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German Pages 243 Year 2015
Schriften zum Strafrecht Band 281
Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen Zugleich ein Beitrag zu Legitimität und Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz
Von
Alexander Paradissis
Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER PARADISSIS
Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen
Schriften zum Strafrecht Band 281
Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen Zugleich ein Beitrag zu Legitimität und Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz
Von
Alexander Paradissis
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich V – Rechtswissenschaft – der Universität Trier hat diese Arbeit im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum November 2014 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Brigitte Kelker für die hervorragende Betreuung während der gesamten Entstehungsphase der Arbeit sowie für die Erstellung des Erstgutachtens. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Bernd Hecker für die fortwährende Unterstützung sowie für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Beiden möchte ich darüber hinaus für die Zeit der gemeinsamen Zusammenarbeit danken, die mir stets sehr viel Freude bereitet hat, sowie für die überragenden Arbeitsbedingungen, die wesentlich zum Erfolg dieser Arbeit beigetragen haben. Von ganzem Herzen bedanken möchte ich mich auch bei Patricia Meyer für ihre unvergleichliche Hilfe bei der Fertigstellung der Arbeit. Weiterhin gebührt der Dank meinen Freunden, die mir während der gesamten Zeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Meinen Eltern, die mich in jeder Phase meines Lebens vorbehaltlos unterstützt haben und denen ich zu allergrößtem Dank verpflichtet bin, widme ich diese Arbeit. Düsseldorf, im Juni 2015
Alexander Paradissis
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Kapitel 1 Eingrenzung der Problematik
21
A. Der klassische Regressverbotsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
B. Regressverbot und Hinzutreten der vorsätzlichen Nichtabwendung des Erfolges
23
C. Die vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge und die Problematik mehrerer Beteiligter (sog. Weiterungsfälle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Kapitel 2 Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
58
A. Entwicklung der Ingerenz in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . .
69
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . .
84
D. Abschließende Stellungnahme zur Legitimität der Ingerenz in der Gegenwart . . 119
Kapitel 3 Zuordnung der Garantenstellung aus Ingerenz im Sinne der Funktionenlehre
121
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Abschließende Stellungnahme zur Zuordnung der Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
10
Inhaltsübersicht Kapitel 4 Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
135
A. Kausalität als notwendige Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Einschränkung anhand des normativen Zusammenhangs zwischen Vorhandlung und Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Kapitel 5 Lösung der Weiterungsfälle unter Zugrundelegung der Lehre von der objektiven Zurechnung
168
A. Zurechnungsausschluss bei über einen fremden Willen vermittelten Kausalverläufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 B. Legitimität und Konkretisierung der Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung im Hinblick auf die Lösung der Weiterungsfälle . . . . . . . . . . . 183 C. Zusammengefasste Voraussetzungen für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz in Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 D. Die Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . 212 E. Abschließende Stellungnahme zu der Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91 anhand der hier gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Kapitel 1 Eingrenzung der Problematik
21
A. Der klassische Regressverbotsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
B. Regressverbot und Hinzutreten der vorsätzlichen Nichtabwendung des Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
C. Die vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge und die Problematik mehrerer Beteiligter (sog. Weiterungsfälle) . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsprechung des BGH in Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BGH, Beschluss vom 22.12.1981 – 1 StR 729/81 = StV 1982, 218 . . . 2. BGH, Urteil vom 12.09.1984 – 3 StR 245/84 = NStZ 1985, 24 . . . . . . . 3. BGH, Urteil vom 23.10.1985 – 3 StR 300/85 = StV 1986, 59 . . . . . . . . 4. BGH, Urteil vom 25.09.1991 – 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 . . . . . . . . 5. BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97 = NStZ 1998, 83 . . . . . . . 6. BGH, Beschluss vom 23.05.2000 – 4 StR 157/00 = NStZ 2000, 583 . . 7. BGH, Urteil vom 12.02.2009 – 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 . . . . . . 8. Weitere Entscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH, Beschluss vom 14.02.2012 – 3 StR 446/11 = NStZ 2012, 379 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGH, Urteil vom 13.12.2012 – 4 StR 271/12 = BeckRS 2013, 01253 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenfassende Beurteilung der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . II. Strafbarkeitsmöglichkeiten in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittäterschaft hinsichtlich der Weiterungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilnahme an der Weiterungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstiftung zur Weiterungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beihilfe zur Weiterungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . a) Garantenstellung zur Abwendung der Weiterungstat . . . . . . . . . . . . . b) Täterschaft oder Teilnahme beim Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . .
25 26 26 27 28 29 31 32 34 35 35 35 35 36 37 38 38 39 40 42 43 44
12
Inhaltsverzeichnis III. Kritik der Literatur an der Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stellungnahme von Kurt Seelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Stellungnahme von Ulfrid Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Stellungnahme von Günther Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Stellungnahme von Walter Stree . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Stellungnahme von Harro Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritische Auseinandersetzung mit den Literaturauffassungen . . . . . . . . . . . . 1. Kritik an der Stellungnahme von Kurt Seelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik an der Stellungnahme von Ulfrid Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an der Stellungnahme von Günther Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kritik an der Stellungnahme von Walter Stree . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kritik an der Stellungnahme von Harro Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit zur Rechtsprechung des BGH in den Weiterungsfällen und der Kritik aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 44 45 47 48 50 51 51 52 52 53 54 55
Kapitel 2 Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz A. Entwicklung der Ingerenz in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vom römischen Recht bis Stübel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kausallehren des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Interferenztheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtskausalitätstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Von den formellen und den materiellen Rechtspflichttheorien zu der Garantenlehre Naglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Stellungnahme zum dogmengeschichtlichen Überblick . . . .
58 60 60 61 63 64 65 69
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen . . . . . . . . . . . . . I. Garantenstellung auf Grund Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Garantenstellung auf Grund Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Garantenstellungen auf Grund Verhaltenserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Garantenstellung auf Grund Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Garantenstellung aus Organisationszuständigkeit und institutioneller Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Stellungnahme zur Begründung der Ingerenz unter Heranziehung der klassischen materiellen Garantenlehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 70 73 75 79
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB . . . . . . . . . . I. Anforderungen durch § 13 StGB im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . II. Die Entstehung des § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 13 StGB und der Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84 85 86 89
82 84
Inhaltsverzeichnis IV. Auslegungsfähigkeit des § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Auswirkungen des Bestimmtheitsgebots auf die Auslegung des § 13 StGB durch Rechtsprechung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen im Kontext der Entsprechensklausel sowie der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entsprechensklausel gem. § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB . . . VII. Überprüfung der Legitimität der Ingerenzgarantenstellung im Lichte des § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewohnheitsrechtlich anerkannte Garantenstellung aus Ingerenz . . . . . 2. Ableitung von Erfolgsabwendungspflichten aus anerkannten rechtlichen Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Voraussetzungen einer rechtlichen Pflicht i. S. d. § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung . . . . . . .
13 91 93
98 98 102 104 105 108 111 111 116
D. Abschließende Stellungnahme zur Legitimität der Ingerenz in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Kapitel 3 Zuordnung der Garantenstellung aus Ingerenz im Sinne der Funktionenlehre
121
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Garantenpflichten auf Grund enger familiärer Verbundenheit . . . . . . . . . . . II. Garantenstellungen aus engen Gemeinschaftsverhältnissen bzw. Gefahrengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Garantenstellung aus Organschaft und Amtsträgereigenschaft . . . . . . . . . . .
123 123 124 125 127
B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Garantenstellung aus der Verantwortung für Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Garantenstellung aus Übernahme einer Überwachungsfunktion . . . . . . . . .
127 127 129 130
C. Abschließende Stellungnahme zur Zuordnung der Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . 130
14
Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
135
A. Kausalität als notwendige Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Einschränkung anhand des normativen Zusammenhangs zwischen Vorhandlung und Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die pflichtwidrige Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts . . . . . 1. Gerechtfertigtes Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtgemäße Vorhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweifelhafte Ingerenzkonstellationen trotz pflichtwidriger Vorhandlung II. Kritik am Merkmal der Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einschränkung der Ingerenz durch Kriterien der objektiven Zurechnung . . 1. Entstehung der Lehre von der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Streit um die Lehre von der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Objektive Zurechnung beim unechten Unterlassungsdelikt als anerkanntes Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Zweck der Lehre von der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Wesen strafrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Zweck strafrechtlicher Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . c) Objektive Zurechnung als notwendige Voraussetzung zur Zweckerreichung der Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übertragbarkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergänzende Hinweise zur Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Ingerenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138 138 138 140 141 142 143 145 147 150 151 152 155 158 162 166
Kapitel 5 Lösung der Weiterungsfälle unter Zugrundelegung der Lehre von der objektiven Zurechnung A. Zurechnungsausschluss bei über einen fremden Willen vermittelten Kausalverläufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Autonomie als Grund für einen Zurechnungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ansicht von Jürgen Welp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ansicht von Katja Diel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ansicht von Jörg Eisele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ansicht von Joachim Renzikowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Differenzierende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ansicht von Harro Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168
168 169 169 170 171 172 173 173
Inhaltsverzeichnis 2. Die Ansicht von Walter Stree und Nikolaus Bosch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ansicht von Claus Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ansicht von Hans-Joachim Rudolphi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik an den vorgestellten Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Legitimität und Konkretisierung der Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung im Hinblick auf die Lösung der Weiterungsfälle . . I. Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr durch die Vorhandlung . . . . . 1. Schaffung einer Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefahrrealisierung, Schutzzweckzusammenhang und Vorhersehbarkeit . . . 1. Das Verhältnis von Gefahrrealisierung, Vorhersehbarkeit und Schutzzweckzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutzzweck der Norm als Aspekt der Gefahrrealisierung . . . . b) Kritik am Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Merkmal der Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Merkmal der Vorhersehbarkeit im Verhältnis zur Gefahrrealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik am Merkmal der Vorhersehbarkeit und dessen Konkretisierung in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übertragung der Ergebnisse auf ausgewählte Delikte als Vorhandlung . . . 1. Körperverletzung gem. § 223 StGB als Vortat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als Vortat bei mehreren Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beleidigung gem. § 185 StGB als Vortat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergänzende Hinweise bei Anstiftung und Beihilfe zur Ersthandlung als Vortat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 174 175 175 176 183 184 184 185 188 188 189 189 193 195 195 197 201 202 207 209 210
C. Zusammengefasste Voraussetzungen für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz in Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 D. Die Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . 212 E. Abschließende Stellungnahme zu der Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten in den Weiterungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91 anhand der hier gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. BGH 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. BGH 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Einleitung Die Arbeit befasst sich mit der Strafbarkeit in sog. Weiterungsfällen. Es handelt sich hierbei um Sachverhalte, in denen zwei oder mehrere Beteiligte gemeinsam ein Opfer misshandeln und einer der Beteiligten im Anschluss ohne Rücksprache mit dem bzw. den Vortatbeteiligten dazu übergeht, dem Opfer noch weitere, teils schwerere Misshandlungen zuzufügen oder es gar zu töten. Die entscheidende Frage lautet in diesem Zusammenhang, ob auch ein lediglich an der Vortat aktiv Beteiligter im Hinblick auf die sog. „Weiterungstat“ 1 bestraft werden kann. Solche Fallkonstellationen lagen, wie noch zu zeigen sein wird, nicht selten der Rechtsprechung zur Entscheidung vor. Der jüngste Fall handelt von Gefängnisinsassen, die gemeinsam einen Mithäftling über Wochen misshandelten.2 Der BGH hatte zu entscheiden, ob einer der an der Vortat beteiligten Insassen bestraft werden kann, weil er bei weiteren Misshandlungen des Opfers durch die anderen Vortatbeteiligten tatenlos zusah. Die Rechtsprechung nimmt in den Weiterungsfällen – sofern sich keine andere Form der Deliktsverwirklichung nachweisen lässt – eine Unterlassungsstrafbarkeit des Vortatbeteiligten an, indem sie an die vorhergehenden Misshandlungen zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz anknüpft. Mit der h. M., welche hierfür die pflichtwidrige Schaffung der nahen Gefahr des Erfolgseintritts verlangt, liegt die Rechtsprechung bei oberflächlicher Betrachtung im Einklang, da die vorhergehenden Misshandlungen pflichtwidrige Verhaltensweisen darstellen, die durchaus den Anlass zu weiteren naheliegenden Gewalthandlungen durch andere Vortatbeteiligte geben können. Die Bestrafung des untätig bleibenden Vortatbeteiligten erscheint auf den ersten Blick auch billigenswert. Denn die Weiterungsfälle sind durch rohe, unbarmherzige Gewaltakte geprägt und es würde dem allgemeinen Rechtsempfinden widerstreben, denjenigen, der das Opfer zuvor misshandelt hat und, von Gleichgültigkeit bestimmt, tatenlos dabei zusieht, wie ein Vortatbeteiligter das Opfer brutal tötet, wie jeden beliebigen Dritten zu behandeln. Eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB erscheint in diesem Zusammenhang nicht als angemessene Strafbarkeitsalternative. Bei genauerem Hinsehen kommen aber auch Zweifel auf, die sich auch in der Kritik der Literatur wiederfinden. Während manche Teile der Literatur die An1
Der Begriff findet sich bei Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (44 ff.). BGH NStZ 2009, 321 ff.; siehe hierzu Becker, HRRS 2009, S. 242 ff.; Bosch, JA 2009, S. 655 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 93. 2
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Einleitung
nahme einer Garantenstellung aus Ingerenz in den Weiterungsfällen nicht ohne Weiteres für zulässig erachten, lehnen andere eine Strafbarkeit sogar gänzlich ab. Man liest zudem häufig, dass der Fall mit der „Regressverbotsproblematik“ parallel verlaufe und daher nach den gleichen Maßstäben zu lösen sei.3 Darüber hinaus wird davor gewarnt, dass eine Unterlassungsstrafbarkeit in den Weiterungsfällen mit den Beteiligungsvorschriften kollidieren und damit zu „inkonsistenten Zurechnungsregeln“ führen könne.4 Der Rechtsprechung wird vor allem vorgeworfen, sie berücksichtige nicht in ausreichender Weise die Besonderheiten, die mit der unvorsätzlichen Förderung der freiverantwortlichen Handlung eines Dritten verbunden sind.5 Gleichwohl sind die Kritiker zahlenmäßig vergleichsweise gering geblieben und in Monographien werden die Weiterungsfälle zumeist nur am Rande behandelt. Die vorliegende Arbeit wird sich hingegen intensiv mit der Legitimität der Rechtsprechungspraxis in den Weiterungsfällen befassen. Dass dieses Vorhaben berechtigt ist, zeigt allein die Tatsache, dass in den real und in beachtlicher Zahl vorkommenden Weiterungsfällen hinsichtlich der nachfolgenden Tat, je nach rechtlicher Würdigung, von einem Freispruch bis hin zu einer Strafbarkeit beispielsweise wegen Mordes durch Unterlassen alles möglich zu sein scheint. Um die Frage zu beantworten, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Strafbarkeit in den Weiterungsfällen möglich und geboten sein soll, hat eine genaue Analyse aller zur Verfügung stehenden Strafbarkeitsmöglichkeiten zu erfolgen. Insbesondere muss geklärt werden, ob der vom BGH gewählte Weg, den Vortatbeteiligten aus Ingerenz zu bestrafen, zulässig ist. Die Schwierigkeit dieses Unterfangens besteht darin, dass sich die Thematik inmitten des ohnehin schon heillos umstrittenen Terrains der Unterlassungsdelikte befindet, das nicht umsonst als „das dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils“ 6 bezeichnet wird. Denn nach wie vor sind sowohl die Entstehungsgründe als auch die Grenzen nahezu aller Garantenstellungen umstritten. Wenn zudem von Parallelen zu der Regressverbotsproblematik die Rede ist, so handelt es sich dabei auch um einen Problemkreis, der im Bereich der Fahrlässigkeitsdogmatik angesiedelt und ebenfalls bisher nicht abschließend geklärt ist. Noch viel weniger geklärt ist aber die Frage, ob der im Zusammenhang mit der Regressverbotsproblematik existierende Streitstand im Bereich der Ingerenz überhaupt Relevanz beanspruchen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die gemeinsam begangenen Gewalthandlungen, die der Weiterungstat zeitlich vorgehen, Beteiligungskonstellationen vorliegen, deren rechtliche Bedeutung im Hinblick auf die Weiterungstat beachtet werden muss, da ansonsten eine Kollision mit der Beteiligungsdogmatik droht. 3 4 5 6
So Neumann, JR 1993, S. 159 (161) sowie Seelmann, StV 1992, S. 415 (417). Neumann, JR 1993, S. 159 (162). Otto, in: FS Geppert, S. 441 (455). Pawlik, in: FS Roxin zum 80., S. 931.
Einleitung
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Schon diese kurze Einführung der hier zu behandelnden Fallkonstellation zeigt, dass es sich um eine Problematik handelt, die sich an einer Schnittstelle mehrerer Bereiche des Allgemeinen Teils des Strafrechts befindet. Eine gezielte Problemerörterung setzt daher zwingend eine strenge Eingrenzung der zu behandelnden Sachverhaltskonstellation voraus, so dass zunächst eine ausführliche Darstellung der hier zu behandelnden Problematik unter besonderer Berücksichtigung der hierzu ergangenen Entscheidungen sowie der damit verbundenen Reaktionen in der Literatur erfolgen wird (Kapitel 1). Im Anschluss daran erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Garantenstellung aus Ingerenz unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihres Entstehungsgrundes (Kapitel 2). Zwar ließe sich argumentieren, dass die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun von der ganz h. M. befürwortet wird und daher eine eingehende Stellungnahme überflüssig sei. Es gibt aber beachtliche Stimmen in der Literatur, die der Ingerenz mit nicht leicht von der Hand zu weisenden Argumenten die Legitimität absprechen. Hieran hat auch die Einführung des § 13 StGB, der die Strafbarkeit der unechten Unterlassungsdelikte regelt, nur wenig geändert. Zudem herrscht große Unsicherheit hinsichtlich der genauen Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz. Zwar vertritt die eingangs genannte h. M. im Grundsatz die Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts. Von diesem Grundsatz werden aber, je nach Fall, sowohl von der Literatur als auch von der Rechtsprechung zahlreiche Ausnahmen gemacht, so dass unweigerlich erhebliche Zweifel an der Geltung dieser Formel aufkommen. Die Unsicherheit über die Grenzen der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun kann nicht verwundern, hängt sie doch maßgeblich mit der Unsicherheit über ihren Entstehungsgrund zusammen. Daher ist es unerlässlich, zum Entstehungsgrund dieser Garantenstellung unter besonderer Berücksichtigung des § 13 StGB Stellung zu nehmen. Erst auf dieser Grundlage ist überhaupt eine Eingrenzung möglich, die mit dem Entstehungsgrund der Ingerenz im Einklang steht und auf diese Weise Geltung für sich beanspruchen kann. Zusätzlich wird ein Vergleich der Garantenstellung aus Ingerenz mit anderen anerkannten Garantenstellungen vorgenommen. Auf dieser Basis soll die Frage beantwortet werden, ob die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun den Beschützergarantenstellungen, den Überwachergarantenstellungen oder möglicherweise keiner der beiden Kategorien zugeordnet werden kann (Kapitel 3). Diese Zuordnung ist erforderlich, da ein Teil der Literatur die Ingerenz zu den Beschützergarantenstellungen zählt und hieraus erste Schlüsse über ihren Schutzumfang zieht.7 Insbesondere Otto,8 der sich in einem Aufsatz mit der hier zu behandeln-
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Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1146. Otto, in: FS Geppert, S. 441 (455 ff.).
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Einleitung
den Problematik am ausführlichsten beschäftigt hat, möchte in den Weiterungsfällen eine besondere Beschützergarantenstellung des Vortatbeteiligten annehmen, wenn er das Opfer durch die vorhergehenden Misshandlungen in eine „hilflose Lage“ versetzt hat, und ihn auf dieser Grundlage verpflichten, Weiterungstaten zu verhindern. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls problematisiert werden, welche Rechtsfolgen aus der Zuordnung der Garantenstellung zu einem bestimmten Typus überhaupt gezogen werden dürfen. Anschließend wird sich die Untersuchung mit der Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz befassen (Kapitel 4). Hierbei soll besonders die Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts kritisch hinterfragt werden. Vor allem wird eine in der Literatur im Vordringen befindliche – wenngleich bisher noch kaum tiefer begründete – Auffassung untersucht werden, die eine Eingrenzung der Ingerenz unter Heranziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung vornehmen möchte. Hierbei muss aber bedacht werden, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung schon im Bereich der fahrlässigen sowie vorsätzlichen Begehungsdelikte trotz des „unvergleichlichen Siegeszuges“,9 der ihr nachgesagt wird, von vielen Stimmen in der Literatur nach wie vor heftig kritisiert wird. Sie wird daher im Rahmen dieser Arbeit zur Eingrenzung der Ingerenz und damit zur Lösung der Weiterungsfälle nur dann Anwendung finden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss gewährleistet sein, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt Anerkennung verdient. Zum anderen hängt die Übertragung maßgeblich davon ab, ob das Ingerenzunterlassen mit dem Begehungsdelikt gemeinsame Bezugspunkte aufweist, die eine Gleichbehandlung legitimieren. Erst auf dieser Grundlage kann sich die Arbeit abschließend der Aufgabe widmen, die einzelnen Eingrenzungsaspekte zu konkretisieren und auf diese Weise die Weiterungsfälle einer Lösung zuzuführen (Kapitel 5).
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Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 4.
Kapitel 1
Eingrenzung der Problematik A. Der klassische Regressverbotsfall Es hat in der Vergangenheit regelmäßig Fälle gegeben, anlässlich derer sowohl Rechtsprechung als auch Literatur zur Strafbarkeit von mittelbaren Erfolgsverursachungen unter dem Begriff des sogenannten „Regressverbots“ Stellung genommen haben.1 Der alte Streitstand zur Regressverbotsproblematik beschäftigte sich mit der Frage, ob eine Handlung, die mittelbar über den freien Willen des Opfers oder eines Dritten zur Erfolgsverwirklichung führt, bestraft werden soll. Exemplarisch sei ein Fall genannt, mit dem sich das Reichsgericht zu beschäftigen hatte. Er handelte von einer Frau, die ihrem Geliebten Gift verschaffte, mit dem dieser dann seine Ehegattin tötete.2 Da sich im Hinblick auf die Tötung der Ehefrau kein Vorsatz der Geliebten nachweisen ließ, schied eine Bestrafung wegen Anstiftung oder Beihilfe aus. Letztlich verurteilte sie das Reichsgericht wegen einer fahrlässigen Tötung. Auch heute hat sich die Rechtsprechung mit über den Willen eines Dritten vermittelten Straftaten zu beschäftigen. Als Beispiel genügt ein Verweis auf den „Amoklauf von Winnenden“, bei dem ein junger Mann 15 Menschen tötete, mehrere Menschen verletzte und sich danach selbst das Leben nahm. Hier wurde der Vater unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen verurteilt, weil er seine Waffensammlung nicht ausreichend gegen den Zugriff Unbefugter gesichert hatte.3 Charakteristisch für diese Fälle ist, dass der Erfolgseintritt entweder durch eine eigenverantwortliche Zweithandlung des Opfers selbst, oder aber durch die einer dritten Person entweder vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden ist.4 Da dementsprechend viele Sachverhaltskonstellationen denkbar sind, verwundert es
1
Ausf. dazu unten Kap. 5, A. RGSt 64, 370 ff. 3 BGH, Beschluss vom 22.3.2012 – 1 StR 359/11, wobei eindeutige Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Sohnes vorlagen. Siehe Jäger, JA 2012, S. 635 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 85, 87. 4 Siehe die zahlr. Bsp. bei Caro John, Das erlaubte Kausieren, S. 13 ff.; Naucke, ZStW 76 (1964), S. 409 (410) möchte nur die Fälle, in denen ein fahrlässiges Verhalten von einem Dritten zu einer vorsätzlichen Tat genutzt wird, dem Begriff des Regressverbots zuordnen, da für ihn die Behandlung zu vieler Fallgruppen zur Lösungsfindung unzweckmäßig erscheint. 2
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
kaum, dass solche tatsächlich auch häufig den Gerichten zur Entscheidung vorgelegen haben.5 Die Fälle der fahrlässigen Mitwirkung an einer vorsätzlichen und freiverantwortlichen Erfolgsverwirklichung haben eines gemeinsam: Eine Strafbarkeit lässt sich weder in Form der Täterschaft noch der Teilnahme bezüglich des durch den Zweithandelnden verursachten Erfolges begründen. Der Grund hierfür besteht zunächst einmal in dem nicht vorhandenen oder unter Umständen durch das Gericht nicht nachweisbaren Vorsatz hinsichtlich des späteren Erfolgseintritts. Würde die Rechtsprechung in dieser Konstellation ein Regressverbot, d.h. eine wie auch immer begründete Unterbrechung der Zurechnung zum Ersthandelnden befürworten, so wäre ein Freispruch die einzig verbleibende Rechtsfolge. Dass dieses Ergebnis die Rechtsprechung nicht zufriedenstellte und sie stattdessen eine Verurteilung für notwendig hielt, machte schon früh das Reichsgericht in seinen Entscheidungen deutlich. So wurde betont, dass das Rechtsempfinden eine Bestrafung des Ersthandelnden in einschlägigen Konstellationen „keineswegs missbilligen“ könne.6 Bis heute erkennt die Rechtsprechung in diesen Fällen kein grundsätzliches Regressverbot an.7 Stattdessen versucht sie, die Fälle hauptsächlich über das Kriterium der Vorhersehbarkeit zu lösen.8 Ob diese Vorgehensweise in allen denkbaren Varianten auch berechtigt ist, wird im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend entschieden werden können. Zu groß sind die Unterschiede der einzelnen Fallkonstellationen. Denkbar sind sowohl Selbstschädigungen des Opfers, die an das Verhalten des Ersthandelnden anknüpfen, als auch sich hieran anschließende Verletzungen durch einen Dritten. Weiterhin lassen sich unterschiedlichste Defekte, wie z. B. Irrtümer, Schuldunfähigkeit etc., des Opfers, des Dritten oder des Täters selbst in die Fallkonstellationen integrieren.9 Die Arbeit wird sich nur auf den Fall des Dazwischentretens eines vorsätzlich handelnden voll verantwortlichen Dritten konzentrieren, der an eine Vorhandlung anknüpft und infolgedessen nicht sich selbst, sondern einen anderen verletzt.
5 Siehe die zahlr. Bsp. aus der Rechtsprechung bei Roxin, in: FS Tröndle, S. 177; vgl. auch Jakobs, ZStW 89 (1977), S. 1 (3 f.); LK-Walter, Vor § 13 Rn. 104 sowie Sch/SchrEisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 77 m.w. N. 6 RGSt 64, 316 (320); siehe auch schon die ausdrückliche Ablehnung eines Regressverbots durch das Reichsgericht in RGSt 61, 318 (319 ff.). 7 BGHSt 7, 114 f.; NStZ 2001, 29 (30 f.); Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 38; siehe auch Diel, Das Regreßverbot, S. 163. 8 BGHSt 4, 360 (362); NStZ 2001, 29 (30); vgl. hierzu Diel, Das Regreßverbot, S. 157; zum Kriterium der Vorhersehbarkeit als Aspekt der objektiven Zurechnung siehe unten Kap. 5, B. II. 3. 9 Zu den unterschiedlichen Fallkonstellationen siehe Diel, Das Regreßverbot, S. 23 ff.
B. Hinzutreten der vorsätzlichen Nichtabwendung des Erfolges
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B. Regressverbot und Hinzutreten der vorsätzlichen Nichtabwendung des Erfolges In Anbetracht der klassischen Regressverbotskonstellation mag eine Unterlassungsstrafbarkeit des Ersthandelnden noch nicht sonderlich relevant erscheinen. Die aktive Handlung ist – möchte man den Ersthandelnden bestrafen – hinreichender Anknüpfungspunkt, der einen Rückgriff auf ein Unterlassen entbehrlich macht und das Unrecht durch die Bestrafung aus einem fahrlässig begangenen Delikt ausreichend erfasst. Modifiziert man hingegen das eingangs genannte Beispiel der Giftverabreichung durch den Ehemann geringfügig, indem man bezüglich des Ersthandelnden zwei weitere Faktoren hinzufügt, so nähert man sich der hier zentral zu behandelnden Fallkonstellation um einen weiteren Schritt. Hierzu muss lediglich bei der Geliebten zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts durch den Zweithandelnden Vorsatz hinzukommen. Zudem muss sie sich im Zeitpunkt der Giftverabreichung in unmittelbarer Nähe des Geschehens befinden. Bei dieser modifizierten Variante kommt man um den Gedanken an ein strafbares Unterlassen unter dem Aspekt der Ingerenz nicht umhin, da in der Giftübergabe ein gefährdendes Verhalten gesehen werden kann, die Geliebte zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts mit dem Geschehen einverstanden ist und gleichzeitig eine reale Möglichkeit zur Erfolgsabwendung besitzt.10 Auch derartige Konstellationen lassen sich schon früh in der Rechtsprechung finden. Zu nennen wäre ein Fall, in dem es eine Frau trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit unterlassen hatte, ihren Geliebten daran zu hindern, seine Ehefrau zu ermorden, um das ehebrecherische Verhältnis mit seiner Geliebten aufrechtzuerhalten. Hier knüpfte das Reichsgericht an die ehebrecherische Beziehung als Grund für die Pflicht zur Erfolgsabwendung an und hob das Urteil des Schwurgerichts auf, das zuvor eine Strafbarkeit wegen einer Beihilfe zum Mord verneint hatte.11 Einen Sonderfall dieser Entscheidungspraxis bilden die Fälle der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen.12 Damit ist die Situation gemeint, in der ein Prozessbeteiligter – in der Regel der Angeklagte – es unterlässt, einen Zeugen daran zu hindern, einen Meineid bzw. eine falsche uneidliche Aussage zu begehen. Um die Erfolgsabwendungspflicht des Prozessbeteiligten zu begründen, nahm die Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen eine Garantenstellung aus Ingerenz bei teils sehr unterschiedlichen Vorhandlungen des später Unterlassenden an. Hierbei knüpfte sie in früheren Urteilen sowohl an private Verhältnisse als auch 10
Vgl. Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 129. RGSt 73, 52 ff. 12 Ausf. hierzu Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht BT I, Rn. 768 ff.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 309 ff.; siehe auch Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (563). 11
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
an Handlungen während eines Zivil- oder Strafprozesses an und neigte generell zu einer sehr extensiven Begründung einer Erfolgsabwendungspflicht aus vorangegangenem Tun. Während in einem Fall13 ein ehebrecherisches Verhältnis einer Dame zu einem jungen Mann als ingerenzbegründend betrachtet wurde, genügte in einem anderen Fall14 der jüngeren Rechtsprechung alleine die Benennung des Zeugen als Vorhandlung. Die Fälle der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen müssen im strafprozessualen Kontext betrachtet werden. In den Entscheidungen, in denen eine Ingerenzgarantenstellung auf eine vorangegangene Prozesshandlung gestützt wird, gerät eine Bestrafung insbesondere mit den durch die Strafprozessordnung garantierten Rechten des Unterlassenden in Konflikt.15 Auf diese spezifisch strafprozessualen Fragen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Dennoch sind diese Fälle in höchstem Maße erwähnenswert, da die Fälle der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen in einem wesentlichen Punkt mit den zuvor genannten Entscheidungen, die den Kern dieser Untersuchung darstellen, parallel verlaufen. In gleicher Weise wird hier bei einem eigenverantwortlich begangenen Delikt an die Vorhandlung eines anderen angeknüpft, die ohne (nachweisbaren) Vorsatz hinsichtlich des späteren Erfolgseintritts getätigt wurde. Trotz aller Kritik, die diese Entscheidungspraxis durch die Literatur erfahren hat, verurteilen die Gerichte in ähnlichen Konstellationen weiterhin wegen einer Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen; es werden lediglich strengere Anforderungen an die Vorhandlung gestellt.16 Dass damit allerdings das Problem noch nicht gelöst ist, zeigt die weiterhin bestehende Kritik der Literatur an der – wenn auch nunmehr restriktiveren – Entscheidungspraxis. Denn nach wie vor begründen die Gerichte nur unzureichend, weshalb eine Zurechnung zum Unterlassenden trotz freiverantwortlichem Dazwischentreten eines Dritten möglich und geboten sein soll.17 Isoliert betrachtet erscheint es mehr als zweifelhaft, ob in den Fällen der unvorsätzlichen Begründung von Ursachen, die von einem Dritten zum Anlass für die Begehung einer Straftat genommen werden, eine Bestrafung aus Ingerenz be-
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RGSt 72, 20 (22). OLG Hamm NStZ 1993, 82 ff. mit abl. Anm. Seebode. 15 Dazu ausf. Sering, Beihilfe durch Unterlassen, S. 145 ff.; siehe auch Kelker, Jura 1996, S. 89 (98). 16 Vgl. BGHSt 4, 327 (330); OLG Hamm NStZ 1993, 82 (82 ff.); Ingerenz soll demnach erst dann begründet sein, wenn der Zeuge in eine „prozeßunangemessene besondere Gefahr der Falschaussage“ gebracht worden ist; vgl. Kelker, Jura 1996, S. 89 (97 f.). 17 Siehe dazu Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht BT I, Rn. 773, die darauf hinweisen, dass die Eigenverantwortlichkeit des Zeugen und das damit verbundene mangelnde kriminalpolitische Bedürfnis an der Entscheidungspraxis zweifeln lassen. Siehe auch Geppert, Jura 2002, S. 173 (179); vgl. auch Kelker, Jura 1996, S. 89 (98). 14
C. Vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge
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rechtigt ist. Selbst wenn in einer klassischen Regressverbotskonstellation zusätzlich Vorsatz zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts hinzukommt, ändert dies nichts an dem fehlenden Vorsatz zum Zeitpunkt der Ersthandlung und der Freiverantwortlichkeit der dazwischentretenden Person. Insofern stellt sich die Frage nach der Legitimität der Strafbarkeit in der gleichen Weise, wie in den klassischen Regressverbotsfällen. Jedoch wird das klassische Problem in Kombination mit einem Unterlassungsmoment weitaus akuter. Schließlich wird der Weg geebnet, den Ersthandelnden mit dem Strafmaß des Begehungstäters über den Umweg eines Unterlassungsdelikts zu bestrafen, lässt man einmal die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB außer Acht. Allein schon auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu liefern, wird Hauptanliegen dieser Arbeit sein und eine tiefergehende Erörterung erfordern.
C. Die vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge und die Problematik mehrerer Beteiligter (sog. Weiterungsfälle) Die bis hierhin angesprochenen Fallkonstellationen sind für sich genommen schon hoch problematisch. Sie gewinnen allerdings weiter an Brisanz, sobald der Ersthandelnde und der den weitergehenden Erfolg Verursachende, im folgenden Weiterungstäter18 genannt, bereits bei der Ersthandlung in Form der Mittäterschaft oder der Teilnahme zusammengewirkt haben. Dann nämlich stellt sich die Frage, ob das in Betracht kommende Unterlassungsdelikt möglicherweise mit den Täterschafts- und Teilnahmevorschriften kollidiert. Zudem weisen die Weiterungsfälle im Gegensatz zu manch anderem Regressverbotsfall die Besonderheit auf, dass die Vorhandlung regelmäßig nicht eine neutrale und sozialadäquate Verhaltensweise darstellt, sondern stattdessen eigenständiges strafbares Verhalten. Damit stellt sich die dieser Arbeit zentral zu Grunde liegende Frage: Soll der Vortatbeteiligte 19 wegen der für sich genommen strafbaren Vorhandlung die Pflicht haben, die freiverantwortliche Tat eines Dritten abzuwenden und bei Nichtabwendung des Weiterungserfolges als Täter oder Teilnehmer aus einem vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikt bestraft werden? Dass es sich hierbei nicht etwa um „Lehrbuchkriminalität“ handelt, sondern um Konstellationen, die eine hohe praktische Relevanz aufweisen, soll die nachfolgende Darstellung einschlägiger Urteile belegen. 18 Die Terminologie findet sich bei Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (44 f.) und ist der Bezeichnung „Zweithandelnder“ vorzuziehen, wenn der Weiterungstäter schon mit dem Vortäter bzw. dem an der Vortat Beteiligten zusammengewirkt hat. 19 Hier soll nunmehr statt des Begriffs des „Ersthandelnden“ der Begriff des „Vortatbeteiligten“ verwendet werden, da die Beteiligten die Vortat gemeinsam und nicht zeitlich versetzt begangen haben.
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
I. Die Rechtsprechung des BGH in Weiterungsfällen 1. BGH, Beschluss vom 22.12.1981 – 1 StR 729/81 = StV 1982, 218 Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, dem folgender Sachverhalt zu Grunde lag: K und V beschlossen auf Vorschlag des K, eine 73 Jahre alte Frau zu überfallen und ihr Geld wegzunehmen. In der ersten Tatphase brachten sie die Dame mit einem Trick dazu, ihre eigene Wohnung zu verlassen und in ein leer stehendes Dachgeschoss zu gehen. Dort wurde die Frau ohne nachweisbaren Tötungsvorsatz der beiden Angeklagten misshandelt und gewürgt, bis sie schließlich bewusstlos auf dem Boden lag. Mit dem anschließend aus dem Geldbeutel entwendeten Geld begaben sich die Angeklagten auf eine Zechtour. Als sie nach mehreren Stunden zurückkehrten und die Dame stöhnend und um Hilfe rufend auffanden, entschloss sich V, weil er von der Frau gesehen worden war, diese zu töten. Das teilte er auch dem Angeklagten K mit. Dieser forderte V mit den Sätzen „Auf, Karle, wir hauen ab!“ und „Lass gut sein“ zum Gehen auf. Durch einen Türspalt nahm dann K wahr, wie V auf die immer noch am Boden liegende Frau einschlug. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begriff K, dass V die Frau töten werde. Mit den Worten „Hör auf, das kotzt mich an“ wendete sich K ab. V tötete die Frau durch Schlagen, Würgen und Strangulieren. Das LG Ulm verurteilte den Angeklagten K wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen. Der durch den Angeklagten dagegen eingelegten Revision gab der BGH statt, da sich die Möglichkeit zur Erfolgsabwendung nicht aus den Urteilsgründen des LG ergeben habe. Dennoch gab der BGH dem LG in dem hier entscheidenden Punkt Recht. Es sei nämlich nicht zu beanstanden, „daß die Strafkammer von einer Garantenstellung des Angeklagten K aus vorangegangenem Tun ausgegangen ist. Er (der Angeklagte) hatte den Überfall auf das Tatopfer vorgeschlagen und er hat an der körperlichen Mißhandlung, durch die Frau Kr. in eine hilflose Lage gebracht worden ist, in der ,ersten Tatphase‘ eigenhändig als Mittäter mitgewirkt; (. . .). Durch sein Verhalten hat der Angeklagte K unmittelbar dazu beigetragen, daß V zur Tötung des wehrlosen Opfers schritt, um die zuvor gemeinsam begangene Straftat zu verdecken. Den Angeklagten K traf damit die Pflicht einzugreifen, um den Tod der Frau Kr. zu verhüten“.20
Beeindruckend eindeutig fällt dabei die Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht des K aus. Der BGH stützt diese Annahme ganz allein auf die Vorhandlung, also das Vorschlagen des Überfalls einerseits und die eigenhändige Beteiligung an der Körperverletzung andererseits. Hierin liege der unmittelbare Beitrag, der den K zur Abwendung der Tötung verpflichte. In welcher Beziehung die Vorhandlung zum späteren Erfolg stehen muss, wird nicht erläutert. Letztlich kann mit dem unmittelbaren Beitrag nur Mitursächlichkeit im engen räumlichzeitlichen Zusammenhang gemeint sein. Allerdings ist zu beanstanden, dass der 20
BGH StV 1982, 218.
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BGH weder auf das Kriterium der „nahen Gefahr“ noch auf das der „Pflichtwidrigkeit“ eingegangen ist.21 Interessant ist darüber hinaus, dass der Senat die Verursachung der „hilflosen Lage“ der Frau hervorhebt, ohne dabei klarzustellen, welche rechtlichen Folgen aus dieser Feststellung resultieren sollen. Es scheint so, als hätte das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage einen wesentlichen Faktor bei der Annahme der Garantenstellung dargestellt. Leider versäumt es der BGH zu erläutern, aus welchem Grund diese Annahme die Garantenstellung begründet. 2. BGH, Urteil vom 12.09.1984 – 3 StR 245/84 = NStZ 1985, 24 In einem anderen Fall schlugen A und K den R zusammen, bis er regungslos am Boden lag. Anschließend entschloss sich K dazu, den R mit einem Messer zu töten, der jedoch den Angriff überlebte. Das LG Mannheim verurteilte A, der nicht in das Geschehen eingegriffen hatte, wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag. Der BGH hob das Urteil auf, da das LG nicht in ausreichender Weise geklärt habe, ob der Angeklagte das Tatgeschehen richtig erkannte und die Tötung des Opfers wollte. Darüber hinaus stellte der BGH mit einem Verweis auf das BGH-Urteil vom 22.12.1981 klar, dass eine Garantenstellung und damit eine Erfolgsabwendungspflicht des Angeklagten angenommen werden könne, sollte in der erneuten Verhandlung festgestellt werden, dass A den Verlauf des Geschehens erkennen konnte. Zur Begründung führte der Senat aus: „Dabei kann sich die Garantenstellung des Gehilfen, welche für ihn die Pflicht zur Erfolgsabwendung begründet, aus einer Beteiligung an einer von mehreren gemeinschaftlich verübten rechtswidrigen Körperverletzung ergeben (. . .), ohne daß es darauf ankommt, ob die Lebensgefahr für das Opfer gerade aus Art und Umfang der Mitwirkung des Gehilfen an der vorausgegangenen Straftat erwächst (. . .). Die Annahme einer Garantenstellung hängt weiter nicht notwendig davon ab, ob sich die Lebensgefahr für das Opfer unmittelbar aus den ihm durch die Körperverletzung zugefügten Verletzungen ergibt. Es kann auch ausreichen, daß sie mittelbar aus den Verletzungen entsteht, weil die durch die Körperverletzung geschaffene Lage des Opfers zur Folge hat, daß sich eine andere Ursachenreihe tödlich auswirken kann, der Verletzte zum Beispiel, hilflos auf der Fahrbahn liegend, von einem Kraftfahrzeug überfahren zu werden droht. Eine solche von außen hinzutretende weitere mögliche Todesursache, deren Auswirkung der Gehilfe dann abwenden muß, kann sogar in einem vorsätzlichen Angriff eines Dritten gegen das Opfer liegen, dies insb. dann, wenn der Angriff – so wie hier – von einem Mittäter der vorangegangenen gemeinschaftlichen Körperverletzung – gleichsam in deren Fortführung – zu erwarten ist“.22
21 So auch Stree, in: FS Klug, S. 395, der jedoch im konkreten Fall die nahe Gefahr bejahen würde und lediglich die mangelnde Begründung moniert. 22 BGH NStZ 1985, 24 unter Verweis auf RGSt 61, 318 (320); 64, 370 (372 f.).
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
Es wird deutlich, dass der BGH, ebenso wie in der zuvor genannten Entscheidung, die bloße Mitursächlichkeit des Vortatbeteiligten zur Entstehung einer Garantenstellung genügen lässt. Es komme letztlich weder auf eine aus der Vortat entstandene Lebensgefahr noch auf die Unmittelbarkeit der Verursachung an. Der vom Senat vorgenommene Vergleich mit der Konstellation, in der das Opfer nach einem Unfall auf der Fahrbahn liegengelassen wird, zeigt, dass er zwischen den Fällen einer mittelbaren Verursachung des späteren Erfolges nicht ausreichend differenziert. Der Fall, in dem eine Person auf Grund einer Verletzungshandlung hilflos auf der Fahrbahn liegt und deshalb von einem nichtsahnenden PKW-Fahrer – unter Umständen nicht einmal fahrlässig – überfahren wird, unterscheidet sich bei näherer Betrachtung von der Konstellation, in der ein Dritter vorsätzlich und voll verantwortlich eine Tötungshandlung vornimmt. Denn in der letzteren Konstellation handelt es sich bei der Weiterungstat um eine freiverantwortliche Entscheidung des Dritten, so dass Zweifel aufkommen, ob dieser Fall mit der zuerst genannten Konstellation tatsächlich gleich zu behandeln ist.23 3. BGH, Urteil vom 23.10.1985 – 3 StR 300/85 = StV 1986, 59 In einem Fall, der ebenfalls verdeutlicht, dass der BGH die Problematik einer einschlägigen Weiterungskonstellation unterschätzt, sahen S und F auf dem Heimweg von einem Gaststättenbesuch einen Obdachlosen auf einer Matte liegen und entschlossen sich dazu, diesen schwer zu misshandeln. S trat dem Opfer mehrfach mit dem beschuhten Fuß in den Brust- und Bauchbereich. F trat dem Obdachlosen mehrfach gegen den Kopf, wodurch dieser das Bewusstsein verlor. Diese Gewalthandlungen durch F beobachtete S zunächst lachend aus 2 Meter Entfernung. Kurze Zeit später forderte S den F jedoch auf, die Gewalthandlungen einzustellen. Davon ließ sich F allerdings nicht abhalten und tötete das Opfer mit einem eisernen Poller, den er zuvor von einer Straßenabsperrung geholt hatte. Der BGH bestätigte das Urteil des LG Düsseldorf, das den S wegen eines Totschlags durch Unterlassen verurteilt hatte. Während der Senat lediglich die Annahme von Täterschaft rügte, stellte er hinsichtlich der Begründung einer Erfolgsabwendungspflicht fest, dass diese aus „Rechtsgründen nicht zu beanstanden“ 24 sei. Der Sachverhalt ist, ebenso wie die zuvor genannten Entscheidungen, zu der hier zentral zu behandelnden Problematik zu zählen. Denn auch hier geht F über den gemeinsamen Tatentschluss bezüglich der gemeinschaftlich begangenen Misshandlungen hinaus, indem er das Opfer tötet, während S dem Geschehen nur zusieht. Gleichwohl sieht sich der BGH zu keiner eingehenden Begründung der Garantenstellung veranlasst. 23 24
So auch Otto, in: FS Geppert, S. 441 (447). BGH StV 1986, 59 f.
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4. BGH, Urteil vom 25.09.1991 – 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 Der folgende Fall hat im Gegensatz zu den vorherigen Entscheidungen immerhin eine gewisse Aufmerksamkeit in der Literatur erregen können und ist daher für die hiesige Untersuchung von besonderem Interesse.25 M geriet mit dem späteren Opfer T in Streit. Aus diesem Grund fügte M dem Opfer Schnittverletzungen mit einer Rasierklinge im Bauch- und Brustbereich zu. Der Angeklagte S beteiligte sich an diesem Vorgehen und fügte dem Opfer im Anschluss an die Misshandlungen des M weitere, teils noch schwerere Verletzungen mit einer Rasierklinge zu. Dazu kamen ein Kopfstoß und Schläge mit der Faust in den Unterleib. Im direkten Anschluss an die durch S erfolgten Misshandlungen trat M dem mittlerweile am Boden liegenden T mehrfach gegen die Brust und gegen die Seite. Das LG Duisburg hatte dabei festgestellt, dass diese Misshandlungen noch keine Lebensgefahr für das Tatopfer ergaben. Nach diesen Misshandlungen entfernten sich S und M aus der Wohnung des S, um Bier zu holen. Nach ihrer Rückkehr versuchte S durch ein Telefonat mit der Mutter des Opfers, diese dazu zu veranlassen, die Spielschulden des T zu begleichen, um diesen dadurch „auszulösen“. Nachdem die Mutter allerdings keinerlei Bereitschaft hierzu gezeigt und stattdessen mitgeteilt hatte, dass sie bereits die Polizei verständigt habe, geriet M derart in Wut, dass er beschloss, T zu töten. Er würgte das Opfer daher zweimal mit einem Elektrokabel für jeweils 3 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt erkannte S das Tötungsvorhaben des M, griff allerdings nicht ein, sondern ließ das Geschehen bereitwillig weiterlaufen. Nachdem T immer noch Lebenszeichen von sich gab, nahm M einen Hammer und schlug ihm auf den Kopf, bis er verstarb. Das LG Duisburg verurteilte S wegen Totschlags durch Unterlassen. Der BGH hob den Schuldspruch dahingehend auf, dass S mangels Täterwillen nicht als Täter zu bestrafen sei, sondern als Teilnehmer am Totschlag des M. Jedoch stimmte der BGH den sonstigen Feststellungen zur Frage einer Strafbarkeit wegen eines Totschlags durch Unterlassen zu. Um die dazu erforderliche Garantenstellung zu rechtfertigen, führte er aus: „Dadurch, daß er das Tatopfer selbst mißhandelte, brachte der Angeklagte sein Einverständnis mit dem brutalen Vorgehen M’s zum Ausdruck und gab ihm so zu verstehen, daß dieser sich bei seinen Gewalttätigkeiten nicht etwa deswegen, weil sie in seiner, des Wohnungsinhabers, Anwesenheit geschahen, Hemmungen aufzuerlegen brauchte. Die daraus folgende Bestärkung erhöhte die Gefährlichkeit M’s für das spätere Tatopfer. (. . .) Bei seiner Alkoholisierung und seiner Wut auf T, die durch die Mitteilung des Angeklagten über den Inhalt des mit der Mutter des Tatopfers geführten Telefongesprächs – absehbar – gesteigert worden war, bestand angesichts der vorausgegangenen Mißhandlungen die Gefahr, daß der Mitangeklagte M jede Hemmung verlieren und T lebensbedrohlich verletzen würde. Diese Gefahr verwirklichte sich in
25 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 104; Neumann, JR 1993, S. 159 (161 ff.); Otto, in: FS Geppert, S. 441 (448 ff.); Seelmann, StV 1992, S. 415 (416 f.).
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik seinen Tötungshandlungen. Damit erfüllte das gefährdende Vorverhalten des Angeklagten zugleich auch die über bloße Erfolgsursächlichkeit und Pflichtwidrigkeit hinausgehende Anforderung, daß es (. . .) ,die nahe Gefahr für den Schadenseintritt‘ in sich barg.“ 26
Während der BGH im Beschluss vom 22.12.1981 noch die Beteiligung an den vorhergehenden Gewalthandlungen als Grundlage für die Annahme der Garantenstellung aus Ingerenz genügen ließ, werden die Voraussetzungen nunmehr modifiziert. Genügte die Beteiligung in der vorherigen Entscheidung alleine als unmittelbarer Beitrag, wird nunmehr die „Bestärkung“ des Tatentschlusses zur nachfolgenden Tötung in den Mittelpunkt gerückt. Die Aussage des BGH lässt sich dahingehend auslegen, dass in den Gewalthandlungen auch eine Art Aufforderung für weitere, schwerwiegendere Gewalttaten zu sehen ist. Diese genüge dem Senat zufolge, um sowohl die über die reine Verursachung hinausgehende Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts als auch die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens zu begründen. Dieser neue Ansatzpunkt für die Begründung der Garantenstellung bringt auch neue Probleme mit sich, wobei die dogmatischen Bedenken zunächst einmal vernachlässigt werden sollen.27 Den tatsächlichen Feststellungen des Gerichts lassen sich jedenfalls Einwände entgegenbringen. So bestätigt der BGH das Vorliegen einer nahen Gefahr, obwohl zwischen den gemeinsam begangenen Gewalthandlungen und der späteren Tötung durch M eine erhebliche zeitliche Zäsur bestand. Ebenso beeinflusste das Telefonat mit der Mutter, die eine Auslösung des Sohnes verweigerte, in erheblicher und gleichzeitig unvorhersehbarer Weise die Situation. Deshalb spricht bei oberflächlicher Betrachtung zunächst einmal viel dafür, dass sich vorwiegend die durch M geschaffene Gefahr im Taterfolg realisiert und die Vorhandlung des Angeklagten eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat.28 Neumann, der zu dieser Entscheidung Stellung bezieht, betont, es sei verfehlt anzunehmen, die Gefahr der Tötung sei durch die pflichtwidrige Vorhandlung des S gesteigert worden. Stattdessen habe sich nur die durch die Handlung des M geschaffene Gefahr im Tötungserfolg realisiert.29 Auch wenn die durch den Mitangeklagten M begangenen Misshandlungen eine „Erkenntnisquelle“ für dessen Gefährlichkeit seien, könne man hierauf freilich nur dann eine Strafbarkeit stützen, wenn die besondere Gefährlichkeit des M aus den Vorhandlungen des S resultieren würde. Nehme man Letzteres an, so ließe sich hiermit Neumann zufolge
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BGH NStZ 1992, 31. Eine eing. Auseinandersetzung findet sich unten Kap. 1, C. III. 28 Neumann, JR 1993, S. 159 (161) verneint im besprochenen Fall die Schaffung einer nahen Gefahr durch den Angeklagten. 29 Neumann, JR 1993, S. 159 (161). 27
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allerdings nicht das von der ständigen Rechtsprechung geforderte Kriterium der „nahen Gefahr“ legitimieren. Eine Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass sich die Geschehnisse in der Wohnung des Angeklagten S abspielten. Daher ließe sich auch eine Beschützergarantenstellung auf Grund der Herrschaft über die Wohnung in Betracht ziehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Herrschaft über Räumlichkeiten zu einer Beschützergarantenstellung führen kann, ist umstritten und soll hier nicht weiter vertieft werden.30 Es reicht jedenfalls nach fast einhelliger Ansicht nicht aus, lediglich Gewalt über einen bestimmten Herrschaftsbereich, in diesem Fall die Wohnung, auszuüben.31 Stattdessen müssen weitere Faktoren hinzukommen.32 Dafür konnte das Gericht allerdings keine Anhaltspunkte erkennen, so dass dieser Aspekt mangels Relevanz für die Hauptproblematik dieser Arbeit vernachlässigt werden kann.33 5. BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97 = NStZ 1998, 83 Der Angeklagte und der Mitangeklagte M trafen in einer Gaststätte den stark alkoholisierten J. Nach einer Auseinandersetzung außerhalb der Gaststätte erklärte der Angeklagte, dass er J „eine reindreschen wolle“. Kurze Zeit später packte der Mitangeklagte M den J, schüttelte und schlug ihn mit dem Griff eines Messers ins Gesicht, so dass dieser zu Boden ging. Danach fügte M dem Opfer mit dem Messer zwei Schnitte in der zentralen Schläfenregion zu. Während des Geschehens stand der Angeklagte ca. 1 bis 2 Meter vom Tatort entfernt. Nachdem M die Misshandlungen eingestellt hatte, entschieden sich beide beim Anblick des stark blutenden J aus Furcht vor polizeilicher Verfolgung keine Hilfe zu holen. Nachdem J versucht hatte, sich in einem Fluss das Blut abzuwaschen und dabei knietief ins Wasser geriet, dirigierten die beiden den J zu einer Treppe am Ufer, damit er aus eigener Kraft aus dem Fluss steigen konnte. Die Angeklagten erkannten, dass J stark blutete, seine Kleidung bis zu den Knien nass war und leichter Frost herrschte. Während der Angeklagte befürchtete, dass J sterben könnte, überzeugte ihn M davon, dass er schon überleben werde. Daraufhin entfernten sich die beiden Angeklagten aus Angst vor der Polizei vom Tatort. J schleppte sich zu einem Gartenzaun. Dort verstarb er gegen Morgen an der Unterkühlung im Zusammenwirken mit dem Blutverlust und der starken Alkoholisierung. Das LG München hat den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg, da der BGH eine Garantenstellung des An30
Siehe dazu Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 54 m.w. N. BGH NJW 1982, 1235; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 65; Sch/Schr-Stree/ Bosch, § 13 Rn. 54 m.w. N. 32 Vgl. Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (309 f.). 33 Vgl. dazu Seelmann, StV 1992, S. 415 (417). 31
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geklagten trotz der pflichtwidrigen Aufforderung, dem Opfer „eine reinzudreschen“, mit folgender Begründung verneinte: „Pflichtwidriges Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (. . .). Dies war hier nicht der Fall. Die gefährliche Körperverletzung des Mitangeklagten ist dem Angeklagten nicht zuzurechnen. Diese Handlung wurde hervorgerufen durch dessen gesteigerte Aggressivität, die auf eine schwere dissozial geprägte Verhaltensstörung und eine hirnorganische Erkrankung zurückgeht. Dies konnte der Angeklagte nicht erkennen. Bei der Verletzung des Geschädigten mit dem Messer handelt es sich um eine Exzeßhandlung des Mitangeklagten. War dem Angeklagten deshalb der konkrete Erfolg dieser Handlung nicht zuzurechnen, so kann daraus nicht seine Garantenstellung für die Nichtabwendung des späteren Todeseintritts des Geschädigten abgleitet werden“.34
An dieser Entscheidung wird deutlich, dass der BGH das Kriterium der nahen Gefahr zum Teil restriktiv handhabt und nicht jede Vorhandlung genügen lässt. Interessant ist, dass der BGH hier zum Ausdruck bringt, dass bei der Annahme eines Exzesses und damit einem Ausschluss der mittäterschaftlichen Zurechnung keine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen werden dürfe. Damit spricht sich der BGH eigentlich klar gegen eine Strafbarkeit des Vortatbeteiligten aus einem unechten Unterlassungsdelikt in den Weiterungsfällen aus. Da er aber auch maßgeblich auf die Vorhersehbarkeit der Weiterungstat abstellt, könnte damit auch gemeint sein, dass nur ein unvorhersehbarer Exzess in einem Weiterungsfall eine Garantenstellung aus Ingerenz ausschließe. 6. BGH, Beschluss vom 23.05.2000 – 4 StR 157/00 = NStZ 2000, 583 Einer weiteren Entscheidung, in der eine Garantenstellung ebenfalls auf Grund der mangelnden Schaffung einer nahen Gefahr verneint wurde, lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Nach den Feststellungen beteiligte sich der schwer alkoholisierte Angeklagte in der Wohnung des Mitangeklagten W an einer gegen den später getöteten T gerichteten tätlichen Auseinandersetzung. Gemeinsam mit anderen schlug er mit Fäusten auf T ein. Als danach weiter gestritten wurde, beteiligte sich der Angeklagte daran nicht, sondern schlief ein; er konnte nur noch Teile des Geschehens passiv mitverfolgen, war jedoch körperlich nicht mehr dazu in der Lage, einzugreifen. In dieser Zeit wurde T über Stunden hinweg gequält und misshandelt. Der Angeklagte, der die Geschehnisse nicht billigte, war auf Grund seines desolaten körperlichen Zustandes nicht in der Lage, einzugreifen oder aber sich zu entfernen und Hilfe zu holen. Gegen 24 Uhr bemerkten einige der Anwesenden, dass T keine Lebenszeichen mehr zeigte. W sagte daraufhin, dass T aus der Wohnung entfernt werden müsse. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte erwacht und konnte wieder aktiv am Geschehen teilnehmen. 34
BGH NStZ 1998, 83 (84).
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Als T aus der Wohnung geschleift und in der Nähe von Garagen abgelegt wurde, stand der Angeklagte beobachtend dabei. Er ging davon aus, dass der Geschädigte noch nicht verstorben war. Nachdem er an einer Tankstelle Bier gekauft und dieses zusammen mit Teilnehmern des Geschehens getrunken hatte, ging er nach Hause. T verstarb noch in derselben Nacht an den ihm von den übrigen Beteiligten zugefügten Verletzungen. Das LG Neubrandenburg hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt. Der BGH teilte die Auffassung des LG, dass der Angeklagte auf Grund seiner vorherigen Beteiligung an den Gewalthandlungen Garant aus Ingerenz sei, nicht. Stattdessen führte er aus: „Zum einen begegnet die vom LG ,aus Ingerenz‘ hergeleitete Garantenstellung des Angeklagten Bedenken; denn pflichtwidriges Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (. . .). War dem Angeklagten – wovon das LG ausgeht – der Erfolg der Exzesshandlungen anderer nicht zuzurechnen, so kann aus diesen nicht seine Garantenstellung für die Nichtabwendung des späteren Todeseintritts abgeleitet werden (. . .). Allerdings hat das LG nicht – wie es erforderlich gewesen wäre – geprüft und erörtert, ob die Schläge des Angeklagten oder sein sonstiges der Tötung vorausgegangenes Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkten, dass die anderen in ihrem zum Tod führenden Vorgehen bestärkt wurden, und hierdurch eine Garantenstellung des Angeklagten begründet wurde“.35
Darüber hinaus konnte nach der Auffassung des BGH nicht belegt werden, dass bei einem Eingreifen des Angeklagten der Tod des Opfers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Lobenswert ist bei dieser Entscheidung, dass der BGH zunächst einmal verdeutlicht, dass bei einem Exzess des Mittäters eine Zurechnung im Rahmen eines Unterlassungsdelikts nicht ohne Weiteres erfolgen darf. Entscheidend ist für den Senat, wie auch schon in einer vorherigen Entscheidung36, dass durch die Vorhandlung der Weiterungstäter in seinem späteren Verhalten bestärkt wurde. Damit weist der BGH eindeutig darauf hin, dass trotz des Vorliegens eines Mittäterexzesses eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen werden könne, wenn der Vortatbeteiligte durch das Vorverhalten den Weiterungstäter in seinem Entschluss bestärkt habe, und bewegt sich damit wieder auf der Linie des Urteils vom 25.09.1991. Trotz der Kritik, die diese Entscheidungspraxis in der Literatur hervorgerufen hat, sieht sich der BGH aber zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den hiermit verbundenen Problemen nicht veranlasst.
35 36
BGH NStZ 2000, 583. Siehe oben Kap. 1, C. I. 4.
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7. BGH, Urteil vom 12.02.2009 – 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 Einer jüngeren Entscheidung des BGH, die in der Literatur mehrere Reaktionen37 hervorrufen hat, lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der bereits mehrfach vorbestrafte Angeklagte wurde unter anderem wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Diese verbüßte er in der Justizvollzugsanstalt Dortmund, wo er mit dem gesondert verfolgten F sowie P und L in einem Haftraum untergebracht war. F und der Angeklagte haben den schüchternen P über einen längeren Zeitraum immer wieder schwer misshandelt und sexuell genötigt. Für diese Taten wurde der Angeklagte auch verurteilt. Später zwang F den P dazu, auf einen Stuhl zu steigen und seinen Hals in eine an der Decke befestigte Schlinge zu stecken. Dann zog F den Stuhl weg, bis P kurz vor dem Ersticken war, und erlaubte ihm erst dann wieder, auf den Stuhl zu steigen. Der bis dahin an dem Geschehen nicht beteiligte Angeklagte schritt mit den Worten „no, no“ ein, woraufhin F von P abließ. An einem anderen Tag fesselte F, ebenfalls in Anwesenheit des Angeklagten, dem auf einem Stuhl sitzenden P die Hände auf den Rücken und zog ihm eine Plastiktüte über den Kopf. P gelang es in der von ihm als bedrohlich empfundenen Situation – bevor er in „Luftnot“ geriet –, die Fesselung zu lösen und sich die Tüte vom Kopf zu ziehen. In beiden Fällen verneinte das LG Dortmund eine Strafbarkeit des Angeklagten, weil dieser sich nicht aktiv an den Geschehen beteiligt und ihm keine Garantenstellung oblegen habe; insbesondere reiche weder die „vorherige Beteiligung des Angeklagten an den anderen Taten“ noch die „Schaffung einer allgemeinen Gewaltatmosphäre“ aus, um eine Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen.38 Zudem sei nicht hinreichend sicher festgestellt, dass der Angeklagte den zu verhindernden Erfolg billigend in Kauf genommen habe. Der BGH hingegen kassierte das Urteil unter anderem deshalb, weil das LG zu Unrecht eine Garantenstellung des Angeklagten aus Ingerenz verneint hatte. Hierzu führte er aus: Dadurch, dass der Angeklagte gegen P in einem Zeitraum von zwei Wochen nicht nur die abgeurteilten Straftaten, sondern darüber hinaus weitere Demütigungen und Misshandlungen begangen hat, habe er F „zu verstehen gegeben, dass dieser sich bei weiteren Demütigungen und Misshandlungen vergleichbarer Art keine Hemmungen aufzuerlegen brauche, und die Gefahr weiterer Straftaten – zumal angesichts der Zellensituation – für das Opfer deutlich erhöht. Daher traf den Angeklagten grundsätzlich die Pflicht, weitere Straftaten des F zum Nachteil des P zu verhindern“.39
37 Becker, HRRS 2009, S. 242 ff.; Bosch, JA 2009, S. 655 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 93. 38 Die Begründung des LG Dortmund findet sich in BGH BeckRS 2009, 06481. 39 BGH NStZ 2009, 321 (322).
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Dabei folgt der BGH vollständig der Begründung aus dem Urteil vom 25.09.1991. Den Ausschlag für die nachfolgende Garantenstellung des Angeklagten hat somit der psychische Einfluss, den die Vorhandlungen des Angeklagten auf F gehabt haben, gegeben. Trotz der doch beachtlichen Kritik, die bereits gegen das Urteil vom 25.09.1991 ergangen war, sah sich der BGH nicht zu einer Fortentwicklung seiner Rechtsprechung veranlasst. 8. Weitere Entscheidungen des BGH Auch in nachfolgenden Entscheidungen stellt der BGH vorwiegend darauf ab, ob durch die Beteiligung an der Vortat eine Bestärkung des Tatentschlusses des Weiterungstäters erfolgte und dadurch die nahe Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen wurde. a) BGH, Beschluss vom 14.02.2012 – 3 StR 446/11 = NStZ 2012, 379 In dem Beschluss vom 14.02.2012 führte der BGH aus: „Eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun (. . .) setzt voraus, dass das Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts gerade des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeigeführt hat (. . .). Dies kann etwa der Fall sein bei der Beteiligung an Misshandlungen und der anschließenden Tötung des Opfers durch einen anderen Mittäter, wenn das vorausgegangene Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkte, dass der Täter in seinem zum Tode führenden Vorgehen bestärkt wurde“.40 b) BGH, Urteil vom 13.12.2012 – 4 StR 271/12 = BeckRS 2013, 01253 In einer weiteren Entscheidung führte der Senat explizit aus, dass in einem Fall, in dem zum Zeitpunkt der Vorhandlung kein Vorsatz hinsichtlich des späteren Erfolgseintritts festgestellt werden kann, aber bestimmte Äußerungen den Tatentschluss des Weiterungstäters bestärkt haben, eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht kommt. „Denn Äußerungen, die objektiv den Tatbestand der Anstiftung (§ 26 StGB) oder der (psychischen) Beihilfe (§ 27 StGB) erfüllen, sind pflichtwidrig und daher grundsätzlich geeignet eine Garantenstellung zu begründen“.41 9. Zusammenfassende Beurteilung der Rechtsprechung des BGH Die Rechtsprechungsübersicht hat zeigen können, dass der BGH in den Weiterungsfällen häufig eine Garantenstellung aus Ingerenz annimmt, dabei aber auf 40 41
BGH NStZ 2012, 379; hierauf verweist BGH NStZ 2013, 578. BGH BeckRS 2013, 01253.
