dass unbeschnittene Jungen ein größeres Risiko als beschnittene Jungen haben, an Harnwegsinfektionen zu erkranken.95 Diese ersten Studien sind allerdings auf erhebliche Kritik im Hinblick auf ihre Wissenschaftlichkeit und Aussagekraft gestoßen.96 91 Vgl. zu dem Gesamten Gollaher, Geschlecht, S. 171 ff. An dessen umfassende Darstellung – nicht jedoch an die vorgenommenen Wertungen – lehnen sich die folgenden Ausführungen an. Vgl. auch Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 88 f. 92 Vgl. B.III.2.c). 93 Es handelt sich um eine der häufigsten Infektionskrankheiten im Kindesalter. An einer bakteriellen Infektion des Harntrakts erkranken bis zum elften Lebensjahr ca. 1% der Jungen und ca. 3% der Mädchen, Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 199; Westenfelder, in: Jocham/Miller, 522. 94 Vgl. hierzu Gollaher, Geschlecht, S. 205 f. 95 Federführend war der Kinderarzt der amerikanischen Armee Thomas Wiswell, der zunächst zeitgleich mit der sinkenden Beschneidungsrate in Militärkrankenhäusern einen Anstieg von Harnwegsinfektionen bei Jungen beobachtete. In einer zweiteiligen Studie, die sich dem Auftreten von Harnwegsinfektionen bei Kindern im ersten Lebensjahr widmete, kam man schließlich zu dem Ergebnis, dass das Risiko einer Erkrankung bei unbeschnittenen Jungen signifikant höher ist als bei Mädchen und bei beschnittenen Jungen, vgl. Wiswell/Roscelli, Pediatrics 78 (1986), 96 ff.; ebenso Ginsburg/McCracken, Pediatrics 69 (1982), 409 ff. Es wurden die Daten von 100 Kindern erhoben, die acht Monate oder jünger waren und an einer Harnwegsinfektion erkrankten. 95% der erkrankten Jungen waren unbeschnitten. Allerdings ist zu beachten, dass es sich um keine repräsentative Studie handelte. Vgl. auch Wiswell/Miller/Gelston u. a., The Journal of Pediatrics 113 (1988), 442 ff.; Wiswell/Hachey, Clinical Pediatrics 32 (1993), 130 ff.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

39

Später wurden die Ergebnisse der früheren Studien jedoch dahingehend bestätigt, dass die Zirkumzision Harnwegsinfektionen im Kindesalter vorbeugt.97 Aber auch gegen diese Ergebnisse werden Einwände vorgebracht. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Komplikationen höher sei als die Wahrscheinlichkeit, durch die Zirkumzision eine Harnwegsinfektion zu verhindern, was zu einem negativen Gesamtsaldo führe.98 bb) Geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren Die Zirkumzision soll eine geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren (HPV) bewirken, welche bei Männern Peniskarzinome99 und bei Frauen Zervixkarzinome100 verursachen können.101 96 Bemängelt wurde in erster Linie, dass bezüglich der Beschneidung der Jungen keine randomisierten Verfahren stattgefunden hatten und daher mögliche Störvariablen die Ergebnisse verfälschen könnten, weshalb die Vergleichbarkeit der jeweiligen Versuchs- und Kontrollgruppen anzuzweifeln sei, Harkavy, Pediatrics 79 (1987), 649; in einer Replik dazu Wiswell, Pediatrics 79 (1987), 649, der die Einwände von Harkavy insbesondere dahingehend zu entkräften versucht, dass die Beschneidung nie ein perfekt randomisierter Vorgang sein könne und außerdem die beiden untersuchten Gruppen (beschnittene Jungen und Kontrollgruppe) so gut wie nicht zu unterscheiden gewesen wären. Ein weiterer Kritikpunkt richtete sich gegen die Durchführung eines Großteils der Studien in Militärkrankenhäusern, was mangelnde Transparenz und fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit zur Folge habe, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 207. 97 Vgl. Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 248; Gollaher, Geschlecht, S. 206 f. 98 Dieser Einwand wird mit einem Gedankenexperiment untermauert: Gehe man davon aus, dass nicht beschnittene Jungen ein zehnmal größeres Risiko (nämlich 1,0%) als beschnittene Jungen (nämlich 0,1%) hätten, an einer Harnwegsinfektion zu erkranken, sei die Beschneidung nur dann vorteilhaft, wenn die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen bei der Zirkumzision geringer sei als die Wahrscheinlich, an einer Infektion des Harnsystems zu erkranken. Die Komplikationsrate bei der Zirkumzision müsste also unter 1,0% betragen, um die Beschneidung als vorteilhaft in Bezug auf die Vorbeugung von Harnwegsinfektionen einzustufen. Dies sei aber nicht der Fall, sodass die Beschneidung nur dann noch vorteilhaft wäre, wenn eine Harnwegsinfektion im Vergleich zu den postoperativen Komplikationen das weitaus größere Risiko mit den schwerwiegenderen Auswirkungen darstellen würde. Dies sei aber ebenfalls nicht der Fall, sodass es keinen Grund gäbe, zur Vorbeugung gegen eine Harnwegsinfektion eine Beschneidung durchzuführen. Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 210; vgl. auch Frisch/Aigrain/Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 797. Bei dieser Argumentation kommt es allerdings entscheidend auf die Komplikationsrate des Eingriffs an, die nicht sicher festgestellt ist und mit 0,2% bis 3,6% angegeben wird. Vgl. hierzu B.III.2.b)bb). 99 Peniskrebs ist eine ernst zu nehmende Krankheit und tritt am häufigsten bei Männern zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr auf, wobei Risikofaktoren Phimose (Verengung der Penisvorhaut), chronische Balanitis oder Rückhaltung von Smegma sein können. Je nach Krankheitsstadium muss das betroffene Gewebe chirurgisch entfernt werden, es können aber auch eine Penisteilamputation oder sogar eine Penisamputation notwendig werden. Meist ist außerdem eine Strahlentherapie vonnöten. Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwörter „Phimose“, „Peniskarzinom“. 100 Gebärmutterhalskrebs ist eine gefährliche und ernst zu nehmende Krankheit. Therapie, die zum Verlust der Fruchtbarkeit führen kann, und Überlebensquote (Mortalität:

40

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

So kam im Jahr 2000 eine Studie zu dem Ergebnis, dass die Zirkumzision das Risiko von Männern, an verschiedenen Formen des Peniskarzinoms zu erkranken, erheblich vermindert.102 Anknüpfend an diese Erkenntnisse fand man in weiteren Untersuchungen heraus, dass das Risiko einer Papillomavirus-Infektion bei beschnittenen Männern signifikant geringer ist als bei unbeschnittenen und dass unter bestimmten Umständen sogar die Geschlechtspartnerinnen beschnittener Männer ein geringeres Risiko haben, an einem Zervixkarzinom zu erkranken.103 Diese Ergebnisse wurden von einer längeren Studie in den Jahren 2003 bis 2006 in Uganda bestätigt, wobei ein signifikant geringeres Risiko von heterosexuellen, beschnittenen Männern festgestellt wurde, sich mit humanen Papillomaviren zu infizieren.104 Auch diese auf den ersten Blick sehr vielversprechend wirkenden Ergebnisse sehen sich erheblicher Kritik ausgesetzt: So wird der vermeintliche Zusammenhang zwischen der Beschneidung des Mannes und der geringeren Rate von Zervixkarzinomen bei Frauen stark angezweifelt.105 Bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen einer Zirkumzision und dem Risiko einer Peniskarzinomerkrankung wird auf die Risikofaktoren der Krankheit hingewiesen, die eine

ca. 30%) hängen mit dem Stadium der Krankheit zusammen. Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Zervixkarzinom“. 101 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Papillomavirus“. Von den etwa 75 humanen Papillomavirustypen können nur einige Penis- bzw. Zervixkarzinome verursachen. 102 Schoen/Oehrli/Geoffrey, Pediatrics 105 (2000), e36. 103 Es wurden 1913 Paare untersucht, wobei man bei 19,6% der unbeschnittenen und bei 5,5% der beschnittenen Männer eine Infektion mit dem Papillomavirus entdeckte. Nach Berücksichtigung der Störvariablen (z. B. Anzahl der bisherigen Sexualpartner) zeichnete sich immer noch ab, dass beschnittene Männer ein geringeres Risiko haben, sich mit dem Papillomavirus zu infizieren, als unbeschnittene Männer. Diese Untersuchung wurde von der International Agency For Research On Cancer Multicenter Cervical Cancer Study Group durchgeführt, vgl. Castellsagué/Bosch/Muñoz u. a., NEnglJMed 346 (2002), 1105 ff. 104 Dazu wurden insgesamt 5534 HIV-negative, unbeschnittene Männer zwischen 15 und 49 Jahren untersucht, wobei 3393 für die Studie in Betracht kamen. In einem randomisierten Verfahren wurden zwei Gruppen gebildet: 1684 im Zufallsverfahren ausgewählte Männer wurden sofort und 1709 nach 24 Monaten beschnitten. Untersucht wurden die Männer in regelmäßigen Abständen im Hinblick auf die Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 2, mit HIV und mit Syphilis. Zusätzlich wurde ein Teil der beiden Gruppen auf die Infektion mit dem humanen Papillomvirus untersucht. Vom Ergebnis her wurde bei beschnittenen Männern ein geringeres Infektionsrisiko mit HIV, mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 2 sowie mit dem humanen Papillomavirus festgestellt. Vgl. Tobian/Serwadda/Qzinn u. a., NEnglJMed 360 (2009), 1298 ff. 105 Es wird moniert, dass es sich beim Gebärmutterhalskrebs um eine sehr komplexe Krankheit handele, die nicht nur vom HPV, sondern auch von anderen Faktoren wie unterschiedlichen Schleimhauttypen oder dem individuellen Immunsystem abhänge, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 191 ff.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

41

weitaus größere Rolle spielen würden als sie der Beschneidung bezüglich der Vorbeugung gegen die Krankheit zukomme.106 Des Weiteren besteht ein wesentlicher Problempunkt der Studien insofern, als sie in Uganda durchgeführt wurden und daher kaum auf die Situation in Europa bzw. Deutschland übertragbar sind.107 Hierunter leidet ihre Aussagekraft wesentlich. cc) Geringere Übertragbarkeit von Geschlechtskrankheiten Eine weitere, sehr umstrittene Frage ist die nach einer möglichen vorbeugenden Wirkung der Zirkumzision gegen Geschlechtskrankheiten.108 Diesbezüglich kommen Studien zu den unterschiedlichsten Ergebnissen: Eine umfassende Studie, die sich den Langzeiteffekten der Zirkumzision widmete, konnte etwa keinen positiven Zusammenhang zwischen der Beschneidung und einem verminderten Ansteckungsrisiko mit Geschlechtskrankheiten feststellen.109 Vielmehr kam es zu den unterschiedlichsten und teilweise sogar zu verwirrenden Ergebnissen, aus denen der Schluss gezogen wurde, dass nicht allein die Beschneidung der entscheidende Faktor im Hinblick auf das Risiko von Geschlechtskrankheiten sei,110 sondern dass dabei eine Reihe anderer, verschiedener Faktoren eine Rolle spielten.111 Aufgrund ihrer Untersuchungsmethoden wurde diese Studie nach ihrer Veröffentlichung teilweise erheblich kritisiert.112 106 Entscheidender vorbeugender Faktor sei eine angemessene Hygiene. Als Risikofaktoren spielten etwa Rauchen, Sexualpraktiken, Anzahl der Geschlechtspartner sowie der allgemeine Gesundheitszustand des Organs eine erhebliche Rolle, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 195 f., der an dieser Stelle jedoch sehr polemisiert. 107 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 690. 108 Unter sexuell übertragbaren Krankheiten („Sexually transmitted Diseases“, STD) versteht man zum einen Syphilis (Lues bzw. Harter Schanker), Gonorrhö (ugs. Tripper) und Ulcus molle (Chancroid bzw. Weicher Schanker, in Deutschland eher selten), welche früher als die wichtigsten Geschlechtskrankheiten galten. Zum anderen fallen z. B. auch HIV-Infektionen, Hepatitis B und C, Chlamydieninfektionen, Herpes genitalis sowie weitere Krankheiten darunter, von denen man entdeckte, dass sie auf sexuellem Wege übertragen werden können. Hierzu Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 254; Krause, in: Jocham/Miller, 538. Im Folgenden geht es in erster Linie um eine mögliche vorbeugende Wirkung der Zirkumzision gegen die „klassischen“ Geschlechtskrankheiten Syphilis, Gonorrhö und Ulcus molle sowie gegen den Herpes-simplex-Virus. 109 Laumann/Masi/Zuckerman, JAMA 277 (1997), 1052. 110 Einzig bezüglich sexueller Funktionsstörungen wurde festgestellt, dass bei unbeschnittenen Männern – insbesondere mit zunehmendem Alter – eine leicht erhöhte Gefahr besteht, vgl. Laumann/Masi/Zuckerman, JAMA 277 (1997), 1052. 111 So wurde z. B. festgestellt, dass Gonorrhö (ugs. Tripper) bei unbeschnittenen Männern, die eine geringere Anzahl an Sexualpartnern als der Durchschnitt hatten, eher häufiger auftritt als bei beschnittenen Männern mit einer durchschnittlich niedrigen Anzahl an Sexualpartnern. Demgegenüber war Gonorrhö bei einer überdurchschnittlichen Zahl an Sexualpartnern häufiger bei beschnittenen als bei unbeschnittenen Männern zu

42

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

Später wurde aus der Auswertung einer Langzeitstudie in Neuseeland der Schluss gezogen, dass die Beschneidung allgemein vorbeugend gegen sexuell übertragbare Krankheiten wirke, und zwar unabhängig von anderen Faktoren, die sich aus den Lebensumständen der Männer ergeben.113 Insbesondere im Hinblick auf ein geringeres Risiko einer Ansteckung mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 2 sowie einer Erkrankung an Syphilis114 wurde dieses Ergebnis später bestätigt.115 Weitere – bereits angesprochene – Untersuchungen konnten demgegenüber zwar keinen Zusammenhang zwischen der Zirkumzision und einem etwaigen verminderten Risiko einer Syphiliserkrankung feststellen, wohl aber ein signifikant geringeres Risiko von beschnittenen Männern, sich mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 2 zu infizieren.116 Da die Untersuchungen in Uganda durchgeführt wurden, ist auch hier die Übertragbarkeit auf Europa bzw. Deutschland sehr kritisch zu hinterfragen.117 Unter diesem Aspekt leidet freilich deren Aussagekraft. Auch in weiteren Studien, die sich mit der möglichen vorbeugenden Wirkung der Beschneidung gegen Erreger von Geschlechtskrankheiten beschäftigten, finden sich ähnlich widersprüchliche Ergebnisse.118

finden. Unter Berücksichtigung aller anderen erhobenen Faktoren wie z. B. die Lebensumstände, das Alter oder die Religion der Testpersonen konnte kein Beweis für die den Geschlechtskrankheiten vorbeugende Wirkung der Beschneidung gefunden werden, vgl. Laumann/Masi/Zuckerman, JAMA 277 (1997), 1052. 112 So etwa Schoen, JAMA 278(3) (1997), 201. 113 Es wurden Teile von Daten einer Langzeitstudie, die mit 1265 Kindern stattfand, ausgewertet. Bei der Auswertung wurden Untersuchungsergebnisse von 510 Jungen berücksichtigt, die im Alter von vier Monaten, einem Jahr, 16, 18, 21 und 25 Jahren stattgefunden hatten. 130 (= 26,1%) dieser Jungen wurden bereits als Baby beschnitten, im Alter von 15 Jahren waren dann schon 154 (= 30,2%) der untersuchten Jungen beschnitten. Die Auswertung kommt zu dem Ergebnis, dass in der untersuchten Kohorte die Rate der sexuell übertragbaren Krankheiten um 48,2% geringer gewesen wäre, hätte zu Beginn der Studie eine umfassende neonatale Beschneidung der Kohorte stattgefunden. Die Autoren dieser Auswertung weisen explizit darauf hin, dass dieses Ergebnis auch nach Berücksichtigung möglicher Störvariablen, die sich aus den Lebensumständen der Männer ergeben (Anzahl der Sexualpartner, ungeschützter Geschlechtsverkehr, aber auch familiärer Hintergrund), und entsprechender Angleichung noch so gilt. Fergusson/ Boden/Horwood, Pediatrics 118 (2006), 1971 ff. 114 Lues bzw. Harter Schanker, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Syphilis“. 115 Vgl. Weiss/Thomas/Munabi u. a., SexTransmInfect 82 (2006), 101 ff. 116 Tobian/Serwadda/Qzinn u. a., NEnglJMed 360 (2009), 1298; vgl. Abschn. B, Fn. 104. 117 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 690. 118 Ein schöner Überblick über solch sich widersprechender Ergebnisse findet sich bei Sobngwi-Tambekou/Taljaard/Nieuwoudt u. a., SexTransmInfect 85 (2009), 116 ff.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

43

dd) Vorbeugende Wirkung gegen HIV-Infektionen Die Zirkumzision soll vorbeugend gegen Infektionen mit dem HI-Virus119 wirken, der die in allen Fällen tödlich verlaufende Krankheit AIDS120 auslöst.121 Bereits in den 90er Jahren entdeckte man einen lokalen Zusammenhang zwischen der Verbreitung der Beschneidung und der von HIV.122 Zur Erkundung einer möglichen vorbeugenden Wirkung der Zirkumzision wurden zunächst aber nur beobachtende Studien durchgeführt.123 In neuerer Zeit wurden in Afrika drei randomisierte und kontrollierte klinische Studien zur vorbeugenden Wirkung der Beschneidung gegen HIV-Infektionen durchgeführt, die allesamt zu dem Ergebnis kommen, dass die Beschneidung die Infektionsrate von heterosexuellen afrikanischen jungen Männern mit HIV um 50% bis 60% verringert:124 Die Kernaussage der ersten Untersuchung im Jahre 2002 in Südafrika geht dahin, dass bei beschnittenen heterosexuellen Männern im Vergleich zu unbeschnittenen Männern der Anteil von HIV-Infektionen um 60% geringer ist.125 In einer kontrollierten, randomisierten Studie in Kenia wurde sodann bei beschnittenen im Vergleich zu unbeschnittenen Männern ein um 53% – nach weiteren Berechnungen126 sogar ein um 60% – geringeres Risiko festgestellt, sich mit HIV zu infizierten.127 119

Human immonodeficiency virus. Acquired immune deficiency syndrome bzw. erworbenes Immundefektsyndrom. 121 HIV wird hauptsächlich auf sexuellem Wege übertragen. Zwischen der Ansteckung mit dem Virus und dem Ausbruch der Krankheit liegen in der Regel ca. 12 bis 13 Jahre, vgl. Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 260. 122 Den lokalen Zusammenhang entdeckte man beim Vergleich von Landkarten über die Ausbreitungsrate von AIDS einerseits und über die Verbreitung der Beschneidung andererseits und vermutete daher einen möglichen Zusammenhang im Sinne einer vorbeugenden Wirkung der Beschneidung, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 201 ff. 123 Vgl. Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412. 124 Auvert/Taljaard/Lagarde u. a., Plos Medicine 11 e298 (2005), 1112; Gray/Kigozi/ Serwadda u. a., Lancet 369 (2007), 657 ff.; Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643 ff. Zusammenfassend Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412 ff.; Dickerman, Pediatrics 119 (2007), 1006 f. 125 Auvert/Taljaard/Lagarde u. a., Plos Medicine 11 e298 (2005), 1112. Im Rahmen der Untersuchung wurden 3274 unbeschnittene Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren im Zufallsverfahren in eine Kontroll- und eine Interventionsgruppe aufgeteilt, welche in regelmäßigen Abständen untersucht wurden. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass die Beschneidung einen 60%-igen Schutz gegen eine Infektion mit HIV bietet. 126 Die Berechnungen erfolgten, um die Störfaktoren weitestgehend auszuschließen, Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643. 127 In der kontrollierten Studie mit 2784 Männern wurden die Männer in einem randomisierten Verfahren in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe wurde sofort, die andere erst zu einem späteren Zeitpunkt beschnitten. Vgl. Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643 ff. Das signifikant geringere Risiko von beschnittenen Männern, 120

44

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

Eine weitere, kontrollierte und randomisierte Studie in Uganda bestätigte dann diese Ergebnisse und stellte bei beschnittenen im Vergleich zu unbeschnittenen Männern ein um 51% bis 60% geringeres Infektionsrisiko mit HIV fest.128 Dass die Beschneidung auch die Gefahr einer HIV-Übertragung von Männern auf Frauen reduziert, konnte in den Studien nicht festgestellt werden.129 Außerdem blieb unklar, wie genau eine Zirkumzision vor der Ansteckung mit HIV schützt.130 Als Konsequenz aus dieser stringent positiven Datenlage empfahlen nicht nur die dafür verantwortlichen Wissenschaftler die Beschneidung als vorbeugende Maßnahme gegen HIV in Entwicklungsländern.131 Auch Gesundheitsorganisationen erkennen die Beschneidung als wichtiges Mittel im Kampf gegen HIV in Afrika an und empfehlen dort die standardmäßige Durchführung des Eingriffs.132 Neben der vorhandenen Skepsis gegenüber dieser Empfehlung der Gesundheitsorganisationen133 werden auch die beschriebenen Studien und deren Aussasich mit HIV zu infizieren, nahmen die Wissenschaftler zum Anlass, die Beschneidung als vorbeugende Maßnahme gegen HIV in Entwicklungsländern zu empfehlen, Bailey/ Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643, 653. 128 Die an 4996 Männern durchgeführte, groß angelegte Studie fand in Rakai, einem sehr ländlichem Gebiet in Uganda, statt. Die Männer wurden sowohl in der Untersuchsals auch in der Kontrollgruppe anhand verschiedener Merkmale in mehrere Untergruppen eingeteilt, die dann jeweils miteinander verglichen wurden, um mögliche Störfaktoren so weit wie möglich zu umgehen. Vgl. Gray/Kigozi/Serwadda u. a., Lancet 369 (2007), 657 ff. Wegen dieser positiven Ergebnisse wurde von den Wissenschaftlern die Beschneidung als präventive Maßnahme gegen HIV-Infektionen empfohlen. 129 Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2414. 130 Vermutet wird jedoch, dass bei vorhandener Vorhaut die Risiken einer Ansteckung deshalb größer sind, weil sich unter ihr über einen gewissen Zeitraum hinweg u. a. Sekrete, die HIV enthalten, ansammeln können, und sich die Gefahr einer Ansteckung umso mehr erhöht, je länger dieser Zeitraum andauert, Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412. 131 So Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643, 653; Gray/Kigozi/Serwadda u. a., Lancet 369 (2007), 657. 132 s. dazu z. B. den Hinweis der WHO, die die Beschneidung – neben anderen Maßnahmen – für eine geeignete Maßnahme zur Verhinderung von HIV-Infektionen hält: http://www.who.int/hiv/topics/malecircumcision/en/(zuletzt aufgerufen am 30.05. 2013). 133 Insbesondere wird kritisiert, dass im Kampf gegen AIDS eine zu starke Fokussierung auf die Beschneidung von anderen Gesundheitsprogrammen ablenken könnte. Außerdem sei zu befürchten, dass beschnittene Männer aufgrund der Studien und der Empfehlungen der WHO beim Geschlechtsverkehr risikobereiter sein und z. B. auf die Verwendung von Kondomen verzichten könnten, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 204 f., sowie den Hinweis bei Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412 ff. In den Studien hat sich allerdings gezeigt, dass die Männer nach ihrer Beschneidung kein risikoreicheres Sexualverhalten an den Tag legten als die unbeschnittenen Männer, Bailey/Moses/ Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643; Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2414. Ein weiteres Argument, das gegen die Empfehlung einer flächendeckenden Beschneidung in Entwicklungsländern angeführt wird, ist der Kostenfaktor. So sei die Beschnei-

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

45

gekraft kritisiert: Insbesondere wird bemängelt, dass die Untersuchungen nur auf ein örtlich begrenztes Gebiet bezogen waren, was ihre Verallgemeinerungsfähigkeit fraglich macht.134 Außerdem können die Ergebnisse von Studien in Afrika nicht ohne weitere kritische Würdigung auf die USA oder Europa übertragen werden.135 Darüber hinaus besteht der Einwand, dass sich die Untersuchungen weder dem Auftreten von Komplikationen bei den vorgenommenen Beschneidungen noch den möglichen Langzeitfolgen widmeten.136 Zudem wird kritisiert, dass im Hinblick auf eine vorbeugende Wirkung gegen HIV der Faktor der Beschneidung nicht isoliert betrachtet werden könne, sondern dass auch andere, sich aus den jeweiligen Lebensumständen ergebende Faktoren berücksichtigt werden müssten.137 Dem wird allerdings entgegengehalten, dass jedenfalls in einigen Studien mögliche Störfaktoren durchaus berücksichtigt wurden.138 ee) Hygienische Vorteile Das Beispiel schlechthin für die Diskussion um den Nutzen der Zirkumzision sind die möglichen hygienischen Vorteile, die mit dem Eingriff schon sehr lange dung im Vergleich zu anderen Maßnahmen ein sehr teures Präventionsmittel, wenn es umfassend eingesetzt werden soll, vgl. van Howe/Svoboda/Hodges, Perspectives in Public Health 125 (2005), 259. (Allein) den Kostenfaktor als Argument gegen eine umfassende Durchführung der Maßnahme zu verwenden, ist allerdings nicht nur in ethischer Hinsicht mehr als problematisch. 134 Gollaher bemerkt z. B. zu einer Studie in der Sahara, die zwischen dem NichtBeschnittensein und der Häufigkeit von HIV-Infektionen eine Ursache-Wirkung-Beziehung feststellte, dass man zu einem völlig anderen Ergebnis käme, wenn man eine solche Karte für Nordamerika erstellen würde, wo sowohl die Beschneidungsrate als auch die Rate der HIV-Infektionen relativ hoch ist. Gollaher, Geschlecht, S. 203. 135 Frisch/Aigrain/Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 798; Gollaher, Geschlecht, S. 205. Die Autoren führen hierzu die bemerkenswerte Tatsache an, dass in den USA trotz der hohen Beschneidungsrate HIV im Vergleich zu anderen Industrienationen sehr weit verbreitet ist. Vgl. auch Putzke, MedR 2008, 268, 271; Jerouschek, in: FS Dencker, 171, 179. 136 van Howe/Svoboda/Hodges, Perspectives in Public Health 125 (2005), 259. 137 Insbesondere wird eingewandt, dass eine HIV-Infektion nicht mit der Beschneidung an sich, sondern vielmehr mit den Sexualpraktiken und dem Lebensstil – z. B. dem Benutzen von Kondomen – zusammenhänge, so Storms, Pediatrics 120 (2007), 695. Ebenso könne das Risiko einer HIV-Infektion mit Faktoren wie Entzündungen im Genitalbereich oder Kontakt zu Prostituierten verbunden sein. Außerdem sei zu beachten, dass die Beschneidung oft kulturell oder religiös bedingt sei. Es spiele daher eine erhebliche Rolle, ob innerhalb von Religionsgemeinschaften, die die Beschneidung als Ritual praktizieren, andere Hygienestandards oder ein anderes Sexualverhalten an den Tag gelegt werden als in Bevölkerungsgruppen, die die Beschneidung nicht standardmäßig durchführen, so Gollaher, Geschlecht, S. 204. 138 Auch unter Berücksichtigung möglicher Störfaktoren kam man zu positiven Ergebnissen im Hinblick auf die präventive Wirkung der Beschneidung gegen HIV, vgl. Gray/Kigozi/Serwadda u. a., Lancet 369 (2007), 657; Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643.

46

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

in Verbindung gebracht werden.139 Soweit ersichtlich gibt es explizit zur Hygiene zwar keine eigenen Studien, im Wesentlichen existieren aber zwei unterschiedliche Argumentationsmuster, mit denen auf die hygienischen Vorteile der Zirkumzision hingewiesen wird bzw. diese bestritten werden: Einerseits wird – meist im Anschluss an die oben dargestellten Ergebnisse – betont, dass die Zirkumzision die Hygiene erleichtere und damit Infektionen vermieden werden könnten, was einen unbestreitbaren Vorteil des Eingriffs darstelle.140 Andererseits wird dagegengehalten, dass man mit weitaus weniger einschneidenden Mitteln, nämlich mit angemessenen und vernünftigen Hygienemaßnahmen, dasselbe Ergebnis erzielen könne, weshalb die Beschneidung unter dem Aspekt der Hygiene keinesfalls einen relevanten Vorteil mit sich bringe.141 Außerdem wird auf die speziellen Immuneigenschaften der sich an der Vorhaut befindlichen Schleimhäute abgestellt, die das Risiko von Infektionen sogar verringern könnten.142 b) Mögliche Nachteile der Zirkumzision aa) Mögliche Komplikationen der Zirkumzision Folgende Komplikationen können bei oder nach der Vornahme einer Zirkumzision auftreten:143 Zu den möglichen intraoperativen Risiken und Komplikationen gehören insbesondere übermäßige Blutungen. Außerdem begründet eine nicht sorgfaltsgemäße Durchführung der Operation das Risiko von Schnittverletzungen im Bereich des umliegenden Gewebes, wie z. B. im Bereich der Eichel, der Harnröhre oder der Schwellkörper.144 139

Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 121. Vgl. etwa Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412; Dickerman, Pediatrics 119 (2007), 1006 ff.; Flynn/Havens/Brady u. a., Pediatrics 119 (2007), 821 ff.; Schoen, Pediatrics 118 (2006), 385 ff.; Schoen/Oehrli/Geoffrey, Pediatrics 105 (2000), e36 ff.; unter religiösem Blickwinkel Neumann, Bund und Bekenntnis, S. 3 f.; unter juristischem Blickwinkel Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 136 f. 141 Vgl. etwa Harkavy, Pediatrics 79 (1987), 649; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 695 f. 142 Zu den verschiedenen Argumentationsweisen aus Sicht eines Beschneidungsgegners: Gollaher, Geschlecht, S. 199, der ebenfalls für die speziellen Immuneigenschaften der Schleimhaut, die sich unter der Vorhaut befindet, plädiert. 143 Vgl. zu den häufigen Komplikationen im Allgemeinen Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413; Stark, in: Steffens/Langen, 343; Wiswell/Geschke, Pediatrics 83 (1989), 1011; Gee/Ansell, Pediatrics 58 (1976), 824; Deusel, in: Heil/Kramer, 181, 183 f. 144 Zu dem Ganzen Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 319: Meist lassen sich Schnittverletzungen sofort erkennen und entsprechend behandeln. In sehr seltenen Fällen besteht aber auch das Risiko einer Eröffnung der Harnröhre. Darüber hinaus wird in Einzelfällen von schwerwiegenden Verletzungen der Eichel und von Amputationen ge140

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

47

Postoperative Risiken und Komplikationen der Zirkumzision können Nachblutungen,145 Wundinfektionen,146 Wundheilungsstörungen, sekundäre Narbenbildungen und unregelmäßige Wundränder sein,147 außerdem Harnwegsinfektionen bis hin zur Blutvergiftung,148 das Entstehen einer Wunddehiszenz149 sowie bei Kindern in manchen Fällen ein Harnverhalt.150 In bestimmten Fällen besteht außerdem das Risiko einer Paraphimose.151 Zu den schwerwiegenden, wenn auch nicht sehr häufig auftretenden Komplikationen152 zählt etwa das Auftreten einer Harnröhrenfistel.153 Zu den Spätfolgen gehört das Auftreten einer Meatusstenose,154 oft bedingt durch eine Meatitis.155 Seltener sind schwere Folgen wie äußerliche Veränderunsprochen. Es wird betont, dass diese Risiken umso geringer sind, je sorgfältiger die Operation durchgeführt wird. 145 Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 191. Mit einer Rate von ca. 1% bis 3% sind Nachblutungen die wohl am häufigsten bei der Zirkumzision auftretenden Komplikationen. Ursachen können eine ungenügende Blutstillung, der Verbandverlust, (kindliche) Unruhe nach der Operation oder nächtliche Erektionen sein. Die Blutungen können meist durch das Anlegen eines Kompressionsverbandes gestillt werden. Ist dies nicht möglich, so ist eine Sekundärnaht erforderlich. Vgl. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318. Bei Neugeborenen kann das Risiko von Nachblutungen mit der Gabe von Vitamin K erheblich verringert werden, da bei ihnen die Blutungen oft mit einem Mangel dieses Vitamins zusammenhängen. Riccabona, ebd. 146 Riccabona, in: Steffens/Langen, 318. Ursachen für Wundinfektionen können v. a. ungenügende Hygiene bei der Operation bzw. mangelnde lokale Pflege nach der Operation sein. Insbesondere bei Kindern kann eine Windeldermatitis die Wundheilung verzögern. Aseptisches Operieren und eine sorgfältige Wundpflege beugen einer möglichen Infektion vor. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 319. Teilweise wird die Rate der Infektionen auf 10% beziffert, Williams/Kapila, BrJSurg 80 (1993), 1231, 1233. 147 Sökeland/Schulze/Rübben u. a., Urologie, S. 191. 148 Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society, CanMedAssocJ 154 (1996), 769, 774. 149 Dieses Risiko besteht v. a. bei Jugendlichen und Erwachsenen nach Erektionen, wodurch sich die Operationsnähte vorzeitig lösen können. Im diesem Fall ist das Auffrischen der Wundränder und ein erneuter Verschluss der Wunde vonnöten. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 319. 150 Riccabona, in: Steffens/Langen, 318. Auch Ischurie: Unvermögen, die gefüllte Harnblase spontan zu entleeren, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Harnverhalt“. 151 Dieses Risiko besteht v. a. bei vorhauterhaltenden Phimoseoperationen bzw. bei sehr sparsamer Beschneidung. Meist helfen Salben der Paraphimose ab, es kann aber auch eine erneute – ggf. radikale – Zirkumzision notwendig werden. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 319. 152 Ringert/Zöller, in: Jocham/Miller, 466, 471. 153 Sehr selten. Eine Harnröhrenfistel ist eine normalerweise nicht vorhandene Rinne, die von der Harnröhre bis zur Haut des Penis bzw. des Hodensacks reicht, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichworte: „Hypospadie“ und „Zirkumzision“; Williams/Kapila, BrJSurg 80 (1993), 1231, 1233. 154 Auch Meatusenge: Verengung der äußeren Harnröhrenöffnung, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Meatusstenose“. Diese kann auch mit Geschwürbildung verbunden sein. Williams/Kapila, BrJSurg 80 (1993), 1231, 1233.

48

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

gen der Eichel, extreme Narbenbildung oder sogar Potenzstörungen.156 Im Hinblick auf die Spätfolgen lassen sich allerdings kaum Aussagen über ihr Auftreten und ihre Häufigkeit treffen, da hierzu keine Studien existieren und solche auch nur schwer durchführbar wären, da insbesondere Jahre später auftretende Folgen nur schwer zu erfassen sind.157 Die Definition des Begriffs „Komplikationen“ umfasst meist nicht die möglichen ästhetischen negativen Folgen des Eingriffs:158 Es kann entweder zu wenig oder zu viel der Vorhaut entfernt werden,159 gravierendere ästhetische Probleme können auftreten, wenn etwa asymmetrisch zirkumzidiert160 oder von der inneren Vorhautschicht zu viel oder zu wenig entfernt wird.161 In seltenen Fällen können kosmetische Probleme auch spürbar werden162 oder sogar funktionale Auswirkungen haben.163 bb) Allgemeine Komplikationsrate Im Hinblick auf eine allgemeine Komplikationsrate von Zirkumzisionen finden sich die unterschiedlichsten Zahlen. Deren Häufigkeit wird zum Teil mit 0,2% bis 0,6% angegeben,164 teilweise wird sie bei neonatalen Zirkumzisionen auch auf 0,2% bis 2,0% beziffert.165 Bei den in den afrikanischen Ländern durchgeführten Studien lagen die Komplikationsraten zwischen 1,7% und 3,6%,166 wobei sich auch hier das bereits an155 Entzündung der äußeren Harnröhrenöffnung. Die Versorgung erfolgt durch einen chirurgischen Eingriff. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 319. 156 Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413. 157 Vgl. Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society, CanMedAssocJ 154 (1996), 769, 777. 158 Insbesondere bei der Vornahme der Zirkumzision mit einer Plastibellglocke wird häufig das ästhetische Ergebnis bemängelt, vgl. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 320. Diese Technik ist allerdings in Deutschland aufgrund der schlechteren kosmetischen Ergebnisse nicht sehr gebräuchlich, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Plastibell-Technik“. 159 Hierbei handelt es sich um rein subjektive ästhetische Probleme. Wurde zu viel entfernt und bleibt infolgedessen ein Teil des Penisschaftes unbedeckt, wächst dort die Haut nach einiger Zeit nach. Vgl. hierzu Gollaher, Geschlecht, S. 182. 160 Dies kann dazu führen, dass die Vorhautreste unterschiedlich breit sind oder dass der Übergang von der Penishaut zu den Resten des Vorhautblatts nicht glatt ist. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 320. 161 Vgl. Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 320. 162 Z. B. in Form von Hautspannungen, Riccabona, in: Steffens/Langen, 318, 320. 163 Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 182 f. 164 Riccabona, in: Steffens/Langen, 318; Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society, CanMedAssocJ 154 (1996), 769, 774. 165 Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413. Von einer Komplikationsrate von bis zu 2% gehen auch Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 89, aus. 166 Vgl. Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

49

gesprochene Problem der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Europa stellt. Eine Studie, die sich ausdrücklich den Risiken der Zirkumzision widmete, bezifferte die unmittelbare Komplikationsrate des Eingriffs mit 0,2%.167 Nach diesem Ergebnis kommt auf sechs vorgebeugte Harnwegsinfektionen eine Komplikation, während einer Vorbeugung eines Peniskarzinoms beinahe zwei Fälle von Komplikationen gegenüberstehen.168 Dieses Ergebnis steht mit früheren Studien in Einklang, die Komplikationsraten von 0,19%169 bzw. von 0,2% feststellten;170 allerdings bezifferte eine frühere Untersuchung diese Rate auch schon auf 0,6%.171 Diese verschiedenen Ergebnisse lassen sich vor allem mit den unterschiedlichen Untersuchungsmethoden der jeweiligen Studien erklären; insbesondere kommt es für die Ergebnisse entscheidend darauf an, wie man den Begriff der „Komplikationen“ definiert.172 Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die genannten Zahlen nur auf lege artis durchgeführte Zirkumzisionen beziehen. Wird der Eingriff etwa von einer hierfür 167 Es wurden Daten über einen Zeitraum von neun Jahren (1987–1996) ausgewertet und dabei nur Neugeborene berücksichtigt, die keinem anderen chirurgischen Eingriff außer der Beschneidung unterzogen wurden. Von 354.297 männlichen Neugeborenen wurden 37% beschnitten. Es wurde festgestellt, dass bei 0,2% (absolut: 476) der beschnittenen und bei 0,01% der unbeschnittenen Jungen solche Komplikationen auftraten, deren Ursache möglicherweise in der Beschneidung liegen kann. Vgl. Christakis/ Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 247 f. Allerdings wurden im Rahmen der Untersuchung gravierenden Spätfolgen wie Nekrotisierende Fasziitis (Infektionskrankheit der Haut bzw. Unterhaut) oder Zellulitis (Entzündung des Unterhautzellgewebes, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zellulitis“) nicht berücksichtigt. Vgl. Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 249. 168 Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246. Da die Häufigkeit der tatsächlichen Vorteile der Beschneidung ebenso wenig wie die der Komplikationen exakt bestimmt werden kann, kann dieses Ergebnis keine absolute Aussagekraft für sich beanspruchen und gilt nur im Rahmen der genannten Studie. 169 In dieser Studie wurden Daten von 136.086 zwischen 1980 und 1985 männlichen Neugeborenen im Hinblick auf Komplikationen in den ersten Lebensmonaten, die auf die Beschneidung zurückgeführt werden können, ausgewertet. Von 100.157 beschnittene Jungen kam es bei 193 (0,19%) zu Komplikationen (z. B. Infektionen, ebenso Harnwegsinfektionen, die nur sehr selten – nämlich nur bei 20 der untersuchten Jungen – auftraten). Ernste Komplikationen wurden nur sehr selten festgestellt. Harnwegsinfektionen traten bei den unbeschnittenen Jungen signifikant häufiger auf (in 0,24% der Fälle). Ebenso wurde festgestellt, dass bakterielle Infektionen bei unbeschnittenen Jungen häufiger als bei beschnittenen auftreten. Vgl. Wiswell/Geschke, Pediatrics 83 (1989), 1011. 170 Es wurden Daten von 5.883 lebendgeborenen Jungen im Hinblick auf Komplikationen der Beschneidung ausgewertet. Komplikationen traten in 0,2% der Fälle auf, wobei gravierende Komplikationen sehr selten waren, vgl. Gee/Ansell, Pediatrics 58 (1976), 824. 171 Harkavy, Pediatrics 79 (1987), 649. 172 So ist es durchaus möglich, dass in einer Studie kleinere oder ungewöhnlichere Komplikationen vernachlässigt wurden, während sie in einer anderen Studie noch als „Komplikationen“ Eingang gefunden haben, Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 248.

50

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

nicht kompetenten Person vorgenommen, so ist mit einer größeren Häufigkeit von – gegebenenfalls schwerwiegenden – Komplikationen zu rechnen.173 Dasselbe gilt, wenn der Eingriff nicht kunstgerecht – also etwa in nicht steriler Weise oder ohne die erforderlichen chirurgischen Instrumente – durchgeführt wird.174 cc) Verlust der Vorhaut Neben den speziell mit der Beschneidung verbundenen Komplikationen wird teilweise schon der – durch die Zirkumzision gerade bezweckte – Verlust der Vorhaut als negative Folge des Eingriffs angesehen.175 Insbesondere wird vertreten, dass dadurch das sexuelle Lustempfinden beeinträchtigt werden könne.176 Hierzu sind Untersuchungen allerdings nur schwer durchführbar, da sich kaum in objektiver Weise feststellen lässt, ob und wenn ja in welchem Maße die Beschneidung zur Einschränkung des sexuellen Lustempfindens im Jugendlichenoder Erwachsenenalter führt.177 dd) Schmerz Das Thema Schmerz war insbesondere unter dem Aspekt problematisch, dass man davon ausging, dass Neugeborene und Säuglinge nur wenig oder gar keinen Schmerz empfinden können, weshalb man bei Vornahme des Eingriffs oft auf eine Anästhesie178 verzichtete. 179 Diese Ansicht ist jedoch überholt.180 Mit der 173

Vgl. auch Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413. Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413. Als Beispiel sei etwa die traditionelle jüdische Metzitza genannt, die heute auf diese Art nicht mehr durchgeführt wird: Das Blut am Penis des Beschnittenen wird oral durch den Mohel entfernt, was ein sehr hohes Infektionsrisiko mit sich bringt, vgl. Gesundheit/Grisaru-Soen/Greenberg u. a., Pediatrics 114 (2004), e259–e263, Gollaher, Geschlecht, S. 43 und S. 48. 175 So Frisch/Aigrain/Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 798; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 676 f. Früher ging man davon aus, dass die Vorhaut überhaupt keinen Nutzen habe und daher ihr Verlust unerheblich sei. Später stellte sich heraus, dass ihr sehr wohl Funktionen zukommen, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 151 ff. 176 Vgl. Frisch/Aigrain/Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 798; Gollaher, Geschlecht, S. 164 f. 177 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134. 178 Eine reversible Anästhesie kann in Form der allgemeinen Anästhesie (Narkose), in Form der Lokalanästhesie oder in einer Kombination beider Methoden durchgeführt werden, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Anästhesie“. 179 Vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 184 ff. Problematisch ist, dass teilweise auch heute noch angenommen wird, dass die Schmerznerven von Neugeborenen noch nicht vollständig ausgebildet seien, weshalb man eine Beschneidung (bis zum zehnten Tag nach der Geburt) ohne Betäubung durchführen könne, so Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 1 f. 180 Hoffmann, Pädiatrie, 407; Kropp, MonatsschrKinderheilkd 151 (2003), 1075. Neugeborene sind mindestens ebenso schmerzempfindlich wie Erwachsene, vgl. Anand/ Hickey, NEnglJMed 317 (1987), 1321 ff. Teilweise wird bei Neugeborenen sogar eine 174

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

51

Erkenntnis, dass Neugeborene ebenso wie Erwachsene Schmerz empfinden können,181 setzte sich die Auffassung durch, dass auch bei Neugeborenen eine (Lokal-)Anästhesie durchgeführt werden sollte, um ihnen die überflüssigen und teilweise sogar langfristig schädlichen Auswirkungen der Schmerzen182 zu ersparen.183 ee) Risiken der Anästhesie Zur Vornahme der Beschneidung wird in der Regel eine Lokalanästhesie empfohlen,184 insbesondere bei älteren Kindern erfolgt der Eingriff zum Teil auch unter Vollnarkose.185 höhere Schmerzempfindlichkeit als bei Erwachsenen vermutet. So könne unter gewissen Umständen eine Schmerzsensibilisierung von Neugeborenen erfolgen, die dazu führe, dass an sich nicht schmerzhafte Reize bei räumlicher und zeitlicher Nähe zu einem schmerzhaften Reiz ebenfalls zu Schmerzen führen, Kropp, MonatsschrKinderheilkd 151 (2003), 1075, 1077. Das Schmerzempfinden von Säuglingen bei der Beschneidung bestätigen Taddio/Goldbach/Ipp u. a., Lancet 345 (1995), 291; Taddio/Katz/ Ilersich u. a., Lancet 349 (1997), 599. 181 Freilich steht eine Untersuchung zum Schmerzempfinden immer vor der Problematik, dass dieses nicht rein objektiv gemessen werden kann: Das „Empfinden“ ist etwas Subjektives und drückt sich – je nach Entwicklungsstadium – verschieden aus. Jedes Individuum reagiert auf Schmerzreize anders, Gutjahr, in: Lentze/Schaub u. a., 1847. Hinzu kommt, dass, je jünger ein Kind ist, es diesem umso schwerer fällt, Schmerz exakt zu beschreiben, Kropp, MonatsschrKinderheilkd 151 (2003), 1075. Vgl. auch Hoffmann, Pädiatrie, 407. 182 Vgl. zur Gefahr der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses Anand/Hickey, NEnglJMed 317 (1987), 1321; Taddio/Katz/Ilersich u. a., Lancet 349 (1997), 599. Im Rahmen der letztgenannten Studie wurde festgestellt, dass ohne ausreichende Narkose vorgenommene Beschneidungen das spätere Schmerzempfinden von Jungen insofern negativ beeinflussen können, als sie zu einem stärkeren Schmerzempfinden auf zeitlich nachfolgende Reize führen. Hierzu auch die Studie von Taddio/Goldbach/Ipp u. a., Lancet 345 (1995), 291. Es wurden von 87 Jungen Videoaufzeichnungen bei deren Impfung im vierten und sechsten Lebensmonat gemacht, die dann ausgewertet wurden, ohne dass die Forscher wussten, ob sie beschnitten waren oder nicht. Zum Messen der Schmerzen wurden verschiedene Faktoren wie Gesichtsbewegungen, Dauer der Schreie oder ähnliche Faktoren anhand einer Schmerzskala herangezogen. Jungen, die vorher ohne ausreichende Narkose beschnitten wurden, reagierten heftiger auf den routinemäßigen Schmerz bei der Impfung als andere Jungen. Die Ergebnisse führten die Wissenschaftler zu der Annahme, dass sich eine Beschneidung ohne Narkose auch langfristig negativ auf das Schmerzempfinden der Jungen auswirke, Taddio/Katz/Ilersich u. a., Lancet 349 (1997), 599, 602. Auch unabhängig von der Beschneidung wird zum Teil angenommen, dass Neugeborene ein Schmerzgedächtnis entwickeln können, das sowohl die Entwicklung des Kindes als auch dessen späteres Schmerzempfinden negativ beeinflussen kann, vgl. dazu Kropp, MonatsschrKinderheilkd 151 (2003), 1075, 1077. 183 Vgl. Taddio/Goldbach/Ipp u. a., Lancet 345 (1995), 291, 292; Deusel, in: Heil/ Kramer, 181, 183. 184 Vgl. http://www.babycenter.de/baby/gesundheit/beschneidung/ (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 185 Auch Allgemeinanästhesie: reversibler Zustand der Bewusstlosigkeit, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Narkose“.

52

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

Bei einer Lokalanästhesie treten eher selten Komplikationen auf. Zu den Risiken der örtlichen Betäubung zählen Lokalanästhetikaintoxikationen, die mit zentralnervösen oder kardiovaskulären Effekten186 verbunden sein können, Infektionen oder Hämatombildung im Punktionsbereich, mechanisch oder chemisch bedingte Nervenschäden sowie allergische Reaktionen.187 Komplikationen der Vollnarkose können Schwierigkeiten bei der Beatmung des Patienten, die Gefahr einer Aspiration188 sowie kardiovaskuläre Probleme sein. Es kann zu postoperativer Übelkeit und Erbrechen (20%–30%, bei Kindern unter dem dritten Lebensjahr deutlich höher), zu Shivering189 und zu malinger Hyperthermie190 kommen.191 Das Risiko der Narkose und auch der lokalen Anästhesie hängt im Allgemeinen vom individuellen Patienten ab.192 Generell gilt, dass das Risiko umso geringer ist, je besser der Eingriff vorbereitet wurde.193 c) Ergebnis In Bezug auf die möglichen Risiken einer Zirkumzision ist festzuhalten, dass es sich um einen relativ unproblematischen chirurgischen Eingriff handelt, bei dem das Risiko von Komplikationen gering ist, soweit er unter klinischen Bedin-

186 Herzrhythmusstörungen, vgl. hierzu auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch unter diesem Stichwort. 187 Wagner/Selenzow, in: Kochs/Adams/Boemke, 724, 726. 188 Eindringen flüssiger oder fester Stoffe – etwa Mageninhalt oder Blut – in die Atemwege während des Einatmens. Das Aspirationsrisiko ist insbesondere bei Notfalloperationen sowie bei ungenügender Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz vor der Operation erhöht, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Aspiration“. 189 Postoperativ auftretendes unwillkürliches Muskelzittern als Kältezittern (Hypothermie, erniedrigte Körpertemperatur) oder infolge von Fieber, Schmerz oder der Anästhetika, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwörter: „Shivering“, „Hypothermie“. 190 Seltene Stoffwechselentgleisung, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Hyperthermie, malinge“. 191 Zu dem Ganzen: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwörter: „Narkose“, „PONV“. 192 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Narkoserisiko“. 193 Auch das allgemeine Operationsrisiko hängt mit der Dringlichkeit des jeweiligen Eingriffs zusammen: Je dringlicher der Eingriff ist, desto ungenauer kann er nur vorbereitet werden, so Klinger, in: Jocham/Miller, 220, 221. Da es sich bei den hier besprochenen Fällen der Zirkumzision nicht um dringliche Eingriffe handelt, lassen sie sich im Idealfall sowohl in personeller als auch in technischer Hinsicht gut vorbereiten, sodass das allgemeine Operationsrisiko sowie das Anästhesierisiko als sehr gering eingestuft werden können. Vgl. Klinger, ebd. Problematischer sind freilich die Fälle, in denen der Eingriff nicht sorgfältig vorbereitet wurde. Dass dann das Risiko um einiges höher ist, liegt auf der Hand.

III. Medizinische Aspekte der Zirkumzision

53

gungen durchgeführt und die Wunde angemessen versorgt wird.194 Zu den Vorteilen der Beschneidung sind demgegenüber von der Wissenschaft in Bezug auf Europa bzw. Deutschland bisher keine eindeutigen Aussagen getroffen worden.195 Der Streit um den möglichen Nutzen der Beschneidung ist daher kaum in objektiver Weise aufzulösen: Vor dem Hintergrund der obigen Darstellung lassen sich stets Argumente finden, die für bzw. gegen die beschriebenen Vorteile sprechen. Ob man die Beschneidung als eher vorteilhaft oder eher nachteilig einstuft, hängt insbesondere davon ab, welcher Untersuchung man Glauben schenkt.196 Außerdem kommt es auf die genaue Einschätzung des Risikos an, das den zu erwartenden Vorteilen gegenübersteht. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass nicht klar ist, ab wann man wirklich von gesicherten Erkenntnissen sprechen kann.197 Darüber hinaus gestaltet sich die Bewertung der einzelnen Ansichten als schwierig, da sich Autoren, die die Beschneidung eher befürworten, vorzugsweise auf Studien beziehen, in deren Rahmen Vorteile der Beschneidung festgestellt wurden,198 während Autoren, die die Beschneidung eher ablehnen, hauptsächlich die Studien heranziehen, die keine positive oder sogar eine negative Wirkung der Zirkumzision festgestellt haben bzw. Kritik an den Studien mit positiven Ergebnissen äußern.199 Die unterschiedlichen Positionen verlaufen sich zum Teil sogar in eine sehr emotionale Streitführung.200 Klammert man den emotional geführten Teil des Streits um die Vor- und Nachteile der Beschneidung aus, so wird man den Befürwortern der Beschneidung jedenfalls zugestehen müssen, dass ihre Einstellung zur Nützlichkeit des Eingriffs vor dem wissenschaftlichen Hintergrund als durchaus vertretbar erscheint: Die Studien legen zumindest nahe, dass die Beschneidung einige präventive Vorteile mit sich bringt. Gleichzeitig wird man aber auch den Gegnern der Beschneidung in ihrer Ansicht insofern Recht geben müssen, als das Vorhandensein der genannten Vorteile 194 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Zirkumzision“; Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society, CanMedAssocJ 154 (1996), 769; Deusel, in: Heil/Kramer, 181, 183. 195 Vgl. auch Gollaher, Geschlecht, S. 210 f.; anders Deusel, in: Heil/Kramer, 181, 184 ff. 196 Gollaher, Geschlecht, S. 11; so auch Putzke, in: FS Herzberg, 669, 681. 197 Gollaher, Geschlecht, S. 178 und S. 210. 198 Vgl. z. B. Dickerman, Pediatrics 119 (2007), 1006 ff.; Flynn/Havens/Brady u. a., Pediatrics 119 (2007), 821 ff.; Schoen, Pediatrics 118 (2006), 385 ff.; Schoen/Oehrli/ Geoffrey, Pediatrics 105 (2000), e36 ff. 199 Kritisch zu den durchgeführten Studien: Harkavy, Pediatrics 79 (1987), 649. 200 Vgl. z. B. den polarisierenden Aufsatz von Storms, Pediatrics 120 (2007), 695 ff. und zu diesem Aufsatz die Replik von Dickerman, Pediatrics 120 (2007), 696 ff.

54

B. Religiöse und medizinische Hintergründe der Knabenbeschneidung

– bezogen auf die Situation in Europa bzw. in Deutschland – wissenschaftlich nicht oder jedenfalls nicht zweifelsfrei bewiesen ist. Dieses Ergebnis erscheint auf den ersten Blick sehr unbefriedigend. Für Deutschland gesprochen lässt sich aber keine andere Aussage treffen, als dass die Vorteile der Zirkumzision weder wissenschaftlich bewiesen sind noch dass sie mit Sicherheit verneint werden können. Dies liegt einerseits an der fraglichen Übertragbarkeit einiger Studien auf Deutschland, andererseits an der angezweifelten Wissenschaftlichkeit anderer Studien. Damit ist die Beurteilung der Nützlichkeit der Zirkumzision eine Frage der konkreten Bewertung der jeweiligen Studien.

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung Vor einer Auseinandersetzung mit den Instituten der Einwilligung bzw. der stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht ist zuallererst vor dem gerade eben dargestellten religiösen und medizinischen Hintergrund der Knabenbeschneidung die grundsätzliche strafrechtliche Relevanz derselben zu untersuchen. Hierbei sind insbesondere die Körperverletzungsdelikte i. S. d. §§ 223 ff. StGB1 von Bedeutung. Es bedarf sowohl der Erörterung der für den Untersuchungsgegenstand relevanten Tatbestandsmerkmale als auch der Beantwortung der Fragen, ob die religiös motivierte Knabenbeschneidung als sozialadäquate Handlung oder als ärztlicher Heileingriff aus dem Tatbestand des § 223 I StGB herauszunehmen ist.

I. Zugrunde liegende Fallkonstellation Zur Erarbeitung der grundsätzlichen strafrechtlichen Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung wird im Folgenden von dem Standardfall ausgegangen, dass der Eingriff bei einem Minderjährigen von einem Arzt oder einem traditionellen Beschneider unter sterilen Bedingungen und vorheriger Betäubung sowie lege artis durchgeführt wird. Dabei wird im Rahmen dieses Abschnitts außer Betracht bleiben, ob ein zustimmender oder ablehnender Wille des Rechtsgutsträgers oder seiner gesetzlichen Vertreter vorhanden ist, da auf Fragen der Einwilligung bzw. der stellvertretenden Einwilligung erst an späterer Stelle eingegangen wird.2

1 Auch wenn die Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB) in der Systematik des Strafgesetzbuchs im 17. Abschnitt bei den Körperverletzungsdelikten eingeordnet ist, ist diese Norm im Folgenden insofern nicht gemeint, wenn allgemein von den „Körperverletzungsdelikten“ bzw. von den „§§ 223 ff. StGB“ gesprochen wird, als es sich bei ihr um ein echtes Sonderdelikt handelt. § 225 StGB beinhaltet zum Teil Qualifikationen des § 223 StGB und ist zum Teil ein echtes Sonderdelikt, da seelische Beeinträchtigungen erfasst sind, vgl. hierzu Schroth, Strafrecht BT, S. 112; Fischer, StGB, § 225, Rn. 2; Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 225, Rn. 1 f.; ausführlich NK-Paeffgen, § 225, Rn. 1 ff. 2 Vgl. D. und E.

56

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

II. Die Knabenbeschneidung im Lichte der Körperverletzungsdelikte 1. Strafbarkeitsrisiken des Eingreifenden Das zentrale Risiko für den Beschneidenden besteht in einer potenziellen Strafbarkeit nach den Körperverletzungsdelikten. Da die Beschneidung vom Eingreifenden mit Wissen und Wollen durchgeführt wird, kommt in erster Linie eine Vorsatzstrafbarkeit nach den §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB in Betracht. Deren Tatbestandsmerkmale werden im Folgenden besprochen. Anschließend wird kurz auf eine mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aus § 229 StGB eingegangen. a) Einfache Körperverletzung i. S. d. § 223 I StGB aa) Körperliche Misshandlung Zunächst könnte die Beschneidung eine körperliche Misshandlung i. S. d. § 223 I Alt. 1 StGB darstellen. Hierunter wird eine üble, unangemessene Behandlung verstanden, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.3 Beim Erfordernis einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder des körperlichen Wohlbefindens handelt es sich um ein wertendes Kriterium, das überwiegend nach den objektiven Auswirkungen bestimmt wird.4 Hierüber werden aus dem Tatbestand des § 223 I StGB geringfügige Minimaleingriffe ausgeschieden.5 Nur unerhebliche Eingriffe können etwa das durch Anspucken hervorgerufene Unbehagen,6 ein durch einen Stromstoß verursachtes bloßes Kribbeln7 oder ein ohne besondere Kraft ausgeführter Schlag vor die Brust sein.8 Dagegen fallen 3 BGHSt 14, 269, 271; 25, 277, 278; Schroth, Strafrecht BT, S. 90; Sch/Sch-Eser/ Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 3; SK-Horn/Wolters, § 223, Rn. 4; Fischer, StGB, § 223, Rn. 4; NK-Paeffgen, § 223, Rn. 8; Kühl, StGB, § 223, Rn. 4; Rengier, Strafrecht BT II, § 13, Rn. 7; Joecks, StGB, § 223, Rn. 4; GMedR-Gaidzik, §§ 223–229, Rn. 3. 4 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 172; Fischer, StGB, § 223, Rn. 4. 5 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 180; MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 21. 6 OLG Zweibrücken, NJW 1991, 240, 241, a. A. Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 120. 7 BGH, StV 1998, 76. Hierbei handelt es sich um einen Grenzfall. Der BGH sah in diesem Fall die Unerheblichkeitsschwelle als nicht überschritten an. Diese Bewertung kann durchaus angezweifelt werden. Jedenfalls bei Auswirkungen, die sich nicht allein in einem leichten Kribbeln erschöpfen, ist die Schwelle des § 223 I StGB wohl überschritten. 8 BGH, StV 2001, 680.

II. Die Knabenbeschneidung im Lichte der Körperverletzungsdelikte

57

Handlungen, die zwar auf den ersten Blick als relativ geringfügig erscheinen, aber dennoch die Unerheblichkeisschwelle des § 223 I StGB überschreiten, nicht von vornherein aus dem Tatbestand heraus. Der Schutz der §§ 223 ff. StGB beginnt ab einem relativ geringen Maß der Beeinträchtigung. So ist das Abschneiden der Haare9 oder die Injektion einer Spritze10 tatbestandsmäßig i. S. d. § 223 I StGB. Auch das Stechen von Ohrlöchern kann nicht aus dem Anwendungsbereich der Körperverletzungsdelikte herausgenommen werden,11 sondern erfüllt grundsätzlich den Tatbestand des § 223 I StGB. Beurteilt man den Eingriff der Beschneidung auf dieser Grundlage, so zeigt sich, dass dieser die – nach § 223 I StGB relativ niedere – Grenze eines nur unerheblichen Eingriffs deutlich überschreitet. Aus ärztlicher Sicht ist die Zirkumzision zwar ein vergleichsweise einfach gelagerter und geringer Eingriff. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff, der eine Anästhesie erforderlich macht und bei dem die Vorhaut bzw. ein Teil davon entfernt wird.12 Dies ist ein nicht nur unerheblicher Eingriff, der weit über die Geringfügigkeitsgrenze des § 223 I StGB hinausgeht.13 Was das Merkmal der üblen, unangemessenen Behandlung betrifft, sieht sich die Definition der körperlichen Misshandlung zum Teil dahingehender Kritik ausgesetzt, dass das Merkmal bereits Kriterien der objektiven Zurechnung – insbesondere des erlaubten oder rechtlich irrelevanten Risikos – enthalte.14 Wenn man dies so sieht, dann bedeutet die Bejahung einer üblen und unangemessenen Behandlung zugleich die Überschreitung des erlaubten Risikos.15

9

BGH, NStZ-RR 2009, 50. BGH, NStZ 1987, 174. 11 Ebenso wohl Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 343; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 696. 12 Vgl. oben B.III. 13 Vgl. auch Putzke, in: FS Herzberg, 669, 675 und 681; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 121. 14 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 673; Murmann, Jura 2004, 102, 103. Die Überschneidung des Tatbestandsmerkmals mit der Kategorie der objektiven Zurechnung wird darauf zurückgeführt, dass sich die Lehre der objektiven Zurechnung erst entwickelt hat, nachdem schon die Definition der körperlichen Misshandlung vorhanden war, vgl. Hardtung, JuS 2008, 864, 866. Vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 176, die im Tatbestandsmerkmal der körperlichen Misshandlung einen Hinweis auf die Subsidiarität strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes sieht. 15 So Putzke, in: FS Herzberg, 669, 673. Die Problematik des Verhältnisses von tatbestandsmäßigem Verhalten und objektiver Zurechnung stellt sich nicht nur i. R. d. Körperverletzungsdelikte. Allgemein werden an diesem Verhältnis Kritikpunkte bezüglich der Lehre von der objektiven Zurechnung festgemacht, vgl. Frisch, in: FS Roxin, 213, 231 ff.; Frisch, GA 2003, 719, 733 ff. Insbesondere wird moniert, dass einige i. R. d. objektiven Zurechnung behandelten Aspekte bereits bei der Frage nach dem tatbestandsmäßigen Verhalten zu verorten seien. 10

58

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Daher wird teilweise vorgeschlagen, das Vorliegen einer üblen und unangemessenen Behandlung überhaupt erst im Rahmen der objektiven Zurechnung zu prüfen, um dieser Kategorie nicht ihre Eigenständigkeit zu nehmen.16 Teilweise wird auch für einen kompletten Verzicht auf das Kriterium der üblen und unangemessenen Behandlung zur Definition der körperlichen Misshandlung i. S. d. § 223 I StGB plädiert.17 Zum Großteil wird jedoch der üblen, unangemessenen Behandlung insofern keine allzu große Bedeutung zugemessen, als eine körperliche Misshandlung i. S. d. § 223 I Alt. 1 StGB jedenfalls beim Vorliegen einer Substanzverletzung bejaht wird.18 Auf Grundlage dieser Betrachtungsweise ist dann i. R. d. weiteren Prüfung des Tatbestands ein gesondertes Eingehen auf die Aspekte des erlaubten Risikos erforderlich, ohne dass diese vom Gegebensein einer üblen, unangemessenen Behandlung abhängen. Im Folgenden wird es weder entscheidend auf die Frage nach der genauen Rolle des Merkmals der üblen, unangemessenen Behandlung noch auf seinen Einfluss auf das Verhältnis von tatbestandsmäßigem Verhalten einerseits und erlaubtem Risiko als Teil der objektiven Zurechnung andererseits i. R. d. Körperverletzungsdelikte ankommen.19 Daher wird diese Problematik nicht weiter vertieft und davon ausgegangen, dass eine nicht nur unerhebliche Substanzverletzung jedenfalls als körperliche Misshandlung i. S. d. §§ 223 ff. StGB zu qualifizieren ist. Als chirurgischer Eingriff stellt die Zirkumzision eine solche Substanzverletzung dar und erfüllt damit das Tatbestandsmerkmal des § 223 I Alt. 1 StGB.20 Es sei aber darauf hingewiesen, dass die an späterer Stelle besprochenen Aspekte der objektiven Zurechnung21 von einem Teil der Literatur bereits bei der

16 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 673 und 675; Murmann, Jura 2004, 102, 104 f. Anders Frisch, in: FS Roxin, 213, 232; Frisch, GA 2003, 719, 734. 17 Murmann, Jura 2004, 102, 104; vgl. Hardtung, JuS 2008, 864, 866 f. 18 Schroth, Strafrecht BT, S. 90; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 120; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 7, Rn. 6; SK-Horn/Wolters, § 223, Rn. 6; MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 11; Rengier, Strafrecht BT II, § 13, Rn. 7; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 255; vgl. NK-Paeffgen, § 223, Rn. 8; HK/GS-Dölling, § 223, Rn. 4; Sch/Sch-Eser/ Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 3; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 170 f. 19 Ob ein Verhalten aus den Körperverletzungsdelikten als schon nicht von den Tatbestandshandlungen umfasst oder erst i. R. d. objektiven Zurechnung ausscheidet, spielt insbesondere für die Versuchsstrafbarkeit eine Rolle, vgl. hierzu Frisch, in: FS Roxin, 213, 234; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 44 ff. Darauf kommt es aber bei der Beschneidung, in die nicht eingewilligt wurde, nicht an, da sie den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. 20 Vgl. auch Putzke, in: FS Herzberg, 669, 673 ff.; Putzke, MedR 2008, 268 f.; Putzke, MedR 2012, 621; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 317; Herzberg, JZ 2009, 332, 333; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 121; Schramm, Ehe und Familie, S. 224; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 151 f.; Exner, Sozialadäquanz, S. 30. 21 Vgl. unten C.III.3.a).

II. Die Knabenbeschneidung im Lichte der Körperverletzungsdelikte

59

Frage nach dem Vorliegen einer üblen, unangemessenen Behandlung als Element der körperlichen Misshandlung geprüft würden.22 bb) Gesundheitsschädigung Eine Gesundheitsschädigung i. S. d. § 223 I Alt. 2 StGB ist das Hervorrufen, Aufrechterhalten oder Steigern eines pathologischen Zustands.23 Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob durch den Eingriff (dauerhaft) ein Zustand geschaffen wird, der vom Normalzustand der Körperfunktionen negativ abweicht.24 Ebenso wenig ist eine Schmerzverursachung entscheidend.25 Die Zirkumzision ruft schon insofern einen pathologischen Zustand hervor, als sie eine Wunde verursacht.26 Daher liegt in der Vornahme der Beschneidung eine Gesundheitsschädigung i. S. d. § 223 I Alt. 2 StGB.27 cc) Teleologische Reduktion des § 223 I StGB? Im Hinblick auf die religiös motivierte Knabenbeschneidung wird „eine teleologische und verfassungskonforme Reduktion“ des § 223 I StGB vorgeschlagen:28 Der Eingriff beruhe auf Regeln einer Religionsgemeinschaft, welche durch die Garantie des Art. 137 III 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG abgesichert seien.29 Dabei sei im Falle der Beschneidung § 223 I StGB nicht als Schranke im Sinne eines für alle geltenden Gesetzes anzusehen;30 vielmehr sei der Tatbestand „mit Blick auf den sozialen Sinnzusammenhang“ zu interpretieren.31 Sofern die Beschneidung eines nicht einsichtsfähigen bzw. nicht religionsmündigen Minderjährigen kunstgerecht von medizinisch qualifiziertem Personal durchgeführt werde und „die verfassungsgemäßen Mitwirkungsrechte der Eltern“ gewährleistet würden, 22

Exemplarisch Putzke, in: FS Herzberg, 669, 675. Schroth, Strafrecht BT, S. 90; MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 28; Sch/Sch-Eser/ Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 5; NK-Paeffgen, § 223, Rn. 14; Fischer, StGB, § 223, Rn. 8; Kühl, StGB, § 223, Rn. 5. Zum Steigern des pathologischen Zustandes vgl. BGH, NJW 1960, 2253. 24 Anders wohl Exner, Sozialadäquanz, S. 30 f., der diese Frage ins Zentrum rückt, sie aber mit Verweis auf das Vorliegen einer körperlichen Misshandlung nicht entscheidet. 25 Kühl, StGB, § 223, Rn. 4. 26 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 121; vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 173. 27 Ebenso: Kühl, StGB, § 223, Rn. 5 a. E.; Rohe, JZ 2007, 801, 802 mit Fn. 7. 28 Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1059. 29 Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1059. 30 In die entgegengesetzte Richtung Herzberg, JZ 2009, 332, 337. 31 Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1059 (Hervorhebungen dort). 23

60

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

soll schon der Tatbestand der Körperverletzung nicht erfüllt sein.32 Bei dieser Beurteilung richtet sich der Blick zwar unter anderem auch auf das elterliche Erziehungsrecht – primär und zentral wird allerdings auf die kollektive Religionsfreiheit abgestellt, die im Falle der religiös motivierten Beschneidung „eine ganz wesentliche Seite des Lebenssachverhaltes“ darstellen soll.33 Eine große Schwierigkeit wirft dieser Ansatz schon dadurch auf, dass die sog. „Tatbestandslösung“ nur für „Praktiken der großen tradierten Schriftreligionen“ in Abgrenzung zu „religiös motivierte[n] Praktiken neuer religiöser Gruppen“ gelten soll.34 Ihm kann aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht gefolgt werden. Denn für die Frage nach der Strafbarkeit der Beschneidung sind die Wechselbeziehungen zwischen Kind, Staat und Eltern, nicht aber Rechte von Religionsgemeinschaften maßgeblich.35 Die Durchführung der religiös motivierten Beschneidung fußt nicht auf kollektivem Handeln einer Religionsgemeinschaft, sondern auf einer singulären stellvertretenden Einwilligung der Eltern für ihr Kind, auch wenn sie religiös motiviert sein mag.36 Hierin liegt keine kollektive religiöse Verhaltensweise, sondern die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten aus Art. 6 II GG (i.V. m. Art. 4 I, II GG).37 Daher lässt sich die Frage nach der Strafbarkeit der religiös motivierten Beschneidung nicht über eine teleologische Reduktion des Tatbestands des § 223 I StGB unter Heranziehung von Art. 137 III 1 WRV i.V. m. Art. 140 GG beantworten.38 b) Gefährliche Körperverletzung i. S. d. § 224 I Nr. 1, Nr. 2 StGB Die Abtrennung der Vorhaut erfolgt mit Hilfe eines Skalpells oder eines ähnlichen Schneidewerkzeugs.39 Dabei könnte es sich um ein gefährliches Werkzeug i. S. d. Qualifikationstatbestands des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB handeln. Ein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und seiner konkreten Verwendungsart im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.40 32

Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1059. Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1060. 34 Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1061. Hierzu ebenfalls kritisch Rox, JZ 2012, 1061, die von „Sprengstoff“ spricht, den diese These birgt. 35 Rox, JZ 2012, 1061. 36 Rox, JZ 2012, 1061, 1062. 37 Rox, JZ 2012, 1061, 1062. Vgl. zu Reichweite und Grenzen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung genauer unten E. 38 Vgl. zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058: Rox, JZ 2012, 1061 ff. 39 Vgl. hierzu etwa Putzke, in: FS Herzberg, 669, 673 f. 40 BGHSt 3, 105, 109; BGH, NStZ-RR 2009, 50; Schroth, Strafrecht BT, S. 102; NKPaeffgen, § 224, Rn. 14; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 224, Rn. 28; HK/GS-Dölling, § 224, Rn. 3. 33

II. Die Knabenbeschneidung im Lichte der Körperverletzungsdelikte

61

Abstrakt betrachtet ist eine Gefährlichkeit der eingesetzten Schneidewerkzeuge ohne Weiteres gegeben. Solch abstrakt gefährliche Werkzeuge, die im konkreten Fall aber auf ungefährliche Weise eingesetzt werden, sind nach der Rechtsprechung gerade keine gefährlichen Werkzeuge i. S. d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB:41 Insbesondere sollen das Skalpell und andere chirurgische Instrumente in der Hand des Arztes, die bestimmungsgemäß eingesetzt werden, keine gefährlichen Werkzeuge darstellen – unabhängig davon, ob sie zur Vornahme eines Heileingriffs dienen oder nicht. Denn ein Werkzeug sei nur dann ein gefährliches i. S. d. Vorschrift, wenn es als Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingesetzt werde, da der Einsatz des Werkzeugs mit dem Verwenden einer Waffe vergleichbar sein müsse.42 Demgegenüber sollen dieselben Werkzeuge in den Fällen gefährliche sein, in denen sie nicht durch einen approbierten Arzt eingesetzt werden.43 Insofern wird i. R. d. Qualifikation des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB darauf abgestellt, ob der Handelnde die fachlich-rechtliche Befugnis zum Eingreifen hat, ob er also zur Ausübung der Heilkunde befugt ist.44 Bedenkt man, dass § 224 I StGB die typisierend betrachtete gesteigerte Gefährlichkeit bestimmter Vorgehensweisen bei der Körperverletzung, also bestimmter Körperverletzungstechniken, unter Strafe stellt,45 so geht diese Differenzierung fehl: Zwar ist es durchaus richtig, lege artis angewendete ärztliche Instrumente nicht als gefährliche Werkzeuge i. S. d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB zu qualifizieren. Denn bei bestimmungsgemäßer Anwendung solcher Werkzeuge ist die Körperverletzung gerade nicht von einer erhöhten Gefährlichkeit geprägt.46 Dies gilt aber auch dann, wenn der das medizinische Instrument Anwendende kein approbierter Arzt ist, solange er dasselbe auf kunstgerechte Art und Weise einsetzt.47 Es kann nämlich für die Strafbarkeit nach den Körperverletzungsdelik41

So etwa BGH, NStZ 2007, 95; vgl. hierzu Fischer, StGB, § 224, Rn. 9a. Zu dem Ganzen BGH, NJW 1978, 1206 (zahnärztliche Zange); NStZ 1987, 174 (Spritze); LG Köln, NJW 2012, 2128 (Skalpell bei der Beschneidung); vgl. hierzu Schroth, Strafrecht BT, S. 102; Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 224, Rn. 8; Kühl, StGB, § 224, Rn. 5; a. A. Exner, Sozialadäquanz, S. 33 ff.; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 91; Bartsch, StV 2012, 604, 605; Kempf, JR 2012, 436, 437; Jahn, JuS 2012, 850; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 682; einschränkend Putzke, MedR 2008, 268, 269 mit Fn. 24; Putzke, NJW 2008, 1568, 1570. 43 BGH, NStZ 1987, 174. 44 Vgl. Kühl, StGB, § 224, Rn. 5. 45 NK-Paeffgen, § 224, Rn. 12; Schroth, Strafrecht BT, S. 100; vgl. Sch/Sch-Stree/ Sternberg-Lieben, § 224, Rn. 1. Bei konkreter Ungefährlichkeit ist § 224 I Nr. 2 StGB ausgeschlossen, vgl. MK-StGB-Hardtung, § 224, Rn. 19. 46 Vgl. nur NK-Paeffgen, § 224, Rn. 17. 47 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 425; NK-Paeffgen, § 224, Rn. 17. 42

62

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

ten nicht entscheidend auf vorhandene oder fehlende „Diplome“ ankommen, sondern man muss vielmehr auf die „objektive situationsspezifische Gefährlichkeit“,48 auf die naheliegende Gefahr für das Opfer49 abstellen. In Fällen, in denen ein medizinisches Instrument kunstgerecht eingesetzt wird, wohnt der verletzenden Handlung gerade keine gesteigerte Gefährlichkeit inne.50 Mit anderen Worten folgt allein aus der Tatsache, dass der Eingreifende kein approbierter Arzt ist, nicht per se die erhöhte Gefährlichkeit einer Körperverletzung.51 Damit ist das lege artis eingesetzte medizinische Instrument – unabhängig vom Vorliegen einer Approbation des Eingreifenden – nicht als gefährliches Werkzeug i. S. d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB einzustufen. Insofern erfüllen weder der beschneidende Arzt noch ein traditioneller Beschneider wie etwa der jüdische Mohel den Qualifikationstatbestand des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, wenn sie das chirurgische Werkzeug in kunstgerechter Weise verwenden.52 Ebenso wenig sind kunstgerecht eingesetzte Narkosemittel als Beibringung von Gift bzw. von gesundheitsschädlichen Stoffen i. S. d. § 224 I Nr. 1 StGB zu qualifizieren. Denn die beigebrachte Substanz muss ihrer Art nach nicht nur generell, sondern auch im konkreten Fall dazu geeignet sein, erhebliche Gesundheitsschäden zu verursachen.53 Letzteres ist im Falle des kunstgerecht verwendeten Narkosemittels zu verneinen. Insofern kann auf die gerade getroffenen Ausführungen zu § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB verwiesen werden. c) Fahrlässige Körperverletzung i. S. d. § 229 StGB Da die Beschneidung als solche in der Regel vorsätzlich ausgeführt wird, ist grundsätzlich § 223 I StGB die einschlägige Norm, anhand derer sich die Strafbarkeit des Eingreifenden beurteilt. An § 229 StGB lässt sich (zusätzlich) vor allem in den Fällen denken, in denen nicht gewollte, fahrlässige Kunstfehler des Beschneiders passieren. Da es im 48

NK-Paeffgen, § 224, Rn. 17. Schroth, Strafrecht BT, S. 102 f. 50 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 426. 51 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 425. Zur Verdeutlichung wird als Beispiel etwa die Mutter genannt, die ihrem zuckerkranken Kind Insulin spritzt. Ähnlich Sch/ Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 224, Rn. 8. 52 Im Hinblick auf die Beschneidung durch einen Arzt ebenso Schramm, Ehe und Familie, S. 224; ähnlich Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 121 f.; a. A. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 682; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 317; Herzberg, JZ 2009, 332; Exner, Sozialadäquanz, S. 34 f.; Stumpf, DVBl. 2013, 141, 147; Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 231. 53 So die h. M., vgl. Fischer, StGB, § 224, Rn. 3a und Rn. 5; Rengier, Strafrecht BT II, § 14, Rn. 8 und Rn. 15 ff.; NK-Paeffgen, § 224, Rn. 7 m.w. N.; vgl. BGHSt 51, 18, 22. 49

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

63

Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings um die generelle strafrechtliche Relevanz einer vorsätzlich ausgeführten Beschneidung geht, wird eine mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Folgenden außer Betracht bleiben. 2. Strafbarkeitsrisiken der Eltern Nicht nur der Eingreifende selbst, sondern auch die Eltern, die die Beschneidung des Kindes verlangen und in diese einwilligen, sind Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt: Je nach Fallkonstellation kann eine Teilnehmerstrafbarkeit54 – insbesondere eine Anstiftung – bzgl. einer Körperverletzung in Betracht kommen. Da die Strafbarkeit der Eltern aber grundsätzlich vom Vorliegen einer rechtswidrigen Haupttat abhängt, beschränken sich die folgenden Untersuchungen auf die Fragen nach der Strafbarkeit des Beschneidenden bzw. nach der Legitimation des Eingriffs aufgrund Einwilligung und stellvertretender Einwilligung. 3. Praktische Konsequenzen Ohne Berücksichtigung der weiteren noch zu untersuchenden Strafbarkeitsvoraussetzungen der religiös motivierten Knabenbeschneidung ergibt sich daraus, dass die lege artis durchgeführte Zirkumzision55 allein eine einfache, nicht aber eine gefährliche Körperverletzung darstellt, in praktischer Hinsicht die Konsequenz, dass gemäß § 230 I 1 StGB für eine Strafverfolgung die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses seitens der Staatsanwaltschaft oder aber ein Strafantrag erforderlich ist.56

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz Auf Grundlage der Lehre von der Sozialadäquanz könnte die religiös motivierte Knabenbeschneidung von vornherein aus dem Körperverletzungstatbestand herauszunehmen sein, wenn sie denn eine sozialadäquate Handlung darstellt. Zur Erörterung dieser Fragestellung folgt zunächst eine Darstellung der Lehre von der Sozialadäquanz. Daraufhin wird ein aktueller Ansatz zur Einordnung der 54

Vgl. auch Exner, Sozialadäquanz, S. 30. Die Rechtsprechung hält es zusätzlich für erforderlich, dass der Eingriff von einem Arzt vorgenommen wird, vgl. LG Köln v. 07.05.2012, NJW 2012, 2128, sowie oben C.II.1.b). 56 Vgl. hierzu Löffelmann, Religiöse Beschneidung von Jungen, S. 2; vgl. allgemein zu den Erfordernissen des § 230 StGB etwa Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 230, Rn. 2 ff.; Kühl, StGB, § 230, Rn. 1 ff.; SK-Horn/Wolters, § 230, Rn. 2 ff. 55

64

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Knabenbeschneidung als sozialadäquate Handlung beschrieben und einer kritischen Würdigung unterzogen. Anschließend daran wird dargelegt, welche Maßstäbe statt der Kategorie der Sozialadäquanz i. R. d. Tatbestands herangezogen werden können und wie die Knabenbeschneidung auf Grundlage dieser vorzugswürdigen Maßstäbe zu beurteilen ist. 1. Die Knabenbeschneidung auf Grundlage der Lehre der Sozialadäquanz a) Die Lehre der Sozialadäquanz nach Welzel Die Lehre von der Sozialadäquanz geht auf Welzel zurück. Sie baut auf dem Gedanken auf, dass Handlungen, die sich „völlig im Rahmen der ,normalen‘, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ bewegen, keinem Tatbestand unterfallen, auch wenn sie dessen Wortlaut entsprechen.57 Denn Tatbestände hätten die Funktion, „die ,Muster‘ des verbotenen Verhaltens nachzuzeichnen“ 58 und könnten damit keine sozialadäquaten Handlungen beschreiben.59 Auch die Rechtsprechung hat an mancher Stelle auf die Lehre der Sozialadäquanz zurückgegriffen und formuliert, dass „übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen nicht tatbestandsmäßig oder zumindest nicht rechtswidrig sein“ können.60 In der Literatur wird die Sozialadäquanz nur teilweise als eigene Kategorie anerkannt,61 wobei sie überwiegend als Tatbestandsausschlussgrund angesehen wird.62

57

Welzel, Strafrecht, § 10 IV. Welzel, Strafrecht, § 10 IV. 59 Nach Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 33. 60 BGHSt 23, 226, 228; vgl. BGHSt 19, 152, 154; OLG München, NStZ 1985, 549, 550; vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht BGHZ 24, 21, 26; OLG Hamm, NJW-RR 2002, 90. 61 Ablehnend etwa Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16, Rn. 35; Sch/SchLenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 70 m.w. N. 62 So etwa Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 17, Rn. 14 ff.; Eser, in: FS Roxin, 199, 203; Exner, Sozialadäquanz, S. 110; vgl. Fischer, StGB, Vor § 32, Rn. 12; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9/26 f., ordnet die Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund ein. Diese Einordnung der Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund geht schon deswegen fehl, weil es im Rahmen der Rechtfertigung um die ausnahmsweise Gestattung eines an sich strafwürdigen Verhaltens geht. Die Sozialadäquanz betrifft aber ein allgemein übliches und akzeptiertes Verhalten, Rönnau, JuS 2011, 311, 312. Vgl. zum Streit um die deliktsystematische Einordnung Exner, Sozialadäquanz, S. 64 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 34 m.w. N. 58

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

65

b) Die Knabenbeschneidung als sozialadäquate Handlung? In Bezug auf die religiös motivierte Knabenbeschneidung wurde bisher die Frage nach einer möglichen Sozialadäquanz des Eingriffs kaum thematisiert. Dabei wurde nur selten vertreten, dass der Eingriff als sozialadäquat aus dem Tatbestand des § 223 StGB herauszunehmen sei,63 ganz überwiegend wurde die Sozialadäquanz des Eingriffs verneint.64 aa) Der Ansatz von Exner Nunmehr hat sich Exner in einer umfangreicheren Untersuchung65 dieser Problematik gewidmet: Er begreift – im Anschluss an Welzel – die Sozialadäquanz als eigenständige strafrechtliche Kategorie, die den Tatbestand entfallen lasse.66 Nach Exner soll sozialadäquates Handeln dabei unter folgenden drei Voraussetzungen gegeben sein: Es müsse eine sozial unauffällige Handlung vorliegen, die allgemein sozial gebilligt sei, wobei es sich um eine geschichtlich verfestigte Anschauung handeln müsse.67 Damit wird die Strafbarkeit von „kulturell Selbstverständliche[m]“ verneint.68 Die Frage, ob die Beschneidung als in tatsächlicher Hinsicht sozial unverdächtige Handlung erscheine, macht er daran fest, ob sie Ausdruck eines einheitlichen, fest gefügten Typus sozialsinnhaften Verhaltens sei.69 Dabei sieht er die soziale Sinnhaftigkeit der Zirkumzision „in der Vermittlung (religiöser) Identität sowie der Festigung der Gruppenzugehörigkeit“.70 Gleichzeitig seien sowohl die jüdischen als auch die muslimischen Beschneidungen ein „vorhersehbare[s], fest gefügte[s] Handlungsmuster“.71

63 So Rohe, JZ 2007, 801 S. 805. Ebenso noch Fischer, StGB, 55. Auflage 2008, § 223, Rn. 6b; nunmehr aber Fischer, StGB, § 223, Rn. 11. 64 Jerouschek, NStZ 2008, 313, 317; Herzberg, JZ 2009, 332 332; Herzberg, MedR 2012, 169, 170 f.; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 151; Putzke, NJW 2008, 1568, 1569; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 679 ff.; Putzke, MedR 2012, 621 f.; Putzke, MedR 2012, 229 f.; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 90; Fischer, StGB, § 223, Rn. 11; Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 231; sodann LG Köln, NJW 2012, 2128; diesbezüglich zustimmend Kempf, JR 2012, 436, 437; Bartsch, StV 2012, 604, 605 f.; Jahn, JuS 2012, 850; Rox, JZ 2012, 806, 807; Bernat, EF-Z 2012, 196; Neumann, DRiZ 2012, 221, 222; Spickhoff, FamRZ 2012, 1423; Hahn, MedR 2013, 215; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 18b; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 329. 65 Exner, Sozialadäquanz. 66 Exner, Sozialadäquanz, S. 110 f. 67 Exner, Sozialadäquanz, S. 131 ff. 68 Exner, Sozialadäquanz, S. 168. 69 Exner, Sozialadäquanz, S. 134 ff. und S. 169. 70 Exner, Sozialadäquanz, S. 169. 71 Exner, Sozialadäquanz, S. 169 ff.

66

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Im Rahmen der Frage, ob die Beschneidung – wertend betrachtet – ein sozial gebilligtes Verhalten sei, stellt Exner nicht auf den einzelnen Eingriff, sondern auf das „ihn umfassende Verhaltensmuster“ ab.72 Dabei müssten die dem Handlungsmuster „Beschneidung“ anhaftenden Wertvorstellungen eine Entsprechung im kulturellen Selbstverständnis von Deutschland vorweisen können.73 Diesbezüglich stellt er fest, dass weder eine „deutliche gesellschaftliche Missbilligung“ noch eine „klare soziale Billigung“ der Knabenbeschneidung zu verzeichnen sei.74 Weil im Gegensatz zur Beschneidung von Frauen oder Mädchen eine „spürbare soziale Stellungnahme“ fehle, die sich auch nicht mit der Tabuisierung des Themas begründen ließe, liege die allgemeine Akzeptanz der Knabenbeschneidung nahe.75 Denn erst der „Widerspruch zu herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen“ führe zur „allgemeine[n] Auseinandersetzung mit dem fraglichen Handlungsmuster“, so „dass das Ausbleiben [derselben] Ausdruck der allgemeinen Billigung der traditionellen Knabenbeschneidung“ sei.76 Im Hinblick auf die Frage nach der geschichtlichen Üblichkeit stellt Exner darauf ab, ob „die mit der Zirkumzision verfolgten Wertvorstellungen zugleich dem historisch verfestigten Kerngehalt der kulturellen Geistesverfassung der Bundesrepublik Deutschland zurechenbar“ seien.77 Dies bejaht er mit dem Argument, dass die Beschneidung als Handlungstypus in Deutschland eine geschichtliche Dauer aufweise, die berechtige, sie als geschichtlich üblich zu bezeichnen.78 Damit kommt Exner im Rahmen seiner Untersuchungen zur Sozialadäquanz der Knabenbeschneidung zu dem Ergebnis, dass sie eine sozialadäquate und daher nicht straftatbestandsmäßige Handlung darstelle,79 obwohl er in seinen vorhergehenden Ausführungen zu dem Schluss kommt, dass es sich bei der Zirkumzision um eine gefährliche Körperverletzung handele, in die die Eltern nicht stellvertretend einwilligen könnten, da der Eingriff dem Kindeswohl widerspreche.80 72

Exner, Sozialadäquanz, S. 142 ff. und S. 172. Exner, Sozialadäquanz, S. 172. 74 Exner, Sozialadäquanz, S. 176. 75 Exner, Sozialadäquanz, S. 178 ff. 76 Exner, Sozialadäquanz, S. 177 und S. 182. 77 Exner, Sozialadäquanz, S. 182 (Hervorhebung durch Exner). 78 Exner, Sozialadäquanz, S. 186. Zunächst stellt der Autor hierfür auf die geschichtliche Üblichkeit der jüdischen Beschneidung ab. Diese soll aber auch in Bezug auf die muslimische Beschneidung gegeben sein, was sich sowohl aus Art. 3 III 1 GG als auch aus „dem Wesen und Anspruch der Sozialadäquanzlehre“ ergebe (S. 184). 79 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 58–188, insbesondere S. 168 und S. 187 f.; vgl. auch Exner, Jura 2013, 103, 106. 80 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 30–57. 73

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

67

bb) Kritische Würdigung Unabhängig von einer kritischen Betrachtung der Lehre der Sozialadäquanz als solcher81 überzeugt es nicht, auf Grundlage der von Exner angelegten Maßstäbe die Knabenbeschneidung als sozialadäquate und damit von vornherein tatbestandslose Handlung zu qualifizieren.82 Vor dem Hintergrund der zunächst getroffenen Aussagen Exners zur stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung83 leuchtet schon die Bejahung einer sozial unverdächtigen Handlung nicht ein: Einerseits wird die Zirkumzision als gefährliche Körperverletzung eingestuft, die dem Kindeswohl widerspreche, sodass die Eltern hierin nicht stellvertretend einwilligen könnten,84 andererseits soll der Eingriff eine sozial unverdächtige Handlung – letztlich also sozialadäquat und damit nicht straftatbestandsmäßig – sein.85 Nun lässt sich der Begriff der sozialen Unverdächtigkeit zwar nur schwer bestimmen und kann durchaus weit gefasst werden. Aber auch bei einer sehr extensiven Begriffsauslegung ist diese Argumentation in sich nicht konsistent, da – unabhängig von der Frage, ob die Knabenbeschneidung tatsächlich das Kindeswohl überschreitet86 – eine Verhaltensweise, die einerseits dem Kindeswohl widersprechen soll, nicht andererseits als sozial unverdächtige Handlung qualifiziert werden kann.87 Eine solche Beurteilung ist nicht folgerichtig und führt außerdem dazu, dass über das „Instrument“ der Sozialadäquanz die Grenzen der stellvertretenden Einwilligung ausgehebelt werden könnten.88 Darüber hinaus kann nicht von der angeblich fehlenden „spürbare[n] soziale[n] Stellungnahme“ betreffend die Knabenbeschneidung auf eine allgemeine soziale Billigung des Eingriffs geschlossen werden.89 Denn erstens fehlte es auch schon vor dem umstrittenen Urteil des LG Köln90 nicht an unterschiedlichen Stellung81

Vgl. dazu sogleich C.III.2.a). I.E. ebenso LG Köln, NJW 2012, 2128 f.; Herzberg, MedR 2012, 169, 170 ff.; Putzke, MedR 2012, 621 f. 83 Exner, Sozialadäquanz, S. 36 ff. 84 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 30–57. 85 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 58–188, insbesondere S. 168 und S. 187 f.; kritisch LG Köln, NJW 2012, 2128 f.; Herzberg, MedR 2012, 169, 170 ff.; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1133 f. 86 Vgl. hierzu ausführlich unten E.V. 87 Vgl. Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1133 f.; Herzberg, MedR 2012, 169, 171; LG Köln, NJW 2012, 2128 f. 88 Vgl. auch Herzberg, MedR 2012, 169, 172; LG Köln, NJW 2012, 2128 f.; s. ausführlich zu den Grenzen der stellvertretenden Einwilligung unten E.IV. 89 So aber Exner, Sozialadäquanz, S. 177; die Monographie erschien noch vor dem Urteil des LG Köln v. 07.05.2012, NJW 2012, 2128, das eine breite gesellschaftliche Debatte auslöste. Vgl. zu diesem Kritikpunkt Herzberg, MedR 2012, 169, 171. 90 NJW 2012, 2128. 82

68

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

nahmen zu dem Thema91 und zweitens war und ist die Bewertung des Eingriffs durchaus umstritten, sodass nicht ohne Weiteres auf eine allgemeine Akzeptanz der Zirkumzision in der Gesellschaft geschlossen werden kann.92 Insgesamt betrachtet lässt sich gegen die Beurteilung der Beschneidung als sozialadäquate Handlung außerdem einwenden, dass hierdurch der Eingriff ohne Weiteres aus dem Tatbestand der Körperverletzung herauszunehmen wäre,93 sodass ohne den Willen des Betroffenen oder seiner sorgeberechtigten Eltern eine Beschneidung an ihm vorgenommen werden könnte.94 Dies würde zum Leerlaufen des Zwecks von Einwilligung bzw. stellvertretender Einwilligung, nämlich der Absicherung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsgutsträgers, führen.95 Gegen diesen letzten Aspekt lässt sich auch nicht einwenden, dass in den Fällen, in denen der Rechtsgutsträger bzw. dessen Vertreter nicht mit dem Eingriff einverstanden sei, eben doch ein gesellschaftlich missbilligtes und damit gerade kein sozialadäquates Verhalten vorliegen würde.96 Denn es kann nicht aus der Missbilligung eines Einzelnen eine allgemeine gesellschaftliche Missbilligung abgeleitet werden.97 Die Zustimmung des Rechtsgutsträgers bzw. seiner gesetz91 Vgl. in religiöser Hinsicht etwa Rosenkranz, Bund der Beschneidung; Staszewski, Goldener Schnitt; Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; vgl. in juristischer Hinsicht Putzke, in: FS Herzberg, 669 ff.; Stehr/Putzke/Dietz, DÄBl. 105 (2008), A1778– A1780 ff.; Putzke, NJW 2008, 1568 ff.; Putzke, MedR 2008, 268 ff.; Jerouschek, NStZ 2008, 313 ff.; Schwarz, JZ 2008, 1125 ff.; Zähle, AöR 134 (2009), 434 ff.; Herzberg, JZ 2009, 332 ff.; Herzberg, ZIS 2010, 471 ff.; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115 ff.; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 149 ff.; Schramm, Ehe und Familie, S. 224 ff.; Schneider, Männliche Beschneidung, insbesondere S. 109 ff. 92 Herzberg, MedR 2012, 169, 171, geht sogar von einer – unter Juristen – herrschenden Missbilligung des Eingriffs aus. Ebenso nunmehr das LG Köln, NJW 2128, 2129. Ähnlich Putzke, MedR 2012, 229, 230, der die These aufstellt, dass die Mehrheit der Gesellschaft gegen die Knabenbeschneidung plädieren würde. Dieser Einschätzung kann allerdings nicht gefolgt werden. 93 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 190, der zum Ergebnis kommt, dass die Beschneidung nicht unter die §§ 223 ff. StGB subsumierbar und daher straflos sei. Kritisch Rox, JZ 2012, 806, 807. 94 Vgl. hierzu auch Herzberg, MedR 2012, 169, 172, der in Anlehnung an das OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, folgenden Fall bildet: Veranlasst der nicht sorgeberechtigte Vater, bei dem sich das Kind für einige Zeit aufhält, gegen den Willen der sorgeberechtigten Mutter die Beschneidung des Kindes, so liegt aufgrund unwirksamer stellvertretende Einwilligung eine rechtswidrige Körperverletzung vor. In letzter Konsequenz der Ansicht von Exner müsste aber auch dieses Verhalten vom Tatbestand der Körperverletzung als sozialadäquat herausgenommen werden. Vgl. hierzu auch Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13. 95 Vgl. zu den Funktionen der Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff.; Schroth, in: FS Volk, 719, 723 ff.; vgl. unten D.III.2. Vgl. zu den Funktionen der stellvertretenden Einwilligung unten E.I.2.c). 96 Hierzu Herzberg, MedR 2012, 169, 172, der diesen Einwand aber ebenfalls nicht gelten lassen will. 97 Herzberg, MedR 2012, 169, 172. Ebenso wenig ließe sich aus der Billigung durch einen Einzelnen eine gesellschaftliche Billigung ableiten.

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

69

lichen Vertreter spielt i. R. d. Sozialadäquanz gerade keine Rolle,98 da diese Lehre unabhängig vom Willen des Einzelnen auf Handlungen abstellt, die sich allgemein betrachtet „völlig im Rahmen der „normalen“, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ halten.99 Vielmehr zeigt sich an diesem Beispiel, dass die Frage nach der Strafbarkeit der Beschneidung nicht anhand der Sozialadäquanz beantwortet werden kann, sondern anhand der Institute der Einwilligung bzw. stellvertretenden Einwilligung beurteilt werden muss. 2. Die Sozialadäquanz im Lichte der modernen Strafrechtslehre Die Lehre von der Sozialadäquanz hilft nicht nur im Hinblick auf den konkreten Fall der Knabenbeschneidung nicht weiter. Sie ist auch im Allgemeinen keine präzise Grundlage zur Beurteilung tatbestandsmäßigen Verhaltens. a) Die Problematik der Lehre der Sozialadäquanz Zwar trägt die Lehre von der Sozialadäquanz den guten Grundgedanken in sich, dass Tatbestände auf deliktstypisches Verhalten zu begrenzen sind.100 Dennoch haften ihr Probleme an. Zu kritisieren ist vor allem ihre Unbestimmtheit:101 Das Heranziehen des undifferenzierten Begriffs der Sozialadäquanz102 birgt die Gefahr, nur anhand eines Rechtsgefühls zu entscheiden oder verbreitetes Unrecht als tatbestandslos zu qualifizieren.103 Hierdurch werden Strafbarkeitsgrenzen aufgeweicht.104 Darüber hinaus können mit den heute vorhandenen, im Gegensatz zur Sozialadäquanz „präzisere[n] Instrumenten der Auslegungs- und Zurechnungslehren“ klarere und besser nachzuvollziehende Ergebnisse erreicht werden.105 Aus diesen Gründen kann die Sozialadäquanz keine eigenständige strafrechtliche Kategorie

98

Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 680. Welzel, Strafrecht, § 10 IV. 100 So Roxin, in: FS Klug, 303, 310; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 36 f. 101 Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16, Rn. 35; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 IV.1; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 177; LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 51 m.w. N.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 97; vgl. auch Eser, in: FS Roxin, 199, 205 m.w. N. 102 Dies gilt auch für die von Exner in seinem Ansatz herangezogenen Kriterien der sozialen Unauffälligkeit und der sozialen Billigung, die kaum näher bestimmt werden können. Hierzu Putzke, MedR 2012, 229. 103 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41; Roxin, in: FS Klug, 303, 313. 104 Rönnau, JuS 2011, 311, 312; vgl. Putzke, MedR 2012, 229, 230. 105 Rönnau, JuS 2011, 311, 313; vgl. Roxin, in: FS Klug, 303, 310; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 34 m.w. N.; Herzberg, MedR 2012, 169, 171; Putzke, MedR 2012, 229, 230. 99

70

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

darstellen:106 Sie ist weder als eigener Tatbestandsausschlussgrund noch als eigener Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund zu begreifen. Dies bedeutet nicht, dass Verhaltensweisen, die nicht dem Unrechtstyp eines Straftatbestands entsprechen, als tatbestandsmäßig bzw. strafwürdig eingeordnet werden sollen.107 Allein braucht es nicht die Sozialadäquanz als selbstständiges Rechtsinstitut,108 um das Ziel der Begrenzung des Tatbestands auf deliktstypisches Verhalten109 zu erreichen, da dies besser durch andere Wertungskategorien des Strafrechts geschehen kann,110 wie von Roxin gezeigt wurde. b) Der Lösungsansatz nach Roxin Der Grundgedanke der Lehre der Sozialadäquanz, dass ein „von vornherein und generell gebilligtes Verhalten keinen Delikts- und Unrechtstyp verkörpern und daher auch niemals tatbestandsmäßig sein kann“,111 beinhaltet nach Roxin zwei Fallgruppen, in denen es gerade nicht eines Rückgriffs auf die unbestimmte Kategorie der Sozialadäquanz bedarf. Eine Begrenzung des Tatbestands auf deliktstypisches Verhalten kann vielmehr mit den exakteren Instrumenten der restriktiven Tatbestandsauslegung sowie der objektiven Zurechnung erreicht werden,112 die im Vergleich zur Lehre der Sozialadäquanz eindeutigere und differenziertere Ergebnisse möglich machen:113 Erstens ist nach der Lehre von der objektiven Zurechnung114 der Tatbestand bei der Schaffung eines „rechtlich irrelevanten oder erlaubten Risikos“ ausgeschlossen:115 106 Ebenso MK-StGB-Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 160; Sch/Sch-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 70; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 ff.; LG Köln, NJW 2012, 2128. Ähnlich Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 29. 107 LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 51; Rönnau, JuS 2011, 311, 312. 108 Vgl. Roxin, in: FS Klug, 303, 312 f.; Schünemann, GA 1985, 341, 346; MKStGB-Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 160. 109 So Roxin, in: FS Klug, 303, 310; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 36 f. 110 Rönnau, JuS 2011, 311, 313. 111 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 36; Roxin, in: FS Klug, 303, 310. 112 Hierzu instruktiv Roxin, in: FS Klug, 303, insbesondere 310 ff. Roxin spricht dort noch von „teleologische[r] Reduktion“, die sich am Schutzbereich des jeweiligen Tatbestands zu orientieren habe (S. 312). Später spricht er von einer „am geschützten Rechtsgut orientierte[n], einschränkende[n] Interpretation“ und weist darauf hin, dass es sich – je nach Tatbestand – entweder um eine Auslegung oder um eine teleologische Reduktion handeln könne, es hierauf aber nicht ankomme, Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41 mit Fn. 82. Grundlegend zur objektiven Zurechnung („objektive Bezweckbarkeit“) nach Honig: Roxin, in: FS Honig, 133, insbesondere 135 ff. 113 Roxin, in: FS Klug, 303, 312 f.; Roxin, Strafrecht AT I, Rn. 41 mit Fn. 84; vgl. Schünemann, GA 1999, 207, 212; Rönnau, JuS 2011, 311, 312; Sch/Sch-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 70; anders Eser, in: FS Roxin, 199, 208 ff.; anders SSW/ StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 61 f., der zwischen Sozialadäquanz und erlaubtem Risiko differenziert.

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

71

Voraussetzung der objektiven Zurechnung ist die Schaffung eines unerlaubten Risikos durch den Täter, das sich im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht.116 Wenn nach diesem Grundsatz schon nicht zugerechnet werden kann, bedarf es hierfür nicht der Lehre der Sozialadäquanz.117 Als Beispiel kann der Fall herangezogen werden, in dem eine Ehefrau ihren Mann bei heftigem Wind zu einem Spaziergang im Wald überredet in der Hoffnung, er werde von einem herabfallenden Ast getroffen. Dies tritt auch tatsächlich so ein und der Ehemann wird schwer verletzt. Die Ehefrau hat hier deshalb nicht den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte erfüllt, da sie kein rechtlich relevantes Risiko für den Ehemann geschaffen hat.118 Zweitens entfällt der Tatbestand bei geringfügigen und sozial allgemein tolerierten Verhaltensweisen,119 welche im Sinne einer restriktiven, am jeweiligen Rechtsgut orientierten Interpretation aus dem Tatbestand herauszunehmen sind, da sie schon gar nicht das jeweils geschützte Rechtsgut beeinträchtigen.120 Bei einer fehlenden Rechtsgutsverletzung liegt bereits keine tatbestandsmäßige – oder in anderen Worten: eine sozialadäquate – Handlung vor.121

114 Nach ganz überwiegender Meinung gehört die Kategorie der objektiven Zurechnung zum Tatbestand von Erfolgsdelikten, Roxin, in: FS Honig, 133, insbesondere 134 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11; Schünemann, GA 1999, 207, 212 m.w. N. und 219 ff.; Fischer, StGB, Vor § 13, Rn. 24; Sch/Sch-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 91 ff.; Kühl, StGB, Vor § 13, Rn. 14; SK-Rudolphi/Stein, Vor § 13, Rn. 26 ff.; LKWalter, Vor § 13, Rn. 89 ff. Die Notwendigkeit der Kategorie der objektiven Zurechnung i. R.v. vorsätzlichen Erfolgsdelikten verneint Kaufmann, in: FS Jescheck, 251 ff. Weniger weitgehend, aber dennoch kritisch: Kühl, Strafrecht AT, § 4, Rn. 38 ff.; NKPaeffgen, Vor §§ 32 ff., Rn. 35; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 327 ff. (die Lehre im Ergebnis bejahend). Vgl. hierzu auch Frisch, in: FS Roxin, 213 ff.; Frisch, GA 2003, 719, 729 f. 115 Roxin, in: FS Klug, 303, 310 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 38 f.; ähnlich Jakobs, Strafrecht AT, 7/35 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 8, Rn. 32; vgl. auch Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 94 ff. 116 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 38 und § 11, Rn. 49; Roxin, in: FS Klug, 303, 310. 117 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 38. Für die Abgrenzung von erlaubtem und unerlaubtem Risiko ist zwar eine wertende Betrachtung erforderlich. Diese Bewertung ist aber gerade Teil der Erfolgszurechnung, sodass nicht zusätzlich das Kriterium der Sozialadäquanz herangezogen werden muss. Hierzu Roxin, in: FS Klug, 303, 311 f.; vgl. Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 227. 118 Paradebeispiel dieser Kategorie ist der Fall, in dem der Neffe seinen Erbonkel zu einem Spaziergang bei Gewitter überredet in der Hoffnung, dieser werde vom Blitz getroffen und getötet, was sich auch tatsächlich realisiert. Vgl. zu dem Ganzen Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 38. 119 Roxin, in: FS Klug, 303, 312 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 40 ff. 120 Vgl. schon Abschn. C, Fn. 112; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41; vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 IV.2; Herzberg, MedR 2012, 169, 171; Rönnau, JuS 2011, 311, 312; vgl. Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 228. 121 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 40.

72

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Insofern ist der Grundgedanke der Sozialadäquanz als Auslegungsrichtlinie für eine restriktive, rechtsgutsorientierte Interpretation der Tatbestände zu begreifen, welche nur sozial inadäquates Verhalten umfassen sollen.122 Eine solche Tatbestandsauslegung hat gleichzeitig zur Konsequenz, dass dort, wo das geschützte Rechtsgut eine – wenn auch geringfügige – Beeinträchtigung erfährt, keine (noch) restriktivere Auslegung möglich ist, sodass der jeweilige Tatbestand erfüllt ist.123 Damit kann ohne Weiteres erklärt werden, warum Geringfügigkeiten zum Teil bereits nicht den Tatbestand erfüllen, zum Teil aber auch ohne Zweifel tatbestandsmäßig sind.124 3. Die Knabenbeschneidung auf Grundlage der objektiven Zurechnung und einer restriktiven Tatbestandsauslegung Auf dieser Grundlage, dass der Lehre von der Sozialadäquanz – welche gute Grundgedanken in sich trägt – keine eigenständige Bedeutung zukommt, ist nunmehr zu beurteilen, ob die Knabenbeschneidung im Sinne der Zurechnungskriterien des erlaubten bzw. rechtlich irrelevanten Risikos oder im Sinne einer restriktiven Tatbestandsauslegung von vornherein aus dem § 223 I StGB herausfällt. a) Erlaubtes bzw. rechtlich irrelevantes Risiko Würde durch die Vornahme einer nicht indizierten,125 religiös motivierten (Knaben-)Beschneidung durch den Eingreifenden nur ein erlaubtes bzw. rechtlich irrelevantes Risiko geschaffen, so würde die objektive Zurechnung entfallen 122 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 37 und 40 ff.; Roxin, in: FS Klug, 303, 310. Zum Teil wird ausschließlich auf die Sozialadäquanz als Auslegungsrichtlinie abgestellt, ohne zusätzlich die Kategorie des rechtlich irrelevanten bzw. erlaubten Risikos heranzuziehen, so Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16, Rn. 35. 123 Vgl. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 16, Rn. 35. 124 Roxin, in: FS Klug, 303, 313; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41; Rönnau, JuS 2011, 311, 313. Sozial allgemein tolerierte Verhaltensweisen, die auf einer restriktiven, am Rechtsgut orientierten Tatbestandsauslegung basieren, sind auf dieser Grundlage etwa i. R. d. §§ 331 ff. StGB oder i. R. d. §§ 185 ff. StGB relevant. So wird beispielsweise der soziale Achtungsanspruch des Betroffenen durch vertrauliche Äußerungen im Kreise der engsten Familie nicht verletzt, sodass schon nicht der Tatbestand des § 185 StGB erfüllt ist (str.), Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 40; vgl. aber auch Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 481 ff. Vgl. zum Rechtsgut der §§ 185 ff. StGB: BGHSt 36, 145, 148; Rengier, Strafrecht BT II, § 28, Rn. 1 ff. Andererseits ist im Sinne einer rechtsgutsorientierten Auslegung der Tatbestand des § 242 StGB schon dann verletzt, wenn es sich nur um einen geringfügigen Bagatelldiebstahl handelt, Roxin, in: FS Klug, 303, 313; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41. 125 An dieser Stelle wird allein die Vornahme einer nicht indizierten Beschneidung überprüft. Die Vornahme einer indizierten Beschneidung betrifft die Problematik des ärztlichen Heileingriffs und wird im Anschluss an diesen Abschnitt besprochen. Vgl. hierzu unten C.IV.

III. Die Knabenbeschneidung und die Lehre der Sozialadäquanz

73

und § 223 I StGB von vornherein nicht einschlägig sein.126 Dabei ist das Vorliegen eines erlaubten bzw. rechtlich irrelevanten Risikos generell, unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers oder seiner gesetzlichen Vertreter, zu beurteilen.127 Die Knabenbeschneidung kann gerade nicht als Schaffung eines rechtlich nicht relevanten Risikos qualifiziert werden. Unabhängig von einer möglichen Einwilligung betrachtet ist die Vornahme dieses Eingriffs nämlich gerade keine Handlung, die aufgrund ihres sozialen Nutzens allgemein erlaubt ist und daher von vornherein keine rechtlich missbilligte Gefahr darstellt.128 Vielmehr verstößt sie gegen die Verhaltensnorm,129 nicht in die Körperintegrität eines anderen Menschen einzugreifen, und schafft damit ein rechtlich missbilligtes Risiko, das sich im tatbestandlichen Erfolg einer körperlichen Misshandlung bzw. Gesundheitsschädigung verwirklicht.130 Daher kann die Knabenbeschneidung nicht unter den generellen Gesichtspunkten der objektiven Zurechnung aus dem Tatbestand des § 223 I StGB herausgenommen werden.131 Ihre strafrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich vielmehr einzelfallabhängig anhand der Institute der Einwilligung und stellvertretenden Einwilligung.132 b) Restriktive Tatbestandsauslegung Die ohne wirksame Einwilligung vorgenommene Knabenbeschneidung könnte im Sinne einer restriktiven, rechtsgutsorientierten Tatbestandsauslegung aus dem § 223 I StGB herauszunehmen sein, wenn sie schon gar nicht das geschützte 126 Zum Teil wird vertreten, dass bei Vorliegen eines erlaubten bzw. rechtlich irrelevanten Risikos schon keine üble, unangemessene Behandlung als Merkmal der körperlichen Misshandlung gegeben sei. Vgl. hierzu oben C.II.1.a)aa). 127 Die objektive Zurechnung ist als „haftungsbeschränkende[s] Korrektiv“ zu verstehen, Sch/Sch-Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 91. Sie beruht auf einer Abwägung von staatlichen Sicherungs- und individuellen Freiheitsinteressen, Roxin, ZStW 116 (2004), 929, 930. Insofern geht es beim erlaubten Risiko um die Frage, ob das Risiko für sich betrachtet ein erlaubtes darstellt, sodass schon von vornherein – unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers oder seiner Vertreter – keine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wird und die objektive Zurechnung entfällt. Anders Putzke, in: FS Herzberg, 669, 675: „Ein wirksames Einverständnis könnte nämlich die geschaffene Gefahr zur erlaubten machen.“ 128 Ebenso Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122; vgl. auch die Argumentation zur Ablehnung der Beschneidung als sozialadäquate Handlung C.III.1.b)bb); vgl. allgemein Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 184. 129 LK-Walter, Vor § 13, Rn. 90. 130 Vgl. zur Definition der objektiven Zurechnung LK-Walter, Vor § 13, Rn. 89. 131 Auf Grundlage der Ansicht, dass das Definitionsmerkmal der üblen, unangemessenen Behandlung ein Element der objektiven Zurechnung ist, würde die Knabenbeschneidung erst an dieser Stelle als üble, unangemessene Behandlung i. S. e. körperlichen Misshandlung qualifiziert. Vgl. zu dieser Thematik bereits oben C.II.1.a)aa). 132 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122.

74

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Rechtsgut beeinträchtigte. Dies ist aber – unabhängig davon, ob man als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit oder die körperbezogene Selbstbestimmung definiert133 – nur bei solch unerheblichen Handlungen der Fall, welche aufgrund ihrer Geringfügigkeit schon gar keinen echten Eingriff in die körperliche Integrität darstellen.134 Solche Eingriffe werden aber schon dadurch aus dem Tatbestand des § 223 I StGB ausgeschieden, dass das Tatbestandsmerkmal der körperlichen Misshandlung eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit erfordert.135 Unter Zugrundelegung dieser Schwelle der fehlenden Unerheblichkeit wurde bereits festgestellt, dass in der Beschneidung eine mehr als nur unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu sehen ist, sodass sie in den Anwendungsbereich des § 223 I StGB fällt. Da das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ab Überschreiten der Geringfügigkeitsschwelle des § 223 I StGB beeinträchtigt sein kann,136 bleibt hier auch kein Raum für eine (noch) einschränkendere Tatbestandsauslegung. Daher ist – auch auf Grundlage einer restriktiven Tatbestandsauslegung – die ohne wirksame Einwilligung durchgeführte Beschneidung nicht von vornherein aus dem Tatbestand des § 223 I StGB herauszunehmen.137

IV. Die Knabenbeschneidung und der Streit um den ärztlichen Heileingriff Zur Abklärung der grundsätzlichen strafrechtlichen Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung gehört auch die Frage, ob diese einen ärztlichen Heileingriff darstellt. Denn die (straf-)rechtliche Beurteilung des ärztlichen Heil133 Auch wenn man die körperbezogene Selbstbestimmung als Rechtsgut begreift, wird diese stets durch den Bestandsschutz der §§ 223 ff. StGB abgesichert, solange – wie in der hier zugrunde liegenden Fallkonstellation – keine wirksame Einwilligung des Rechtsgutsträgers oder seiner Vertreter gegeben ist. Hierzu Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f., sowie ausführlich unten D.II.2.c). 134 Vgl. zu dem Ganzen oben C.III.2.b). 135 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122, sowie oben C.II.1.a)aa). Vgl. allgemein hierzu Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 180. 136 Vgl. Abschn. C, Fn. 133. 137 Ebenso Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 122. An dieser Stelle bestätigt sich, dass eine restriktive, rechtsgutsorientierte Tatbestandsauslegung im Vergleich zur Sozialadäquanz die bessere Lösung ist: Mit Blick auf das Rechtsgut kann nämlich ohne Weiteres erklärt werden, warum (relative) Geringfügigkeiten zum Teil den Tatbestand erfüllen (so etwa i. R. d. § 223 I StGB), zum Teil aber als tatbestandslos anzusehen sind (so etwa i. R. d. §§ 331 ff. StGB), ohne dabei Gefahr zu laufen, auch nicht nur unerhebliche Eingriffe von vornherein aus dem Tatbestand des § 223 I StGB herauszunehmen und damit die Grundsätze von Einwilligung und stellvertretender Einwilligung, die dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsgutsträgers dienen, auszuhebeln. Vgl. hierzu Roxin, in: FS Klug, 303, 313; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 41.

IV. Knabenbeschneidung und der Streit um den ärztlichen Heileingriff

75

eingriffs ist insofern umstritten, als von einem Teil der Literatur dessen Tatbestandsmäßigkeit i. S. d. § 223 I StGB von vornherein verneint wird.138 1. Die strafrechtliche Problematik ärztlicher Heileingriffe Die zentrale Problematik bei der strafrechtlichen Beurteilung ärztlicher Heileingriffe liegt in der Frage, ob diese überhaupt tabestandsmäßig i. S. d. § 223 I StGB sind. Dies wird seit der berühmten Entscheidung des Reichsgerichts im Jahre 1894139 aufs Heftigste diskutiert. Dabei hat sich der Streit im Laufe der Zeit durch immer feinere Einzelheiten und detailreiche Lösungsansätze zu solch einem Meinungsspektrum entwickelt, dass er heute kaum mehr in umfassender Weise überblickt werden kann.140 Im Wesentlichen werden die nachfolgend dargestellten Positionen vertreten: a) Keine Tatbestandserfüllung i. S. d. § 223 I StGB Die Ansicht, dass der ärztliche Heileingriff nicht den Körperverletzungstatbestand erfülle, basiert auf der von Engisch141 entwickelten Lehre, die nicht allein auf die objektive, sondern auch auf die subjektive Seite, nämlich auf den sozialen Sinngehalt des ärztlichen Heileingriffs in Form einer „Körperinteressenverletzung“ abstellte.142 Daran anschließend wird heute vertreten, dass ein heilender Eingriff keine Körperverletzung bzw. keine Gesundheitsschädigung sein könne, weshalb die Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffs i. S. d. § 223 I StGB abzulehnen sei.143 Dies wird an weitere Voraussetzungen geknüpft, wobei insbesondere zwei Ansätze zu unterscheiden sind: 138

Vgl. Abschn. C, Fn. 145 und 148. RGSt 25, 375, 381. Hierbei handelte es sich außerdem um einen Fall der – nicht erteilen – elterlichen bzw. väterlichen Einwilligung. 140 Überblick über den Meinungsstand: Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 23 ff.; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113 ff.; MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 44 ff.; Joecks, StGB, Vor § 223, Rn. 11 ff.; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 29 f.; Fischer, StGB, § 223, Rn. 16 ff.; SSW/StGB-Momsen, § 223, Rn. 26 ff.; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 56 ff.; Ulsenheimer, in: HdA, § 138, Rn. 1 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 56; Sommer/Tsambikakis, in: HB MedR, § 2, Rn. 19 ff.; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 323 ff.; Hirsch, in: GS Zipf, 353; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 13 ff.; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 223, Rn. 5 und 7. Ein schöner geschichtlicher Überblick über den Streit findet sich bei Bockelmann, ZStW 93 (1981), 105. 141 Engisch, ZStW 58 (1939), 1 ff. 142 Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 5. 143 Bockelmann, in: Ponsold, 1, 30 ff.; Bockelmann, JZ 1962, 525, 527; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 372 ff. Vgl. auch Welzel, Strafrecht, § 39 I.3.a: Die ärztliche Heilbehandlung sei weder eine Gesundheitsschädigung noch eine körperliche Misshandlung: „ersteres nicht, weil sie die Gesundheit wiederherstellt, letzteres nicht, weil die kunstgerechte Heilbehandlung keine ,üble, unangemessene Behandlung des Körpers‘ ist.“ Vgl. hierzu Krauß, in: FS Bockelmann, 557, 559 ff. m.w. N. 139

76

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

Die sog. „Erfolgstheorie“ verneint die Tatbestandsmäßigkeit des indizierten, lege artis durchgeführten144 und gelungenen ärztlichen Heileingriffs:145 Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen soll der Eingriff unabhängig von einer Aufklärung durch den Arzt oder der Einwilligung des Patienten nicht tatbestandsmäßig i. S. d. § 223 I StGB sein.146 Demgegenüber knüpft die sog. „Handlungstheorie“ an die Ausführung des Eingriffs an:147 Wurde der indizierte ärztliche Eingriff lege artis, also kunstgerecht ausgeführt und von einer Heilungstendenz des Arztes getragen, so könne selbst dann nicht von einer Körperverletzung gesprochen werden, wenn der Eingriff misslungen sei.148 Für die Beurteilung des ärztlichen Heileingriffs kommt es nach dieser Auffassung allein auf den Zeitpunkt der Ausführung an, die Folgen des Eingriffs werden nicht berücksichtigt. Ebenso wenig spielen die Aufklärung durch den Arzt oder die Einwilligung durch den Patienten eine Rolle.149 b) Tatbestandserfüllung i. S. d. § 223 I StGB Anders sehen es die Rechtsprechung150 sowie Teile der Literatur,151 die jede ärztliche körperbezogene Maßnahme,152 die die Schwelle der fehlenden Uner144 Teilweise wird im Rahmen dieser Theorie die Einhaltung der lex artis gar nicht für erforderlich gehalten, vgl. Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 372 f. 145 So Mezger, Strafrecht, S. 243 f.; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 372 f.; Hardwig, GA 1965, 161, 163; Bockelmann, in: Ponsold, 1, 30 ff.; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 62 ff.; Welzel, Strafrecht, § 39 I.3.a; Niese, in: FS Eb. Schmidt, 364, 367; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 8, Rn. 24. Im Einzelnen ist weiter umstritten, ob der Eingriff eine Gesundheitsverbesserung zur Folge haben muss (so z. B. Bockelmann, Strafrecht des Arztes S. 67 f.) oder ob eine Gesundheitserhaltung durch den Eingriff genügt (so Hardwig, GA 1965, 161, 163). 146 Während sich viele Vertreter dieser Auffassung immer noch an die Entwicklung von Engisch anlehnen, nach der Rechtsgut des § 223 StGB das Interesse einer Person an seiner körperlichen Integrität ist (vgl. Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 5), wird teilweise auch auf eine saldierende Gesamtbetrachtung des Geschehens abgestellt, vgl. Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 66 f. 147 Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 77 ff., begründet dieses Ergebnis über die Konstruktion eines unechten Unterlassungsdelikts. Bockelmann, in: Niederschriften, S. 191 (er verneint die Tatbestandsmäßigkeit sowohl des gelungenen ärztlichen Heileingriffs als auch des indizierten und kunstgerecht durchgeführten Heileingriffs) und Gallas, in: Niederschriften, S. 197, kommen zu demselben Ergebnis über die Verneinung einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte. Ebenso Welzel, Strafrecht, § 39 I.3.a. Gegen diese Auffassung schon Hardwig, GA 1965, 161. 148 Engisch, ZStW 58 (1939), 1, 9; Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 69 ff.; Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 21; Welzel, Strafrecht, § 39 I.3.a. Gegen diese Auffassung schon Hardwig, GA 1965, 161. 149 Vgl. zu dem Ganzen Abschn. C, Fn. 147 und 148. 150 Im Anschluss an RGSt 25, 375 ff. etwa BGHSt 11, 111, 112; 16, 309; 35, 246, 249; 43, 306, 308; 45, 219, 221; BGH, NJW 1978, 1206; NStZ 1996, 34; NJW 2011, 1088, 1089; LG Köln, NJW 2012, 2128. So i. E. auch die zivilrechtliche h. M.: BGHZ 29, 46, 49 ff.; BGH, NJW 1956, 1106; 1971, 1887; 1978, 1690.

IV. Knabenbeschneidung und der Streit um den ärztlichen Heileingriff

77

heblichkeit des § 223 I StGB überschreitet und in die nicht wirksam eingewilligt wurde,153 als tatbestandsmäßige Körperverletzung qualifizieren. Dabei werden auch differenzierende Ansätze vertreten. So wird etwa vorgeschlagen, dass nur Gesundheitsverschlechterungen sowie Substanzeingriffe dem Tatbestand des § 223 StGB unterfallen sollen, während bei indizierten Maßnahmen ohne wesentliche Substanzveränderungen der Körperverletzungstatbestand nicht erfüllt sein soll.154 2. Die Beschneidung als ärztlicher Heileingriff? Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die religiös motivierte Knabenbeschneidung einen ärztlichen Heileingriff in dem Sinne darstellt, dass die grundsätzliche Erfüllung des Körperverletzungstatbestands unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren wäre. a) Die Indikation als zentrales Definitionskriterium des ärztlichen Heileingriffs Wenn auch die übrigen Definitionskriterien des ärztlichen Heileingriffs umstritten sind, ist man sich über die medizinische Indikation155 als dessen zentrale Voraussetzung weitgehend einig:156 Nur bei indiziertem ärztlichen Handeln wird 151 Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 23; Schroth, Strafrecht BT, S. 93; Fischer, StGB, § 223, Rn. 17; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 329; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 27; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 56 ff., 62; SK-Horn/Wolters, § 223, Rn. 33; HK/GS-Dölling, § 223, Rn. 9; Rengier, Strafrecht BT II, § 13, Rn. 17; Arzt/Weber/Heinrich u. a., Strafrecht BT, § 6, Rn. 99 f.; Hardtung, JuS 2008, 864, 868; Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 532; Rengier, in: 50 Jahre BGH, 467, 477; Schreiber, in: 50 Jahre BGH, 503, 506; Schwalm, in: FS Bockelmann, 539 ff.; Sternberg-Lieben, in: FS Amelung, 325, 327 f. und 351; Kargl, GA 2001, 538, 553; Baumann, NJW 1958, 2092 ff. Die Literaturmeinungen, die der Rechtsprechung zustimmen, sehen meist von § 223 StGB nicht allein die körperliche Unversehrtheit, sondern vielmehr das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht als geschützt an. Vgl. hierzu Ulsenheimer, in: HdA, § 138, Rn. 11 m.w. N. 152 Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Eingriff von einem Arzt durchgeführt wurde oder nicht, ob er lege artis durchgeführt wurde oder nicht bzw. ob er indiziert war oder nicht, vgl. MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 45. 153 Nach der Rechtsprechung sowie Teilen der Literatur handelt es sich bei der Einwilligung um einen Rechtfertigungsgrund, sodass es für die Erfüllung des Tatbestands nicht auf das Fehlen einer wirksamen Einwilligung ankommt. Vgl. hierzu ausführlich unten D.II. 154 Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 31 ff. Dieser Ansatz geht wohl auf Schröder, NJW 1961, 951, zurück. 155 Von lat. indicare, anzeigen. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „indiziert“. 156 Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 34 und 50; Kern, in: HdA, § 49, Rn. 5; Fischer, StGB, § 223, Rn. 19; vgl. etwa BGHSt 12, 379; BGH, JR 1978, 518; NJW 1978, 1206; NStZ 1981, 351; in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1972, 335 f.

78

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

dessen Tatbestandsmäßigkeit i. S. d. § 223 I StGB diskutiert. Dagegen unterfallen nicht indizierte Eingriffe nach allen Ansichten den Körperverletzungsdelikten, sodass in diesen Fällen der oben dargestellte Streit keine Relevanz hat.157 Weniger klar ist allerdings die genaue Definition der medizinischen Indikation:158 Aus ärztlicher Sicht wird sie als Heilanzeige im Sinne einer hinreichenden Rechtfertigung der Anwendung eines bestimmten klinischen Verfahrens verstanden.159 Ihr liegt eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung seitens des Arztes in Bezug auf den individuellen Patienten und die konkreten Gegebenheiten zugrunde.160 Aus rechtlicher Sicht soll die Indikation von ärztlichen Eingriffen gegeben sein, wenn sie „nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zwecke erforderlich sind und vorgenommen werden, Krankheiten oder Leiden zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“.161 Durch diese Definition wird zwar der Kernbereich medizinischer Indikation deutlich, die Grenzen derselben bleiben aber weitgehend ungeklärt, was dazu führt, dass etwa im Bereich vorbeugender Maßnahmen oder der ästhetischen Chirurgie eine Abgrenzung von indiziertem und nicht indiziertem ärztlichen Handeln oft nur schwer möglich ist:162 Welche Faktoren sollen darüber entscheiden, ob eine prophylaktische Impfung eine indizierte Maßnahme darstellt? Kann eine Nasenkorrektur aufgrund psychischer Probleme des Patienten indiziert sein? Wie ist die Indikation im Falle des Anlegens abstehender Ohren bei einem Minderjährigen zu beurteilen? Diese Liste an Grenzbereichen medizinischer Indikation kann beliebig erweitert werden, wozu nicht zuletzt die sich stetig entwickelnden und immer weiterreichenden Möglichkeiten der modernen Medizin beitragen. Letztlich machen diese Zweifelsfragen stets eine Einzelfallentscheidung erforderlich, die in der 157 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 38 ff.; Sternberg-Lieben, in: FS Amelung, 325, 326 f. 158 Vgl. hierzu Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 31 ff.; Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 393 ff.; Kern, in: HdA, § 49, Rn. 1 ff. 159 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Indikation“; vgl. Lanzerath, in: Charbonnier/Dörner/Simon, 35. 160 Vgl. Kern, in: HdA, § 49, Rn. 1; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 34; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 346; Neitzke, in: Charbonnier/Dörner/Simon, 53. 161 So die Definition in § 161 E-StGB 1960. Ähnlich, aber weitreichender die Definition in § 161 E-StGB 1962. An diese Definitionen schließt die überwiegende Meinung in der Literatur an, vgl. etwa Ulsenheimer, in: HdA, § 138, Rn. 6; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 34; Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 370. 162 Hierzu Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 395 ff.; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 40 ff.

IV. Knabenbeschneidung und der Streit um den ärztlichen Heileingriff

79

Kompetenz der Gerichte liegt.163 Eine verbindliche Klärung der Grenzbereiche medizinischer Indikation wird dabei kaum möglich sein.164 Dies macht aus rechtlicher Warte betrachtet deutlich, wie bedenklich es ist, an den vermeintlich klaren Begriff der medizinischen Indikation ohne Weiteres rechtliche Konsequenzen – etwa die Tatbestandslosigkeit der ärztlichen Maßnahme – zu knüpfen.165 b) Indikation der religiös motivierten Knabenbeschneidung? Wird die Beschneidung allein aus religiösen Gründen vorgenommen, so kann sie in der Regel nicht als indizierte Maßnahme und damit auch nicht als ärztlicher Heileingriff qualifiziert werden.166 Denn auch wenn man ihre möglichen, umstrittenen Vorteile167 als gegeben annimmt, so ist die Zirkumzision – jedenfalls für Deutschland gesprochen – nicht zur Verhütung der Krankheiten erforderlich, bezüglich derer ihr eine vorbeugende Wirkung zugesprochen wird. Mindestens in den Grenzbereich der Indikation einer Beschneidung gelangt man jedoch schon dann, wenn bei dem Jungen eine Phimose168 vorhanden ist. Die medizinisch umstrittenen Fragen, ab welchem Alter eine Phimose nicht mehr auf physiologische Ursachen zurückzuführen, sondern behandlungsbedürftig ist und ob sie tatsächlich eine Zirkumzision notwendig macht,169 zeigen nochmals die vorhandenen Abgrenzungsschwierigkeiten in den Grenzbereichen medizinischer Indikation auf. Darüber hinaus verdeutlichen sie erneut, dass es bedenklich ist, rechtliche Bewertungen an vermeintlich klaren medizinischen Begriffen wie der Indikation festzumachen.170 Im Ergebnis ist auch hier eine Einzelfallbeurteilung notwendig. Diese und andere Konstellationen, in denen eine medizinische Indikation der Zirkumzision wegen einer zugrunde liegenden Krankheit gegeben ist,171 betreffen in der Regel gerade nicht die religiös motivierte Knabenbeschneidung. Zwar kann nicht behauptet werden, dass jede Beschneidung aus religiösen Gründen

163

Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 397. Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 397; vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 40 ff. 165 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 118 mit Fn. 14. 166 Ebenso LG Köln, NJW 2012, 2128; vgl. Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 151 f.; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 693; Putzke, MedR 2008, 268, 271; Herzberg, JZ 2009, 332, 334; Exner, Sozialadäquanz, S. 30 f. 167 Vgl. hierzu oben B.III.2.a). 168 Verengung der Penisvorhaut, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Phimose“. 169 Vgl. hierzu einerseits Ringert/Zöller, in: Jocham/Miller, 466, 471, andererseits Bonfig/Riedmiller, in: Speer/Gahr, 709, 710, sowie oben Abschn. B, Fn. 86. 170 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 118 mit Fn. 14. 171 Vgl. oben B.III.1. 164

80

C. Die strafrechtliche Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung

ohne (gleichzeitige) medizinische Indikation vorgenommen wird. Das Vorhandensein einer medizinischen Indikation bei dem religiösen Ritual ist aber eher die Ausnahme. Dies bedeutet, dass im Regelfall der religiös motivierten Knabenbeschneidung als medizinisch nicht indiziertem Eingriff die Kontroverse um die rechtliche Beurteilung der ärztlichen Heilbehandlung gerade keine Rolle spielt. Daher wird im Folgenden auf eine weitere Darstellung und Diskussion dieses Streits verzichtet.

V. Ergebnis Die religiös motivierte Knabenbeschneidung hat insofern strafrechtliche Relevanz, als sie grundsätzlich dem Tatbestand des § 223 I StGB unterfällt. Soweit das für den Eingriff verwendete chirurgische Instrument nicht kunstgerecht eingesetzt wird, ist außerdem der Tatbestand des § 224 I Nr. 2 StGB verwirklicht. Zur Beurteilung tatbestandsmäßigen Verhaltens stellt die Lehre von der Sozialadäquanz keine taugliche Grundlage dar; ihr sind die exakteren Instrumente der objektiven Zurechnung sowie der restriktiven Tatbestandsauslegung vorzuziehen.172 Beurteilt man die Knabenbeschneidung auf dieser Grundlage, fällt sie nicht von vornherein aus dem Tatbestand des § 223 I StGB heraus. Da die religiös motivierte Beschneidung im Regelfall keine medizinisch indizierte Maßnahme darstellt, bedarf es diesbezüglich keiner Erörterung des Streits um die strafrechtliche Beurteilung ärztlicher Heileingriffe.

172

Vgl. hierzu C.III.2.b).

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung Legitimationsgründe der Beschneidung, die als körperlicher Eingriff grundsätzlich den Tatbestand des § 223 I StGB erfüllt, können vor allem die Einwilligung des einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgers einerseits sowie die stellvertretende Einwilligung für den nicht Einwilligungsfähigen andererseits sein. Zentral bei der religiös motivierten Knabenbeschneidung ist dabei freilich die elterliche stellvertretende Einwilligung für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen. Ausgangspunkt für eine Annäherung an dieses Institut der elterlichen stellvertretenden Einwilligung sind die Dogmatik, Systematik und Voraussetzungen der Einwilligung im klassischen Sinne, auf die im Folgenden ein Blick geworfen wird. Denn nur wenn klar ist, auf welchen Grundstrukturen die Einwilligung fußt und von welchen Voraussetzungen ihre Wirksamkeit abhängt, kann ein Modell zur stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht entwickelt werden.

I. Grundlagen 1. Zugrunde liegende Fallkonstellationen Zur Erarbeitung von Dogmatik und Systematik der Einwilligung wird im Folgenden davon ausgegangen, dass ein einwilligungsfähiger Erwachsener oder Minderjähriger in seine eigene Beschneidung einwilligt. Dabei soll zunächst angenommen werden, dass ein Arzt die Zirkumzision lege artis und unter sterilen Bedingungen durchführt. Im Rahmen der konkreten Voraussetzungen der Einwilligung werden an jeweils geeigneter Stelle auch die Fallkonstellationen besprochen, in denen der Eingriff nicht lege artis erfolgt bzw. nicht von einem approbierten Arzt, sondern von einem traditioneller Beschneider vorgenommen wird. Dogmatik und Systematik der Einwilligung hängen dabei mit dem Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zusammen. Soweit auf dieses eingegangen wird, liegt den Ausführungen nicht der gerade angesprochene Fall einer Zirkumzision beim Einwilligungsfähigen, sondern der Fall einer Beschneidung beim einwilligungsunfähigen Minderjährigen – insbesondere beim Säugling – zugrunde. Denn anhand dieser Konstellation lassen sich die Streitpunkte bezüglich des Rechtsgutsverständnisses i. S. d. § 223 StGB besonders gut erörtern.

82

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

2. Das Einwilligungserfordernis i. R. d. Körperverletzungsdelikte Da es sich beim Rechtsgut des § 223 StGB um ein grundsätzlich disponibles Individualrechtsgut handelt,1 kann der Träger desselben durch die Einwilligung in die Körperverletzung, die sich sowohl auf die tatbestandsmäßige Handlung als auch auf den ebenfalls zum Tatbestand gehörenden Erfolg beziehen muss,2 Eingriffe in seine Körpersphäre ermöglichen. Insofern hat der Einwilligungsfähige die Kompetenz,3 den von einem Dritten an ihm vorgenommenen körperlichen Eingriff der Zirkumzision durch Einwilligung4 zu legitimieren.5 Das strafrechtliche Institut der Einwilligung ist auf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zurückzuführen.6 Im medizinischen Bereich spricht man diesbezüglich auch von Patientenautonomie. 7 Auf strafrechtlicher Ebene ist die grundsätzlich legitimierende Wirkung der Einwilligung jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt und für die Körperverletzung zum Teil in § 228 StGB geregelt.8 Die Einzelheiten dieses Instituts sind allerdings sehr umstritten.

1 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 38; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 36; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 372; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 10; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 81; Zipf, Einwilligung, S. 32. Vgl. auch unten D.IV.5. 2 Umstritten. Bejahend Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 78; LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 164; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 34; Fischer, StGB, § 228, Rn. 5; a. A. NK-Paeffgen, § 228, Rn. 12. Auswirkungen hat die Frage, ob sich die Einwilligung nur auf die gefährdende Handlung oder auch auf den tatbestandsmäßigen Erfolg beziehen muss, insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte, vgl. hierzu Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rn. 108. 3 Die für die wirksame Einwilligung erforderliche Autonomie ist als Kompetenzzuschreibung zu verstehen, Schroth, in: FS Volk, 719, 720 f.; vgl. Schroth, in: Schroth/ Schneewind u. a., 79, 82 f. und 89 ff. 4 Da § 223 StGB rein von seinem Wortlaut her kein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsträgers verlangt, kommt ein Einverständnis im herkömmlichen Sinne von vornherein nicht in Betracht, vgl. etwa Kargl, JZ 2002, 389, 391 f. 5 Vgl. Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79 f. 6 Vgl. nur Schroth, in: FS Hassemer, 787, 792; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Amelung, Grundrechtsgut, S. 29; Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 505; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 17 ff.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74; Fischer, in: FS Deutsch, 545; Fischer, StGB, § 228, Rn. 2; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33; SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 31; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 3 und 6 m.w. N.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 II.3; Rönnau, Willensmängel, S. 1 ff.; LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 146; Diederichsen, in: FS Hirsch, 355; Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 124; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 1 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 20; Geißendörfer, Selbstbestimmung, S. 63 ff.; Kretschmer, NJW 2012, 177, 182. Vgl. genauer unten D.II.3. 7 Vgl. Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 85; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 15 f. 8 Vgl. etwa Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 1; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 1 f.; SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 31; Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 10.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

83

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB Die i. R. d. Einwilligung umstrittenen Aspekte hängen vielfach mit dem Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB zusammen, das insbesondere für die systematische Verortung der Einwilligung entscheidend ist.9 Als Grundlage weiterer systematischer und dogmatischer Ausführungen zur Einwilligung wird im Folgenden daher zunächst auf das Individualrechtsgutsverständnis i. R. d. Körperverletzungsdelikte eingegangen. Für die Klärung dieser Problematik kommt vor allem auch dem Fall der Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen große Bedeutung zu.10 1. Das Individualrechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB als dogmatische und systematische Grundlage der Einwilligung a) Der Zusammenhang von Dogmatik und Systematik der Einwilligung mit dem zugrunde gelegten Rechtsgutsverständnis Zwischen dem Grundverständnis von Individualrechtsgütern und der Dogmatik sowie Systematik der Einwilligung besteht ein wechselseitiger Zusammenhang:11 Definiert man Individualrechtsgüter abstrakt ohne Bezug zur Dispositionsfreiheit des Einzelnen, so spielt das Institut der Einwilligung als Ausdruck der Dispositionsfreiheit nicht schon für die Verletzung des geschützten Rechtsguts eine Rolle, sondern wird erst auf Ebene der Rechtfertigung relevant.12 Auf diesem Individualrechtsgutsverständnis gründet die traditionelle Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung als qualitativ verschiedene Arten der Zustimmung des Berechtigten,13 die 9

Hierzu sogleich; vgl. Abschn. D, Fn. 11. Vgl. unten D.II.2.c). 11 Die nachfolgenden Ausführungen folgen der eingängigen Herausarbeitung von Rönnau, Willensmängel, S. 29 f., S. 32 ff. und S. 49 ff.; vgl. LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 150 ff.; vgl. auch Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 130 ff. 12 Rönnau, Willensmängel, S. 29 f., S. 32 ff. und S. 49 ff. 13 Bei Straftatbeständen, die bereits im Tatbestand vom Begriff her ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Berechtigten erfordern, soll zur Legitimation ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Berechtigten genügen, während Tatbestände, die aufgrund ihrer Formulierung rein begrifflich keinen entgegenstehenden Willen des Berechtigten voraussetzen, nur durch eine rechtfertigende Einwilligung legitimiert werden könnten. Begründet von Geerds, Einwilligung; Geerds, GA 1954, 262 ff.; Geerds, ZStW 72 (1960), 42 ff. Diesem folgen etwa Fischer, StGB, Vor § 32, Rn. 3b; Sch/SchLenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33; Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 10; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 25; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 93 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.3; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Bichlmeier, JZ 1980, 53, 54; Otto, in: FS Geerds, 603, 613; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 365 ff.; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 655 ff.; Welzel, Strafrecht, § 14 VII.1; ebenso BGHSt 17, 359, 360. Vgl. auch die Darstellungen bei Kientzy, Mangel am Straf10

84

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

nicht nur eine verschiedene deliktsystematische Einordnung von Einverständnis und Einwilligung zur Folge hat, sondern auch zu einer Beurteilung deren Wirksamkeit anhand unterschiedlicher Kriterien führt.14 Mit der Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit geht gleichzeitig ein eher paternalistisches Grundverständnis von Individualrechtsgütern sowie der Einwilligung einher, da die Dispositionsfreiheit als ein dem abstrakt verstandenen Individualrechtsgut entgegengesetztes Interesse angesehen wird, was im Rahmen der Einwilligung eine Abwägung dieser beiden Interessen gegeneinander möglich macht.15 Wird die Dispositionsfreiheit demgegenüber als Teil des Individualrechtsguts verstanden und gleichsam in das Individualrechtsgut „integriert“,16 so ist die Einwilligung bereits als Tatbestandsausschlussgrund und nicht erst auf Ebene der Rechtfertigung relevant, da sie als Ausdruck der Dispositionsfreiheit von vornherein eine Rechtsgutsverletzung ausschließt.17 Auf Grundlage dieses Individualrechtsgutsverständnisses wird die herkömmliche Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung inklusive der daran anknüpfenden systematischen und dogmatischen Differenzierungen verworfen und die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Zustimmung des Berechtigten werden von der Struktur des jeweiligen Tatbestands abhängig gemacht.18 Die Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut baut auf einem eher liberal orientierten Grundverständnis von Rechtsgütern sowie der Einwilligung auf, da Individualrechtsgut und Dispositionsfreiheit aufgrund ihrer tatbestand, S. 20 ff.; Kindhäuser, in: FS Rudolphi, 135 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 2 f. 14 Zu den Konsequenzen dieser Unterscheidung bzgl. der unterschiedlichen Voraussetzungen von Einverständnis und Einwilligung Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 4 ff.; Schroth, in: FS Volk, 719, 721; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 125; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 88. 15 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 91 und S. 97; vgl. Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 28 ff.; Schroth, in: FS Volk, 719, 722. 16 Rönnau, Willensmängel, S. 49. 17 Klare Darstellung bei Rönnau, Willensmängel, S. 16 f. sowie S. 49 ff.; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 720 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 f.; Schünemann, GA 1985, 341, 347 ff.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 130 ff.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 87 ff.; Oswald, in: Grenzen des Paternalismus, 94, 96; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.; anders, trotz Integration der Dispositionsfreiheit ins Rechtsgut, Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 9, Rn. 7 ff.; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 43. Vgl. dazu auch Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 711. 18 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 11. Außerdem: Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 32 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 86 ff.; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 60 f.; Roxin, ZStW 84 (1972), 993, 1001 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 17, Rn. 32 ff.; Sax, JZ 1976, 9 ff.; Kühne, JZ 1979, 241 f.; Kindhäuser, in: FS Rudolphi, 135, 136; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 4 ff.; ausführliche Begründung bei Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 ff.; TPG-Schroth, § 19, Rn. 51; Schroth, in: FS Volk, 719, 721.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

85

Verknüpfung nicht als entgegenstehende Interessen gegeneinander abgewogen werden können.19 Dieser Zusammenhang macht deutlich, dass die Grundlage für Ausführungen zur Systematik und Dogmatik der Einwilligung im Individualrechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB liegt. b) Der Individualgüterschutz im Problemkreis der Rechtsgutstheorie Die Frage nach dem Inhalt des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte als Individualrechtsgut berührt die grundsätzliche und sehr umstrittene Frage nach dem Inhalt und den Funktionen von Rechtsgütern im Allgemeinen.20 Ein besonderer Streitpunkt liegt darin, ob den Rechtsgütern eine bloße „systemimmanente“ Funktion21 zur Auslegung der strafrechtlichen Normen zukommt oder ob sie auch eine „systemkritische“ Funktion22 zur Mitbestimmung der Strafwürdigkeit und Begrenzung des Handlungsspielraums des Gesetzgebers haben.23 Dabei wurzeln die unterschiedlichen Auffassungen zur Inhalts- und Funktionsbestimmung von Rechtsgütern im jeweils vertretenen staatstheoretischen Grundverständnis, auf dem die verschiedenen Ansichten basieren.24 Diese angesprochenen Thematiken können im Rahmen dieser Arbeit nicht annähernd erarbeitet werden. Anknüpfend an die hierzu wegweisenden Arbeiten25 liegt den folgenden Ausführungen zum Inhalt des Individualrechtsguts der Körperverletzungsdelikte der Gedanke zugrunde, dass sich Individualrechtsgüter grundsätzlich von der Person her ableiten. Grund hierfür ist in erster Linie Art. 1 19

Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 91 f. Vgl. zu diesem Streit etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 2 ff.; Appel, KritV 1999, 278, 282 f. m.w. N.; Rönnau, Willensmängel, S. 25 ff.; Hefendehl, in: Hefendehl/ Hirsch/Wohlers, 119, 137 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs: Suhr, JA 1990, 303, 304 f.; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24, 25 ff. 21 Diese Funktion von Rechtsgütern ist weitgehend anerkannt, vgl. etwa Amelung, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, 155, 156; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 4; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 966. 22 So Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 183 und S. 192 ff.; NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 113, 115; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 12; vgl. Roxin, in: FS Hassemer, 573 ff. Die „systemkritische“ Funktion von Rechtsgütern ist sehr umstritten. Kritisch Appel, KritV 1999, 278, 281 ff. Ablehnend etwa Amelung, in: Hefendehl/Hirsch/ Wohlers, 155, 159 ff.; Hirsch, in: FS Welzel, 775, 785. 23 Vgl. hierzu NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 113; Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 19 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 12 ff.; Rönnau, JuS 2009, 209, 211; Suhr, JA 1990, 303; Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, 65 ff.; SternbergLieben, Objektive Schranken, S. 350 ff.; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.II. 24 Hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 32 f. Eine gute Übersicht findet sich bei NKHassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 126 ff. 25 Hassemer, Theorie und Soziologie, insbesondere S. 98 ff. und S. 192 ff.; NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 108 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 7 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 25 ff. 20

86

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

I GG, der den Achtungsanspruch jedes einzelnen Individuums ins Zentrum der Rechtsordnung stellt.26 Damit wird davon ausgegangen, dass die Person im Zentrum des Individualrechtsgüterschutzes steht.27 c) Das (Individual-)Rechtsgut in Abgrenzung zum Handlungsobjekt Stellt man sich die Frage nach dem Individualrechtsgut der Körperverletzungsdelikte so macht dies zunächst eine Abgrenzung des Rechtsguts vom Handlungsobjekt eines Tatbestands erforderlich:28 Während das Handlungs- oder Angriffsobjekt den konkreten, realen Gegenstand darstellt, auf den der tatbestandsmäßige Angriff ausgeübt wird,29 bezeichnet das Rechtsgut denjenigen Wert, dessen Schutz vor Verletzung oder Gefährdung vom jeweiligen Tatbestand bezweckt wird.30 Das Rechtsgut steht also gleichsam hinter dem Handlungsobjekt und materialisiert sich in diesem.31 Dabei 26 Dreier-Dreier, Art. 1 I, Rn. 40; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1 und Rn. 25; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 231 f.; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 115; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 1; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 15 f.; Rönnau, Willensmängel, S. 67; Rönnau, Jura 2002, 595, 597. 27 Diesen Gedanken liegen die dualistischen Staatstheorien zugrunde, die zwischen dem Einzelnen zugeordneten Individualrechtsgütern und dem Staat oder der Gesellschaft zugeordneten Universalrechtsgütern unterscheiden. Zum selben Ergebnis kommen die monistisch-personalen Theorien, die die Person ins Zentrum des gesamten Rechtsgüterschutzes stellen und von ihren Interessen sämtliche Rechtsgüter ableiten. Anders wird dies aber von den monistisch-sozialen Theorien beurteilt, die den Staat bzw. die Gesellschaft als originären Rechtsgutsträger begreifen und auch Interessen des Individuums von Allgemeininteressen ableiten. Vgl. zu den verschiedenen Theorien Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 68 ff.; NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 126 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 32 f. Vorherrschend sind die dualistischen Staatstheorien, vgl. Roxin, JuS 1966, 377, 381 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 26 I.3.c.; Rengier, Strafrecht AT, § 3, Rn. 3; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2, Rn. 6; Rönnau, JuS 2009, 209, 211; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 52 ff.; s. auch Schünemann, GA 1995, 201, 217 ff. 28 Zurückgehend auf Schmidhäuser, in: FS Engisch, 433, 443 ff., der zwischen „Rechtsgut“ und „Rechtsgutsobjekt“ differenziert, wobei es sich bei letzterem Begriff nur um einen terminologischen Unterschied zu den hier verwendeten Begrifflichkeiten handelt. Vgl. etwa auch Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 3, Rn. 18; Kargl, GA 2001, 538, 550. Im Anschluss an Suhr, JA 1990, 303, grenzt Rönnau, Willensmängel, S. 30, „Rechtsgüter“ von „Rechtsgutsobjekten“ ab, die wiederum von „Handlungs-/Angriffsobjekten“ unterschieden werden. Unter den im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Begriff der „Handlungs-/Angriffsobjekte“ fallen sowohl die „Rechtsgutsobjekte“ als auch die „Angriffs-/Handlungsobjekte“, zwischen denen Rönnau differenziert, die allerdings i. R. d. § 223 StGB in eins fallen. 29 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 26 I.4. 30 Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 65; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2/31 f.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2, Rn. 7; Rengier, Strafrecht AT, § 3, Rn. 1; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 10; Rönnau, JuS 2009, 209, 210. 31 NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 121.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

87

können Handlungsobjekt und Rechtsgut sowohl differieren als auch formell oder inhaltlich oder in beiden Aspekten zusammenfallen.32 Zur Verdeutlichung der Unterscheidung zwischen diesen Begriffen sei § 242 StGB angeführt, wo eine „fremde bewegliche Sache“ das Handlungsobjekt darstellt, während „Eigentum“ und „Gewahrsam“ die geschützten Rechtsgüter sind.33 Für die folgenden Überlegungen ist diese Differenzierung insofern wichtig, als vom StGB nur die Verletzung von Rechtsgütern unter Strafe gestellt wird: Nach der herrschenden Meinung liegt die Aufgabe des Strafrechts im subsidiären Rechtsgüterschutz.34 Es ist gedanklich also zu unterscheiden zwischen der Verletzung des Handlungsobjekts, das im Tatbestand umschrieben wird, und der Verletzung des dahinter stehenden Rechtsguts.35 In Bezug auf § 223 StGB wird die körperliche Integrität bzw. Gesundheit eines anderen Menschen relativ einmütig als Angriffsobjekt angesehen,36 während das von den Körperverletzungsdelikten geschützte Rechtsgut sehr umstritten ist. 2. Das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Um also die Grundlage für weitere systematische und dogmatische Ausführungen zur Einwilligung in § 223 StGB zu legen, wird im Folgenden das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte besprochen. a) Die unterschiedlichen Modelle von Individualrechtsgütern Die Prämisse, dass die Person im Zentrum des Individualgüterschutzes steht, beantwortet für sich genommen nicht die Frage, wie der konkrete Inhalt von Individualrechtsgütern zu definieren ist.37 Zur Definition von Individualrechts32 Hefendehl, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, 119, 120; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 65. 33 Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 65. 34 Vgl. nur Roxin, JuS 1966, 377, 382; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 1 und Rn. 97; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27 ff.; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 114 f.; Schünemann, GA 1995, 201, 218; NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 108 ff. m.w. N.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 102; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 7, Rn. 4 f. m.w. N.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2, Rn. 6; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 16 ff.; Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 3, Rn. 10; Suhr, JA 1990, 303; Rengier, Strafrecht AT, § 3, Rn. 1 und 5 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 6 und 9; Rönnau, Willensmängel, S. 22; Rönnau, JuS 2009, 209. 35 Vgl. Schmidhäuser, in: FS Geerds, 593, 596 f.; Schmidhäuser, in: FS Engisch, 433, 444. 36 Vgl. nur Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 1, § 8, Rn. 6; Kühl, StGB, § 223, Rn. 1; vgl. hierzu auch Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 118. 37 Rönnau, Willensmängel, S. 51 f.

88

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

gütern gibt es im Wesentlichen zwei grundsätzliche Modelle, innerhalb welcher wiederum unterschiedliche, in den Einzelheiten voneinander abweichende Ansätze existieren: Einerseits wird die Dispositionsfreiheit getrennt vom Individualrechtsgut betrachtet, andererseits werden Individualrechtsgut und Dispositionsfreiheit38 als eine Einheit angesehen.39 aa) Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit (paternalistisches Modell) Auf Grundlage einer paternalistisch orientierten Rechtsguts- und Einwilligungstheorie40 werden Individualrechtsgüter zwar zum Schutz der freien Entfaltung des Einzelnen, jedoch zunächst unabhängig von dessen Dispositionsfreiheit – also abstrakt – konzipiert.41 Man bezeichnet das (Individual-)Rechtsgut dann etwa als „rechtlich geschützte[n] abstrakte[n] Wert der Sozialordnung“.42 Im Rahmen des § 223 StGB wären danach allein die körperliche Unversehrtheit sowie die Gesundheit des Menschen unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers das zu schützende Rechtsgut.43 bb) Einheit von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit (liberales Modell) Im Sinne einer liberalen Rechtsguts- und Einwilligungstheorie44 werden Individualrechtsgüter teilweise in konkreter Weise zum Schutz der Person konzipiert, indem die Dispositionsfreiheit45 des Einzelnen – je nach Ansatz mit unterschied38

Zur exakten Begriffsbestimmung der „Dispositionsfreiheit“ vgl. unten D.II.2.c)aa). Nach Rönnau, Willensmängel, S. 49 ff. 40 Hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 91 und S. 97. 41 So etwa Otto, in: FS Geerds, 603, 610 ff. m.w. N.; vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 51; vgl. Kargl, GA 2001, 538, 395. 42 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 26.I.2; vgl. SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 34. 43 So etwa Hruschka, in: FS Dreher, 189, 197 ff.; Otto, in: FS Geerds, 603, 611 f.; Otto, Jura 2004, 679 f.; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 959 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.3.; Amelung, Grundrechtsgut, S. 28; Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 505 f.; Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 25 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 f.; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 93 ff.; Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 57; MK-StGB-Joecks, Vor §§ 223 ff., Rn. 4 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 22 f.; Kühl, StGB, § 223, Rn. 1; SSW/StGB-Momsen, § 223, Rn. 2; v. Heintschel-HeineggEschelbach, § 223, Rn. 1; NK-Paeffgen, § 223, Rn. 2 und § 228, Rn. 8; Fischer, StGB, § 223, Rn. 2; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 29 f. m.w. N.; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 1; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 361 ff.; GMedR-Gaidzik, §§ 223–229, Rn. 1; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 683; BGHSt 17, 359, 360. 44 Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 91 f. 45 Es werden hier unterschiedliche Terminologien verwendet, so soll das „Selbstbestimmungsrecht“ (so etwa Schroth, in: FS Hassemer, 787 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 28 ff.), die „Verfügungsbefugnis“ (so etwa Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 68) 39

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

89

licher Gewichtung verschiedener Elemente46 – als Bestandteil des Rechtsguts betrachtet wird.47 (Individual-)Rechtsgüter sind danach etwa „Gegebenheiten oder Zwecksetzungen [. . .], die für die freie Entfaltung des Einzelnen [. . .] notwendig sind“.48 Für die Körperverletzungsdelikte gesprochen schützen diese hiernach nicht die körperliche Unversehrtheit bzw. Gesundheit als abstrakten Wert, sondern bezogen auf den konkreten Rechtsgutsträger. Eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung i. S. d. § 223 I StGB wird nur dann verwirklicht, wenn die Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit ohne oder gegen den Willen des Rechtsgutsträgers geschieht.49 cc) Das Basismodell Viele der zum Rechtsgutsverständnis vertretenen Ansätze lassen sich einem der beiden oben beschriebenen Modelle zuordnen. Darüber hinaus existieren weitere Ansätze, denen keines der beiden zentralen Modelle zugrunde liegt, sondern die einen Mittelweg beschreiten. Beispielhaft hierfür sei das Basismodell von Rönnau50 vorgestellt, das dem liberalen näher als dem paternalistischen Modell steht,51 dabei aber einen Kompromiss vorschlägt:

oder etwa auch der „Wille“ (so etwa Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 43) Teil des Rechtsguts sein. Allein aus diesen unterschiedlichen Terminologien ergibt sich aber nicht, dass es sich auch um unterschiedliche Ansätze handelt, vgl. dazu Rönnau, Willensmängel, S. 61 f. Zur Differenzierung zwischen den Ansätzen kommt es nicht auf begriffliche, sondern auf Unterschiede in der Sache an. Vgl. zur Begriffsabgrenzung im Rahmen dieser Arbeit auch unten D.II.2.c)aa). 46 Vgl. zur genauen Definition der „Dispositionsfreiheit“ unten D.II.2.c)aa)(2). 47 So etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 121; Arzt, Willensmängel, S. 42; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 102 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 87; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/123, 8/130, 8/137; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 60 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 17, Rn. 35; Zipf, Einwilligung, S. 31; Kühne, JZ 1979, 241, 242; SK-Horn/Wolters, § 228, Rn. 2; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 68; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 115 ff. und S. 127; FatehMoghadam, Lebendorganspende, S. 87 f. und S. 132; in Bezug auf Eigentumsdelikte Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 92; Kretschmer, NJW 2012, 177, 182; ähnlich Jakobs, Strafrecht AT, 7/111 ff.; ähnlich, aber dennoch die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund einordnend Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 9, Rn. 6 ff.; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 43; vgl. die Darstellung bei Rönnau, Willensmängel, S. 51. 48 Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 7; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 721; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 125; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 88 f. 49 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 71; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 93. 50 Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff.; Rönnau, Jura 2002, 595, 598; vgl. LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 156 ff. 51 So Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 17, der im Basismodell nur eine Variante des liberalen Modells sieht. Vgl. zum Unterschied zu diesem Modell allerdings Abschn. D, Fn. 155.

90

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Zur Bestimmung der (Individual-)Rechtsgüter wird ein „dem einzelnen zugeordneter Gegenstand, der als Basis für personale Entfaltung dient“,52 ins Zentrum des Rechtsgüterschutzes gestellt. Dabei werden die Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung nicht in abstrakter Hinsicht, sondern zu dem Zweck geschützt, dem konkreten Individuum die mit dem Gegenstand verbundenen Handlungsmöglichkeiten zu garantieren.53 Die Dispositionsbefugnis ist danach zwar nicht Teil des Rechtsguts, weil aber auf die Handlungsmöglichkeiten des konkreten Individuums abstellt wird, soll der Wille des Einzelnen auf Ebene des Tatbestands immer dann eine Rolle spielen, wenn er konkret zur Freiheitsausübung eingesetzt, also in die Handlung eines Dritten eingewilligt wird. Denn dadurch realisiere sich der Schutzzweck der Tatbestände, sodass das Interesse am Schutz der Handlungsmöglichkeiten entfalle.54 b) Diskussion der unterschiedlichen Modelle in Bezug auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Der wesentliche Streitpunkt zwischen den beiden zentralen Modellen zur Individualrechtsgutsbestimmung sowie auch der weiteren Ansätze, die sich keinem der beiden entgegengesetzten Modelle zuordnen lassen, betrifft die Frage, ob die Dispositionsfreiheit Teil des geschützten Individualrechtsguts ist. Dieser entscheidende Aspekt wird im Folgenden in Bezug auf die Körperverletzungsdelikte diskutiert, ohne dass vorerst die innerhalb des jeweiligen Modells vertretenden einzelnen Ansätze dargestellt werden.55 Dabei wird sich zeigen, dass die Dispositionsfreiheit des Einzelnen Teil des von § 223 StGB geschützten Individualrechtsguts ist. Erst im Anschluss daran soll am Beispiel des körperlichen Eingriffs der Knabenbeschneidung genauer ausgeführt werden, was unter der ins Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu integrierenden Dispositionsfreiheit zu verstehen ist und wie sich entsprechend eine Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB im Detail begründet. aa) Die zentrale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts (1) Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut Für eine Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut – und damit gegen einen Schutz der körperlichen Unversehrtheit unabhängig von der 52

Rönnau, Willensmängel, S. 85. Rönnau, Willensmängel, S. 90. 54 Rönnau, Willensmängel, S. 91 f. 55 Dabei wird nicht auf sämtliche, kaum noch zu überblickende Details des Streits um das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte eingegangen. Vielmehr werden die zentralen vertretenen Argumente dargestellt und diskutiert. 53

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

91

Dispositionsfreiheit des Einzelnen – spricht die zentrale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts, die sich aus dem Menschenbild des Grundgesetzes ergibt56 und im Medizinstrafrecht durch die Respektierung der Patientenautonomie umgesetzt wird:57 Der Mensch steht mit seinem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Selbstentfaltung im Zentrum des Individualgüterschutzes.58 Dieser zentralen Bedeutung kann man nur durch die Integration der Dispositionsbefugnis in die Individualrechtsgüter vollends gerecht werden.59 Ein Schutz der körperlichen Unversehrtheit als Individualrechtsgut „um ihrer selbst Willen“ 60 bzw. als „Lebens[gut] der Gemeinschaft“ 61 würde hingegen das Wesen von Individualrechtsgütern nicht angemessen beschreiben:62 Die körperliche Unversehrtheit ist nur als Wert des Einzelnen strafrechtlich geschützt und darf daher auch nur in Bezug auf den Einzelnen,63 niemals jedoch in abstrakter Weise, diesen Schutz erfahren. Darüber hinaus bestünde bei einem solchen, vom Einzelnen unabhängigen Individualrechtsgutsverständnis die Gefahr der staatlichen Bevormundung: Versteht man Individualrechtsgüter als Werte an sich oder gar als staatliche Werte, so lassen sich vor solch einem Hintergrund Eingriffe in die Selbstbestimmung des Einzelnen durch Einwilligungsschranken relativ leicht rechtfertigen – Einwilligungsmöglichkeiten des Einzelnen könnten damit in großem Maße begrenzt werden.64 56 Vgl. schon Abschn. D, Fn. 26. Art. 1 I GG stellt den Achtungsanspruch jedes einzelnen Individuums ins Zentrum der Rechtsordnung, vgl. Dreier-Dreier, Art. 1 I, Rn. 40; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1 und 25; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 231 f.; vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 67. 57 Vgl. auch Taupitz, in: 50 Jahre BGH, 497, 502; vgl. Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 121; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79 f. 58 Individualrechtsgüter dienen der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, Schroth, in: FS Volk, 719, 720 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. Vgl. etwa auch Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 59; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 3; in Bezug auf Eigentumsdelikte Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 92. 59 Auch die Ansätze, die für eine Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit plädieren, erkennen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen an und berücksichtigen es – allerdings erst im Rahmen einer rechtfertigenden Einwilligung. Der zentralen Bedeutung desselben kann aber nur die Integration der Dispositionsfreiheit ins Rechtsgut umfassend Rechnung tragen. Würde man – entgegen beider genannten Modelle – das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in keiner Weise berücksichtigen, so liefe dies auf eine Degradierung des Individuums zum bloßen Objekt staatlichen Handelns hinaus und würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 92. 60 Vgl. nur Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 93 ff.; Sch/Sch-Lenckner/ Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33 f. sowie oben. 61 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34.I.3. 62 Rönnau, Jura 2002, 595, 596. 63 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 1; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. 64 Zu dem Ganzen: Rönnau, Jura 2002, 595, 597; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 97 ff.; vgl. Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123.

92

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

In Anerkennung der zentralen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in unserer Rechtsordnung ist die Dispositionsfreiheit des Einzelnen in die Individualrechtsgüter und damit auch in das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu integrieren. (2) Die Problematik des Basismodells Auch das oben beschriebene Basismodell betont das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, erkennt also – wie das liberale Modell – die zentrale Bedeutung desselben an. Es will aber die Dispositionsfreiheit gerade nicht in das Individualrechtsgut integrieren, sondern erst bei der Ausübung der jeweiligen Freiheit an das Rechtsgut treten lassen.65 Dadurch entstehen Nachteile und Begründungsschwierigkeiten des Modells: Erstens nimmt das Modell gleichsam eine Zweiteilung des Rechtsguts vor:66 Solange seitens des Rechtsgutsträgers kein Wille ausgeübt wird, wird das Rechtsgut, nämlich die Basis sämtlicher Handlungsmöglichkeiten, ohne weiteres Eingehen auf das Selbstbestimmungsrecht des Individuums geschützt. Sobald jedoch ein Wille in Form einer wirksamen Einwilligung ausgeübt wird, kann dieser Wille das Rechtsgut konkretisieren.67 Solch eine Zweiteilung ist der Bestimmtheit des Rechtsgutsbegriffs eher abträglich.68 Zweitens zeigen sich dort Schwächen, wo die Handlungsmöglichkeiten der Person keines Schutzes mehr bedürfen. Wenn es sich um irreversibel handlungsunfähige Personen – wie etwa unheilbar am apallischen Syndrom69 Erkrankte – handelt, ist das Basismodell in Erklärungsnot.70 Denn der Körper wird auch dann geschützt, wenn ihn der Rechtsgutsträger nicht mehr zum Handeln gebrauchen kann.71 Das Basismodell hingegen schützt den Gegenstand als „Möglichkeit seines Einsatzes zur willkürlichen Entfaltung durch den Rechtsgutsinhaber“ 72 – eine Möglichkeit also, die sich bei irreversibel handlungsunfähigen Personen nie-

65

So Rönnau, Willensmängel, S. 91 f. Nach dem hier vertretenen Ansatz erfolgt gerade keine Zweiteilung des Rechtsguts, denn die körperbezogene Selbstbestimmung wird gerade durch den Bestandsschutz des § 223 I StGB abgesichert. Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f.; Abschn. D, Fn. 155. 67 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 91 f. und S. 95. 68 Vgl. zu dem Ganzen Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 715 f. 69 Sog. Wachkoma, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: „Syndrom, apallisches“. 70 Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 715; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 18. 71 Amelung, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, 155, 166 ff.; Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 715. 72 Rönnau, Willensmängel, S. 85. 66

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

93

mals mehr realisieren kann.73 Würde man dem Basismodell in konsequenter Weise folgen, so wäre kein Schutz der körperlichen Unversehrtheit der betroffenen Individuen möglich.74 Diese Problematiken zeigen, dass das Basismodell nicht weit genug geht. Vielmehr ist die Dispositionsfreiheit von vornherein in das Individualrechtsgut zu integrieren. bb) Die körperliche Unversehrtheit als per se schützenswertes Gut? Dem liberalen Modell, das die Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut integriert, wird entgegengehalten, dass die körperliche Unversehrtheit an sich schon ein schützenswertes Gut sei, ohne dass es überhaupt auf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ankomme.75 Danach stellen „generell verbotene, mit einer Werteinbuße verbundene Eingriffe in fremde Rechtsgüter“ grundsätzlich einen „abstrakten Unwert“ dar.76 Dieser Unwert könne erst durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund beseitigt werden.77 Dagegen lässt sich aber schon allein einwenden, dass es sich hierbei mehr um eine Feststellung denn um eine Argumentation handelt,78 außerdem würde dadurch ein einheitliches Individualrechtsgut unnatürlich in den Verfügungsgegenstand einerseits sowie in die Verfügungsbefugnis andererseits zerteilt:79 Der Mensch erfährt auf Grundlage eines solchen Verständnisses nicht mehr als Einheit von Körper und Geist strafrechtlichen Schutz, sondern es kommt zu einer unnatürlichen Aufspaltung dieser grundsätzlich bestehenden Einheit.80 Daher ist die körperliche Unversehrtheit kein Gut, das für sich genommen durch die Körperverletzungsdelikte zu schützen ist.

73

Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 715. Rönnau erkennt dieses Problem und bricht insoweit mit seinem Modell, als er zur Begründung des strafrechtlichen Schutzes von Menschen ohne Handlungschancen auf formale Aspekte zurückgreift, vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 109 ff. Diesem Systembruch begegnet er argumentativ mit den vielen positiven Seiten seines Modells, Rönnau, Willensmängel, S. 112. Kritisch Amelung, ZStW 115 (2003), 710, 715. 75 Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 967; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 26 I.2; Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 57. 76 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 363. 77 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 363. 78 Es wird nicht weiter ausgeführt, warum die körperliche Unversehrtheit einen abstrakten, vom Willen des Einzelnen unabhängigen Wert darstellen soll. Vgl. nur die Ausführungen bei Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 363; Gropp, Strafrecht AT, § 6, Rn. 57. 79 Arzt, Willensmängel, S. 45. 80 Zu dem Ganzen Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 14. Im Anschluss daran Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 66. 74

94

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

cc) Wortlautargumente i. R. d. Körperverletzungsdelikte Gegen eine Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut soll im Hinblick auf die Körperverletzungsdelikte schon der Wortlaut verschiedener Normen sprechen:81 So wird aus der Formulierung des § 223 I StGB herausgelesen, dass eine Einheit von Individualrechtsgut und Dispositionsfreiheit nicht möglich sei.82 Schließlich verlange der Tatbestand allein eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung, er stelle aber nicht auf ein Handeln gegen den Willen des Einzelnen ab. Darüber hinaus sei man nach dem Alltagssprachgebrauch im Falle eines körperlichen Eingriffs unabhängig von einer möglichen Einwilligung „körperverletzt“.83 Eine solche Argumentation überschätzt allerdings die Bedeutung des Sprachgebrauchs im Alltag für das Strafrecht.84 Auf Grundlage der Alltagssprache kann nicht für den einen oder den anderen Rechtsgutsbegriff gestritten werden.85 Darüber hinaus trennt das genannte Wortlautargument bzgl. des § 223 I StGB nicht sauber zwischen Tatobjekt und geschütztem Rechtsgut:86 Die Verletzung des Tatobjekts ist zwar unabdingbare, nicht aber einzige Voraussetzung der Rechtsgutsverletzung. Es ist durchaus denkbar, dass das Tatobjekt verletzt wurde, man also „körperverletzt“ ist, ohne dass eine Beeinträchtigung des Rechtsguts des § 223 StGB gegeben ist.87 Der Wortlaut der Norm beschreibt nur die Verletzung des Tatobjekts, spricht also nicht für die Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit.88 Ebenso wird aus dem Wortlaut des § 228 StGB („[. . .] handelt nur dann rechtswidrig [. . .]“) herausgelesen, dass die Einwilligung nur ein Rechtfertigungsgrund sein könne89 und damit das Individualrechtsgut von der Dispositionsfreiheit zu trennen sei.

81

Vgl. hierzu Roxin, in: FS Amelung, 269, 273 ff. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 95. 83 Kühl, Strafrecht AT, § 9 Rn. 22; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 62 f. 84 Roxin, in: FS Amelung, 269, 275. Untermauert wird das Argument mit dem Beispiel des § 242 StGB, bei dem die h. M. ein tatbestandsausschließendes Einverständnis annimmt, wo aber der Wortlaut ebenso wenig eindeutig ist. Roxin, ebd.; vgl. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 39. 85 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 275. 86 Vgl. zu dieser Unterscheidung bereits oben D.II.1.c); Kargl, GA 2001, 538, 550 f. 87 Zu dem Ganzen Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 13; vgl. auch Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/123. 88 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 13. 89 So Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.3; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 363; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33a; SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 34. 82

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

95

Dem steht allerdings entgegen, dass die fehlende Rechtswidrigkeit nicht zwangsläufig auf Rechtfertigungsgründen beruhen muss, sondern sich genauso gut aus der bereits fehlenden Tatbestandsmäßigkeit ergeben kann:90 § 11 I Nr. 5 StGB definiert nämlich eine rechtswidrige Tat als solche, die überhaupt einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht.91 Darüber hinaus wird aus § 34 StGB ein Argument für die Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit herausgelesen, da diese Norm, die in Gefahr geratene Rechtsgüter zum Inhalt hat, nicht etwa vom „körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht“, sondern allein vom „Leib“ spreche.92 Eine Integration der Dispositionsfreiheit ins Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte stehe also im Widerspruch zum Rechtsgutsverständnis des § 34 StGB.93 Aus dem Rechtsgutsbegriff des § 34 StGB kann dies jedoch nicht abgeleitet werden, da der rechtfertigende Notstand ausschließlich im Hinblick auf Gefahren für den Bestand der jeweiligen Angriffsobjekte der verschiedenen Tatbestände konzipiert wurde und damit einen speziellen Rechtsgutsbegriff beinhaltet, der nicht verallgemeinert werden kann.94 Insofern spricht keiner der jeweiligen Wortlaute der erörterten Normen gegen die Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut des § 223 StGB. dd) Ergebnis Das paternalistisch orientierte Modell der Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit überzeugt nicht. Auch alternative Ansätze tragen der zentralen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts nicht ausreichend Rechnung. Allein das liberale Modell, das die Dispositionsfreiheit ins Individualrechtsgut integriert, berücksichtigt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in angemessener Weise und verdient daher den Vorzug. c) Die Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB am Beispiel der Knabenbeschneidung Das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte bestimmt sich auf Grundlage des liberalen Modells der Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut. 90 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 29; Schmidhäuser, in: FS Geerds, 593, 602; SKHorn/Wolters, § 228, Rn. 2; Göbel, Einwilligung, S. 68 f. 91 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 29; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 126. 92 Amelung, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, 155, 167. 93 Hirsch, in: FS Welzel, 775, 785; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33a. 94 Schmidhäuser, in: FS Geerds, 593, 598. Ausführliche Argumentation bei Rönnau, Willensmängel, S. 42 ff.

96

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Es wurde bisher aber noch nicht geklärt, was genau unter der in das Rechtsgut zu integrierenden Dispositionsfreiheit – und entsprechend auch unter einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB – zu verstehen ist. Auch wenn den auf dem liberalen Modell aufbauenden Ansätzen der Grundgedanke gemein ist, dass Beeinträchtigungen mit Willen des Rechtsgutsträgers95 keine Verletzungen des Rechtsguts darstellen können, da diese Ausdruck der individuellen Persönlichkeitsentfaltung sind,96 so differieren sie doch in dem wesentlichen Detail der exakten Definition der Dispositionsfreiheit, die Teil des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte ist. Zur Klärung dieser Problematik werden zunächst die unterschiedlichen Aspekte, die man als Dispositionsfreiheit interpretieren könnte, voneinander abgegrenzt. Auf dieser Grundlage wird daran anschließend eine genaue Definition des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte anhand eines Problemkreises aufgezeigt, der seit langem einen wesentlichen Kritikpunkt am liberalen Modell darstellt97 und im Rahmen der hier interessierenden Thematik der stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung besondere Relevanz hat. Er betrifft das Vorhandensein einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB bei körperlichen Eingriffen an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen. aa) Abgrenzung der verschiedenen Aspekte der Dispositionsfreiheit Die auf dem liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodell basierenden Ansätze gehen bei der Frage auseinander, was genau mit der in das Individualrechtsgut zu integrierenden Dispositionsfreiheit gemeint ist: So wird etwa vom „Willen“,98 von der „Verfügungsbefugnis“ 99 bzw. „Dispositionsbefugnis“ 100 oder vom „Selbstbestimmungsrecht“ 101 als Teil des Rechtsguts gesprochen. Allein die Verwendung der verschiedenen Begrifflichkeiten bedeutet zwar nicht, dass damit stets unterschiedliche Sachverhalte gemeint sind.102 Gleichwohl bedarf es für die 95 Grenzen der individuellen Verfügungsbefugnis werden anerkannt, vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 13. 96 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12; Schroth, in: FS Volk, 719, 721; s. auch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 9, Rn. 4 ff., die trotz der Integration des Selbstbestimmungsrechts ins Rechtsgut der Einwilligung keine tatbestandsausschließende Wirkung beimessen. 97 Vgl. zu diesem Streit nur Amelung, Grundrechtsgut, S. 26 f.; Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 28 f. mit Fn. 33; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 16; Roxin, in: FS Amelung, 269 ff. 98 So etwa Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 43. 99 So etwa Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 68 ff. 100 So etwa Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 59. 101 So etwa Schroth, in: FS Hassemer, 787 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 28 ff.; SK-Horn/Wolters, § 223, Rn. 36. 102 Hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 61 f.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

97

weiteren Ausführungen einer Definition sowie einer Abgrenzung der Begrifflichkeiten, um anhand des zugrunde liegenden Falls exakt definieren zu können, wie sich eine Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB konstituiert. (1) Der tatsächliche Wille Der Wille wird nachfolgend als etwas Tatsächliches verstanden, das vom Berechtigten selbst gebildet sowie immer wieder aktualisiert werden muss und entweder im zu beurteilenden Zeitraum vorliegt oder eben nicht.103 Stellt man den tatsächlichen Willen des Einzelnen ins Zentrum des Individualgüterschutzes,104 so wäre konsequenterweise dieses tatsächliche Element Teil des Individualrechtsguts der Körperverletzungsdelikte. (2) Die rechtliche Dispositionsbefugnis Unter der Dispositions- bzw. Verfügungsbefugnis wird demgegenüber im Folgenden ausschließlich die rechtliche Befugnis zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eines Individuums verstanden. Sie ist ein Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen und ergibt sich aus diesem,105 wird aber in Teilen durch gesetzliche Verfügungsschranken begrenzt.106 Die Möglichkeit ihrer wirksamen Ausübung ist von weiteren Voraussetzungen – insbesondere vom Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit – abhängig. Hier zeigt sich auch die Problematik der Dispositionsbefugnis: Den Menschen, die „keine realen Handlungsmöglichkeiten“ haben, nützt sie nichts.107 Vielfach wird im Rahmen der Rechtsgutsdefinition das Augenmerk insofern auf die Verfügungsbefugnis gelegt, als „Rechtsgut und Verfügungsbefugnis über das Rechtsgut“ als eine Einheit angesehen werden,108 oder – darüber hinausgehend – auch vertreten wird, dass beide Elemente nicht nur eine Einheit darstell-

103

Vgl. zu dieser Definition die Ausführungen von Rönnau, Willensmängel, S. 68. In Bezug auf die Eigentumsdelikte Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 89 ff. sowie verallgemeinernd S. 106. 105 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 106 Gesetzliche Verfügungsschranken finden sich in § 216 StGB sowie in § 228 StGB. Vgl. hierzu Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 82 f.: „Es gilt also zu unterscheiden zwischen der Rechtsgutsinhaberschaft [. . .] und der Dispositionsbefugnis über dieses Rechtsgut. Für letztere ist die Rechtsgutsträgerschaft zwar eine notwendige, aber noch keine allein hinreichende Voraussetzung.“; vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 72 f. 107 Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 530 f. Als Beispiele werden „Säuglinge, im Wachkoma Liegende oder bewusstlos dem Tod entgegen Dämmernde“ angeführt. 108 Arzt, Willensmängel, S. 42. 104

98

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

ten, sondern dass „Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis [. . .] in ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das im Tatbestand geschützte Rechtsgut“ seien.109 Allerdings ist zu beachten, dass nicht stets, wenn von der „Dispositionsbefugnis“ gesprochen wird, allein dieser Aspekt des Selbstbestimmungsrechts in oben definiertem Sinne gemeint ist. Vielfach wird als „Dispositionsbefugnis“ bzw. „Verfügungsbefugnis“ auch das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht, wie es nachfolgend beschrieben wird, bezeichnet.110 Wie bereits angesprochen bedeutet die Verwendung verschiedener Begrifflichkeiten nicht stets, dass damit auch unterschiedliche Sachverhalte gemeint sind.111 Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis soll die Dispositionsbefugnis aber allein den oben beschriebenen Teil des (körperbezogenen) Selbstbestimmungsrechts darstellen.112 Danach wäre allein die körperbezogene Dispositionsbefugnis als Befugnis zur Verfügung über den eigenen Körper von den §§ 223 ff. StGB geschützt. (3) Das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht Die Dispositionsbefugnis im oben genannten Sinne ist nur ein kleiner Teil des darüber hinausgehenden Selbstbestimmungsrechts, das seine Grundlage in der Persönlichkeitsautonomie, im Persönlichkeitsrecht des Einzelnen findet und jedem Menschen allein aufgrund seiner Existenz und Würde zusteht.113 „Körperbezogen“ bedeutet dabei, dass das Selbstbestimmungsrecht von § 223 StGB keinen umfassenden Schutz erfährt, sondern nur, sofern das konkrete Handlungsobjekt – der Körper – durch eine konkrete Tathandlung – eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung – beeinträchtigt wird.114 Die Verlet109 Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 87; zustimmend Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 14; ähnlich Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41, 43. 110 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 14 sowie Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 77 sowie S. 92 f. 111 Vgl. hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 61 f. 112 Diese Differenzierung ist v. a. deshalb wichtig, weil sich wesentliche Kritik an dem zugrunde gelegten Rechtsgutsverständnis auf die Integration allein der Dispositionsbefugnis im genannten Sinne ins Rechtsgut bezieht. Vgl. hierzu unten D.II.2.c) bb)(2). 113 Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27 ff.; Schroth, in: FS Hassemer, 787 f. Entsprechendes ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Hintergrund der Einwilligung in Art. 2 II GG: Das Grundrecht steht jedem Menschen zu, unabhängig davon, ob er zu autonomem Handeln fähig ist, Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 23. Zum verfassungsrechtlichen Hintergrund vgl. unten D.II.3. 114 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 f.; Roxin, in: FS Amelung, 269, 271 f. und 285; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; vgl. auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 83 f.; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.VI.1.b).

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

99

zung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts muss sich, dem § 223 StGB entsprechend, in der „verletzenden Beeinträchtigung des Körpers manifestieren.“ 115 (4) Das (allgemeine) Selbstbestimmungsrecht ohne Körperbezug In Abgrenzung zur körperbezogenen Selbstbestimmung entfällt bei einer umfassenden Integration des Selbstbestimmungsrechts – ohne Bezug auf den Körper zu nehmen – die Verknüpfung zwischen Selbstbestimmungsrecht einerseits und Handlungsobjekt sowie Tathandlung andererseits, die von § 223 I StGB beschrieben werden.116 Integriert man das Selbstbestimmungsrecht in umfassender Weise – und nicht nur im Hinblick auf den Körper – in das Individualrechtsgut des § 223 StGB, so wäre Letzteres etwa als „autonome [. . .] Herrschaft“ des Berechtigten zu verstehen.117 Beim Abstellen auf das Selbstbestimmungsrecht ohne Körperbezug wird ein Schutz des Rechtsgutsträgers konstruiert, der vom tatsächlichen Handlungsobjekt und den in § 223 I StGB festgesetzten Tathandlungen losgelöst ist, was zu einer erheblichen Ausdehnung der Strafbarkeit gemäß § 223 StGB führt.118 bb) Die Rechtsgutsverletzung im Fall der Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen Wendet man nunmehr den Blick auf den Fall der Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen, so zeigt sich erstens, dass die oben dargestellte Abgrenzung der Begrifflichkeiten sinnvoll ist, um das Rechtsgut des § 223 StGB exakt definieren zu können. Zweitens wird unter Berücksichtigung der vorhandenen Kritik am liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodell sowie auf Grundlage der gerade eben vorgenommenen Begriffsbestimmung119 klar, dass die körperbezogene Selbstbestimmung in oben definiertem Sinne Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist, während es zu kurz greift, allein den tatsächlichen Willen oder die Dispositionsbefugnis in oben beschriebenem Sinne ins Individualrechtsgut des § 223 StGB zu integrieren. Demgegenüber würde es zu weit gehen, das Selbstbestimmungsrecht im Allgemeinen als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu verstehen, also auf dessen Bezug zum Körper bzw. auf eine tatbestandsmäßige Handlung i. S. d. § 223 I StGB zu verzichten. 115

Roxin, in: FS Amelung, 269, 285. Vgl. hierzu auch Rönnau, Willensmängel, S. 74. 117 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/124, 8/130; Tolmein, KritV 1998, 52, 62 f. 118 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 74 f. 119 Den folgenden Ausführungen liegen stets die gerade eben getroffenen Definitionen der Begrifflichkeiten zugrunde, vgl. hierzu D.II.2.c)aa). 116

100

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

(1) Die körperbezogene Selbstbestimmung als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Auf der Grundlage des liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodells120 und nach den Ausführungen von Roxin121 hierzu schützen die §§ 223 ff. StGB das Rechtsgut der körperbezogenen Selbstbestimmung in oben beschriebenem Sinne. Die körperbezogene Selbstbestimmung basiert auf der Persönlichkeitsautonomie des Einzelnen, die sich allein aus der menschlichen Existenz ergibt.122 Als Träger eigener Grundrechte123 und Wesen mit eigener Persönlichkeitsautonomie124 hat damit auch das Kind von Anfang an das Recht zur körperbezogenen Selbstbestimmung, das strafrechtlich durch die Körperverletzungsdelikte abgesichert ist. Es ist unabhängig von der Frage vorhanden, ob das Kind bereits einwilligungsfähig ist oder überhaupt einen tatsächlichen Willen bilden kann.125 Dabei ist stets zu beachten, dass durch die Körperverletzungsdelikte nur die körperbezogene Selbstbestimmung abgesichert ist: § 223 I StGB schützt allein vor Beeinträchtigungen des konkreten Handlungsobjekts, also des Körpers, die durch eine konkrete Tathandlung, nämlich eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung, erfolgen.126 Entscheidend für das hier zugrunde gelegte Rechtsgutsverständnis ist, dass die körperbezogene Selbstbestimmung primär gerade nicht durch die Möglichkeit zur Ausübung der Dispositionsbefugnis Absicherung erfährt, sondern zunächst durch Bestandsschutz geschützt wird, indem nicht erwünschte Körperbeeinträchtigungen durch körperliche Misshandlungen oder Gesundheitsschädigungen von den §§ 223 ff. StGB verboten werden.127 Daher stellt jede körperliche Beeinträchtigung i. S. d. § 223 I StGB, die nicht Ausdruck einer autonomen Selbstentfaltung des Rechtsgutsträgers ist,128 in die also nicht wirksam eingewilligt wurde, eine Verletzung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts dar. Dies gilt un120

Vgl. hierzu oben D.II.2.b). Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 ff. Hieran lehnt sich die folgende Argumentation an. 122 Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem verfassungsrechtlichen Hintergrund in Art. 2 II GG, vgl. Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 23; vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/123 und 8/130, der im dem Einzelnen zustehenden Achtungsanspruch das eigentliche Rechtsgut sieht. 123 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144. 124 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 125 Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f. 126 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 f.; Roxin, in: FS Amelung, 269, 271 f. und 285; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; vgl. auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 83 f.; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.VI.1.b). 127 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 720. 128 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 721 f. 121

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

101

abhängig davon, ob gar keine oder nur eine unwirksame Einwilligung abgegeben wurde. Erst sekundär wird die Dispositionsbefugnis, die nur ein Teil der körperbezogenen Selbstbestimmung ist, relevant, wenn es nämlich um die Verwirklichung (nicht aber um die Absicherung) der körperbezogenen Selbstbestimmung durch das strafrechtliche Institut der Einwilligung geht.129 (2) Keine Erforderlichkeit der Verletzung des Willens oder der Dispositionsbefugnis Dieses Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB hat zur Konsequenz, dass es für die Begründung einer Rechtsgutsverletzung völlig unerheblich ist, ob der Rechtsgutsträger ein Säugling, der noch nicht einmal selbst einen tatsächlichen Willen bilden kann,130 ein nicht zur Selbstbestimmung fähiger Minderjähriger oder ein autonom handelnder Erwachsener ist.131 Damit liegt im Falle der Knabenbeschneidung ohne wirksame Einwilligung eine (vollumfängliche) Individualrechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB beim Minderjährigen vor. (a) Der Einwand der fehlenden Gleichbehandlung Mit Blick auf einen körperlichen Eingriff beim nicht einwilligungsfähigen Kind wird dem liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodell vorgeworfen, nicht allen Menschen den gleichen Rechtsgüterschutz zukommen zu lassen: Bei einem Säugling etwa könne wegen dessen fehlenden „realen Handlungsmöglichkeiten“ nicht das volle Unrecht einer Körperverletzung begangen werden.132 Dieser Einwand würde aber nur dann greifen, wenn man allein die Dispositionsbefugnis in oben beschriebenem Sinne oder den tatsächlichen Willen ins Rechtsgut integrierte.133 Denn dann würde die Rechtsgutsverletzung an Voraussetzungen festgemacht, die nicht zwingend bei jedem Menschen vorliegen (so der tatsächliche Wille) oder von denen nicht jeder Gebrauch machen kann (so von der Dispositionsbefugnis) – man denke nur an die Beschneidung beim Säugling oder etwa auch an körperliche Eingriffe bei irreversibel Handlungsunfähigen.134 129 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282; vgl. Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; Schroth, in: FS Volk, 719, 720 ff. 130 A. A. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 73, die etwa im Weinen einen „körperbezogenen natürlichen Willen“ des Kleinkinds erblickt. 131 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 132 Zu dem Ganzen Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 530; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938; Amelung, Grundrechtsgut, S. 27. 133 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 134 Vgl. zur Kritik Abschn. D, Fn. 132; Rönnau, Willensmängel, S. 68 f. und S. 70 ff.

102

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Dem hier zugrunde liegenden Rechtsgutsverständnis kann dieser Einwand aber gerade nicht entgegengehalten werden: Die körperbezogene Selbstbestimmung wird durch die §§ 223 ff. StGB zunächst durch Bestandsschutz – unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen oder Fähigkeiten des Rechtsgutsträgers – abgesichert, ohne dass jemand aus diesem Schutzkonzept herausfällt.135 Denn die körperbezogene Selbstbestimmung steht jedem Menschen unabhängig von seinem geistigen Zustand zu, was sich aus der Anerkennung der Persönlichkeitsautonomie eines jeden Individuums und aus der Würde des Menschen ergibt.136 Eine solche Betrachtungsweise ist mitnichten „kontra-faktisch“,137 vielmehr ist es in einem auf Gleichheit aufbauenden Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit, jedem Individuum denselben Achtungsanspruch entgegenzubringen.138 Demgegenüber ist die Dispositionsbefugnis zwar ein Bestandteil der körperbezogenen Selbstbestimmung, sie betrifft aber allein die Ausübung derselben, indem sie dem Rechtsgutsträger innerhalb der gesetzlichen Schranken erlaubt, entsprechend seines tatsächlichen Willens und in Abhängigkeit weiterer Voraussetzungen den Umfang zu konkretisieren, in welchem sein körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht durch Bestandsschutz strafrechtlich abgesichert werden soll.139 Für das Vorhandensein einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB spielen aber weder die Verletzung der Dispositionsbefugnis noch die des tatsächlichen Willens eine Rolle.140 (b) Der Einwand des Rückgriffs auf Fiktionen Darüber hinaus wird – ebenfalls im Hinblick auf körperliche Eingriffe beim (Klein-)Kind, worunter auch die Beschneidung des Säuglings fällt – moniert, dass in Fällen, in denen vom Rechtsgutsträger (noch) kein tatsächlicher Wille gebildet werden kann,141 zur Bejahung einer Rechtsgutsverletzung auf eine Fiktion – zum Beispiel auf einen mutmaßlichen oder latenten Willen des Kindes oder der Eltern – abgestellt werden müsse, was sowohl unter rechtstatsächlichen

135 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. So aber Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 530; vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938. 136 Roxin, in: FS Amelung, 269, 281 f. 137 So Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 530. 138 Vgl. zu dem Ganzen Roxin, in: FS Amelung, 269, 282; vgl. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 74. 139 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. Ähnlich Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 71, die davon ausgeht, dass die Verfügungsfreiheit den Schutzumfang des Rechtsguts konkretisiert. Vgl. auch Zipf, Einwilligung, S. 29. 140 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282 und 284. 141 Das Gleiche gilt für andere Fälle, etwa wenn ein erwachsener Einwilligungsfähiger keinen dem Eingriff entgegenstehenden tatsächlichen Willen gebildet hatte. Dies schließt eine Verletzung des tatsächlichen Willens aus.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

103

Gesichtspunkten als auch unter solchen der Überzeugungskraft dieser Theorie mehr als problematisch erscheine.142 Aber auch dieser Einwand trifft nicht auf das hier vertretene Rechtsgutsverständnis zu, da es für die Verletzung der körperbezogenen Selbstbestimmung nicht relevant ist, ob das (Klein-)Kind bzw. der Säugling überhaupt schon einen tatsächlichen Willen bilden kann.143 Der tatsächliche Wille spielt nämlich für das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung nur insofern eine Rolle, als er zur Ausübung der Dispositionsbefugnis, mithin zur Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung, tatsächlich gebildet und artikuliert werden muss, um durch eine wirksame Einwilligung des Berechtigten eine Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB auszuschließen.144 (c) Der Einwand des Entstehens von Schutzlücken sowie der Aufspaltung des Rechtsguts Der Einwand des Rückgriffs auf eine Fiktion wird auch der – nicht überzeugenden – alleinigen Integration der Dispositionsbefugnis145 ins Rechtsgut entgegengehalten:146 Zur Bejahung einer Rechtsgutsverletzung könne man nicht auf die Verletzung der Dispositionsbefugnis des nicht einwilligungsfähigen Kindes abstellen, sondern müsse auf die Verletzung der Dispositionsbefugnis der Eltern ausweichen.147 Darüber hinaus führe die Integration der Dispositionsbefugnis in das Rechtsgut zu Schutzlücken:148 Wenn das nicht einwilligungsfähige Kind nämlich zum Zeitpunkt des Eingriffs keinen Vertreter habe, sei eine Rechtsgutsverletzung nicht

142 Vgl. Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 28; vgl. Rönnau, Jura 2002, 595, 597; Rönnau, Willensmängel, S. 68 f. In Bezug auf das Rechtsgut der Freiheitsberaubung Bloy, ZStW 96 (1984), 703, 719 f. 143 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. Anders löst dies Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 73, die auf den „körperbezogenen natürlichen Willen“ des Kleinkinds abstellt, der etwa durch Weinen in rudimentärer Form zum Ausdruck gebracht wird. Hierauf kommt es beim hier zugrunde gelegten Rechtsgutsverständnis aber gar nicht an. 144 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 280 ff. 145 Vgl. oben zur hier zugrunde gelegten Definition der Dispositionsbefugnis D.II. 2.c)aa)(2). 146 Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 28 f.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938; Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 531. Eine solche Fiktion führe zu erheblichen Einbußen der Aussagekraft der zugrunde liegenden Theorie, so Rönnau, Willensmängel, S. 68 f.; Rönnau, Jura 2002, 595, 597. 147 Vgl. Abschn. D, Fn. 146. Diese Kritik richtet sich gegen Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 16; ihm folgend Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 74. Vgl. nunmehr aber auch Roxin, in: FS Amelung, 269, 284. 148 Vgl. Amelung/Lorenz, in: FS Otto, 527, 530.

104

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

möglich, da in diesen Fällen auch nicht auf die Verletzung der Dispositionsbefugnis des Vertreters abgestellt werden könne.149 Diesem Entstehen von Schutzlücken bzw. den vermeintlichen Hilfskonstruktionen könne nur durch eine Aufspaltung des Rechtsguts150 begegnet werden: Im Falle von körperlichen Eingriffen beim Kleinkind müsste man allein auf die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit – nicht aber auf die Verletzung des Willens oder der Verfügungsbefugnis – abstellen, um eine Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 StGB bejahen zu können.151 Diesen Einwänden steht entgegen, dass nach dem hier vertretenen Rechtsgutsverständnis die körperbezogene Selbstbestimmung – primär – durch Bestandsschutz abgesichert wird; es kommt nur dann – sekundär – auf die Dispositionsbefugnis an, wenn es um die Frage nach einer wirksamen Einwilligung geht.152 Dies bedeutet, dass die Verletzung des Rechtsguts der körperbezogenen Selbstbestimmung gerade keiner Verletzung der Dispositionsbefugnis vom Kind oder von dessen Eltern bedarf.153 Daher sind die monierten Fiktionen bzw. Hilfskonstruktionen zur Begründung einer Rechtsgutsverletzung beim Kleinkind gar nicht nötig.154 Ebenso wenig ist der Vorwurf einer Aufspaltung des Rechtsguts haltbar, da die Absicherung der körperbezogenen Selbstbestimmung doch gerade durch den Bestandsschutz des § 223 StGB geschieht.155 Demgegenüber betrifft die Disposi149

Amelung, Grundrechtsgut, S. 26 f.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938. Im Falle des Todes der Eltern hat das Kind (zunächst) keinen Vertreter. 150 Vgl. zu dieser Problematik auch Hirsch, in: FS Welzel, 775, 784. 151 Zu dem Ganzen Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 28; Rönnau, Willensmängel, S. 70. 152 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 153 Im Fall des Todes der Eltern und der daraus sich ergebenden fehlenden Vertretung des Kindes muss damit auch nicht darauf abgestellt werden, dass allein die Ausübung der Dispositionsbefugnis in der Schwebe, eine Verletzung derselben dadurch aber nicht ausgeschlossen sei, so noch Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 16; vgl. nunmehr Roxin, in: FS Amelung, 269, 284. 154 Vgl. oben D.II.2.c)aa)(3) zur hier vertretenden Definition des Begriffs „körperbezogene Selbstbestimmung“. 155 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. Hierin liegt auch ein wichtiger Unterschied zum Basismodell: Nach dem hier vertretenen Rechtsgutsverständnis wird die körperbezogene Selbstbestimmung zunächst durch Bestandsschutz abgesichert. Gleichzeitig ist die Dispositionsbefugnis Teil des Rechtsguts der körperbezogenen Selbstbestimmung und ergibt sich aus demselben, sodass ohne Weiteres erklärt werden kann, warum eine rechtswirksame Einwilligung das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung und damit den Tatbestand ausschließt, ohne dass eine Zweiteilung des Rechtsguts erfolgt. Denn der durch § 223 StGB gewährte Bestandsschutz sichert nach dem hier vertretenen Ansatz direkt das Rechtsgut der körperbezogenen Selbstbestimmung ab. Demgegenüber will das Basismodell allein die Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung schützen, ohne dass die Dispositionsbefugnis Teil des Rechtsguts sein soll, vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 88 ff. und S. 95 ff. Es erfolgt also ein Rechtsgüterschutz ohne Eingehen auf

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

105

tionsbefugnis das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung nur insofern, als sie zur Einwilligung berechtigt, die – in Abhängigkeit von weiteren Voraussetzungen – körperbezogene Schutzvorschriften außer Kraft setzen kann,156 indem sie die Verletzung des Rechtsguts der körperbezogenen Selbstbestimmung ausschließt.157 (3) Kein Ausreichen einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ohne Körperbezug Unabhängig vom hier zugrunde liegenden Fall des körperlichen Eingriffs beim nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen wird gegen das liberale Rechtsgutsund Einwilligungsmodell eingewandt, dass es zu einer problematischen Versubjektivierung des Rechtsgutsbegriffs führe158 und nicht mehr das Objekt an sich, also der reale Körper, sondern nur noch der Wille bzw. das Interesse zur Wahrung des Objektes geschützt werde.159 Eine objektive Bestimmung des Schutzobjekts durch die bloße Existenz des Gegenstands sei nicht mehr möglich.160 Dadurch avancierten die Körperverletzungsdelikte zu Freiheitsdelikten, die bereits bloße Willensbeeinträchtigungen nach den §§ 223 ff. StGB unter Strafe stellten,161 was auch im Hinblick auf Art. 103 II GG eine zu weitreichende Ausdehnung der Strafbarkeit sei.162 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass i. R. d. §§ 223 ff. StGB das Selbstbestimmungsrecht nicht als Allgemeines,163 sondern nur in seiner Bezogenheit auf das tatbestandlich umschriebene Handlungsobjekt – also auf den Körper – geschützt wird,164 der die entscheidende Auslegungsgrenze des § 223 StGB bildet.165 Gemäß § 223 I StGB erfährt das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht nicht vor sämtlichen, sondern nur vor besonders sozialschädlichen Beeinträchti-

das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Wenn dann aber eine wirksame Einwilligung vorliegt, soll dieselbe dennoch das Rechtsgut konkretisieren und den Tatbestand ausschließen können. Dies begründet eine Zweiteilung des Rechtsguts. Vgl. auch oben D.II.2.b)aa)(2). 156 Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: FS Hassemer, 787; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123. 157 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282 und 284. 158 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.2.b. 159 Hirsch, in: FS Welzel, 775, 785; Hirsch, in: GS Zipf, 353, 357. 160 Rönnau, Willensmängel, S. 74 f.; Rönnau, Jura 2002, 595, 597. 161 So Bockelmann, JZ 1962, 525, 527; Hirsch, in: GS Zipf, 353, 364 f.; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 223, Rn. 5 m.w. N.; vgl. dazu auch Rönnau, Willensmängel, S. 57 ff. 162 Vgl. hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 80. 163 So aber Tolmein, KritV 1998, 52, 62, vor dem Hintergrund fremdnütziger Forschung am Menschen; vgl. auch Freund/Heubel, MedR 1995, 194, 197 f. 164 Roxin, in: FS Amelung, 269, 285. 165 Kargl, GA 2001, 538, 553.

106

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

gungen Schutz, die in der körperlichen Misshandlung bzw. in der Gesundheitsschädigung liegen.166 Diese Beschränkungen des Schutzumfangs sind im Hinblick auf die „ultima ratio“-Funktion, den fragmentarischen Charakter des Strafrechts und das Verfassungsgebot erforderlich.167 Versteht man die körperbezogene Selbstbestimmung als Rechtsgut des § 223 StGB, so führt dies aufgrund der Verbindung zu einem objektiven Bezugsobjekt, nämlich dem Körper als Handlungsobjekt des § 223 I StGB, gerade nicht zu einer übermäßigen Subjektivierung des Rechtsgutsbegriffs.168 Aufgrund der Erforderlichkeit der tatbestandsmäßigen Handlungen i. S. d. § 223 I StGB zieht dieses Rechtsgutsverständnis keine Ausdehnung der Strafbarkeit nach sich.169 Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG bleibt gewahrt.170 3. Der verfassungsrechtliche Hintergrund des liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodells Nach dem hier zugrunde gelegten Rechtsgutsverständnis ergibt sich die Befugnis zur strafrechtlichen Einwilligung direkt aus der von § 223 StGB geschützten körperbezogenen Selbstbestimmung. Die Einwilligung ist aber nicht nur auf strafrechtlicher Ebene anerkannt, sondern auch verfassungsrechtlich abgesichert.171 Der verfassungsrechtliche Hintergrund trägt dabei nicht nur dieses strafrechtliche Institut, sondern auch das ihr zugrunde liegende liberale Rechtsguts- und Einwilligungsmodell: 166 Roxin, in: FS Amelung, 269, 285; vgl. auch Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 28; Roxin, in: GS Noll, 275, 280; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 93. Zu Unrecht werfen Brandts/Schlehofer, JZ 1987, 442, 447, und Rönnau, Willensmängel, S. 75, dieser Ansicht Inkonsequenz vor. 167 Roxin, in: FS Amelung, 269, 284. Vgl. zur „ultima-ratio“-Funktion des Strafrechts insbesondere BVerfGE 120, 224, 256 f. (abweichendes Votum); LK-Weigend, Einleitung, Rn. 1; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39; Krey/ Esser, Strafrecht AT, Rn. 1 ff. und Rn. 16 ff. Vgl. zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts insbesondere Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rn. 97; Maiwald, in: FS Maurach, 9 ff. 168 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 48 f. und S. 67 f.; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 59 f. 169 Zu dem Ganzen Roxin, in: FS Amelung, 269, 283 ff.; Roxin, in: GS Noll, 275, 280. 170 Roxin, in: FS Amelung, 269, 283 f. 171 Dies ist weitgehend anerkannt, vgl. nur Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 14; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33; Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 10; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.V.; Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1, Rn. 204. Auch wenn nicht explizit auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund abgestellt wird, wird jedenfalls das Selbstbestimmungsrecht als Grundlage der Einwilligung herangezogen, vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 370; Otto, in: FS Geerds, 603, 608 f.

II. Das Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 StGB

107

Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Verankerung der Einwilligung wird teilweise auf die allgemeine Handlungsfreiheit i. S. d. Art. 2 I GG,172 teilweise auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. d. Art. 2 I i.V. m. Art. 1 I GG173 zurückgegriffen. Andere Ansätze gehen dahin, dass gar keine exakte Verortung der Einwilligung im Strafrecht vorgenommen werden müsse.174 Demgegenüber ist es überzeugend, die verfassungsrechtliche Grundlage der Einwilligung direkt im jeweils durch das Grundgesetz geschützten Freiheitsrecht zu verorten.175 Entsprechend wird die Einwilligung in die Körperverletzung verfassungsrechtlich durch Art. 2 II 1 GG, der die körperbezogene Selbstbestimmung garantiert, abgesichert.176 Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass Art. 2 II 1 GG „zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen“ 177 garantiert und als Freiheitsrecht eine spezielle Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. d. Art. 2 I GG darstellt.178 Zu einem Freiheitsrecht gehört auch der Schutz des diesbezüglichen Selbstbestimmungsrechts, mithin das Recht zur Verfügung über das geschützte Grundrechtsgut.179 Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund beeinflusst die „Systembildung im Strafrecht“.180 Zwar können aus ihm keine „Detaillösungen“ im Hinblick auf die Einwilligung herausgelesen werden, es sind aber seine grundlegenden Wertent-

172 So etwa Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 54; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 248; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 20; Fischer, in: FS Deutsch, 545, 548; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT, § 34.II.3; Göbel, Einwilligung, S. 22; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 17, Rn. 36; Bichlmeier, JZ 1980, 53, 54. BVerfGE 52, 131, 168; differenzierend Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 26 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939. 173 Giesen, JZ 1987, 282, 283 m.w. N.; Duttge, in: Breitsameter, 34, 36; vgl. hierzu auch Voll, Einwilligung, S.48. 174 Vgl. Taupitz, in: 50 Jahre BGH, 497, 501. 175 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 19 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 83. 176 Mit ausführlicher Begründung: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 75 ff., 79 ff., 86 f.; Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 23. Ebenso etwa Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; Schünemann, VersR 1981, 306; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.VI.1.b) und 2.a); NK-Paeffgen, § 228, Rn. 3; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 19 f.; Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 258; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 62 f.; Voll, Einwilligung, S. 49 ff.; Belling, FuR 1990, 68, 73; Geißendörfer, Selbstbestimmung, S. 64; differenzierend Amelung, Grundrechtsgut, S. 30; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 939. 177 BVerfGE 52, 131, 174 (abweichendes Votum); vgl. BVerfGE 89, 120, 130; 115, 118, 139. 178 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 83; Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 27; Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, B.VI.1.b) und 2.a). 179 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 19 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 83. 180 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74.

108

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

scheidungen und Prinzipien zu berücksichtigen.181 Das Strafrecht erfährt damit insofern eine Prägung durch das Verfassungsrecht, als der liberale Rechtsgutsbegriff i. S. d. § 223 StGB sowie die Einwilligung in ihren grundsätzlichen Wertungen auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 2 II 1 GG zurückzuführen sind, der insofern auf die strafrechtliche Systematik und Dogmatik einwirkt.182 4. Ergebnis Auf Grundlage des liberalen Modells der Integration der Dispositionsfreiheit in das Individualrechtsgut ist das einheitliche183 Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte die körperbezogene Selbstbestimmung:184 Diese ist streng auf das Handlungsobjekt des Körpers bezogen und wird ausschließlich vor Beeinträchtigungen geschützt, die durch körperliche Misshandlungen oder Gesundheitsschädigungen erfolgen. Demgegenüber hängt die Bejahung einer Rechtsgutsverletzung nicht von der Verletzung des tatsächlichen Willens bzw. der Dispositionsbefugnis ab. Diese Auffassung vom Rechtsgut des § 223 StGB sowie der Einwilligung ist durch den verfassungsrechtlichen Hintergrund in Art. 2 II 1 GG abgesichert, der das strafrechtliche Rechtsgutsverständnis i. S. d. § 223 I StGB sowie Systematik und Dogmatik der Einwilligung prägt.