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eine tiefergehende Begründung hinsichtlich der einzelnen Voraussetzungen verzichtet. Das Erfordernis der nahen Gefahr wird entweder nicht explizit angesprochen oder zum Teil ganz selbstverständlich ohne genauere Auseinandersetzung bejaht. Selbst wenn der BGH das Vorliegen dieses Kriteriums in manchen seiner Entscheidungen ablehnt, wird dennoch nicht ersichtlich, welche Voraussetzungen für die Schaffung einer nahen Gefahr erfüllt sein müssen und wie eine Grenzziehung zu erfolgen hat. Dies gilt gleichermaßen für das Kriterium der Pflichtwidrigkeit. Auffällig ist, dass dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit des Dritten, der letztlich den schweren Erfolg vorsätzlich verursacht, keine besondere Bedeutung beigemessen wird. Während der BGH in den älteren Entscheidungen alleine die vermeintliche Mitursächlichkeit der vorangegangenen Misshandlungen für den späteren Erfolgseintritt ausreichen lässt, findet ab dem Urteil vom 25.09.1991 eine Begründungsmodifikation statt. Basierend auf dieser Entscheidung wird auch für die nachfolgenden Entscheidungen der psychische Einfluss der Vortat auf den Tatentschluss des Weiterungstäters zur zentralen Voraussetzung für die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz. Zugleich wird dieses Kriterium in manchen Fallkonstellationen42 mit der Feststellung, dass das Opfer in eine hilflose Lage gebracht wurde, vermengt, ohne dass ersichtlich wird, in welchem Verhältnis die einzelnen Merkmale zueinander stehen bzw. welche Bedeutung sie für die Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht besitzen. Es ist aber bereits fraglich, unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen werden kann, dass der Vortatbeteiligte dem Weiterungstäter tatsächlich zu verstehen gegeben hat, dass dieser sich bei Weiterungen „keine Hemmungen“ aufzuerlegen brauche. Trotz der zum Teil heftigen Kritik durch die Literatur hat der BGH sich bisher nicht dazu veranlasst gesehen, zu den einzelnen Problemen vertieft Stellung zu nehmen. Daher ist es notwendig, sämtliche Voraussetzungen, die für eine Erfolgsabwendungspflicht aus vorausgegangenem gefährdendem Tun existieren, einer genauen Untersuchung zu unterziehen.
II. Strafbarkeitsmöglichkeiten in den Weiterungsfällen Bevor die Entscheidungspraxis einer eingehenden rechtlichen Kritik unterworfen wird, erscheint es zweckmäßig, zunächst zu untersuchen, weshalb die Rechtsprechung in den hier behandelten Fallkonstellationen zu einem Unterlassungsdelikt gelangt. Es liegt der Gedanke nahe, dass dieses Vorgehen der Schließung von Strafbarkeitslücken dient.43 Dieser umständliche Weg ist unter Umständen überflüssig, soweit andere Strafbarkeitsalternativen zur Verfügung stehen, die das Unrecht der einschlägigen Konstellationen in adäquater Weise zu erfassen im Stande 42 43
So in BGH StV 1982, 218; NStZ 2009, 321 (322). Vgl. BGH NStZ 2004, 89 (91) mit Anm. Schneider.
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sind. Daher soll im Folgenden dargestellt werden, welche Optionen der Rechtsprechung zur Bestrafung des Vortatbeteiligten in den Weiterungsfällen zur Verfügung stehen. 1. Mittäterschaft hinsichtlich der Weiterungstat Zunächst wird ein Gericht feststellen wollen, ob dem Vortatbeteiligten die Weiterungstat im Wege der Mittäterschaft zuzurechnen ist. Vorrangig gerät dabei die Voraussetzung des Tatentschlusses in den Fokus, den die Beteiligten im Hinblick auf den Erfolg gemeinsam gefasst haben müssen. Gemeint ist damit, dass jeder Beteiligte sich die Beiträge des anderen zurechnen lassen will und auf diese Weise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem jeweils anderen handelt.44 In den hier behandelten Fällen haben die Beteiligten regelmäßig gemeinsam Verletzungshandlungen gegen das Opfer verübt, die selbstständig als Straftaten geahndet werden können. Gleichzeitig fehlt es regelmäßig an der Absprache im Hinblick auf den weitergehenden Verletzungserfolg, den einer der Beteiligten im weiteren Verlauf herbeiführt. Selbst wenn die Beteiligten bezüglich der vorangegangenen Verletzungshandlung als Mittäter einzustufen sind, haftet jeder einzelne von ihnen jedoch nur soweit, wie der gemeinsame Tatplan reicht.45 Geht ein Beteiligter mit seinen Handlungen im Verlauf des Geschehens über die Absprache hinaus, liegt bei ihm ein Exzess vor und eine mittäterschaftliche Zurechnung der Beiträge scheidet aus.46 Die Schwierigkeit besteht darin, eine geeignete Grenze zu finden, ab wann von einem Exzess ausgegangen werden kann. Denn je nach Art des Delikts und dessen Ausführung kann dem einzelnen mehr oder weniger Freiheit bei der Deliktsausführung eingeräumt werden. So kommt es insbesondere darauf an, ob mit den Abweichungen nach den Umständen des Falles gerechnet werden konnte bzw. eine verabredete Ausführungshandlung durch eine in Schwere und Gefährlichkeit gleichwertige ersetzt wird.47 Zudem verneint die Rechtsprechung einen Exzess, soweit dem Beteiligten die Handlungsweise seiner Tatgenossen von vornherein gleichgültig ist.48 In den hier vorgestellten Sachverhalten wird man im Einklang mit den Einschätzungen der Gerichte nicht annehmen können, bei den gemeinschaftlich begangenen Verletzungshandlungen habe es grundsätzlich nahe gelegen, dass einer der Täter zur Tötung des Opfers schreiten werde und es sich dabei dann nur noch um eine unwesentliche Überschreitung gehandelt habe, mit der nach den Umständen des Falles zu rechnen gewesen 44
BGHSt 6, 248 (249 f.); NJW 1987, 268; NStZ 1997, 336. RGSt 57, 307 (308); 67, 367 (369); BGHSt 36, 231 (234); NStZ 2013, 400 mit Anm. Hecker, JuS 2013, S. 943. 46 BGHSt 53, 145 (155); NStZ 2012, 563; 2013, 400. 47 BGH NStZ 2000, 33 (34). 48 BGH NJW 1973, 377; NStZ 2005, 71 (72). 45
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sei. Somit ist für die Weiterungsfälle charakteristisch, dass sich dieser gemeinsame Tatentschluss nicht nachweisen lässt und der Weiterungstäter in der Regel einen Exzess begeht.49 Dass der Vortatbeteiligte nach der Vorhandlung zum Zeitpunkt der Weiterungstat möglicherweise den Vorsatz fasst, ist unerheblich, da eine nachträgliche Billigung einen Exzess nicht mehr zum Teil eines gemeinsamen Tatentschlusses machen kann.50 2. Teilnahme an der Weiterungstat Darüber hinaus ist grundsätzlich eine Teilnahme an der Weiterungstat entweder in Gestalt einer Anstiftung oder einer Beihilfe denkbar. Der Wortlaut der §§ 26, 27 StGB verlangt eine Tat, d.h. eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, nicht jedoch schuldhafte Haupttat.51 Dieses sogenannte Prinzip der limitierten Akzessorietät und die damit verbundene Notwendigkeit einer teilnahmefähigen Haupttat sind dadurch erfüllt, dass der Weiterungstäter vorsätzlich und rechtswidrig eine Straftat begeht.52 Weiterhin setzen die §§ 26, 27 StGB voraus, dass der Haupttäter zu der Tat bestimmt (Anstiftung) oder ihm hierzu Hilfe geleistet (Beihilfe) wird. a) Anstiftung zur Weiterungstat Das für die Anstiftung erforderliche Bestimmen kann auf unterschiedliche Art erfolgen, da hierunter nach ständiger Rechtsprechung die Einflussnahme auf den Willen eines anderen zu verstehen ist, die diesen zu dem im Gesetz beschriebenen Verhalten bringt.53 Daher kann der Tatentschluss beim Täter grundsätzlich auch konkludent hervorgerufen werden.54 Die Urteilsfeststellungen äußern sich 49
Besonders bei Weiterungstaten, in denen das Opfer getötet wird, geht der BGH mit der Annahme eines Tötungsvorsatzes restriktiv um, da er – wenn auch oft widersprüchlich und in einer schwer zu systematisierenden Weise – in seiner ständigen Rechtsprechung bezüglich des Vorsatzes bei Tötungsdelikten die Überschreitung einer besonders hohen Hemmschwelle verlangt. Vgl. BGHSt 36, 1 (15); NStZ 2003, 431 f.; NJW 2012, 1524 (1526 f.); kritisch zur sog. „Hemmschwellentheorie“ der Rspr. Verrel, NStZ 2004, S. 309 ff.; siehe aber auch Leitmeier, NJW 2012, S. 2850 ff., der in der jüngeren Rspr. des BGH eine Abkehr von der Hemmschwellentheorie sieht. 50 Es darf in diesen Fällen der nachträglichen Billigung nicht von einem Fall der sukzessiven Mittäterschaft ausgegangen werden, da zum Zeitpunkt der Beendigung der Tat kein gemeinsamer Tatentschluss vorlag. Vgl. Sch/Schr-Heine/Weißer, § 25 Rn. 97. 51 Dies ergibt sich aus § 29 StGB, in dem es heißt, dass jeder Beteiligte ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird. 52 Ausf. zur limitierten Akzessorietät MüKo-StGB/Joecks, Vor §§ 26, 27 Rn. 18 ff. m.w. N. aus Rspr. und Lit. 53 BGHSt 45, 373 (374); NStZ 2000, 421; 2001, 41 (42). Dabei ist im Rahmen des Bestimmens umstritten, ob eine reine Verursachung ausreicht, oder ob weitere Elemente, insb. ein Kommunikationsakt, hinzukommen müssen; vgl. die unterschiedlichen Ansätze bei Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 568. 54 Sch/Schr-Heine/Weißer, § 26 Rn. 4.
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nicht bezüglich expliziter Anstiftungshandlungen. Anknüpfen könnte man insoweit lediglich an die Vorhandlung, da der Weiterungstäter hierdurch möglicherweise zu der Tat veranlasst wurde. Aber es ist für die Weiterungsfälle gerade typisch, dass der Weiterungstäter selbst den Entschluss zu weitergehenden Verletzungshandlungen fasst, so dass eine Anstiftung in der Regel ausscheidet. b) Beihilfe zur Weiterungstat Allenfalls denkbar wäre die Verwirklichung einer Beihilfe zur Weiterungstat. Diese ist in ihrem Anwendungsbereich weiter als die Anstiftung, da hierfür jeder Beitrag ausreicht, durch den die Herbeiführung des Taterfolges durch den Täter in irgendeiner Weise objektiv gefördert wird.55 Damit ist zunächst einmal die physische Beihilfe gemeint, die das technische Hilfeleisten durch „äußere Mitwirkung“ darstellt.56 Diese kommt allerdings in den Weiterungsfällen mangels äußerer, technischer Einwirkung auf das Tatgeschehen durch den Vortatbeteiligten regelmäßig nicht in Betracht, so dass letztlich nur die Möglichkeit der Annahme einer Teilnahme in der Form der psychischen Beihilfe verbleibt. In der Form des Hilfeleistens „durch Rat“ ist die psychische Beihilfe überwiegend anerkannt.57 Dieser Fall, auch kognitive Beihilfe genannt, zeichnet sich dadurch aus, dass der Gehilfe dem Haupttäter einen technischen Rat erteilt.58 In den hier zu behandelnden Fällen liegen aber regelmäßig weder ausdrückliche noch konkludente technische Ratschläge durch den Vortatbeteiligten vor, so dass diese Variante zu vernachlässigen ist. Allenfalls denkbar wäre ein Hilfeleisten durch eine „Bestärkung des Tatentschlusses“. Dieser Form der Beihilfe wird jedoch von Stimmen der Literatur die Existenzberechtigung aberkannt.59 Die Ursache für die Kontroverse in diesem Zusammenhang liegt zum einen in dem Kausalitätsnachweis, der bei Ursachenketten, die über die Psyche einer Person wirken, schwerlich zu führen ist.60 Zum anderen wird der Rechtsprechung vorgeworfen, dass sie die Strafbarkeit wegen psychischer Beihilfe durch Bestärken des Tatentschlusses zu sehr ausdehne.61 Der BGH wendet die Konstruktion hingegen in seiner ständigen Rechtsprechung62 an, wenn auch in seinen jüngeren Entscheidungen in einer restriktiveren Form.63 55
BGH NJW 1996, 2517; 2000, 3010 (3012); NStZ 2001, 364. Vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 12 Rn. 157. 57 Sch/Schr-Heine/Weißer, § 27 Rn. 15; Joecks, StGB, § 27 Rn. 7; Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 225; LK-Schünemann, § 27 Rn. 49 m.N. aus der Rspr. 58 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 12 Rn. 159; Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 225; LK-Schünemann, § 27 Rn. 49. 59 Siehe Hruschka, JR 1983, S. 177 ff. 60 Vgl. hierzu Samson, Hypothetische Kausalverläufe, S. 191 ff. 61 Krey/Esser, Strafrecht AT, § 32 Rn. 1077; siehe auch LK-Schünemann, § 27 Rn. 51. 62 RGSt 73, 52 (53); BGHSt 8, 390 (391); 31, 136; NStZ 2012, 316 f. 56
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In den Weiterungsfällen hat der BGH die Bestärkung des Tatentschlusses nicht im Zusammenhang mit einer psychischen Beihilfe erwähnt. Stattdessen wurde dieser Aspekt für die Begründung einer Unterlassungsstrafbarkeit herangezogen und dargelegt, dass zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz notwendig sei, dass der Täter dem Weiterungstäter zu verstehen gegeben habe, dass er sich hinsichtlich der Weiterungstat keine „Hemmungen aufzuerlegen brauche“ 64 und dass das vorausgegangene Verhalten eine Gefahrerhöhung dadurch bewirkt habe, dass der Weiterungstäter in seinem Vorgehen „bestärkt“ 65 wurde. Auch wenn diese Ausführungen nicht im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen psychischer Beihilfe getätigt wurden, besteht kein Zweifel daran, dass der BGH damit nichts anderes gemeint hat, als dass der Vortatbeteiligte zur Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz durch die Vorhandlung den objektiven Tatbestand der Beihilfe verwirklicht haben muss, indem er den Tatentschluss des Weiterungstäters bestärkt hat. Neuerdings betont der BGH sogar eindeutig, dass die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der psychischen Beihilfe eine Garantenstellung aus Ingerenz nach sich ziehen kann.66 Doch letztlich können genauere Ausführungen zu den Voraussetzungen der Teilnahmehandlung dahinstehen, da in Weiterungsfällen der subjektive Tatbestand regelmäßig nicht erfüllt bzw. nicht nachzuweisen ist. Denn sowohl bei der Anstiftung als auch bei der Beihilfe muss der sog. doppelte Teilnehmervorsatz zum Zeitpunkt der Teilnahmehandlung vorhanden sein.67 Zwar differieren die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand zwischen Anstiftung und Beihilfe erheblich.68 Gemeinsame Voraussetzung der beiden Teilnahmeformen ist aber, dass zum Zeitpunkt des Teilnehmerbeitrages der Täter neben dem Vorsatz bezüglich der Teilnahmehandlung auch Vorsatz hinsichtlich des Erfolgs der Haupttat zumindest in Form des dolus eventualis aufweist. Letztere Voraussetzung ist in den Weiterungsfällen regelmäßig nicht erfüllt. Da das StGB auch keine fahrlässige Teilnahme unter Strafe stellt, muss eine Teilnahmestrafbarkeit in den Weiterungsfällen zwangsläufig ausscheiden. 3. Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten Die Weiterungsfälle zeichnen sich dadurch aus, dass nach einer Straftat eine weitergehende schwerere Rechtsgutsverletzung durch die Weiterungstat verursacht wird. Daher liegt der Gedanke nahe, dass sich der Vortatbeteiligte wegen 63 Vgl. Geppert, Jura 2007, S. 589 (591); Joecks, StGB, § 27 Rn. 9; LK-Schünemann, § 27 Rn. 14 ff. m.w. N. 64 BGH NStZ 1992, 31; 2009, 321 (322). 65 BGH NStZ 2000, 583; 2012, 379 (380). 66 BGH NStZ 2013, 286. 67 Vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 27 Rn. 7; Roxin, Strafrecht AT II, § 26 Rn. 132, 270. 68 MüKo-StGB/Joecks, Vor §§ 26, 27 Rn. 26.
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eines erfolgsqualifizierten Delikts strafbar gemacht haben könnte. Das StGB kennt zahlreiche sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Täter hinsichtlich des Grunddelikts Vorsatz hat, im Hinblick auf die schwere Folge aber nur fahrlässig handelt.69 So kann beispielsweise dadurch, dass in den Weiterungsfällen die Vortat häufig in einer gefährlichen Körperverletzung besteht und das Opfer im Verlauf des Geschehens vom Weiterungstäter getötet wird, die Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB eine weitere Strafbarkeitsalternative darstellen.70 Entscheidend für eine Strafbarkeit aus den erfolgsqualifizierten Delikten ist der Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge, der jedoch bei jedem Delikt gesondert zu bestimmen ist.71 So ist auch für die Annahme einer Körperverletzung mit Todesfolge durch die Handlung des Vortatbeteiligten entscheidend, dass der Tod hierdurch auch „verursacht“ wurde. Dabei genügt nicht alleine Kausalität im Sinne der Bedingungstheorie.72 Es muss stattdessen eine engere Beziehung zwischen Körperverletzung und Todesfolge bestehen.73 Der Eintritt des Todes muss dabei auf der dem Grunddelikt, also auf der der Körperverletzung „spezifisch anhaftende(n) Gefahr“ beruhen.74 Genau an dieser Stelle stellt sich aber dann, wie auch bei der Strafbarkeit aus Ingerenz, die Frage, ob das eigenverantwortliche Dazwischentreten des Dritten die Zurechnung der Vortat zur Folge ausschließt. Die Rechtsprechung verfährt hier wie in den klassischen Regressverbotsfällen und macht die Zurechnung der Todesfolge zur Körperverletzungshandlung davon abhängig, ob sie für den Vortatbeteiligten vorhersehbar war.75 Während in der Lehre Streit darüber herrscht, welche weiteren Kriterien neben der objektiven Zurechnung für den Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge erfüllt sein müssen, ist man sich in der Literatur weitestgehend einig darüber, dass die allgemeinen Voraussetzungen der Erfolgszurechnung vorliegen müssen.76 69 Ausf. hierzu Kühl, Strafrecht AT, § 17a Rn. 2; Roxin, Strafrecht AT I, § 10 Rn. 109. Eine Aufzählung der erfolgsqualifizierten Delikte findet sich bei Sch/Schr-SternbergLieben/Schuster, § 18 Rn. 1. 70 Siehe dazu Heinrich, NStZ 2005, S. 93 (95 ff.), der das Vorgehen des BGH als 3Stufen-Modell bezeichnet und die Annahme einer Körperverletzung mit Todesfolge befürwortet, wenn weder ein gemeinschaftlich begangener Totschlag noch ein Totschlag durch Unterlassen vorliegt. Er verkennt dabei jedoch, dass die Zurechnungsprobleme, die zu einem Ausschluss der Ingerenzverantwortlichkeit führen, auch im Rahmen eines erfolgsqualifizierten Delikts berücksichtigt werden müssen. 71 BGH NJW 1998, 3361 (3362); Kühl, Strafrecht AT, § 17a Rn. 14 ff. 72 BGHSt 38, 295 (298); NJW 1998, 3361 (3362). 73 Kühl, Strafrecht AT, § 17a Rn. 16 f. 74 BGH NStZ 1998, 511 (512); Fischer, StGB, § 18 Rn. 2; Kühl, Strafrecht AT, § 17a Rn. 16. 75 BGH NStZ 2000, 29 (30); 2005, 93 (94). 76 Rengier, Strafrecht BT II, § 16 Rn. 5; Sch/Schr-Sternberg-Lieben/Schuster, § 18 Rn. 4c; ausf. zum Streit um die über die allgemeinen objektiven Zurechnungsvoraussetzungen hinaus erforderlichen Zurechnungskriterien MüKo-StGB/Hardtung, § 18 Rn. 21 ff.
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Aber gerade diese Feststellung ist in den Weiterungsfällen wegen der bereits genannten Probleme nicht ohne Weiteres möglich. Daher soll die Frage hinsichtlich der Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten zunächst noch offen gelassen werden und eine Stellungnahme erst an späterer Stelle erfolgen.77 4. Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt Wie gezeigt wurde, kann in den Weiterungsfällen eine Bestrafung richtigerweise weder im Wege der Mittäterschaft noch im Wege der Teilnahme erfolgen. Selbst wenn eine Bestrafung aus einem erfolgsqualifizierten Delikt in Betracht käme, würde dies die Prüfung eines vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts nicht obsolet machen. Stattdessen kann nur durch die Annahme eines unechten Unterlassungsdelikts das vorsätzliche Unrecht vollständig erfasst werden und eine im Strafmaß dem vorsätzlichen Begehungsdelikt entsprechende Strafe erfolgen, soweit man einmal die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB außer Acht lässt.78 Daher stellt sich für die Gerichte die entscheidende Frage, ob die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts gegeben sind. Einige der tatbestandlichen Voraussetzungen des in Betracht kommenden unechten Unterlassungsdelikts liegen in vielen Entscheidungen unproblematisch vor. Erforderlich ist dabei vor allem, dass der Täter die physisch-reale Möglichkeit zur Abwendung des eingetretenen tatbestandsmäßigen Erfolges hatte und bei Hinzudenken der gebotenen Rettungshandlung der konkrete Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre.79 Diese Voraussetzungen lassen sich vergleichsweise einfach feststellen, soweit der Täter sich während der Weiterungstat am Tatort befindet, das Geschehen richtig einordnen kann und keine Gründe für die Unabwendbarkeit des Erfolges sprechen. Während in der Literatur die objektive Zurechnung auch im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte angewendet wird, hält sich die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang noch zurück und verweist in einzelnen Entscheidungen lediglich auf Teilaspekte der Erfolgszurechnung wie beispielsweise den Schutzzweck der Norm.80 In den Weiterungsfällen hingegen ist der BGH bisher nicht auf den Aspekt der objektiven Zurechnung eingegangen, obwohl der Aspekt der Drittverantwortung in diesem Zusammenhang durchaus relevant ist. Daher wird auf den Aspekt der Erfolgszurechnung im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte an späterer Stelle noch einzugehen sein.81 77 78 79 80 81
Siehe unten Kap. 5, E. Siehe unten Kap. 2, C. VI. 2. Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27 ff., 35 ff. BGH NStZ 2008, 276 (277). Siehe dazu unten Kap. 5, B. II. 2. Siehe dazu unten Kap. 4, B. III. 3.
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Die Annahme des Vorsatzes hinsichtlich des Weiterungserfolges bereitet den Gerichten in der Regel keine Probleme. Man kann dem Vortatbeteiligten in vielen Fällen vorwerfen, dass er, wie es die Rechtsprechung für den Eventualvorsatz als Minimalvoraussetzung fordert, den Erfolg der Weiterungstat für „möglich und nicht ganz fernliegend“ hält und zudem „billigt“, oder anders gesagt: sich mit ihm „abfindet“.82 Da die Rechtsprechung den Vorsatz auch dann annimmt, wenn dem Täter der Erfolgseintritt zwar unlieb ist, er sich aber hiermit abfindet, kann der Vorsatz auch dann bejaht werden, wenn der Vortatbeteiligte zwar verdeutlicht, dass er mit der Weiterungstat nicht einverstanden ist, aber gleichwohl nichts unternimmt. a) Garantenstellung zur Abwendung der Weiterungstat Dreh- und Angelpunkt der Weiterungsfälle besteht in dem Nachweis einer Garantenstellung. Die Verwirklichung eines unechten Unterlassungsdelikts setzt gem. § 13 Abs. 1 StGB voraus, dass der Unterlassende für den Nichteintritt des tatbestandlichen Erfolges rechtlich einzustehen hat. Selbst wenn besonders in Bezug auf das rechtliche Einstehenmüssen im Einzelnen noch vieles umstritten ist, geht doch mittlerweile die ganz h. M. von dem Erfordernis einer Garantenstellung aus, die entweder in Form einer Beschützer- oder aber in Form einer Überwachergarantenstellung bestehen kann.83 Auf der Basis dieser Zweiteilung wird dem Beschützergaranten die Pflicht auferlegt, Rechtsgüter vor bestimmten Gefahren zu schützen, während den Überwachergaranten die Pflicht trifft, Rechtsgüter vor Gefahren zu schützen, die aus einer Quelle resultieren, für die er verantwortlich ist.84 Dabei wird von der h. M. eine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdendem Tun anerkannt, die von der h. L. den Überwachergarantenstellungen zugeordnet wird.85 Die Rechtsprechung fordert für die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz, dass das Vorverhalten die „nahe Gefahr“ für den „Eintritt des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolges“ geschaffen hat.86 Hinsichtlich der Qualität der Vorhandlung verlangt der BGH in der Regel, dass die Vorhandlung pflichtwidrig gewesen sein muss.87 Wie gezeigt werden konnte, nimmt der BGH in den Weiterungsfällen eine Garantenstellung aus Ingerenz an, wenn der Täter durch eine vorhergehende Straftat dem Weiterungstäter 82 BGH NStZ 2011, 338 (339); ausf. zur Rspr. NK-StGB/Puppe, § 15 Rn. 88 ff.; LK-Vogel, § 15 Rn. 102 ff. 83 Hierzu ausf. unten Kap. 3. 84 Siehe unten Kap. 3. 85 Fischer, StGB, § 13 Rn. 15; Freund, Strafrecht AT, § 6 Rn. 58; Joecks, StGB, § 13 Rn. 35 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 70; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 716; a. A. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1146. 86 BGH NJW 1992, 1246 (1247); NStZ 1998, 83 (84); NStZ-RR 2009, 366. 87 Dieses Kriterium wird von der Rechtsprechung aber relativiert. So z. B. in der Lederspray-Entscheidung. Siehe dazu unten Kap. 4, B. I. 2.
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zu verstehen gegeben hat, dass er sich bei weitergehenden Rechtsgutsverletzungen keine Hemmungen aufzuerlegen brauche, und eine Gefahrerhöhung dadurch bewirkt hat, dass er ihn bei seinem weiteren Vorgehen bestärkt hat. Die Untersuchung der Frage, ob, wie der BGH behauptet, auf dieser Grundlage tatsächlich eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun zu befürworten ist, wird das Hauptanliegen dieser Arbeit darstellen. b) Täterschaft oder Teilnahme beim Unterlassungsdelikt Darüber hinaus ist in den Weiterungsfällen im Falle der Annahme einer Garantenstellung die Frage von großer Bedeutung, ob der Unterlassende als Täter oder Teilnehmer zu bestrafen ist. Unterlässt es ein Garant, einen Erfolg abzuwenden, der ohne bewusst menschliches Verhalten herbeigeführt wird, so ist er unproblematisch Täter eines Unterlassungsdelikts.88 Lässt er hingegen zu, dass ein anderer eine Straftat durch aktives Tun begeht, gehen die Ansichten über die Einordnung der Unterlassungstat als Täterschaft oder Teilnahme auseinander.89 Die Frage nach der Beteiligungsform wurde in vielen Entscheidungen ebenfalls problematisiert und ist in den Weiterungsfällen keinesfalls eindeutig und ohne eingehende Untersuchung zu beantworten, so dass an späterer Stelle hierauf noch einzugehen sein wird.90
III. Kritik der Literatur an der Rechtsprechungspraxis Die vorgestellten Entscheidungen veranlassten die Literatur zu einigen Stellungnahmen, die zum Teil aus Zuspruch, aber auch aus heftiger Kritik bestehen. Während bei der Rechtsprechungsanalyse zunächst fallspezifische Bedenken vorwiegend gegen die Tatsachenfeststellungen in den einzelnen Urteilen geäußert wurden, soll es im Folgenden vor allem darum gehen, die Rechtsprechungspraxis im Hinblick auf die gegen sie vorgebrachten dogmatischen Bedenken zu untersuchen. Die Literaturmeinungen bestehen zwar überwiegend aus Anmerkungen zu einzelnen Urteilen, ihr Inhalt ist aber nicht auf Einzelfälle beschränkt. Daher wird eine Analyse der einzelnen Ansichten im Kontext der gesamten Rechtsprechungspraxis erfolgen. 1. Die Stellungnahme von Kurt Seelmann Seelmann widmet sich dem BGH-Urteil vom 25.09.1991. Ihm zufolge liege das Hauptproblem dieser Entscheidung in der Annahme einer Garantenstellung 88 89 90
NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26. Siehe unten Kap. 5, D. Siehe unten Kap. 5, D.
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aus Ingerenz. Er stimmt dem BGH dahingehend zu, dass nicht an die vorausgegangene Handlung selbst angeknüpft werden dürfe, da diese nicht die Gefahr der weitergehenden Verletzungen in physischer Hinsicht hervorgerufen habe. Stattdessen sei die Annahme der Ingerenz nur als eine über den Willen eines anderen verlaufende Gefahrrealisierung denkbar.91 Seelmann sieht in der der Entscheidung zu Grunde liegenden Fallkonstellation eine Parallele zu den klassischen Regressverbotsfällen,92 da auch in den hier behandelten Konstellationen dem Vortatbeteiligten im Hinblick auf die Weiterungstat zum Zeitpunkt seines Handelns kein Vorsatz nachgewiesen werden könne. Zwar könne man deshalb die Verantwortung des Vortatbeteiligten nicht generell verneinen. Es sei aber gleichermaßen verfehlt, die reine Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung für die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz genügen zu lassen. Aus diesem Grund müsse man die im Zusammenhang mit der klassischen Regressverbotsproblematik entwickelten Kriterien fruchtbar machen und die Gründe für einen Ausschluss der Zurechnung heranziehen.93 Als mögliche Ansatzpunkte für einen Zurechnungsausschluss nennt Seelmann die in diesem Zusammenhang bekannten Kriterien des „erlaubten Risikos“, des „Vertrauensgrundsatzes“ und des „Prinzips der Eigenverantwortlichkeit“. Dabei könnten die von der Literatur im Rahmen der Regressverbotsproblematik entwickelten Merkmale herangezogen werden, die eine Strafbarkeit davon abhängig machten, ob eine „erkennbare Tatgeneigtheit“ des Weiterungstäters gefördert werde, der Vortäter „seine Verhaltensweise selbst als Teil eines Deliktsplans definieren“ müsse, er sein Verhalten „Plänen anderer anpass(e), die nur deliktisch motiviert sein können“ oder ob die Vortat zu dem Schluss führe, dass „der Deliktsbeitrag nicht lediglich als möglicher, sondern als ihr einzig denkbarer Zweck erschein(e)“.94 Abschließend kommt Seelmann zu dem Ergebnis, dass in Anwendung all dieser Kriterien eine Zurechnung eher zu verneinen sei, begründet dies aber nicht genauer. 2. Die Stellungnahme von Ulfrid Neumann Neumanns Anmerkung bezieht sich ebenfalls auf das BGH-Urteil vom 25.09.1991. Seiner Ansicht zufolge kann die Begründung des entscheidenden Senats nicht überzeugen.95 Er rügt, dass der BGH die besonderen Zurechnungsprobleme vernachlässige, indem er zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz auf die Gefahrschaffung bzw. deren Erhöhung allein durch die Bestärkung 91
Seelmann, StV 1992, S. 415 (417). Seelmann, StV 1992, S. 415 (417). 93 Seelmann, StV 1992, S. 415 (417). 94 Seelmann, StV 1992, S. 415 (417) m.w. N. aus der Lit.; zu den im Bereich der Regressverbotsproblematik existierenden Ansichten siehe unten Kap. 5, A. 95 Neumann, JR 1993, S. 159 (162). 92
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eines vorsätzlich und voll verantwortlich handelnden Dritten abstellt. Die Rechtsprechung verkenne dabei die eigentliche Problematik der Konstellation, die in der strafrechtlichen Verantwortung für die Förderung eines freiverantwortlich gefassten Tatentschlusses eines Dritten liege.96 Auch für Neumann handelt es sich hierbei um einen zur Regressverbotsproblematik parallel verlaufenden Fall, der lediglich statt der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit das vorsätzliche Unterlassungsdelikt nach vorangegangenem Tun betreffe.97 Besonders deutlich werde die Schwäche der Vorgehensweise der Rechtsprechung bei einer Betrachtung der Regeln von Täterschaft und Teilnahme. Denn aus der Annahme einer Unterlassungsstrafbarkeit resultiere die Gefahr „inkonsistenter Zurechnungsregeln“.98 Um dies zu verdeutlichen zeigt Neumann auf, dass sowohl Anstifter als auch Gehilfe bei einer vorsätzlichen Schaffung bzw. Erhöhung der Gefahr für einen Deliktserfolg nicht als Täter, sondern als Teilnehmer bestraft würden. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn jemand einen anderen zu seinem Verhalten vorsätzlich bestimmt bzw. ihm dazu Hilfe leistet. Es könne daher nicht richtig sein, jemanden, der unvorsätzlich eine freiverantwortliche Tat eines Dritten gefördert hat und damit nicht mal als Teilnehmer strafbar ist, auf dem Umweg über § 13 StGB als Täter aus einem Unterlassungsdelikt zu bestrafen. Dies sei aber, wie Neumann anmerkt, nach der Ansicht der Rechtsprechung ohne Weiteres möglich, sobald sie die subjektiven Voraussetzungen für die Täterschaft beim Unterlassungsdelikt bejaht.99 Um diesen Kollisionen aus dem Weg zu gehen, müsse über die Voraussetzungen von Kausalität und Gefahrerhöhung hinaus eine Einschränkung gefunden werden, die zum Teil schon im Rahmen der Regressverbotsproblematik oder unter dem Aspekt des Verantwortungsprinzips vorgeschlagen wurde. Doch deutet Neumann an, dass beispielsweise das Kriterium der Sozialadäquanz keine angemessene Grenzziehung ermögliche, betreffe es doch nur die Qualität der Handlung, nicht jedoch das eigentliche Problem, nämlich die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.100 Wie genau eine Grenzziehung erfolgen soll, lässt Neumann offen. Die Besonderheit des Falles liege jedenfalls darin, dass sich in der hier besprochenen Fallkonstellation die „Gefährdung des Opfers in einer (unvorsätzlichen) Beeinflussung des zum Tatentschluss führenden Motivationsprozesses des Täters erschöpft“.101 Für diesen Motivationsprozess treffe jedoch allein den Täter die Verantwortung, sofern nicht wegen einer vorsätzlichen Förderung des Tatentschlusses wegen einer Teilnahme zu bestrafen sei. Aus diesen Gründen 96
Neumann, JR 1993, S. 159 (161). Neumann, JR 1993, S. 159 (161). 98 Neumann, JR 1993, S. 159 (162). 99 Neumann, JR 1993, S. 159 (162). 100 Neumann, JR 1993, S. 159 (162). 101 Neumann, JR 1993, S. 159 (162). 97
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seien in dieser speziellen Fallkonstellation eine Gefahrerhöhung und damit eine Unterlassungsstrafbarkeit aus Ingerenz nicht anzuerkennen. Abschließend spricht Neumann die Möglichkeit an, eine Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung anzunehmen, wenn das Verhalten des Vortatbeteiligten mitursächlich für die hilflose Lage des Opfers war. Ohne näher auf damit verbundene neue Abgrenzungsschwierigkeiten einzugehen, könne ihm zufolge das Versetzen in die hilflose Lage die Garantenpflicht rechtfertigen.102 3. Die Stellungnahme von Günther Jakobs Jakobs nimmt zu mehreren der zuvor ausführlich dargestellten Entscheidungen103 Stellung und wendet sich dabei explizit gegen die Anmerkung Neumanns, demzufolge jeder zunächst einmal selbst dafür verantwortlich sei, wenn er die Mitwirkung eines anderen an einer vorhergehenden Straftat zum Anlass für eine Weiterungstat nimmt.104 Eine Beschränkung nur deshalb anzunehmen, weil zum Zeitpunkt der Vortat kein Vorsatz hinsichtlich der Weiterungstat besteht, werde „dem modernen Stand der Dogmatik nicht gerecht“, da für die Strafbarkeit wegen Unterlassung die subjektive Komponente zum Zeitpunkt der Vorhandlung „allenfalls nachrangig“ sei.105 Stattdessen sei maßgeblich, „welches unerlaubte Risiko der Vortatbeteiligte durch seine Beteiligung gesetzt“ habe.106 Dieses Risiko könne dann nicht durch mangelnden Vorsatz zum Zeitpunkt der Vorhandlung oder durch eine begrenzende Absprache eingeschränkt werden. Nicht der Wille des Beteiligten sei demnach ausschlaggebend, sondern alleine die objektive Bedeutung seiner Handlung. In der von Jakobs besprochenen Entscheidung könne die Handlung objektiv durchaus auch die Gefahr der Tötung bedeutet haben, weshalb er in diesem konkreten Fall entgegen Neumann ein Regressverbot ablehnt.107 Er begründet dies damit, dass die Vorhandlung beim klassischen Regressverbotsfall im Gegensatz zum von ihm besprochenen Fall bei „objektiver Beurteilung“ der Vorhandlung keine „deliktische Bedeutung“ habe.108 Jakobs erwähnt zur Veranschaulichung ein Beispiel, bei dem einem von zwei Teilnehmern einer Prügelei eine Schusswaffe in der begründeten Annahme zugesteckt wird, dass er auf Grund der hieraus resultierenden Überlegenheit im Kampf von weiteren Verletzungshandlungen absieht.109 Wenn stattdessen der nunmehr bewaffnete
102 103 104 105 106 107 108 109
Neumann, JR 1993, S. 159 (162). BGH NStZ 1985, 24; 1992, 31 f.; 1998, 83 f. Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (44 f.). Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45). Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45). Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45 Fn. 78). Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45 Fn. 78). Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45 Fn. 78).
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
Schläger zum Schuss ansetze, so habe der Waffengeber den Erfolg abzuwenden. Die Verantwortung für den Vortäter ende selbst dann nicht, wenn seine Beteiligung subjektiv begrenzt war, sondern gehe so weit, wie die Vortat aus objektiver Sicht in dem konkreten Kontext des Geschehens verstanden werden konnte. Für den Fall, dass das Opfer durch die Vortat in eine hilflose Lage gebracht werde, könne ohne Weiteres eine Garantenstellung angenommen werden. Denn habe die Hilflosigkeit des Opfers die Weiterungstat erleichtert, so liege die Annahme einer Unterlassungstat im „allgemein gebilligten Rahmen“.110 4. Die Stellungnahme von Walter Stree Stree widmet sich in seinem Beitrag vorwiegend dem BGH-Beschluss vom 22.12.1981. Er moniert, dass der BGH in seiner Entscheidung weder auf das Kriterium der nahen Gefahr, noch auf das der Pflichtwidrigkeit näher eingegangen ist.111 In diesem Zusammenhang wirft er die rhetorische Frage auf, ob eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Kriterien überhaupt notwendig sei. Man könne stattdessen in einer vorangehenden mittäterschaftlich begangenen Gewalthandlung grundsätzlich die nahe Gefahrschaffung für eine folgende Verdeckungstat erblicken.112 Diese Schlussfolgerung lehnt Stree jedoch ab und will stattdessen danach fragen, ob die nachfolgende Gewalthandlung, also die Verdeckungstat, ohne Mitwirkung des Mittäters unterblieben wäre. Im Falle einer positiven Antwort auf die vorangegangene Frage soll dann die Annahme einer „nahen Gefahr“ legitim sein. Dabei spielen sowohl Aspekte wie räumliche und zeitliche Nähe als auch andere konkrete Umstände wie z. B. die Schwere der Tat eine Rolle.113 Im von ihm besprochenen Fall sieht er die Annahme des BGH, dass durch die Vortat die nahe Gefahr für den späteren Erfolgseintritt geschaffen wurde, als korrekt an und bemängelt daher lediglich die unzureichende Begründung des Senats. Stree betont jedoch, dass die Annahme einer „nahen Gefahr“ alleine nicht genügen könne, um die Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen und belegt diese These anhand mehrerer Beispiele aus der Rechtsprechung. Er hebt besonders das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit hervor, indem er betont, dass dieses Faktum beim Verdeckungstäter sowohl bei der mittäterschaftlich begangenen Vorhandlung als auch bei der nachfolgenden Tat regelmäßig vorliege. Aus diesem Grund müsse zusätzlich zum Kriterium der nahen Gefahr noch ein weiterer 110
Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (45). Stree, in: FS Klug, S. 395 f. 112 Stree, in: FS Klug, S. 395 f. 113 Stree, in: FS Klug, S. 395 (396 Fn. 5) geht davon aus, dass bei Bagatelldelikten ein Verdeckungsmord unwahrscheinlich und daher in diesen Fällen eine nahe Gefahr eher zu verneinen sei. 111
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Faktor, nämlich die rechtliche Verantwortung, hinzutreten. Diese sei nur dann anzunehmen, wenn der Täter „entgegen rechtlichen Pflichten die Gefahr des Erfolgseintritts hervorgerufen hat“.114 Gemeint ist damit, dass für die Annahme einer Ingerenzgarantenstellung die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung vorliegen müsse. Stree zufolge dürfe die Pflichtwidrigkeit allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Erforderlich sei vielmehr, dass die Pflichtwidrigkeit „Vorschriften zuwiderläuft, die das weitere Geschehen verhindern“ sollen.115 Es müsse daher ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Vorhandlung und dem späteren Erfolg bestehen. Auf dieser Grundlage gelangt er zu dem Ergebnis, dass bei Exzesshandlungen eines Beteiligten eine Erfolgsabwendungspflicht des Vortäters aus Ingerenz zu verneinen sei, mögen die Vor- und die Exzesstat auch besonders „enge Bezugspunkte“ aufweisen.116 Es verbleibe dann letztlich bei dem Aspekt des Herbeiführens einer „hilflosen Lage“ des Opfers, der für eine Anknüpfung fruchtbar gemacht werden könne.117 Habe demnach die Vortat zur Wehrlosigkeit des Opfers geführt, so könne hieraus die Pflicht abgeleitet werden, drohende Schäden von jenem abwenden zu müssen. Allerdings müsse dann wiederum entschieden werden, ob das Verursachen der hilflosen Lage dazu verpflichte, jede denkbare Gefahr für das Opfer zu verhindern. Dies verneint Stree zum Beispiel, wenn auf eine Verletzungshandlung eine Tat gegen das Eigentum folgt.118 Dementsprechend wirkt die Verursachung der hilflosen Lage nur dann ingerenzbegründend, soweit ihr spezifisches Risiko sich in der späteren Gefährdung realisiert. Dies sei jedoch unabhängig von dem betroffenen Rechtsgut auch dann abzulehnen, wenn die Vortat nicht die „unmittelbare Gefahr“ für die spätere Tat geschaffen hat. Annehmen könne man dies in Fällen, in denen der Täter das Opfer verletzt und hilflos in der Kälte liegen lässt. Zu den Auswirkungen, die eindeutig nicht auf der unmittelbaren Gefahr der Verletzung beruhen, zählt Stree auch die Taten, die von einem Dritten eigenständig und bewusst unter Ausnutzung der hilflosen Lage begangen werden. Dies gelte selbst dann, wenn durch die Tat des Dritten Rechtsgüter beeinträchtigt werden, die schon durch die Vortat verletzt wurden.119 Somit reicht für Stree auch in den Fällen des Versetzens in eine hilflose Lage die Vorhandlung nicht aus, um in den Weiterungsfällen eine Erfolgsabwendungspflicht für die nachfolgende eigenverantwortliche Tat zu begründen.
114 115 116 117 118 119
Stree, in: FS Klug, S. Stree, in: FS Klug, S. Stree, in: FS Klug, S. Stree, in: FS Klug, S. Stree, in: FS Klug, S. Stree, in: FS Klug, S.
395 (398). 395 (399). 395 (401). 395 (402 f.). 395 (403). 395 (404).
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
5. Die Stellungnahme von Harro Otto Der Beitrag von Otto120 widmet sich nicht nur einer einzelnen Entscheidung, sondern befasst sich mit der gesamten Rechtsprechungspraxis in den hier behandelten Weiterungsfällen und den damit verbundenen Problemkreisen. Er hat erhebliche Zweifel an der Art und Weise, mit der der BGH in den besprochenen Fällen zu einer Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdendem Tun gelangt. Otto kritisiert, dass die Rechtsprechung dem Täter unterstelle, er habe durch seine Vortat dem Nachfolgetäter zu verstehen gegeben, dass er sich keine Hemmungen aufzuerlegen brauche, und ihn damit in seinem Tatentschluss bestärkt. Hierdurch werde die eigentliche Problematik, wann ein Vortäter für die kriminelle Motivation eines anderen verantwortlich ist, nicht zufriedenstellend erörtert. Er bezweifelt, dass durch diese psychische Einflussnahme der selbstständig zur Tat Entschlossene tatsächlich soweit in seinem Tatentschluss bestärkt werde, dass er noch entschlossener sei.121 Diese Annahme beruhe letztlich auf einer „Fiktion“.122 Daher bestreitet Otto, dass in den Fällen die Mitwirkung an der Vortat die nahe Gefahr des Erfolgseintritts begründe und gelangt schlussendlich zu dem Ergebnis, dass die Ingerenz als Grundlage für eine Strafbarkeit durch Unterlassen ungeeignet sei. Dennoch erkennt er an, dass es dem Rechtsempfinden widerstreben würde, wenn der an schweren Misshandlungen beteiligte Vortäter keinerlei Verantwortung für die späteren Schäden zu tragen hätte und nur wie ein beliebiger Dritter behandelt würde.123 Otto sieht die Lösung dieses Dilemmas in einem Merkmal, das zum Teil auch von den Gerichten angesprochen wurde. Gemeint ist die Herbeiführung einer hilflosen Lage des Opfers durch den Vortatbeteiligten. 124 Er weist darauf hin, dass die Garantenstellung aus Ingerenz und die Garantenstellung aus der Übernahme einer Schutzfunktion „weitgehende Gemeinsamkeiten aufweisen“.125 Denn Letztere setze ebenfalls eine Gefahrschaffung in dem Sinne voraus, dass das „Risiko für die körperliche Unversehrtheit des Hilfsbedürftigen“ erhöht werde, indem beispielsweise andere Rettungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Vergleiche man demnach den Fall, in dem jemand durch sein Hilfeleisten die Gefahr steigert, mit demjenigen, in dem jemand durch seine Tat einen anderen durch Gewalttaten in eine hilflose Lage bringt, so würde es zu einem „kaum er120 121 122 123 124 125
Otto, in: FS Geppert, S. 441 ff. Vgl. auch Neumann, JR 1993, S. 159 (162). Otto, in: FS Geppert, S. 441 (453). Otto, in: FS Geppert, S. 441 (455). Otto, in: FS Geppert, S. 441 (455 ff.); so auch Neumann, JR 1993, S. 159 (162). Otto, in: FS Geppert, S. 441 (455).
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klärbaren Wertungswiderspruch“ führen, beide unterschiedlich, d. h. Letzteren wie einen beliebigen Dritten zu behandeln.126 Die Verantwortung für die Hilflosigkeit des Opfers sei somit das für die Entstehung einer Garantenstellung entscheidende Element.127 Otto weist darauf hin, dass es sich hierbei um einen Gedanken handelt, der in der Literatur durchaus Niederschlag gefunden habe.128 Schließlich nimmt Otto auch zum Umfang der Haftung für die Nachfolgetat Stellung. Grundsätzlich habe derjenige, der die Hilflosigkeit des Opfers verursacht hat, die Pflicht, nicht nur weitere Taten durch die vorherigen Beteiligten zu verhindern, sondern darüber hinaus auch rechtsgutsbeeinträchtigende Taten beliebiger Dritter zu unterbinden. Dabei ist für Otto die Vorhersehbarkeit der späteren Tat zum Zeitpunkt der Vortat irrelevant.129
IV. Kritische Auseinandersetzung mit den Literaturauffassungen 1. Kritik an der Stellungnahme von Kurt Seelmann Seelmann macht innerhalb seiner Urteilsanmerkung deutlich, dass das zentrale Problem der Fallkonstellation der klassischen Regressverbotsproblematik sehr nahe steht. Daher möchte er auch die in diesem Zusammenhang entwickelten Lösungsansätze entsprechend heranziehen. Ihm ist darin zuzustimmen, dass bei näherer Betrachtung der einschlägigen Fälle weder eine generelle Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Vortatbeteiligten für die Weiterungstat noch die undifferenzierte Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht aus Ingerenz geboten ist. Daher ist es durchaus überlegenswert, die Kriterien, die sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre zur Lösung der klassischen Regressverbotsfälle herangezogen werden, auch in den Weiterungsfällen anzuwenden. Es drängt sich dabei aber unweigerlich die Frage auf, ob diese Übertragung möglich ist und, wenn ja, ob der Streitstand unverändert auf die Weiterungsfälle übertragen werden kann oder ob er an die besonderen Gegebenheiten dieser Fallkonstellation angepasst werden muss. Denn immerhin kommen in der hier zentral zu behandelnden Fallkonstellation, wie bereits zuvor verdeutlicht wurde, weitere Merkmale hinzu.130 Es scheint nämlich fraglich, ob die von Seelmann vorge126
Otto, in: FS Geppert, S. 441 (457). Einen Grenzfall sieht er in der BGH-Entscheidung vom 12.02.2009, da hier die Hilflosigkeit nicht auf den Verletzungsfolgen in physischer Hinsicht basierte, sondern aus der „Atmosphäre der Gewalt“ resultierte, die für das Opfer die Aussichtslosigkeit jeglicher Abwehr bedeutete. 128 So verweist Otto auf Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 46 Rn. 100 ff. sowie auf Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (44 ff.), der die hilflose Lage zwar als Grund für die Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht heranzieht, allerdings keine Aussage darüber trifft, um welche Art von Garantenstellung es sich dabei handeln soll. 129 Otto, in: FS Geppert, S. 441 (458). 130 Siehe oben Kap. 1, C. 127
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
schlagenen Kriterien, wie beispielsweise das „erlaubte Risiko“, überhaupt dazu geeignet sind, in den hier zu behandelnden Fällen weiterzuhelfen, da die Vortaten eigenständige Straftaten darstellen und eben nicht, wie in vielen klassischen Regressverbotskonstellationen, wie Neumann zu Recht bemerkt, rechtlich neutral bzw. sozialadäquat sind. Daher wird an späterer Stelle genau untersucht werden, ob und inwiefern die zur Regressverbotsproblematik entwickelten Lösungsansätze für die Lösung der Weiterungsfälle übertragen werden können.131 2. Kritik an der Stellungnahme von Ulfrid Neumann Neumann nimmt eine weitaus kritischere Position als Seelmann ein und spricht sich vehement gegen eine Zurechnung aus. Ihm ist zunächst zugutezuhalten, dass er in ausführlicher Art und Weise auf die Probleme aufmerksam macht, die mit der Rechtsprechungspraxis einhergehen. Es ist in der Tat zweifelhaft, ob das Verhalten des Vortatbeteiligten tatsächlich eine Gefahrerhöhung für die spätere Tötung des Opfers bewirkt. Dies mag von Fall zu Fall ganz unterschiedlich zu bewerten sein und kann unter Umständen durchaus bejaht werden. Damit ist aber noch nichts über die Strafwürdigkeit dieses Verhaltens gesagt. Insofern weist Neumann zu Recht auf den Kern des Problems hin, das in der viel zu unkritischen Vorgehensweise der Rechtsprechung liegt. Der BGH entzieht sich der gebotenen Auseinandersetzung mit den Zurechnungsproblemen, die angesichts der Eigenverantwortlichkeit des Dritthandelnden im konkreten Fall zu wünschen gewesen wäre. Eindrucksvoll veranschaulicht Neumann die drohende Kollision mit den Regeln über Täterschaft und Teilnahme. Hierdurch wird deutlich, dass eine Bestrafung aus einem Unterlassungsdelikt unter Inkaufnahme möglicher Wertungswidersprüche mit den Teilnahmeregeln – sofern man diese hinnehmen möchte – einer überzeugenden Begründung bedarf. Für Neumann sind sie nicht hinnehmbar, weshalb er einen Zurechnungsausschluss annimmt. Wie die Abgrenzung erfolgen soll, lässt er bewusst offen, wenngleich er die Möglichkeit einer Garantenstellung wegen des Versetzens in eine hilflose Lage als Anknüpfungspunkt vorschlägt. Letzteres lässt die Frage aufkommen, inwieweit daraus eine Garantenstellung resultieren kann und ob sich hieraus ein Kriterium zur Lösung der hier behandelten Fälle entwickeln lässt. 3. Kritik an der Stellungnahme von Günther Jakobs Jakobs macht in seiner Anmerkung deutlich, dass es für die Unterlassungsstrafbarkeit in den Weiterungsfällen nicht entscheidend sei, ob der Vortäter im Zeitpunkt der Tat schon den Vorsatz im Hinblick auf die spätere Weiterungstat hatte. Einzig und allein das Risiko, das der Vortäter objektiv gesetzt hat, sei hier131
Siehe unten Kap. 5, A.
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für maßgeblich. Interessant ist hierbei, dass Jakobs auf diese Weise den eventuell bestehenden vorherigen Beteiligungskonstellationen mit ihren subjektiven Unterschieden gänzlich die Bedeutung für das später in Betracht zu ziehende Unterlassungsdelikt nimmt. Es macht bei dieser Betrachtungsweise dann keinen Unterschied, ob die Vortat in einer gemeinschaftlich begangenen schweren Misshandlung liegt oder etwa in der Weise geschieht, dass eine Person, ohne einen tatsächlich bestehenden Streit zu bemerken, jemandem in dem Glauben einen Kugelschreiber leiht, er würde nur eine Notiz machen wollen, und dieser stattdessen den Stift dazu verwendet, dem Opfer ein Auge auszustechen. Solange das Verhalten des Vortatbeteiligten im Kontext des Gesamtgeschehens in objektiver Hinsicht eine deliktische Bedeutung für die Weiterungstat besitzt, lasse sich Jakobs zufolge ein Unterlassungsdelikt in Betracht ziehen. Es ist richtig, dass die subjektive Komponente des Vortatbeteiligten zum Zeitpunkt der Vortat für die Strafbarkeit aus Ingerenz zunächst einmal nicht relevant ist. Gleichzeitig besteht aber, wovor schon Neumann gewarnt hat, die Gefahr, dass Friktionen mit den Regeln von Täterschaft und Teilnahme auftreten können, wenn jemand, der mangels Vorsatzes nicht mal Gehilfe für eine Weiterungstat ist, für denselben Erfolg als Täter eines Unterlassungsdelikts bestraft wird. Doch lässt man diesen Aspekt beiseite, so stellt sich immer noch die Frage, ob die Vorhandlung trotz des dazwischengeschalteten freien Willens des Weiterungstäters die nahe Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen haben kann. Jakobs problematisiert nicht weiter, ob möglicherweise die freiverantwortliche Handlung des Weiterungstäters schon der Annahme dieses Merkmals entgegenstehen könne. Auffällig ist zudem, dass Jakobs in den Fällen, in denen das Opfer durch die Mitwirkung des Täters in eine hilflose Lage gebracht wurde, grundsätzlich eine Garantenstellung aus Ingerenz für allgemein billigenswert erachtet. Ob es sich dabei um eine Garantenstellung aus Ingerenz handelt oder doch um eine Beschützergarantenstellung bzw. ob diese Unterscheidung überhaupt relevant ist, wird aus der Anmerkung Jakobs’ nicht ersichtlich. Dass jedenfalls letztlich weder Gerichte noch Literatur bisher den richtigen Weg zur Lösung dieser Fälle gefunden haben, gibt Jakobs selbst zu.132 4. Kritik an der Stellungnahme von Walter Stree Stree gehört zu den Stimmen in der Literatur, die in den Weiterungsfällen eine besonders restriktive Meinung im Hinblick auf eine Strafbarkeit aus Ingerenz vertreten. Im Gegensatz zu Otto will Stree jedoch den Faktor der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen des für die Ingerenz zu fordernden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs berücksichtigen. Das Erfordernis einer nahen Gefahrschaffung hält 132
Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (44).
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er auch in den hier behandelten Konstellationen für möglich und macht es lediglich davon abhängig, ob das Vorverhalten mitursächlich für die spätere Weiterungstat war. Ob reine Mitursächlichkeit das ausschlaggebende Kriterium für die Annahme einer nahen Gefahr sein soll, muss zumindest kritisch hinterfragt werden.133 Wenn Stree allerdings das Kriterium der nahen Gefahr durchaus für einige Fallkonstellationen annehmen möchte, so ist es dann auch konsequent, die Problematik des eigenverantwortlichen Handelns des Weiterungstäters im Rahmen des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges zu verorten. Wird das Merkmal der Pflichtwidrigkeit so verstanden, dass nur eine solche relevant ist, die den Vorschriften zuwiderläuft, die das weitere Geschehen verhindern sollen, so ist dies der korrekte Ort um unter normativen Zurechnungsaspekten das Problem zu erörtern.134 Ob es dann auch richtig ist, die Zurechnung in den hiesigen Fallkonstellationen zu verneinen, wird noch genauer zu untersuchen sein.135 Besonders hervorgehoben wird von Stree das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage durch die Vortat. Dabei wird von ihm in überzeugender Weise darauf aufmerksam gemacht, dass, selbst wenn man diese Tatsache als Begründung für eine Garantenstellung aus Ingerenz heranzieht, man genau festlegen müsse, wie weit eine solche reichen dürfe. Er begrenzt die Reichweite der Erfolgsabwendungspflicht auf solche Gefährdungen, die „das spezifische Risiko der hilflosen Lage darstellen“. Die Schlussfolgerung, dass bei dieser Grenzziehung die Auswirkungen ausgenommen werden, die durch die freiverantwortliche Straftat begangen werden, muss jedenfalls kritisch hinterfragt werden. 5. Kritik an der Stellungnahme von Harro Otto Ottos Verdienst liegt unabhängig von den Vorschlägen, die er zur Lösung der Weiterungsfälle erbringt, darin, dass er die Bedeutung dieser Fallkonstellation erkannt und dieser Thematik eigens einen Aufsatz gewidmet hat, der sich ausführlich mit der Rechtsprechungspraxis und den hierzu existierenden Stimmen aus der Literatur auseinandersetzt. In überzeugender Weise macht er deutlich, dass der Weg des BGH, die Ingerenz über die Bestärkung des Tatentschlusses bzw. die Beseitigung von Hemmungen zu begründen, mit erheblichen Schwierigkeiten
133 So auch Otto, in: FS Geppert, S. 441 (445), der Strees Begriff der nahen Gefahr als „inhaltsleer“ bezeichnet. 134 In dieser Form handelt es sich aber um Erwägungen, die den Schutzzweck der Norm betreffen und somit nicht um das verbreitete Verständnis des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges, bei dem im Zusammenhang mit einem Fahrlässigkeitsdelikt danach gefragt wird, ob der Erfolg auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Siehe dazu unten Kap. 5, B. II. 2. 135 Siehe dazu Kap. 5, B. II.
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verbunden ist. Er legt anschaulich dar, dass aus den Urteilsbegründungen nicht ersichtlich wird, weshalb der Einfluss des Vortäters auf die Motivationslage des Zweithandelnden die Strafbarkeit aus einem Unterlassungsdelikt zu tragen vermag. Gleichzeitig deutet er aber auch auf einen möglichen Wertungswiderspruch hin, der drohe, wenn man in den Fällen, in denen das Opfer durch die Vortat in eine hilflose Lage versetzt wird, den Vortäter mit jedem beliebigen Dritten gleichsetzen würde. Damit hat Otto das Dilemma zwischen der dogmatisch schwer zu begründenden Unterlassungstat einerseits und den mit einem Freispruch unweigerlich einhergehenden Bedenken des Rechtsempfindens andererseits auf den Punkt gebracht. Zuzustimmen ist ihm darin, dass es äußerst fragwürdig erscheint, die bloße Mitwirkung an der Vortat und den damit verbundenen vermeintlichen Einfluss auf die Motivation des Täters für die Annahme der Ingerenz genügen zu lassen. Er kritisiert völlig zu Recht, dass aus den Urteilen des BGH nicht ersichtlich wird, welche Kriterien dieser für die Schaffung einer nahen Gefahr heranzieht. Ebenfalls überzeugend ist, dass Otto dem Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage eine entscheidende Rolle zukommen lässt. Die Ähnlichkeit mit einer Beschützergarantenstellung leuchtet durchaus ein und wird von ihm anhand des Vergleichs mit demjenigen, der durch seine Hilfe die Lage des Opfers verschlechtert, gestützt. Doch ist damit noch nichts darüber gesagt, ob auf Grund dieser wertungsmäßigen Ähnlichkeit auch der Schluss gezogen werden darf, dass eine Beschützergarantenstellung tatsächlich vorliegt; wobei ohnehin nicht abschließend geklärt ist, welche Rechtsfolgen aus dieser Annahme resultieren sollen. Diese These lässt sich nur dann halten, wenn sie von einer fundierten, an der Systematik der Garantenstellungen orientierten Begründung getragen wird. Die Aussage, dass dieser Gedanke in der Literatur „Niederschlag gefunden“ habe, reicht hierfür noch nicht. Auch die Konsequenz Ottos, bei Bestehen einer Beschützergarantenstellung auf die Vorhersehbarkeit der schweren Folge gänzlich zu verzichten, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Ein Verzicht auf dieses Kriterium könnte zu einer uferlosen Ausweitung der Haftung des Vortatbeteiligten führen.
V. Zwischenfazit zur Rechtsprechung des BGH in den Weiterungsfällen und der Kritik aus der Literatur Die erfolgte Darstellung der Vorgehensweise des BGH und der hierauf beruhenden Kritik durch die Literatur hat die zentralen Probleme der Weiterungsfälle offengelegt. Zunächst einmal ist deutlich geworden, weshalb die Rechtsprechung dazu neigt, in diesen Fällen eine Unterlassungsstrafbarkeit aus Ingerenz anzunehmen. Denn andere in Unrechtsgehalt und Strafmaß gleichwertige Alternativen bestehen, wie gezeigt werden konnte, nicht. Es ist auch durchaus nachvollziehbar, dass es dem gerichtlichen Rechtsempfinden widerstrebt, den Vortatbeteilig-
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Kap. 1: Eingrenzung der Problematik
ten wie jeden beliebigen Dritten zu behandeln.136 Dieses Unbehagen, das mit einer Strafbarkeitslücke einherginge, findet sich teilweise auch in der Literatur wieder. Es ist daher verständlich, dass Rechtsprechung und Literatur nach Strafbarkeitsalternativen suchen und in diesem Zusammenhang auch eine Strafbarkeit aus einen unechten Unterlassungsdelikt in Erwägung ziehen. Nur darf bei der Entscheidung über den korrekten Umgang mit den Weiterungsfällen dem Rechtsempfinden letzlich keine Bedeutung zukommen, mag es auch zur Suche nach Strafbarkeitsalternativen motivieren. Doch ebenso ist deutlich geworden, dass es eine nicht zu vernachlässigende Besonderheit darstellt, dass ein Dritter vorsätzlich und voll verantwortlich die Weiterungstat begeht. Hierin liegt das entscheidende Problem der hier zu behandelnden Fallkonstellationen. Da die Weiterungstat in der Regel einen die Mittäterschaft ausschließenden Exzess darstellt, versucht die Rechtsprechung daher über die mit dem Weiterungstäter gemeinsam begangene strafbare Vortat eine Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen, um den Vortatbeteiligten letztlich doch als Täter oder Teilnehmer wegen des weitergehenden Erfolges zu bestrafen. Es scheint sich eine Entwicklung abzuzeichnen, in der die Rechtsprechung die Rechtsfolge des Mittäterexzesses nicht akzeptieren will und stattdessen diesen Weg wählt. Es liegt aber auf der Hand, dass es die Beteiligungsdogmatik auf den Kopf stellen würde, wenn jeder Mittäterexzess gleichzeitig zu einer Garantenstellung aus Ingerenz führen würde. Daher muss eine dogmatisch vertretbare Lösung der Weiterungsfälle gefunden werden. Da sich die Weiterungsfälle allerdings an einer Schnittstelle verschiedener Bereiche des Allgemeinen Teils des Strafrechts befinden, verwundert es kaum, dass die Literatur sehr unterschiedliche Wege vorschlägt, um mit dieser Problematik umzugehen. Während einige schon die Schaffung einer nahen Gefahr durch die Vortat verneinen, sehen andere die Lösung in einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Kriterium des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs. Wieder andere möchten zur Lösung dieser Fälle die Ansichten heranziehen, die im Bereich der klassischen Regressverbotsproblematik entwickelt wurden. Dass unter Zugrundelegung der jeweiligen Auffassungen von Freispruch bis hin zur Annahme eines täterschaftlich begangenen unechten Unterlassungsdelikts alles möglich zu sein scheint, zeigt, wie wichtig es ist, die Entscheidungspraxis auf eine sichere dogmatische Grundlage zu stellen. Auffällig ist, dass sowohl innerhalb der Rechtsprechung als auch in fast allen Ansichten der Literatur immer wieder das Merkmal der hilflosen Lage quasi „herumgeistert“, ohne dass genau ersichtlich wird, was dieses Merkmal eigentlich zu bedeuten hat und wie es im Hinblick auf eine Unterlassungsstrafbarkeit einzuordnen ist. Einzig Otto sieht bei einem Vorliegen einer hilflosen Lage die Annahme einer Beschützergarantenstellung für geboten und liefert damit zumin136 Wobei das Rechtsempfinden für sich genommen bei der Suche nach legitimer Strafbarkeit nicht weiterhilft und sogar zu Irrwegen verleiten kann.
C. Vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge
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dest einen Vorschlag für eine dogmatische Einordnung dieses Merkmals. Allerdings kann auch er mangels tiefergehender Erörterung nicht zweifelsfrei belegen, dass dieser Weg auch eine tragfähige Lösung darstellt. Trotz aller Kritikpunkte, die gegen die unterschiedlichen Ansichten vorgebracht wurden, liegt der Verdienst aller Ansichten auch darin, auf die besonderen Schwierigkeiten, die mit der Rechtsprechungspraxis in den Weiterungsfällen einhergehen, aufmerksam gemacht und damit den Grundstein für eine eingehende Erörterung gelegt zu haben.