III. Systematische und dogmatische Konsequenzen des liberalen Rechtsgutsmodells Aus dem vertretenen Rechtsgutsverständnis ergeben sich in erster Linie Konsequenzen für die systematische Verortung der Einwilligung, was im Folgenden auf den Prüfstand zu stellen sein wird. Daran anschließend werden die unterschiedlichen Funktionen der Einwilligung,185 die mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen und dem darauf aufbauenden Einwilligungsmodell verknüpft sind, besprochen. 181 Vgl. dazu Landau, ZStW 121 (2009), 965, 970; s. auch Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 69; Schwarz, JZ 2008, 1125 mit Fn. 3. Ablehnend Murmann, Selbstverantwortung, S. 370. 182 Ausführlich und überzeugend Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff.; vgl. Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, E.I.; Oswald, in: Grenzen des Paternalismus, 94, 96 f. 183 Es existieren nicht zwei verschiedene Rechtsgüter in Form des Selbstbestimmungsrechts einerseits und der körperlichen Unversehrtheit andererseits. In diese Richtung Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 71 und S. 92. 184 Vgl. zur genauen Definition dieser Rechtsgutsauffassung oben D.II.2.c)aa)(3). 185 Hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff.

III. Systematische und dogmatische Konsequenzen

109

1. Die systematische Einordnung der Einwilligung Versteht man das Rechtsgut des § 223 StGB in oben definiertem Sinne als körperbezogene Selbstbestimmung,186 so hat dies zur Folge, dass die Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund zu qualifizieren ist.187 Die recht verbreitete188 Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung wird aufgegeben, wobei sich die Frage stellt, ob dies unter systematischen Aspekten des Strafrechts überhaupt möglich ist. a) Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung anhand des Formulierungsstils Die Trennung von Einverständnis und Einwilligung basiert auf der Unterscheidung zwischen Tatbeständen, die bereits in ihrer Formulierung ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Berechtigten verlangen, und Tatbeständen, die rein vom Wortlaut her keinen entgegenstehenden Willen voraussetzen.189 Bei genauerer Betrachtung dieser Differenzierung fällt auf, dass diese nicht die grundsätzliche Dogmatik der beiden Figuren, sondern vielmehr den unterschiedlichen gesetzestechnischen Stil betrifft,190 der insbesondere dem deutschen Sprachgebrauch geschuldet ist.191 Die Tatbestände, die in ihrer Formulierung ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten verlangen, haben keine Sonderfunktion.192

186

Vgl. zur Definition oben D.II.2.c)aa)(3). Vgl. nur Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 125 f. 188 Begründet von Geerds, Einwilligung; Geerds, GA 1954, 262 ff.; Geerds, ZStW 72 (1960), 42 ff.; ihm folgen Fischer, StGB, Vor § 32, Rn. 3b; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33; Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 10; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 93 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.3; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968; Bichlmeier, JZ 1980, 53, 54; Otto, in: FS Geerds, 603, 613; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 365 ff.; BGHSt 17, 359, 360. 189 Begründet von Geerds, Einwilligung; Geerds, GA 1954, 262 ff.; Geerds, ZStW 72 (1960), 42 ff. 190 Kühne, JZ 1979, 241, 242. 191 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 32. Sprachlich gesehen ist es nicht immer möglich, das Erfordernis eines Handelns gegen den Willen des Rechtsgutsträgers allein durch die Formulierung des Tatbestands zum Ausdruck zu bringen. Während teilweise schon die Beschreibung der tatbestandlichen Handlung ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsträgers impliziert (vgl. § 123 StGB: „eindringen“), kann teilweise dies allein durch die Formulierung der tatbestandlichen Handlung nicht zum Ausdruck gebracht werden, obwohl der Straftatbestand auf den Schutz eines Individualrechtsguts abzielt (vgl. § 223 StGB: „körperlich misshandeln“). Ebenso Kühne, JZ 1979, 241. Gegen diese Auffassung argumentieren etwa Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33a. 192 Sie weisen vielmehr auf die „charakteristische Grundstruktur [hin], die allen disponiblen Rechtsgütern zu Grunde liegt“. Vgl. Arzt, Willensmängel, S. 12 f.; Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 33; Zipf, Einwilligung, S. 33 mit Fn. 60. 187

110

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Eine allein aus dem Wortlaut abgeleitete dogmatische Unterscheidung zwischen den beiden Figuren ist daher weder notwendig noch sachgerecht.193 b) Deliktsystematische Aspekte zur Einordnung der Einwilligung Da der unterschiedliche Formulierungsstil von Tatbeständen keine Unterscheidung von tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung begründen kann, stellt sich die Frage, ob unter systematischen Gesichtspunkten eine Einordnung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund angezeigt ist. aa) Die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund? Systematisch betrachtet geht es auf Ebene der Rechtfertigung um eine nur ausnahmsweise vorliegende Gestattung eines typischerweise rechtsgutsverletzenden Verhaltens (Regel-Ausnahme-Verhältnis).194 Dabei werden die Rechtfertigungsgründe überwiegend als eine Abwägung entgegengesetzter Interessen im Einzelfall beschrieben.195 Zur Einordnung der Einwilligung in diese Systematik der Rechtfertigung existieren insbesondere die folgenden zwei Begründungsansätze:196 (1) Theorie der Interessenpreisgabe Mezger197 begründete die systematische Einordnung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund damit, dass dieses Institut – wie andere Rechtfertigungsgründe auch – auf dem „Prinzip des mangelnden Interesses“ beruhe.198 Er argumentierte damit, dass im Falle einer Einwilligung das vom Tatbestand geschützte Interesse vom Berechtigten bewusst preisgegeben werde.199 Diese Theorie, dass die Einwilligung auf einem Verzicht auf Rechtsgüterschutz beruhe, hat durchaus Eingang in die strafrechtliche Literatur gefunden.200 193

Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 11 m.w. N. Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 4 f. 195 s. etwa Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 4 f. m.w. N.; Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 21. 196 Ausführlich zu den Modellen, die die Einwilligung als rechtfertigend ansehen, Rönnau, Willensmängel, S. 16 ff. Vgl. hierzu auch SK-Hoyer, Vor §§ 32 ff., Rn. 27 ff. 197 Mezger, Strafrecht, S. 204 ff. 198 Mezger, Strafrecht, S. 206. Das „Prinzip des überwiegenden Interesses“ ist demnach eine weitere Kategorie i. R. d. Unrechtsausschließungsgründe. 199 Mezger, Strafrecht, S. 207 f. 200 Vgl. etwa Welzel, Strafrecht, § 14 VII.2.a; Bichlmeier, JZ 1980, 53, 54; Otto, in: FS Geerds, 603, 613; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 938 f.; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 10, 33; Kühl, StGB, Vor § 32, Rn. 10; SK-Hoyer, Vor §§ 32 ff., Rn. 27; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 370; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 660; vgl. auch BGHSt 4, 88, 90; 17, 359 f. 194

III. Systematische und dogmatische Konsequenzen

111

(2) Theorie der Interessenkollision Demgegenüber basiert der Ansatz von Noll auf der Annahme, dass sämtlichen Rechtfertigungsgründen – und damit auch der Einwilligung – das „Prinzip des überwiegenden Interesses“, also ein Güterabwägungsprinzip, zugrunde liege.201 Bei der Einwilligung werden danach die vom Verletzten getroffenen, subjektiven Wertentscheidungen gegen die objektiven, in der gesetzlichen Werteordnung verankerten Interessen abgewogen, wobei umso mehr für die Wirksamkeit der Einwilligung spreche, je enger die subjektiven Werte an den objektiven Gesetzeswertungen orientiert seien.202 Damit kommt es entscheidend auf den mit der Handlung verfolgten Zweck an:203 Je geringer die Verletzung und je größer der damit erzielte objektive Vorteil, desto mehr spreche für die Wirksamkeit der Einwilligung.204 Auch diese Ansicht fand und findet in der Literatur Anklang.205 (3) Kritische Würdigung dieser Theorien Sieht man mit Mezger im Wirkgrund der Einwilligung einen Rechtsschutzverzicht, so ist diese Beschreibung alleine noch keine Begründung dafür, warum die Einwilligung rechtfertigend wirken soll.206 So kann mit dieser Ansicht etwa nicht erklärt werden, warum ein solcher Rechtsgutsverzicht in einigen Fällen möglich ist, in anderen aber nicht.207 Insofern muss sich diese Theorie Unvollständigkeiten in ihrem Begründungsansatz vorwerfen lassen, was ihrer Aussagekraft sehr abträglich ist. Demgegenüber kann die Theorie einer Güterabwägung grundsätzlich gut erklären, dass die Einwilligung in einigen Fällen wirksam ist, in anderen jedoch nicht.208 Allerdings ist auch diese Theorie nicht dazu in der Lage, die rechtfertigende Struktur der Einwilligung erschöpfend zu beschreiben: Denn während Rechtfertigungsgründe normalerweise auf einem Interessenkonflikt beim Täter aufbauen, 201 Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 48. Im Rahmen dieser Güterabwägung wird für ihn auch der zentrale Unterschied der Einwilligung zu den anderen Rechtfertigungsgründen deutlich: Die durch die Einwilligung geschützten oder verwirklichten Werte seien meist nicht nach der allgemeinen Werteordnung, sondern nur in den Augen des Verletzten die stärkeren. 202 Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 60 f. 203 Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 60 f. 204 Noll, Rechtfertigungsgründe, S. 61. 205 Vgl. etwa Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 952 ff.; Otto, in: FS Geerds, 603, 609; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 96; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.1.c.; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 ff., Rn. 46. 206 Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 45. 207 Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 45. 208 Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 46.

112

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

beschreibt die Güterabwägungstheorie für die Einwilligung einen Interessenkonflikt beim Opfer.209 Das Ergebnis von Letzterem manifestiert sich im Willen des Berechtigten, welcher im Rahmen der Einwilligung in erster Linie maßgeblich ist.210 Damit kann aber nicht ernsthaft von einer die Rechtfertigungsgründe charakterisierenden Interessenabwägung gesprochen werden.211 Vielmehr stellt die Einwilligung einen Fremdkörper in der Systematik der Rechtfertigungsgründe dar.212 Teils wird § 228 StGB als Beleg dafür herangezogen, dass es bei der Einwilligung eben doch um die Abwägung von Interessen gehe.213 Dies ist aber nicht richtig, da diese Norm die generelle Einschränkung der Verfügungsbefugnis betrifft, während es im System der Rechtfertigungsgründe um die Erforderlichkeit eines Eingriffs im konkreten Fall – also um eine Interessenabwägung – geht.214 § 228 StGB spricht also auch nicht unter systematischen Aspekten für die Behandlung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund.215 Damit zeigt sich, dass den dargestellten systematischen Begründungsansätzen für die Einordnung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund gewichtige Bedenken entgegenstehen. Sie überzeugen daher nicht. bb) Die Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund Nicht nur, dass die Begründungsansätze zur Einordnung der Einwilligung auf Ebene der Rechtfertigung nicht überzeugen, die systematischen Aspekte sprechen vielmehr für die Behandlung der Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund: Auf Ebene des Tatbestands wird das Verhalten beschrieben, das grundsätzlich die Verletzung eines Rechtsguts darstellt.216 Es geht um die Erfüllung der Merkmale, „die den typischen Unrechtsgehalt der Tat verkörpern“.217 Eine endgültige Unrechtsbeurteilung wird zwar erst auf Ebene der Rechtfertigung vorgenommen, 209 210

Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 46 f.; vgl. auch Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 1. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 23; vgl. auch Schroth, in: FS Volk, 719,

722 f. 211 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 23; Schroth, in: FS Volk, 719, 722 f.; vgl. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 104; Jäger, Zurechnung, S. 23. 212 Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 126. 213 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I.3; Geppert, ZStW 83 (1971), 947, 968. 214 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 23. 215 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 23. 216 Schmidhäuser, in: FS Geerds, 593, 598; Roxin, Strafrecht AT I, § 7, Rn. 61. Dies ergibt sich schon daraus, dass man dem Tatbestand irgendeine Relevanz zumessen muss, um überhaupt sinnvoll zwischen den Ebenen des Tatbestands und der Rechtfertigung unterscheiden zu können, Roxin, in: FS Amelung, 269, 271. 217 Rengier, Strafrecht AT, § 8, Rn. 3; vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13, Rn. 26.

III. Systematische und dogmatische Konsequenzen

113

gleichwohl ist der Tatbestand keine wertungsfreie Kategorie,218 er indiziert das Unrecht;219 eine Rechtfertigung kann daher nur ausnahmsweise vorliegen.220 Würde man die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund einstufen, so würde der körperliche Eingriff durch einen Dritten, in den eingewilligt wurde und der daher zur Persönlichkeitsentfaltung des Rechtsgutsträgers dient, als tatbestandsmäßig i. S. d. § 223 StGB, also als grundsätzlich rechtsgutsverletzendes Verhalten qualifiziert.221 Der mit wirksamer Einwilligung des Berechtigten vorgenommene Eingriff kann aber gerade keine Rechtsgutsverletzung darstellen.222 Dies wäre nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Lebensrealität widersprüchlich,223 sondern es kann ein mit wirksamer Einwilligung vorgenommener, auf der Selbstentfaltung des Einzelnen beruhender Eingriff nicht als Verkörperung des typischen Unrechtsgehalts einer Tat angesehen werden, der das Unrecht indiziert224 – die Einwilligung geht daher weiter als eine bloße Rechtfertigung und ist bereits auf Ebene des Tatbestands relevant.225 c) Ergebnis Die sich aus dem zugrunde gelegten liberalen Rechtsgutsverständnis ergebende Verortung der Einwilligung im Tatbestand ist nicht nur eine Konsequenz desselben, sondern bestätigt dieses auch unter strafsystematischen Gesichtspunkten. An dieser Stelle zeigt sich außerdem nochmals deutlich, dass das Verfassungsrecht auf die Systembildung im Strafrecht einwirkt:226 Die Einwilligung schließt als Legitimationsgrund körperlicher Beeinträchtigungen bereits den Tatbe218

Vgl. LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 7. NK-Paeffgen, Vor §§ 32 ff., Rn. 15; vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 7, Rn. 14; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 8 m.w. N.; anders v. Heintschel-Heinegg-Momsen, § 32, Rn. 11. 220 Schmidhäuser, in: FS Geerds, 593, 595; vgl. auch Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 115. 221 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 13; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 125 f. 222 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. Vgl. zur Einordnung der Einwilligung in die Kategorie der objektiven Zurechnung Jäger, Zurechnung, S. 22 f. 223 Roxin, in: FS Amelung, 269, 271 f. Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Dritter mit wirksamer Einwilligung oder der Rechtsgutsträger selbst handelt. Während der Rechtsgutsträger selbst eine primäre Verletzungsbefugnis hat, hat der handelnde Dritte eine vom Rechtsgutsträger abgeleitete. Im Hinblick auf die Erfüllung des Tatbestand kann dies keinen Unterschied machen. Zipf, Einwilligung, S. 29 f. 224 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 112, 145, 147, sah noch im Tatbestand überhaupt keine Wertung enthalten. Vgl. hierzu Jäger, Zurechnung, S. 3. 225 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 14. 226 Hierzu überzeugend Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74. 219

114

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

stand227 des § 223 I StGB aus. Es kann keine Rechtsgutsverletzung vorliegen, wenn der körperliche Eingriff der freien Entfaltung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Rechtsgutsträgers dient.228 2. Die Funktionen der Einwilligung Neben den gerade besprochenen systematischen Konsequenzen ergeben sich vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund sowie auf Grundlage des hier vertretenden Rechtsgutsverständnisses i. R. d. § 223 StGB folgende drei Funktionen der Einwilligung:229 Wegen der Garantie der körperbezogenen Selbstbestimmung darf kein körperlicher Eingriff ohne wirksame Einwilligung vorgenommen werden. Die strafrechtliche Einwilligung hat also erstens eine Abwehrfunktion gegen eigenmächtige Eingriffe:230 Solange keine wirksame Einwilligung vorliegt, wird durch §§ 223 ff. StGB Bestandsschutz gewährt.231 Aus dem körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht ergibt sich die Dispositionsbefugnis, die eine Einwilligung in körperliche Beeinträchtigungen erlaubt.232 Dadurch kann sich der Rechtsgutsträger in Bezug auf seinen Körper – innerhalb der gesetzlichen Grenzen – frei entfalten: Er kann sich der Hilfe Dritter bedienen, um körperliche Eingriffe an sich vornehmen zu lassen. Der Einwilligung kommt also zweitens Entfaltungsfunktion zu.233 Diese Möglichkeit des Rechtsgutsträgers zur freien Entfaltung greift aber nur dann durch, wenn der Arzt – bzw. allgemein gesprochen der Eingreifende – im Hinblick auf den Eingriff, in den wirksam eingewilligt wurde, nicht nach §§ 223 ff. StGB haften muss.234 Durch die Einwilligung wird die Risikozuständigkeit vom Eingreifenden auf den Rechtsgutsträger verschoben,235 die Haftung 227 Dass nicht zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung unterschieden wird, bedeutet nicht, dass sie bzgl. ihrer Voraussetzungen völlig gleich zu behandeln wären. Die jeweiligen Voraussetzungen der Zustimmung des Berechtigten müssen vielmehr der Struktur des jeweiligen Tatbestands entnommen werden, Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 32. 228 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12; Schroth, in: FS Volk, 719, 720 ff. 229 Die folgende Darstellung beruht auf den überzeugenden Ausführungen von Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff. 230 Ausführlich zu dem Ganzen: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff.; vgl. Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 85 f.; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 122. 231 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 232 Roxin, in: FS Amelung, 269, 282; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 78. 233 Ausführlich zu dem Ganzen: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 78 ff. 234 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 85 f. 235 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 85; vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 12, Rn. 5; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 86.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

115

des Eingreifenden wird begrenzt,236 indem ihm Straffreiheit garantiert wird. Die Einwilligung hat damit drittens Garantiefunktion.237

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung Über die gerade aufgezeigten systematischen und dogmatischen Konsequenzen hinaus beeinflusst das hier zugrunde gelegte liberale Rechtsgutsmodell auch die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung: Die tatbestandsausschließende Einwilligung in einen Eingriff i. S. d. § 223 I StGB ist Ausdruck der körperbezogenen Selbstentfaltung des Rechtsgutsträgers und verfassungsrechtlich durch Art. 2 II 1 GG garantiert.238 Zur Absicherung dieser Freiheit,239 von der nur in selbstbestimmter Weise Gebrauch gemacht werden kann, dienen die unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung.240 Deren Grundzüge werden im Folgenden besprochen, um eine Grundlage für die daran anschließenden Ausführungen zur stellvertretenden Einwilligung zu schaffen. 1. Dispositionsbefugnis Während das durch die §§ 223 ff. StGB geschützte körperbezogene Selbstbestimmungsrecht das grundsätzliche Erfordernis der Einwilligung bei körperlichen Eingriffen durch Dritte bedingt,241 meint die Dispositionsbefugnis die rechtliche Befugnis zur Einwilligung.242 Sie ergibt sich grundsätzlich aus der körperbezogenen Selbstbestimmung, wird aber durch die Einwilligungsschranken zur Absicherung der Selbstbestimmtheit der Entscheidung begrenzt.243 Legt man die oben beschriebene Fallkonstellation244 der Einwilligung eines einwilligungsfähigen Erwachsenen bzw. Minderjährigen in seine eigene Be-

236

Vgl. Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 64. Ausführlich zu dem Ganzen: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 85 ff. 238 Vgl. oben D.II. Und D.III. 239 Bei den meisten Einwilligungsschranken handelt es sich um autonomiesichernden, weichen Paternalismus. Umstritten ist die Einordnung der Grenze des § 228 StGB, vgl. hierzu etwa Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 111 ff., insbesondere S. 125 ff. 240 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 723 ff. 241 Abwehrfunktion der Einwilligung, vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 f. 242 Entfaltungsfunktion der Einwilligung, vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 78 f. Vgl. zu den Begrifflichkeiten auch oben D.II.2.c)aa). 243 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 723; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 83. 244 Vgl. oben D.I.1. 237

116

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

schneidung zugrunde, so ergibt sich dessen Dispositionsbefugnis als Rechtsgutsträger245 direkt aus seiner – von den Körperverletzungsdelikten abgesicherten – körperbezogenen Selbstbestimmung.246 Sie wird durch die nachfolgend zu erörternden Schranken abgesichert.247 2. Einwilligungsfähigkeit Um die Entscheidung als selbstbestimmte zu gewährleisten, bedarf eine wirksame Einwilligung zunächst der Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsträgers.248 Verstanden als Fähigkeit zur Selbstbestimmung wird die Einwilligungsfähigkeit unabhängig von der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit249 und der strafrechtlichen Schuldfähigkeit250 nach eigenständigen Kriterien in Bezug auf den Einzelfall251 beurteilt. Es handelt sich hierbei um Zuschreibung von Kompetenz, die den Rechtsgutsträger zur Aufhebung körperbezogener Schutzvorschriften befähigt.252 a) Einwilligungsfähigkeit eines Erwachsenen Bei Erwachsenen wird das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit grundsätzlich vermutet.253 Freilich können auch Anhaltspunkte vorliegen, aus denen sich die Einwilligungsunfähigkeit eines Erwachsenen ergeben kann.254 Zu beachten steht aber,

245 246

Vgl. nur Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 13. Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende,

S. 78. 247

Vgl. auch Schroth, in: FS Volk, 719, 723 ff. Schroth, in: FS Volk, 719, 723; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 308 f. Teilweise wird die Einsichts- und Urteilsfähigkeit auch als Unterfall der Voraussetzung der Freiheit von Willensmängeln behandelt, vgl. Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 9. 249 Vgl. hierzu Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 526 ff.; Amelung, Vetorechte, S. 10; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 256; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 228, Rn. 13; Kindhäuser, LPK-StGB, § 228, Rn. 1; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 14; BGH, NJW 1959, 811 (zivilrechtliche Entscheidung). 250 Vgl. hierzu Amelung, ZStW 104 (1992), 525 f. 251 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 84. 252 TPG-Schroth, § 19, Rn. 56; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 720 f.; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 82 f., 86 und 89 ff.; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123. 253 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 86 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 256. Die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit ab einem bestimmten Alter ist richtig, um dem Rechtsgutsträger keine Kompetenzen abzuschneiden, Schroth, in: FS Volk, 719, 724; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 83. Kritisch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 119 ff. 254 Vgl. BGHSt 4, 88, 90 (übermäßiger Alkoholkonsum). 248

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

117

dass das Autonomie-Prinzip gilt:255 Es darf für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit insbesondere nicht auf Kriterien der objektiven Vernünftigkeit der Entscheidung abgestellt werden.256 Denn durch Art. 2 II 1 GG wird dem Einzelnen das Recht sowohl zu vernünftigen als auch zu unvernünftigen körperbezogenen Entscheidungen garantiert.257 Geht man davon aus, dass ein Erwachsener in die Vornahme seiner eigenen Zirkumzision einwilligt, so ist das Vorhandensein seiner Einwilligungsfähigkeit zu vermuten, solange keine gegenteiligen Hinweise vorliegen. b) Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen Soweit es sich dagegen um einen Minderjährigen handelt, der in die Beschneidung einwilligt, muss dessen Einwilligungsfähigkeit bezüglich dieses konkreten Eingriffs positiv festgestellt werden.258 Im Hinblick auf die Zirkumzision wird er diese regelmäßig nicht erst mit Erreichen der Volljährigkeit, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt erlangen. Bevor genauer darauf eingegangen wird, wie die Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen bezüglich des konkreten Eingriffs der Beschneidung beurteilt werden kann, stellt sich zunächst die Frage, welche allgemeinen Konsequenzen sich aus dem Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch den Minderjährigen in Bezug auf einen bestimmten körperlichen Eingriff ergeben. aa) Die Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung einer wirksamen eigenen Einwilligung Dass das Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch den Minderjährigen im Hinblick auf körperliche Eingriffe zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen 255

Fischer, StGB, § 228, Rn. 5; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 82. Fischer, StGB, § 228, Rn. 5. Anders der BGH im „Zahnextraktionsfall“, in dem die Einwilligungsfähigkeit einer erwachsenen Frau wegen „laienhafte[n] Unverstand[s]“ verneint wurde. Nach Meinung des BGH fehlte es an der für die Einwilligung in den unvernünftigen ärztlichen Eingriff erforderlichen Urteilskraft, vgl. BGH, NJW 1978, 1206. Diese Entscheidung ist in der Literatur auf erhebliche Kritik gestoßen, vgl. etwa Hruschka, JR 1978, 519 ff.; Horn, JuS 1979, 29, 30; Rogall, NJW 1978, 2344 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 86 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 17. Der Entscheidung zustimmend Bichlmeier, JZ 1980, 53 ff. Vgl. zum Problem der Rationalität auch Amelung, JR 1999, 45 ff. 257 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 87; Schünemann, VersR 1981, 306, 308; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 79 ff.; Oswald, in: Grenzen des Paternalismus, 94, 105. Hinzu kommt, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen „vernünftig“ und „unvernünftig“ um eine subjektive Beurteilung handelt, vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 942. 258 Vgl. nur LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 195; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40; Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 416. 256

118

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

nach sich ziehe, da es bis zur Volljährigkeit allein auf die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ankomme, wird nur selten angenommen.259 Zum Teil wird vertreten, dass für die Legitimation körperlicher Eingriffe ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit sowohl die Einwilligung des Minderjährigen selbst als auch die seines gesetzlichen Vertreters erforderlich sei.260 Dem steht jedoch entgegen, dass dem in Art. 6 II GG abgesicherten elterlichen Erziehungsrecht sowie dessen einfachgesetzlichen Ausprägungen in §§ 1626 ff. BGB – also den rechtlichen Grundlagen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung für das Kind261 – die Vorstellung zugrunde liegt, dass die Kompetenzen der Eltern mit der wachsenden Fähigkeit des Kindes zur Selbstbestimmung immer weiter zurückgedrängt werden, bis sie schließlich mit Erreichen der Volljährigkeit262 vollständig erlöschen.263 Das umgekehrt proportionale Abnehmen des elterlichen Erziehungsrechts entsprechend der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen beinhaltet dabei auch ein Zurücktreten desselben in bestimmten Teilbereichen, noch bevor die Grenze der Volljährigkeit erreicht ist:264 259 So etwa Lipp, MedR 2008, 292, 293. Dies wird zum Teil auch mit der Regelung des § 1626 II BGB begründet, der die Eltern von ihrer Verantwortung trotz vorhandener Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen gerade nicht entbinde. Der einwilligungsfähige Minderjährigen habe insoweit nur eine Mitentscheidungsbefugnis, Nebendahl, MedR 2009, 197, 200. 260 Wölk, MedR 2001, 80, 83, geht von einem „Prinzip der kumulativen Einwilligung“ aus, nach dem die gesetzlichen Vertreter und der einwilligungsfähige Minderjährige zusammen in die ärztliche Maßnahme einwilligen müssen. Ähnlich Hauck, NJW 2012, 2398, 2399. Zipf, Einwilligung, S. 42 f., rät zwar an, sowohl die Einwilligung des Minderjährigen als auch die des gesetzlichen Vertreters einzuholen, geht im Anschluss daran aber davon aus, dass die stellvertretende Einwilligung bei gegebener Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen zurücktritt. Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 559, geht i. S. e. „gestuften System[s] der Selbstbestimmung“ bei besonders gravierenden Eingriffen vom Erfordernis eines Co-Konsenses der Sorgerechtsinhaber und des einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen aus. 261 Vgl. hierzu genauer unten E.II. 262 Beim Erreichen der Volljährigkeit handelt es sich um eine vom Gesetzgeber normierte starre Altersgrenze, vgl. § 2 BGB. In strafrechtlicher Hinsicht wird spätestens ab Volljährigkeit das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit vermutet, solange sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben, vgl. hierzu Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 86 f.; Schroth, in: FS Volk, 719, 724. 263 In verfassungsrechtlicher Hinsicht: BVerfGE 59, 360, 382; 72, 122, 137; 80, 81, 90; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 44; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 438; Lesch, NJW 1989, 2309, 2310; Germann, in: Heil/Kramer, 83, 89. In zivilrechtlicher Hinsicht: Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 74; Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 120; Eberbach, FamRZ 1982, 450, 451 m.w. N. Die Idealvorstellung des § 1626 II BGB hat in zivilrechtlicher Hinsicht – v. a. aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit – allerdings kaum Verwirklichung gefunden, Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 74; vgl. Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 105. Vgl. zur Verwirklichung dieses Idealbilds im Strafrecht insbesondere Abschn. D, Fn. 286. 264 BVerfGE 59, 360, 382, bezugnehmend auf abgestufte partielle Mündigkeitsregelungen durch einfaches Gesetz. Vgl. auch Eberbach, FamRZ 1982, 450, 451.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

119

Sobald das Kind die Fähigkeit zur Selbstbestimmung in Bezug auf einen bestimmten körperlichen Eingriff erreicht hat,265 ist es selbst zur Ausübung seines körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 II 1 GG kompetent, es bedarf nicht mehr der stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern.266 Alleiniger Legitimationsgrund eines körperlichen Eingriffs ist dann die durch Art. 2 II 1 GG abgesicherte Einwilligung des in diesem Bereich selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen.267 Ein (zusätzliches) Abstellen auf die elterliche stellvertretende Einwilligung würde ab diesem Zeitpunkt Fremdbestimmung, also nicht legitimierbaren Zwang, bedeuten.268 Dieser Annahme einer Alleinentscheidungsbefugnis des Minderjährigen ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit wird entgegengehalten, dass hierdurch praktische Schwierigkeiten entstünden, da es trotz der vorhandenen Fähigkeit des Kindes zur Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff immer noch die Eltern seien, die in zivilrechtlicher Hinsicht als Vertreter für den Abschluss des Behandlungsvertrags zuständig seien bzw. diesen genehmigen müssten.269 Dieser Einwand berücksichtigt aber erstens nicht, dass die Zustimmung der Eltern gemäß § 1666 I, III Nr. 5 BGB ersetzt werden kann, wenn in der Verweige265 Zu betonen ist, dass das Kind nicht in jedem erdenklichen medizinischen Bereich die Fähigkeit zur Selbstbestimmung erlangt haben muss, sondern dass es genügt, wenn das Kind in Bezug auf den konkreten Eingriff selbstbestimmungsfähig (in strafrechtlicher Terminologie: einwilligungsfähig) ist. Gerade beim ärztlichen Handeln werden für einen Heranwachsenden einerseits einfach gelagerte Bereiche existieren, in denen er bereits zur Selbstbestimmung fähig ist, während andererseits in komplexer angelegten Bereichen seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung noch nicht ausgereift ist. Vgl. nur Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 45. 266 Insofern begrenzt das Recht des Kindes aus Art. 2 II 1 GG ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 II GG, Sternberg-Lieben/ Reichmann, NJW 2012, 257, 259. Das OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581, spricht von der „Grenze zwischen dem elterlichem [sic] Erziehungsrecht aus Art. 6 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 1 I GG [sic]“. 267 Freilich werden die Eltern dem Minderjährigen in den meisten Fällen weiterhin beratend zur Seite stehen. Rechtlich entscheidend ist aber ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit allein die Einwilligung des Minderjährigen. 268 Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526. Anders Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 559, die den Charakter der elterlichen Sorge als ein auf Auflösung angelegtes Recht als Argument für ein „gestufte[s] System der Selbstbestimmung“ heranzieht, nach dem bei besonders gravierenden Eingriffen ein Co-Konsens von Sorgeberechtigten und dem einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen verlangt wird. Allerdings ist – wie gerade gezeigt – ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch den Minderjährigen ein zusätzliches Abstellen auf die elterliche Einwilligung nicht legitimierbarer Zwang. Dem angesprochenen besonderen Charakter der elterlichen Sorge ist vielmehr dadurch Rechnung zu tragen, dass die wachsende Fähigkeit des Kindes zur Selbstbestimmung bereits i. R. d. stellvertretenden Einwilligung der Eltern angemessen zu berücksichtigen ist, vgl. hierzu ausführlich unten E.V.3.d) und E.V.5. 269 Nebendahl, MedR 2009, 197, 201. Vgl. hierzu §§ 107, 108 BGB. Zum Teil wird auch davon ausgegangen, dass die Eltern den Behandlungsvertrag (dann i. S. d. § 328 BGB) in eigenem Namen abschließen, vgl. Bamberger/Roth-Veit, § 1626, Rn. 26.

120

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

rung des Abschlusses eines Behandlungsvertrags eine Kindeswohlgefährdung liegt.270 Zweitens – entscheidend – können vermeintliche praktische Schwierigkeiten in zivilrechtlicher Hinsicht nicht dagegen vorgebracht werden, dass es einem zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen strafrechtlich möglich sein muss, körperbezogene Schutzvorschriften außer Kraft zu setzen.271 Dies garantiert ihm die Entfaltungsfunktion der Einwilligung und ihr verfassungsrechtlicher Hintergrund.272 Ein weiterer Einwand geht dahin, dass durch das alleinige Abstellen auf die Einwilligung des Minderjährigen ab Erlangen seiner Einwilligungsfähigkeit dessen Entscheidung nicht mehr kontrolliert werden könne: Mit Erreichen der Selbstbestimmungsfähigkeit könne der Minderjährige auch unvernünftige Entscheidungen treffen, sodass die Freiheit des allein zur Einwilligung kompetenten Minderjährigen größer als die seines gesetzlichen Vertreters sei.273 Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein Argument gegen die Alleinzuständigkeit des Minderjährigen ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit, sondern es werden zutreffend die Konsequenzen derselben beschrieben: Ist der Minderjährige nach seiner Reife dazu in der Lage, sein körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen, so ist in diesem Bereich eine Kontrolle weder notwendig noch erlaubt. Bis zur Schranke des § 228 StGB wird dem Einwilligungsfähigen auch das Recht zur Einwilligung in objektiv unvernünftige Eingriffe garantiert.274 Insofern ist die Möglichkeit des einwilligungsfähigen Minderjährigen zur Selbstverwirklichung durch Einwilligung freilich weiterreichend als die des einwilligungsunfähigen Minderjährigen i. R. d. elterlichen stellvertretenden Einwilligung. Schutz vor eigenen, nicht selbstbestimmten Entscheidungen erfährt der Minderjährige aber gerade durch das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung.275 Sobald der Minderjährige in Bezug auf den jeweiligen Eingriff selbst einwilligungsfähig ist, kommt es also grundsätzlich276 nicht mehr auf die stellvertretende 270

Wölk, MedR 2001, 80, 85. Vgl. allgemein zur Kompetenz, körperbezogene Schutzvorschriften außer Kraft zu setzen Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123; Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: FS Hassemer, 787. 272 Vgl. zur verfassungsrechtlich garantierten Entfaltungsfunktion der Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 78 ff. 273 Nebendahl, MedR 2009, 197, 201. 274 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 87; Schünemann, VersR 1981, 306, 308. Insofern ist freilich die Freiheit des einwilligungsfähigen Minderjährigen zur eigenen Einwilligung weitreichender als die der Eltern zur stellvertretenden Einwilligung für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen, vgl. auch Kern/Laufs, Aufklärungspflicht, S. 30. 275 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 723; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 14. 276 Es gibt gesetzlich normierte Ausnahmen, vgl. z. B. § 40 IV Nr. 3 AMG. 271

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

121

Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters an.277 Insofern sind stellvertretende Einwilligung einerseits und Einwilligung andererseits von einem „EntwederOder-Prinzip“ geprägt.278 bb) Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Ist der Minderjährige in Bezug auf den konkreten Eingriff einwilligungsfähig, so ist er allein zur Einwilligung hierin kompetent.279 Im Folgenden wird besprochen, auf welcher Grundlage und anhand welcher Kriterien diese zentrale Voraussetzung einer selbstbestimmten Entscheidung280 zu beurteilen ist. (1) Die einzelfallbezogene Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Beim Minderjährigen bedarf es einer positiven Feststellung seiner Einwilligungsfähigkeit bezüglich des konkreten Eingriffs.281 Diese kann nicht pauschal anhand fester Altersgrenzen geschehen, sondern muss in Abhängigkeit von der individuellen Reife des Kindes erfolgen.282 277 Ebenso etwa Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 124; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 92; MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 42; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 38; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111; Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526; Voll, Einwilligung, S. 69 f.; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 105; Göbel, Einwilligung, S. 82; Belling, FuR 1990, 68, 76; Lesch, NJW 1989, 2309 f.; Trockel, NJW 1972, 1493, 1496; nur für den Fall fehlender „Sonderregeln“ Jakobs, Strafrecht AT, 7/114; zusätzlich auf ein „berechtigtes Interesse [des Minderjährigen] an der eigenverantwortlichen Entscheidung“ abstellend Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 77. Vgl. bereits BGH, NJW 1959, 811. Anders etwa Nebendahl, MedR 2009, 197, 202. Da die Frage, ob zusätzlich zur Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen die Einwilligung der Eltern erforderlich ist, nicht einheitlich beantwortet wird, wird Ärzten in der Praxis empfohlen, zumindest bei schweren Eingriffen auch mit den Personensorgeberechtigten Kontakt aufzunehmen, vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 41 mit Fn. 148; Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 48; Kern/Laufs, Aufklärungspflicht, S. 29; vgl. auch Zipf, Einwilligung, S. 42 f., der anrät „sich im Zweifel nicht auf die Einwilligung eines Minderjährigen zu verlassen, sondern zusätzlich die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters einzuholen.“ Bei dem hieraus sich ergebenden Problem der Konkurrenz zwischen Einwilligung und stellvertretender Einwilligung soll es aber allein auf die Entscheidung des Minderjährigen ankommen, wenn dieser hinreichend einsichtsfähig ist: „Die Stellvertretung des gesetzlichen Vertreters [. . .] tritt dann zurück.“ 278 Lesch, NJW 1989, 2309, 2310. 279 Vgl. D.IV.2.b)aa) mit Fn. 276. 280 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 723. 281 Vgl. nur LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 195; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40; Joost, in: Roxin/Schroth, 383, 416. 282 Vgl. zu dieser Diskussion Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 128 ff. Zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ist insbesondere weder auf die Regelungen zur zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit noch auf die zur strafrechtlichen Schuldfähigkeit abzustellen, vgl. bereits oben (D.IV.2.) sowie Amelung, ZStW 104

122

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Grund hierfür ist erstens die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art. 2 II 1 GG, der auch dem Minderjährigen die eigene Verwirklichung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung garantiert, soweit er hierzu fähig ist.283 Für ein allgemeines Abstellen auf feste Altersgrenzen lassen sich zwar Aspekte der Rechtssicherheit anführen, es würde aber eine zu weitreichende Einschränkung der körperbezogenen Selbstentfaltung zur Folge haben.284 Zweitens sprechen die rechtliche Grundkonzeption des elterlichen Erziehungsrechts – als Grundlage der stellvertretenden Einwilligung –, das von der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes mehr und mehr zurückgedrängt wird,285 sowie die tatsächlich unterschiedliche Art und Dauer der Entwicklung von Kindern dafür, die Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit von der individuellen Reife des jeweiligen Minderjährigen zu beurteilen.286 (2) Rechtlicher Rahmen der Einwilligungsfähigkeit Für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in Abhängigkeit von der individuellen Reife des Minderjährigen werden zwar in erster Linie medizinische, (1992), 525 ff.; Amelung, R&P 1995, 20 f.; Schünemann, VersR 1981, 306 f.; Reipschläger, Einwilligung, S. 27 ff.; Duttge, in: Breitsameter, 34, 39 f.; BGH, NJW 1959, 811 (zivilrechtliche Entscheidung). 283 Vgl. Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 310; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff. und 186 f.; vgl. Göbel, Einwilligung, S. 75. 284 Vgl. hierzu auch NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16; Coester-Waltjen, MedR 2012, 553, 558. In einzelnen Bereichen lässt sich dagegen durchaus über die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit des Heranziehens fester Altersgrenzen zur Absicherung der körperbezogenen Selbstbestimmung diskutieren (s. hierzu nur § 40 I Nr. 3a AMG; § 2 I Nr. 3 KastrG). Vgl. auch Joost, in: Roxin/Schroth, 383, S. 425 und S. 436 ff., die im Hinblick auf Schönheitsoperationen feste Altersgrenzen fordert, sofern es sich um schwere sowie bedeutsame Eingriffe handelt, die irreversibel und gleichzeitig aufschiebbar sind (S. 439). Sie hält aber richtigerweise ein pauschales Verbot nicht indizierter kosmetischer Eingriffe an Minderjährigen für zu weitgehend (S. 441). Da ihre Ausführungen allein auf reine Schönheitsoperationen bezogen sind, die nicht indiziert sowie nicht unerheblich sind, betreffen sie von vornherein nicht den Fall der Beschneidung aus religiösen Gründen. Jedenfalls handelt es sich bei der Zirkumzision nicht um einen solch schweren Eingriff, dass ein Festsetzen fester Altersgrenzen zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit angezeigt wäre. 285 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 74; Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 120; Eberbach, FamRZ 1982, 450, 451 m.w. N. 286 Vgl. auch Rothärmel/Wolfslast/Fegert, MedR 1999, 293, 297; Golbs, Vetorecht, S. 90 ff.; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 83 ff.; Wölk, MedR 2001, 80, 86. Insofern ist im Strafrecht durch die individuelle Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger eine im Vergleich zum Zivilrecht weiterreichende Berücksichtigung des dem Art. 6 II GG zugrunde liegenden Idealbilds, dass das Elternrecht dort endet, wo der Minderjährige zur Selbstbestimmung fähig ist, vorhanden. Diese Idealvorstellung hat aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit im Zivilrecht kaum Verwirklichung gefunden, Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 74; vgl. Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 105; vgl. schon Abschn. D, Fn. 263.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

123

psychiatrische und psychologische Fragestellungen relevant.287 Dennoch muss die rechtliche Bedeutung des Begriffs „Einwilligungsfähigkeit“ klar sein, damit er überhaupt anhand nicht-juristischer Aspekte ausgefüllt werden kann.288 Es ist also zunächst auf den allgemeinen rechtlichen Rahmen des Begriffs der „Einwilligungsfähigkeit“ einzugehen.289 (a) Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit Im Allgemeinen wird die Einwilligungsfähigkeit als tatsächliche Einsichtsund Urteilsfähigkeit des Patienten definiert,290 die sich danach beurteilt, ob der Einwilligende nach seiner geistigen und sittlichen Reife in der Lage ist, Art, Bedeutung und Tragweite des konkreten Eingriffs zu erkennen und seinen Willen danach auszurichten.291 Sofern dagegen allein auf die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen, nicht aber auf seine Fähigkeit, auch nach dieser Einsicht zu handeln, abgestellt wird, greift dies zu kurz.292 Da ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit in einen Eingriff nicht nur eingewilligt, sondern dieser auch abgelehnt werden kann, betrifft die Einsichts- und Urteilsfähigkeit außerdem nicht nur die Konsequenzen der Vornahme des Eingriffs, sondern auch die Folgen eines Unterlassens desselben.293

287

Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543; BGHZ 29, 46, 51 f. Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543 f.; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 48 f. 289 Vgl. zur Unterscheidung von rechtlichem Rahmen und tatsächlicher Ausfüllung des Merkmals der Einwilligungsfähigkeit Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 46 ff.; ebenso Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 175 f.; vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543 f. 290 Vgl. bereits oben D.IV.2.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 41; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 84; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39. 291 Vgl. RGSt 41, 392, 394; BGHSt 4, 88, 90; 12, 379, 383; BayObLG, NJW 1999, 372; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 124; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 683; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 9, Rn. 24; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 15; Dethloff/Beitzke, Familienrecht, § 13, Rn. 61; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 IV.4; Otto, in: FS Geerds, 603, 614; Belling, FuR 1990, 68, 69; Lesch, NJW 1989, 2309; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 941; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 5; NKPaeffgen, § 228, Rn. 14 f.; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 38; Otto, in: FS Geerds, 603, 614. Vgl. zur Problematik dieser Formel Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 535 ff.; Amelung, Vetorechte, S. 8 f. Vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1959, 811. 292 Hierzu Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 543; LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 193. 293 Bleiler, Strafbarkeitsrisiken, S. 51; vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558. 288

124

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

(b) Die Problematik der Konkretisierung von Einsichtsund Urteilsfähigkeit Der formelhaften Umschreibung von Einsichts- und Urteilsfähigkeit, die sich in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen findet,294 haftet die Problematik an, dass sie sehr ungenau und vage ist, was ihre Aussagekraft beeinträchtigt.295 Diesem Problem versucht Amelung durch die Weiterentwicklung der Formel anhand einer Definition der Einwilligungsunfähigkeit zu begegnen: Nach seinem Ansatz ist zur Einwilligung nicht fähig, „wer wegen Minderjährigkeit, geistiger Behinderung oder geistiger Erkrankung nicht erfassen kann, a) welchen Wert oder welchen Rang die von der Einwilligungsentscheidung berührten Güter und Interessen für ihn haben oder b) welche Folgen oder Risiken sich aus der Einwilligungsentscheidung ergeben oder c) welche Mittel es zur Erreichung der mit der Einwilligung erstrebten Ziele gibt, die ihn weniger belasten.“ 296 Selbiges soll gelten, wenn ein Betroffener des genannten Personenkreises nicht dazu in der Lage ist, sich nach der vorhandenen Einsicht zu bestimmen.297 Dabei geht es um das Erfassen und Verstehen nicht nur der Folgen und Risiken des Eingriffs, sondern auch des Unterlassens eines solchen.298 Diesem Definitionsansatz ist zwar zuzugestehen, dass er den rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit besser konkretisiert als die oben genannte allgemeine Formel der Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Nichtsdestotrotz kann man Unsicherheiten und Ungenauigkeiten bei der Definition der Einwilligungsfähigkeit nicht vollends vermeiden. (c) Konkretisierung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit anhand medizinischer Kriterien? Die bei der Definition des rechtlichen Rahmens der Einwilligungsfähigkeit – verstanden als Einsichts- und Urteilsfähigkeit – bestehenden Unsicherheiten und Ungenauigkeiten werden durch das Heranziehen unterschiedlicher, insbesondere medizinischer Kriterien auszugleichen versucht.299 Inwiefern diese zur Konkreti294

Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 36 f. m.w. N. Vgl. hierzu nur Amelung, NStZ 1999, 458, 459; Amelung, Vetorechte, S. 8 ff.; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 542 f.; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 185; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 39 ff. 296 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558 (Hervorhebungen durch Amelung). 297 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558; Amelung, ZStW 104 (1992), 821 ff.; vgl. Amelung, R&P 1995, 20, 24 ff.; Amelung, NStZ 1999, 458, 459 f.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 942; ihm folgend NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16; kritisch insbesondere im Hinblick auf das Kriterium der Vernünftigkeit Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 88, mit dem Ergebnis, dass die Autoren der Sache nach nicht weit voneinander entfernt sind. 298 Bleiler, Strafbarkeitsrisiken, S. 51; vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558. 299 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 100 ff. 295

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

125

sierung des generellen rechtlichen Rahmens300 der Einwilligungsfähigkeit tauglich sind, wird im Folgenden besprochen. (aa) Dringlichkeit und Vernünftigkeit des Eingriffs Von der Rechtsprechung werden Einsichts- und Urteilsfähigkeit insofern mit dem Kriterium der Dringlichkeit eines Eingriffs in Zusammenhang gebracht, als an die Einwilligungsfähigkeit umso weniger Anforderungen gestellt werden, je dringlicher der vorzunehmende Eingriff ist.301 Daran anschließend wird auch darauf abgestellt, wie notstandsähnlich die Situation ist und inwieweit die Entscheidung dem entspricht, was nach den Regelungen des rechtfertigenden Notstands als „objektiv vernünftig“ gilt.302 Bedenkt man, dass es sich bei dringlichen Eingriffen in der Regel auch um schwerwiegende Eingriffe handelt, über die zudem unter zeitlichem Druck entschieden werden muss,303 so erschließt sich nicht, warum in diesem Fall geringere Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellen sein sollen. Das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit dient dem Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung, der nicht allein aufgrund der Tatsache herabgesetzt werden darf, dass es sich um einen dringlichen oder vernünftigen Eingriff handelt:304 Die vorhandene Einwilligungsfähigkeit beinhaltet nicht nur die Kompetenz zur Zustimmung zum Eingriff, sondern auch zu dessen Verweigerung.305 Würde man in den Fällen dringlicher oder vernünftiger Eingriffe die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit herabsetzen, so hätte dies zur Konsequenz, dass auch in Fällen tatsächlich fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen dessen Einwilligungsfähigkeit gegebenenfalls zu bejahen wäre.306 Dies würde entweder zu einem nicht ausreichenden Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung des Minderjährigen führen, oder aber man müsste das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit weiter davon abhängig machen, ob der Minderjährige dem Eingriff zustimmt oder ihn verweigert. Mit anderen Worten würde die Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung auf die Zustimmung zum 300 Vgl. zum Unterschied von rechtlichem Rahmen und tatsächlicher Ausfüllung der Einwilligungsfähigkeit: Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 46 ff.; vgl. Abschn. D, Fn. 289. 301 BGHSt 12, 379, 382 f.; vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1972, 335, 337. 302 Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831. 303 Wölk, MedR 2001, 80, 87; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 117 f.; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 181. 304 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 100 f. 305 Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558. 306 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 100 f.

126

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

medizinisch „Sinnvollen“ oder „Vernünftigen“ reduziert,307 was dem Schutz und dem Inhalt dieses Rechtsguts in eklatanter Weise zuwiderläuft.308 Denn zur (körperbezogenen) Selbstbestimmung gehört auch die Kompetenz, in aus ärztlicher Sicht oder nach allgemeiner Meinung unvernünftige Eingriffe einzuwilligen.309 Dringlichkeit und Vernünftigkeit einer ärztlichen Maßnahme beeinflussen daher nicht die an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit eines Minderjährigen zu stellenden Anforderungen, die den rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit vorgeben.310 Mit den generellen Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit als rechtlichem Rahmen der Einwilligungsfähigkeit ist nicht die tatsächliche, konkrete Beurteilung derselben im Hinblick auf den individuellen Patienten im Einzelfall zu verwechseln.311 Auf dieser Ebene kann zwar nicht die Dringlichkeit, wohl aber die Vernünftigkeit eines Eingriffs als Indiz für vorhandene bzw. fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit herangezogen werden: Widerspricht etwa die vom Minderjährigen getroffene Entscheidung aller ärztlichen Vernunft, so ist dies ein Indiz – aber nicht mehr – für dessen mangelnde Einsichts- und Urteilsfähigkeit.312 Demgegenüber beeinflusst die vorliegende bzw. fehlende Vernünftigkeit eines Eingriffs nicht die im Allgemeinen an die Einwilligungsfähigkeit zu stellenden Anforderungen. (bb) Fehlende Indikation des Eingriffs Zur Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit wird zum Teil die (fehlende) Indikation eines Eingriffs herangezogen: Bei nicht indizierten Eingriffen sollen im Vergleich zu indizierten Eingriffen an die Einwilligungsfähigkeit strengere Anforderungen gestellt werden.313 307 Wölk, MedR 2001, 80, 87. Anders Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 831 f., der die Einwilligungsfähigkeit umso eher bejahen will, je eher die Entscheidung dem objektiv Vernünftigen entspricht. 308 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 100 f. 309 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 87 f.; Schünemann, VersR 1981, 306, 308; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123 f. 310 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 100 f. Im Falle sehr dringender Eingriffe kann allerdings im Hinblick auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen durch den Arzt der an diesen zu stellende Sorgfaltsmaßstab ein geringerer sein, vgl. Abschn. D, Fn. 347. 311 Vgl. zum Unterschied von rechtlichem Rahmen und tatsächlicher Ausfüllung des Merkmals der Einwilligungsfähigkeit: Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 46 ff.; vgl. Abschn. D, Fn. 289. 312 So Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 85. 313 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 85. Dies wird zum Teil auch mit dem Erfordernis einer ausführlicheren und intensiveren Aufklärung bei nicht indizierten Eingriffen begründet, so Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 268. Vgl. schon oben zum Zusammenhang zwischen Indikation und Aufklärungsumfang D.IV.4.b)aa)(1).

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

127

Aber auch hier ist nicht ersichtlich, warum das tatsächliche, im konkreten Fall gegebene Merkmal der fehlenden Indikation Einfluss auf die allgemeine Definition der Einwilligungsfähigkeit haben sollte. Der Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung erfordert die Absicherung einer selbstbestimmten Entscheidung, die nicht davon abhängen kann, ob der Eingriff indiziert ist oder nicht.314 Die Indikation eines Eingriffs wirkt sich infolgedessen nicht auf den rechtlichen Rahmen315 der Einwilligungsfähigkeit aus, die die Selbstbestimmtheit der Entscheidung des Minderjährigen absichern soll.316 (cc) Zwischenergebnis Die angesprochenen medizinischen Kriterien haben keinen Einfluss auf die allgemein an den rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit zu stellenden Anforderungen. Es kommt auf die beschriebene Einsichts- und Urteilsfähigkeit an, die durch die Formel Amelungs317 etwas genauer gefasst werden kann, ohne dass sich allerdings das Problem der Unsicherheit und Ungenauigkeit vollends umgehen lässt. (3) Tatsächliche Ausfüllung der Einwilligungsfähigkeit Zwar haben die unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten keine Auswirkungen auf den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit,318 sie können aber bei der konkreten, in jedem einzelnen Fall vorzunehmenden Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des individuellen Minderjährigen insofern eine Rolle spielen, als sich aus ihnen zumindest Anhaltspunkte oder Indizien für die im konkreten Fall vorliegende bzw. fehlende Einwilligungsfähigkeit ergeben.319 Dies wurde im Hinblick auf die (fehlende) Vernünftigkeit eines Eingriffs bereits angesprochen320 und wird im Folgenden bezüglich anderer tatsächlicher Gesichtspunkte erörtert. 314 Vgl. zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 186 f.; FatehMoghadam, RW 2010, 115, 124 f. 315 s. Abschn. D, Fn. 289. 316 Vgl. zur Absicherung der Selbstbestimmtheit von Entscheidungen Schroth, in: FS Volk, 719, 723. 317 Vgl. D.IV.2.b)bb)(2)(b). 318 s. Abschn. D, Fn. 289. 319 Vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 103 f. 320 Vgl. gerade eben, D.IV.2.b)bb)(2)(c)(aa). Die fehlende Vernünftigkeit eines Eingriffs, in den der Minderjährige einwilligt, kann als Indiz für dessen fehlende Einsichtsund Urteilsfähigkeit gewertet werden. Es besteht aber kein regelmäßiger Zusammenhang dahingehend, dass die Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen umso eher zu bejahen ist, je vernünftiger der Eingriff ist.

128

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

(a) Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs Es ist Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen, dass dieser dazu in der Lage ist, Art, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu überblicken sowie seinen Willen hiernach auszurichten.321 Dabei richtet sich die tatsächliche Beurteilung des Vorhandenseins von Einsichts- und Urteilsfähigkeit nach dem konkret vorzunehmenden Eingriff,322 sodass man regelmäßig – je nach Eingriff – in Bezug auf ein und denselben Minderjährigen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen wird. Diese unterschiedlichen Ergebnisse hängen mit den Eingriffsmodalitäten wie Schwere, Komplexität sowie den mehr oder weniger weitreichenden Folgen des Eingriffs zusammen: Je schwerer und komplexer der Eingriff ist sowie je weitreichender dessen Folgen sind, desto weniger wird der Minderjährige dazu in der Lage sein, den Eingriff und dessen Konsequenzen zu überblicken und seinen Willen danach auszurichten.323 Einen einfachen Eingriff ohne gravierende Folgen wird er demgegenüber eher verstehen und sich nach diesem Verständnis richten können. Auf der Ebene der tatsächlichen, konkreten Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des jeweiligen Minderjährigen spielen damit Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs insofern eine Rolle, als sie Einfluss darauf haben, ob der Betroffene in Bezug auf den konkreten Eingriff den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit ausfüllt.324 Sie können damit als Anhaltspunkte – aber auch nur als solche – für die tatsächliche Einzelfallbeurteilung von Einsichts- und Urteilsfähigkeit herangezogen werden.325 Auf den allgemein definierten rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit haben sie dagegen keinen Einfluss.326 (b) Das Alter des Minderjährigen als Indiz Häufig wird – weitgehend auch im Zusammenhang mit Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs – das Alter des Patienten als Indiz und als Hilfestellung zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit herangezogen: Während die Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei Kindern unter vierzehn Jahren eher zu verneinen sein soll,327 soll Minderjährigen ab etwa vierzehn Jahren die Einwilligungsfähig321

s. Abschn. D, Fn. 291. Vgl. nur Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40. 323 Vgl. Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 179; mit Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 557, kann man dies als „Relativität der Einwilligungsunfähigkeit“ bezeichnen. 324 Vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 103 f. 325 Vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 103 f. 326 Vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 103 f. Anders Sch/Sch-Lenckner/ Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40 m.w. N. 327 Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 45; SSW/StGB-Momsen, § 223, Rn. 31. 322

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

129

keit nicht mehr generell abgesprochen werden328 und sie umso eher zu bejahen sein, je näher die Grenze der Volljährigkeit rückt.329 Zumindest bei alltäglichen Eingriffen soll die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ab dem sechzehnten Lebensjahr regelmäßig zu bejahen sein.330 Verwendet man das Alter des Einwilligenden auf der Ebene der tatsächlichen Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit nur als grobe Faustregel, so stehen dem keine Bedenken entgegen. Es bleibt aber zu beachten, dass es stets einer Einzelfallbetrachtung bedarf, bei der sämtliche Aspekte berücksichtigt werden.331 (c) Dringlichkeit und Indikation eines Eingriffs Bezüglich Dringlichkeit und Indikation eines Eingriffs wurde bereits besprochen, dass diese Aspekte nicht den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit beeinflussen.332 Auch auf tatsächlicher Ebene ergeben sich aus diesen Merkmalen insofern keine Anhaltspunkte zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall, als keine Aussage dahingehend getroffen werden kann, dass ein Minderjähriger umso eher den Eingriff zu überblicken in der Lage sein wird, je dringlicher oder je indizierter dieser ist.333 So kann die Fähigkeit, den Eingriff und dessen Folgen zu überblicken sowie seinen Willen danach auszurichten, etwa bezüglich eines leichten, aber nicht indizierten Eingriffs eher vorhanden sein als in Bezug auf einen zwar indizierten, aber sehr schweren Eingriff mit weitreichenden Folgen.334 Gleiches gilt für dringliche Eingriffe, die ebenso mehr oder weniger schwerwiegend sein können. Freilich muss der Minderjährige verstehen können, ob es sich um einen dringlichen, einen indizierten oder aber um einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff handelt, in den er einwilligt,335 denn die Einwilligungsfähigkeit setzt auch voraus, dass man die Eingriffsart begreifen kann.336 328

Belling, FuR 1990, 68, 75. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 85; vgl. auch etwas weitergehend Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 309 f. 330 Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 38; SSW/StGB-Momsen, § 223, Rn. 31; nicht nur in Bezug auf alltägliche Eingriffe Deutsch, AcP 1992, 161, 175; vgl. Schwab, Familienrecht, Rn. 680. 331 Vgl. auch Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 830 m.w. N. 332 Vgl. D.IV.2.b)bb)(2)(c)(aa). 333 Vgl. hierzu auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, 186 f. 334 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 186 f. 335 Vgl. auch BGHSt 12, 379, 383: „Ist ein Eingriff, der nicht ungefährlich ist, nicht nötig, so muß das dem Einwilligenden gesagt werden.“; vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 125. 336 Die Eingriffsart ist entsprechend auch ein zentraler Aspekt, über den aufgeklärt werden muss, vgl. BGH, NJW 1971, 1887 (zivilrechtliche Entscheidung). 329

130

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

So ist etwa im Falle eines nicht indizierten Eingriffs der Inhalt dessen, was der Einwilligende zu überblicken in der Lage sein muss, ein anderer als im Falle eines indizierten Eingriffs, da er – neben der Kenntnis von Tragweite und Auswirkungen – verstehen können muss, dass für die Vornahme des Eingriffs aus medizinischer Sicht kein Grund besteht.337 Ob der Minderjährigen dazu in der Lage ist, ist auf Ebene der in jedem einzelnen Fall erfolgenden Prüfung der Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen. Dabei ergeben sich aus Dringlichkeit und Indikation des Eingriffs gerade keine Anhaltspunkte für das Vorliegen oder Fehlen der Einwilligungsfähigkeit. (d) Zwischenergebnis Es zeigt sich also, dass die genannten tatsächlichen Aspekte zwar keinen Einfluss auf den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit haben. Für die konkrete Einzelfallbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen ergeben sich aber insbesondere aus der fehlenden Vernünftigkeit sowie der Schwere, der Komplexität und den Folgen des Eingriffs in Verbindung mit der groben Faustregel des Alters des Minderjährigen Anhaltspunkte und Hilfestellungen, die die bestehenden Unsicherheiten des ungenauen rechtlichen Rahmens der Einsichts- und Urteilsfähigkeit zumindest teilweise abmildern. (4) Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit durch den Arzt Es obliegt dem behandelnden Arzt, die Fähigkeit des Minderjährigen zur Einwilligung in den konkreten Eingriff zu beurteilen, da er die hierzu nötigen medizinischen Fachkenntnisse hat.338 Dabei gilt das Prinzip der Einzelfallbetrachtung.339 Da das Fehlen bzw. Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit entscheidend dafür ist, ob es noch auf die stellvertretende Einwilligung der Eltern oder aber bereits auf die eigene Einwilligung des Minderjährigen ankommt, handelt es sich hierbei um eine essentielle Frage, die den Arzt einem gewissen Risiko aussetzt.340 Denn eine Fehleinschätzung der Einwilligungsfähigkeit hat zur Konsequenz, dass die Einwilligung in den Eingriff von der falschen Instanz – entweder vom noch einwilligungsunfähigen Minderjährigen oder von den nicht mehr dispositionsbefug-

337 Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193, im Hinblick auf entsprechend andere Aufklärungspflichten des Arztes. 338 Vgl. nur Ulsenheimer, in: HdA, § 137, Rn. 7 und § 139, Rn. 44; Golbs, Vetorecht, S. 85; Wölk, MedR 2001, 80, 82; Lesch, NJW 1989, 2309, 2310. 339 Hierzu Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 178 ff. 340 Vgl. zu diesem Risiko auch Schünemann, VersR 1981, 306, 307.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

131

ten Eltern – eingeholt wird, sodass keine wirksame Einwilligung in die Körperverletzung gegeben ist.341 Aufgrund dieses Risikos, das sich aus einer Fehlbeurteilung der Einwilligungsfähigkeit ergibt, und weil das Gericht de facto nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat, die Beurteilung durch den Arzt in einem späteren Prozess zu überprüfen,342 wird vorgeschlagen, dem Arzt einen Beurteilungsspielraum einzuräumen, der vom Gericht nur auf grobe, schwerwiegende Fehleinschätzungen überprüft werden könnte.343 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit die (körperbezogene) Selbstbestimmung des Patienten, also dessen Autonomie absichert, weshalb dem Arzt bei der Beurteilung dieser entscheidenden Voraussetzung kein eigener Entscheidungsspielraum zugestanden werden kann.344 Denn dies würde einem angemessenen Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung zuwiderlaufen und außerdem die Gefahr begründen, dass die Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten nicht ausreichend sorgfältig geprüft würde.345 Freilich hat auch der Arzt insofern ein anzuerkennendes Schutzbedürfnis, als nicht jede Fehleinschätzung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen zur Strafbarkeit des Arztes führen soll.346 Diesem Schutzbedürfnis wird aber hinreichend durch die allgemeinen Irrtumsregeln Rechnung getragen.347 341

Schünemann, VersR 1981, 306, 307; vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 113; Nebendahl, MedR 2009, 197, 202. 342 So Nebendahl, MedR 2009, 197, 202; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 113. 343 Nebendahl, MedR 2009, 197, 202; ebenso Lesch, NJW 1989, 2309, 2310; vgl. hierzu Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 113. 344 Vgl. Golbs, Vetorecht, S. 87. 345 Ebenso Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 113; vgl. Schünemann, VersR 1981, 306, 307. 346 Gegen die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums aufgrund der Schutzbedürftigkeit des Arztes Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 113. 347 Ein Irrtum des Arztes über das tatsächliche Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit ist auf zwei Weisen möglich: Er kann den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen tatsächlich für einwilligungsfähig halten und dementsprechend auf die Einwilligung des Minderjährigen abstellen, die wegen dessen fehlender Einwilligungsfähigkeit nicht wirksam ist. Oder er kann den einwilligungsfähigen Minderjährigen tatsächlich für einwilligungsunfähig halten und auf die stellvertretende Einwilligung der Eltern abstellen, die wegen mangelnder Dispositionsbefugnis unwirksam ist. Da es sich sowohl bei der Einwilligung als auch bei der stellvertretenden Einwilligung jeweils um einen Tatbestandsausschlussgrund handelt – vgl. diesbezüglich zur stellvertretenden Einwilligung unten, E.I.2.c) –, befindet sich der Arzt in diesen Fällen stets im Tatbestandsirrtum, sodass eine Vorsatzstrafbarkeit gemäß § 16 I StGB ausscheidet, vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 118. Es kommt dann zwar eine Strafbarkeit gemäß § 229 StGB in Betracht, die aber nur dann gegeben ist, wenn dem Arzt ein Fahrlässigkeitsvorwurf bezüglich der fehlerhaften Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zu machen ist. Solch ein Vorwurf kann ihm nicht gemacht werden, solange er die Beurteilung der Einwilligungs-

132

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Damit ist dem Arzt kein eigener Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit zuzugestehen.348 Demgegenüber liegt es sehr wohl in seinem Ermessen, auf welche Art und Weise er die Einwilligungsfähigkeit feststellt.349 In der Regel wird er im Gespräch mit dem Minderjährigen dessen Fähigkeit zur Einwilligung eruieren.350 Zur Orientierung für den Arzt werden hierzu drei sinnvolle Schritte vorgeschlagen:351 Zunächst hat er zu erkunden, welches Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit im Hinblick auf den konkreten Eingriff erforderlich ist, daran anschließend hat er im persönlichen Gespräch festzustellen, ob dieses Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei dem Minderjährigen vorliegt.352 Zu dieser Beurteilung können gegebenenfalls auch dritte Personen wie die Eltern oder der Hausarzt herangezogen werden.353 Zuletzt ist es dem Arzt anzuraten, seine Beurteilungen genau zu dokumentieren.354 cc) Die Fähigkeit zur Einwilligung in die religiös motivierte Zirkumzision Nunmehr stellt sich die Frage, wie der Arzt – unter Anwendung der oben besprochenen Grundsätze – die Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen in Bezug auf die religiös motivierte Beschneidung beurteilen wird. Eine Besonderheit könnte sich hierbei daraus ergeben, dass in die Entscheidung des Minderjährigen

fähigkeit des Minderjährigen objektiv und subjektiv sorgfaltsgemäß vorgenommen hat. Dabei kann der einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab bei sehr dringenden Eingriffen ein geringerer sein als bei anderen Eingriffen. In eine ähnliche Richtung geht wohl BGHSt 12, 379, 382. Allerdings kann dies nur für dringende Eingriffe gelten, bei denen für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit nur ein sehr kleines Zeitfenster verbleibt. Dagegen ist der Sorgfaltsmaßstab bei zwar indizierten, aber nicht dringenden Eingriffen nicht herabzusetzen. Beurteilt der Arzt zwar die tatsächliche Lage richtig, schätzt er aber die rechtlichen Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit – die Einsichts- und Urteilsfähigkeit – falsch ein, so befindet er sich in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB. In diesem Fall kommt es bezüglich der Straflosigkeit des Arztes auf die Vermeidbarkeit des Irrtums an. Vgl. hierzu Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 69, der als Beispiel anführt, dass der Arzt annimmt, eine Person mit schwerer Intelligenzminderung sei einwilligungsfähig. Würde man die Einwilligung im Gegensatz hierzu als Rechtfertigungsgrund begreifen, so müsste man den Irrtum über das tatsächliche Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit als Erlaubnistatbestandsirrtum qualifizieren, dessen rechtliche Einordnung umstritten ist. Vgl. hierzu auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 69; Kühl, Strafrecht AT, § 9, Rn. 24; vgl. allgemein zum Erlaubnistatbestandsirrtum LK-Vogel, § 16, Rn. 110 ff. 348 Ebenso Golbs, Vetorecht, S. 87. 349 Golbs, Vetorecht, S. 85. 350 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 110. 351 Nach Nebendahl, MedR 2009, 197, 202. 352 Nebendahl, ebd. 353 Nebendahl, ebd. 354 Schünemann, VersR 1981, 306, 307; ihm folgend Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 114; Nebendahl, MedR 2009, 197, 202: Eine Dokumentation ist dem Arzt insbesondere auch im Hinblick auf die Beweislast im zivilrechtlichen Prozess anzuraten.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

133

für die Beschneidung auch Aspekte der religiösen Selbstbestimmung hineinspielen. (1) Der Einfluss von § 5 KErzG auf das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit Die Besonderheit, dass die hier in Frage stehende Zirkumzision religiös motiviert ist, ist in Bezug auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen insofern interessant, als das Gesetz über die religiöse Kindererziehung355 feste Altersgrenzen im Hinblick auf die Fähigkeit eines Kindes zur religiösen Selbstbestimmung festlegt:356 Nach § 5 S. 1 KErzG steht einem Kind ab „Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs [. . .] die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will.“ Ab Vollendung des zwölften Lebensjahrs „kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden“, § 5 S. 2 KErzG. Diese Regelung könnte insofern Einfluss auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit haben, als sie jedenfalls bei Minderjährigen ab vierzehn Jahren zur generellen – je nach Sichtweise unwiderlegbaren oder widerlegbaren – Vermutung deren Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf religiös motivierte körperliche Eingriffe führen könnte. Von praktischer Relevanz ist dieses Verhältnis der starren Altersgrenze des § 5 S. 1 KErzG betreffend die religiöse Selbstbestimmung einerseits sowie der flexiblen Grenze der Einsichts- und Urteilsfähigkeit betreffend die körperbezogene Selbstbestimmung andererseits für die Konstellationen, in denen ein über Vierzehnjähriger und damit religionsmündiger Knabe in seine eigene Beschneidung einwilligt, ohne dass er einsichts- und urteilsfähig in Bezug auf den körperlichen Aspekt des Eingriffs ist. In diesem Zusammenhang wurde bereits in der zivilrechtlichen Rechtsprechung mit Blick auf den religiösen Hintergrund der Beschneidung angenommen, dass zur Orientierung über die Grenze zwischen elterlichem Erziehungsrecht und Persönlichkeitsrecht des Kindes – mit anderen Worten im Hinblick auf die Einwilligungsfähigkeit des Jungen als Voraussetzung einer eigenen wirksamen Einwilligung – die Altersgrenzen des KErzG heranzuziehen seien.357 355

KErzG vom 15.07.1921. Es handelt sich um einfachgesetzliche Ausgestaltungen, die keinen Eingriff ins elterliche Erziehungsrecht darstellen, vgl. dazu allgemein BVerfGE 59, 360, 382; BGHZ 21, 340, 351 ff.; v. Münch/Kunig-Mager, Art. 4, Rn. 33. Vgl. konkret zur Verfassungskonformität von § 5 KErzG Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 7, Rn. 22; Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 5, Rn. 40; Epping/Hillgruber-Germann, Art. 4, Rn. 27. 357 Das OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581, stellt auf § 5 S. 2 KErzG ab und würde bei Fehlen weiterer Anhaltspunkte davon ausgehen, dass bereits ein Zwölfjähriger bezüglich der Zirkumzision einsichtsfähig ist. Vgl. zum KErzG etwa Maunz/ Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 119. 356

134

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Bedenkt man allerdings, dass die Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit dazu dient, die körperbezogene Selbstbestimmung des Minderjährigen i. S. d. Art. 2 II 1 GG sowie i. S. d. § 223 StGB abzusichern und damit den Minderjährigen vor nicht selbstbestimmten, gegebenenfalls weitreichenden Entscheidungen in Bezug auf seinen Körper zu bewahren, so wird klar, dass es für die Bejahung der Fähigkeit zur Einwilligung in einen körperlichen Eingriff nicht auf die bereits vorhandene Fähigkeit zur religiösen Selbstbestimmung des Minderjährigen ankommen kann.358 Um die körperbezogenen Schutzvorschriften der §§ 223 ff. StGB außer Kraft setzen zu können,359 bedarf es der Einsichts- und Urteilsfähigkeit in oben genanntem Sinne, die sich auf den körperlichen Eingriff und die mit diesem verbundene Folgen bezieht. § 5 KErzG hat damit keinen Einfluss auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen in Bezug auf zwar religiös motivierte, aber dennoch körperliche Eingriffe.360 (2) Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen in Bezug auf die Beschneidung In einer von § 5 KErzG unabhängigen Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit361 des Minderjährigen bezüglich der Zirkumzision ergeben sich unter Berücksichtigung der oben besprochenen Anhaltspunkte und Grundsätze folgende Leitlinien, die freilich eine Beurteilung im konkreten Einzelfall durch den Arzt nicht ersetzen: Aus der Tatsache, dass es sich bei der Beschneidung aus religiösen Gründen weder um einen indizierten noch um einen dringlichen Eingriff handelt, ergeben sich keine negativen oder positiven Schlussfolgerungen betreffend die Einsichtsund Urteilsfähigkeit des Knaben. Die religiös motivierte Zirkumzision ist außerdem nicht als völlig unvernünftiger Eingriff zu beurteilen, der als (durchaus widerlegbares) Indiz für die fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit sprechen würde. Es handelt sich bei der Beschneidung um einen relativ leichten und nicht sehr komplexen, aber dennoch chirurgischen Eingriff, dessen Folgen durchaus überschaubar sind.362 Unter Anwendung der oben besprochenen Faustregel des Alters 358 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 684; Putzke, MedR 2008, 268, 270; FatehMoghadam, RW 2010, 115, 124 f.; Scherer, FamRZ 1997, 589, 592. 359 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: FS Hassemer, 787; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123. 360 Ebenso Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 124 f.; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 684. 361 Vgl. zu diesem rechtlichen Rahmen oben D.IV.2.b)bb)(2); vgl. auch Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 558; Amelung, ZStW 104 (1992), 821 ff. 362 Vgl. genauer oben B.III.2.b).

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

135

des Minderjährigen wird man daher zwar für einen Jungen unter vierzehn Jahren dessen Einsichts- und Urteilsfähigkeit betreffend die Beschneidung eher verneinen müssen.363 Unter Berücksichtigung von Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs wird die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Knaben aber regelmäßig nicht erst kurz vor oder mit Erreichen der Volljährigkeit, sondern durchaus schon früher – etwa zwischen vierzehn und sechzehn Jahren – bejaht werden können.364 Zu betonen bleibt, dass es sich bei diesen Aussagen allein um Anhaltspunkte handelt und die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des jeweiligen Minderjährigen im konkreten Einzelfall anhand dessen individueller Reife durch den Arzt erfolgen muss. Wird sie bejaht, so kann der Minderjährige selbst in die Beschneidung einwilligen. 3. Freiwilligkeit der Einwilligung a) Freiheit von Willensmängeln Die Einwilligung muss grundsätzlich frei von Willensmängeln – also freiwillig365 – abgegeben werden, denn nur dann ist sie Ausdruck der körperbezogenen Selbstbestimmung.366 Sie kann nämlich ausschließlich in den Fällen der persönlichen, körperbezogenen Selbstentfaltung dienen, in denen sie – jedenfalls im Wesentlichen – dem wirklichen, selbstbestimmten Willen des Rechtsgutsträgers entspricht.367 Die für die Wirksamkeit der Einwilligung relevanten Willensmängel werden dabei – ebenso wenig wie die Einwilligungsfähigkeit – nicht nach zivilrechtli-

363 Das LG Frankenthal, MedR 2005, 243, verneinte die Einwilligungsfähigkeit eines Neunjährigen im Hinblick auf die Zirkumzision. Das OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581, ist der Meinung, dass für einen Zwölfjährigen die Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf die Beschneidung insbesondere aufgrund des religiös-kulturellen Hintergrunds nicht pauschal verneint werden könne. 364 Anders Putzke, in: FS Herzberg, 669, 684, der im Hinblick auf die nicht indizierte Beschneidung auf das Erreichen der Volljährigkeit abstellt; weitergehend Putzke, MedR 2008, 268, 270 (16. bis 18. Lebensjahr). 365 BGHSt 19, 201, 205 f. Vgl. zum Begriff der Freiwilligkeit bei der Einwilligung Amelung, NStZ 2006, 317, 318 f. 366 Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194; Schroth, in: FS Volk, 719, 724, spricht überzeugend von der Absicherung der „Authentizität der Entscheidung“; vgl. auch Schroth, in: FS Hassemer, 787, 789 f. 367 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 99; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194. Der körperliche Eingriff beim Rechtsgutsträger muss sich als selbstbestimmte Entscheidung, als die Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts darstellen. Hierzu auch Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 36; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 104. Ähnlich Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 3; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 368. Vgl. auch Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 30.

136

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

chen Vorgaben beurteilt,368 sondern folgen einer eigenständigen strafrechtlichen Dogmatik: Sie können auf Drohung oder Zwang bzw. auf Täuschung oder Irrtum basieren.369 Dabei wird relativ einhellig angenommen, dass Drohung und Zwang die Wirksamkeit der Einwilligung dann ausschließen, wenn sie die Grenzen der Nötigung i. S. d. § 240 I, II StGB erreichen.370 Denn ab dieser Grenze stellt sich die Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als Ausdruck der körperbezogenen Selbstbestimmung dar.371 Sehr viel umstrittener ist dagegen die Frage, welcher Art ein Irrtum sein muss, um zur Unwirksamkeit einer Einwilligung zu führen.372 b) Die Irrtumsproblematik Im Hinblick auf Irrtum und Täuschung ist sowohl fraglich, ob ausschließlich rechtsgutsbezogene Irrtümer zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen können, als auch ob ein Irrtum zwingend auf einer Täuschung beruhen muss, um relevant zu sein.373 Dieser Streit ist insofern interessant, als sich erstens das oben diskutierte Individualrechtsgutsverständnis auf ihn auswirkt und von ihm zweitens nicht nur die Behandlung von Willensmängeln im Rahmen der Einwilligung, sondern auch im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung374 abhängt. Daher wird im Folgenden ein Blick auf ihn geworfen.

368 Allgemeine Meinung. Vgl. hierzu Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 35; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 97; Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 493 ff.; Kühne, JZ 1979, 241, 242 f. 369 Vgl. allgemein zu den Auslösern von Willensmängeln bei der Einwilligung Sch/ Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 39; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 9; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 24 ff.; Fischer, StGB, § 228, Rn. 7; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 96; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 228, Rn. 14; SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 40; kritisch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 152 ff. Vgl. auch BGHSt 4, 113, 118; 16, 309; 19, 201, 205 f.; BGH, NStZ 2004, 442. 370 Vgl. Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 35 f.; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 108 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 24; Kühl, StGB, § 228, Rn. 8; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13, Rn. 180; Otto, in: FS Geerds, 603, 614 f.; ähnlich Amelung, NStZ 2006, 317, 319; a. A. Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 108, wo ein subjektiver Maßstab zugrunde gelegt wird. Vgl. zur Rechtsprechung und zu diesbezüglicher Kritik Rönnau, Willensmängel, S. 268 ff. 371 Ähnlich Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 113 f. 372 Vgl. hierzu nur NK-Paeffgen, § 228, Rn. 22 ff.; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 45 ff.; Kühl, StGB, § 228, Rn. 8; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 25 ff. 373 Übersicht zu den verschiedenen Auffassungen: NK-Paeffgen, § 228, Rn. 23 ff.; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 943. 374 Vgl. hierzu unten i. R. d. stellvertretenden Einwilligung E.VI.3.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

137

aa) Das Problem der Rechtsgutsbezogenheit bei täuschungsbedingten Irrtümern Zur Beantwortung der Frage, ob ausschließlich rechtsgutsbezogene Irrtümer zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen können, wird zunächst davon ausgegangen, dass der Irrtum des in die Beschneidung Einwilligenden vom Eingreifenden bzw. einem diesem zuzurechnenden Dritten durch Täuschung hervorgerufen wurde, sodass dieser unzweifelhaft in die Zuständigkeit des Eingreifenden fällt.375 Während diesbezüglich vor allem früher davon ausgegangen wurde, dass jeder Irrtum Einfluss auf die Wirksamkeit der Einwilligung habe,376 wird heute mehrfach vertreten, dass nur rechtsgutsbezogene Irrtümer die Wirksamkeit der Einwilligung beeinträchtigen können.377 Dieser – auf Grundlage des paternalistisch orientierten Rechtsguts- und Einwilligungsmodells – eher restriktiven Auffassung stehen wiederum auf das Opfer bezogene Modelle gegenüber, die Willensmängel in größerem Umfang berücksichtigen wollen.378 Geht man auf Grundlage des paternalistisch orientierten Modells der Trennung von Rechtsgut und Dispositionsfreiheit davon aus, dass die Körperverletzungsdelikte das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit bzw. der Gesundheit schützen,379 so hat dieser Streit große Relevanz:380 Unter Zugrundelegung dieses Rechtsgutsverständnisses beziehen sich nämlich nur Irrtümer über Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs auf das

375 Vgl. auch Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 37; Oswald, in: Grenzen des Paternalismus, 94, 106 f. 376 Zipf, Einwilligung, S. 45; so auch Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13, Rn. 184; vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 943 m.w. N.; vgl. Roxin, in: GS Noll, 275, 276. Insbesondere wurde diese Auffassung parallel zur Unterscheidung von Einverständnis und Einwilligung vertreten. An die beiden Institute wurden allein aufgrund ihrer formalen Unterscheidung unterschiedliche Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft – so sollte der Irrtum nur bei der Einwilligung, nicht aber beim Einverständnis beachtlich sein. Vgl. zu diesem Zusammenhang Kühne, JZ 1979, 241. Zur traditionellen Unterscheidung zwischen Einwilligung und Einverständnis vgl. oben D.III.1.a). 377 Instruktiv Arzt, Willensmängel; ihm folgen Jakobs, Strafrecht AT, 7/117 ff.; Sch/ Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 46; Sch/Sch-Eser/SternbergLieben, § 223, Rn. 39; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 366 ff. und S. 383. Vgl. hierzu Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 101 f.; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 26; Roxin, in: GS Noll, 275, 279 m.w. N. 378 Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 47; Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch, § 17, Rn. 109 ff.; Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 36 ff.; Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 3. Überblick bei NK-Paeffgen, § 228, Rn. 23 ff. 379 Vgl. zum Inhalt sowie zur Ablehnung dieses Modells oben D.II.2. 380 Zum Zusammenhang zwischen dem Rechtsgutsverständnis und der Beachtlichkeit von (rechtsgutsbezogenen) Irrtümern: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194.

138

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

Rechtsgut.381 Geht man davon aus, dass nur rechtsgutsbezogene Irrtümer für die Wirksamkeit der Einwilligung relevant sein können, so würden ausschließlich diese genannten Irrtümer zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen.382 Die Gegenposition zu dieser – wegen des zugrunde liegenden Rechtsgutsverständnisses restriktiven – Ansicht moniert, dass dadurch die Interessen des Einwilligenden nicht hinreichend beachtet würden383 und spricht allen wesentlichen, durch eine Täuschung bedingten Irrtümern Relevanz für die Wirksamkeit der Einwilligung zu.384 Danach können auch Motivirrtümer sowie Irrtümer über Zweck oder Begleitumstände des Einriffs die Einwilligung unwirksam machen.385 Demgegenüber verliert dieser Streit auf Grundlage des liberalen Rechtsgutsund Einwilligungsmodells, nach dem das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte in der körperbezogenen Selbstbestimmung liegt, an Bedeutung:386 Rechtsgutsbezogen sind danach nämlich nicht nur Irrtümer über Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs, sondern es können sich auch Motivirrtümer oder ähnliche Irrtümer auf das Rechtsgut der körperbezogenen Selbstbestimmung beziehen und die Wirksamkeit der Einwilligung insoweit ausschließen, als sie für die Abgabe der Einwilligung (mit-)entscheidend sind:387 Nimmt man die Garantie der körperbezogenen Selbstbestimmung durch die §§ 223 ff. StGB ernst, so ist die Selbstbestimmtheit einer Einwilligung, mit Hilfe derer das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht verwirklicht wird, „aus der Sicht des Rechtsgutsträgers“, „aus dessen eigener Perspektive abzusichern.“ 388 Denn die Einwilli381 Vgl. Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 26; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 943; Arzt, Willensmängel, S. 15 ff.; s. hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194. 382 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194. 383 So Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 943. Ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Ansatz: Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 499 ff. 384 Der Eingreifende sei dadurch geschützt, dass eine Strafbarkeit desselben nicht allein aufgrund fehlender wirksamer Einwilligung des Rechtsgutsträgers, sondern erst bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln – auch in Bezug auf den Mangel der Einwilligung – eintrete, Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 944; zurückgehend auf Bockelmann, JZ 1962, 525, 527. 385 Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 27 und 32; Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 515 f. 386 Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194 f.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 65 f. 387 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194, führt das Beispiel von Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 101 ff. weiter, in dem der Organspender über den Empfänger der Lebendorganspende getäuscht wurde. Vgl. auch Rönnau, Willensmängel, S. 432 ff.; Schroth, in: FS Hassemer, 787, 792 f.; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 102 ff.; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 88 f. 388 Schroth, in: FS Volk, 719, 723; vgl. Schroth, in: FS Hassemer, 787, 792 f. Ähnlich, aber auf Grundlage eines anderen Rechtsgutsverständnisses, Amelung, ZStW 109 (1997), 490, 515 f., der die Einwilligung des Rechtsgutsträgers auf die „Übereinstimmung mit seinem Wertsystem“ überprüft; vgl. hierzu NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 103.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

139

gung des Rechtsgutsträgers ist nur dann wahrer Ausdruck seiner (körperbezogenen) Selbstbestimmung, wenn er sich nicht über wesentliche, ihn leitende Motive irrt.389 Daher kann die Selbstbestimmtheit der körperbezogenen Entscheidung und damit die Wirksamkeit der Einwilligung von allen Irrtümern beeinflusst werden, die den Berechtigten im Wesentlichen zur Einwilligung motivierten.390 Aus Sicht des Rechtsgutsträgers handelt es sich hierbei nämlich um rechtsgutsbezogene Irrtümer.391 Auf den körperlichen Eingriff der Beschneidung bezogen, lassen sich diese Ausführungen an zwei Beispielen verdeutlichen: Irrt der einwilligungsfähige Rechtsgutsträger etwa täuschungsbedingt über die Höhe des für die Beschneidung zu entrichtenden Entgelts, so stellt dies keinen rechtsgutsbezogenen, für die Wirksamkeit der Einwilligung relevanten Irrtum dar, sofern der Preis nicht ausschlaggebend für seine Entscheidung zur körperbezogenen Selbstverwirklichung war, was in der Regel nicht der Fall sein wird.392 Täuscht der Eingreifende den in die Beschneidung Einwilligenden dagegen über seine Religionszugehörigkeit und ist für den Rechtsgutsträger dieselbe ein zentrales Motiv seiner Einwilligung,393 so macht er die Ausübung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung von diesem Aspekt abhängig. Irrt er über die für ihn wesentliche Glaubenszugehörigkeit des Eingreifenden, so ist die Einwilligung gerade nicht mehr wahrer Ausdruck seiner körperbezogenen Selbstbestim389 Vgl. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 66; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 99. Der körperliche Eingriff beim Rechtsgutsträger muss sich als selbstbestimmte Entscheidung, als die Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts darstellen. Hierzu auch Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 36; Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 104. Ähnlich Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 3; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 368. Vgl. auch Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 30. 390 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 434, zur Kausalität von Irrtümern: „Voraussetzung für eine Strafbarkeit des Eingreifenden ist immer, daß seine Täuschung für die Einwilligung kausal geworden ist.“ Insofern bedarf es jedenfalls einer Mitursächlichkeit. Vgl. Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 2: „Der Rechtsgutsinhaber kann seine Einwilligung mit der Objektsveränderung unter jede beliebige Bedingung stellen, denn eben dadurch übt er sein geschütztes Interesse aus.“ 391 Hierin liegt keine Erweiterung zu dem Modell, das nur rechtsgutsbezogenen Irrtümern Einfluss auf die Wirksamkeit der Einwilligung zuschreibt, sondern eine Konsequenz desselben, Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194. 392 Anders liegt es regelmäßig, wenn der Eingreifende eine Gegenleistung für den Eingriff, etwa eine Blutspende, verspricht und der Rechtsgutsträger sich (allein) dadurch zur Einwilligung motivieren lässt, Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 66; vgl. – i. E. anders – Roxin, in: GS Noll, 275, 277 f. und 281 ff. 393 Oft wird es auch so sein, dass dem Einwilligenden – trotz religiöser Motivation der Beschneidung – die Religionszugehörigkeit des Eingreifenden egal ist. Dann liegt schon gar kein Irrtum vor. Irrte der Einwilligende über die Religionszugehörigkeit des Eingreifenden, war dieser Irrtum aber kein leitendes Motiv zur Einwilligung in den körperlichen Eingriff, so beeinflusst derselbe nicht die körperbezogene Selbstbestimmung des Rechtsgutsträgers. Es liegt in diesem Fall damit kein rechtsgutsbezogener Irrtum vor.

140

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

mung.394 Es liegt ein rechtsgutsbezogener Irrtum vor, der zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt. bb) Die Problematik nicht täuschungsbedingter Irrtümer Nunmehr stellt sich die Frage, ob diese weitreichende Berücksichtigung von rechtsgutsbezogenen Irrtümern auch dann gelten kann, wenn diese nicht durch eine Täuschung des Eingreifenden oder eines ihm zuzurechnenden Dritten hervorgerufen wurden. Teilweise wird dies bejaht.395 Zum Teil wird aber auch vertreten, dass im Sinne einer vernünftigen Verteilung des Risikos zwischen Einwilligendem und Eingreifendem (rechtsgutsbezogene) Irrtümer grundsätzlich nur dann beachtlich sein können, wenn sie auf einer Täuschung beruhen.396 Die Einwilligungsschranken dienen der Absicherung der Selbstbestimmtheit der Entscheidung des Rechtsgutsträgers.397 Von einer selbstbestimmten Einwilligung in die §§ 223 ff. StGB kann in den Fällen nicht gesprochen werden, in denen der Einwilligende einem rechtsgutsbezogenen, (mit-)entscheidenden Irrtum unterliegt.398 Denn dann fehlt es an der Selbstbestimmtheit der Entscheidung, und zwar unabhängig davon, ob der Irrtum durch eine Täuschung hervorgerufen wurde oder nicht. Vor dem Hintergrund eines möglichst umfassenden Schutzes einer selbstbestimmten Entscheidung des Rechtsgutsträgers sind daher rechtsgutsbezogene Irrtümer auch dann als beachtlich anzusehen, wenn sie nicht auf einer (dem Eingreifenden zuzurechnenden) Täuschung basieren.399 Wichtig ist dabei, dass mit rechtsgutsbezogenen Irrtümern nur tatsächliche Fehlvorstellungen von der Wirklichkeit gemeint sind.400 Sie sind nicht mit dem auf Wertungen beruhenden unvernünftigen Handeln des Berechtigten zu verwechseln: Autonomie ist als Kompetenzzuschreibung zu verstehen,401 dem Rechtsgutsträger wird auch das Recht zu objektiv unvernünftigen Entscheidun-

394

Vgl. auch Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 65 f. Zum Teil schon auf anderer Grundlage bezüglich der grundsätzlichen Relevanz von Irrtümern: Amelung, Irrtum und Täuschung, S. 46 ff.; Mitsch, in: Baumann/Weber/ Mitsch, § 17, Rn. 109. Differenzierend Rönnau, Willensmängel, S. 410 ff. 396 So Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 111 f.; ähnlich Arzt, Willensmängel, S. 48 ff.; vgl. hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 411. Eine wichtige Ausnahme wird im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses gemacht, wo der Arzt zur ordnungsgemäßen Aufklärung verpflichtet ist. 397 Vgl. bereits oben D.IV.; Schroth, in: FS Volk, 719, 723. 398 Vgl. auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194 f. 399 Zu dem Ganzen Rönnau, Willensmängel, S. 411. 400 Vgl. etwa Rönnau, Willensmängel, S. 411: Irrtum über „Tatsachen“; vgl. auch Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 548 f. 401 Schroth, in: FS Volk, 719, 720 f.; vgl. Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 82 f. und 89 ff. 395

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

141

gen garantiert.402 Dies bedeutet, dass alle tatsächlichen Umstände, die dem Einwilligenden bekannt sind, die er selbst aber in objektiv irrationaler Weise bewertet, keinen Irrtum in der Weise begründen können, dass die Wirksamkeit der Einwilligung ausgeschlossen wäre.403 Im Rahmen dieses Ansatzes wird dem Schutz des Eingreifenden durch die allgemeinen Irrtumsregeln ausreichend Rechnung getragen: Er befindet sich im Tatbestandsirrtum gemäß § 16 I StGB, wenn er vom Irrtum des Rechtsgutsträgers, der zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt, keine Kenntnis hat.404 Beruht die Unkenntnis vom Irrtum zudem nicht auf Fahrlässigkeit, so kommt auch keine Strafbarkeit gemäß § 229 StGB in Betracht.405 Im oben genannten Beispiel des Irrtums über die Religionszugehörigkeit des Eingreifenden ist dieser zwar rechtsgutsbezogen, wenn er für den Rechtsgutsträger (mit-)entscheidend zur Abgabe der Einwilligung in die Beschneidung war. Sofern der Eingreifende vom Irrtum aber nichts wusste und vom Vorliegen einer wirksamen Einwilligung ausging, schließt § 16 I StGB vorsätzliches Handeln i. S. d. § 223 I StGB aus. In der Regel wird dem Eingreifenden auch keine Fahrlässigkeit im Hinblick auf seine Unkenntnis vom Irrtum vorzuwerfen sein, sodass auch § 229 StGB nicht eingreift.406 Er begeht kein Unrecht. Gleichzeitig führt die Berücksichtigung rechtsgutsbezogener Irrtümer unabhängig vom Vorliegen einer Täuschung dadurch zu gerechten Ergebnissen, dass bei Kenntnis des Eingreifenden vom rechtsgutsbezogenen Irrtum des Berechtigten407 § 16 I StGB nicht greift und daher eine Strafbarkeit gemäß §§ 223 ff. StGB aufgrund unwirksamer Einwilligung gegeben ist.408 Auch das Bestehen der Aufklärungspflicht des Arztes ist dann keine Ausnahme von diesem Ansatz, sondern dadurch bedingt, dass sich der Arzt grund402 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 87; Schünemann, VersR 1981, 306, 308; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16. 403 Die Grenze wird erst dort erreicht sein, wo der Eingriff auch „subjektiv irrational“ in dem Sinne ist, dass der Einwilligende sich zur Erreichung seines subjektiven Zieles eines objektiv völlig ungeeigneten Mittels bedient, Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 37 f. 404 Zu dem Ganzen Rönnau, Willensmängel, S. 411 f.; vgl. auch Puppe, Strafrecht AT, § 11, Rn. 25. 405 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 412. 406 s. hierzu näher Rönnau, Willensmängel, S. 412 f. 407 Weiß der Eingreifende nicht, dass es sich um einen rechtsgutsbezogenen Irrtum handelt, so ist nach § 16 I StGB eine Strafbarkeit gemäß §§ 223 ff. StGB ebenfalls ausgeschlossen. Je nachdem, ob ihm diesbezüglich Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, kommt ggf. eine Strafbarkeit nach § 229 StGB in Betracht. 408 Vgl. zum Schutz des Eingreifenden über allgemeine Irrtumsregeln Rönnau, Willensmängel, S. 411 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13, Rn. 188, löst den Fall der Kenntnis des Eingreifenden vom Irrtum des Berechtigten über den Gedanken des Rechtsmissbrauchs.

142

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

sätzlich409 nicht auf seine Unkenntnis bzgl. Irrtümer seines Patienten betreffend Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs berufen darf.410 Es zeigt sich also, dass die allgemeinen Irrtumsregelungen die Verantwortungsbereiche i. R.v. Irrtümern des Berechtigten bei der Einwilligung sinnvoll voneinander abgrenzen können.411 Im Übrigen ist der Streit um die Relevanz nicht täuschungsbedingter Irrtümer an dieser Stelle nicht weiter von Bedeutung, da nach allen Ansichten jedenfalls im Arzt-Patienten-Verhältnis der Irrtum nicht auf einer Täuschung beruhen muss, um für die Wirksamkeit der Einwilligung relevant zu sein: Dort besteht die ärztliche Aufklärungspflicht.412 4. Die ärztliche Aufklärungspflicht Eine selbstbestimmte Entscheidung ist dem Rechtsgutsträger grundsätzlich nur dann möglich, wenn er über Nutzen und Risiken des Eingriffs vorher in umfassender Weise aufgeklärt wurde.413 Die Pflicht zur Aufklärung trifft den Arzt.414 Sie soll das zwischen ihm und dem Patienten bestehende Wissensgefälle ausgleichen und die Rechtspositionen des Patienten schützen.415 Der Empfänger ist bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit des Patienten ebendieser. Ihm soll im Arzt-Patienten-Gespräch416 das erforderliche Wissen zur Abwägung der Vor- und Nachteile des Eingriffs vermittelt werden, um dadurch Wil409 Freilich kann vorsätzliches Handeln des Arztes gemäß § 16 I StGB ausgeschlossen sein, wenn er solche Irrtümer des Patienten nicht kennt, die als wesentliche Motive der Einwilligung rechtsgutsbezogene sind. Auch fahrlässiges Handeln wird in diesen Fällen eher nicht in Betracht kommen. Vgl. zum Schutz des Eingreifenden über die allgemeinen Irrtumsregeln Rönnau, Willensmängel, S. 411 ff. 410 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 112, spricht von einer „Ausnahme“; vgl. zur Begründung der ärztlichen Aufklärungspflicht Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191 ff. 411 Vgl. allgemein zur Abgrenzung von Verantwortungsbereichen i. R.v. Irrtümern bei der Einwilligung Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 36 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194. 412 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 112. 413 Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 112. 414 Es handelt sich hierbei um gesicherte Rechtsprechung, BGHSt 11, 111, 113; vgl. auch BVerfGE 52, 131, 171 ff. Hierzu Joost, in: Grenzen des Paternalismus, 126, 128 m.w. N. Vgl. auch § 8 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. Die Aufklärungspflicht wurzelt darüber hinaus in der medizinischen Ethik, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 247; Kern/Laufs, Aufklärungspflicht, S. 7 ff. Zivilrechtlich betrachtet ergibt sie sich auch aus dem Behandlungsvertrag, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 248; vgl. auch §§ 630c II, 630e BGB. 415 Schroth, in: FS Volk, 719, 739; vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 7 und 15; Spickhoff-Knauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 26; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 60; Deutsch, AcP 1992, 161, 166; BGH, NJW 2011, 1088, 1089. 416 Vgl. nur OLG Hamm, MedR 2011, 439, 441.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

143

lensmängel zu vermeiden:417 Ziel der Aufklärung ist eine informierte Entscheidung (informed consent).418 Wird durch einen Aufklärungsmangel ein rechtsgutsbezogener Irrtum verursacht, so hat dies die Unwirksamkeit der Einwilligung zur Folge.419 Abgesehen von einigen Spezialgesetzen420 ist die Aufklärungspflicht des Arztes strafrechtlich nicht normiert.421 Ihr Inhalt und ihre Grenzen wurden und werden vor allem durch die Rechtsprechung definiert.422 Angesichts der Vielzahl entsprechender zivilrechtlicher Urteile ist dabei zu beachten, dass nicht ohne Weiteres hierauf zurückgegriffen werden kann – für die Festlegung des Inhalts sowie der Grenzen der ärztlichen Aufklärungspflicht ist vielmehr ein spezifisch strafrechtlicher Maßstab anzulegen.423 a) Arten der Aufklärung Man unterscheidet zwei verschiedene Arten der ärztlichen Aufklärung:424 Die Selbstbestimmungsaufklärung soll die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten garantieren425 und wird in Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung 417 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 738; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 15; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191; Eberbach, MedR 1986, 14; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40b; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 9; BGHSt 11, 111, 113 f.; BGH, NJW 1956, 1106. Außerdem ist die Pflicht zur Aufklärung ärztliche Berufspflicht; sie ergibt sich zudem aus dem Behandlungsvertrag als eine der Hauptpflichten des Arztes, Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 54; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 14. 418 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 6 ff.; Schöch, in: Roxin/ Schroth, 51, 54; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191 ff. Zum Teil wird auch angenommen, dass die ärztliche Aufklärung der „Herbeiführung der erforderlichen Einsichtsfähigkeit“ des Einwilligenden diene, Kühl, StGB, § 228, Rn. 7. Dies ist ungenau, da es sich bei der Einsichts- und Urteilsfähigkeit um Voraussetzungen handelt, die allein vom Rechtsgutsträger anhängig sind. Demgegenüber geht es bei der Aufklärung um die Informiertheit dessen Entscheidung. 419 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 112; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 54. Hier eröffnet sich auch der Bereich der hypothetischen Einwilligung: Hätte der Patient auch bei korrekter Aufklärung eingewilligt, entfällt die Strafbarkeit des Arztes. Vgl. Ulsenheimer, NStZ 1996, 132, 133; BGH, NStZ-RR 2007, 340, 341. 420 Vgl. z. B. §§ 8 I Nr. 1b, II, 8a S. 1 Nr. 4 (i.V. m. § 19 I Nr. 1) TPG; § 40 I 3 Nr. 3b, II (i.V. m. § 96 Nr. 10) AMG; §§ 2 I Nr. 1, 3 I (i.V. m.) §§ 5 I, 7 Nr. 1 KastrG; § 9 GenDG. 421 Vgl. dazu etwa Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 18. 422 Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 53; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 13 ff. 423 Denn während es zivilrechtlich betrachtet um den Ausgleich von Interessen geht, der insbesondere auch von der Beweislastverteilung abhängt, geht es strafrechtlich betrachtet um sozialethische Missbilligung von Fehlverhalten sowie um die Verhängung von Sanktionen. Dazu Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 55. 424 Hierzu Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 433 ff. 425 Schroth, in: FS Volk, 719, 738; Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 11.

144

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

unterteilt, wobei deren Grenzen fließend sind.426 Umfasst sind insbesondere die diagnostizierte Krankheit, der geplante Eingriff, sein Verlauf, die Erfolgsaussichten sowie Risiken und Nebenwirkungen des Eingriffs, darüber hinaus gegebenenfalls mögliche Behandlungsalternativen.427 Demgegenüber dient die Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) der Sicherstellung des Behandlungserfolgs und beinhaltet entsprechende Schutzund Warnhinweise.428 aa) Selbstbestimmungsaufklärung Die Selbstbestimmungsaufklärung betrifft die Reichweite der Einwilligung in den ärztlichen Eingriff.429 Sie bildet die Basis zur Realisierung des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts des Patienten über seine leiblichseelische Integrität aus Art. 2 II 1 GG:430 Er ist so rechtzeitig431 vor dem Eingriff aufzuklären, dass er eine selbstbestimmte und wohl erwogene Entscheidung fällen kann.432 (1) Diagnoseaufklärung Im Rahmen der Diagnoseaufklärung ist der Patient über den medizinischen Befund seiner Krankheit zu unterrichten.433 Da es sich bei der Beschneidung aus religiösen Gründen in der Regel nicht um einen indizierten Eingriff handelt, dem

426 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 14 f.; Schöch, in: Roxin/ Schroth, 51, 57; Laufs, in: HdA, § 59; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 266 ff. 427 BGHSt 11, 111, 113; BGH, NStZ-RR 2007, 340, 341; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 54; Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 12; vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht etwa OLG Koblenz, Urt. v. 19.12.2012 – 5 U 710/12; vgl. auch § 630e BGB. 428 Laufs, in: HdA, § 58; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 16; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 62 ff.; Harmann, NJOZ 2010, 819 f. 429 Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 1. 430 BVerfGE 52, 131, 173 f. (abweichendes Votum); vgl. BVerfGE 89, 120, 130. 431 Das zu späte Aufklären macht die Einwilligung allerdings nur dann unwirksam, wenn der Patient dadurch erheblich in seiner Entscheidungsfreiheit, mithin in seinem Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt wurde, BGH, NJW 2003, 2012, 2013 f.; OLG Hamm, MedR 2011, 439 (zivilrechtliche Entscheidungen). Eine zu frühe Aufklärung ist allerdings auch nicht sinnvoll, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 311. Vgl. zur rechtzeitigen Aufklärung auch § 630e II Nr. 2 BGB. 432 Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 64 und 66. 433 Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 63; Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 13; Sommer/Tsambikakis, in: HB MedR, § 2, Rn. 30; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 267. Es handelt sich nicht um eine Diagnoseaufklärung, wenn der Patient über die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit eines Diagnoseeingriffs aufgeklärt wird. Bei nicht eindeutiger Befundlage sind die unterschiedlichen in Betracht kommenden Handlungsmöglichkeiten mit dem Patienten zu erörtern, OLG Koblenz, MedR 2011, 512.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

145

eine Krankheit zugrunde liegt, entfällt hier die Diagnoseaufklärung: Wo keine Krankheit vorhanden ist, kann auch nicht über eine solche aufgeklärt werden.434 (2) Verlaufsaufklärung Die Verlaufsaufklärung umfasst die Art, den Umfang und die Durchführung der medizinischen Maßnahme.435 Dies bedeutet, dass der Arzt den Patienten darüber zu informieren hat, welche Therapien möglich sind436 und wie diese vermutlich verlaufen werden. Grundsätzlich ist es dabei Sache des Arztes, die „richtige“ Behandlungsmethode zu wählen.437 Der Patient ist auch über den wahrscheinlichen Verlauf seiner Krankheit zu informieren, falls er in die Therapie nicht einwilligt.438 Weiter sind ihm die Erfolgs- und Heilungschancen darzulegen.439 Darüber hinaus muss der Arzt den Patienten über die sicheren Eingriffsfolgen aufklären, also etwa über Narben oder über den Verlust bzw. Beeinträchtigungen von Körperteilen oder -funktionen.440 Da der Beschneidung aus religiösen Gründen keine Krankheit zugrunde liegt, entfällt die Aufklärung über den Verlauf derselben. Allerdings ist dem Patienten klar zu machen, dass es sich um einen nicht indizierten Eingriff handelt. Er ist außerdem über die sicheren Folgen der Zirkumzision – insbesondere über den Verlust der Vorhaut und die damit verbundenen körperlichen Konsequenzen – aufzuklären. Bei der Aufklärung über die möglichen Vorteile der Zirkumzision muss darauf hingewiesen werden, dass diese durchaus umstritten sind.441 434 Freilich ist der Einwilligende darüber aufzuklären, dass es sich um einen nicht indizierten Eingriff handelt. Vgl. dazu sogleich D.IV.4.b)aa)(1). 435 Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 16. Die Aufklärung über Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs wird auch „Eingriffsaufklärung“ (als Teil der Verlaufsaufklärung) genannt, vgl. Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59. 436 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 269 ff.; Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 20. Dieser Aspekt der Verlaufsaufklärung wird auch „Methodenaufklärung“ genannt, vgl. Fischer, StGB, § 228, Rn. 13b; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59. 437 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 26; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 4; BGH, NStZ 1996, 34; in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1982, 2121, 2122. Erwachsen aber aus mehreren möglichen Behandlungsmethoden unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen, so hat der Arzt den Patienten darüber zu informieren, BGH, NStZ 1996, 34; Laufs, ebd.; vgl. dazu auch (in zivilrechtlicher Hinsicht) BGH, NJW 2006, 2477. Außerdem muss der Arzt den Patienten darüber aufklären, dass „gewichtige Bedenken“ gegen eine Standardbehandlung seitens der medizinischen Wissenschaft bestehen; auf die Möglichkeit einer anderen Behandlungsmethode ist auch in diesem Fall hinzuweisen, BGH, NStZ 1996, 34; in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 2000, 1784, 1786 f.; NJW 1978, 587, 588 f. 438 Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 16; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 268; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 58 f. 439 Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 64; Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 19. 440 Sog. „Folgenaufklärung“, Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59. 441 Vgl. hierzu oben B.III.

146

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

(3) Risikoaufklärung Die Risikoaufklärung soll über die Gefahren einer ärztlichen Maßnahme informieren.442 Sie beinhaltet einerseits die Folgen und Nebenwirkungen des Eingriffs, andererseits das Risiko eines Fehlschlagens der Maßnahme.443 Es ist dabei auch über die aus dem vorgenommenen Eingriff resultierenden Neben- und Folgeeingriffe zu informieren.444 Darüber hinaus kann die Risikoaufklärung auch Kosten und versicherungsrechtliche Aspekte umfassen.445 Im Hinblick auf das Risiko des Eingriffs muss allerdings nicht über sämtliche – auch entfernt liegende – Folgen aufgeklärt werden, vielmehr ist die Aufklärung am individuellen Patienten zu orientieren.446 Anhaltspunkte hierfür sind einerseits die Wahrscheinlichkeit und Schwere der jeweiligen Eingriffsfolge sowie andererseits das Gewicht, das der jeweiligen Folge vom Patienten zugemessen wird:447 Über typische Risiken wird in der Regel aufzuklären sein,448 und zwar unabhängig von der Komplikationsrate.449 Über seltene Risiken ist dann aufzuklären, wenn diese für die Entscheidung des Patienten ein entsprechendes Gewicht haben450 oder wenn sie bei ihrem Eintritt das Leben des Patienten schwer belasten und für diesen überraschend sind451 – dies betrifft insbesondere seltene, aber durchaus denkbare und schwerwiegende Risiken eines Eingriffs.452 Ob darüber hinaus eine Aufklärungspflicht bzgl. möglicher Behandlungsfehler besteht, ist umstritten.453 Teilweise wird dies mit dem Argument verneint, dass der Patient bereits über die Pflicht des Arztes zur fehlerfreien Behandlung abge442 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 1; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 435; Sommer/Tsambikakis, in: HB MedR, § 2, Rn. 31; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 273. 443 Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59; vgl. Spickhoff-Knauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 30. 444 Vgl. dazu (in zivilrechtlicher Hinsicht) BGH, NJW 1996, 776 f. Zur Kritik an diesen weitreichenden Aufklärungspflichten Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 22 m.w. N. 445 Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59; vgl. Laufs, NJW 2000, 1757, 1760. Durch das Unterlassen dieser Aspekte der Aufklärung wird häufig allerdings kein rechtsgutsbezogener Irrtum im oben dargestellten Sinne entstehen. Teils wird die „wirtschaftliche Aufklärung“ grundsätzlich von der medizinischen Aufklärung unterschieden, vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 17 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 280 f. 446 Vgl. Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 2 f.; vgl. unten, D.IV.4.b). 447 Vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1972, 335, 336; NJW 1980, 1905, 1907. 448 Anders beim Aufklärungsverzicht, vgl. unten D.IV.4.b)bb). 449 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 3. 450 Jeweils in zivilrechtlicher Hinsicht: BGH, NJW 1980, 1905, 1907; NJW 2000, 1784, 1785. 451 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 3; vgl. auch Laufs, NJW 2000, 1757, 1761. 452 Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 59. 453 Vgl. zu diesem Streit etwa Laufs, in: HdA, § 61, Rn. 14 f.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

147

sichert sei.454 Wenn man allerdings bedenkt, dass die Aufklärung die Funktion hat, dem Patienten eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen,455 dann sollte auch in diesem Bereich der Einwilligende insofern aufgeklärt werden, als die Informationen entscheidungsrelevant für die Ausübung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung sind. Die Risikoaufklärung vor der Einwilligung in die Zirkumzision umfasst die Information über die oben beschriebenen körperlichen Risiken derselben.456 Darüber hinaus ist dem Patienten nahezubringen, welche Folgen sich im Falle eines Behandlungsfehlers ergeben können. bb) Sicherungsaufklärung (therapeutische Aufklärung) Die Sicherungsaufklärung ist von der oben dargestellten Aufklärung zur Absicherung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zu unterscheiden,457 da sie Bestandteil der Verpflichtung des Arztes zur kunstgerechten Behandlung ist.458 Sie umfasst die rechtzeitige und vollständige Aufklärung des Patienten über die medizinischen Notwendigkeiten, die sich aus der zugrunde liegenden Krankheit ergeben, sowie über die Maßnahmen, die vom Patienten selbst zu beachten sind, um (weiteren) Schaden zu vermeiden.459 Im Hinblick auf die Zirkumzision sind dem Patienten sämtliche Maßnahmen nahezubringen, die eine rasche Genesung ermöglichen und die Folgerisiken gering halten. b) Durchführung und Umfang der Aufklärung Die Aufklärung des Patienten obliegt dem behandelnden Arzt.460 Ihr zentrales Element ist das persönliche Gespräch,461 in dem der Arzt zunächst den indivi454

Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 3. Vgl. hierzu oben D.IV.4. 456 Vgl. oben B.III.2.b). 457 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 276. 458 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 16; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 62; vgl. Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40b. Ein Verstoß gegen die therapeutische Aufklärung ist ein Behandlungsfehler, vgl. Laufs, in: HdA, § 58, Rn. 2. 459 Vgl. Laufs, in: HdA, § 58, Rn. 1 und 7; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 61; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 440. 460 Allgemeine Auffassung, vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 738; Sommer/Tsambikakis, in: HB MedR, § 2, Rn. 47. Sie darf nicht auf nicht-ärztliches Personal übertragen werden, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 306. Eine Delegation dieser Pflicht an einen anderen Arzt ist möglich, vgl. Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 63; vgl. auch § 630e II Nr. 1 BGB. 461 BGH, NJW 2000, 1784, 1787; Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 1 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 282; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 65. Insbesondere bei schwerwie455

148

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

duellen Empfängerhorizont seines Gesprächspartners erkunden muss.462 Denn der Umfang der Aufklärung ist auch davon abhängig, mit welcher Vorstellung des Patienten der Arzt rechnen kann:463 So muss er einen informierten Kranken464 nicht in dem Maße aufklären, wie dies bei einem nicht informierten Patienten der Fall ist.465 Hierfür muss aber auf Seiten des Arztes Klarheit über den Grad der Informiertheit des Patienten bestehen.466 Gleichzeitig haben sich die Durchführung und der Umfang der Aufklärung an den individuellen Bedürfnissen und Wertmaßstäben des einzelnen Patienten zu orientieren:467 Es gilt das Prinzip der „patientenbezogenen Information“.468 Durch die Aufklärung soll der Patient das Für und Wider der Behandlung so weit verstehen, dass ihm eine Abwägung der Vor- und Nachteile anhand seines Wertesystems und damit eine selbstbestimmte Entscheidung möglich ist.469 Die weitere genaue Ausgestaltung des Aufklärungsgesprächs bleibt dem Ermessen des Arztes überlassen.470 Einer bestimmten Form bedarf die Aufklärung nicht.471

genden Eingriffen kann es sich auch um mehrere Aufklärungsgespräche handeln, vgl. OLG München, NJW 2007, 217, 218. 462 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 301. 463 Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 18. 464 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 15. 465 Der voll informierte Patient muss ggf. gar nicht aufgeklärt werden, Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 284; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 31; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 15; Kern/Laufs, Aufklärungspflicht, S. 112 ff.; vgl. BGH, NJW 1984, 1807, 1808; NJW 1994, 2414 (zivilrechtliche Entscheidungen). 466 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 16. 467 Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 3; Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 32; vgl. hierzu bereits Kaufmann, ZStW 73 (1961), 341, 346 ff. 468 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193; Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 31 f.; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 2; Spickhoff-Knauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 30. 469 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 19; vgl. Schroth, in: Neumann/ Prittwitz, 113, 123 f.; Schroth, in: FS Hassemer, 787, 788 ff. 470 BGH, NJW 1984, 1395 f. (zivilrechtliche Entscheidung); NJW 1990, 2928, 2929; Joost, in: Grenzen des Paternalismus, 126, 130. Umstritten ist, inwieweit therapeutische Zwecke den Arzt von seiner Verpflichtung zur Aufklärung entbinden können. Da diese Frage bei nicht indizierten Eingriffen – so auch bei der Beschneidung aus religiösen Gründen – keine Relevanz hat, wird ihr an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen. Vgl. zu dieser Problematik Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 4, 7 ff. sowie § 60, Rn. 19 f.; Deutsch, NJW 1980, 1305 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 321 ff. Von der Rechtsprechung wurde dieses Problem insbesondere in zivilrechtlicher Hinsicht behandelt, vgl. etwa BGH, NJW 1959, 814; NJW 1981, 2002, 2003; NJW 1984, 1397, 1398. 471 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 45. Zu diesem Grundsatz gibt es Ausnahmeregelungen, vgl. etwa § 40 II AMG. Vgl. zur Problematik der übertriebenen Verwendung von Aufklärungsformularen Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 64 f. Vgl. dort auch zur sog. „Stufenaufklärung“; s. auch Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 3.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

149

aa) Aufklärungsumfang bei fehlender Indikation und bei fehlender Dringlichkeit Nach überwiegender Auffassung soll zwischen dem Umfang und der Intensität der Aufklärung einerseits und der Indikation und der Dringlichkeit des jeweiligen Eingriffs andererseits ein sog. reziproker Zusammenhang gegeben sein: Je akuter die Indikation und je notwendiger die medizinische Maßnahme ist, desto geringer soll der Umfang der Aufklärungspflicht sein – und umgekehrt.472 (1) Fehlende Indikation Für den Fall der Zirkumzision und die diesbezügliche Einwilligung ist dies insofern interessant, als es sich um die Zustimmung zu einem nicht indizierten Eingriff handelt. Hier soll im Sinne des reziproken Zusammenhangs473 das „Maß der Aufklärung“ von der medizinischen Indikation bestimmt werden:474 Bei nicht indizierten Eingriffen wird eine umfassende und schonungslose Aufklärung des Patienten mit der Begründung gefordert,475 dass ein solcher Eingriff wegen der fehlenden Indikation aus objektiver Sicht unnütz sei.476 Bei Maßnahmen ohne „therapeutischen Eigenwert“ seien strengere Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu stellen, es seien also insbesondere auch eher fern liegende Komplikationen mit dem Patienten zu besprechen.477 Diese Annahme, dass es beim Fehlen der Indikation für eine eigenverantwortliche Entscheidung des Patienten eine vorausgehende besonders gründliche Erörterung der Vor- und Nachteile des Eingriffs brauche,478 ist in sich widersprüchlich:479 Denn wenn die Aufklärung dem Patienten eine selbstbestimmte Entschei472 Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 6; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 67 ff.; vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 20 f.; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 228, Rn. 15.2; Spickhoff-Knauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 36 ff.; SSW/StGB-Momsen, § 223, Rn. 39. 473 Hierzu auch Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192; Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 31; Joost, in: Grenzen des Paternalismus, 126, 132. 474 Sternberg-Lieben, in: FS Amelung, 325, 352, insbes. Fn. 184 m.w. N.; Kern/Richter, in: Wienke/Eberbach u. a., 129, 133; vgl. auch in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1972, 335 (LS). 475 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 289 mit Fn. 98 m.w. N. Vgl. zur Aufklärungspflicht bei relativ indizierten Eingriffen OLG Köln, MedR 2007, 599, 600. 476 Vgl. hierzu Schroth, in: FS Volk, 719, 738. 477 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 8, im Hinblick auf diagnostische Eingriffe ohne eigenen Nutzen in therapeutischer Hinsicht. Vgl. auch BGH, NJW 2006, 2108 (zivilrechtliche Entscheidung). 478 So BGHSt 12, 379, 382 f.; ebenso in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1981, 633; NJW 1991, 2349; NJW 2006, 2108. 479 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192 f.

150

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

dung ermöglichen soll, so macht es diesbezüglich doch gar keinen Unterschied, ob der Eingriff indiziert ist oder nicht.480 Für eine selbstbestimmte Entscheidung und damit zusammenhängend für den Umfang der Aufklärung kommt es vielmehr – unabhängig davon, ob der Eingriff indiziert ist oder nicht – darauf an, welchen Umständen der individuelle Patient im Einzelfall Bedeutung zumisst: Dies besagt das Prinzip der „patientenbezogenen Information“.481 Vor dem Hintergrund des Schutzes der körperbezogenen Selbstbestimmung hat das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Indikation auf den Umfang der Aufklärung damit keine direkten Auswirkungen.482 Diesbezüglich gibt nicht die Indikation den Ausschlag, sondern vielmehr die Entscheidungslogik des Patienten,483 insbesondere die Bedeutung, die er den Risiken und Folgen des Eingriffs beimisst.484 Das Fehlen einer Indikation beeinflusst aber den Inhalt der Aufklärung, denn der Gegenstand der Aufklärung kann je nach Eingriff ein anderer sein.485 So hat der Arzt den Patienten beim nicht indizierten Eingriff selbstverständlich über das Fehlen der medizinischen Indikation aufzuklären.486 (2) Fehlende Dringlichkeit Darüber hinaus wird ein Zusammenhang zwischen der Dringlichkeit des Eingriffs und dem Umfang der Aufklärungspflicht hergestellt: Für weniger dringliche Eingriffe – und damit auch für die Zirkumzision aus religiösen Gründen – soll eine umfangreichere ärztliche Pflicht zur Aufklärung und auch zur Vergewisserung über Vorliegen und Reichweite der Einwilligung bestehen.487 Allerdings kann unter dem Aspekt, dass es für den Umfang der Aufklärung in erster Linie auf die Bedürfnisse des individuellen Patienten ankommt,488 sowie unter den gerade eben erörterten Gesichtspunkten zur Absicherung einer selbstbestimmten Entscheidung des Patienten dieser Zusammenhang so ebenfalls nicht gelten. 480

Schroth, in: FS Volk, 719, 738; vgl. Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 127 f. Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193; Fateh-Moghadam, in: Grenzen des Paternalismus, 21, 31 f.; vgl. auch Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 3. 482 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193. 483 Schroth, in: FS Volk, 719, 739. 484 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192; vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 737. 485 Vgl. dazu Schroth, in: FS Volk, 719, 738 f. 486 Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 128; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193; Joost, in: Grenzen des Paternalismus, 126, 131 mit Fn. 34. 487 BGHSt 12, 379, 382; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 5; HK/GS-Dölling, § 228, Rn. 18; BGH, NJW 1991, 2349 (zivilrechtliche Entscheidung). 488 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 737 ff. 481

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

151

In die andere Richtung gewendet, nämlich dass bei sehr dringenden Eingriffen eine nur eingeschränkte Aufklärungspflicht des Arztes bestehen soll und der Arzt die Einholung der Einwilligung weniger sorgfältig handhaben muss, wenn es um die akute Lebensrettung des Patienten geht,489 kann solch ein Zusammenhang unter folgenden Voraussetzungen aber durchaus gegeben sein: In einer Situation, in der ein Eingriff dringend erforderlich ist, darf zwar nicht nicht per se das Recht des Patienten auf körperbezogene Selbstbestimmung eingeschränkt werden, indem allein aufgrund der Dringlichkeit ein geringerer Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes angenommen wird.490 In Fällen sehr dringender Eingriffe wird der Patient allerdings regelmäßig weniger an seiner umfassenden Aufklärung als vielmehr an der eigenen Rettung interessiert sein, sodass er mit einer nur eingeschränkten Aufklärung durch den Arzt aufgrund der Dringlichkeit des Eingriffs einverstanden sein wird.491 Dies gilt aber nur so lange, als sich im Einzelfall nicht etwas anderes ergibt.492 bb) Der Aufklärungsverzicht Will sich der Patient nicht oder nicht umfassend über die oben genannten Aspekte informieren lassen, so betrifft dies das Problemfeld des Aufklärungsverzichts.493 Mit Blick auf den Existenzgrund des Einwilligungserfordernisses – nämlich dem Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung des Patienten494 – muss es dem Einzelnen auch möglich sein, auf eine (umfassende) ärztliche Aufklärung zu verzichten.495 Denn es ist ebenso Teil der körperbezogenen Selbstbestimmung des Patienten, sich ohne genaue Detailkenntnis der Verantwortlichkeit des Arztes übergeben zu dürfen.496

489

Vgl. BGHSt 12, 379, 382. Vgl. BVerfGE 52, 131, 178 (abweichendes Votum). 491 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193. Ist der Patient bereits bewusstlos, so entfällt das Erfordernis der Einwilligung und mit ihm auch die Aufklärungspflicht des Arztes; relevant wird die mutmaßliche Einwilligung, vgl. Schöch, in: Roxin/ Schroth, 51, 74. 492 Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193. 493 Roßner, NJW 1990, 2291; Harmann, NJOZ 2010, 819, 820. 494 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. 495 Vgl. Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 71; Harmann, NJOZ 2010, 819, 821; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 447; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 17; SpickhoffKnauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 68; SK-Horn/Wolters, § 228, Rn. 15. Umstritten ist, ob es auch einen konkludenten Aufklärungsverzicht geben kann. Vgl. dazu etwa Roßner, NJW 1990, 2291, 2294. 496 Vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1973, 556, 558; vgl. Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 17 f. 490

152

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

So erkennt auch der Bundesgerichtshof die grundsätzliche Möglichkeit eines Aufklärungsverzichts an, er spricht ihr aber Ausnahmecharakter zu.497 Danach muss der Patient selbst dann, wenn er auf die Aufklärung verzichtet, mindestens die Erforderlichkeit und die Art des Eingriffs kennen.498 Ebenso muss er sich bewusst darüber sein, dass der Eingriff nicht risikolos ist; dies bedeutet, dass der Patient nur auf die Aufklärung über Details des Eingriffs und dessen Folgen verzichten kann.499 Anders ausgedrückt muss er in Grundzügen wissen, worauf er verzichtet.500 Auch im hier vorliegenden Fall der Einwilligung in die nicht indizierte Zirkumzision aus religiösen Gründen muss dem Einwilligenden ein Verzicht auf eine detailgenaue Aufklärung möglich sein: Für den Umfang der Aufklärung kommt es nicht auf das Vorliegen oder Fehlen der Indikation an, sondern es sind die individuellen Bedürfnisse des Patienten entscheidend.501 Grund hierfür ist, dass es um den Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung des Patienten geht. Entsprechend kann es auch für die Zulässigkeit eines Aufklärungsverzichts nicht auf die gegebene oder fehlende Indikation ankommen. Ist unter dem Aspekt des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ein Aufklärungsverzicht jedenfalls im Hinblick auf Details möglich, so muss dies unabhängig davon gelten, ob der Eingriff indiziert ist oder nicht – denn die Indikation ist kein Faktor, der für sich genommen die Selbstbestimmtheit der Entscheidung beeinflusst.502 Solange der Rechtsgutsträger also weiß, dass es sich bei der Zirkumzision um einen nicht indizierten Eingriff handelt, der durchaus gewisse Risiken mit sich bringt, kann er auf eine weitere, detailgenaue Aufklärung verzichten, da auch das Recht zum Aufklärungsverzicht eine Ausprägung der körperbezogenen Selbstbestimmung ist.503 c) Aufklärungspflichten eines Nicht-Arztes Bisher wurde von dem Fall ausgegangen, dass der einwilligungsfähige Rechtsgutsträger in die von einem Arzt vorgenommene Beschneidung einwilligt. Es ist aber gerade im Rahmen religiös motivierter Beschneidungen denkbar, dass der Eingriff von einem traditionellen Beschneider vorgenommen werden soll.504 497 Vgl. etwa in zivilrechtlicher Hinsicht BGH, NJW 1971, 1887; NJW 1973, 556, 558; NJW 1976, 363, 364; vgl. auch § 630e III BGB. 498 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 18. 499 Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 18. 500 Zu dem Ganzen Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 18; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 126; Joost, in: Grenzen des Paternalismus, 126, 136. 501 Vgl. hierzu oben D.IV.4.b)aa). 502 Vgl. zur Absicherung der Selbstbestimmtheit der Entscheidung Schroth, in: FS Volk, 719, 723 ff. 503 Vgl. Abschn. D, Fn. 494 und 495. 504 Vgl. nur den vom LG Frankenthal, MedR 2005, 243, entschiedenen Fall.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

153

Auch soweit es sich bei diesem nicht zugleich um einen approbierten Arzt handelt,505 kann der Rechtsgutsträger als Ausfluss seiner körperbezogenen Selbstbestimmung – bis zur Grenze des § 228 StGB – in die Vornahme des Eingriffs durch denselben einwilligen.506 Es stellt sich dann aber die Frage, inwieweit den Eingreifenden als Nicht-Arzt eine Pflicht zur Aufklärung trifft und welche Konsequenzen sich aus einer weniger umfassenden Aufklärung als in oben beschriebenem Sinne ergeben. Im Hinblick auf eine mögliche Verpflichtung des Nicht-Arztes zur Aufklärung hilft ein Blick auf den Existenzgrund der ärztlichen Aufklärungspflicht: Der Einwilligende kann nur dann in autonomer Weise von seiner körperbezogenen Selbstbestimmung Gebrauch machen, wenn er ausreichend über den vorzunehmenden Eingriff informiert ist.507 Dass der Arzt und nicht der Patient selbst zur Beschaffung der notwendigen Informationen verpflichtet ist, liegt an dem Wissensgefälle, das zwischen dem Patienten und dem Arzt besteht.508 Letzterer hat im medizinischen Bereich eine besondere Kompetenz inne, die ihn im Verhältnis zum Patienten in eine überlegene Stellung bringt.509 Ist der Beschneider de facto zu einer ebenso umfassenden Aufklärung wie der Arzt in der Lage, so hat er in dieser Hinsicht überlegenes Wissen, was ihn grundsätzlich zur umfassenden Aufklärung des Patienten verpflichtet.510 In der Regel wird man aber von einem Nicht-Arzt nicht dieselbe spezifische Kompetenz wie von einem approbierten Arzt erwarten dürfen.511 Dennoch hat dieser gegenüber dem Einwilligenden insofern überlegenes Wissen, als er einerseits um seine nicht vorhandene Approbation weiß und ihm andererseits zumindest klar ist, dass der Eingriff nicht ganz risikolos ist. Daher und weil er durch das Anbieten der Vornahme traditioneller Beschneidungen eine Gefahrenquelle eröffnet, die Informationspflichten mit sich bringt,512 ist auch der nicht approbierte Beschneider zur vorherigen Aufklärung des Einwilligenden verpflichtet. Zwar kann man ihm auf dieser Grundlage keine solch umfassende Aufklärung wie einem Arzt abverlangen,513 er hat jedoch die Pflicht, den Einwilligenden da505 Es ist durchaus denkbar, dass es sich etwa beim jüdischen Mohel zugleich um einen approbierten Arzt handelt, vgl. hierzu Abschn. B, Fn. 45. 506 Vgl. auch BGHSt 16, 309, 311. 507 Vgl. oben D.IV.4.; vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 112. 508 Schroth, in: FS Volk, 719, 739; vgl. oben D.IV.4. 509 Schroth, in: FS Volk, 719, 740 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192. 510 Vgl. insofern D.IV.4.b). 511 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 741 im Hinblick auf Piercer und Tätowierer; LG Coburg, NJW-RR 2012, 1379, 1380. 512 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 741 im Hinblick auf Piercer und Tätowierer. 513 Vgl. hierzu auch Schroth, in: FS Volk, 719, 741 im Hinblick auf Piercer und Tätowierer; LG Coburg, NJW-RR 2012, 1379, 1380.

154

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

hingehend zu unterrichten, dass er kein approbierter Arzt ist und dass es sich bei der Zirkumzision um einen nicht ganz risikolosen chirurgischen Eingriff handelt. Kann er die Zirkumzision nicht entsprechend des medizinischen Standards vornehmen, hat er den Einwilligenden auch hierüber aufzuklären. Des Weiteren ist der Einwilligende über notwendige Vorsichtsmaßnahmen nach dem Eingriff i. S. d. Sicherungsaufklärung zu belehren. Soweit der Beschneider selbst nicht über die zentralen Risiken des Eingriffs bzw. über die zu beachtenden Sicherheitsmaßnahmen Bescheid weiß, hat er sich hierüber vorab in Kenntnis zu setzen; auch dies ergibt sich daraus, dass er eine Gefahrenquelle eröffnet.514 Entscheidend ist außerdem, dass der Eingreifende dem Einwilligenden mitteilt, dass er keine solch umfassende Aufklärung erbringen kann wie ein Arzt dies könnte. Willigt der einwilligungsfähige Rechtsgutsträger auf Grundlage einer solchen Aufklärung in die Vornahme der Beschneidung ein, so ist dies entsprechend des Verzichts auf eine vollumfängliche Aufklärung zu beurteilen: Es wurde in selbstbestimmter Weise auf genauere Informationen verzichtet, der Einwilligende hat sich autonom für die Vornahme des Eingriffs entschieden. Daher ist auf Grundlage der gerade beschriebenen Aufklärung die Einwilligung des einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgers in die Vornahme der Beschneidung durch einen nicht approbierten Beschneider wirksam. 5. Fehlende Sittenwidrigkeit i. S. d. § 228 StGB Gemäß § 228 StGB ist die Einwilligung des Rechtsgutsträgers in Körperverletzungen unwirksam, die trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstoßen.515 Dabei ist nicht nur die Definition eines Sittenverstoßes i. S. d. § 228 StGB umstritten, sondern vor allem auch die grundsätzliche Legitimation dieser Norm.516 Zum Teil wird § 228 StGB wegen seiner Unbestimmtheit auch im Ge514 Vgl. zur Eröffnung solcher Gefahrenquellen im Hinblick auf Piercer und Tätowierer Schroth, in: FS Volk, 719, 741. 515 Die Tat selbst, nicht die Einwilligung muss gegen die guten Sitten verstoßen. BGHSt 4, 88, 91; 49, 34, 42; 49, 166, 169. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 38; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 2 und 18 ff.; Fischer, StGB, § 228, Rn. 8; Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 64; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 121. 516 Vgl. zu den unterschiedlichen Interpretationsansätzen NK-Paeffgen, § 228, Rn. 33 ff.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 109 ff.; Nitschmann, ZStW 119 (2007), 547, 558 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 165 ff. Im Sinne des hier vertretenen liberalen Einwilligungs- und Rechtsgutsmodells, das verfassungsrechtlich durch Art. 2 II 1 GG abgesichert ist, ist § 228 StGB als autonomiesichernde Norm in dem Sinne zu interpretieren, dass die Kriterien der Sittenwidrigkeit (ggf. unwiderlegbare) Indizien für eine defizitäre Entscheidung des Einwilligungsberechtigten darstellen. Hierzu überzeugend Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, E.I.2.a); Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 125 ff. Jedenfalls ist der Gedanke, dass § 228 StGB zum Schutz des Op-

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

155

samten für verfassungswidrig gehalten.517 Unter dem Aspekt der verfassungsgemäßen Auslegung bedarf es jedenfalls einer restriktiven Interpretation dieser Norm.518 a) Der Sittenverstoß i. S. d. § 228 StGB Nach der Rechtsprechung ist eine Körperverletzung als Verstoß gegen die guten Sitten zu beurteilen, „wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“.519 Dies soll dann der Fall sein, wenn die Körperverletzungstat „nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist“.520 Die nähere Konkretisierung dieser Formel ist strittig, insbesondere besteht Uneinigkeit darüber, inwiefern neben dem Gewicht und dem Umfang des Eingriffs auch auf den Zweck desselben abgestellt werden darf.521 Die neuere Rechtsprechung und Teile der Literatur stellen in erster Linie auf das Gewicht und den Umfang der Körperverletzung sowie auf den damit verbundenen Grad an Leibes- bzw. Lebensgefahr ab.522 Erscheint die Körperverletzung unter diesen Aspekten als „nicht mehr von der Rechtsordnung hinnehmbar“, so ist sie sittenwidrig.523 Hierfür dient § 226 I StGB insofern als Maßstab, als das Gewicht der Körperverletzung an die dort normierten schweren Beeinträchtigungen heranreichen fers vor sich selbst erforderlich sei, nicht mehr zeitgemäß, vgl. hierzu Schroth, Strafrecht BT S. 88 und 92 f. 517 So etwa Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 136 ff.; Sternberg-Lieben, in: FS Amelung, 325, 330 ff.; Schroth, Strafrecht BT S. 88 und 92 f.; Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 228, Rn. 2; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 44; vgl. auch Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 941. 518 Nach Auffassung der Rechtsprechung sowie nach h. M. in der Literatur ist § 228 StGB verfassungskonform, soweit der Begriff der guten Sitten eng ausgelegt und auf seinen Kern beschränkt wird, vgl. BGHSt 4, 24, 32; 49, 34, 41; 49, 166, 169; Fischer, StGB, § 228, Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 228, Rn. 23; SSW/StGBMomsen, § 228, Rn. 9. 519 BGHSt 49, 34, 41; vgl. BGHSt 4, 24, 32; 4, 88, 91. Es kommt auf die Sittenwidrigkeit der Tat, nicht auf die der Einwilligung an. 520 BGHSt 49, 34, 41. 521 Vgl. hierzu BGHSt 49, 166, 170; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 318; Kühl, StGB, § 228, Rn. 10 m.w. N. Gegen eine zu weitgehende oder gar alleinige Berücksichtigung des Zwecks wird argumentiert, dass sich eine solche Betrachtung zu weit vom Rechtsgutsschutz entferne und zu unklaren Abgrenzungen führe, Fischer, StGB, § 228, Rn. 9; Otto, in: FS Tröndle, 157, 167 f.; vgl. aber auch Rengier, Strafrecht BT II, § 20, Rn. 4 ff.; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 19. 522 Vgl. BGHSt 49, 34 ff.; 49, 166 ff. Hierzu etwa: Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, E.I.2.a); Hirsch, in: FS Amelung, 181 ff.; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 41. 523 BGHSt 49, 166, 170 f.

156

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

muss.524 In konkret lebensgefährliche körperliche Eingriffe kann jedenfalls nicht eingewilligt werden.525 Der Zweck der Tat wird bei diesem Beurteilungsmaßstab nur sekundär berücksichtigt, indem die Bewertung der Körperverletzung als Sittenverstoß durch die Verfolgung eines nachvollziehbaren Zweckes entfallen kann526 – dies wird insbesondere im Medizinstrafrecht, etwa bei gefährlichen Operationen zur Erhaltung von Gesundheit oder Leben, relevant.527 Hier zeigt sich, dass es zur Beurteilung des Verstoßes gegen die guten Sitten nicht ausschließlich auf die Schwere oder das Gewicht des Eingriffs ankommen kann.528 Beurteilt man die lege artis durchgeführte Zirkumzision anhand dieser Kriterien, so ergibt sich, dass sie nicht i. S. d. § 228 StGB gegen die guten Sitten verstößt: Es handelt sich um einen relativ geringen Eingriff, der in seinem Gewicht und Ausmaß bei weitem nicht an die Kriterien des § 226 I StGB heranreicht. Würde man darüber hinaus den Zweck nicht nur zur Begrenzung der Strafbarkeit, sondern im Gesamten berücksichtigen, so würde sich hieraus nichts anderes ergeben: Denn mit dem relativ geringen Eingriff sind – wenn auch umstrittene – körperliche Vorteile verbunden,529 außerdem dient die Beschneidung der Ausübung der durch Art. 4 I, II GG geschützten Religionsfreiheit des Rechtsgutsträgers. Die Einwilligungsschranke des § 228 StGB greift im Hinblick auf die Einwilligung in die Beschneidung nicht.530 b) Die nicht kunstgerecht durchgeführte Beschneidung Grundsätzlich betrifft die Einwilligung des Patienten zwar nur Behandlungen, die lege artis durchgeführt werden.531 Bei entsprechender vorheriger Aufklärung 524 So auch früher entwickelte Ansichten, die in erster Linie auf die Schwere des Eingriffs abstellten: Arzt, Willensmängel, S. 39; Hirsch, in: FS Welzel, 775, 798 f.; Hirsch, in: FS Amelung, 181, 198 ff.; Otto, in: FS Geerds, 603, 618 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 II.2. 525 Hierüber besteht Einigkeit. Vgl. BGHSt 49, 34, 44; 49, 166, 173 f.; BGH, NJW 2009, 1155, 1157; Schroth, Strafrecht BT, S. 92; Rengier, Strafrecht BT II, § 20, Rn. 4; Fischer, StGB, § 228, Rn. 10a. 526 BGHSt 49, 166, 171; Fischer, StGB, § 228, Rn. 10; vgl. Sch/Sch-Stree/SternbergLieben, § 228, Rn. 5. Die frühere h. M. berücksichtigte den Zweck umfassender, vgl. hierzu NK-Paeffgen, § 228, Rn. 37 m.w. N. 527 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 40. 528 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 40. 529 Vgl. hierzu oben B.III.2.a). 530 Ebenso: Putzke, in: FS Herzberg, 669, 694 f.; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 317 f.; Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 91. Dies gilt auf Grundlage aller vertretenen Ansichten zur Sittenwidrigkeit, so Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 123. 531 BGH, NStZ-RR 2007, 340, 341.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

157

kann der Einwilligungsfähige aber auch in eine Behandlung einwilligen, die nicht dem medizinischen Standard entspricht bzw. nicht lege artis durchgeführt wird.532 Auch dies ergibt sich aus der Garantie seiner körperbezogenen Selbstbestimmung; die Grenze dieser Einwilligungsmöglichkeit liegt im § 228 StGB.533 In Bezug auf die Beschneidung bedeutet dies, dass es dem Rechtsgutsträger auch möglich ist, in die Vornahme des Eingriffs ohne eine vorherige Betäubung einzuwilligen. Ebenso kann er einer Zirkumzision zustimmen, die nicht durch eine medizinische Standardmethode, sondern durch eine Außenseitermethode vorgenommen wird,534 solange sich – was in der Regel nicht der Fall sein wird – hieraus keine konkrete Lebensgefahr bzw. Schädigungen im Ausmaß des § 226 I StGB ergeben. Unter denselben Voraussetzungen kann er in einen Eingriff einwilligen, der nicht unter hygienischen Krankenhausbedingungen – sondern etwa bei ihm zu Hause oder in einer religiösen Einrichtung – durchgeführt wird. c) Exkurs: Genitalverstümmelung von Mädchen bzw. Frauen Zur Verdeutlichung dieses Ergebnisses sei ein kurzer Blick auf die Genitalverstümmelung von Mädchen bzw. Frauen geworfen. Dabei werden die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder vollständig entfernt, was in der tradierten Form mit ungeeignetem Schneidewerkzeug sowie unter unhygienischen Bedingungen erfolgt.535 Zum Teil wird darauf hingewiesen, dass auch bei Frauen eine bloße „Klitorisvorhautreduktion“ 536 möglich sei, welche anatomisch der Knabenbeschneidung entspreche.537 Jedoch wird solch ein Eingriff vornehmlich bei erwachsenen Frauen aus vermeintlich medizinischen, funktionellen oder ästhetischen Gründen durchgeführt.538 Dagegen beschränkt sich die traditionelle Genitalverstümmelung an Mädchen in aller Regel nicht auf eine Beschneidung der Klitorisvorhaut, son532

Anders OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 ff. (zivilrechtliche Entscheidung). Verstanden als autonomiesichernde Norm in dem Sinne, dass die Kriterien der Sittenwidrigkeit Indizien für eine defizitäre Entscheidung des Einwilligenden darstellen, vgl. Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, E.I.2.a); Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 125 ff. 534 Vgl. hierzu auch BGH, NJW 2011, 1088, 1089 („Zitronensaftfall“). 535 Vgl. http://www.terre-des-femmes.de, Themen&Aktionen/Genitalverstümmelung/ Begriffsdefinition (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f.; Rosenke, ZRP 2001, 377 f.; Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 17 ff.; Wüstenberg, Der Gynäkologe 2006, 824; Wüstenberg, FamRZ 2007, 692; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 442; Hahn, ZRP 2010, 37; Blaschke, Beschneidung, S. 3. Die Genitalverstümmelung von Mädchen ist hauptsächlich in Afrika, aber auch im Mittleren Osten sowie in Asien gebräuchlich. Vgl. hierzu Gollaher, Geschlecht, S. 240. 536 Walter, JZ 2012, 1110, 1112. 537 Walter, JZ 2012, 1110, 1112; vgl. hierzu auch Klein, in: Heil/Kramer, 233, 255. 538 Vgl. hierzu auch Walter, JZ 2012, 1110, 1112. 533

158

D. Die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung

dern beinhaltet mindestens das teilweise oder vollständige Entfernen der Klitoris als solcher.539 Darüber hinaus existieren Eingriffsformen, bei denen außerdem die inneren und/oder äußeren Schamlippen entfernt werden; teilweise wird nach der Entfernung von Klitoris und Schamlippen die Vagina bis auf eine kleine Öffnung zugenäht.540 Willigt die betroffene Frau selbst in eine Genitalverstümmelung in beschriebenem Sinne ein, greift die Schranke des § 228 StGB: Nicht nur, dass es sich um eine Verunstaltung der ästhetischen Gesamterscheinung handelt,541 die wohl das Merkmal der dauernden Entstellung i. S. d. § 226 I Nr. 3 StGB erfüllt;542 auch unabhängig davon reicht der Eingriff in seinem Gewicht und Ausmaß an die in § 226 I StGB beschriebenen Beeinträchtigungen heran und wiegt damit so schwer, dass er i. S. d. § 228 StGB gegen die guten Sitten verstößt.543 Selbst eventuell mit dem Eingriff verfolgte kulturelle oder religiöse Zwecke544 können die Bewertung des Eingriffs als Sittenverstoß i. S. d. § 228 StGB nicht ändern: Die Einwilligung der einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgerin in die Genitalverstümmelung kann nicht mehr als selbstbestimmte Entscheidung gewertet werden.545 6. Formale Voraussetzungen und subjektive Seite der Einwilligung Die Einwilligung bedarf keiner Form.546 Sie muss allerdings unzweideutig zum Ausdruck kommen,547 was bedeutet, dass sie ausdrücklich oder stillschwei539 Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 19; Klein, in: Heil/Kramer, 233, 255; http:// whqlibdoc.who.int/publications/2008/9789241596442_eng.pdf, S. 25 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013); vgl. Abschn. D, Fn. 535. 540 Hierzu: Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f.; Rosenke, ZRP 2001, 377 f.; Wüstenberg, Der Gynäkologe 2006, 824; Wüstenberg, FamRZ 2007, 692; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 442; Hahn, ZRP 2010, 37; Blaschke, Beschneidung, S. 3. Erstere Eingriffsform wird „Exzision“, zweitere Eingriffsform wird „Infibulation“ genannt, Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 17. 541 Definition etwa bei BGH, NStZ 2006, 686; NStZ 2008, 32. 542 Dies ist umstritten und nicht abschließend geklärt, vgl. Kühl, StGB, § 226, Rn. 4; a. A. Wüstenberg, Der Gynäkologe 2006, 824, 825 f.; Hahn, ZRP 2010, 37, 38; vgl. Rosenke, ZRP 2001, 377, 378; Möller, ZRP 2002, 186. 543 Ebenso: Putzke, in: FS Herzberg, 669, 694; Wüstenberg, Der Gynäkologe 2006, 824, 826; Möller, ZRP 2002, 186, 187. Anders Rosenke, ZRP 2001, 377, 379. Vgl. auch § 90 III öStGB: „In eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, kann nicht eingewilligt werden.“ Hierzu auch Bernat, EF-Z 2012, 196, 197. 544 Teils hat die Genitalverstümmelung religiöse Gründe. Der schon vor dem Islam existierende Brauch wurde zum Teil in die Religion übernommen, vgl. Küng, Islam, S. 676. Der Eingriff erfolgt teilweise aber auch aus rein rituellen Gründen, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 239 f. 545 Vgl. zu dieser autonomieorientierten Interpretation der Norm Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, E.I.2.a); Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 125 ff. 546 Vgl. Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 43. Teils ist in Spezialgesetzen eine Form vorgesehen, vgl. etwa § 40 I 3 Nr. 3b AMG.

IV. Die Voraussetzungen der Einwilligung

159

gend kundgegeben werden muss,548 was vor der Vornahme des Eingriffs zu geschehen hat.549 Sie kann jederzeit frei widerrufen werden.550 In subjektiver Hinsicht muss der Eingreifende in Kenntnis der Einwilligung handeln.551 Ist dies nicht der Fall, so kommt zwar keine Bestrafung des Eingreifenden wegen vollendeten Delikts, wohl aber wegen untauglichen Versuchs in Betracht.552

547 Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 7; Kühl, StGB, § 228, Rn. 6; Sch/SchLenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 43; TPG-Schroth, § 19, Rn. 58. 548 Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 33; vgl. Schroth, in: Schroth/Schneewind u. a., 79, 93; MK-StGB-Joecks, § 223, Rn. 76; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 258; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 304. Vgl. zu den verschiedenen Theorien bzgl. der Kundgabe der Einwilligung: Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 71 ff. 549 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 79; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 44; SSW/StGB-Rosenau, Vor §§ 32 ff., Rn. 39. 550 Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 79; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 13; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 305 ff. 551 Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 51. Teilweise wird auch verlangt, dass der Eingreifende aufgrund der Einwilligung handeln muss, vgl. Kühl, StGB, § 228, Rn. 9; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 379. Dem widerspricht aber, dass so an den Tatbestandsausschlussgrund der Einwilligung höhere Anforderungen als etwa an die Rechtfertigung durch Notwehr gestellt würden, bei der ein Handeln in Kenntnis der Notwehrlage zur Rechtfertigung genügt (str.). Vgl. zum subjektiven Rechtfertigungselement i. R. d. Notwehr etwa LK-Rönnau/Hohn, § 32, Rn. 263 ff.; Sch/ Sch-Perron, § 32, Rn. 63; NK-Herzog, § 32, Rn. 146 ff.; Schünemann, GA 1985, 341, 371 ff. Im Rahmen des Medizin(straf-)rechts wird der Eingreifende zudem in der Regel aufgrund der Einwilligung handeln, sodass diese Problematik an dieser Stelle keine weitere Relevanz hat. 552 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 75.

E. Die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung Aufgrund des frühen Alters, in dem die religiös motivierte Beschneidung normalerweise durchgeführt wird, kann der minderjährige Rechtsgutsträger wegen fehlender Einwilligungsfähigkeit regelmäßig nicht selbst in den Eingriff einwilligen. Insofern muss die Frage nach der Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung auf der Grundlage des strafrechtlichen Instituts der stellvertretenden Einwilligung beantwortet werden. Die vorangegangenen Ausführungen zu Dogmatik, Systematik und Voraussetzungen der Einwilligung im klassischen Sinne dienen nunmehr als Grundlage für die folgenden Ausführungen zur bisher nur wenig1 behandelten strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung. Dieses Institut wird nachfolgend nicht im Allgemeinen, sondern im Speziellen als elterliche stellvertretende Einwilligung für das nicht einwilligungsfähige Kind untersucht. Denn es ist gerade diese besondere Form der stellvertretenden Einwilligung, die im Rahmen der Problematik um die religiös motivierte Knabenbeschneidung relevant wird.

I. Grundlagen 1. Zugrunde liegende Fallkonstellationen Zur Erarbeitung des strafrechtlichen Instituts der elterlichen stellvertretenden Einwilligung wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Eltern für das nicht zur Selbstbestimmung fähige Kind aus religiösen Gründen in dessen Beschneidung einwilligen. Dabei wird zunächst auf die Fälle abgestellt, in denen das Kind ohne Zweifel überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähig ist. Als konkretes Beispiel hierfür ist insbesondere die Beschneidung im Judentum zu nennen, die am achten Tag nach der Geburt stattfindet. Sodann sind auch die Konstellationen zu berücksichtigen, in denen ein schon teilweise zur Selbstbestimmung fähiger – aber dennoch einwilligungsunfähiger – Junge beschnitten werden soll. Exempel hierfür sind Beschneidungen im Islam, die nicht nur in sehr jungen Jahren, sondern bis zum Beginn der Pubertät durchgeführt werden. 1 Grundlegend Fateh-Moghadam, RW 2010, 115 ff.; vgl. auch Exner, Sozialadäquanz, S. 36 ff.

I. Grundlagen

161

Wenn zunächst angenommen wird, dass der Eingriff lege artis, unter vorheriger Betäubung und sterilen Bedingungen sowie durch einen approbierten Arzt vorgenommen wird,2 sind sodann an jeweils geeigneter Stelle auch Fallkonstellationen zu besprechen, in denen der Eingriff nicht lege artis, ohne Betäubung oder durch einen traditionellen Beschneider erfolgt. 2. Die stellvertretende Einwilligung auf Grundlage des liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodells Der Systematik und Dogmatik sowie den Voraussetzungen der strafrechtlichen Einwilligung liegt ein liberales Rechtsguts- und Einwilligungsmodell zugrunde, das verfassungsrechtlich durch Art. 2 II GG abgesichert ist. Dabei bedeutet Einwilligung im klassischen Sinne körperbezogene Selbstverwirklichung durch den Rechtsgutsträger selbst.3 Entsprechend betrifft die stellvertretende Einwilligung die stellvertretende Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung für den Rechtsgutsträger. Nachfolgend wird sich zeigen, dass das liberale, rechtsgutsorientierte Einwilligungsmodell nicht nur Basis der Einwilligung, sondern auch der stellvertretenden Einwilligung ist, welcher das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Einwilligungsunfähigen zugrunde liegt: a) Das Bedürfnis des einwilligungsunfähigen Minderjährigen nach körperbezogener Selbstverwirklichung Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte ist die körperbezogene Selbstbestimmung,4 die jede Person allein aufgrund ihres Menschseins und unabhängig von ihren intellektuellen oder ähnlichen Fähigkeiten innehat.5 Dieses Recht wird strafrechtlich durch § 223 StGB abgesichert, der so lange Bestandsschutz gewährt, als nicht in Form der Einwilligung der selbstbestimmte Wille zum Ausdruck kommt, sich im Hinblick auf seinen Körper selbst verwirklichen zu wollen.6 Auch die körperbezogene Selbstbestimmung des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen wird durch die Körperverletzungsdelikte zunächst durch Bestandsschutz abgesichert.7 2 So lag auch der der Entscheidung des LG Köln, NJW 2012, 2128, zugrunde liegende Fall. Bei den später eingetretenen Nachtblutungen handelt es sich um eine mit der Zirkumzision verbundene Komplikation. 3 Vgl. dazu oben D.II. 4 Vgl. ausführlich oben D.II.2. 5 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. 6 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282 ff., sowie oben D.II.2.c)bb). 7 Vgl. Roxin, in: FS Amelung, 269, 282.

162

E. Die stellvertretende Einwilligung

Aufgrund mangelnder Fähigkeit zur Selbstbestimmung8 ist der Minderjährige aber nicht selbst zur körperbezogenen Selbstverwirklichung in der Lage. Er müsste sich also allein auf den Bestandsschutz der §§ 223 ff. StGB verweisen lassen, wenn ihm nicht auf anderem Wege die Verwirklichung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung möglich wäre. Bedenkt man, dass auch der Einwilligungsunfähige voll umfassend das Recht aus Art. 2 II 1 GG genießt und allein die Ausübung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung an der fehlenden Einwilligungsfähigkeit scheitert,9 so wird klar, dass es auch für ihn eine Möglichkeit geben muss, sein körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen. Denn den Rechtsgutsträger allein auf Bestandsschutz zu beschränken, wird dem Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB und seinem verfassungsrechtlichen Hintergrund nicht gerecht. Eine Limitation auf den Bestandsschutz würde darüber hinaus bedeuten, dass sämtliche Eingriffe i. S. d. § 223 StGB nicht aus der körperbezogenen Selbstbestimmung des einwilligungsunfähigen Rechtsgutsträgers heraus legitimierbar wären, sondern nur durch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden könnten, sodass man etwa stets auf Notstandsgesichtspunkte o. Ä. abstellen müsste, wenn es um Eingriffe beim Einwilligungsunfähigen geht. Denkt man nur an Eingriffe wie das Schneiden der Haare oder an ärztliche Heileingriffe, so ist die Annahme, es könne keine Legitimierung von körperlichen Eingriffen beim Einwilligungsunfähigen aus dessen körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht heraus geben, nicht haltbar und widerspricht dem grundsätzlichen Vorrang der Einwilligung vor den Rechtfertigungsgründen.10 Ist der Minderjährige nicht einwilligungsfähig und damit nicht in eigener Person zur Verwirklichung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung in der Lage, so bedeutet dies nicht, dass er sie überhaupt nicht verwirklichen kann. Es bedeutet nur, dass ihm von anderer Seite – i. d. R. von seinen Eltern – zur Verwirklichung seiner körperbezogenen Selbstbestimmung verholfen werden muss.11

8

In strafrechtlicher Terminologie: Einwilligungsfähigkeit. Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 10 Der Vorrang der Einwilligung vor den Rechtfertigungsgründen ergibt sich schon daraus, dass die Einwilligung nach dem hier zugrunde gelegten liberalen Rechtsgutsund Einwilligungsmodell als Tatbestandsausschlussgrund zu qualifizieren ist, vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12 ff. Vgl. hierzu oben D.III.1. 11 Der Persönlichkeitsschutz eines Kindes verwirklicht sich auch über das elterliche Erziehungsrecht, vgl. BVerfG, NJW 2003, 3262 f.; OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581. Grundsätzlich ist auch anerkannt, dass die Eltern stellvertretend für ihr Kind in körperliche Eingriffe einwilligen dürfen. Freilich sind die Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis umstritten. Vgl. im Hinblick auf die Beschneidung etwa Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 127; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 686; Exner, Sozialadäquanz, S. 36 f. 9

I. Grundlagen

163

Strafrechtlich betrachtet geschieht dies über die stellvertretende Einwilligung, mit der die Eltern das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des Kindes wahrnehmen,12 und der somit dasselbe zugrunde liegt. b) Vergleich zur Einwilligung im klassischen Sinne Auch im Vergleich zum Institut der Einwilligung im klassischen Sinne zeigt sich, dass die stellvertretende Einwilligung dogmatisch auf das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des einwilligungsunfähigen Rechtsgutsträgers zurückzuführen ist. Zum Teil wird die Dogmatik der stellvertretenden Einwilligung parallel zur mutmaßlichen Einwilligung und deren Grundprinzipien zu entwickeln versucht: Die Tatsache, dass beim grundsätzlich einwilligungsfähigen Minderjährigen, der nur in der aktuellen Situation keinen Willen bilden kann, im Rahmen der strafrechtlichen – dann mutmaßlichen – Einwilligung auf dessen mutmaßlichen Willen und damit letztlich auf seine vermuteten Interessen abgestellt werde,13 spreche dafür, auch beim grundsätzlich noch nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung ausschließlich auf dessen objektive Interessen abzustellen.14 Solch ein Vergleich zwischen stellvertretender Einwilligung und mutmaßlicher Einwilligung geht jedoch fehl: Bei der mutmaßlichen Einwilligung handelt es sich um ein rechtfertigend wirkendes, subsidiäres Einwilligungssurrogat,15 das nur dann eingreift, wenn der grundsätzlich Einwilligungsfähige ausnahmsweise zur Einwilligung nicht in der Lage ist.16 Auf sie wird nur hilfsweise zurückgegriffen, wobei es für die Rechtfertigung des Eingriffs dann auf den sog. „mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen ankommt.17

12 Vgl. Schünemann, VersR 1981, 306; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 16 und 92 ff.; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 74; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 150. 13 Die vermuteten, objektiven Interessen dienen bei der mutmaßlichen Einwilligung freilich nur zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens. Dabei müssen vorrangig die Äußerungen des Betroffenen berücksichtigt werden, auch wenn sie unvernünftig sind. Den objektiven Kriterien kommt keine eigene Bedeutung zu. Sind allerdings keine anderen Indizien für einen anderen Willen des Betroffenen bekannt, so folgert man aus dessen objektiven Interessen den mutmaßlichen Willen. Vgl. dazu etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 18, Rn. 5; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 58 ff.; BGHSt 45, 219, 221. 14 Exner, Sozialadäquanz, S. 40. 15 Vgl. Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 54. 16 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 18, Rn. 3; Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 54. 17 Roxin, Strafrecht AT I, § 18, Rn. 3; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 49 und 57; vgl. auch Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 54.

164

E. Die stellvertretende Einwilligung

Dagegen greift zwar die stellvertretende Einwilligung auch nur dann ein, wenn der Rechtsgutsträger selbst nicht einwilligungsfähig ist. Sie ist aber kein ausnahmsweise eingreifendes Institut, sondern standardmäßig für den langen Zeitraum der Einwilligungsunfähigkeit des Kindes von Geburt an vorgesehen. Insofern ist die stellvertretende Einwilligung kein echtes Hilfsinstitut wie etwa die mutmaßliche Einwilligung. Vielmehr können Parallelen zwischen stellvertretender Einwilligung und Einwilligung gezogen werden: Die stellvertretende Einwilligung betrifft nicht einen Ausnahmefall, der eine hilfsweise Lösung erforderlich macht, sondern – unter anderem – den Standardfall, dass dem von Anfang an einwilligungsunfähigen Kind die Verwirklichung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung durch die Eltern ermöglicht wird. Solange Personen vorhanden sind, die die Kompetenz dazu haben,18 dem Kind zur Verwirklichung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung zu verhelfen, kann es nicht auf die Maßstäbe eines nur subsidiär eingreifenden Instituts wie der mutmaßlichen Einwilligung ankommen.19 Dies wäre ein nicht begründbarer Rückgriff auf ein im Vergleich zur stellvertretenden Einwilligung schlechteres Institut.20 Für die lang andauernde Zeitspanne der Einwilligungsunfähigkeit des Kindes ist also die stellvertretende Einwilligung durch die Eltern die standardmäßige Einrichtung, mit der auch dem Minderjährigen die Verwirklichung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung ermöglicht wird.21 Insofern kann man kaum von der stellvertretenden Einwilligung als Hilfsinstitut sprechen.22 18

Diese Kompetenz ergibt sich aus Art. 6 II GG sowie aus den §§ 1626 ff. BGB. Interessant ist auch der Fall, in dem die Eltern in der aktuellen Situation nicht zur stellvertretenden Einwilligung für ihr Kind in der Lage sind. Dann greift das Institut der mutmaßlichen Einwilligung, nach dessen Prinzipien auf den mutmaßlichen Willen der Eltern abzustellen ist. Sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den Willen der Eltern vorhanden, so wird der mutmaßliche Wille aus den objektiven Interessen gefolgert. Dabei wird schon deshalb eine Orientierung am Kindeswohl erfolgen, weil davon auszugehen ist, dass den Eltern das Wohl ihres Kindes besonders am Herzen liegt (vgl. etwa BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371). In diesem Rahmen wird durchaus ein objektiv definiertes Kindeswohl eine Rolle spielen. Dies erlaubt aber nicht, im Umkehrschluss stets auf ein objektiv bestimmtes Kindeswohl abzustellen, da wie bereits ausgeführt die mutmaßliche Einwilligung ein Einwilligungssurrogat ist, das nur subsidiär zur Anwendung kommt und nachrangigen Charakter hat. Bei der mutmaßlichen stellvertretenden Einwilligung wird etwa auch von Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 54; Roxin, Strafrecht AT I, § 18, Rn. 4, auf den mutmaßlichen Willen des gesetzlichen Vertreters abgestellt. 20 Die mutmaßliche Einwilligung des Minderjährigen wird dann relevant, wenn er grundsätzlich schon einwilligungsfähig ist. So kommt es im Fall eines bewusstlosen, an sich einwilligungsfähigen Minderjährigen auf dessen mutmaßliche Einwilligung, nicht aber auf die stellvertretende Einwilligung der Eltern an, Sch/Sch-Lenckner/SternbergLieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 42; Voll, Einwilligung, S. 70; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 106. 21 Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 19

I. Grundlagen

165

Treffender ist die Beschreibung, dass die stellvertretende Einwilligung für den Minderjährigen der Einwilligung im klassischen Sinne nur zeitlich vorgelagert ist: Während der gesamten Dauer der Einwilligungsunfähigkeit des Kindes haben die Eltern wegen der Garantie des Art. 6 II GG und dessen einfachgesetzlichen Ausgestaltungen in §§ 1626 ff. BGB die Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung inne. Mit Erreichen der Einwilligungsfähigkeit löst dann die Einwilligung des Kindes die stellvertretende Einwilligung der Eltern ab. Grundlage beider – zeitlich aufeinanderfolgender – Institute ist stets das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des Kindes,23 das zunächst durch die stellvertretende Einwilligung der Eltern und anschließend durch die eigene Einwilligung des Minderjährigen verwirklicht wird. c) Konsequenzen für Systematik und Funktionen der stellvertretenden Einwilligung Da die stellvertretende Einwilligung der Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des einwilligungsunfähigen Kindes dient, sind die systematische Stellung sowie die Funktionen der stellvertretenden Einwilligung ebenso wie die der Einwilligung zu beurteilen: Als Verwirklichung der durch die §§ 223 ff. StGB geschützten körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes schließt die wirksame stellvertretende Einwilligung den Tatbestand der Körperverletzung von vornherein aus: Was der durch die Eltern verholfenen freien Entfaltung des (einwilligungsunfähigen) Kindes dient, kann keine Rechtsgutsverletzung sein.24 Die Eltern dürfen insofern stellvertretend die körperbezogenen Schutzvorschriften im Hinblick auf das Kind außer Kraft setzen.25 Auch die Funktionen der stellvertretenden Einwilligung ergeben sich auf dieser Grundlage parallel zu den Funktionen der Einwilligung im klassischen Sinne:26 Die Notwendigkeit der stellvertretenden Einwilligung dient zunächst dem Schutz des nicht einwilligungsfähigen Kindes. Solange die Eltern nicht stellvertretend für dasselbe einwilligen, wird dessen körperbezogene Selbstbe-

22

Vgl. dagegen Exner, Sozialadäquanz, S. 40 f. Vgl. Schünemann, VersR 1981, 306; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 16 und 92 ff.; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 74; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128 f., spricht bezüglich der stellvertretenden Einwilligung von „Einwilligungssurrogat“. 24 Entsprechend zum Tatbestandsausschluss durch Einwilligung: Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. 25 Entsprechend zur Einwilligung: Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: FS Hassemer, 787; Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123. 26 Entsprechend zur Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff. 23

166

E. Die stellvertretende Einwilligung

stimmung gemäß den §§ 223 ff. StGB durch Bestandsschutz abgesichert.27 Die stellvertretende Einwilligung hat damit eine Abwehrfunktion.28 Sie dient der (stellvertretenden) Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes, hat also Entfaltungsfunktion.29 Hierdurch werden körperbezogene Schutzvorschriften außer Kraft gesetzt,30 die Risikozuständigkeit auf das Kind übertragen31 und dem Eingreifenden innerhalb der Grenzen des Kindeswohls die Sicherheit gegeben, nicht für die Vornahme des Eingriffs gemäß §§ 223 ff. StGB belangt zu werden. Daher kommt der stellvertretenden Einwilligung auch eine Garantiefunktion zu.32

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen stellvertretenden Einwilligung 1. Verfassungsrechtliche Prägung der elterlichen stellvertretenden Einwilligung Die stellvertretende Einwilligung ist das Institut, durch das auch dem Einwilligungsunfähigen die körperbezogene Selbstverwirklichung ermöglicht wird. Sie leitet sich aus dessen körperbezogener Selbstbestimmung ab, die ihren verfassungsrechtlichen Hintergrund in Art. 2 II 1 GG hat und strafrechtlich durch die §§ 223 ff. StGB abgesichert ist.33 Dies bedeutet, dass die stellvertretende Einwilligung sowohl ihre Grundlage als auch ihre Grenzen in den Rechten des Einwilligungsunfähigen findet. Im (Standard-)Fall des einwilligungsunfähigen Minderjährigen sind es dessen Eltern, die von Gesetzes wegen zur stellvertretenden Wahrnehmung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung kompetent sind.34 Dies ergibt sich in verfas27

Vgl. auch Roxin, in: FS Amelung, 269, 282. Entsprechend zur Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 74 ff. 29 Entsprechend zur Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 78 ff. 30 Vgl. in Bezug auf die Einwilligung im klassischen Sinne: Schroth, in: FS Volk, 719, 722; Schroth, in: FS Hassemer, 787. 31 Vgl. in Bezug auf die Einwilligung im klassischen Sinne: Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 85. 32 Entsprechend zur Einwilligung Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 85 ff. 33 Vgl. hierzu insbesondere D.II.3. 34 Mit „Eltern“ sind in erster Linie der leibliche Vater sowie die leibliche Mutter gemeint, aber letztlich entscheiden die gesetzlichen Regelungen, welche Personen darüber hinaus „Eltern“ sind und damit unter dem Schutz des Elternrechts aus Art. 6 II GG stehen. „Das Recht ist naturgegeben, aber die Personen, die es ausüben können, werden von der Rechtsordnung bestimmt.“, nach Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 99. Der Gesetzgeber kann etwa neben oder anstelle der leiblichen Eltern Personen als „Eltern“ definieren, die mit dem Kind in einer familiären Lebensgemeinschaft leben, was insbesondere bei Adoptiveltern der Fall ist (vgl. BVerfGE 24, 119, 150). Pflegeeltern 28

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

167

sungsrechtlicher Hinsicht aus Art. 6 II GG,35 der in den Regelungen zur elterlichen Sorge der §§ 1626 ff. BGB einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat. Über diesen rechtlichen Hintergrund der stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern ist man sich weitgehend einig.36 Es ergibt sich also, dass die elterliche stellvertretende Einwilligung für das Kind im Allgemeinen auf die Rechte des Kindes zurückzuführen und im Besonderen von der speziell das Eltern-Kind-Verhältnis regelnden Verfassungsnorm des Art. 6 II GG geprägt ist.37 Diese „doppelte Prägung“ der stellvertretenden Einwilligung durch die Rechte des Kindes sowie durch Art. 6 II GG begründet keinen Widerspruch, da Art. 6 II GG seinen Existenzgrund in der Schutz- und Hilfsbedürftigkeit des Kindes hat, also gerade auf die Rechte des Kindes zurückzuführen ist.38 Das Kind bedarf für die Ausübung seiner Rechte eines Stellvertreters. Gleichzeitig liegt dem Art. 6 II GG sowie dessen spezialgesetzlichen Ausprägungen der Gedanke zugrunde, dass die Eltern dieser Funktion am besten gerecht werden.39 Durch die Abschirmung des elterlichen Erziehungsrechts vor staatlichen Eingriffen wird den Eltern innerhalb der Grenzen des Art. 6 II GG die stellvertretende (BVerfGE 79, 51, 60) sowie der Vormund (BVerfGE 10, 302, 328) können sich demgegenüber nicht auf Art. 6 II GG berufen, vgl. Badura, ebd.; v. Münch/Kunig-CoesterWaltjen, Art. 6, Rn. 74 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Robbers, Art. 6, Rn. 176 ff.; Dreier-Gröschner, Art. 6, Rn. 103 ff. Die Pflegeeltern sind aber durch Art. 6 I, III GG geschützt, vgl. hierzu Windel, FamRZ 1997, 713, 714 ff.; BVerfGE 18, 97, 105 f.; BVerfG v. 5.4.2005, FamRZ 2005, 783. 35 Der Persönlichkeitsschutz eines Kindes verwirklicht sich auch über das elterliche Erziehungsrecht, vgl. BVerfG, NJW 2003, 3262 f.; OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581. Vgl. auch Art. 8 EMRK. 36 Vgl. BGHSt 12, 379, 382 f.; LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 686 und 705; Putzke, MedR 2008, 268, 270; Herzberg, JZ 2009, 332, 333 f.; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128; Exner, Sozialadäquanz, S. 36; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 152 ff.; Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 343; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 312; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/143; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 92; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 IV.4; Kern, FamRZ 1981, 738, 739; Duttge, in: Breitsameter, 34, 48; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 13; Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 86. Vgl. auch Merkel, SZ v. 25.08.2012, S. 12, der i. R. d. Debatte um die mögliche Strafbarkeit der Beschneidung betont, dass nicht die Religionsfreiheit der Eltern per se, sondern deren Erziehungsrecht die Legitimationsbasis einer stellvertretenden Einwilligung bilden kann. Ablehnend noch Geerds, Einwilligung, S. 67 ff. 37 Nicht alle Arten der stellvertretenden Einwilligung haben ihren verfassungsrechtlichen Hintergrund in Art. 6 II GG. Die gewillkürte Stellvertretung etwa ist allein auf die Rechte des Vertretenen (des Rechtsgutsträgers) zurückzuführen. Dort, wo sich der Vertreter nicht auf Art. 6 II GG berufen kann, prägt dieses Grundrecht auch nicht die stellvertretende Einwilligung. 38 BVerfGE 24, 119, 144; 59, 360, 376 und 382; 61, 358, 371; 72, 155, 172; 75, 201, 218 f.; BVerfG, NJW 2003, 3262 f. 39 Es wird vermutet, dass ihnen „das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution“, BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371.

168

E. Die stellvertretende Einwilligung

Einwilligung und damit dem nicht einwilligungsfähigen Kind dessen körperbezogene Selbstentfaltung ermöglicht. Soweit es nicht nur um die körperbezogene, sondern auch um die religiöse Selbstentfaltung des Kindes durch Stellvertretung der Eltern geht, wird Art. 6 II GG zusätzlich durch Art. 4 I, II GG abgesichert, der im Bereich religiöser Erziehung das Elternrecht verstärkt.40 Insofern erfährt die elterliche stellvertretende Einwilligung in den Bereichen, die religiöse Aspekte der Erziehung betreffen, eine Prägung nicht nur durch Art. 6 II GG, sondern auch durch Art. 4 I, II GG. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund der stellvertretenden Einwilligung kann zwar keine „Detaillösungen“, also insbesondere keine konkreten einzelnen Voraussetzungen derselben vorgeben.41 Relevant werden die grundlegenden Wertentscheidungen und Prinzipien aber insbesondere für die Grundstruktur – vor allem für die Reichweite – dieses strafrechtlichen Instituts, das insofern eine verfassungsrechtliche Prägung erfährt.42 Vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist vor allem die Frage zu beantworten, wo die Grenzen der stellvertretenden Einwilligung zu ziehen sind, innerhalb welchen Rahmens also die Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes durch die Eltern rechtlich überhaupt möglich ist. Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst ein abstrakter Blick auf Art. 6 II GG geworfen, dessen Wertentscheidungen die elterliche stellvertretende Einwilligung im Strafrecht in besonderem Maße beeinflussen. Es soll außerdem kurz auf Art. 4 I, II GG eingegangen werden, der als zusätzlicher verfassungsrechtlicher Hintergrund der stellvertretenden Einwilligung im Bereich religiöser Erziehung Relevanz hat. Erst anschließend daran wird die strafrechtliche Ebene dieser Problematik besprochen.43

40 Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 118; Rox, JZ 2012, 806, 808; Rox, JZ 2012, 1061; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 153 f. Zu betonen ist, dass es in diesem Kontext gerade nicht um die Frage geht, ob die Religionsfreiheit der Eltern – für sich genommen – den Eingriff beim Kind zu rechtfertigen vermag. Vielmehr kommt es primär auf die Frage an, ob die Eltern in den Eingriff stellvertretend einwilligen dürfen. Dabei sind die Grenzen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung durch den verfassungsrechtlichen Hintergrund, also anhand Art. 6 II GG und Art. 4 I, II GG, auszuloten. Vgl. hierzu auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 139. Auch Merkel, SZ v. 25.08. 2012, S. 12, betont – wenn auch mit völlig anderem Ergebnis –, dass nicht die Religionsfreiheit der Eltern per se, sondern deren Erziehungsrecht die mögliche Legitimationsbasis deren Einwilligung in körperliche Eingriffe beim Kind bildet. 41 Vgl. hierzu allgemein Landau, ZStW 121 (2009), 965, 970. Auch wenn die Verfassung im Hinblick auf die stellvertretende Einwilligung keine Detaillösungen vorgeben kann, so müssen sich die einzelnen Voraussetzungen derselben sehr wohl am verfassungsrechtlichen Hintergrund messen lassen. 42 Vgl. dazu allgemein Landau, ZStW 121 (2009), 965, 970; vgl. auch Schmidt, ZStW 121 (2009), 645, 648 f. 43 Hierzu unten E.III.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

169

2. Das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 II GG a) Der grundrechtliche Schutz von Familie und Erziehung Die Familie44 ist als gesamtes Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern45 zunächst durch Art. 6 I GG geschützt,46 der sowohl ein Abwehrrecht gegen den Staat im klassischen Sinne als auch eine Institutsgarantie als auch eine wertentscheidende Grundsatznorm beinhaltet.47 In der Familie und der elterlichen Erziehung findet die Entwicklung des Kindes ihre Grundlage.48 Dementsprechend entwächst der Gemeinschaft von Kindern und Eltern das natürliche Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder,49 das im spezielleren Art. 6 II 1 GG garantiert ist.50 Auch dieses Grundrecht ist in erster Linie ein Abwehrrecht der Eltern gegenüber dem Staat,51 darüber hinaus aber ebenso wie Art. 6 I GG Institutsgarantie sowie wertentscheidende Grundsatznorm.52 aa) Art. 6 II 1 GG: Elternrecht und Elternpflicht Der Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG umfasst „Pflege und Erziehung des Kindes“.53 Pflege meint dabei in erster Linie das körperliche Wohl des Kindes, Erziehung betrifft die geistige und seelische Entwicklung, Bildung und Ausbil-

44 Der verfassungsrechtliche Begriff knüpft an das zivilrechtliche Institut der Familie an. BVerfGE 6, 55, 82; vgl. Manssen, Staatsrecht II, Rn. 434. 45 Vgl. BVerfGE 112, 50, 65. Für den Schutz der Familie spielt es keine Rolle, ob die Kinder noch minderjährig oder bereits volljährig sind, BVerfGE 57, 170, 178; 80, 81, 90; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 695; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 9. Im Hinblick auf Art. 6 II GG ist allerdings zu beachten, dass neben den leiblichen Eltern zwar Adoptiv-, nicht aber Pflege- sowie Stiefeltern dessen Schutz genießen, vgl. etwa BVerfGE 79, 51, 60; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 46; vgl. Abschn. E, Fn. 34. 46 Vgl. auch Art. 8 EMRK. 47 BVerfGE 6, 55, 71; 24, 119, 135; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 42. 48 BVerfGE 80, 81, 91. 49 BVerfGE 10, 59, 66; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 60; Schmidt-BleibtreuHofmann, Art. 6, Rn. 41. 50 Art. 6 II GG ist lex specialis zu Art. 6 I GG, v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 57. 51 BVerfGE 61, 358, 371 f.; Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 22; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 46. 52 v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 58 ff.; Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 57 f.; Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 46 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Robbers, Art. 6, Rn. 140; Dreier-Gröschner, Art. 6, Rn. 95 ff.; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 43 ff.; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 97; Hufen, Staatsrecht II, § 16, Rn. 33; vgl. BVerfGE 84, 168, 179 f. 53 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 48.

170

E. Die stellvertretende Einwilligung

dung.54 Durch die elterliche Erziehung soll sich das Kind zu einer „eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft“ 55 entwickeln.56 Den Eltern steht dabei „ein verfassungsrechtlich geschützter Einfluss auf sämtliche Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes zu“.57 Art. 6 II 1 GG gewährt den Eltern das Recht zur Erziehung ihrer Kinder in jeder Hinsicht, was auch die Erziehung in religiös-weltanschaulicher Hinsicht erfasst.58 Dieses Recht wird allerdings nicht nur von Art. 6 II 1 GG garantiert, sondern gleichzeitig durch die Religionsfreiheit der Eltern aus Art. 4 I und II GG abgesichert.59 Insofern erfährt das elterliche Erziehungsrecht in diesem Bereich eine Verstärkung durch die Religionsfreiheit.60 Das Grundrecht des Art. 6 II 1 GG weist eine besondere Rechtsnatur auf, die sich daraus ergibt, dass der alleinige Existenzgrund des Art. 6 II GG, der den Eltern eine weitreichende Einflussnahme auf Leben und Entwicklung des Kindes zugesteht,61 in der Schutz- und Hilfsbedürftigkeit des Kindes liegt.62 Dadurch unterscheidet sich das elterliche Erziehungsrecht von allen anderen Grundrechten: Art. 6 II 1 GG beinhaltet nicht nur ein Recht der Eltern zur Pflege und Erziehung, sondern gleichzeitig eine diesbezügliche Pflicht,63 die nicht etwa eine das elterliche Erziehungsrecht begrenzende Schranke, sondern wesensimmanenter Bestandteil des Elternrechts ist.64 Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung sind in Art. 6 II GG untrennbar miteinander verknüpft – das elterliche Erzie-

54 v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 63; Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 60; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 42; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 698. Teilweise wird unter „Pflege“ des Kindes neben dem körperlichen Wohl auch die geistige und charakterliche Entwicklung verstanden, vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 107. In der Sache macht es keinen Unterschied, ob man die einzelnen Aspekte des Elternrechts der „Pflege“ oder der „Erziehung“ zuordnet. 55 BVerfGE 24, 119, 144. 56 BVerfGE 57, 361, 383; 75, 201, 219; 80, 81, 90; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 107; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 49; MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 43. 57 BVerfGE 107, 104, 120; vgl. Maier, in: FA FamR, Kap. 4, Rn. 24; Schlüter, Familienrecht, Rn. 365. 58 BVerfGE 52, 223, 236; OLG Oldenburg, FamRZ 2010, 1256; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 118; vgl. Stumpf, DVBl. 2013, 141, 142. 59 BVerfGE 41, 29, 47 f.; 52, 223, 236. 60 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 118. 61 Vgl. BVerfG, JZ 2008, 944, 945 f. 62 BVerfGE 24, 119, 144; 59, 360, 376 und 382; 61, 358, 371; 72, 155, 172; 75, 201, 218 f.; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 109. 63 Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 40 und 45. 64 BVerfGE 24, 119, 143; 72, 155, 172; 92, 158, 178; Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 6, Rn. 40; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 40.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

171

hungsrecht ist ein „dienendes Grundrecht“.65 Es verbindet die Kindesinteressen untrennbar mit dem Recht der Eltern zur Pflege und Erziehung des Kindes66 und verpflichtet die Eltern zu einer „treuhänderischen“ Wahrnehmung der Belange ihres Kindes.67 Dies bedeutet, dass die Eltern ihre Befugnisse zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder auch wahrnehmen müssen.68 Das Grundrecht des Art. 6 II 1 GG hat keine negative Dimension.69 Dementsprechend reicht der Schutz des Art. 6 II 1 GG auch nur so weit, wie man die Handlungen der Eltern – bei weitester Anerkennung ihrer Selbstverantwortlichkeit – noch als Pflege und Erziehung des Kindes ansehen kann.70 Es sind nur Eltern von Art. 6 II GG geschützt, die der ihnen obliegenden Verantwortung auch nachkommen wollen. Entziehen sie sich von vornherein ihren Pflichten, so genießen sie auch nicht den Schutz des Art. 6 II GG.71 bb) Das Kindeswohl als Leitprinzip der elterlichen Erziehung Aus dieser besonderen Verbindung von Rechten und Pflichten in Art. 6 II GG wird die zentrale Leitidee dieses Grundrechts herausgelesen, nämlich das Wohl des Kindes.72 Im Kindeswohl findet das elterliche Erziehungsrecht seine inhaltliche Grenze.73 Insofern spricht das Bundesverfassungsgericht i. R. d. Art. 6 II GG auch zutreffend von „Elternverantwortung“.74 Diese „oberste Richtschnur“ 75 bei der Pflege und Erziehung prägt auch die einfachgesetzlichen Ausgestaltungen des Art. 6 II GG, insbesondere die §§ 1626 ff. BGB.76

65 BVerfGE 59, 360, 377; vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 700; Hufen, Staatsrecht II, § 16, Rn. 17. 66 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 94. 67 BVerfGE 59, 360, 377; 61, 358, 372. 68 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 348a. 69 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 902. 70 BVerfGE 24, 119, 143. 71 BVerfGE 24, 119, 143 f.; Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 6, Rn. 43. Dies bedeutet nicht, dass jedes schädliche Handeln bzw. Untätigbleiben seitens der Eltern bereits aus dem Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG herauszunehmen ist. Vgl. dazu Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 902. 72 BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178; BVerfG, JZ 2008, 944, 945 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck-Robbers, Art. 6, Rn. 145. 73 v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 78 und 81; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 134; Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 53 ff. 74 BVerfGE 24, 119, 143; 59, 360, 376; 72, 155, 172. Dieser Begriff ist treffender als „Elternrecht“. Im Folgenden werden „Elternrecht“ und „Elternverantwortung“ synonym verwendet. 75 BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88. 76 Vgl. insbesondere § 1627 BGB oder etwa § 1626 II, III BGB.

172

E. Die stellvertretende Einwilligung

b) Das staatliche Eingreifen in die elterliche Erziehung aa) Art. 6 II 2 GG: Das staatliche Wächteramt Die Verfassung beruft durch Art. 6 II 2 GG die staatliche Gemeinschaft zum Wächter über die pflichtgemäße Ausübung des Elternrechts.77 Versagen die Eltern in ihrer Verantwortung, so greift das Wächteramt des Staates ein.78 Auch das staatliche Wächteramt findet – wie das elterliche Erziehungsrecht selbst – seinen Existenzgrund in der Schutz- und Hilfsbedürftigkeit des Kindes:79 Neben der Konkretisierung und der rechtlichen Ausgestaltung der Befugnisse der Eltern80 kommt dem Staat nämlich die Aufgabe zu, die Lebensbedingungen des Kindes zu sichern,81 um das Heranwachsen und die Entwicklung des Kindes zu einer „eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft“ sicherzustellen.82 Das Kind als Grundrechtsträger hat Anspruch auf Schutz durch den Staat.83 Es muss vor verantwortungsloser Ausübung des Elternrechts,84 insbesondere vor Schädigungen durch Missbrauch der Elternrechte oder durch Vernachlässigung, geschützt werden.85 bb) Das Kindeswohl als Leitprinzip des staatlichen Eingreifens Greift der Staat in das elterliche Erziehungsrecht ein, so müssen die jeweiligen Regelungen und Maßnahmen der Pflege und Erziehung, genauer dem Kindeswohl, dienen.86 Das bedeutet, dass auch im Rahmen der dem Staat obliegenden Schutzpflicht der entscheidende Maßstab das Kindeswohl ist: In ihm finden staatliche Eingriffe ihre Rechtfertigung und gleichzeitig ihre Grenze.87

77 BVerfGE 24, 119, 135, 138; 31, 194, 204; 56, 363, 382; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 108. 78 BVerfGE 24, 119, 144: Verweigern die Eltern dagegen schon von vornherein Pflege und Erziehung des Kindes, so fällt dieses Verhalten schon gar nicht in den Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG. Vgl. auch Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 902. 79 Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 110 und 139. 80 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 97. 81 BVerfGE 56, 363, 384 f.; 60, 79, 88; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96. 82 BVerfGE 24, 119, 144; vgl. BVerfGE 56, 363, 384; 79, 51, 63. 83 BVerfGE 60, 79, 88; Dreier-Gröschner, Art. 6, Rn. 121. 84 BVerfGE 24, 119, 143 f.; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 115 und 139. 85 BVerfGE 24, 119, 144; vgl. BVerfGE 10, 59, 84. 86 BVerfGE 24, 119, 144; v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 93; SachsCoelln, Art. 6, Rn. 79; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 110; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 713; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 350. 87 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 110; vgl. auch BVerfGE 37, 217, 252; 55, 171, 179; vgl. Germann, in: Heil/Kramer, 83, 87 f.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

173

cc) Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingreifens Wie bei allen staatlichen Eingriffen gilt auch bei Eingriffen ins elterliche Erziehungsrecht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.88 Der Staat darf grundsätzlich nur die Grenzen des Elternrechts festlegen und es nur insoweit einschränken, als dies zwingend notwendig ist.89 Der Umfang staatlichen Eingreifens bestimmt sich nach dem „Ausmaß des Versagens der Eltern“ sowie nach den Kindesinteressen.90 Im Hinblick auf Maßnahmen, die darüber hinausgehen, hat sich der Staat zurückzuhalten.91 c) Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Wächteramt Das Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Wächteramt ist vom „Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens“ geprägt.92 Dies wird von Art. 6 II, III GG so vorgegeben, der den Eltern für die Erziehung und Pflege der Kinder Vorrang vor dem Staat sowie Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit garantiert, während die staatliche Gemeinschaft auf das subsidiäre Wächteramt beschränkt wird,93 das nur ausnahmsweise in das elterliche Erziehungsrecht eingreifen soll.94 Diese im Bereich des Art. 6 II GG nachgeordnete Rolle des Staates ergibt sich schon daraus, dass Pflege und Erziehung der Kinder das „natürliche“ Recht der Eltern sind.95 Dementsprechend geht die Rechtsordnung davon aus, dass die Eltern „von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für [die] Pflege und Erziehung [ihres Kindes] zu übernehmen“.96 Art. 6 II 1 GG „beruht auf dem Grundgedanken, daß in aller Regel Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution“.97

88 BVerfGE 24, 119, 145; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96; Hufen, Staatsrecht II, § 16, Rn. 28; Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 59; Dreier-Gröschner, Art. 6, Rn. 120. 89 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 24 und 133. 90 BVerfGE 24, 119, 145; 103, 89, 107. 91 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904; vgl. dazu auch Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 68 ff.; vgl. Germann, in: Heil/Kramer, 83, 86. 92 BVerfGE 10, 59, 84; v. Mangoldt/Klein/Starck-Robbers, Art. 6, Rn. 243 f.; Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 44. 93 So BVerfGE 24, 119, 138. 94 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 67; vgl. BVerfGE 7, 320; Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht, § 5, Rn. 51; Bamberger/Roth-Veit, § 1626, Rn. 14. 95 Art. 6 II 1 GG. 96 BVerfGE 24, 119, 150. 97 BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371.

174

E. Die stellvertretende Einwilligung

Gleichzeitig sind gemäß Art. 6 II 1 GG Pflege und Erziehung die den Eltern „zuvörderst“ obliegende Pflicht: Außerhalb des Bereichs von Art. 7 GG 98 sind ausschließlich die Eltern Erziehungsträger99 und die Aufgabe des Staates beschränkt sich strikt auf die überwachende Tätigkeit.100 Damit einher geht, dass im Bereich des Art. 6 II GG von staatlicher Seite weder Erziehungsziele noch Erziehungsmethoden vorgegeben werden dürfen, was im Übrigen auch den Prinzipien der Neutralität und Toleranz des Staates entspricht.101 Zwar wird vom Bundesverfassungsgericht betont, dass die elterliche (und auch schulische) Erziehung die Entwicklung des Kindes hin zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zum Ziel hat.102 Allerdings können darüber hinausgehend durch den Staat keine konkreten Ziele oder Methoden zur Erziehung vorgeschrieben werden.103 Es gehört vielmehr zu den elementaren Bestandteilen einer pluralistischen Gesellschaft, dass jede Familie auf ihre eigene Art und Weise leben und sich das Kind innerhalb dieser Familie nach den jeweiligen individuellen Traditionen und Wertanschauungen entwickeln kann.104 Denn für das Leben des Kindes haben die individuellen Interessen und Sozialvorstellungen der Familie erhebliche Bedeutung.105 Der Staat soll und darf erst dann eingreifen, wenn die Lebensart im Hinblick auf das Kind unvertretbar und dessen Wohl gefährdet ist.106 Bis dahin gilt der Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts vor der rein überwachenden Tätigkeit des Staates: Die Eltern haben die primäre Entscheidungszuständigkeit inne107 und solange sie ihre Pflicht aus Art. 6 II 1 GG erfüllen, darf der Staat nicht eingreifen.108 Die besondere Natur der Pflichtbindung des Elternrechts darf also nicht den Blick darauf verstellen, dass es sich bei Art. 6 II 1 GG um ein subjektives Recht der Eltern109 handelt und gegenüber dem Staat ein Grundrecht wie jedes andere 98 Art. 7 GG wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher thematisiert. Im schulischen Bereich hat auch der Staat Funktion und Pflichten eines Erziehungsträgers inne, vgl. BVerfGE 24, 119, 135 f. und 143. Vgl. auch Abschn. E, Fn. 351. 99 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96. 100 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 109 und 133; vgl. Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 6, Rn. 42b. 101 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 58 f. und 71. 102 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144; 56, 363, 384; 59, 360, 376; 79, 51, 63 f. 103 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 58 ff. und S. 71. 104 Vgl. dazu BVerfGE 24, 119, 135; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 70 f. 105 BVerfGE 34, 165, 184. 106 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 70 f.; vgl. Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 59. 107 BVerfGE 34, 165, 184. 108 BVerfGE 24, 119, 135 und 138; 31, 194, 204 f.; 52, 223, 235; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96 und 139. 109 Art. 6 II 1 GG gewährt nur den Eltern, nicht aber dem Kind, ein Grundrecht. Vgl. BVerfGE 28, 104, 112; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 135.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

175

auch ist:110 Es beinhaltet ein Abwehrrecht gegen alle Eingriffe von staatlicher Seite.111 Der Staat darf nur insoweit das elterliche Erziehungsrecht beeinträchtigen,112 als der Eingriff durch das Wächteramt des Art. 6 II 2 GG gedeckt ist.113 3. Die Garantie des Art. 4 I, II GG bei religiös motivierten Entscheidungen Bei der stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung aus religiösen Gründen besteht die Besonderheit, dass sie den Bereich der religiösen Kindererziehung betrifft. Insofern ist sie nicht nur vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 6 II GG, sondern auch vor dem des Art. 4 I, II GG zu betrachten. Im Folgenden wird kurz auf den Schutzumfang dieses Grundrechts eingegangen und anschließend des Verhältnis von Art. 6 II GG zu Art. 4 I, II GG im Hinblick auf deren Garantie der religiösen Kindererziehung geklärt. a) Der Schutz der Glaubensfreiheit in Art. 4 I, II GG aa) Der Schutzumfang in positiver Hinsicht Das einheitliche114 Grundrecht der Glaubensfreiheit aus Art. 4 I und II GG schützt in positiver Dimension sowohl die Bildung von religiös-weltanschaulichen Überzeugungen als forum internum als auch die Freiheit der Manifestation, des Bekenntnisses und der Verbreitung seiner Überzeugungen als forum externum.115 Es werden in umfänglicher Weise die Freiheiten garantiert, einen Glau110

Roth, Grundrechte Minderjähriger, S. 129. BVerfGE 4, 52, 57; 61, 358, 371 f. Wie jedes andere Grundrecht auch bindet Art. 6 II 1 GG alle staatliche Gewalt in unmittelbarer Weise, vgl. Art. 1 III GG. Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 98. 112 In das elterliche Erziehungsrecht kann freilich nur dann eingegriffen werden, wenn der Schutzbereich überhaupt eröffnet ist. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die Eltern ihrer Verantwortung von vornherein entziehen, vgl. BVerfGE 24, 119, 144; Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 6, Rn. 40; vgl. oben E.II.2.a)aa). 113 BVerfGE 4, 52, 57; 7, 320, 323; 24, 119, 138; 31, 194, 204 f.; 59, 360, 376; 61, 358, 372; Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 6, Rn. 43; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 109 und 133. 114 Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, dass es sich um ein einheitliches Grundrecht handelt, wird nur teilweise gefolgt. Bejahend BVerfGE 24, 236, 245; 32, 98, 106 f.; 41, 29, 49; 44, 37, 49; 93, 1, 15; 108, 282, 297; Ohler, NJW 2002, 194 f.; v. Münch/Kunig-Mager, Art. 4, Rn. 9; Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 4, Rn. 1; Sachs-Kokott, Art. 4, Rn. 11 ff. Ablehnend Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 64; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 545 ff. Dieser Streit hat kaum praktische Auswirkungen, vgl. Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 99; Czermak, Religionsrecht, Rn. 109 ff. Im Folgenden wird auch von Religionsfreiheit gesprochen, welche von der Glaubensfreiheit umfasst wird. Vgl. zu den Begrifflichkeiten Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 4, Rn. 2. 115 BVerfGE 32, 98, 106 f.; 41, 29, 49; 108, 282, 297; Sachs-Kokott, Art. 4, Rn. 91 f.; v. Münch/Kunig-Mager, Art. 4, Rn. 16 ff. 111

176

E. Die stellvertretende Einwilligung

ben zu bilden, zu haben, zu manifestieren, zu bekennen, zu verbreiten und nach diesem Glauben zu handeln.116 Art. 4 GG wird damit sehr extensiv interpretiert117 und gewährt das umfassende Recht, sein gesamtes Verhalten an seinem Glauben auszurichten und danach zu handeln.118 Die ernste Glaubensausübung muss vom Staat in den weitest möglichen Grenzen respektiert werden.119 Schutz erfahren damit auch kultische bzw. rituelle Handlungen und Feiern.120 Bezüglich der Frage, welche Handlungen Teil der jeweiligen Religionsausübung sind, spielt das Selbstverständnis des einzelnen Glaubensangehörigen121 bzw. der jeweiligen Religionsgemeinschaft122 die maßgebliche Rolle.123 Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 4 I, II GG ist dabei kein verpflichtendes Gebot seitens der jeweiligen Religion zu der fraglichen Handlung notwendig.124 Zur Religionsfreiheit des Art. 4 I, II GG gehört auch die religiöse Erziehung, die den Eltern das Recht gewährt, ihren Kinder die Überzeugung weiterzugeben, die sie für richtig halten.125 Außerdem werden alle Handlungen der Eltern geschützt, die mit der religiösen Erziehung zusammenhängen, und zwar unabhängig von der jeweilig vertretenen Religion oder Weltanschauung.126 bb) Der Schutzumfang in negativer Hinsicht Art. 4 GG garantiert darüber hinaus das Recht, von den genannten Freiheiten gerade nicht Gebrauch zu machen (negative Religionsfreiheit),127 mithin das Recht, nichts zu glauben,128 das Recht, seine Überzeugung zu verschweigen,129 116 BVerfGE 32, 98, 106; 69, 1, 33 f.; 52, 223, 241; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 299; Epping/Hillgruber-Germann, Art. 4, Rn. 19. 117 BVerfGE 24, 236, 246; Dreier-Morlok, Art. 4, Rn. 62; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 552 mit Hinweis auf die Gefahren einer solch weiten Interpretation. 118 BVerfGE 41, 29, 49; 108, 282, 297. 119 BVerfGE 24, 36, 245; 32, 98, 109; vgl. Schmidt-Bleibtreu-Hofmann, Art. 4, Rn. 36. 120 Vgl. etwa BVerfGE 104, 337, 346. 121 BVerfGE 32, 98, 106; 33, 23, 28 f.; 108, 282, 298 f.; Sachs-Kokott, Art. 4, Rn. 78; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 435; Schwarz, JZ 2008, 1125, 1126; vgl. Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318. 122 BVerfGE 24, 236, 247 f.; 104, 337, 355. 123 Epping/Hillgruber-Germann, Art. 4, Rn. 8 und Rn. 18; Dreier-Morlok, Art. 4, Rn. 43; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 101; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 550 f.; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 311; vgl. Sachs-Kokott, Art. 4, Rn. 17. 124 BVerfGE 32, 98, 106 f.; 33, 23, 28 f.; 108, 282, 297. 125 BVerfGE 41, 29, 44 und 47 f.; 41, 88, 107; 93, 1, 17. 126 BVerfGE 41, 29, 48 f.; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 101. 127 BVerfGE 46, 266; 267; 49, 375, 376; 52, 223, 238; 65, 1, 39; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 54; v. Mangoldt/Klein/Starck-Starck, Art. 4, Rn. 23 ff. 128 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 55. 129 BVerfGE 46, 266; 267; 65, 1, 39; Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 56.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

177

und das Recht zur Verweigerung kultischer Handlungen.130 Gleichzeitig wird die Freiheit geschützt, bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen abzulehnen.131 Dabei beinhaltet die negative Religionsfreiheit ausschließlich das Recht, selbst kultische Handlungen o. Ä. zu verweigern.132 Sie bezieht sich also ausschließlich auf den jeweiligen Grundrechtsträger.133 b) Das Verhältnis von Art. 4 I, II GG zu Art. 6 II GG Das Recht zur religiösen Kindererziehung wird einerseits von der umfassenden Garantie des Art. 6 II 1 GG gewährleistet und erfährt andererseits durch Art. 4 I, II GG Verstärkung:134 Religiöse Entscheidungen der Eltern stehen unter dem zusätzlichen Schutz des Art. 4 I, II GG.135 Hieraus ergibt sich für den Fall der religiös motivierten stellvertretenden Einwilligung der Eltern, dass es zwar in erster Linie auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund aus Art. 6 II GG ankommt, der die stellvertretende Verwirklichung sowohl der körperlichen als auch der religiösen Selbstbestimmung des Kindes durch die Eltern garantiert. Gleichzeitig wird dieser Schutz aber durch Art. 4 I, II GG untermauert, der zum Ausdruck bringt, dass Bereiche der religiösen Erziehung besonders abzusichern sind. Im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Beschneidung wird also zu berücksichtigen sein, dass nicht „nur“ das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 II GG, sondern das elterliche Erziehungsrecht in religiöser Hinsicht aus Art. 6 II GG i.V. m. Art. 4 I, II GG betroffen ist, dem eine besondere Bedeutung zukommt.136 4. Die einfachrechtliche elterliche Sorge in Abgrenzung zum verfassungsrechtlichen elterlichen Erziehungsrecht Seiner Pflicht zur Ausgestaltung und Konkretisierung des elterlichen Erziehungsrechts137 ist der Gesetzgeber vor allem durch die §§ 1626 ff. BGB nachge-

130

Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 58. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 558. 132 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 60. 133 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 60. 134 Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 118. 135 BVerfGE 41, 29, 47 f.; 93, 1, 17; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 118; vgl. hierzu bereits oben E.II.1. 136 Vgl. hierzu unten E.V.3.b). 137 Vgl. hierzu BVerfGE 84, 168, 180; Maier, in: FA FamR, Kap. 4, Rn. 25 f. 131

178

E. Die stellvertretende Einwilligung

kommen.138 Darüber hinaus ist im vorliegenden Zusammenhang das Gesetz über die religiöse Kindererziehung von Bedeutung.139 Die einfachgesetzlichen Ausgestaltungen des elterlichen Erziehungsrechts sind dabei regelmäßig kein Eingriff in dasselbe.140 Im § 1666 BGB findet sich die zentrale Eingriffsgrundlage für staatliche Maßnahmen i. S. d. Wächteramts.141 Auch wenn die Regelungen der §§ 1626 ff. BGB sowie der §§ 1 ff. KErzG den Art. 6 II GG näher ausgestalten, sind die elterliche Sorge einerseits und das elterliche (auch religiöse) Erziehungsrecht andererseits nicht gleichzusetzen:142 Art. 6 II GG betrifft die verfassungsrechtliche Garantie der elterlichen Verantwortung, durch welche die Eltern unter anderem zur stellvertretenden Verwirklichung der (körperbezogenen) Selbstbestimmung des Kindes berufen sind. Den Eltern wird ein Abwehrrecht gegen den Staat gewährt. Art. 6 II GG prägt direkt das strafrechtliche Institut der elterlichen stellvertretenden Einwilligung, in der sich dessen grundlegende, wertentscheidende Prinzipien widerspiegeln müssen. Durch die Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses in §§ 1626 ff. BGB sowie in §§ 1 ff. KErzG wird das elterliche Erziehungsrecht konkretisiert, indem dort viel detailliertere Aussagen zu den Rechten und Pflichten getroffen werden. Es handelt sich um einfaches Recht, das keinen Verfassungsrang hat.143 Als Ausdruck und Konkretisierung des Verfassungsrechts können sich aus ihnen allerdings Anhaltspunkte für die genaueren Voraussetzungen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht ergeben. Zu beachten ist dabei, dass auch im Rahmen der einfachen Regelungen der entscheidende Wertungsmaßstab der dahinter stehende Art. 6 II GG bleibt.144 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass 138 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904 m.w. N.; Hufen, Staatsrecht II, § 16, Rn. 3; Windel, FamRZ 1997, 713, 714. 139 KErzG vom 15.07.1921. Die Personensorge umfasst auch die religiöse Erziehung des Kindes, Dethloff/Beitzke, Familienrecht, § 13, Rn. 75; OLG Oldenburg, FamRZ 2010, 1256. 140 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 701 ff. Bei den §§ 1626 ff. BGB handelt es sich zwar meist, aber nicht nur um ausgestaltende Regelungen. Der Unterschied zwischen ausgestaltenden Maßnahmen und echten Eingriffen ins elterliche Erziehungsrecht zeigt sich erst bei der Rechtfertigung der jeweiligen Maßnahme: Allein wirkliche Eingriffe sind am vollen Umfang des Art. 6 II und III GG zu messen, während ausgestaltende Maßnahmen nur im Hinblick auf die Institutsgarantie des Art. 6 II GG bzw. dessen grundlegende Wertentscheidungen überprüft werden. Allerdings ist zu beachten, dass auch ausgestaltende Maßnahmen in einen Eingriff umschlagen können. Vgl. hierzu Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903 f.; BVerfGE 84, 168, 180. 141 Palandt-Götz, § 1666, Rn. 1; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 103. 142 Hierzu v. Münch/Kunig-Coester-Waltjen, Art. 6, Rn. 66; Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht, § 5, Rn. 40; Maier, in: FA FamR, Kap. 4, Rn. 25; Windel, FamRZ 1997, 713, 714. 143 Zu dem Ganzen Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 5, Rn. 40. 144 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904.

II. Der verfassungsrechtliche Hintergrund der elterlichen Einwilligung

179

auch die einfachgesetzlichen Regelungen vom Prinzip des Kindeswohls geprägt sind.145 5. Einordnung der elterlichen stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung in den verfassungsrechtlichen Hintergrund a) Die elterliche stellvertretende Einwilligung im Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG (i.V. m. Art. 4, I, II GG) Mit der stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung ihres Sohnes verwirklichen die Eltern stellvertretend für diesen dessen Selbstbestimmungsrecht sowohl in religiöser als auch in körperlicher Hinsicht. Diese Kompetenz wird ihnen durch Art. 6 II 1 GG i.V. m. Art. 4 I, II GG garantiert: Es geht einerseits um das Ziel der religiösen Erziehung, mithin um die geistige und seelische Entwicklung des Kindes, andererseits um körperliche Aspekte.146 Insofern ist in der Regel die Erziehung als der eine Aspekt des Elternrechts und auch die Pflege als der andere Aspekt desselben betroffen.147 Aufgrund der religiösen Motivation des Eingriffs ist außerdem nicht nur Art. 6 II 1 GG für sich genommen, sondern auch das Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder in religiös-weltanschaulicher Hinsicht aus Art. 6 II 1 GG i.V. m. Art. 4 I, II GG relevant.148 Im Hinblick auf die strafrechtliche stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Beschneidung ist damit der Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG (i.V. m. Art. 4 I, II GG) eröffnet, der ihnen garantiert, dass in erster Linie sie und keine andere Person oder Institution149 stellvertretend für das – nicht einwilligungsfähige und nicht religionsmündige – Kind dessen körperbezogene und religiöse Selbstbestimmung wahrnehmen dürfen.150 Die elterliche stellvertretende Einwilligung in die Beschneidung würde nur dann aus dem Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG herausfallen, wenn in ihr eine Maßnahme liegen würde, die – bei weitestgehender Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern – von vornherein nicht als Pflege und Erziehung des Kindes angesehen werden könnte. Denn solche Handlungen sind von vornherein nicht von der Garantie des Art. 6 II 1 GG umfasst.151

145 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 25; s. insbesondere § 1627 S. 1 und § 1666 I BGB. 146 Vgl. zur Definition von Pflege und Erziehung oben E.II.; Abschn. E, Fn. 54. 147 Es genügt freilich, dass von der jeweiligen Entscheidung im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung ein Aspekt des Elternrechts betroffen ist. 148 Vgl. zum religiös-weltanschaulichen Erziehungsrecht BVerfGE 41, 29, 47 f.; 52, 223, 236. 149 Vgl. auch BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371. 150 Vgl. zu Letzterem Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 151 Vgl. zu dem Ganzen nur BVerfGE 24, 119, 143.