Kapitel 2
Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz Auch wenn im Einzelnen bis heute vieles umstritten ist und die Ingerenz zum Teil als „unlösbares Problem“ 1 bezeichnet wird, erachtet sie die ganz h. M. als notwendig und legitim.2 Einige leiten die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun schon aus dem Grundsatz des „neminem laede“, also dem allgemeinen Verletzungsverbot ab.3 Andere begnügen sich damit, sie allein durch ihre offensichtliche Existenznotwendigkeit zu legitimieren. Dort heißt es dann, die Ingerenz soll „ohne nähere Begründung eine Überzeugungskraft“ besitzen,4 aus dem „allgemeinen Rechtsempfinden folgen“ 5 oder es soll deren Verpflichtungskraft daraus resultieren, „dass sie unmittelbar einleuchtet“,6 um nur einige dieser Aussagen zu nennen. Dass sich die Ingerenz aber nicht auf ein allgemeines Evidenzerlebnis stützen lässt, bedarf keiner näheren Begründung. Stattdessen muss der Entstehungsgrund und damit die Existenzberechtigung einer Unterlassungsstrafbarkeit infolge eines vorangegangenen Tuns gefunden werden. Anderenfalls lässt sich weder rechtsstaatliches Strafen legitimieren, noch können präzise Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen konkreten Voraussetzungen eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun angenommen werden kann und wie eine Abgrenzung zu den straflosen Fällen zu erfolgen hat. Eine eingehende Untersuchung ist schon deshalb notwendig, da trotz der überwiegend proklamierten evidenten Notwendigkeit einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun eine beachtliche Mindermeinung7 existiert, die auf dogma1
Lampe, ZStW 72 (1960), S. 93 (106). BGHSt 54, 44 (47); NJW 1998, 1568 (1573); 1999, 69 (71); 2009, 3173 (3174); Fischer, StGB, § 13 Rn. 47; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 625; Sowada, Jura 2003, S. 236 (238 ff.); SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 39; NK-StGB/ Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43 ff.; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 54 jew. m.w. N. 3 So ausdr. NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43; LK-Jescheck (11. Aufl.), § 13 Rn. 31; AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 49; ausf. hierzu unten Kap. 2, C. VII. 2. 4 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 91. 5 Granderath, Die Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung, S. 131. 6 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 27. 7 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 288 ff.; Pfleiderer, Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 76 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 311 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 409 ff.; Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 242 f., 245 ff. 2
Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
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tisch ganz unterschiedlichem Wege die Ingerenz ablehnt oder zumindest stark einschränken möchte. Daher muss im Rahmen dieser Untersuchung ebenfalls die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die Ingerenz unter Umständen sogar verworfen werden muss. Was die Rechtsprechung anbelangt, so hat sie die Ingerenz seit ihrer Entdeckung nie angezweifelt. Das Reichsgericht hat die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun in seiner ständigen Rechtsprechung anerkannt.8 Auch der BGH hat die grundsätzliche Legitimität der Ingerenz in seiner ständigen Rechtsprechung nie in Frage gestellt.9 Lediglich die Grenzen dieser Garantenstellung unterliegen bis heute einem stetigen Veränderungsprozess.10 Nach dem Entstehungsgrund der Ingerenz sucht man in der Rechtsprechung hingegen vergebens. Häufig findet man nur den Hinweis, dass sie dem Gewohnheitsrecht11 entnommen werden könne und allgemein anerkannt12 sei. Man wird sich daher mit diesen Hinweisen der Rechtsprechung auf die Legitimität der Ingerenz begnügen müssen. Aus diesem Grund kann auch eine genauere Untersuchung der Entwicklung der Ingerenz in der Rechtsprechung unterbleiben und auf andere Abhandlungen verwiesen werden.13 Selbst wenn die Rechtsprechung die Grenzen der Ingerenz unter besonderer Berücksichtigung der Qualität des Vorverhaltens immer wieder an die Lehre anzupassen versucht hat und hieraus durchaus nützliche Kriterien für die Eingrenzung der Unterlassungsstrafbarkeit aus Ingerenz gewonnen werden können, soll im Rahmen dieser Arbeit unter Heranziehung einschlägiger Literatur zunächst ihr Entstehungsgrund ermittelt werden und erst auf dieser Basis eine Analyse der Eingrenzungskriterien erfolgen. Dem wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Ingerenz im Kontext der allgemeinen Unterlassungsdogmatik vorangestellt.
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Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (31). RGSt 18, 96 (98); 37, 162 (165); 51, 9 (12); 57, 193 (197); 64, 273 (276); 74, 283 (285); ausf. zur Rspr. des RG siehe Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 105; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 78 ff. 10 BGHSt 3, 203 (204); 4, 20 (22); 25, 219 (220); 26, 35 (37); NStZ 2013, 578; siehe ausf. zur Entwicklung der Ingerenzrechtsprechung des BGH Jakobs, in: FS BGH, S. 29 ff. sowie zu den früheren Entscheidungen Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 116 und Welp, Vorangegangenes Tun, S. 87 ff. 11 RGSt 58, 130 (132); zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Ingerenz siehe unten Kap. 2, C. VII. 1. 12 BGHSt 4, 20 (22): „Die fortwirkende Kraft dieses vom Reichsgericht schon vor 1933 entwickelten Rechtssatzes kann nicht bezweifelt werden; er ist heute allgemein anerkannt“. 13 Jakobs, in: FS BGH, S. 29 ff.; zu der älteren Rechtsprechung siehe Welp, Vorangegangenes Tun, S. 75 ff. 9
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
A. Entwicklung der Ingerenz in der Literatur Um die Geschichte der Ingerenz in der Literatur darzustellen, ist es unumgänglich, sie in den Kontext der Unterlassungsdelikte im Allgemeinen zu stellen.14 Wenn auch nicht in der Weise, wie uns die Ingerenz mittlerweile bekannt ist, taucht sie doch auf dem Weg bis zur heutigen Unterlassungsdogmatik immer wieder auf. Dabei wird das vorangegangene Tun in teils ganz unterschiedlicher Form in die allgemeine Unterlassungsdogmatik eingeebnet.
I. Vom römischen Recht bis Stübel Im römischen und im älteren deutschen Recht ließen sich, abgesehen von einzelnen Ansätzen, noch keinerlei Grundsätze für strafbare Unterlassungstaten finden.15 Stattdessen wurden lediglich einzelne Fallgruppen genannt, in denen auch ein Unterlassen strafwürdig erschien.16 Erst im Schrifttum des 18. Jahrhundert kam der Gedanke auf, dass die Unterlassung nur dann mit Strafe geahndet werden könne, wenn eine besondere Pflichtenstellung existiere, die zur Abwendung eines schädigenden Erfolges verpflichte.17 Die ersten konkreten Entstehungsgründe für Erfolgsabwendungspflichten wurden erst zu Beginn des 19. Jahrhundert durch Feuerbach entwickelt.18 Feuerbach19 sah den Staat dazu angehalten, Zwangspflichten aufzustellen, deren Verletzung Strafe zur Folge haben sollen. Da diese Pflichten den Bürger allerdings nur zur Unterlassung missbilligter aktiver Handlungen auffordern, setze die Annahme eines „Unterlassungsverbrechens immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) voraus“, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet werde.20 Diesen Ansatz haben Henke,21 Spangenberg22 und Stübel23 14 Auf eine ausf. Dogmengeschichte wird an dieser Stelle verzichtet. Diese findet sich bei van Gelder, Die Entwicklung, S. 4 ff. 15 Siehe dazu Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 13 ff.; Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 12 und Welp, Vorangegangenes Tun, S. 26. 16 van Gelder, Die Entwicklung, S. 4 ff. 17 Siehe die Ausführungen von Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 14. 18 Siehe Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 14, der darauf hinweist, dass vor Feuerbach keine konkreten Entstehungsgründe für Erfolgsabwendungspflichten benannt, sondern stattdessen einzelne Beispiele vorgebracht wurden, die vom natürlichen Rechtsempfinden abhingen. 19 Feuerbach, Lehrbuch, § 8 ff. 20 Feuerbach, Lehrbuch, § 24. 21 Henke, Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, S. 249 ff., 295 ff. 22 Spangenberg, in: Neues Archiv des Criminalrechts, Bd. 4 (1821), 4. Stück, S. 527 (528 ff.). 23 Stübel, Ueber den Thatbestand der Verbrechen, § 45 nimmt zunächst eine auf der Staatszugehörigkeit beruhende allgemeine Pflicht an, die „Verbrechen Anderer ohne Ausnahme zu verhindern“.
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fortgeführt und weiter präzisiert.24 Auf diese Weise waren die ersten allgemeinen Grundsätze gefunden, auf deren Grundlage sich eine Unterlassungsstrafbarkeit wegen der Verletzung von Rechtspflichten begründen ließ.25 Während bei Feuerbach, Henke und Spangenberg der Gedanke der Ingerenz noch nicht explizit erwähnt wurde, beschrieb Stübel einen Fall, in dem eine vorhergehende Handlung zur Erfolgsabwendung verpflichte.26 Damit war er der erste, dem es gelang, die Aufmerksamkeit auf die Ingerenzkonstellation zu lenken.27
II. Kausallehren des 20. Jahrhunderts Da die unechten Unterlassungsdelikte im Partikularstrafrecht des 19. Jahrhunderts nicht geregelt waren und schon damals der Grundsatz „nullum crimen sine lege“ galt, konnte ein Unterlassen nur bestraft werden, wenn es einem gesetzlich geregelten Begehungsdelikt gleichstand.28 Diese Gleichstellung hielten die Autoren nur dann für zulässig, wenn sich die Kausalität des Unterlassens für den Erfolg nachweisen ließ. Die Suche nach der Kausalität des Unterlassens wurde wenig später von v. Liszt als „unfruchtbarste (. . .) Kontroverse der gesamten Strafrechtsgeschichte“ bezeichnet.29 Aus der heutigen Sicht, die einer im Kern gefestigteren Unterlassungsdogmatik entspringt, erscheint die Schwierigkeit dieses Vorhabens offensichtlich. Wie soll eine Untätigkeit, die zunächst einmal scheinbar gar nichts zu bewirken vermag, kausal für einen späteren Erfolg sein? „Aus nichts wird aber nichts“ bemerkte Krug schon damals.30
24 Siehe ausf. hierzu Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 5 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 26 ff. 25 Auch wenn den Lehren von Feuerbach bis Stübel ein bedeutender Stellenwert für die Entwicklung der Unterlassungsdelikte zukommt, wurde ihnen dennoch recht bald gewichtige Kritik entgegengebracht. Einerseits war schwer einzusehen, warum die Missachtung einer staats- oder zivilrechtlichen Pflicht strafrechtliche und nicht bloß staats- und zivilrechtliche Konsequenzen haben soll. Andererseits sind die entwickelten Rechtspflichten nicht dazu geeignet gewesen, nur die strafwürdigen Fälle zu erfassen, da sie den strafbaren Bereich entweder zu weit ausdehnten oder zu sehr einschränkten. Vgl. dazu Glaser, Abhandlungen aus dem oesterreichischen Strafrecht, S. 373 ff. 26 Stübel, Über die Theilnahme, S. 61 schreibt: „Es gibt allerdings Fälle, in denen jemand, vermöge (. . .) einer vorhergehenden Handlung desselben, zu einer Handlung rechtlich verpflichtet ist. So machen sich (. . .) diejenigen, welche einen Andern in einen Zustand versetzt haben, in welchem er ohne ihre Hülfe um das Leben kommen muß, wenn sie ihm solche nicht leisten, des Verbrechens einer Tödtung schuldig“. 27 Siehe aber Welp, Vorangegangenes Tun, S. 30, der darauf hinweist, dass sich eine einschlägige Ingerenzkonstellation schon bei Oerstedt, Abhandlungen, Bd. 1, S. 311 findet. 28 Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (289); vgl. auch Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 16. 29 v. Liszt, Lehrbuch, § 30 III S. 128; Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (289) bezeichnet sie anschaulich als „Donquichotterie“. 30 Krug, Commentar zu dem Strafgesetzbuche, 4. Abth., II, S. 32.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Zwar machten Krug31 sowie Glaser32 es sich ebenfalls zur Aufgabe, die Kausalität des Unterlassens nachzuweisen. Nur versuchten sie nicht, die Kausalität des Untätigbleibens nachzuweisen, sondern knüpften für die Strafbarkeit des Täters an „sein (an sich unsträfliches) Handeln“ 33, also eine konkrete Vorhandlung an. Hierdurch wurde erstmals die Bedeutung der Ingerenz in das Zentrum der Diskussion gerückt.34 Durch eine vorhergehende Handlung, deren Ursächlichkeit für den späteren Erfolg sich in vielen Fällen leicht nachweisen ließ, konnte scheinbar das Kausalitätsproblem gelöst und damit die Gleichstellung von Tun und Unterlassen begründet werden. Die Lösung beider Autoren, die in mehreren Punkten35 kritisiert wurde, scheiterte jedoch an einer entscheidenden Stelle. Denn zum Zeitpunkt der Handlung weist der Täter regelmäßig keinen Vorsatz, der damals als Teil der Schuld begriffen wurde, auf.36 Die Autoren mussten sich daher den Vorwurf gefallen lassen, einen dolus subsequens anzuerkennen, der dem deutschen Strafrecht auch damals jedoch völlig fremd war.37 Lediglich Merkel, ebenfalls auf der Suche nach dem Kausalzusammenhang zwischen Erfolg und Unterlassen, entging scheinbar diesem Vorwurf, indem er (bedingte) Schuld zum Zeitpunkt der Vorhandlung verlangte und damit dem Koinzidenzprinzip Rechnung zu tragen schien. Merkels Konstruktion konnte allerdings ebenfalls nicht überzeugen, da die Lehre von der (bedingten) Schuld einen „technischen Kunstgriff“ 38 darstellte, der nur über den in Wahrheit vorliegenden dolus subsequens hinwegtäuschte.39 So wird man festhalten müssen, dass Krug, Glaser und Merkel es zwar nicht vollbracht haben, ihr eigentliches Ziel, die Kausalität des Unterlassens, in angemessener Weise zu begründen. Ihnen wird sogar vorgeworfen, dass sie nicht einmal begründen konnten, weshalb die Kausalität überhaupt das Hauptkriterium für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen darstelle.40 Gleichwohl haben sie dem Gedanken der Ingerenz einen großen Dienst erwiesen.41 Durch ihre Lehren wurde die Bedeutung einer vorangegangenen Handlung für ein späteres Unterlas-
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Krug, Commentar zu dem Strafgesetzbuche, 4. Abth., II, S. 21 ff. Glaser, Abhandlungen aus dem oesterreichischen Strafrecht, S. 289 ff. 33 Glaser, Abhandlungen aus dem oesterreichischen Strafrecht, S. 303. 34 Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 38. 35 Siehe dazu van Gelder, Die Entwicklung, S. 53 ff.; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 7 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 40 ff. 36 Zum überholten psychologischen Schuldbegriff siehe Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 688. 37 Siehe Roxin, Strafrecht AT I, § 12 Rn. 91. 38 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 44. 39 Ausf. Kritik bei Binding, Die Normen, Bd. 2, Hälft. 1, S. 526 ff. 40 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 13 f. 41 Vgl. Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 38. 32
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sungsunrecht in den Fokus gerückt und auf diese Weise der Weg für eine tiefergehende Erörterung geebnet.
III. Interferenztheorien Nach Merkels Theorie wurde die Suche nach einem Weg, die Ursächlichkeit der Unterlassung zu begründen, längst noch nicht aufgegeben. Es entstanden die sogenannten Interferenztheorien42, die besonders von v. Buri43 und Binding44 geprägt wurden. Ihr Hauptgedanke lässt sich unabhängig von den einzelnen dogmatischen Eigenheiten verkürzt wie folgt darstellen: Kausalität der Unterlassung für den Erfolg solle dadurch entstehen, dass in der Psyche des Unterlassenden ein regelmäßig vorliegender, potenzieller Handlungswille zur Erfolgsabwendung unterdrückt werde.45 Ebenso wie bei Krug, Glaser und Merkel besaß die Vorhandlung einen besonderen Stellenwert.46 Allerdings sollte, im Gegensatz zu den Kausalitätstheorien, die vorangegangene Handlung nicht unmittelbar als Ursache fungieren, sondern eine Grundvoraussetzung für die Kausalität des Unterlassens sein. Dazu wurde unterstellt, dass während der Vornahme der Handlung ein innerer Impuls vorhanden sei, der im Normalfall zu einer Erfolgsabwendung veranlasse und auf diese Weise kausal für das Ausbleiben des Erfolges sei. Werde dieser Impuls durch den Unterlassenden unterdrückt, so dass er den Dingen ihren Lauf lasse und der Erfolg eintrete, sei diese aktive Unterdrückung und damit das Unterlassen kausal für den Erfolg.47 Ohne auf die diffizilen Unterschiede der einzelnen Theorien eingehen zu wollen, litten die Interferenztheorien an schwer zu widerlegenden Begründungsdefiziten.48 Zum einen leuchtet nicht ein, warum ein Erfolgsabwendungswille zum Zeitpunkt der Vorhandlung grundsätzlich vorgelegen haben soll.49 Zum anderen haben es auch die Anhänger der Interferenztheorien nicht vollbracht, einen nachvollziehbaren Beleg dafür zu liefern, weshalb bloße Willensvorgänge im Inneren des Unterlassenden reale Veränderungen in der Außenwelt bewirken sollen.50 Auch die Einbeziehung der Vorhandlung ändert nichts an der Tatsache, dass bei 42 Zur Herkunft des Begriffs siehe Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 39 m.w. N. 43 v. Buri, GS 21 (1869), S. 189 ff. 44 Binding, Die Normen, Bd. 2, Hälft. 1, S. 536 ff., 555 ff. 45 Siehe v. Buri, GS 21 (1869), S. 189 (190 ff.). 46 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 15. 47 v. Buri, GS 21 (1869), S. 189 (199 f.). 48 Siehe die Kritik bei Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 15 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 52 ff. 49 So auch Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 38; siehe auch die ausf. Kritik bei Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 15 ff. 50 Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 49.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
einem naturwissenschaftlichen Verständnis von Kausalität ein Nichthandeln niemals kausal für einen Erfolg sein kann.51
IV. Rechtskausalitätstheorien Nachdem sich allmählich die Einsicht durchgesetzt hatte, dass sich die naturwissenschaftliche Kausalität der Unterlassung nicht konstruieren lasse, versuchten die Anhänger der sog. Rechtskausalitätstheorien stattdessen eine normative Verknüpfung von Ursache und Erfolg zu begründen. Hierfür sollte die Kausalität die um eine „moralische und rechtliche Anschauung“ 52 erweiterte Vorstellung des Ursachenzusammenhangs sein. Es waren im Wesentlichen v. Bar,53 Rohland54 und Kohler,55 die diese Anschauung voranbrachten. Exemplarisch soll hier die Variante v. Bars genannt werden, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern anerkannte, dass strafrechtliche Verantwortlichkeit prinzipiell einen „äußerlich hervortretenden Willensakt, eine Körperbewegung“ erfordere.56 Er wollte von diesem Grundsatz allerdings dort eine Ausnahme machen, wo „die Vornahme der Tätigkeit so selbstverständlich erscheint, daß alle Beteiligten sie erwarten“.57 Existiere diese gemeine Erwartung auf die Tätigkeit, sei das Unterlassen kausal, wenngleich nicht im naturwissenschaftlichen, sondern im rechtlichen Sinne.58 v. Bar räumte der Ingerenz einen besonderen Stellenwert ein und differenzierte bei der Frage nach der rechtlichen Qualität der Vorhandlung. Nur fehlerhaftes bzw. schuldhaftes Verhalten solle demnach eine Erfolgsabwendungspflicht begründen, völlig fehlerfreies Verhalten könne hingegen nicht zu einer Erfolgsabwendungspflicht führen.59 Der Gedanke, zur Begründung der Strafbarkeit aus Unterlassen an Erwartungen anzuknüpfen, wurde von der Lehre auch in nachfolgenden Theorien immer wieder aufgegriffen.60 Insofern kann den Rechtskausalitätstheorien zugutegehalten werden, dass sie sich auf dem Weg zu einer Lösung der Gleichstellungsfrage an Wertvorstellungen von Gesetz und Gesellschaft orientiert haben.61 Die Auto51
Vgl. Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung. S. 49. v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 268. 53 v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 244 ff. 54 Rohland, Die strafbare Unterlassung, 1. Abt., S. 118 ff.; ders., Die Kausallehre des Strafrechts, S. 57 ff. 55 Kohler, Studien aus dem Strafrecht, Bd. 1, S. 45 ff. 56 v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 259. 57 v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 269. 58 v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 268. 59 v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 267 f. 60 Siehe nur die Garantenlehre Brammsens unten Kap. 2, B. III.; kritisch hierzu Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (331). 61 Vgl. Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 26; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 61; vgl. aber auch die Kritik von Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 59. 52
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ren konnten aufzeigen, dass für die Unterlassungsstrafbarkeit die Suche nach einer Rechtspflicht entscheidend ist. Nur wurde dieser Aspekt im Rahmen der Kausalität des Unterlassens und damit noch nicht am richtigen Standort problematisiert.62
V. Von den formellen und den materiellen Rechtspflichttheorien zu der Garantenlehre Naglers Nachdem das Bestreben, einen naturgesetzlichen Kausalzusammenhang zu begründen, vollends aufgegeben worden war, entstand die Idee, dass die Gleichstellung der Nichthinderung des Erfolgseintritts mit der Erfolgsbewirkung durch Tun für die Bestrafung des Unterlassens entscheidend sei.63 Statt echte, naturwissenschaftliche Kausalität zu verlangen, begnügte man sich mit der Voraussetzung, dass bei Hinzudenken der unterlassenen Handlung der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.64 Zudem wurde die Rechtswidrigkeit als korrekter Standpunkt für die Gleichstellungsfrage entdeckt.65 Es entstanden die sogenannten formellen und materiellen Rechtspflichttheorien. Die formellen Rechtspflichttheorien machten es sich zur Aufgabe, nach Rechtspflichten zu suchen, bei deren Missachtung das Unterlassen rechtswidrig und damit strafwürdig sei.66 Es entstand das sog. „Trifolium“ der Rechtspflichten, das aus Gesetz, Vertrag und Ingerenz bestand.67 Auf diesem Wege konnten sowohl durch formelle Gesetze als auch durch autonome Rechtsgeschäfte, wie beispielsweise den Vertrag, die Geschäftsführung ohne Auftrag sowie die Amtsübernahme, Pflichten zur Erfolgsabwendung begründet werden.68 Auch wenn sich die Anhänger der formellen Rechtspflichttheorien im Grundsatz einig waren, herrschte Streit darüber, welche außerstrafrechtlichen Rechtspflichten zu Erfolgsabwendungspflichten führen sollen.69
62 Vgl. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 60 f.; nach Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 26 haben die Autoren die Frage nach der Kausalität mit der nach der Frage nach der Rechtswidrigkeit „vermengt“. 63 Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 60; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 26 f. 64 Siehe Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 61; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 62. 65 Pfleiderer, Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 61 f.; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 26 f.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 62. 66 Es wurde damit der Ansatz von Feuerbach, Lehrbuch, §§ 8 ff., Erfolgsabwendungspflichten aus Gesetz oder Vertrag herzuleiten, wieder aufgegriffen. 67 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 28; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 62. 68 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 28. 69 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 28.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Eine Sonderrolle nahm dabei die Ingerenz ein, da sie sich mit den vorhandenen formellen Normen nicht begründen ließ. Symptomatisch für die damalige Lehre war, dass zwar erkannt wurde, dass die Ingerenz keinem der gesetzlichen oder vertraglichen Fälle unterfalle und dass für sie andere Grundsätze gelten müssen, man sie aber trotzdem legitimierte, weil sie auch von allen anderen Autoren dieser Zeit befürwortet wurde und daher als Gewohnheitsrecht keiner besonderen Begründung bedürfe.70 Gegen die formellen Rechtspflichttheorien, die zum Teil bis heute noch vertreten werden, wird vorgebracht, dass sie zur Bestimmung von Garantenstellungen „zugleich zu weit und zu eng“ 71 seien und in einigen Fällen zu sachwidrigen Ergebnissen gelangen.72 Begründet wird dieser Vorwurf damit, dass sich das Strafrecht bei der Frage nach der Strafwürdigkeit einer Sachverhaltskonstellation nicht ausschließlich den Regeln des öffentlichen und des Vertragsrechts unterwerfen dürfe.73 Nehme man beispielsweise den Fall, in dem ein Kindermädchen das ihm zur Aufsicht überlassene Kind nicht vor einer tödlichen Gefahr rettet, so müsste es straffrei bleiben, solange ihm der Nachweis gelinge, dass der Vertrag über die Aufsichtstätigkeit ex tunc nichtig sei.74 Umgekehrt dürfen auf Grund der Verletzung formeller Gesetze zunächst einmal nur diejenigen Folgen eintreten, die von diesen Gesetzen selbst vorgesehen sind, nicht jedoch auch strafrechtliche Sanktionen.75 Darüber hinaus können die Anhänger der formellen Rechtspflichttheorien bis heute nicht in befriedigender Weise begründen, warum eine Rechtspflicht aus vorangegangenem Tun anerkennenswert ist.76 Denn die Vorhandlung verstößt in vielen Fällen nicht selbstständig gegen gesetzliche Normen, so dass der Verdacht besteht, die formellen Rechtspflichttheorien tragen lediglich das Gedankengut der gescheiterten Kausalitätstheorien weiter.77
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Siehe van Gelder, Die Entwicklung, S. 113; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 63. AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 33; siehe auch Köhler, Strafrecht AT, S. 212. 72 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 29. 73 Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (292); vgl. auch Welp, Vorangegangenes Tun, S. 65; siehe auch schon die Kritik von Glaser, Abhandlungen aus dem oesterreichischen Strafrecht, S. 373 f. zu den klassischen Rechtspflichttheorien. 74 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 13; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 29; AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 33; siehe hierzu schon Schaffstein, in: FS Gleispach, S. 70 (74 ff.). 75 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 212; Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (292); vgl. auch Welp, Vorangegangenes Tun, S. 65. 76 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 14; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 28 f.; siehe auch Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (291). 77 So Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (291), der den formellen Rechtspflichttheorien vorwirft, sie bedienen sich aus der „Konkursmasse der fallierten Kausalitätstheorien“. 71
A. Entwicklung der Ingerenz in der Literatur
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Auch wenn sich neuerdings eine Tendenz hin zu einer Wiederannäherung an die formellen Rechtspflichttheorien zu entwickeln scheint78 – Grundlage dieser Entwicklung stellt § 13 StGB dar, der ein „rechtliches Einstehenmüssen“ verlangt –, sprechen bei der derzeitigen Gesetzeslage nach wie vor dieselben Argumente gegen die Anerkennung ausschließlich formell-rechtlicher Erfolgsabwendungspflichten.79 In Anbetracht der Defizite der formellen Rechtspflichttheorien versuchten Teile der Lehre die Rechtspflichten zur Erfolgsabwendung nicht ausschließlich aus außerstrafrechtlichen Rechtsnormen, sondern stattdessen aus der strafrechtlichen Unrechtslehre selbst zu entwickeln.80 So wollten Sauer und sein Schüler Kissin die materielle Rechtswidrigkeit des Unterlassens davon abhängig machen, ob die unterlassene Erfolgsabwendung „nach ihrer allgemeinen Tendenz dem Staat und seinen Gliedern mehr schadet als nützt“.81 Hierbei wägten die Autoren vor allem auch zwischen der mit einem Erfolgsabwendungsgebot einhergehenden Einschränkung der Handlungsfreiheit und dem hierdurch entstehenden Nutzen für das bedrohte Rechtsgut ab. Dabei kamen Sauer und Kissin zu dem Ergebnis, dass derjenige, der durch adäquat kausales Verhalten die nahe Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Erfolges begründet habe, dazu verpflichtet sei, den drohenden Erfolg abzuwenden.82 Denn das vorangegangene Tun „schadet nach seiner generellen Tendenz der staatlichen Gemeinschaft mehr als es ihr nutzt“.83 Die Ingerenz war Kissin zufolge deshalb legitim, da man dem Einzelnen die Pflicht auferlegen dürfe, dass er sich so verhält, dass im „Endergebnis“ für die Allgemeinheit kein Schaden verursacht werde, der bei Nichtexistenz dieses Mitglieds ausgeblieben wäre.84 Der Verdienst der materiellen Rechtspflichttheorien bestand darin, sich von rein formellen Rechtspflichten zu lösen und stattdessen die Gleichstellungsfrage als ein Problem der materiellen Unrechtslehre zu verstehen.85 Zudem konnten sie hervorheben, dass die Legitimität der Ingerenz von einer Abwägung zwischen 78 Siehe nur Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (342 f.), der Garantenstellungen aus Ingerenz, engen Lebens- oder Gefahrengemeinschaften oder aus eigenem Verantwortungs- oder Herrschaftsbereich kategorisch ausschließt, da sie sich nicht dem Gesetz entnehmen lassen. 79 Zudem lässt sich der Entstehungsgeschichte des § 13 StGB entnehmen, dass der Gesetzgeber keine Rückkehr zu den formellen Rechtspflichttheorien beabsichtigt hat. Siehe dazu BT-Drucks. V/4095, S. 8; zur Entstehungsgeschichte des § 13 StGB siehe unten Kap. 2, C. II. 80 Siehe Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 31. 81 Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 286. 82 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 101 ff.; Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 459; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 91 f. 83 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 105. 84 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 102. 85 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 33.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz abhing, die erforderlich war, um dem Bürger die Pflicht aufzuerlegen, Rechtsgüter anderer nicht zu beeinträchtigen. Hierbei handelte es sich um einen Gedanken, der an späterer Stelle wieder aufzugreifen sein wird.86 Zudem forderte Kissin, dass durch die Handlung die nahe Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts geschaffen werde und benannte damit schon damals eine Voraussetzung, die bis heute in dieser Form weiterhin vertreten wird.87 Jedoch konnten auch die Anhänger der materiellen Rechtspflichttheorien die Gleichstellungsfrage nicht zufriedenstellend beantworten, da sich die vorgeschlagenen Kriterien in allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen erschöpften und somit in dieser Form nicht vertretbar waren.88 Erst Nagler89 bewirkte einen Sinneswandel in der Unterlassungsdogmatik, indem er erstmals die Gleichstellungsproblematik in den Tatbestand verlagerte.90 Ihm zufolge unterscheiden sich Begehungs- und Unterlassungsdelikt schon innerhalb des Tatbestandes, so dass auf dieser Ebene ein Kriterium gefunden werden müsse, dass die Gleichstellung von Tun und Unterlassen legitimiere.91 Diese Auffassung ist heute allgemeine Ansicht. Darüber hinaus war Nagler auch derjenige, der als erster den Begriff des „Garanten“ gebrauchte, der im Rahmen der Unterlassungsdelikte zum Standardterminus geworden ist.92 Unter genauer Analyse der echten Unterlassungsdelikte gelangte Nagler zu der Erkenntnis, dass nur derjenige zur Erfolgsabwendung verpflichtet sein könne, der „infolge seiner Verpflichtung zu positiven Schutzhandlungen eine besondere Rechtsstellung“ einnahm.93 Damit versuchte er, ebenfalls wie schon Sauer und Kissin, die Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung eigenständig der strafrechtlichen Unrechtslehre zu entnehmen. Gelang Nagler auch ein Durchbruch in der allgemeinen Gleichstellungsproblematik, so konnte er zur Ingerenzdogmatik nicht viel beitragen.94 Zwar erkannte er ein praktisches Bedürfnis für die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun an, ließ aber eine gewohnheitsrechtliche Begründung hierfür genügen.95 Zur Bestimmung der rechtlichen Qualität der Vorhandlung forderte er den Gesetzgeber zum Handeln auf.96 86
Siehe unten Kap. 2, C. VII. 3. b). Siehe unten Kap. 4, B. I. 88 Vgl. Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 35 f.; siehe auch die Kritik bei Welp, Vorangegangenes Tun, S. 68 ff. 89 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 ff. 90 Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 18 f. 91 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 (54). 92 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 (59). 93 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 (61). 94 Vgl. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 72 ff. 95 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 (27). 96 Nagler, GS 111 (1938), S. 1 (120). 87
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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VI. Abschließende Stellungnahme zum dogmengeschichtlichen Überblick Der dogmengeschichtliche Überblick der Unterlassungsdelikte unter besonderer Berücksichtigung der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun hat zeigen können, dass der Ingerenz schon damals eine besondere Rolle zukam. Schien sie zur Zeit des Kausaldogmas die einzige Möglichkeit zu eröffnen, um überhaupt aus Unterlassungsdelikten zu bestrafen, so war sie mangels gesetzlicher Verankerung durch die formellen Rechtspflichttheorien überhaupt nicht zu erklären. Trotz dieser Schwierigkeiten hielt man das Ingerenzunterlassen doch immer für strafwürdig, selbst wenn die Autoren es lediglich bei einem Verweis auf das Gewohnheitsrecht beließen. Zum Teil sind aber auch speziell im Bereich der Ingerenz Ansätze entstanden, die von moderneren Lehren wieder aufgegriffen wurden und auf die nachfolgend noch näher einzugehen sein wird.
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen Nachdem die Unterlassungsproblematik in den Tatbestand verortet und die Garantenstellung als entscheidendes Element für die Gleichstellung von Tun und Unterlassen entdeckt wurde, haben sich zahlreiche Lehren entwickelt, die Garantenstellungen aus unterschiedlichen Entstehungsgründen herzuleiten versuchten. Einige diese Versuche wurden zu einer Zeit unternommen, als § 13 StGB noch nicht existierte oder sich noch in der Entstehung befand.97 Daher bestand mangels geschriebener Gesetzesgrundlage – lässt man einmal die Ansätze, die während der Zeit des Nationalsozialismus und der damit verbundenen Aufhebung des nulla poena sine lege-Grundsatzes98 entstanden sind, beiseite – die Aufgabe weiterhin darin, die Unterlassungsdelikte den Begehungsdelikten gleichzustellen, um nicht in einen Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG zu geraten. Man könnte meinen, nach Einführung des § 13 StGB sei dieses Bestreben obsolet geworden, da nun eine Grundlage für die Strafbarkeit existierte.99 Doch nach wie vor versuchen Teile der Literatur die Gleichwertigkeit zwischen Tun und Unterlassen zu begründen. Da § 13 Abs. 1 StGB verlangt, dass das Unterlassen dem Tun entsprechen muss, herrscht Unsicherheit darüber, ob die Begehungsgleichheit für die unechten Unterlassungsdelikte weiterhin eine Legitimationsvoraussetzung darstellt, worauf an späterer Stelle noch einzugehen sein wird.100 97
Zur Entstehung des § 13 StGB siehe unten Kap. 2, C. II. Siehe dazu Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 17 f.; siehe auch zum Sitten- und Rechtsverständnis der Zeit des Nationalsozialismus in Bezug auf Garantenstellungen Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 230 ff. 99 Dazu unten Kap. 2, C. VI. 1. 100 Siehe dazu unten Kap. 2, C. VI. 1.; vgl. auch Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (312 f.). 98
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Im Folgenden soll untersucht werden, ob und, wenn ja, welche der unterschiedlichen Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen überzeugen und somit für die Lösung der Weiterungsfälle herangezogen werden können. An dieser Stelle können nicht alle Begründungsmodelle einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden.101 Stattdessen sollen einige klassische Garantenlehren vorgestellt und überprüft werden, die explizit zu der Garantenstellung aus Ingerenz Stellung bezogen haben.
I. Garantenstellung auf Grund Vertrauens Für einige Autoren bildet das Vertrauen die Grundlage für die Entstehung von Garantenstellungen.102 So liest man bei Kühne, es sei „immer (. . .) eine Vertrauensposition, die im Rahmen einer Garantenpflicht sanktioniert wird“.103 Auch Vogler sieht in dem Vertrauensgrundsatz ein „allgemeingültiges Prinzip“.104 Die Erfolgsabwendungspflichten seien durch die Abhängigkeit des Rechtsguts von der Rettung sowie des Vertrauens auf die Vornahme gekennzeichnet. Verstanden wird das Vertrauen von den Anhängern dieses Prinzips dabei nicht als von einer Person im konkreten Fall tatsächlich vorhandenes, sondern als objektives Vertrauen in Rechtsnormen.105 Wolff, der die Gleichstellungsfrage davon abhängig macht, ob durch das Unterlassen der Erfolg in gleicher Weise „bewirkt“ 106 werde wie durch ein Tun, sieht ebenfalls im Vertrauensverhältnis das für die Entstehung einer Garantenstellung wesentliche Element. Ihm zufolge entstehe durch das Vertrauen ein Abhängigkeitsverhältnis, das eine Garantenstellung begründe.107 Dabei seien die Abhängigkeitsverhältnisse nicht gesetzlich geregelt, sondern müssten aus der „Rechtsordnung als ganzer“ 108 abgeleitet werden. Für ein rechtliches Abhängigkeitsverhältnis sei demnach ein berechtigtes Vertrauendürfen erforderlich.109 Wolff erkennt durchaus an, dass sich die Garantenstellung aus Ingerenz von an101 Siehe auch die ausf. Untersuchungen von Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 37 ff.; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 18 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 123 ff.; v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“, S. 92 ff. 102 Vgl. ausf. zur Entwicklung des Vertrauensprinzips Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 78 ff. 103 Kühne, Geschäftstüchtigkeit oder Betrug?, S. 80. 104 Vogler, in: FS Lange, S. 265 (281). 105 Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 36 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 177 ff.; Vogler, in: FS Lange, S. 265 ff. 106 Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 33 ff., der trotz des Titels seiner Abhandlung den Begriff des Bewirkens nicht als mechanische Kausalität versteht. 107 Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 40 f. 108 Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 38. 109 Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 40.
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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deren anerkannten Garantenstellungen unterscheide, da im Vergleich zu Konstellationen wie der Eltern-Kind-Beziehung ein dauerhaftes Vertrauensverhältnis fehle.110 Da sich kein Mensch gegen jede Gefahr von außen abwehrbereit halten könne, existiere grundsätzlich ein Vertrauen darauf, dass andere nicht gegen bestehende Verbotsnormen verstoßen werden. Damit aber dieses notwendige Vertrauen aufrechterhalten werden könne, müsse ebenso die Pflicht bestehen, rechtswidrig in Gang gesetzte gefährliche Kausalverläufe unschädlich zu machen.111 Auch Welp hat im Anschluss an Wolff seine Garantenlehre auf das Vertrauensprinzip zu stützen versucht, um vorwiegend die Ingerenz begründen zu können. Seiner Ansicht zufolge entsteht die Garantenstellung aus Ingerenz durch eine besondere „Abhängigkeitsbeziehung“ zwischen Täter und Opfer.112 Das Opfer sei demnach „von der Vornahme der unterlassenen Handlung ebenso abhängig (. . .) wie vom Unterbleiben der verbotenen Handlung“.113 Welp sieht sowohl bei rechtswidrigen als auch bei rechtmäßigen Risiko-Vorhandlungen ein garantiebegründendes und damit ein den Begehungsdelikten gleichstehendes Vertrauensund Abhängigkeitsverhältnis. Auch Vogler legt dar, dass die Ingerenz auf den ersten Blick zwar eine „Sonderstellung“ gegenüber den anderen Garantenstellungen einnehme. Dies spreche aber „nicht gegen die Garantenpflicht aus vorausgegangenem gefährdendem Tun als solche, sondern mehr gegen die unangemessen weite Ausdehnung“, weshalb Vogler verlangt, dass die Ingerenz über die Kriterien der adäquaten Gefahr und der objektiv pflichtwidrigen Vorhandlung hinaus dadurch eingeschränkt wird, dass durch das Vorverhalten entweder ein bestehendes Schutzverhältnis aufgehoben oder eine neue Gefahrenquelle eröffnet werden muss.114 Teile der Lehre kritisieren an der Herleitung von Garantenstellungen aus dem Vertrauensprinzip, dass bisher der Nachweis unterblieben sei, ob das Normvertrauen tatsächlich besondere Rechtspflichten zur Folge habe oder ob es nicht genau umgekehrt sei und Vertrauen letztlich die Folge anerkannter Rechtsnormen darstelle.115 Aus diesem Grund halten viele die Begründung von Garantenstellungen unmittelbar aus dem Vertrauensgedanken für zirkulär.116 Diese Kritik be110
Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 41. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 41 f. 112 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 178. 113 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 178. 114 Vogler, in: FS Lange, S. 265 (282). 115 AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 43 betont: „Ob jemand zu Recht vertraute, hängt doch gerade davon ab, ob eine Handlungspflicht für den anderen bestand“. Siehe auch Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 377; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 25; Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers, S. 236 f.; Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 137; Vogel, Norm und Pflicht, S. 346. 116 So auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 346; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 25; Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers, S. 236 f.; Schü111
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
rücksichtigt jedoch nicht in ausreichendem Maße, dass die Existenz von Rechtsnormen oftmals ein vertrauensvolles Miteinander der Individuen bereits voraussetzt.117 Ausgehend von einem freiheitlichen Rechtsverständnis, das dieser Untersuchung zu Grunde gelegt und an späterer Stelle noch aufzugreifen sein wird,118 setzt die Existenz rechtlich verbindlicher Normen voraus, dass diese durch das Verhältnis der Personen zueinander bestimmt sind. Da die Person sich selbst und ihr Gegenüber als frei und vernunftbegabt und damit zu richtigem Handeln fähig ansieht, vertraut sie auch grundsätzlich auf das richtige Handeln des anderen.119 Rechtliche Normen und Institutionen begründen somit dieses natürliche Vertrauen nicht, sondern setzen es bereits voraus. Sie tragen aber dazu bei, es für die Allgemeinheit zu verfestigen.120 Die anerkannten Fallgruppen der unechten Unterlassungsdelikte beinhalten somit immer auch die Enttäuschung eines natürlichen Vertrauensverhältnisses. So existieren Fallkonstellationen, bei denen hinsichtlich des Bestehens eines natürlichen Vertrauensverhältnisses keine Zweifel aufkommen. Selbstredend vertraut das Kind darauf, dass die Mutter es in der Not retten wird. Es handelt sich dabei auch nicht lediglich um ein konkretes Vertrauen im Einzelfall, sondern um ein natürliches Vertrauensverhältnis, das sich als allgemeine Rechtsnorm in der Gesellschaft manifestiert hat.121 Gleichwohl bestehen Bedenken gegen eine unmittelbare Heranziehung des Vertrauensprinzips zur Begründung von Garantenstellungen. Bislang ist der Begriff des Vertrauens zu unbestimmt geblieben, um auf dieser Grundlage auch umstrittene Fallgruppen entscheiden zu können.122 So bleibt bei der unmittelbaren Heranziehung von Vertrauensverhältnissen zur Begründung von Garantenstellungen unklar, welche Rechtsgüter in welchem Umfang geschützt werden sollen.123 Besonders deutlich tritt die Unklarheit des Vertrauensbegriffs bei der Ingerenz zu Tage. Wie muss das Vorverhalten beschaffen sein, damit von einem berechtigten Normvertrauen, dessen Enttäuschung eine Unterlassungsstrafbarkeit zur Folge haben soll, ausgegangen werden kann? Dieses Problem wird deutlich, wenn man die Ergebnisse von Vogler und Welp miteinander vergleicht. Beide Autoren gelangen trotz der Zugrundelegung des Vertrauensprinzips bei der Frage nach der nemann, Grund und Grenzen, S. 251 betont, dass „Vertrauen niemals Grund, sondern immer nur Folge der Garantenstellung“ sein könne. 117 Wolff, in: Hassemer, Strafrechtspolitik, S. 137 ( 212 f.). 118 Siehe unten Kap. 2, C. VII. 3. a). 119 Vgl. auch Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 52. 120 Wolff, in: Hassemer, Strafrechtspolitik, S. 137 ( 212 f.); vgl. auch Gierhake, Der Zusammenhang von Freiheit, S. 249. 121 Abgesehen von Sonderfällen, in denen z. B. ein Elternteil das Kind alleine erzieht. 122 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (535); Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 84 ff.; v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“, S. 96; AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 39. 123 Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 57 f.
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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rechtlichen Qualität des Vorverhaltens zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während Vogler124 ein objektiv pflichtwidriges Vorverhalten fordert, lässt Welp125 auch rechtmäßige Risiko-Vorhandlungen für eine Garantenstellung aus Ingerenz genügen. Aber auch in anderen problematischen Fällen der Unterlassungsstrafbarkeit stößt die unmittelbare Heranziehung des Vertrauensgedankens zur Begründung von Garantenstellungen an Grenzen.126 Daher soll im Folgenden der Ansatz, Garantenstellungen allgemein und unmittelbar aus dem Vertrauensprinzip herzuleiten, nicht weiter verfolgt werden. Stattdessen bietet es sich an, gerade auch unter der Berücksichtigung des § 13 StGB, der ein „rechtliches Einstehenmüssen“ verlangt, an die das Vertrauensverhältnis verfestigende und damit bereits konkretisierte Rechtsnorm zur Begründung von Garantenstellungen und damit zur Begründung der Ingerenz anzuknüpfen. Soweit sich eine solche Rechtsnorm auf ein natürliches Vertrauensverhältnis zurückführen lässt, können auf diese Weise Ergebnisse gefunden werden, die zwar nicht unmittelbar aus dem Vertrauensprinzip selbst hergeleitet werden, sich aber hierauf zurückführen lassen und mit diesem daher letzlich in Einklang stehen.127
II. Garantenstellung auf Grund Gefahrschaffung Ein monistischer Ansatz zur Begründung von Garantenstellungen besteht darin, die Gefahrschaffung zum wesentlichen Element bei der Entstehung von Garantenstellungen zu machen.128 Diese Ansicht vertritt beispielsweise Arzt, der den entscheidenden Entstehungsgrund einer Garantenstellung in einer „rudimentäre(n) Gefahrschaffung als Begehungselement“ sieht.129 Für ihn liegt hierin ein für alle Garantenstellungen „wesentliches Element“.130 Auch lediglich mittelbare Gefahrschaffungen können zur Entstehung einer Garantenstellung genügen, wie dies beispielsweise bei der Nichterfüllung einer übernommenen Gefahrenabwendungsaufgabe der Fall ist.131 Bei Garantenstellungen aus Lebensgemeinschaften entstehe Arzt zufolge aus dieser Gemeinschaftsbeziehung eine Erwartungshaltung gegenüber dem Garanten, dass er schädigende Erfolge vom Lebenspartner abwenden werde. In diesem 124
Vogler, in: FS Lange, S. 265 (281 f.). Welp, Vorangegangenes Tun, S. 209 ff., 262 ff. 126 So ist bspw. fraglich, ob ein berechtigtes Vertrauen hinsichtlich einer Garantenstellung nur zwischen Ehepartnern oder auch zwischen Partnern einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bzw. gar einer nur kurzzeitigen Romanze angenommen werden soll. 127 Siehe unten Kap. 2, C. VII. 3. 128 So Arzt, JA 1980, S. 553 (560); Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 67 (85); Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 138 ff. 129 Arzt, JA 1980, S. 553 (560). 130 Arzt, JA 1980, S. 647 (650). 131 Arzt, JA 1980, S. 714. 125
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durch die Lebensgemeinschaft geschaffenen „Element der Erwartung“ liege die „Gefahrschaffung in Form der Enttäuschung berechtigten Vertrauens“.132 Auch Schultz sieht in der Gefahrschaffung das für die Entstehung von Garantenstellungen entscheidende Merkmal. Er untersucht die Garantenstellung des Amtswalters und zieht hierbei zunächst den Aspekt der Gefahrschaffung zur Begründung der Garantenstellung aus Übernahme heran. Darüber hinaus hält er das Kriterium der Gefahrschaffung aber auch für auf alle anderen Garantenstellungen übertragbar.133 Indem Schultz unter Heranziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung die Begehungsdelikte mit den Unterlassungsdelikten vergleicht, gelangt er zu dem Ergebnis, dass es auch bei Letzteren darauf ankomme, für welche Gefahrrealisierungen der Handlungspflichtige verantwortlich gemacht werden könne.134 Aus diesem Grund überträgt er die Kriterien der Lehre von der objektiven Zurechnung sowohl auf Überwacher- als auch auf Beschützergarantenstellungen, dabei insbesondere auch auf die Garantenstellung aus Ingerenz. Schultz begründet bei der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun das Erfordernis einer zurechenbaren Handlung damit, dass „ansonsten die erforderliche Wertungseinheit unter den verschiedenen Garantenstellungen nicht gewahrt wäre“.135 Die Idee, in jeder Garantenstellung ein Gefahrschaffungselement zu sehen, hat zu Recht Kritik erfahren.136 Zwar mag die Gefahrschaffung gerade bei der Ingerenz von elementarer Bedeutung sein, da sie schließlich den einzigen Anknüpfungspunkt für die Garantenstellung bildet. Auch im Bereich der Übernahme lässt sich das Erfordernis der Gefahrschaffung durchaus vertreten. Gleichwohl vermag der Ansatz von Arzt und Schultz zur Begründung aller Garantenstellungen nicht zu überzeugen. Insbesondere bei den Beschützergarantenstellungen, beispielsweise im Verhältnis von Eheleuten zueinander oder im Verhältnis der Eltern zu ihrem Kind, stellt die Annahme eines Gefahrschaffungsmoments eine bloße Fiktion dar.137 Indem Arzt im Zusammenhang mit den Lebensgemeinschaften das von ihm für die Entstehung von Garantenpflichten als wesentlich bezeichnete Element der Gefahrschaffung mit gesellschaftlichen Erwartungen sowie mit Vertrauensaspekten vermengt, belegt er, dass das Gefahrschaffungsmoment allein für die Begründung von Garantenstellungen eben nicht ausreicht.138 Zudem kategorisiert Arzt die Garantenstellungen in fünf Varianten, 132
Arzt, JA 1980, S. 647 (650). Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 145. 134 Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 145. 135 Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 147. 136 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (534); Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 22 f.; Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (296 Fn. 32); Vogel, Norm und Pflicht, S. 343. 137 Siehe nur die Beispiele bei Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 371. 133
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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„Gesetz, Vertrag, freiwillige Übernahme, enge Lebensgemeinschaft und Gefahrschaffung“.139 Auch hier verwundert es, dass die Gefahrschaffung eine eigenständige, neben vier anderen Varianten existierende Kategorie ist, obwohl doch Arzt zufolge jeder Garantenstellung eine Gefahrschaffung zu Grunde liege.140 Der Gedanke Schultz’, die Lehre von der objektiven Zurechnung auch für die Garantenstellungen fruchtbar zu machen, erweist sich bei der Ingerenz als durchaus überlegenswert und wird an späterer Stelle dieser Arbeit vertieft untersucht werden.141 Allerdings liefert Schultz keine überzeugenden Argumente dafür, weshalb die Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Ingerenz Anwendung finden soll. Das Erfordernis der Wertungseinheit mit anderen Garantenstellungen ist schon deshalb zu verwerfen, da die objektive Erfolgszurechnung zur Begründung der meisten Beschützergarantenstellungen ohnehin ungeeignet ist.142 Man wird schwerlich behaupten können, dass die Mutter zur Begründung einer Garantenstellung zum Schutz ihres Kindes eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben muss, die sich im konkret schädigenden Erfolg zu realisieren droht. Daher kann das Ziel nicht darin bestehen, die Gleichstellung bei allen Garantenstellungen von der Erfolgszurechnung abhängig zu machen. Insgesamt ist daher der Aspekt der Gefahrschaffung nicht dazu geeignet, als entscheidende Entstehungsvoraussetzung für alle Garantenstellungen zu fungieren.
III. Garantenstellungen auf Grund Verhaltenserwartungen Ein weiterer Ansatz besteht darin, faktisch bestehende Verhaltenserwartungen als Grundlage für die Begründung von Garantenstellungen heranzuziehen. Insbesondere Brammsen hat zur Entwicklung dieses Legitimationskonzeptes, das später von ihm zusammen mit Otto weiterentwickelt wurde, beigetragen. Beide Autoren vertreten eine „ethnomethodologisch(e), d.h. an den Strukturen des sozialen Alltagslebens ausgerichtete (. . .) Garantenlehre“.143 Der Grund für die Pönalisierung einer bestimmten Verhaltensweise bestehe demnach in „negativ erfahrenen real existierenden Verhaltenserwartungen“.144 Die Basis für die Bestimmung solcher Erwartungen bilden rollen- und systemtheoretische Untersuchungen.145 Es 138 So auch Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 22 f.; Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (296 Fn. 32); ebenso auch Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (534); Vogel, Norm und Pflicht, S. 343. 139 Arzt, JA 1980, S. 647 (648). 140 So auch v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“, S. 98. 141 Siehe unten Kap. 4, B. III. 142 Siehe dazu die ausf. Kritik bei Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 265 ff. 143 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (536). 144 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (536). 145 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (536).
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sollen dabei allerdings nur solche Verhaltenserwartungen relevant sein, deren „Nichtbefolgung über einen längeren Zeitpunkt hinweg in der Rechtsgesellschaft als sozialschädlich angesehen wird, und denen eine im sozialen Raum stabilisierende Wirkung zukommt“.146 Solche Erwartungen werden von Brammsen als „Muß-Erwartungen“ bezeichnet.147 Diese Muss-Erwartungen müssen darüber hinaus für den Erwartungsadressaten auch erkennbar sein und gleichsam auch erwartet werden, demnach als sog. „Erwartungserwartungen“ existieren.148 Die Entstehung einer Garantenstellung setze demnach voraus, dass der Unterlassende die an ihn gerichtete Erwartung nicht erfüllt habe, obwohl dies von ihm durch andere Personen erwartet wurde.149 Hiermit könne das Unrecht des Garantenunterlassens erklärt werden.150 Brammsen lehnt unter Zugrundelegung seiner Konzeption eine Garantenstellung aus Ingerenz ab.151 Seiner Ansicht nach fehle es an einem in einer „bestimmten sozialen Position verfestigten gegenseitigen Erwartungsverhältnis“. Zudem werde dem Ingerenten kein sozialer Einflussbereich überantwortet.152 Die „ihr (der Garantenstellung aus Ingerenz) zugrundeliegende Erwartung, den Eintritt rechtsgutsverletzender Erfolge nach eigenem gefährlichen Vorverhalten zu verhindern, (sei) unabhängig von der Person des ,Gefahrbegründers‘ und seinen individuellen Fähigkeiten. (. . .) Ähnlich wie bei den sog. ,Jedermann-Delikten‘ (sei) sie an alle Mitglieder der Rechtsgemeinschaft gerichtet“.153 Brammsen möchte aber dem Strafbarkeitsbedürfnis der einschlägigen Konstellationen dadurch gerecht werden, dass er sie den Begehungsdelikten zuordnet.154 Diese Einordnung basiert auf dem Gedanken, dass alle Gefahrschaffer, demnach sowohl der Ingerent als auch der Begehungstäter „dieselbe den gesetzlichen Verbotsnormen zugrundeliegende Verhaltenserwartung“ enttäusche. Beide tangieren Brammsen zufolge durch das pflichtwidrige gefährliche Tun das später verletze Rechtsgut.155 Dies bedinge zwingend die Schlussfolgerung, dass die Ingerenzsituation zur Begehungshaftung gehöre. 146
Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (536). Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 116. 148 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 122 f.; siehe die rollentheoretische Bezugnahme der Erwartungen von Erwartungen bei Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, S. 33 ff. 149 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 123; Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (536 f.). 150 Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (537). 151 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 385 ff. 152 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 392. 153 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 390. 154 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 288; diese Idee geht auf Lampe, ZStW 72 (1960), S. 93 (106 f.) zurück; kritisch hierzu schon Welp, Vorangegangenes Tun, S. 126 ff. 155 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 399 ff., 403. 147
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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Die Hürde, die dieser Lösungsvorschlag zu überwinden verpflichtet ist, besteht unter anderem darin, dass in den Ingerenzfällen kein Vorsatz zum Zeitpunkt der gefährdenden Handlung vorliegt. Vielmehr tritt dieser erst nachträglich im Zeitraum der möglichen Erfolgsabwendung hinzu. Wer auf dieser Grundlage dennoch aus einem vorsätzlichen Begehungsdelikt bestrafen will, gerät unweigerlich mit dem Koinzidenzprinzip in Konflikt.156 Um diesem vorhersehbaren Vorwurf zuvorzukommen schlägt Brammsen vor, auch einen sog. „dolus superveniens“ für die Kongruenz von objektivem und subjektivem Tatbestand genügen zu lassen. Das Wesen des „dolus superveniens“ wurde schon durch Mezger dadurch charakterisiert, „daß die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der Straftat schuldlos oder fahrlässig begonnen wurde, aber vor der endgültigen Verursachung der Täter der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens inne wird und trotzdem die Tat zu Ende führt“.157 Um den dolus superveniens von einem dolus subsequens abzugrenzen sei entscheidend, dass „das der Steuerungsmöglichkeit des ,Gefahrbegründers‘ unterliegende Geschehen (. . .) noch nicht seinen Abschluß gefunden haben“ dürfe.158 Nicht ausreichend sei demnach, wenn der Ingerent erst ab dem Zeitpunkt des Erfolgseintritts den entsprechenden Vorsatz fasse. Grundsätzlich sind gegen die Begründung von Garantenstellungen aus Erwartungshaltungen dieselben Argumente vorzubringen, die auch schon gegen das Vertrauensprinzip sprechen. Erwartungserwartungen sind faktische Verhältnisse. Aus ihnen können nicht ohne Weiteres normative Gebote abgeleitet werden.159 Selbst wenn man dieses Problem außer Acht ließe, so sprechen weitere Argumente gegen diese Lehre. Erwartungen, die auf explizit gesetzlich normierten Pflichten beruhen, lassen sich möglicherweise noch vergleichsweise einfach nachweisen.160 Soziale Rollen und Systeme bilden hingegen eine höchst unbestimmte Grundlage zur Bildung von Erfolgsabwendungspflichten.161 Die unumstrittenen Fälle von Garantenstellungen werden sich noch in dieses Konzept einfügen lassen, wohingegen in Grenzfällen selbst auf einer empirisch gesicherten Grundlage schwer feststellbar ist, ob es sich tatsächlich um den erforderlichen Grad einer „Muß-Erwartung“ handelt.162 156
Ausf. zum Koinzidenz- bzw. Simultanitätsprinzip siehe Hruschka, Strafrecht, S. 4 ff. sowie LK-Vogel, § 15 Rn. 52. 157 Siehe Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 418. 158 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 419. 159 So auch Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 26; Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 380; AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 44. 160 Vgl. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 145. 161 So auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 31; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 146 ff. 162 Vgl. die ausf. Kritik bei Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 146.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Speziell gegen die auf dieser Grundlage erfolgende Ablehnung der Ingerenz ist einzuwenden, dass das Ergebnis auch auf Basis einer auf Erwartungserwartungen fußenden Gleichstellungslehre nicht zwingend ist. Je nachdem welche Rolle man dem Gefahrschaffer auch in Anbetracht der rechtlichen Qualität seiner Vorhandlung beimisst, kann auch eine sog. Muss-Erwartung hervorgerufen werden, die gleichsam von den Ingerenten erwartet wird. Immerhin scheint Brammsen der Bestrafung aus Ingerenz eine besondere kriminalpolitische Notwendigkeit beizumessen, wenn er die entsprechenden Fallkonstellationen sogar als Begehungsdelikte begreifen möchte. Gleichwohl bestehen gegen diese Konstruktion erhebliche Bedenken. Zum einen ist nicht ersichtlich, weshalb die Unterlassung der Erfolgsabwendung ausschließlich zum objektiven Unrechtstatbestand des Begehungsdelikts gehören soll.163 Interpretiert man nämlich ein Erfolgsabwendungsgebot in das Begehungsdelikt hinein, so übergeht man die im Gesetz selbst angelegte Differenzierung zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten.164 Zum anderen vermag die Verwendung eines dolus superveniens nicht darüber hinwegzutäuschen, dass bei zeitlichem Auseinanderfallen von Tathandlung und Vorsatz in Wahrheit sehr wohl ein dolus subsequens vorliegt.165 Dieser ist dem modernen Strafrecht jedoch nach wie vor fremd und lässt sich mit dem Gesetzeswortlaut der §§ 8, 16 Abs. 1 StGB nicht vereinbaren.166 Eine weitere Folge der Begehungslösung Brammsens ist die generelle Versagung einer fakultativen Milderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die gesetzliche Wertung übergangen wird. Denn in dem Moment, in dem der Ingerent den Vorsatz im Hinblick auf den Erfolgseintritt fasst und dann nur noch die Erfolgsabwendung unterlässt, ist § 13 Abs. 2 StGB von seinem Wortlaut her einschlägig. Eine Milderung auszuschließen stellte dann eine strafbarkeitsbegründende Analogie dar, die sich mit dem nulla poena sine lege-Grundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbaren lässt.167 Brammsen erreicht somit seine Begehungslösung nur durch die Übergehung oder zumindest Modifizierung der anerkannten und von der Verfassung vorgegebenen Strafrechtsprinzipien.168 Trotz der hieraus im Ergebnis folgenden Unterstützung der Garantenstellung aus gefährdendem Vorverhalten verdient die Lösung Brammsens keinen Beifall. 163
Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 316. Vgl. dazu die ausf. Kritik von Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 336 ff.; siehe auch Herzberg, JZ 1986, S. 986 (988 Fn. 20); Stein, JR 1999, S. 265 (267). 165 So Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 154. 166 Vgl. Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 154. 167 Herzberg, JZ 1986, S. 986 (988 Fn. 20). 168 Vgl. Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (163). Er hält es für unangemessen „sonst unverzichtbare und bewährte Grundbegriffe und -prinzipien des Strafrechts aufzugeben, nur um dem Ingerenzproblem beizukommen“. 164
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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IV. Garantenstellung auf Grund Herrschaft Einen weiteren Ansatz zur Begründung von Garantenstellungen, dem sich insbesondere Roxin169 angeschlossen hat und der von Sangenstedt170 modifiziert wurde, hat Schünemann entwickelt.171 Da seine Arbeit zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem § 13 StGB zwar beschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten war, suchte Schünemann nach Gründen für die Begehungsgleichheit der unechten Unterlassungsdelikte.172 Ihm zufolge sei für die Gleichstellungsfrage das Wesen des Verhältnisses zwischen Person und Körperbewegung entscheidend, das er in der „absoluten Herrschaft der Person über den Körper“ sieht.173 Bezogen auf einen Erfolg führt Schünemann daher sowohl Begehungs- als auch Unterlassungsdelikte auf die „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ als allgemeines Prinzip zurück.174 Da das Gesetz selbst nichts über die Begehungsgleichheit sage, möchte Schünemann das Herrschaftsprinzip durch die „Natur der Sache“ weiter konkretisieren.175 Dabei belegt er anhand von Grundfällen, beispielsweise dem Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind, dass ein unechtes Unterlassungsdelikt angenommen werden müsse, falls die Mutter ihr Kind sehenden Auges verhungern lässt, da sie die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Säuglings und damit den Grund des Erfolges besitze.176 Schünemann teilt die Garantenstellungen dabei in Garantenstellungen aus der Herrschaft über die „wesentliche Erfolgsursache“ sowie in solche aus der Herrschaft über die „Anfälligkeit des Opfers“ auf.177 Erstere bezeichnen dabei die Überwachergarantenstellungen, Letztere die Beschützergarantenstellungen,
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Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 31. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 292 ff. hat den Ansatz Schünemanns dahingehend modifiziert, dass nunmehr normative Faktoren eine entscheidendere Rolle spielen. So stellt er bspw. bei den Garantenstellungen zur Überwachung gefährlicher Sachen darauf ab, ob eine Person die Rechtsmacht über die Sache besitzt. Zudem vertritt er ähnlich wie Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 172 ff. einen negativen Handlungsbegriff, indem er in jeder Begehung auch ein Unterlassungsmoment sieht. 171 So basieren die Begründungen von Garantenstellungen bei Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 17 ff. auf der Theorie Schünemanns, der jedoch nicht wie Schünemann eine Garantenstellung aus Ingerenz ablehnt. Siehe dazu Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 150 ff. 172 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 232, 240; ders., GA 1974, S. 231 (233); vgl. hierzu v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“, S. 112. 173 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235. 174 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235 f.; für Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 385 umschreibe Schünemann damit lediglich Elemente des Handlungsbegriffs. 175 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 231 ff., 241 f. 176 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 240. 177 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 241 f. 170
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
wobei bei beiden Garantentypen eine aktuelle Herrschaftsbeziehung verlangt wird.178 Für die hiesige Untersuchung besonders interessant ist, dass Schünemann auf der Grundlage seines Legitimationskonzeptes für unechte Unterlassungsdelikte keinen Raum für eine Garantenstellung aus Ingerenz sieht. In späteren Veröffentlichungen steuert er zwar etwas zurück, indem er die weniger radikale Auffassung vertritt, dass die Ingerenz nur noch „allermindestens einer radikalen Restriktion“ bedürfe, er verbleibt aber weiterhin bei seinen grundsätzlichen Zweifeln an einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun.179 Jedenfalls schlägt Schünemann zur Schließung von Strafbarkeitslücken die Einführung einer Qualifikation zu § 323c (ehemals § 330c) StGB vor.180 Seine ablehnende Haltung gegenüber der Ingerenz begründet er damit, dass die „Herrschaft des Unterlassers“ in den Konstellationen der Ingerenz ausschließlich in der Vergangenheit liege und somit keine „Aktualität“ aufweise.181 Innerhalb des Zeitraumes, in dem der Ingerent es unterlässt, den Erfolg abzuwenden, unterscheide er sich nicht von jeder beliebigen Person, da auch der Ingerent genau wie der quivis ex populo nur eine „potentielle Herrschaft über das Geschehen“ aufweise und damit auch nur eine potentielle Abwendungsmöglichkeit besitze.182 Fasse er dann den Vorsatz im Hinblick auf den späteren Erfolgseintritt, so handele es sich dabei lediglich um einen „Vorsatz ohne Herrschaft“, der letztlich nichts anderes als ein „bloßer böser Wille ohne Tat“ sei.183 Auch aus kriminalpolitischer Sicht besteht für Schünemann kein Bedarf für eine Bestrafung des Ingerenten aus einer vorsätzlichen Unterlassungstat. So seien alle „ernsthaft strafwürdigen Fälle“ entweder „qua Handlung oder qua Verkehrspflicht“ erfasst.184 Die Fälle, in denen durch die Annahme einer unterlassenen Hilfeleistung das Unrecht nicht in ausreichender Weise erfasst werde, ließen sich dann durch eine Qualifikation des § 323c StGB befriedigend lösen. Schünemanns These, es bestehe für eine Ingerenzstrafbarkeit kein kriminalpolitisches Bedürfnis, hat überwiegend keine Zustimmung erhalten. Denn in Fällen, in denen zumindest pflichtwidriges Vorverhalten vorliegt, drohen unerträgliche Strafbarkeitslücken.185 Darüber hinaus scheint auch eine auf Schünemanns 178
Schünemann, Grund und Grenzen, S. 241 f. Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 287 (309). 180 Schünemann, Grund und Grenzen, 317 ff., dazu ergänzend und als Antwort auf seine Kritiker Schünemann, GA 1974, S. 231 (231 ff., 236 ff.) sowie Schünemann, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter (Hrsg.), S. 74 ff. 181 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 316; ders., GA 1974, S. 231 (235); so auch Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 318 ff. 182 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 316. 183 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 316. 184 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 313. 179
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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Konzept basierende Begründung der Ingerenz nicht ausgeschlossen. Dies veranschaulicht Roxin, der bei der Begründung von Garantenstellungen im Wesentlichen den Legitimationsansatz Schünemanns zu Grunde legt, dabei aber durchaus die Möglichkeit einer Garantenstellung aus Ingerenz anerkennt.186 Da Roxin das Kriterium der Herrschaft über den Grund des Erfolges normativ versteht, kann er eine Garantenstellung anerkennen, wenn die Gefahr bereits den Gefahrenherd verlassen hat und in einen Schaden umzuschlagen droht.187 Es wird somit deutlich, dass auf der Grundlage des Herrschaftskriteriums die Ablehnung der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun keinesfalls zwingend ist. Grundsätzlich bestehen jedoch erhebliche Zweifel an der Herleitung von Garantenstellungen aus der Herrschaft über den Grund des Erfolges.188 Zum einen liegt das an der Unbestimmtheit der durch Schünemann verwendeten Begriffe.189 So lässt sich letztlich die genaue Bedeutung des Begriffs der „Natur der Sache“ auf Grund des hohen Abstraktionsgrades nur schwer erfassen.190 Ebenso wenig gelingt es Schünemann, den Herrschaftsbegriff vollständig zu erklären. Denn es wird nicht deutlich, worin der Unterschied zwischen demjenigen liegt, der lediglich eine faktische Möglichkeit zur Erfolgsabwendung besitzt, und demjenigen, der Garant ist.191 Schünemann gelingt es nicht, den normativen Grund für Erfolgsabwendungspflichten herauszuarbeiten. Vielmehr ist das Merkmal der Herrschaft, wie Vogel zu Recht bemerkt, ein zwischen „Norm und Faktum changie185 Ausf. dazu Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 291 f. Er argumentiert mit der „groben Verletzung unseres Gerechtigkeitsempfindens“ und bezeichnet die Straflosigkeit einiger Ingerenzkonstellationen als für den Laien „himmelschreiendes Unrecht“; ausf. Kritik an der Argumentation Herzbergs bei Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 323 f. 186 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 150 ff. 187 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 150 f. Er verdeutlicht dieses Ergebnis anhand des Beispiels eines Hundehalters, der die Pflicht hat, dass gefährliche Hunde nicht ausbrechen und andere Menschen verletzen. Während es sich bei dieser Pflicht um einen unumstrittenen Fall der Garantenstellung aus einer Verkehrssicherungspflicht handelt, verneint Schünemann die Erfolgsabwendungspflicht, sobald der Hund ausbricht und, ohne auf Rückrufe zu reagieren, einen Menschen verletzt. Die Garantenstellung des Hundehalters aus Ingerenz ebenfalls bejahend MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 120. Siehe auch Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 290 f., der davon ausgeht, dass Zurechnungskriterien, die für die Begehung entwickelt wurden, aufgegeben werden müssen, um überhaupt aus Unterlassungen bestrafen zu können. Daher sei auch das Merkmal der „Aktualität“ nicht obligatorisch. 188 Vgl. die Kritik von Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (534); Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 192 ff., 218 ff.; Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils, S. 165 ff.; Stein, Jura 1999, S. 265 (271). 189 Siehe aber die Antwort Schünemanns, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter (Hrsg.), S. 74 ff. auf die in der Lehre gegen seine Theorie angeführten Argumente. 190 Vgl. auch Otto/Brammsen, Jura 1985, S. 530 (534); zu den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs der „Natur der Sache“ in der Rechtsphilosophie siehe Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 76. 191 Vgl. Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 15.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
render Begriff“,192 der nicht dazu geeignet ist – wie von Schünemann beabsichtigt – „Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte“ festzulegen.
V. Garantenstellung aus Organisationszuständigkeit und institutioneller Zuständigkeit Einen dualistischen Ansatz zur Begründung von Garantenstellungen hat Jakobs entwickelt. Er möchte die Garantenstellungen entweder aus der Haftung „kraft Organisationszuständigkeit“ oder aus „institutioneller Zuständigkeit“ herleiten.193 Jakobs legt den beiden Arten von Garantenstellungen unterschiedliche Fundamente zu Grunde. Die Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit seien dadurch gekennzeichnet, dass die „alleinige Dispositionsbefugnis der freien Person über ihren eigenen Körper“ zwingend als „Synallagma“ die Pflicht bedinge, für dessen gefahrlosen Zustand zu sorgen.194 Wer demnach Freiheit in Anspruch nehme, habe seinen Organisationskreis in einem für andere Personen gefahrlosen Zustand zu halten.195 Solche Erfolgsabwendungsgebote hätten Jakobs zufolge nichts mit Solidarität zu tun, sondern seien Teil der „ursprünglichen Verbindlichkeit“.196 Die Pflichten aus institutioneller Zuständigkeit fänden ihren Grund in einer „institutionell abgesicherten Solidarität“.197 Während durch die Organisationszuständigkeit der „negative Bereich“ abgedeckt werde, sollten die institutionellen Zuständigkeiten auf „besonderen Rechtsgründe(n)“ basieren, die aber denen kraft Organisationszuständigkeit gleichständen.198 Institutionelle Zuständigkeiten könnten für Jakobs nur dann Begehungsgleichheit begründen, wenn die „Institution für den gesellschaftlichen Bestand von demselben elementaren Gewicht ist, wie es Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung sind“ und zu dieser generell keine Organisationsalternative bestehte.199 Exemplarisch werden das Eltern-Kind-Verhältnis, die Ehe und Verhältnisse aus besonderem Vertrauen (darunter aber auch staatliche Institutionen wie die polizeiliche Sorge für elementare Sicherheit sowie die Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung) genannt.200 Dabei sieht er die Unterscheidung von Tun und Unter192 Vogel, Norm und Pflicht, S. 383; siehe auch die ausf. Kritik von Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 387, der belegt, weshalb der Grundfall von der Mutter nicht dazu geeignet ist, das Herrschaftsprinzip zu stützen. 193 Jakobs, Strafrecht AT, 28. Abschn. Rn. 14, 16. 194 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 20. 195 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 21. 196 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 20. 197 Jakobs, Strafrecht AT, 28. Abschn. Rn. 16. 198 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 32; ders., Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 57 ff. schreibt, dass sich die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit als Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit in einem unspezifischen Sinn verstehen. 199 Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 58 ff. 200 Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 58.
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen
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lassen als nicht entscheidend an, da er auch den Haftungsgrund der Begehungsdelikte auf die Pflichten kraft Organisationszuständigkeit sowie die Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit zurückführt.201 Auf der Grundlage dieses Modells kann auch die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun begründet werden. Denn im Falle der Ingerenz „dehnt (der Täter) die eigene Organisation auf Kosten des Opfers zu weit aus, so dass diesem ein Anspruch erwächst, von den drohenden Folgen verschont zu bleiben“.202 Die Garantenlehre Jakobs liefert somit ein Konzept, das scheinbar zwei unterschiedliche Gründe für die Entstehung von Garantenstellungen liefert. Insbesondere der Gedanke, dass aus der Freiheitsentfaltung auch Folgenverantwortung resultiert, stellt einen überlegenswerten Ansatzpunkt für eine Begründung der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun dar, so dass an späterer Stelle noch darauf einzugehen sein wird. Dennoch kann Jakobs’ Legitimationskonzept zur Begründung aller Garantenstellungen nicht überzeugen. Denn gerade die Bestimmung institutionell begründeter Pflichten erweist sich als schwierig.203 Zwar mag es sich bei besonderen Verhältnissen wie der Ehe oder dem Eltern-Kind-Verhältnis tatsächlich um Institutionen handeln, die für den gesellschaftlichen Bestand von elementarem Gewicht sind. In Grenzfällen lassen sich diese Institutionen aber nur schwer nachweisen. Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien ermittelt werden kann, ob das Verhältnis für den gesellschaftlichen Bestand tatsächlich von elementarem Gewicht ist. Es verbleibt dabei lediglich die Möglichkeit auf empirisch-soziologische Erkenntnisse abzustellen, die in der notwendigen Präzision nicht möglich sind. Damit sieht sich Jakobs’ Konzept ebenfalls dem Vorwurf ausgesetzt, aus faktischen Verhältnissen normative Pflichten abzuleiten.204 Des Weiteren nivelliert Jakobs die zuvor vorgenommene Zweiteilung der Garantenstellungen selbst, indem er betont, dass die Pflichten aus Organisationszuständigkeiten wiederum auch als Pflichten aus institutioneller Zuständigkeit verstanden werden können.205 Aus diesem Grund handelt es sich bei Jakobs’ Garantenlehre in Wahrheit doch eher um ein monistisches Legitimationskonzept.206 201 Jakobs, Strafrecht AT, 28. Abschn. Rn. 14, 16. Hieraus zieht er die Konsequenz, dass auch bei den Begehungsdelikten eine Garantenstellung vorliegen muss. Kritisch hierzu Vogel, Norm und Pflicht, S. 373 f. 202 Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 37. 203 Vgl. auch die Kritik von Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 51; Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 392; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 24. 204 Vgl. Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (554). 205 Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 57. 206 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 274 Fn. 6 betont, dass sich beide Arten von Garantenstellungen auch auf den übergeordneten Begriff der Sonderverantwortlichkeit zurückführen lassen. Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 391
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
VI. Abschließende Stellungnahme zur Begründung der Ingerenz unter Heranziehung der klassischen materiellen Garantenlehren Die Untersuchung konnte zeigen, dass die Ingerenz seit ihrer Entdeckung bis heute nicht auf eine allgemeine Garantenlehre gestützt werden kann. Zwar haben sich die materiellen Garantenlehren weitestgehend sowohl von dem Erfordernis einer streng formellen Rechtspflicht als auch von dem Kausaldogma befreien können. Doch nach wie vor hat es keines der Legitimationskonzepte vollbracht, die Grundlage für einen allgemeinen Konsens zu bilden. Auch wenn sich die Ingerenz mit manchem Konzept in Einklang bringen lässt, liegt es auf der Hand, dass es wenig überzeugend wäre, eine allgemeine Garantenlehre nur deshalb zu befürworten, weil sie die Ingerenz anerkennt. Denn lässt man die rechtsstaatlichen Erwägungen einmal beiseite, so lässt sich die Ingerenz nur unter Berücksichtigung ihres Entstehungsgrundes sinnvoll eingrenzen. Die Suche nach dem Entstehungsgrund der Ingerenz muss daher fortgeführt werden, auch wenn dies bedeutet, dass das Ziel aufgegeben werden muss, die Ingerenz auf eine allgemeine Garantenlehre zu stützen.
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB Vor der Einführung des § 13 StGB bestand die Aufgabe darin, die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen nachzuweisen. Wie gezeigt werden konnte, entstanden mit der Zeit zahlreiche Garantenlehren, die in ganz unterschiedlicher Weise die Garantenstellungen zu legitimieren versuchten. Einige integrierten dabei die Ingerenz in ihr Legitimationskonzept, andere wiederum lehnten sie dabei vollständig ab. Hauptgrund für das Bestreben, ein Unterlassen als Tun bewerten zu können, bestand darin, einem Konflikt mit dem Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG zu entgehen.207 Da keine gesetzliche Norm die Voraussetzungen für die unechten Unterlassungsdelikte regelte, machte es sich die frühere Unterlassungslehre zur Aufgabe, Gründe dafür zu suchen, warum ein unechtes Unterlassungsdelikt dem Begehungsdelikt völlig gleichstehen kann, d.h. in den Begehungstatbeständen als Äquivalent mit enthalten und auf dieser Grundlage eine Bestrafung gerechtfertigt sein kann.
weist aber darauf hin, dass das Merkmal der Sonderverantwortlichkeit ohnehin nichts weiter bedeute als das Merkmal der Garantenstellung und es daher nicht verwunderlich sei, dass Jakobs zwei unterschiedliche Entstehungsgründe eben für Garantenstellungen vorgibt; vgl. auch Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 50; Sch/SchrStree/Bosch, § 13 Rn. 15. 207 Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (161).
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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Nunmehr existiert aber mit § 13 StGB eine gesetzliche Grundlage, die dieses Bestreben in den Hintergrund rücken lässt. § 13 StGB führt sogar dazu, dass einigen Garantenlehren klar eine Absage erteilt werden muss, da sie durch die Einbeziehung von Erfolgsabwendungspflichten, die eher dem Bereich der Moral zuzuordnen sind, mit der derzeitigen Gesetzeslage nicht mehr in Einklang zu bringen sind.208 Zwar sind die unterschiedlichen Legitimationsansätze der einzelnen Garantenstellungen im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte in diversen Konstellationen zu vertretbaren Ergebnissen gelangt. Gleichwohl hat sich bis heute in dieser Hinsicht keine h. L. bilden können. Die Darstellung der teilweise schon vor der Einführung des § 13 StGB entstandenen Garantenlehren hat zeigen können, dass es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, die Ingerenz auf eine dogmatisch überzeugende allgemeine Garantenlehre zu stellen. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Lösung der Weiterungsfälle liegt, die wiederum einen Fall der Ingerenz darstellen, ist dies auch gar nicht nötig. Stattdessen soll versucht werden, auf Grundlage der derzeitigen Gesetzeslage ausschließlich die Ingerenz hinsichtlich ihrer Legitimität zu untersuchen. Dabei lautet die entscheidende Frage, ob das vorangegangene Tun eine rechtliche Pflicht zur Erfolgsabwendung zur Folge haben kann und, wenn ja, wie auf dieser Grundlage die Weiterungsfälle zu behandeln sind.
I. Anforderungen durch § 13 StGB im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG Um eine Entscheidung darüber fällen zu können, ob die Garantenstellung aus Ingerenz Anerkennung verdient, ist es unerlässlich, den gesetzlichen Rahmen zu ermitteln, innerhalb dessen sich eine Garantenlehre bewegen darf. Der Sinn und Zweck einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Garantenstellungen kann nur darin bestehen, der Rechtsprechung eine dogmatisch überzeugende Grundlage an die Hand zu geben, auf deren Basis legitime Urteile ergehen können. Demnach wird die Lehre mit denselben Regeln konfrontiert, die auch der Richter zu befolgen hat. Für das Strafrecht maßgebend ist der nullum crimen sine lege-Grundsatz. Er findet sich in Art. 103 Abs. 2 GG sowie wortlautgleich in § 1 StGB und verbietet die Bestrafung einer Tat, die zuvor nicht gesetzlich bestimmt war. Dabei handelt es sich um ein grundrechtsgleiches Recht, für das bei einem Verstoß die Verfassungsbeschwerde eröffnet ist.209 Art. 103 Abs. 2 GG manifestiert das Bestimmtheitsgebot, aus dem wiederum das Analogieverbot, das Verbot von Gewohnheitsrecht sowie das Rückwirkungsverbot abgeleitet wird.210 208 209 210
Ausf. hierzu Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 270 ff. BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 18. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 178.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Daher muss auch § 13 StGB mit den Grundsätzen des Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang gebracht werden. Da § 13 StGB sowohl vor als auch nach seiner Einführung in seiner Bedeutung umstritten war bzw. ist, gleichzeitig aber die Grundlage für unechte Unterlassungsdelikte darstellt, muss er einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. Nur wenn § 13 StGB mit der Verfassung im Einklang steht, ist auf dieser Grundlage eine Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz und damit die Strafbarkeit des Vortatbeteiligten aus einem unechten Unterlassungsdelikt in den Weiterungsfällen überhaupt denkbar.
II. Die Entstehung des § 13 StGB Als die Judikatur noch ohne einschlägige gesetzliche Grundlage aus unechten Unterlassungsdelikten, darunter auch aus Ingerenz, bestrafte, sah sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, gegen das Analogieverbot zu verstoßen.211 Da die Garantendogmatik weit von einem allgemeinen Konsens, der eine gesetzliche Regelung möglicherweise entbehrlich gemacht hätte, entfernt war, existierte schon seit dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts das Bestreben, Bestrafungen aus unechten Unterlassungsdelikten auf eine gesetzliche Grundlage zu stützen.212 In den 1950er Jahren machte es sich die große Strafrechtskommission zur Aufgabe, das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 zu reformieren.213 Bei dieser Reform sollte auch eine gesetzliche Grundlage für die unechten Unterlassungsdelikte geschaffen werden. Der Streit um die Entstehungsgründe von Garantenstellungen hat sich dabei in der Wahl einer geeigneten Gesetzesformulierung niedergeschlagen. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, ob einzelne Entstehungsgründe der Garantenstellungen entweder abschließend aufgezählt bzw. in Form von Beispielen genannt werden sollten oder ob stattdessen eine allgemeine Formulierung gewählt werden sollte.214 Die Kommission einigte sich nach zahlreichen Unstimmigkeiten letztlich auf einen Entwurf, der in der ersten Lesung des Bundestages beschlossen wurde und als § 14 in das neue Strafgesetzbuch Eingang finden sollte.215 In diesem Gesetzesvorschlag wurden einzelne Garantenstellungen, da211
MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 26; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 31. Vgl. Schubert, Protokolle zur Reform des Strafgesetzbuches (1911–1913), 1–70, Bd. 1, 1990, S. 419 ff., wobei in diesem Zusammenhang auch diskutiert wurde, Erfolgsabwendungspflichten im Gesetz festzuschreiben, die aus den guten Sitten hergeleitet wurden. 213 Lenckner, in: Baumann (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform?, S. 65 f. 214 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 12, S. 473, 476 ff. 215 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 12, S. 473; die verschiedenen Fassungen, die im Rahmen der Kommission erarbeitet wurden, finden sich bei Dreher, ZStW 68 (1956), S. 71 (87 f.). 212
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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runter auch die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, explizit aufgezählt.216 Allerdings wurde dieser Entwurf im Laufe der zweiten Lesung dahingehend verändert, dass nunmehr statt der Aufzählung einzelner Entstehungsgründe der Garantenstellungen in der Vorschrift doch eine allgemeinere Formulierung gewählt wurde, in der sowohl ein rechtliches Einstehenmüssen sowie die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen für die Strafbarkeit verlangt wurden.217 Aber auch diese Version wurde nicht zum geltenden Recht, da die Strafrechtsreform in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden konnte.218 In der nachfolgenden Wahlperiode legte die Regierung einen Entwurf zur Reform des StGB vor. Im darin enthaltenen § 13 StGB wurden die einzelnen Garantenstellungen nicht einzeln aufgezählt.219 Doch auch dieser Regierungsentwurf sah sich wieder einer breiten Kritik ausgesetzt, so dass dem Regierungsentwurf ein Alternativentwurf gegenübergestellt wurde.220 Der darin enthaltene § 12 StGB sah erneut die Aufzählung einzelner Garantenstellungen vor, wurde jedoch ebenfalls nicht in das Gesetz übernommen. Stattdessen ist erst am 01.01.1975 durch das 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 04.07.1969221 § 13 StGB in Kraft getreten, der – wie schon der Regierungsentwurf von 1962 – statt einzelne Garantenstellungen aufzuzählen, allgemeiner formuliert wurde. In der derzeitigen Fassung lautet § 13 StGB: (1) Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. (2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Aus dem langwierigen Entstehungsprozess des heutigen § 13 StGB wird deutlich, dass der Hauptstreitpunkt in der Frage bestand, ob jeder Entstehungsgrund explizit im Gesetzeswortlaut niedergeschrieben oder stattdessen eine allgemeinere Formulierung gewählt werden sollte. Erstere Variante hätte den Vorteil einer 216 § 14 Abs. 2 des Entwurfs lautete: „Die Pflicht zur Verhinderung der Erfolges besteht auch für den, der durch sein Verhalten entweder die nahe Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts herbeigeführt oder die Gewähr dafür übernommen hat, daß der drohende Erfolg nicht eintreten werde“. 217 Siehe dazu den Änderungsantrag Bockelmanns, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 12, S. 475 ff. 218 Zwar wurde der Entwurf am 8. September 1960 von der Bundesregierung beschlossen und lief am 28. Oktober 1960 durch den Bundesrat. Dieser unterließ aber auf Grund der auslaufenden Wahlperiode eine Stellungnahme. Der Bundestag, dem der Entwurf am 3. November 1960 zugegangen war, konnte sich hiermit nicht mehr befassen. Siehe dazu BT-Drucks. IV/650, S. 95 f. 219 Siehe BT-Drucks. IV/650, S. 125. 220 Lenckner, in: Baumann (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform?, S. 66. 221 Siehe BGBl. 1975/1.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
größeren Bestimmtheit gehabt. Gegen diese Vorgehensweise wurden jedoch immer wieder erhebliche Bedenken geäußert. So wurde im Regierungsentwurf von 1962 auf eine explizite Nennung der Entstehungsgründe verzichtet, da hierdurch eine „unerwünschte Festlegung der Rechtsentwicklung eintreten“ könnte, „da in dieser Frage noch zahlreiche Zweifelsfragen bestehen, deren Klärung durch die weitere Entwicklung der Rechtslehre und Rechtsprechung zu wünschen ist“.222 Ebenso wurde in der Begründung zu § 13 StGB ausdrücklich erwähnt, dass die Zeit für eine gesetzliche Regelung der einzelnen Garantenstellungen „noch nicht reif“ sei.223 Man wollte insbesondere die Klärung der einzelnen Merkmale der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun Rechtsprechung und Lehre überlassen. Aus dem Entstehungsprozess des heutigen § 13 StGB lassen sich somit zwei Schlüsse ziehen. Zum einen wollte der Gesetzgeber die genauen Grenzen der Ingerenz nicht festlegen, sondern eine Klärung stattdessen Rechtsprechung und Lehre überlassen. Zum anderen haben nicht etwa grundsätzliche Bedenken gegen eine Garantenstellung aus Ingerenz dazu geführt, dass diese Garantenstellung nicht explizit im Gesetz geregelt wurde. Vielmehr sollte eine Entscheidung über die umstrittenen Bereiche der Ingerenz nicht durch den Gesetzgeber vorweggenommen werden.224 Insgesamt ist deutlich geworden, dass das Gesetzgebungsverfahren von dem Bestreben geleitet wurde, eine Norm in das Strafgesetzbuch zu integrieren, die dazu in der Lage ist, die unechten Unterlassungsdelikte mit größtmöglicher Bestimmtheit zu regeln. Trotzdem wird man § 13 StGB als einen Kompromiss ansehen müssen, der zumindest den Verdacht nahe legt, trotz der guten Vorsätze des Gesetzgebers, nicht den für die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlichen Grad an Bestimmtheit erreicht zu haben. Betrachtet man den heutigen Stand der Unterlassungsdogmatik, so wird deutlich, dass nach wie vor Rechtsprechung und Lehre weit von einem allgemeinen Konsens entfernt sind, der die Grundlage für eine bestimmtere Regelung schaffen würde.225 Zwar werden immer wieder Versuche unternommen, auf Grundlage der gegenwärtigen Garantendogmatik einen neuen § 13 StGB zu schaffen, in dem die einzelnen Garantenstellungen explizit niedergeschrieben sind.226 Allerdings haben sich auch diese Vorschläge nicht durchsetzen können und werden in Anbetracht der nach wie vor hoch umstrittenen Dogmatik auch in absehbarer Zeit nicht zur gesetzlichen Realität werden. 222
BT-Drucks. IV/650, S. 124. BT-Drucks. V/4095, S. 8. 224 Vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 125. 225 Vgl. Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159. 226 Siehe nur die Vorschläge von MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 29 ff. sowie von v. Coelln, Das „rechtliche Einstehenmüssen“, S. 130 ff. 223
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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III. § 13 StGB und der Bestimmtheitsgrundsatz Es ist somit deutlich geworden, dass § 13 StGB einen Kompromiss als quasi „kleinster gemeinsamer Nenner“ darstellt, der bisher nur in seiner allgemeinen Formulierung Eingang in das Gesetz finden konnte.227 Wegen des Verzichts des Gesetzgebers, die unterschiedlichen Garantenstellungen explizit festzuschreiben und stattdessen den allgemeineren Begriff des rechtlichen Einstehenmüssens für das Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu verwenden, sehen einige Stimmen in § 13 StGB einen Verstoß gegen das durch Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Bestimmtheitsgebot.228 Denn § 13 StGB liefert selbst keine eindeutige Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein rechtliches Einstehenmüssen vorliegt. Aus diesem Grund wird die Norm als „zirkulär formuliert“,229 „ins Leere gehend“ 230 oder als „nichts sagend“ 231 bezeichnet. Dabei rügen zwar viele der Kritiker des § 13 StGB dessen Mangel an Bestimmtheit, gehen aber nicht so weit, die Norm als verfassungswidrig verwerfen zu wollen.232 Der Sinn und Zweck des verfassungsmäßig garantierten Bestimmtheitsgebots besteht nach der h. M., darunter insbesondere die Rechtsprechung des BVerfG, in einer doppelten Zielrichtung.233 Zum einen soll gewährleistet werden, dass der Bürger die Grenzen der Strafbarkeit erkennen und sein Verhalten daran ausrichten kann.234 Zum anderen soll garantiert werden, dass ausschließlich der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet.235 Bei einem unbestimmten Gesetz würde die Strafbarkeit letztlich durch den Richter festgelegt und nicht mehr durch den parlamentarischen Gesetzgeber, was einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip zur Folge hätte.236 227
Vgl. Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 136. Köhler, Strafrecht AT, S. 213 f.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 9 Rn. 20 f.; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 280, 342, 355; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 187 f.; kritisch Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (342), der insbesondere die Garantenstellung aus Ingerenz mit dem nullumcrimen-Satz als unvereinbar ansieht. 229 Köhler, Strafrecht AT, S. 213 f.; Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6. 230 LK-Weigend, § 13 Rn. 18. 231 Otto, Grundkurs Strafrecht, § 9 Rn. 20. 232 LK-Weigend, § 13 Rn. 18; Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 4 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 2; ausf. zu der Diskussion in der Strafrechtswissenschaft Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 138 ff. 233 BVerfGE 47, 109 (120); 75, 329 (341); BGH NJW 2007, 524 (525); Sch/SchrEser/Hecker, § 1 Rn. 16; MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 39. 234 BVerfG NJW 2007, 1193; 2008, 3627; 2010, 754 (755); BGHSt 37, 227 (230); LK-Dannecker, § 1 Rn. 179; Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 16; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 105; SK-StGB/Rudolphi, § 1 Rn. 11; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 67. 235 BVerfG NJW 2007, 1193; 2010, 754 (755); LK-Dannecker, § 1 Rn. 179; Sch/ Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 20; Calliess, NJW 1985, S. 1506 (1512); MüKo-StGB/ Schmitz, § 1 Rn. 39; Frister, Strafrecht AT, Kap. 4 Rn. 11. 236 MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 39. 228
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Gleichwohl ist es unmöglich, ein Gesetz derart bestimmt zu formulieren, dass der Richter, wie nach der Vorstellung Montesquieus, nur als „Mund des Gesetzes“ 237 fungiert.238 Die Vielfalt der strafbaren Sachverhalte lässt sich nicht direkt in ein Gesetz transformieren, so dass abstrakte, aber auslegungsfähige Normen notwendig sind, um der Vielgestaltigkeit des Lebens gerecht zu werden.239 Aus diesem Grund kann nur die bestmögliche Bestimmtheit einer Strafnorm gefordert werden.240 Ein Gesetz ist demnach nur dann als zu unbestimmt und damit als verfassungswidrig zu verwerfen, wenn dem Gesetzgeber eine bestimmtere Gesetzesformulierung möglich gewesen ist, er sich aber für eine unbestimmtere Variante entschieden hat.241 Dennoch muss aber ein Mindestmaß an Bestimmtheit erreicht werden, damit der Richter mithilfe anerkannter Auslegungsmethoden zu einem vom Gesetzgeber vorgesehenen und für den Bürger vorhersehbaren Ergebnis gelangt.242 Das BVerfG geht äußerst restriktiv mit der Annahme von Verstößen gegen das Bestimmtheitsgebot um.243 So hat es auch Zweifel an der Bestimmtheit des § 13 StGB zurückgewiesen.244 Gegen diese restriktive Interpretation des Bestimmtheitsgrundsatzes wenden sich viele Stimmen in der Literatur. Es wird gar vom „Tiefpunkt des nulla-poena-Satzes“ 245 oder von der „Preisgabe des Bestimmtheitsgebots“ 246 gesprochen.247 Es ist zwar richtig, dass eine explizite Auflistung der einzelnen Garantenstellungen die Bestimmtheit des § 13 StGB erhöht hätte; 237 „Aber die Richter sind (. . .) nur der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht“. Montesquieu, Buch XI, Kap. 6, S. 225; „Le juges de la nation ne sont (. . .) que la bouche qui prononce les paroles de la loi“; vgl. Montesquieu, Esprit des Lois, Liv. XI., Chap. VI, S. 171; vgl. dazu auch Schreiber, Gesetz und Richter, S. 53 ff. 238 Frister, Strafrecht AT, Kap. 4 Rn. 12; kritisch Jähnke, in: FS BGH u. a., S. 393 (402). 239 BVerfGE 75, 329 (341); 131, 286 (306 f.); BGH NJW 2009, 1682 (1683); Frister, Strafrecht AT, Kap. 4 Rn. 13; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 105; Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 19. 240 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 41; Lenckner, JuS 1968, S. 304 f.; Sch/SchrEser/Hecker, § 1 Rn. 20; MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 41. 241 Vgl. Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 20; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 5. 242 BVerfGE 92, 1 (12); 131, 268 (306 f.); Frister, Strafrecht AT, Kap. 4 Rn. 13; Sch/ Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 20; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 105; Vogel, Norm und Pflicht, S. 330. 243 Vgl. Frister, Strafrecht AT, Kap. 4 Rn. 14 ff.; LK-Dannecker, § 1 Rn. 185 spricht von „Relativierung der Bestimmtheitsanforderungen“; siehe auch die Kritik von Bosch, JA 2010, S. 472 (473 ff.). 244 BVerfGE 96, 68 (98 ff.); fortgesetzt in BVerfG NJW 2003, 1030. 245 Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 6. 246 Jähnke, in: FS BGH u. a., S. 393 (402). 247 Zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen, die für die Verfassungsmäßigkeit des § 13 StGB sprechen, siehe Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (335 ff.), der jedoch selbst die mangelnde Bestimmtheit des § 13 StGB heftig kritisiert.
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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dies war und ist dem Gesetzgeber jedoch zum Stand der damaligen und auch heutigen Dogmatik nicht möglich.248 Trotzdem wird man selbst eine bestmöglich bestimmte Norm als verfassungswidrig verwerfen müssen, wenn die Zwecke, die durch das Bestimmtheitsgebot gewährleistet werden, auch durch Auslegung nicht mehr zu erreichen sind. Die Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit einer Norm können dabei nicht völlig abstrakt und generell festgelegt werden.249 So lassen sich zum Beispiel Gesetze des Allgemeinen Teils nicht unmittelbar mit denen des Besonderen Teils vergleichen. Denn Merkmale wie Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit etc. weisen regelmäßig einen höheren Abstraktionsgrad auf als Merkmale wie Sache, körperliche Misshandlung etc.250 Blickt man zudem auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale von Gesetzen des Besonderen Teils, so lassen sich auch hier unterschiedliche Abstraktionsgrade feststellen. In der Regel wird der Bürger die genaue Bedeutung einiger Tatbestandsmerkmale nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ablesen oder durch laienhafte Auslegung ermitteln können.251 Um dies zu verdeutlichen, genügt ein Hinweis auf das Merkmal der Fremdheit einer Sache bei den Vermögensdelikten oder der absoluten Fahruntauglichkeit bei § 315c StGB. Daher lässt es die h. M. genügen, wenn zumindest das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten vorhersehbar ist.252 Der Richter wiederum muss in der Lage sein, den Inhalt der Norm anhand der anerkannten Auslegungsmethoden dem Tatbestand entnehmen zu können.
IV. Auslegungsfähigkeit des § 13 StGB Wie bereits angedeutet wurde, hängt die Bestimmtheit einer Norm maßgeblich davon ab, ob sich deren Inhalt und Grenzen durch Auslegung ermitteln lassen. Die Bestimmtheit des § 13 StGB setzt demnach voraus, dass im Wege der Auslegung festgestellt werden kann, wann eine Person aus einem unechten Unterlassungsdelikt strafbar ist. Heranzuziehen sind dabei die von der Lehre entwickelten anerkannten Auslegungsmethoden.253 Den Ausgangspunkt stellt im Strafrecht immer die grammatikalische Auslegung dar.254 Der Rechtsanwender darf auf 248
Siehe oben Kap. 2, C. II. Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 20; SK-StGB/Rudolphi, § 1 Rn. 14. 250 So auch Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 5. 251 Vgl. Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 19. 252 BVerfG NJW 2003, 1030; BeckOK-GG/Radtke/Hagemeier, Art. 103 Rn. 29; Sch/ Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 20; Lackner/Kühl, StGB, § 1 Rn. 2; a. A. LK-Dannecker, § 1 Rn. 185, der bemängelt, dass bei einem derart herabgesetzten Standard der „Aspekt des Vertrauensschutzes zur bloßen Fiktion“ werde. 253 MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 70; zu den Auslegungsmethoden siehe Larenz, Methodenlehre, S. 324 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 613 ff. 254 BVerfG NJW 2010, 754 (755); Rengier, Strafrecht AT, § 5 Rn. 5 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 28. 249
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Grund des Analogieverbots niemals die äußerste Grenze des möglichen Wortsinns verlassen.255 Ergänzend kann die systematische Auslegung herangezogen werden.256 Dabei ist die Norm in einen systematischen Kontext zu anderen Gesetzen zu bringen und auf diese Weise Erkenntnisse über dessen Bedeutung zu gewinnen.257 Des Weiteren kann der subjektive Wille des Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Normentstehung herangezogen werden.258 Im Hinblick auf die historische Auslegung gilt es aber zu beachten, dass die h. M. eine objektivierte Ansicht vertritt und dem Wortlaut sowie der Systematik des Gesetzes einen höheren Stellenwert einräumt als dem subjektiven Willen des Gesetzgebers.259 Gleichwohl kann die historische Auslegung ergänzend herangezogen und damit der subjektive Wille des Gesetzgebers in die Gesetzeskonkretisierung Eingang finden.260 Auf § 13 StGB bezogen folgt daraus, dass insbesondere das Merkmal des rechtlichen Einstehenmüssens abhängig vom konkreten Wortlaut ausgelegt werden muss. Rechtliches Einstehenmüssen bedeutet dabei, dass eine besondere rechtliche Stellung gegenüber dem Opfer bestehen muss, die den Unterlassenden zur Abwendung bestimmter Rechtsgutsverletzungen verpflichtet, m. a. W. eine Garantenstellung vorliegen muss.261 Daher stellt sich die Frage, was unter der Rechtlichkeit des Einstehenmüssens zu verstehen ist. Zunächst wird aus der Norm deutlich, dass eben nicht moralische oder sittliche Pflichten ausreichen können, sondern es sich bei der besonderen Stellung um eine rechtliche, wenn auch nicht unbedingt strafrechtliche handeln muss.262 Allerdings ist es dem Bürger allein auf dieser Grundlage schwer möglich, das Risiko der Strafbarkeit erkennen zu können; von den genauen Grenzen ganz zu schweigen. Denn ohne auf den Begriff des Rechts näher eingehen zu brauchen – dies wird noch an späterer Stelle erfolgen –263 wird schon auf den ersten Blick 255 BeckOK-StGB/Heintschel-Heinegg, § 1 Rn. 13; Rengier, Strafrecht AT, § 5 Rn. 5; zur Problematik einer begrifflichen Bestimmung der Wortlautgrenze siehe NK-StGB/ Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 82; siehe hierzu auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 614 ff. 256 Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 36; Rengier, Strafrecht AT, § 5 Rn. 13. 257 MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 75; Larenz, Methodenlehre, S. 324 ff.; Sch/SchrEser/Hecker, § 1 Rn. 39. 258 Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 40 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 5 Rn. 10. 259 Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 43; Rengier, Strafrecht AT, § 5 Rn. 11; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 156 f. 260 Vgl. NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 108; ausf. hierzu LK-Dannecker, § 1 Rn. 313 ff. 261 BVerfG NJW 2003, 1030; vgl. auch Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 152; zum Verhältnis von rechtlichem Einstehenmüssen zu der Entsprechensklausel siehe unten Kap. 2, C. VI. 1. 262 BVerfG NJW 2003, 1030; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 40 ff.; Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 35 ff.; Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 152; Diessner, Die Unterlassungsstrafbarkeit, S. 212; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 187 f.
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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deutlich, welche Probleme mit der Rechtlichkeit i. S. d. § 13 StGB einhergehen. So kann nicht jede rechtliche Pflicht zur Abwendung einer Rechtsgutsverletzung eine Garantenstellung nach sich ziehen. Dies lässt sich eindeutig am Beispiel des § 323c StGB veranschaulichen, bei dem es sich um eine rechtliche Pflicht handelt, unter anderem bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten. Obgleich es sich dabei sogar um eine originär strafrechtliche Pflicht handelt, kann hieraus nach der h. M. keine Garantenstellung abgeleitet werden.264 Der Grund hierfür liegt darin, dass diverse echte Unterlassungsdelikte von jedem Bürger begangen werden können. Es handelt sich demnach unter Umständen eben um keine besondere Rechtspflicht des Einzelnen, sondern um eine Jedermanns-Pflicht, die sich von dem rechtlichen Einstehenmüssen i. S. d. § 13 StGB unterscheidet. Zwar lässt sich die Auslegung anhand des Willens des Gesetzgebers fortführen, der bewusst einzelne Garantenstellungen der Klärung durch Rechtsprechung und Lehre überlassen hat. Auch lassen sich teleologische Argumente finden, weshalb einzelne Garantenstellungen Anerkennung finden sollten. Dennoch verbleiben Zweifel hinsichtlich der Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Bürger allein durch Lektüre der gesetzlichen Formulierung und damit hinsichtlich des Mindestmaßes an Bestimmtheit, das die Norm aufweisen muss, um mit der Verfassung in Einklang zu stehen. Muss sich demnach die Bestimmtheit der Norm ausschließlich aus der gesetzlichen Regelung selbst ergeben, so verhärtet sich der Verdacht, dass § 13 StGB möglichweise genau auf der „Kippe“ zwischen dem Bereich einer noch ausreichend bestimmten und einer verfassungswidrigen Norm steht.
V. Die Auswirkungen des Bestimmtheitsgebots auf die Auslegung des § 13 StGB durch Rechtsprechung und Lehre Es stellt sich die Frage, ob die Gerichte durch die Auslegung des § 13 StGB in ständiger Rechtsprechung zu dessen Bestimmtheit beitragen können, so dass die Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Bürger möglicherweise doch in ausreichendem Maße gewährleistet werden kann. So mahnen viele Autoren, die § 13 StGB im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot kritisieren, die Gerichte zu einer restriktiven Handhabung der Unterlassungsstrafbarkeit.265 Zum Teil wird gefordert, es solle nur in den Fällen aus Un263
Siehe unten Kap. 2, C. VII. BGHSt 3, 65 (67); Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 155 f.; Sch/ Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 57; Lackner/Kühl, StGB, § 13 Rn. 7. 265 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6; Diessner, Die Unterlassungsstrafbarkeit, S. 211; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 3; Jakobs, Strafrecht AT, 9. Abschn. Rn. 5; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 6; ders., in: FS Herzberg, S. 177 (189 f.); Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 41; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 9 Rn. 57; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 13; LK-Weigend, § 13 Rn. 19. 264
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terlassen bestraft werden, „in denen sich die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Handeln unabweisbar aufdrängt“.266 Das Gebot der restriktiven Interpretation des § 13 StGB wird damit begründet, dass hierdurch den Zweifeln an der rechtlichen Bestimmtheit der gesetzlichen Vorschrift entgegengewirkt werden könne.267 Diese Aussagen sind aber kaum nachvollziehbar, wenn man mit der h. L. davon ausgeht, dass sich der Bestimmtheitsgrundsatz ausschließlich an die Legislative richtet.268 Eine Norm ist demnach entweder bestimmt oder aber unbestimmt und wäre im letzteren Fall als verfassungswidrig zu verwerfen. Was eine restriktive Handhabung der Garantenstellungen an der potenziellen Unbestimmtheit des § 13 StGB ausrichten könnte, wird nicht ohne Weiteres ersichtlich.269 Dieses Gebot ließe sich nur durch die Annahme begründen, dass die Rechtsprechung zur Bestimmtheit einer strafrechtlichen Norm beitragen kann bzw. sogar muss. Hiervon geht das BVerfG aus, indem es aus dem Bestimmtheitsgrundsatz explizit auch einen Auftrag an die Rechtsprechung ableitet, zur Bestimmtheit der Norm beizutragen. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: „Art. 103 II GG enthält zudem Vorgaben für die Handhabung weit gefasster Tatbestände und Tatbestandselemente. Die Gerichte dürfen nicht durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen mehr erkennen lässt, dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm zu erhöhen, und sich damit noch weiter vom Ziel des Art. 103 Abs. 2 GG entfernen. Andererseits ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Besondere Bedeutung hat diese Pflicht bei solchen Tatbeständen, die der Gesetzgeber im Rahmen des Zulässigen durch Verwendung von Generalklauseln verhältnismäßig weit und unscharf gefasst hat. Gerade in Fallkonstellationen, in denen der Normadressat nach dem gesetzlichen Tatbestand nur noch die Möglichkeit einer Bestrafung erkennen kann und in denen sich erst auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, trifft die Rechtsprechung eine besondere Verpflichtung, an der Erkennbarkeit der Voraussetzungen der Strafbarkeit mitzuwirken“.270
Von diesem Grundsatz ging das BVerfG271 bereits zuvor im Hinblick auf § 13 StGB aus, indem es betonte: 266
Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 13. Siehe nur Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 13; NK-StGB/Wohlers/ Gaede, § 13 Rn. 3; LK-Weigend, § 13 Rn. 19. 268 Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 7; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 14; Rengier, Strafrecht AT, § 4 Rn. 26 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 67 ff.; MüKo-StGB/ Schmitz, § 1 Rn. 47 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 47. 269 Vgl. Rengier, Strafrecht AT, § 4 Rn. 28. 270 BVerfGE 126, 170 (198). 271 BVerfG NJW 2003, 1030. 267
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„Zwar ist damit der Kreis möglicher Garantenpflichten nicht ohne Weiteres dem StGB zu entnehmen (. . .). Die Anbindung an das Erfordernis normativ begründeter Pflichten und eine auf langjähriger Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Umschreibung möglicher Garantenstellungen gewährleisten aber, dass das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten voraussehbar wird.“
Kuhlen sieht in der Rechtsprechung des BVerfG eine ausdrückliche „Handlungsanweisung“ an den Rechtsanwender, durch Auslegung der Strafgesetze zu deren Bestimmtheit beizutragen.272 Da das Gesetz letztlich vieles unbestimmt lasse, legten Gesetzgebung und Rechtsprechung in „arbeitsteiligem Zusammenwirken“ fest, was strafbar sei, worauf schon Krey hingewiesen hat.273 Es sei daher unter dem „Gesichtspunkt der Orientierungssicherheit nur folgerichtig, auch von der richterlichen Auslegung des Gesetzes (. . .) einen Beitrag zur Bestimmung des Strafrechts zu fordern“.274 Diese Ansicht widerspricht jedoch der eingangs genannten h. L., die davon ausgeht, dass sich das Bestimmtheitsgebot nur an den Gesetzgeber richte. Gebunden werden demnach Rechtsprechung und Lehre in allererster Linie durch das Analogieverbot, das ebenfalls aus Art. 103 Abs. 2 GG resultiert.275 Durch das Analogieverbot wird gewährleistet, dass die Rechtsprechung bei der Auslegung von Strafnormen nicht tatbestandsausweitend den äußersten Wortsinn der Norm verlässt.276 Ein Verstoß gegen das Analogieverbot hat zur Folge, dass nicht mehr der demokratisch legitimierte Gesetzgeber über die Strafbarkeit eines Verhaltens zu entscheiden hätte, sondern der Richter selbst.277 Das wiederum stellt bei Analogien zu Lasten des Täters einen Verstoß gegen die Verfassung dar.278 Eine Kollision der unechten Unterlassungsdelikte mit dem Analogieverbot sieht die h. M. aber seit Einführung des § 13 StGB als erledigt an.279 Der Gesetzgeber habe eine Grundlage geschaffen, wodurch sich der Richter auch bei einer Verurteilung aus unechten Unterlassungsdelikten innerhalb der gesetzlichen Vorgaben bewege. Dennoch verbleibt die Frage, ob der Richter über das Analogieverbot hinaus an eine weitere verfassungsmäßige Schranke bzw. an ein verfassungsmäßiges Gebot,
272 Kuhlen, in: FS Otto, S. 89 (102 ff.); ders., Die verfassungskonforme Auslegung, S. 94 ff.; dem folgend Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70b. 273 Kuhlen, in: FS Otto, S. 89 (103) unter Verweis auf Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S. 137 ff. 274 Kuhlen, in: FS Otto, S. 89 (103); siehe auch NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70b; Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6. 275 Sch/Schr-Eser/Hecker, § 1 Rn. 25 ff. 276 BVerfGE 92, 1 (12); NJW 2010, 3209 (3211); 2013, 365 (366). 277 BVerfG NJW 2008, 3627 (3629). 278 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70. 279 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 3; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 32 f.; LK-Weigend, § 13 Rn. 19.
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namentlich den Bestimmtheitsgrundsatz gebunden ist. Diese Sichtweise hätte den Vorteil, dass der nur wenig bestimmte § 13 StGB durch die Rechtsprechung im Grad seiner Bestimmtheit steigen könnte. Die Rechtsprechung des BVerfG lässt an diesem Schluss keinen Zweifel. Doch auch diejenigen Autoren, die auf Grund der nur begrenzten Bestimmtheit des § 13 StGB eine restriktive Handhabung der Strafbarkeit aus unechten Unterlassungsdelikten fordern, scheinen ebenfalls von einer solchen Handlungsanweisung durch das Bestimmtheitsgebot auszugehen, wenngleich sie diese Folge nicht explizit aussprechen. Anders nämlich lässt sich das Gebot der restriktiven Auslegung auf Grund des nur wenig bestimmten Wortlauts des § 13 StGB nicht begründen. Mittlerweile haben sich Teile der Literatur im Bereich des § 13 StGB ausdrücklich der Rechtsprechung des BVerfG unter Verweis auf die Ansicht Kuhlens angeschlossen und begründen das Gebot der restriktiven Auslegung von Garantenstellungen mit der Geltung des Bestimmtheitsgebots auch für die Rechtsprechung.280 Demzufolge müsste die Rechtsprechung über das allgemein anerkannte Verbot strafbarkeitsbegründender Analogien hinaus dazu beitragen, dass die Bestimmtheit der Norm aufrechterhalten oder gar erst ermöglicht wird. Diese Schlussfolgerung darf indes nicht missverstanden werden.281 Ein unbestimmtes Gesetz kann nicht durch konkretisierende Rechtsprechung geheilt werden.282 Der Gesetzgeber darf das Gebot bestmöglicher Bestimmtheit nicht dadurch umgehen, dass er es an die Rechtsprechung delegiert.283 Andererseits ist dem Gesetzgeber zum Zeitpunkt des Normerlasses bewusst, dass die Rechtsprechung auslegungsbedürftige Tatbestandsmerkmale konkretisieren und damit unter Umständen über bewusst offengelassene Fallkonstellationen entscheiden wird. Wenn sich – wie im Falle des § 13 StGB – trotz der nur geringen Bestimmtheit der Norm keine präzisere Formulierung realisieren lässt, so muss ein arbeitsteiliges Bestimmen der Strafbarkeit durch Legislative und Judikative anerkannt werden. Wie die Adressierung des Bestimmtheitsgebots an die Judikatur dogmatisch einzuordnen ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.284 Vorstellbar wäre es, hierin ein eigenständiges Gebot verfassungskonformer Auslegung zu erblicken. Möglicherweise lässt sich dieses Gebot aber auch schon aus den traditio280 Siehe Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 5/6; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70b. 281 Siehe Kuhlen, in: FS Otto, S. 89 (104). 282 BVerfGE 105, 135 (153); NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70b; Kuhlen, in: FS Otto, S. 89 (104); Paeffgen, StraFo 2007, S. 442 (443); vgl. auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 328. 283 Vgl. MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 48. 284 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 70a sehen das Erfordernis ausreichend bestimmter Auslegung von Strafgesetzen als eine Folge des Analogieverbots an, das wiederum die „Verlängerung des Bestimmtheitsgebots in die Praxis der Gesetzesanwendung“ sei.
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nellen Auslegungsmethoden herleiten. Denn letztlich wird man nicht leugnen können, dass die Rechtsprechung im Wege der Auslegung von Normen an die Zwecke, die das Bestimmtheitsgebot verfolgt, gebunden ist. Gemeint ist dabei vor allem die Wahrung der Vorhersehbarkeit eines Strafbarkeitsrisikos für den Bürger.285 Wie bereits gesagt wurde, hat der Richter sich hierbei nach der überwiegenden Meinung am objektivierten Willen des Gesetzgebers zu orientieren.286 Vorrangig ist der Wortlaut der Norm und nicht der subjektive Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Gleichwohl kann die historische Auslegung ergänzend herangezogen werden und damit der subjektive Wille des Gesetzgebers in die Gesetzeskonkretisierung Eingang finden.287 Dem Gesetzgeber wird man dabei regelmäßig unterstellen können, dass er bei einer nur bestmöglich präzisierten Norm dennoch den Bestimmtheitsgrundsatz wahren und damit sowohl das Gesetzlichkeitsprinzip als auch die Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Normadressaten gewährleisten wollte. Die Rechtsprechung hat ihrerseits diesen Willen des Gesetzgebers bei der Normanwendung zu beachten, selbst wenn hieraus eine Restriktion der Strafbarkeit resultiert, bei der die äußerste Grenze des Wortsinns noch nicht erreicht wird. Eine allzu extensive Auslegung durch die Rechtsprechung, die sich zwar noch innerhalb der Grenze des möglichen Wortsinns befindet, aber gleichzeitig über den Willen des historischen Gesetzgebungswillens hinaus die Grenzen der Strafbarkeit verwischt, kann auch ein hinreichend bestimmtes Gesetz unbestimmt werden lassen.288 Daher hat die Rechtsprechung ohnehin unter Berücksichtigung anerkannter Auslegungsmethoden, insbesondere unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers, zu der Bestimmtheit einer Norm beizutragen. Damit kann festgehalten werden, dass der Richter, sei es aus einem direkt an ihn gerichteten Bestimmtheitsgebot, sei es aus den anerkannten Auslegungsgrundsätzen, an die Ziele des Bestimmtheitsgebots gebunden ist. Überträgt man dieses Ergebnis auf § 13 StGB, so ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: Der Gesetzgeber hat, wie gezeigt wurde, mangels besserer Alternativen ein bestmöglich bestimmtes Gesetz erlassen.289 Gleichzeitig ist er davon ausgegangen, dass die Gerichte zur Konkretisierung des § 13 StGB beitragen werden.290 Unterstellt man dem Gesetzgeber, dass er generell die Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Normadressaten ermöglichen will, so hat die Rechtsprechung auch diesen Aspekt bei der Auslegung zu beachten. 285 Für Vogel, Norm und Pflicht, S. 332 erfüllt § 13 StGB die Voraussetzung, dass der Bürger zumindest das Risiko der Strafbarkeit erkennen kann. 286 Lackner/Kühl, StGB, § 1 Rn. 6. 287 Siehe NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 108, die aber betonen, dass auch der historischen Auslegung eine gewichtige Bedeutung zukommt; vgl. auch SK-StGB/Rudolphi, § 1 Rn. 31. 288 So auch NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 71. 289 Siehe oben Kap. 2, C. II. 290 Siehe weiter oben.
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Geht man folglich davon aus, dass die Rechtsprechung unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden bei strikter Einhaltung der Wortlautgrenze das Merkmal des rechtlichen Einstehenmüssens konkretisiert und dabei zusätzlich die Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Normadressaten berücksichtigt, so wird man die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von § 13 StGB verwerfen können. Dass dabei letztlich einzelne Garantenstellungen durchaus umstritten bleiben werden, ändert nichts an deren Verfassungsmäßigkeit, handelt es sich doch vielmehr um ein ganz selbstverständliches Phänomen der Rechtswissenschaft. Zusätzlich wird man den eingangs zitierten Autoren zustimmen müssen, dass aus dem Bestimmtheitsgebot auch eine restriktive Handhabung der Garantenstellungen resultieren muss. Zwar wird zu Recht eingewendet, dass es keine extensive oder restriktive Auslegung, sondern stattdessen nur eine „richtige Auslegung“ geben könne.291 Gleichwohl kann eine richtige Auslegung nur unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes erfolgen. Dann wird man aber, um die Erkennbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Bürger zu ermöglichen, auf eine restriktive Handhabung der Garantenstellungen bestehen müssen. Verurteilungen auf Grundlage einer Garantenstellung aus Ingerenz müssten, sofern man diese Garantenstellung anerkennt, daher schon zum Zeitpunkt der Vorhandlung für den Bürger vorhersehbar sein. Er muss anhand seines Verhaltens erkennen können, dass er hierdurch eine besondere Situation geschaffen hat, die seine Inpflichtnahme für die Abwendung eines schädigenden Erfolges rechtfertigt.
VI. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen im Kontext der Entsprechensklausel sowie der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB 1. Die Entsprechensklausel gem. § 13 Abs. 1 StGB Neben der höchst umstrittenen Frage, wie das rechtliche Einstehenmüssen im Rahmen des § 13 StGB zu interpretieren ist, bereitet auch die Entsprechensklausel erhebliche Probleme. Ein Täter kann gem. § 13 StGB nur dann bestraft werden, wenn das Unterlassen einem Tun „entspricht“. Der Gesetzgeber hat dabei bewusst nicht die Formulierung des „Gleichstehens“ verwendet, um die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB legitimieren zu können.292 Gerade diese Kombination aus dem Entsprechenserfordernis und der Möglichkeit einer fakultativen Strafmilderung bereitet indes Schwierigkeiten. Herzberg bezeichnet sie als einen „handfesten Widerspruch im Gesetz“.293 291 292 293
So Vogel, Norm und Pflicht, S. 337. Siehe zur Entstehung oben Kap. 2, C. II. Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 7 f.
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Dem Gesetz lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, ob das Unterlassen dem Tun unbeachtet der andersartigen Terminologie gleichstehen muss – dies würde die Milderungsmöglichkeit schlechterdings abwegig machen – oder ob das Unterlassen doch ein Minus gegenüber dem Tun darstellen kann. Worin aber das Minus beim Unterlassungsdelikt liegen könnte, lässt das Gesetz offen. Aus den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich diesbezüglich zweierlei entnehmen. Zum einen hat man den „etwas neutralere(n) Begriff“ des Entsprechens gewählt, da bei einer geforderten Gleichwertigkeit zwischen Tun und Unterlassen für eine fakultative Strafmilderungsmöglichkeit „kein Raum gewesen wäre“.294 Zum anderen lässt sich dem Willen des Gesetzgebers entnehmen, „daß unter sonst gleichen Umständen das Unterlassen der Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges regelmäßig weniger schwer wiege als die Herbeiführung dieses Erfolges durch ein positives Tun“.295 Daher wird man im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes tatsächlich auch nur verlangen dürfen, dass das Unterlassen dem Tun zu entsprechen hat und nicht etwa völlige Gleichwertigkeit verlangen dürfen. Dieses Verständnis deckt sich dann auch mit dem Willen des Gesetzgebers, der die Möglichkeit, dass das Unterlassen weniger wiegen könne als das Tun, erkannt hat und die Regelung daher bewusst in dieser Weise formuliert hat. Damit bleibt trotzdem nach wie vor die Frage offen, welche Aufgabe der Entsprechensklausel zukommt. Hierzu existieren sehr unterschiedliche Ansätze. Eine Ansicht hält die Entsprechensklausel für bedeutungslos und möchte sie daher unangewendet lassen.296 Eine weitere Ansicht will über die Feststellung der Garantenstellung hinaus eine Gesamtabwägung vornehmen, anhand derer auch bei reinen Erfolgsdelikten festgestellt werden könne, ob das Unterlassen tatsächlich mit dem Tun gleichwertig sei bzw., übersetzt in die Gesetzesterminologie, dem Tun entspreche.297 Wieder andere behaupten, dass nicht das rechtliche Einstehenmüssen das Erfordernis der Garantenstellung normiere, sondern stattdessen die Garantenproblematik der Entsprechensklausel zugeordnet werden müsse.298
294 BT-Drucks. V/4095, S. 8. Das Wort „Entsprechen“ fand sich zuvor schon in dem Alternativ-Entwurf für das StGB von 1966 zum Regierungsentwurf E 1962. Im Alternativ-Entwurf lautete die Begründung für das „Entsprechen“ nach den „Umständen der Tat“, dass hierdurch das Erfordernis einer Gleichwertigkeitsprüfung „schärfer“ zum Ausdruck käme. Siehe Alternativ-Entwurf, S. 49. 295 BT-Drucks. V/4095, S. 8. 296 Nitze, Die Bedeutung der Entsprechensklausel, S. 111; SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 10 zufolge regele „die Modalitätenäquivalenz-Klausel auch insoweit nichts, was nicht auch ohne sie gelten würde“. 297 So Gallas, Niederschriften, Bd. 12, S. 80 ff.; Blei, Strafrecht AT, S. 331 f.; BTDrucks. IV/650, S. 125. 298 Siehe Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 74 f., der aber insgesamt § 13 StGB als verfassungswidrig bezeichnet.
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Die h. L. hingegen sieht in der Entsprechensklausel das Erfordernis der „Modalitätenäquivalenz“.299 Damit ist gemeint, dass bei reinen Erfolgsdelikten grundsätzlich von einem Entsprechen ausgegangen werden kann, wohingegen bei verhaltensgebundenen Delikten dieser Nachweis explizit erbracht werden müsse.300 Damit aber hätte die Entsprechensklausel für reine Erfolgsdelikte keinerlei Bedeutung, so dass die eigentliche Frage nach der Gleichstellung von Tun und Unterlassen im Rahmen des „rechtlichen Einstehenmüssens“ stattfände und nicht erst in einer nachfolgenden Prüfung des Entsprechens. Ein Grund für die unterschiedliche Interpretation der Entsprechensklausel lässt sich schon der Entstehungsgeschichte des § 13 StGB entnehmen. Bereits Gallas hat im Rahmen der 116. Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 10. März 1959 vorgeschlagen, dass neben dem rechtlichen Einstehenmüssen auch die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen als Voraussetzung für das unechte Unterlassungsdelikt in das Gesetz integriert werden solle.301 Wie bereits gesagt wurde, wählte man statt des Begriffs der Gleichwertigkeit letztlich den Begriff des Entsprechens. Dennoch hat sich der Gedanke der Gleichwertigkeitsklausel bis in den heutigen § 13 StGB durchgesetzt. Doch schon Gallas hat für das Gleichwertigkeitserfordernis zwei unterschiedliche Gründe vorgebracht.302 Zum einen sollte die Unterlassungsstrafbarkeit bei verhaltensgebundenen Delikten eingeschränkt werden.303 Dies entspricht im Wesentlichen der Modalitätenäquivalenz, die von der h. M. im Rahmen des Entsprechens geprüft wird. Gallas wollte aber auch bei reinen Erfolgsdelikten dem Richter die Möglichkeit belassen, anhand einer Gesamtbewertung das Unterlassen als letztlich doch nicht gleichwertig bewerten und auf dieser Grundlage die Strafbarkeit verneinen zu können.304 Der Gedanke, die besonderen Handlungsmodalitäten der Delikte des Besonderen Teils zu berücksichtigen sowie eine Gesamtabwägung auch bei Erfolgsdelikten vorzunehmen, findet sich dann auch in der Begründung zum Regierungsentwurf von 1962.305 Daher lässt sich eine eindeutige Zweckbestimmung der Entsprechensklausel aus der Gesetzesgenese nicht zweifelsfrei entnehmen.306 299 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 4; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 19; Gropp, Strafrecht AT, § 11 Rn. 79; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 122 ff.; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 225; SK-Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 17; Vogel, Norm und Pflicht, S. 142 f.; a. A. MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 202 ff. 300 Dieses Verständnis der Entsprechensklausel findet sich auch im Alternativ-Entwurf, S. 49. 301 Gallas, Niederschriften, Bd. 12, S. 80 ff.; siehe auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 218 ff. zur gesetzgeberischen Entwicklung. 302 Siehe hierzu Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 219 f.; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 54 f. 303 Gallas, Niederschriften, Bd. 12, S. 80 ff. 304 Gallas, Niederschriften, Bd. 12, S. 80 ff. 305 BT-Drucks. IV/650, S. 125. 306 So auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 218 ff.
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Letztlich wird man in der Entsprechensklausel sinnvollerweise nur das Erfordernis der Modalitätenäquivalenz erblicken dürfen. Denn es würde das Merkmal des rechtlichen Einstehenmüssens vollständig abwerten, wenn die Feststellung, dass jemand zur Abwendung eines Erfolges rechtlich verpflichtet ist, nur eine Vorbedingung für eine darauf folgende Gesamtabwägung wäre.307 In diesem Fall hätte man das Merkmal des rechtlichen Einstehenmüssens weglassen können. Zudem gibt die Entsprechensklausel auch keinerlei Auskünfte darüber, nach welchen Kriterien eine Gesamtabwägung zu erfolgen hätte.308 Insofern würde die Abwälzung der Entscheidung über die Legitimität einer Unterlassungsstrafbarkeit anhand der Feststellung des Entsprechens die Bestimmtheit der Norm herabsetzen.309 Ebenso ist der Ansatz abzulehnen, der die Entscheidung über das Bestehen einer Garantenstellung nur von der Entsprechensklausel abhängig machen möchte. Denn hiergegen spricht der Wortlaut des § 13 StGB, der mit dem rechtlichen Einstehenmüssen eine besondere Bezeichnung für die Garantenstellung liefert. Auch den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich eindeutig entnehmen, dass mit dem rechtlichen Einstehenmüssen die Garantenstellungen umschrieben werden.310 Aber auch die Ansicht, die die Entsprechensklausel als völlige Fehlleistung des Gesetzgebers ansieht und für unbeachtlich erklärt, kann schon deshalb nicht überzeugen, da sie in erheblicher Weise vom klaren Gesetzeswortlaut abweicht.311 Der Wortlaut sieht nun mal eine Entsprechensklausel vor, und auch wenn deren genaue Bedeutung strittig sein mag, hat sie doch beachtet zu werden, da anderenfalls ein Konflikt mit dem Analogieverbot droht. Zudem ist es durchaus möglich, dass trotz bestehender Garantenstellung ein Unterlassungsdelikt auszuscheiden hat, wenn das Unterlassen dem Unrechtsgehalt einer bestimmten Handlungsmodalität nicht entspricht.312 Denn bei verhaltensgebundenen Delikten wird der Unrechtsgehalt nicht allein durch den Erfolg, sondern in hohem Maße durch die Tatmodalität bestimmt.313 Darüber hinaus bestehen Zweifel hinsichtlich der Vergleichbarkeit des Unrechtsgehalts von Tun und Unterlassen auch bei Delikten, die an eine besondere Täterqualität anknüpfen oder eigenhändig begangen werden müssen.314 In diesem Bereich verbleibt der Entsprechensklausel also ein gewichtiger Nutzen. 307 So Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 224; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 630 f. 308 NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 19. 309 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 4. 310 BT-Drucks. IV/650, S. 124. Hierauf wird in BT-Drucks. IV/4095, S. 8 Bezug genommen. 311 So auch Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 4; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 50. 312 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 4; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 19; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 225. 313 Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 61. 314 Ausf. zu der Modalitätenäquivalenz im Hinblick auf die unterschiedlichen Tatbestandsgruppen Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 65 ff.
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Daher kann festgehalten werden, dass das maßgebliche Merkmal für die Bildung von Garantenstellungen im rechtlichen Einstehenmüssen gesehen werden muss. Alle Aspekte, die für die Entstehung der Garantenstellung erfüllt sein müssen, lassen sich schon als Voraussetzungen für die rechtliche Einstandspflicht i. S. d. § 13 StGB begreifen.315 Besteht im Bereich der Erfolgsdelikte eine besondere Verpflichtung zur Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges, so bedarf es keiner weitergehenden Entsprechensprüfung.316 Zudem kann aus der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit geschlossen werden, dass im Falle eines nicht vollständigen Entsprechens des Unterlassens mit dem Tun eine Lösung über die Milderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB herbeigeführt werden kann.317 In den hier behandelten Weiterungsfällen kommt demnach der Entsprechensklausel nur dann eigenständige Bedeutung zu, soweit die Weiterungstat nicht ein reines Erfolgsdelikt darstellt. Wenn somit Konstellationen vorliegen, in denen die Weiterungstat ein handlungsgebundenes Delikt darstellt, so muss die Modalitätenäquivalenz festgestellt werden. Dies würde beispielsweise dann gelten, wenn der Vortatbeteiligte das Opfer niederschlägt und der Weiterungstäter dazu übergeht, das Opfer zu vergewaltigen, zu bestehlen etc.318 Diese Überprüfung muss aber unter genauer Analyse des jeweiligen Delikts erfolgen, so dass an dieser Stelle nur darauf verwiesen werden soll. 2. Die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB Nachdem die Bedeutung der Entsprechensklausel für die Unterlassungsdelikte kurz skizziert werden konnte, hat ein Blick auf die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB zu erfolgen, die bereits im Kontext mit der Entsprechensklausel angesprochen wurde. Eine ausführliche Stellungnahme zu § 13 Abs. 2 StGB unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz findet sich bei Dencker. Er sieht in der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun eine „defizitäre Tathandlung“.319 Ausgangspunkt seiner Überlegung stellt die Einführung des § 13 StGB dar, wodurch eine Abkehr von den klassischen Garantenlehren, die der Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen gewidmet waren, geboten sei. Denn § 13 StGB fordere nunmehr ausdrücklich das rechtliche Einstehenmüssen für die Abwendung des Erfolges.320 Gleich315 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 209; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 228; Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils, S. 153 f. 316 Siehe Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils, S. 153. 317 Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 59; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 228; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit und Gesetzlichkeitsgrundsatz, S. 111. 318 Hiergegen aber LK-Weigend, § 13 Rn. 77. 319 Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (166 ff.). 320 Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (160).
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wertigkeit sei demnach „ein traditionelles, nicht aber ein gesetzliches Erfordernis“.321 Nur auf diese Weise lasse sich die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB erklären. Denckers Ansicht zufolge kann die Ingerenz mit dem Begehungsdelikt niemals gleichwertig sein. Zur Begründung dieser These stellt er einen direkten Vergleich zum Begehungsdelikt auf. Während eine fahrlässige Gefahrschaffung mit anschließender Unterlassung zu einer Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit und unechter Unterlassung führe, werde bei einer vorsätzlichen Handlung und gleichem Verlauf aus einem vorsätzlichen Begehungsdelikt bestraft. Der Vergleich lege das entscheidende Defizit der ersten Konstellation offen: Das Minus einer unechten Unterlassung nach einer gefährlichen Vorhandlung bestehe immer im fehlenden Vorsatz zum Zeitpunkt der Vorhandlung. Daher solle man, anstatt das unerfüllbare Ziel zu verfolgen, die Ingerenz mit dem Begehungsdelikt völlig gleichzustellen, ihr Defizit akzeptieren und hieraus die erforderlichen Konsequenzen ziehen.322 Das würde dann bedeuten, in den Fällen der Ingerenz die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB obligatorisch werden zu lassen. Auch Roxin empfiehlt bei Unterlassungsdelikten nach vorangegangenem Tun eine Nutzung der Milderungsmöglichkeit, da die Ingerenz „schon ihrem objektiven Gewicht nach den Handlungsunwert der Begehungstäterschaft nicht voll kompensieren“ könne.323 Gegen diese Auffassung wird eingewendet, dass zwar das aktive Tun als Vorhandlung defizitär sei.324 Dieses Defizit existiere aber nicht mehr, soweit die weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen, die das unechte Unterlassungsdelikt erfordert, vorliegen.325 In der Tat liegt, soweit alle Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts erfüllt sind, kein Defizit vor, das die Strafbarkeit aus einem Ingerenzunterlassen – 321
Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (160). Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (169). 323 Roxin, JuS 1973, S. 197 (200 f.); auch Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 43 schreibt, dass das Unterlassen nach vorausgegangenem Tun weniger schwer wiege als das sollenswidrige schuldhafte Tun. 324 Siehe Beckschäfer, Die Strafrahmenmilderung, S. 413 f. 325 Beckschäfer, Die Strafrahmenmilderung, S. 413 f. vergleicht zur Verdeutlichung seiner These die Ingerenz mit den Vermögensdelikten. Ihm zufolge würde derjenige, der unvorsätzlich eine Sache wegnimmt, später dann die Wegnahme bemerkt, die Sache aber dennoch nicht zurückgibt und dadurch eine Unterschlagung begeht, auch einen defizitären Diebstahl begehen. In diesem Fall würde Beckschäfer zufolge auch niemand die vollendete Unterschlagung milder bestrafen wollen, da das Strafmaß des § 246 StGB von der unvorsätzlichen Verwirklichung des § 242 StGB unabhängig sei. Dabei verkennt er, dass sich diese Konstellation in keiner Weise mit der Ingerenz vergleichen lässt. Grundsätzlich sieht die unechte Unterlassungsstrafbarkeit das gleiche Strafmaß vor, wie die entsprechenden Begehungsdelikte. § 242 und § 246 StGB stehen aber in einem gesetzlichen Subsidiaritätsverhältnis und unterscheiden sich im Strafmaß voneinander. Daher können beide Konstellationen nicht miteinander verglichen werden. 322
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abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken gegen die Ingerenz – in Zweifel ziehen würde.326 Doch wird dies von Dencker auch nicht behauptet. Er vergleicht lediglich die Ingerenz mit dem vorsätzlichen Begehungsdelikt, bei dem der Vorsatz bereits zum Zeitpunkt der Tathandlung vorliegt, wohingegen er beim Ingerenzunterlassen erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzutritt. Somit geht es in diesem Zusammenhang auch nur um die Frage, ob die Ingerenz verglichen mit dem Begehungsdelikt in ihrem Unrechtsgehalt so weit geringer wiegt, dass eine Strafmilderung gem. § 13 Abs. 2 StGB geboten ist. Da § 13 Abs. 2 StGB bewusst für geeignete Fallkonstellationen in das StGB übernommen wurde, kann er im Bereich der Ingerenz Anwendung finden.327 Das Minus der Ingerenz gegenüber dem Begehungsdelikt lässt sich nicht leugnen und sollte sich auf das Strafmaß des Ingerenzunterlassens auswirken. Zwar wurde im Rahmen der Diskussion um die Notwendigkeit einer fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit in der gesetzlichen Regelung der Unterlassungsdelikte vorgebracht, dass weniger strafwürdige Fälle als Beihilfe durch Unterlassen zu ahnden wären. Doch warum gerade eine Garantenstellung aus Ingerenz eine Beihilfe darstellen soll, wird nicht ohne Weiteres ersichtlich und soll an späterer Stelle näher untersucht werden.328 An dieser Stelle soll zunächst das Ergebnis festgehalten werden, dass eine obligatorische Strafmilderung in den Ingerenzfällen denkbar ist. An späterer Stelle soll diese Variante innerhalb der Stellungnahme zur Frage über die Beteiligungsform im Bereich der Unterlassungsdelikte unter besonderer Berücksichtigung der Weiterungsfälle wieder aufgegriffen werden.329
VII. Überprüfung der Legitimität der Ingerenzgarantenstellung im Lichte des § 13 StGB Da nunmehr § 13 StGB genauer beleuchtet wurde, kann sich die Untersuchung der Frage widmen, ob sich die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun mit dem geltenden Recht vereinbaren lässt. Wenngleich § 13 StGB in besonderem Maße auslegungsbedürftig ist, so konnte dennoch gezeigt werden, dass der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt ist, sofern auch die Rechtsprechung zur Bestimmtheit der Norm, insbesondere durch eine restriktive Handhabung der Garantenstellungen, beiträgt. Für die Anerkennung der Garantenstellung aus Ingerenz ist entscheidend, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ein Vorverhalten zu einem „rechtlichen Einstehenmüssen“ gem. § 13 Abs. 1 StGB führen kann. 326 Abgesehen von dem Streit um die Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten. Dazu siehe unten Kap. 5, E. 327 So auch Kirchner, Die Unterlassungshaftung, S. 48. 328 Siehe unten Kap. 5, E. 329 Siehe unten Kap. 5, D.