180

E. Die stellvertretende Einwilligung

Dies ist allerdings nicht der Fall, da die Eltern ja gerade die körperbezogene und religiöse Selbstbestimmung stellvertretend für ihren Sohn verwirklichen wollen: Sie wollen ihrer Verantwortung aus Art. 6 II GG nachkommen und genießen daher auch dessen Schutz.152 Selbst wenn man im Rahmen der Kontrolle der stellvertretenden Einwilligung der Eltern zu dem Ergebnis kommt, dass es sich bei der Beschneidung um eine dem Kindeswohl zuwiderlaufende Maßnahme handelt, ist das Handeln der Eltern nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG herauszunehmen.153 Es handelt sich vielmehr um eine Frage der Rechtfertigung staatlichen Eingreifens im Rahmen seines Wächteramts. b) Das Kindeswohl als Grenze der elterlichen stellvertretenden Einwilligung Die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts für das hierzu noch nicht fähige Kind durch die Eltern gehört also zum Kernbereich des Eltern-Kind-Verhältnisses und ist durch Art. 6 II GG (i.V. m. Art. 4 I, II GG) abgesichert. Wird die Kompetenz der Eltern zur stellvertretenden Einwilligung für ihren Sohn in dessen Beschneidung staatlicherseits – etwa durch Gesetz oder durch Urteil154 – begrenzt, so liegt hierin ein Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht,155 der durch das staatliche Wächteramt des Art. 6 II 2 GG156 gerechtfertigt sein muss.157 Da der Staat in seinem Wächteramt auf eine subsidiäre Rolle beschränkt ist,158 darf er erst dort in die elterliche Kompetenz zur stellvertretenden Wahrnehmung der (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmung des Kindes eingreifen, wo sich die Eltern nicht mehr innerhalb des von Art. 6 II GG vorgegebenen Rahmens, der durch das Leitprinzip des Kindeswohls definiert wird,159 befinden.160 Gleichzeitig ist auch der Staat bei seinem Eingreifen dem Kindeswohl verpflich152

Vgl. dazu nur BVerfGE 24, 119, 143 f. Vgl. dazu Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 902. 154 So dem Grunde nach auch die Entscheidung des LG Köln, NJW 2012, 2128, das allerdings den beschneidenden Arzt aufgrund unvermeidbaren Verbotsirrtums freisprach. 155 Ein echter Eingriff liegt dann vor, wenn das bestehende Eltern-Kind-Verhältnis beschränkt wird, vgl. Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904; vgl. BVerfGE 7, 320, 323. 156 Darüber hinaus kommt eine Rechtfertigung der Beschränkung des elterlichen Erziehungsrechts durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht. Da in dieser Arbeit Art. 7 GG außen vor bleiben kann und die Grundrechte des Kindes im Hinblick auf das Elternrecht nicht als kollidierendes Verfassungsrecht, sondern als Konkretisierungen des Kindeswohls besprochen werden, spielt an dieser Stelle die Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 6 II 1 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht keine Rolle. 157 Beschränkungen müssen sich an den grundrechtlichen Garantien des Art. 6 II 1 GG messen lassen, vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 98. 158 Vgl. nur BVerfGE 10, 59, 84. 159 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178. 160 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 153

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

181

tet161 und hat außerdem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.162 Es orientieren sich also sowohl die Reichweite des elterlichen Erziehungsrechts – im Besonderen die Kompetenz zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts für das Kind – als auch staatliche Eingriffe hierin am Kindeswohl.163 Dieses den Art. 6 II GG beherrschende Prinzip des Kindeswohls ist für die Grundstruktur sowie für die Reichweite der durch Art. 6 II GG (i.V. m. Art. 4 I, II GG) geprägten elterlichen stellvertretenden Einwilligung entscheidend:164 Befinden sich die Eltern mit ihrer strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung innerhalb des vom Kindeswohl festgesteckten Rahmens, so muss diese strafrechtlich wirksam sein, da ansonsten ein nicht gerechtfertigter Eingriff ins elterliche Erziehungsrecht vorliegen würde. Demgegenüber kann die stellvertretende Einwilligung in die Beschneidung dann strafrechtlich nicht wirksam sein, wenn sie das Kindeswohl überschreitet. Das Kindeswohl zeichnet damit die Grenze der Möglichkeit zur stellvertretenden Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts des Kindes durch die elterliche stellvertretende Einwilligung im Strafrecht vor.165

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab der elterlichen Dispositionsbefugnis Eingeordnet in den verfassungsrechtlichen Hintergrund stellt sich nunmehr auf strafrechtlicher Ebene die Frage nach der Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung für das Kind. Zur Beantwortung derselben ist – wie gerade gesehen166 – der Maßstab des Kindeswohls heranzuziehen: Dieses den Art. 6 II GG beherrschende Leitprinzip,167 das auch dessen einfachgesetzlichen Ausprägungen in §§ 1626 ff. BGB 161

Vgl. BVerfGE 37, 217, 252; 55, 171, 179. Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 98. 163 Vgl. auch Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 72 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 25. 164 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 165 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 70. 166 Vgl. zu dem Ganzen E.II.5. 167 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.; ebenso Putzke, in: FS Herzberg, 669, 676; Putzke, MedR 2008, 268, 270 (auf einfachgesetzlicher Ebene); Reipschläger, Einwilligung, S. 111; Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128; Schramm, Ehe und Familie, S. 226 ff.; Exner, Sozialadäquanz, S. 38 ff.; anders Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472, der von den Garantien des Art. 6 II 1 und Art. 4 GG umfasste elterliche Entscheidungen als „kindeswohlneutral“ einstuft. Vgl. zum „Kindeswohl“ als dem Leitprinzip des Art. 6 II GG: BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178. 162

182

E. Die stellvertretende Einwilligung

zugrunde liegt,168 zieht der elterlichen Dispositionsbefugnis im Strafrecht Grenzen169 und führt bei einem Überschreiten derselben zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung. Um nunmehr mit diesem entscheidenden Maßstab des Kindeswohls i. R. d. stellvertretenden Einwilligung überhaupt umgehen zu können,170 muss zunächst geklärt werden, nach welchen Vorgaben dieser zu definieren ist. 1. Der Zusammenhang zwischen Kindeswohldefinition und Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis Die Frage, anhand welcher Maßgaben das Kindeswohl als prägendes Prinzip der stellvertretenden Einwilligung zu bestimmen ist, hängt unmittelbar mit der grundsätzlichen Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis zusammen.171 Sie ist indes die bisher umstrittenste in der Diskussion um die elterliche stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung. Definiert man das Kindeswohl, dem die Eltern bei ihrer Entscheidung verpflichtet sind, positiv und allgemeingültig, indem man objektiv bestimmbare Kriterien wie etwa die medizinische Indikation oder das „objektiv zu bestimmende beste Interesse des Kindes“ 172 heranzieht, so wird die elterliche Dispositionsbefugnis im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung sehr eng umgrenzt.173 Denn diese Art der Bestimmung des Kindeswohls macht nur sehr wenige Entscheidungen174 oder gar nur eine einzige elterliche Entscheidung überhaupt möglich, die in Bezug auf den angedachten medizinischen Eingriff kindeswohlkonform im Sinne dieser abstrakt-objektiven Kriterien ist. Durch diese allgemeingültige Definition wird das Kindeswohl bezüglich der Überprüfung elterlicher 168

Vgl. insbesondere § 1626 und § 1666 I BGB. Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.; ebenso Putzke, in: FS Herzberg, 669, 676; Putzke, MedR 2008, 268, 270 (auf einfachgesetzlicher Ebene); Reipschläger, Einwilligung, S. 111; Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128; Schramm, Ehe und Familie, S. 226 ff.; Exner, Sozialadäquanz, S. 38 ff.; anders Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472, der von den Garantien des Art. 6 II 1 und Art. 4 GG umfasste elterliche Entscheidungen als „kindeswohlneutral“ einstuft. Vgl. zum „Kindeswohl“ als dem Leitprinzip des Art. 6 II GG: BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178. 170 Hierzu unten E.IV. 171 Instruktiv zu diesem Zusammenhang Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 127 ff.; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1135 ff. und 1140 ff. Hieran lehnen sich die folgenden Ausführungen an. 172 Nach Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 173 Hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 f. 174 Eine Entscheidungsmöglichkeit verbleibt den Eltern etwa dann, wenn mehrere gleichwertige, indizierte Maßnahmen in Betracht kommen und eine Auswahlentscheidung zwischen diesen getroffen werden muss. Vgl. dazu Kern, NJW 1994, 753, 756; Duttge, in: Breitsameter, 34, 49. 169

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

183

Entscheidungen zum „positive[n] Standard“ gemacht,175 was zur Folge hat, dass die elterliche Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht nur in einem sehr engen Rahmen gegeben ist.176 Begreift man demgegenüber die Kindeswohldefinition als primär zur Elternverantwortung gehörend, so ist keine positive und allgemeingültige Bestimmung des Begriffs möglich, sondern es sind die Eltern, die das Kindeswohl subjektiv und individuell definieren. Dies macht eine Vielzahl an Entscheidungen möglich, die alle jeweils dem individuellen Kindeswohl entsprechen können, solange sich die Eltern noch innerhalb ihres Verantwortungsbereichs bewegen.177 Der Maßstab des Kindeswohls dient nach diesem Modell dazu, den Entscheidungsbereich der Eltern in negativer Hinsicht abzustecken:178 Es wird allein zur Begrenzung des elterlichen Entscheidungsbereichs herangezogen, in welchem sie subjektiv und individuell bestimmen dürfen, was dem Wohl ihres Kindes entspricht.179 Das Kindeswohl dient dann als „negativer Standard“,180 was zur Folge hat, dass die Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung der Eltern im Strafrecht relativ weit reicht.181 Es kann auf der jeweils einen bzw. anderen Beurteilungsgrundlage zur Bestimmung des Kindeswohls dann ein und dasselbe Ergebnis erzielt werden, wenn die Grenzen des subjektiven elterlichen Entscheidungsspielraums so eng gezogen werden, dass im Ergebnis nur Entscheidungen möglich sind, die wiederum dem abstrakt-objektiven Kindeswohlbegriff entsprechen.182 Dies wird aber schon allein wegen der verschiedenen Grundgedanken der beiden Modelle eher selten der Fall sein: Während im Sinne einer abstrakten Kindeswohlbestimmung und der damit verbundenen engen Grenzziehung der elterlichen Dispositionsbefugnis der Fokus auf einem starken Staat liegt, der zum Schutz des Kindes sein Wächteramt in weitem Umfang ausübt, liegt im Sinne der individuellen Kindeswohlbestimmung und der damit verbundenen weitreichenden elterlichen Dispositionsbefugnis das Augenmerk auf der eigenverantwortlichen Ausübung des elterlichen Er-

175 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 130. Der Autor zieht u. a. einen Vergleich zum englischen Recht. 176 Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 ff. 177 Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131. 178 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 179 Das Kindeswohl wird in erster Linie von den Eltern ausgefüllt und zieht in zweiter Linie deren Entscheidungsbereich Grenzen. Insofern ist es kein Paradoxon, dass die Eltern das Kindeswohl subjektiv bestimmen dürfen und es gleichzeitig auch die Grenze des elterlichen Erziehungsrechts darstellt. Vgl. dazu aber Rixen, MedR 1997, 351, 353 f. 180 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 181 Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131. 182 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131.

184

E. Die stellvertretende Einwilligung

ziehungsrechts und der darin enthaltenen Möglichkeit zur Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes durch die Eltern.183 2. Modelle zur Kindeswohlbestimmung Diesen beiden entgegenstehenden Modellen zur Kindeswohlbestimmung lassen sich die verschiedenen Ansätze zuordnen,184 die im Kontext des Streits um die Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung existieren und in unterschiedlicher Weise das Kindeswohl als Maßstab der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung definieren. Sie werden nachfolgend auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung, auf der des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung sowie auf Grundlage von beiden Modellen dargestellt. a) Ansätze auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung Den im Folgenden beschriebenen Ansätzen liegt das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung zugrunde, nach dem die elterliche Entscheidung an einem allgemeingültig definierten Kindeswohl gemessen werden soll.185 aa) Der Ansatz von Putzke Putzke versucht in seinem Ansatz, das Kindeswohl anhand der objektiven Interessen des Kindes zu bestimmen und eine neutrale „Kosten-Nutzen-Analyse“ des Eingriffs, in den die Eltern einwilligen, vorzunehmen.186 Er überprüft mit Blick auf die §§ 1627 S. 1 und 1666 I BGB die Entscheidung der Eltern dahingehend, ob sie in positiver Hinsicht zum „Wohl des Kindes“ geschieht.187 Dies erfolgt anhand einer objektiven Abwägung, in die insbesondere der „Rang der betroffenen Rechtsgüter“ und die „Risiken und Folgen“ des Eingriffs eingestellt werden.188 Konkret auf die nicht indizierte Beschneidung bezogen stellt Putzke die Nachteile des Eingriffs den Gründen gegenüber, die für denselben sprechen. Letztere

183

Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 130 f. Eine trennscharfe Zuordnung ist nicht stets möglich, vgl. E.III.2.c) und E.III.2.d). 185 Vgl. oben E.III.1.; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 ff. 186 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 687; Putzke, MedR 2008, 268, 270; Putzke, MedR 2012, 621, 622 ff. 187 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 686 f. 188 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 687. 184

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

185

müssten den Schaden des Eingriffs überwiegen, damit die stellvertretende Einwilligung dem Kindeswohl entspreche.189 Im Hinblick auf die Nachteile der Zirkumzision vertritt er eine beschneidungsskeptische Sicht,190 als mögliche Vorteile zieht er eine etwaige Indikation des Eingriffs in Erwägung,191 ebenso eventuelle hygienische Vorteile,192 ästhetische Gründe193 sowie die religiösen Hintergründe der Beschneidung, wobei er insbesondere der Tatsache Bedeutung zumisst, dass der Eingriff auch ein Identifikationsmittel darstellt.194 Außerdem lässt er die Frage nach der Aufsschiebbarkeit des Eingriffs in seine Überlegungen mit einfließen.195 Im Ergebnis verneint Putzke bei der nicht indizierten Beschneidung aus religiösen Gründen ein Überwiegen der Vorteile über die Nachteile des Eingriffs, er geht also davon aus, dass die Entscheidung der Eltern nicht kindeswohlkonform im Sinne des von ihm angelegten Maßstabs ist. Damit verneint er eine Dispositionsbefugnis der Eltern zur Einwilligung in die nicht indizierte Knabenbeschneidung.196 bb) Der Ansatz von Herzberg Ebenso wie Putzke überprüft Herzberg die stellvertretende Einwilligung der Eltern daraufhin, ob sie positiv mit dem Kindeswohl übereinstimmt.197 Den Grund hierfür sieht er ebenfalls in § 1627 S. 1 BGB, nach dem die Eltern ihr Sorgerecht „zum Wohle des Kindes“ ausüben müssen.198 Im Sinne einer abstrakten Kindeswohldefinition geht er davon aus, dass es das „natürliche Interesse“ eines Kindes sei, „keinen irreversiblen Verlust an seiner Körpersubstanz zu erleiden“.199

189

Putzke, in: FS Herzberg, 669, 676 und 686 ff. In strafrechtlicher Hinsicht macht er dies an der Dispositionsbefugnis der Eltern fest. 190 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 676 ff.; Putzke, MedR 2008, 268, 269; Putzke, MedR 2012, 621, 622 f. 191 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 687 ff. Beim ärztlichen Heileingriff soll im Rahmen der Abwägung grundsätzlich der Nutzen des Eingriffs überwiegen. 192 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 695 f. 193 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 696 f. 194 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 697 ff. und 701. Zu dem Ganzen ebenso Putzke, MedR 2008, 268, 271 f. 195 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 706. 196 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 703 ff. und 707; Putzke, NJW 2008, 1568, 1569. 197 Herzberg, ZIS 2010, 471 ff.; Herzberg, MedR 2012, 169, 172; vgl. auch Herzberg, ZIS 2012, 486, 487 ff. 198 Herzberg, JZ 2009, 332, 334. 199 Herzberg, JZ 2009, 332 f.

186

E. Die stellvertretende Einwilligung

Es entspreche also zunächst eine Einwilligung der Eltern in medizinisch indizierte Eingriffe beim Kind dem Kindeswohl.200 Als weitere Kriterien der abstrakten Bestimmung des Kindeswohls zieht er mögliche mit dem Eingriff verbundene soziale Vorteile201 in Erwägung, verwirft diesen Aspekt aber. Solche „Vorteile“ dürften bei Entscheidungen der Eltern betreffend die Religion ihres Kindes keine Rolle spielen, weil einerseits das Kindeswohl im religiösen Bereich nicht exakt definiert werden könne202 und um andererseits den Eltern im religiösen Bereich einen möglichst großen Freiraum zuzugestehen – denn nach diesem Ansatz sind die Eltern auch zur Einwilligung in Maßnahmen verpflichtet, die dem abstrakten Kindeswohlbegriff entsprechen.203 Dies wäre bezüglich der Überprüfung religiöser Entscheidungen im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit dem Kindeswohl anhand einer Abwägung ihrer sozialen Vorteile eine fatale Folge.204 Deswegen nimmt Herzberg in diesem Bereich vom Modell der positiven Kontrolle der elterlichen Entscheidung Abstand und qualifiziert religiöse Entscheidungen der Eltern bezüglich ihres Kindes grundsätzlich als „kindeswohlneutral“.205 Im religiösen Bereich sei das Kindeswohlkriterium nicht maßgebend.206 Als weiteren Aspekt erwägt Herzberg mit dem Eingriff verbundene – gewichtige – gesundheitliche Vorteile207 beim Kind selbst, die nach seiner Meinung zur Bejahung der Übereinstimmung der elterlichen Entscheidung mit dem Kindeswohl durchaus herangezogen werden können.208 Diese Vorteile dürften aber nicht auch anders zu erreichen sein; dabei spiele auch eine Rolle, ob sich der Eingriff – inklusive seiner positiven Folgen – aufschieben lasse und die diesbe200 Vgl. Herzberg, ZIS 2010, 471: „Entscheidend ist [. . .], ob dann, wenn es an der kurativ-medizinischen Indikation fehlt, die elterliche Entscheidung für die Zirkumzision aus anderen Gründen als ,zum Wohl des Kindes‘ getroffen bewertet werden kann.“ Vgl. auch Herzberg, ZIS 2012, 486, 494. 201 Soziale Vorteile der rituellen Beschneidung könnten etwa der Schutz des Jungen vor Stigmatisierung als Nichtbeschnittener oder etwa Zugehörigkeit zur religiösen Gemeinschaft sowie religiöse Identifikation sein, Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472; im Anschluss an Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701. 202 Herzberg, JZ 2009, 332, 335. 203 Vgl. Herzberg, JZ 2009, 332, 336. 204 Der Autor argumentiert damit, dass es den Eltern etwa stets freistehen muss, ob sie ihr Kind taufen lassen oder nicht, und zwar unabhängig vom Umfeld des Kindes, vgl. Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472. 205 Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472; Herzberg, MedR 2012, 169, 172 mit Fn. 9. 206 Herzberg, JZ 2009, 332, 336. 207 Damit sind nunmehr nur Vorteile gemeint, aufgrund derer der Eingriff im konkreten Fall nicht schon indiziert ist. Denn im Falle der stellvertretenden Einwilligung in einen indizierten Eingriff würde nach diesem Ansatz die elterliche Entscheidung jedenfalls kindeswohlkonform sein, vgl. Herzberg, ZIS 2010, 471. 208 Herzberg, ZIS 2010, 471, 472 ff.

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

187

zügliche Entscheidung später dem einwilligungsfähigen Minderjährigen überlassen werden könne.209 Für die Beschneidung aus religiösen Gründen verneint Herzberg im Ergebnis ebenso wie Putzke die Übereinstimmung der elterlichen Entscheidung mit dem abstrakt bestimmten Kindeswohl und damit die Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung. Der Eingriff sei nicht indiziert sowie die gegebenenfalls mit ihm verbundenen Vorteile210 seien auch anders, insbesondere durch Abwarten bis zur Einwilligungsfähigkeit des Kindes, zu erreichen.211 cc) Der Ansatz von Schramm Schramm versucht ebenfalls, das Kindeswohl als Maßstab der stellvertretenden Einwilligung abstrakt anhand einer Gesamtabwägung zu bestimmen, wobei er den Fokus auf den religiösen Aspekt der Knabenbeschneidung legt.212 In seiner Abwägung stellt er die mit der Beschneidung verbundenen „physischen und sexuellen Beeinträchtigungen“, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die körperliche Unversehrtheit des Kindes einerseits und die „positiven gesundheitlichen und sexuellen Folgen“ des Eingriffs sowie die zentrale Bedeutung der Beschneidung für die Religionsausübung andererseits gegenüber.213 Im Falle der religiös motivierten Knabenbeschneidung sieht er wegen ihrer zentralen Bedeutung für die Ausübung des jeweiligen Glaubens die Dispositionsbefugnis der Eltern zur stellvertretenden Einwilligung hierin als gegeben an.214 Anders beurteilt er dies aber in Bezug auf die Einwilligung der Eltern in eine nicht indizierte und nicht religiös – etwa allein ästhetisch oder kulturell – motivierte Beschneidung: Falle das zentrale religiöse Element weg, so liege in der Einwilligung in den Eingriff durch die Eltern „eine Missachtung des Kindeswohls“.215 Mit anderen Worten entscheidet nach diesem Ansatz die (religiöse) 209

Herzberg, ZIS 2010, 471, 473. Herzberg selbst hält diese möglichen gesundheitlichen Vorteile bereits gar nicht für erwiesen, vgl. Herzberg, JZ 2009, 332, 334. 211 Herzberg führt an, dass die möglichen Vorteile der Beschneidung wie die Vermeidung von Entzündungen u. ä. durch gründliche Hygiene von Anfang an erreicht werden könnten. Vorteile wie die Vermeidung von HIV und Geschlechtskrankheiten könnten bei einer späteren Beschneidung auf Wunsch des (dann einwilligungsfähigen) Betroffenen hin erlangt werden, Herzberg, ZIS 2010, 471, 473 f. 212 Dabei betont er, dass seine Ausführungen nicht mehr als eine „Grundposition“ zur Knabenbeschneidung darstellen können, Schramm, Ehe und Familie, S. 219, 221 und 229; vgl. nunmehr auch Schramm, in: Heil/Kramer, 134, 140. 213 Schramm, Ehe und Familie, S. 229; Schramm, in: Heil/Kramer, 134, 140 f. 214 Schramm, Ehe und Familie, S. 229; vgl. auch Rohe, JZ 2007, 801, 802 mit Fn. 7, der die Knabenbeschneidung aufgrund des religiösen Hintergrunds als eine „im Einzelfall gerechtfertigte Handlung“ qualifiziert; anders dann auf S. 805. 215 Schramm, Ehe und Familie, S. 230 f. 210

188

E. Die stellvertretende Einwilligung

Motivation zur Einwilligung in die Zirkumzision über die objektive Abwägung, anhand derer das Kindeswohl positiv bestimmt wird.216 dd) Der Ansatz von Jerouschek Jerouschek thematisiert die Problematik der stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung als Konflikt zwischen verfassungsrechtlich relevanten Rechtspositionen des Kindes – nämlich §§ 223, 224 StGB „als Ausdruck des konkretisierten Grundrechtsschutzes des Kindes auf körperliche Unversehrtheit“ sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – einerseits und den Grundrechten der Eltern – als da wären das elterliche Erziehungsrecht, auch in religiöser Hinsicht, sowie die Religionsfreiheit der Eltern – andererseits.217 Auch mit Blick auf die Aufschiebbarkeit des Eingriffs218 räumt der Autor in diesem „Spannungsverhältnis“ den Rechtspositionen des Kindes Vorrang vor denen der Eltern ein und erachtet damit die Beschneidung von nicht Einwilligungsfähigen aus religiösen Gründen für nicht zulässig.219 Zwar wird das Problem von Anfang an auf Ebene der widerstreitenden Grundrechte gelöst, im Ergebnis findet aber auch eine positive Überprüfung der elterlichen Entscheidung im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit einem allgemeingültigen Kindeswohl statt, das anhand einer objektiven Abwägung zwischen den verschiedenen (Grund-)Rechtspositionen definiert wird.220 ee) Weitere Ansätze Es sind nicht allein die oben dargestellten Ansätze, die auf dem Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung aufbauen. Dieser Grundgedanke findet sich in einer Vielzahl weiterer Ansätze wieder.221 So wird im Hinblick auf die Knabenbeschneidung vertreten, dass sie dem Kindeswohl weder unter dem physischen noch unter dem sozialen Aspekt entspreche.222 Dabei könne zur positiven Bestimmung des Kindeswohls unter sozialen 216

Vgl. Schramm, Ehe und Familie, S. 230 f. Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318. 218 Vgl. dazu Jerouschek, NStZ 2008, 313, 319. 219 Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f.; vgl. auch Jerouschek, in: FS Dencker, 171 ff. 220 Vgl. Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f. 221 Vgl. nunmehr auch Fischer, StGB, § 223, Rn. 48a ff.; vgl. aus österreichischer Sicht Bernat, EF-Z 2012, 196, 197 f.; vgl. in medizinischer Hinsicht Frisch/Aigrain/ Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 797. 222 Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13. Für die Berücksichtigung von Gesichtspunkten der „Gesundheitsdienlichkeit oder des sozialen Nutzens“ i. R. d. abstrakten Kindeswohlbestimmung, das Kindeswohl in Bezug auf die Knabenbeschneidung aber verneinend Dettmeyer/Parzeller/Laux u. a., ArchKrim 227 (2011), 85, 95 f. 217

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

189

Gesichtspunkten gerade nicht der Gruppenzwang einer Religionsgemeinschaft herangezogen werden.223 Auch im Hinblick auf die Reichweite der stellvertretenden Einwilligung in körperliche Eingriffe beim Kind im Allgemeinen wird auf Grundlage dieses Modells regelmäßig auf die objektiven Interessen des Kindes abgestellt, die anhand einer positiven Nutzen-Risikoabwägung des Eingriffs ermittelt werden.224 Dies hat zur Folge, dass für diesen Bereich das Kindeswohl in der Regel225 oder sogar stets226 mit der medizinischen Indikation des Eingriffs gleichgesetzt wird. Die Eltern dürfen danach ausschließlich in Eingriffe einwilligen, die medizinisch indiziert sind – gleichzeitig sind sie dazu auch verpflichtet.227 Zwar können diese Ansätze nicht ohne Weiteres auf die stellvertretende Einwilligung in die Beschneidung übertragen werden, da sie auf anderen Fallkonstellationen aufbauen. Ausgehend von ihrem Grundgedanken, nach dem grundsätzlich keine Einwilligungsmöglichkeit der Eltern in nicht indizierte Eingriffe besteht, lässt sich aber sagen, dass nach diesen Ansätzen wohl eher keine Einwilligung der Eltern in die nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes möglich wäre.228 Allerdings ist es durchaus denkbar, dass dies insbesondere wegen der religiösen Motivation des Eingriffs auch anders beurteilt werden könnte.229 b) Ansätze auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung Den im Folgenden besprochenen Ansätzen liegt das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung zugrunde, nach dem grundsätzlich die Eltern zur Defini223 Vgl. Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13. Im Ergebnis will Zielcke die religiös motivierte Beschneidung aber gar nicht am Strafrecht messen. 224 So Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 109 ff. und S. 114; wohl auch Schneider, Männliche Beschneidung, S. 39 f. 225 Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 114; Geißendörfer, Selbstbestimmung, S. 175; vgl. auch Walter, JZ 2012, 1110, 1113. 226 So Kern, FamRZ 1981, 738, 739; Kern, NJW 1994, 753, 756; ihm folgen Golbs, Vetorecht, S. 172; Duttge, in: Breitsameter, 34, 49; ebenso Kern/Richter, in: Wienke/ Eberbach u. a., 129, 133; wohl auch LK-Rönnau, Vor § 32, Rn. 180; vgl. AG Nordenham, MedR 2008, 225 f. Dagegen im Hinblick auf die Indikation als Kriterium des Kindeswohls offen gelassen von LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244. Die zivilrechtliche Entscheidung betraf eine rituelle Zirkumzision, die unter nicht sterilen Bedingungen, ohne ausreichende Betäubung des Jungen sowie behandlungsfehlerhaft durchgeführt wurde. 227 Kern, NJW 1994, 753, 756. Den Eltern verbleibt nach dieser Ansicht nur dann ein Entscheidungsspielraum, wenn mehrere gleichwertige medizinisch indizierte Maßnahmen in Betracht kommen, zwischen denen eine Entscheidung erforderlich ist. 228 Vgl. Kern, NJW 1994, 753, 756. 229 Vgl. Rohe, JZ 2007, 801, 802 mit Fn. 7: Qualifikation der Knabenbeschneidung aufgrund des religiösen Hintergrunds als „im Einzelfall gerechtfertigte Handlung“; anders auf S. 805.

190

E. Die stellvertretende Einwilligung

tion des spezifischen Wohls ihres Kindes berufen sind. Der elterliche Entscheidungsbereich wird dabei nicht durch eine positive Definition vorgegeben, sondern nur in negativer Hinsicht durch das Kindeswohl abgegrenzt.230 aa) Der Ansatz von Fateh-Moghadam Im Ansatz von Fateh-Moghadam wird die Bestimmung des Kindeswohls grundsätzlich den Eltern überlassen und der dadurch entstehende weite Entscheidungsspielraum lediglich einer Unvertretbarkeitskontrolle unterzogen.231 Abstrakt-objektive Kriterien werden nicht zur positiven Bestimmung des Kindeswohls, sondern allein zur negativen Abgrenzung des elterlichen Entscheidungsbereichs entwickelt.232 Hiernach liegt die Grenze der stellvertretenden Einwilligung im Missbrauch der elterlichen Dispositionsbefugnis:233 Die Entscheidung der Eltern wird im Hinblick auf ihre Vertretbarkeit überprüft,234 außerdem soll die elterliche Dispositionsbefugnis dort an ihre absolute Grenze stoßen, wo „spezifisch kindeswohlverletzende [. . .] Eingriffsmodalitäten“, unter denen etwa Demütigung oder Diskriminierung verstanden werden, vorhanden sind.235 Auf Grundlage dieses Modells ist die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Knabenbeschneidung für Fateh-Moghadam, der im Hinblick auf die medizinischen Gesichtspunkte eine die Zirkumzision befürwortende Ansicht vertritt,236 eine vertretbare Entscheidung der Eltern.237 Da außerdem regelmäßig vom Fehlen „spezifisch kindeswohlverletzende[r] Eingriffsmodalitäten“ ausgegangen werden könne, sei die elterliche stellvertretende Einwilligung in die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision des Sohnes in der Regel wirksam.238

230

Vgl. oben E.III.1.; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 232 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133 f.; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1137 ff.; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 150 ff.; ebenso Rox, JZ 2012, 806, 808. 233 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 151. 234 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133 f. Die Unvertretbarkeitskontrolle wird anhand eines dreistufigen normativen Prüfungsprogramms durchgeführt. 235 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1137 f. Darüber hinaus werden als Beispiele „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen [. . .] und andere entwürdigende Maßnahmen“ angeführt. Vgl. hierzu auch unten E.IV.3.a)aa). 236 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134 f. und 135 ff.; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1138 f.; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 152 f. 237 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138. 238 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 151 f. 231

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

191

bb) Der Ansatz von Valerius Für die Fälle, in denen es um die Einwilligung der Eltern in medizinisch nicht indizierte Maßnahmen beim Kind geht, nimmt Valerius ein „eigenständiges Recht“ der Eltern zur Entscheidung über Vornahme oder Nichtvornahme des Eingriffs an.239 Im Rahmen eines eigenen Entscheidungsspielraums sollen die Eltern darüber entscheiden können, welche Maßnahmen dem individuellen Wohl des Kindes dienen.240 Eine Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis zieht er anhand der „Schwere des Eingriffs“:241 In geringfügige Eingriffe sowie in solche, die für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes sinnvoll sind, sollen die Eltern einwilligen dürfen. Die absolute Grenze des elterlichen Entscheidungsspielraums soll bei beträchtlichen körperlichen Eingriffen – wie etwa der Organspende – erreicht sein.242 Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen stelle sich die Beschneidung zwar nicht als solch geringfügiger Eingriff dar, um der Einwilligung der Eltern schon allein deshalb Wirksamkeit zuzusprechen. Gleichzeitig sei allein aufgrund der Schwere des Eingriffs die Möglichkeit zur stellvertretenden Einwilligung hierin nicht von vornherein ausgeschlossen.243 Die Grenzen des elterlichen Entscheidungsspielraums werden sodann unter Betrachtung des religiösen Aspekts der Beschneidung gezogen:244 Der unter körperlichen und medizinischen Gesichtspunkten relativ geringfügige Eingriff der Zirkumzision soll unter Berücksichtigung der zentralen Bedeutung der Religion

239

Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 154 f. Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 155. 241 Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 155. 242 Als Beispiele für Maßnahmen beim Kind, in die die Eltern stellvertretend einwilligen dürfen, werden u. a. geringfügige Eingriffe wie das Stechen von Ohrlöchern sowie „sinnvolle“ Eingriffe wie Vorsorgeimpfungen, kosmetische Operationen zur Beseitigung von Fehlbildungen oder Bluttransfusionen zugunsten Dritter genannt, Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 155. 243 Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 155. 244 Zunächst lässt die vom Autor gewählte Formulierung vermuten, dass er den Beurteilungsmaßstab seiner Betrachtungen ändert, indem er die Frage in den Raum stellt, ob die Vornahme der Zirkumzision „zum Wohle des Kindes geschieht“. Hierfür sei entscheidend, „ob die religiöse Identifikation zum seelischen und geistigen Wohl des Kindes beizutragen vermag.“ Dadurch könnten die mit der Beschneidung verbundenen gesundheitliche Risiken kompensiert sowie die entstehenden körperlichen Beeinträchtigungen aufgewogen werden, Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 156. Dass aber gerade nicht eine abstrakte Kindeswohlbestimmung vorgenommen werden soll, zeigen die weiteren Ausführungen, in denen von einem „Entscheidungsspielraum“ der Eltern ausgegangen und überprüft wird, ob die elterliche Einwilligung unter den religiösen Aspekten „noch wirksam“ sein kann, Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 157. 240

192

E. Die stellvertretende Einwilligung

bei der Erziehung, die auch von der Rechtsordnung anerkannt wird, noch vom Entscheidungsspielraum der Eltern umfasst sein.245 cc) Der Ansatz von Exner Auch Exner stellt in seinem Modell zunächst auf einen durch Art. 6 II GG abgesicherten „Autonomiebereich [. . .]“ der Eltern ab, der durch das „Kindeswohl“ begrenzt wird.246 Zu diesem Bereich gehöre auch die Bestimmung des Kindeswohls durch die Eltern, dabei dürften durchaus auch die „leitend auf die Interessen des Minderjährigen bezogen[en]“ Elterninteressen eingebracht werden.247 Zugleich müssten die Eltern die (vermuteten) Kindesinteressen angemessen berücksichtigen und sich an der Maxime orientieren, ihr Kind zur selbstständigen, verantwortungsbewussten Persönlichkeit zu erziehen.248 In der Eingrenzung dieses elterlichen Verantwortungsbereichs „anhand der konkreten Umstände des empirischen Einzelfalls“ sieht Exner die Gefahr von „zu wenig vorhersehbaren und damit kaum determinierbaren Abwägungsentscheidungen“.249 Daher will er in seinem Modell zunächst eine Abwägung der betroffenen rechtlichen Interessen vornehmen, bevor auch empirische Aspekte in die Abwägung Eingang finden sollen – Letzteres soll aber nur bei non-liquetSituationen geschehen.250 Konkret nimmt Exner zur Begrenzung des elterlichen Entscheidungsspielraums eine Abwägung zwischen dem Recht der Eltern auf (religiöse) Kindererziehung einerseits sowie dem Recht des Minderjährigen auf körperliche Unversehrtheit bzw. Selbstbestimmung andererseits vor.251 Er fragt nicht nach der Kindeswohlkonformität der elterlichen Entscheidung in positiver Hinsicht, sondern zieht der Dispositionsbefugnis der Eltern dort in negativer Weise eine Grenze, wo es der Maßnahme an jeglicher „medizinische[r] Sinnhaftigkeit“ fehlt.252 Im Falle der nicht indizierten Beschneidung aus religiösen Gründen verneint Exner den „spezifisch medizinische[n] Sinnbezug“ des Eingriffs253 und kommt 245

Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 157 f.; Valerius, JA 2010, 481, 484 f. Exner, Sozialadäquanz, S. 38. 247 Exner, Sozialadäquanz, S. 42. 248 Exner, Sozialadäquanz, S. 42. 249 Exner, Sozialadäquanz, S. 43. 250 Exner, Sozialadäquanz, S. 43 f. 251 Exner, Sozialadäquanz, S. 45 ff.; Exner, Jura 2013, 103, 106. 252 Exner, Sozialadäquanz, S. 49 ff., insbesondere S. 53 f. Dabei zieht er die Grenzen der „medizinischen Sinnhaftigkeit“ wesentlich weiter als die der „medizinischen Indikation“. In einem späteren Beitrag stellt er auf die „medizinische Vernünftigkeit“ des Eingriffs ab, Exner, Jura 2013, 103, 105. 253 Exner, Sozialadäquanz, S. 54. 246

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

193

daher zu dem Ergebnis, dass das Kindeswohl den Eltern verbiete, eine diesbezügliche Einwilligung zu erteilen.254 Darüber hinaus macht er es an der Maxime, das Kind zur selbstverantwortlichen Persönlichkeit zu erziehen, fest, dass nicht ohne Notwendigkeit durch die elterliche stellvertretende Einwilligung dem sich entwickelnden Willen des Kindes vorgegriffen werden dürfe.255 Mit einem zentralen Abstellen auf den medizinischen Aspekt des Eingriffs nimmt Exner im Ergebnis ein „Überwiegen der Kindesrechte über das Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung“ an, weshalb die Einwilligung der Eltern in die Beschneidung deren Entscheidungsbereich überschreite; damit komme es für den Fall der Zirkumzision auch nicht mehr auf eine Abwägung der empirischen Konsequenzen des Eingriffs an.256 dd) Die Ansätze von Schwarz und Zähle Schwarz257 und Zähle258 vertreten verfassungsrechtlich orientierte Ansätze. Den Eltern wird dabei jeweils ein relativ weiter Entscheidungsspielraum gewährt, welcher auch die Bestimmung des Kindeswohls umfasst und ebenfalls nur in negativer Hinsicht abgrenzt wird.259 Schwarz stellt schwerpunktmäßig auf die Religionsfreiheit der Eltern ab,260 wobei er für den Fall der Beschneidung aus religiösen Gründen einen Konflikt zwischen dem Elternrecht und den Grundrechten des Kindes annimmt.261 Der Staat dürfe in diesen aber nur dann ausnahmsweise eingreifen, wenn durch die Ausübung des elterlichen Sorgerechts das Kindeswohl gefährdet werde262 – dort liegt nach diesem Ansatz die Grenze des elterlichen Erziehungsrechts.263 Eine solche Kindeswohlgefährdung erblickt der Autor vor dem Hintergrund des § 1666 BGB insbesondere im Missbrauch der Elternrechte.264 Ähnlich stellt Zähle das Eltern-Kind-Verhältnis in Zusammenhang mit der Religionsfreiheit ins Zentrum der Problematik. Dabei sieht er es als Teil des Wohls 254

Exner, Sozialadäquanz, S. 54. Exner, Sozialadäquanz, S. 56. 256 Exner, Sozialadäquanz, S. 56 f. 257 Schwarz, JZ 2008, 1125 ff. 258 Zähle, AöR 134 (2009), 434, insbesondere 450 f. 259 Schwarz, JZ 2008, 1125 ff.; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 450 f. 260 Vgl. insbesondere Schwarz, JZ 2008, 1125, 1126 ff.; Schwarz, in: Heil/Kramer, 98, 103 ff. 261 Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128; Schwarz, in: Heil/Kramer, 98, 113 f. 262 Schwarz, in: Heil/Kramer, 98, 111 f. 263 Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128. 264 Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128. Es ist allerdings zu beachten, dass es i. S. d. § 1666 BGB mittlerweile nicht mehr auf einen Sorgerechtsmissbrauch ankommt, vgl. Palandt-Götz, § 1666, Rn. 3. 255

194

E. Die stellvertretende Einwilligung

des Kindes an, dass die Eltern über dessen Religionszugehörigkeit entscheiden.265 Den Maßstab der Kindeswohlgefährdung zugrunde legend kommen beide Autoren zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen einer solchen im Falle der Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung zu verneinen und entsprechend die elterliche Entscheidung verfassungsrechtlich zulässig sei.266 ee) Weitere Ansätze Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung findet sich auch in Ansätzen, die sich nicht direkt auf die hier interessierende religiös motivierte Knabenbeschneidung beziehen,267 sondern allgemein nach der Reichweite der stellvertretenden Einwilligung in körperliche Eingriffe beim Kind fragen: So wird etwa vertreten, dass die Eltern das Kindeswohl „autonom“ bestimmen und „eigenständig und selbstverantwortlich“ über die Vornahme eines medizinischen Eingriffs entscheiden dürfen.268 Die Grenze des elterlichen Entscheidungsbereichs soll sich aus der „treuhänderischen Pflichtgebundenheit der elterlichen Sorge“ ergeben, wobei es diesbezüglich insbesondere auf die Indikation des Eingriffs ankommen soll:269 In der Regel entspreche nur die Einwilligung in eine medizinisch indizierte Maßnahme dem Kindeswohl.270 Auf der Grundlage einer individuellen Kindeswohlbestimmung wird zur Begrenzung des elterlichen Entscheidungsbereichs durch das Kindeswohl meist auf § 1666 BGB abgestellt und die Grenze dort gezogen, wo dieses durch die Entscheidung der Eltern gefährdet271 bzw. konkret gefährdet272 wird. Dies soll etwa bei der Einwilligung in unvernünftige medizinische Maßnahmen – solche, die bei

265

Zähle, AöR 134 (2009), 434, 450 f. Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128 f.; Schwarz, in: Heil/Kramer, 98, 111 f.; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 450 f. und 454. 267 Ein weiterer Ansatz betreffend die religiös motivierte Knabenbeschneidung, der auf dem Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung aufbaut, findet sich nunmehr bei Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 330 ff. 268 Reipschläger, Einwilligung, S. 111. 269 Reipschläger, Einwilligung, S. 112 und S. 114. 270 Reipschläger, Einwilligung, S. 112 und S. 114, bezugnehmend auf Kern, NJW 1994, 753, 754. Reipschläger setzt allerdings einen anderen Beurteilungsmaßstab als Kern an, indem sie zunächst von einem eigenen Verantwortungsbereich der Eltern ausgeht, den sie dann durch die medizinische Indikation des Eingriffs begrenzt. 271 Vgl. Belling, FuR 1990, 68, 71; Voll, Einwilligung, S. 75; allgemein, nicht speziell in Bezug auf körperliche Eingriffe Wiesner, in: Meier, 235, 240 f. 272 Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 313. Die Autorin stellt dabei die Leitlinie auf, dass der indizierte und lege artis durchgeführte Eingriff grundsätzlich dem Kindeswohl entspreche. 266

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

195

einer Abwägung der Chancen und Risiken als wirkungslos anzusehen sind – der Fall sein.273 Diese Ansätze lassen sich zwar nicht ohne Weiteres auf die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Zirkumzision übertragen, da ihnen andere Ausgangslagen zugrunde liegen. Hiernach wäre aber die elterliche Einwilligung in die Beschneidung des Sohnes wohl nicht von vornherein allein aus dem Grund ausgeschlossen, dass es sich um eine nicht indizierte medizinische Maßnahme handelt. Es würde vielmehr darauf ankommen, ob die fehlende Indikation in Verbindung mit den weiteren Umständen eine Kindeswohlgefährdung als Grenze des elterlichen Erziehungsrechts begründet. c) Ansätze auf Grundlage beider Modelle Nicht alle zur stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung vertretenen Ansätze lassen sich trennscharf dem einen oder dem anderen Modell zuordnen. Bartsch274 etwa legt seinem Ansatz beide Modelle zugrunde. Er zieht erst einmal das Modell der objektiven Kindeswohlbestimmung heran und gelangt i. E. zum Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung: Zunächst stellt er auf das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung ab, nimmt dabei im Falle der Knabenbeschneidung unter Gesamtwürdigung aller kindeswohlbezogenen Aspekte eine „non-liquet-Situation“ an und geht auf dieser Grundlage wegen Art. 6 II GG davon aus, dass die Eltern in solchen Situationen – i. S. d. Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung – über das Kindeswohl entscheiden dürften, sodass er zur Wirksamkeit der Einwilligung in die Zirkumzision gelangt.275 I.E. steht dieser Ansatz dem Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung freilich näher als dem der abstrakten Kindeswohlbestimmung. d) Das LG Köln vom 07.05.2012 Bei dem umstrittenen Urteil des LG Köln wird nicht ganz klar, welches Modell der Entscheidung zugrunde liegt:276

273 So Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111c. Dagegen zieht Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 113 f., die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis sehr eng, indem er das Kindeswohl bei ärztlichen Eingriffen auf die objektiven Interessen des Kindes reduziert und insofern mit der medizinischen Indikation gleichsetzt. 274 Bartsch, StV 2012, 604, 606 f. 275 Bartsch, StV 2012, 604, 606 f. 276 NJW 2012, 2128, 2129; das LG Köln folgt hier der Ansicht von MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 143.

196

E. Die stellvertretende Einwilligung

Für das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung spricht, dass sich das Gericht die Frage stellt, ob die Beschneidung unter dem Blickwinkel des elterlichen Erziehungsrechts dem Kindeswohl entspricht.277 Dies wird dann aber mit dem Hinweis darauf verneint, dass die „Grundrechte der Eltern aus Art. 4 I, 6 II GG [. . .] ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gem. Art. 2 I und II 1 GG begrenzt“ werden.278 Insofern nimmt das LG Köln wohl einen gegebenen Entscheidungsbereich der Eltern an, innerhalb dessen ihnen die Kompetenz zur individuellen Kindeswohlbestimmung zusteht. Jedenfalls werden diesem Verantwortungsbereich im Ergebnis sehr enge Grenzen gezogen, da nach Auffassung des LG Köln die Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung die Grenzen desselben überschreitet und nicht mehr dem Kindeswohl entspricht.279 Insofern geht das Gericht von der Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung der Eltern aus.280 3. Die unterschiedlichen Modelle zur Kindeswohlbestimmung vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Prägung der stellvertretenden Einwilligung durch Art. 6 II GG281 ist zu klären, welchem der beiden Modelle zur Kindeswohlbestimmung – die sich so unterschiedlich auf die Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis auswirken – zu folgen ist. Wie bereits angesprochen eignet sich das Verfassungsrecht zwar nicht zur Spezifizierung von Details der strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung, es kann aber grundsätzliche Leitlinien zur Kindeswohlbestimmung vorgeben und

277 Löffelmann, Religiöse Beschneidung von Jungen, S. 2, deutet die Entscheidung wohl in diese Richtung. Ebenso Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1135; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 149; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 331. 278 LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129; vgl. MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 143; vgl. Muckel, JA 2012, 636, 639, zur Kritik an der nicht ausreichenden bzw. fehlenden Abwägung der Rechtspositionen; Germann, in: Heil/Kramer, 83 ff., bemängelt handwerkliche Fehler bei der Grundrechtsanwendung. 279 LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129; vgl. Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 148 f., zur Kritik an einer unzureichenden Begründung der behaupteten Verletzung des Kindeswohls. 280 LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129; zustimmend etwa Putzke, Legal Tribune Online v. 26.06.2012; Kempf, JR 2012, 436, 438 f. 281 Vgl. oben E.II. Für die Frage, welchem der beschriebenen Modelle zu folgen ist, spielt Art. 4 I, II GG für sich genommen keine Rolle, da er das elterliche Erziehungsrecht lediglich im religiösen Bereich verstärkt und sich aus ihm keine grundsätzlichen Aussagen betreffend die Modelle zur Kindeswohlbestimmung ableiten lassen. Vgl. hierzu auch Abschn. E, Fn. 40.

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

197

beeinflusst insofern die Reichweite der elterlichen Dispositionsbefugnis.282 Daher stehen im Folgenden nicht die konkreten Einzelheiten der jeweiligen Ansätze, sondern die wesentlichen Grundgedanken der entgegengesetzten Modelle zur Kindeswohlbestimmung auf dem Prüfstand. a) Das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung Zum Teil wird im Rahmen des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber den Eltern Entscheidungsspielräume zuweisen könne, in denen sie dann ausnahmsweise dazu befugt seien, das Kindeswohl zu definieren.283 Danach besteht grundsätzlich kein eigener Verantwortungsbereich der Eltern, sondern ein solcher wird durch den Staat erstmalig eröffnet.284 Dieser Annahme steht entgegen, dass es sich bei der Pflege und Erziehung nach Art. 6 II GG um das „natürliche“ Recht der Eltern handelt, die hierzu „von Natur aus bereit und berufen“ sind.285 Damit ist ein grundsätzlich von den Eltern verantworteter Entscheidungsspielraum bereits vorhanden und muss nicht erst durch den Gesetzgeber geschaffen werden, indem den Eltern in einzelnen Bereichen die Verantwortung zugesprochen wird.286 Dies zeigt sich auch in den geltenden gesetzlichen Regelungen, die nicht den Eltern in einzelnen Bereichen Verantwortung zuschreiben, sondern die originär bestehende Elternverantwortung in Einzelfällen – etwa im Bereich des § 1631c S. 1 BGB287 – begrenzen. 282 Vgl. hierzu im Allgemeinen Landau, ZStW 121 (2009), 965, 970, sowie oben D.II.3. und E.II.1. 283 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 692, zieht als Beispiel die Aufhebung der allgemeinen Impfpflicht heran, wodurch die Vornahme von Schutzimpfungen in das Ermessen der Eltern gestellt worden sei. Ähnlich Herzberg, JZ 2009, 332, 335; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472, der religiöse Entscheidungen als grundsätzlich „kindeswohlneutral“ einstuft und sie damit von der positiven Überprüfung der elterlichen Entscheidung anhand eines allgemein definierten Kindeswohlbegriffs herausnimmt; vgl. hierzu bereits oben E.III.2.a)bb). 284 Vgl. auch die Darstellung dieses Modells bei Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 ff. 285 BVerfGE 24, 119, 150. 286 Dies zeigt sich nicht zuletzt am von Putzke, in: FS Herzberg, 669, 692, herangezogenen Beispiel der Aufhebung der allgemeinen Impfpflicht: Hierdurch wurde dieser Bereich nicht den Eltern originär überantwortet, sondern dieser Bereich gehörte von vornherein zur elterlichen Kompetenz i. S. d. Art. 6 II 1 GG. Durch die Einführung der allgemeinen Impfpflicht wurde der elterliche Verantwortungsbereich in dieser Hinsicht eingeschränkt. Soweit es sich bei der Regelung nicht um eine rein ausgestaltende Maßnahme handelte, muss diese Einschränkung durch allgemeine Schutzpflichten des Staates, kollidierendes Verfassungsrecht oder durch das staatliche Wächteramt i. S. d. Art. 6 II 2 GG gerechtfertigt sein. Mit der Aufhebung der allgemeinen Impfpflicht wurde diese Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts ebenfalls aufgehoben. 287 Vgl. Palandt-Götz, § 1631c, Rn. 1.

198

E. Die stellvertretende Einwilligung

Das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung bindet die Eltern an ein allgemeingültig definiertes Kindeswohl und überlässt ihnen kaum noch einen eigenen Entscheidungsbereich.288 Teilweise sollen sie überhaupt nur für das Kind entscheiden dürfen, wo zwischen mehreren indizierten, gleichwertigen medizinischen Maßnahmen ausgewählt werden muss.289 Dadurch, dass sich die Eltern an ein allgemeingültig bestimmtes Kindeswohl zu halten haben, werden sie zu bloßen Ausführenden einer vorgezeichneten Entscheidung gemacht.290 Dies bedeutet, dass die Eltern im Bereich der stellvertretenden Einwilligung gar kein echter Erziehungsträger mehr sein können,291 sondern dass sich gewissermaßen der Staat zum Erziehungsträger aufschwingt, da er durch die positive Definition des Kindeswohls Erziehungsinhalte definiert.292 Dem steht aber entgegen, dass dem Staat durch das Wächteramt des Art. 6 II 2 GG eine nur subsidiäre Rolle zugewiesen ist293 und er sich darauf zu beschränken hat, den Verantwortungsbereich der Eltern zum Schutz des Kindes zu begrenzen294 sowie die Pflichterfüllung seitens der Eltern zu überwachen.295 Durch die abstrakt-objektive Definition des Kindeswohls wird dieses Verhältnis von Art. 6 II 1 GG und Art. 6 II 2 GG in sein Gegenteil verkehrt.296 Bedenkt man, dass die stellvertretende Einwilligung in die Zirkumzision i. d. R. religiös motiviert ist, so ergibt sich eine weitere Problematik des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung: Die „Familie“ im Sinne der Verfassung (Art. 6 I und II GG) ist der Ort, wo die „Weitergabe familiärer Tradition, religiöser Bindung und kultureller Eigenart“ 297 erfolgen. Dadurch sollen die verschiedenartigen Werte und Meinungen in der Gesellschaft erhalten bleiben.298 Die Familie im Sinne des Art. 6 I GG ist ein „geschlossener, eigenständiger Lebensbereich“, wobei der Staat zur Respektierung und Förderung dieser Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit verpflichtet ist.299 Art. 6 I und II GG garantieren dazu eine freie Entscheidungsbildung in der Familie, die es erst möglich macht, den jeweils gelebten religiösen oder weltanschaulichen Verpflichtungen

288

Dazu: Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. So etwa Herzberg, ZIS 2010, 471, 472; Kern, NJW 1994, 753, 756. 290 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129; Exner, Sozialadäquanz, S. 39. 291 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 39. 292 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. Im Rahmen des Art. 6 II GG ist der Staat kein Erziehungsträger, vgl. nur Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96. 293 Vgl. nur BVerfGE 10, 59, 84. 294 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; vgl. Rox, JZ 2012, 806, 807. 295 Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 109. 296 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 297 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 95. 298 Palandt-Götz, § 1626, Rn. 1. 299 BVerfGE 24, 119, 135. 289

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

199

nachzukommen.300 Hinzu kommt, dass vom Schutzbereich des Art. 6 II GG auch und gerade Denkweisen umfasst sind, die nicht mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmen und gegebenenfalls sogar stark von dieser abweichen.301 Durch Art. 6 GG soll also gerade auch die Individualität jeder einzelnen Familie geschützt werden.302 Objektiviert und generalisiert man den Kindeswohlstandard, so läuft dieser Schutz jedoch ins Leere.303 Vor dem Hintergrund des Art. 6 I, II GG ist daher das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung zu eng und kann nicht zur Bestimmung des Kindeswohls als Maßstab der stellvertretenden Einwilligung herangezogen werden. b) Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung Im Anschluss an Fateh-Moghadam ist vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 6 II GG das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung das vorzugswürdige:304 aa) Das staatliche Wächteramt im Hinblick auf das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung Zwar wird als Argument gegen dieses Modell Art. 6 II 2 GG eingewandt, der die staatliche Gemeinschaft zum Wächter über das elterliche Erziehungsrecht beruft. So wird argumentiert, dass die elterliche Entscheidung komplett der staatlichen Überwachung entzogen werde, wenn man die Definition des Kindeswohls der subjektiven Einschätzung der Eltern überlasse.305 Dieser Einwand trifft aber auf das oben beschriebene Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung gar nicht zu.306 Denn danach gehört die individuelle Kindeswohldefinition grundsätzlich zum elterlichen Verantwortungsbereich.307 Diesem sind allerdings Grenzen gesetzt, an die die Eltern bei ihrer Entscheidung 300

BVerfGE 10, 59, 84 f.; vgl. BVerfGE 80, 81, 90. Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903; vgl. etwa BVerfGE 47, 46, 69 ff.; vgl. im Hinblick auf die religiöse Erziehung BVerfGE 52, 223, 235 ff. 302 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 73. 303 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 73. 304 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 150 ff. 305 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 705. Weiter wird argumentiert, dass es nicht sein könne, dass es etwa bei nicht indizierten Eingriffen im Hinblick auf das Kindeswohl und damit auf die Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung allein auf die ordnungsgemäße Aufklärung der Eltern ankomme, Putzke, in: FS Herzberg, 669, 691, in Kritik an BGHSt 12, 379, 383. 306 Vgl. oben E.III.2.b). 307 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133. 301

200

E. Die stellvertretende Einwilligung

gebunden sind.308 Überschreiten sie dieselben, so hat dies die Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung zur Folge.309 Insofern ist die nach Art. 6 II 2 GG notwendige Kontrolle durchaus möglich – hierzu ist der Staat im Übrigen auch verpflichtet. bb) Die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit Für das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung spricht, dass Art. 6 II GG die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft ermöglichen soll.310 Dies setzt unter anderem die Berücksichtigung der wachsenden Fähigkeit des Kindes zur Selbstbestimmung entsprechend seines Alters und Reifegrads voraus, wie auch § 1626 II 1 BGB zeigt.311 Überlässt man in erster Linie den Eltern die Kindeswohldefinition, so ist eine sehr individuelle Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten des Kindes im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung möglich. Ausgehend vom Idealbild der Verfassung, dass ihnen das Wohl ihres Kindes besonders wichtig ist312 und sie die Interessen des Kindes am besten wahrnehmen können,313 sind es die Eltern, die bestmöglich einschätzen können, inwieweit der Kindeswille Ausdruck der bereits teilweise vorhandenen Fähigkeit zur Selbstbestimmung des Kindes ist und daher in die Entscheidung mit einbezogen werden soll. Daher bietet das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung die besten Voraussetzungen für eine möglichst weitgehende Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes und damit für die Entwicklung des Kindes hin zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Freilich ist dies eine idealtypische Sichtweise, gegen die sich einwenden lässt, dass nicht alle Eltern in ihren Entscheidungen dem individuellen Kindeswohl entsprechen und die bereits vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes angemessen berücksichtigen wird314 – sei es, weil sie nicht können, sei es, weil sie nicht wollen. Dieser Einwand ist zwar berechtigt, wird aber von der Verfassung in Kauf genommen: Solange die Entscheidung nicht die durch das Kindeswohl definierten Grenzen des Verantwortungsbereichs der Eltern überschreitet, ist diese wegen des Vorrangs der Eltern bei der Erziehung, der sich aus Art. 6 II GG 308 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133, sieht die Grenzen der elterlichen Entscheidungsmacht etwa im Missbrauch der Dispositionsbefugnis. 309 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133. 310 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144; 56, 363, 384; 79, 51, 63. 311 Vgl. Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 312 BVerfGE 61, 358, 371. 313 Vgl. BVerfGE 34, 165, 184. 314 Zur Frage, inwieweit der Kindeswille bei der elterlichen stellvertretenden Einwilligung zu berücksichtigen ist, vgl. unten E.V.3.d) sowie E.V.5.

III. Das Kindeswohl als entscheidender Maßstab

201

ergibt, zu akzeptieren.315 Indem mit der Begrenzung des elterlichen Verantwortungsbereichs durch das staatliche Wächteramt aus Art. 6 II 2 GG gleichzeitig der Schutzbedürftigkeit des Kindes nachgekommen wird, macht das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung eine individuelle Entwicklung des Kindes möglich, ohne dass das Kind schutzlos der Überschreitung des elterlichen Verantwortungsbereichs ausgeliefert wäre.316 cc) Der Vorrang der Elternverantwortung In dem Maße, in dem das Verhältnis von Art. 6 II 1 GG und Art. 6 II 2 GG gegen das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung spricht, legt es das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung nahe:317 Die Eltern sind i. R. d. Art. 6 II GG alleiniger Erziehungsträger und dürfen Pflege und Erziehung ihrer Kinder grundsätzlich nach ihren eigenen Vorstellungen frei gestalten.318 Ihnen kommt ein „Interpretationsprimat“ 319 bzw. eine „Definitionskompetenz“ zu.320 Sie bestimmen die Ziele und Mittel der Pflege und Erziehung innerhalb der Familie grundsätzlich selbst.321 Dabei ist die Selbstverantwortlichkeit der Eltern so weit als möglich anzuerkennen.322 Insofern schützt Art. 6 II 1 GG nicht nur die Elternverantwortung als solche, sondern auch die freie Entscheidung der Eltern, wie sie dieser Verantwortung am besten gerecht werden können.323 In diesen Verantwortungsbereich der Eltern fällt auch die Aufgabe, das individuelle Wohl des jeweiligen Kindes subjektiv zu bestimmen.324 315 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133. Vgl. im Hinblick auf schulische Entscheidungen der Eltern: BVerfGE 34, 165, 184; 60, 79, 94. Das Kindeswohl, dem sowohl der Staat als auch die Eltern verpflichtet sind, ist kein Optimierungsgebot, Wiesner, in: Meier, 235, 240. 316 Vgl. auch Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 64 und 73. 317 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1136 f. 318 BVerfGE 24, 119, 143; 59, 360, 376; 60, 79, 88; vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 95 und 107; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 330. 319 Rixen, MedR 1997, 351, 353; Rixen, NJW 2013, 257, 258; vgl. Stumpf, DVBl. 2013, 141, 142 f. 320 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 64 f.; Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903; vgl. BVerfGE 24, 119, 143; 47, 46, 69 f.; Epping/Hillgruber-Uhle, Art. 6, Rn. 55; Rox, JZ 2012, 806, 807 f. 321 Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 330. Hierbei haben sie sich wiederum am Kindeswohl zu orientieren, vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88. 322 BVerfGE 24, 119, 143. 323 BVerfGE 24, 119, 143 f.; 31, 194, 204 f.; 47, 46, 70; 52, 223, 235 f.; 60, 79, 88; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 107. 324 Vgl. Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 96; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; Rixen, NJW 2013, 257, 258 f.

202

E. Die stellvertretende Einwilligung

Die individuelle Kindeswohldefinition ist also Teil der verfassungsrechtlich garantierten Elternverantwortung.325 Der Staat hat demgegenüber gemäß Art. 6 II 2 GG nur eine überwachende, kontrollierende Rolle inne. Eingreifen darf er erst dann, wenn die Eltern mit ihrer Entscheidung die Grenze des Kindeswohls überschreiten.326 Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Prägung der stellvertretenden Einwilligung ist damit das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung als Maßstab der elterlichen Dispositionsbefugnis heranzuziehen: Die Bestimmung des individuellen Kindeswohls gehört zum von Art. 6 II GG garantierten Verantwortungsbereich, den der Staat niemals positiv definieren, sondern allein in negativer Hinsicht abgrenzen darf.327 4. Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung als Grundlage einer angemessenen Wahrnehmung der Selbstbestimmung des Kindes Zum Kindeswohl gehört die Wahrnehmung dessen (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmungsrechts.328 Diese erfolgt durch die Eltern im Rahmen des Instituts der stellvertretenden Einwilligung. Sie ist auch überhaupt erst auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung als Maßstab der Dispositionsbefugnis möglich.329 Denn hierdurch wird den Eltern – in Übereinstimmung mit Art. 6 II GG – ein echter Entscheidungsbereich zugestanden, der seine Grenzen im Kindeswohl findet. Demgegenüber basiert das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung auf dem Grundgedanken der Fremdbestimmung, da es einen allgemeingültigen Kindeswohlbegriff zu definieren versucht, was eine individuelle (stellvertretende) Entfaltungsmöglichkeit von vornherein ausschließt.330 Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund des Art. 6 II GG, sondern auch auf der Grundlage nicht haltbar, dass die stellvertretende Einwilligung auf das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Kindes i. S. d. §§ 223 ff. StGB sowie Art. 2 II 1 GG zurückzuführen ist und dementsprechend der stellvertretenden körperbezogenen Selbstverwirklichung des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen dient.331 325 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903; vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; Exner, Sozialadäquanz, S. 40. 326 Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; Rixen, NJW 2013, 257, 258 f. 327 Zu dem Ganzen überzeugend Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 74; vgl. Rox, JZ 2012, 806, 807 f.; ähnlich, aber im Hinblick auf die Knabenbeschneidung mit anderem Ergebnis Exner, Sozialadäquanz, S. 54 f. 328 Vgl. zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts durch die Personensorgeberechtigten Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 329 Vgl. gerade eben E.III.3.b). 330 Hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128 und 130 f. 331 Vgl. hierzu oben E.I.2.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

203

Eine körperbezogene Selbstverwirklichung auch für den Einwilligungsunfähigen ist nur auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung möglich, das den Eltern auch auf strafrechtlicher Ebene einen eigenen Verantwortungsbereich eröffnet, innerhalb dessen die stellvertretende Einwilligung als Einwilligung des Kindes gilt.332 Solange die Eltern die Grenze des Kindeswohls nicht überschreiten, ist die stellvertretende Einwilligung als Selbstbestimmung des Kindes anzusehen.333 Insofern lässt sich allein eine stellvertretende Einwilligung, die auf dem Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung fußt, tatsächlich auf das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des Kindes, das durch die §§ 223 ff. StGB sowie Art. 2 II 1 GG geschützt ist, zurückführen. Unter individueller „Kindeswohlbestimmung“ ist entsprechend die elterliche Entscheidung darüber zu verstehen, wie das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Kindes in seinem Sinne auszuüben ist. 5. Ergebnis: Das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung als Grundlage der elterlichen Dispositionsbefugnis Das Kindeswohl, das den Maßstab der elterlichen Dispositionsbefugnis im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung bildet, ist auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung zu definieren. Hiernach sind es grundsätzlich die Eltern, die das Wohl des individuellen Kindes festlegen. Aufgrund der Schutzbedürftigkeit des Kindes und i. S. d. Art. 6 II 2 GG sind diesem Entscheidungsbereich Grenzen zu ziehen, die wiederum im Kindeswohl liegen und deren Überschreitung zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung aufgrund mangelnder elterlicher Dispositionsbefugnis führt.334

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung Auf der Grundlage, dass den Eltern bei der strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis ein eigener Verantwortungsbereich zukommt, der durch das Kindeswohl begrenzt wird,335 ist zu klären, ob 332

Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128. Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129; vgl. Rox, JZ 2012, 806, 808. 334 Vgl. zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.; vgl. auch Hörnle/ Huster, JZ 2013, 328, 332. 335 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 f. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es kein Paradoxon darstellt, dass das Kindeswohl in erster Linie von den Eltern ausgefüllt wird und gleichzeitig dem elterlichen Entscheidungsbereich Grenzen ziehen kann. Denn der Maßstab des Kindeswohls wird nur als Grenze des elterlichen Entschei333

204

E. Die stellvertretende Einwilligung

diese Schranke bei der Einwilligung in die Knabenbeschneidung überschritten ist. Im Folgenden wird also untersucht, ob die Eltern dispositionsbefugt zur stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Zirkumzision sind. 1. Grundsätze zur Konkretisierung des Kindeswohls als Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis Bei der Konkretisierung des Kindeswohls als Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis ist zu berücksichtigen, dass die stellvertretende Einwilligung ihre Grundlage in der (körperbezogenen) Selbstbestimmung des Kindes findet und insbesondere von Art. 6 II GG geprägt ist.336 Hieraus erwächst die Konsequenz, dass sich die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis erstens nicht auf einer dogmatischen Grundlage der Fremdbestimmung begründen lassen337 und dass zweitens die Schranken der Einwilligung im klassischen Sinne nicht ohne Weiteres auf die stellvertretende Einwilligung übertragen werden können: a) Untauglichkeit der dogmatischen Grundlage der Fremdbestimmung Zur Begrenzung der elterlichen Dispositionsbefugnis kann nicht auf eine Dogmatik zurückgegriffen werden, die dem Schutz des Rechtsgutsträgers vor Fremdbestimmung durch beliebige Dritte dient. Denn die stellvertretend einwilligenden Eltern sind im Verhältnis zum Kind nicht als „Dritte“ anzusehen.338 Dies ergibt sich aus Art. 6 II GG sowie daraus, dass die Dispositionsbefugnis der Eltern auf die (körperbezogene) Selbstbestimmung des Kindes zurückzuführen ist.339 In diesem speziellen Verhältnis endet dort, wo das Kindeswohl als besondere Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis überschritten wird, die Kompetenz der Eltern zur stellvertretenden Einwilligung.340 Hält sich die elterliche stellvertretende Einwilligung dagegen in dem ihr vorgegebenen Rahmen, so ist das Kind nicht „fremdbestimmt“, sondern selbstbestimmt, wobei die Verwirklichung der Selbstbestimmung des Kindes stellvertretend durch die Eltern geschieht.341 Erst bei Überschreitung der elterlichen Dispo-

dungsbereichs definiert, nicht als Inhalt desselben. Vgl. dazu aber auch Rixen, MedR 1997, 351, 353 f. 336 Vgl. bereits oben E.I.2.a) und E.II.; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128 ff. 337 Hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 f. 338 s. auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 330. 339 Hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128 ff. 340 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133. 341 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

205

sitionsbefugnis – des Kindeswohls – kann man von einer „Fremdbestimmung“ des Kindes sprechen. Insofern können die Grenzen der individuellen Kindeswohlbestimmung durch die Eltern bzw. der strafrechtlichen Dispositionsbefugnis derselben nicht auf dem dogmatischen Grundgedanken der Fremdbestimmung bzw. des Schutzes des Rechtsgutsträgers vor Dritten aufbauen.342 b) Untauglichkeit der Grenzen der Einwilligung im klassischen Sinne Ebenso wenig kann zur Begrenzung der elterlichen Dispositionsbefugnis ohne Weiteres auf die Schranken der Einwilligung im klassischen Sinne zurückgegriffen werden. Auch wenn sowohl die Einwilligung als auch die stellvertretende Einwilligung auf das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers zurückzuführen sind,343 betreffen die Einwilligungsschranken den Schutz des Rechtsgutsträgers vor nicht selbstbestimmten Entscheidungen seiner selbst.344 Dagegen sollen die Schranken der stellvertretenden Einwilligung den Rechtsgutsträger vor einer nicht seinem Selbstbestimmungsrecht entsprechenden Ausübung der Befugnisse seines Vertreters schützen. Daher sind – auch bei größtmöglicher Anerkennung des elterlichen Verantwortungsbereichs345 – der stellvertretenden Einwilligung engere Grenzen als der Einwilligung im klassischen Sinne zu ziehen.346 Insofern kann die Grenze des Kindeswohls nicht einfach über die Schranken der Einwilligung im klassischen Sinne definiert werden. Dies hat insbesondere zur Folge, dass der Schranke des § 228 StGB bei der Begrenzung der Dispositionsbefugnis der Eltern keine eigenständige Bedeutung zukommt.347 Zwar überschreitet die Einwilligung in eine sittenwidrige Körperverletzung stets auch das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis. Da aber die Grenzen der stellvertretenden Einwilligung enger als die 342 Dem entspricht es, dass das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung aufgrund seines dogmatischen Grundgedankens der Fremdbestimmung abzulehnen ist, vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff., sowie zur Ablehnung dieses Modells auch oben E.III.3.a). 343 Vgl. oben D.II. und E.I.2. 344 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 720 ff.; v. Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 228, Rn. 13. 345 Vgl. BVerfGE 24, 119, 143. 346 Vgl. Reipschläger, Einwilligung, S. 110 f.; BVerfGE 59, 360, 376: „Das Elternrecht unterscheidet sich von den anderen Freiheitsrechten des Grundrechtskatalogs wesentlich dadurch, daß es keine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern zum Schutze des Kindes gewährt.“ 347 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 123.

206

E. Die stellvertretende Einwilligung

Schranken der Einwilligung im klassischen Sinne zu ziehen sind, sind erstere regelmäßig schon vor dem Eingreifen der Schranke der Sittenwidrigkeit erreicht.348 Damit hat § 228 StGB bei der stellvertretenden Einwilligung keine eigene Relevanz.349 c) Besondere Dogmatik der elterlichen stellvertretenden Einwilligung Nach dem Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung ist den Eltern ein eigener Entscheidungsbereich zur stellvertretenden Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes eröffnet, dessen Schranken im Kindeswohl liegen.350 Eine nähere Konkretisierung dieser Schranken darf nicht unter Rückgriff auf andere strafrechtliche Dogmatiken, sondern kann nur unter Berücksichtigung der besonderen Grundlagen der stellvertretenden Einwilligung erfolgen, die sich in den Rechten des Kindes sowie im Art. 6 II (i.V. m. Art. 4 I, II) GG finden. Das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis kann damit zunächst in den (Grund-)Rechten des Kindes,351 auf die die stellvertretende Einwilligung zurückzuführen ist, eine Konkretisierung finden. Da sich aus dem die Elternverantwortung garantierenden und zugleich begrenzenden Art. 6 II GG – über das Kindeswohl hinaus – keine weiteren Vorgaben zu den Schranken des elterlichen Erziehungsrechts herauslesen lassen, ist außerdem auf die einfachgesetzlichen, den Umfang des elterlichen Verantwortungsbereichs ausgestaltenden und konkretisierenden Regelungen einzugehen, um das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis näher zu fassen.

348 Ebenso Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 123. Insofern steht § 228 StGB auch nicht „neben“ den Schranken der stellvertretenden Einwilligung, sondern vielmehr hinter denselben. Denn es kommt bei der stellvertretenden Einwilligung gerade nicht entscheidend auf die Schranke der Sittenwidrigkeit der Körperverletzung an. Anders Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318; Exner, Sozialadäquanz, S. 37. 349 Daher kommt es auch nicht entscheidend auf die Frage an, ob § 228 StGB überhaupt als Grenze der stellvertretenden Einwilligung herangezogen werden kann, was aufgrund des Gesetzestextes, in dem von der „Einwilligung der verletzten Person“ die Rede ist, angezweifelt wird, vgl. MK-StGB-Hardtung, § 228, Rn. 10; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 158. Diese Zweifel lassen sich außerdem mit dem Gedanken zerstreuen, dass die stellvertretende Einwilligung der Eltern als die des Kindes gilt. 350 Vgl. hierzu oben E.III.1. 351 Eingriffe ins Elternrecht können nicht nur durch die Grundrechte des Kindes, sondern überhaupt durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein. Hier kommt insbesondere Art. 7 GG in Betracht, der den in der Schulpflicht liegenden Eingriff ins Elternrecht rechtfertigt, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 714; Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 905 f. Im Rahmen dieser Arbeit kann Art. 7 GG jedoch außer Betracht bleiben.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

207

2. Die Grundrechte des Kindes als Konkretisierung des Kindeswohls Da das Kind von Geburt an Träger eigener Grundrechte ist,352 ist es grundsätzlich denkbar, die Grenzen des elterlichen Verantwortungsbereichs in den Kindesgrundrechten zu suchen. Zwar können sich die Grundrechte des Kindes nicht direkt gegen die Eltern richten,353 das Kind hat aber Anspruch auf staatlichen Schutz.354 Da außerdem der von Art. 6 II GG garantierte elterliche Entscheidungsbereich auf die Rechte des Kindes zurückzuführen ist, können die Grundrechte des Kindes das den Art. 6 II GG prägende Kindeswohl in bestimmten Bereichen konkretisieren und so der Elternverantwortung Grenzen aufzeigen.355 Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob man in dogmatischer Hinsicht eine Kollision zwischen den Grundrechten des Kindes und dem elterlichen Erziehungsrecht annimmt356 oder ob man bereits von einer inhaltlichen Begrenzung des elterlichen Erziehungsrechts ausgeht.357 Denn dem Kindeswohl – und damit den Grundrechten des Kindes – gebührt stets der Vorrang vor dem elterlichen Erziehungsrecht.358 Kindesgrundrechte, die nicht in hinreichender Form objektivierbar sind, sondern die subjektive – ausfüllungsbedürftige359 – Rechtspositionen darstellen, können allerdings nicht zur Konkretisierung des Kindeswohls herangezogen werden.360 Sofern nicht nur ein Zustand, sondern eine Betätigung geschützt und 352 BVerfGE 24, 119, 144; 59, 360, 382; 79, 51, 63; 99, 145, 156; Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1, Rn. 10. 353 Belling, FuR 1990, 68, 72. 354 Lohse, Jura 2005, 815, 819. Außerdem dienen die Grundrechte im Rahmen zivilrechtlicher Regelungen als Auslegungs- und Interpretationsmaßstab im Sinne der mittelbaren Drittwirkung, Belling, FuR 1990, 68, 72. 355 Vgl. hierzu Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 69; Exner, Sozialadäquanz, S. 37 und S. 44. 356 So wohl Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f., der bei der Beschneidung aus religiösen Gründen von einem Widerstreit zwischen Erziehungsrecht sowie Religionsfreiheit der Eltern auf der einen Seite und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes auf der anderen Seite ausgeht. Ebenso Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 344; ebenso im Allgemeinen Palandt-Götz, Einf v § 1626, Rn. 2. 357 Die letztere, vorzugswürdige Ansicht vertritt etwa Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 54 f.; ebenso Lohse, Jura 2005, 815, 819, die allerdings auch die körperliche Unversehrtheit zu den objektivierbaren Rechtspositionen zählt. Vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 10 f. 358 Zum Vorrang des Kindeswohls vor den Elterninteressen: BVerfGE 37, 217, 252; 61, 358, 378; 72, 122, 137. Insofern sind die Eltern über den „Umweg“ des Kindeswohls doch an die (objektivierbaren, vgl. dazu sogleich) Grundrechte des Kindes gebunden. 359 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 f., im Anschluss an Teile der verfassungsrechtlichen Literatur; vgl. in verfassungsrechtlicher Hinsicht etwa Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 70. 360 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 f.

208

E. Die stellvertretende Einwilligung

dementsprechend zur Wahrnehmung eine gewisse Reife bzw. Mündigkeit vorausgesetzt wird, bedarf es nämlich der Ausfüllung dieser Grundrechte durch die Eltern.361 Dies geschieht unter anderem gerade durch die stellvertretende Einwilligung, welche stellvertretende Verwirklichung der Selbstbestimmung des Kindes bedeutet, was nur in individueller, auf das Kind bezogener Weise geschehen kann. Dementsprechend können ausfüllungsbedürftige Grundrechte für sich genommen die Grenze des elterlichen Verantwortungsbereichs nicht näher bestimmen. Dort aber, wo objektivierbare Grundrechtspositionen vorhanden sind, können diese die Schranke des Kindeswohls konkretisieren.362 In Bezug auf die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Beschneidung stellt sich daher an dieser Stelle die Frage, inwieweit die (religiöse) Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder sogar die Menschenwürde des Knaben betroffen sind und ob diese Grundrechte das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis konkretisieren können. a) Die Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht als Konkretisierung des Kindeswohls? Teilweise wird im Hinblick auf die Knabenbeschneidung argumentiert, dass dem Betroffenen durch die elterliche stellvertretende Einwilligung hierin verwehrt werde, später selbst über die Vornahme der Beschneidung zu entscheiden. Ihm werde die Möglichkeit zur späteren (religiösen) Selbstbestimmung genommen.363 Dieser Argumentation hat sich auch das LG Köln in seiner kontrovers diskutierten Entscheidung angeschlossen.364 In diesem Sinne werden die Grundrechtspositionen der Religionsfreiheit365 bzw. der Selbstbestimmung366 des Knaben als Konkretisierung des Kindeswohls herangezogen und zu objektiven Grenzen des elterlichen Verantwortungsbereichs gemacht.367 Dabei soll es allein auf den späteren Schutz der (religiösen) Selbstbestimmung des Kindes ankommen. Aufschiebbare Entscheidungen sollen so weit als möglich bis zum Erreichen der Fähigkeit zur (religiösen) Selbstbestimmung durch das Kind aufgeschoben werden. 361

Überzeugend Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132; vgl. Lohse, Jura 2005, 815,

819. 362 Vgl. zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 f.; in verfassungsrechtlicher Hinsicht Sachs-Coelln, Art. 6, Rn. 71. 363 Herzberg, JZ 2009, 332, 338; vgl. Schneider, Männliche Beschneidung, S. 67 f. 364 NJW 2012, 2128, 2129. Kritisch im Hinblick auf eine nicht ausreichende Abwägung der (Grund-)Rechtspositionen Muckel, JA 2012, 636, 639. 365 Art. 4 I, II GG. 366 Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG; allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I GG i.V. m. Art. 1 I GG. 367 Vgl. hierzu auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

209

Diese Ansicht ist unter dem Aspekt der Religionsfreiheit insofern schon problematisch, als es für die Beurteilung, welche religiösen Handlungen zu welchem Zeitpunkt vorzunehmen sind, auf das jeweilige Selbstverständnis des Gläubigen ankommt.368 Es kann damit nicht von dritter Seite darüber befunden werden, ob es sich bei der Beschneidung um einen in religiöser Hinsicht aufschiebbaren Eingriff handelt.369 Darüber hinaus ist dieser Argumentation entgegenzuhalten, dass die genannten Grundrechtspositionen des Kindes nicht ausreichend objektivierbar sind, um für sich genommen die Grenze des Kindeswohls zu konkretisieren.370 Bei der stellvertretenden Einwilligung in die Zirkumzision geht es gerade um die Verwirklichung der (religiösen) Selbstbestimmung des Kindes durch die Eltern, also um die Ausfüllung dieser Grundrechtspositionen.371 Denn diese erfordern stets eine – hier stellvertretende – Entscheidung, ob und wie man diese Rechte ausleben will. Dass die (religiöse) Selbstbestimmung des Knaben keine hinreichend objektivierbare Rechtsposition darstellt, wird auch dadurch deutlich, dass die eingangs dargestellte Argumentation auch anders herum gewendet werden kann: Für die religiöse Identität des Kindes ist es immens wichtig, vollumfänglich in der jeweiligen Religion aufwachsen zu können.372 Genauso wie angeführt wird, dass der Sohn es den Eltern nachtragen könnte, aufgrund der Vornahme der Beschneidung in jungen Jahren später nicht selbst über Vornahme oder Nichtvornahme

368

Vgl. BVerfGE 24, 236, 247 f.; 32, 98, 106; 33, 23, 28 f.; 104, 337, 355; 108, 282,

298 f. 369 Zähle, AöR 134 (2009), 434, 453; a. A. wohl Britz, ZRP 2012, 252 f., der in die Debatte u. a. die Frage danach einbringen möchte, ob es sich bei der Beschneidung aus theologischer Sicht tatsächlich um einen unverzichtbaren Eingriff handelt. 370 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff. Die fehlende Objektivierbarkeit bezieht sich insbesondere auf den Kernbereich dieser Grundrechte, also auf die Frage, wie der Einzelne seine Religionsfreiheit bzw. seine allgemeine Handlungsfreiheit ausleben will. Freilich kann etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 I GG i.V. m. Art. 1 I GG den elterlichen Verantwortungsbereich aus Art. 6 II GG auch begrenzen. Hierfür ist aber eine Gefährdungslage erforderlich, so etwa im Falle der Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Vgl. hierzu Maunz/DürigDi Fabio, Art. 2 Abs. 1, Rn. 208 f. Diese Fallkonstellationen betreffen namentlich den § 1666 BGB. 371 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131 ff.; ähnlich Spickhoff, FamRZ 2012, 1423; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 449; mit Schwerpunkt auf den einfachgesetzlichen Regelungen Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 344 f.; vgl. auch Bartsch, StV 2012, 604, 607. Erreicht das Kind die Fähigkeit zur (religiösen) Selbstbestimmung, so ist es selbst zur Verwirklichung derselben zuständig, sodass die genannten Grundrechte ab diesem Zeitpunkt freilich das elterliche Erziehungsrecht begrenzen, vgl. in diesem Zusammenhang auch Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 259. 372 Vgl. Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis; Staszewski, Goldener Schnitt.

210

E. Die stellvertretende Einwilligung

des Eingriffs entscheiden zu können,373 könnte er es als Erwachsener seinen Eltern vorwerfen, dass sie ihm kein vollumfängliches Aufwachsen in seiner Religion ermöglichten, indem sie sich gegen den Akt der Beschneidung zum aus religiöser Sicht richtigen Zeitpunkt374 entschieden haben.375 Es kommt aber gar nicht entscheidend darauf an, welcher der beiden Argumentationsweisen man folgt: Die Kompetenz für diese Entscheidung, welche als die des Kindes gilt,376 liegt im Verantwortungsbereich der Eltern, die ihr Kind am besten kennen und damit auch dessen (religiöse) Selbstbestimmung am besten verwirklichen können377 – sei es durch die Entscheidung für den Eingriff, sei es durch die Entscheidung dagegen.378 b) Die körperliche Unversehrtheit als Konkretisierung des Kindeswohls? Zum Teil wird auf die körperliche Unversehrtheit des Kindes, verstanden als objektive Rechtsposition, zur Konkretisierung des Kindeswohls bzw. zur Begrenzung der Elternverantwortung abgestellt.379 So wird etwa argumentiert, dass es „das natürliche Interesse eines Kindes“ sei, „keinen irreversiblen Verlust an seiner Körpersubstanz zu erleiden“.380 Die körperliche Unversehrtheit dürfe nicht angetastet werden, solange der jeweilige Eingriff nicht indiziert sei.381 Auf Ebe373 Herzberg, JZ 2009, 332, 339, argumentiert damit, dass manch ein Sohn es den Eltern ein Leben lang vorwerfen mag, beschnitten zu sein und diesbezüglich keine selbstbestimmte Entscheidung mehr fällen zu können. 374 Im Judentum am 8. Tag nach der Geburt, im Islam im Kindesalter; vgl. ausführlich oben B.II.2. und B.II.3. 375 Vgl. auch die Argumentation bei Bartsch, StV 2012, 604, 606 f., sowie bei Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 329. 376 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128. 377 Dies zeigt auch § 1 KErzG, nach dem die Eltern entscheiden, in welcher Religion ihr Kind aufwachsen soll. Vgl. auch Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 344; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 449. 378 An diesem Beispiel zeigt sich nochmals die Problematik einer abstrakten, allgemeingültigen Kindeswohlbestimmung: Sobald es um subjektive Rechtspositionen des Kindes geht, stößt dieses Modell an seine Grenzen und kann in diesen Bereichen keinen allgemeingültigen Kindeswohlbegriff finden. Dass dies auch weder nötig noch erwünscht ist, zeigt der verfassungsrechtliche Hintergrund des Art. 6 II GG. 379 So etwa – teils auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung – Putzke, MedR 2008, 268, 272; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f.; Herzberg, JZ 2009, 332, 337; Herzberg, ZIS 2012, 486, 500; MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 144; Exner, Sozialadäquanz, S. 37; Stumpf, DVBl. 2013, 141, 143; LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129. Zu Letzterem kritisch bezüglich einer nicht ausreichenden bzw. fehlenden Abwägung der (Grund-)Rechtspositionen Muckel, JA 2012, 636, 639. 380 Herzberg, JZ 2009, 332, 332 f.; vgl. Herzberg, ZIS 2012, 486, 500. 381 Putzke, MedR 2008, 268, 272; ähnlich Merkel, SZ v. 25.08.2012, S. 12, der darauf abstellt, dass das elterliche Erziehungsrecht Eingriffe in die körperliche Integrität des Kindes nur „in engen Grenzen“ erlaube; vgl. Walter, JZ 2012, 1110, 1113.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

211

ne der Grundrechte wird damit Art. 2 II 1 GG zur Schranke des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 II GG gemacht.382 Entsprechend müsse auf strafrechtlicher Ebene das „Verbot der Körperverletzung“ der §§ 223 ff. StGB von den Eltern bei der stellvertretenden Einwilligung unbedingt beachtet werden.383 Abgesehen davon, dass zur Begrenzung der stellvertretenden Einwilligung in § 223 StGB kaum die Grenze des „Verbots der Körperverletzung“ – also wiederum § 223 StGB – herangezogen werden kann,384 besteht im Sinne eines liberalen Rechtsgutsverständnisses385 das Rechtsgut des § 223 StGB nicht (allein) in der körperlichen Unversehrtheit, sondern vielmehr in der körperbezogenen Selbstbestimmung.386 Zwar wird diese von § 223 StGB auch durch Bestandsschutz geschützt, hierin erschöpft sich der Schutz aber nicht.387 Die körperbezogene Selbstbestimmung bedarf der Ausfüllung, was gerade auch der Fall eines nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen zeigt: Trotz dessen Einwilligungsunfähigkeit müssen immer wieder Entscheidungen darüber getroffen werden, ob ein körperlicher Eingriff erfolgen soll oder nicht. Diese Ausfüllung der körperbezogenen Selbstbestimmung ist im Falle des einwilligungsunfähigen Kindes den Eltern übertragen.388 Auch auf verfassungsrechtlicher Ebene gewährt Art. 2 II 1 GG „zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen“.389 Dieser Schutz bedarf der Ausfüllung, die durch die Eltern stellvertretend für das nicht zur Selbstbestimmung fähige Kind geschieht. Daher kann Art. 2 II 1 GG – ebenso wenig wie § 223 StGB – für sich genommen das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis nicht konkretisieren.390 Es besteht auch keine Möglichkeit, die körperliche Unversehrtheit als solche als objektiven Teil der geschützten Rechtsposition herauszunehmen und durch sie das Kindeswohl zu konkretisieren, da ansonsten dem Kind jede Möglichkeit der

382 LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129; MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 143; ähnlich Britz, ZRP 2012, 252, der auf die körperliche Unversehrtheit als Schranke des Art. 4 GG abstellt. 383 Herzberg, JZ 2009, 332, 337. 384 Vgl. zu diesem Zirkelschluss auch Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345. 385 So Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 12. 386 Vgl. zur Definition oben D.II.2.c)aa)(3). 387 Vgl. oben D.II.2.c). 388 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 123; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 79 ff. Erreicht das Kind selbst die Fähigkeit zur Einwilligung in einen konkreten Eingriff, so begrenzt dessen Grundrecht aus Art. 2 II 1 GG freilich das elterliche Erziehungsrecht und sowie deren strafrechtliche Dispositionsbefugnis, vgl. SternbergLieben/Reichmann, NJW 2012, 257, 259. 389 BVerfGE 52, 131, 174 (abweichendes Votum); 89, 120, 130; vgl. Maunz/DürigDi Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 1; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132. 390 Zu dem Ganzen Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132.

212

E. Die stellvertretende Einwilligung

körperbezogenen Selbstverwirklichung durch die Hilfe der Eltern genommen würde, was einen zu weitreichenden Eingriff staatlicherseits bedeuten würde.391 Die körperliche Unversehrtheit des Kindes kann daher nicht für sich genommen zur Konkretisierung des Kindeswohls als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis herangezogen werden. c) Die Menschenwürde als Konkretisierung des Kindeswohls Im Gegensatz zu den anderen besprochenen Grundrechtspositionen ist die in Art. 1 I GG garantierte Menschenwürde insofern nicht ausfüllungsbedürftig, als Verstöße gegen sie in objektiver Weise anhand der „Objektformel“ festgestellt werden können.392 Wenn also in der Vornahme der Beschneidung bzw. in der Einwilligung der Eltern hierin ein Angriff auf die Menschenwürde des Knaben i. S. d. Art. 1 I GG liegen würde, so würden die Eltern definitiv ihren Entscheidungsspielraum überschreiten und ihr Handeln würde nicht mehr dem Kindeswohl i. S. d. Art. 6 II GG entsprechen. Denn die elterliche Erziehung hat die Menschenwürde des Kindes zu respektieren,393 sodass diese das Kindeswohl konkretisiert und dem elterlichen Entscheidungsbereich eine absolute Grenze setzt.394 Insofern wird das Kindeswohl i. S. d. Art. 6 II GG teilweise auch als mit der Menschenwürde des Kindes „aufgeladen“ bezeichnet.395 aa) Die absolute Grenze der Menschenwürde im Hinblick auf die Knabenbeschneidung In Bezug auf die Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen wird argumentiert, dass diese „als Stigmatisierung“ die Menschenwürde berühre.396 Denn die „im Kindesalter erzwungene Beschneidung“ sei eine „lebenslange sinnfällige Zuordnung zur jeweiligen Religionsgemeinschaft“ und daher mit einer „Brandmarkung“ zu vergleichen.397 391

Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132. Vgl. nach Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1, Rn. 36: „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“ 393 BVerfGE 24, 119, 144. 394 Dass der Staat das Kind vor Angriffen auf dessen Würde zu schützen hat, ergibt sich nicht nur aus Art. 6 II 2 GG, sondern in erster Linie aus Art. 1 I 2 GG, der dem Staat den Schutz der Menschenwürde vorschreibt. Vgl. Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 1, Rn. 14. Vgl. zum Schutz der Menschenwürde des Kindes durch den Staat auch BVerfGE 24, 119, 144; 74, 102, 124 f. 395 So etwa Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903. 396 Jerouschek, NStZ 2008, 313, 319. 397 Jerouschek, NStZ 2008, 313, 319; vgl. Schneider, Männliche Beschneidung, S. 91 f. 392

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

213

Es wurde bereits erörtert, dass Art. 6 II 1 GG i.V. m. Art. 4 I, II GG das pflichtgebundene Recht der Eltern zur religiösen Erziehung des Kindes garantiert.398 Sie verwirklichen stellvertretend für ihren Sohn dessen (religiöse) Selbstbestimmung,399 indem sie ihn im Sinne der jeweiligen Religionsvorschriften erziehen und ihn entsprechend auch beschneiden lassen. Die Beschneidung soll religiöse Identität stiften und dem Knaben das Aufwachsen in der jeweiligen Religion in vollem Umfang ermöglichen.400 Eine solche Identitätsstiftung kann nicht als „Stigmatisierung“ gekennzeichnet werden. Etwas anderes kann sich allenfalls in besonders extremen Fällen ergeben, in denen die Eltern ausschließlich für eigene Zwecke in den nicht indizierten Eingriff einwilligen. Ein Angriff auf die Menschenwürde kann etwa dann vorliegen, wenn es den Eltern allein um ihren eigenen Status oder darum geht, das Kind in ihrem Interesse „verschönern“ zu lassen.401 Die Würde des Kindes ist aber bereits dann nicht berührt, wenn die Eltern mit dem ästhetischen Eingriff noch andere als eigene Zwecke verfolgen, wenn sie etwa durch die Korrektur von abstehenden Ohren das Kind vor Hänseleien schützen wollen.402 Insofern liegt auch kein Angriff auf die Würde des Kindes vor, wenn die Eltern in die Zirkumzision nicht aus religiösen, sondern allein aus hygienischen oder aus (durchaus anzweifelbaren403) medizinischen Gründen einwilligen. Es bleibt also festzuhalten, dass Art. 1 I GG eine absolute Grenze des elterlichen Entscheidungsbereichs darstellt und insofern das die elterliche Dispositionsbefugnis begrenzende Kindeswohl konkretisiert. Diese Grenze ist aber im Falle der stellvertretenden Einwilligung in die Vornahme der Zirkumzision – egal ob religiös motiviert oder nicht – nicht erreicht.404 398

Vgl. oben E.II. Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 400 Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis; Staszewski, Goldener Schnitt; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 452. Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128, spricht zutreffend davon, dass die Beschneidung von großer Wichtigkeit „für das kulturell-religiöse Selbstverständnis der Betroffenen“ ist. Vgl. auch OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581. 401 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 269. Er sieht etwa in der „Verschönerung“ des Kindes durch eine Brustvergrößerung einen Angriff auf dessen Menschenwürde. 402 Ähnlich Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 269. 403 Vgl. hierzu oben B.III.2.a). 404 Dies gilt für die stellvertretende Einwilligung in die zwar nicht indizierte, aber lege artis und unter vorheriger Betäubung durchgeführte Zirkumzision. Wird die Beschneidung ohne vorherige Betäubung vorgenommen und kommt hierin die fehlende Achtung vor den Schmerzen des Knaben zum Ausdruck, so ist dies als Angriff auf dessen Würde zu qualifizieren und überschreitet die Schranke des Kindeswohls. Zur stellvertretenden Einwilligung in die Vornahme der Zirkumzision ohne vorausgehender Be399

214

E. Die stellvertretende Einwilligung

bb) Exkurs: Die absolute Grenze der Menschenwürde im Hinblick auf die Genitalverstümmelung Um das Ergebnis zu verdeutlichen, sei ein kurzer Blick auf den Fall der stellvertretenden Einwilligung in die Genitalverstümmelung von Mädchen405 geworfen, die im Hinblick auf die Grenze des Art. 1 I GG anders zu beurteilen ist: Auch wenn die Motivation zur Vornahme des Eingriffs zum Teil religiöse Hintergründe hat,406 handelt es sich um einen schwerwiegenden Eingriff, der gravierende physische und psychische Folgen nach sich zieht.407 Außerdem ist er – worin gerade das Ziel der Genitalverstümmelung liegt – mit dem Verlust des sexuellen Lustempfindens verbunden.408 Daher wird – anders als im Fall der Knabenbeschneidung – das Mädchen durch die Genitalverstümmelung zum bloßen Objekt degradiert, ihm werden wesentliche Identitätsmerkmale genommen. Damit stellt die stellvertretende Einwilligung hierin einen Angriff auf die Menschenwürde dar und überschreitet die absolute Grenze des Art. 1 I GG.409 Dies bedeutet, dass die stellvertretende Einwilligung durch die Eltern oder sonstige Vertreter in die Genitalverstümmelung aufgrund mangelnder Dispositionsbefugnis stets unwirksam ist.410 d) Ergebnis Aus den objektivierbaren Grundrechtspositionen des Kindes ergeben sich Konkretisierungen des Kindeswohls, die die elterliche Dispositionsbefugnis begrenzen.411 Im Falle der Einwilligung in die Knabenbeschneidung sind allerdings nur Grundrechte des Kindes betroffen, die der Ausfüllung durch die Eltern bedürfen und die entsprechend nicht für sich genommen den elterlichen Verantwortungsbereich begrenzen können.

täubung vgl. unten i. R. d. Grenze des § 1631 II BGB, E.IV.3.a)bb)(2); vgl. auch Abschn. E, Fn. 453. 405 Zum Begriff vgl. oben D.IV.5.c); Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f. 406 Vgl. hierzu Zähle, AöR 134 (2009), 434, 442; Küng, Islam, S. 676; Gollaher, Geschlecht, S. 239 f. 407 Vgl. BGH, NJW 2005, 672, 673. 408 Zu dem Ganzen: Gollaher, Geschlecht, S. 243; Küng, Islam, S. 676 f.; Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 47 ff.; vgl. auch die Ausführungen des BGH, NJW 2005, 672, 673; OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521, 3522. 409 Vgl. auch Palandt-Götz, § 1666, Rn. 21; BGH, NJW 2005, 672 ff.; Wüstenberg, Der Gynäkologe 2006, 824, 826; Zielcke, SZ v. 06.07.2012, S. 13. 410 Bereits die eigene Einwilligung der Rechtsgutsträgerin selbst in die Genitalverstümmelung überschreitet die Schranke des § 228 StGB und ist daher nicht wirksam, vgl. hierzu D.IV.5.c). 411 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

215

Die absolute Grenze des Art. 1 I GG, die als objektivierbare Grundrechtsposition den elterlichen Verantwortungsbereich begrenzt, greift dagegen im Falle der stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung nicht ein. 3. Einfachgesetzliche Ausgestaltungen des elterlichen Erziehungsrechts als Konkretisierung des Kindeswohls Über die gerade getroffenen Ausführungen hinausgehend ist das den Art. 6 II GG beherrschende Leitprinzip des Kindeswohls, das die strafrechtliche Dispositionsbefugnis der Eltern begrenzt, auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht näher konkretisiert. Daher wird im Folgenden insofern auf die den Art. 6 II GG ausgestaltenden einfachgesetzlichen Regelungen eingegangen,412 als sich hieraus Konkretisierungen des Kindeswohls ergeben.413 Im Folgenden werden zunächst solche einfachgesetzliche Regelungen besprochen, die spezielle, einzelne Aspekte des Kindeswohls betreffen. Im Anschluss daran sind die den Regelungen zu entnehmenden allgemeinen Konkretisierungen des Kindeswohls zu besprechen, die der elterlichen Dispositionsbefugnis generelle Schranken aufzeigen. a) Die Konkretisierungen des Kindeswohls in speziellen Bereichen aa) Der absolute Ausschluss der elterlichen Dispositionsbefugnis Einige einfachgesetzliche Konkretisierungen des Kindeswohls gehen dahin, dass sie die elterliche Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in speziellen Bereichen sehr weitgehend beschränken oder sogar insgesamt – absolut – ausschließen. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung414 sind sie auch i. R. d. strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung für den Minderjährigen zu beachten. So findet sich eine Konkretisierung des Kindeswohls im § 1631c S. 1 BGB,415 der als absolute Schranke des elterlichen Erziehungsrechts die stellvertretende

412 Seiner Verpflichtung zur Ausgestaltung und Konkretisierung des Art. 6 II GG (vgl. BVerfGE 84, 168, 180) hat der Gesetzgeber v. a. durch die §§ 1626 ff. BGB Genüge getan, vgl. Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904 m.w. N. 413 Es handelt sich bei den Konkretisierungen des Kindeswohls um gesetzgeberische und damit verbindliche Entscheidungen. Sofern sie die Wertungen des Art. 6 II GG berücksichtigen, können sie als Kindeswohlkonkretisierungen auch Schranken der elterlichen Dispositionsbefugnis im Strafrecht darstellen. Vgl. auch Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 904. Beachtlichkeit erfahren diese Regelungen auch im Sinne der Einheit der Rechtsordnung. Vgl. hierzu allgemein Jakobs, Strafrecht AT, 11/4 ff. 414 Vgl. hierzu allgemein Jakobs, Strafrecht AT, 11/4 ff. 415 Vgl. auch § 1905 BGB (Sterilisation Volljähriger, die unter Betreuung stehen).