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1. Gewohnheitsrechtlich anerkannte Garantenstellung aus Ingerenz Möglicherweise lässt sich eine Garantenstellung aus Ingerenz schon auf Gewohnheitsrecht stützen. Die Annahme, dass die Ingerenz schon gewohnheitsrechtlich anerkannt sei, reicht weit zurück und wird zum Teil auch heute noch vertreten.330 So hat insbesondere die Rechtsprechung die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun als gewohnheitsrechtlich anerkannt bezeichnet.331 Zwar ist grundsätzlich Gewohnheitsrecht auch Recht.332 Es setzt dabei voraus, dass eine ständige Rechtsprechung existiert, die allgemeiner Rechtsüberzeugung entspricht und nahezu unangefochten ist.333 Im Bereich des Strafrechts hat aber eine Differenzierung zu erfolgen. Art. 103 Abs. 2 GG verbietet Gewohnheitsrecht zu Lasten des Täters. Die Rechtsprechung muss sich stets im Rahmen der Gesetze bewegen und darf den Wortlaut nicht zu Lasten des Täters überschreiten.334 Insofern kann eine ausschließlich auf Gewohnheitsrecht begründete Legitimation eines unechten Unterlassungsdelikts nach vorangegangenem Tun keine Zustimmung erhalten.335 Allerdings kann Gewohnheitsrecht durchaus zur Begründung der Strafbarkeit eines Verhaltens herangezogen werden. Denn das Strafrecht nimmt zum Teil auch auf außerstrafrechtliche Rechtsnormen Bezug.336 So kann z. B. zivilrechtliches Gewohnheitsrecht über das Merkmal der Fremdheit einer Sache gem. § 242 StGB für die Strafbarkeit entscheidend sein. Insofern besteht durchaus die Möglichkeit, das Gewohnheitsrecht zur Begründung einer Garantenstellung auch aus Ingerenz heranzuziehen. Vor der Einführung des § 13 StGB konnte man hierin zwar eine strafbarkeitserweiternde und damit verfassungswidrige Analogie erblicken. Doch durch Einführung des § 13 StGB wurde eine Grundlage für die unechten Unterlassungsdelikte geschaffen, die explizit auf Rechtspflichten, die nicht zwangsläufig dem Strafrecht entstammen müssen, verweist, so dass grund330 v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch, S. 21; Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 286; zu den moderneren Stimmen gehört Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 91, der die Ingerenz als „fast gewohnheitsrechtlich anerkannt“ bezeichnet, wobei fraglich ist, welche konkrete Konsequenz mit dieser Feststellung verbunden sein soll. 331 Siehe nur BGHSt 4, 20 (22): „Die fortwirkende Kraft dieses vom Reichsgericht schon vor 1933 entwickelten Rechtssatzes kann nicht bezweifelt werden; er ist heute allgemein anerkannt.“ 332 Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 236; SK-StGB/Rudolphi, § 1 Rn. 17; Schuppe, Das Gewohnheitsrecht, S. 95 ff. 333 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 111 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 341 ff., 410 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 554 ff. 334 Siehe oben Kap. 2, C. I. 335 Auch Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 251 hält strafrechtsautonom begründete gewohnheitsrechtliche Pflichten für mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar; vgl. auch Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 21. 336 Siehe dazu Roxin, Strafrecht AT I, § 5 Rn. 49; vgl. auch BeckOK-StGB/Eschelbach, § 212 Rn. 16.
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sätzlich zur Begründung einer rechtlichen Einstandspflicht auch auf Gewohnheitsrecht zurückgegriffen werden kann.337 Daher stellt sich die Frage, ob die Pflicht, einen schädigenden Kausalverlauf, den man selbst in Gang gesetzt hat, abzuwenden, tatsächlich eine gewohnheitsrechtliche Pflicht ist. Manche behaupten, dass davon keine Rede sein könne.338 Hierfür werden vor allem zwei Gründe angeführt. Zum einen sei die Ingerenz in der Literatur sehr umstritten und werde zum Teil bis heute sogar ganz abgelehnt.339 Zum anderen herrsche – auch bei der Rechtsprechung – große Unsicherheit darüber, welche rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen an die Vorhandlung geknüpft werden müssen.340 Dieser Vorwurf ist aber in dieser Form zu unpräzise und verdient daher keine Zustimmung. So könnte man auch einem gewohnheitsrechtlich anerkannten und im Gesetz nicht explizit geregelten Rechtfertigungsgrund die gewohnheitsrechtliche Qualität absprechen, nur weil in einem Grenzfall unterschiedliche Ansichten vertreten werden.341 Es muss unterschieden werden zwischen der Ingerenz im weiten Sinne, zu der auch alle hochumstrittenen Grenzfälle gezählt werden – und bei einer so verstandenen Ingerenz kann tatsächlich von Gewohnheitsrecht keine Rede sein – und der Ingerenz im engeren Sinne, man könnte auch sagen in ihrem unumstrittenen Kernbereich, oder anders gesagt: ihrem „Grundfall“.342 Dieser Grundfall meint Sachverhalte, in denen die Vorhandlung ein klar rechtswidriges Verhalten darstellt und dieses Verhalten ohne Zweifel zu dem tatbestandsmäßigen Erfolg geführt hat. Gemeint ist damit beispielsweise die Situation, dass eine Person grob verkehrswidrig einen PKW-Unfall verursacht, hierdurch einen Straßenverkehrsteilnehmer lebensgefährlich verletzt und diesen daraufhin einfach verbluten lässt. Dieser – wenn auch nicht gänzlich unumstrittene Fall – ist von den Ingerenzkonstellationen, wie beispielsweise den gerechtfertigten Vorhandlungen, der Produkthaftung oder den hier zu behandelnden Weiterungsfällen, zu unterscheiden.343 Der genannte Grundfall ist im Hinblick auf die Strafbarkeit weitaus 337 So auch Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 236, der aber eine Garantenstellung aus Ingerenz strikt ablehnt; a. A. Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (337), der aber verkennt, dass ein Verweis auf außerstrafrechtliches Gewohnheitsrecht nicht zwangsläufig der Verfassung zuwider läuft. 338 Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 244; siehe auch Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 97, der aber die notwendige Differenzierung zwischen der Ingerenz im weiteren Sinne und der Ingerenz im engeren Sinne nicht vornimmt. 339 Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 242 ff.; Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 97. 340 Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 97. 341 Wobei im Rahmen einer Analogie zugunsten des Täters kein Konflikt mit Art. 103 Abs. 2 GG droht. 342 Diese Terminologie wird von Pfleiderer, Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 128 ff. explizit im Zusammenhang mit der Ingerenz verwendet. 343 Siehe dazu unten Kap. 4, B. I.
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unumstrittener, als es zunächst den Anschein haben könnte. Pfleiderer beispielsweise lehnt die Ingerenz zwar weitestgehend ab, möchte sie aber zumindest in solchen Grundfällen anerkennen.344 Ebenso lehnt Brammsen zwar, wie bereits dargelegt wurde, die Garantenstellung aus Ingerenz ab.345 Gleichwohl will er die Ingerenzfälle als vorsätzliche Begehungsdelikte behandeln. Unabhängig davon, dass seine These von einem dolus superveniens dogmatisch nicht haltbar ist,346 zeigt seine Ansicht doch, dass er Ingerenzsachverhalte klar für strafbewehrt erachtet. Schünemann, der, wie an früherer Stelle gezeigt wurde,347 einer der schärfsten Gegner der Garantenstellung aus Ingerenz ist, verlangt in seiner Monographie nachfolgenden Veröffentlichungen, dass die Garantenstellung aus Ingerenz „allermindestens einer radikalen Restriktion“ 348 bedarf. Dies aber belegt doch, dass er letztlich ebenfalls einen eng umgrenzten Kreis von Grundfällen anerkennt. Insofern ist die ablehnende Haltung gegenüber der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun in der Literatur nur partieller Natur. Zudem sind diese Ansichten gegenüber den die Ingerenz befürwortenden Meinungen derart in der Minderzahl, dass zumindest der Grundfall der Ingerenz in der Lehre als prinzipiell unumstritten bezeichnet werden kann. Auch die Rechtsprechung verurteilt in langer Tradition aus Ingerenz.349 Damals wie heute haben die Gerichte an der generellen Anerkennung der Garantenstellung nach vorangegangenem Tun nie gezweifelt. Lediglich die Grenzfälle waren und sind in unterschiedlicher Weise, häufig auch aus dogmatisch nicht nachvollziehbaren Gründen, unterschiedlich entschieden worden.350 Man kann also als Ergebnis festhalten, dass der Grundfall der Ingerenz gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Gleichwohl macht diese Feststellung die Suche nach dem ursprünglichen Rechtsgrund einer Erfolgsabwendungspflicht nach vorangegangenem Tun nicht entbehrlich. Es sprechen vor allem zwei Gründe gegen eine gewohnheitsrechtlich legitimierte Garantenstellung aus Ingerenz. Der erste Grund besteht darin, dass die gewohnheitsrechtliche Anerkennung des Grundfalles letztlich zur Lösung der strittigen Fallkonstellationen nichts beitragen kann. Denn es lassen sich aus der grundsätzlichen Anerkennung des Grundfalles kei-
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Pfleiderer, Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 149 ff. Da diese Methode, die mithilfe eines analogistischen Verfahrens die Garantenstellungen von Grundfällen ableiten möchte, an gravierenden Schwächen leidet, soll sie daher nicht weiter vertieft werden. Vgl. nur die ausf. Kritik von Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 159 ff. 345 Siehe dazu oben Kap. 2, B. III. 346 Siehe dazu oben Kap. 2, B. III. 347 Siehe dazu oben Kap. 2, B. IV. 348 Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 308 f. 349 Vgl. dazu Jakobs, in: FS BGH, S. 29 (31). 350 Siehe nur die Kritik an der Voraussetzung der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr Kap. 4, B. II.
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nerlei Schlüsse ziehen, welche rechtliche Qualität die Vorhandlung aufweisen und in welcher Beziehung sie zum drohenden Erfolg stehen muss. Daher lässt sich auch eine Bestrafung der hier behandelten Weiterungsfälle nicht auf Gewohnheitsrecht stützen. Ein weiteres Problem liegt darin begründet, dass eine ausschließlich auf Gewohnheitsrecht gegründete Ingerenzrechtsprechung zu einem früheren Zeitpunkt, als die Erfolgsabwendungspflicht noch nicht den Status des Gewohnheitsrechts erreicht hatte, illegitim gewesen sein muss. Es wäre aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hinnehmbar, eine tatsächlich nicht bestehende Rechtsnorm zur Grundlage einer Garantenstellung zu machen, nur weil dies fälschlicherweise auch in der Vergangenheit so oft geschehen ist, dass nunmehr von Gewohnheitsrecht gesprochen werden kann.351 So hat Schuppe schon vor mehr als 120 Jahren betont, dass „die Anerkennung des Gewohnheitsrechtes, d. i. die Anerkennung einer bestehenden Gewohnheit als Recht allein an denjenigen Kriterien hängt, an welchen überhaupt die Anerkennung von Recht hängt“.352 Es reicht somit nicht aus, lediglich eine richterliche Gewohnheit nachzuweisen. Stattdessen hat das Gewohnheitsrecht die Eigenschaften aufzuweisen, die überhaupt das Recht zu konstituieren im Stande sind.353 Somit müssen die Elemente gesucht werden, die eine Legitimation der Erfolgsabwendungspflicht aus vorangegangenem Tun als Rechtspflicht ermöglichen. Dennoch ist der Verweis auf die gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtspflicht zur Abwendung des schädigenden Erfolges in dem Grundfall nicht unbrauchbar. Hieraus kann nämlich gefolgert werden, dass gemeinhin eine Rechtspflicht anerkannt ist, die jemanden dazu verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen selbst verursachte, schädigende Kausalverläufe abzuwenden. Nur lässt sich an dieser Stelle noch nicht sagen, warum genau diese Rechtspflicht anzuerkennen ist und welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Grundfall stellt damit nur einen ersten Anhaltspunkt auf der Suche nach der für die Ingerenz erforderlichen Rechtspflicht dar. 2. Ableitung von Erfolgsabwendungspflichten aus anerkannten rechtlichen Verbotsnormen Da sich die gewohnheitsrechtliche Begründung einer Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung nach vorangegangenem Tun als alleine nicht tragfähig erwiesen hat, könnte ein Versuch dahingehend unternommen werden, die Ingerenz aus an351 Hierauf weist Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 251 f., der die Ingerenz generell ablehnt, hin. Siehe auch Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 211. 352 Schuppe, Das Gewohnheitsrecht, S. 98. 353 Schuppe, Das Gewohnheitsrecht, S. 99.
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erkannten rechtlichen Verbotsnormen abzuleiten. So wird bis heute vorgebracht, die Ingerenz lasse sich aus dem neminem laede-Prinzip, also dem rechtlichen Verbot, andere zu verletzen, herleiten.354 Das neminem laede-Prinzip basiert auf dem allgemeinen Respektierungsgebot, das sich schon auf Hegel zurückführen lässt, welcher betonte: „sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“.355 Das Recht lege Hegel zufolge dem Bürger die Pflicht auf, „die Persönlichkeit und das darauf Folgende nicht zu verletzen“.356 Man wird diese Rechtspflicht sogar als Grundnorm des Strafrechts überhaupt bezeichnen müssen.357 Denn nur durch die Anerkennung des neminem laede kann das Recht die Aufgabe bewältigen, es „den Bürgern zu ermöglichen, ihr Leben nach eigener Einsicht führen zu können“.358 Diese Beschreibung greift allerdings noch zu kurz. Denn das Respektierungsgebot stellt die Grundbedingung für die Existenz rechtlich garantierter Freiheit dar. Eine Person zu respektieren beinhaltet die Pflicht, ihre Freiheit anzuerkennen. Der Mensch darf seinen Handlungen nicht ausschließlich seine eigenen Bedürfnisse und Neigungen zu Grunde legen. Vielmehr setzt wirkliche Freiheit voraus, dass die Menschen einander als frei anerkennen und sich gegenseitig in ihre Entscheidung nach den Regeln der Vernunft miteinbeziehen.359 Damit wurzelt das neminem laede in der wechselseitigen Respektierung individueller Freiheit und lässt sich auf dieser Grundlage als allgemeines Verletzungsverbot legitimieren. Denn die Verletzung rechtlich geschützter Güter stellt grundsätzlich die Missachtung fremder Freiheit dar.360 Aus dem neminem laede lassen sich allgemein rechtliche, aber auch originär strafrechtliche Verbotsnormen konstruieren.361 So lassen sich Delikte wie der Totschlag und die Körperverletzung auf das allgemeine Verletzungsverbot als Ausdruck des Respektierungsgebots zurückführen. Bei dem Verbot, andere zu verletzen, handelt es sich aber zunächst nur um ein Unterlassungsgebot. Dem354 So NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43; LK-Jescheck, (11. Aufl.), § 13 Rn. 31; AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 49. 355 Hegel, Rph, § 36 (S. 95); siehe hierzu Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 57 f.; zum Respektierungsgebot siehe auch Pawlik, in: FS Roxin zum 80., S. 931 (938 ff.). 356 Hegel, Rph, § 38 (S. 97), demzufolge auch positive Rechtsgebote das Verbot zu Grunde liegen haben; siehe hierzu Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 57. 357 So Stratenwerth, ZStW 68 (1956), S. 41 (44); dem folgend Pawlik, in: FS Roxin zum 80., S. 931 (938); Kühl, in: FS Herzberg, S. 177 (180) zufolge können die strafrechtlichen Regelungen insgesamt als Regelungen verstanden werden, die nach dem neminem laede-Prinzip konstruiert sind. 358 Pawlik, in: FS Roxin zum 80., S. 931 (938). 359 Vgl. Kelker, Der Nötigungsnotstand, S. 106; zur Bedeutung der Vernunft auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre siehe Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 344 ff.; siehe auch Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 41. 360 Siehe dazu unten Kap. 4, B. III. 4. b). 361 Kühl, in: FS Herzberg, S. 177 (180).
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nach sind die hieraus abgeleiteten konkreten Deliktsnormen zunächst auch nur Unterlassungsgebote bzw. Verbote. Es stellt sich daher die Frage, ob sich aus den existierenden rechtlichen Verbotsnormen auch Handlungsgebotsnormen ableiten lassen, auf deren Grundlage die Pflicht, selbst herbeigeführte Gefahren für fremde Rechtsgüter unschädlich zu machen, begründet werden kann. In diesem Punkt herrscht in der Lehre Streit. Eine verbreitete Ansicht möchte Handlungsgebote normlogisch aus Handlungsverboten ableiten.362 Das sog. „Involvierungsprinzip“ besagt demnach, dass das Verbot das Gebot beinhalte. So schreibt Stree: „Das Verletzungsverbot wandelt sich (. . .) für den Urheber einer gefährlichen Situation in ein Verhinderungsgebot, wenn auch Haftungsgrundlage weiterhin das Verletzungsverbot bleibt“.363 Diese Auffassung hat schon Binding vertreten, indem er dargelegt hat: „Das Verbot die Ursache einer Rechtsverletzung zu erzeugen involvirt das Gebot für die Handelnden, die mögliche Ursache für den Eintritt oder die wirkliche Ursache für die Fortdauer einer Rechtsverletzung, die sie durch ihre Tätigkeit ins Leben gerufen haben, in dieser Ursächlichkeit zu vernichten“.364 Dabei handelt es sich um einen Ansatz, der sich schon bei Hegel finden lässt. Er betont, dass die Rechtsgebote „ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zu Grunde liegen“ haben.365 Gegen diese These haben einige Autoren Argumente vorgebracht. Brammsen behauptet, dass die Folge einer solchen Umwandlung von Verbots- in Gebotsnormen dazu führen müsste, dass auch der Begehungstäter regelmäßig Garant aus Ingerenz sei.366 Denn der Verstoß gegen eine Verletzungsverbotsnorm müsse dann innerhalb der Zeitspanne von der Handlung bis zum Erfolg immer gleichzeitig eine Pflicht zur Abwendung der schädigenden Folge nach sich ziehen. Warum allerdings Brammsens Einwand ein Argument gegen eine normlogische Ableitung von Geboten aus Verboten sein soll, bleibt unklar. Es ist durchaus denkbar, den Begehungstäter auch zum Garanten aus Ingerenz zu machen.367 In eindeutigen Begehungskonstellationen kann das Unterlassungsdelikt im Wege der Konkurrenz vernachlässigt werden. In anderen Konstellationen, in denen zwischen vorsätzlicher Vorhandlung und Erfolgseintritt weitere strafschärfende Merkmale hinzutreten, kann die Anknüpfung an das Unterlassen mitunter die einzige Möglichkeit darstellen, das gesamte Unrecht zu bestrafen.368
362 Arzt, JA 1980, S. 714; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 211; SKStGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 18; Stree, in: FS Mayer, S. 145 (156); Welp, Vorangegangenes Tun, S. 191. 363 Stree, in: FS Mayer, S. 145 (156). 364 Binding, Die Normen, Bd. 1, S. 118. 365 Hegel, Rph, § 38 (S. 96). 366 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 287 f. 367 Hierzu ausf. Stein, JZ 1999, S. 265 ff. 368 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 105a.
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Gewichtiger ist hingegen der Einwand, dass sich Gebote aus normlogischen Gründen nicht aus Verboten mit demselben Norminhalt bilden lassen. Zwar lassen sich grundsätzlich Verbote in Gebote umformulieren. Gleichwohl ändert sich hierdurch nicht deren Inhalt. So kann das Verbot, einen Menschen zu verletzen, in das Gebot umformuliert werden, Handlungen zu unterlassen, die einen Menschen verletzen können. Hierbei ändert sich aber nicht der Inhalt der Norm. Wenn an dieser Stelle von der Ableitung der Gebote aus den Verboten die Rede ist, so handelt es sich vielmehr um den Versuch, darzulegen, weshalb das Verletzungsverbot das Erfolgsabwendungsgebot beinhaltet, dass derjenige, der einen gefährlichen Kausalverlauf geschaffen hat, diesen auch unschädlich machen muss. Gegen diese Ableitung der Gebote aus den Verboten haben sich zahlreiche Autoren gewendet.369 An dieser Stelle kann auf die ausführliche Begründung Kaufmanns370 und Vogels371 verwiesen werden. Das entscheidende Argument gegen eine Ableitung des Erfolgsabwendungsgebots aus dem Verletzungsverbot hat Kaufmann372 aufgezeigt: Während sich das Verbot grundsätzlich an einen unbestimmten Personenkreis richtet, richtet sich das Erfolgsabwendungsgebot an einen begrenzten Personenkreis. Der Verbotsnorm lässt sich aber nicht entnehmen, ob eine bestimmte Person Garant für die Abwendung eines schädigenden Kausalverlaufs ist. Ebenso lässt sich aus einer Gebotsnorm, die ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, auch nicht folgern, dass alle anderen Handlungen verboten sind. Dies verdeutlicht, dass sich der Inhalt der Gebotsnorm vom Inhalt einer Verbotsnorm unterscheidet. Daher kann auch die Gebotsnorm nicht normlogisch in der Verbotsnorm enthalten sein. 3. Rechtliche Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung Da eine Garantenstellung aus Ingerenz weder aus Gewohnheitsrecht noch normlogisch aus den rechtlichen Verbotsnormen abgeleitet werden kann, stellt sich die Frage, ob eine ungeschriebene eigenständige Pflicht anzuerkennen ist, selbst hervorgerufene schädigende Kausalverläufe unschädlich zu machen. a) Grundsätzliche Voraussetzungen einer rechtlichen Pflicht i. S. d. § 13 StGB Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB fordert eine rechtliche Einstandspflicht. Für eine Garantenstellung kommen demnach nur solche Pflichten in Betracht, 369 Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 288 ff.; Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 3 ff., 258 ff.; Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 130 ff.; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 251 ff.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 109 ff., 117 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 93 ff. 370 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 3 ff., 258 ff. 371 Vogel, Norm und Pflicht, S. 93 ff. 372 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 258; dem folgend Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 252.
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die als rechtliche und nicht als ausschließlich sittliche oder moralische Pflichten verstanden werden können. Insoweit herrscht allgemeiner Konsens.373 Zu klären ist aber, nach welchen Kriterien eine Abgrenzung stattzufinden hat. Dabei muss beachtet werden, dass rechtliche Pflichten durchaus auch moralische Pflichten enthalten können.374 Wer beispielsweise einen Mord begeht, verstößt nicht nur gegen rechtliche, sondern auch allgemein sittliche Verbote.375 Daher hat die Suche nach Pflichten zu erfolgen, die zwar durchaus auch moralische sein dürfen, aber die besonderen Charakteristika des Rechts aufweisen. Unproblematisch lassen sich rechtliche Pflichten dort bejahen, wo das geschriebene Gesetz sie explizit vorschreibt. So kann z. B. die rechtliche Pflicht der Eltern zur Sorge um ihre Kinder auch dem § 1626 BGB entnommen werden. Gleichwohl müssen Pflichten, die sich aus dem geschriebenen Recht ergeben, nicht zwangsläufig auch ein rechtliches Einstehenmüssen im Sinne des § 13 StGB darstellen.376 Die echten Unterlassungsdelikte, wie beispielsweise § 138 und § 323c StGB, geben ebenfalls explizite und gesetzlich normierte Rechtspflichten vor. Dabei handelt es sich aber um Jedermanns-Pflichten, auf die nach allgemeiner Ansicht keine Garantenstellung gestützt werden kann.377 Es stellt sich ohnehin die Frage, ob mit dem Begriff des Rechts i. S. d. § 13 StGB nur das geschriebene Recht gemeint ist. Würde man in dem Erfordernis des rechtlichen Einstehenmüssens tatsächlich nur die lex scripta erblicken, so gelangt man unweigerlich zu der längst überholten formellen Rechtspflichttheorie. Insofern kann auf die bereits genannte Kritik verwiesen werden.378 Aber auch das BVerfG hat in seinem Soraya-Beschluss festgestellt: „Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken
373 BVerfGE 96, 68 (98); NJW 2003, 1030; BGHSt 30, 391 (393 f.); Sch/Schr-Stree/ Bosch, § 13 Rn. 7; LK-Jescheck, (11. Aufl.), § 13 Rn. 4; Kühl, in: FS Herzberg, S. 177 (183); Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 37; Vogel, Norm und Pflicht, S. 125 f. 374 Vgl. Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, S. 221; Vogel, Norm und Pflicht, S. 126; siehe auch Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers, S. 213 f., der darauf hinweist, dass zwischen Recht und Moral keine feste Grenze verläuft. 375 Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 14. 376 Vgl. hierzu Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 208; siehe auch Kühl, in: FS Herzberg, S. 177 (185). 377 BGHSt 3, 65 (67); ausf. hierzu Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 155 f.; siehe auch Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 57; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 29; Lackner/Kühl, StGB, § 13 Rn. 7. 378 Siehe dazu oben Kap. 2, A. V.; so aber Seebode, in: FS Spendel, S. 317 (344); siehe hierzu AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 47.
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vermag“.379 Daher können rechtliche Einstandspflichten im Sinne des § 13 StGB auch in nicht kodifizierten Rechtsnormen existieren.380 An dieser Stelle kann keine umfassende Stellungnahme zum Begriff des Rechts erfolgen.381 Stattdessen soll von einem freiheitlichen Verständnis des Rechts ausgegangen werden, das gerade dem Strafrecht zu Grunde liegt.382 Wie bereits angesprochen wurde, existiert ein natürliches Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen, die einander als freie Vernunftwesen respektieren und zu richtigem Handeln fähig ansehen.383 Dieses natürliche Vertrauensverhältnis muss sich im Recht verfestigen, um als allgemeinverbindliches Regelungssystem wechselseitige Freiheit garantieren zu können. Auch wenn der Einzelne grundsätzlich dazu in der Lage ist, seine Mitmenschen als frei anzuerkennen und damit in seine Entscheidungen einzubeziehen, kann er nicht in jeder Lage allgemeingültige und damit nach den Regeln der Vernunft für alle Menschen gleichsam richtige Entscheidungen treffen.384 Stattdessen muss das Recht im Wege einer gemeinsamen Vernunftleistung aller Individuen bestimmt werden, damit es allgemeine Geltung für sich beanspruchen kann.385 Hierbei hat sich das Recht von der Selbstbestimmung des Einzelnen als moralisches Wesen zu lösen.386 Ihm kommt in diesem Zusammenhang nur die Aufgabe zu, das äußere Miteinander der Menschen zu regeln.387 Es lässt sich in Kants Worten wie folgt beschreiben: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.388 Es geht demnach dem Recht nicht darum, die eigene Vollkommenheit und die fremde Glückseligkeit zu fördern.389 Das Recht bezieht sich auf „bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit“, also nur auf die „Freiheit im äußeren Gebrauche“.390 Im Gegensatz zur Moral ist die in379 BVerfGE 34, 268 (287); auf diese Entscheidung weist explizit Vogel, Norm und Pflicht, S. 321 f. hin, um darzulegen, dass Rechtsquellen von Garantengeboten nicht zwangsläufig dem geschriebenen Recht entstammen müssen. 380 Vogel, Norm und Pflicht, S. 320 ff. 381 Zu den verschiedenen Rechtsbegründungsansätzen ausf. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 188 ff. 382 Kühl, in: FS Herzberg, S. 177 (180); zu dem Begriff des freiheitlichen Rechtsverständnisses siehe Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 339 f. 383 Siehe oben Kap. 2, B. I. 384 Vgl. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 53. 385 Vgl. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 53. 386 Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 147; Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 52. 387 Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 412. 388 Kant, MdS, AB 33 (S. 337). 389 AK-StGB/Seelmann, § 13 Rn. 47 m.w. N. aus der rechtsphilosophischen Literatur. 390 Kant, MdS, AB 6,7 (S. 318); siehe hierzu auch Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 377; vgl. auch Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 14 f.
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nere Einstellung dabei nicht entscheidend.391 Das Recht bringt durch Ge- und Verbote individuelle Freiheitssphären miteinander in Einklang, um auf diese Weise das Aufeinandertreffen der Menschen in einer Gesellschaft zu regeln.392 Da es im wechselseitigen Bezug autonomer Subjekte entsteht, existiert Recht immer dort, wo Menschen aufeinandertreffen.393 Auch wenn der Mensch grundsätzlich zu richtigem Verhalten fähig ist, kann er dennoch im Widerspruch zum Recht, mit anderen Worten unrechtmäßig handeln. Der Begriff des Unrechts hängt damit zwingend von dem Begriff des Rechts ab.394 Unter Berücksichtigung des hier skizzierten freiheitlichen Rechtsverständnisses, setzt das Unrecht die Verletzung der durch das Recht geregelten äußeren Freiheitsverhältnisse voraus und unterscheidet sich hiermit von Verstößen gegen moralische Normen.395 In diesem Zusammenhang stellt das Verbrechen bzw. das Strafunrecht eine besondere Form des Unrechts dar. Es unterscheidet sich von bloßem Zivil- oder Ordnungsunrecht dadurch, dass es das Recht in fundamentaler Weise verletzt.396 Dabei vollzieht sich die durch das Verbrechen verursachte Freiheitsverletzung in drei Dimensionen.397 Das Verbrechen stellt nicht nur eine Handlung im Widerspruch zum Recht dar, sondern bedeutet, wie Köhler formuliert, die „subjektiv-objektiv handelnde Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeingesetzlichen Geltung (,als Recht‘) in einem Maße, das die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend beeinträchtigt“.398 Das Verbrechen setzt somit zunächst die konkrete Verletzung substanzieller Freiheitsrechte einer anderen Person voraus.399 Denn der Verbrecher entzieht seinem Mitmenschen die Anerkennung der ihm zustehenden Freiheit und macht ihn damit zum Mittel der eigenen Willkür.400 Zudem setzt das 391 Hierzu ausf. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 376 ff.; siehe auch Kühl, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral, S. 146; vgl. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 295 ff.; Seelmann, GA 1989, S. 241 (252). 392 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 14. 393 Siehe dazu Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 386; Hoßfeld, Tun und Unterlassen, S. 60 f. betont, dass das Recht keine Eigenschaft einer Person darstelle, sondern als ein Verhältnis zwischen Personen verstanden werden müsse. 394 Köhler, Strafrecht AT, S. 20. 395 Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 389; dies., Der Nötigungsnotstand, S. 111; Köhler, Strafrecht AT, S. 20. 396 Köhler, Strafrecht AT, S. 22. 397 Ausführlich hierzu Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 390 ff.; siehe auch Gierhake, Der Zusammenhang, S. 250 ff. 398 Köhler, Strafrecht AT, S. 22. 399 Köhler, Strafrecht AT, S. 22; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 390. 400 Zudem stellt sich der vernunftbegabte Bürger, der zur Begründung allgemeinverbindlicher Maximen fähig ist, zu sich selbst in Widerspruch, indem er seiner Rolle als Mitbegründer allgemeinen Rechts zuwider handelt. Siehe dazu Gierhake, Der Zusammenhang, S. 254 ff.
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Verbrechen voraus, dass der Täter über die Rechte der einzelnen Person hinaus auch das Recht in seiner Allgemeinheit gewissermaßen als „Recht“ überhaupt negiert.401 Indem sich die grundsätzlich zu vernünftigem und damit verallgemeinerbarem Handeln fähige Person in Widerspruch zum Recht begibt, erweckt sie den Anschein der Verallgemeinerbarkeit ihres Unrechtshandelns und bewirkt hierdurch eine auch in die Zukunft gerichtete Negation des Rechts.402 Eine weitere Dimension erhält das Verbrechen dadurch, dass der Täter sich in einen Widerspruch zu sich selbst begibt, da er eine Rechtsregel bricht, die er als freies Vernunftwesen grundsätzlich mitkonstituiert.403 Nach dem bisher Gesagten ist damit deutlich geworden, dass mit dem rechtlichen Einstehenmüssen eine Pflicht gemeint ist, die sich auf eine allgemeinverbindliche Regelung äußerer Freiheit zurückführen lässt, ohne zwangsläufig dem geschriebenen Recht entstammen zu müssen. Nun ließe sich einwenden, dass eine rechtliche Erfolgsabwendungspflicht im Sinne des § 13 StGB zwar nicht zwangsläufig dem geschriebenen, wohl aber dem positiven Recht entstammen müsse.404 Mit anderen Worten: Es müsste eine durch Menschen gesetzte Rechtsnorm vorliegen, aus der eine Erfolgsabwendungspflicht abgeleitet werden kann. In der Tat werden Rechtsnormen in unterschiedlicher Weise durch Setzungsakte in die Rechtsordnung integriert und besitzen, wie beispielsweise das Grundgesetz, gegenüber Gesetzen des Bundes oder der Länder einen unterschiedlich hohen Rang.405 Gleichwohl muss ein strenger Rechtspositivismus abgelehnt werden, der die Legitimation des Rechts ausschließlich von einem Setzungsakt abhängig macht.406 Stattdessen hat sich jedes gesetzte Recht an übergeordneten Rechtsprinzipien zu messen.407 Kelker, die sich ausführlich mit dem Begriff des Rechts unter besonderer Zugrundelegung eines freiheitlichen Rechtsverständnisses auseinandersetzt, betont in diesem Zusammenhang: „Sowohl im Verfahren 401 Köhler, Strafrecht AT, S. 22; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 390. 402 Köhler, Strafrecht AT, S. 22 schreibt: „Der vom handelnden Vernunftsubjekt ausgehende negative Allgemeingeltungsanspruch verleiht dem Verbrechen seine entsprechende Zukünftigkeit“; ausf. hierzu Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 110 ff. 403 Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 121; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 393; Köhler, Der Begriff der Strafe, S. 56. 404 Zur Unterscheidung von positivem Recht und Naturrecht siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 291 ff. 405 Zur konkreten Ausgestaltung des Rechts siehe Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 386 ff.; zum Stufenbau der Rechtsordnung siehe Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 305 ff. 406 So führt selbst Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 64 ff., 204, der mit seiner reinen Rechtslehre einen strengen Rechtspositivismus vertritt, die Gesetze auf eine Grundnorm zurück; hierzu ausf. Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 158 ff.; siehe auch Höffe, in: Bubner/Cramer/Wiehl (Hrsg.), Recht und Moral, S. 3 f. 407 Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 386 f.
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der Rechtssetzung als auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Recht darf niemals hinter das Grundprinzip von Recht, nämlich die wechselseitige Anerkennung und Sicherung der Autonomie aller Rechtssubjekte, zurückgegangen werden“.408 Dieses Prinzip der wechselseitigen Anerkennung von Freiheit ist auch ohne menschlichen Setzungsakt immer dann existent, wenn Menschen in einer Gesellschaft aufeinandertreffen, und auf diese Weise als überpositives Rechtsprinzip real und verbindlich.409 Daher muss im Folgenden die Frage beantwortet werden, ob eine Erfolgsabwendungspflicht nach vorangegangenem Tun möglicherweise eine Pflicht darstellt, die sich aus einem überpositiven Rechtsprinzip ergibt. b) Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung Bei der Suche nach einer Erfolgsabwendungspflicht aus Ingerenz, die sich schon aus einem überpositiven Rechtsprinzip ableiten lässt, muss die besondere Rolle der Vorhandlung als Akt der Gefahrschaffung herausgestellt werden. Dabei soll zunächst offen gelassen werden, ob es sich um eine nahe oder wahrscheinliche Gefahr handeln oder ob die Vorhandlung selbst eine Gesetzesübertretung darstellen, also pflichtwidrig oder rechtswidrig sein muss.410 Zunächst einmal soll die reine Bedeutung der Schaffung einer Gefahr für ein Rechtsgut dahingehend untersucht werden, ob sie einen legitimen Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Einstandspflicht bilden kann. Gefahrschaffung bedeutet nichts anderes als Gefährdung fremder Rechtsgüter. Mit anderen Worten: Jemand setzt durch sein Vorverhalten einen Kausalverlauf in Gang und schafft hiermit die Wahrscheinlichkeit – wie hoch sie auch immer sein mag –, dass eine Rechtsgutsverletzung eintritt. Möchte man in einer Gesellschaft Freiheit ermöglichen, so dürfen Handlungsspielräume durch den Staat und seine Gesetze nicht grenzenlos eingeschränkt werden. Dabei handelt es sich um eine direkte Folge aus Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet und den Bürger davor schützt, durch den Staat in seiner Freiheit über Gebühr eingeschränkt zu werden. Andererseits kann aber auch keine unbegrenzte Freiheit der Bürger angestrebt werden, da dieses Ziel ohnehin nicht zu erreichen wäre. Denn damit Freiheit geschaffen werden kann, muss Freiheit eingegrenzt werden. Dabei sollen Übertretungen der zulässigen Freiheit primär durch Verbote verhindert werden; doch erschöpft sich der Wirkungskreis des Rechts nicht darin.411
408 409 410 411
Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 386. Vgl. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 388. Eine genaue Grenzziehung erfolgt weiter unten Kap. 5, B. Siehe Pawlik, in: FS Roxin, S. 931 (939).
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB
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Wird eine Gefahr für ein Rechtsgut geschaffen, so liegt hierin grundsätzlich schon eine Einschränkung der Freiheitssphäre einer anderen Person. Diese verfestigt sich aber erst dann, wenn der Schaden eintritt. Zwischen diesen Zeitpunkten, also der Gefahrschaffung und der Gefahrrealisierung besteht ein Zeitraum, in dem der Schaden das mehr oder weniger wahrscheinliche Ergebnis einer Zukunftsprognose darstellt. In dieser Zeitspanne hat die Regelungsfunktion des Rechts noch nicht versagt. Zwar mag schon die Gefahrschaffung als solche verboten sein, so dass möglicherweise schon gegen eine eigenständige rechtliche Verbotsnorm verstoßen wurde. Doch stellt die Schadensrealisierung einen weitergehenden Unwert dar. Wenn man die Aufgabe und vor allem auch die Existenzvoraussetzung des Rechts darin sieht, dass es die Freiheit der Personen untereinander in Einklang bringt, so muss es in dieser Zeitspanne zwischen Gefahrschaffung und Gefahrrealisierung weiterhin wirken, damit weitergehende Verletzungen individueller Freiheitsrechte vermieden werden. Die Regelungsfunktion des Rechts beschränkt sich nicht darauf, durch einzelne Verbote Freiheitsverletzungen vorzubeugen. Stattdessen liegt der übergeordnete Sinn des Rechts darin, Freiheit der Bürger zu ermöglichen. Aber das wiederum setzt zwangsläufig voraus, dass Freiheitssphären der Individuen voneinander abgegrenzt werden. Jakobs beschreibt diesen Befund – freilich unter Verwendung einer anderen Begriffichkeit – dahingehend, dass „niemand den eigenen Organisationskreis (. . .) ohne Rücksicht auf die Organisationskreise anderer Personen ausdehnen soll“.412 Diese Erkenntnis geht schon auf Rotering zurück, demzufolge ein „Miteinanderwohnen der Staatsbürger auf oft eng begrenztem Raum“ nur dann möglich sei, wenn „jeder Staatsbürger seine bestimmte Rechtssphäre hat, deren Grenzen durch diejenige der Mitbürger begrenzt sind“.413 Damit diese Organisationskreise voneinander abgegrenzt werden können, sind auch Pawlik zufolge Neutralisierungsgebote nicht weniger bedeutsam als Verbote.414 Auch Vogel, der sich ausführlich für Handlungsgebote als Rechtspflichten speziell auch für die Ingerenz ausgesprochen hat, beschreibt die Pflicht des Bürgers dahingehend, dass er zu jeder Zeit das von der Rechtsordnung gebilligte Maß an Freiheit aufrechterhalten muss. Dieses Gebot gelte demnach „vor, während und nach irgendwelchen bestimmten Handlungen“.415 412
Jakobs, Strafrecht AT, 28. Abschn. Rn. 14. Rotering, GS 34 (1883), S. 206 ff. 414 Pawlik, in: FS Roxin, S. 931 (939). 415 Vgl. Vogel, Norm und Pflicht, S. 361, der zur Begründung von Garantenstellungen an das Modell von Jakobs anknüpft; hiergegen hat Schünemann, in: Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, S. 58 ff. scharfe Kritik geäußert, indem er die Idee der „Sicherungsgarantengebote als Preis für die Einräumung von Freiheit“ verwirft und stattdessen die Bedeutung des Herrschaftsprinzips hervorhebt; zum Herrschaftsprinzip siehe oben Kap. 2, B. IV. 413
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
Somit beinhaltet das Recht, Freiheit in den durch die Rechtsordnung vorgegebenen Grenzen zu entfalten, gleichzeitig die synallagmatische Pflicht, nach einer unzulässigen Freiheitsentfaltung, die schädigende Folgen für andere Bürger haben kann, die Gefahr unschädlich zu machen, bevor sie in einen Schaden umschlägt.416 Dies hat auch schon Klee erkannt und darauf hingewiesen: „Alle strafrechtliche Verantwortlichkeit wurzelt in der Nichterfüllung der Pflicht, keine Gefahr für fremde Rechtsgüter herbeizuführen oder die durch ein Tun von vornherein begründete Gefahr nicht über das mit der Koexistenz aller verträgliche Maß hinauswachsen zu lassen“.417 Dabei handelt es sich zwar nicht um eine Erfolgsabwendungspflicht, die normlogisch in dem Verbot andere zu verletzen enthalten ist. Dennoch steht eine Erfolgsabwendungspflicht nach vorangegangenem Tun mit den Verboten in einer besonderen Beziehung, da sie demselben übergeordneten Rechtsprinzip, nämlich dem Respektierungsgebot entstammen. Man könnte auch, wie Jakobs, die Pflicht zur „Revokation eines schon geschehenen Outputs“ als Folge der „ursprünglichen Verbindlichkeit“ bezeichnen.418 Aus diesem Grund ist das Erfolgsabwendungsgebot auch nicht von den Verbotsnormen unabhängig. Stattdessen bezieht sich die Erfolgsabwendungsnorm auf allgemeine Verbotsnormen, die zur Sicherung der Freiheitssphären existieren. Hierbei handelt es sich somit zwar nicht um Erfolgsabwendungsgebote, die sich den geschriebenen Gesetzen entnehmen lassen. Doch wie gezeigt werden konnte, ist das auch nicht erforderlich.419 Die Erfolgsabwendungsgebotsnorm resultiert aus dem allgemeinen Respektierungsgebot als Rechtsprinzip.420 Es stellt die Basis der verfassungsmäßigen Grundordnung dar, die es dem Bürger ermöglicht, sein Leben in bestimmten Grenzen frei zu gestalten und vor unzulässigen Eingriffen anderer Bürger geschützt zu sein. Demzufolge handelt es sich bei Erfolgsabwendungspflichten nach unzulässiger Ausübung von Freiheit auch nicht um rein solidarische Pflichten, die nur der Moral zuzuordnen sind. Denn es wird vom Bürger weder ein guter Wille verlangt, noch soll er es dem anderen zum Besseren wenden. Stattdessen stellt diese Pflicht den Preis der individuellen Handlungsfreiheit dar, indem sie den Bürger 416 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 180 f.; auch Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 117 schreibt: „Demnach hat jeder seinen Handlungsspielraum so zu gestalten, dass hieraus keine Gefahren für die Güter anderer entstehen. Ist ein solches Risiko geschaffen, so muss der Betreffende Sorge dafür tragen, dass sich dieses Risiko nicht realisiert“; auch Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten, S. 133 Fn. 3 erkennt die Rechtspflicht zur Abwendung selbst verursachter schädigender Kausalverläufe an, obwohl sie auch keine normlogische Ableitung von Geboten aus Verboten vornimmt. 417 Klee, GA 1916, S. 394 (422). 418 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 20 ff., 23. 419 Siehe oben Kap. 2, C. VII. 3. a). 420 Vgl. Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 7; Albrecht, Begründung von Garantenstellungen, S. 153 sieht in dem rechtlichen Einstehenmüssen einen ausdr. Verweis auch auf Rechtsprinzipien.
D. Abschließende Stellungnahme
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dazu verpflichtet, den status quo anderer Personen zu keiner Zeit durch eigenes Verhalten negativ zu verändern.421 Oder anders formuliert: „Der andere soll nicht schlechter stehen, als er stehen würde, wenn er überhaupt nicht mit mir zusammengetroffen wäre“.422 Soll also das Recht, wie Kelker betont, die „wechselseitige Anerkennung und Sicherung der Autonomie aller Rechtssubjekte“ 423 ermöglichen und damit in den Worten Timpes beides gewährleistet sein, „ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung und Handlungsfreiheit, (so) muß normativ garantiert werden, dass der, der erfolgsbedingend handelt, die in seinem Handlungsvollzug angelegten Erfolgsbedingungen durch gegensteuernde Maßnahmen kompensiert (. . .): er muß zum Garanten ,aus vorangegangenem gefährlichen Tun‘ werden“.424 Immer dann also, wenn eine Person in unzulässiger Weise die eigene Freiheitssphäre in die Freiheitssphäre einer anderen Person ausdehnt und hierdurch Schäden einzutreten drohen, entsteht für den Urheber der Gefahr die rechtliche Pflicht, den drohenden Schaden abzuwenden, damit der status quo weiterhin aufrechterhalten wird. Dieses übergeordnete Rechtsprinzip, das zur Begründung der Ingerenz herangezogen wird, stellt nichts anderes dar, als die verrechtlichte und damit verfestigte Form eines zwischen Menschen bereits natürlich bestehenden Vertrauensverhältnisses. Daher lässt sich dieser Ansatz auch mit den Vertrauenstheorien vereinbaren, die Erfolgsabwendungsgebote aus Vertrauensverhältnissen herleiten wollen.425
D. Abschließende Stellungnahme zur Legitimität der Ingerenz in der Gegenwart Es kann somit festgehalten werden, dass die Pflicht zur Abwendung selbst geschaffener gefährlicher Kausalverläufe grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung nach sich ziehen kann und daher eine Garantenstellung aus Ingerenz Anerkennung verdient. Dass das übergeordnete Rechtsprinzip der Erfolgsabwendungspflicht als Kehrseite der Handlungsfreiheit auch gemeinhin anerkannt ist, zeigen schon die Ausführungen zu der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Grundfalls der Ingerenz. Ebenso hat die Gesetzgebungsgeschichte gezeigt, dass der Hauptkonfliktpunkt darin bestand, ob die Garantenstellungen, 421 Jakobs, Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 22; siehe auch Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 117; Vogel, Norm und Pflicht, S. 364. 422 Pawlik, in: FS Roxin, S. 931 (939); dieser Gedanke lässt sich im Ansatz schon bei Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, 102, einem Vertreter der materiellen Rechtspflichttheorien, finden. Siehe dazu oben Kap. 2, A. V. 423 Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 386. 424 Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils, S. 177 f. 425 Zu den Vertrauenstheorien siehe oben Kap. 2, B. I.
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Kap. 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz
darunter auch die Ingerenz, explizit im Gesetz genannt werden sollten, oder aber eine allgemeinere Formulierung verwendet werden sollte. Auch wenn sich der Gesetzgeber für letztere Variante entschieden hat, bestand an der grundsätzlichen Anerkennung der Ingerenz kein Zweifel. Lediglich die Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz sind weder durch Gewohnheitsrecht festgelegt, noch aus dem Wortlaut des Gesetzes unter Berücksichtigung des historischen Gesetzgebungswillens erkennbar. Erst durch die hier in Anlehnung an zahlreiche Autoren erfolgte Benennung des konkreten Entstehungsgrundes der Ingerenz wird ermöglicht, nunmehr die Grenzen der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun herauszuarbeiten. Gleichwohl sind noch viele Fragen offen, da die Begründung der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun anhand sehr abstrakter normativer Begriffe erfolgt ist. Eine Bewertung konkreter Sachverhalte ist auf dieser Grundlage noch nicht möglich. Stattdessen hat eine Präzisierung dahingehend zu erfolgen, unter welchen Voraussetzungen eine unzulässige Freiheitsentfaltung in die Freiheitssphäre eines anderen Bürgers vorliegt. Zu diesem Zweck muss untersucht werden, wie die vom Täter geschaffene Gefahr beschaffen sein und in welchem Verhältnis diese Vorhandlung zur Opfersphäre stehen muss, damit eine Garantenstellung aus Ingerenz legitimiert werden kann. Nur auf dieser Basis kann dann auch eine Lösung der Weiterungskonstellationen erfolgen.
Kapitel 3
Zuordnung der Garantenstellung aus Ingerenz im Sinne der Funktionenlehre Nachdem der Entstehungsgrund der Garantenstellung aus Ingerenz herausgearbeitet wurde, soll nunmehr untersucht werden, wie sich die Ingerenz auf der Grundlage der Funktionenlehre einordnen lässt. Mittlerweile wird sowohl von der Rechtsprechung1 als auch einem großen Teil der Literatur2 eine Zweiteilung der Garantenstellungen in sogenannte Beschützergarantenstellungen (Obhutsgarantenstellungen) einerseits sowie Überwachergarantenstellungen (Sicherungsgarantenstellungen) andererseits befürwortet. Dem Beschützergaranten obliegt hiernach die Pflicht, bestimmte Rechtsgüter entweder vor sämtlichen oder vor nur bestimmten Gefahren aus allen Richtungen zu beschützen.3 Dabei ist grundsätzlich unerheblich, aus welcher Richtung die Gefahren stammen. Denkbar sind beispielsweise Angriffe Dritter, Naturgewalten sowie krankheitsbedingte Rechtsgutsgefährdungen. Der Überwachergarant hat alle potenziellen Opfer vor Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu schützen, die aus einer Gefahrenquelle stammen, für die er verantwortlich ist.4 Andere, nicht aus der Gefahrenquelle stammende Rechtsgutsgefährdungen, hat er nicht abzuwenden.5 Ihren Ursprung findet diese Aufteilung in der Monographie Armin Kaufmanns, der erstmals eine Systematisierung der Garantenstellungen anhand ihrer Schutzrichtungen vorgenommen und damit die sogenannte Funktionenlehre begründet hat. Die klassische Funktionenlehre hat zwar viele Anhänger gefunden, 1 In BGHSt 48, 77 (91 f.) werden die Begriffe „Beschützergarantenstellung“ und „Überwachergarantenstellung“ explizit verwendet; siehe auch OLG Stuttgart NJW 1998, 3131 (3132) mit ausdrücklichem Verweis auf die Funktionenlehre. Zum Teil orientiert sich die Rechtsprechung aber noch stark an formellen Gesetzen. Vgl. BGH NJW 2003, 2312 (2313). 2 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 46 f.; Gropp, Strafrecht AT, § 11 Rn. 21 f.; Joecks, StGB, § 13 Rn. 21 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 43 ff.; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 101; SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 23; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 716. 3 So Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 283; siehe auch NKStGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32; Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 39; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 45; SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 46. 4 Siehe Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9. 5 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 47; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 8.
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
sah sich aber auch scharfer Kritik ausgesetzt. Die größte Schwäche der Lehre Kaufmanns wird darin gesehen, dass sie zwar der Systematisierung der Garantenstellungen diene, aber nichts über die Entstehungsgründe der Erfolgsabwendungspflichten verrate.6 Aus diesem Grund könne die „substanzlose“ 7 Funktionenlehre letztlich auch über den Umfang der Garantenpflicht nur wenig aussagen.8 Dieser Vorwurf ist aber nur zum Teil begründet. Gewiss kann eine reine, sich an den Schutzrichtungen orientierende Systematisierung den Umfang einer Erfolgsabwendungspflicht nicht bis in das letzte Detail festlegen.9 Die genauen Reichweiten der jeweiligen Garantenstellungen lassen sich nur im Kontext ihrer Entstehungsgründe bestimmen.10 Gleichwohl kann eine Systematisierung, auf deren Grundlage der Leistungsinhalt der Garantenstellungen bestimmt werden kann und die nicht im Widerspruch zu unterschiedlichen von der Literatur entwickelten Entstehungsgründen, dabei insbesondere dem hier vertretenen Entstehungsgrund der Ingerenz steht, eine erste Stufe der Eingrenzung bieten.11 Ließe sich die Ingerenz unabhängig von dem hier vertretenen Entstehungsgrund einem Garantentypus der Funktionenlehre zuordnen und dadurch in ihrer Schutzrichtung und Reichweite einschränken, so könnten hierdurch erste Anhaltspunkte für die Lösung der Weiterungsfälle gewonnen werden. Insbesondere könnte auf dieser Grundlage überprüft werden, ob dem Vorschlag Ottos,12 eine spezielle, den Beschützergarantenstellungen zuzuordnende Erfolgsabwendungspflicht für die Weiterungsfälle anzunehmen, wenn der Vortatbeteiligte durch das Vorverhalten das Opfer in eine hilflose Lage versetzt, zuzustimmen ist. Daher soll im Folgenden untersucht werden, welche Merkmale die Beschützerund Überwachergarantenstellungen unterscheiden und anhand einer vergleichen6 Diese vermeintliche Schwäche der Funktionenlehre wurde von Teilen der Literatur zum Anlass genommen, sie mit Entstehungsgründen der Garantenstellungen zu kombinieren und auf dieser Grundlage modifizierte Versionen zu entwickeln. Bei Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 28 ff.; ders., Zurechnung von Tun und Unterlassen, S. 19 ff., 30 ff. werden die Garantenstellungen nach „Pflichten kraft Organisationszuständigkeit“ und „Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit“ unterschieden. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 229, ders., ZStW 96 (1984), S. 287 (293 f.) differenziert auf Grundlage seiner monistischen Gleichstellungslehre, in der die „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ den Entstehungsgrund der Garantenstellungen bildet, zwischen der „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts“ und der „Sachherrschaft über den Gefahrenherd“. Siehe hierzu oben Kap. 2, B. IV. 7 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9. 8 Ebenf. kritisch NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 32 m.w. N.; Pawlik, ZStW 111 (1999), S. 335 (339); Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 15. 9 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 156 Fn. 11. 10 Vgl. Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 9; Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 9. 11 Vgl. auch Arzt, JA 1980, S. 553 ff., S. 647 ff., S. 712 ff., S. 647 (648); SSWStGB/Kudlich, § 13 Rn. 17. 12 Siehe dazu oben Kap. 1, C. III. 5.
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung
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den Gegenüberstellung ermittelt werden, ob sich die Ingerenz einer der beiden Garantentypen zuordnen lässt. Zudem soll auf der Grundlage der vergleichenden Gegenüberstellung ermittelt werden, ob das über die reine Gefahrschaffung hinausgehende Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage, wie Otto13 vorschlägt, mit den anderen Beschützergarantenstellungen ausreichend gemeinsame Bezugspunkte aufweist, um ebenfalls zu diesen gezählt zu werden, und auf diesem Wege eine besondere Pflicht zur Abwendung von Weiterungstaten begründet werden kann.
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung Rechtsprechung und Lehre haben eine Vielzahl von Beschützergarantenstellungen auf der Grundlage unterschiedlicher Entstehungsgründe entwickelt.14 Sie können aus enger familiärer Verbundenheit, Gemeinschaftsbeziehungen, Gefahrengemeinschaften, freiwilliger Übernahme, sowie aus einer Amtsträgereigenschaft oder aus der Inhaberschaft einer Organstellung in einer juristischen Person entstehen.15 Zum Teil werden die Beschützergarantenstellungen bis heute aus gesetzlichen Normen abgeleitet, die aber bei konsequenter Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorien nicht konstitutiv sind.16 Die Beschützergarantenstellungen werden zwar in Abhängigkeit von ihrem Entstehungsgrund unterschiedlichen Gruppen zugeordnet. Allerdings erfolgt diese Zuordnung nicht immer einheitlich, da sich die Entstehungsgründe zum Teil ähneln und Überschneidungen demzufolge nicht auszuschließen sind.17 Es stellt sich die Frage, ob die Ingerenz ebenfalls Merkmale der in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Beschützergarantenstellungen aufweist, die eine Zuordnung zu dieser Gruppe rechtfertigen könnte.
I. Garantenpflichten auf Grund enger familiärer Verbundenheit Garantenpflichten aus enger familiärer Verbundenheit werden zum Teil auch heute noch aus außerstrafrechtlichen Normen abgeleitet.18 Entscheidend ist hingegen das von der Rechtsordnung anerkannte Institut der Familie und die damit 13
Siehe oben Kap. 1, C. III. 5. Joecks, StGB, § 13 Rn. 23 ff. m. N. aus Lit. und Rspr. 15 Diese Aufteilung findet sich ebenso bei Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 47 ff. 16 Siehe dazu oben Kap. 2, A. V. 17 Zum Teil findet man eine Aufteilung der Beschützergarantenstellungen in solche aus Gesetz und Vertrag. So z. B. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1131 ff.; Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 16 ff. 18 BGHSt 48, 301 (303); Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1131 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 13 Rn. 8; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 718; ebenso Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 41, 61, der jedoch darauf hinweist, dass die strafrechtliche Relevanz dieser Normen begründungsbedürftig ist. 14
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
einhergehende Schutzpflicht, ohne dass hierfür eine explizite Normierung erforderlich wäre.19 Welche Art Verwandtschaftsverhältnis für die Begründung einer Erfolgsabwendungspflicht die erforderliche Nähe aufweist, ist bis heute umstritten und soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.20 Allen Garantenstellungen aus enger familiärer Verbundenheit ist gemein, dass aus ihnen eine mehr oder weniger umfassende Pflicht zum Schutz der jeweiligen Rechtsgüter des Verwandten erwächst.21 Den unumstrittenen Grundfall der Garantenstellung aus enger familiärer Verbundenheit stellt das Verhältnis zwischen Eltern und Kind dar.22 Es herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass die Eltern dazu verpflichtet sind, Rechtsgutsverletzungen von dem in ihrer Obhut befindlichen Kind abzuwenden.23 Die Unterscheidung der Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdendem Tun von der aus enger familiärer Verbundenheit bereitet vergleichsweise geringe Schwierigkeiten. Denn familiäre Verhältnisse erstrecken sich in der Regel über einen langen Zeitraum, während bei der Ingerenz die Dauer des Garantieverhältnisses durch die Auswirkung des gefährlichen Kausalverlaufs begrenzt wird. Zum anderen fehlt bei der Ingerenz die auf der Verwandtschaft basierende enge Beziehung der Familienmitglieder untereinander.24 In den Fällen der Ingerenz wird eine Verbindung des Garanten zum Opfer lediglich durch das gefährdende Vorverhalten vermittelt, ohne dass eine darüberhinausgehende Verbindung der Beteiligten untereinander existiert.
II. Garantenstellungen aus engen Gemeinschaftsverhältnissen bzw. Gefahrengemeinschaften Die Garantenstellungen aus Gefahrengemeinschaft bzw. aus Gemeinschaftsbeziehung entstehen durch personelle Zusammenschlüsse, die abhängig von dem Grund ihrer Entstehung ein besonderes Vertrauensverhältnis begründen. Hieraus 19
Vgl. NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 55; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 50. Ausf. dazu Kretschmer, Jura 2006, S. 898 ff.; vgl. auch Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 18 m.w. N. 21 Die Schutzpflicht hinsichtlich eines Rechtsguts muss nicht zwangsläufig umfassend sein. So können bspw. Eltern ihren Kindern aus pädagogischen Gründen eine gewisse Freiheit belassen, selbst wenn hierdurch kleinere Rechtsgutsverletzungen, wie der Verlust des Taschengeldes, die Folge sind. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 35 f.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 276. 22 BGH NStZ 2004, 94 (95); Fischer, StGB, § 13 Rn. 25; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 33; SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 47; LK-Weigend, § 13 Rn. 26. 23 Teilweise wird die Beschützergarantenstellung eines Elternteils auch abgelehnt. So muss der Vater eines nichtehelichen Kindes nicht zwangsläufig auch für Vermögensinteressen des Kindes einstehen. Vgl. SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 53. Zu dem Umfang der aus anderen Verwandtschaftsverhältnissen resultierenden Garantenstellungen siehe ausf. Böhm, Garantenpflichten aus familiären Beziehungen, S. 193 ff.; Sch/ Schr-Stree/Bosch, § 18 f. m.w. N. 24 Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 103. 20
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung
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resultiert die berechtigte Erwartung der Beteiligten, dass im Falle einer sozialtypischen Gefahrenlage gegenseitig Hilfe geleistet wird.25 Ein Beispiel für eine Gemeinschaftsbeziehung ist die eheähnliche Lebensgemeinschaft.26 Eine solche Gemeinschaft basiert auf dem zumindest konkludent erklärten Versprechen, dass in einer Notsituation Hilfe durch den anderen geleistet wird.27 Gleiches gilt auch für eine Gefahrengemeinschaft, die z. B. aus einer Gruppe Bergsteiger bestehen kann, die sich für die besonderen Gefahren einer Expedition zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig in Notsituationen Hilfe leisten zu können. Bei Gemeinschaftsbeziehungen sowie Gefahrengemeinschaften kann die Dauer des Zusammenschlusses stark variieren. Der entscheidende Unterschied zur Ingerenz besteht in der besonderen Beziehung der Beteiligten untereinander, die durch den Zusammenschluss entsteht. Bei der Ingerenz fehlt es an einem Versprechen des Gefahrverursachers, in einer Gefahrensituation Hilfe leisten zu wollen, so dass keine den Gemeinschaftsbeziehungen bzw. Gefahrengemeinschaften vergleichbare Beziehung zum Opfer entsteht.
III. Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme Zur Begründung einer Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme ist erforderlich, dass eine Person einseitig die Verantwortung für die Rechtsgüter einer anderen Person übernimmt. Eine solche Erfolgsabwendungspflicht kann i. d. R. bejaht werden, wenn das Fürsorgeverhältnis in einem Vertrag besteht, wie es beispielsweise bei Babysittern, Ärzten und Bademeistern der Fall ist. Allerdings bestehen diese Pflichten nach mittlerweile einhelliger Auffassung unabhängig von der zivilrechtlichen Wirksamkeit eines solchen Vertrages.28 Daher kann auch schon die rein tatsächliche Übernahme einer Schutzfunktion eine Garantenpflicht begründen.29 Neben einer zumindest konkludent erklärten Übernahme einer Schutzfunktion wird von der h. M. verlangt, dass durch die Übernahme auch eine Gefahr geschaffen wird.30 Demnach soll beispielsweise demjenigen, der einem 25
Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 61; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 719. Vgl. Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 169 f.; Kahlo, Die Handlungsform der Unterlassung, S. 259; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 76; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 51. 27 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 74; Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 26. 28 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 28; SK-StGB/Rudolph/Stein, § 13 Rn. 62; LKWeigend, § 13 Rn. 34. 29 BGHSt 47, 224 (229); SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 62; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 13 Rn. 25. Umgekehrt reichen vertragliche Pflichten nicht ohne Weiteres zur Begründung einer Garantenstellung aus. Siehe dazu Fischer, StGB, § 13 Rn. 35. 30 BGH NJW 1993, 2628; Arzt, JA 1980, S. 712 (713); Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 27; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 111; a. A. Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 184 ff. 26
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
Verletzten Hilfe verspricht, nur dann eine Erfolgsabwendungspflicht auferlegt werden, soweit er durch die Rettungshandlung andere potenzielle Helfer ausschließt und auf diese Weise die verstrichene Rettungschance und die damit verbundene Gefahrerhöhung zu verantworten hat. Vergleicht man die Garantenstellung aus Übernahme mit den Fällen der Ingerenz, so wird deutlich, dass bei beiden das Element der Gefahrschaffung verlangt wird. Aus diesem Grund wurde die Ingerenz auch zum Teil als „kaum wesensverschieden“ von den Fällen der freiwilligen Übernahme bezeichnet.31 Gleichwohl muss bei der Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme ein Übernahmeakt als weiteres Merkmal hinzutreten. Erforderlich für einen Übernahmeakt ist zunächst einmal der von dem Garanten zumindest konkludent erklärte Wille, eine Schutzfunktion übernehmen zu wollen.32 Nur durch diese freie Willenskundgebung darf das Opfer bzw. ein anderer für das Opfer verantwortlicher Garant darauf vertrauen, dass eine Schutzfunktion übernommen wird. Bei einer durch ein vorangegangenes Tun verursachten Gefahr, fehlt ein solcher Übernahmeakt.33 Fährt ein Autofahrer fahrlässig einen Passanten an, so bringt der Fahrer weder ausdrücklich noch konkludent zum Ausdruck, eine Schutzpflicht für Rechtsgüter des Opfers übernehmen zu wollen. Stattdessen wird dem Verursacher der Gefahr die Erfolgsabwendungspflicht aufgezwungen. Er wird zum Garant „wider Willen“.34 Zum Teil wird auch eine Unterwerfung bzw. eine Einverständniserklärung des potenziellen Opfers verlangt.35 Selbst wenn im Falle einer durch eine Vorhandlung verursachten Gefahr zumindest ein mutmaßliches Einverständnis denkbar wäre, so kann auch das Vorliegen einer solchen Unterwerfung durch das Opfer die fehlende Übernahme nicht kompensieren. Damit ist festzuhalten, dass – trotz der im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer Gefahrschaffung einhergehenden Überschneidung – eine freiwillige Übernahme mehr voraussetzt als die Garantenstellung aus Ingerenz und daher mit Letzterer nicht gleichgesetzt werden kann. Darüber hinaus kann auch in den Fällen der freiwilligen Übernahme eine besondere Beziehung des Garanten zum Opfer nachgewiesen werden. Sie resultiert nicht aus einer reinen Gefahrschaffung, sondern entsteht ausschließlich durch den Übernahmeakt, der bei der Ingerenz gerade nicht vorliegt.