216

E. Die stellvertretende Einwilligung

Einwilligung der Eltern416 in die Sterilisation ihres Kindes verbietet.417 Eine solche ist demnach stets als Kindeswohlüberschreitung zu qualifizieren und kann daher aufgrund fehlender Dispositionsbefugnis niemals wirksam sein.418 Weitere Beispiele, in denen die Dispositionsbefugnis der gesetzlichen Vertreter weitgehend beschränkt oder absolut ausgeschlossen ist, finden sich etwa in § 8 I Nr. 1a TPG, der die Organentnahme nur beim volljährigen, einwilligungsfähigen Spender erlaubt, in § 2 I Nr. 3 KastrG, der die Einwilligung in die Kastration vor Vollendung des 25. Lebensjahrs419 und damit auch die stellvertretende Einwilligung für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen hierin verbietet, oder etwa in § 40 IV AMG, nach dem eine stellvertretende Einwilligung in die klinische Prüfung von Arzneimitteln am Minderjährigen nur in engen Grenzen möglich ist.420 Diese genannten Beispiele betreffen allerdings allein Spezialbereiche und sind für die Frage nach der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung irrelevant. bb) Konkretisierung des Kindeswohls durch das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung aus § 1631 II BGB § 1631 II BGB konkretisiert das Kindeswohl über das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung. Die Norm macht deutlich, was „Pflege und Erziehung“ in Art. 6 II 1 GG meint.421 Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung422 ist das ausdrückliche Verbot bestimmter Erziehungsmaßnahmen auf strafrechtlicher Ebene nicht nur als Verbot bestimmter, unter § 223 StGB fallender Handlungen der Eltern relevant,423 sondern stellt gleichzeitig eine das Kindeswohl konkretisierende Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung für das Kind dar.424

416 Nach der paternalistischen Regelung des § 1631c S. 2 BGB darf auch das Kind selbst nicht in seine eigene Sterilisation einwilligen, selbst wenn es in diesem Bereich einwilligungsfähig ist. Vgl. zur Problematik dieser Regelung in ihrer Absolutheit Gaidzik/Hiersche, MedR 1999, 58, 61 ff. 417 Palandt-Götz, § 1631c, Rn. 1; vgl. zu historischen Aspekten Gaidzik/Hiersche, MedR 1999, 58 ff. 418 Vgl. auch SK-Horn/Wolters, § 228, Rn. 18a. 419 Vgl. aber auch § 4 I 2 KastrG für Behandlungen, die nicht zum Ziel haben, die Keimdrüsen dauerhaft funktionsunfähig zu machen, die aber dieses Risiko mit sich bringen. 420 Vgl. hierzu ausführlich Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, D.I.2. 421 Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 6, Rn. 52. 422 Vgl. hierzu allgemein Jakobs, Strafrecht AT, 11/4 ff. 423 Vgl. hierzu Beulke, in: FS Schreiber, 29 ff. 424 s. auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 333.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

217

(1) § 1631 II 1 BGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung Entsprechend einer Konkretisierung der Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis durch § 1631 II BGB wird dabei teilweise – zuletzt auch vom LG Köln in seiner umstrittenen Entscheidung425 – auf den in § 1631 II 1 BGB genannten pauschalen Begriff der Gewalt abgestellt und auf dieser Grundlage die Dispositionsbefugnis der Eltern zur stellvertretenden Einwilligung in die Zirkumzision ausgeschlossen:426 Ohne Beantwortung der Frage, was „Gewalt“ i. S. d. § 1631 II 1 BGB überhaupt meint,427 wird die Beschneidung als solche eingestuft. Letztlich wird der Gewaltbegriff i. S. d. § 1631 II 1 BGB mit dem Begriff des körperlichen Eingriffs i. S. d. § 223 I StGB gleichgesetzt,428 sodass es zu einem wenig zielführenden Zirkelschluss kommt.429 Denn es gilt ja gerade die Frage zu beantworten, wo die Grenzen der stellvertretenden Einwilligung in solche körperliche Eingriffe beim Kind liegen. Bevor also der Begriff der Gewalt i. S. d. § 1631 II 1 BGB nicht hinreichend präzisiert wurde, kann die Knabenbeschneidung hierunter auch nicht subsumiert werden.430 Konkretisierung findet das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung i. S. d. § 1631 II 1 BGB in den durch § 1631 II 2 BGB normierten Verboten,431 sodass sich die Frage stellt, ob die Knabenbeschneidung als ein von dieser Norm verbotenes Erziehungsmittel zu qualifizieren ist. (2) § 1631 II 2 BGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung Zunächst sind gemäß § 1631 II 2 BGB körperliche Bestrafungen verboten, worunter insbesondere Schläge, Prügel, Ohrfeigen, Klapse sowie festes Zupacken und Bedrängen zu verstehen sind.432 Dieses Verbot gilt unabhängig davon, ob der körperliche Zugriff aus religiösen Motiven erfolgt.433 425

NJW 2012, 2128, 2129. MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 143; ebenso Herzberg, ZIS 2012, 486 f., 493 f.; in eine ähnliche Richtung Neumann, DRiZ 2012, 221, 222. 427 Vgl. Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345. 428 MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 143, hält die in der Beschneidung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit jedenfalls für unangemessen, was sich aus der Wertung des § 1631 II 1 BGB ergebe. Denn der Gesetzgeber habe sich dort gegen gewaltsame Erziehungsmaßnahmen entschieden und damit auch die körperliche Unversehrtheit des Kindes vor religiös motivierter Gewalt geschützt. Ihm folgt das LG Köln, NJW 2012, 2128, 2129. 429 Vgl. Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345. Gleiches gilt für den Versuch, als Grenze der stellvertretenden Einwilligung in § 223 StGB das Verbot der Körperverletzung i. S. d. § 223 StGB heranzuziehen. Vgl. dazu bereits oben E.IV.2.b). 430 Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345. 431 Vgl. MK-BGB-Huber, § 1631, Rn. 19; Bartsch, StV 2012, 604, 608. 432 Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. Insofern die körperliche Bestrafung die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, ist sie als körperliche Misshandlung nach §§ 223 ff. StGB 426

218

E. Die stellvertretende Einwilligung

Darüber hinaus sind seelische Verletzungen untersagt. Dieser Begriff ist zur Vermeidung von unangemessenem staatlichem Einschreiten vorsichtig zu interpretieren.434 Es geht um Grausamkeiten gegenüber dem Kind unabhängig von körperlichen Einwirkungen,435 also etwa um verbale Ausdrücke der Nichtachtung oder der Verachtung.436 Das Verbot entwürdigender Maßnahmen ist als Auffangtatbestand konzipiert und meint – neben körperlichen Bestrafungen und seelischen Verletzungen – seelische Maßnahmen, wodurch das Kind der Verachtung oder dem Gespött anderer Personen ausgesetzt437 bzw. das Ehrgefühl oder die Selbstachtung des Kindes unzulässig beeinträchtigt wird.438 Erstens stellt sich die Frage, ob die Beschneidung als körperliche Bestrafung i. S. d. § 1631 II 2 Var. 1 BGB zu qualifizieren ist. Zwar handelt es sich bei der Zirkumzision um einen körperlichen Eingriff. Es zeigt aber schon der Gesetzeswortlaut „Bestrafung“, dass nicht jede körperliche Einwirkung von § 1631 II 2 Var. 1 BGB verboten wird.439 Außerdem wird mit Blick auf andere nicht indizierte, aber dennoch zulässige körperliche Eingriffe beim Kind – etwa das Stechen von Ohrlöchern oder das Schneiden der Haare – deutlich, dass nicht jede körperliche Maßnahme eine Bestrafung darstellen kann.440 Berücksichtigt man, dass die Beschneidung von Knaben als religiöses Identifikationsmerkmal dient und sie außerdem aus hygienischen bzw. medizinischen Gründen vorgenommen wird, so lässt sich nicht begründen, dass ihr der Charakter einer Bestrafung innewohnt.441 Insofern überschreitet die stellvertretende Einwilligung hierin nicht die Grenze der verbotenen körperlichen Bestrafung als Konkretisierung des Kindeswohls. strafbar, vgl. Roxin, JuS 2004, 177, 179. Vgl. dort auch zur Diskussion um den § 1631 II BGB. 433 Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. 434 Schwab, Familienrecht, Rn. 649. 435 Schwab, Familienrecht, Rn. 649. 436 Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. 437 Dies wird zum Teil auch als seelische Verletzung angesehen, vgl. Schwab, Familienrecht, Rn. 649. 438 Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. 439 MK-BGB-Huber, § 1631, Rn. 22. 440 Im Sinne des § 1631 II 2 BGB muss der körperliche Eingriff den Charakter einer Bestrafung aufweisen, vgl. auch – mit anderem Ergebnis – Herzberg, JZ 2009, 332, 333; darüber hinausgehend wird zum Teil angenommen, dass die Bestrafung auch entwürdigenden Charakter haben muss, so Beulke, in: FS Schreiber, 29, 39; Kühl, StGB, § 223, Rn. 11; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 20, Rn. 18; anders Otto, Jura 2001, 670, 671. 441 Sie hat außerdem keinen entwürdigenden Charakter. Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

219

Zweitens ist fraglich, ob die Knabenbeschneidung als seelische Verletzung eingestuft werden muss. Diesbezüglich wird zum Teil argumentiert, dass die muslimische Beschneidung fast immer mit einer seelischen Verletzung verbunden sei, da die Qualen des Kindes Teil der „richtigen“ Beschneidung seien, während die starke, in Deutschland übliche Betäubung das Ritual entwerte.442 Wird der Eingriff ohne Betäubung vorgenommen, so führt dies in der Tat zu großen Schmerzen und Leiden des Betroffenen,443 die unnötig sind, da das vorherige Narkotisieren ohne Weiteres möglich ist.444 Kommt es den einwilligenden Eltern gerade auf die Schmerzen des Kindes an und willigen sie aus diesem Grund in die Vornahme der Beschneidung ohne vorherige Betäubung ein, so kommt hierin die fehlende Achtung vor den Schmerzen und Leiden des Jungen zum Ausdruck, sodass eine seelische Verletzung i. S. d. § 1631 II 2 Var. 2 BGB gegeben ist,445 die zudem entwürdigenden Charakter aufweist.446 Die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Vornahme einer Beschneidung ohne Betäubung, um den Knaben bewusst den starken Schmerzen auszusetzen, überschreitet daher die Grenze des Kindeswohls,447 sodass sich die Eltern außerhalb ihrer Dispositionsbefugnis befinden, was zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt. Diese Bewertung ist allerdings bereits in den Fällen zweifelhaft, in welchen den Einwilligenden gar nicht bewusst ist, dass für den Jungen mit dem Eingriff starke Schmerzen verbunden sind, da dann gerade nicht von einer fehlenden Achtung vor den Leiden des Kindes ausgegangen werden kann.448 In solchen 442 So Herzberg, JZ 2009, 332, 333, bezugnehmend auf Kelek, Söhne, S. 109 ff. und S. 133 ff., die über das Ritual der Beschneidung in der Türkei berichtet. Dieser Bericht kann aber nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland übertragen werden; vgl. zum Aspekt der Schmerzen auch Putzke, in: FS Herzberg, 669, 678. 443 Vgl. oben B.III.2.b)dd). 444 Jedenfalls für Deutschland gesprochen, vgl. auch LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244. Demgegenüber baut Herzberg, JZ 2009, 332, 333, seine Argumentation auf die in Anatolien typische Vornahme des Rituals auf. 445 Gleichzeitig ist auch die Grenze des Verbots entwürdigender Maßnahmen i. S. d. § 1631 II 2 Var. 3 BGB überschritten, der allerdings eine Auffangregelung zu den ersten beiden Varianten darstellt. Vgl. Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. 446 Beulke, in: FS Schreiber, 29, 39, interpretiert § 1631 II BGB dahingehend, dass sowohl die körperliche Bestrafung als auch die seelische Verletzung entwürdigenden Charakter haben müsse; ebenso Kühl, StGB, § 223, Rn. 11; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 20, Rn. 18; anders Otto, Jura 2001, 670, 671. 447 Im Fall der Einwilligung in die Beschneidung ohne vorausgehende Betäubung ist außerdem die absolute Grenze des Art. 1 I GG überschritten, sofern hierin die fehlende Achtung vor den Schmerzen und den Leiden des Jungen zum Ausdruck kommt, vgl. hierzu auch oben E.IV.2.c)aa), insbesondere Abschn. E, Fn. 404. 448 Hierunter fällt etwa der Fall, dass – fälschlicherweise – von einer Schmerzunempfindlichkeit von Säuglingen ausgegangen wird. So nimmt etwa Rosenkranz, Bund der Beschneidung, S. 2 f., an, dass aufgrund der fehlenden Ausreifung der Schmerznerven bei Neugeborenen die Beschneidung bis spätestens zehn Tage nach der Geburt ohne Betäubung durchgeführt werden könne. Ausgehend von einer falschen Tatsachengrundlage

220

E. Die stellvertretende Einwilligung

Konstellationen würde aber jedenfalls die allgemeine Schranke der Kindeswohlgefährdung eingreifen, sodass die stellvertretende Einwilligung aus diesem Grunde unwirksam wäre.449 Darüber hinaus ist der zentrale Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit die Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung in Deutschland, wo der Eingriff in der Regel450 unter vorheriger Betäubung vorgenommen wird.451 Dabei erleidet der Junge keine unnötigen Schmerzen beim Eingriff selbst.452 Im vorherigen Betäuben kommt die Achtung vor den Schmerzen und Leiden des Kindes zum Ausdruck, sodass in diesen Fällen nicht von einer seelischen Verletzungen i. S. d. § 1631 II 2 Var. 2 BGB gesprochen werden kann453 und die Eltern damit auch nicht das Kindeswohl als Grenze ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis überschreiten.454 In der Beschneidung ist drittens keine andere entwürdigende Maßnahme i. S. d. § 1631 II 2 Var. 3 BGB zu sehen. Mit der religiösen Identitätsstiftung455 soll dem Kind gerade Würde verliehen werden. Es wird weder dem Gespött anderer ausgesetzt noch wird seine Selbstachtung beeinträchtigt.456 Die sich aus § 1631 II BGB ergebenden Konkretisierungen der Schranken der elterlichen Dispositionsbefugnis greifen im Hinblick auf die stellvertretende Einwilligung in die Knabenbeschneidung also nicht ein.457 kommt hier gerade die Achtung vor den Schmerzen des Kindes zum Ausdruck, da nach dem zehnten Tag eine Betäubung erfolgen soll. Daher ist das Vorliegen einer (vorsätzlichen) seelischen Verletzung oder anderen entwürdigenden Maßnahme in diesem Fall zu verneinen. 449 I. E. ebenso Merkel, SZ v. 25.08.2012, S. 12; s. auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 334; vgl. hierzu unten E.V., insbesondere Abschn. E, Fn. 619. 450 Allerdings nicht stets, vgl. hierzu etwa Merkel, SZ v. 25.08.2012, S. 12. Wie soeben ausgeführt, hat die Vornahme des Eingriffs ohne Betäubung allerdings die Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung zur Folge. 451 Dies gehört zum medizinischen Standard, vgl. oben B.III.2.b)dd) sowie Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society, CanMedAssocJ 154 (1996), 769, 775; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 135; so auch Herzberg, JZ 2009, 332, 333; auch in dem der Entscheidung des LG Köln, NJW 2012, 2128, zugrunde liegenden Fall wurde die Beschneidung unter vorheriger örtlicher Betäubung des Kindes durchgeführt. 452 Dass – in ihrem Ausmaß erheblich geringere – Heilungsschmerzen trotzdem bestehen, kann nicht vermieden werden. Hier handelt es sich aber nicht um zusätzliche, sondern um unvermeidbare Schmerzen, die nicht den Charakter einer seelischen Verletzung bzw. einer anderen entwürdigenden Maßnahme i. S. d. § 1631 II BGB haben. 453 Insofern kann in diesen Fällen auch kein Angriff auf die Menschenwürde gesehen werden, vgl. hierzu auch Abschn. E, Fn. 404. 454 Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138. 455 Vgl. etwa Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis; Staszewski, Goldener Schnitt. 456 Vgl. zu diesen Voraussetzungen Palandt-Götz, § 1631, Rn. 7. 457 Ähnlich Putzke, in: FS Herzberg, 669, 693, allerdings vor dem Hintergrund eines anderen Beurteilungsmaßstabs.

IV. Die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis

221

(3) Exkurs: § 1631 II BGB im Hinblick auf die Genitalverstümmelung Anders ist die stellvertretende Einwilligung in die Genitalverstümmelung von Mädchen in oben beschriebenem Sinne458 zu beurteilen. Diese stellt auch bei einer Durchführung nach allen Regeln der ärztlichen Kunst459 einen solch schweren Eingriff mit extremen physischen und psychischen Folgen dar,460 dass eine Einwilligung der Eltern hierin die das Kindeswohl konkretisierenden Grenzen des § 1631 II BGB überschreitet: Erblickt man in ihr nicht schon eine körperliche Bestrafung, was mit dem Verweis auf den religiösen bzw. rituellen Hintergrund verneint werden kann, so stellt sie stets eine seelische Verletzung dar, die außerdem entwürdigenden Charakter hat. Mit der stellvertretenden Einwilligung in die Genitalverstümmelung befinden sich die Eltern nicht mehr innerhalb der Grenzen des durch § 1631 II BGB konkretisierten Kindeswohls.461 b) Die allgemeinen Konkretisierungen des Kindeswohls Spezielle Schranken der elterlichen Dispositionsbefugnis greifen im Hinblick auf die Knabenbeschneidung nicht ein. Damit stellt sich die Frage, ob die Eltern mit der stellvertretenden Einwilligung in die Zirkumzision die sich aus den einfachgesetzlichen Regelungen ergebenden allgemeinen Schranken ihrer Dispositionsbefugnis überschreiten. Hierfür ist auf die sich aus § 171 StGB und § 1666 I BGB ergebenden Konkretisierungen des Kindeswohls einzugehen. aa) Konkretisierung durch § 171 StGB § 171 StGB regelt die Strafbarkeit des Sorgeberechtigten462 im Falle einer gröblichen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht. Erfüllen die Eltern durch die Einwilligung in die Beschneidung ihres Sohnes diesen Tatbestand, so können sie sich nicht mehr innerhalb ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung befinden. Das Kindeswohl, das insofern von der einfachgesetzlichen Regelung des § 171 StGB konkretisiert wird, wäre dann überschritten, was zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führen würde. 458

Vgl. oben D.IV.5.c); Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f. Eine Durchführung des Eingriffs nach allen Regeln der ärztlichen Kunst und unter hygienischen Bedingungen ist allerdings eher selten der Fall, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff. 460 Vgl. BGH, NJW 2005, 672, 673. 461 Auf diese Grenzen kommt es freilich nicht mehr an, da im Falle der Genitalverstümmelung von Mädchen bereits die absolute Grenze der Menschenwürde eingreift, vgl. oben E.IV.2.c)bb). 462 Vgl. für die Eltern § 1626 I BGB. Zu weiteren Arten der Fürsorge- und Erziehungspflicht vgl. SSW/StGB-Wittig, § 171, Rn. 3. 459

222

E. Die stellvertretende Einwilligung

Unter einer gröblichen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht wird eine Verletzung von erheblichem Umfang verstanden, die objektiv „in besonders deutlichem Widerspruch zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Erziehung“ steht und subjektiv an der Leistungsfähigkeit des Sorgeberechtigten gemessen „ein hohes Maß an Verantwortungslosigkeit erkennen lässt“.463 Dadurch müsste die konkrete464 Gefahr einer erheblichen Entwicklungsstörung in körperlicher oder psychischer Hinsicht herbeigeführt werden.465 Eine erhebliche Entwicklungsstörung ist dabei die dauernde und nachhaltige Störung des körperlichen oder geistig-seelischen Reifungsprozesses.466 (1) § 171 StGB im Hinblick auf die Knabenbeschneidung Die stellvertretende Einwilligung in die Knabenbeschneidung steht schon in objektiver Hinsicht nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Erziehung. Es wurde bereits ausgeführt, dass durch den Akt religiöse Identität gestiftet wird,467 wodurch die Eltern ihrem Erziehungsauftrag ja gerade nachkommen. Insofern ist auch keine Verantwortungslosigkeit des elterlichen Handelns erkennbar. Darüber hinaus verursacht der Eingriff weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht die konkrete Gefahr einer dauernden oder nachhaltigen Störung des Reifungsprozesses des Kindes. Die Einwilligung in die religiös motivierte Zirkumzision des Sohnes fällt nicht unter den Tatbestand des § 171 StGB und überschreitet in dieser Hinsicht nicht die Schranke des Kindeswohls. (2) Exkurs: § 171 StGB im Hinblick auf die Genitalverstümmelung Anders ist die Sachlage bei der stellvertretenden Einwilligung in die Genitalverstümmelung in oben beschriebenem Sinne468 zu beurteilen: Diese steht schon objektiv in besonders deutlichem Widerspruch zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Erziehung. Auch subjektiv lässt sie in der Regel ein hohes Maß an Verantwortungslosigkeit der Eltern erkennen. Durch die Vornahme des Ein463 SSW/StGB-Wittig, § 171, Rn. 7; Kühl, StGB, § 171, Rn. 2; Sch/Sch-Lenckner/ Bosch, § 171, Rn. 4. 464 SSW/StGB-Wittig, § 171, Rn. 9. 465 Die beiden Varianten der Gefahr, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, kommen beim vorliegenden Untersuchungsgegenstand von vornherein nicht in Betracht. 466 Kühl, StGB, § 171, Rn. 3; Sch/Sch-Lenckner/Bosch, § 171, Rn. 6 f.; SSW/StGBWittig, § 171, Rn. 10 f.; BGH, NStZ 1982, 328 f. 467 Vgl. etwa Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis; Staszewski, Goldener Schnitt. 468 Vgl. oben D.IV.5.c); Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

223

griffs wird die konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsstörung des Kindes verursacht, und zwar sowohl in körperlicher,469 vor allem aber auch in geistig-seelischer Hinsicht.470 Die Einwilligung der Eltern in die Genitalverstümmelung ihrer Tochter erfüllt daher den Tatbestand des § 171 StGB, sodass die Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis auch in dieser Hinsicht überschritten ist. bb) Konkretisierung durch § 1666 I BGB Als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung verbleibt damit die sich aus § 1666 I BGB ergebende Schranke der Kindeswohlgefährdung. Diese ist enger als die des § 171 StGB, sodass Letzterer zur Begrenzung der elterlichen Dispositionsbefugnis im Ergebnis keine eigene Relevanz zukommt. Denn es wird auch stets eine Kindeswohlgefährdung gegeben sein, wenn die Grenze des § 171 StGB überschritten ist. Die entscheidende allgemeine Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung für ihr Kind liegt damit in der Kindeswohlgefährdung. Auf diese zentrale Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis wird im Folgenden näher eingegangen.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung § 1666 I BGB soll als Ausprägung des staatlichen Wächteramts i. S. d. Art. 6 II 2 GG das Kind in umfassender Weise bei Gefährdungen von dessen Wohl schützen und stellt die zentrale Rechtsgrundlage für Eingriffe ins elterliche Erziehungsrecht i. S. d. Art. 6 II 2 GG dar.471 In der Regelung kommt zum Ausdruck, wo der verfassungsrechtlich garantierte Verantwortungsbereich der Eltern endet: Eine elterliche Entscheidung überschreitet dort das Kindeswohl, wo dasselbe gefährdet ist.472 Damit ist in der Kindeswohlgefährdung die am allgemeinsten ge-

469

Vgl. zu den Risiken Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff. Die Entwicklung des Kindes in psychischer Hinsicht meint die gesamte geistige und seelische Entwicklung, sodass unter eine Gefährdung derselben etwa auch die völlige Verängstigung aufgrund von schwerer Misshandlung zu fassen ist, vgl. Sch/SchLenckner/Bosch, § 171, Rn. 7. Die schwerwiegende Misshandlung in Form einer Genitalverstümmelung begründet die konkrete Gefahr solcher psychischer Fehlentwicklungen, die durchaus mit den anderen in § 171 StGB genannten Gefahren vergleichbar ist. 471 MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 1; Coester, FPR 2009, 549; Palandt-Götz, § 1666, Rn. 1; vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 104. 472 Vgl. Coester, FPR 2009, 549, 550; vgl. auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 103 ff. 470

224

E. Die stellvertretende Einwilligung

haltene und zugleich bedeutendste Schranke der strafrechtlichen Dispositionsbefugnis der Eltern zu sehen.473 § 1666 I BGB macht die Kindeswohlgefährdung zur zentralen Eingriffsvoraussetzung474 und knüpft nicht (mehr) an elterliches Verhalten an.475 Damit ist auch als Grenze der strafrechtlichen Dispositionsbefugnis das Wohl des Kindes alleiniger Orientierungsmaßstab:476 Es kommt nicht etwa auf missbräuchliches Handeln der Eltern oder Ähnliches an,477 vielmehr sind die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis ausschließlich orientiert am Kindeswohl zu ziehen. Eine Gefährdung desselben i. S. d. § 1666 I BGB wird im Allgemeinen als die gegenwärtige und begründete Besorgnis definiert, dass das Kindeswohl eine erhebliche Beeinträchtigung erfährt, wenn das Gericht nicht eingreift.478 Durch die Bezugnahme auf das „körperliche, geistige oder seelische“ Kindeswohl wird in erster Linie deutlich gemacht, dass es um den umfassenden Schutz des Kindes geht.479 Eine Kindeswohlgefährdung kann dementsprechend in den unterschiedlichsten Bereichen auftreten.480 Im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung ist sie im Sinne eines liberalen Einwilligungsmodells481 dahingehend auszulegen, dass eine Kindeswohlgefährdung immer dann gegeben ist, wenn die stellvertretende Einwilligung der Eltern nicht mehr als Ausdruck der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes gewertet werden kann. Da im Hinblick auf die stellvertretende Einwilligung in die Zirkumzision die oben besprochenen besonderen Schranken, die das Kindeswohl – bzw. die Ge473 Ähnlich Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128. Insofern geht die Funktion des § 1666 BGB über eine „Indizfunktion für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs beim strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdelikt“ hinaus. Zu Letzterem Rixen, MedR 1997, 351, 353. 474 Außerdem müssen die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sein, die Gefahr abzuwenden, vgl. Palandt-Götz, § 1666, Rn. 3 und 28. Dieses Merkmal spielt i. R. d. Grenzen der Dispositionsbefugnis der Eltern im Strafrecht keine Rolle, da es den Eltern bei Abgabe einer stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht ja gerade darauf ankommt, dass der jeweilige Eingriff durchgeführt wird. Fraglich ist damit allein, ob durch den angestrebten Eingriff das Kindeswohl gefährdet wird. 475 Vor der Gesetzesänderung im Jahre 2008 war zusätzlich ein Sorgerechtsmissbrauch, eine Vernachlässigung des Kindes, unverschuldetes Versagen der Eltern oder ursächliches Verhalten eines Dritten erforderlich. Vgl. hierzu Meysen, NJW 2008, 2673; Palandt-Götz, § 1666, Rn. 3. Im Folgenden wird auf die Argumentation zum Sorgerechtsmissbrauch gemäß § 1666 I BGB a. F. insofern eingegangen, als sie durch die Änderung des Gesetzes ihre Aktualität nicht verloren hat. Der „Sorgerechtsmissbrauch“ als solcher wird aber nicht als eigenständige Voraussetzung der Kindeswohlgefährdung thematisiert. 476 Vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht Palandt-Götz, § 1666, Rn. 3 und 7 ff. 477 Anders Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133. 478 Palandt-Götz, § 1666, Rn. 8. Die Gefahr muss zudem gegenwärtig sein, vgl. Meysen, NJW 2008, 2673; MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 48. 479 Palandt-Götz, § 1666, Rn. 7. 480 Palandt-Götz, § 1666, Rn. 10. 481 Vgl. oben E.I.2.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

225

fährdung desselben – in einzelnen Bereichen konkretisieren, nicht eingreifen, stellt sich nunmehr die Frage, ob die Eltern die allgemeine Grenze ihrer Dispositionsbefugnis überschreiten, die in der Kindeswohlgefährdung liegt.482 1. Die Kindeswohlgefährdung als Risiko-Nutzen-Abwägung a) Unmöglichkeit der Beurteilung der Kindeswohlgefährdung anhand einzelner Kriterien Zum Teil wird versucht, die Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung in körperliche Eingriffe beim Kind an bestimmten einzelnen Kriterien festzumachen.483 Insbesondere existieren Bestrebungen, sie anhand der sich aus dem Eingriff ergebenden körperlichen Konsequenzen zu definieren. So wird etwa bei fehlender Indikation des Eingriffs484 bzw. bei mangelndem therapeutischen Nutzen desselben485 eine Kindeswohlgefährdung angenommen. Teilweise wird zusätzlich das Kriterium der Irreversibilität des Eingriffs herangezogen, nach dem die Eltern dann ihre Dispositionsbefugnis überschreiten, wenn sie in einen nicht indizierten und nicht reversiblen Eingriff einwilligen.486 In eine ähnliche Richtung geht das Kriterium der Aufschiebbarkeit,487 nach dem eine Kindeswohlgefährdung immer dann gegeben sein soll, wenn die Eltern in einen Eingriff einwilligen, der ohne Weiteres bis zum Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch das Kind aufschiebbar gewesen wäre.488 Aber auch an Aspekten wie der Schwere bzw. der Gefährlichkeit des Eingriffs könnte das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung festgemacht werden. Wie jedoch folgende Überlegungen zeigen, ist es weder sinnvoll noch zielführend, das Kindeswohl an den genannten einzelnen Kriterien festzumachen: Allein auf die Indikation als Kriterium der Kindeswohlgefährdung kann es nicht ankommen. Es wurde bereits festgestellt, dass die Eltern – jedenfalls teil482 Außerdem im § 171 StGB, dem allerdings im Vergleich zur allgemeinen Schranke der Kindeswohlgefährdung keine eigene Relevanz zukommt, vgl. oben E.IV.3.b)bb). 483 Nicht nur die „Kindeswohlgefährdung“ auf Grundlage des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung, sondern auch das „Kindeswohl“ auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung wird zum Teil anhand fester Kriterien zu definieren versucht. So etwa Kern, NJW 1994, 753, 756. 484 Reipschläger, Einwilligung, S. 114; vgl. auch Kern, NJW 1994, 753, 756, der das Kriterium der medizinischen Indikation zur abstrakten Kindeswohlbestimmung heranzieht. 485 So Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 269. 486 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 678 f., der diesen Aspekt in die Gesamtabwägung zur abstrakten Kindeswohlbestimmung einstellt. 487 Exner, Sozialadäquanz, S. 55 f.; vgl. Belling, FuR 1990, 68, 72. 488 Vgl. Exner, Sozialadäquanz, S. 55 f.

226

E. Die stellvertretende Einwilligung

weise – auch in nicht indizierte Eingriffe beim Kind einwilligen dürfen, so etwa in das Stechen von Ohrlöchern oder in die (nicht indizierte) Korrektur abstehender Ohren.489 Insofern kann nicht allein anhand der fehlenden Indikation das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung definiert werden.490 Dies verdeutlicht außerdem das Verbot der stellvertretenden Einwilligung in die nicht indizierte491 Sterilisation Minderjähriger durch § 1631c S. 1 BGB: Wäre die stellvertretende Einwilligung in nicht indizierte Eingriffe von vornherein ausgeschlossen, so wäre diese Regelung überflüssig.492 Ebenso untauglich sind für sich genommen die Kriterien der Irreversibilität bzw. der Aufschiebbarkeit des Eingriffs, auch wenn sie in Kombination mit der fehlenden Indikation verwendet werden. Zwar wird zum Teil argumentiert, dass die Eltern durch eine über die Volljährigkeit des Minderjährigen hinaus wirkende Entscheidung für einen körperlichen Eingriff nicht die Zukunft des Kindes vorprägen dürften.493 Dies wird teilweise unter Bezugnahme auf § 1626 II BGB begründet, der zum Ausdruck bringe, dass die Eltern der Einwilligungsfähigkeit des Kindes nicht „mit der unnötigen Minderung von Entscheidungsoptionen“ vorgreifen dürften.494 Zum Teil wird auch ein Vergleich zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogen, durch die eine zu weitreichende Vorprägung im rechtsgeschäftlichen Bereich verboten wurde.495 Der rechtsgeschäftliche Bereich kann aber erstens nicht ohne Weiteres als Vergleich zum körperlichen und schon gar nicht zum religiösen Bereich herangezo489 Weitere Beispiele bei Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 153: Hautverpflanzung nach Verbrennung, Beseitigung von Fehlbildungen. 490 Ebenso Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 153 f. 491 Vgl. Palandt-Götz, § 1631c, Rn. 1: Heilbehandlungen, die zur Sterilität führen können, sind nicht vom Verbot des § 1631c BGB umfasst. 492 Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 154; Valerius, JA 2010, 481, 484. Gegen dieses Argument lässt sich freilich wiederum einwenden, dass dem § 1631c BGB auch bloße Klarstellungsfunktion zukommen könnte. 493 Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 121 und 125 f.; Reipschläger, Einwilligung, S. 114. 494 Exner, Sozialadäquanz, S. 55 f., bezugnehmend auf § 1626 II BGB. Eine Alleinzuständigkeit des Kindes für aufschiebbare Maßnahmen kann der Norm aber gerade nicht entnommen werden, vgl. Abschn. E, Fn. 501. 495 Vgl. Belling, FuR 1990, 68, 72, bezugnehmend auf BVerfG, NJW 1986, 1859 = BVerfGE 72, 155. Ähnlich Reipschläger, Einwilligung, S. 114; vgl. Stumpf, DVBl. 2013, 141, 145. Nach BVerfGE 72, 155 ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen, dass ihn die Eltern nicht finanziell unbegrenzt verpflichten können (vgl. LS). Gewisse „Nachwirkungen der elterlichen Sorge sind [jedoch] auch im rechtsgeschäftlichen Bereich“ zulässig und ggf. sogar notwendig (S. 173). Es kommt darauf an, dass dem dann Volljährigen Raum zur selbstbestimmten Gestaltung seines Lebens ohne unzumutbare Belastungen bleibt, was nicht der Fall ist, wenn er mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit eintritt (S. 173).

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

227

gen werden. Nicht nur, dass körperliche Eingriffe regelmäßig über die Volljährigkeit – bzw. die Einwilligungsfähigkeit – hinaus wirken,496 ihre Auswirkungen können nicht pauschal mit den „erheblichen Schulden“ im rechtsgeschäftlichen Bereich verglichen werden, die dem Minderjährigen bei Eintritt in dessen Volljährigkeit nicht zuzumuten sind.497 Denn Letztere führen dazu, dass dem dann Volljährigen in finanzieller Hinsicht von vornherein kein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird, während körperliche Eingriffe, deren Auswirkungen bis in die Volljährigkeit hinreichen, jeweils nur einen einzelnen Aspekt der körperbezogenen Selbstbestimmung betreffen. Dass ein Vergleich des rechtsgeschäftlichen mit dem religiösen Bereich nicht möglich ist, zeigt auch § 1 KErzG, nach dem es gerade vorgesehen ist, dass die Eltern das Kind im religiösen Bereich in umfassender Weise prägen. Freilich gilt dies nur solange, bis das Kind selbst religionsmündig ist,498 die religiöse Erziehung des Kindes durch die Eltern wird aber regelmäßig über das Erreichen der Religionsmündigkeit durch das Kind hinaus in intensiver Weise weiter wirken. Zweitens ist eine solch weite Einschränkung der elterlichen Entscheidungsoptionen – und damit der Möglichkeit der stellvertretenden Verwirklichung der körperbezogenen (und religiösen) Selbstbestimmung des Kindes499 – nicht mit Art. 6 II 1 GG vereinbar, der den Eltern in weitreichendem Maße eine Vorprägung des Kindes erlaubt.500 Eine sinnvolle elterliche Erziehung ist ohne die Minderung von Entscheidungsoptionen für das Kind gar nicht möglich.501 Erziehung bedeutet doch gerade Einflussnahme auf das Kind, sodass eine Kindeswohlgefährdung als Grenze des elterlichen Entscheidungsbereichs nicht per se schon bei einer Einwilligung in eine nicht indizierte, irreversible bzw. aufschiebbare Maßnahme bejaht werden kann. Denn Erziehung i. S. d. Art. 6 II GG ist nicht darauf

496 Dies zeigen nicht zuletzt die weiteren Ausführungen von Reipschläger, Einwilligung, S. 114. ff.; vgl. Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 154 f. 497 Vgl. BVerfGE 72, 155, 173. 498 Ab Vollendung des 12. Lebensjahrs darf das Kind nicht gegen seinen Willen in einer anderen Religion als bisher erzogen werden, ab Vollendung des 14. Lebensjahrs ist es religionsmündig, vgl. § 5 KErzG. 499 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 500 Die Möglichkeit einer gewissen Vorprägung wurde den Eltern ja auch für den finanziellen Bereich zugestanden, vgl. BVerfGE 72, 155, 173. 501 Entgegen Exner, Sozialadäquanz, S. 55 f., ergibt sich aus § 1626 II BGB nicht die Alleinzuständigkeit des Kindes im Hinblick auf aufschiebbare Maßnahmen, da dies die elterliche Erziehungsverantwortung aus Art. 6 II GG weitgehend aushebeln würde: Konsequent zu Ende gedacht, wäre Erziehung kaum noch sinnvoll möglich. Dass dies eine zu weitreichende Einschränkung der Elternverantwortung wäre, ergibt sich im Übrigen auch aus BVerfGE 24, 119, 145 f.; 79, 51, 63 f., auf die Exner in seiner Argumentation Bezug nimmt. Denn danach ist der Vorrang der Eltern bei der Erziehung grundsätzlich zu respektieren. Dem wird durch eine Definition der Kindeswohlgefährdung durch das Kriterium der Aufschiebbarkeit aber gerade nicht Genüge getan.

228

E. Die stellvertretende Einwilligung

angelegt, rückgängig gemacht zu werden, sondern darauf, das Kind hin zur Selbstverantwortung zu führen.502 Die Grenze der Kindeswohldefinition kann darüber hinaus nicht allein an der Schwere bzw. der Gefährlichkeit des Eingriffs festgemacht werden. Es kommt vielmehr darauf an, was mit der Vornahme eines schweren bzw. gefährlichen Eingriffs bezweckt wird. So wird man etwa kaum eine Kindeswohlgefährdung annehmen können, wenn das Ziel des Eingriffs in der Lebensrettung des Kindes liegt.503 Hier zeigt sich, dass es auch nicht das Risiko eines Eingriffs gibt,504 ab dem das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung angenommen werden muss, sondern dass es in Relation zu den anderen Aspekten des Eingriffs, insbesondere zum damit verfolgten Ziel, gesetzt werden muss. Es zeigt sich also, dass die genannten Kriterien nicht für sich genommen werden können, sondern dass es vielmehr einer Gesamtabwägung aller im Einzelfall relevanten Aspekte bedarf. Dies ergibt sich auch aus der rechtlichen Grundlage der stellvertretenden Einwilligung, die auf das (körperbezogene) Selbstbestimmungsrecht des Kindes zurückzuführen ist:505 Würde man die Grenzen der stellvertretenden Einwilligung allein anhand nicht abwägbarer medizinischer Kriterien definieren, so wäre keine echte stellvertretende Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung für das Kind möglich.506 Vielmehr würde das Rechtsgut des § 223 StGB auf die körperliche Unversehrtheit reduziert, ohne dass eine Selbstentfaltung des Kindes in körperlicher Hinsicht möglich wäre.507 Darüber hinaus handelt es sich beim „Kindeswohl“ um einen komplexen Begriff, der in allen Bereichen der Kindererziehung Relevanz hat508 und dem man daher nicht durch die Bestimmung der Kindeswohlgefährdung anhand einzelner, fester Kriterien gerecht werden kann. Es bedarf vielmehr einer Gesamtabwägung im Einzelfall.509

502 503 504 505 506 507 508

Vgl. BVerfGE 24, 119, 144; vgl. zu dem Ganzen auch oben E.II. Vgl. hierzu auch Rixen, MedR 1997, 351, 353 f. Vgl. hierzu – in anderem Zusammenhang – Schroth, in: FS Hassemer, 787, 798 f. Vgl. oben E.I.2. Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 ff. Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132. § 1666 I BGB betrifft das Kindeswohl im Gesamten, vgl. Palandt-Götz, § 1666,

Rn. 7. 509 Vgl. auch OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1556; OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521, 3522; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 333 ff. Vgl. zur flexiblen zeit- und gesellschaftsspezifischen Konkretisierung der Grenze der Kindeswohlgefährdung Coester, FPR 2009, 549, 550.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

229

Die Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis beurteilt sich damit anhand einer Risiko-Nutzen-Abwägung,510 bei der das im Hinblick auf das Kindeswohl vorhandene Risiko gegen den in dieser Hinsicht bestehenden Nutzen des Eingriffs abgewogen wird. b) Die Problematik von Abwägungsentscheidungen Eine solche Gesamtabwägung wirft Probleme im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz, die erforderliche Vorhersehbarkeit einer Entscheidung sowie das Bedürfnis nach Rechtssicherheit auf.511 Daher wird vorgeschlagen, dieser Problematik durch eine Abwägung allein der von der elterlichen Entscheidung betroffenen rechtlichen Interessen zu begegnen und auf die empirischen Aspekte der Zirkumzision nur dann einzugehen, wenn sich aus der Abwägung eine non-liquet-Situation ergebe.512 Dies ist allerdings wenig zielführend, da es erstens der Empirie bedarf, um überhaupt feststellen zu können, welche rechtlichen Interessen von der elterlichen Entscheidung betroffen sind. Zweitens macht dieser Vorschlag eine Abwägungsentscheidung nicht entbehrlich,513 stellt sich doch immer noch die Frage, wie die einzelnen relevanten Interessen zu gewichten sind. Die Gewichtung hängt unter anderem davon ab, in welchem Maße die jeweiligen Interessen betroffen sind, was wiederum auf die Erforderlichkeit empirischer Grundlagen zurückführt. Im Rahmen dieser Problematik sei außerdem darauf hingewiesen, dass auch die meisten Ansätze, denen das Modell der abstrakten Kindeswohlbestimmung zugrunde liegt, das Kindeswohl anhand einer Abwägungsentscheidung definieren.514 Während aber auf Grundlage dieser Ansätze das Kindeswohl selbst anhand einer Gesamtabwägung bestimmt wird, werden nach dem hier vertretenden Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung allein die Grenzen des elterlichen Verantwortungsbereichs, die in der Kindeswohlgefährdung liegen, durch eine Gesamtabwägung beurteilt.515 510 Vgl. auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111c; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134; Krüger, in: Finke/Höhne, 55, 58. 511 Vgl. hierzu auch Exner, Sozialadäquanz, S. 43 f. 512 Exner, Sozialadäquanz, S. 43 f. 513 Dies zeigen nicht zuletzt die weiteren Ausführungen von Exner, Sozialadäquanz, S. 49 ff. 514 Vgl. nur Putzke, in: FS Herzberg, 669, 703 ff.; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472 ff.; Schramm, Ehe und Familie, S. 229; Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f. Anders etwa Kern, FamRZ 1981, 738, 739, der auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung zur Definition des Kindeswohls allein auf das Vorliegen der medizinischen Indikation abstellt (allerdings ohne speziellen Bezug zur Knabenbeschneidung). 515 Vgl. hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 ff.

230

E. Die stellvertretende Einwilligung

Dies hat zur Folge, dass die sich aus einer Abwägungsentscheidung ergebenden Probleme sogar deutlicher im Rahmen einer abstrakten Kindeswohlbestimmung auftreten, da das Kindeswohl anhand der Abwägungsentscheidung positiv, also „punktgenau“ definiert und hieran die elterliche Dispositionsbefugnis – und damit die Strafbarkeit des Eingreifenden – festgemacht wird.516 Demgegenüber wird durch das Feststellen einer Kindeswohlgefährdung anhand einer Gesamtabwägung allein definiert, wann die elterliche Entscheidung dem Kindeswohl ausnahmsweise nicht mehr entspricht und die Eltern sich daher außerhalb ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis befinden.517 Dadurch, dass man die Abwägungsentscheidung allein zur Definition der Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis heranzieht,518 treten die sich hieraus ergebenden Unsicherheiten nur in abgemilderter Form auf. Soweit sie bestehen, können bzw. müssen sie hingenommen werden, um dem umfassenden Begriff des Kindeswohls gerecht zu werden. Gleichzeitig ermöglicht eine Gesamtabwägung eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung und bringt so den gewichtigen Vorteil der Einzelfallgerechtigkeit mit sich.519 2. Der Maßstab der Risiko-Nutzen-Abwägung Der Entscheidungsbereich der Eltern, innerhalb dessen sie in individueller Weise das Kindeswohl bestimmen dürfen, wird durch die allgemeine Schranke 516 Auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung werden von den verschiedenen Ansätzen nicht nur teilweise unterschiedliche Aspekte eingestellt, sondern diese werden v. a. auch unterschiedlich gewichtet. So wird bei der stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung zum Teil der Fokus auf medizinische Aspekte gelegt (so etwa Putzke, in: FS Herzberg, 669, 703 ff.; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472 ff.), zum Teil wird dessen religiöse Bedeutung betont (so etwa Schramm, Ehe und Familie, S. 229), was zu unterschiedlichen Ergebnissen im Rahmen ein und desselben Modells führt. Wie verschieden die Gewichtung eines einzelnen Aspekts ausfallen kann zeigt ein Blick auf Schramm, Ehe und Familie, S. 229, einerseits und Jerouschek, NStZ 2008, 313, 318 f., andererseits, die unter Berücksichtigung des religiösen Aspekts zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. 517 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133. Auch im Rahmen des Modells der individuellen Kindeswohlbestimmung stellt sich die Frage, welche Aspekte in die Abwägung einzustellen und v. a. wie diese zu gewichten sind. Dass man hier zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen kann, zeigt beispielsweise ein Blick auf die Beiträge von Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138, einerseits und Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 156 ff., andererseits. Während Fateh-Moghadam unabhängig vom religiösen Hintergrund der Beschneidung zu dem Ergebnis kommt, dass mit der stellvertretenden Einwilligung der Eltern in die Zirkumzision die Grenze des Kindeswohls nicht überschritten ist, die Eltern sich also innerhalb ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis befinden, kommt Valerius erst bei Berücksichtigung der religiösen Motivation der elterlichen Einwilligung zu diesem Ergebnis. 518 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131. 519 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, S. 134.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

231

der Kindeswohlgefährdung begrenzt, die sich aus einer Risiko-Nutzen-Abwägung ergibt. Fraglich ist nunmehr der Maßstab dieser Abwägung: Wie hat sie auszufallen, um vom Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung sprechen zu können? Zunächst lassen sich hierzu aus § 1666 I BGB als zentraler Regelung zur Kindeswohlgefährdung520 folgende Erkenntnisse ziehen: I.S.d. § 1666 I BGB muss die Gefahr für das Kindeswohl gegenwärtig sein sowie die begründete Besorgnis521 einer Schädigung bestehen.522 Zwar hilft das Merkmal der Gegenwärtigkeit hier nicht weiter,523 es lässt sich aber aus der Voraussetzung der begründeten Besorgnis einer Schädigung herauslesen, dass der Staat nur bei groben, nicht bereits bei leichten Pflichtverletzungen Maßnahmen nach § 1666 BGB ergreifen darf.524 Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 6 II GG, dass der Staat auf sein nur subsidiär und ausnahmsweise eingreifendes Wächteramt beschränkt ist.525 Er hat außerdem für ein eventuelles Eingreifen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.526 Entsprechend berechtigt ihn nicht schon jede Nachlässigkeit seitens der Eltern zum Einschreiten – vielmehr sind in die Elternverantwortung Fehlentscheidungen der Eltern „einkalkuliert“.527 Daher ist es den Eltern durchaus erlaubt, gewisse Risiken für ihr Kind einzugehen, wobei nicht jedes Risiko eine Kindeswohlgefährdung im Sinne einer Überschreitung des elterlichen Verantwortungsbereichs darstellt. Aus all dem folgt, dass nicht schon dann eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, wenn die Risiko-Nutzen-Abwägung nicht „positiv“ im Sinne eines Überwiegens des Nutzens ausfällt.528 Vielmehr ist eine Kindeswohlgefährdung, aufgrund welcher die Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung wegen mangelnder Dis-

520

Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 103. Vgl. hierzu auch § 8a I SGB VIII: „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes“. 522 OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1556; OLG Hamm, FamRZ 2006, 359; BayObLG, FamRZ 1996, 1031 f.; Bamberger/Roth-Veit, § 1666, Rn. 7; Palandt-Götz, § 1666, Rn. 8; MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 48. 523 Liegt in der stellvertretenden strafrechtlichen Einwilligung tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung, dann ist diese auch gegenwärtig. 524 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 100; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133. 525 BVerfGE 24, 119, 138. 526 BVerfGE 24, 119, 144 f.; vgl. auch BVerfGE 79, 51, 60; Bamberger/Roth-Veit, § 1666, Rn. 35 ff. 527 Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 65; vgl. BVerfGE 24, 119, 144 f.; Maunz/DürigBadura, Art. 6, Rn. 95; vgl. zur zivilrechtlichen Ebene Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 100. 528 Hierzu Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133; anders Putzke, in: FS Herzberg, 669, 691; Herzberg, ZIS 2010, 471, 472 f. 521

232

E. Die stellvertretende Einwilligung

positionsbefugnis der Eltern ausgeschlossen ist,529 erst dann anzunehmen, wenn das für das Kindeswohl bestehende Risiko im Vergleich zum Nutzen eine gewisse Erheblichkeit aufweist.530 Bezüglich dieser Erheblichkeit wurde bereits von einer Kontrolle der elterlichen Entscheidung hin auf ihre Unvernünftigkeit531 oder auf ihre Unvertretbarkeit532 gesprochen. Im Hinblick darauf, dass i. S. d. Art. 6 II GG auch von „Elternverantwortung“ die Rede ist,533 ist der gerade beschriebene Maßstab der Risiko-Nutzen-Abwägung dahingehend zu konkretisieren, dass in den Fällen eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, in denen das Risiko den Nutzen so weit übersteigt, dass sich dieses als nicht mehr verantwortbar darstellt. Ist dies der Fall, so ist die Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis überschritten, was zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt. 3. Die Kriterien der Risiko-Nutzen-Abwägung Bisher wurde festgestellt, dass sich das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis nur anhand einer Gesamtabwägung – einer Risiko-Nutzen-Abwägung – überprüfen lässt.534 Daran schließt die – zunächst im Allgemeinen zu beantwortende – Frage an, welche Kriterien auf Seiten des Risikos bzw. des Nutzens einzustellen sind.

529 Der Maßstab der Kindeswohlgefährdung gilt nicht nur für die elterliche Dispositionsbefugnis zur Erklärung von stellvertretenden Einwilligungen für das Kind, sondern auch für die Verweigerung derselben. Vgl. hierzu auch Abschn. E, Fn. 544. 530 Vgl. BGH, NJW 2005, 672, 673; OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521, 3522 (beide Entscheidungen zur Genitalverstümmelung von Mädchen); Bamberger/Roth-Veit, § 1666, Rn. 9; Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128; ähnlich Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133; Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 332; gegen eine Erheblichkeitsschwelle argumentiert Herzberg, ZIS 2010, 471, 474. 531 Vgl. LG Frankenthal, MedR 2005, 243 ff. Der (zivilrechtliche) Fall betraf eine von einem Nichtmediziner unter nicht sterilen Bedingungen durchgeführte Zirkumzision bei einem Neunjährigen. Weil der Eingriff nicht lege artis erfolgte, nahm das Gericht an, dass die Eltern ihr Sorgerecht aus §§ 1626, 1629 BGB überschritten hätten. Sie seien nicht berechtigt, unvernünftige Entscheidungen zu Lasten ihres Kindes zu treffen. Mit anderen Worten definierte das Gericht § 1666 I BGB in dem Sinne, dass die stellvertretende Einwilligung in unvernünftige Eingriffe stets eine Kindeswohlgefährdung darstelle. Ähnlich Schwarz, JZ 2008, 1125, 1128, sowie Eberbach, MedR 1986, 14, 16, die unvernünftige Entscheidungen der Eltern zu Lasten ihres Kindes als nicht mehr vom Personensorgerecht i. S. d. §§ 1626 ff. BGB umfasst ansehen. 532 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 133. 533 Vgl. etwa BVerfGE 24, 119, 143. 534 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2009, 3521, 3522; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111c.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

233

a) Risiken und Nachteile des Eingriffs (negative Seite) aa) Risiken und Nachteile in medizinischer Hinsicht Zunächst sind die körperlichen bzw. medizinischen Risiken und Nachteile des Eingriffs inklusive der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu berücksichtigen. Sie sind umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich anhand einzelner, isoliert betrachteter Aspekte nicht das Risiko im Gesamten beurteilen lässt.535 So sind auf der negativen Seite zunächst folgende – teilweise bereits angesprochene – medizinische Kriterien relevant: Die fehlende Indikation, die Schwere des Eingriffs, dessen Gefährlichkeit, also die mit ihm verbundenen Risiken und ihre Wahrscheinlichkeit sowie sonstige nachteilige körperliche Auswirkungen. Die Aufschiebbarkeit des Eingriffs als solche ist kein Risiko bzw. Nachteil des Eingriffs und darf nicht für sich genommen auf die negative Seite der Abwägung eingestellt werden, da den Eltern i. R. d. Art. 6 II GG eine gewisse Beeinflussung ihres Kindes zugestanden wird.536 Sie spielt aber in Zusammenhang mit den bestehenden Risiken des Eingriffs eine Rolle: Je risikoreicher der Eingriff ist, umso mehr kommt es auch darauf an, ob er aufgeschoben werden kann. Denn je höher das Risiko und je geringer der Nutzen ist, desto mehr spricht dafür, den Eingriff noch aufzuschieben. Ist der Eingriff also ohne Weiteres aufschiebbar, so „verstärkt“ dieser Aspekt die Risiken des Eingriffs, die in diesem Fall höher zu gewichten sind als im Falle eines nicht ohne Weiteres aufschiebbaren Eingriffs.537 Ebenso kann i. S. d. Art. 6 II GG die Irreversibilität nicht für sich genommen als Kriterium der negativen Seite eingestellt werden. Allerdings ist sie in Zusammenhang mit den Folgen des Eingriffs zu betrachten: Den Folgen des Eingriffs kommt ein höheres Gewicht zu, wenn es sich bei ihnen – wie es meist der Fall sein wird – um irreversible handelt, als wenn sich die Folgen rückgängig machen lassen.538 Eine besondere Bedeutung kommt solchen Risiken zu, die an sich zu vermeiden wären, so etwa der durch eine vorherige Betäubung vermeidbare Schmerz.539 Da sich die stellvertretende Einwilligung wie jedes elterliche Handeln am Kindeswohl zu orientieren hat, sind Risiken und Nachteile, die von den Eltern in Kauf genommen werden, obwohl sie eigentlich zu vermeiden wären, als Aspekte der negativen Seite des Eingriffs sehr hoch zu gewichten. Denn es widerspricht 535

Vgl. oben E.V.1. Vgl. BVerfGE 72, 155, 173, sowie oben E.V.1.a); anders Putzke, MedR 2008, 268, 271 f.; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 684 f. und 700. 537 Dem entspricht auf Seiten des Nutzens das Kriterium der Dringlichkeit des Eingriffs. 538 Meist werden die Folgen eines körperlichen Eingriffs kaum reversibel sein. 539 Im Falle der Beschneidung ohne vorherige Betäubung ist bereits die sich aus § 1631 II BGB ergebende Grenze erreicht, vgl. hierzu oben E.IV.3.a)bb)(2). 536

234

E. Die stellvertretende Einwilligung

dem Kindeswohl, den Minderjährigen ohne Notwendigkeit einem erhöhten, ohne Weiteres vermeidbaren Risiko auszusetzen. Handelt es sich dabei nicht nur um sehr geringe, marginale Risiken, so wird die stellvertretende Einwilligung in einen solchen Eingriff in der Regel eine Kindeswohlgefährdung darstellen. Denn vermeidbaren Risiken steht kein angemessener Nutzen gegenüber. bb) Weitere Risiken und Nachteile: Rationale Begründbarkeit Da sich eine Kindeswohlgefährdung nicht nur in körperlicher Hinsicht ergeben kann und auch § 1666 I BGB einen umfassenden Schutz des Kindeswohls im Gesamten bezweckt,540 sind neben den körperlichen bzw. medizinischen Risiken auch weitere sich aus dem Eingriff für das Kindeswohl ergebende Nachteile auf Seiten der Risiken einzustellen. Denn eine Reduzierung des Kindeswohls auf den körperlichen Aspekt wird diesem nicht gerecht.541 Es sind daher insbesondere seelische bzw. geistige Risiken, welche der Eingriff mit sich bringt, zu berücksichtigen, die etwa in der drohenden Diskriminierung durch Dritte oder in anderen Nachteilen wie etwa der sozialen Ausgrenzung liegen können. Bei den letztgenannten (nicht medizinisch begründbaren) Nachteilen besteht allerdings die Gefahr, dass durch eine Übergewichtung derselben für das Kindeswohl bzw. durch das Einstellen sehr fernliegender Risiken das Verhältnis von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Wächteramt nicht mehr gewahrt und die elterliche Dispositionsbefugnis zu sehr eingeschränkt wird. Unter Berücksichtigung der Subsidiarität des staatlichen Wächteramts gegenüber der Elternverantwortung542 dürfen daher nicht alle möglichen Nachteile für das Kindeswohl herangezogen werden, sondern nur solche, die nicht völlig fernliegend sind und die nicht nur auf Mutmaßungen beruhen. Sie müssen rational begründbar sein.543 b) Nutzen und Vorteile des Eingriffs (positive Seite) aa) Nutzen und Vorteile in medizinischer Hinsicht Auf Seiten von Nutzen und Vorteilen des Eingriffs sind ebenfalls zunächst die objektiv bestimmbaren körperlichen bzw. medizinischen Aspekte umfassend einzustellen. Hierzu gehört eine mögliche Indikation des Eingriffs und der Grad derselben,544 die Dringlichkeit des Eingriffs sowie alle vom Eingriff zu erwartenden 540

Vgl. Palandt-Götz, § 1666, Rn. 7. Anders wohl Herzberg, JZ 2009, 332, 335. 542 Vgl. BVerfGE 10, 59, 84; Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 131 und 133. 543 Begriff der rationalen Begründbarkeit bei Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701. 544 Der Maßstab der Kindeswohlgefährdung ist auch für die Verweigerung der stellvertretenden Einwilligung seitens der Eltern heranzuziehen. Dabei liegt in der Verweigerung umso eher eine Kindeswohlgefährdung, je dringender indiziert der Eingriff ist. 541

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

235

positiven Folgen sowie die Wahrscheinlichkeit, mit welcher dieselben eintreten werden. bb) Weitere Nutzen und Vorteile Da sowohl Art. 6 II GG545 als auch § 1666 I BGB546 das Kindeswohl im Gesamten betrifft, kann auch die positive Seite der Gesamtabwägung nicht auf den körperlichen Aspekt begrenzt werden. Ebenso wie sich der Bereich möglicher Risiken nicht auf körperliche Gesichtspunkte beschränken lässt, können sich Vorteile des Eingriffs für das Kindeswohl in allen möglichen Bereichen ergeben, sodass etwa auch mit dem Eingriff verbundene soziale oder religiöse Vorteile auf der positiven Seite einzustellen sind.547 Problematisch an dieser weiten Berücksichtigung der Vorteile des Eingriffs ist, dass es in erster Linie die Eltern sind, die – von den körperlichen Vorteilen abgesehen – den jeweiligen Nutzen des Eingriffs definieren, indem sie sich etwa ein breites religiöses Fundament für ihr Kind, soziale Integration desselben oder Ähnliches erhoffen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit von den Eltern definierte Vorteile zu berücksichtigen sind. (1) Religiöse Vorteile: Vertretbarkeit In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass religiöse Aspekte bei der Frage nach dem Kindeswohl (und damit auch nach der Kindeswohlgefährdung) gar keine Berücksichtigung finden dürften.548 Dass dies aber nicht sein kann, ergibt sich schon daraus, dass die Garantie des Art. 6 II GG auch die Erziehung des Kindes in religiöser Hinsicht umfasst und in diesem Bereich sogar Verstärkung durch Art. 4 I, II GG erfährt.549 Eine Abgrenzung der strafrechtlichen Dispositionsbefugnis der Eltern unter Ausklammerung

Die Grenze der Kindeswohlgefährdung ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Eltern die Einwilligung in eine vital indizierte Maßnahme, etwa in eine lebensrettende Bluttransfusion, für ihr Kind verweigern. Ähnlich Reipschläger, Einwilligung, S. 112 f.; Bleiler, Strafbarkeitsrisiken, S. 157 ff. Die Legitimation eines solchen Eingriffs erfolgt bei der Einwilligungsverweigerung seitens der Eltern entweder durch das Ersetzen der elterlichen Einwilligung gemäß § 1666 I, III Nr. 5 BGB oder auf Grundlage des § 34 StGB. Vgl. hierzu AG Nordenham, MedR 2008, 225, 226; vgl. bereits RGSt 74, 350, 353. 545 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376 f. 546 Vgl. Palandt-Götz, § 1666, Rn. 7. 547 Vgl. auch Schramm, Ehe und Familie, S. 229 ff. 548 Herzberg, JZ 2009, 332, 335 f., auf Grundlage des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung; Herzberg, MedR 2012, 169, 173. 549 Vgl. Abschn. E, Fn. 40 sowie oben E.II.1. und E.II.3.b); BVerfGE 41, 29, 47 f.; 93, 1, 17.

236

E. Die stellvertretende Einwilligung

der religiösen Aspekte würde die verfassungsrechtliche Garantie des Art. 6 II GG i.V. m. Art. 4 I, II GG unterlaufen.550 Letzterer Auffassung wird entgegengehalten, dass sie gerade im religiösen Bereich die Gefahr begründe, dass Handlungen etwa mit dem „Seelenheil nach dem Tod“ legitimiert werden könnten.551 Insofern wird vorgeschlagen, dass der religiöse Nutzen des Eingriffs „messbar und rational begründbar“ sein müsse.552 Dieser Vorschlag könnte im Hinblick auf Art. 4 I, II GG problematisch sein, da der Glaubensinhalt, also der Schutzinhalt des Grundrechts, in erster Linie von den Gläubigen selbst bestimmt wird.553 Der Staat hat religiös-weltanschauliche Überzeugungen zu schützen, ohne diese zu bewerten.554 Allerdings ist die Garantie des Art. 4 I, II GG im Bereich der stellvertretenden Einwilligung nicht für sich zu nehmen, sondern verstärkt den Art. 6 II GG.555 Dieser garantiert den Eltern einerseits einen eigenen Entscheidungsspielraum,556 andererseits ergibt sich aus dem Kindeswohl als dessen oberstes Leitprinzip557 die Notwendigkeit, der Definitionskompetenz der Eltern bzgl. möglicher religiöser – und anderer – Vorteile eines Eingriffs Grenzen zu setzen. In einem Ausgleich der beiden Rechtspositionen kommt es daher im Hinblick auf die Definition religiöser Vorteile durch die Eltern darauf an, dass diese als vertretbar erscheinen.558 Vertretbar in diesem Sinne erscheinen religiöse Vorteile insbesondere dann, wenn der Eingriff Teil der Religion ist und religiöse Identität stiften soll.559 Handelt es sich um einen vertretbaren religiösen Vorteil, ist außerdem zu beachten, dass die elterliche Entscheidung in dieser Hinsicht nicht „nur“ durch 550 Vgl. Schramm, Ehe und Familie, S. 229 f.; Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 153 f. 551 So Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701, im Rahmen des Modells der abstrakten Kindeswohlbestimmung. 552 Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701. 553 Vgl. BVerfGE 24, 236, 247 f.; 32, 98, 106; 33, 23, 28 f.; 104, 337, 355; 108, 282, 298 f. 554 BVerfGE 12, 1, 4; Czermak, Religionsrecht, Rn. 116; vgl. Maunz/Dürig-Herzog, Art. 4, Rn. 19 f. 555 Vgl. Abschn. E, Fn. 549. 556 Zutreffend weist Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 126, darauf hin, „dass der für die Persönlichkeitsbildung [des Kindes] konstitutive Einfluss von Familien, Freunden und gegebenenfalls auch von Religionsgemeinschaften von der Rechtsordnung in der Regel nicht als problematisch, sondern als schützenswert betrachtet wird, wie sich an [. . .] Art. 6 Abs. 2 GG und dem Schutz der religiösen Erziehung [. . .] ablesen lässt.“ 557 Vgl. oben E.II.2.a)bb) und E.II.2.b)bb). 558 Dieses Merkmal reicht weiter als der Ansatz von Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701, nach dem der Vorteil „messbar und rational begründbar“ sein muss. 559 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701: religiöses „Identifikationsmittel“; vgl. auch Goerlich/Zabel, JZ 2012, 1058, 1060.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

237

Art. 6 II GG, sondern durch Art. 6 II GG i.V. m. Art. 4 I, II GG abgesichert ist.560 Hier tritt die Verstärkung, die das elterliche Erziehungsrecht durch Art. 4 I, II GG erfährt, deutlich hervor: Vertretbare religiöse Vorteile sind im Rahmen der Gesamtabwägung zur Feststellung einer Kindeswohlgefährdung besonders stark zu gewichten. Der vertretbare religiöse Nutzen des Eingriffs ist daher stets als gewichtiger Vorteil einzustufen. (2) Weitere vertretbare Vorteile Diese Einschränkung anhand der Vertretbarkeit von Vorteilen gilt nicht nur für die mit dem Eingriff verbundenen religiösen Vorteile, sondern für jegliche nicht rein objektiv bestimmbaren bzw. umstrittenen Vorteile.561 Dadurch können sämtliche vertretbare – also etwa soziale562 – Vorteile Eingang in die Abwägung finden, was einer ganzheitlichen Betrachtung des Kindeswohls und der verfassungsrechtlichen Garantie der Elternverantwortung entspricht. So wird die Definitionskompetenz der Eltern sowie ihr Vorrang bei der Erziehung respektiert und gleichzeitig eine Kontrolle der elterlichen Entscheidung i. S. d. Art. 6 II 2 GG ermöglicht. c) Der Kindeswohlbezug von Risiken und Nutzen der einzustellenden Kriterien Art. 6 II GG ist – ebenso wie die §§ 1626 ff. BGB – auf die Rechte des Kindes zurückzuführen und auf das Wohl desselben bezogen.563 Fraglich ist, wie sich dies auf die Vor- und Nachteile des Eingriffs auswirkt, welche in die Abwägungsentscheidung einzustellen sind.564 aa) Der Kindeswohlbezug der Vorteile Vor dem Hintergrund, dass jede elterliche Entscheidung am Kindeswohl auszurichten ist,565 dürfen in die Abwägung keine Vorteile eingestellt werden, die erst mit Erreichen der Einwilligungsfähigkeit (Fähigkeit zur Selbstbestimmung) durch das Kind oder später eintreten.566 560

Vgl. oben E.II.3. Grundsätzlich sind v. a. medizinische Vorteile objektivierbar. Dies gilt aber nicht für alle medizinischen Vorteile, was nicht zuletzt in den Ausführungen zum medizinischen Hintergrund der Zirkumzision deutlich wird, vgl. oben B.III.2.a). 562 Ein Beispiel für einen vertretbaren sozialen Vorteil ist etwa der mit der Korrektur abstehender Ohren verfolgte Zweck, das Kind vor Hänseleien zu schützen. 563 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144; 59, 360, 376; 75, 201, 218 f.; 92, 158, 178. 564 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 336. 565 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178. 566 In dieser Hinsicht in eine ähnliche Richtung Putzke, MedR 2008, 268, 270 f. 561

238

E. Die stellvertretende Einwilligung

Denn zwar dürfen Eltern durch ihre Erziehung auch mittelbaren Einfluss auf das spätere Leben des Kindes nehmen.567 Allerdings ist das ihnen durch Art. 6 II GG garantierte Erziehungsrecht, aufgrund dessen sie überhaupt erst für das Kind entscheiden dürfen, stets auch an dessen Wohl gekoppelt.568 Sofern sich also ein vermeintlicher Vorteil des Eingriffs in gar keiner Weise auf das Kindeswohl bezieht, ist dieser aus der Abwägungsentscheidung auszuklammern, da kein Kindeswohlbezug i. S. d. Art. 6 II GG vorhanden ist. Dies bedeutet, dass Vorteile, deren Ursachen im Kindesalter gesetzt werden müssen oder auch nur vorzugsweise im Kindesalter zu setzen sind, um später im Erwachsenenalter wirken zu können,569 nicht aus der Gesamtabwägung herauszunehmen sind, da sie einen mittelbaren Kindeswohlbezug aufweisen. Ebenso haben Vorteile des Eingriffs, die bereits im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit des Kindes eintreten und später noch nachwirken, einen Bezug zum Kindeswohl und sind damit für die Abwägung von Relevanz. Vorteile aber, die definitiv erst nach Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch das Kind eintreten und deren Ursachen außerdem nicht im Kindesalter gesetzt werden sollen, haben gar keinen Kindeswohlbezug und können daher nicht in die Gesamtabwägung eingestellt werden.570 bb) Der Kindeswohlbezug der Nachteile Dagegen wirkt sich die grundsätzliche Notwendigkeit eines Kindeswohlbezugs auf die Aspekte, die als Nachteile in die Abwägung einzustellen sind, insofern nicht aus, als es irrelevant ist, ob Nachteile des Eingriffs bereits im Kindes- oder erst im Erwachsenenalter eintreten. Denn auch wenn bestimmte Nachteile des Eingriffs sich erst nach Erreichen der Einwilligungsfähigkeit bzw. im Erwachsenenalter ergeben, so sind sie trotzdem bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Es wäre widersinnig, diese Nachteile vom Kindeswohl herauszunehmen, nur weil sie den Menschen erst im Erwachsenenalter ereilen können. Immerhin wird die Ursache möglicher erst später eintretender Nachteile beim Kind gesetzt, sodass jedenfalls ein mittelbarer Kindeswohlbezug gegeben ist. So sind in die Gesamtabwägung auch Risiken einzustellen, die sich erst nach Erreichen der Einwilligungsfähigkeit verwirklichen können, wie etwa mögliche Spätfolgen eines Eingriffs.

567

Vgl. BVerfGE 72, 155, 173; vgl. oben E.V.1.a). Das elterliche Erziehungsrecht ist pflichtgebunden, vgl. nur BVerfGE 24, 119, 143; 59, 360, 377; 72, 155, 172; 92, 158, 178. 569 Zu denken ist etwa an eine Impfung, die in den ersten drei Lebensjahren erfolgen muss, um später wirken zu können. 570 Anders Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 136 f. 568

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

239

cc) Vor- und Nachteile Dritte betreffend Aus dem notwendigen Kindeswohlbezug der Vor- und Nachteile ergibt sich außerdem, dass Risiken und Nutzen nur insofern in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden dürfen, als sie sich tatsächlich auf das Kind beziehen. Betreffen mögliche Vor- oder Nachteile ausschließlich Dritte, so können diese keinen Eingang in die Abwägung finden.571 Dies bedeutet indes nicht, dass Vor- und Nachteile, die sich nur mittelbar auf das Kindeswohl beziehen, nicht in die Gesamtabwägung einzustellen wären. Als Beispiel hierfür kann die stellvertretende Einwilligung der Eltern in eine Schutzimpfung beim Kind herangezogen werden.572 Diesbezüglich lässt sich argumentieren, dass eine Impfung nicht allein zum Wohl des Kindes, sondern auch zum Wohl der Allgemeinheit beitragen soll.573 Insofern liegen dem Eingriff nicht nur „eigennützige“, auf das Kind bezogene, sondern auch altruistische Motive zugrunde. Diese altruistischen Motive des Eingriffs beziehen sich allerdings in mittelbarer Weise wiederum auf das Kindeswohl: Die Interessen, einem anderen helfen zu wollen oder etwa zum Wohl der Allgemeinheit beizutragen,574 sind Interessen des Kindes, die bis zur Grenze der Vertretbarkeit von den Eltern definiert werden dürfen. Sofern solch ein mittelbarer Bezug zum Kindeswohl gegeben ist, sind die jeweiligen Vor- und Nachteile eines Eingriffs auch in die Gesamtabwägung einzustellen. Allein die Wirkung des Eingriffs bei einem Dritten hat dagegen keinen Kindeswohlbezug, sodass diese keinen Eingang in die Abwägung finden kann. d) Der Kindeswille als einzustellendes Kriterium Bisher stand stets die Fallkonstellation im Fokus, dass ein überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähiger Minderjähriger – z. B. ein Säugling575 – beschnitten werden soll. Löst man den Blick von diesem Sachverhalt und bedenkt man, dass der heranreifende Minderjährige die Fähigkeit zur Selbstbestimmung nicht von einem Tag 571

Vgl. zu diesem Aspekt auch Herzberg, ZIS 2010, 471, 473. Vgl. zum Erfordernis der stellvertretenden Einwilligung vor der Impfung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes Zuck, MedR 2008, 410, 411. 573 Vgl. zu den Gemeinwohlbelangen eine Impfung betreffend Zuck, MedR 2008, 410, 413. 574 Hierbei handelt es sich um wertbezogene Interessen. Vgl. allgemein zu diesen Interessen Schroth, in: FS Hassemer, 787 f.; Schroth, in: FS Volk, 719 f.; TPG-Schroth, § 19, Rn. 45. 575 Im Judentum findet die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt statt, vgl. hierzu Wehr, Weltreligionen, S. 64 f. 572

240

E. Die stellvertretende Einwilligung

auf den anderen, sondern im Laufe einer langen, stetigen Entwicklung erreicht,576 so wird klar, dass ein weiterer Aspekt in die Risiko-Nutzen-Abwägung einzustellen ist: Bei schon teilweise vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten des Minderjährigen ist der Kindeswille als Vor- bzw. als Nachteil des Eingriffs i. R. d. Gesamtabwägung zu berücksichtigen. aa) Die Notwendigkeit der Berücksichtigung der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen i. R. d. stellvertretenden Einwilligung Während der gesamten Entwicklungsphase des Minderjährigen, in deren Verlauf sich dessen intellektuelle Fähigkeiten nach und nach ausbilden,577 sind die Eltern wegen ihres Erziehungsrechts zur Wahrnehmung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung zuständig.578 Die durch Art. 6 II GG garantierte elterliche Erziehung soll die Entwicklung des Kindes hin zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit befördern,579 was unter anderem bedeutet, dass die Eltern bei ihren Entscheidungen die bereits vorhandenen, aber noch nicht voll ausgeprägten Fähigkeiten des Kindes zur Selbstbestimmung angemessen berücksichtigen müssen. Denn das Kind kann nur dann zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit heranwachsen, wenn dessen sich ausprägender Selbstständigkeit ausreichend Rechnung getragen wird.580 Dieser Gedanke findet auch auf einfachgesetzlicher Ebene – insbesondere im § 1626 II BGB – Ausdruck.581 Außerdem entspricht eine angemessene Berücksichtigung schon vorhandener Teilfähigkeiten des Kindes im Rahmen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung dem Kindeswohl, dem die Eltern bei Ausübung ihres Erziehungsrechts verpflichtet sind582 und aus dem sich ergibt, dass mit abnehmender Pflege- und Er576 Ebenso Schwab, Familienrecht, Rn. 646; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 152; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 120. 577 Vgl. Schwab, Familienrecht, Rn. 646; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 152; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 120. 578 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131. 579 Vgl. zu Letzterem BVerfGE 24, 119, 144; 57, 361, 383; 75, 201, 219; 80, 81, 90; MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 43; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 107; Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 49. 580 Vgl. Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526. 581 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 74; Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23; Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 120; Eberbach, FamRZ 1982, 450, 451; vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 828 f.; Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526. 582 Vgl. MK-BGB-Olzen, § 1666, Rn. 45. Vgl. zum Kindeswohl als Leitprinzip der Elternverantwortung: BVerfGE 24, 119, 143; 59, 360, 376 f.; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 72, 155, 172; 80, 81, 91; 92, 158, 178; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 700, 707 und 713; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 94.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

241

ziehungsbedürftigkeit sowie mit wachsender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes die sich aus dem Elternrecht ergebenden Rechtsbefugnisse zurückgedrängt werden.583 Dies bedeutet, dass auch im Rahmen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht die bereits vorhandenen Teilfähigkeiten des Kindes zur Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen sind. bb) Der Kindeswille als Vor- bzw. Nachteil i. R. d. Risiko-Nutzen-Abwägung Da sich das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis nur aufgrund einer Gesamtabwägung aller für das Kindeswohl relevanten Aspekte ergeben kann,584 ist der Wille des Kindes als Ausdruck bereits vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten desselben neben den anderen, schon angesprochenen Vor- und Nachteilen des Eingriffs als ein Aspekt in diese Abwägungsentscheidung einzustellen. Dabei kann der Kindeswille sowohl Vorteil als auch Nachteil des jeweiligen Eingriffs sein: Stimmt das Kind dem Eingriff zu und ist dieser tatsächliche Wille Ausdruck dessen bereits teilweise vorhandenen Fähigkeiten zur (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmung, so ist dies auf Seiten der Eingriffsvorteile relevant. Wird der Eingriff dagegen – als Ausdruck der schon vorhandenen intellektuellen Teilfähigkeiten – abgelehnt, ist dies als ein Nachteil des Eingriffs zu berücksichtigen. Dabei wächst in dem Maße, in dem sich die Fähigkeiten des Kindes zur Selbstbestimmung ausprägen, das Gewicht, das dessen Willen auf Seiten der Vorbzw. der Nachteile des Eingriffs zukommt. Denn im Sinne des Kindeswohls ist der Wille des Minderjährigen entsprechend dessen jeweiligen Reifegrads zu berücksichtigen.585 Aus dem durch Art. 6 II GG geschützten elterlichen Entscheidungsspielraum, der im Hinblick auf das Kindeswohl eine Definitionskompetenz der Eltern beinhaltet,586 sowie aus dem sich hieraus ergebenden Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung587 folgt, dass in erster Linie die Eltern beurteilen dürfen, 583 Sie erlöschen spätestens mit Volljährigkeit des Kindes. Vgl. BVerfGE 59, 360, 382; 72, 122, 137; 80, 81, 91; OLG Karlsruhe, NJW 1989, 2398, 2399. 584 Vgl. oben E.V.1.a). 585 Vgl. § 1626 II BGB; vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142; Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 47. 586 Burgi/Hölbling, Jura 2008, 901, 903; Rixen, MedR 1997, 351, 353; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 64 f.; vgl. BVerfGE 24, 119, 143; 47, 46, 69 f. 587 Vgl. oben E.III.3.

242

E. Die stellvertretende Einwilligung

inwieweit der Kindeswille im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung zu berücksichtigen ist.588 Denn sie kennen ihr Kind am besten589 und können damit auch am besten beurteilen, inwiefern der Wille des Kindes tatsächlich Ausdruck dessen schon vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten ist. Hiergegen spricht nicht, dass die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen durch den eingreifenden Arzt beurteilt wird:590 Während die Einwilligungsfähigkeit als festes Kriterium den Übergang von der stellvertretenden Einwilligung zur Einwilligung markiert und damit die Frage betrifft, wer für die Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes zuständig ist, geht es bei der angemessenen Berücksichtigung des Kindeswillens im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung der Eltern um die Frage, wie die körperbezogene Selbstbestimmung des einwilligungsunfähigen Minderjährigen tatsächlich zu verwirklichen ist. Dabei ist den Eltern ein weiter Spielraum zur individuellen Kindeswohlbestimmung eröffnet, der seine Grenze erst in der Kindeswohlgefährdung findet. In diesen Spielraum darf von Seiten des Staates nicht ohne Weiteres eingegriffen werden, sodass es grundsätzlich die Eltern sind, die beurteilen dürfen, inwieweit sie den Kindeswillen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Definitionskompetenz der Eltern keine Grenzen hätte: Soweit ein dem Eingriff zustimmender Kindeswille gegeben ist, dürfen ihn die Eltern nur dann als Ausdruck bereits vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten des Minderjährigen qualifizieren und damit auf Seiten der Eingriffsvorteile in die Gesamtabwägung einstellen, wenn es sich hierbei um einen vertretbaren Vorteil handelt.591 Dies ist nur dann der Fall, wenn eine bereits vorhandene Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes nicht völlig fernliegt. Mit zunehmender Reife des Kindes kommt dann dem Vorteil des zustimmenden Kindeswillens i. R. d. Gesamtabwägung immer größeres Gewicht zu. Soweit der Kindeswille dem vorzunehmenden Eingriff entgegensteht, ist er als Ausdruck bereits vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten des Minderjährigen auf der negativen Seite in die Gesamtabwägung einzustellen, sobald dieser ablehnende Kindeswille bzw. die Nichtbeachtung desselben einen rational begründbaren Nachteil darstellt.592 Ein solcher ist dann gegeben, wenn beim Kind bereits ein gewisser Reifegrad erkennbar ist. Dieser Nachteil wiegt dann i. R. d. Risiko588 Vgl. auch Schwab, Familienrecht, Rn. 678. Der impliziten Befürchtung von Herzberg, ZIS 2010, 471, 475, die Eltern könnten den Kindeswillen verfälschen, steht die Garantie des Art. 6 II GG entgegen, die den elterlichen Einfluss auf das Kind ja gerade als schützenswert erachtet, Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 126. 589 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371. 590 Vgl. hierzu oben D.IV.2.b)bb)(4). 591 Vgl. oben zum Maßstab der Vertretbarkeit E.V.3.b)bb). 592 Vgl. oben zum Maßstab der rationalen Begründbarkeit E.V.3.a)bb).

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

243

Nutzen-Abwägung umso schwerer, je fortgeschrittener das Kind in seiner intellektuellen Entwicklung ist. 4. Die Risiko-Nutzen-Abwägung im Hinblick auf die religiös motivierte Beschneidung beim überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen Auf Grundlage dieser allgemeinen Ausführungen zur Feststellung der Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis stellt sich nunmehr die konkrete Frage, ob sich bei der stellvertretenden Einwilligung in die Zirkumzision aus der RisikoNutzen-Abwägung insofern eine Kindeswohlgefährdung ergibt, als sich das mit dem Eingriff verbundene Risiko im Hinblick auf den damit bezweckten Nutzen als nicht mehr verantwortbar i. S. d. Überschreitens einer gewissen Erheblichkeitsschwelle darstellt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich dabei auf den oben beschriebenen Ausgangsfall der Beschneidung eines noch überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Kindes – etwa eines Säuglings. a) Die von einem Arzt kunstgerecht und unter hygienischen Bedingungen durchgeführte Zirkumzision Zunächst soll davon ausgegangen werden, dass die Eltern stellvertretend in eine lege artis, unter hygienischen Bedingungen sowie unter vorheriger Betäubung und von einem Arzt durchgeführte Beschneidung einwilligen.593 aa) Die mit der Zirkumzision verbundenen Risiken Bezüglich der Risiken der Zirkumzision kann nach oben verwiesen werden.594 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der kunstgerecht durchgeführten Beschneidung eher leichtere Risiken verbunden sind, die mit einer Häufigkeit zwischen 0,2% und 2,0% auftreten.595 bb) Der mit der Zirkumzision verbundene Nutzen Die medizinischen Vorteile der Zirkumzision sollen der hygienische Nutzen, die Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen, eine geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren sowie von Geschlechtskrankheiten und die vorbeugende 593

Vgl. oben E.I.1. Vgl. oben B.III.2.b). 595 Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412, 2413: 0,2% bis 2,0%; Riccabona, in: Steffens/Langen, 318: 0,2% bis 0,6%; Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 247 f.: 0,2%. Die Komplikationsrate, die sich in den afrikanischen Studien ergab, kann dagegen nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen werden. 594

244

E. Die stellvertretende Einwilligung

Wirkung gegen HIV-Infektionen sein. Die meisten dieser Aspekte sind jedoch umstritten.596 Die Vorteile der besseren Hygiene bzw. der Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen dürfen die Eltern in ihre Entscheidung mit einbeziehen. Denn auch, wenn sie immer wieder angezweifelt werden, sind diese Vorteile durchaus von einigen Ärzten anerkannt.597 Zwar dürfen – und müssen – die Eltern bei ihrer Entscheidung diese unsichere Tatsachengrundlage mitberücksichtigen, sie können im Rahmen ihrer Entscheidung dann aber zu dem Ergebnis kommen, dass sie vom hygienischen Nutzen sowie der Vorbeugung gegen Infektionen des Harnsystems überzeugt sind. Insofern liegt es in der Kompetenz der Eltern zu beurteilen, ob sie den jeweiligen Studien Glauben schenken:598 Im Hinblick auf den oben dargestellten medizinischen Hintergrund handelt es sich um vertretbare Vorteile, die als solche in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden dürfen.599 Die möglichen – angezweifelten – Vorteile der geringeren Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren und von Geschlechtskrankheiten sowie der vorbeugenden Wirkung gegen HIV-Infektionen sind unter zwei Gesichtspunkten problematisch: Erstens handelt es sich um einen Nutzen, der nicht unmittelbar beim Kind, sondern erst später im Laufe dessen Lebens eintritt und zweitens ist der Nutzen zum Teil auf Dritte bezogen. So kann insbesondere der Vorteil einer möglichen Vorbeugung von Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, die auf die geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren zurückgeführt wird, nicht in die Abwägung einfließen,600 da er auf Dritte und nicht auf das Wohl des Kindes bezogen ist.601 Dies gilt darüber hinaus für jeden Nutzen der Zirkumzision, der andere Personen und nicht das Kind betrifft.

596

Vgl. oben B.III.2.a). Vgl. nur Katz/Wright, NEnglJMed 359 (2008), 2412; Christakis/Harvey/Zerr u. a., Pediatrics 105 (2000), 246, 248. 598 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257, 261. 599 Vgl. oben zur Vertretbarkeit der auf Seiten des Nutzens einzustellenden Aspekte E.V.3.b)bb). 600 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 688; anders Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 136. 601 Freilich könnte man auch hier argumentieren, dass der Vorteil der Vorbeugung gegen Gebärmutterhalskrebs nicht allein eine dritte Person betrifft, sondern sich insofern auf das Kindeswohl bezieht, als er das Interesse beinhaltet, einem anderen helfen zu wollen. Dies kann hier aber – anders als etwa im Falle einer Blutspende, die genau zu diesem Zwecke vorgenommen wird – nicht angenommen werden, da die Motivation zur Zirkumzision in erster Linie im religiösen Hintergrund besteht und medizinische Vorteile für die Motivation eher zweitrangig sind. Die Annahme, die Zirkumzision geschehe zusätzlich aus der Motivation heraus, einem anderen helfen zu wollen, ist daher fernliegend. 597

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

245

Die weiteren genannten Vorteile602 der geringeren Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren (als Erreger von Peniskarzinomen) und von Geschlechtskrankheiten sowie der vorbeugenden Wirkung gegen HIV-Infektionen können – wenn überhaupt – frühestens ab dem ersten Geschlechtsverkehr eintreten. Zu diesem Zeitpunkt wird das Kind im Hinblick auf die Zirkumzision regelmäßig schon einwilligungsfähig sein, jedenfalls aber die Wirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung beeinflussen können.603 Da keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Ursache dieser möglichen Vorteile – also die Zirkumzision – schon zu einem frühen Zeitpunkt gesetzt werden muss, damit diese (besser) wirksam werden können,604 sind sie nicht auf das Kindeswohl bezogen und daher aus der Abwägungsentscheidung auszuklammern.605 Das zentrale Motiv und der wichtigste Vorteil der Knabenbeschneidung liegt im religiösen Bereich: Dieser Nutzen kann als Stiftung religiöser Identität zusammengefasst werden.606 Im Hinblick auf die religiöse Bedeutung der Knabenbeschneidung wird allerdings angemahnt, dass allein aus ihrer jahrtausendealten Tradition sowie aus der relativen Häufigkeit ihrer Durchführung gerade nicht auf die rechtliche Zulässigkeit des Rituals geschlossen werden dürfe; denn hierbei handele es sich um einen naturalistischen Fehlschluss vom Sein aufs Sollen.607 Dies ist insofern korrekt, als die genannten Tatsachen für sich genommen keine – schon gar keine zwingenden – Argumente für die rechtliche Zulässigkeit des Eingriffs darstellen können. Die Verankerung des Rituals in der jeweiligen religiösen Tradition spielt aber dennoch für die Überprüfung der von den Eltern definierten religiösen Vorteile des Eingriffs im Hinblick auf deren Vertretbarkeit eine Rolle: Die Eltern dürfen einerseits gemäß ihrem Erziehungsrecht die religiösen Vorteile des am Kind vor602

Sofern sie sich auf den Beschnittenen, nicht aber auf Dritte beziehen. Vgl. zur Einwilligungsfähigkeit oben D.IV.2.b)cc); vgl. zu den Auswirkungen des entgegenstehenden Kindeswillens auf die Wirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung unten E.V.5.a). 604 Überträgt man etwa die Ergebnisse der afrikanischen Studien zum Zusammenhang zwischen HIV-Infektionen und der Beschneidung auf Deutschland, so ist auch der Faktor zu übertragen, dass sie an Männern – nicht an Kindern – durchgeführt wurden und (dennoch) eine vorbeugende Wirkung der Zirkumzision ermittelt wurde, vgl. Bailey/Moses/Parker u. a., Lancet 369 (2007), 643, Gray/Kigozi/Serwadda u. a., Lancet 369 (2007), 657 ff. 605 Vgl. auch Frisch/Aigrain/Barauskas u. a., Pediatrics 131 (2013), 796, 797 f.; s. hierzu auch oben E.V.3.c). 606 Vgl. Putzke, in: FS Herzberg, 669, 701; Zähle, AöR 134 (2009), 434, 452; Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht; Neumann, Bund und Bekenntnis; Staszewski, Goldener Schnitt. 607 Hassemer, ZRP 2012, 179, 180; Herzberg, ZIS 2012, 486, 495 f., Letzterer in Kritik an Swatek-Evenstein, Das beschnittene Recht, S. 5. 603

246

E. Die stellvertretende Einwilligung

genommenen Eingriffs definieren, andererseits sind Letztere im Sinne des staatlichen Wächteramts hin auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.608 Dabei ist bezüglich der Zirkumzision zu berücksichtigen, dass es sich bei ihr um eine tief in der Religion verwurzelte Tradition handelt,609 ohne dass dies als absolutes Argument oder gar als Schluss vom Sein aufs Sollen zu verstehen ist. Vielmehr sprechen die religiöse Tradition und die zentrale religiöse Bedeutung der Beschneidung für die Vertretbarkeit der von den Eltern für das Kind definierten religiösen Vorteile des Eingriffs. Daher ist beim Ritual der Knabenbeschneidung die Stiftung religiöser Identität auf der positiven Seite in die Abwägungsentscheidung einzustellen. Ihr ist aufgrund der Verstärkung, die Art. 6 II GG im religiösen Bereich vom Art. 4 I, II GG erfährt,610 ein besonders hohes Gewicht zuzumessen. Demgegenüber wird zum Teil darauf abgestellt, dass es sich bei der Beschneidung weder im Judentum noch im Islam um einen „konstitutiven Akt der Glaubenszugehörigkeit“ 611 handele, der zwingend zu dem jeweiligen Zeitpunkt vorgenommen werden müsse. Daher solle es bei der Beurteilung der stellvertretenden Einwilligung hierin gerade nicht auf den religiösen Aspekt als Vorteil des Eingriffs ankommen.612 Dem steht aber entgegen, dass Art. 4 I, II GG, der in diesem Bereich den Art. 6 II GG verstärkt,613 eine Bewertung religiöser Inhalte verbietet.614 Im Sinne des Kindeswohls darf der religiöse Aspekt zwar im Hinblick auf seine Vertretbarkeit überprüft werden. Eine weitergehende Beurteilung ist aber vor dem Hintergrund des Art. 4 I, II GG gerade nicht angezeigt. Insofern kommt es auf die Vorstellung der jeweiligen Religionsgemeinschaft sowie deren Angehörigen an615 und es kann nicht „von außen“ darüber geurteilt werden, ob der Eingriff aus religiöser Sicht auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich wäre. Der religiöse Nutzen stellt einen gewichtigen, ja den zentralen Vorteil der Beschneidung dar.616

608

Vgl. oben E.V.3.b)bb)(1). Vgl. zur religiösen Bedeutung der Beschneidung im Judentum B.II.2.a) sowie im Islam B.II.3.a). 610 Vgl. Abschn. E, Fn. 549. 611 Exner, Sozialadäquanz, S. 56. 612 Zu dem Ganzen Exner, Sozialadäquanz, S. 56; Putzke, in: FS Herzberg, 669, 700; Putzke, MedR 2008, 268, 271 f. 613 Vgl. Abschn. E, Fn. 549. 614 Vgl. BVerfGE 12, 1, 4. 615 Vgl. BVerfGE 24, 236, 247 f. 616 Ebenfalls in diese Richtung Joecks, StGB, § 223, Rn. 27. 609

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

247

cc) Der Kindeswille Soweit ein noch gar nicht zur Selbstbestimmung fähiger Minderjähriger beschnitten werden soll, hat der Kindeswille weder auf Seiten der Vorteile noch auf Seiten der Nachteile Relevanz für die Gesamtabwägung. dd) Abwägung von Risiken und Nutzen Stellt also im Sinne dieser genannten heranzuziehenden Kriterien die stellvertretende Einwilligung in die lege artis und unter sterilen Bedingungen durchgeführte, religiös motivierte Beschneidung eine Kindeswohlgefährdung dar, sodass die Eltern ihre strafrechtliche, von Art. 6 II GG i.V. m. Art. 4 I, II GG garantierte Dispositionsbefugnis überschreiten? Bedenkt man das relativ geringe Risiko auf der einen Seite sowie die hoch zu gewichtende religiöse Bedeutung des Eingriffs und dessen möglichen medizinischen Nutzen617 auf der anderen Seite, so kann nicht davon gesprochen werden, dass die sich aus der Beschneidung ergebenden Risiken im Hinblick auf den damit verfolgten Nutzen nicht mehr verantwortbar im Sinne des Überschreitens einer gewissen Erheblichkeitsschwelle sind: In der stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung liegt keine Kindeswohlgefährdung, daher befinden sich die Eltern mit ihrer noch verantwortbaren Entscheidung zur Wahrnehmung der körperbezogenen und religiösen Selbstbestimmung des Kindes im von Art. 6 II i.V. m. Art. 4 I, II, GG abgesteckten Rahmen und damit innerhalb ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung für ihr Kind.618 b) Die traditionelle sowie die nicht kunstgerecht durchgeführte Beschneidung Abweichend von der oben zugrunde gelegten Fallkonstellation ist es auch denkbar, dass die Zirkumzision an dem überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Kind etwa von einem traditionellen Beschneider oder nicht lege artis619 erfolgt. Auf diese Konstellationen wird im Folgenden eingegangen. 617 Hygienische Vorteile sowie Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen, vgl. oben E.V.4.a)bb). 618 Ebenso Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138; Valerius, Kultur und Strafrecht, S. 157 f.; i. E. ebenso Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 343 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 374; Joecks, StGB, § 223, Rn. 27; Rox, JZ 2012, 806, 807 f. 619 Vgl. zur Konstellation einer ohne vorherige Betäubung durchgeführten Beschneidung, welche bereits die sich aus § 1631 II BGB ergebende Grenze des Kindeswohls überschreitet, bereits oben E.IV.3.a)bb)(2). Ist den einwilligenden Eltern nicht bewusst, dass sie das Kind vermeidbaren Schmerzen aussetzen und greift daher nicht die Grenze des § 1631 II BGB, so ist jedenfalls die allgemeine Grenze der Kindeswohlgefährdung überschritten und es gelten die folgenden Ausführungen zu den nicht lege artis erfolgenden Eingriffen. Vgl. auch Abschn. E, Fn. 629.

248

E. Die stellvertretende Einwilligung

Ist ein traditioneller Beschneider, der den Eingriff vornimmt, in tatsächlicher Hinsicht ebenso kompetent zur Vornahme der Zirkumzision wie ein approbierter Arzt,620 so ergeben sich allein aus der Durchführung des Eingriffs durch denselben keine erhöhten Risiken für das Kind.621 Insofern ist es den Eltern unter strafrechtlichen Aspekten durchaus möglich, in die Vornahme der Beschneidung durch einen traditionellen Beschneider einzuwilligen, sofern der Eingriff lege artis622 und unter sterilen Bedingungen durchgeführt wird.623 In diesen Fällen ist die Risiko-Nutzen-Abwägung nämlich ebenso wie im Ausgangsfall zu beurteilen, sodass keine Kindeswohlgefährdung gegeben ist und sich die Eltern innerhalb ihrer Dispositionsbefugnis befinden. Damit wird an dieser Stelle nochmals deutlich, dass die strafrechtliche Beurteilung einer Handlung i. S. d. § 223 I StGB nicht von vorhandenen oder fehlenden Diplomen des Eingreifenden abhängig gemacht werden kann.624 Ist der traditionelle Beschneider allerdings zur Vornahme des Eingriffs de facto weniger kompetent als ein approbierter Arzt oder ist die Zirkumzision von vornherein darauf angelegt, nicht lege artis,625 insbesondere unter unhygienischen Bedingungen626 durchgeführt zu werden, so ergibt sich ein anderes 620 Der traditionelle jüdische Mohel ist in der Regel zur Vornahme von Beschneidungen ausgebildet. Es ist außerdem durchaus denkbar, dass ein Mohel zugleich approbierter Arzt ist, vgl. insbesondere Abschn. B, Fn. 45. 621 Vgl. auch BGHSt 16, 309, 312: Der Irrtum des Patienten über die Approbation des Eingreifenden führt dann zur Unwirksamkeit der Einwilligung, wenn bei der Vornahme des Eingriffs durch einen ausgebildeten Arzt (im Vergleich zur Vornahme durch einen Medizinstudenten) für den Patienten ein geringeres Risiko besteht. Dieser Gedanke, den der BGH allerdings ausschließlich auf geringfügige Fälle bezieht, kann auf die stellvertretende Einwilligung insofern übertragen werden, als die Eltern (unabhängig vom Vorliegen eines Irrtums!) nicht in die Vornahme eines Eingriffs durch einen nicht approbierten Arzt stellvertretend einwilligen dürfen, wenn sich dadurch ein erhöhtes Risiko für das Kind ergibt. Denn solch ein Risiko ist ohne Weiteres vermeidbar. Ergibt sich aus der Vornahme des Eingriffs durch einen nicht approbierten Arzt dagegen kein erhöhtes Risiko für das Kind, so ist die stellvertretende Einwilligung hierin möglich. 622 Nunmehr wird allerdings darauf hingewiesen, dass dem nicht approbierten Beschneider eine kunstgerechte Durchführung der Beschneidung nicht möglich sei, da er angemessene Narkosemittel weder beschaffen noch anwenden könne, so Walter, JZ 2012, 1110, 1114. Gibt es tatsächlich keine Möglichkeit für den traditionellen Beschneider, eine kunstgerechte, wirksame Schmerzbehandlung durchzuführen, so hat dies nach den hier zugrunde gelegten Maßstäben zur Folge, dass die elterliche stellvertretende Einwilligung wegen der Überschreitung des Kindeswohls unwirksam ist. 623 Der traditionelle Beschneider muss allerdings auch ebenso kompetent wie ein approbierter Arzt zur vorherigen Aufklärung sein. Ansonsten ist die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschritten. Vgl. dazu unten E.VI.4.a)dd). 624 Vgl. auch NK-Paeffgen, § 224, Rn. 17: Die Bejahung oder Verneinung einer gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs i. S. d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB kann nicht von fehlenden oder vorhandenen Diplomen des Eingreifenden abhängig gemacht werden. Vgl. auch oben C.II.1.b). 625 s. Abschn. E, Fn. 622. 626 Vgl. hierzu auch LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

249

Bild:627 Nicht nur, dass aus einer solchen Behandlung wesentlich erhöhte Risiken erwachsen,628 diese Risiken sind auch ohne Weiteres vermeidbar, da an sich eine Behandlung durch eine hierfür tatsächlich kompetente Person, lege artis und unter sterilen Bedingungen möglich ist, auch wenn dies den Gang ins Krankenhaus erfordert.629 Willigen die Eltern stellvertretend für ihr Kind in eine solche Behandlung ein,630 so setzen sie dieses ohne Notwendigkeit einem erhöhten Risiko aus, was aufgrund der Vermeidbarkeit desselben ein besonders gewichtiger Nachteil des Eingriffs ist, dem kein angemessener Vorteil gegenübersteht.631 Er wiegt aufgrund der fehlenden Berücksichtigung des Kindeswohls, die in der Vermeidbarkeit des Risikos zum Ausdruck kommt, so schwer, dass die Gesamtabwägung von Risiken und Nutzen dahingehend ausfällt, dass die Eltern für ihr Kind ein im Hinblick auf den mit dem Eingriff verbundenen Nutzen nicht mehr verantwortbares Risiko eingehen. Sie überschreiten damit die Grenze der Kindeswohlgefährdung632 und befinden sich nicht mehr im Rahmen ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis. Allgemein gesprochen bedeutet dies, dass eine Einwilligung der Eltern in nicht kunstgerechte Behandlungen des Kindes in der Regel ausgeschlossen ist: Sie dürfen für ihr Kind nur in Maßnahmen einwilligen, die dem geltenden medizinischen Standard entsprechen633 und von einer jedenfalls de facto kompetenten Person vorgenommen werden.634

627 Selbiges würde freilich für einen Arzt gelten, der die Beschneidung von vornherein nicht lege artis durchführt. 628 Franz, FAZ v. 09.07.2012, S. 7, verweist für diese Fälle sogar auf eine Komplikationsrate von bis zu 16%. 629 Wird die Beschneidung ohne vorherige Betäubung durchgeführt, so ist in der Regel bereits die Grenze der seelischen Verletzung i. S. d. § 1631 II BGB erreicht, sodass es nicht mehr auf die allgemeine Grenze der Kindeswohlgefährdung ankommt, vgl. hierzu oben E.IV.3.a)bb)(2). Liegt in der fehlenden Betäubung des Kindes keine Überschreitung der Grenze aus § 1631 II BGB (wenn etwa die Schmerzen nicht Teil des Rituals sein sollen, sondern von einer Schmerzunempfindlichkeit Neugeborener ausgegangen wird), so ist aufgrund des vermeidbaren Nachteils des Schmerzes und der sich daraus ergebenden Risiken in physischer und psychischer Hinsicht jedenfalls die allgemeine Grenze der Kindeswohlgefährdung überschritten, sodass sich die Eltern nicht mehr im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis befinden. 630 Dabei muss von vornherein klar sein, dass die Beschneidung – aus welchen Gründen auch immer – nicht lege artis erfolgen wird. Denn grundsätzlich willigen der Patient bzw. stellvertretend dessen Eltern stets nur in eine lege artis erfolgende Behandlung ein. BGHSt 43, 306, 309; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 51; Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 54. 631 Vgl. hierzu oben E.V.3.a)aa). 632 Vgl. auch Abschn. E, Fn. 619 und 629. 633 Vgl. LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244 f. 634 I. E. ebenso Zähle, AöR 134 (2009), 434, 451.

250

E. Die stellvertretende Einwilligung

c) Exkurs: Die Grenze der Kindeswohlgefährdung im Hinblick auf die Genitalverstümmelung Eine stellvertretende Einwilligung in die Genitalverstümmelung von Mädchen635 überschreitet bereits die besprochenen besonderen Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis.636 Darüber hinaus stellt sich das Risiko des Eingriffs637 im Vergleich zum damit verfolgten Nutzen als nicht mehr verantwortbar dar, auch wenn der Eingriff unter hygienischen Bedingung und aus religiösen Gründen638 erfolgt. Damit liegt in der Genitalverstümmelung eine Kindeswohlgefährdung,639 sodass sich die Eltern auch in dieser Hinsicht nicht im Rahmen ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis befinden. 5. Die Risiko-Nutzen-Abwägung im Hinblick auf die religiös motivierte Beschneidung beim teilweise zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen Den obigen Ausführungen zu der Risiko-Nutzen-Abwägung im Hinblick auf die religiös motivierte Knabenbeschneidung lag die Fallkonstellation zugrunde, dass die Eltern in die Zirkumzision eines überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen einwilligen. Da grundsätzlich im Rahmen der Gesamtabwägung der Kindeswille als Ausdruck bereits teilweise vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten neben den anderen Vor- und Nachteilen des Eingriffs zu berücksichtigen ist,640 stellt sich nunmehr die Frage, wie die Abwägungsentscheidung ausfällt, wenn ein in Teilen schon zur Selbstbestimmung fähiger Junge beschnitten werden soll, der selbst den Eingriff entweder ablehnt oder ihm zustimmt. a) Der dem Eingriff entgegenstehende Kindeswille Soweit der Wille des Kindes Ausdruck bereits vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten desselben ist, ist er neben den weiteren Vor- und Nachteilen in die Gesamtabwägung zur Feststellung des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung 635 Zum Begriff vgl. oben D.IV.5.c); Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff.; Küng, Islam, S. 676 f. 636 Vgl. hierzu oben E.IV.3.a)bb)(3) und E.IV.3.b)aa)(2). 637 Hohe Komplikationsrate, erhebliche physische und psychische Folgen, Verlust der sexuellen Identität, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 241 ff. 638 Zum Teil liegt der Nutzen des Eingriffs auch nur im kulturellen Aspekt, vgl. Gollaher, Geschlecht, S. 239 f. 639 Wüstenberg, FamRZ 2007, 692, 694 f.; Coester, FPR 2009, 549, 552. 640 Vgl. oben E.V.3.d).

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

251

einzustellen.641 Dabei ist er als entgegenstehender Wille auf Seiten der Nachteile des Eingriffs zu berücksichtigen. Die Risiko-Nutzen-Abwägung in oben beschriebenem Sinne wäre aber dann gar nicht erforderlich, wenn dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen ab Erreichen eines gewissen Reifegrades ein generelles, festes Vetorecht gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung in (nicht indizierte) körperliche Eingriffe in dem Sinne zustünde, dass allein sein dem Eingriff entgegenstehender Wille zur Unwirksamkeit derselben führen würde.642 Denn dann würde sich die Unwirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung direkt aus dem ablehnenden Kindeswillen ergeben, sodass in diesem Fall eine Gesamtabwägung zur Feststellung des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung überflüssig wäre.643 aa) Vetorechte des einwilligungsunfähigen Minderjährigen gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung? Es ist also zunächst zu klären, ob dem Willen des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ab Erreichen eines gewissen Reifegrades insofern absolute Bedeutung zukommt, als Letzterer ein festes Vetorecht gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung in einen körperlichen Eingriff innehat. (1) Vetofähigkeit als feste Größe? Im Hinblick auf mögliche Vetorechte des Minderjährigen wird in erster Linie versucht, eine Vetofähigkeit – ähnlich wie die Einwilligungsfähigkeit – anhand fester Kriterien zu bestimmen; dabei soll die Vetofähigkeit weiter reichen als die Fähigkeit zur Einwilligung.644 Es sei etwa durchaus denkbar, dass der Einwilligungsunfähige zwar noch nicht die mit einem Eingriff verbundenen Vorteile, wohl aber den dadurch eintretenden Verlust umfassend überblicken könne. In diesen Fällen müsse man ihm, jedenfalls soweit ihm ein „gravierender körperlicher Verlust zugefügt werden soll“, ein Widerspruchsrecht zugestehen, das allerdings bei Lebensgefahr nicht greifen soll.645 641

Vgl. oben E.V.3.d). Solche Vetorechte sind – mit vielen Unterschieden im Detail – in der Literatur durchaus anerkannt, vgl. Amelung, Vetorechte; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 534 f.; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 832 f.; Golbs, Vetorecht, S. 143 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 110; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 64; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 38; Wölk, MedR 2001, 80, 88; Exner, Sozialadäquanz, S. 55; Palandt-Götz, § 1626, Rn. 10. 643 In diese Richtung Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 126 f. 644 Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 110; Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 47; vgl. auch BGH, NJW 2007, 217, 218. 645 Amelung, Vetorechte, S. 25. Diese Ansicht beruht auf dem Gedanken, dass die stellvertretende Einwilligung für den Einwilligungsunfähigen Zwang bedeutet. Demge642

252

E. Die stellvertretende Einwilligung

Diesen Gedanken aufnehmend wird auch zwischen „Eingriff“ und „Nichteingriff“ unterschieden und die Fähigkeiten zur Einwilligung einerseits und zur Verweigerung eines Eingriffs andererseits werden entsprechend als unterschiedliche Fähigkeiten betrachtet.646 An die letztgenannte wird ein Vetorecht des Einwilligungsunfähigen geknüpft, wobei die Grenze desselben im Eingreifen von (anderen) Rechtfertigungsgründen bzgl. des vorzunehmenden Eingriffs liegen soll.647 In ähnlicher Weise wird für die Begründung einer Vetofähigkeit des Minderjährigen darauf abgestellt, dass er dazu in der Lage sein müsse, jedenfalls die unmittelbaren Vor- und Nachteile des Eingriffs bzw. der Nichtvornahme desselben zu begreifen und seinen Willen danach auszurichten.648 Nach diesen Ansichten soll es also – innerhalb gewisser Grenzen649 – möglich sein, dass der sich in der Entwicklung befindliche Minderjährige aufgrund mangelnder Einsichts- und Urteilsfähigkeit zwar nicht selbst positiv in einen Eingriff einwilligen, ihn wohl aber ab Erreichen eines bestimmten, fest definierten Reifegrades negativ durch das Einlegen eines Vetos in verbindlicher Weise ablehnen kann.650 Unbeschadet der jeweils eingeräumten Ausnahmen ist den Ansichten, die eine feste Vetofähigkeit zu definieren versuchen, entgegenzuhalten, dass sie dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen nicht selbstbestimmte Entscheidungen in Bezug auf seinen Körper erlauben: Sobald er etwa die Nachteile eines Eingriffs zu überblicken in der Lage ist, hätte der Minderjährige die Kompetenz zur Ablehnung des Eingriffs inne, ohne dessen Vorteile verstehen zu können.651 Er wäre zwar nicht dazu fähig, die für ihn relevanten Vor- und Nachteile des Eingriffs anhand seines Wertsystems abzuwägen652 und daher nicht einwilligungsfähig, könnte aber dennoch in rechtswirk-

genüber wird im Rahmen dieser Arbeit gerade davon ausgegangen, dass die elterliche stellvertretende Einwilligung für das Kind die Verwirklichung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung ist. Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 646 Golbs, Vetorecht, S. 144. 647 Golbs, Vetorecht, S. 144 f. 648 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 153 f. 649 Innerhalb der Ansichten, die die Vetofähigkeit eines Einwilligungsunfähigen als feste Größe definieren und hieran eine Vetoberechtigung des Einwilligungsunfähigen festmachen, besteht keine Einigkeit über die genauen Grenzen derselben. Vgl. hierzu Golbs, Vetorecht, S. 145 m.w. N. 650 Vgl. Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 534; Golbs, Vetorecht, S. 144 f. 651 Hierzu kritisch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 115 ff.; vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 110 f. 652 Dies ist gerade Voraussetzung vorhandener Einwilligungsfähigkeit, Amelung, Vetorechte, S. 10; vgl. Schroth, in: Neumann/Prittwitz, 113, 123 f.; Schroth, in: Schroth/ Schneewind u. a., 79, 103; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 14 f.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

253

samer Weise einen Eingriff verhindern, dem er bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit gegebenenfalls zugestimmt hätte.653 Derselbe Einwand gilt im Hinblick auf die Fähigkeit des Minderjährigen, nur die unmittelbaren Folgen des Eingriffs bzw. eines Unterlassens desselben zu verstehen und danach zu handeln, da auch diese Fähigkeit – sofern sich eine solche überhaupt sinnvoll abgrenzen lässt – den Einwilligungsunfähigen nicht dazu in die Lage versetzt, das gesamte Für und Wider des Eingriffs zu überblicken und für sich selbst zu gewichten, was die Gefahr nicht selbstbestimmter ablehnender Entscheidungen beinhaltet.654 Die Eltern, die bei Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen für die Verwirklichung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung zuständig sind,655 könnten diese Kompetenz in all den Fällen nicht wahrnehmen, in denen der „vetofähige“ Minderjährige, der aufgrund fehlender Einwilligungsfähigkeit gerade noch nicht zu selbstbestimmten Handlungen in Bezug auf seinen Körper in der Lage ist, den jeweiligen Eingriff ablehnt. Dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen würde dadurch nicht eine größere Freiheit zur Selbstbestimmung zugestanden,656 sondern im Gegenteil die Möglichkeit zur körperbezogenen Selbstentfaltung, die ja gerade durch die stellvertretende Einwilligung der Eltern gegeben ist,657 genommen. Damit entpuppt sich die vermeintliche Selbstbestimmung, der durch die Anerkennung einer Vetofähigkeit als feste Größe Genüge getan werden soll, in Wahrheit als Fremdbestimmung. Darüber hinaus ist es kaum möglich, sinnvoll zwischen intellektuellen Fähigkeiten zu trennen, die einerseits die Vornahme und andererseits die Nichtvornahme eines Eingriffs betreffen: Da die Nichtvornahme eines Eingriffs die Kehrseite der Vornahme desselben ist658 kann es für die Einwilligung in einen Eingriff bzw. für die Ablehnung desselben nur auf die umfassende Selbstbestimmungsfähigkeit ankommen, aufgrund derer man dazu in der Lage ist, Vornahme und Nichtvornahme eines Eingriffs gegeneinander abzuwägen.659 Die „für eine Einwilligung erforderliche Vernunft“ ist damit gerade nicht „teilbar“.660 Insofern ist eine Definition einer Vetofähigkeit anhand fester Kriterien als Voraussetzung dafür, dass dem Minderjährigen schon vor Erreichen der Einwilli653 Ähnlich MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142; vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 110 f. 654 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. 655 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 92 f. 656 So Golbs, Vetorecht, S. 171 ff. 657 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 658 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. 659 Vgl. zur Abwägung auf Grundlage des eigenen Wertesystems Abschn. E, Fn. 652. 660 Anders Amelung, Vetorechte, S. 25; Golbs, Vetorecht, S. 144.