31
OLG Celle NJW 1961, 1939. Vgl. MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 173; Kugler, Ingerenz und Selbstverantwortung, S. 145 f.; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 111; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 343 f. 33 So auch Jasch, NStZ 2005, S. 8 (10). 34 Siehe Welp, Vorangegangenes Tun, S. 21, 74. 35 Vgl. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 343 f. 32
B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung
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IV. Garantenstellung aus Organschaft und Amtsträgereigenschaft Ebenso können Beschützergarantenstellungen aus einer Amtsträgereigenschaft, sowie aus der Organinhaberschaft einer juristischen Person entstehen.36 Beide Garantenstellungen setzen ebenfalls die Übernahme der mit ihrer Funktion einhergehenden Schutzpflichten voraus, sind durch eine besondere Beziehung zum Opfer gekennzeichnet und unterscheiden sich damit ebenso wie die Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme erheblich von der Ingerenz.
B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung Es existieren eine Vielzahl anerkannter Überwachergarantenstellungen zu denen neben der in Frage stehenden Ingerenz, die Garantenstellungen aus der Verantwortung für Sachen, aus der Verantwortung für das deliktische Handeln Dritter, sowie aus der Übernahme einer aus den ersten beiden Varianten resultierenden Sicherungspflicht gezählt werden. Es stellt sich die Frage, ob die Ingerenz, wie es von der ganz h. L.37 vertreten wird, den Überwachergarantenstellungen zugeordnet werden kann. Der h. L. wird man nur dann zustimmen dürfen, wenn auch die Ingerenz Merkmale aufweist, welche die Überwachergarantenstellungen charakterisieren.
I. Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen Eine allgemein anerkannte Überwachergarantenstellung wird aus der rechtlichen und tatsächlichen Herrschaft über Sachen, die auch als Verkehrssicherungspflicht bezeichnet wird, abgeleitet.38 Dahinter steht der Gedanke, dass derjenige, der den Zugriff auf potenziell gefährliche Sachen hat, dafür Sorge tragen muss, dass von ihnen keine Gefahren ausgehen. Außenstehende, die keinen Einfluss auf diese Sachen haben, müssen sich auf die Sicherung durch den Inhaber der Sachherrschaft verlassen können.39 Ein geläufiges Beispiel für eine garantenpflichtbegründende Verkehrssicherungspflicht ist die Tierhaltung. Ein Hundehalter ist demnach dazu verpflichtet, durch das Tier drohende Rechtsgutsverletzungen zu verhindern.40 Hierbei soll es sich nach einer verbreiteten Ansicht 36 Ausf. hierzu Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 78 ff.; zu den Garantenpflichten von Amtsträgern siehe ausf. Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 451 ff. 37 Fischer, StGB, § 13 Rn. 15; Freund, Strafrecht AT, § 6 Rn. 58; Joecks, StGB, § 13 Rn. 35 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 70; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 716; a. A. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1146. 38 BGHSt 53, 38 (41 f.) sowie BGH NStZ 2009, 386; Fischer, StGB, § 13 Rn. 61 ff. 39 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 106; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 108; siehe auch Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 43 m.w. N. aus der Rspr. 40 OLG Bremen NJW 1957, 72 (73); OLG Düsseldorf NJW 1992, 2583.
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
nur um eine Sicherungspflicht, nicht hingegen um eine Rettungspflicht handeln.41 Der Hundehalter ist demnach aus der Herrschaft über die Sache zur Abwendung eines Angriffs durch das Tier verpflichtet. Bei bereits erfolgter Rechtsgutsverletzung hat er das Opfer zumindest nicht wegen der Verantwortung über das Tier, sondern allenfalls aus einer dann in Frage kommenden Ingerenz zu retten. Konstituierendes Merkmal der Garantenstellung ist demnach die Herrschaft verstanden als Kontroll- bzw. Verfügungsgewalt über eine bestimmte Sache. Die Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen unterscheidet sich von der Ingerenz dadurch, dass sie den Herrschaftsinhaber dazu verpflichtet, die Sache ausreichend zu sichern. Aus der Sachherrschaft und der damit verbundenen Sicherungspflicht resultiert die Garantenstellung zur Abwendung von Rechtsgutsverletzungen, die von der zu sichernden Sache ausgehen, ohne dass hierfür ein konkretes Verhalten erforderlich ist. Bei der Ingerenz wird stattdessen an eine konkrete Handlung angeknüpft, welche die Gefahr für eine Rechtsgutsverletzung schafft. Dennoch ist der Garantenstellung aus einem vorangegangenen Tun und der Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen gemein, dass beide eine besondere Beziehung zur Gefahr aufweisen. Der Garant aus der Herrschaft über eine Sache kontrolliert diese und hat damit direkten Zugriff auf sie. Geht von der Sache eine Gefahr aus, so entstammt sie der Sphäre des Sachherrschaftsinhabers, wodurch eine direkte Beziehung des Garanten zur Gefahr entsteht. Der Garant aus Ingerenz hat durch sein vorangegangenes Tun den schädigenden Kausalverlauf selbst in Gang gesetzt. Die Gefahr kann somit als das Werk des Ingerenzgaranten bezeichnet werden. Er weist hierdurch eine besonders enge Beziehung zu ihr auf. Schünemann sieht einen erheblichen Unterschied zwischen der Garantenstellung aus Herrschaft über Sachen und der Ingerenz darin begründet, dass beim Ingerenzgaranten die Herrschaft über den Verlauf der Gefahr vollständig in der Vergangenheit liege und damit keine „Aktualität“ aufweise, während dem Sachinhaber weiterhin die Herrschaft über die Sache verbleibe.42 Dies stellt – wie an
41 Siehe dazu Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 111; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 124; a. A. Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen, S. 241 f.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 322 ff. Die erste Ansicht wird eher dem Wesen der Überwachergarantenstellungen gerecht, da nur solche Rechtsgutsverletzungen abgewendet werden müssen, die einen Bezug zur Gefahr aufweisen. Es wäre demnach verfehlt eine dem Beschützergaranten entsprechende Pflicht des Tierhalters anzunehmen, auf deren Grundlage alle weitergehenden Rechtsgutsverletzungen abzuwenden wären. Allerdings ist es ebenso denkbar, bei gewissen weitergehenden Verletzungen einen direkten Bezug zur Tierhaltungsgefahr herzustellen und eine zumindest eingeschränkte Rettungspflicht zu begründen. 42 Siehe dazu oben Kap. 2, B. IV.
B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung
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anderer Stelle gezeigt wurde – einen der Gründe dar, weshalb Schünemann die Ingerenz generell ablehnt.43 Dieser Unterschied darf aber nicht zu dem Schluss verleiten, der Ingerenzgarant habe die Beziehung zur Gefahr verloren, indem er den Kausalverlauf aus der Hand gegeben hat. Denn es existieren auch Konstellationen, in denen dem Herrschaftsinhaber über eine Sache der Zugriff auf den Kausalverlauf fehlt. So verliert auch der Hundehalter, dessen Kampfhund wegen einer nicht verriegelten Tür ausbricht, ein Kind anzufallen droht und auch durch Zurufen nicht mehr zurückzuhalten ist, die Herrschaft über den Verlauf der Gefahr.44 Dennoch behält er die Beziehung zum Gefahrverlauf, da diese aus der Beziehung zum Gefahrenherd resultiert. Aus diesem Grund bleibt auch die Beziehung zwischen dem Ingerenten, der nach der Gefahrschaffung den Zugriff auf den schädigenden Kausalverlauf verliert, und der Gefahr weiterhin bestehen.
II. Garantenstellung aus der Verantwortung für Personen Eine ebenfalls anerkannte Garantenstellung stellt die Verantwortung für das deliktische Verhalten Dritter dar.45 Prinzipiell ist jeder Mensch selbst für sein Verhalten verantwortlich, so dass es für die Legitimation einer Garantenstellung zur Abwendung von Straftaten Dritter einer besonderen Begründung bedarf.46 Eine der Ausnahmen vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit stellt die Aufsicht über nicht oder nicht voll verantwortliche Personen dar. So haben beispielsweise die Eltern nicht nur die Pflicht, Gefahren von ihren Kindern abzuwenden. Vielmehr obliegt ihnen auch die Verpflichtung dafür Sorge zu tragen, dass von den Kindern keine Rechtsgutsverletzungen für andere ausgehen.47 Diese Pflicht liegt in der Autoritätsstellung der Eltern gegenüber ihren minderjährigen und damit nicht voll verantwortlichen Kindern begründet.48 Ebenso kann sich eine Pflicht zur Verhinderung von voll verantwortlich begangenen Straftaten Dritter aus einem besonderen Überordnungsverhältnis ergeben.49 So hat z. B. das Personal einer Justizvollzugsanstalt Straftaten durch Insassen zu verhindern.50 Die anerkannten Fallgruppen der Garantenstellung aus der Verantwortung für das delik43
Siehe dazu oben Kap. 2, B. IV. Vgl. MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 120. 45 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 51; NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 51. 46 Siehe NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 51. So entsteht bspw. keine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten durch den Ehegatten. Siehe dazu OLG Stuttgart NJW 1986, 1767 (1768); OLG Karlsruhe StraFo 2007, 162 (163); Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 21a. 47 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1987, 201; Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 52; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 127. 48 Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 127. 49 Siehe Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 125. 50 Fischer, StGB, § 13 Rn. 34 f.; Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 52. 44
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
tische Verhalten Dritter weisen die schon bei der Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen festgestellte Gemeinsamkeit mit der Ingerenz auf. Der Aufsichtspflichtige hat durch die Verantwortung über die potenziell gefährliche Person eine direkte Beziehung zum Gefahrverursacher und damit auch zur Gefahr selbst. Er ist sozusagen dem Täter zur Seite gestellt.51
III. Garantenstellung aus Übernahme einer Überwachungsfunktion Eine Pflicht zur Überwachung einer Gefahr kann auch durch eine Übernahme erfolgen.52 Die Übernahme einer Sicherungspflicht ist sowohl bei den Verkehrssicherungspflichten als auch bei der Aufsichtspflicht über Dritte möglich.53 Dies kann durch folgende Beispiele verdeutlicht werden: Demnach ist der Babysitter einerseits zum Schutz der Rechtsgüter des Kindes und andererseits dazu verpflichtet, von dem Kind ausgehende Rechtsgutsverletzungen zu Lasten Dritter zu verhindern. Der Hundesitter ist zum Schutz vor Schädigungen durch das Tier verpflichtet.
C. Abschließende Stellungnahme zur Zuordnung der Ingerenz Der Vergleich der Ingerenz mit den Beschützer- und Überwachergarantenstellungen hat zeigen können, dass innerhalb der beiden Gruppen Merkmale existieren, die eine Garantenstellung entweder zum Schutz eines bestimmten Rechtsguts gegen Gefahren aus allen Richtungen begründen oder den Garanten dazu verpflichten, eine Gefahr einzudämmen. Die Beschützergarantenstellungen zeichnen sich alle durch eine ursprüngliche, d.h. eine bereits vor der Vorhandlung bestehende Beziehung des Garanten zum Opfer aus, während der Überwachergarant eine enge Beziehung zur Gefahr aufweist.54 Regelmäßig hat der Ingerenzgarant keine ursprüngliche Beziehung zum Opfer.55 Sie kann weder durch eine spezielle in der Rechtsordnung anerkannte Verbindung zum Opfer noch durch einen Übernahmeakt begründet werden. Stattdessen weist er als Ver51 Vgl. Arzt, JA 1980, S. 647 (648); Tiedemann, Die Anfängerübung im Strafrecht, S. 156. 52 Siehe Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 119 m.w. N. aus der Rspr.; zur umstrittenen Frage, ob auch eine Garantenstellung aus Ingerenz übernommen werden kann, siehe Jasch, NStZ 2005, S. 8 ff. 53 Siehe dazu NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 51 m. N. aus Lit. und Rspr. 54 So auch Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 46; Jasch, NStZ 2005, S. 8 (9 f.). 55 Gemeint ist an dieser Stelle eine tatsächliche ursprüngliche Beziehung zwischen zwei Personen, nicht hingegen das zwischen Menschen grundsätzlich vorhandene natürliche Vertrauen, dass unter bestimmten Voraussetzungen in Gang gesetzte Schadensverläufe wieder unschädlich gemacht werden.
C. Abschließende Stellungnahme
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ursacher des schädigenden Kausalverlaufs die für die Überwachergarantenstellungen erforderliche Nähe zur Gefahr auf. Demnach muss die Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen gezählt und auf diese Weise die damit verbundene Schutzrichtung bestimmt werden. Krey/Esser sind die einzigen Vertreter in der Literatur, welche die Ingerenz entgegen der hier vertretenen Auffassung explizit zu den Beschützergarantenstellungen zählen.56 So heißt es wortwörtlich: „Wer z. B. infolge Missachtung von Verkehrsvorschriften andere lebensgefährlich verletzt, ist Beschützergarant für ihr Leben aus Ingerenz“. Hieran ist richtig, dass in vielen Fällen, in denen ein gefährdendes Vorverhalten zu einer Lebensgefährdung führt, der Verursacher der Gefahr verpflichtet ist, das Opfer vor weiteren Rechtsgutsverletzungen zu schützen. Aus dieser Erkenntnis heraus darf hingegen nicht der voreilige Schluss gezogen werden, bei der Ingerenz handele es sich um eine Beschützergarantenstellung. Die Begriffe „Schutz“ und „Überwachung“ lassen sich durchaus in beide Richtungen verwenden. So kann der Beschützergarant als verpflichtet angesehen werden, Gefahren, die dem zu schützenden Rechtsgut drohen, zu überwachen. Gleichzeitig lässt sich dem Überwachergaranten die Pflicht auferlegen, das Opfer vor den aus der verursachten Gefahr stammenden Rechtsgutsverletzungen zu schützen.57 Diese Tatsache darf jedoch nicht zu der Folge verleiten, Überwacherund Beschützergarantenstellungen seien identisch. Stattdessen lassen sich die begrifflichen Irritationen vermeiden, wenn man sich an dem entscheidenden Unterschied, nämlich der ursprünglichen Beziehung des Garanten entweder zur Gefahr (Überwachergarant) oder zum Opfer (Beschützergarantenstellung) orientiert.58 Gleichwohl hat dies nicht zu bedeuten, dass eine Person nicht gleichzeitig sowohl Beschützer- als auch Überwachergarant sein kann.59 So ist die Mutter, die ihr Kind in der Garagenauffahrt anfährt, sowohl Überwachergarant aus Ingerenz als auch Beschützergarant aus enger familiärer Verbundenheit und damit verpflichtet, aus dem Unfall resultierende Schäden abzuwenden. Durch die vorgenommene Abgrenzung wird auch deutlich, weshalb der Vorschlag Ottos, in den Weiterungsfällen in Anlehnung an eine Beschützergarantenstellung aus freiwilliger Übernahme eine Garantenstellung speziell für die Weiterungsfälle zu entwickeln, nicht überzeugt. Er weist zwar zu Recht darauf hin, dass ebenso wie bei der Ingerenz auch bei der Garantenstellung aus freiwilliger 56 Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1146 Fn. 65 bezeichnen die Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen als „ungenau“, ohne dies näher zu erläutern. 57 Dies verkennt Pawlik, ZStW 111 (1999), S. 335 (339 f.), indem er auf Grund der durch die Funktionenlehre verwendeten Begriffe diese zu kritisieren versucht. Vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 27. 58 Möglicherweise würde eine Umbenennung der „Überwachergarantenstellung“ in „Garantenstellung aus der Beziehung zur Gefahr“ und der „Beschützergarantenstellung“ in „Garantenstellung aus der Beziehung zum Opfer“ Missverständnissen vorbeugen. 59 Vgl. BGH NStZ 2003, 141 (143); vgl. auch Fischer, StGB, § 13 Rn. 16.
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
Übernahme eine Gefahrschaffung vorausgesetzt wird, erwähnt aber die Notwendigkeit des Übernahmeaktes als gleichfalls konstituierendes Merkmal mit keinem Wort. Gleiches gilt für die Behauptung Ottos, dass ein „kaum erklärbarer Wertungswiderspruch“ entstünde, wenn man demjenigen, der eine Schutzfunktion übernehme, eine Garantenstellung aufbürde, aber denjenigen, der vorsätzlich Misshandlungen begehe, wie einen beliebigen Dritten bei Eintritt eines weitergehenden Erfolges behandle. Denn ein Wertungswiderspruch kann nur dort drohen, wo vergleichbare Umstände vorzufinden sind. Es besteht gerade in dem Merkmal des Übernahmeaktes der entscheidende Unterschied, der in den Fällen der tatsächlichen Übernahme bei Hinzutreten einer Gefahrschaffung die Annahme einer Beschützergarantenstellung und der damit verbundenen Schutzpflichten legitimiert. Daher sind beide Fallkonstellationen nicht direkt miteinander vergleichbar. Die entscheidende Frage lautet durchaus, ob der Vortatbeteiligte wie jeder beliebige Dritte bei der Nichtabwendung einer Weiterungstat behandelt werden sollte. Nur kann diese Frage nicht durch einen Vergleich mit den Beschützergarantenstellungen beantwortet werden, da diese eine ursprüngliche Nähe zum Opfer voraussetzen, die in den Fällen der Ingerenz und damit auch in den Fällen der Weiterungstaten gerade nicht existiert. Deshalb ist es auch unerheblich, dass Otto die Anwendbarkeit dieser speziellen Beschützergarantenstellung nur dann annehmen möchte, wenn das Opfer durch die Vorhandlung in eine „hilflose Lage“ versetzt wird. Vergleicht man nämlich den Fall, in dem das Opfer durch die Vortat in eine hilflose Lage versetzt wird, mit einer Konstellation, in der nur eine geringe Rechtsgutsverletzung durch die Vorhandlung entstanden ist, so handelt es sich dabei zunächst nur um eine Steigerung der Gefahr und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeit für eine weitergehende Rechtsgutsverletzung. Eine die Beschützergarantenstellungen charakterisierende ursprüngliche Beziehung zum Opfer exisitert hierbei aber ebenso wenig wie in allen anderen Fällen der lediglich vorangegangenen Gefahrschaffung.60 Es soll aber an dieser Stelle nicht geleugnet werden, dass das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage durchaus eine Besonderheit darstellt, der im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem Ingerenten und dem Opfer Bedeutung zukommen muss. Schließlich hat der Täter in diesen Fällen durch seine Vorhandlung massiv in die Freiheitssphäre des Opfers eingegriffen. Die hierdurch entstandene Gefahr stellt somit einen negativen Zustand der Freiheitssphäre des Opfers dar, die der Ingerent unter Umständen wieder in den status quo zurückversetzen muss. Das Opfer ist in gewissem Maße abhängig von der durch den 60 Es wird dabei allerdings noch gezeigt werden, dass dem Merkmal der hilflosen Lage durchaus ein entscheidender Stellenwert bei der Lösung der Weiterungsfälle zukommt. Siehe dazu unten Kap. 5, B. III. 1.
C. Abschließende Stellungnahme
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Täter vorzunehmenden Schadensneutralisierung. Man könnte in diesem Zusammenhang durchaus auch von einer „Beziehung“ oder einem „Näheverhältnis“ zwischen den Beteiligten sprechen, wodurch der Ingerent möglicherweise dazu verpflichtet ist, das Opfer vor weiteren Schäden zu bewahren.61 So verstanden, bekäme eine Garantenstellung aus Ingerenz bei dem Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage – sofern man dies zur Entstehung der Garantenstellung genügen lässt – durchaus den Charakter einer Beschützergarantenstellung. Gleichwohl darf sich der Rechtsanwender durch die Begrifflichkeiten nicht in die Irre führen lassen. Würde man tatsächlich das durch das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage geschaffene „Näheverhältnis“ zur Begründung einer Beschützergarantenstellung ausreichen lassen, so wären die Entstehungsvoraussetzungen sowie die Reichweite dieser Garantenstellung völlig unklar. Welche Vorhandlung zu welcher Art von Hilflosigkeit führen muss, gibt weder der Begriff des „Näheverhältnisses“ noch der der Beschützergarantenstellung vor. Des Weiteren ist fraglich, ob der Ingerent zur Abwendung nur unmittelbar aus der Ursprungsverletzung resultierender oder aber sämtlicher Gefahren verpflichtet wäre. Darunter fällt auch die Frage, ob auch Weiterungstaten vom Schutzumfang gedeckt wären. Diese Ungewissheit legt das entscheidende Problem abermals offen: Es besteht keine ursprüngliche Beziehung zwischen dem Ingerenten und dem Opfer, die über den Schutzumfang einer Garantenstellung Auskunft geben könnte. Stattdessen entsteht das Näheverhältnis erst durch das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage und damit durch die Schaffung einer Gefahr, die sich im (Weiterungs-) Erfolg zu realisieren droht. Daher muss die Entstehung der Garantenstellung in Abhängigkeit von der Gefahr bestimmt werden. Nur die Beschaffenheit der Gefahr selbst und die Beziehung des Unterlassenden zu dieser können Auskunft darüber gegeben, ob und, wenn ja, in welchem Umfang dieser zur Abwendung der Gefahr verpflichtet ist. Aus der hier erfolgten Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen resultiert auch die Schutzrichtung der Erfolgsabwendungspflicht. Für die Beschützergarantenstellung ergibt sich die Schutzrichtung aus der Beziehung zum Opfer und damit zum Rechtsgut selbst. Wie umfangreich diese Schutzpflicht ist, muss anhand der konkreten Beziehung zum Opfer festgelegt und auch vom konkreten Entstehungsgrund abhängig gemacht werden. Im Rahmen dieses Schutzumfangs ist der Beschützergarant dem Opfer zur Seite gestellt und hat es vor Gefahren von außen zu schützen. Die Überwachergarantenpflicht muss ebenfalls in Abhängigkeit des jeweiligen Entstehungsgrundes unter besonderer Be61 Wie bereits oben Kap. 2, B. II. gezeigt wurde, besteht ein natürliches Vertrauensbzw. Näheverhältnis zwischen dem Ingerenten und seinem Opfer. Nur sind die Kriterien für die Entstehung eines solchen Verhältnisses bisher nicht ausreichend geklärt. Daher wurde unter Kap. 2, C. VII. der Versuch unternommen, das Rechtsverhältnis zwischen Ingerenten und Opfer, das wiederum ein in der Rechtsordnung verfestigtes Vertrauensverhältnis darstellt, zu bestimmen.
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Kap. 3: Zuordnung der Garantenstellung i. S. d. Funktionenlehre
rücksichtigung der Beziehung des Garanten zur Gefahr in ihrer Reichweite festgelegt werden. Hieraus ergibt sich für den Garanten die Pflicht, die Gefahr gegenüber einem nicht festgelegten Opferkreis abzuschirmen. Fehlt hingegen bei einer eingetretenen Rechtsgutsverletzung der Bezug zu der von dem Überwachergaranten abzuschirmenden Gefahr, so kann er nicht aus einem unechten Unterlassungsdelikt bestraft werden. Damit wird deutlich, weshalb die Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen nicht bloß eine bedeutungslose Etikettierung darstellt. Sie hat zur Folge, dass der Ingerenzgarant nur solche Gefahren abzuschirmen hat, zu denen er eine besondere Beziehung besitzt. Anderenfalls haftet er wie jeder beliebige Dritte. Aus der Untersuchung können damit erste Schlüsse für die Lösung der Weiterungsfälle gezogen werden. Könnte man die Ingerenz bei Hinzutreten bestimmter Voraussetzungen, wie beispielsweise das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage durch die Vortat, als Beschützergarantenstellung begreifen, so ließe sich möglicherweise, wie Otto es vorschlägt, eine besondere Garantenstellung entwickeln, auf deren Grundlage das Opfer vor allen Gefahren – insbesondere Angriffe durch Dritte – beschützt werden müsste. Dieser Weg bleibt jedoch wegen der mangelnden ursprünglichen Beziehung des Vortatbeteiligten zum Opfer versperrt. Keineswegs ist damit entschieden, ob er auch straflos bleiben soll. Stattdessen muss die Frage nur dahingehend präzisiert werden, ob die durch das eigenverantwortliche Dazwischentreten des Dritten bewirkte Rechtsgutsverletzung noch den erforderlichen Bezug zu der Gefahr aufweist, die der Vortatbeteiligte abzuschirmen hat. Insofern deckt sich die hier vorgenommene Zuordnung der Ingerenz vollständig mit ihrem Entstehungsgrund. Dem Ingerenten fehlt die ursprüngliche, d.h. zum Zeitpunkt der Vorhandlung existierende Zugehörigkeit zur Opfersphäre. Er weist stattdessen durch seine Vorhandlung eine besondere Beziehung zu der Gefahr auf, die er in die Freiheitssphäre des Opfers dringen lässt. Die Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen verdeutlicht, dass zur Eingrenzung der Strafbarkeit die genauen Eigenschaften der Gefahr herausgearbeitet werden müssen. Insbesondere hat die Untersuchung dahingehend zu erfolgen, welche Beziehung der Ingerent zu der Gefahr und im Falle der unterlassenen Erfolgsabwendung zum Erfolg aufweisen muss.
Kapitel 4
Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz Es konnte gezeigt werden, dass der Grund der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun in der Verantwortung für Gefahren liegt, die der eigenen Freiheitssphäre entstammen und unzulässig in eine fremde Freiheitssphäre gelangt sind. Die hieraus resultierende Erfolgsabwendungspflicht stellt die legitime Folge von Freiheit dar.1 Hiermit ist aber zunächst nur das Fundament für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz gelegt. Urteile, die dem jeweiligen Einzelfall gerecht werden, lassen sich auf dieser Grundlage noch nicht fällen. Auch die Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenstellungen hat zeigen können, dass in diesem Zusammenhang die ursprüngliche Beziehung des Unterlassenden zur Gefahr und damit zum Erfolg entscheidend ist. Es ist aber auch deutlich geworden, dass diese Zuordnung allein nicht zur Bestimmung des Schutzumfangs ausreicht. Stattdessen muss die Garantenstellung aus Ingerenz zwingend in Anlehnung an ihren Entstehungsgrund eingegrenzt werden.2 „Die Palette der angebotenen Einschränkungskriterien ist bunt“ 3 und die einzelnen Ansätze lassen sich nicht immer strikt voneinander abgrenzen. Daher erfolgt statt einer Aufreihung aller vorgeschlagenen Lösungen eine systematische Untersuchung der in Betracht kommenden Legitimationskriterien, die keineswegs den Anspruch erhebt, alle hierzu vorhandenen Lösungen zu verwerten.
A. Kausalität als notwendige Bedingung Die Bedeutung der Kausalität für die Garantenstellung aus Ingerenz wurde bereits im Kontext ihrer historischen Entwicklung dargelegt. Nun stellt sich die Frage, welchen Beitrag das Kriterium der Kausalität zur Begrenzung und damit auch zur Legitimation der Ingerenzhaftung leisten kann. Eines soll dabei schon vorweggenommen werden: Ursächlichkeit zwischen Vorhandlung und späterem Erfolgseintritt allein reicht keinesfalls aus, um die Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen.4 Hierüber herrscht allgemeiner Konsens.5 Allerdings hat die 1
Siehe oben Kap. 2, C. VII. 3. b). Man könnte statt von Eingrenzung auch von Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz im konkreten Fall sprechen. 3 Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (163). 4 Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (163); siehe auch unten in diesem Abschnitt. 5 Siehe dazu Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 32 ff. m.w. N.; Dencker, in: FS Stree/ Wessels, S. 159 (163); insoweit missverständlich Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 155, 2
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
Rechtsprechung in älteren Entscheidungen die reine Gefahrschaffung i. S. v. Kausalität als Begründung für eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun ausreichen lassen.6 Ebenso existieren Stimmen in der Literatur, die unabhängig von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Vorverhaltens die Schaffung der Gefahr eines Erfolgseintritts für ausreichend erachten.7 Die Ansichten, die unabhängig von der rechtlichen Beschaffenheit der Vorhandlung eine Garantenstellung aus Ingerenz annehmen, lassen jedoch ebenfalls reine Ursächlichkeit nicht genügen. Vielmehr wird von den sogenannten Verursachungstheorien sowie in den besagten Entscheidungen zumindest die Schaffung einer Gefahr vorausgesetzt, wodurch neben den naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang normative Kriterien treten.8 Somit besteht allgemeiner Konsens darüber, dass über die Kausalität hinaus weitere Kriterien erfüllt sein müssen, damit aus einem Ingerenzunterlassen bestraft werden kann.9 Trotzdem handelt es sich bei dem Merkmal der Kausalität um ein unverzichtbares Kriterium, um die Strafbarkeit aus Ingerenz zu begründen. Insofern ist die Kausalität notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung der Strafbarkeit. Gäbe es demnach Fallgruppen, bei denen der Kausalzusammenhang nicht nachgewiesen werden kann, so ließe sich auf diese Weise die Ingerenzstrafbarkeit einschränken. Betrachtet man zunächst einen klassischen Fall der Ingerenz, in dem ein PKW-Fahrer einen Fußgänger anfährt, der nach Stunden seinen Verletzungen erliegt, weil der Unfallverursacher ihm nicht hilft, so besteht an der Kausalität zwischen Vorhandlung und Todeseintritt kein Zweifel. In den hier zentral behandelten Konstellationen, in denen eine auf freiem und voll verantwortlichem Willen basierende Entscheidung eines Dritten zwischen Vorhandlung und Erfolgseintritt geschaltet ist, kann dieser Kausalzusammenhang zumindest in Frage gestellt werden, da der freie Wille sich nicht wie eine vom Queue angestoßene Billardkugel im Sinne einer offensichtlichen Naturkausalreihe verhält, um Franks Beispiel aufzugreifen.10 Frank war auch derjenige, der den Begriff des „Regressverbots“ in den Fällen etabliert hat, in denen eine Straftat über den
der manchen Autoren vorwirft, sie lassen reine Kausalität genügen, obwohl in dem von ihm angeführten Beispiel, in dem jemand eine andere Person einlädt und diese auf dem Weg zu dem Gastgeber verunglückt, auch reine Verursachungstheorien keine Garantenstellung aus Ingerenz befürworten, da sie über die Kausalität i. S. d. Äquivalenztheorie hinaus unterschiedliche Eingrenzungskriterien verwenden. 6 BGHSt 2, 279 (283); 4, 20 (22); 11, 353 (355). 7 Vgl. Arzt, JA 1990, S. 712 (713 ff.); Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 181 ff.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 209 ff. 8 Zu dem Kriterium der Gefahrschaffung siehe unten Kap. 5, B. I. 1. 9 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 155; siehe auch NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43 m.w. N. 10 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. (1931), S. 15; zu der Behandlung der Regressverbotsfälle durch die frühen Kausalitätslehren ausf. Diel, Das Regreßverbot, S. 92 ff.
A. Kausalität als notwendige Bedingung
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freien Willen eines Dritten vermittelt wird. Einer seiner Begründungsansätze basiert auf der Annahme, Kausalität könne nicht über den freien Willen, also die Psyche einer anderen Person vermittelt werden.11 Würde man dieser Ansicht Folge leisten, so wäre der Ursachenzusammenhang in den Weiterungsfällen, bei denen häufig nur eine Beeinflussung des Willens durch den Vortäter nachgewiesen werden kann, zu verneinen und damit auch die Frage nach der Strafbarkeit aus Ingerenz entschieden. Doch kann dieser Ansatz nicht überzeugen. Richtig ist zwar zunächst, dass es bisher wenig naturwissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse darüber gibt, unter welchen Voraussetzungen Menschen bestimmte Entscheidungen treffen.12 Insofern ließe sich folgern, dass sich nachträglich nicht feststellen lasse, ob der Einfluss auf den Willen eines Menschen letztlich kausal für dessen Entscheidung geworden ist.13 Die besseren Argumente sprechen aber dafür, auch bei psychisch vermittelten Kausalverläufen den zur Strafbarkeit erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg anzunehmen. Hierin ist sich auch die h. M. einig, lediglich um die Begründung wird gestritten. Sowohl Rechtsprechung14 als auch ein großer Teil der Literatur15 ziehen die conditio sine qua nonFormel heran und gelangen zu dem Ergebnis, dass der konkrete Erfolg ohne die Motivationsbeeinflussung entfallen wäre. Andere hypothetische Kausalverläufe müsse man ebenso wie in allen Bereichen der Kausalität unbeachtet lassen.16 Weitere Stimmen in der Literatur gelangen zu dem gleichen Ergebnis, halten aber die conditio sine qua non-Formel für ungeeignet und lösen die Kausalitätsfrage anhand anderer Methoden.17 Die Anerkennung der psychisch vermittelten Kausalität im Strafrecht wird durch das Gesetz selbst gestützt, indem beispielsweise die mittelbare Täterschaft und die Anstiftung explizit im StGB normiert und nur im Zusammenhang mit einem über die Psyche eines anderen vermittelten Kausalverlaufs denkbar sind.18 11
Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. (1931), S. 14 f. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 125 ff. m.w. N. 13 So z. B. Kahrs, Das Vermeidbarkeitsprinzip, S. 22 ff. m.w. N. aus der Lit. 14 RGSt 1, 373; BGHSt 1, 332 (333); 7, 112 (114); 45, 270 (294 f.); 49, 1 (3). 15 Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 306 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 7 ff.; Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 156 ff. 16 Vgl. Frisch, in: FS Gössel, S. 51 (56); Roxin, Strafrecht AT II, § 11 Rn. 23; siehe auch Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 12 m.w. N. 17 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 90 ff. kritisiert an der conditio sine qua nonFormel, sie suggeriere, man könne mit ihr dort einen Kausalnachweis führen, wo keine Gesetze über die Kausalbeziehung bekannt seien bzw. nachgewiesen werden können; Roxin, Strafrecht AT II, § 11 Rn. 13 bezeichnet sie in Fällen der hypothetischen und alternativen Kausalität als irreführend. Zu den unterschiedlichen Methoden zur Kausalitätsfeststellung im Strafrecht ausf. Roxin, in: FS Achenbach, S. 409 (410 ff.); sowie LK-Walter, Vor § 13 Rn. 73 m.w. N. 18 So auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178). 12
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
Somit ist festzuhalten, dass die These der Unterbrechung des Kausalverlaufs bei psychisch vermittelter Kausalität nicht haltbar ist und damit auch keine sinnvolle Basis für die Einschränkung der Weiterungsfälle bietet.
B. Einschränkung anhand des normativen Zusammenhangs zwischen Vorhandlung und Erfolg Da mit der Feststellung des Kausalzusammenhangs allein noch nichts über die Legitimität der Garantenstellung aus Ingerenz gesagt ist, hat eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Vorhandlung und Erfolg anhand normativer Kriterien zu erfolgen. Aus diesem Grund sollen solche Ansichten vernachlässigt werden, die die rechtliche Qualität der Vorhandlung außer Acht lassen.19 Diese sind nicht dazu in der Lage, einen Verstoß gegen eine Gebotsnorm zu begründen, da für eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht nur irgendeine, sondern eine unzulässige Freiheitsentfaltung in die Freiheitssphäre eines anderen erforderlich ist. Daher besitzt die rechtliche Qualität der Vorhandlung für die Einschränkung der Ingerenz einen maßgeblichen Stellenwert.
I. Die pflichtwidrige Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts Die h. M. vertritt dem Grunde nach die Auffassung, dass durch die Vorhandlung pflichtwidrig, wenn auch nicht schuldhaft, die nahe Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen worden sein muss, damit eine Garantenstellung aus Ingerenz entstehen kann.20 Dabei bereitet insbesondere das im Zentrum stehende Kriterium der Pflichtwidrigkeit Probleme, die im Folgenden anhand von unterschiedlichen Konstellationen aufgezeigt werden sollen. 1. Gerechtfertigtes Vorverhalten Ein zwar tatbestandsmäßiges aber gerechtfertigtes Verhalten kann weder als rechtswidrig noch als pflichtwidrig bezeichnet werden.21 Das (Vor-)Verhalten stellt kein Unrecht dar. Sofern also ein Vorverhalten durch Notwehr oder Notstand gerechtfertigt ist, kann bei strikter Anwendung des Pflichtwidrigkeitserfor-
19
Siehe nur Welp, Vorangegangenes Tun, S. 209 ff. BGHSt 54, 44 (47); NJW 1998, 1568 (1573); 1999, 69 (71); 2009, 3173 (3174); Fischer, StGB, § 13 Rn. 47 ff.; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 43 ff.; BeckOKStGB/Heuchemer, § 13 Rn. 54; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 625; SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 39; Sowada, Jura 2003, S. 236 (238 ff.) m. jew. w. N. 21 Sofern man die Pflichtwidrigkeit nicht allein in der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens sieht. 20
B. Einschränkung zwischen Vorhandlung und Erfolg
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dernisses eine Verurteilung nicht auf eine Garantenstellung aus Ingerenz gestützt werden.22 Dennoch wird innerhalb gerechtfertigter Vorverhalten differenziert. So soll nach der Rechtsprechung des BGH die „Verletzung eines Angreifers in Notwehr (. . .) in der Regel den Angegriffenen nicht zum Garanten für das Leben des Angreifers“ machen.23 In der Formulierung wird aber unmittelbar deutlich, dass von diesem Grundsatz wiederum Ausnahmen denkbar sind.24 Auch die h. L. sieht bei einem aus Notwehr gerechtfertigten Vorverhalten grundsätzlich keinen Raum für eine Garantenstellung aus Ingerenz.25 Wenn der Angegriffene sich verteidigt und den Angreifer – nachdem er ihn abgewehrt hat – bewusstlos in der Kälte liegen lässt, so wird man sagen können, dass dies im Risikobereich des Angreifers liegt und den Verteidiger keine über den § 323c StGB hinausgehenden Verpflichtungen treffen.26 Doch auch hiergegen lassen sich Einwände vorbringen. Es ließe sich nämlich ebenso gut argumentieren, dass nach einer erfolgreichen Verteidigung – sofern kein Risiko für weitere Angriffe besteht – der Verteidiger sehen müsse, „was noch zu retten ist“.27 Weiterhin sind Fallkonstellationen denkbar, in denen die Verteidigungshandlung den Tatbestand eines Dauerdelikts erfüllt. Hier befürworten viele eine Garantenstellung aus Ingerenz trotz gerechtfertigter Notwehrvorhandlung. Denn es müsse auch derjenige aus einem Ingerenzunterlassen bestraft werden, der beispielsweise in Ausübung seines Notwehrrechts einen Einbrecher in den Keller sperrt und dort liegen lässt, bis er verhungert.28 Eine Ausnahme von dem Erfordernis einer pflichtwidrigen Vorhandlung wird bei solchen Vorhandlungen gemacht, die im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands erfolgen. Reißt demnach ein Motorradfahrer, um einen Unfall mit einem Geisterfahrer zu vermeiden, den Lenker seines Gefährts plötzlich herum und verletzt infolgedessen einen Passanten auf dem Gehweg, so ist seine Handlung nach § 34 StGB gerechtfertigt. Wenn der Motorradfahrer den verletzten Passanten nun einfach liegen lässt und dieser im weiteren Verlauf an seinen Verletzungen ver22
So Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 51. BGH NStZ 2000, 414. 24 Z. B. wenn sich der Angreifer in einem schuldlosen Zustand befindet. Vgl. Sowada, Jura 2003, S. 236 (240). 25 Fischer, StGB, § 13 Rn. 53; Freund, Strafrecht AT, § 6 Rn. 74; LK-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 288; Jasch, NStZ 2005, S. 8 (12); Joecks, StGB, § 13 Rn. 42; Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 51; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 94; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 181 ff.; Sowada, Jura 2003, S. 236 (240); SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 40a; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 726. 26 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 95. 27 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 95 hält es aber auch für möglich, dass es sich hierbei nur um eine moralische Pflicht handeln könnte. 28 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 36; Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 93; kritisch hierzu Sowada, Jura 2003, S. 236 (241). 23
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stirbt, weil kein Notarzt gerufen wurde, nimmt die h. L. eine Garantenstellung aus Ingerenz an.29 In dieser Konstellation liege nämlich ein entscheidender Unterschied zur Notwehrsituation. Bei Letzterer habe sich der Angreifer in der Regel freiverantwortlich in die Freiheitssphäre des Verteidigers begeben, wohingegen der im Rahmen eines Notstandes Beeinträchtigte i. d. R. an der Gefahrenlage völlig unbeteiligt sei. Daher sprechen tatsächlich gute Gründe dafür, zwischen den Fallkonstellationen zu unterscheiden und unter bestimmten Voraussetzungen auch bei gerechtfertigten Vorhandlungen eine Garantenstellung aus Ingerenz anzunehmen.30 2. Pflichtgemäße Vorhandlungen Neben den Fällen gerechtfertigter Vorhandlungen existieren noch weitere Fallkonstellationen, in denen für die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz an eine pflichtgemäße Handlung angeknüpft wird. Auch anhand der nachfolgenden Konstellationen wird deutlich, dass mit dem Erfordernis der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr erhebliche Schwierigkeiten verbunden sind. Einen Bereich, in dem das Pflichtwidrigkeitserfordernis an seine Grenzen stößt, stellen die Fälle der Produkthaftung dar. In diesem Zusammenhang hat das Lederspray-Urteil31 besondere Aufmerksamkeit erregt. Der BGH hat eine Garantenstellung der Vorstandsmitglieder eines Unternehmens angenommen, weil sie ein pflichtgemäß produziertes und vertriebenes Produkt nicht zurückriefen, nachdem es sich als gesundheitsschädlich erwiesen hatte. Neben der mangelnden Pflichtwidrigkeit des Inverkehrbringens hat der BGH sogar die Vorhersehbarkeit des gesundheitsschädigenden Verlaufs verneint und dennoch eine Garantenstellung aus Ingerenz bejaht.32 Während die Begründung des BGH vielfach kritisiert wurde, wird das Ergebnis von vielen Stimmen in der Literatur befürwortet.33 Da29 NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 45; Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 52; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 96; Roxin, Strafrecht AT I, § 32 Rn. 186 ff.; Seelmann, GA 1989, S. 241 (255); SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 40a; LK-Weigend, § 13 Rn. 46. 30 Siehe aber Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 11 f., der auf den drohenden Wertungswiderspruch hinweist, der daraus resultieren könne, dass Gründe, die in der Rechtswidrigkeit angesiedelt sind, im Bereich der Garantenstellungen zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen. 31 BGHSt 37, 106 (115 ff.); eine große Auswahl der hierzu existierenden Literatur findet sich bei Fischer, StGB, § 13 Rn. 74. 32 Siehe dazu Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 103, der bei unvorhersehbaren Schädigungen nicht auf die Pflichtwidrigkeit abstellt, sondern stattdessen eine Garantenstellung davon abhängig macht, ob es sich um eine gesteigert riskante Tätigkeit gehandelt hat. 33 Siehe nur Kuhlen, NStZ 1990, S. 566 (567), der darauf hinweist, dass der BGH die mangelnde Pflichtwidrigkeit mit der Annahme einer aus ex post-Sicht vorliegenden „objektiven Pflichtwidrigkeit“ zu kaschieren versucht. Siehe auch Schwartz, Strafrechtliche Produkthaftung, S. 44 ff.
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bei sehen einige von ihnen die Fälle, in denen das Produkt pflichtgemäß in den Verkehr gelangt, nicht als einen Fall der Ingerenz an, sondern wollen diese Konstellation stattdessen den Verkehrssicherungspflichten zuordnen.34 Andere wiederum sehen hierin einen besonderen Fall der Ingerenzgarantenstellung und wollen das Pflichtwidrigkeitserfordernis entsprechend einschränken bzw. ganz hierauf verzichten.35 Generell will ein Teil der Literatur auf das Erfordernis der Pflichtwidrigkeit verzichten, wenn die Vorhandlung eine gesteigert riskante Tätigkeit darstellt.36 Ein häufiges Beispiel, das in diesem Zusammenhang genannt wird, ist der PKWFahrer, der auch bei ordnungsgemäßer Fahrweise bei einem Unfall aus Ingerenz haften soll, weil er die gesteigert riskante Fortbewegungsmöglichkeit mit einem PKW gewählt hat und dadurch besonders verpflichtet sei.37 Der BGH hingegen lehnt eine Garantenstellung aus Ingerenz bei gesteigert riskanten Handlungen ab, wenn der Täter „in jeder Hinsicht pflichtgemäß und verkehrsgerecht“ gehandelt habe.38 Auf dieser Linie bewegt sich auch ein großer Teil der Literatur und lehnt trotz gesteigerten Risikos bei pflichtgemäßem Verhalten eine Garantenstellung aus Ingerenz ab.39 3. Zweifelhafte Ingerenzkonstellationen trotz pflichtwidriger Vorhandlung Aber auch umgekehrte Fälle lassen Zweifel an der Linie der h. M. aufkommen. Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass nicht jede pflichtwidrige Vorhandlung eine Garantenstellung begründen kann, sondern nur solche, die eine nahe Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen haben. Dennoch bleibt völlig unklar, was mit der „nahen Gefahrschaffung“ gemeint sein soll und ob neben der Pflichtwidrigkeit
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Kuhlen, in: FS Eser, S. 359 (363 f.); LK-Weigend, § 13 Rn. 46. So z. B. Frister, Strafrecht AT, Kap. 22 Rn. 33; siehe auch SK-StGB/Rudolphi/ Stein, § 13 Rn. 40c, die auch bei sorgfaltsgemäßem In-Verkehr-Bringen eines Produktes eine Garantenstellung als „Gegenleistung“ für die Freiheit, Waren zu produzieren und zu vertreiben, befürworten, sowie MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 122 ff., der mit dem Begriff der „Sonderverantwortung“ bei gesteigert riskanten Tätigkeiten operiert; vgl. auch Kuhlen, NStZ 1990, S. 566 (568). 36 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 182 ff., ders., JuS 1990, S. 213 (216); Frister, Strafrecht AT, Kap. 22 Rn. 32; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht, S. 294 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 51; Kuhlen, NStZ 1990, S. 566 (568); Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 100; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 46 Rn. 98 ff.; Seelmann, GA 1989, S. 241 (255). 37 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 100 betont: „Das Sterbenlassen des angefahrenen Fußgängers ist jedenfalls nicht durch die Risikoerlaubnis gedeckt, die das riskante Autofahren bei Einhaltung der Verkehrsregeln gestattet“. 38 BGHSt 25, 218 (221 f.). 39 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 56; SKStGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 41. 35
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
der Vorhandlung nicht noch weitere Merkmale hinzukommen müssen, damit eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen werden kann. So wird man die unerlaubte Weitergabe eines Betäubungsmittels regelmäßig als pflichtwidrig bezeichnen können. Ob hieraus aber eine Garantenstellung folgen soll, wenn die Person, der die Droge weitergegeben wird, diese freiverantwortlich konsumiert und an einer Überdosis zu sterben droht, ist gleichwohl fraglich; selbst wenn bei der Weitergabe der Droge die nahe Gefahr – sofern man dieses Merkmal als eine Wahrscheinlichkeitsprognose ex ante versteht – geschaffen wurde, dass der Konsument zu Schaden kommt. Ebenso kommen Zweifel auf, wenn ein Autofahrer durch das Überfahren einer roten Ampel einen Unfall verursacht und ein Passant infolgedessen für einen objektiven Betrachter ex ante vorhersehbar wegen des lauten Knalls einen Herzinfarkt erleidet und zu sterben droht. Soll der Fahrer aus Ingerenz haften, wenn er trotz der vorhandenen Rettungsmöglichkeit dem Passanten nicht hilft? Zwar behilft sich die Rechtsprechung bei zum Zeitpunkt der Vorhandlung zwar pflichtwidrigen und vorhersehbaren Schäden, aber aus Sicht der Gerichte dennoch nicht strafwürdig erscheinenden Fallkonstellationen mit Schutzzweckerwägungen.40 In welchem Zusammenhang diese aber zu der Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts stehen, oder ob diese bereits in der Formel enthalten sind, bleibt unklar.41 In Anbetracht dieser Beispiele wird deutlich, dass trotz der pflichtwidrigen Schaffung einer u. U. auch nahen Gefahr des Erfolgseintritts durchaus Zweifel an einer Unterlassungsstrafbarkeit infolge einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun bleiben. Zu diesem Bereich gehören auch die Weiterungsfälle, in denen der Vortatbeteiligte regelmäßig eine Straftat begeht, so dass an der Pflichtwidrigkeit seiner Vorhandlung keine Zweifel bestehen und sich die Weiterungstat häufig als naheliegende Folge der Vorhandlung erweist.
II. Kritik am Merkmal der Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr Die lediglich skizzenhaft aufgeführten Fallgruppen haben eines mit ausreichender Deutlichkeit zeigen können: Auf der Grundlage des Pflichtwidrigkeitskriteriums allein lässt sich die Ingerenz nicht sinnvoll eingrenzen.42 Doch auch bei pflichtwidrigen Vorhandlungen, durch die eine nahe Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen wird, bestehen an der Legitimität einer Garantenstellung aus In-
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BGHSt 37, 106 (115 f.); NStZ 2008, 276 (277). Vgl. auch Sowada, Jura 2003, S. 236 (238). 42 Vgl. hierzu die ausf. Kritik von MüKo-StGB/Freund, § 13 Rn. 118 ff., der die Problematik mit dem Begriff der Sonderverantwortlichkeit zu lösen versucht. 41
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gerenz erhebliche Zweifel. Wenn so viele Ausnahmen anerkannt werden müssen, kann von einer Regel nicht mehr gesprochen werden. Die pflichtwidrige Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts ist als Formel zur Eingrenzung der Ingerenz zu weit und zu eng zugleich und kann dem Anspruch nicht gerecht werden, ein mit dem Bestimmtheitsgrundsatz im Einklang stehendes Strafen zu legitimieren. Wenn man – wie hier vertreten wird – die Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos für den Bürger als ein wesentliches Kriterium für die Entstehung von Garantenstellungen ansieht, wird man insbesondere das Pflichtwidrigkeitserfordernis – das scheinbar in Wirklichkeit doch keines ist – in dieser Form verwerfen müssen. Damit soll nicht gesagt sein, dass es unerheblich ist, ob die Vorhandlung pflichtwidrig, m. a. W. rechtlich missbilligt ist. Es wird auch nicht behauptet, dass dem Merkmal der Schaffung einer nahen Gefahr keine eigene Bedeutung zukommt. An dieser Stelle soll nur verdeutlicht werden, dass die h. M. mit einer Formel operiert, die in dieser Form nicht zur Lösung der problematischen Ingerenzfälle geeignet ist und sich daher veranlasst sieht, ständig neue Korrekturen vorzunehmen, ohne dass der dogmatische Zusammenhang ersichtlich wird. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass die Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr ebenso wenig wie in den zuvor dargestellten Problemkonstellationen dazu dienen kann, die hier behandelten Weiterungsfälle einer Lösung zuzuführen, sondern stattdessen ebenfalls auf ergänzende Kriterien zurückgegriffen werden muss.
III. Einschränkung der Ingerenz durch Kriterien der objektiven Zurechnung Da die von der h. M. verwendete Formel in vielen problematischen Fallkonstellationen nicht zu den gewünschten Ergebnissen gelangt, wird sie durch weitere Kriterien ergänzt. In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche Elemente, wie z. B. die Eigenverantwortlichkeit,43 Drittverantwortlichkeit,44 Sozialadäquanz, der Schutzzweckzusammenhang,45 die Lehre von den Verantwortungsbereichen46 und der Pflichtwidrigkeitszusammenhang47 herangezogen, um in den problematischen Fallkonstellation zu einer vertretbaren Lösung zu gelangen.
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Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 69. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 15 Rn. 70. 45 BGH NStZ 2008, 276 (277); Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a; Stree, in: FS Klug, S. 395 (399). 46 LK-Weigend, § 13 Rn. 44. 47 BGHSt 37, 106 (116), wobei die Rechtsprechung hierunter die Frage versteht, ob das Vorverhalten in der Verletzung „eines solchen Gebotes besteht, das dem Schutz des gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist“; siehe auch NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 44; Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 102; Vogel, Norm und Pflicht, S. 160 ff.; LKWeigend, § 13 Rn. 47. 44
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Dabei handelt es sich nicht um völlig neue Eingrenzungsaspekte, die unabhängig voneinander speziell für die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun entwickelt wurden. Stattdessen werden diese Kriterien im Zusammenhang mit der Lehre von der objektiven Zurechnung verwendet, die mittlerweile von der h. L. sowohl im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte als auch der Vorsatzdelikte zur Eingrenzung des uferlosen Kausalverlaufs herangezogen wird.48 Insofern drängt sich die Frage geradezu auf, ob es möglich ist, anstatt bloß einzelne Fragmente der objektiven Zurechnung zu verwenden, die Lehre von der objektiven Zurechnung als Gesamtkonzept zur Eingrenzung und damit zur Legitimation einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun im konkreten Fall heranzuziehen. Der Gedanke, die Lehre von der objektiven Zurechnung im Bereich der Ingerenz anzuwenden, gewinnt in der Literatur immer mehr an Boden, wenngleich es häufig bei einem Verweis auf deren Anwendbarkeit verbleibt.49 So soll nach Rengier „in Zweifelsfällen des Zusammenhangs zwischen Gefahr und Erfolg auf Kriterien der objektiven Zurechnung zurückzugreifen“ 50 sein. Sowada schreibt, dass „weder die Gefahrträchtigkeit noch die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung die Einbeziehung der von der objektiven Zurechnung geläufigen Überlegungen entbehrlich macht“.51 Ebenso wollen Rudolphi/Stein eine Garantenstellung aus Ingerenz nur dann annehmen, wenn „dem Unterlassenden bereits auf Grund seines pflichtwidrigen Vorverhaltens die abzuwendende Gefahr objektiv zurechenbar ist und damit auch die sich aus ihr entwickelnden Rechtsgutsverletzungen objektiv zurechenbar wären“.52 Jäger deutet darauf hin, dass die „Zusammenhänge zwischen Zurechnungsausschluss und Unterlassungshaftung zwar noch viel zu wenig erforscht“ seien, dass sich aber der Zurechnungsausschluss im Anschluss der Haftung aus Ingerenz fortsetzen müsse, weil aus „fehlender Verantwortung für vorangegangenes Verhalten prinzipiell auch keine Verantwortung für ein Folgeverhalten“ entstehen könne.53 Roxin legt in einem eigens diesem Thema gewidmeten Aufsatz dar, dass „die objektive Zurechenbarkeit der gefahrverursachenden Vorhandlung die entschei48 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92; Otto, in: FS Lampe, S. 491 (499); Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 41; Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (552 f.). 49 So schon Schultz, Amtswalterunterlassen, S. 145, 147; siehe auch Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 47. 50 Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 96 ff. 51 Sowada, Jura 2003, S. 236 (243). 52 SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 38. 53 Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 37 ff., 43. Er zieht die Ingerenz als Gegenprobe heran, um die Rechtfertigungsgründe entweder der tatbestandlichen Erfolgszurechnung oder aber der Rechtswidrigkeit zuzuordnen. Er möchte überall dort, wo eine Garantenstellung aus Ingerenz ausscheidet, den Rechtfertigungsgrund dem Bereich der Erfolgszurechnung zuordnen. Damit behauptet Jäger aber das, was zu beweisen wäre, nämlich, dass in den von ihm genannten Beispielen tatsächlich eine Haftung aus Ingerenz entfällt.
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dende Voraussetzung“ 54 für die Garantenstellung aus Ingerenz sei. „Denn nur derjenige, dem man die geschaffene Gefahr nach juristischen Maßtäben zurechnen kann, hat die Verantwortung dafür und muss dem Umschlagen der Gefährdung in eine – gegebenenfalls weitere oder schwerere – Verletzung vorbeugen“.55 Dabei spricht er die im Rahmen der Begehungsdelikte anerkannten Fallkonstellationen an und überträgt sie sinngemäß auf Ingerenzkonstellationen. Auch wenn einige der von Roxin von den Begehungsdelikten auf die Ingerenz übertragenen Fallgruppen sofort einleuchten mögen, reicht dieses Verfahren zur vollständigen Legitimation dieses Ansatzes nicht aus. Damit die Lehre von der objektiven Zurechnung auch zur Eingrenzung der Ingerenz dienen und auf diese Weise zur Lösung der Weiterungsfälle herangezogen werden kann, bedarf es zunächst der Klärung zweier elementarer Fragen. Zum einen gilt es zu begründen, weshalb die Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt Anerkennung verdient und zum anderen muss die Frage beantwortet werden, ob das Ingerenzunterlassen mit den fahrlässigen sowie vorsätzlichen Begehungsdelikten gemeinsame Bezugspunkte aufweist, die dazu im Stande sind, die Übertragbarkeit zu legitimieren. 1. Entstehung der Lehre von der objektiven Zurechnung Die Lehre von der objektiven Zurechnung – wie sie heute von der h. L. vertreten wird – stellt eine vergleichsweise junge Theorie dar. Gleichwohl lässt sich der Gedanke der Zurechnung schon auf die Imputationslehre Pufendorfs sowie besonders auf die Rechtsphilosophie Hegels zurückführen.56 Schon Hegel möchte nur solche Folgen zurechnen, die dem Verhalten einer Person zugehörig sind.57 Moderner formuliert geht es der Lehre von der objektiven Zurechnung darum, einer Person nur das zuzurechnen, was als „ihr Werk“ angesehen werden kann.58 Trotz der weit zurückreichenden Erkenntnis, dass die Verknüpfung zwischen menschlichen Handlungen und deren Folge nicht bloß in einem naturwissenschaftlichen Ursache-Wirkungszusammenhang betrachtet werden darf, setzte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Kausaldogma durch, in dem der Ursachenzusammenhang zum maßgeblichen Kriterium zur Bestimmung des objektiven Unrechts gemacht wurde.59 54 Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (557); siehe auch ders., Strafrecht AT II, § 32 Rn. 155 f. 55 Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (557). 56 Ausf. hierzu Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, S. 29 ff.; vgl. auch Schünemann, GA 1999, S. 207 (208). 57 Vgl. Hegel, Rph, § 115 (S. 215 f.); Reyes, ZStW 105 (1993), S. 108 (109); Schünemann, GA 1999, S. 207 (208). 58 Siehe Kahlo, Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges, S. 85; vgl. auch Reyes, ZStW 105 (1993), S. 108 (109). 59 Um die Uferlosigkeit der hierdurch entstehenden Ergebnisse einzugrenzen, wurden Lösungen im Bereich des Vorsatzes gesucht. Vgl. Schünemann, GA 1999, S. 207 (208); vgl. auch Hirsch, in: FS Lenckner, S. 119 (120).
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Erst wesentlich später gelangte man zu der Einsicht, dass allein naturwissenschaftliche Kausalität für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes nicht ausreichen kann. Die Kausalitätskette lässt sich unendlich zurückverfolgen und es wäre nicht vertretbar, jedem, der durch seine Handlung einen Teil dieser Kette darstellt, tatbestandliches Unrecht vorzuwerfen. Man denke dabei nur an die Mutter eines Mörders, die zweifelsohne ursächlich für den späteren Mord ist. Dieser Gedanke hat sich gleichwohl nicht unmittelbar zu der heutigen Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde zunächst der Versuch unternommen, den Kausalzusammenhang dahingehend einzugrenzen, dass nur wahrscheinliche und vorhersehbare Kausalverläufe zu einer strafrechtlichen Haftung führen können. Auf Grundlage der durch v. Kries60 begründeten Adäquanztheorie sollten unvorhersehbare und ganz unwahrscheinliche Kausalverläufe aus der Haftung ausgeschlossen werden, indem man im Rahmen einer objektiv nachträglichen Prognose danach fragte, ob der Kausalverlauf zum Zeitpunkt der Handlung für einen objektiven Dritten vorhersehbar war.61 Während die Adäquanztheorie noch als Kausalitätstheorie verstanden wurde, hat die insbesondere durch Mezger62 begründete Relevanztheorie zwischen Kausalität und „rechtlicher Relevanz“ 63 unterschieden. Diese Theorie kann als Vorläufer der Lehre von der objektiven Zurechnung bezeichnet werden, da sie über die Vorhersehbarkeit hinaus weitere Aspekte dessen, was heute im Rahmen der objektiven Zurechnung behandelt wird – wie beispielsweise den Schutzzweck der Norm –, zur Korrektur des uferlosen Kausalzusammenhangs herangezogen hat, ohne jedoch den Grad einer umfassenden objektiven Zurechnungslehre erreicht zu haben.64 Parallel zu der Entwicklung der Lehre von der objektiven Zurechnung sind aber auch Ansätze entstanden, die eine Eingrenzung des Kausalzusammenhanges nicht im objektiven Tatbestand verorten. Stattdessen sieht das Lager der Finalisten zum Teil bis heute den Standort für die Eingrenzung der Strafbarkeit bei zufälligen Kausalzusammenhängen im subjektiven Tatbestand.65
60 v. Kries, Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 75 ff.; ders., ZStW 9 (1889), S. 528 (531 f.); vgl. auch Traeger, Der Kausalbegriff, S. 159 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 285. 61 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 14 Rn. 54 ff.; Frisch, JuS 2011, S. 19 (21). 62 Mezger, Strafrecht, S. 122 f. 63 Mezger, Strafrecht, S. 122 f. 64 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 56; siehe auch Block, Atypische Kausalverläufe, S. 52; Frisch, JuS 2011, S. 19 (20 f.). 65 So insb. Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 61 ff.; siehe auch Hirsch, in: FS Lenckner, S. 119 (120 ff.); eine ausf. Darstellung findet sich bei Frisch, GA 2003, S. 719 (726 ff.).