254

E. Die stellvertretende Einwilligung

gungsfähigkeit die Kompetenz zur verbindlichen Ablehnung medizinischer Eingriffe zuerkannt wird, abzulehnen.661 (2) Vetoberechtigung als feste Größe? Die Vetofähigkeit wird bei den unterschiedlichen Definitionsversuchen i. d. R. nicht für sich alleine genommen, sondern in Abhängigkeit der jeweiligen Eingriffsmodalitäten betrachtet.662 Die herangezogenen Kriterien werden im Folgenden im Hinblick auf die Frage besprochen, ob eine allgemeingültige Definition einer Vetoberechtigung denkbar ist. Eine Vetoberechtigung wird beispielsweise mit der fehlenden Indikation sowie der Aufschiebbarkeit eines Eingriffs663 oder mit der Schwere und Dauer der aus dem Eingriff resultierenden Gesundheitseinbußen in Zusammenhang gebracht.664 Umgekehrt wird die Grenze von Vetorechten Minderjähriger etwa in der Indikation des vorzunehmenden Eingriffs gesehen, wenn also mit der Nichtvornahme desselben eine schwere Gesundheits- oder gar Lebensgefahr665 verbunden ist.666 Schon allein die Tatsache, dass auf solch unterschiedliche Kriterien zur Definition der Vetoberechtigung abgestellt wird, zeigt, wie schwierig es ist, dieselbe an konkreten Voraussetzungen festzumachen. Auch ein Blick auf die Rechtsprechung macht dies deutlich: Sie geht zwar davon aus, dass ein Vetorecht eines einwilligungsunfähigen Minderjährigen vorliegen kann, wenn bei diesem eine „ausreichende Urteilsfähigkeit“ vorhanden ist. Gleichzeitig wird ein solches aber davon abhängig gemacht, dass es sich um einen „nur relativ indizierten Eingriff“ handelt, der „erhebliche [. . .] Folgen für [die] künftige Lebensgestaltung“ des Minderjährigen haben kann.667 Es wird also auf ein Zusammenspiel mehrerer Aspekte abgestellt. Hieraus ergibt sich, dass auch eine allgemeingültige Definition einer Vetoberechtigung nicht in sinnvoller Weise möglich ist.668 Vielmehr kann man den unterschiedlichen Aspekten, die mit einem Eingriff verknüpft sind, sowie den unter661 Vgl. auch die Darstellung bei Golbs, Vetorecht, S. 174 f. Die Autorin bejaht allerdings das Vorhandensein einer festen Vetobefugnis. 662 Vgl. hierzu auch Golbs, Vetorecht, S. 178. 663 Golbs, Vetorecht, S. 196; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 110; Wölk, MedR 2001, 80, 88; Exner, Sozialadäquanz, S. 55. 664 Amelung, Vetorechte, S. 30; Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 535; Amelung, ZStW 104 (1992), 821, 832; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 16; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 64; vgl. Palandt-Götz, § 1626, Rn. 10. 665 Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 153; Amelung, Vetorechte, S. 25. 666 Vgl. speziell für Vetorechte Minderjähriger gegen den Schwangerschaftsabbruch Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 229. 667 BGH, NJW 2007, 217, 218 (zivilrechtliche Entscheidung). 668 MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

255

schiedlichen medizinischen Fallkonstellationen und überhaupt der Bandbreite an möglichen medizinischen Eingriffen nur durch eine einzelfallbezogene Beurteilung gerecht werden.669 (3) Mögliche rechtliche Grundlagen von Vetorechten einwilligungsunfähiger Minderjähriger Die Definition von Vetorechten des einwilligungsunfähigen Minderjährigen als feste Größe ist also kaum möglich.670 Darüber hinaus zeigen die folgenden Ausführungen, dass sich auch keine rechtliche Grundlage von Vetorechten des Kindes in dem Sinne finden lässt, dass dessen entgegenstehender Wille stets zur Unwirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung in körperliche Eingriffe führt. (a) Geschriebene und ungeschriebene Vetorechte in speziellen Bereichen Für einige besondere Fälle von körperlichen Eingriffen671 an Einwilligungsunfähigen existieren geschriebene bzw. ungeschriebene Vetorechte:672 So sind etwa für den Bereich der Kastration Einwilligungsunfähiger,673 für den Bereich der Sterilisation dauerhaft einwilligungsunfähiger Erwachsener674 oder für den Bereich klinischer Prüfungen an Minderjährigen675 durch das Gesetz Ve669 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. Dem Gedanken nach ähnlich, allerdings nicht in Bezug auf Vetorechte, sondern auf das Modell der individuellen Kindeswohlbestimmung: Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 134. Anders wohl im Hinblick auf Vetorechte, vgl. S. 126 f. 670 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. 671 Im Bereich nicht körperlicher Eingriffe räumt § 1671 II Nr. 1 BGB dem Kind gegen Sorgerechtsentscheidungen kein echtes Vetorecht ein, sondern verhindert lediglich im Falle eines Widerspruchs des Kindes, dass das Gericht dem Vorschlag der Eltern zum Sorgerecht zustimmt, ohne eine Kindeswohlprüfung i. S. d. § 1671 II Nr. 2 BGB vorzunehmen, vgl. Palandt-Götz, § 1671, Rn. 9. Die Regelung des § 5 S. 2 KErzG betrifft nicht körperliche Eingriffe, sondern allein religiöse Entscheidungen. Vgl. zu den Konsequenzen dieser Norm ausführlich unten E.V.5.a)bb)(2)(b), insbesondere auch Abschn. E, Fn. 711. 672 Ein Überblick zu bestehenden Vetorechten findet sich etwa bei Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 534; Golbs, Vetorecht, S. 149 ff. 673 § 3 III Nr. 1 KastrG: Der nicht einwilligungsfähige Betroffene muss mit der Kastration einverstanden sein. 674 § 1905 I 1 Nr. 1 BGB: Die Sterilisation darf dem Willen des dauerhaft nicht einwilligungsfähigen Betreuten nicht widersprechen. 675 §§ 40 IV Nr. 3 AMG: Bringt der einwilligungsunfähige Minderjährige zum Ausdruck, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, so ist dies zu beachten. Ist der Minderjährige bereits einwilligungsfähig, so bedarf es dessen Einwilligung zusätzlich zur Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Dem Bereich klinischer Prüfungen an Minderjährigen liegt aber schon eine andere Ausgangslage zugrunde, da eine starre

256

E. Die stellvertretende Einwilligung

torechte vorgesehen, die zum Teil an die Würde, zum Teil an bereits vorhandene intellektuelle Fähigkeiten anknüpfen.676 Diese Regelungen betreffen jedoch ausschließlich spezielle Fallkonstellationen, in denen es um schwerste medizinische Eingriffe an Einwilligungsunfähigen geht.677 Dabei hängt schon die grundsätzliche Einwilligungsmöglichkeit von einer Vielzahl gesetzlich geregelter Voraussetzungen ab. Aufgrund dieses speziellen Regelungsgehalts der einzelnen Normen kann sich aus ihnen gerade keine allgemeine rechtliche Grundlage von Vetorechten Minderjähriger gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung für sämtliche medizinische Eingriffe ergeben.678 Ungeschrieben und weitgehend anerkannt ist das Vetorecht einer nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gegen die Entscheidung ihrer gesetzlichen Vertreter zum Schwangerschaftsabbruch.679 Da dieser besondere Bereich nicht allein das Verhältnis der Minderjährigen zu ihren Eltern als ihre gesetzlichen Vertreter betrifft, sondern es auch um den Schutz ungeborenen Lebens geht,680 können die hierzu angestellten Überlegungen ebenfalls nicht auf die Frage nach einer möglichen rechtlichen Grundlage eines allgemeinen Vetorechts des Minderjährigen gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung übertragen werden. (b) Die Regelung des § 1626 II BGB Teilweise wird aus § 1626 II BGB ein Vetorecht Minderjähriger gegen elterliche Entscheidungen hergeleitet und soll vor allem bei risikoreichen bzw. bei Altersgrenze von 18 Jahren Voraussetzung für die Fähigkeit zur Einwilligung in klinische Prüfungen ist. Vgl. ausführlich zu klinischen Prüfungen an Minderjährigen Oswald, Strafrechtliche Beschränkungen, D.I.2. 676 Vgl. hierzu ausführlich Amelung, Vetorechte, S. 15 und S. 19 f. Es wird zwischen „Würde-Vorbehalten“ und „Vernunft-Vorbehalten“ differenziert. Vgl. zur unterschiedlichen Ausgestaltung (vorhandene positive Zustimmung oder fehlender entgegenstehender Wille des Einwilligungsunfähigen) dieser Vetorechte Amelung, Vetorechte, S. 14. 677 Vgl. auch Amelung, Vetorechte, S. 19 f. 678 Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 110. Hierin liegt i. Ü. auch die Erklärung des „Unterschiedes der medizinischen Heilbehandlung zu den die Vetofähigkeit anerkennenden gesetzlichen Regelungen“, deren angebliches Fehlen von Golbs, Vetorecht, S. 175, bemängelt wird. 679 Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 223 m.w. N.; Amelung, Vetorechte, S. 18 m.w. N.; Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 169; vgl. Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 149; Scherer, FamRZ 1997, 589, 593 f.; Ulsenheimer, in: HdA, § 143, Rn. 33; ebenso wohl Kern, NJW 1994, 753, 754. Zur Begründung dieses Vetorechts wird auf die Höchstpersönlichkeit der Entscheidung abgestellt, die die besondere Verbundenheit von der Schwangeren zu dem Fötus sowie ihre moralische Identität und Integrität betreffe – einer solchen Gewissensentscheidung könne durch eine elterliche stellvertretende Einwilligung nicht Rechnung getragen werden. Dogmatisch wird das Vetorecht der nicht einwilligungsfähigen Schwangeren mit der Menschenwürgegarantie sowie der Schutzpflicht gegenüber ungeborenem Leben begründet. Hierzu Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 226 f. 680 Vgl. auch Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 226.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

257

weitreichenden medizinischen Eingriffen eine Rolle spielen.681 Wirklich einheitlich wird ein solches Vetorecht allerdings nicht behandelt.682 Teilweise wird das Entstehen eines Vetorechts aus § 1626 II BGB aber auch abgelehnt.683 Im Wortlaut des § 1626 II BGB kommt in erster Linie der – verfassungsrechtlich geprägte – Gedanke zum Ausdruck, dass die elterliche Sorge mit wachsender Eigenständigkeit des Minderjährigen „umgekehrt proportional“ zurücktreten muss.684 Die Eltern haben das Kind als Person ernst zu nehmen und dürfen nicht „über den Kopf des Kindes hinweg bestimmen.“ 685 Sie haben das Kind in ihre Entscheidung angemessen mit einzubeziehen. Hieraus ergibt sich aber gerade kein allgemeines Mitentscheidungsrecht des Minderjährigen,686 denn die Norm geht nicht von einem generellen Vorrang des Kindeswillens aus:687 Im Konfliktfall sind es die Eltern, die entscheiden.688 § 1626 II BGB ist seiner Natur nach vielmehr als Auslegungsrichtlinie zur Konkretisierung des Begriffs „Kindeswohl“ zu verstehen, die insbesondere dort Relevanz hat, wo eine Entscheidung am Kindeswohl auszurichten ist.689 Im Falle ihrer Nichtbeachtung zieht diese Regelung damit gerade keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen nach sich.690 Insofern ist § 1626 II BGB für sich genommen keine taugliche rechtliche Grundlage von Vetorechten Minderjähriger gegen elterliche Entscheidungen.691

681

Vgl. hierzu Amelung, Vetorechte, S. 18. Vgl. hierzu Amelung, Vetorechte, S. 18 m.w. N.; Belling/Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 108 ff. 683 Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 101 und S. 225; vgl. Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 684 Eberbach, FamRZ 1982, 450, 451 m.w. N.; Belling, FuR 1990, 68, 71; Belling/ Eberl/Michlik, Selbstbestimmungsrecht, S. 120 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 84; vgl. Schwab, Familienrecht, Rn. 646; BVerfGE 59, 360, 382; 72, 122, 137; 80, 81, 91. 685 Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23; vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1989, 2398, 2399; vgl. auch Art. 12 I des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention), BGBl. II (1992), S. 122. ff. 686 Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 687 Vgl. Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23; Scherer, FamRZ 1997, 589, 591. Ähnlich Wölk, MedR 2001, 80, 83, der aber entgegen der hier vertretenen Auffassung sogar einen Vorrang des Willens des einwilligungsfähigen Minderjährigen verneint. 688 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 84; BT-Drs. 7/2060, S. 17. 689 Schwab, Familienrecht, Rn. 646; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 101 f.; vgl. auch Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 690 Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 225. 691 Ein Vetorecht aus § 1626 II BGB ebenfalls ablehnend: Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 225. 682

258

E. Die stellvertretende Einwilligung

(4) Der Maßstab der Kindeswohlgefährdung als angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens Damit ist festzuhalten, dass es kein festes Vetorecht des einwilligungsunfähigen Minderjährigen gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung in körperliche Eingriffe in dem Sinne geben kann, dass dessen dem Eingriff entgegenstehender Wille ab Vorhandensein eines bestimmten Reifegrades stets zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt. Ein solches festes Vetorecht ist aber auch gar nicht nötig, da der Wille des teilweise schon zur Selbstbestimmung fähigen Kindes i. R. d. stellvertretenden Einwilligung auf Basis der Kindeswohlgefährdung angemessene Berücksichtigung findet,692 wodurch auch eine einzelfallgerechte und auf die Besonderheiten des jeweiligen Eingriffs gerichtete Beurteilung ermöglicht wird: Auf Grundlage der Gesamtabwägung kommt dem Kindeswillen nicht absolut, sondern allein in dem Maße Bedeutung zu, in dem er auf bereits teilweise vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeiten des Minderjährigen – hier sowohl in körperbezogener als auch in religiöser Hinsicht – beruht.693 Dies beinhaltet grundsätzlich eine Berücksichtigung des Kindeswillens entsprechend der jeweiligen Reife, die sich in stetiger Entwicklung weiter ausprägt und auch nur in Bezug auf den individuellen Minderjährigen beurteilt werden kann.694 Gleichzeitig steht der in die Risiko-Nutzen-Abwägung einzustellende Nachteil der Nichtbeachtung des Kindeswillens als Ausdruck dessen bereits vorhandener intellektueller Fähigkeiten in Relation zu den weiteren kindeswohlbezogenen Eingriffsmodalitäten. Eingeordnet in den Rahmen der Kindeswohlgefährdung werden damit nicht selbstbestimmte körperbezogene Entscheidungen des Minderjährigen verhindert, indem dessen intellektuellen Teilfähigkeiten zwar stets, aber auch nur in dem Maße berücksichtigt werden, in dem sie auch vorhanden sind. Damit wird dem Grundsatz der möglichst weitreichenden Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung, der sich aus dem liberalen Rechtsguts- und Einwilligungsmodell ergibt,695 Rechnung getragen. Außerdem ergibt sich ohne Weiteres eine Erklärung dafür, warum der entgegenstehende Kindeswille bei manchen Eingriffen beachtlich ist, bei anderen wiederum nicht: Steht beispielsweise der Wille des Minderjährigen als Ausdruck be692 Ähnlich Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 111; vgl. hierzu schon oben E.V.3.d). 693 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. 694 Anders als das Erreichen der körperbezogenen Selbststimmung ist das Erreichen der religiösen Selbstbestimmung durch den Minderjährigen in § 5 KErzG gesetzlich geregelt. Vgl. hierzu auch unten E.V.5.a)bb)(2). 695 Vgl. hierzu oben D.II.2. und E.I.2.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

259

reits teilweise vorhandener intellektueller Fähigkeiten (einzustellen als Nachteil) einem dringend notwendigen Eingriff (einzustellen als enormer Vorteil) entgegen, wird im Falle der trotzdem erfolgenden stellvertretenden Einwilligung der Eltern696 auf Grundlage der Gesamtabwägung in der Regel keine Kindeswohlgefährdung festzustellen sein, während der Kindeswille, der sich gegen einen nicht oder nur relativ indizierten Eingriff (einzustellen als relativ geringer Vorteil) richtet, in der Gesamtabwägung eher dazu führen wird, dass die Eltern die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreiten, sodass die stellvertretende Einwilligung unwirksam ist.697 bb) Die Risiko-Nutzen-Abwägung bei entgegenstehendem Kindeswillen Eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens bei der stellvertretenden Einwilligung in körperliche Eingriffe erfolgt also nicht anhand fester Vetorechte desselben, sondern auf Grundlage der Risiko-Nutzen-Abwägung zur Feststellung des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung. Daher fragt sich, wie diese Gesamtabwägung ausfällt, wenn die Eltern in eine von einem Arzt lege artis und unter sterilen Bedingungen durchgeführte Beschneidung stellvertretend einwilligen und der Kindeswille als Ausdruck bereits vorhandener Teilfähigkeiten zur Selbstbestimmung dem vorzunehmenden Eingriff entgegensteht. In die Abwägung sind dabei grundsätzlich sämtliche oben beschriebene kindeswohlbezogene Aspekte698 sowie außerdem auf Seiten der Nachteile der entgegenstehende Kindeswille als Ausdruck bereits teilweise vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es bei der religiös motivierten Knabenbeschneidung nicht nur um die Verwirklichung der körperbezogenen, sondern auch um die Verwirklichung der religiösen Selbstbestimmung des Minderjährigen geht. (1) Berücksichtigung der Teilfähigkeiten des Minderjährigen zur körperbezogenen Selbstbestimmung Zunächst ist in die Gesamtabwägung der Kindeswille als Ausdruck von bereits vorhandener Teilfähigkeiten zur körperbezogen Selbstbestimmung einzubezie696 Lehnen die Eltern dagegen den Eingriff ab, so ist zu prüfen, ob in der Verweigerung der Einwilligung eine Kindeswohlgefährdung liegt. Dies ist umso eher zu bejahen, je dringend indizierter der Eingriff ist. Auch im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung ist der Kindeswille, soweit er Ausdruck bereits vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten ist, zu berücksichtigen. 697 Vgl. auch MK-StGB-Schlehofer, Vor §§ 32 ff., Rn. 142. 698 Dies sind einerseits die medizinischen Nachteile und Risiken des Eingriffs, andererseits dessen medizinischer Nutzen, soweit er vertretbar und kindeswohlbezogen ist, außerdem der zentrale Vorteil der religiösen Identitätsstiftung. Vgl. allgemein E.V.3. und konkret E.V.4.a). Zu den Ausnahmen sogleich.

260

E. Die stellvertretende Einwilligung

hen. Solche Fähigkeiten werden zumindest rudimentär in aller Regel relativ früh vorhanden sein. Dem Nachteil des entgegenstehenden Kindeswillens als Ausdruck dieser vorhandenen Fähigkeiten ist allerdings zunächst keine allzu große Bedeutung zuzumessen. Er wird erst dann umso beachtlicher, je näher die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen in Bezug auf die Zirkumzision rückt.699 (2) Berücksichtigung der (Teil-)Fähigkeiten des Minderjährigen zur religiösen Selbstbestimmung Darüber hinaus ist in die Risiko-Nutzen-Abwägung der Wille des Kindes insoweit einzustellen, als er Ausdruck der religiösen Selbstbestimmung desselben ist. Diesbezüglich ist auf die Regelungen des KErzG zurückzugreifen. Das Anhörungsrecht in § 2 III 5 KErzG bringt zum Ausdruck, dass spätestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahrs das Kind bereits in – geringen – Teilen zur religiösen Selbstbestimmung in der Lage ist. Zentrale Norm die Fähigkeit zur religiösen Selbstbestimmung betreffend ist § 5 KErzG, der nicht nur das Vorhandensein dieser Fähigkeit beim Minderjährigen regelt, sondern zudem auch die weiteren in die Gesamtabwägung einzustellenden religiösen Aspekte beeinflusst: (a) Die Regelung des § 5 S. 1 KErzG Mit Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs wird der Minderjährige nach § 5 S. 1 KErzG religionsmündig und damit fähig zu Entscheidungen über seine Religionszugehörigkeit sowie über all das, was mit der religiösen Selbstbestimmung in Zusammenhang steht.700 Dies hat zwar keine Auswirkungen auf die Einwilligungsfähigkeit betreffend die Beschneidung als körperlichen Eingriff, denn hierfür kommt es auf die oben dargestellte Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen in Bezug auf den konkreten Eingriff an.701 Allerdings folgt aus der Regelung des § 5 S. 1 KErzG, dass der Minderjährige ab Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs die Entscheidungskompetenz zur Beschneidung insofern innehat, als es sich um einen religiösen Akt handelt. Das bedeutet, dass nicht mehr die Eltern stellvertretend für den Minderjährigen zur Verwirklichung von dessen religiöser Selbstbestimmung zuständig sind, sobald dieser die Religionsmündigkeit erlangt hat. Denn das Recht zur religiösen Kindererziehung wird ab diesem Zeitpunkt von der Religionsfreiheit des Minderjährigen aus Art. 4 I, II GG beschränkt,702 sodass die elterliche stellvertretende Einwilligung in die Zirkumzision insofern nicht mehr durch Art. 6 II i.V. m. 699 700 701 702

Vgl. zur Einwilligungsfähigkeit bzgl. der Zirkumzision D.IV.2.b)cc). Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 119. Vgl. oben D.IV.2.b)cc)(1). Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 119.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

261

Art. 4 I, II GG geschützt wird, als von ihr die religiöse Selbstbestimmung des Knaben betroffen ist.703 Mit anderen Worten bewirkt das Erreichen der Religionsmündigkeit durch den Minderjährigen, dass der vorher noch so gewichtige und vertretbare Vorteil der Stiftung religiöser Identität aus der Gesamtabwägung zur Überprüfung der elterlichen Entscheidung im Hinblick auf das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung herauszunehmen ist: Ob die elterliche Entscheidung das Kindeswohl gefährdet, beurteilt sich auf Grundlage der oben beschriebenen Risiko-Nutzen-Abwägung, ohne dass Aspekte der religiösen Selbstbestimmung des Kindes als Vorteile Eingang hierin finden. Die Herausnahme des Vorteils der religiösen Identitätsstiftung aus der Gesamtabwägung ist aber nur die eine Konsequenz, die sich aus der Regelung des § 5 S. 1 KErzG ergibt. Als weitere Konsequenz muss im Rahmen der Risiko-Nutzen-Abwägung der entgegenstehende Kindeswille insofern Beachtung finden, als er Ausdruck der religiösen Selbstbestimmung des Minderjährigen ist, also auf religiösen Motiven beruht. Letzteres ist im Zweifel zu vermuten, um ein Leerlaufen des § 5 KErzG zu vermeiden. Diesem Aspekt der Ausübung der religiösen Selbstbestimmung durch den Minderjährigen kommt außerdem unter Berücksichtigung des Art. 4 I, II GG ein besonderes Gewicht zu, sodass der auf religiösen Motiven beruhende entgegenstehende Kindeswille einen sehr gewichtigen Nachteil des Eingriffs darstellt. Darüber hinaus ist – wie schon angesprochen – der entgegenstehende Wille auch insofern als Nachteil in die Abwägung einzubeziehen, als dieser Ausdruck der bereits teilweise vorhandenen körperbezogenen Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen ist, was beim noch nicht einwilligungsfähigen Vierzehnjährigen im Hinblick auf die Beschneidung relativ weitreichend der Fall sein wird.704 Berücksichtigt man nunmehr, dass auf Seiten der Vorteile der Aspekt der religiösen Identitätsstiftung herauszunehmen und auf Seiten der Nachteile der entgegenstehende Wille des religionsmündigen und schon teilweise zur körperbezogenen Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen einzustellen ist, überwiegen im 703 Erreicht der Minderjährige die Religionsmündigkeit, entfällt der Schutz der Eltern aus Art. 6 II i.V. m. Art. 4 I, II GG nicht im Gesamten. Denn die Religionsmündigkeit des Minderjährigen beschränkt zwar das elterliche Erziehungsrecht in religiöser Hinsicht, schließt es aber nicht komplett aus. Die Eltern haben religiöse Entscheidungen des Jugendlichen zu akzeptieren, müssen sich aber nicht von jeglicher Einflussnahme in religiöser Hinsicht fernhalten. Insbesondere dürfen und sollen die Eltern das Kind in religiösen Fragen unterstützen. Vgl. zu dem Ganzen Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 119. Was aber die Knabenbeschneidung als Akt der religiösen Identitätsstiftung angeht, ist hierfür der religionsmündige Minderjährige zuständig, sodass sich die Eltern insofern nicht auf ihr religiöses Erziehungsrecht berufen können. 704 Dies kann nur als Faustregel gelten. Vgl. hierzu auch oben D.IV.2.b)bb)(3)(b).

262

E. Die stellvertretende Einwilligung

Rahmen der Gesamtabwägung die Nachteile die Eingriffsvorteile in solch einem Maße,705 dass sich die elterliche Entscheidung als nicht mehr verantwortbar darstellt und damit die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreitet. Daher ist ab Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs durch den Minderjährigen die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die nicht indizierte, religiös motivierte Zirkumzision bei Entgegenstehen des Kindeswillens stets unwirksam.706 (b) Die Regelung des § 5 S. 2 KErzG Nach § 5 S. 2 KErzG darf der Minderjährige ab Vollendung seines zwölften Lebensjahrs gegen seinen Willen nicht mehr in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Ihm wird also ein Vetorecht gegen bestimmte elterliche Entscheidungen in religiöser Hinsicht gewährt. Dies bedeutet zunächst, dass ab diesem Zeitpunkt der gewichtige, mit der Zirkumzision verbundene Aspekt der religiösen Identitätsstiftung nur dann völlig als Vorteil aus der Gesamtabwägung herausgenommen werden kann, wenn der Junge durch die Beschneidung in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden soll. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein. Soll der Minderjährige durch die Beschneidung weiterhin im bisher gelebten Bekenntnis erzogen werden, greift das Vetorecht aus § 5 S. 2 KErzG an sich nicht ein, da dieses nur den Bekenntniswechsel betrifft. Dennoch wird dem zwölfjährigen Minderjährigen durch diese Regelung ein großer Teil an religiöser Mündigkeit zugesprochen. Dem § 5 S. 2 KErzG liegt also die Vermutung zugrunde, dass der Zwölfjährige zwar nicht umfassend, wohl aber zu einem weitreichenden Teil bereits zur religiösen Selbstbestimmung in der Lage ist. Hieraus folgt, dass der Aspekt der religiösen Identitätsstiftung zwar aufgrund der fehlenden umfassenden Religionsmündigkeit des Minderjährigen nicht vollständig als Vorteil aus der Abwägungsentscheidung herausgenommen werden kann. Da aber der Zwölfjährige bereits zur teilweisen religiösen Selbstbestimmung fähig ist, kann die Stiftung religiöser Identität nicht mehr als besonders 705 Selbst wenn man nicht nur den hygienischen Aspekt sowie die Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen, sondern auch die geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren (als Erreger eines Peniskarzinoms) und von Geschlechtskrankheiten sowie die vorbeugende Wirkung gegen HIV-Infektionen als kindeswohlbezogene Eingriffsvorteile qualifizieren würde, würde man in den Fällen, in denen der Wille des religionsmündigen (und teilweise zur körperbezogenen Selbstbestimmung fähigen) Knaben dem Eingriff der Zirkumzision entgegensteht, zu einem erheblichen Überwiegen der Nachteile des Eingriffs gelangen, sodass sich die stellvertretende Einwilligung der Eltern als nicht mehr verantwortbar darstellt und somit die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreitet. Vgl. auch Abschn. E, Fn. 708. 706 Ebenso Schroth, in: FS Volk, 719, 723 f. mit Fn. 22 a. E.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

263

bedeutender Vorteil gewertet werden, sondern ist i. R. d. Gesamtabwägung nur noch als ein Vorteil von geringem Gewicht zu berücksichtigen. Gleichzeitig ist der entgegenstehende Wille des Zwölfjährigen als Ausdruck dessen zum großen Teil vorhandener Fähigkeit zur religiösen Selbstbestimmung als gewichtiger707 Nachteil in die Abwägung einzustellen. Auch hier ist zu vermuten, dass der Kindeswille Ausdruck dieser teilweise vorhandenen Fähigkeit ist, um § 5 S. 2 KErzG nicht zu unterlaufen. Ebenso nachteilig ist der ablehnende Wille außerdem insofern, als er Ausdruck von Teilfähigkeiten betreffend die körperbezogene Selbstbestimmung ist, die bei einem Zwölfjährigen regelmäßig schon in gewissem Maße vorhanden sein werden. Im Rahmen der Gesamtabwägung sind also auf Seiten der Eingriffsvorteile der vertretbare medizinische Nutzen sowie die religiöse Identitätsstiftung vorhanden, wobei Letztere nur noch als Vorteil von geringem Gewicht zu werten ist. Auf der anderen Seite stehen die medizinischen Risiken sowie der ablehnende Wille des Minderjährigen als Ausdruck dessen überwiegend vorhandener religiöser sowie teilweise vorhandener körperbezogener Selbstbestimmungsfähigkeit. Auf dieser Grundlage kommt man für den Fall des entgegenstehenden Willens eines Zwölfjährigen bei der Abwägung zu dem Ergebnis, dass das mit dem Eingriff eingegangene Risiko die damit verfolgten Vorteile in einem solchen Maße überschreitet,708 dass es sich als nicht mehr verantwortbar darstellt und somit eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist. Das heißt, dass bereits ab Vollendung des zwölften Lebensjahrs durch den Minderjährigen bei dessen entgegenstehendem Willen die elterliche stellvertretende Einwilligung in die nicht indizierte, religiös motivierte Zirkumzision aufgrund fehlender Dispositionsbefugnis unwirksam ist.709 cc) Ergebnis Im Ergebnis bedeutet dies, dass zwar generell keine festen Vetorechte gegen die stellvertretende Einwilligung in körperliche Eingriffe dahingehend definiert 707 Dies folgt aus dem besonderen Schutz der religiösen Selbstbestimmung durch Art. 4 I, II GG. Vgl. hierzu auch oben E.V.3.b)bb)(1): Die Stiftung religiöser Identität ist grundsätzlich als gewichtiger Vorteil zu werten. 708 Dies gilt auch dann, wenn man als Eingriffsvorteile nicht nur den hygienischen Aspekt sowie die Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen begreift, sondern auch die geringere Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren (als Erreger eines Peniskarzinoms) und von Geschlechtskrankheiten sowie die vorbeugende Wirkung gegen HIV-Infektionen als solche ansieht. Vgl. auch Abschn. E, Fn. 705. 709 Anders das OLG Frankfurt a. M., NJW 2007, 3580, 3581, das bei einem Zwölfjährigen aufgrund § 5 KErzG die Einwilligungsfähigkeit zur Zirkumzision bejahen würde.

264

E. Die stellvertretende Einwilligung

werden können, dass der entgegenstehende Wille des Kindes ab Erreichen eines gewissen Reifegrades durch dasselbe stets zur Unwirksamkeit der elterlichen Einwilligung führt. Allerdings hat im konkreten Fall der nicht indizierten, religiös motivierten Knabenbeschneidung ab Vollendung des zwölften Lebensjahrs durch den Minderjährigen dessen entgegenstehender Wille i. R. d. Risiko-Nutzen-Abwägung stets zur Folge, dass die Eltern mit der stellvertretenden Einwilligung die Kindeswohlgefährdung als Grenze ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis überschreiten. Auf Grundlage der durchzuführenden Gesamtabwägung ergibt sich also für den speziellen Fall der stellvertretenden Einwilligung in die nicht indizierte, religiös motivierte Knabenbeschneidung tatsächlich ein Vetorecht Zwölfjähriger und älterer Minderjähriger in dem Sinne, dass der entgegenstehende Wille ausnahmslos zur Unwirksamkeit der elterlichen Einwilligung führt.710 Diese Besonderheit ist dem § 5 KErzG geschuldet, der die Fähigkeit zur religiösen Selbstbestimmung des Kindes an feste Altersgrenzen bindet und in dieser Hinsicht auch Einfluss auf die in die Risiko-Nutzen-Abwägung einzustellenden Aspekte hat.711 Damit ist das gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung in die nicht indiziere, religiös motivierte Knabenbeschneidung existierende Vetorecht auch nicht ohne Weiteres auf andere Fälle medizinischer Eingriffe beim Minderjährigen übertragbar. Denn die Berücksichtigung des Kindeswillens erfolgt stets i. R. d. Gesamtabwägung zur Feststellung einer Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis. Dabei kann der entgegenstehende Kin710 Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138, der in der Nichtbeachtung von Vetorechten des Betroffenen einen demütigenden und entwürdigenden Charakter der Zirkumzision sieht, der als spezifisch kindeswohlverletzende Eingriffsmodalität zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führen soll. 711 Die Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung ergibt sich damit nicht direkt aus der Regelung des § 5 KErzG, sondern aus der Gesamtabwägung, auf die sich die festen Altersgrenzen des § 5 KErzG betreffend die religiöse Selbstbestimmung auswirken. Die Richtigkeit dieses Ansatzes wird an einem bekannten, vorliegend leicht abgewandelten Beispiel deutlich: Verweigert der einwilligungsunfähige, aber religionsmündige Vierzehnjährige aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion an sich selbst und willigen dessen Eltern stellvertretend hierin ein, so stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der elterlichen Einwilligung. Würde man dem religionsmündigen Minderjährigen aus § 5 S. 1 KErzG ein generelles Vetorecht gegen die stellvertretende Einwilligung der Eltern betreffend den körperlichen Eingriff zusprechen, könnte dieselbe keine Wirksamkeit entfalten. Dagegen ist nach dem hier vertretenen Ansatz auf Grundlage einer Gesamtabwägung zu prüfen, ob die Eltern mit der stellvertretenden Einwilligung die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreiten. Ist die Bluttransfusion dringend oder gar vital indiziert, so wird dieser Vorteil des Eingriffs regelmäßig den ihm gegenüberstehenden Nachteil des entgegenstehenden Willens des nicht einwilligungsfähigen, aber religionsmündigen Minderjährigen als Ausdruck dessen religiöser Selbstbestimmung überwiegen, sodass der entgegenstehende Kindeswille nicht zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt.

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

265

deswille als Ausdruck teilweise vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten freilich insofern den Ausschlag geben, als er dort zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung führt, wo diese Grenze bei einer Gesamtabwägung ohne Berücksichtigung des Kindeswillens noch nicht überschritten wäre. b) Der den Eingriff befürwortende Kindeswille Zuletzt bleibt die Frage zu beantworten, wie sich der befürwortende Wille eines zwar einwilligungsunfähigen,712 aber in Teilen zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen auf die Risiko-Nutzen-Abwägung zur Feststellung einer Kindeswohlgefährdung auswirkt. Soweit dieser Wille Ausdruck der bereits vorhandenen intellektuellen Teilfähigkeiten ist, ist er auf Seiten der Eingriffsvorteile einzustellen. aa) Die von einer kompetenten Person kunstgerecht durchgeführte Beschneidung Willigen die Eltern in die von einer hierfür kompetenten Person lege artis durchgeführte, religiös motivierte Beschneidung eines überhaupt nicht zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen ein, so überschreiten sie nicht die Grenze der Kindeswohlgefährdung.713 Stimmt nun ein in Teilen selbstbestimmungsfähiger Minderjähriger diesem Eingriff – in den die Eltern stellvertretend einwilligen – zu, so ändert sich an diesem Ergebnis nichts. Denn in die RisikoNutzen-Abwägung ist allein der zusätzliche Vorteil des befürwortenden Kindeswillens einzubeziehen, soweit dieser Ausdruck bereits vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten ist. Dies gilt auch dann, wenn der Minderjährige das zwölfte Lebensjahr vollendet hat: Zwar ist in diesem Fall der Vorteil der Stiftung religiöser Identität durch die Eltern nur noch als geringer zu gewichten bzw. ab Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs vollständig aus der Gesamtabwägung herauszunehmen.714 Gleichzeitig ist aber der befürwortende Wille des zwölf- bzw. vierzehnjährigen Minderjährigen in die Gesamtabwägung insoweit als besonders gewichtiger715 Eingriffsvorteil einzustellen, als er Ausdruck seiner gemäß § 5 KErzG vorhandenen (Teil-)Fähigkeiten zur religiösen Selbstbestimmung ist. Darüber hinaus ist der bejahende Kindeswille auch insofern als Eingriffsvorteil einzubeziehen, als er 712 Soweit der Minderjährige einwilligungsfähig ist, kommt es auf seine eigene Einwilligung an. Vgl. hierzu oben D.IV.2.b)aa). 713 Vgl. oben E.V.4.a)dd). 714 Dies ergibt sich daraus, dass ab Erreichen der Religionsmündigkeit der Minderjährige selbst zur Verwirklichung seiner religiösen Selbstbestimmung zuständig ist, vgl. ausführlich oben E.V.5.a)bb)(2). 715 Dies ergibt sich aus Art. 4 I, II GG; vgl. schon oben E.V.3.b)bb)(1) und E.V.5.a)bb)(2).

266

E. Die stellvertretende Einwilligung

Ausdruck schon vorhandener Teilfähigkeiten zur körperbezogenen Selbstbestimmung ist. Unter diesen Gesichtspunkten kann bei zustimmendem Kindeswillen i. R. d. Abwägung der gegebenen Vor- und Nachteile einer von einem Arzt lege artis durchgeführten Beschneidung kein Überschreiten der Grenze der Kindeswohlgefährdung festgestellt werden. bb) Andere Fallkonstellationen der Beschneidung Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit der nicht einwilligungsfähige Minderjährige durch seinen zustimmenden, auf vorhandenen intellektuellen Teilfähigkeiten beruhenden Willen das Ergebnis der Gesamtabwägung beeinflussen kann, zentral in den Konstellationen, in denen die Eltern mit der stellvertretenden Einwilligung grundsätzlich die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreiten. Zu denken ist hier an die Knabenbeschneidung, die von einer hierfür nicht kompetenten Person, nicht lege artis, insbesondere unter unhygienischen Bedingungen oder ohne vorherige Betäubung erfolgen soll.716 Befürwortet der nicht einwilligungsfähige Minderjährige einen solchen Eingriff, so kann bezüglich der in die Gesamtabwägung einzustellenden religiösen Vorteile insofern auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden,717 als diese weitgehend identisch bleiben: Soweit der Minderjährige das zwölfte bzw. das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat und der Vorteil der religiösen Identitätsstiftung durch die Eltern für den Minderjährigen als gering zu bewerten bzw. vollständig aus der Abwägung herauszunehmen ist, tritt an diese Stelle der zustimmende Wille des Zwölf- bzw. Vierzehnjährigen als Ausdruck seiner (Teil-) Fähigkeiten zur religiösen Selbstbestimmung. Da dieser Vorteil der religiösen Selbstbestimmung direkt und nicht über den „Umweg“ der stellvertretenden Einwilligung auf den Minderjährigen zurückzuführen ist, kommt ihm ein noch größeres Gewicht zu als dem Aspekt der religiösen Identitätsstiftung durch die Eltern für den Minderjährigen. Im Ergebnis ändert aber allein dieser Vorteil in religiöser Hinsicht – unter Berücksichtigung der bei einer nicht lege artis bzw. nicht von einer hierfür kompetenten Person durchgeführten Beschneidung vorhandenen enormen Nachteile – nichts an der Gesamtabwägung, sodass auch im Falle des zustimmenden Kindeswillens als Ausdruck von (Teil-)Fähigkeiten zur religiösen Selbstbestimmung die Eltern mit der stellvertretenden Einwilligung in einen solchen Eingriff die Grenzen der Kindeswohlgefährdung überschreiten. 716 Vgl. zu diesen Konstellationen oben E.V.4.b). Ebenso kann an den Fall gedacht werden, in dem die Beschneidung ohne vorherige umfassende Aufklärung der Eltern erfolgen soll, vgl. generell hierzu unten E.VI.4.a)cc)(2). 717 Vgl. oben E.V.3.b)bb)(1) und E.V.4.a)bb).

V. Die Schranke der Kindeswohlgefährdung

267

Damit spitzt sich Frage, ob der befürwortende Wille des teilweise zur Selbstbestimmung fähigen Kindes am negativen Ergebnis der Gesamtabwägung etwas ändert, auf das Problem zu, ob er als Ausdruck bereits teilweise vorhandener Fähigkeiten zur körperbezogenen Selbstbestimmung des Minderjährigen einen solch enormen Vorteil darstellt, dass auf Grundlage der Risiko-Nutzen-Abwägung nicht mehr vom Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung gesprochen werden kann. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob die Grenzen, innerhalb derer die elterliche stellvertretende Einwilligung als die des Kindes gilt,718 durch den befürwortenden Willen eines nur teilweise zur körperbezogenen Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen weiter ausgedehnt werden können. Dies ist im Hinblick auf das Erfordernis der Selbstbestimmtheit von körperbezogenen Entscheidungen, das durch die Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit abgesichert wird,719 zu verneinen: Solange der Minderjährige nicht einwilligungsfähig ist, ist ihm die körperbezogene Selbstverwirklichung nicht innerhalb der allgemeinen Einwilligungsschranken, sondern nur – vermittelt über die elterliche stellvertretende Einwilligung720 – innerhalb der Schranke der Kindeswohlgefährdung möglich.721 Würde er diese Grenze durch seinen zustimmenden Willen als Ausdruck zwar schon teilweise, aber eben noch nicht umfänglich vorhandener körperbezogener Selbstbestimmungsfähigkeit verschieben können, so würde dadurch die durch das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit gegebene Absicherung der körperbezogenen Selbstbestimmung umgangen.722 Dies bedeutet im Ergebnis, dass zwar vom Grundgedanken her der Kindeswille als Ausdruck schon teilweise vorhandener intellektueller Fähigkeiten in die Gesamtabwägung zur Feststellung einer Kindeswohlgefährdung als Grenze der elterlichen stellvertretenden Einwilligung einzustellen ist.723 Hieraus ergeben sich aber dann keine tatsächlichen Konsequenzen, wenn der nur teilweise zur körperbezogenen Selbstbestimmung fähige Minderjährige als Ausdruck dieser schon vorhandenen Fähigkeiten dem Eingriff zustimmt. Denn diese Teilfähigkeiten können nicht dazu führen, dass eine aufgrund erheblich überwiegender Eingriffsnachteile vorhandene Kindeswohlgefährdung nur deswegen nicht als solche zu beurteilen ist, weil der einwilligungsunfähige Minderjährige, der eben nicht sämtliche Vor- und Nachteile des Eingriffs überblicken und seinen Willen danach ausrichten kann,724 dem Eingriff zustimmt. 718 719 720 721 722 723 724

Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128. Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 723 ff.; vgl. oben D.IV.2.b)aa). Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128 f. Vgl. oben E.IV. und E.V. Vgl. hierzu auch Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 109 ff. Vgl. hierzu oben E.V.3.d). Vgl. zu dieser Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit oben D.IV.2.b)bb)(2).

268

E. Die stellvertretende Einwilligung

Somit überschreiten die Eltern im Falle der stellvertretenden Einwilligung in eine nicht indizierte, nicht lege artis, ohne vorherige Betäubung bzw. durch eine hierfür nicht kompetente Person durchgeführte Beschneidung aus religiösen Gründen die Grenze der Kindeswohlgefährdung auch dann, wenn der in Teilen zur Selbstbestimmung fähige Minderjährige dem Eingriff zustimmt. 6. Ergebnis Besondere Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis ergeben sich aus den objektivierbaren Grundrechtspositionen des Kindes sowie aus den einfachgesetzlichen Regelungen zum elterlichen Erziehungsrecht. Soweit solch spezielle Schranken nicht eingreifen, ist auf die allgemeine Grenze der Kindeswohlgefährdung zurückzugreifen, die sich aus § 1666 I BGB ergibt und deren Vorliegen anhand einer umfassenden, kindeswohlbezogenen Risiko-Nutzen-Abwägung zu beurteilen ist. Dabei ist eine Kindeswohlgefährdung erst dann gegeben, wenn sich das mit dem Eingriff eingegangene Risiko im Hinblick auf den damit verfolgten Nutzen als nicht mehr verantwortbar darstellt. Die stellvertretende Einwilligung in die Vornahme einer lege artis, unter sterilen Bedingungen und unter vorheriger Betäubung durchgeführten Zirkumzision durch eine hierfür kompetente Person ist von der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Verwirklichung der (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmung für das Kind umfasst. Dies gilt dann nicht mehr, wenn der Knabe den Eingriff ab Vollendung seines zwölften Lebensjahrs ablehnt. Wird dagegen in eine Beschneidung eingewilligt, die nicht lege artis, insbesondere unter nicht sterilen Bedingungen oder ohne vorherige Betäubung, bzw. durch eine hierfür de facto nicht kompetente Person durchgeführt werden soll, so ist eine Kindeswohlgefährdung gegeben, sodass die Eltern die Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis überschreiten, was zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt. Dies gilt auch dann, wenn der teilweise zur Selbstbestimmung fähige Junge dem Eingriff zustimmt.

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung Die elterliche stellvertretende Einwilligung dient der stellvertretenden Verwirklichung der (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmung des Kindes.725 Ihre Grenzen liegen im Kindeswohl. Zur Absicherung der Selbstbestimmung des Kindes bedarf es nicht nur der oben besprochenen Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis, sondern weite725 Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 128; Roxin, Strafrecht AT I, § 13, Rn. 92 f.

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

269

rer Voraussetzungen, auf die im Folgenden eingegangen wird. Dabei gilt auch nachfolgend der Grundsatz, dass im Falle einer Kindeswohlgefährdung die Grenzen der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung überschritten sind. 1. Einwilligungsfähigkeit der Eltern Die Eltern können nur dann wirksam stellvertretend für ihr Kind einwilligen, wenn sie selbst einwilligungsfähig, will heißen tatsächlich einsichts- und urteilsfähig sind.726 Denn die (stellvertretende) Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung ist nur dem Einwilligungsfähigen möglich.727 Für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit der Eltern gilt – ebenso wie für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit des in die eigene Rechtsgutsverletzung Einwilligenden – das Autonomie-Prinzip, nach dem für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit insbesondere nicht auf Kriterien der objektiven Vernünftigkeit der Entscheidung abgestellt werden darf.728 Denn die Einwilligungsfähigkeit betrifft die rechtlichen Voraussetzungen tatsächlicher Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Zustimmenden, die entweder erfüllt sind oder eben nicht.729 An diese tatsächliche Beurteilung können im Rahmen der Einwilligung einerseits und der stellvertretenden Einwilligung andererseits keine unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäbe gelegt werden. Das Kind erfährt insofern ausreichenden Schutz, als nicht verantwortbare Risikoentscheidungen der Eltern und damit auch völlig unvernünftige Entscheidung zwar nicht aufgrund fehlender tatsächlicher Einwilligungsfähigkeit der Eltern, wohl aber aufgrund fehlender rechtlicher Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung ausgeschlossen sind.730 Da die Einwilligungsfähigkeit immer in Bezug auf den konkreten Eingriff zu beurteilen ist, kommt es entscheidend darauf an, ob die Eltern den Eingriff und dessen Auswirkungen in Bezug auf das Kind richtig beurteilen und ihren Willen danach ausrichten können.731 Dies ist – wie stets bei Personen ab Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs – zu vermuten, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte erkennbar sind.732 726 Vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937, 941; Kindhäuser, Strafrecht BT I, § 8, Rn. 5; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 14 f.; Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 15; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 9, Rn. 24. 727 Vgl. auch oben D.IV.2.b)aa). 728 Vgl. hierzu Fischer, StGB, § 228, Rn. 5. Anders BGH, NJW 1978, 1206. 729 Vgl. auch Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 48; Abschn. D, Fn. 289. 730 Die elterliche Dispositionsbefugnis wird über eine Risiko-Nutzen-Abwägung begrenzt, wobei sie dann überschritten ist, wenn das Risiko im Hinblick auf den Nutzen als nicht mehr verantwortbar erscheint (Kindeswohlgefährdung). Vgl. oben E.V. 731 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 119. 732 Vgl. BGHSt 4, 88, 90.

270

E. Die stellvertretende Einwilligung

2. Gemeinsame Einwilligung beider Elternteile Das strafrechtliche Institut der stellvertretenden Einwilligung ist Teil des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 II GG, das den Eltern gemeinsam garantiert ist.733 Auch auf zivilrechtlicher Ebene haben die Eltern gemäß § 1627 S. 1 BGB die elterliche Sorge „in gegenseitigem Einvernehmen“ auszuüben und vertreten das Kind nach § 1629 I 2 BGB „gemeinschaftlich“. 734 Dementsprechend kann ebenso die stellvertretende Einwilligung im Strafrecht grundsätzlich nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn sie im Einvernehmen beider Elternteile erfolgt.735 Ausnahmen davon werden in den zivilrechtlichen Regelungen normiert, die auch auf strafrechtlicher Ebene heranzuziehen sind.736 Relevant ist dabei vor allem § 1629 I 3 und 4 BGB.737 Leben die Eltern getrennt oder ist ein Elternteil tatsächlich bzw. rechtlich verhindert, so sind die Regelungen der §§ 1671 bis 1681 BGB einschlägig.738 Vom Grundsatz der gemeinsamen Einwilligung beider Elternteile sind außerdem im Hinblick auf körperliche Eingriffe beim Minderjährigen Ausnahmen anhand eines Stufenmodells zugelassen.739 Dieses Modell, das insbesondere unter praktischen Gesichtspunkten sehr sinnvoll ist und gleichzeitig den Schutz der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes nicht zu kurz kommen lässt, wurde in der zivilrechtlichen Rechtsprechung begründet, gilt aber für die stellvertretende Einwilligung im Strafrecht ebenso:740

733 Vgl. BVerfGE 31, 194, 205; 61, 358, 372; 84, 168, 179; Maunz/Dürig-Badura, Art. 6, Rn. 100. 734 Die in § 1629 I BGB geregelte Vertretungsmacht betrifft Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen, Einwilligungen in medizinische Maßnahmen u. a., vgl. Palandt-Götz, § 1629, Rn. 3. Bei der strafrechtlichen Einwilligung handelt es sich freilich nicht um ein Rechtsgeschäft, vgl. BGH, NJW 1959, 811; NJW 1988, 2946 f. 735 Zähle, AöR 134 (2009), 434, 251; Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 47; Sch/SchLenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 41; Sch/Sch-Eser/Sternberg-Lieben, § 223, Rn. 28; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 431; vgl. BGH, NJW 1988, 2946, 2947 (in zivilrechtlicher Hinsicht). 736 Ebenso ist die grundsätzliche Voraussetzung dafür, dass die Eltern auch in strafrechtlicher Hinsicht für ihr Kind einwilligen dürfen, deren Vertretungsbefugnis, die sich nach den zivilrechtlichen Regelungen beurteilt. 737 Bei Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, steht die Möglichkeit des § 1628 BGB offen, vgl. in Bezug auf die Vereindeutigung des Geschlechts des Kindes bei Intersexualität Krüger, in: Finke/Höhne, 55, 58 f. 738 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111b. § 1672 I BGB a. F. war verfassungswidrig, vgl. BVerfG, NJW 2010, 3008, 3009; vgl. Palandt-Götz, § 1672, Rn. 1. Daher wurde die elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern reformiert, vgl. BTDrs. 17/11048. 739 Vgl. auch Kern, NJW 1994, 753, 756; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 317 und Rn. 793 f.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 42; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 431; Spickhoff-Knauer/Brose, § 223 StGB, Rn. 50. 740 Vgl. Ulsenheimer, in: HdA, § 139, Rn. 47.

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

271

Bei „Routinefällen“, also bei der Behandlung von leichten Erkrankungen oder Verletzungen, darf der Arzt auf die Ermächtigung des erschienenen Elternteils durch den anderen Elternteil vertrauen, solange ihm keine dieser Annahme widersprechenden Anhaltspunkte bekannt sind.741 Bei schwereren Eingriffen, die nicht nur unbedeutende Risiken aufweisen, muss sich der Arzt vergewissern, ob und inwieweit eine Ermächtigung des einen Elternteils durch den anderen vorliegt; dabei darf er auf eine der Wahrheit entsprechende Aussage des erschienenen Elternteils vertrauen.742 Handelt es sich um weitreichende und wichtige Entscheidungen, so bedarf es der Zustimmung beider Elternteile; dies gilt insbesondere für schwierige, risikoreiche oder gar lebensgefährliche Operationen.743 Seitens des Arztes darf nicht ohne Weiteres von der Ermächtigung des einen Elternteils durch den anderen Elternteil ausgegangen werden, vielmehr muss sich der Arzt hierüber Gewissheit verschaffen.744 Zu beachten ist, dass bei Gefahr im Verzug auch bei schweren Eingriffen die stellvertretende Einwilligung nur eines Elternteils Wirksamkeit entfaltet, vgl. § 1629 I 4 BGB.745 Im Hinblick auf die Beschneidung aus religiösen Gründen stellt sich die Frage, ob dieses Stufenmodell überhaupt gelten kann, da es sich um die stellvertretende Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff handelt. Dies wird man bejahen müssen: Denkt man an sehr einfach gelagerte körperliche Eingriffe wie das Stechen von Ohrlöchern, so wird es trotz fehlender Indikation regelmäßig genügen, wenn der Eingreifende auf das Vorliegen der Ermächtigung durch den anderen Elternteil vertraut. Allerdings ist das Fehlen der Indikation bei der Bestimmung der jeweiligen Stufe des genannten Modells insofern zu berücksichtigen, als im Zweifel die jeweils schwerere Stufe einschlägig ist. Für die Einwilligung in die Knabenbeschneidung bedeutet dies, dass – obwohl die Risiken überschaubar sind – schon allein aufgrund der fehlenden Indikation die zweite Stufe des Modells erreicht ist:746 Ist 741 BGH, NJW 1988, 2946, 2947. Denn für bestimmte Bereiche kann der eine Elternteil den anderen durchaus – konkludent oder ausdrücklich – zur Einwilligung ermächtigen. Vgl. auch BGH, NJW 2000, 1784, 1785 (Vorsorgeimpfung). 742 BGH, NJW 1988, 2946, 2947. Außerdem kann es notwendig werden, dass der Arzt auf den erschienenen Elternteil dahingehend einwirkt, den Eingriff nochmals mit dem anderen Elternteil zu besprechen. 743 BGH, NJW 1988, 2946, 2947. 744 BGH, NJW 1988, 2946, 2947. Würde man dies anders sehen, so würde dies die Berechtigung und Verpflichtung des nicht erschienenen Elternteils zur Personensorge für das Kind untergraben. 745 Vgl. in zivilrechtlicher Hinsicht Schwab, Familienrecht, Rn. 659; Gernhuber/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 58, Rn. 5; Palandt-Götz, § 1629, Rn. 12. 746 Bei einer indizierten Beschneidung wäre es wohl zweifelhaft, ob es sich um einen Eingriff der ersten oder der zweiten Stufe handelt. Zwar ist die Zirkumzision ein sehr

272

E. Die stellvertretende Einwilligung

nur ein Elternteil erschienen, so muss sich der eingreifende Arzt des Vorliegens sowie des Umfangs der Ermächtigung des anderen Elternteils vergewissern, darf dabei aber auf die Aussage des erschienenen Elternteils vertrauen.747 Im Ergebnis kann die stellvertretende Einwilligung in die Zirkumzision also nur entweder gemeinsam durch beide Elternteile oder durch nur einen Elternteil erfolgen, wenn sich der Eingreifende des Vorliegens sowie des Umfangs der Ermächtigung des anderen Elternteils vergewissert. 3. Freiwilligkeit der stellvertretenden Einwilligung Ausgehend von dem Grundgedanken, dass die Eltern ihr Kind am besten kennen und ihnen das Kindeswohl besonders am Herzen liegt,748 sind sie es, die rechtlich für die körperbezogene Selbstentfaltung des Kindes zuständig sind,749 solange dieses noch nicht selbst einwilligungsfähig ist. Sie können aber nur dann stellvertretend für ihr Kind dessen Selbstbestimmung verwirklichen, wenn sie ihre Einwilligung frei von wesentlichen Willensmängeln abgeben: Ebenso wie i. R. d. Einwilligung schließen Drohung und Zwang, die die Grenzen der Nötigung i. S. d. § 240 I, II StGB erreichen,750 die Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung aus. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass ab dieser Grenze eine Einwilligung nicht mehr als echter Ausdruck körperbezogener Selbstentfaltung angesehen werden kann.751 Parallel dazu kann eine stellvertretende Einwilligung ab dieser Grenze auch nicht mehr als stellvertretende Ausübung der körperbezogenen Selbstbestimmung verstanden werden. Zum anderen ist es den Eltern bis zur Grenze des § 240 I, II StGB zuzumuten, Drohung und Zwang zum Schutze ihres Kindes zu widerstehen. Daneben führen rechtsgutsbezogene Irrtümer – unabhängig davon, ob sie auf einer Täuschung beruhen oder nicht – zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung.752 Denn da sowohl die Einwilligung als auch die stellvertretende Einwilligung auf das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers zurückzuführen sind, folgt die Dogmatik der relevanten Irrtümer konsequenterweise jeweils denselben Grundsätzen. einfach gelagerter Eingriff, nichtsdestotrotz aber ein chirurgischer Eingriff. Daher ist wohl auch die indizierte Beschneidung als ein Eingriff der zweiten Stufe anzusehen. 747 Vgl. allgemein zu diesen Voraussetzungen BGH, NJW 1988, 2946, 2947. 748 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371. 749 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 750 Vgl. in Bezug auf die Einwilligung im klassischen Sinne etwa Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 24; Kühl, StGB, § 228, Rn. 8; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13, Rn. 180. 751 Vgl. nur Schroth, in: Roxin/Schroth, 21, 35 f. sowie bereits oben D.IV.3.a). 752 Vgl. zur Einwilligung im klassischen Sinne oben D.IV.3.b).

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

273

Dies bedeutet, dass Irrtümer nicht nur dann zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führen, wenn sie Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs betreffen, sondern auch dann, wenn sie als Motive für die Verwirklichung des der stellvertretenden Einwilligung zugrunde liegenden körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts des Kindes entscheidungserheblich sind.753 Ebenso wie im Rahmen der Einwilligung ist auch im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung diesbezüglich auf die „Sicht des Rechtsgutsträgers“ 754 abzustellen. Maßstab ist damit auch an dieser Stelle das Kindeswohl, das in seinem Kern zwar durch die Eltern definiert wird, das deren Entscheidungsbereich aber auch Grenzen aufzeigt: Die Relevanz von Irrtümern bemisst sich im Hinblick auf das Kind, nicht im Hinblick auf die Eltern. Dass es für die Relevanz von Irrtümern auf deren Rechtsgutsbezogenheit ankommt, welche i. R. d. stellvertretenden Einwilligung durch die körperbezogene Selbstbestimmung des Kindes und damit letztlich durch das Kindeswohl bestimmt wird, wird anhand der schon im Rahmen der Einwilligung besprochenen Beispiele nochmals deutlich:755 Willigen die Eltern in die Beschneidung ihres Sohnes ein und irren dabei über die Höhe des dafür zu entrichtenden Honorars, so macht dieser Irrtum die stellvertretende Einwilligung nicht unwirksam. Denn die Höhe des Entgelts betrifft nicht die Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes. Irren die einwilligenden Eltern über die Religionszugehörigkeit des Eingreifenden, so handelt es sich nur dann um einen rechtsgutsbezogenen Irrtum, wenn in ihr ein leitendes Motiv für die stellvertretende Ausübung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes liegt, welches sich wiederum innerhalb der vom Kindeswohl vorgezeichneten Grenzen befinden muss: Den Eltern muss es darauf ankommen, dass das Kind von einem Religionszugehörigen und nicht von einer anderen Person beschnitten wird.756 Dadurch machen sie die stellvertretende Ausübung der körperbezogenen Selbstbestimmung für das Kind gerade von diesem Gesichtspunkt abhängig.757 Diese Verknüpfung zwischen der Religionszugehörigkeit des Eingreifenden einerseits und der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes andererseits muss sich außerdem 753 Vgl. zu diesem Ansatz in Bezug auf Einwilligungsfähige Rönnau, Willensmängel, S. 410 ff. 754 Schroth, in: FS Volk, 719, 723. 755 Vgl. hierzu schon oben D.IV.3.b)aa). 756 Beachte hierzu allerdings die Einschränkungen, die sich ergeben, wenn es sich bei dem traditionellen Beschneider nicht zugleich um einen approbierten Arzt handelt. Eine stellvertretende Einwilligung ohne vorherige umfassende Aufklärung der Eltern oder in die nicht lege artis, insbesondere unter unhygienischen Bedingungen durchgeführte Beschneidung ist den Eltern nicht möglich. Vgl. oben E.V.4.b) und E.VI.4.a)dd). 757 Vgl. hierzu auch in Bezug auf die Einwilligung im klassischen Sinne Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 194 f.; Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 65 f.

274

E. Die stellvertretende Einwilligung

innerhalb der Grenzen des Kindeswohls befinden, damit man von einem rechtsgutsbezogenen Irrtum im Hinblick auf das Kind sprechen kann. Unter Berücksichtigung des Rechts zur religiösen Kindererziehung aus Art. 6 II GG i.V. m. Art. 4 I, II GG dürfen die Eltern das Kindeswohl durchaus in der Weise definieren, dass sie die Ausübung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes davon abhängig machen, dass die Beschneidung auch von einem Glaubensangehörigen durchgeführt wird. Insofern kann hierin ein rechtsgutsbezogener Irrtum im Hinblick auf das Kind liegen, der zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führt.758 Damit wird an dieser Stelle außerdem deutlich, dass der im Rahmen der Einwilligung vertretene Ansatz zu den Irrtümern auch unter dem Blickwinkel der Schranken der stellvertretenden Einwilligung in sich konsistent ist. 4. Die ärztliche Aufklärungspflicht a) Aufklärungspflicht gegenüber den Eltern Bei der Einwilligung im klassischen Sinne besteht zum Schutz der Patientenautonomie und wegen des Wissensgefälles vom Arzt zum Patienten759 die ärztliche Pflicht zur vorherigen Aufklärung, die eine informierte Entscheidung des Einwilligenden ermöglichen soll.760 Im Folgenden wird geklärt, inwiefern eine Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber den Eltern, die stellvertretend für ihr Kind in dessen Beschneidung einwilligen, gegeben ist und wie weit diese reicht. aa) Die Eltern als Aufklärungsadressaten Durch die stellvertretende Einwilligung nehmen die Eltern für ihr Kind dessen körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht wahr.761 Sie sind diejenigen, die über dessen Rechtsgüter disponieren762 und die Risikozuständigkeit für den Eingriff vom Arzt hin zum Kind verschieben.763 Gleichzeitig hat der Arzt – ebenso wie 758 Wie auch im Rahmen der Einwilligung gilt dies nicht, wenn den Eltern die Religionszugehörigkeit des Eingreifenden für die Beschneidung ihres Kindes egal oder dieselbe kein handlungsleitendes Motiv ist. Insofern kann auf die Ausführungen zu den Irrtümern i. R. d. der Einwilligung verwiesen werden, vgl. oben D.IV.3.b). 759 Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 739. 760 Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 6 ff.; Schöch, in: Roxin/ Schroth, 51, 54; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192; vgl. bereits oben, D.IV.4. 761 Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 762 Vgl. auch Eberbach, MedR 1986, 14, 16: Aufgeklärt werden muss derjenige, der über das jeweilige Rechtsgut disponiert. 763 Vgl. auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111c: Die Eltern entscheiden „stellvertretend für ihr Kind, was sie diesem an Belastungen und Gefahren zumuten wollen.“

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

275

im klassischen Arzt-Patienten-Verhältnis – im Vergleich zu den Eltern überlegenes Wissen.764 Zum Ausgleich dieser strukturellen Unterlegenheit765 und zur ausreichenden Absicherung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts des Kindes ergibt sich auch im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung eine Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber den Eltern.766 Sie dient dazu, bei den Eltern ein ausreichendes Fundament an Wissen für die stellvertretende Einwilligung als verantwortliche767 Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes zu schaffen und hat damit eine informierte Entscheidung der Eltern zum Ziel.768 bb) Die Aufklärungsarten Bezüglich der Aufklärungsarten kann hauptsächlich auf die Ausführungen zur Aufklärung i. R. d. Einwilligung im klassischen Sinne verwiesen werden:769 Um die genaue Reichweite der stellvertretenden Einwilligung feststellen zu können770 und um den Eltern die Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes in verantwortlicher und informierter Weise zu ermöglichen, müssen sie umfassend i. S. d. oben beschriebenen Selbstbestimmungsaufklärung aufgeklärt werden. Sie sind über Diagnose und Verlauf der Krankheit sowie über die Risiken des Eingriffs aufzuklären. Was dies im Hinblick auf die Beschneidung im Detail bedeutet, wurde bereits erörtert.771 Die Sicherungsaufklärung ist demgegenüber Teil der Behandlung772 und soll den Erfolg derselben garantieren.773 Daher sollte diese Aufklärung so früh und 764

Vgl. Schroth, in: FS Volk, 719, 739. Vgl. Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192. 766 Im Ergebnis ebenso Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 64; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 317; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111a; Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 450; Zuck, MedR 2008, 410, 413 f.; BGH, NJW 1988, 2946 (zivilrechtliche Entscheidung). 767 Dem Erfordernis einer in verantwortlicher Weise getroffenen Entscheidung entspricht der verfassungsrechtliche Hintergrund der stellvertretenden Einwilligung im pflichtgebundenen elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 II GG, vgl. etwa BVerfGE 24, 119, 143; 72, 155, 172; 92, 158, 178. 768 Vgl. Bernsmann/Geilen, in: FA MedR, Kap. 4, Rn. 450; Krüger, in: Finke/Höhne, 55, 58; vgl. zum informed consent Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 6 ff.; Schöch, in: Roxin/Schroth, 51, 54; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 191 ff. 769 Vgl. oben D.IV.4.a). 770 Vgl. Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 1. 771 Insbesondere entfällt die Aufklärung über Diagnose und Krankheitsverlauf, dafür ist den Eltern klarzumachen, dass es sich um einen nicht indizierten Eingriff handelt. Außerdem ist über die Risiken des Eingriffs aufzuklären. Vgl. genauer oben D.IV. 4.a)aa). 772 Sie ergibt sich direkt aus der Pflicht des Arztes zu einer Behandlung lege artis, vgl. bereits oben D.IV.4.a)bb) sowie Sch/Sch-Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40b; Laufs, in: HdA, § 58, Rn. 2; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 62. 765

276

E. Die stellvertretende Einwilligung

so weit wie möglich gegenüber dem (nicht einwilligungsfähigen) Kind erfolgen.774 Denn der Behandlungserfolg – im Falle der nicht indizierten Beschneidung der Heilungserfolg – wird am besten dadurch garantiert, dass das Kind selbst die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen ergreift. Soweit und solange das einwilligungsunfähige Kind nicht dazu in der Lage ist, die Sicherungs- und Warnhinweise (umfassend) zu verstehen und sich auch danach zu richten, sind – gegebenenfalls zusätzlich – die Eltern entsprechend aufzuklären.775 Denn in diesem Fall kann nur dadurch der Behandlungserfolg abgesichert werden, indem die Eltern darüber Bescheid wissen, wie sie und das Kind sich nach dem Eingriff zu verhalten haben und welche Maßnahmen zusätzlich zu ergreifen sind. Dies gilt insbesondere für die Fälle der neonatalen bzw. der sehr früh erfolgenden Beschneidung, in denen eine therapeutische Aufklärung gegenüber dem Kind keinen Sinn macht, sondern die erforderlichen Hinweise den Eltern mitzuteilen sind. cc) Durchführung und Umfang der Aufklärung (1) Die am Kindeswohl orientierte Aufklärung Für die Durchführung und den Umfang der Aufklärung gelten zunächst dieselben Maßstäbe wie bei der Aufklärung des Patienten vor dessen Einwilligung im klassischen Sinne:776 Die Eltern sind vom behandelnden Arzt777 in einem persönlichen Gespräch778 rechtzeitig vor dem Eingriff aufzuklären. Im Rahmen der Einwilligung kommt es für den Umfang der Aufklärung insbesondere auf den Patienten an und darauf, welchen Umständen er besondere Bedeutung zumisst.779 Ebenso steht bei der Frage nach dem Aufklärungsumfang i. R. d. stellvertretenden Einwilligung der Patient im Mittelpunkt, sodass sich der Umfang der Aufklärung an den Bedürfnissen des Kindes – am Kindeswohl –, nicht aber an den Bedürfnissen der Eltern zu orientieren hat. Freilich werden die Eltern einigen Aspekten mehr und anderen Aspekten weniger Bedeutung zumessen. Diese Gewichtung der jeweiligen Gesichtspunkte ist ihnen i. S. e. individuellen Bestimmung des Kindeswohls bis zur Grenze der Überschreitung desselben auch möglich. 773

Vgl. etwa Laufs, in: HdA, § 58, Rn. 2. Zur Aufklärung gegenüber dem Kind vgl. sogleich E.VI.4.b). 775 Vgl. BGH, MedR 1995, 25. 776 Vgl. dazu bereits oben D.IV.4.b). 777 Vgl. etwa Schroth, in: FS Volk, 719, 738. 778 Vgl. etwa Laufs, in: HdA, § 57, Rn. 1 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 282. 779 Vgl. zum Prinzip der patientenbezogenen Information Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 193; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 2; vgl. oben D.IV.4.b). 774

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

277

Aus dem Grundsatz der am Kindeswohl orientierten Aufklärung folgt aber auch, dass sich der Arzt insofern nach den Eltern – und nicht nach dem Kind – richten muss, als es um die Beurteilung des Empfängerhorizonts geht:780 Er muss sich vergewissern, wie weit dieser reicht781 und das Aufklärungsgespräch auf dieser Grundlage führen, um den Eltern eine verantwortliche, am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu ermöglichen. Sofern sich keine Einbußen für das Kindeswohl ergeben, brauchen daher bereits informierte Eltern nicht in der umfassenden Weise aufgeklärt zu werden, wie dies bei völlig uninformierten Eltern der Fall wäre.782 (2) Keine Beschränkung des Aufklärungsumfangs Es ist Teil einer am Kindeswohl orientierten Aufklärung, dass sie – mit Ausnahme des Falls bereits informierter Eltern – in ihrem Umfang nicht beschränkt werden kann, die Eltern also nicht auf Teile derselben verzichten dürfen.783 Nur auf Grundlage einer vorherigen umfassenden Aufklärung können die Eltern nämlich in verantwortlicher Weise stellvertretend einwilligen. Hinzu tritt, dass der Grund für einen Aufklärungsverzicht vor einer Einwilligung im klassischen Sinne oft darin liegt, dass sich der Patient nicht mit den Risiken des Eingriffs belasten möchte.784 Von einer solchen Belastung dürfen sich die Eltern im Rahmen einer stellvertretenden Einwilligung gerade nicht frei machen:785 Sie haben aus Art. 6 II GG das Recht, aber auch die Pflicht zu Pflege und Erziehung und sind dabei an das Kindeswohl gebunden.786 Elterliche Interessen – sich etwa nicht mit den Risiken des Eingriffs belasten zu wollen – müssen hier zurücktreten. 780 Ebenso das zivilrechtliche Urteil des BGH, NJW 1971, 1887; vgl. diesbezüglich zur Einwilligung im klassischen Sinne oben D.IV.4.b); vgl. außerdem etwa Laufs, in: HdA, § 59, Rn. 18. 781 Vgl. im Hinblick auf die Einwilligung im klassischen Sinne Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 301; Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 16. 782 Vgl. zum informierten Patienten bei der Einwilligung im klassischen Sinne etwa Laufs, in: HdA, § 60, Rn. 15. 783 Etwas anderes impliziert das zivilrechtliche Urteil des BGH, NJW 1971, 1887, in der es um die Aufklärung und Einwilligung des gesetzlichen Vertreters stellvertretend für die minderjährige und nicht einwilligungsfähige Tochter ging: „Es muß also dem Aufklärungsempfänger, sofern er nicht auf eine solche Erläuterung ausdrücklich verzichtet hat [. . .], der beabsichtigte Eingriff [. . .] erläutert werden“. 784 Vgl. Harmann, NJOZ 2010, 819, 821. 785 Insofern spielt i. R. d. stellvertretenden Einwilligung nicht nur bei nicht indizierten, sondern bei sämtlichen Eingriffen die Frage keine Rolle, inwiefern der Umfang der Aufklärung aus therapeutischen Gründen eingeschränkt werden darf. Vgl. Kern/Laufs, Aufklärungspflicht, S. 29 f., sowie allgemein zur Einschränkung der Aufklärungspflicht aus therapeutischen Gründen Abschn. D, Fn. 470. 786 Vgl. BVerfGE 59, 360, 376; 92, 158, 178.

278

E. Die stellvertretende Einwilligung

Entsprechend liegt im Aufklärungsverzicht der Eltern eine Kindeswohlgefährdung: Es wird für das Kindeswohl ohne Notwendigkeit ein Risiko geschaffen, das aufgrund seiner Vermeidbarkeit so schwer zu gewichten ist, dass man i. R. d. Gesamtabwägung zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung und damit zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung gelangt.787 Durch die fehlende Möglichkeit einer Beschränkung des Aufklärungsumfangs wird i. R. d. stellvertretenden Einwilligung der Streit um die Frage entschärft, wie umfassend vor der Vornahme eines nicht indizierten bzw. nicht dringlichen Eingriffs aufzuklären ist:788 Die Eltern sind stets – also auch vor der stellvertretenden Einwilligung in die nicht indizierte und nicht dringliche Beschneidung aus religiösen Gründen – umfassend und schonungslos über sämtliche Aspekte des Eingriffs aufzuklären.789 dd) Aufklärung durch einen Nicht-Arzt Bisher wurde von der Fallkonstellation ausgegangen, dass die Zirkumzision von einem approbierten Arzt durchgeführt wird. Fraglich ist, wie es um die Aufklärungspflichten gegenüber den Eltern steht, wenn der Eingriff durch einen traditionellen Beschneider vorgenommen wird, der gerade keine Approbation hat.790 Da die Eltern in dieser Hinsicht nur dann dispositionsbefugt sind, wenn der traditionelle Beschneider de facto ebenso kompetent wie ein approbierter Arzt zur Vornahme des Eingriffs ist und die Beschneidung außerdem lege artis – insbesondere unter sterilen Bedingungen sowie unter vorheriger Betäubung – durchgeführt werden soll,791 bildet im Folgenden diese Konstellation den Ausgangspunkt. Es wurde bereits besprochen, dass auch der traditionelle Beschneider aufgrund seines überlegenen Wissens und seinen Informationspflichten, welche sich aus der Eröffnung einer Gefahrenquelle ergeben,792 Aufklärungspflichten hat, die al787 Hier sieht man nochmals besonders deutlich, dass die Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung der Absicherung der körperbezogen Selbstbestimmung des Kindes dienen, indem sie der elterlichen Dispositionsbefugnis Grenzen ziehen. Vgl. zur Gewichtung von vermeidbaren Risiken oben E.V.3.a)aa). 788 Vgl. hierzu oben D.IV.4.b)aa). 789 Auch die Problematik im umgekehrten Fall (hierzu BGHSt 12, 379, 382) verliert an Bedeutung: Handelt es sich um einen dringend indizierten Eingriff, so können die stellvertretend einwilligenden Eltern nur insoweit auf eine vorherige umfassende Aufklärung bestehen, als sich hieraus keine Gefährdung für das Kindeswohl – etwa weil der Eingriff zur Lebensrettung des Kindes sofort vorzunehmen ist, ohne dass Zeit für die Aufklärung der Eltern bleibt – ergibt. 790 Ist der traditionelle Beschneider zugleich approbierter Arzt, so ergeben sich zu den obigen Ausführungen keine Unterschiede. 791 Vgl. hierzu oben E.V.4. 792 Vgl. hierzu Schroth, in: FS Volk, 719, 739 ff.

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

279

lerdings weniger weit reichen als ärztliche Aufklärungspflichten, sofern er nicht ausnahmsweise tatsächlich zu einer umfassenden Aufklärung in der Lage ist. Insofern kann auf die Ausführungen zur Aufklärung durch einen Nicht-Arzt vor der Einwilligung im klassischen Sinne verwiesen werden.793 Für die stellvertretende Einwilligung in die Vornahme einer Zirkumzision durch einen nicht approbierten, traditionellen Beschneider gilt, dass auch diesen umfassende Aufklärungspflichten treffen, sofern er de facto ebenso kompetent zur Aufklärung wie ein approbierter Arzt ist. Grund hierfür ist die Absicherung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes und vor allem das überlegene Wissen des Eingreifenden.794 Nach erfolgter eingehender Aufklärung durch denselben können die Eltern in die lege artis durchgeführte Beschneidung ihres Sohnes wirksam einwilligen. Denn dann sind sie dazu in der Lage, eine verantwortliche Entscheidung für ihr Kind zu treffen. Probleme ergeben sich allerdings dort, wo der traditionelle Beschneider gerade nicht in der Weise wie ein approbierter Arzt zur umfänglichen Aufklärung kompetent ist: Eine verantwortliche Entscheidung ist den Eltern für ihr Kind nur bei vorheriger detaillierter Aufklärung möglich. Aus diesem Aspekt lässt sich zwar keine voll umfassende Aufklärungspflicht eines hierzu nicht kompetenten Nicht-Arztes vor einer stellvertretenden Einwilligung ableiten. Für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung genügt allerdings auch keine nur eingeschränkte Aufklärung dahingehend, dass der traditionelle Beschneider über das Bestehen seiner fehlenden Approbation sowie unter Verweis auf die grundsätzlichen Risiken der Zirkumzision darüber informiert, dass einem approbierten Arzt eine umfassendere Aufklärung möglich wäre.795 Denn die von vornherein fehlende Möglichkeit zur umfänglichen Aufklärung der Eltern begründet Risiken für das Kindeswohl, die ohne Weiteres vermeidbar wären, indem eine zur Aufklärung (und gegebenenfalls auch zur Vornahme des Eingriffs) kompetente Person aufgesucht würde.796 Solche vermeidbare Risiken sind i. R. d. Gesamtabwägung so schwer zu gewichten, dass sie zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung führen.797 Daher überschreiten die Eltern in diesem Fall die Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis

793

Vgl. oben D.IV.4.c). Vgl. oben D.IV.4.c); vgl. auch Schroth, in: FS Volk, 719, 740 f.; Fateh-Moghadam, Lebendorganspende, S. 192. 795 Bei der Einwilligung im klassischen Sinne wäre ein solches Vorgehen möglich, vgl. oben D.IV.4.c). 796 Vgl. zur Aufklärungspflicht des traditionellen Beschneiders auch LG Frankenthal, MedR 2005, 243, 244 f. 797 Vgl. zur Gewichtung von vermeidbaren Risiken oben E.V.3.a)aa). 794

280

E. Die stellvertretende Einwilligung

und können in eine Knabenbeschneidung ohne vorherige umfassende Aufklärung nicht wirksam stellvertretend einwilligen. Da es häufig der Fall sein wird, dass ein traditioneller Beschneider nicht so umfassend wie ein approbierter Arzt über die Folgen des Eingriffs aufklären kann, begründet dies freilich eine brisante Problematik. Dieser könnte in praktischer Hinsicht durch eine Zusammenarbeit von Arzt und traditionellem Beschneider entgegengewirkt werden. b) Aufklärungspflicht gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen Zuletzt stellt sich die Frage, ob und inwiefern der nicht einwilligungsfähige, aber teilweise schon verständige Minderjährige über den vorzunehmenden Eingriff aufzuklären ist, bevor die Eltern hierin stellvertretend einwilligen. Da hierbei vieles vom Einzelfall abhängig ist, wird im Folgenden nur auf die Grundzüge von Aufklärungspflichten gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen eingegangen. Bezüglich einer Aufklärungspflicht gegenüber dem Kind sind zwei Ansatzpunkte möglich: Es kann sowohl vom Arzt als auch von den Eltern über den vorzunehmenden Eingriff aufzuklären sein. Jeweils fraglich sind dabei die Grundlage sowie die Reichweite der Aufklärungspflicht gegenüber dem Einwilligungsunfähigen sowie die Rechtsfolgen bei fehlender oder ungenügender Aufklärung. aa) Aufklärung durch den eingreifenden Arzt (1) Therapeutische Aufklärung Die therapeutische Aufklärung ist bereits Teil der Behandlung.798 Sie sollte so früh und so weit als möglich gegenüber dem Minderjährigen erfolgen, um eine bestmögliche Heilung der Wunde zu erreichen. Dies gilt freilich nur, sofern das Kind seiner Reife nach überhaupt zur Aufnahme einer solchen – auch nur in Teilen erfolgenden – Aufklärung in der Lage ist. Solange das Kind die Sicherungsaufklärung nicht vollständig verstehen bzw. sein Verhalten hiernach ausrichten kann, sind dessen Eltern parallel bzw. ergänzend über die erforderlichen, den Behandlungserfolg sichernden Maßnahmen aufzuklären.799

798 Vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, V., Rn. 16; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 62; Laufs, in: HdA, § 58, Rn. 2; vgl. auch oben D.IV.4.a)bb). 799 Vgl. hierzu bereits oben E.VI.4.a)cc)(1).

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

281

(2) Selbstbestimmungsaufklärung (a) Grundlage der Aufklärungspflicht gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen Eine Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung gegenüber dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen ist psychologisch betrachtet freilich sinnvoll, wenn dieser zwar noch nicht einwilligungsfähig, wohl aber zu einem gewissen Verständnis gegenüber dem vorzunehmenden Eingriff in der Lage ist.800 Fraglich ist aber, ob eine echte Rechtspflicht des Arztes zur Aufklärung des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen begründet werden kann. Die zum Teil gesetzlich geregelten Aufklärungspflichten gegenüber nicht Einwilligungsfähigen801 können dabei nicht als allgemeine rechtliche Normierung von Aufklärungspflichten des Arztes gegenüber nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen verstanden werden, da diese Regelungen allein spezielle Fallgestaltungen betreffen. Das Bestehen einer Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ergibt sich aber aus folgenden Überlegungen: Es sind die Eltern, die die Zuständigkeit zur Wahrnehmung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes innehaben.802 Dabei müssen sie sich am Kindeswohl orientieren. Das völlige Übergehen des – schon zum Teil verständigen – Kindes aufgrund fehlender Aufklärung desselben würde eine stellvertretende Einwilligung über dessen Kopf hinweg bedeuten.803 Dies würde nicht nur die Kindeswohlgefährdung als allgemeine Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis überschreiten, sondern es würde bereits die spezielle Schranke des Art. 1 I GG greifen,804 da das Kind, sofern ihm bereits ein gewisses Verständnis des vorzunehmenden Eingriffs möglich ist, durch die fehlende angemessene Aufklärung und Einbeziehung zum bloßen Objekt ärztlicher Behandlung und elterlicher Entscheidung805 gemacht würde.806

800

Eberbach, MedR 1986, 14, 15. Vgl. z. B. § 3 III Nr. 1 KastrG, § 40 IV Nr. 3 AMG. 802 Vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129. 803 Vgl. hierzu Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 804 Vgl. zu dieser speziellen Schranke E.IV.2.c). 805 In diesem Fall handelt es sich bei der elterlichen Entscheidung gerade nicht mehr um die stellvertretende verantwortungsvolle Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes. 806 Vgl. Wölk, MedR 2001, 80, 88; Schünemann, VersR 1981, 306, 309; Zahn, Einwilligungsunfähige, S. 90 f. 801

282

E. Die stellvertretende Einwilligung

Insofern hat der Arzt unabhängig vom Vorhandensein der Einwilligungsfähigkeit eine Pflicht zur angemessenen Aufklärung des schon teilweise verständigen Minderjährigen, die sich aus dessen Menschenwürde ergibt.807 (b) Gestaltung und Umfang der Aufklärung Der nicht einwilligungsfähige Minderjährige ist freilich anders aufzuklären als ein zur Einwilligung Fähiger.808 Da der Arzt sein Aufklärungsgespräch am individuellen Patienten zu orientieren hat,809 richtet sich der Umfang der ärztlichen Aufklärung nach dem Maß der (sittlichen) Reife des einwilligungsunfähigen Patienten.810 Damit begrenzt die Fähigkeit des Patienten zum Verständnis der Umstände die Reichweite der Aufklärung.811 Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Aufklärung vollständig entfallen kann, wenn – etwa bei einem Säugling – noch gar keine, auch keine rudimentären, Fähigkeiten zur körperbezogenen Selbstbestimmung bzw. keine Möglichkeiten zum Verständnis der Aufklärung vorhanden sind.812 Eine angemessene Aufklärung des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen vor der elterlichen stellvertretenden Einwilligung ist dem Arzt auch in praktischer Hinsicht ohne Weiteres möglich, da er bereits im Gespräch mit dem Minderjährigen dessen Einwilligungsfähigkeit zu beurteilen hat.813 bb) Aufklärung durch einen eingreifenden Nicht-Arzt Die Frage, inwiefern der Minderjährige auch durch einen Nicht-Arzt, etwa einem traditionellen Beschneider, der den Eingriff vornehmen soll, aufzuklären ist, stellt sich nur dann, wenn Letzterer de facto ebenso kompetent wie ein approbierter Arzt zur Aufklärung von Eltern und Minderjährigem ist. Denn wenn er diese Kompetenz zur umfassenden Aufklärung nicht aufweist, können die Eltern strafrechtlich betrachtet schon von vornherein aufgrund der Überschreitung ihrer Dis-

807 Schünemann, VersR 1981, 306, 309; Voll, Einwilligung, S. 74; vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 109. Zum Teil wird die Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen auch auf dessen Persönlichkeitsrecht zurückgeführt, vgl. Rothärmel/Wolfslast/Fegert, MedR 1999, 293, 297 f.; Eberbach, MedR 1986, 14, 15; Link, Schwangerschaftsabbruch, S. 230. 808 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 792. 809 Wölk, MedR 2001, 80, 88; vgl. auch oben D.IV.4.b). 810 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 109; Golbs, Vetorecht, S. 139. 811 Schünemann, VersR 1981, 306, 310; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 109; vgl. Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 108 f. 812 Vgl. Schünemann, VersR 1981, 306, 310. 813 Vgl. Rouka, Selbstbestimmungsrecht, S. 109.

VI. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung

283

positionsbefugnis nicht stellvertretend für den Minderjährigen in die Beschneidung einwilligen.814 Ist der nicht approbierte traditionelle Beschneider tatsächlich ebenso wie ein Arzt zur umfassenden Aufklärung in der Lage, so gelten für ihn bezüglich der Aufklärung des nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen dieselben, gerade eben in Bezug auf den Arzt herausgearbeiteten Grundsätze. cc) Informations- und Besprechungspflicht seitens der Eltern Es wurde bereits angesprochen, dass durch ein völliges Übergehen des einwilligungsunfähigen, aber zum Teil schon verständigen Minderjährigen dieser zum Objekt ärztlichen Handelns und elterlicher Entscheidung gemacht würde, sodass bereits die spezielle Schranke des Art. 1 I GG der elterlichen Dispositionsbefugnis überschritten wäre.815 Darüber hinaus kommt in § 1626 II BGB zum Ausdruck, dass die Eltern den Minderjährigen seiner Reife angemessen an ihrer Entscheidung zu beteiligen haben.816 Sie müssen also – je nach Alter und Reifegrad des Minderjährigen – den vorzunehmenden Eingriff mit ihm besprechen. Denn es handelt sich beim verfassungsrechtlich garantierten Elternrecht um ein Recht im Interesse und zum Wohl des Kindes.817 Auf diesen Grundlagen hat nicht nur der Arzt den nicht einwilligungsfähigen, aber teilweise verständigen Minderjährigen aufzuklären, sondern auch die Eltern haben ihr Kind vor dem Eingriff angemessen zu informieren und diesen mit ihm zu besprechen. Dabei trifft die Eltern freilich keine Pflicht zur Aufklärung im ärztlichen Sinne, da sie eine solche nicht zu leisten in der Lage sind. Es lässt sich vielmehr von einer Informations- und Besprechungspflicht der Eltern gegenüber dem Kind sprechen.818 dd) Rechtsfolgen bei fehlender Aufklärung Wie sich bereits im Rahmen der Ausführungen zu den rechtlichen Grundlagen der ärztlichen Aufklärungspflicht bzw. der elterlichen Informations- und Besprechungspflicht gegenüber dem teilweise schon verständigen Kind zeigte, liegt im völligen Übergehen des Kindes, das seiner Reife nach bereits in Teilen eine Aufklärung sowie die Information seitens der Eltern empfangen könnte, eine Über814

Vgl. hierzu oben E.VI.4.a)dd). Vgl. oben E.VI.4.b)aa)(2)(a). 816 Vgl. Palandt-Götz, § 1626, Rn. 23. 817 BVerfGE 59, 360, 382; 75, 201, 218 f. 818 Dieser Ausdruck soll die Abgrenzung zur ärztlichen Aufklärungspflicht verdeutlichen. Vgl. Golbs, Vetorecht, S. 197. 815

284

E. Die stellvertretende Einwilligung

schreitung der speziellen Grenze des Art. 1 I GG der elterlichen Dispositionsbefugnis, da das Kind zum Objekt ärztlichen und elterlichen Handelns gemacht wird.819 Die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die Beschneidung ist in diesen Fällen stets unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn das Kind allein seitens des Arztes oder allein seitens der Eltern übergangen wird, da es auch in diesen Fällen zum bloßen Objekt degradiert wird.820 Bei zwar vorhandener, aber ungenügender Aufklärung seitens des Arztes bzw. Information und Besprechung seitens der Eltern wird das Kind nicht zum Objekt degradiert, sodass die spezielle Grenze des Art. 1 I GG der elterlichen Dispositionsbefugnis nicht eingreift. Es muss aber danach gefragt werden, ob das Handeln der Eltern bzw. des Arztes so schwer wiegt, dass in Relation zu den anderen Eingriffsmodalitäten eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist, die zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung der Eltern in die Beschneidung führen würde. Dies ist einzelfallabhängig und wird nicht schon bei geringen, sondern vielmehr bei schwerwiegenden Mängeln i. R. d. ärztlichen Aufklärung bzw. der elterlichen Information und Besprechung der Fall sein. 5. Formale Voraussetzungen und subjektive Seite der stellvertretenden Einwilligung Ebenso wie die Einwilligung821 ist auch die stellvertretende Einwilligung vor der Vornahme des Eingriffs beim Kind ausdrücklich oder stillschweigend kundzugeben. Da grundsätzlich beide Eltern einwilligen müssen bzw. sich der Eingreifende jedenfalls nach dem Vorliegen der Einwilligung des anderen Elternteils zu erkundigen hat,822 ist eine ausdrückliche Kundgabe der Regelfall. Auch die stellvertretende Einwilligung ist – als Verwirklichung der körperbezogenen Selbstbestimmung des Kindes – frei widerruflich. Die Möglichkeit der Eltern zum Widerruf findet in der Kindeswohlgefährdung ihre Grenze.823 Der Eingreifende muss – wie auch bei der Einwilligung – in Kenntnis der stellvertretenden Einwilligung handeln.

819

Vgl. oben E.VI.4.b)aa)(2)(a). Damit obliegt auch den Eltern die Aufgabe, sich darum zu kümmern, dass der Minderjährige in angemessener Weise vom Arzt aufgeklärt wird. 821 Vgl. diesbezüglich zur Einwilligung oben D.IV.6. 822 Vgl. oben zum Stufenmodell i. R. d. stellvertretenden Einwilligung E.VI.2. 823 Die Grenze der Widerrufsmöglichkeit ist parallel zu der einer Verweigerung der stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern zu ziehen, vgl. Abschn. E, Fn. 544. 820

VII. Das Urteil des LG Köln

285

VII. Das Urteil des LG Köln vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse Im Sinne der vorangegangenen Ausführungen ist die stellvertretende Einwilligung im Strafrecht auf ein liberales Rechtsguts- und Einwilligungsmodell, auf die Rechte des Kindes – insbesondere auf dessen Recht zur körperbezogenen Selbstbestimmung aus Art. 2 II 1 GG – sowie auf die speziell das Eltern-KindVerhältnis regelnde Verfassungsnorm des Art. 6 II GG zurückzuführen. Auf dieser Grundlage lässt sich eine Dogmatik der stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht entwickeln, die eine möglichst weitreichende Verwirklichung der (körperbezogenen und religiösen) Selbstbestimmung des Kindes erlaubt und gleichzeitig anhand des Maßstabs der Kindeswohlgefährdung die elterliche Kompetenz zur individuellen Bestimmung des Kindeswohls vernünftig begrenzt.824 Vor diesem dogmatischen Hintergrund der elterlichen stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht kann dem Urteil des LG Köln vom 07.05.2012825 nicht gefolgt werden. Dies wurde bereits im Verlauf der Arbeit gezeigt und soll nochmals zusammenfassend verdeutlicht werden: Das LG Köln zieht die „körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gem. Art. 2 I und II 1 GG“ des Minderjährigen zur Begrenzung der „Grundrechte der Eltern aus Art. 4 I, 6 II GG“ – mithin auch als Grenze der stellvertretenden Einwilligung – heran.826 Außerdem stellt es zentral auf das „Interesse des Kindes“ ab, „später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können“.827 Dem kann schon insoweit nicht gefolgt werden, als die körperliche Unversehrtheit des Kindes als objektive Rechtsposition keine taugliche Grenze der elterlichen stellvertretenden Einwilligung darstellt. Nicht nur, dass es sich hierbei um einen Zirkelschluss handelt;828 die sich aus Art. 2 II 1 GG ergebende und durch die §§ 223 ff. StGB abgesicherte Rechtsposition ist auch gar keine objektive, sondern, verstanden als körperbezogene Selbstbestimmung, eine ausfüllungsbedürftige, die für das einwilligungsunfähige Kind durch dessen Eltern wahrgenommen wird.829 Soweit das Selbstbestimmungsrecht sowie die Religionsfreiheit des Minderjährigen die elterliche stellvertretende Einwilligung begrenzen sollen, ist dies ebenfalls nicht möglich, da dessen (körperbezogene und religiöse) Selbstbestimmung 824 825 826 827 828 829

Vgl. zu dem Ganzen oben E. LG Köln, NJW 2012, 2128. NJW 2012, 2128, 2129. NJW 2012, 2128, 2129. Vgl. hierzu Beulke/Dießner, ZIS 2012, 338, 345. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 132; vgl. zu dem Ganzen oben E.IV.2.b).

286

E. Die stellvertretende Einwilligung

ja gerade durch die stellvertretende Einwilligung Verwirklichung erfährt.830 Bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung, deren Überschreiten sich nur auf Grundlage einer umfassenden Gesamtabwägung aller kindeswohlbezogener Vor- und Nachteile des Eingriffs feststellen lässt,831 haben die Eltern i. S. d. Art. 6 II GG die Kompetenz zur stellvertretenden Einwilligung für ihr Kind.832 Dem entspricht es, dass es sich bei Art. 6 II GG um ein Recht im Interesse des Kindes handelt833 – hierzu gehören auch dessen Interesse und Bedürfnis nach körperbezogener und religiöser Selbstverwirklichung, die bei fehlender Einwilligungsfähigkeit strafrechtlich betrachtet nur über das Institut der stellvertretenden Einwilligung erfolgen kann.834 Soweit das LG Köln in Folge seiner zunächst getroffenen Annahmen zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum des Arztes i. S. d. § 17 S. 1 StGB und damit letztlich zu einem Freispruch gelangt, ist dies nur konsequent. Der Arzt hatte sich zwar vor Durchführung des Eingriffs keine Rechtsauskunft eingeholt, das LG Köln meinte diesbezüglich aber, dass Erkundigungen wegen der unklaren Rechtslage zur Knabenbeschneidung zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt hätten.835 Auch in solchen Fällen kann die Unvermeidbarkeit eines Irrtums i. S. d. § 17 StGB bejaht werden.836 Die Konsequenz aus diesem Urteil war freilich eine politische: Da die Staatsanwaltschaft wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg keine Revision einlegte, erfolgte auch keine – von vielen gewünschte – höchstrichterliche Klärung der Problematik.837 Dies schürte die eingangs erwähnte Angst der Ärzte vor einer Strafbarkeit838 sowie die Empörung der betroffenen Religionsgemeinschaften839 und motivierte den Bundestag dazu, auf eine gesetzliche Regelung hinzuwirken.840 830

Vgl. zu dem Gesamten oben E.IV.2.a). Vgl. oben E.V.1. 832 Vgl. auch Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 129 und 131 ff. 833 Vgl. BVerfGE 59, 360, 382; 75, 201, 218 f. 834 Vgl. oben E.I.2.a). 835 NJW 2012, 2128, 2129; zustimmend Jahn, JuS 2012, 850, 852. Bartsch, StV 2012, 604, 608, kritisiert das Gericht an dieser Stelle dahingehend, dass i. R. d. § 17 StGB ein entscheidender Prüfungsschritt übersehen worden sei: Es hätte zunächst danach gefragt werden müssen, ob der Angeklagte überhaupt die Verpflichtung gehabt habe, Rechtsauskunft einzuholen. Dies hätte im zu entscheidenden Fall wegen eines fehlenden konkreten Anlasses des Angeklagten, über das mögliche Verbotensein seines Handelns nachzudenken, verneint werden müssen. 836 MK-StGB-Joecks, § 17, Rn. 58. 837 Vgl. hierzu http://www.stern.de/panorama/koelner-landgericht-entscheidet-be schneidungsurteil-ist-rechtskraeftig-1848318.html (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 838 Vgl. nur http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-umstrittenem-urteil-juedi sches-krankenhaus-stoppt-religioese-beschneidungen-1.1397500 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 839 Vgl. hierzu bereits Abschn. A, Fn. 9. 840 Vgl. hierzu Abschn. A, Fn. 17. 831

VIII. Der neue § 1631d BGB

287

VIII. Der neue § 1631d BGB vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse Ergebnis der gesetzgeberischen Tätigkeit ist der am 28.12.2012 in Kraft getretene § 1631d BGB, zu dem im Folgenden vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse Stellung genommen wird. Die Neuregelung wurde ins Familienrecht i. R. d. elterlichen Sorge integriert. Dies ist richtig, da es sich bei der elterlichen Einwilligung in die Knabenbeschneidung nicht um eine rein strafrechtliche Besonderheit handelt,841 die einen Ausnahmetatbestand im Strafrecht erfordern würde.842 Vielmehr ist die Grenze der Kindeswohlgefährdung, die den Rahmen der elterlichen stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht vorgibt, auf Art. 6 II GG sowie dessen zivilrechtliche Ausgestaltungen in §§ 1626 ff. BGB zurückzuführen.843 Entsprechend berührt eine Konkretisierung des Art. 6 II GG betreffend die Knabenbeschneidung nicht allein strafrechtliche Fragen, sondern das Verhältnis von Kind, Eltern und Staat im Gesamten.844 Daher ist der Einordnung der Neuregelung ins Familienrecht zuzustimmen.845 1. Anmerkungen zu § 1631d I 1 BGB § 1631d I 1 BGB steht zunächst mit dem hier gefundenen Ergebnis in Einklang: Die Eltern überschreiten durch die stellvertretende Einwilligung für den nicht einwilligungsfähigen Jungen in dessen nicht indizierte, kunstgerecht durchgeführte, religiös motivierte Beschneidung nicht das Kindeswohl als Grenze ihres verfassungsrechtlich abgesicherten Verantwortungsbereichs.846 Entsprechend ist der Eingriff am Kind bei vorhandener elterlicher Einwilligung nicht strafbar. Wichtig ist dabei, dass eine stellvertretende Einwilligung der Eltern nur im Falle nicht vorhandener Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen wirksam ist, da Letzterer ab Erreichen der Einwilligungsfähigkeit selbst zur eigenen Einwilligung kompetent ist.847 Ein weiterer wesentlicher Aspekt liegt darin, dass die stellvertretende Einwilligung der Eltern nur in die kunstgerecht durchgeführte Beschneidung erfolgen

841

Ebenso Rixen, NJW 2013, 257. Fateh-Moghadam, in: Heil/Kramer, 146, 157; vgl. hierzu Schramm, in: Heil/Kramer, 134, 143. 843 Vgl. oben E.IV.1.c). 844 Vgl. zu dem Ganzen BT-Drs. 17/11295, S. 16. 845 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257; anders Walter, JZ 2012, 1110, 1115 ff. 846 Vgl. oben E.V.4.a); BT-Drs. 17/11295, S. 16. 847 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257, 259 f.; vgl. oben D.IV.2.b)aa); vgl. BT-Drs. 17/ 11295, S. 17. 842

288

E. Die stellvertretende Einwilligung

darf. Dies ergibt sich aus dem Leitprinzip des Kindeswohls:848 Durch die Einwilligung in einen nicht kunstgerecht durchgeführten Eingriff setzen die Eltern das Kind Risiken aus, die ohne Weiteres vermeidbar sind. Diese wiegen so schwer, dass i. R. d. durchzuführenden Gesamtabwägung vom Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung auszugehen ist. Damit überschreiten die Eltern ihren Verantwortungsbereich und deren Einwilligung ist unwirksam.849 Darüber hinaus sind die Eltern vor der Vornahme des Eingriffs umfassend aufzuklären.850 Dieser Aspekt wurde in § 1631d I 1 BGB nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich laut Gesetzesentwurf aber aus dem bereits geltenden Recht, da vor einer Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff zwingend eine besonders umfassende Aufklärung des Rechtsgutsträgers bzw. seines gesetzlichen Vertreters zu erfolgen habe.851 Dass die fehlende Indikation eines Eingriffs per se nicht zwangsläufig eine besonders gründliche Aufklärung des einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgers selbst erfordert, wurde bereits gezeigt.852 Dagegen ergibt sich aus dem Prinzip des Kindeswohls, dass die Eltern vor der stellvertretenden Einwilligung für das Kind stets – unabhängig von der Indikation des Eingriffs – umfassend aufzuklären sind.853 Entsprechend bedarf es auch bei einer Einwilligung i. S. d. § 1631d I 1 BGB einer vorherigen umfassenden Aufklärung der Eltern. Denn das Kindeswohlprinzip liegt sowohl der Neuregelung854 als auch den Normen der elterlichen Sorge zugrunde,855 in welche § 1631d BGB eingebettet ist. Daher ist, auch wenn eine Klarstellung betreffend die Aufklärungspflicht wünschenswert gewesen wäre,856 § 1631d I 1 BGB in dieser Hinsicht eine verfassungsgemäße Konkretisierung des Art. 6 II GG im Bereich der Knabenbeschneidung.857 Sie bietet nach der heftigen Debatte um das Kölner Urteil Rechtssicherheit.858

848

Vgl. zum Kindeswohl als dem Leitprinzip des Art. 6 II GG: BVerfGE 59, 360, 376; 60, 79, 88; 61, 358, 372; 92, 158, 178. 849 Vgl. zu dem Ganzen oben E.V.3.a)aa) und E.V.4.b). 850 Vgl. oben E.VI.4.a). 851 BT-Drs. 17/11295, S. 17. Darüber hinaus wird zur Begründung auf den Behandlungsvertrag abgestellt. 852 Vgl. oben D.IV.4.b). 853 Vgl. oben E.VI.4.a)cc). Eine Ausnahme ergibt sich dort, wo der Eingriff am Kind so dringlich ist, dass eine vorherige Aufklärung der Eltern zeitlich nicht mehr möglich ist, vgl. Abschn. E, Fn. 789. 854 Vgl. insbesondere § 1631d I 2 BGB. 855 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57, Rn. 25. 856 So auch der Änderungsantrag zum Entwurf des § 1631d BGB, BT-Drs. 17/11815, S. 3. 857 A. A. Herzberg, ZIS 2012, 486, 489. 858 A. A. Herzberg, ZIS 2012, 486, 487.