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Erst nachdem Roxin66 1970 basierend auf den Theorien Honigs67, Welzels68 und Engischs69 einen neuen Vorschlag zu einer Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelt hatte, avancierte die Lehre nach zunächst umfangreicher Kontroverse im Schrifttum zu der heute ganz herrschenden Lehre.70 2. Streit um die Lehre von der objektiven Zurechnung Auch wenn die Lehre von der objektiven Zurechnung bis heute zahlreiche Anhänger gefunden hat und sich auch die Rechtsprechung71 der Lehre annähert, so ist sie noch weit davon entfernt, als allgemeine Ansicht bezeichnet werden zu können.72 Wie bereits dargelegt wurde, besteht der Ausgangspunkt aller diesbezüglich vertretenen Ansichten in der Erkenntnis, dass ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang allein keine Strafbarkeit begründen kann.73 Das Ziel besteht demnach darin, irrelevante Kausalverläufe auf der Suche nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit auszusortieren.74 In der Literatur wird häufig zur Verdeutlichung der Problematik das Beispiel vom Erbonkel genannt, der von seinem Neffen in ein Gewitter geschickt und sodann tatsächlich, wie vom Neffen beabsichtigt, vom Blitz getroffen wird.75 Während im Ergebnis weitestgehend Einigkeit darüber herrscht, dass sich der Neffe nicht strafbar gemacht hat, existiert eine Vielfalt unterschiedlicher Begründungsmodelle, weshalb die Strafbarkeit entfallen soll. Für die Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung entfällt der objektive Tatbestand, da der Neffe keine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, sondern sich stattdessen lediglich ein allgemeines Lebensrisiko des Onkels verwirklicht hat.76 Zudem entspricht ein solcher Kausalzusammenhang nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, so dass ein objektiver Betrachter ex ante diesen Verlauf nicht als wahrscheinlich hätte vorhersehen können.77 Das finalistische Lager 66
Roxin, in: FS Honig, S. 133 ff. Honig, in: FS Frank, S. 174 ff. 68 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491 ff. 69 Engisch, Die Kausalität als Merkmal, S. 61. 70 Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung, S. 4 zufolge hat die Lehre von der objektiven Zurechnung einen „unvergleichlichen Siegeszug angetreten“; siehe auch Schünemann, GA 1999, S. 207 (212); Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 41. 71 Siehe BGH NJW 2006, 522 (528) sowie OLG Stuttgart, StraFo 2011, 281. 72 Vgl. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 58. 73 Frisch, JuS 2011, S. 19 (20); Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 38; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 36 f. 74 Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 101. 75 Siehe Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 77 m.w. N. aus der Lit. 76 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 287. 77 So schon v. Kries, ZStW 7 (1889), S. 528 (531 f.); kritisch hierzu Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, 2006, S. 170 ff. 67
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
würde hingegen den objektiven Tatbestand eines Totschlags bejahen, aber die Strafbarkeit am mangelnden Vorsatz scheitern lassen.78 Dahinter steht der Gedanke, dass die Zurechnung zwangsläufig auf Wissenselemente zurückgreifen und daher ihren Standpunkt im Vorsatz haben müsse.79 Aus diesem Grund lehnen die Finalisten die Lehre von der objektiven Zurechnung entweder vollständig ab oder halten sie nur in engen Grenzen für anwendbar.80 Frisch, grundsätzlicher Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung, bestreitet im Erbonkelfall schon ein tatbestandsmäßiges Verhalten.81 Ebenso wird vertreten, dass die Frage der Zurechnung im objektiven Tatbestand anhand einer normativ verstandenen Kausalität erfolgen soll.82 Es existiert damit eine unübersichtliche Vielfalt unterschiedlichster Kriterien zur Bestimmung der objektiven Zurechnung.83 Da an dieser Stelle eine eingehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Theorien nicht erfolgen kann, soll im Folgenden die h. L. von der objektiven Zurechnung als Merkmal des objektiven Deliktstatbestandes im Hinblick auf ihre Legitimität untersucht werden. Sollte sich die Lehre von der objektiven Zurechnung als notwendig erweisen, kann die weitere Untersuchung dahingehend erfolgen, ob sie auch für die Eingrenzung des Ingerenzunterlassungsdelikts und damit insbesondere für die Lösung der Weiterungsfälle fruchtbar gemacht werden kann. Es sei darauf hingewiesen, dass auch unter denjenigen Uneinigkeit herrscht, die die Lehre von der objektiven Zurechnung als Merkmal des objektiven Tatbestandes grundsätzlich befürworten. Denn die inhaltliche Justierung der Lehre von der objektiven Zurechnung wird an ganz unterschiedliche Faktoren geknüpft. So werden die Kriterien der „Steuerbarkeit“ 84, „Beherrschbarkeit“, „rationalen Planbarkeit“ 85 oder der „Verwirklichung der Modellgefahr“ 86 für die Bestimmung 78
So insb. Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 66. Kaufmann, in: FS Jescheck, S. 251 (260); ausf. Kritik bei Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 213 (226 ff.); siehe auch die Kritik bei Schünemann, GA 1999, S. 207 (219 ff.). 80 Kaufmann, in: FS Jescheck, S. 251 (260); eing. Kritik bei Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 213 (226 ff.). 81 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 66 f.; ders., GA 2003, S. 719 (733 ff.). 82 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 200 ff.; dies., ZStW 99 (1987), S. 595 (599 ff.); dies., Jura 1997, S. 513 ff.; dies., Erfolgszurechnung im Strafrecht, S. 30 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 7. Abschn. Rn. 78 verwendet den Begriff der „relevanten Kausalität“; ders., in: FS Lackner, S. 53 (59 f.). 83 Eine Übersicht findet sich bei NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 84; Kuhlen, in: FS Roxin zum 70., S. 331 ff.; ders., JZ 2005, S. 713 ff. stellt speziell im Bereich der Einwilligung die Erfolgszurechnung in den Kontext der Rechtswidrigkeit. 84 Otto, in: FS Maurach, S. 91 ( 92 ff.); ders., JuS 1974, S. 702 (705 ff.); ders., in: GS Schlüchter, S. 77 (92); ders., in: FS Lampe, S. 491 (497 ff.). 85 Toepel, Kausalität und Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 197 ff. 86 Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 92 f.; ders., ZStW 89 (1977), S. 1 ff. 79
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der objektiven Zurechnung herangezogen, um nur einige Beispiele zu nennen.87 Am weitesten verbreitet ist das Prinzip der Risikoschaffung und -verwirklichung zur inhaltlichen Bestimmung der objektiven Zurechnung. Auf diesem Prinzip basiert die von der h. L. verwendete Formel: „Objektiv zurechenbar ist ein durch menschliches Verhalten verursachter Erfolg nur dann, wenn dieses Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen und diese Gefahr sich auch tatsächlich in dem konkreten erfolgsverursachenden Geschehen realisiert hat“.88
Im Folgenden soll diese Formel der Risikoschaffung und -verwirklichung der weiteren Untersuchung zu Grunde gelegt werden. Denn auch wenn es sich bei den einzelnen Zurechnungslehren um ein hochumstrittenes Terrain handelt, gelangen die soeben exemplarisch aufgezählten Theorien mit ihren jeweiligen Kriterien in weiten Teilen zu übereinstimmenden Ergebnissen. Es ergeben sich aber Unterschiede hinsichtlich einzelner Fallgruppen. Da im Rahmen dieser Arbeit eine allgemeine Stellungnahme zu den einzelnen Zurechnungstheorien weder möglich noch sinnvoll ist, wird an späterer Stelle nur auf eine Auswahl solcher Theorien genauer eingegangen werden, die in den hier konkret zu untersuchenden Fallkonstellationen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.89 Die von der h. L. verwendete Formel der Risikoschaffung und -verwirklichung stellt damit für die hiesige Untersuchung den geeigneten Ausgangspunkt dar, da sie sich auf das Rechtsprinzip zurückführen lässt, wonach jeder seine Freiheitssphäre so zu gestalten hat, dass keine Risiken für andere Freiheitssphären geschaffen werden, die in einer Verletzung fremder Rechtsgüter münden.90 In dieser Formel werden die Voraussetzungen zusammengefasst, die für die objektive Zurechnung erforderlich sind.91 Zum einen muss eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen worden sein. Zum anderen muss sich diese Gefahr auch im Erfolg realisiert haben.92 Dabei werden diese Voraussetzungen im weiteren Verlauf die-
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Siehe NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 84 m.w. Ansätzen aus der Lit. Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92 f.; MüKo-StGB/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 350; BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 23 ff.; Kaspar, JuS 2012, S. 112 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 43; ders., JA 2009, S. 321 (326); SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 57. Von dieser im Kern von der h. L. vertretenen Ausformulierung der Lehre von der objektiven Zurechnung gibt es begriffliche Unterschiede, die sich aber im Ergebnis nicht auswirken. So wird zum Teil statt des Begriffs der Gefahr der Begriff des Risikos verwendet. Vgl. z. B. Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 42. 89 Siehe unten Kap. 5, A. I. und III. 90 Siehe die Ausführungen zum Entstehungsgrund der Ingerenz oben Kap. 2, C. 3. a); siehe auch NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 84; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 117. 91 Siehe NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 90. 92 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 63 ff.; zum Verhältnis von Schutzzweckzusammenhang und Risikorealisierung siehe unten Kap. 5, B. II. 1. 88
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
ser Untersuchung nicht lediglich unkritisch übernommen, sondern an späterer Stelle noch näher konkretisiert.93 Zunächst hat sich die Rechtsprechung noch nicht ausdrücklich zu der Lehre von der objektiven Zurechnung bekannt und stattdessen versucht, die einschlägigen Fallkonstellationen über die wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf im Bereich des subjektiven Tatbestandes zu lösen.94 Mittlerweile bekennt sich die Rechtsprechung immer häufiger zu der Lehre von der objektiven Zurechnung und stellt vereinzelt sogar explizit auf das Risikoprinzip ab, indem sie die Erfüllung des objektiven Tatbestandes davon abhängig macht, ob durch das Verhalten eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wurde, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.95 3. Objektive Zurechnung beim unechten Unterlassungsdelikt als anerkanntes Tatbestandsmerkmal Die h. M.,96 darunter in Ansätzen auch die Rechtsprechung,97 wenden die Lehre von der objektiven Zurechnung auch bei den Unterlassungsdelikten an. Dabei muss vorweg, um terminologischen Missverständnissen vorzubeugen, eine Präzisierung stattfinden. Im Rahmen der Unterlassungsdelikte hat sich die objektive Zurechnung als Voraussetzung des objektiven Tatbestandes etabliert. Die Strafbarkeit scheidet demnach aus, wenn sich der Erfolg nicht auf Grund der Unterlassung der gebotenen Rettungshandlung realisiert hat.98 Man nehme als Beispiel die Mutter, die nach einem Unfall ihres Kindes nicht den Notarzt ruft. Wird das Kind dann auf andere Weise zum Notarzt gebracht und verstirbt es sodann auf Grund eines groben Behandlungsfehlers des Arztes, so hat sich nicht die Unterlassung der gebotenen Rettungshandlung durch die Mutter im Tod des Kindes realisiert, sondern stattdessen ein anderes Risiko. Es entfällt damit die objektive Zurechnung.99 Ebenso kann eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers den Ausschluss der objektiven Zurechnung zur Folge haben. Beschließt dem-
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Siehe unten Kap. 5, B. I. und II. Dies mag zum Teil an der Seltenheit einschlägiger Fallkonstellationen außerhalb der Fahrlässigkeitsdelikte liegen. Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 214 (219). 95 OLG Stuttgart, StraFo 2011, 281; vgl. auch BGH NJW 2006, 522 (528). Der Senat spricht hier explizit von den „herkömmlichen und allgemein anerkannten Regeln etwa über die objektive Zurechnung“; siehe auch NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 73; LKWalter, Vor § 13 Rn. 89. 96 Frister, Strafrecht AT, Kap. 22 Rn. 23; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 14a; Ransiek, JuS 2010, S. 490 (493). 97 So stellt die Rspr. auch auf Schutzzweckerwägungen ab. Siehe BGH NStZ 2008, 276 (277). 98 Lackner/Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 14a; Rengier, Strafrecht AT, § 49 Rn. 24. 99 Eine Strafbarkeit wegen Versuchs ist dennoch möglich. 94
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nach beispielsweise die Ehefrau trotz hoher Wellen im Meer schwimmen zu gehen und ertrinkt hierbei, weil der Ehemann sie an diesem Vorhaben nicht gehindert hat, wird man die objektive Zurechenbarkeit verneinen müssen.100 Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang wird hingegen bei den unechten Unterlassungsdelikten nicht als ein Aspekt der objektiven Zurechnung behandelt, da es sich hierbei um das Merkmal der hypothetischen Kausalität handelt, die als eigenständige Voraussetzung im objektiven Tatbestand geprüft wird. Ob der Erfolg bei Hinzudenken der gebotenen Rettungshandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre, ist somit eine von der objektiven Zurechenbarkeit unabhängige Voraussetzung des objektiven Tatbestandes.101 Auch bei einer Garantenstellung aus Ingerenz sind Fälle denkbar, in denen sich letztlich nicht das Unterlassen der erforderlichen Rettungshandlung durch den Garanten, sondern eine andere Gefahr im Erfolg realisiert hat. Der Unterschied zu den anderen Garantenstellungen besteht allerdings darin, dass hier möglicherweise schon keine Garantenstellung aus Ingerenz entsteht und es einer nachgelagerten Prüfung der objektiven Zurechnung nicht bedarf.102 4. Der Zweck der Lehre von der objektiven Zurechnung Ein Großteil der Lehrbuchliteratur definiert die Voraussetzungen der Erfolgszurechnung mit dem Erfordernis der Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr, die sich im konkreten tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert haben muss. Im Anschluss daran werden meist einzelne, mittlerweile in der Lehre anerkannte Fallgruppen dargestellt und die damit verbundenen Folgen für die Zurechnung erörtert. Insofern könnte sich eine Untersuchung damit begnügen festzustellen, ob sich die einzelnen Fallgruppen auf vergleichbare Ingerenzkonstellationen übertragen lassen. Doch wäre bei einer solchen Vorgehensweise völlig unklar, worauf sich die Vergleichbarkeit zu beziehen hat. Damit also eine Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Fälle der Ingerenz ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann, ist mehr erforderlich. Denn schon im Rahmen der Begehungsdelikte sehen sich die Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung dem Vorwurf ausgesetzt, sie bedienten sich letztlich eines „Ensembles von
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Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36 Rn. 27. Daher wird in diesem Zusammenhang auch die Risikoverringerungslehre als Pendant zur Risikoerhöhungslehre im Rahmen des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges bei Fahrlässigkeitsdelikten vertreten. Vgl. dazu Rengier, Strafrecht AT, § 49 Rn. 16; siehe auch Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 23. 102 Es ist aber auch in anderen Konstellationen denkbar, die objektive Zurechnung heranzuziehen, um eine Garantenstellung etwa zur Überwachung einer Gefahrenquelle auszuschließen. Siehe nur BGH NStZ 2012, 319 ff. mit Anm. Murmann, NStZ 2012, S. 387 ff., der unter dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit eine Verkehrssicherungspflicht ablehnt. 101
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
Topoi“,103 aus dem je nach Bedarf die passende Lösung wie aus einem „Zauberhut“ herausgezogen wird. In der Tat betrifft die Lehre von der objektiven Zurechnung ganz heterogene Fallgruppen.104 Daher muss dem häufigen Vorwurf entgegengetreten werden, dass im Rahmen der Erfolgszurechnung in Wahrheit Erwägungen des Rechtsgefühls entscheidend seien.105 Die besondere Schwierigkeit der objektiven Zurechenbarkeit liegt darin begründet, dass sie eben nicht von naturwissenschaftlich nachweisbaren Tatsachen abhängig ist, sondern stattdessen normative Faktoren entscheidend sind. Aus diesem Grund müssen die maßgebenden Kriterien für die normative Bestimmung ausfindig gemacht werden. Es muss konkret danach gefragt werden, welche Anforderungen an die Risikoschaffung gestellt werden müssen und unter welchen Voraussetzungen von einer Risikorealisierung gesprochen werden kann.106 Um diese normativen Kriterien festlegen zu können, muss die Lehre von der objektiven Zurechnung zunächst im Hinblick auf ihren Zweck und ihre Grenzen untersucht werden. a) Das Wesen strafrechtlicher Normen Soll der Zweck einer objektiven Zurechnungslehre erfasst werden, so kommt man um die Bestimmung des Wesens strafrechtlicher Normen nicht umhin.107 Bei den strafrechtlichen Deliktstatbeständen handelt es sich um Sanktionsnormen, die gleichzeitig strafbewährte Verhaltensnormen beinhalten.108 Verhaltensnormen sind Rechtspflichten, die ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbieten und auf diese Weise in die Zukunft gerichtet wirken.109 Sie dienen aber ebenfalls dazu, ein Verhalten nachträglich als verhaltensnormwidrig bewerten zu können.110 Manche besonders elementare Verhaltensnormen, wie z. B. das Tötungs103 Kaufmann, in: FS Jescheck, S. 251 (271); Schünemann, GA 1999, S. 207 bezeichnet sie bildhaft als „riesigen Kraken mit zahllosen Tentakeln“. 104 Kahlo, in: FS Küper, S. 249 (259); Hilgendorf, in: FS Weber, S. 33 (44); Hirsch, in: FS Lenckner, S. 119 (122 ff.); Schünemann, GA 1999, S. 207. 105 Hilgendorf, in: FS Weber, S. 33 (44); vgl. auch Kahlo, in: FS Küper, S. 249 (259 ff.). 106 So auch Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92; siehe dazu weiter unten Kap. 5, B. II. 107 Grds. hierzu Binding, Die Normen, Bd. 1, S. 6 ff. 108 Siehe Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2 Rn. 1 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 1 Rn. 10 ff.; ebenso gebräuchlich ist die Verwendung der Begriffe Bestimmungsnorm (Verhaltensnorm) und Bewertungsnorm (Sanktionsnorm). Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 119 f.; LK-Walter, Vor § 13 Rn. 17; a. A. Hoyer, Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, S. 42 ff., 387, der selbstständige Verhaltensnormen nicht anerkennt. 109 Contreras, Normative Kriterien, S. 11; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 334; SKStGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 17 f. 110 Contreras, Normative Kriterien, S. 11 f.; Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 19 f.; vgl. auch Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 55.
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verbot in § 212 StGB, werden durch den Gesetzgeber in das Strafrecht als sekundäre Rechtsordnung integriert.111 Die Sanktionsnorm wiederum weist den Rechtsstab dazu an, einen in der Vergangenheit liegenden Verhaltensnormverstoß zu bestrafen.112 Die Verhaltensnorm lässt sich dabei nur mittelbar aus der Sanktionsnorm herauslesen, da sie nicht etwa lautet „Du sollst nicht . . .“, sondern stattdessen als Sanktionsanordnung z. B. in der Form „Wer . . ., wird . . . bestraft“ formuliert ist. Gleichwohl ist die Verhaltensnorm in der Sanktionsnorm enthalten und ihr vorgelagert, da sie eine Bedingung für die Verhängung einer Kriminalstrafe durch den Rechtsstab darstellt.113 Die Aufgabe des Richters besteht somit darin, einen in der Vergangenheit liegenden Verhaltensnormverstoß festzustellen und die im Gesetz vorgesehene Rechtsfolge anzuordnen. Die Verhaltensnorm kann sowohl an einen Erfolgseintritt anknüpfen als auch nur eine bestimmte Handlung untersagen. Somit muss unterschieden werden zwischen Verursachungsnormen und reinen Handlungsnormen.114 Verursachungsnormen verbieten demnach die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges, wie beispielsweise den Tod oder die körperliche Misshandlung eines Menschen, die Zerstörung einer Sache etc., während die Handlungsnormen ein gewisses Verhalten als solches untersagen, weil es, wie beispielsweise das Fahren eines PKWs im fahruntüchtigen Zustand, besondere Gefahren in sich birgt, ohne dass es auf einen konkreten Erfolg ankommt.115 Es existieren aber auch Verursachungsnormen im Strafrecht, die den Erfolgseintritt im Wege einer durch die Strafnorm selbst untersagten Handlung verbieten. So verbietet die dem Betrugstatbestand zu entnehmende Verhaltensnorm einen Vermögensschaden als Erfolg, der im Wege der besonderen Handlungsmodalität der Täuschung über den Irrtum des Geschädigten zu einer Vermögensverfügung und damit zu dem tatbestandsmäßigen Erfolg führen muss.
111 Contreras, Normative Kriterien, S. 10; Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 12; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 59 f. 112 Siehe hierzu ausf. Vogel, Norm und Pflicht, S. 27 f. In diesem Sinne sind Sanktionsnormen ebenfalls Verhaltensnormen, die sich an den Rechtsstab richten. Vgl. auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 113; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 62 f. 113 Vogel, Norm und Pflicht, S. 28; vgl. Koriath, Kausalität und objektive Zurechnung, S. 114 ff. 114 Ausf. zu der Unterscheidung zwischen Handlungs- und Verursachungsnormen Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 16 ff. Der Begriff der Verursachungsnorm könnte dahingehend missverstanden werden, dass ein Verstoß bereits durch eine kausale Erfolgsherbeiführung vorliegt. Stattdessen soll der Begriff nur deutlich machen, dass diese Art der Verhaltensnorm an die Herbeiführung eines besonderen Erfolgseintritts anknüpft, ohne die genaue Art der Verknüpfung zwischen Handlung und Erfolg zu nennen. 115 Vgl. Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 16. Dazwischen liegen die konkreten Gefährdungsdelikte, die Handlungen untersagen, die zu einer konkreten Gefährdung eines Rechtsguts führen.
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Eine Verursachungsnorm kann sich aber durchaus auch auf eine nicht selbstständig mit Strafe bedrohte Handlungsnorm beziehen. Überwiegend lassen die den vorsätzlichen und fahrlässigen Begehungsdelikten zu entnehmenden Verursachungsnormen einen vorstrafrechtlichen Handlungsnormverstoß genügen. Diese Handlungsnormen lassen sich zum Teil dem positiven Recht entnehmen, können aber auch nicht kodifizierten Regeln entstammen.116 So kann beispielsweise das in § 222 StGB geregelte Verbot, einen Menschen zu töten, an einen Sorgfaltspflichtverstoß anknüpfen, der sich aus vorstrafrechtlichen Handlungsnormen ergeben kann.117 Dies ist beispielsweise der Fall bei der Missachtung von Straßenverkehrsvorschriften oder einer Heilbehandlung, die entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen wird.118 Gegen die in § 222 StGB enthaltene Verursachungsnorm wird aber nur dann verstoßen, wenn die Missachtung der Sorgfaltspflicht den Tod eines Menschen zur Folge hat.119 Handlungsnormen können unabhängig von Verursachungsnormen existieren, lassen sich aber zum Teil auch teleologisch aus den Verursachungsnormen ableiten. Im Strafrecht können demnach aus den Erfolgsverursachungsverboten durchaus Handlungsverbote abgeleitet werden. Denn Handlungsverbote, die im Hinblick auf eine bestimmte Verursachungsnorm bestehen, knüpfen an allgemeine Erfahrungssätze an. Entscheidend ist hierbei, dass das Verhalten sich nach allgemeiner Erfahrung dazu eignet bzw. das Risiko begründet, den konkreten Erfolg herbeizuführen.120 Wenn es z. B. verboten ist, einen anderen Menschen zu töten, und man Kenntnis darüber besitzt, dass die Zuführung einer bestimmten Menge einer Chemikalie den Tod eines Menschen verursacht, so lässt sich hieraus das Handlungsverbot ableiten, einem anderen Menschen diese bestimmte Dosis der Chemikalie zu verabreichen.121 Entscheidend ist, dass es sich bei den Handlungsnormen um äußere Freiheit sichernde Normen, d.h. um Rechtsnormen handelt. Nur wenn die Handlungsnorm, an die das strafrechtliche Verbot anknüpft, dem Recht als allgemeinverbindliches Regelungssystem zuzuordnen ist, darf ein Verstoß hiergegen mit Strafe geahndet werden. Damit muss die Handlungnorm als Rechtsnorm von mo116
Contreras, Normative Kriterien, S. 12. Siehe hierzu Mikus, Die Verhaltensnorm, S. 132, 134 ff., der sich aber auch ausf. mit der Problematik ungeregelter Lebensbereiche befasst. 118 Vgl. LK-Walter, Vor § 13 Rn. 90; zur Problematik technischer Normen im Bereich der Fahrlässigkeit siehe Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 ff.; zu den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für die Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit siehe Mikus, Die Verhaltensnorm, S. 112 f., 132. 119 Siehe zu dem Verhältnis zwischen Handlungsnormverstoß und Erfolgseintritt unten Kap. 4, B. III. 4. c). 120 Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 134. 121 Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 58 ff.; vgl. auch Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 23 f. 117
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ralischen bzw. ethischen Normen abgegrenzt werden.122 Ein Verstoß gegen Normen, die ausschließlich dem Bereich der Ethik zuzuordnen sind, darf keine Strafe zur Folge haben.123 b) Der Zweck strafrechtlicher Verhaltens- und Sanktionsnormen Um eine Aussage über den Sinn der Lehre von der objektiven Zurechnung tätigen zu können, muss über das Wesen der strafrechtlichen Normen hinaus deren Zweck bestimmt werden. Hierbei ist wiederum die Verschiedenheit von Verhaltensnorm und Sanktionsnorm zu berücksichtigen. Sanktionsnormen erlauben der Rechtsprechung denjenigen, der einen im Strafrecht kodifizierten Verhaltensnormverstoß begangen hat, mit Kriminalstrafe zu sanktionieren. Da die Verurteilung zu einer Kriminalstrafe das schärfste Instrument des Staates darstellt, bedürfen schon die darin enthaltenen Verhaltensnormen, die der Sanktionsnorm vorgelagert sind, einer besonderen Legitimation.124 Der Staat hat nicht das Recht, moralische oder religiöse Werte durch strafrechtliche Sanktionen zu erzwingen.125 Stattdessen sieht die h. M. den Zweck der strafrechtlichen Verhaltensnormen im Schutz von Rechtsgütern.126 Das BVerfG drückt es in der Weise aus, dass das Strafrecht die „Grundlagen eines geordneten Gemeinschaftslebens“ 127 schützen und solche Handlungen bekämpfen soll, die „in besonderer Weise sozialschädlich und für das Zusammenleben unerträglich“ 128 sind. Nur wenn eine im Strafrecht kodifizierte Verhaltensnorm geeignet und erforderlich ist, Rechtsgüter zu schützen, ohne dabei unverhältnismäßig zu sein, genügt sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen.129 Dieser grundsätzlich anzuerkennende Befund sieht sich mit der Kritik konfrontiert, die gegen den Rechtsgutsbegriff selbst geäußert wird. So existieren durchaus andere Begründungsmodelle, die zum Teil sogar den Rechtsgüterschutzaspekt zur Begründung des Strafrechts gänzlich ablehnen.130 122
Zum Begriff des Rechts siehe oben Kap. 2, C. VII. 3. a). Vgl. unter dem Begriff der Sorgfaltsnorm Köhler, Strafrecht AT, S. 173. 124 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2 Rn. 6. 125 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 1; MüKo-StGB/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 40; siehe auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 12. 126 Sch/Schr-Eser/Hecker, Vor §§ 1 ff. Rn. 30; MüKo-Joecks, Einl. Rn. 30 ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2 Rn. 6; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 5 ff.; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 13 Rn. 4; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 10 ff.; SK-Rudolphi, Vor § 1 Rn. 2; Roxin, Strafrecht AT I, § 2 Rn. 2 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 6 ff. 127 BVerfGE 88, 203 (257). 128 BVerfGE 88, 203 (258); 96, 245 (249). 129 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 70 f.; ausf. zur verfassungsrechtlichen Legitimation der Verhaltens- und Sanktionsnormen Contreras, Normative Kriterien, S. 20 ff. 130 Besonders hervorzuheben ist dabei Jakobs, Strafrecht AT, 1. Abschn. Rn. 4 ff., der den Zweck des Strafrechts in der Sicherung der Normgeltung sieht, da der Täter 123
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Ein Grund liegt darin, dass der Begriff des Rechtsguts sehr vage ist und besonders im Hinblick auf überindividuelle Rechtsgüter Schwierigkeiten bereitet.131 Darüber hinaus ist es problematisch, den Rechtsgutsbegriff ausschließlich von der Sozialschädlichkeit eines bestimmten Erfolges abhängig zu machen. Bei der Sozialschädlichkeit handelt es sich um einen funktionalisierbaren Begriff, der einem stetigen gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist.132 Damit der Rechtsgüterschutz als leitendes Prinzip im Strafrecht legitimiert werden kann, muss der Begriff an ein materielles Kriterium angebunden werden. Ausgehend von einem freiheitlichen Rechtsverständnis müssen folglich Rechsgüter über die „freiheitliche Normbildung und -entfaltung“ konstituiert werden.133 So verstanden handelt es sich bei Rechtsgütern um „Daseinselemente der Freiheit“,134 die sowohl in Form von individuellen Gütern wie Leib, Leben oder Freiheit als auch in Form von Gemeinschaftsgütern wie dem Schutz des Straßenverkehrs, der Rechtspflege u.s.w. existieren.135 Damit wird mittelbar über den Schutz von Rechtsgütern die wechselseitige Anerkennung äußerer Freiheit gewährleistet. Unter Berücksichtigung dieser Herleitung können die strafrechtlichen Verhaltensnormen somit als Normen zum Schutz von (Freiheits-)Rechtsgütern verstanden werden. Während somit der Schutz von Rechtsgütern durch die Verhaltensnorm eine in die Zukunft gerichtete Schutzfunktion des Strafrechts darstellt, wirkt die Sanktionsnorm erst dann, wenn ein Verhaltensnormverstoß in der Vergangenheit festgestellt wurde.136 Damit muss der Zweck der Strafe als dem Verhaltensnormverstoß nachgelagertes Instrument eigenständig bestimmt werden.137 Welchen Zweck die Strafe dabei haben soll, ist bis heute umstritten. Die h. M. vertritt in unterschiedlichen Varianten eine sog. Vereinigungstheorie, die den Zweck der
durch seine Straftat deutlich gemacht habe, dass die Norm zumindest für ihn nicht gelte; kritisch hierzu Roxin, ZStW 116 (2004), S. 929 (940); MüKo-Joecks, Einl. Rn. 30 ff.; siehe auch Roxin, Strafrecht AT I, § 2 Rn. 103 ff. m.w. N. 131 Siehe zum Streit um den Rechtsgutsbegriff Kahlo, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 27 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 2 Rn. 2 ff. m.w. N.; siehe auch SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 3 ff. 132 Vgl. Wolff, in: Hassemer, Strafrechtspolitik, S. 137 (156 f.). 133 Köhler, Strafrecht AT, S. 24 f. 134 Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 165. 135 Die Gemeinschaftsrechtsgüter lassen sich nach Kelker, Der Nötigungsnotstand, S. 109 auf ein „allgemein verfaßte(s) Vertrauen, welches letztlich auf einem gegenseitigen Anerkennungsverhältnis von Freiheit beruht“, zurückführen. 136 Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 5 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 80, der jedoch den Zweck der Strafe in der Beseitigung der Gefahr eines Normgeltungsschadens sieht. Insofern ist die Verhaltensnorm auch nicht lediglich eine in die Zukunft gerichtete Bestimmungsnorm, sondern fungiert ex post betrachtet auch als Bewertungsnorm, indem man eine vergangene Handlung als Verhaltensnormverstoß bewerten kann. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 10 Rn. 93. 137 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 153.
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Strafe in einer Kombination der absoluten138 sowie der relativen Theorien139 sieht, hierbei aber ganz unterschiedliche Gewichtungen vornimmt.140 Ein Zweck der Strafe liegt in der für die Vertreter der absoluten Theorien maßgeblichen Sühne- und Vergeltungsfunktion der Strafe. Damit ist gemeint, dass der Täter sich durch die Strafe zum einen wieder mit der Rechtsordnung versöhnt (Sühne) und zum anderen das Opfer bzw. dessen Angehörige einen vergeltenden Schuldausgleich für die erlittenen Schäden erhält (Vergeltung).141 Die Vertreter der relativen Theorien sehen den Zweck der Strafe in einem ausschließlich präventiven Nutzen, bei dem wiederum unterschieden werden muss zwischen positiver und negativer General- sowie Spezialprävention. So soll der Täter durch die Strafe resozialisiert werden (positive Spezialprävention), dabei aber unter Umständen auch zum Schutz der Bevölkerung eine bestimmte Zeit lang inhaftiert bleiben (negative Spezialprävention).142 Gleichzeitig wird das Ziel verfolgt, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung zu stärken (positive Generalprävention) und darüber hinaus die Bürger von der Begehung von Straftaten abzuhalten (negative Generalprävention).143 Allen präventiven Strafzwecken ist gemein, dass sie für sich allein genommen nicht dazu in der Lage sind, Strafe zu legitimieren. Ohne die Anbindung an ein höherrangiges Prinzip, lassen sich präventive Maßnahmen beliebig instrumentalisieren. Es handelt sich dann bei einer so begründeten Strafe nur um ein vom jeweiligen Ziel abhängiges „Disziplinierungsinstrumentarium“ 144 für den Täter selbst und die Allgemeinheit. Wie bereits gezeigt wurde, vollzieht sich das Strafunrecht in mehreren Dimensionen und beschränkt sich somit nicht nur auf das Verhältnis zwischen Täter und Opfer.145 Zwar spricht der Täter durch seine Tat dem Opfer die Anerkennung als gleichwertiges Vernunftwesen ab und macht es damit zum Objekt seiner Willkür. Gleichwohl kann Strafe ihren Grund nicht darin haben, allein das interpersonale Rechtsverhältnis wiederherzustellen. An138 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 37 ff. Die absoluten Theorien gehen insb. auf Kant, MdS, A 195 ff., B 225 ff. (S. 452 ff.) sowie Hegel, Rph, § 99 f. (S. 187 ff.) zurück. Vgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 132 ff. 139 MüKo-StGB/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 3 ff. 140 BVerfGE 22, 125 (132); 45, 187 (253 ff.); NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor §§ 1 ff. Rn. 286. 141 Siehe hierzu Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 132 ff.; zum Teil unterscheidet der BGH nicht eindeutig zwischen diesen Begriffen. Vgl. LK-Theune, Vor §§ 46–50 m.w. N. aus der Rechtsprechung. 142 BVerfGE, 39, 1 (57); 45, 187 (255 ff.); MüKo-StGB/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 41 ff.; Sch/Schr-Stree/Kinzig, Vor §§ 38 ff. Rn. 7 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 12a; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2 Rn. 12. 143 BVerfGE 21, 391 (403 f.); 54, 100 (108); MüKo-StGB/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 35 ff.; Sch/Schr-Stree/Kinzig, Vor §§ 38 ff. Rn. 3 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 12a; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 2 Rn. 13 ff. 144 Köhler, Strafrecht AT, S. 44 f. 145 Siehe oben Kap. 2, C. VII. 3. a).
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
sonsten bestünde die Strafe auschließlich in der „Rache (. . .) des persönlich vom Verbrechen Betroffenen“.146 Vielmehr stellt das Strafunrecht auch die partielle Negation des Rechts als Recht dar. Indem der Täter, der grundsätzlich vernünftiger Mitbegründer der Rechtsordnung ist, das Recht teilweise negiert, erweckt er nach außen den Anschein eines verallgemeinerbaren Verhaltens und begründet hierdurch einen „praktisch fortwirkende(n) Geltungswiderspruch in der Allgemeinheit“.147 Die Strafe dient dazu, diesen Geltungswiderspruch aufzuheben und die Allgemeingültigkeit des Rechts aufrechtzuerhalten. 148 Dabei wird der Täter durch die Strafe in die von ihm selbst gesetzte Negation des Rechts einbezogen. Dem Täter wird hierdurch bewusst gemacht, dass er die Freiheitsverletzung gegenüber dem Opfer letzlich immer auch sich selbst zufügt.149 Auf diese Weise wirkt Strafe auch in die Zukunft gerichtet und kann somit sozusagen als Nebenzweck sowohl spezial- als auch generalpräventive Wirkung entfalten. Damit stellen die eingangs genannten generelpräventiven Zwecke legitime Nebenstrafzwecke dar, sofern der primäre Zweck der Strafe aus einem freiheitlichen Rechtsverständnis heraus begründet wird.150 c) Objektive Zurechnung als notwendige Voraussetzung zur Zweckerreichung der Verhaltens- und Sanktionsnormen Sieht man demnach den Sinn von Verhaltensnormen im Rechtsgüterschutz, verstanden als konkretisierte Daseinselemente der Freiheit, und den Sinn der Sanktionsnormen in der Aufhebung partieller Negation allgemeiner Rechtsgeltung und den hiermit verbundenen präventiven Nebenaspekten, so muss geklärt werden, welche Aufgabe der Lehre von der objektiven Zurechnung in diesem Zusammenhang zukommt. Schünemann sieht den Nutzen der Lehre von der objektiven Zurechnung ausschließlich in generalpräventiven Gründen.151 Darüber hinaus möchte Schünemann die objektive Zurechnung davon abhängig machen, ob sie kriminalpolitisch sinnvoll ist oder nicht.152 Gegen Letzteres wird eingewendet, die Nutzung eines derart abstrakten Merkmals fördere letztlich keinen 146 Köhler, Der Begriff der Strafe, S. 52; hierzu ausf. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 129 ff. 147 Köhler, Strafrecht AT, S. 48; hierzu ausf. Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 129 ff. 148 Köhler, Strafrecht AT, S. 48 f.; vgl. auch Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts, S. 138. 149 Köhler, Strafrecht AT, S. 49. 150 Siehe hierzu Köhler, Strafrecht AT, S. 51, der in diesem Zusammenhang von der „wirkliche(n) Vereinigung der Strafzwecke“ spricht. 151 Schünemann, GA 1999, S. 207 (208 ff.); ebenso Hilgendorf, in: FS Weber, S. 33 (46). 152 Schünemann, GA 1999, S. 207 (213 ff.); kritisch hierzu Puppe, Erfolgszurechnung im Strafrecht, S. 5; siehe auch die Kritik von Kahlo, in: FS Küper, S. 249 (260).
B. Einschränkung zwischen Vorhandlung und Erfolg
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Gewinn an Strafgerechtigkeit und sei daher „inhaltsleer“.153 Roxin wiederum sieht den Zweck der objektiven Zurechnung in der „Umsetzung des Rechtsgüterschutzprinzips in die dogmatischen und systematischen Kategorien der Unrechtslehre“.154 Besteht der Zweck strafrechtlicher Verhaltensnormen im Rechtsgüterschutz, so können sie ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn sie auch befolgbar sind.155 Selbstverständlich können Verhaltensnormen, die an einen Erfolgseintritt anknüpfen, nicht aus reinen Verursachungsverboten bestehen.156 Die Norm „verursache nicht den Tod eines anderen Menschen“ kann auf Grund unendlich vieler Möglichkeiten der kausalen Herbeiführung eines Erfolgseintritts zu keiner Verhaltensanpassung durch den Bürger führen.157 Eine solche Norm wäre schlichtweg nicht dazu geeignet, Rechtsgüterschutz zu bewirken. Ist die Verhaltensnorm illegitim, so gilt das zwangsläufig auch für die auf einem solchen Verhaltensnormverstoß basierende Sanktionsnorm, sofern sie für den Verstoß gegen ein reines Verursachungsverbot eine Kriminalstrafe vorsieht, da sie weder einen präventiven, noch einen schuldausgleichenden Zweck erfüllen kann.158 Weil die Sanktionsnorm an eine Verhaltensnorm anknüpft, die selber nichts darüber aussagt, welche konkrete Person in der Vergangenheit gegen sie verstoßen hat, muss die Verknüpfung zwischen einer Person und dem Verhaltensnormverstoß im Wege der Zurechnung erfolgen.159 Dabei stellt die objektive Zurechnung nur eine von mehreren Voraussetzungen dar, um ein Verhalten als strafbar bewerten zu können. Für die Begehung einer Straftat ist darüber hinaus bei den Vorsatzdelikten die subjektive Zurechnung sowie bei allen Delikten die Zurechnung zur Schuld festzustellen. Im Rahmen der objektiven Zurechnung muss somit vorerst nur die Entscheidung getroffen werden, ob jemand für einen strafrechtlich sanktionierten Verhaltensnormverstoß in Form eines Verstoßes gegen ein Verursachungsverbot und damit für die Erfüllung des objektiven Deliktstatbestandes verantwortlich gemacht werden kann.160 Dabei dient die objektive Zurechnung der Gewährleistung des Normzwecks, wodurch legitimes Strafen erst ermöglicht wird. Die Erfolgszurechnung darf demnach nur dann bejaht werden, sofern durch die konkrete Normeninterpretation ex ante Rechtsgüterschutz erreicht werden kann und ex post die Wirkung der 153
Kahlo, in: FS Küper, S. 249 (260). Roxin, ZStW 116 (2004), S. 929 ff. 155 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 39; siehe auch SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 17 ff. 156 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 91; NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 71; Wolter, GA 1977, S. 257. 157 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 91. 158 Vgl. auch Hilgendorf, in: FS Weber, S. 33 (46). 159 Vgl. Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 55. 160 Siehe Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 55. 154
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
Strafzwecke ermöglicht wird.161 Eine zur Erreichung des Normzwecks ungeeignete Zurechnung hat zwangsläufig eine illegitime Strafe zur Folge. Nun könnte man gegen den Rechtsgüterschutzaspekt vorbringen, er sei zu dem Zeitpunkt, in dem die objektive Zurechnung erfolgt, im konkreten Fall längst gescheitert, da der Täter bereits gegen die Verhaltensnorm verstoßen hat.162 Dennoch wirken die Zurechnungsvoraussetzungen auch in die Zukunft gerichtet, da der Bürger die Umstände, die zu einer objektiven Zurechnung des Erfolges zu seiner Person führen, nach Laienart erfassen und auf diese Weise sein Verhalten anpassen kann. Zugleich kann das Ziel der objektiven Zurechnung nicht in einer größtmöglichen Ausdehnung des Rechtsgüterschutzes gesehen werden. Intensiver Rechtsgüterschutz hat als Kehrseite zwangsläufig eine Einschränkung der Handlungsfreiheit zur Folge. Daher ist es zwingend notwendig, dass diese entgegenstehenden Interessen gegeneinander abgewogen und in einen für die Bürger angemessenen Ausgleich gebracht werden. Bei Roxin163 gewinnt man den Eindruck, als hätte die Abwägung dieser Interessen im Rahmen der objektiven Zurechnung zu erfolgen. Denn seiner Meinung nach ist es die Lehre von der objektiven Zurechnung, die „den Bereich des strafrechtlich Verbotenen durch Abwägung von Schutz- und Freiheitsinteressen im Einzelnen festlegt“.164 Dagegen ist einzuwenden, dass die Entscheidung darüber, was verboten oder erlaubt ist, der objektiven Zurechnung vorgelagert ist. Die Grenzziehung zwischen Freiheits- und Sicherungsrechten wird durch existierende Verhaltensnormen, insbesondere durch Handlungsnormen, die auch außerhalb des Strafrechts in der primären Rechtsordnung existieren und bei denen es sich um konkretisierte und verfestigte freiheitssichernde Normen handelt, vorgegeben.165 Erlaubt die Rechtsordnung beispielsweise den Betrieb eines PKWs trotz der hiermit verbundenen generellen Gefahr von Verkehrsunfällen, so hat dieses Abwägungsresultat des Gesetzgebers bei der objektiven Zurechnung berücksichtigt zu werden und die Abwägung nicht erst dort zu erfolgen. Sowohl fahrlässige als auch vorsätzliche Erfolgsdelikte setzen einen unter Umständen selbstständig außerhalb der Strafnorm existierenden Handlungsnormverstoß voraus, der zu dem im Tatbestand vorausgesetzten Erfolg führen muss.166 Ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verhalten unterfällt demnach 161
So verfährt insb. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 60. Vgl. MüKo-StGB/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 66. 163 Roxin, ZStW 116 (2004), S. 929 (930). 164 Roxin, ZStW 116 (2004), S. 929 (932). 165 Siehe hierzu Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 213 (235 f.), ders., GA 2003, S. 719 (734); MüKo-StGB/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 1; Contreras, Normative Kriterien, S. 11. 166 Bei den fahrlässigen Begehungsdelikten wird ein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß verlangt, während beim vorsätzlichen Begehungsdelikt die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr verlangt wird. Damit knüpfen beide Deliktsformen an einen 162
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dem Recht des Bürgers auf allgemeine Handlungsfreiheit und kann somit grundsätzlich nicht strafbar sein.167 Im Rahmen der objektiven Zurechnung hat infolgedessen nicht die Entscheidung darüber gefällt zu werden, welches Verhalten verboten ist und welches nicht. Es hat ausschließlich eine Prüfung dahingehend zu erfolgen, ob eine Person einen unter Umständen vorstrafrechtlichen Handlungspflichtverstoß begangen hat und, wenn ja, ob sich der tatbestandsmäßige Erfolg einer strafrechtlichen Verursachungsnorm auf diesen Handlungsnormverstoß zurückführen lässt.168 Somit dient die objektive Zurechnung, wie Roxin darlegt, in der Tat der Umsetzung des Rechtsgüterschutzes in die Unrechtslehre. Allerdings kann die Rolle der objektiven Zurechnung weder, wie Schünemann darlegt, ausschließlich in einem rein generalpräventiven Nutzen gesehen werden noch kann die kriminalpolitische Sinnhaftigkeit in diesem Zusammenhang den Ausschlag geben. Entscheidend ist, dass durch die objektive Zurechnung gewährleistet wird, dass nur die Person bestraft wird, die das Recht in seiner besonderen und allgemeingesetzlichen Geltung in einem Maße verletzt hat, das die rechtliche Selbstständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend beeinträchtigt.169 Doch wie bereits erläutert wurde, können auf dieser Grundlage sowohl spezial- als auch generalpräventive Strafzwecke – verstanden als Nebenzwecke – ihre Wirkung entfalten. Nach dem bisher Gesagten besteht die Aufgabe der objektiven Zurechnung somit darin, die Normzwecke umzusetzen und dabei die von der Rechtsordnung gewährten Freiheitsrechte zu respektieren.170 Wird die objektive Zurechnung auf vorstrafrechtlichen Verhaltensnormverstoß an. Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 8 ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 11 Rn. 5. 167 Wegen der Akzessorietät des Strafrechts ist es ausgeschlossen, dass etwas strafbar ist, das im Übrigen rechtmäßig wäre. So LK-Walter, Vor § 13 Rn. 4; siehe auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51; Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 213 (225); Contreras, Normative Kriterien, S. 18 m.w. N. 168 Insofern ist Frisch, GA 2003, S. 719 (733) darin zuzustimmen, dass die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos keine Zurechnungsvoraussetzung ist, sondern stattdessen das tatbestandsmäßige Verhalten darstellt. Im Rahmen der objektiven Zurechnung muss allerdings die jeweils relevante missbilligte Risikoschaffung aufgegriffen werden, um dann in einen Zusammenhang mit dem entsprechenden Erfolg gesetzt werden zu können. 169 Zu dieser von Köhler, Strafrecht AT, S. 22 stammenden Formel zur Beschreibung des Verbrechens siehe bereits oben Kap. 2, C. VII. 3. a). 170 Daher kann auch der Streit darüber dahinstehen, ob die Strafbarkeit durch die objektive Zurechnung eingeschränkt, oder erst begründet wird. So gesehen handelt es sich dabei nur um eine Beschreibung aus „unterschiedlichen Blickwinkeln“. Siehe Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 42. Dient die objektive Zurechnung nämlich nach den hier vertretenden Gründen der legitimen Strafe, so begründet die Zurechnung zum einen die Strafbarkeit. Zum anderen erfüllt sie aber auch eine einschränkende Funktion hinsichtlich der für die Strafbarkeit irrelevanten Kausalverläufe. Vgl. auch NHK-StGB/ Heinrich, Vor § 13 Rn. 79.
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
diese Weise angewandt, so handelt es sich nicht um eine vom persönlichen Rechtsgefühl abhängige Verantwortungszuschreibung. So verstanden dient die objektive Zurechnung der Realisierung des Rechtsgüterschutzes, der Verwirklichung der Strafzwecke und damit der Achtung rechtlicher Freiheitssphären des Bürgers. Auf diese Weise gewährleistet die Lehre von der objektiven Zurechnung verfassungskonforme Strafurteile. 5. Übertragbarkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Ingerenz Nachdem grundsätzlich die Legitimität der Lehre von der objektiven Zurechnung aufgezeigt werden konnte, gilt es nun die Frage zu beantworten, ob sie auch zur Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz herangezogen werden kann. Im Rahmen der Begehungsdelikte dient die Feststellung der objektiven Zurechenbarkeit der Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Person gegen eine strafrechtliche Verursachungsverbotsnorm verstoßen und damit den objektiven Tatbestand einer Strafnorm verwirklicht hat. Die Unterlassungsdelikte setzen hingegen einen Verstoß gegen eine Erfolgsabwendungsgebotsnorm – die ebenfalls eine Verursachungsnorm darstellt – voraus. Bei den unechten Unterlassungsdelikten wird derjenige bestraft, der trotz einer bestehenden Rechtspflicht einen schädigenden Erfolg für ein bestimmtes Rechtsgut nicht abwendet, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.171 Die Ingerenz nimmt im Vergleich zu den übrigen Garantenstellungen einen Sonderstatus ein, da zur Begründung der Garantenstellung an ein bestimmtes Vorverhalten angeknüpft wird. Dieses Vorverhalten darf – wie bereits mehrfach betont wurde – nicht bloß in einer kausalen Herbeiführung des Erfolgs bestehen, sondern muss stattdessen eine besondere Qualität aufweisen. Die entscheidende Frage, die es zu beantworten gilt, lautet daher, welche Qualität die Vorhandlung aufweisen muss. Eine Antwort auf diese Frage muss vom Entstehungsgrund der Ingerenz abhängig gemacht werden. Wie festgestellt wurde, hat derjenige, der seine eigene Freiheitssphäre unzulässigerweise in die Sphäre eines anderen ausdehnt, hierdurch drohende Schäden abzuwenden. Ihn trifft eine besondere Verantwortung für den gefährlichen Kausalverlauf und damit mittelbar für das gefährdete Rechtsgut. Nur auf diesem Weg kann die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen in Einklang gebracht werden. Wie im Einzelnen die Abwägung der kollidierenden Freiheitsrechte zu erfolgen hat, wird durch die vorstrafrechtlichen Verhaltensnormen, bei denen es sich um freiheitssichernde Normen handelt, bestimmt. Da nicht jedes für einen Erfolg ursächliche Verhalten eine unzulässige Freiheitsentfaltung darstellt, ist demnach die erste Voraussetzung, dass das Vorverhalten, welches für die Garantenstellung aus Ingerenz als Anknüpfungspunkt dienen soll, einen vorstrafrechtlichen oder originär strafrecht171
Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27 ff., 35 ff.
B. Einschränkung zwischen Vorhandlung und Erfolg
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lichen Handlungsnormverstoß darstellt. Stellt das Vorverhalten keinen Verhaltensnormverstoß dar und ist somit eine legale Ausübung der persönlichen Handlungsfreiheit, so darf hieraus keine über die allgemeine Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB hinausgehende Erfolgsabwendungspflicht aus Ingerenz resultieren, da ansonsten die rechtlich geschützten Freiheitssphären konterkariert würden.172 In diesem Bereich sind die Anforderungen mit den im Bereich der Begehungsdelikte existierenden Anforderungen identisch.173 Liegt allerdings ein Verstoß gegen eine rechtliche Handlungsnorm vor, so muss darüber hinaus festgestellt werden, in welchem Zusammenhang dieser Verstoß mit dem schädigenden Erfolg steht. Da auch eine Erfolgsabwendungsgebotsnorm eine Verursachungsnorm darstellt, muss die Beziehung zwischen dem Handlungsnormverstoß einer Person zum Erfolg im Wege der Zurechnung erfolgen. Zum einen muss damit festgestellt werden, ob eine rechtlich zu missbilligende und damit unzulässige Ausdehnung der eigenen Freiheitssphäre in die Freiheitssphäre eines anderen vorliegt. Zum anderen muss überprüft werden, ob gerade hierdurch der eingetretene Erfolg bewirkt wurde. Damit also eine Strafbarkeit aus Ingerenz erfolgen kann, muss der Täter für die unzulässige Ausdehnung der eigenen Freiheitssphäre in die eines anderen mit der Folge eines schädigenden Erfolges verantwortlich gemacht werden. Mit anderen Worten: Der Erfolg muss ihm in Bezug auf sein Vorverhalten als Verstoß gegen die Erfolgsabwendungsgebotsnorm zugerechnet werden. Die Lehre von der objektiven Zurechnung gewährleistet demnach in gleicher Weise wie bei den Begehungsdelikten die Durchsetzung der freiheitssichernden Normzwecke. Ein besonderer Unterschied der Ingerenz zu den Begehungsdelikten besteht darin, dass die Erfolgsabwendungspflicht bereits entsteht, wenn zwar der Handlungsnormverstoß vorliegt, aber der Erfolg noch nicht eingetreten ist. Ex post betrachtet hat die Bestrafung nur dann zu erfolgen, wenn der Erfolg auch dem Vorverhalten und damit dem Täter objektiv zuzurechnen ist. Die Garantenstellung entsteht aber bereits vor dem Erfolgseintritt, so dass hierfür nicht der Verstoß gegen die Verursachungsnorm erforderlich ist. Die konkretisierte174 Erfolgsabwendungsnorm entsteht dann, wenn der Täter gegen die Handlungsnorm verstoßen hat, an die die Verursachungsverbotsnorm anknüpft.175 Wie gezeigt 172
Siehe hierzu unten Kap. 5, B. I. 2. Fn. 911. Gemeint ist bei den vorsätzlichen Begehungsdelikten die rechtliche Relevanz der Gefahr und bei den Fahrlässigkeitsdelikten die Sorgfaltspflichtverletzung. 174 In einer bestimmten Handlungssituation wandelt sich jede abstrakte Verhaltensnorm in eine konkretisierte, auf den Sachverhalt bezogene Norm um. Vgl. Kaufmann, Normentheorie, S. 139; siehe auch Mikus, Die Verhaltensnorm, S. 26. 175 Damit wird die Verursachungsnorm keineswegs unwirksam. Stattdessen wirken die nun entstandene Verursachungsgebotsnorm und die Verursachungsverbotsnorm parallel nebeneinander. Im Falle des zurechenbaren Erfolgseintritts liegt demnach ein Verstoß gegen beide Normen vor. 173
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
werden konnte, liegt der Entstehungsgrund der Ingerenz in der unzulässigen Ausdehnung der eigenen Freiheitssphäre in die eines anderen. In dem Moment, in dem also ein Handlungsnormverstoß vorliegt und hierdurch der Erfolg, vor dem die an den Handlungsnormverstoß anknüpfende Verursachungsnorm schützt, einzutreten droht, entsteht die konkretisierte Erfolgsabwendungsnorm. D.h. ab diesem Zeitpunkt hat der Täter die durch die Vorhandlung geschaffene Gefahr abzuwenden, bevor sie sich im konkreten Erfolg realisiert.176 Dies entspricht dem objektiven Gehalt des beendeten Versuchs, worauf Dencker hingewiesen hat.177 Die Garantenstellung aus Ingerenz entsteht demzufolge, wenn der Täter objektiv alles Erforderliche getan hat, damit der schädigende Erfolg ohne weiteres Zutun eintreten kann. Bei der Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Garantenstellung aus Ingerenz muss beachtet werden, dass im Rahmen der Begehungsdelikte ein wesentlicher Zweck der objektiven Zurechnung in der Gewährleistung der Realisierbarkeit des Rechtsgüterschutzes liegt. Dieser Aspekt ist für die Entstehung der Garantenstellung aus Ingerenz nachrangig, da jede noch so unvertretbare Garantenstellung auf der Seite potenzieller Opfer zu einem Gewinn an Rechtsgüterschutz führen würde. Würde man demnach jeden reinen (Mit-)Verursacher der Gefahr eines schädigenden Erfolges zu einem Garanten aus Ingerenz machen, so hätte dies selbstverständlich einen enormen Zuwachs des Rechtsgüterschutzes auf der Opferseite zur Folge. Als Kehrseite wäre hiermit aber eine unzumutbare Einschränkung der Handlungsfreiheit verbunden, die mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen wäre. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährt dem Bürger grundsätzlich eine umfassende Freiheitsgarantie.178 Der Staat darf 176 SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 13 Rn. 38 verlangen unter Zugrundelegung der Lehre von der objektiven Zurechnung für die Entstehung der Garantenstellung aus Ingerenz, dass „dem Unterlassenden auf Grund seines pflichtwidrigen Vorverhaltens die abzuwendende Gefahr objektiv zurechenbar ist und damit auch die sich aus ihr entwickelnden Rechtsgutsverletzungen objektiv zurechenbar wären“. Diese Formel liegt mit dem hier vertretenen Normenverständnis im Einklang, da eine objektiv zurechenbare Gefahrschaffung durch das pflichtwidrige Vorverhalten gerade den Verstoß gegen die von der Verursachungsnorm in Bezug genommene Handlungsnorm voraussetzt. 177 Für Dencker, in: FS Stree/Wessels, S. 159 (170 ff.) muss die Vorhandlung „alle, aber auch nur die Qualitäten aufweisen, die die objektiv tatbestandsmäßige Handlung des Begehungsdelikts aufweisen muss“. Damit deckt sich das hier vertretene Konzept in diesem Punkt mit Denckers Ansatz. Denn auch hier wird zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz ein Handlungsnormverstoß vorausgesetzt, der von einer Verursachungsnorm in Bezug genommen wird, auf der auch das gleichzeitig verwirklichte Fahrlässigkeitsdelikt basiert. Nicht gefolgt werden kann aber der These, dass sich die Strafbarkeit der unterlassenen Erfolgsabwendung nach dem objektiven Handlungsvollzug aus dem Umkehrschluss zu den Rücktrittsvoraussetzungen ergibt. Nur weil im Rahmen der Begehungsdelikte ein Rücktritt zur Straflosigkeit führt, kann hieraus im Umkehrschluss nicht gefolgert werden, dass bei unterbliebenem Rücktritt eine Strafbarkeit aus Ingerenz folgen muss. Die Rücktrittsvorschrift normiert ausschließlich einen persönlichen Strafaufhebungsgrund und wirkt nicht strafbarkeitsbegründend. 178 Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Rn. 12.
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durch das Strafrecht die Freiheit der Bürger nur dort einschränken, wo es zum Schutze der für die Gesellschaft notwendigen sozialen Gegebenheiten unerlässlich ist.179 Aus diesem Grund dient die objektive Zurechnung im Rahmen der Ingerenz primär der Verhinderung eines aus der Entstehung der Garantenstellung resultierenden gesteigerten Rechtsgüterschutzes auf Kosten der dem Bürger zustehenden Handlungsfreiheit. Es soll eben nur denjenigen die Erfolgsabwendungspflicht treffen, der eine unzulässige Ausdehnung der eigenen Freiheitssphäre in die eines anderen vorgenommen hat und dem der Erfolg über die Vorhandlung als sein Werk zugerechnet werden kann. Damit hat sich die objektive Zurechnung im Rahmen der Ingerenz ebenfalls strikt an die durch die vorstrafrechtliche Rechtsordnung vorgegebenen Freiheitsrechte zu halten. Für die Umsetzung der Strafzwecke ist die objektive Zurechnung auch im Zusammenhang mit einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun unerlässlich. Soll die Strafe die durch den Unterlassungstäter vollzogene partielle Negation des Rechts wieder aufheben und sollen hierdurch die präventiven Nebenzwecke ebenfalls ihre Wirkung entfalten, so können diese Ziele, ebenso wie bei Begehungsdelikten, nur dann erreicht werden, wenn die Strafe auch denjenigen trifft, dem der Verstoß gegen die Erfolgsabwendungsgebotsnorm als sein Werk zugerechnet werden kann. Anderenfalls würde die Strafe ihren Zweck vollkommen verfehlen und selbst Unrecht darstellen. Ein weiterer Grund für die Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung folgt unmittelbar aus § 13 Abs. 1 StGB, der zwar nicht verlangt, dass das Unterlassen dem Tun völlig gleichstehen, ihm aber entsprechen muss.180 Daher kann hinsichtlich des normativen Verhältnisses zwischen Vorhandlung und Erfolg nicht weniger verlangt werden, als dies bei dem Begehungsdelikt der Fall wäre.181 Die Gründe, die zum Ausschluss der objektiven Zurechnung beim Begehungsdelikt führen, müssen konsequenterweise damit auch den Ausschluss des Ingerenzunterlassens zur Folge haben. Ließe man für die Strafbarkeit dem Erfolg objektiv nicht zurechenbare Vorhandlungen ausreichen, so würde der Unrechtsgehalt nicht mehr dem des Begehungsdelikts entsprechen; es läge stattdessen überhaupt kein objektives Unrecht vor, das zu bestrafen wäre. Gleiches gilt aber auch im Vergleich zu den fahrlässigen Begehungsdelikten. Auch hier darf die Haftung aus vorangegangenem Tun nicht weiter reichen als die des fahrlässigen Begehungsdeliktes, da in beiden Fällen an den Verstoß gegen die gleiche Verursachungsnorm angeknüpft wird,182 wobei zu berücksichtigen ist, dass bei der Inge179
BVerfGE 39, 1 (47); 90, 145; siehe auch SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 14. Siehe dazu oben Kap. 2, C. VI. 1. 181 Vgl. auch Kindhäuser, LPK-StGB, § 13 Rn. 54. Er hält es für „wenig einsichtig“, dass dieselbe Gefahr kein Haftungsgrund für das Begehen, wohl aber für das auf denselben Erfolg bezogene Unterlassen sein soll. 182 Vgl. auch Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (562). 180
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Kap. 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz
renz zeitgleich mit dem Handlungsnormverstoß die Pflicht zur Erfolgsabwendung entsteht. Ansonsten gelten für das Verhältnis zwischen Handlungsnormverstoß und Erfolgseintritt dieselben Zurechnungsvoraussetzungen. Damit kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung eine nicht nur geeignete, sondern dogmatisch und inhaltlich stimmige Voraussetzung für die Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz darstellt.183 Da die bisherigen Ausführungen zunächst allgemeiner Natur waren und weiterhin Unklarheit darüber bestehen wird, wie sich die Anwendung der objektiven Zurechnung bei der Ingerenz auf einzelne Fallkonstellationen, insbesondere auf die Weiterungsfälle, auswirkt, soll im Folgenden auf die einzelnen Voraussetzungen der objektiven Zurechnung im Detail eingegangen werden und diese im Rahmen der hier gefundenen Ergebnisse auf die Ingerenz übertragen werden. Wie festgestellt wurde, vereint die Lehre von der objektiven Zurechnung sehr heterogene Fallgruppen. Daher sollen die drei wesentlichen Elemente, Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr, Gefahrrealisierung und Schutzzweck der Norm, einzeln dahingehend überprüft werden, inwiefern sie zur Einschränkung der Ingerenz und damit zur Lösung der Weiterungsfälle dienen können. 6. Ergänzende Hinweise zur Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Ingerenz Mit der Heranziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung als Eingrenzungsmethode für die Garantenstellung aus Ingerenz wurden die Weichen für die Lösung der Weiterungsfälle gestellt. Doch erschöpft sich der Nutzen dieses Ansatzes nicht allein im Bereich der über den freien Willen eines Dritten vermittelten Straftaten. Ausgehend von dem hier vertretenen Standpunkt lassen sich auch andere im Rahmen der Ingerenz problematische Fallkonstellationen lösen.184 Dabei soll aber nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass die Eingrenzung der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun mithilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung trotz vereinzelter Ansätze in diese Richtung in Literatur und Rechtsprechung noch am Anfang steht. Dies mag zum einen daran liegen, dass schon im Bereich der fahrlässigen sowie vorsätzlichen Begehungsdelikte die Lehre von der Erfolgszurechnung bisweilen noch weit von einer abschließenden Klärung der unterschiedlichen Problemkonstellationen entfernt ist. Zum anderen werden Probleme im Bereich der Ingerenz durch die Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung nicht gelöst, sondern lediglich verlagert. Um dies zu verdeutlichen, genügt ein Hinweis auf die Problematik der rechtlichen Relevanz
183 Man könnte die objektive Zurechnung auch als dogmatisch und inhaltlich stimmige Voraussetzung für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz bezeichnen. 184 Siehe nur die Fallgruppen, die Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (557 ff.) benennt.
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der Vorhandlung bei gerechtfertigten Handlungen.185 Eine Lösung dieser Problemkreise kann und soll an dieser Stelle nicht erfolgen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Doch soll an dieser Stelle betont werden, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung im Bereich der Ingerenz zwar durchaus mit bekannten Problemen belastet ist und sich zugleich mit in diesem Zusammenhang bestehenden neuen Schwierigkeiten konfrontiert sieht. Gleichzeitig besteht bei der hier vertretenen Methode die Möglichkeit, die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun unter Zugrundelegung eines mit den fahrlässigen sowie vorsätzlichen Begehungsdelikten im Einklang stehenden Verständnisses von Normen und objektiver Zurechnung einzugrenzen, ohne auf einzelne und zum Teil diffuse Fragmente unterschiedlicher Lösungskonzepte zurückgreifen zu müssen.
185 Wenngleich man im Rahmen der objektiven Zurechnung die Möglichkeit hätte, die Zurechnung in den Fällen der durch Notwehr gerechtfertigten Vorhandlung zu verneinen, sofern man mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip argumentiert. Vgl. dazu Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (564 f.).
Kapitel 5
Lösung der Weiterungsfälle unter Zugrundelegung der Lehre von der objektiven Zurechnung Wenn nunmehr feststeht, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung zur Eingrenzung der Ingerenz heranzuziehen ist, kann auch auf dieser Basis die Lösung der Weiterungsfälle erfolgen. Wie noch zu zeigen sein wird, stellen einige Aspekte der objektiven Zurechnung Merkmale dar, die bereits in der von der h. M. zur Einschränkung der Ingerenz vertretenen Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr enthalten sind. Daher soll ebenfalls versucht werden, das hier vertretene Konzept mit der Formel der h. M. abzugleichen.
A. Zurechnungsausschluss bei über einen fremden Willen vermittelten Kausalverläufen Wie schon zu Beginn dieser Abhandlung dargelegt wurde, stellen die Weiterungsfälle Konstellationen dar, die der Regressverbotsproblematik zugeordnet werden können. Es geht sowohl bei den fahrlässigen Begehungsdelikten als auch bei den unechten Unterlassungsdelikten infolge eines vorangegangenen Tuns um die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die fahrlässige Verursachung der freiverantwortlichen Tat eines Dritten für den Vortatbeteiligten Strafbarkeit nach sich ziehen soll. Wie dargelegt werden konnte, hat eine Garantenstellung aus Ingerenz auszuscheiden, wenn auch das Fahrlässigkeitsdelikt, das auf demselben Verursachungsnormverstoß wie das nachfolgende Ingerenzunterlassen basiert, mangels objektiver Zurechenbarkeit auszuscheiden hätte. Daher steht nunmehr fest, dass der Streitstand, der im Bereich der fahrlässigen Begehungsdelikte unter dem Begriff des Regressverbots diskutiert wird, auf die Garantenstellung aus Ingerenz übertragen werden kann. Zum Teil nehmen die im Bereich der Regressverbotsproblematik vertretenen Ansichten explizit auch zu einer der Handlung nachfolgenden Strafbarkeit aus Ingerenz Stellung. Aber auch die sich nicht explizit zu einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun äußernden Ansichten werden im Hinblick auf eine der Ersthandlung nachfolgende Unterlassungsstrafbarkeit untersucht. Denn trotz der generellen Übertragbarkeit des Streitstandes von der Fahrlässigkeitsdogmatik auf die Ingerenz haben die zu Beginn dieser Arbeit dargestellten Anmerkungen zu den ein-
A. Zurechnungsausschluss bei Kausalverläufen
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schlägigen Urteilen zeigen können, dass im Hinblick auf eine nachfolgende Unterlassungsstrafbarkeit zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen sind. Denn es besteht, wie mehrfach angemahnt wurde, prinzipiell die Möglichkeit, dass eine Bestrafung aus Ingerenz wegen derselben Handlung, die mangels Vorsatzes nicht als vorsätzliches Begehungsunrecht strafbar ist, über den Umweg der Unterlassungsstrafbarkeit letztlich doch als vorsätzliches Unrecht bestraft wird und auf diese Weise Täterschafts- und Teilnahmevorschriften umgangen werden.1 An dieser Stelle sollen nicht alle Aspekte der Regressverbotsproblematik diskutiert werden. So wurde die Ansicht, die in den Regressverbotsfällen die Kausalität verneint, bereits an anderer Stelle verworfen.2 Andere Ansichten wiederum beschäftigen sich unter dem Begriff des Regressverbots vorwiegend mit rechtlich neutralen Handlungen.3 Da es der vorliegenden Arbeit um die Lösung der Weiterungsfälle geht, in denen durch die Vortat, unabhängig von der Weiterungstat, regelmäßig ein Straftatbestand verwirklicht wird, sollen diese Meinungen außer Acht gelassen werden. Stattdessen werden nur solche Ansichten dargestellt und einer kritischen Prüfung unterzogen, die bei rechtlich missbilligten Vorhandlungen einen Zurechnungsausschluss problematisieren.