VIII. Der neue § 1631d BGB

289

Darüber hinaus erlaubt der neue § 1631d I 1 BGB nicht nur die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte, sondern in jede kunstgerecht durchgeführte, medizinisch nicht indizierte Knabenbeschneidung. Die Frage, ob die Neuregelung auch in dieser Hinsicht eine verfassungsgemäße Konkretisierung des Art. 6 II GG darstellt, lässt sich daher nicht allein mit einem Verweis auf die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen beantworten, welche allein die religiös motivierte Knabenbeschneidung zum Gegenstand haben. Sie wäre zu bejahen, wenn die elterliche stellvertretende Einwilligung in eine Beschneidung ohne religiösen Hintergrund keine Kindeswohlgefährdung darstellte, sodass sich die Eltern innerhalb ihres verfassungsrechtlich garantierten Verantwortungsbereichs befänden.859 Dabei ist zu beachten, dass die Eltern durchaus zu dem Ergebnis kommen dürfen, dass mit der Beschneidung ein positiver medizinischer Nutzen für ihr Kind verbunden ist, was die Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen sowie hygienische Vorteile betrifft.860 Denn es ist Sache der Eltern zu entscheiden, welchen der unterschiedlichen Studien zur Knabenbeschneidung sie Glauben schenken.861 Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts spricht viel dafür, auch in der stellvertretenden Einwilligung in die Knabenbeschneidung ohne religiöse Motivation eine noch verantwortbare Elternentscheidung zu sehen.862 Anders gewendet liegt es durchaus nahe, den neuen § 1631d I 1 BGB auch in dieser Hinsicht als verfassungsgemäße Konkretisierung des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 II GG einzustufen.863 Ein Kritikpunkt am neuen § 1631d BGB geht dahin, dass die Norm gegen Art. 3 II GG864 verstoße, da er Jungen allein aufgrund ihres Geschlechts gegenüber Mädchen benachteilige.865 Denn während die Norm die Beschneidung an Knaben erlaube, sei – was sich im Umkehrschluss zu § 1631d BGB sowie aus der Gesetzesbegründung ergebe – die Beschneidung an Mädchen sogar in der

859

Vgl. oben E.V. Dagegen können die möglichen Vorteile der geringeren Übertragbarkeit von humanen Papillomaviren und von Geschlechtskrankheiten sowie der vorbeugenden Wirkung gegen eine HIV-Infektion wegen der fehlenden Kindeswohlbezogenheit nicht in die Gesamtabwägung eingestellt werden. Vgl. oben E.V.4.a)bb). 861 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257, 261; vgl. oben E.V.4.a)bb); vgl. auch BT-Drs. 17/ 11295, S. 16. 862 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257, 260 f.; vgl. Fateh-Moghadam, RW 2010, 115, 138; anders Schramm, Ehe und Familie, S. 230 f. 863 A. A. Herzberg, ZIS 2012, 486, 489. 864 Die Kritik wird an Art. 3 II GG festgemacht. Sie könnte ebenso an Art. 3 III GG festgemacht werden, der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Verhältnis zu Art. 3 II GG die größere Relevanz hat, vgl. Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 3, Rn. 78 m.w. N.; BVerfGE 85, 191, 206 f.; 92, 91, 109; 104, 373, 393. 865 Walter, JZ 2012, 1110, 1111 ff., noch in Bezug auf den Gesetzesentwurf. 860

290

E. Die stellvertretende Einwilligung

Form der bloßen „Klitorisvorhautreduktion“ verboten.866 Der Staat entziehe damit männlichen Kindern allein aufgrund ihres Geschlechts den Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit,867 was nicht zu rechtfertigen sei.868 Hiergegen ist zunächst einzuwenden, dass mit dem Argument, dem Knaben werde der Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit entzogen, Letztere per se als Grenze des elterlichen Verantwortungsbereichs herangezogen wird. Dass dies so aber gar nicht möglich ist, wurde bereits erörtert.869 Vielmehr ist die elterliche stellvertretende Einwilligung das Instrument, über welches auch dem nicht einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen dessen körperbezogene (und religiöse) Selbstentfaltung ermöglicht wird.870 Hierbei ist den Eltern ein eigener Verantwortungsbereich eröffnet, in den der Staat so lange nicht eingreifen darf, als die Grenze des Kindeswohls nicht überschritten ist.871 Da Letzteres bei der Knabenbeschneidung grundsätzlich nicht der Fall ist,872 darf der Staat von seinem Wächteramt gar nicht Gebrauch machen, sodass es schon an der Grundlage eines staatlichen Einschreitens i. S. d. Art. 6 II 2 GG fehlt. Daher entzieht § 1631d BGB dem männlichen Kind nicht den Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit, sondern respektiert den sich aus Art. 6 II 1 GG ergebenden elterlichen Verantwortungsbereich, was wiederum dem Kind zu Gute kommt.873 Darüber hinaus kann dem Vorwurf einer gegen Art. 3 II bzw. III GG verstoßenden Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen nicht gefolgt werden. Denn die Knabenbeschneidung einerseits und die Genitalverstümmelung andererseits werden nicht wegen des Geschlechts der Rechtsgutsträger an sich, sondern aufgrund der jeweiligen Eingriffsreichweite sowie deren unterschiedlichen Auswirkungen verschieden behandelt:874 Eine Genitalverstümmelung an Mädchen beschränkt sich in aller Regel nicht auf eine bloße „Klitorisvorhautreduktion“,875 welche anatomisch mit der Knabenbeschneidung verglichen werden könnte.876 Vielmehr umfasst die traditio866

Walter, JZ 2012, 1110, 1112. Walter, ebd. 868 Walter, JZ 2012, 1110, 1112 f. 869 Vgl. oben E.IV.2.b). 870 Vgl. oben E.I.2.a). 871 Vgl. oben E.II.5. 872 Vgl. oben E.IV. und E.V. 873 Dem Art. 6 II 1 GG liegt der Gedanke zugrunde, dass den „Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution“, BVerfGE 59, 360, 376; 61, 358, 371. 874 Letztlich wird also an biologische Unterschiede angeknüpft, welche eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Vgl. hierzu allgemein Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 3, Rn. 95 m.w. N.; BVerfGE 85, 191, 207; 92, 91, 109. 875 Walter, JZ 2012, 1110, 1112. 876 s. auch Klein, in: Heil/Kramer, 233, 255; vgl. schon oben D.IV.5.c). 867

VIII. Der neue § 1631d BGB

291

nelle Genitalverstümmelung an Mädchen auch das teilweise oder vollständige Entfernen der Klitoris als solcher,877 was beim Jungen der (Teil-)Amputation der Eichel gleichkäme.878 Teilweise werden auch noch intensivere Eingriffe vorgenommen.879 Daher versteht der Gesetzgeber die Genitalverstümmelung richtigerweise als einen Eingriff, der mit der „Gefahr schwerwiegender Gesundheitsrisiken und weitreichender Folgen“ verbunden ist.880 Im Gesetzesentwurf wird die Genitalverstümmelung als solche nicht definiert, aber Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs genommen, in der einer Unterscheidung nach der „Art der Verstümmelung (Klitorisbeschneidung, Excision oder Infibulation)“ eine Absage erteilt wird.881 Zu Recht verweist diese Entscheidung schon gar nicht auf eine bloße Beschneidung der Klitorisvorhaut, da die traditionelle Genitalverstümmelung an Mädchen weiter geht.882 Vor diesem Hintergrund war es nicht nur im Hinblick auf das Kindeswohl als Grenze der Elternverantwortung i. S. d. Art. 6 II GG, sondern auch unter Berücksichtigung des Art. 3 GG angezeigt, zwischen der Knabenbeschneidung einerseits und der Genitalverstümmelung andererseits zu differenzieren.883 2. Anmerkungen zu § 1631d I 2 BGB Die vorangegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass der elterliche Verantwortungsbereich seine Grenze in der Kindeswohlgefährdung findet.884 Das Vorliegen einer solchen beurteilt sich dabei auf Grundlage einer Gesamtabwägung, in welche sämtliche kindeswohlbezogenen Eingriffsmodalitäten einzustellen sind.885 877 Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 19; Klein, in: Heil/Kramer, 233, 255; http:// whqlibdoc.who.int/publications/2008/9789241596442_eng.pdf, S. 25 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013). 878 Klein, in: Heil/Kramer, 233, 255; Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 19; vgl. auch Walter, JZ 2012, 1110, 1112. 879 Vgl. hierzu sowie zu den Folgen genauer oben D.IV.5.c). 880 BT-Drs. 17/11295, S. 14. 881 BT-Drs. 17/11295, S. 14, bezugnehmend auf BGH, NJW 2005, 672, 673. Vgl. zu den Begrifflichkeiten Abschn. D, Fn. 540 a. E. 882 Vgl. Rosenke, Genitalverstümmelung, S. 19. 883 Ebenso Rixen, NJW 2013, 257, 259; vgl. Klein, in: Heil/Kramer, 233, 254 f.; Schramm, in: Heil/Kramer, 134, 143; vgl. zur Differenzierung zwischen den beiden genannten Sachverhalten BT-Drs. 17/11295, S. 13 f.; s. auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 335, die zutreffend darauf hinweisen, dass die Differenzierung zwischen Knabenbeschneidung einerseits und Genitalverstümmelung andererseits vor dem Hintergrund des Art. 3 GG außerdem unter dem Aspekt gerechtfertigt sein kann, dass mit dem jeweiligen Eingriff eine unterschiedliche „symbolische Botschaft“, also unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. 884 Vgl. oben E.V. 885 Vgl. oben E.V.1.

292

E. Die stellvertretende Einwilligung

Diese Gedanken finden sich auch in § 1631d I 2 BGB wieder: Die Neuregelung stellt klar, dass die elterliche Einwilligung in die Knabenbeschneidung – trotz ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit – bei Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung keine Wirksamkeit entfaltet.886 Die Heranziehung dieses Maßstabs887 sowie der Wortlaut „auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks“ zeigen zudem, dass das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung nur einzelfallbezogen auf Grundlage einer Gesamtabwägung festgestellt werden kann.888 Das Gesetz nimmt insbesondere den Zweck der Beschneidung ins Visier. Als Beispiele, wann unter Berücksichtigung des Zwecks eine Kindeswohlgefährdung gegeben sein kann, werden in der Begründung die „Beschneidung aus rein ästhetischen Gründen oder mit dem Ziel, die Masturbation zu erschweren“, genannt.889 Hieran wird kritisiert, dass sowohl Ärzte als auch Richter damit überfordert seien, „gute von schlechten Beschneidungsmotiven plausibel zu trennen.“ 890 Allerdings hat der streng kindeswohlbezogene Maßstab, der zur Überprüfung der elterlichen stellvertretenden Entscheidung heranzuziehen ist, zur Folge, dass sich auch aus dem mit der Beschneidung verfolgten Zweck – unter Berücksichtigung der Gesamtumstände – eine Kindeswohlgefährdung ergeben kann.891 Insbesondere kann in extremen Fällen die aus Art. 1 I GG folgende Schranke eingreifen, wenn es den Eltern mit dem Eingriff etwa ausschließlich um ihren eigenen Status geht oder sie das Kind allein in ihrem Interesse „verschönern“ lassen wollen.892 Dies ist zwar bei der Knabenbeschneidung regelmäßig nicht der Fall, allerdings auch nicht undenkbar, sodass das Abstellen auf den Zweck in § 1631d I 2 BGB durchaus seine Berechtigung findet. Es ist dabei zwar richtig, dass der Eingreifende nicht sämtliche Zwecke der vorzunehmenden Beschneidung eruieren und bewerten kann,893 er hat sich allerdings durchaus um die Frage zu kümmern, ob eine wirksame (stellvertretende) Einwilligung vorliegt: So muss er die vorhandene oder fehlende Einwilligungsfähigkeit des Kindes überprüfen,894 die Eltern und gegebenenfalls auch den teil886

Hierzu auch Rixen, NJW 2013, 257, 260; Hahn, MedR 2013, 215, 217. Vgl. auch den Kindeswohlbegriff in § 1666 I BGB: Es geht um einen möglichst umfassenden Schutz des Kindes, vgl. Palandt-Götz, § 1666, Rn. 7. 888 Vgl. BT-Drs. 17/11295, S. 18: „[. . .] ist aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.“ Vgl. auch oben E.V.1. 889 BT-Drs. 17/11295, S. 18. 890 Walter, JZ 2012, 1110, 1113. 891 Anders wohl Walter, JZ 2012, 1110, 1113 f., der zwischen Kindeswohl und Motiven der Eltern differenziert. 892 Vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 269; vgl. oben E.IV.2.c)aa). 893 Vgl. Walter, JZ 2012, 1110, 1113 f. 894 Die Überprüfung entfällt freilich bei unzweifelhaft einwilligungsunfähigen Kindern, so auch beim Säugling. Vgl. oben D.IV.2.b)bb)(4). 887

VIII. Der neue § 1631d BGB

293

weise zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen aufklären895 sowie sich des Vorliegens der stellvertretenden Einwilligung beider Elternteile vergewissern.896 Bei diesen Gesprächen erscheint es durchaus zumutbar, nach dem Zweck des Eingriffs zu fragen und gegebenenfalls auch die Wirksamkeit der Einwilligung in Zweifel zu ziehen. Das allein schließt natürlich die Gefahr nicht vollständig aus, dass die Eltern den wahren Zweck der Beschneidung erst gar nicht preisgeben.897 Allerdings ist solch ein Vorgehen mit Blick auf das umfassend zu schützende Kindeswohl besser, als dasselbe unabhängig vom Eingriffszweck zu betrachten und ihm damit unter diesem Gesichtspunkt von vornherein keinen Schutz zukommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund macht die Regelung des § 1631d I 2 BGB sehr wohl Sinn: Liegt ein Zweck vor, der spezielle Schranken der stellvertretenden Einwilligung eingreifen lässt bzw. i. R. d. Gesamtabwägung zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung führt, so hat dies die Unwirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung zur Folge. Dem Schutzbedürfnis des Eingreifenden, nicht für jede Fehleinschätzung der Wirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung bestraft zu werden, wird dabei durch die allgemeinen Irrtumsregeln ausreichend Rechnung getragen.898 Ob die Grenze der Kindeswohlgefährdung durch die elterliche Einwilligung überschritten ist, ergibt sich nicht allein aus dem Zweck der Beschneidung, sondern aus einer Gesamtabwägung aller kindeswohlbezogenen Eingriffsmodalitäten. Dem entspricht der Wortlaut des § 1631d I 2 BGB, wonach „auch“ der Zweck der Beschneidung zur Feststellung der Kindeswohlgefährdung berücksichtigt werden muss. Daher ist § 1631d I 2 BGB – neben dem § 1626 II BGB – die Norm, an der im Falle der stellvertretenden Einwilligung in die Beschneidung die ausreichende Berücksichtigung des Kindeswillens festzumachen ist:899 Im Falle eines bereits teilweise zur Selbstbestimmung fähigen Knaben ist dessen entgegenstehender 895

Vgl. oben E.VI.4.a) und E.VI.4.b). Vgl. oben E.VI.2. 897 Hierzu Walter, JZ 2012, 1110, 1113 f. 898 Vgl. hierzu – in Bezug auf die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit – Abschn. D, Fn. 347. Auch im Hinblick auf die Frage, ob in der konkreten stellvertretenden Einwilligung der Eltern (wegen des mit der Beschneidung verfolgten Zwecks) eine Kindeswohlgefährdung liegt, was zur Unwirksamkeit derselben führt, ist ein Irrtum des Eingreifenden möglich. 899 Der Gesetzesentwurf behandelt diesen Aspekt zunächst i. R. d. § 1631d I 1 BGB, weist aber auch darauf hin, dass im Einzelfall der entgegenstehende Kindeswille i. R. d. § 1631d I 2 BGB berücksichtigt werden muss, vgl. BT-Drs. 17/11295, S. 18. Bei der Überprüfung der Wirksamkeit der elterlichen Einwilligung ist die Frage nach der Berücksichtigung des Kindeswillens i. R. d. § 1631d I 2 BGB zu verorten, da es um die Frage nach dem Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung geht. Vgl. auch oben E.V. 5.a)aa)(4). Kritisch der Änderungsantrag, BT-Drs. 17/11815, S. 6. 896

294

E. Die stellvertretende Einwilligung

Wille in die Gesamtabwägung einzustellen,900 aus welcher sich das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung und damit einhergehend die Unwirksamkeit der elterlichen Einwilligung ergeben kann. Bei der vorliegenden Untersuchung der religiös motivierten Knabenbeschneidung zeigte sich aber in diesem Zusammenhang eine Besonderheit: Zwar hat der einwilligungsunfähige Minderjährige grundsätzlich kein festes Vetorecht gegen die elterliche stellvertretende Einwilligung in körperliche Eingriffe.901 Allerdings besteht bei der religiös motivierten Beschneidung902 auf Grundlage der zu treffenden Gesamtabwägung de facto ein Vetorecht des zwölfjährigen und älteren Minderjährigen, welches mit der in § 5 KErZG geregelten religiösen Selbstbestimmung zusammenhängt.903 Dies kann an sich aus § 1631d I 2 BGB, der auf den Maßstab der Kindeswohlgefährdung abstellt,904 in Verbindung mit § 1626 II BGB und § 5 KErzG herausgelesen werden. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wäre allerdings an dieser Stelle eine klarstellende Regelung im Sinne eines Vetorechts des Minderjährigen angebracht, um Missverständnissen dahingehend vorzubeugen, dass die Eltern stets in die Beschneidung des einwilligungsunfähigen, aber teilweise schon zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen einwilligen dürften, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 1631d I 1 BGB gegeben sind. 3. Anmerkungen zu § 1631d II BGB Unter Zugrundelegung der Kindeswohlgefährdung als Grenze des elterlichen Verantwortungsbereichs zeigt sich, dass die Eltern grundsätzlich in eine Beschneidung einwilligen dürfen, die von einem traditionellen Beschneider in einer kunstgerechten Art und Weise vorgenommen wird, sofern derselbe hierzu ebenso kompetent wie ein approbierter Arzt ist und auch die notwendige Aufklärung umfassend leisten kann.905

900 Vgl. oben E.V.3.d). Auch der befürwortende Kindeswille ist einzustellen, dieser beeinflusst im Ergebnis allerdings nicht das Vorhandensein oder Fehlen einer Kindeswohlgefährdung, vgl. oben E.V.5.b). 901 Vgl. oben E.V.5.a)aa). 902 Dies gilt auch dann, wenn die Eltern die Beschneidung aus präventiv-medizinischen Gründen vornehmen lassen wollen, der Minderjährige den Eingriff aber aus religiösen Gründen ablehnt, da auch in diesem Fall der entgegenstehende Kindeswille als Ausdruck bereits vorhandener religiöser Selbstbestimmung als besonders gewichtiger Nachteil in die Gesamtabwägung einzustellen ist. Vgl. zum entgegenstehenden Kindeswillen als Nachteil des vorzunehmenden Eingriffs oben E.V.3.d)bb) und E.V.5.a)bb). 903 Vgl. oben E.V.5.a)bb). 904 Auch das de facto vorhandene Vetorecht des Minderjährigen gegen die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Beschneidung gründet auf diesem Maßstab, vgl. oben E.V.a)aa)(4). 905 Vgl. oben E.V.4.b) und E.VI.4.a)dd).

VIII. Der neue § 1631d BGB

295

Hiervon geht grundsätzlich auch der neue § 1631d II BGB aus, der sich auf – lege artis durchgeführte – Beschneidungen gemäß Absatz 1 bezieht und zusätzlich voraussetzt, dass der Eingreifende zur Durchführung der Beschneidung einem Arzt vergleichbar befähigt ist. Dies beinhaltet auch die Notwendigkeit der Kompetenz zur umfassenden Aufklärung der Eltern.906 Vor diesem Hintergrund wird allerdings nicht ersichtlich, warum die Möglichkeit, die Beschneidung von einem ebenso kompetenten Nicht-Arzt durchführen zu lassen, auf den Zeitraum von sechs Monaten beschränkt ist. Das Argument „der staatlichen Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit [. . .] des Kindes“ 907 trägt hierfür nicht.908 Denn es wird nicht klar, warum – im Umkehrschluss zu § 1631d II BGB – nach Ablauf von sechs Monaten eine elterliche Einwilligung in die Beschneidung unwirksam sein soll, welche vorher noch Wirksamkeit entfaltet hätte. Allein aus der Überschreitung dieses Zeitpunkts folgt jedenfalls keine Kindeswohlgefährdung; auch sind keine anderen kindeswohlbezogenen Aspekte dafür ersichtlich, dass sich die Eltern dann nicht mehr innerhalb ihres verfassungsrechtlich abgesicherten Verantwortungsbereichs befinden würden und die stellvertretende Einwilligung unwirksam wäre.909 Die 6-MonatsGrenze scheint daher völlig willkürlich gewählt.910 Darüber hinaus führt § 1631d II BGB zu Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung. So wird nunmehr darauf hingewiesen, dass für den nicht approbierten Beschneider Schwierigkeiten mit der Beschaffung und Anwendung von Narkosemitteln bestünden, sodass ihm eine kunstgerechte Durchführung der Beschneidung nicht möglich sei.911 Kann der Eingreifende wegen fehlender Narkosemittel den Eingriff nicht kunstgerecht durchführen, so hat dies nach den oben herausgearbeiteten Grundsätzen sowie auch i. S. d. beschriebenen Lesart des § 1631d I 2 BGB zur Konsequenz, dass die Eltern gerade nicht stellvertretend in die religiös motivierte Beschneidung durch den Nicht-Arzt einwilligen dürfen, da hierin eine Kindeswohlgefährdung liegt.912 Für den neuen § 1631d II BGB würde dies bedeuten, dass er 906

Vgl. zu dem Ganzen BT-Drs. 17/11295, S. 19. BT-Drs. 17/11295, S. 18. 908 I.E. ebenso Hahn, MedR 2013, 215, 220 f.; anders Rixen, NJW 2013, 257, 259. 909 Freilich kann sich aus der traditionell durchgeführten Beschneidung eine Kindeswohlgefährdung ergeben, wenn sie etwa unter unhygienischen Bedingungen erfolgt oder die Eltern vorher nicht umfassend aufgeklärt wurden, vgl. die Verweise in Abschn. E, Fn. 905. Das hat aber nichts mit der in § 1631d II BGB aufgestellten 6-Monats-Grenze zu tun. 910 Vgl. auch Hahn, MedR 2013, 215, 220 f. 911 Walter, JZ 2012, 1110, 1114. 912 Vgl. oben E.V.4.b) mit Fn. 622. 907

296

E. Die stellvertretende Einwilligung

in diesen Fällen die Einwilligung in die Durchführung einer Beschneidung durch den Nicht-Arzt gerade nicht erlauben913 und nur dort weiterhelfen würde, wo eine Zusammenarbeit zwischen traditionellem Beschneider sowie approbiertem Arzt im Raum steht.914 Dass dies vom Gesetzgeber tatsächlich so gewollt war, steht eher zu bezweifeln.915 4. Ergebnis Im Ergebnis handelt es sich bei § 1631d I BGB um eine die Elternverantwortung konkretisierende Norm, die die verfassungsrechtlichen Grenzen des Art. 6 II GG nicht überschreitet.916 Auch wenn sie in einigen Punkten hätte klarer gefasst werden können, bietet sie nach der lebhaften Diskussion um das Kölner Urteil Rechtssicherheit für alle Betroffenen.917 Dagegen beinhaltet § 1631d II BGB mehrere Unklarheiten, die es fraglich erscheinen lassen, ob in dieser Hinsicht tatsächlich das gesetzgeberische Ziel erreicht wurde.

913

Walter, JZ 2012, 1110, 1114 f. Vgl. hierzu auch oben E.VI.4.a)dd); vgl. Walter, JZ 2012, 1110, 1115. 915 Vgl. hierzu BT-Drs. 17/11295, S. 18 f.; vgl. zu den Auslegungsmöglichkeiten des § 1631d II BGB auch Hörnle/Huster, JZ 2013, 328, 339, sowie im Hinblick auf das Heilpraktikergesetz Hahn, MedR 2013, 215, 218 ff. 916 A. A. Herzberg, ZIS 2012, 486, 489 f.; vgl. auch Walter, JZ 2012, 1110, 1111 ff. 917 A. A. Herzberg, ZIS 2012, 486, 487; vgl. zum Bedürfnis nach Rechtssicherheit Bartsch, StV 2012, 604, 609; Fateh-Moghadam, GLJ 2012, 1131, 1143; vgl. aber auch die grundsätzliche Kritik am Gesetz bei Hassemer, ZRP 2012, 179, 180. 914

F. Fazit I. Die Ergebnisse im Überblick 1. Zum tatsächlichen Hintergrund der religiös motivierten Knabenbeschneidung1 Die Beschneidung hat als religiöses Ritual eine lange Geschichte und ist tief im Judentum und Islam verankert. Medizinisch betrachtet handelt es sich bei der Zirkumzision um einen relativ einfachen chirurgischen Eingriff, dessen Vorteile jedoch umstritten sind. Ob und in welchem Grad man die Zirkumzision als medizinisch vorteilhaft einstuft, hängt davon ab, wie man jeweils die einzelnen medizinischen Untersuchungen bewertet, die teils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. 2. Zur rechtlichen Relevanz der religiös motivierten Knabenbeschneidung2 Eine ohne wirksame Einwilligung durchgeführte religiös motivierte Knabenbeschneidung erfüllt den Tatbestand der einfachen Körperverletzung i. S. d. § 223 I StGB, nicht jedoch den der gefährlichen Körperverletzung i. S. d. § 224 I Nr. 1, Nr. 2 Alt. 2 StGB, sofern das verwendete Werkzeug bzw. das Narkosemittel kunstgerecht eingesetzt werden. Die religiös motivierte Knabenbeschneidung ist nicht als sozialadäquate Handlung aus dem Tatbestand der Körperverletzung herauszunehmen. Außerdem ist eine selbstständige Bedeutung der Lehre von der Sozialadäquanz im modernen Strafrecht zu verneinen, da ihr keine eigene dogmatische Bedeutung zukommt. Vielmehr lassen sich mit den Regeln der objektiven Zurechnung sowie einer restriktiven, am Rechtsgut orientierten Tatbestandsauslegung präzisere Ergebnisse erreichen. Auf dieser Grundlage ist die Knabenbeschneidung allerdings weder im Sinne des erlaubten bzw. rechtlich irrelevanten Risikos als Zurechnungskriterium noch im Sinne einer restriktiven Tatbestandsauslegung aus dem Körperverletzungstatbestand herauszunehmen.

1 2

Vgl. zu dem Gesamten oben B. Nachweise dort. Vgl. zu dem Gesamten oben C. Nachweise dort.

298

F. Fazit

In der Regel stellt die religiös motivierte Zirkumzision wegen fehlender medizinischer Indikation keinen ärztlichen Heileingriff dar, sodass diese Problematik für die Beurteilung der Strafbarkeit der Knabenbeschneidung keine Rolle spielt. 3. Zur Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung3 Den Individualrechtsgütern liegt ein liberales Rechtsguts- und Einwilligungsmodell zugrunde, nach dem das Individualrechtsgut und die diesbezügliche Dispositionsfreiheit eine Einheit bilden. Ausgehend von diesem Modell ist das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte als körperbezogene Selbstbestimmung4 zu begreifen, welche ihre Grundlage in der Persönlichkeitsautonomie des Einzelnen findet, jedem Menschen allein aufgrund seiner Existenz und Würde zusteht sowie verfassungsrechtlich durch Art. 2 II GG abgesichert ist.5 Im Sinne dieses Rechtsgutsverständnisses ist zur Bejahung einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. § 223 I StGB keine Verletzung des Willens oder der Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers, sondern allein die Verletzung von dessen körperbezogener Selbstbestimmung in oben beschriebenem Sinne erforderlich. Demgegenüber genügt eine bloße Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts ohne Körperbezug nicht. Auf dieser Grundlage ist die traditionelle Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung abzulehnen. Die Einwilligung ist vielmehr als Tatbestandsausschlussgrund zu qualifizieren, was sich auch unter strafsystematischen Gesichtspunkten bestätigt. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen der strafrechtlichen Einwilligung dienen der Absicherung der Selbstbestimmtheit der Entscheidung. Insofern ist die Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsträgers Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung. Die konkrete Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen bezüglich des jeweiligen Eingriffs ist eine einzelfallbezogene, die durch den Arzt erfolgen muss. Dabei stellt sich die Problematik, dass der allgemeine rechtliche Rahmen der Einwilligungsfähigkeit, verstanden als Einsichts- und Urteilsfähigkeit, sehr unbestimmt und formelhaft ist. Dieses Problem ist allerdings kaum vollends zu lösen. Medizinische Kriterien wie etwa die fehlende Vernünftigkeit sowie die Schwere, Komplexität und Folgen des Eingriffs können zwar nicht den allgemeinen rechtlichen Rahmen der Einwilligungsfähigkeit, wohl aber die konkrete tat-

3 4 5

Vgl. zu dem Gesamten oben D. Nachweise dort. Vgl. zur hier zugrunde gelegten Definition oben D.II.2.c)aa)(3). Roxin, in: FS Amelung, 269, 292. Ausführlich oben.

I. Die Ergebnisse im Überblick

299

sächliche Ausfüllung desselben im Einzelfall beeinflussen. Das Alter des Minderjährigen kann hierbei allenfalls als Indiz herangezogen werden. In Bezug auf den Eingriff der religiös motivierten Beschneidung hat die Regelung des § 5 KErzG keinen Einfluss auf Vorhandensein oder Fehlen der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen. Als Faustregel – welche das Erfordernis einer Einzelfallbeurteilung keinesfalls ersetzt – kann davon ausgegangen werden, dass die Fähigkeit eines Minderjährigen zur Einwilligung in die Zirkumzision regelmäßig ab einem Alter von vierzehn bis sechzehn Jahren zu bejahen sein wird. Zur Absicherung der Selbstbestimmtheit von Entscheidungen schließen rechtsgutsbezogene Irrtümer die Wirksamkeit der Einwilligung unabhängig davon aus, ob sie auf einer Täuschung beruhen. Rechtsgutsbezogene Irrtümer sind dabei im Sinne des liberalen Rechtsgutsverständnisses nicht nur Irrtümer, welche die Art, Umfang, Schwere oder Risiken des Eingriffs betreffen, sondern sämtliche Irrtümer, die sich aus Sicht des Rechtsgutsträgers auf das Rechtsgut seiner körperbezogenen Selbstbestimmung beziehen und für die Abgabe der Einwilligung (mit-) entscheidend waren. Der Eingreifende wird durch die vorhandenen Irrtumsregeln ausreichend geschützt. Um dem Patienten eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, ist der Arzt aufgrund des vorhandenen Wissensgefälles zur Aufklärung gegenüber diesem verpflichtet. Dabei können die (fehlende) Indikation sowie die (fehlende) Dringlichkeit des Eingriffs nicht per se den Aufklärungsumfang bestimmen, vielmehr kommt es darauf an, welche Umstände für den individuellen Patienten in der konkreten Situation von Bedeutung sind. Ein Verzicht auf eine umfassende Aufklärung ist möglich. Auch den Nicht-Arzt trifft eine Pflicht zur Aufklärung des Einwilligenden; diese ist aber i. d. R. weniger umfangreich als die ärztlichen Aufklärungspflicht. Die Grenze des § 228 StGB greift im Falle der Zirkumzision nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsgutsträger in eine Beschneidung ohne vorherige Betäubung, unter unhygienischen Bedingungen (etwa bei ihm zu Hause) oder durch Anwendung einer Außenseitermethode einwilligt. Anders liegt es im Falle der Genitalverstümmelung bei Frauen, die auch bei vorheriger Einwilligung der Betroffenen die Grenze des § 228 StGB überschreitet. 4. Zur elterlichen stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung6 Nicht nur die Einwilligung des Rechtsgutsträgers selbst, sondern auch die stellvertretende Einwilligung basiert auf dem liberalen Rechtsguts- und Einwilli6

Vgl. zu dem Gesamten oben E. Nachweise dort.

300

F. Fazit

gungsmodell. Insofern ist das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht7 des Einwilligungsunfähigen Grundlage der stellvertretenden Einwilligung im Strafrecht, welche ebenso wie die Einwilligung einen Tatbestandsausschlussgrund darstellt. Die elterliche stellvertretende Einwilligung für den einwilligungsunfähigen Minderjährigen ist im Allgemeinen auf die Rechte des Kindes und im Besonderen auf die das Eltern-Kind-Verhältnis regelnde Verfassungsnorm des Art. 6 II GG – im religiösen Bereich i.V. m. Art. 4 I, II GG – zurückzuführen. Im Sinne dieser verfassungsrechtlichen Prägung der strafrechtlichen stellvertretenden Einwilligung liegt die Grenze Letzterer, konkret die Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis, im Kindeswohl. Dieses kann nicht abstrakt und allgemeingültig definiert werden, sondern ist in erster Linie individuell durch die Eltern zu bestimmen, wobei die Grenzen dieses elterlichen Entscheidungsbereichs wiederum im Kindeswohl zu finden sind. Das Kindeswohl als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis kann insofern durch die Grundrechte des Kindes konkretisiert werden, als sich diese hinreichend objektivieren lassen. Insbesondere Art. 2 II 1 GG ist allerdings gerade nicht in dem Sinne hinreichend objektivierbar, dass das Grundrecht für sich genommen zur Konkretisierung des Kindeswohls als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis herangezogen werden könnte. Demgegenüber ist Art. 1 I GG zwar hinreichend objektivierbar in diesem Sinne, greift im Fall der religiös motivierten Knabenbeschneidung als Grenze der elterlichen Dispositionsbefugnis allerdings nicht ein, da kein Angriff auf die Menschenwürde des Kindes vorliegt. Auch aus den einfachgesetzlichen Ausgestaltungen des elterlichen Erziehungsrechts können sich Konkretisierungen der Grenze des Kindeswohls ergeben. Die sich aus § 1631 II BGB ergebende Grenze der seelischen Verletzung ist in dem Fall überschritten, in dem der Eingriff ohne vorherige Betäubung durchgeführt wird, um das Kind bewusst den ohne Weiteres vermeidbaren Schmerzen auszusetzen. Für die lege artis und unter Narkose durchgeführte Beschneidung greifen die sich aus § 1631 II BGB ergebenden Grenzen des Kindeswohls dagegen nicht. Wichtigste und allgemeinste Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis ist die sich aus § 1666 I BGB ergebende Grenze der Kindeswohlgefährdung. Das Vorliegen derselben ist anhand einer umfassenden Risiko-Nutzen-Abwägung zu beurteilen, wobei – unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Hintergrunds der elterlichen stellvertretenden Einwilligung – erst dann von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen ist, wenn das für das Kindeswohl bestehende Risiko im Vergleich zum Nutzen eine solche Erheblichkeit aufweist, dass es sich als nicht mehr verantwortbar darstellt. 7

Vgl. zur hier zugrunde gelegten Definition oben D.II.2.c)aa)(3).

I. Die Ergebnisse im Überblick

301

In diese Gesamtabwägung sind auf Seiten der Nachteile sämtliche medizinischen Risiken einzustellen, darüber hinaus sämtliche weiteren Nachteile und Risiken, die rational begründbar sind. Auf Seiten der Vorteile sind nicht nur die medizinischen Vorteile, sondern sämtliche vertretbare, insbesondere die vertretbaren religiösen Vorteile, zu berücksichtigen. Letztere sind wegen der zusätzlichen Garantie des Art. 4 I, II GG im Bereich der religiösen Kindererziehung besonders stark zu gewichten. Außerdem ist bei schon teilweise vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeiten des Minderjährigen der zustimmende bzw. entgegenstehende Kindeswille – sofern er Ausdruck dieser Fähigkeiten ist – als Vor- bzw. Nachteil des Eingriffs zu berücksichtigen. Dabei wiegt dieser Aspekt umso schwerer, je ausgeprägter die schon vorhandenen Selbstbestimmungsfähigkeiten des Kindes sind. Darüber hinaus müssen die einzustellenden Nachteile und Vorteile kindeswohlbezogen sein. Dies bedeutet, dass Vor- und Nachteile, die nicht das Kind, sondern Dritte betreffen, nicht in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden dürfen. Außerdem dürfen in die Abwägung keine Vorteile eingestellt werden, die erst mit Erreichen der Einwilligungsfähigkeit durch das Kind oder noch später eintreten. Dagegen wirkt sich die Notwendigkeit eines Kindeswohlbezugs auf die in die Abwägungsentscheidung einzustellenden Nachteile nicht weiter aus. Im Hinblick auf die Knabenbeschneidung bedeutet dies, dass nicht alle der umstrittenen medizinischen Vorteile in die Gesamtabwägung eingestellt werden dürfen, was sich insbesondere aus dem fehlenden Kindeswohlbezug einiger Vorteile ergibt. Der religiöse Nutzen darf als vertretbarer Vorteil eingestellt werden. Lässt man zunächst den Kindeswillen außer Betracht, so stellt sich die religiös motivierte Knabenbeschneidung auf Grundlage einer umfassenden Risiko-Nutzen-Abwägung nicht als Kindeswohlgefährdung dar: Unter Berücksichtigung des relativ geringen Risikos einerseits sowie der hoch zu gewichtenden religiösen Bedeutung des Eingriffs und dessen möglichen medizinischen Nutzens andererseits stellt sich das mit der Beschneidung einhergehende Risiko im Hinblick auf den mit ihr verfolgten Nutzen nicht als nicht verantwortbar im Sinne des Überschreitens einer gewissen Erheblichkeitsschwelle dar. Daher befinden sich die Eltern im Falle der Einwilligung in eine lege artis, unter hygienischen Bedingungen und unter vorheriger Betäubung vorgenommenen Beschneidung innerhalb ihrer strafrechtlichen Dispositionsbefugnis, sodass die stellvertretende Einwilligung hierin wirksam ist. Selbiges gilt strafrechtlich auch dann, wenn die Beschneidung nicht von einem Arzt, sondern von einem de facto in gleichem Maße zur Beschneidung kompetenten traditionellen Beschneider vorgenommen wird. Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn der Eingriff durch einen de facto weniger kompetenten traditionellen Beschneider ausgeführt wird: Hier wird das Kind einem ohne Weiteres vermeidbaren Risiko ausgesetzt, sodass sich im Rahmen der Gesamtabwägung das Risiko dermaßen erhöht, dass es als nicht mehr

302

F. Fazit

verantwortbar im Sinne des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung angesehen werden muss. Die Eltern können damit nicht in die Beschneidung ihres Sohnes durch einen im Vergleich zu einem approbierten Arzt de facto weniger kompetenten traditionellen Beschneider einwilligen. Unter Berücksichtigung des Willens eines in Teilen zur Selbstbestimmung fähigen Kindes überschreiten die Eltern mit ihrer stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung stets die Grenze der Kindeswohlgefährdung, wenn der Wille des zwölfjährigen oder älteren Minderjährigen dem Eingriff entgegensteht. Zwar existiert gegen stellvertretende Einwilligungen in körperliche Eingriffe kein allgemeines, festes Vetorecht des einwilligungsunfähigen, aber in Teilen zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen; eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens kann nur anhand des Maßstabs der Kindeswohlgefährdung erfolgen. Allerdings ergibt sich auf Grundlage dieses Maßstabs für den nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen ab Vollendung seines zwölften Lebensjahrs de facto ein Vetorecht gegen die stellvertretende Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung in dem Sinne, dass sein entgegenstehender Wille stets zur Unwirksamkeit derselben führt. Diese Besonderheit ist der Tatsache geschuldet, dass die stellvertretende Einwilligung in die Knabenbeschneidung religiös motiviert ist. Die Regelung des § 5 KErzG normiert feste Altersgrenzen betreffend die religiöse Selbstbestimmungsfähigkeit von Minderjährigen und beeinflusst insofern die in die Gesamtabwägung zur Knabenbeschneidung einzustellenden religiösen Aspekte, was sich wiederum auf das Ergebnis derselben auswirkt. Damit kann das gegen die religiös motivierte Knabenbeschneidung de facto existierende Vetorecht auch nicht ohne Weiteres auf andere körperliche Eingriffe übertragen werden. Der befürwortende Wille eines zwar einwilligungsunfähigen, aber in Teilen schon zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen ist ebenfalls i. R. d. Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Er wirkt sich allerdings auf die stellvertretenden Einwilligung in die religiös motivierte Knabenbeschneidung insofern nicht aus, als er keinen Einfluss auf das Ergebnis der Risiko-Nutzen-Abwägung hat. Weitere Voraussetzungen der stellvertretenden Einwilligung sind die Einwilligungsfähigkeit der Eltern, grundsätzlich die gemeinsame Einwilligung beider Elternteile, die Kundgabe der stellvertretenden Einwilligung sowie die Kenntnis derselben auf Seiten des Eingreifenden. Außerdem müssen die Eltern frei von relevanten Willensmängeln einwilligen, wobei – in Anlehnung an die Einwilligungsdogmatik – Drohung und Zwang, die die Grenzen der Nötigung i. S. d. § 240 I, II StGB erreichen, sowie rechtsgutsbezogene Irrtümer wirksamkeitsrelevant sind. Bezüglich der Rechtsgutsbezogenheit

I. Die Ergebnisse im Überblick

303

von Irrtümern ist auf die körperbezogene Selbstbestimmung des Kindes und damit letztlich auf das Kindeswohl abzustellen. Auch im Rahmen der stellvertretenden Einwilligung bestehen wegen des vorhandenen Wissensgefälles Aufklärungspflichten des Arztes gegenüber den einwilligenden Eltern, um Letzteren eine informierte und verantwortliche Entscheidung für das Kind zu ermöglichen. Dabei hat sich die Aufklärung der Eltern am Kindeswohl zu orientieren, sodass ihr Umfang grundsätzlich – mit der Ausnahme bereits informierter Eltern – nicht beschränkt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist es problematisch, wenn der Eingriff von einem Nicht-Arzt vorgenommen werden soll, der nicht zu einer solch umfassenden Aufklärung wie ein approbierter Arzt in der Lage ist. In diesem Fall wird das Kind ohne Weiteres vermeidbaren Risiken ausgesetzt, welche i. R. d. Gesamtabwägung so schwer zu gewichten sind, dass sie zum Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung und damit zur Unwirksamkeit der stellvertretenden Einwilligung führen. Der eingreifende Arzt hat außerdem gegenüber dem nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen eine Pflicht zur angemessenen Aufklärung, sofern Letzterem aufgrund vorhandener intellektueller Teilfähigkeiten bereits ein gewisses Verständnis des vorzunehmenden Eingriffs möglich ist. Für die therapeutische Aufklärung ergibt sich dies bereits daraus, dass sie Teil der Behandlung selbst ist. Für die Selbstbestimmungsaufklärung folgt dies aus dem Gedanken, dass der Minderjährige ohne vorherige angemessene Aufklärung zum bloßen Objekt ärztlichen Eingreifens und elterlichen Handelns gemacht würde, sodass die Eltern im Falle einer stellvertretenden Einwilligung ohne vorherige angemessene Aufklärung des schon teilweise verständigen Minderjährigen die sich aus Art. 1 I GG ergebende Schranke der elterlichen Dispositionsbefugnis zur stellvertretenden Einwilligung überschreiten würden. Die konkrete Aufklärung ist dabei am individuellen Minderjährigen und dessen Möglichkeiten zum Verständnis des Eingriffs zu orientieren. Für den eingreifenden Nicht-Arzt, der de facto ebenso kompetent zur Aufklärung wie ein approbierter Arzt ist, gelten dieselben Grundsätze. Ist er dies nicht, dürfen die Eltern dagegen wegen der Überschreitung der Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis nicht stellvertretend in den Eingriff einwilligen. Die Eltern treffen Informations- und Besprechungspflichten insofern, als sie den vorzunehmenden Eingriff mit dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen – je nach Alter und Reifegrad desselben – in angemessener Weise besprechen müssen. Rechtsfolge einer völlig unangemessenen oder fehlenden Berücksichtigung des schon teilweise verständigen Kindes ist die Unwirksamkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung aufgrund der Überschreitung der Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis.

304

F. Fazit

II. Ausblick Das Urteil des LG Köln8 hat dazu geführt, dass die bisher allein in strafrechtlicher, medizinischer und religiöser Literatur diskutierte Problematik einer möglichen Strafbarkeit der religiös motivierten Knabenbeschneidung9 auf eine gesellschaftliche und politische Ebene gehoben wurde, was zu einer hastigen Tätigkeit des Gesetzgebers und schlussendlich zum neuen § 1631d BGB geführt hat, der vom Grundgedanken her richtig, letztlich aber nur teilweise gelungen ist.10 Im Hinblick auf die Kritik an der Neuregelung11 ist es dabei nicht unwahrscheinlich, dass sich eines Tages auch das Bundesverfassungsgericht mit § 1631d BGB auseinandersetzen wird.12 Indessen ist die Diskussion um die Strafbarkeit der Knabenbeschneidung nur ein Aspekt in einem komplexen Themengebiet: Die Frage nach der Reichweite und den Grenzen der elterlichen Einwilligung stellt sich im Kontext sämtlicher körperlicher Eingriffe beim nicht einwilligungsfähigen Kind.13 In diesem spannenden Feld werden sich zweifelsohne auch in Zukunft wissenschaftliche Debatten ergeben, die bisweilen eine politische Ebene erreichen sowie lebhafte gesellschaftliche Diskussionen hervorrufen werden.

8

NJW 2012, 2128, 2129. Vgl. hierzu Abschn. A, Fn. 5. 10 Vgl. oben E.VIII. 11 Vgl. nur Walter, JZ 2012, 1110 ff.; Herzberg, ZIS 2012, 486 und 504; s. auch Jens, Sündenfall, S. 20 ff.; vgl. auch die grundsätzliche Kritik am Gesetz bei Hassemer, ZRP 2012, 179, 180. 12 Vgl. bereits jetzt den Nichtannahmebeschluss des BVerfG, 1 BvR 102/13 vom 08.02.2013. 13 Vgl. hierzu Spickhoff, FamRZ 2012, 1423; NK-Paeffgen, § 228, Rn. 103a. 9

Literaturverzeichnis Amelung, Knut: Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes. Eine Untersuchung im Grenzbereich von Grundrechts- und Strafrechtsdogmatik, Berlin 1981 – Über die Einwilligungsfähigkeit (Teil II), ZStW 104 (1992), 821–833 – Probleme der Einwilligungsfähigkeit, R&P 1995, 20–28 – Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger in Grenzbereichen medizinischer Intervention. Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 22. Februar 1995, Berlin 1995 – Willensmängel bei der Einwilligung als Tatzurechnungsproblem, ZStW 109 (1997), 490–518 – Irrtum und Täuschung als Grundlage von Willensmängeln bei der Einwilligung des Verletzten, Berlin 1998 – Anmerkung zu BayObLG, Beschl. v. 7.9.1998 – 5 St RR 153/98, NStZ 1999, 458– 460 – Einwilligungsfähigkeit und Rationalität, JR 1999, 45–47 – Buchbesprechung: Rönnau, Thomas: Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, ZStW 115 (2003), 710–719 – Der Begriff des Rechtsguts in der Lehre vom strafrechtlichen Rechtsgüterschutz, in: Hefendehl, Roland/von Hirsch, Andrew/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie. Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, Baden-Baden 2003, 155–182 – Grundsätzliches zur Freiwilligkeit der Einwilligung des Verletzten, NStZ 2006, 317–320 Amelung, Knut/Eymann, Frieder: Die Einwilligung des Verletzten im Strafrecht, JuS 2001, 937–946 Amelung, Knut/Lorenz, Jörn: Mensch und Person als Schutzobjekte strafrechtlicher Normen, insbesondere bei der Körperverletzung, in: Dannecker, Gerhard/Langer, Winrich/Ranft, Otfried u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto, Köln 2007, 527–533 Anand, K. J. S./Hickey, P. R.: Pain And Its Effects In The Human Neonate And Fetus, NEnglJMed 317 (1987), 1321–1329 Appel, Ivo: Rechtsgüterschutz durch Strafrecht? Anmerkungen aus verfassungsrechtlicher Sicht, KritV 1999, 278–311 Arzt, Gunther: Willensmängel bei der Einwilligung, Frankfurt am Main 1970 Arzt, Gunther/Weber, Ulrich u. a.: Strafrecht. Besonderer Teil, Lehrbuch, 2. Auflage, Bielefeld 2009

306

Literaturverzeichnis

Auvert, Bertran/Taljaard, Dirk u. a.: Randomized, Controlled Intervention Trial of Male Circumcision for Reduction of HIV Infection Risk: The ANRS 1265 Trial, Plos Medicine 11 e298 (2005), 1112–1122 Bailey, Robert C./Moses, Stephen u. a.: Male circumcision for HIV prevention in young men in Kisumu, Kenya: A randomised controlled trial, Lancet 369 (2007), 643–656 Bamberger, Georg/Roth, Herbert (Hrsg.): Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 3, §§ 1297–2385, 3. Auflage, München 2012, zitiert als: Bamberger/Roth-Bearbeiter Bartsch, Tillmann: Anm. zum LG Köln, Urt. v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, StV 2012, 604–609 Baumann, Jürgen: Körperverletzung oder Freiheitsdelikt?, NJW 1958, 2092–2094 Baumann, Jürgen/Weber, Ulrich/Mitsch, Wolfgang (Hrsg.): Strafrecht allgemeiner Teil. Lehrbuch, 11. Auflage, Bielefeld 2003 Beling, Ernst: Die Lehre vom Verbrechen, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1906, Aalen 1964 Belling, Detlev W.: Die Entscheidungskompetenz für ärztliche Eingriffe bei Minderjährigen, FuR 1990, 68–77 Belling, Detlev W./Eberl, Christina/Michlik, Frank: Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen. Eine rechtsvergleichende Studie zum amerikanischen, englischen, französischen und deutschen Recht, Neuwied 1994 Ben-Sasson, Haim Hillel (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5. Auflage, Sonderausgabe, München 2007 Bergmann, Otto/Pauge, Burkhard/Steinmeyer, Heinz-Dietrich (Hrsg.): Gesamtes Medizinrecht, Baden-Baden 2012, zitiert als: GMedR-Bearbeiter Bernat, Erwin: Die rituelle Beschneidung nichteinwilligungsfähiger Knaben. Zugleich eine Besprechung des Urteils des LG Köln v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11, EF-Z 2012, 196–199 Beulke, Werner: Neufassung des § 1631 Abs. 2 BGB und Strafbarkeit gemäß § 223 StGB. Darf der Erziehungsberechtigte in Ausnahmefällen eine „maßvolle Ohrfeige“ erteilen?, in: Amelung, Knut/Beulke, Werner u. a. (Hrsg.), Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, Heidelberg 2003, 29–41 Beulke, Werner/Dießner, Annika: „(. . .) ein kleiner Schnitt für einen Menschen, aber ein großes Thema für die Menschheit“. Warum das Urteil des LG Köln zur religiös motivierten Beschneidung von Knaben nicht überzeugt, ZIS 2012, 338–346 Bichlmeier, Gerd: Die Wirksamkeit der Einwilligung in einen medizinisch nicht indizierten ärztlichen Heileingriff, JZ 1980, 53–56 Blaschke, Andreas: Beschneidung, Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte, Tübingen 1998

Literaturverzeichnis

307

Bleiler, Lisa-Maria: Strafbarkeitsrisiken des Arztes bei religiös motiviertem Behandlungsveto, Berlin 2010 Bloy, René: Freiheitsberaubung ohne Verletzung fremder Autonomie?, ZStW 96 (1984), 703–725 Bockelmann, Paul: Diskussionsbeitrag, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Besonderer Teil. 67. bis 75. Sitzung, Band 7, Bonn 1959 – Operativer Eingriff und Einwilligung des Verletzten, JZ 1962, 525–529 – Das Strafrecht des Arztes, in: Ponsold, Albert (Hrsg.), Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin. Für Mediziner und Juristen, 3. Auflage, Stuttgart 1967, 1–47 – Strafrecht des Arztes, Stuttgart 1968 – Der ärztliche Heileingriff in Beiträgen zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, ZStW 93 (1981), 105–150 Brämer, Andreas: Die 101 wichtigsten Fragen – Judentum, München 2010 Brandts, Ricarda/Schlehofer, Horst: Die täuschungsbedingte Selbsttötung im Lichte der Einwilligungslehre, JZ 1987, 442–448 Britz, Gunther: Zwar & Aber – Zwischenruf zum Beschneidungsrecht (zu Hassemer, ZRP 2012, 179), ZRP 2012, 252–253 Burgi, Martin/Hölbling, Pamela: Die Struktur des elterlichen Erziehungsrechts nach Art. 6 II und III GG, Jura 2008, 901–906 Castellsagué, Xavier/Bosch, Xavier F. u. a.: Male Circumcision, Penile Human Papillomavirus Infection and Cervical Cancer in Female Partners, NEnglJMed (346) 2002, 1105–1112 Christakis, Dimitri A./Harvey, Eric u. a.: A Trade-off Analysis of Routine Newborn Circumcision, Pediatrics 105 (2000), 246–249 Coester, Michael: Kinderschutz, Übersicht zu den typischen Gefährdungslagen und aktuellen Problemen, FPR 2009, 549–552 Coester-Waltjen, Dagmar: Reichweite und Grenzen der Patientenautonomie von Jungen und Alten – Ein Vergleich, MedR 2012, 553–560 Czermak, Gerhard: Religions- und Weltanschauungsrecht. Eine Einführung, Berlin/Heidelberg 2008 Dethloff, Nina/Beitzke, Günther: Familienrecht. Ein Studienbuch, 30. Auflage, München 2012 Dettmeyer, Reinhard/Parzeller, Markus u. a.: Medizinische und rechtliche Aspekte der Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung, Teil II: Die rituelle Zirkumzision, ArchKrim 227 (2011), 85–101 Deusel, Antje Yael: Medizinische Aspekte der Brit Mila, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 181–190

308

Literaturverzeichnis

Deutsch, Erwin: Das therapeutische Privileg des Arztes: Nichtaufklärung zugunsten des Patienten, NJW 1980, 1305–1309 – Das Persönlichkeitsrecht des Patienten, AcP 1992, 161–180 Deutsch, Erwin/Spickhoff, Andreas: Medizinrecht. Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht, 6. Auflage, Berlin 2008 Dickerman, Joseph D.: Circumcision in the Time of HIV: When Is There Enough Evidence to Revise the American Academy of Pediatrics’ Policy on Circumcision?, Pediatrics 119 (2007), 1006–1007 – Primum non nocere: In reply, Pediatrics 120 (2007), 696 Diederichsen, Angela: Aspekte des Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger bei medizinischer Behandlung, in: Müller, Gerda/Osterloh, Eilert/Stein, Torsten (Hrsg.), Festschrift für Günter Hirsch, München 2008, 355–363 Dölling, Dieter/Duttge, Gunnar/Rössner, Dieter (Hrsg.): Gesamtes Strafrecht, StGB – StPO – Nebengesetze, Handkommentar, 2. Auflage, Baden-Baden 2011, zitiert als: HK/GS-Bearbeiter Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band I, Präambel, Artikel 1–19, 2. Auflage, Tübingen 2004, zitiert als: Dreier-Bearbeiter Duttge, Gunnar: Selbstbestimmung bei einwilligungsunfähigen Patienten, in: Breitsameter, Christof (Hrsg.), Autonomie und Stellvertretung in der Medizin, Entscheidungsfindung bei nichteinwilligungsfähigen Patienten, Stuttgart 2011, 34–59 Eberbach, Wolfram: Familienrechtliche Aspekte der Humanforschung an Minderjährigen, FamRZ 1982, 450–455 – Grundsätze zur Aufklärungspflicht bei nicht voll Geschäftsfähigen, MedR 1986, 14–18 Ego, Beate: Abraham im Judentum, in: Böttrich, Christfried/Ego, Beate/Eißler, Friedmann (Hrsg.), Abraham in Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2009, 11–61 Eißler, Friedmann: Abraham im Islam, in: Böttrich, Christfried/Ego, Beate/Eißler, Friedmann (Hrsg.), Abraham in Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2009, 116–188 Elias, Jamal J.: Islam, Freiburg im Breisgau 2000 Engisch, Karl: Ärztlicher Heileingriff zu Heilzwecken und Einwilligung, ZStW 58 (1939), 1–52 Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, München 2009, zitiert als: Epping/Hillgruber-Bearbeiter Eser, Albin: „Sozialadäquanz“: eine überflüssige oder unverzichtbare Rechtsfigur? – Überlegungen anhand sozialüblicher Vorteilsgewährungen –, in: Schünemann, Bernd/ Achenbach, Hans u. a. (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, 199–212 Exner, Thomas: Sozialadäquanz im Strafrecht, Zur Knabenbeschneidung, Berlin 2011 – Minderjährige im StGB, Jura 2013, 103–110

Literaturverzeichnis

309

Fateh-Moghadam, Bijan: Die Einwilligung in die Lebendorganspende. Die Entfaltung des Paternalismusproblems im Horizont differenter Rechtsordnungen am Beispiel Deutschlands und Englands, München 2008 – Grenzen des weichen Paternalismus. Blinde Flecken der liberalen Paternalismuskritik, in: Fateh-Moghadam, Bijan/Sellmaier, Stephan/Vossenkuhl, Wilhelm (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, Stuttgart 2010, 21–47 – Religiöse Rechtfertigung? Die Beschneidung von Knaben zwischen Strafrecht, Religionsfreiheit und elterlichem Sorgerecht, RW 2010, 115–142 – Criminalizing male circumcision? Case Note: Landgericht Cologne, Judgment of 7 May 2012 – No. 151 Ns 169/11, GLJ 2012, 1131–1145 – Strafrecht und Religion im liberalen Rechtsstaat, Juristische Argumente gegen die Kriminalisierung der Beschneidung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 146–159 Fergusson, David M./Boden, Joseph M./Horwood, L. John: Circumcision Status and Risk of Sexually Transmitted Infection in Young Adult Males: An Analysis of a Longitudinal Birth Cohort, Pediatrics 118 (2006), 1971–1977 Fetus and Newborn Committee/Canadian Paediatric Society: Neonatal circumcision revisted, CanMedAssocJ 154 (1996), 769–780 Fischer, Gerfried: Die mutmaßliche Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen, in: Ahrens, Hans-Jürgen/von Bar, Christian u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, Köln 1999, 545–559 Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 60. Auflage, München 2013 Flynn, Patricia/Havens, Peter u. a.: Male Circumcision for Prevention of HIV and Other Sexually Transmitted Diseases, Pediatrics 119 (2007), 821–822 Franz, Matthias: Ritual, Trauma, Kindeswohl, FAZ v. 09.07.2012, S. 7 Freund, Georg/Heubel, Friedrich: Der menschliche Körper als Rechtsbegriff, MedR 1995, 194–198 Frisch, Morten/Aigrain, Yves u. a.: Cultural Bias in the AAP’s 2012 Technical Report and Policy Statement on Male Circumcision, Pediatrics 131 (2013), 796–800 Frisch, Wolfgang: Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, Heidelberg 1988 – Faszinierendes, Berechtigtes und Problematisches der Lehre von der objektiven Zurechnung des Erfolgs, in: Schünemann, Bernd/Achenbach, Hans u. a. (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin, Berlin 2001, 213–237 – Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion und zur Problematik der objektiven Zurechnungslehre, GA 2003, 719–743 Gaidzik, Peter Wolfgang/Hiersche, Hans-Dieter: Historische, rechtstatsächliche und rechtspolitische Aspekte der Sterilisation Einwilligungsunfähiger, MedR 1999, 58–63

310

Literaturverzeichnis

Gallas, Wilhelm: Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 (1955), 1–47 – Diskussionsbeitrag, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Besonderer Teil. 67. bis 75. Sitzung, Band 7, Bonn 1959 Gee, William F./Ansell, Julian S.: Neonatal Circumcision: A Ten-Year Overview: With Comparison of the Gomco Clamp and the Plastibell Device, Pediatrics 58 (1976), 824–827 Geerds, Friedrich: Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, Kiel 1953 – Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafrecht, GA 1954, 262–269 – Einwilligung und Einverständnis des Verletzten im Strafgesetzentwurf, ZStW 72 (1960), 42–92 Geißendörfer, Sylke Edith: Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts. Zur Debatte über „passive Sterbehilfe“ durch Behandlungsverzicht, vormundschaftliches Genehmigungsverfahren, Patientenverfügungen und deren gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten, Berlin 2009 Geppert, Klaus: Rechtfertigende „Einwilligung“ des verletzten Mitfahrers bei Fahrlässigkeitsstraftaten im Straßenverkehr?, ZStW 83 (1971), 947–1001 Gerhardt, Peter/von Heintschel-Heinegg, Bernd/Klein, Michael (Hrsg.): Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 9. Auflage, Köln 2013, zitiert als: FA FamR Germann, Michael: Die grundrechtliche Freiheit zur religiös motivierten Beschneidung, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 83–97 Gernhuber, Joachim/Coester-Waltjen, Dagmar: Familienrecht, 6. Auflage, München 2010 Gesundheit, Benjamin/Grisaru-Soen, Galia u. a.: Neonatal Genital Herpes Simplex Virus Type 1 Infection After Jewish Ritual Circumcision: Modern Medicine and Religious Tradition, Pediatrics 114 (2004), e259–e263 Giesen, Dieter: Zwischen Patientenwohl und Patientenwille. Aufklärungsrechtliche Entwicklungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in rechtsvergleichender Sicht. Eine Bestandsaufnahme, JZ 1987, 282–290 Ginsburg, Charles M./McCracken, George H.: Urinary Tract Infections in Young Infants, Pediatrics 69 (1982), 409–412 Göbel, Alfred A.: Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, Frankfurt am Main u. a. 1992 Goerlich, Helmut/Zabel, Benno: Erwiderung, Säkularer Staat und religiöses Recht, JZ 2012, 1058–1061 Golbs, Ulrike: Das Vetorecht eines einwilligungsunfähigen Patienten, Baden-Baden 2006 Gollaher, David: Das verletzte Geschlecht. Die Geschichte der Beschneidung, Berlin 2002

Literaturverzeichnis

311

Gray, Ronald H./Kigozi, Godfrey u. a.: Male circumcicion for HIV prevention in men in Rakai, Uganda: a randomised trial, Lancet 369 (2007), 657–666 Gropp, Walter: Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage, Berlin 2005 Hahn, Erik: Erlaubnispflichtige Zirkumzision? – § 1631d Abs. 2 BGB und das HPG, MedR 2013, 215–221 Hahn, Jörg-Uwe: Genitalverstümmelung: Wirksamer Opferschutz durch einen eigenen Straftatbestand, ZRP 2010, 37–40 Hardtung, Bernhard: Die Körperverletzungsdelikte, JuS 2008, 864–869 Hardwig, Werner: Betrachtungen zur Frage des Heileingriffs, GA 1965, 161–173 Harkavy, Kenneth L.: The Circumcision Debate, Pediatrics 79 (1987), 649 Harmann, Lena: Das Recht des Patienten auf Aufklärungsverzicht, NJOZ 2010, 819– 825 Hassemer, Winfried: Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre, Frankfurt a. M. 1973 – Zwar & Aber – Zwischenruf zum Beschneidungsrecht, ZRP 2012, 179–181 Hauck, Ronny: Der Schutz von Minderjährigen bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechte und Rechtsgüter, NJW 2012, 2398–2401 Hefendehl, Roland: Das Rechtsgut als materialer Angelpunkt einer Strafnorm, in: Hefendehl, Roland/von Hirsch, Andrew/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie. Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, Baden-Baden 2003, 119–154 Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.): Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012 Heinrich, Manfred: Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, München 2002 von Heintschel-Heinegg, Bernd (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Kommentar, München 2010, zitiert als: v. Heintschel-Heinegg-Bearbeiter Herzberg, Rolf Dietrich: Rechtliche Probleme der rituellen Beschneidung, JZ 2009, 332–339 – Religionsfreiheit und Kindeswohl. Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?, ZIS 2010, 471–475 – Steht dem biblischen Gebot der Beschneidung ein rechtliches Verbot entgegen?, MedR 2012, 169–175 – Die Beschneidung gesetzlich gestatten?, ZIS 2012, 486–505 Hirsch, Hans Joachim: Soziale Adäquanz und Unrechtslehre, ZStW 74 (1962), 78–135 – Einwilligung und Selbstbestimmung, in: Stratenwerth, Günter/Kaufmann, Armin u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Welzel, Berlin 1974, 775–800 – Zur Frage eines Straftatbestandes der eigenmächtigen Heilbehandlung, in: Gössel, Karl Heinz/Triffterer, Otto/Zipf, Heinz (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, Heidelberg 1999, 353–373

312

Literaturverzeichnis

– Einwilligung in sittenwidrige Körperverletzung, in: Böse, Martin/Sternberg-Lieben, Detlev (Hrsg.), Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts. Festschrift für Knut Amelung, Berlin 2009, 181–202 Hoffmann, Björn: Crashkurs Pädiatrie. Repetitorium mit Einarbeitung der wichtigen Prüfungsfakten, 2. Auflage, München 2007 Horn, Eckhard: Der medizinisch nicht indizierte, aber vom Patienten verlangte ärztliche Eingriff – strafbar? – BGH, NJW 1978, 1206, JuS 1979, 29–31 Hörnle, Tatjana/Huster, Stefan: Wie weit reicht das Erziehungsrecht der Eltern? Am Beispiel der Beschneidung von Jungen, JZ 2013, 328–339 van Howe, Robert S./Svoboda, J. Steven/Hodges, Frederick M.: HIV infection and circumcision: cutting through the hyperbole, Perspectives in Public Health 125 (2005), 259–265 Hruschka, Joachim: Extrasystematische Rechtfertigungsgründe, in: Jescheck, HansHeinrich/Lüttger, Hans (Hrsg.), Festschrift für Eduard Dreher, Berlin 1977, 189–210 – Anmerkung zum Urt. des BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 372/77, JR 1978, 519–522 Hufen, Friedhelm: Staatsrecht II. Grundrechte, 3. Auflage, München 2011 Ipsen, Jörn: Staatsrecht II. Grundrechte, 15. Auflage, München 2012 Jäger, Christian: Zurechnung und Rechtfertigung als Kategorialprinzipien im Strafrecht, Heidelberg 2006 Jahn, Matthias: Strafrecht AT und BT: Zirkumzision als Körperverletzung, JuS 2012, 850–852 Jakobs, Günther: Strafrecht – Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und die Zurechnungslehre, Studienausgabe, 2. Auflage, Berlin 1993 Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 12. Auflage, München 2012, zitiert als: Jarass/Pieroth-Bearbeiter Jens, Tilman: Der Sündenfall des Rechtsstaats. Eine Streitschrift zum neuen Religionskampf. Aus gegebenem Anlass, Gütersloh 2013 Jerouschek, Günter: Beschneidung und das deutsche Recht. Historische, medizinische und juristische Aspekte, NStZ 2008, 313–319 – Beschneidung – Heileingriff, religiöses Gebot oder strafbare Körperverletzung?, in: Degener, Wilhelm/Heghmanns, Michael (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag, Tübingen 2012, 171–181 Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, 5. Auflage, Berlin 1996 Jocham, Dieter/Miller, Kurt (Hrsg.): Praxis der Urologie 1, Allgemeine Urologie, 3. Auflage, Stuttgart 2007 Joecks, Wolfgang: Strafgesetzbuch. Studienkommentar, 10. Auflage, München 2012 Joecks, Wolfgang/Miebach, Klaus (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, §§ 1–37 StGB, 2. Auflage, München 2011, zitiert als: MK-StGB-Bearbeiter

Literaturverzeichnis

313

– Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, §§ 185–262 StGB, 2. Auflage, München 2012, zitiert als: MK-StGB-Bearbeiter Joost, Nine: Begrenzte Rationalität und ärztliche Aufklärungspflichten. Soll das Recht dem Risiko defizitärer Patientenentscheidungen entgegenwirken?, in: Fateh-Moghadam, Bijan/Sellmaier, Stephan/Vossenkuhl, Wilhelm (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, Stuttgart 2010, 126–159 – Schönheitsoperationen – die Einwilligung in medizinisch nicht indizierte „wunscherfüllende“ Eingriffe, in: Roxin, Claus/Schroth, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Auflage, Stuttgart 2010, 383–443 Kargl, Walter: Körperverletzung durch Heilbehandlung, GA 2001, 538–554 – Probleme der Strafbegründung bei Einwilligung des Geschädigten am Beispiel des Dopings, JZ 2002, 389–399 Katz, Ingrid T./Wright, Alexi A.: Circumcision A Surgical Strategy for HIV Prevention in Africa, NEnglJMed 359 (2008), 2412–2415 Kaufmann, Armin: „Objektive Zurechnung“ beim Vorsatzdelikt?, in: Vogler, Theo (Hrsg.), Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, Erster Halbband, Berlin 1985, 251– 271 Kaufmann, Arthur: Die eigenmächtige Heilbehandlung, ZStW 73 (1961), 341–384 Kelek, Necla: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes, München 2007 Kempf, Claudia: Anmerkung zum LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11, JR 2012, 436–439 Kern, Bernd-Rüdiger: Der Minderjährige als Blutspender, FamRZ 1981, 738–741 – Fremdbestimmung bei der Einwilligung in ärztliche Eingriffe, NJW 1994, 753–759 Kern, Bernd-Rüdiger/Laufs, Adolf: Die ärztliche Aufklärungspflicht. Unter besonderer Berücksichtigung der richterlichen Spruchpraxis, Berlin 1983 Kern, Bernd-Rüdiger/Richter, Isabell: Haftung für den Erfolgseintritt? – Die garantierte ärztliche Leistung, in: Wienke, Albrecht/Eberbach, Wolfram u. a. (Hrsg.), Die Verbesserung des Menschen. Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin, Berlin 2009, 129–144 Kientzy, Dieter: Der Mangel am Straftatbestand infolge Einwilligung des Rechtsgutsträgers, Tübingen 1970 Kindhäuser, Urs: Zur Unterscheidung von Einverständnis und Einwilligung, in: Rogall, Klaus/Puppe, Ingeborg u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, Neuwied 2004, 135–149 – Strafrecht allgemeiner Teil, 5. Auflage, Baden-Baden 2011 – Strafrecht besonderer Teil I, Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 5. Auflage, Baden-Baden 2012 – Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, 5. Auflage, Baden-Baden 2013, zitiert als: LPK-StGB

314

Literaturverzeichnis

Kindhäuser, Urs/Neumann, Ulfrid/Paeffgen, Hans-Ullrich (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Kommentar, 4. Auflage, Baden-Baden 2013, zitiert als: NK-Bearbeiter Klein, Birgit E.: Brit Mila: Innerjüdische Kritik und die Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterrollen, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 233–255 Knauf, Christian: Mutmaßliche Einwilligung und Stellvertretung bei ärztlichen Eingriffen an Einwilligungsunfähigen. Zugleich ein Beitrag zur Patientenverfügung, Baden-Baden 2005 Kochs, Eberhard/Adams, Hans-Anton/Boemke, Willehad (Hrsg.): Anästhesiologie, 2. Auflage, Stuttgart 2009 Krauß, Detlef: Zur strafrechtlichen Problematik der eigenmächtigen Heilbehandlung, in: Kaufmann, Arthur/Bemmann, Günter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, München 1979, 557–576 Kreß, Hartmut: Anmerkung zu LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11 (AG Köln), Religiös motivierte Beschneidungen: Notwendigkeit der Restriktion aus ethischer Sicht, MedR 2012, 682–684 Kretschmer, Joachim: Die Rechtfertigungsgründe als Topos der objektiven Zurechnung, NJW 2012, 177–184 Krey, Volker/Esser, Robert: Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil. Studienbuch, 5. Auflage, Stuttgart 2012 Kropp, P.: Psychologische Schmerzdiagnostik bei Kindern, MonatsschrKinderheilkd 151 (2003), 1075–1089 Krüger, Matthias: Rechtliche Fragen der Intersexualität bei Minderjährigen, in: Finke, Rainer/Höhne, Sven-Olaf (Hrsg.), Intersexualität bei Kindern, Bremen 2008, 55–62 Kühl, Kristian: Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Auflage, München 2011 – Strafrecht allgemeiner Teil, 7. Auflage, München 2012 Kühne, H.: Die strafrechtliche Relevanz eines auf Fehlvorstellungen gegründeten Rechtsgutsverzichts, JZ 1979, 241–246 Küng, Hans: Das Judentum. Wesen und Geschichte, Sonderausgabe, München 2007 – Der Islam. Wesen und Geschichte, Sonderausgabe, München 2007 Landau, Herbert: Die deutsche Strafrechtsdogmatik zwischen Anpassung und Selbstbehauptung – Grenzkontrolle der Kriminalpolitik durch Dogmatik?, ZStW 121 (2009), 965–976 Lanzerath, Dirk: Was ist medizinische Indikation? Eine medizinethische Überlegung, in: Charbonnier, Ralph/Dörner, Klaus/Simon, Steffen (Hrsg.), Medizinische Indikation und Patientenwille. Behandlungsentscheidungen in der Intensivmedizin und am Lebensende, Stuttgart 2008, 35–52 Lau, Israel M./Meislich, Schaul/Magall, Miriam: Wie Juden leben. Glaube, Alltag, Feste, 7. Auflage, Gütersloh 2008

Literaturverzeichnis

315

Laufhütte, Heinrich Wilhelm/Rissing-van Saan, Ruth/Tiedemann, Klaus (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Erster Band, §§ 1 bis 31, 12. Auflage, Berlin 2007, zitiert als: LK-Bearbeiter – Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Zweiter Band, §§ 32 bis 55, 12. Auflage, Berlin 2006, zitiert als: LK-Bearbeiter Laufs, Adolf: Nicht der Arzt allein muss bereit sein, das Notwendige zu tun, NJW 2000, 1757–1769 Laufs, Adolf/Katzenmeier, Christian/Lipp, Volker (Hrsg.): Arztrecht, 6. Auflage, München 2009 Laufs, Adolf/Kern, Bernd-Rüdiger (Hrsg.): Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage, München 2010, zitiert als: HdA Laumann, Edward O./Masi, Christopher M./Zuckerman, Ezra W.: Circumcision in the United States: Prevalence, Prophylactic Effects and Sexual Practice, JAMA 277 (1997), 1052–1057 Lentze, Michael J./Schaub, Jürgen u. a. (Hrsg.): Pädiatrie, Grundlagen und Praxis, 3. Auflage, Berlin 2007 Lesch, Heiko H.: Die strafrechtliche Einwilligung beim HIV-Antikörpertest an Minderjährigen, NJW 1989, 2309–2313 Link, Ihna: Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen. Eine vergleichende Untersuchung des deutschen und englischen Rechts, Frankfurt am Main 2004 Lipp, Volker: Anmerkung zu BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05 (OLG München), MedR 2008, 292–293 Löffelmann, Markus: Religiöse Beschneidung von Jungen, www.recht-politik.de, Ausg. v. 02.08.2012 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Lohse, Eva Julia: Privatrecht als Grundrechtskoordinationsrecht – das Beispiel der elterlichen Sorge, Jura 2005, 815–821 Maiwald, Manfred: Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, Heidelberg 1970 – Zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts, in: Schroeder, Friedrich-Christian/ Zipf, Heinz (Hrsg.), Festschrift für Reinhart Maurach, Karlsruhe 1972, 9–23 von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.): Kommentar zum Grundgesetz, Band 1: Präambel, Artikel 1 bis 19, 6. Auflage, München 2010, zitiert als: v. Mangoldt/Klein/Starck-Bearbeiter Manssen, Gerrit: Staatsrecht II. Grundrechte, 9. Auflage, München 2012 Maunz, Theodor/Dürig, Günter u. a. (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Loseblatt, 67. Nachlieferung, München 2012, zitiert als: Maunz/Dürig-Bearbeiter Maurach, Reinhart/Schroeder, Friedrich-Christian/Maiwald, Manfred: Strafrecht besonderer Teil. Teilband 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Vermögenswerte, 10. Auflage, Heidelberg 2009 Maurach, Reinhart/Zipf, Heinz: Strafrecht allgemeiner Teil. Teilband 1: Grundlehren des Strafrechts und Aufbau der Straftat, 8. Auflage, Heidelberg 1992

316

Literaturverzeichnis

Merkel, Reinhard: Die Haut eines Anderen, SZ v. 25.08.2012, S. 12 Meysen, Thomas: Neuerungen im zivilen Kinderschutz, NJW 2008, 2673–2678 Mezger, Edmund: Strafrecht. Ein Lehrbuch, 3. Auflage, Berlin 1949 Möller, Mirko: Die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane, ZRP 2002, 186–187 Muckel, Stefan: Strafbarkeit eines Arztes wegen religiös motivierter Knabenbeschneidung, JA 2012, 636–639 von Münch, Ingo/Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, Band 1: Präambel bis Art. 69, 6. Auflage, München 2012, zitiert als: v. Münch/Kunig-Bearbeiter Murmann, Uwe: Die „üble, unangemessene Behandlung“ – ein von der Entwicklung der Dogmatik überholter Definitionsbestandteil der „körperlichen Misshandlung“, Jura 2004, 102–105 – Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, Berlin 2005 Nebendahl, Mathias: Selbstbestimmungsrecht und rechtfertigende Einwilligung des Minderjährigen bei medizinischen Eingriffen, MedR 2009, 197–205 Neitzke, Gerald: Unterscheidung zwischen medizinischer und ärztlicher Indikation. Ein ethische Analyse der Inidkationsstellung, in: Charbonnier, Ralph/Dörner, Klaus/Simon, Steffen (Hrsg.), Medizinische Indikation und Patientenwille. Behandlungsentscheidungen in der Intensivmedizin und am Lebensende, Stuttgart 2008, 53–66 Neumann, Daniel: Bund und Bekenntnis, http://www.juedische-allgemeine.de/, Ausg. v. 24.03.2011 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Neumann, Ralph: Zirkumzision – Die Beschneidung beim Knaben, DRiZ 2012, 221– 222 Niese, Werner: Ein Beitrag zur Lehre vom ärztlichen Heileingriff, in: Bockelmann, Paul/Gallas, Wilhelm (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schmidt, Aalen 1971, 364– 382 Nitschmann, Kathrin: Chirurgie für die Seele? Eine Fallstudie zu Gegenstand und Grenzen der Sittenwidrigkeitsklausel, ZStW 119 (2007), 547–592 Noll, Peter: Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besonderen die Einwilligung des Verletzten, 10. Auflage, Basel 1955 Odenwald, Steffen: Die Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht unter besonderer Hervorhebung ärztlichen Handelns, Frankfurt a. M. u. a. 2003 Ohler, Christoph: Glaubensfreiheit versus Schutz von Ehe und Familie, NJW 2002, 194–195 Ossenbühl, Fritz: Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, Berlin 1981 Oswald, Katja: Weicher Paternalismus und das Verbot der Teilnahme untergebrachter Personen an klinischen Arzneimittelprüfungen, in: Fateh-Moghadam, Bijan/Sellmaier, Stephan/Vossenkuhl, Wilhelm (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, Stuttgart 2010, 94–125

Literaturverzeichnis

317

– Die strafrechtlichen Beschränkungen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und ihr Verhältnis zu § 228 StGB, unveröffentlichtes Manuskript, erscheint 2013 Otto, Harro: Eigenverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung sowie einverständliche Fremdschädigung und -gefährdung, in: Jescheck, Hans-Heinrich/Vogler, Theo (Hrsg.), Festschrift für Herbert Tröndle, Berlin 1989, 157–175 – Einverständnis, Einwilligung und eigenverantwortliche Selbstgefährdung, in: Schlüchter, Ellen (Hrsg.), Kriminalistik und Strafrecht. Festschrift für Friedrich Geerds, Lübeck 1995, 603–622 – Rechtfertigung einer Körperverletzung durch das elterliche Züchtigungsrecht, Jura 2001, 670–671 – Einwilligung, mutmaßliche, gemutmaßte und hypothetische Einwilligung, Jura 2004, 679–683 Palandt, Otto (Begr.): Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 72. Auflage, München 2013, zitiert als: Palandt-Bearbeiter Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard: Grundrechte. Staatsrecht II, 28. Auflage, Heidelberg 2012 Pschyrembel, Willibald (Begr.): Klinisches Wörterbuch, 264. Auflage, Berlin 2012 Puppe, Ingeborg: Strafrecht allgemeiner Teil. Im Spiegel der Rechtsprechung, 2. Auflage, Baden-Baden 2011 Putzke, Holm: Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge, in: Putzke, Holm/Hardtung, Bernhard u. a. (Hrsg.), Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, Tübingen 2008, 669–709 – Rechtliche Grenzen der Zirkumzision bei Minderjährigen. Zur Frage der Strafbarkeit des Operateurs nach § 223 des Strafgesetzbuches, MedR 2008, 268–272 – Juristische Positionen zur religiösen Beschneidung, NJW 2008, 1568–1570 – Rezension zu: Sozialadäquanz im Strafrecht. Zur Knabenbeschneidung. Von Thomas Exner, MedR 2012, 229–230 – Recht und Ritual – ein großes Urteil einer kleinen Strafkammer. Besprechung zu LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11, MedR 2012, 680, MedR 2012, 621–625 – Religiöse Beschneidungen von Jungen verboten, Legal Tribune Online, Ausg. v. 26.06.2012, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wegweisendes-urteil-religioesebeschneidungen-von-jungen-verboten/ (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Reipschläger, Christiane: Die Einwilligung Minderjähriger in ärztliche Heileingriffe und die elterliche Personensorge, Frankfurt a. M. 2004 Rengier, Rudolf: Methodische Aspekte und Aufgaben des Bundesgerichtshofes im Lichte von Entscheidungen zum Besonderen Teil des Strafrechts, in: Roxin, Claus/ Canaris, Claus-Wilhelm u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, München 2000, 467–483 – Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Auflage, München 2012

318

Literaturverzeichnis

– Strafrecht Besonderer Teil II. Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 14. Auflage, München 2013 Riccabona, M.: Komplikationen bei und nach Zirkumzision, in: Steffens, J./Langen, P.-H. (Hrsg.), Komplikationen in der Urologie 2, Darmstadt 2005, 318–320 Rixen, Stephan: Das todkranke Kind zwischen Eltern und Arzt, MedR 1997, 351–355 – Das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes, NJW 2013, 257–262 Rogall, Klaus: Anmerkung zum Urt. des BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 372/77, NJW 1978, 2344–2345 Rohe, Mathias: Islamisierung des deutschen Rechts?, JZ 2007, 801–852 Rönnau, Thomas: Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, Tübingen 2001 – Die Einwilligung als Instrument der Freiheitsbetätigung, Jura 2002, 595–598 – Voraussetzungen und Grenzen der Einwilligung im Strafrecht, Jura 2002, 665–675 – Grundwissen – Strafrecht: Der strafrechtliche Rechtsgutsbegriff, JuS 2009, 209–211 – Grundwissen – Strafrecht: Sozialadäquanz, JuS 2011, 311–313 Rosenke, Marion: Die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der weiblichen Genitalverstümmelung, Frankfurt a. M. u. a. 2000 – Die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane – Strafrechtliche Überlegungen de lege lata und de lege ferenda, ZRP 2001, 377–379 Rosenkranz, Michael: Bund der Beschneidung, Ein Plädoyer für die Brit Mila – aus religiöser und medizinischer Sicht, http://www.juedische-allgemeine.de/, Ausg. v. 16.03.2006 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Roßner, Hans-Jürgen: Verzicht des Patienten auf eine Aufklärung durch den Arzt, NJW 1990, 2291–2296 Roth, Wolfgang: Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbständiger Grundrechtsausübung, elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung, Berlin 2003 Rothärmel, Sonja/Wolfslast, Gabriele/Fegert, Jörg Michael: Informed Consent, ein kinderfeindliches Konzept? Von der Benachteiligung minderjähriger Patienten durch das Informed Consent-Konzept am Beispiel der Kinder- und Jugendpsychiatrie, MedR 1999, 293–298 Rouka, Stella: Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen bei ärztlichen Eingriffen, Frankfurt a. M. 1996 Rox, Barbara: Anmerkung zum LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11, JZ 2012, 806–808 – Schlusswort, Zur Erwiderung von Helmut Goerlich und Benno Zabel, JZ 2012, 1061–1063 Roxin, Claus: Sinn und Grenzen staatlicher Strafe, JuS 1966, 377–387

Literaturverzeichnis

319

– Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, in: Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, Göttingen 1970, 133–150 – Buchbesprechung: Stratenwerth, Günter: Strafrecht allgemeiner Teil I. Die Straftat, ZStW 84 (1972), 993–1014 – Bemerkungen zur sozialen Adäquanz im Strafrecht, in: Kohlmann, Günter (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Klug, Band II, Köln 1983, 303–313 – Die durch Täuschung herbeigeführte Einwilligung im Strafrecht, in: Hauser, Robert/ Rehberg, Jörg/Stratenwerth, Günter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Peter Noll, Zürich 1984, 275–294 – Die strafrechtliche Beurteilung der elterlichen Züchtigung, JuS 2004, 177–180 – Das strafrechtliche Unrecht im Spannungsfeld von Rechtsgüterschutz und individueller Freiheit, ZStW 116 (2004), 929–944 – Strafrecht allgemeiner Teil. Band I. Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage, München 2006 – Einwilligung, Persönlichkeitsautonomie und tatbestandliches Rechtsgut, in: Böse, Martin/Sternberg-Lieben, Detlev (Hrsg.), Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts. Festschrift für Knut Amelung, Berlin 2009, 269–286 – Zur neueren Entwicklung der Rechtsgutsdebatte, in: Herzog, Felix/Neumann, Ulfrid u. a. (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg 2010, 573–597 Rudolphi, Hans-Joachim: Literaturbericht: Strafrecht – Allgemeiner Teil, ZStW 86 (1974), 68–97 Sachs, Michael (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage, München 2011, zitiert als: Sachs-Bearbeiter Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland/Schwab, Dieter (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 8, Familienrecht II. §§ 1598–1921, SGB VIII, 6. Auflage, München 2012, zitiert als: MK-BGB-Bearbeiter Satzger, Helmut/Schmitt, Bertram/Widmaier, Gunter (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Kommentar, 1. Auflage, Köln 2009, zitiert als: SSW/StGB-Bearbeiter Sax, Walter: „Tatbestand“ und Rechtsgutsverletzung I, JZ 1976, 9–16 Scherer, Inge: Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen und elterliche Zustimmung, FamRZ 1997, 589–595 Schlömann, Johan: Immer mehr Rechte für immer weniger Kinder, SZ v. 17.07.2012, S. 11 Schlüter, Wilfried: BGB – Familienrecht, 14. Auflage, Heidelberg 2012 Schmidhäuser, Eberhard: Der Unrechtstatbestand, in: Bockelmann, Paul/Kaufmann, Arthur/Klug, Ulrich (Hrsg.), Festschrift für Karl Engisch, Frankfurt a. M. 1969, 433–455 – Strafrecht allgemeiner Teil. Lehrbuch, 2. Auflage, Tübingen 1975

320

Literaturverzeichnis

– Handeln mit Einwilligung des Betroffenen – strafrechtlich: eine scheinbare Rechtsgutsverletzung, in: Schlüchter, Ellen (Hrsg.), Kriminalistik und Strafrecht. Festschrift für Friedrich Geerds, Lübeck 1995, 593–602 Schmidt, Eberhard: Der Arzt im Strafrecht, Leipzig 1939 Schmidt, Heiner Christian: Grundrechte als selbstständige Strafbefreiungsgründe, ZStW 121 (2009), 645–670 Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel (Hrsg.): Grundgesetz, Kommentar, 12. Auflage, Köln 2011, zitiert als: Schmidt-Bleibtreu-Bearbeiter Schneider, Jochen: Die männliche Beschneidung (Zirkumzision) Minderjähriger als verfassungs- und sozialrechtliches Problem, Berlin 2008 Schöch, Heinz: Die Aufklärungspflicht des Arztes und ihre Grenzen, in: Roxin, Claus/ Schroth, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Auflage, Stuttgart 2010, 51–74 Schoen, Edgar J.: Advantages and Disadvantages of Neonatal Circumcision, JAMA 278(3) (1997), 201 – Ignoring Evidence of Circumcision Benefits, Pediatrics 118 (2006), 385–387 Schoen, Edgar J./Oehrli, Michael/Geoffrey, Machin: The Highly Protective Effect of Newborn Circumcision Against Invasive Penile Cancer, Pediatrics 105 (2000), e36 Schönke, Adolf/Schröder, Horst/Eser, Albin (Hrsg.): Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Auflage, München 2010, zitiert als: Sch/Sch-Bearbeiter Schramm, Edward: Ehe und Familie im Strafrecht. Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung, Tübingen 2011 – Die Beschneidung von Knaben aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 134–145 Schreiber, Hans-Ludwig: Strafrecht der Medizin, in: Roxin, Claus/Canaris, Claus-Wilhelm u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, München 2000, 503–526 Schröder, Horst: Eigenmächtige Heilbehandlung im geltenden Strafrecht und im StGBEntwurf 1960, NJW 1961, 951–955 Schroth, Ulrich: Die rechtliche Absicherung der autonomen Entscheidung des Lebendspenders, in: Schroth, Ulrich/Schneewind, Klaus A. u. a. (Hrsg.), Patientenautonomie am Beispiel der Lebendorganspende, Göttingen 2006, 79–118 – Das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte und seine Verletzung. Zugleich ein Beitrag zur strafrechtlichen Bewertung des ärztlichen Heileingriffs, in: Neumann, Ulfrid/Prittwitz, Cornelius (Hrsg.), „Personale Rechtsgutslehre“ und „Opferorientierung im Strafrecht“, Frankfurt a. M. 2007, 113–128 – Die Einwilligung in eine nicht-indizierte Körperbeeinträchtigung zur Selbstverwirklichung – insbesondere die Einwilligung in Lebendspende, Schönheitsoperationen und Piercing, in: Hassemer, Winfried/Kempf, Eberhard/Moccia, Sergio (Hrsg.), In dubio pro libertate. Festschrift für Klaus Volk, München 2009, 719–741

Literaturverzeichnis

321

– Ärztliches Handeln und strafrechtlicher Maßstab, in: Roxin, Claus/Schroth, Ulrich (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Auflage, Stuttgart 2010, 21–50 – Die rechtswirksame Einwilligung in die Lebendspende. Zugleich ein Beitrag zum Paternalismusproblem, in: Herzog, Felix/Neumann, Ulfrid u. a. (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg 2010, 787–804 – Strafrecht besonderer Teil. Ein Repetitorium: Strukturen, Aufbauschema und Definition, 5. Auflage, Stuttgart 2010 Schroth, Ulrich/König, Peter u. a. (Hrsg.): Transplantationsgesetz, Kommentar, München 2005, zitiert als: TPG-Bearbeiter Schünemann, Bernd: Einwilligung und Aufklärung von psychisch Kranken, VersR 1981, 306–310 – Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wieder Kommentars. 1. Teil: Tatbestands- und Unrechtslehre, GA 1985, 341–380 – Kritische Anmerkungen zur geistigen Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, GA 1995, 201–229 – Über die objektive Zurechnung, GA 1999, 207–229 Schwab, Dieter: Familienrecht, 20. Auflage, München 2012 Schwalm, Georg: Zum Begriff und Beweis des ärztlichen Kunstfehlers, in: Kaufmann, Arthur/Bemmann, Günter u. a. (Hrsg.), Festschrift für Paul Bockelmann, München 1979, 539–556 Schwarz, Kyrill-A.: Verfassungsrechtliche Aspekte der religiösen Beschneidung, JZ 2008, 1125–1129 – Die aus religiösen Gründen gebotene Beschneidung und das Verfassungsrecht, in: Heil, Johannes/Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 98–114 Schwerdtner, Eberhard: Mehr Rechte für das Kind – Fluch oder Segen für die elterliche Sorge? Besprechung von OLG Hamm, Beschl. v. 16.7.1998 – 15 W 274/98, NJW 1998, 3424, NJW 1999, 1525–1527 Sobngwi-Tambekou, J./Taljaard, D. u. a.: Male circumcision and Neisseria gonorrhoeae. Chlamydia trachomatis and Trichomonas vaginalis: observations after a randomised controlled trial for HIV prevention, SexTransmInfect 85 (2009), 116–120 Sökeland, Jürgen/Schulze, Harald u. a.: Taschenlehrbuch Urologie, 14. Auflage, Stuttgart 2008 Speer, Christian P./Gahr, Manfred (Hrsg.): Pädiatrie, 3. Auflage, Berlin 2009 Spickhoff, Andreas (Hrsg.): Medizinrecht, München 2011, zitiert als: Spickhoff-Bearbeiter – Anmerkung zum LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 – 151 Ns 169/11, FamRZ 2012, 1423– 1424

322

Literaturverzeichnis

Staszewski, Schimon: Goldener Schnitt. Bei der Brit Mila überwiegen aus medizinischer Sicht die Vorteile, http://www.juedische-allgemeine.de/, Ausg. v. 18.12.2008 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Steffens, J./Langen, P.-H. (Hrsg.): Komplikationen in der Urologie 2, Darmstadt 2005 Stehr, Maximilian/Putzke, Holm/Dietz, Hans-Georg: Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen. Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung, DÄBl. 105 (2008), A 1778–A 1780 Sternberg-Lieben, Detlev: Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, Tübingen 1997 – Rechtsgut, Verhältnismäßigkeit und die Freiheit des Strafgesetzgebers, in: Hefendehl, Roland/von Hirsch, Andrew/Wohlers, Wolfgang (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie. Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel?, BadenBaden 2003, 65–82 – Die Strafbarkeit eines nicht indizierten ärztlichen Eingriffs, in: Böse, Martin/Sternberg-Lieben, Detlev (Hrsg.), Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts. Festschrift für Knut Amelung, Berlin 2009, 325–353 Sternberg-Lieben, Detlev/Reichmann, Philipp C.: Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung und das medizinische Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, NJW 2012, 257–262 Storms, Michelle R.: Primum Non Nocere, Pediatrics 120 (2007), 695 Stratenwerth, Günter: Prinzipien der Rechtfertigung, ZStW 68 (1956), 41–70 Stratenwerth, Günter/Kuhlen, Lothar: Strafrecht allgemeiner Teil. Die Straftat, 6. Auflage, München 2011 Stumpf, Hellmuth: Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit ritueller Beschneidungen – Zugleich ein Beitrag zu den Vor- und Nachteilen einer gesetzlichen Regelung, DVBl. 2013, 141–151 Suhr, Christian: Zur Begriffsbestimmung von Rechtsgut und Tatobjekt im Strafrecht, JA 1990, 303–308 Suleiman, Samir: Der Islam muss kein Rätsel sein. Ein Beitrag zur interkulturellen Verständigung, Aachen 2009 Swatek-Evenstein, Mark: Das beschnittene Recht. Dürfen Eltern ihre Söhne beschneiden lassen – oder verstoßen sie damit gegen das Strafgesetzbuch, http://www.juedi sche-allgemeine.de/, Ausg. v. 18.02.2010 (zuletzt aufgerufen am 30.05.2013) Swoboda, Sabine: Die Lehre vom Rechtsgut und ihre Alternativen, ZStW 122 (2010), 24–50 Taddio, Anna/Goldbach, Morton u. a.: Effect of neonatal circumcision on pain responses during vaccination in boys, Lancet 345 (1995), 291–292 Taddio, Anna/Katz, Joel u. a.: Effect of neonatal circumcision on pain response during subsequent routine vaccination, Lancet 349 (1997), 599–603 Tag, Brigitte: Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis. Eine arztstrafrechtliche Untersuchung, Berlin 2000

Literaturverzeichnis

323

Taupitz, Jochen: Die mutmaßliche Einwilligung bei ärztlicher Heilbehandlung – insbesondere vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris, Claus-Wilhelm/Heldrich, Andreas u. a. (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band 1, München 2000, 497– 521 Terbille, Michael/Clausen, Tilman/Schroeder-Printzen, Jörn (Hrsg.): Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, München 2009, zitiert als: HB MedR Tobian, Aaron A. R./Serwadda, David u. a.: Male Circumcision for the Prevention of HSV-2 and HPV Infections and Syphilis, NEnglJMed (2009), 1298–1309 Tolmein, Oliver: Die drohende Zunahme von Demenz-Erkrankungen als Rechtfertigungsgrund für Körperverletzungen durch fremdnützige Forschung?, KritV 1998, 52–73 Trockel, Horst: Die Einwilligung Minderjähriger in den ärztlichen Heileingriff, NJW 1972, 1493–1497 Ulsenheimer, Klaus: Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht, Anm. z. BGH, Urt. v. 29.6.1995 – 4 StR 760/94 (LG Saarbrücken), NStZ 1996, 132–133 – Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Auflage, Heidelberg 2008 Valerius, Brian: Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen im Strafrecht, JA 2010, 481–486 – Kultur und Strafrecht. Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik, Berlin 2011 Voll, Doris: Die Einwilligung im Arztrecht, Frankfurt a. M. 1996 Walter, Tonio: Der Gesetzesentwurf zur Beschneidung – Kritik und strafrechtliche Alternative, JZ 2012, 1110–1117 Wehr, Gerhard: Judentum, Kreuzlingen 2001 – Die sieben Weltreligionen. Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, Kreuzlingen 2002 Weigend, Thomas: Über die Begründung der Straflosigkeit bei Einwilligung des Betroffenen, ZStW 98 (1986), 44–72 Weiss, H. A./Thomas, S. L. u. a.: Male circumcision and risk of syphilis, chancroid, and genital herpes: a systematic review and meta-analysis, SexTransmInfect 82 (2006), 101–110 Welzel, Hans: Das Deutsche Strafrecht, 11. Auflage, Berlin 1969 Wenzel, Frank (Hrsg.): Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 3. Auflage, Köln 2013, zitiert als: FA MedR Wessels, Johannes/Beulke, Werner: Strafrecht allgemeiner Teil. Die Straftat und ihr Aufbau, 42. Auflage, Heidelberg 2012 Wessels, Johannes/Hettinger, Michael: Strafrecht besonderer Teil 1. Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 36. Auflage, Heidelberg 2012

324

Literaturverzeichnis

Widmann, Peter: Ein Gerichtsurteil und seine mediale Inszenierung, in: Heil, Johannes/ Kramer, Stephan (Hrsg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, Berlin 2012, 219–227 Wiesner, Reinhard: Kinderrechte in das Grundgesetz!? – Zum Stand der Debatte um die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung, in: Meier, Bernd-Dieter (Hrsg.), Kinder im Unrecht. Junge Menschen als Täter und Opfer, Berlin 2010, 235–250 Williams, N./Kapila, L.: Complications of circumcision, BrJSurg 80 (1993), 1231–1236 Windel, Peter: Zur elterlichen Sorge bei Familienpflege, FamRZ 1997, 713–724 Wiswell, Thomas E.: In Reply: The Circumcision Debate, Pediatrics 79 (1987), 649–650 Wiswell, Thomas E./Geschke, Dietrich E.: Risks From Circumcision During the First Month of Life Compared With Those for Uncircumcised Boys, Pediatrics 83 (1989), 1011–1015 Wiswell, Thomas E./Hachey, Wayne E.: Urinary Tract Infections and the Uncircumcised State: An Update, Clinical Pediatrics 32 (1993), 130–134 Wiswell, Thomas E./Miller, Gea M. u. a.: Effect of circumcision status on periurethral bacterial flora during the first year of life, The Journal of Pediatrics 113 (1988), 442–446 Wiswell, Thomas E./Roscelli, John D.: Corroborative Evidence for the Decreased Incidence of Urinary Tract Infections in Circumcised Male Infants, Pediatrics 78 (1986), 96–99 Wölk, Florian: Der minderjährige Patient in der ärztlichen Behandlung. Bedingungen für die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts von Minderjährigen bei medizinischen Eingriffen, MedR 2001, 80–89 Wolter, Jürgen (Hrsg.): Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Loseblatt, 8. Auflage, 136. Nachlieferung, Köln 2012, zitiert als: SK-Bearbeiter Wüstenberg, Dirk: Genitalverstümmelung und Strafrecht, Der Gynäkologe 2006, 824– 828 – Genitalverstümmelung und elterliches Aufenthaltsbestimmungsrecht, FamRZ 2007, 692–696 Zähle, Kai: Religionsfreiheit und fremdschädigende Praktiken. Zu den Grenzen des forum externum, AöR 134 (2009), 434–454 Zahn, Matti: Der Einwilligungsunfähige in der Medizin. Zu den Problemen bei medizinischer Behandlung und Forschung, Frankfurt a. M. 2012 Zielcke, Andreas: Ich tu dir weh. Brachiale Aufklärung: Das Urteil zur Strafbarkeit der männlichen Beschneidung hat von der Religionsfreiheit im säkularen Staat wenig verstanden, Süddeutsche Zeitung v. 06.07.2012, S. 13 Zipf, Heinz: Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, Neuwied 1970 Zuck, Rüdiger: Impfrecht. Impfempfehlungen. Impfentscheidung, MedR 2008, 410– 414.

Sachwortverzeichnis Abraham 29, 33 Abwägung 225, 229, 230, 232, 243, 247, 250, 259, 265, 288, 293 AIDS 43 Anästhesie 50, 51 Aufklärung 142, 152, 274, 278, 280, 282, 283, 288 – Arten 143, 275 – Aufklärungsadressat 274 – Diagnoseaufklärung 144 – Durchführung 147, 276, 282 – Risikoaufklärung 146 – Selbstbestimmungsaufklärung 144, 281 – Sicherungsaufklärung = therapeutische Aufklärung 147, 275, 280 – Umfang 147, 149, 276, 277, 282 – Verlaufsaufklärung 145 – Verzicht 151 Balanitis 37 Begründbarkeit, rationale 234 Beschneidung = Zirkumzision – Komplikationen 46 – Komplikationsrate 48 – medizinische Aspekte 36 – Nachteile = Risiken 46, 52, 243 – religiöse Bedeutung 30, 33 – Vorteile = Nutzen 38, 53, 243 – Zweck 213, 292 Brit Mila 32 Chituch 32 Dispositionsbefugnis 97, 101, 102, 103, 114, 115, 181, 182, 203, 215, 249 Dispositionsfreiheit 83, 88, 90, 93, 95, 96

Eingriff – Aufschiebbarkeit 226, 233, 254 – Dringlichkeit 125, 129, 150 – Gefährlichkeit 228 – Indikation 126, 129, 225, 254 – Irreversibilität 226, 233 – Komplexität 128 – Nachteile = Risiken 233 – Schwere 128, 228 – Vermeidbarkeit von Risiken 249 – Vernünftigkeit 125 – Vertretbarkeit von Vorteilen 235 – Vorteile = Nutzen 234 – Zweck 228 Einsichts- und Urteilsfähigkeit 116, 123, 134, 260, 287 Einverständnis 83, 109 Einwilligung 81, 163, 205 – Fähigkeit zur 116, 121, 130, 132, 269 – Freiwilligkeit 135 – Funktionen 114 – Irrtümer 136 – subjektive Seite 158 – Systematik 109 – Tatbestandsausschluss 112 – Voraussetzungen 115, 158 Einwilligung, stellvertretende 160, 179, 206 – Freiwilligkeit 272 – gemeinsame 270 – Grenzen 203 – Stufenmodell 270 – subjektive Seite 284 – Systematik 165 – verfassungsrechtlicher Hintergrund 166 – Voraussetzungen 268, 284

326

Sachwortverzeichnis

Fremdbestimmung 204

– Konkretisierung des 204, 207, 215, 221 Koran 33 Körperverletzung 56, 82, 211 – einfache 56 – fahrlässige 62 – gefährliche 60

Genitalverstümmelung 157, 214, 221, 222, 250, 290 Geschlechtskrankheiten 41, 244 Gesundheitsschädigung 59

lege artis = kunstgerecht 156, 243, 247, 265, 287, 294 LG Köln v. 07.05.2012 22, 26, 27, 67, 195, 208, 217, 285

Hadith 34 Handlungsobjekt 86 Harnsystem 38 Harnwegsinfektionen 47, 244 Heileingriff, ärztlicher 74, 77 HIV 43, 244 Hygiene 45, 243, 244, 248

Menschenwürde 212, 281 Metzitza 32 Misshandlung, körperliche 56, 74 Mohammed 33 Mohel 33, 62, 248

Identität, religiöse 245, 266 Indikation 77, 79, 149 Infektion 37, 38 Informations- und Besprechungspflicht 283 Interessenkollision, Theorie der 111 Interessenpreisgabe, Theorie der 110 Islam 33, 246

Papillomaviren, humane 39, 244 Peniskarzinom = Peniskrebs 37, 39, 245 Peri’a 32, 36 Phimose 37 – Paraphimose 37, 47

Elternrecht = Elternverantwortung 169, 201, 296 Erziehungsrecht, elterliches 169, 177, 223

Judentum 30, 246 KErzG 133, 227, 260 Kindeswille 239, 241, 247, 250, 258, 259, 265 Kindeswohl 171, 172, 180, 181, 249, 276, 281, 288 – Gefährdung des 223, 225, 229, 247, 258, 287, 292 – Kindeswohlbestimmung, abstrakte 184, 197 – Kindeswohlbestimmung, individuelle 189, 199, 202 – Kindeswohlbezug 237

Nicht-Arzt 152, 278, 282, 295

Rechtsgut 87, 90 – Basismodell 89, 92 – Individualrechtsgut 83, 87, 90, 93 – Modell, liberales 88, 89, 95, 96, 99, 106, 108, 161 – Modell, paternalistisches 88, 89, 95, 137 – Rechtsgutsbezogenheit 137 – Rechtsgutstheorie 85 – Rechtsgutsverletzung 95, 99 Rechtssicherheit 122, 229, 288, 294, 295, 296 Reduktion, teleologische 59 Religionsfreiheit = Glaubensfreiheit 175, 208 Religionsmündigkeit 261 Risiko, erlaubtes 72

Sachwortverzeichnis Schmerz 50, 233 Selbstbestimmung 202, 281 – Fähigkeit zur 240, 250, 259 – körperbezogene 98, 99, 100, 114, 179, 259 – Recht zur 90, 99, 105, 208 – religiöse 260, 266, 294 Selbstverwirklichung 161, 203 Sittenwidrigkeit 154, 205 Sorge, elterliche 177, 215, 287 Sozialadäquanz 63, 64, 69 Sunna 34 Tatbestandsauslegung, restriktive 72, 73 Tora 31

327

Unversehrtheit, körperliche 93, 210, 290 Verbotsirrtum 27, 286 Vetoberechtigung 254 Vetofähigkeit 251 Vetorecht 251, 255, 294 Vorhaut 31, 32, 36, 50, 145 Wächteramt, staatliches 172, 180, 198, 199, 231 Wille, tatsächlicher 97, 101, 102 Zervixkarzinom = Gebärmutterhalskrebs 39, 244 Zurechnung, objektive 72