I. Autonomie als Grund für einen Zurechnungsausschluss 1. Die Ansicht von Jürgen Welp Welp vertritt einen extremen Standpunkt und spricht sich in den einschlägigen Fallkonstellationen für ein striktes Regressverbot aus. Er hebt den besonderen Stellenwert der Eigenverantwortlichkeit bei über den fremden Willen einer freien Person vermittelten Kausalverläufen im unmittelbaren Kontext mit der Garantenstellung aus Ingerenz hervor.4 Für ihn sind „unmittelbar determinierendes Bewirken realer Außenweltsveränderungen und motivierende Beeinflussung fremder Freiheit (. . .) strukturell verschiedene Modi menschlicher Wirkungsmöglichkeiten“.5 Wenn der Zweithandelnde demnach „frei – d.h. gegenwärtig: vorsätzlich voll deliktisch – handelt, erweist sich das an ihn herangetragene Motiv als bloße Versuchung und damit als ein vom unmittelbaren Bewirken verschiedener Gegenstand“.6 Für Welp lassen sich keine Sorgfaltsmaßstäbe entwickeln, an denen Personen ihr Tun ausrichten können, um eine „bewusst rechtsfeindliche Motivierung des 1
Siehe dazu oben Kap. 1, C. V. Siehe oben Kap. 4, A. 3 Ausf. zu der Problematik Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (186 ff.); siehe auch Block, Atypische Kausalverläufe, S. 111 ff. 4 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 275. 5 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 285. 6 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 285. 2
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anderen zu vermeiden“. Denn letztlich hänge es ohnehin vom Zufall ab, ob irgendeine Handlung von einer anderen Person zum Anlass einer Straftat genommen werde. Dabei räumt er aber selbst ein, dass die Möglichkeit eines fremden Entschlusses zu schädigendem Verhalten im Grad der Wahrscheinlichkeit durchaus variieren könne. Trotz dieser Unterschiede ist für Welp die Eigenverantwortlichkeit eine unüberwindbare Barriere, die den Vortatbeteiligten von der Haftung ausschließt. Da der andere „frei ist, das an ihn herangetragene Motiv zurückzuweisen, steht er seinem Versucher als unabhängiges und selbstständiges Rechtssubjekt gegenüber“. Aus diesem Grund bilde die „Sphäre seiner Freiheit“ einen „Verantwortungsbereich (. . .), der für alle Außenstehenden ,fremd‘ ist“.7 Für Welp ist daher die unvorsätzliche Beeinflussung fremder Freiheit, unabhängig davon, ob die Tat ein erlaubtes Risiko darstellt oder aber rechtlich missbilligt ist, im Hinblick auf den nachfolgenden Erfolg unter allen denkbaren Umständen „sozialadäquat“. 8 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz mit der Folge einer Unterlassungsstrafbarkeit soll nur dann gelten, wenn durch die Vorhandlung eine Schutzvorkehrung des Opfers ausgeschaltet wurde. So z. B. wenn durch die Vorhandlung die Schutzfunktion eines Garanten ausgeschaltet wird oder das Opfer dem Zugriffsbereich unbeteiligter hilfsbereiter Dritter entzogen wird.9 2. Die Ansicht von Katja Diel Ähnlich wie Welp sieht auch Diel in der Freiheit des Dritten den entscheidenden Grund für den Ausschluss der Zurechnung und vertritt auf dieser Grundlage ein striktes Regressverbot. Ein Mensch kann ihr zufolge nur dann für einen Schaden objektiv haftbar gemacht werden, wenn er „im Rahmen der Ausübung menschlicher Freiheit und Selbstbestimmtheit einen Schaden herbeiführt“.10 Die Selbstbestimmungsfähigkeit ende demnach dort, „wo der Wille im Sinne von Ausübung menschlicher Freiheit eines dazwischentretenden voll verantwortlichen Dritten beginnt“.11 Diel begründet dieses Ergebnis mit der mangelnden Herrschaft des Ersten über das freiverantwortliche Handeln des Dritten.12 Demnach soll „der Ersthandelnde nur dann für einen Schaden zur Verantwortung gezogen werden, wenn das Geschehen von seinem Willen beherrschbar ist“.13 Diel gelangt zu dem Ergebnis, dass der Ersthandelnde das voll verantwortliche Handeln 7
Welp, Vorangegangenes Tun, S. 285. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 286. 9 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 294 ff. 10 Diel, Das Regreßverbot, S. 310. 11 Diel, Das Regreßverbot, S. 310 f. 12 Hierbei handelt es sich um ein Kriterium, das in der Vergangenheit schon von einigen Autoren herangezogen, aber sehr unterschiedlich definiert wurde. Siehe nur Mayer, Strafrecht, S. 133 ff.; Naucke, ZStW 76 (1964), S. 409 (427 ff.). 13 Diel, Das Regreßverbot, S. 310 f. 8
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eines dazwischentretenden Dritten nicht beherrschen könne und daher dessen Haftung abzulehnen sei.14 Zudem hält sie die Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte für anwendbar. Zur Begründung dieses Ergebnisses führt Diel den geringeren Unrechtsgehalt sowie das geringere Strafmaß der Fahrlässigkeitsdelikte gegenüber den Vorsatzdelikten an. Die Grenzen der Strafbarkeit müssen demnach im Wege eines „Erst-recht-Schlusses“ bei den Fahrlässigkeitsdelikten sogar enger als bei den vorsätzlichen Delikten gezogen werden, so dass eine einschränkende Heranziehung der Beteiligungsvorschriften in diesem Bereich zwingend geboten sei.15 Darüber hinaus sieht sie in der Haftung des Ersttäters eine Kollision mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG.16 Da die in der Literatur vorgeschlagenen Kriterien für die Strafbarkeit meist vage bleiben, sei der Bürger nicht dazu in der Lage, die Grenzen der Strafbarkeit vorherzusehen und danach sein Verhalten auszurichten.17 Diel stellt daher abschließend fest, dass „nur ein generelles Regreßverbot die Lösung für eine rechtssichere Handhabung der Regreßverbotsfälle gewährleisten und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes gerecht werden kann“.18 3. Die Ansicht von Jörg Eisele Für Eisele steht das Verantwortungsprinzip der Zurechnung der durch den unmittelbaren Schädiger entstandenen Rechtsgutsverletzungen zum Mitverursacher entgegen, da „jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf einzurichten hat, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber – weil dies nämlich in deren eigene ,Zuständigkeit‘ fällt – auch darauf, dass andere dies nicht tun“.19 Von der Zurechnung ausgeschlossen ist auch eine Handlung, die gegen ein „besonderes Verbot verstoßen hat, das gerade den Sinn hat, das rechtsgutsverletzende Fehlverhalten des Vordermanns zu verhindern“.20 Für Eisele macht es unter dem Gesichtspunkt des Verantwortungsprinzips keinen Unterschied, ob „das mittelbar geschaffene Risiko in einer Selbst- oder Dritt-
14
Diel, Das Regreßverbot, S. 310. Diel, Das Regreßverbot, S. 319 ff. 16 Diel, Das Regreßverbot, S. 208, 224 f., 267 ff. 17 Diel, Das Regreßverbot, S. 224 f. 18 Diel, Das Regreßverbot, S. 270 f. 19 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101; dem hat sich explizit das OLG Rostock NStZ 2001, 199 (200) angeschlossen. 20 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101a. 15
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gefährdung“ 21 besteht. Denn letztlich schließe in beiden Fällen das übergeordnete Verantwortungsprinzip die Zurechnung sowohl in den Selbst- als auch den Drittschädigungsfällen aus und hänge nicht zwangsläufig von gesetzessystematischen Erwägungen wie beispielsweise der Straflosigkeit der Teilnahme an einer freiverantwortlichen Selbstverletzung ab.22 Eine Ausnahme möchte Eisele aber dann machen, wenn wie im BtMG der Schutzzweck der Verhaltensnorm „eine Einschränkung des Prinzips der Selbstverantwortung und somit der Grundsätze zur bewussten Selbstgefährdung verlangt“.23 Von seinem Ansatz aus konsequent will Eisele in den Fällen der mittelbar verursachten Erfolge auch eine Garantenstellung aus Ingerenz entfallen lassen, falls nach der Vorhandlung noch die Möglichkeit zur Abwendung der Rechtsgutsverletzung besteht, und lehnt damit im Ergebnis auch eine Zurechnung in den Weiterungsfällen ab.24 4. Die Ansicht von Joachim Renzikowski Auch Renzikowski gehört zu den Anhängern einer strikten Regressverbotslehre. Er beruft sich ausdrücklich auf Otto und Welp und möchte die Zurechnung für den Mitverursacher des schädigenden Erfolges dann ausschließen, wenn die Tat einem eigenverantwortlich handelnden Dritten zugerechnet wird. Es sei unerheblich, ob der Dritte tatgeneigt war oder ob konkrete Anhaltspunkte die Weiterungstat nahelegen.25 Renzikowski möchte sogar dann die Zurechnung ausschließen, wenn der Ersthandelnde gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die auch dem Zweck dient, die Straftaten Dritter in der konkreten Art und Weise zu verhindern.26 Zur Begründung seiner These wendet er die Täterschafts- und Teilnahmevorschriften der Begehungsdelikte auch auf den Bereich der fahrlässigen Deliktsbegehung an.27 Überdies lehnt Renzikowski in den Fällen einer über den freien Willen eines Dritten erfolgten Rechtsgutsverletzung eine Garantenstellung aus Ingerenz ausdrücklich ab.28 Die Ersthandlung stelle eine (fahrlässige) Teilnahme dar, die ohnehin nicht zu einer Garantenstellung aus Ingerenz führen dürfe. Er begründet seine Ansicht damit, dass im Falle der Annahme einer Garantenstellung aus Inge21 22 23 24 25 26 27 28
Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101. Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101. Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101a. Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101a. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 262 f. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 262 ff. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 262 ff., 300 f. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 142.
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renz bei Weiterungstaten die „Unterlassungsdogmatik die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach den §§ 25 ff. StGB überspielen“ würde.29
II. Differenzierende Ansichten 1. Die Ansicht von Harro Otto Der Begriff der „Steuerbarkeit“ bildet für Otto das entscheidende Kriterium für die Zurechnung eines schädigenden Erfolges zu einer Person.30 Der Täter sei demnach „verantwortlich für das Geschehen, das seiner Steuerung unterliegt“.31 Die Steuerbarkeit entfalle bei demjenigen, der eine Ausgangsgefahr geschaffen habe, die aber durch eine neue, von einem Dritten geschaffene Gefahr mit der Folge verdrängt werde, so dass dem Ersthandelnden die Folge nicht mehr zugerechnet werden könne. Dabei versteht Otto den Begriff der Steuerbarkeit normativ und nicht faktisch. Denn steuern könne man das Geschehen auch bei physisch vermittelten Verläufen ohnehin nicht bis zum Erfolgseintritt.32 Otto geht von dem Grundsatz aus, dass „jede Person nur für ihr eigenes Verhalten verantwortlich ist und nicht für das Verhalten freiverantwortlich handelnder Dritter“ 33 und befindet sich damit auf derselben Linie mit den Autoren, die aus dem Verantwortungsprinzip ein Regressverbot ableiten wollen. Er leitet hieraus aber kein absolutes Regressverbot ab, da er bestreitet, dass die „täterschaftliche Verantwortungszuweisung für ein Geschehen allein an den letzten Akt eines freiverantwortlich rechtswidrig Handelnden in einem auf mehrere Bedingungen zurückgehenden Geschehensablauf anknüpfen kann“.34 Otto bezweifelt zudem, dass die für die vorsätzlichen Begehungsdelikte geltenden Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme auch im Bereich der Fahrlässigkeit benötigt würden.35 Daher könne sich in Fällen, in denen eine Sorgfaltspflicht gerade darin besteht, keine Ursachen zu setzen, an die ein anderer freiverantwortlich anknüpfen kann, um einen schädigenden Erfolg herbeizuführen, durchaus auch die Ausgangsgefahr im Erfolg realisieren. Entscheidend ist somit für ihn, ob das Verbot vor den sich daran anknüpfenden Taten eines Dritten schützen
29 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 264 unter Verweis auf Neumann, JR 1993, S. 159 (161 f.). 30 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (497), ders., in: GS Schlüchter, S. 77 (92). 31 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (497). 32 Otto, in: FS Spendel, S. 271 (277) unter Verweis auf Stratenwerth, in: FS Gallas, S. 227 (238); MüKo-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 246 macht darauf aufmerksam, dass die Steuerbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte nicht vorausgesetzt wird. 33 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (498); ders., in: FS Spendel, S. 271 (278). 34 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (499). 35 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (500).
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wollte.36 Er führt daher aus: „Wo die Sorgfaltspflicht nämlich gerade darauf gerichtet ist, die Begründung von Gefahren zu vermeiden, die sich erst durch ein weiteres Anknüpfungsgeschehen realisieren können, verwirklicht sich in der Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht nur die Realisierung der durch den Anknüpfungstäter begründeten Gefahr, sondern zugleich – auch – die sorgfaltswidrig durch den Ersttäter begründete Ausgangsgefahr“.37 Den Gedanken des Schutzzwecks der Norm hält Otto hingegen nur dort für praktikabel, wo auch ein bestimmter Schutzzweck der jeweils in Betracht kommenden Verbotsnorm klar bestimmt werden könne.38 2. Die Ansicht von Walter Stree und Nikolaus Bosch Stree vertritt ebenfalls einen differenzierenden Standpunkt, dem sich nunmehr auch Bosch angeschlossen hat. Stree und Bosch halten grundsätzlich eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun auch bei den Weiterungsfällen für möglich. Entfallen soll die Garantenstellung des Ersthandelnden aber dann, wenn „wegen der Verantwortung des Handelnden für das eigentliche Geschehen die unmittelbare Gefahr dem Hintermann nicht zurechenbar ist“.39 Dabei sei „natürlich darauf zu achten, dass die Pflichtwidrigkeit den Bereich einer Norm zum Schutz des in Gefahr geratenen Rechtsguts berührt“.40 Speziell im Bereich der Weiterungstaten wollen Stree/Bosch aber keine Garantenstellung aus Ingerenz annehmen. So soll insbesondere dann keine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun bestehen, wenn ein Komplize im Wege eines Exzesses weitere Straftaten begeht, die nicht vom gemeinsamen Tatentschluss umfasst sind. In Anlehnung an den Festschriftbeitrag Strees wird der Rechtsprechung vorgeworfen, sie neige dazu, „über Ingerenz trotz eigenverantwortlichem Handeln des ,Komplizen‘ eine nicht bestehende Tatverantwortung zu konstruieren, insbesondere wenn sich ein mittäterschaftliches Zusammenwirken nicht nachweisen lässt“.41 Demnach sei derjenige, der das Opfer bewusstlos schlägt, „nicht deshalb Garant für dessen Rechtsgüter, die ein anderer während der Zeit angreift, in der das Opfer seine Güter nicht schützen kann“.42
36 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (501); siehe auch ders., in: FS Spendel, S. 271 (279), der diesen Aspekt der „Abgrenzung von Verantwortungsbereichen“ zuschreibt. 37 Otto, in: FS Lampe, S. 491 (500). 38 Vgl. Otto, in: FS Spendel, S. 271 (279). 39 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a. 40 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a; Stree, in: FS Klug, S. 395 (399). 41 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a. 42 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a.
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3. Die Ansicht von Claus Roxin Roxin beschäftigt sich ebenfalls ausführlich mit der Regressverbotsproblematik und setzt sich in diesem Zusammenhang mit verschiedenen Lösungskonzepten auseinander. Ihm zufolge müsse in den meisten Fällen, die der Regressverbotsproblematik zugeordnet werden, ohnehin die Erfolgszurechnung mangels rechtlich relevanter Gefahrschaffung ausscheiden, da sie nur einen Fall des erlaubten Risikos darstellen.43 Daher widmet sich Roxin insbesondere der im Rahmen dieser Arbeit ausgeklammerten Frage, unter welchen Voraussetzungen nicht mehr von einem erlaubten Risiko gesprochen werden kann. Generell – auch außerhalb der Fälle des vermeintlich erlaubten Risikos – möchte Roxin, statt auf einzelne in der Literatur zur Bewältigung der Regressverbotsproblematik vorgeschlagene Lösungskriterien zurückzugreifen, die Lehre von der objektiven Zurechnung als Gesamtkonzept anwenden. Entscheidend sei nach seiner Ansicht, dass „sich im Erfolg eine vom Täter geschaffene unerlaubte Gefahr verwirklicht“ und dass „die Verhinderung eines Erfolges wie des eingetretenen vom Schutzzweck des Tatbestandes“ erfasst wird.44 4. Die Ansicht von Hans-Joachim Rudolphi Einen differenzierenden Ansatz, der sich mit dem Einfluss der Regressverbotsproblematik auf das Ingerenzunterlassen beschäftigt, hat Rudolphi entwickelt. Er wendet sich gegen die Ansichten, die ein generelles Regressverbot als Grund für den Ausschluss der Zurechnung befürworten und weist ausdrücklich darauf hin, dass die Entscheidung, ob in den Regressverbotsfällen ein Zurechnungsausschluss angenommen werden kann, nicht von den Teilnahmevorschriften der §§ 26, 27 StGB abhängig gemacht werden dürfe.45 Diese gelten nur für vorsätzliche Delikte und seien für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit irrelevant.46 Für Rudolphi ist allein entscheidend, „ob der Hintermann mit seinem Verhalten in pflichtwidriger Weise die Gefahr der Erfolgsherbeiführung durch eine fremde Vorsatztat geschaffen und ob diese sich schließlich in dem Erfolgseintritt realisiert hat“.47 Maßgebend ist, ob „der Ersttäter nach dem jeweils in Betracht kommenden Fahrlässigkeitstatbestand verpflichtet war, Handlungen zu unterlassen, die eine vorsätzliche Straftat ermöglichen oder fördern“.48 Dieser Nachweis gelänge aller43
Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (186 f.). Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (185). 45 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 72; einer Lösung über die Lehre von der objektiven Zurechnung noch ablehnend gegenüberstehend ders., Die Gleichstellungsproblematik, S. 135. 46 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 72. 47 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 72. 48 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 72; ders., Die Gleichstellungsproblematik, S. 135. 44
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dings nur, wenn eine „Analyse der in den einzelnen besonderen Straftatbeständen enthaltenen Pflichtanforderungen“ vorgenommen werde.49 Rudolphi beantwortet die der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegende Frage, ob im Falle eines vorsätzlichen Dazwischentretens eines Dritten auch denjenigen eine Garantenstellung aus Ingerenz treffen soll, der die Verletzung durch den Dritten mitverursacht und sie trotz einer bestehenden Möglichkeit zur Erfolgsabwendung nicht verhindert hat. Es spreche ihm zufolge bei der Begehungstäterschaft des Dritten nichts gegen eine daneben tretende Strafbarkeit des Ersthandelnden, da die Unterlassungsstrafbarkeit von „anderen Kriterien“ abhänge. Denn bei den Unterlassungsdelikten erfolge „die Zurechnung der Rechtsgutsverletzung allein auf Grund der Möglichkeit und der Pflicht, den Eintritt der Rechtsgutsverletzung zu hindern“.50 Die zentrale Voraussetzung für eine Garantenstellung bildet für Rudolphi die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung auch in den Regressverbotsfällen. Gemeint ist damit aber nicht irgendeine Pflichtwidrigkeit, sondern eine Verletzung solcher Pflichten, „deren Sinn und Zweck es ist, die von dem Unterlassenden durch seine Vorhandlung ausgelösten Gefahren zum Schutze des gefährdeten Rechtsgutes zu vermeiden. Erforderlich ist daher stets, daß die von dem Unterlassenden zu bekämpfende Gefahr im Schutzbereich der von ihm durch die Vorhandlung verletzten Sorgfaltspflicht liegt“.51
III. Kritik an den vorgestellten Ansichten Grundsätzlich ist, insbesondere auf der Grundlage der hier zu Grunde gelegten freiheitlichen Rechtsauffassung, an der Annahme eines Autonomieprinzips nichts auszusetzen, soweit man hierunter versteht, dass primär nur derjenige haftbar gemacht werden dürfe, der die Rechtsgutsverletzung unmittelbar herbeigeführt hat. Jeden trifft zunächst einmal nur die Pflicht, durch das eigene Verhalten Rechtsgüter nicht zu verletzen.52 Ohne besonderen Verpflichtungsgrund müssen daher Organisationsbereiche Dritter nicht überwacht werden. Demzufolge lässt sich den Handlungen beliebiger dritter Personen, die lediglich mitursächlich für den Erfolgseintritt geworden sind, der Erfolg nicht ohne Weiteres zurechnen. Dieser Grundsatz soll hier auch nicht bezweifelt werden, geht es doch im Rahmen der objektiven Zurechnung darum, einer ganz bestimmten Person einen konkreten Erfolg als ihr Werk zuzurechnen. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob in bestimmten Konstellationen neben dem Zweithandelnden, der an die Ersthandlung angeknüpft und den Erfolg freiverantwortlich und unmittelbar verwirklicht hat, nicht trotzdem auch der Ersthandelnde haften kann.53 49 50 51 52
Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 135. Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik, S. 136. SK-StGB/Rudolphi, (7. Auflage), § 13 Rn. 39a. Vgl. Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 101 f.
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Wenn Otto und Diel an Begriffe wie die Beherrschbarkeit oder die Steuerbarkeit anknüpfen, so kommen sofort Zweifel auf, was mit diesen Begriffen überhaupt gemeint sein soll.54 Die Begriffe klingen zunächst nach einer faktischen Betrachtungsweise. Aber rein faktisch definiert sind sie untauglich, weil sowohl in Fällen psychisch als auch physisch vermittelter Kausalverläufe Konstellationen denkbar sind, in denen der Ersthandelnde den Verlauf beherrschen bzw. steuern kann oder aber eben gerade keinerlei faktische Einflussmöglichkeit besitzt.55 Aber auch das von den Autoren zu Grunde gelegte normative Verständnis dieser Begriffe vermag deren Bedeutung nicht vollständig zu erklären.56 Otto macht die Steuerbarkeit davon abhängig, ob sich ein „eigenständiges Risiko“ 57 des Zweithandelnden verwirklicht habe oder ob die Zweithandlung eine typische Gefahrrealisierung der Ausgangsgefahr durch den Ersthandelnden darstelle. Auch Diel versteht das Kriterium der Beherrschbarkeit normativ und macht es davon abhängig, ob die Zweithandlung voll verantwortlich begangen wurde, so dass das Eigenverantwortlichkeitsprinzip die Beherrschbarkeit ausschließe. Zwar verdienen die Bestrebungen der Autoren, normative Zurechnungskriterien für die Regressverbotsproblematik zu entwickeln, grundsätzlich Beifall. Allerdings werden die wertenden Kriterien für und gegen die Zurechenbarkeit durch die Begriffe der Steuerbarkeit und der Beherrschbarkeit nicht zureichend beschrieben, sondern stattdessen sogar verschleiert.58 Es kann daher nur richtig sein, die einzelnen Kriterien der Zurechnung herauszuarbeiten, statt den zum Scheitern verurteilten Versuch zu unternehmen, alle Zurechnungsaspekte unter einem Begriff zusammenzufassen, der ohnehin eher den Eindruck einer faktischen Betrachtungsweise erweckt. Die Behauptung Diels, die Strafbarkeit des Ersthandelnden aus einem Fahrlässigkeitsdelikt zu ahnden, wenn ein anderer den Erfolg freiverantwortlich herbeiführt, stelle einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz dar, kann ebenfalls nicht überzeugen. Da die Fahrlässigkeitsdelikte alle an zum Teil ungeschriebene Sorgfaltspflichten anknüpfen, müsste Diel konsequenterweise die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit insgesamt als verfassungswidrig verwerfen.59 Wie bereits ausführlich 53
Vgl. auch Schmoller, in: FS Triffterer, S. 223 (244). Kritisch hierzu Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (181 f.); NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 246; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 11 Rn. 38 ff.; Caro John, Das erlaubte Kausieren, S. 34; zust. hingegen Hilgendorf, in: FS Weber, S. 33 (46). 55 Siehe hierzu Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 61; Block, Atypische Kausalverläufe, S. 106 f., 106 Fn. 286; vgl. auch Caro John, Das erlaubte Kausieren, S. 34; so selbst auch Otto, in: FS Spendel, S. 271 (277). 56 So auch Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92. 57 Otto, in: FS Spendel, S. 271 (277). 58 Das zeigt sich insbesondere daran, dass die Autoren, die den Begriff der Beherrschbarkeit verwenden, hiermit ganz unterschiedliche Bedeutungen verbinden. Siehe dazu nur die Darstellung von Diel, Das Regreßverbot, S. 297 ff. 59 So auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 209. 54
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dargelegt wurde, kann die Rechtsprechung auf Grund eines speziell an sie gerichteten Auftrags zur Bestimmtheit der Norm beitragen.60 Dies gilt sowohl im Bereich unmittelbar verursachter Schäden als auch im Bereich mittelbar über den freien Willen eines Dritten bewirkter Schäden.61 Welps Behauptung, ein Verhalten, das mittelbar über den freien Willen eines Dritten Schäden verursacht, sei stets sozialadäquat, klingt zunächst missverständlich. In den Weiterungsfällen stellen die Vorhandlungen ohnehin eigenständige Straftaten dar. Daher muss Welps Aussage dahingehend verstanden werden, dass er die Sozialadäquanz der Handlung im Hinblick auf die Weiterungstat annimmt. Aber warum die Handlung im Hinblick auf den weitergehenden Erfolg strafrechtlich irrelevant sein soll, vermag Welp nicht ausreichend zu erklären.62 Es spricht viel dafür, dass ab einem gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit der Schädigung durch den Dritten die Ersthandlung einen Verstoß gegen eine schon aus der Verursachungsnorm teleologisch ableitbare Handlungsnorm darstellt.63 Zwar ist ihm darin Recht zu geben, dass sich Schadensverläufe, die über den freien Willen eines Dritten vermittelt werden, von rein physisch vermittelten Rechtsgutsverletzungen strukturell unterscheiden. Mit der Verschiedenheit allein lässt sich aber kein generelles Regressverbot begründen. Es verwundert auch, dass Welp eine Ausnahme von seinem eigenen Grundsatz macht und eine Garantenstellung aus Ingerenz annehmen will, wenn eine Schutzvorkehrung des Opfers ausgeschaltet wurde. Wenn man konsequent das Autonomieprinzip als undurchdringbare Zurechnungsbarriere zum Ersthandelnden sieht, müsste dies auch für diesen Fall gelten.64 Indem Welp und Eisele die Dritt- mit den Selbstschädigungsfällen gleichsetzen, verkennen sie, dass in den Fällen der eigenverantwortlichen Selbstverletzung nicht etwa ein über allen Fallgruppen stehendes und nicht näher definiertes Verantwortungs- bzw. Autonomieprinzip, sondern gesetzessystematische Argumente gegen die Zurechnung sprechen. Entscheidend für die Straflosigkeit der fahrlässig verursachten Selbstverletzung ist der Erst-recht-Schluss, der aus dem systematischen Vergleich mit der allgemein anerkannten Straflosigkeit der vorsätzlichen Teilnahme an einer freiverantwortlichen Selbstschädigung resul60
Siehe dazu oben Kap. 2, C. V. Siehe dazu oben Kap. 2, C. V. 62 Vgl. auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (180). 63 Sie dazu oben Kap. 4, B. III. 4. a); vgl. auch Schmoller, in: FS Triffterer, S. 223 (244); siehe auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (180), der die fahrlässige Förderung einer Vorsatztat als unerlaubte Gefahrschaffung ansieht. Dass die fahrlässige Verursachung einer fremden Tat sozialadäquat sei, bestreitet auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 203, der jedoch selbst in den Weiterungsfällen ein striktes Regressverbot vertritt. 64 So auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 203 f.; Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (180 f.); Sutschet, Die Erfolgszurechnung, S. 229. 61
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tiert.65 Dieses Argument lässt sich jedoch nicht auf die Drittschädigungsfälle übertragen.66 Doch auch die Ansicht von Renzikowski, der Selbst- und Drittschädigungsfälle nicht gleich behandelt und bei letzterer Fallgruppe einen generellen Zurechnungsausschluss auf die Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme zu stützen versucht, kann nicht überzeugen. Im Bereich der vorsätzlichen Begehungsdelikte existieren mit den Täterschafts- und Teilnahmevorschriften spezielle gesetzliche Regelungen, anhand derer entschieden werden muss, ob ein nur mittelbarer Verursacher einer Rechtsgutsverletzung haftbar gemacht werden kann. Denn Täter eines vorsätzlichen Begehungsdelikts ist grundsätzlich nur der unmittelbare Verursacher des tatbestandlichen Erfolgs. Daneben sieht das Gesetz nur noch den Mittäter vor.67 Im Bereich der mittelbaren Täterschaft verlangt das StGB ebenfalls besondere Voraussetzungen, damit der Hintermann haftbar gemacht werden kann.68 Dieses differenzierte Beteiligungssystem existiert bei den fahrlässigen Delikten nicht.69 Die Täterschafts- und Teilnahmevorschriften lassen sich nach überwiegender Ansicht auch nicht auf die fahrlässigen Delikte übertragen, da sie exklusiv auf die Vorsatzdelikte zugeschnitten sind.70 Auch würde die von der h. L. vorgenommene Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand der Tatherrschaft im Bereich der fahrlässigen Begehungsdelikte wenig Sinn ergeben.71 Im Gegensatz zu den vorsätzlichen Begehungsdelikten hat der Täter eines fahrlässigen Begehungsdelikts nicht das „Ob“ und „Wie“ der Tat in Händen zu halten; er muss nicht die „Zentralgestalt“ des Geschehens sein.72 Damit soll gewiss nicht behauptet werden, dass im Bereich der Fahrlässigkeit ein extensiver Täterbegriff zu befürworten wäre, der in diesem Zusammenhang bloße Kausalität einer sorgfaltswidrigen Handlung genügen lasse.73 Stattdessen muss eine normative Zurechnung der Ersthandlung zum Erfolg der Weiterungstat unabhängig von 65 Siehe dazu Frisch, JuS 2011, S. 116 (119). Dieser systematische Zusammenhang gibt Aufschluss sowohl über den Schutzzweck des Tatbestandes als auch über den Schutzzweck der Handlungsnorm, die von der in dem Tatbestand enthaltenen Verursachungsnorm in Bezug genommen wird. 66 Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (180); siehe auch Schmoller, in: FS Triffterer, S. 223 (244). 67 Diskutiert wird auch die Figur des Täters hinter dem Täter im Rahmen der mittelbaren Täterschaft. Siehe dazu Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 72 ff. 68 Zur mittelbaren Täterschaft siehe Kindhäuser, LPK-StGB, § 25 Rn. 7 ff. 69 LK-Roxin, (11. Aufl.), § 25 Rn. 217; Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 112; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 38 Rn. 55; Otto, JuS 1974, S. 702 (704 f.). 70 So aber insb. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 67 ff., 261 f.; vgl. auch Sutschet, Die Erfolgszurechnung, S. 210 f. 71 Zur Tatherrschaftslehre ausf. Roxin, Strafrecht AT II, § 25 Rn. 10 ff.; zur Entwicklung der Tatherrschaftslehre siehe MüKo-StGB/Joecks, § 25 Rn. 9 ff. 72 Vgl. Otto, JuS 1974, S. 702 (705); Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (183). 73 Vgl. auch Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 112; auf die ohnehin missverständliche Terminologie weist zu Recht NK-StGB/Schild, § 25 Rn. 22 hin.
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
den Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme erfolgen.74 Jedenfalls lässt sich ein genereller Zurechnungsausschluss des Ersthandelnden in Drittschädigungsfällen nicht aus den §§ 25 ff. StGB ableiten. Daher sind die Ansichten, die die Zurechnung zum Ersthandelnden auf Grundlage eines sowohl für die Dritt- als auch für die Selbstschädigungsfälle geltenden Autonomie- bzw. Verantwortungsprinzip generell ausschließen wollen, abzulehnen. Sie bleiben eine überzeugende Begründung schuldig, warum aus einem allgemeinen Autonomie- oder Verantwortungsprinzip jedwede Zurechnung zum Ersthandelnden ausgeschlossen sein soll. Mit der mangelnden Beherrschbarkeit oder Steuerbarkeit des Kausalverlaufs lässt sich ein striktes Regressverbot ebenso wenig begründen wie durch eine Anwendung der Beteiligungsvorschriften auf die Fahrlässigkeitsdelikte. Auch wenn das fahrlässige Begehungsdelikt und das Ingerenzunterlassen an denselben Verursachungsnormverstoß anknüpfen und daher das bisher Gesagte grundsätzlich auch für die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun gilt, müssen die Besonderheiten beachtet werden, die eine nachfolgende Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt mit sich bringt. Zu Recht weisen Stree und Bosch in diesem Zusammenhang daraufhin hin, dass eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht dazu dienen darf, die Täterschaftsund Teilnahmevorschriften zu umgehen, und daher in bestimmten Fallkonstellationen illegitim sei.75 Grundsätzliche Bedenken gegen die Strafbarkeit einer Person aus einem unechten Unterlassungsdelikt neben einer anderen freiverantwortlich handelnden Person bestehen zwar nicht. Niemand wird ernsthaft die Garantenstellung der Mutter, die tatenlos dabei zusieht, wie ein anderer ihr Kind misshandelt, in Frage stellen. Daher kann neben dem Begehungsunrecht durchaus auch das unechte Unterlassungsdelikt einer anderen Person hinsichtlich desselben Erfolges verwirklicht sein. Die Garantenstellung aus Ingerenz knüpft aber im Gegensatz zu den anderen Garantenstellungen an eine bestimmte Vorhandlung an, die isoliert betrachtet hinsichtlich des in Frage stehenden Erfolges mangels Vorsatzes straflos bleiben würde. Es besteht also die Möglichkeit, dass über den Umweg der Ingerenz eine Handlung als täterschaftliches Unrecht bestraft wird, die ansonsten straflos bliebe, sofern die weiteren Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts erfüllt sind.76 Es wurde bereits mehrfach betont, dass die Entstehung einer Erfolgsabwendungspflicht die unzulässige Ausdehnung der eigenen Freiheitssphäre in die eines anderen voraussetzt. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass eben diese Aus-
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Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 7. Siehe dazu schon oben Kap. 1, C. V. 76 Zu der Beteiligungsform bei den unechten Unterlassungsdelikten siehe unten Kap. 5, E. 75
A. Zurechnungsausschluss bei Kausalverläufen
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dehnung einen objektiv zurechenbaren Verstoß gegen eine Handlungsnorm darstellt, die von einer zur Begründung der Ingerenz notwendigen Verursachungsnorm in Bezug genommen wird. Hierin muss auch bei über den Willen eines Dritten vermittelten Kausalverläufen nicht zwangsläufig eine Kollision mit den Beteiligungsvorschriften liegen. Denn das Ingerenzunterlassen stellt ein Pflichtdelikt dar, das gem. § 13 Abs. 1 StGB einen vorsätzlichen Verstoß gegen eine bestehende Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung voraussetzt.77 Es konnte dargelegt werden, dass eine Erfolgsabwendungsgebotsnorm und damit die Garantenpflicht entsteht, wenn der Täter durch die Vorhandlung gegen die von der konkreten Verursachungsverbotsnorm in Bezug genommene Handlungsverbotsnorm verstoßen hat. Liegt ein zurechenbarer Verstoß gegen die Erfolgsabwendungsgebotsnorm, die durch den zurechenbaren Verstoß gegen eine Handlungsverbotsnorm entsteht, vor, so handelt es sich grundsätzlich nicht um eine Umgehung der Beteiligungsvorschriften, sondern um legitimes Ingerenzunterlassen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Vorhandlung einen Verursachungsnormverstoß darstellt, der ausschließlich in den exklusiven Regelungsbereich der vorsätzlichen Begehungsdelikte gehört und über diesen auch nicht hinausgeht. Die Vorhandlung darf sich nämlich nicht in einem Verhaltensnormverstoß erschöpfen, der ausschließlich dem objektiven Gehalt einer Teilnahme entspricht. Es reicht – auch wenn es objektiv einen Verhaltensnormverstoß darstellt – grundsätzlich nicht aus, die vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat eines anderen lediglich auf irgendeine Weise zu fördern oder hierzu lediglich den Tatentschluss hervorgerufen zu haben. Wer demnach unvorsätzlich eine andere Person durch einen kommunikativen Akt zu einer Straftat veranlasst hat, haftet grundsätzlich ebenso wenig aus Ingerenz wie derjenige, der ohne Vorsatz einen anderen bei dessen Tatbegehung psychisch bestärkt hat. Ein Verhalten, das nicht über den Gehalt einer lediglich fahrlässigen Beihilfe hinausgeht, bleibt trotz nachfolgendem Vorsatz – der in dieser Hinsicht ein bloßer dolus subsequenz ist – straflos. In einem solchen Fall ohne einen triftigen Grund aus einem unechten Unterlassungsdelikt zu bestrafen, hieße, die Systematik des StGB zu unterlaufen. Entscheidend ist demnach für die Berechtigung einer Garantenstellung aus Ingerenz, gegen welche Verhaltensnorm in Form einer Handlungsverbotsnorm verstoßen wurde. So will Otto, der zwar im Grundsatz auch ein Regressverbot vertritt, explizit auf den Schutzzweck der übertretenen Verhaltensnorm abstellen. Auch Stree/Bosch stellen darauf ab, ob durch die Vorhandlung gegen eine Norm verstoßen wurde, die gerade dem Schutz des gefährdeten Rechtsguts dient.78 Es 77 Zu den unechten Unterlassungsdelikten als Pflichtdelikte siehe Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 153; kritisch zu der Kategorie der Pflichtdelikte Freund, Strafrecht AT, § 10 Rn. 48 f. 78 Es verwundert allerdings, dass die Autoren im Bereich der Weiterungstaten, die einen Mittäterexzess darstellen, nicht differenzieren und stattdessen eine Garantenstellung strikt ablehnen.
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
verwundert aber, wenn Stree/Bosch in den Weiterungsfällen grundsätzlich eine Strafbarkeit des Vortatbeteiligten ablehnen, ohne die einzelnen Verhaltensnormen, die durch die Vortat verletzt wurden, genauer zu bestimmen. Existiert aber eine Handlungsnorm, die gerade auch dem Schutz vor dem konkreten Schadensverlauf zu dienen bestimmt ist, so spricht grundsätzlich nichts gegen die Zurechnung, soweit eine zur Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz vorausgesetzte Verursachungsverbotsnorm auf diese Handlungsnorm Bezug nimmt. Man denke nur an das Verbot, als Besucher einer Strafvollzugsanstalt einem Strafgefangenen gefährliche Gegenstände wie beispielsweise ein Messer – sei es auch nur zu Selbstverteidigungszwecken – zu überlassen. Sollte der Häftling das Messer für einen Angriff gegen die Justizvollzugsbeamten verwenden, wird man nicht leugnen können, dass der Schutzzweck der übertretenen Norm gerade darin besteht, freiverantwortliche Straftaten unter Zuhilfenahme gefährlicher Gegenstände zu verhindern. Daher bestehen grundsätzlich keine Bedenken, in einem solchen Fall – sofern die zusätzlichen Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts ebenfalls vorliegen – aus Ingerenz zu bestrafen. Aber auch wenn an dieser Stelle deutlich geworden ist, dass die Entscheidung über die Zurechnung in den Regressverbotsfällen und damit auch in den Weiterungsfällen maßgeblich vom Schutzzweck der Norm abhängt, so handelt es sich hierbei gleichwohl nicht um das einzig relevante Kriterium. Stattdessen ist hierin nur ein Aspekt der objektiven Zurechenbarkeit zu erblicken. Recht zu geben ist daher Rudolphi und Roxin, die zur Lösung der Regressverbotsproblematik nicht auf Fragmente der Lehre von der objektiven Zurechnung zurückgreifen, sondern stattdessen alle Aspekte dieser Lehre heranziehen wollen. Demnach hat gerade auch in den Regressverbots- und damit speziell auch in den Weiterungsfällen die Untersuchung dahingehend zu erfolgen, ob durch die Handlung eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wurde, die sich im konkreten (Weiterungs-)Erfolg realisiert hat.79 Diese Ansicht deckt sich mit dem hier vertretenen Ansatz, dass sowohl fahrlässige als auch vorsätzliche Begehungsdelikte genau wie das Ingerenzunterlassen den Verstoß gegen eine Verursachungsnorm voraussetzen und die Lehre von der objektiven Zurechnung dazu beiträgt, denjenigen zu bestimmen, dem der Verursachungsnormverstoß als sein Werk zugerechnet werden kann. Es muss daher eine Analyse der konkreten Verhaltensnormen erfolgen und auf diese Weise überprüft werden, ob sich ein etwaiger Verhaltensnormverstoß im Erfolg realisiert hat.80 Auch die hier nicht weiter zu problematisierenden Regressverbotsfälle, die von der Abgrenzung des erlaubten Risikos vom verbotenen abhän-
79 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (185) mit dem Schutzzweck des Tatbestandes nicht auf die im Tatbestand enthaltene Handlungsverbotsnorm abstellt. Vgl. auch zur „Reichweite des Tatbestandes“ Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 106 ff. 80 So auch Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht AT, Rn. 58.
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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gen, lassen sich nur dann lösen, wenn auch das Merkmal der rechtlich relevanten Gefahrschaffung – als wesentlicher Aspekt der Erfolgszurechnung – berücksichtigt wird. Daher müssen alle Ansätze, die ein striktes Regressverbot vertreten, zwangsläufig einer differenzierenden Untersuchung weichen, die vor allem Wert auf den Schutzzweck der jeweils im Fokus stehenden Handlungsnorm legt. Doch darf sich die Beantwortung der Frage, ob der Weiterungserfolg dem Vortatbeteiligten zurechenbar ist, auch nicht ausschließlich in Schutzzweckerwägungen erschöpfen, sondern muss stattdessen alle Aspekte der Lehre von der objektiven Zurechnung in die Untersuchung mit einbeziehen. Dies gilt gleichermaßen für die Frage, ob in den Weiterungsfällen eine Garantenstellung aus Ingerenz zu legitimieren ist. Denn nur auf diese Weise wird eine Ingerenzstrafbarkeit vermieden, die mit den Täterschafts- und Teilnahmevorschriften der vorsätzlichen Begehungsdelikte kollidiert. Dass letztlich jede absolute Regressverbotslehre dabei versagt, den besonderen Umständen der verschiedenen Fallkonstellationen gerecht zu werden, belegen die Vertreter dieser Lehren selbst. So wollen z. B. sowohl Welp als auch Eisele in bestimmten Fällen sehr wohl Ausnahmen anerkennen. Während es bei Welp die Ausschaltung von Schutzvorkehrungen ist, hält Eisele bei einem Verstoß gegen besondere Vorschriften des BtMG eine Ausnahme vom Autonomieprinzip für möglich.
B. Legitimität und Konkretisierung der Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung im Hinblick auf die Lösung der Weiterungsfälle Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass die Lehre von der objektiven Zurechnung auch im Bereich der Garantenstellung aus Ingerenz dazu geeignet ist, legitimes Strafen zu ermöglichen. Ansichten, die in den Weiterungsfällen ein generelles Regressverbot in Form eines Zurechnungsausschlusses befürworten, konnten nicht überzeugen, da eine Unterlassungsstrafbarkeit des Vortatbeteiligten neben der Strafbarkeit des Zweithandelnden nicht zwangsläufig gegen ein Autonomie- bzw. das Verantwortungsprinzip oder die Täterschafts- und Teilnahmeregeln verstößt. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass nicht jede (Mit-)Verursachung der vorsätzlichen Straftat eines Dritten zu einer Ingerenzstrafbarkeit führen darf. Auch wenn sich daher die Lehre von der objektiven Zurechnung mit den Voraussetzungen der Gefahrschaffung und Gefahrrealisierung unter besonderer Berücksichtigung des Schutzwecks der Norm als geeignet erwiesen hat, eine Lösung der Weiterungsfälle herbeizuführen, bleiben weitere Fragen offen. Bisher sind die Voraussetzungen nur abstrakt verwendet worden und müssen, um in konkreten Fallkonstellationen angewendet werden zu können, erst noch konkretisiert
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
werden. Im Folgenden wird daher der Versuch unternommen, die einzelnen Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Ingerenz im unmittelbaren Kontext mit den Weiterungsfällen anzuwenden, um auf diese Weise eine praxistaugliche Basis für strafgerichtliche Urteile zu schaffen.
I. Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr durch die Vorhandlung 1. Schaffung einer Gefahr Die h. M. verlangt im Bereich der Garantenstellung auf Grund vorangegangenen Tuns als absolute Mindestvoraussetzung, dass durch die Vorhandlung eine Gefahr geschaffen wurde.81 Ebenso setzt die Lehre von der Erfolgszurechnung die Schaffung der Gefahr des Erfolgseintritts voraus.82 Der Begriff der Gefahrschaffung ist hierbei normativ zu verstehen und darf nicht mit der rein naturwissenschaftlich verstandenen Verursachung der Gefahr gleichgesetzt werden.83 Die Schaffung der Gefahr muss daher verneint werden, wenn sich die Handlung – wie im Erbonkelfall – in einem lediglich kausalen Beitrag zu dem schädigenden Erfolg erschöpft.84 Denn die Gefahr, dass ein Gewitter aufzieht und den Onkel verletzt, hat der Neffe im Erbonkelfall mangels Kontrolle über die Naturgewalten nicht geschaffen.85 Ebenso liegt in den Fällen der Gefahrverringerung86 zwar regelmäßig der kausale Beitrag zu dem konkret eingetretenen Erfolg vor. Hierbei handelt es sich aber normativ betrachtet nicht um die Schaffung einer neuen Gefahr, sondern stattdessen um die Abschwächung eines bereits bestehenden Gefahrenherdes.87 Da es sich bei einer Gefahrverringerung um ein von der Rechtsordnung gewünschtes Verhalten handelt, kann in diesem Fall nicht von einem Verhaltensnormverstoß gesprochen werden, weshalb auch die Zurechnung entfallen muss.88 Der Bereich der Gefahrschaffung bereitet in den Weiterungsfällen keine Probleme, so dass auf eine tiefergehende Auseinandersetzung verzichtet werden soll.
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Siehe dazu oben Kap. 4, B. I. Siehe dazu oben Kap. 4, III. 4. c). 83 NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 96. 84 Siehe auch Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 46 f. m.w. Beispielen. 85 Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 55; vgl. Frister, Strafrecht AT, Kap. 22 Rn. 34, der in einem leicht abgewandelten Gewitter-Fall explizit mangels objektiver Zurechnung eine Garantenstellung aus Ingerenz verneint. 86 Hierzu schon Roxin, in: FS Honig, S. 133 (136). 87 Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 53; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 54 f. 88 Vgl. hierzu aber Kindhäuser, Strafrecht AT, § 11 Rn. 14 ff., der in diesen Fällen eine Lösung über die mutmaßliche Einwilligung befürwortet; siehe auch Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 58. 82
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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Zwar könnte man in diesem Zusammenhang die Frage aufwerfen, ob bei gemeinschaftlichen Körperverletzungen, bei denen der Weiterungstäter zur Tötung ansetzt, die Gefahr des Todes möglicherweise ausschließlich von diesem geschaffen wird. An dieser Stelle sollen aber Wahrscheinlichkeitserwägungen noch vernachlässigt werden. Entscheidend ist somit, dass eine – wenn auch nur minimale – Gefahr für den Weiterungserfolg durch den Vortatbeteiligten geschaffen wurde. Es sind zwar durchaus auch gemeinschaftliche Vortaten denkbar, in denen der mittäterschaftliche Beitrag des Vortatbeteiligten keinerlei Einfluss auf die Weiterungstat gehabt hat. Man denke hierbei nur an eine gemeinschaftlich begangen Wirtschaftsstraftat. Falls es im Anschluss zu einem solchen Delikt zu einer Gewalttat durch einen der Mittäter kommen würde, weil dieser beispielsweise wegen einer gemeinschaftlich begangenen Untreue mit seinem Arbeitgeber in einen Streit gerät, müsste man bereits eine Gefahrschaffung in Frage stellen. Solche Konstellationen sind aber sehr atypisch und in den hier behandelten Weiterungsfällen kaum vorstellbar. Jedenfalls muss auch bei der Garantenstellung aus Ingerenz eine normativ verstandene Gefahrschaffung durch die Vorhandlung vorliegen, so dass in diesem Zusammenhang die Lehre von der objektiven Zurechnung und die h. M. im Bereich der Ingerenz parallel verlaufen. 2. Rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung Die Vertreter der Lehre von der objektiven Zurechnung verlangen für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes eines Begehungsdelikts eine „rechtlich relevante“ Gefahrschaffung.89 Andere wiederum verlangen eine „rechtlich missbilligte“,90 „nicht durch ein erlaubtes Risiko gedeckte“ 91 oder eine „rechtlich verbotene“ 92 Gefahrschaffung. In der Regel handelt es sich hierbei nur um terminologische Unterschiede, die sich inhaltlich nicht auswirken.93 Die Begriffe sind aber zum Teil missverständlich, da das Urteil darüber, ob ein Verhalten im Einzelnen rechtlich missbilligt ist, erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit erfolgt.94 Die Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr wird hier unabhängig von der konkreten Bezeichnung als Voraussetzung des Tatbestandes verstanden. Gemeint 89 Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 93; NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 107; SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 57; LK-Walter, Vor § 13 Rn. 92; zum Teil wird vertreten, dass die Tatbestandsverwirklichung vom Vorliegen eines unerlaubten Risikos unabhängig sei. Siehe Kindhäuser, GA 1994, S. 197 (198 f.). 90 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 62. 91 Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 49. 92 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 287. 93 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 43. Vgl. Block, Atypische Kausalverläufe, S. 57. 94 Vgl. Block, Atypische Kausalverläufe, S. 57; siehe auch Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92a.
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ist damit die Schaffung einer Gefahr unter Verstoß gegen eine rechtliche und damit freiheitssichernde Handlungsnorm.95 Es wurde dargelegt, dass die h. M. für die Entstehung einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun verlangt, dass das Vorverhalten pflichtwidrig war.96 In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, welche erheblichen Probleme das Merkmal der Pflichtwidrigkeit mit sich bringt. Gleichwohl stellt auch nach dem hier vertretenen Standpunkt die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung eine unverzichtbare Zurechnungsvoraussetzung dar. Denn wie auch bei den Begehungsdelikten, setzt Strafbarkeit aus Ingerenz einen Verursachungsnormverstoß voraus, der an einen Handlungsnormverstoß anknüpft.97 Eine Gefahrschaffung, die keinen Handlungsnormverstoß darstellt, kann von daher, wie dargelegt, keine Garantenstellung aus Ingerenz nach sich ziehen.98 Wenn die Rechtsordnung gesteigert riskante Verhaltensweisen wie beispielsweise das Fahren eines PKW erlaubt, so kann den sich völlig korrekt verhaltenden Fahrer keine außerhalb des § 323c StGB liegende Rettungspflicht treffen, sollte z. B. ein Fußgänger stolpern, vor den PKW fallen und sich hierdurch lebensgefährlich verletzen. Ebenso wie bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten können daher die Regressverbotsfälle besonders problematisch sein, in denen die (Vor-)Handlung isoliert betrachtet nicht rechtlich missbilligt, aber mitursächlich für die freiverantwortliche Straftat eines Dritten ist. Es handelt sich dabei um Fälle, in denen beispielsweise ein Jäger sein Gewehr auf dem Tresen einer Kneipe liegen lässt, ein Taxifahrer den Täter zum Tatort fährt oder ein Werkzeugverkäufer die spätere Tatwaffe verkauft. Diese rechtlich neutralen Handlungen können auch als Anknüpfungspunkte für eine Garantenstellung aus Ingerenz dienen, sofern zwischen der Vorhandlung und dem weitergehenden Erfolg Vorsatz hinzutritt und noch die Möglichkeit zur Erfolgsabwendung besteht.99 Aber auch hier kommt es maßgeblich darauf an, ob man in der Handlung einen Verhaltensnormverstoß erblickt, der
95 Siehe Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 92; man könnte auch von einem Verstoß gegen eine Sorgfaltsnorm sprechen. Zu den von den Straftatbeständen in Bezug genommenen Handlungsnormen siehe oben Kap. 4, B. III. 4. a). 96 Siehe oben Kap. 4, B. I. 97 Siehe oben Kap. 4, B. III. 5. 98 Daher ist die Ansicht abzulehnen, die eine Garantenstellung aus Ingerenz auch bei pflichtgemäßen Vorhandlungen annimmt, die aus einer gesteigert riskanten Verhaltensweise resultieren. Wer seinen PKW ordnungsgemäß führt, den darf bei einem zufälligen Unfallereignis keine Garantenstellung aus Ingerenz treffen. Anderenfalls liefe man Gefahr, jeden kausalen Beitrag im Zusammenhang mit einer gesteigert riskanten Tätigkeit aus Ingerenz haftbar zu machen. Nach dieser Ansicht könnte man nämlich auch denjenigen aus Ingerenz haftbar machen, der ein Taxi benutzt, sich Waren mittels LKW liefern lässt etc. Warum nur der Fahrer trotz sorgfaltsgemäßer Fahrweise besonders verpflichtet sein soll, lässt sich nicht begründen. Vgl. auch Kirchner, Die Unterlassungshaftung, S. 50 f. 99 Siehe dazu oben Kap. 1, B.
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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Bestandteil der in Frage stehenden Verursachungsnorm ist. Nur wenn die Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahrschaffung darstellt, ist eine Zurechnung möglich. Das wird man in Fällen, in denen ein Jäger sein Gewehr auf dem Tresen liegen lässt, obwohl sich daneben eine Schlägerei anbahnt, eher bejahen können als bei dem Haushaltswarenhändler, der einer zwielichtig erscheinenden Person ein Küchenmesser verkauft, die hiermit einen Mord begeht. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solches Verhalten den erforderlichen Verhaltensnormverstoß darstellt, existieren viele Ansichten, auf die an dieser Stelle nur verwiesen werden soll.100 Die hier behandelten Weiterungsfälle zeichnen sich dadurch aus, dass das Vorverhalten regelmäßig für sich betrachtet eine Straftat darstellt und daher an der rechtlichen Missbilligung der Vorhandlung kein Zweifel besteht. Der Weiterungstäter kann sich hinsichtlich der freiverantwortlichen Tat des Dritten auch nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, der zunächst von der Rechtsprechung101 im Bereich des Straßenverkehrsrechts entwickelt wurde und mittlerweile auch im Bereich der Regressverbotsproblematik diskutiert wird.102 Hiernach dürfe jeder darauf vertrauen, dass andere das eigene Verhalten nicht zum Anlass für Straftaten nehmen. Im Bereich der Regressverbotsfälle, in denen versucht wird, bei grundsätzlich rechtlich neutralen Handlungen den Bereich des erlaubten Risikos festzulegen, lässt sich der Vertrauensgrundsatz heranziehen.103 Im Bereich der Weiterungsfälle stellt die Vorhandlung selbst eine Straftat dar. Daran kann auch ein Vertrauen auf das Ausbleiben weiterer Straftaten nichts ändern. Der Sinn des Vertrauensgrundsatzes besteht nämlich nicht darin, die Haftung des Vortatbeteiligten einzuschränken, wenn dessen Sorgfaltspflichtverletzung unzweifelhaft feststeht.104 Etwas anderes gilt aber in Bezug auf den weitergehenden Erfolg. Hier kann möglicherweise der Vertrauensgrundsatz Auswirkungen auf die Risikorealisierung haben, so dass hierauf noch zurückzukommen sein wird.105 Daher ist festzuhalten, dass das Erfordernis der Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr bei den Weiterungstaten wegen der regelmäßig strafbaren Vor-
100 Siehe dazu Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 136 ff.; siehe auch Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 49. 101 Zum Straßenverkehr BGHSt 8, 200 (203); 13, 169 (171 ff.); 14, 97 (99 ff.); zur Behandlung durch mehrere Ärzte BGHSt 43, 306 (310). 102 Ausf. hierzu Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 21 ff.; Kirchner, Die Unterlassungshaftung, S. 129; kritisch Duttge, Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts, S. 467, 473 f.; MüKo-StGB/Duttge, § 15 Rn. 143. 103 Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 38 zieht den Vertrauensgrundsatz heran, um Verantwortungsbereiche abzugrenzen; siehe auch Rengier, Strafrecht AT, § 52 Rn. 63 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 26 ff. 104 MüKo-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 165; dies., ZStW 99 (1987), S. 595 (611). 105 Dazu unten Kap. 5, B. II. 3. b).
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
handlung vorliegt und daher die Entscheidung für und gegen die Strafbarkeit des Vortatbeteiligten an dieser Stelle nicht erfolgt.106
II. Gefahrrealisierung, Schutzzweckzusammenhang und Vorhersehbarkeit 1. Das Verhältnis von Gefahrrealisierung, Vorhersehbarkeit und Schutzzweckzusammenhang Wenn durch die Vorhandlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wurde, so gilt es weiterhin die Frage zu beantworten, ob sich diese Gefahr auch im Erfolg realisiert hat.107 Denkbar und in der Praxis durchaus relevant sind Fallkonstellationen, in denen mehrere rechtlich missbilligte Risikoschaffungen (mit-) ursächlich für den Erfolgseintritt geworden sind. Die Aufgabe der objektiven Zurechnung besteht somit maßgeblich darin, diejenigen rechtlich missbilligten Gefahrschaffungen herauszufiltern, die sich nicht im konkreten Erfolg realisiert haben, so dass am Ende der Analyse einer konkreten Person der Erfolg als ihr Werk zugerechnet werden kann. Klassisches Beispiel hierfür ist das durch einen Messerstich lebensgefährlich verletzte Opfer, das auf dem Weg zum Krankenhaus durch das grobe Fehlverhalten eines Verkehrsteilnehmers in einen tödlichen Unfall verwickelt wird.108 Hier hat der Täter zwar durch den Messerstich die rechtlich missbilligte Gefahr des Todes geschaffen, es hat sich aber die rechtlich missbilligte Gefahrschaffung des anderen Verkehrsteilnehmers realisiert. Dies ist keineswegs die einzig denkbare Konstellation einer mangelnden Gefahrrealisierung. Problematisch sind alle Fälle, in denen an das unerlaubte Verhalten einer Person andere Ursachen anknüpfen, so dass die Gefahrrealisierung in Frage gestellt werden kann. So kann eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs dadurch erfolgen, dass ein Erfolgseintritt auf einem durch niemanden zu verantwortenden Zufall beruht. Ebenso kann es sein, dass sich letztlich trotz rechtlich relevanter
106 Ebenso ist deutlich geworden, dass das Merkmal der Pflichtwidrigkeit seinen berechtigten Standpunkt in der Ingerenzdogmatik besitzt. Wie verdeutlicht werden konnte, ist eine Ingerenzstrafbarkeit ohne Verhaltensnormverstoß durch die Vorhandlung nicht denkbar. Auf diese Weise werden die eingangs im Hinblick auf das Pflichtwidrigkeitserfordernis als problematisch dargestellten Fallkonstellationen entschieden. Dabei soll hier nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass die Anwendung der objektiven Zurechnung im Bereich der Ingerenz bekannte Schwierigkeiten von der durch die h. M. verwendeten Formel erbt. Das klassische Problem der gerechtfertigten Vorhandlungen kann also auch an dieser Stelle nicht ohne eing. Stellungnahme zu dem Verhältnis zwischen dem Verhaltensnormverstoß als Merkmal des objektiven Tatbestandes und der Rechtswidrigkeit gelöst werden. Siehe dazu schon oben Kap. 4, III. 6. 107 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Risikozusammenhang“, „Gefahrverwirklichung“ oder „Umschlagen der Gefahr in den Erfolg“. Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 43 m.w. N. 108 Siehe hierzu Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 335.
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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Gefahrschaffung des Handelnden eine Naturgewalt im Erfolg realisiert hat.109 Gemeint sind aber auch die Fälle, in denen sich das Opfer eigenverantwortlich selbst gefährdet oder ein Dritter eigenverantwortlich an die Gefahrschaffung durch den Vortatbeteiligten anknüpft.110 Zu letzterer Gruppe gehören die hier behandelten Weiterungsfälle. Darüber hinaus stellt auch der Bereich des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs eine Kategorie der Gefahrrealisierung dar. Dieser ist dann problematisch, wenn das Verhalten des Täters für den Erfolgseintritt zwar kausal ist, der Erfolg aber auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre.111 Somit unterfallen dem Bereich der Gefahrrealisierung viele Fallgruppen, die durchaus verschieden sind. In diesem Kontext wird vor allem auf den Schutzzweckzusammenhang, die Vorhersehbarkeit sowie den Pflichtwidrigkeitszusammenhang abgestellt. Dabei ist nicht immer klar, welche Rolle die einzelnen Kriterien in diesem Zusammenhang spielen. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang,112 der problematisiert wird, wenn die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten geringer gewesen wäre, aber der Erfolg nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre, soll hier nicht weiter behandelt werden, da diesem Problemkreis im Hinblick auf die Weiterungsfälle keine eigenständige Bedeutung zukommt.113 2. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm a) Der Schutzzweck der Norm als Aspekt der Gefahrrealisierung Der Schutzzweck der Norm, dessen besonderer Stellenwert zur Lösung der Weiterungsfälle bereits betont wurde, wird häufig im Bereich der Risikorealisierung verortet.114 Der Gedanke vom Schutzzweck der Norm geht maßgeblich auf Rudolphi115 zurück und ist auf breite Zustimmung116 aber zum Teil auch auf 109
Vgl. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 343. Siehe Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 77 ff., der diese Fälle aber unter der eigenständigen Kategorie der „Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen“ behandelt. 111 Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1354 ff. 112 Es sei darauf hingewiesen, dass unter dem Begriff des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs unterschiedliche Aspekte verstanden werden. Die Rspr. versteht zum Teil unter den Begriffen des Schutzzweckzusammenhangs und des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs dasselbe. Siehe nur BGHSt, 37, 106 (115). Hier soll unter dem Begriff des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs aber die Frage verstanden werden, ob der Erfolg auch zurechenbar ist, wenn er ebenso bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Es spricht aber viel dafür, dass es sich hierbei um einen von mehreren Aspekten des Schutzzweckzusammenhangs handelt. Siehe Lackner/Kühl, StGB, § 15 Rn. 41 m.w. N.; vgl. auch NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 119. 113 Zur Problematik siehe LK-Walter, Vor § 13 Rn. 99 ff. 114 Zur Entstehung der Lehre vom Schutzzweck der Norm siehe Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, S. 177 ff. 115 Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (552 ff.). 110
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
vehemente Ablehnung117 gestoßen. Entscheidend ist hiernach für die Zurechnung, ob die Norm, gegen die verstoßen wurde, auch den Schutz vor dem konkret eingetretenen Erfolg bezweckt. Um eine Aussage über den Schutzzweck der Norm treffen zu können, muss zunächst einmal festgelegt werden, auf welche Norm in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird.118 Wird beispielsweise an § 222 StGB als zu betrachtende Norm angeknüpft, so liegt der Zweck, wie gezeigt werden konnte, im Rechtsgüterschutz; und zwar speziell im Schutz des Lebens.119 Der Schutzzweck der Tatbestandsnorm wird teilweise herangezogen, um hieraus die Straflosigkeit der Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung abzuleiten.120 Es reicht nämlich in diesen Fällen nicht aus, lediglich an den Schutzzweck der Handlungsnorm anzuknüpfen, da z. B. außerstrafrechtliche Handlungsnormen, auf die der Tatbestand Bezug nimmt, nicht von der Systematik des StGB abhängig sind. Wenn hier allerdings vom Schutzzweck der Norm die Rede ist, so handelt es sich dabei um den Schutzzweck der Verhaltensnorm, auf die sich die Verursachungsnorm in Form des Straftatbestandes (z. B. § 222 StGB) bezieht.121 Es geht mit anderen Worten darum festzustellen, ob das Verhalten gegen eine Verbotsnorm verstoßen hat, die dem Zweck dient, vor dem konkret eingetretenen Erfolg zu schützen. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten muss daher der Schutzzweck der Sorgfaltsnorm bestimmt werden. Aber wie gezeigt werden konnte, setzen auch das vorsätzliche Begehungsdelikt sowie das Ingerenzunterlassen einen Handlungsnormverstoß voraus, so dass der Schutzzweck der jeweiligen Handlungsnorm für die Erfolgszurechnung bestimmt werden muss.122 116 Nachweise bei Sch/Schr-Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 95/96; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 84 ff.; ders., in: FS Honig, S. 133 (140 ff.); Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 58 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 68 ff.; Schünemann, GA 1985, S. 341 (358 ff.). 117 Besonders kritisch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 50 ff.; Puppe, in: FS Bemmann, S. 227 (232 ff.); Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 82 ff.; MüKo-StGB/Duttge, § 15 Rn. 183 ff. 118 Auf die missverständliche Verwendung des Begriffs des Schutzzwecks der Norm zu Recht verweisend Block, Atypische Kausalverläufe, S. 69. 119 Der Schutzzweck des Straftatbestandes als Verursachungsnorm kann ebenfalls relevant werden, wenn man bspw. die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid begründen möchte. Siehe Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 75; siehe auch NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 130, 145 ff., der die Fälle der Drittverantwortung als Frage der „Reichweite des Tatbestandes“ behandelt. So schon Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 137 ff. 120 Siehe hierzu Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 106 ff.; häufig werden aber auch die Drittschädigungsfälle unter Heranziehung des Schutzzwecks der Tatbestandsnorm zu lösen versucht. Siehe NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 145. 121 Diese Differenzierung besonders hervorhebend Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 87; Block, Atypische Kausalverläufe, S. 69 f. 122 Vgl. auch Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 59.
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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Ein berühmtes Beispiel, das die Bedeutung des Schutzzweckzusammenhangs veranschaulicht, stellt der Radleuchten-Fall dar, den das Reichsgericht zu entscheiden hatte.123 Hier fuhr ein Radfahrer ohne die gesetzlich vorgeschriebene Beleuchtung und geriet mit einem vor sich fahrenden Radfahrer in einen Unfall, der für letzteren tödlich endete. Das Reichsgericht verneinte in diesem Fall die Strafbarkeit. Zur Begründung führte es aus, dass die Beleuchtungspflicht nicht den Zweck habe, vor Unfällen zu schützen, die dadurch entstehen, dass der Radfahrer mangels Beleuchtung keine ausreichende Sicht hat, sondern stattdessen nur diejenigen Schäden verhindern will, die dadurch entstehen, dass der Radfahrer selbst nicht ausreichend gesehen werden kann. Bisher ist nicht geklärt, ob der Schutzzweckzusammenhang als Zurechnungskriterium eine Frage der missbilligten Risikoschaffung, der Gefahrrealisierung oder eine eigenständige Kategorie darstellt.124 Nach hier vertretener Ansicht können Gefahrrealisierung und Schutzzweckzusammenhang nicht voneinander getrennt werden. Denn unter dem Aspekt der Gefahrrealisierung wird nach der normativen Verknüpfung zwischen dem Handlungsnormverstoß und dem konkreten Erfolg gesucht, die maßgeblich vom Schutzzweck der Norm abhängt.125 Während sich die Schaffung eines rechtlich relevanten Risikos als Verstoß gegen eine Handlungsnorm aus der Ex-ante-Sicht bestimmen lässt, wird der Zusammenhang zwischen dem Handlungsnormverstoß und dem Verursachungsnormverstoß ex post bestimmt. Ast formuliert es treffend dahingehend, dass sich „die Prognose, welche die Geltung der Handlungsnormen ex ante rechtfertigt, (. . .) ex post bestätigt hat“.126 Der Prozess der nachträglichen Bestätigung der Gefahrprognose muss daher in Abhängigkeit vom Schutzzweck der Norm bestimmt werden. Nur auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine Zurechnung nicht zu Lasten der rechtlich garantierten Freiheitssphären erfolgt. Denn im Radfahrerfall ist es durchaus das vorhersehbare Risiko eines Unfalls, das sich durch die fehlende Beleuchtung realisiert und sich damit nachträglich als Bestätigung der Prognose erweist. Gleichwohl besteht der Zweck der Sorgfaltsnorm, gegen die verstoßen wurde, nicht darin, vor genau diesem konkreten Schadensverlauf zu schützen. In 123
RGSt 63, 392 ff.; hierzu auch Roxin, in: FS Honig, S. 133 (141). Siehe hierzu ausf. Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, S. 177 ff.; vgl. auch Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung, S. 42. Zum Teil wird sogar ganz grundsätzlich gegen den Schutzzweckzusammenhang vorgebracht, es hänge von einer willkürlichen teleologischen Auslegung des Normzwecks ab, ob der Erfolg auf reinem Zufall beruhe oder objektiv zurechenbar sei. Diese Einwände tragen jedoch nicht, da die Zurechnung vom Normzweck abhängig gemacht werden muss, um legitime Strafe zu gewährleisten. Dass die teleologische Auslegung von Normen hierzu geeignet ist und mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang steht, wurde an anderer Stelle bereits betont. Siehe Kap. 2, C. IV. 125 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 87. 126 Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 59; vgl. auch Schünemann, GA 1999, S. 207 (215). 124
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
einem solchen Fall den Erfolg einer Person zuzurechnen, hieße eine Zweckentfremdung der in Bezug genommenen Verhaltensnorm vorzunehmen, die ein nicht zu legitimierendes Strafen zur Folge hätte. Der Schutzweck der Norm stellt demzufolge einen unverzichtbaren Aspekt bei der Antwort auf die Frage dar, ob sich die geschaffene Gefahr im Erfolg realisiert hat.127 Darüber hinaus darf bei der Frage, ob die Handlungsnorm auch vor dem eingetretenen Schaden schützt, nicht bloß der abstrakte Erfolg betrachtet werden. Vielmehr muss auch der Verlauf bis hin zum Erfolg berücksichtigt werden. Der Schutzzweck, der die jeweilige Handlungsnorm legitimiert, umfasst in der Regel eine ganz bestimmte Form der Gefahrrealisierung. Es muss sich daher um eine typische Form der Erfolgsherbeiführung handeln. Zwar vorhersehbare, allerdings völlig untypische und daher vom Schutzzweck der Norm nicht umfasste Kausalverläufe schließen die Zurechnung aus.128 Dies wird in dem Fall deutlich, in dem ein PKW-Fahrer in einem bestimmten Straßenabschnitt schneller als erlaubt fährt und sodann auf einem anderen Straßenabschnitt, in dem er sich an das Tempolimit hält, ein auf die Straße laufendes Kind überfährt.129 Dieser Verlauf ist durchaus vorhersehbar und die Geschwindigkeitsbegrenzungen haben auch den Zweck, Unfälle mit Personen zu vermeiden. Es entspricht aber nicht dem Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm, den Tod des Kindes dem Täter mit der Argumentation zuzurechnen, der Erfolg wäre nicht eingetreten, wenn er in dem vorherigen Abschnitt die zulässige Geschwindigkeit eingehalten hätte und durch das spätere Erscheinen am Unfallort der Unfall hätte vermieden werden können. Während somit Kausalverläufe durchaus vorhersehbar aber gleichwohl nicht vom Schutzzweck der Norm gedeckt sein können, verhält es sich mit dem umgekehrten Fall anders. Wenn davon die Rede ist, dass der Schutzzweck der Norm regelmäßig in der Verhinderung typischer Schäden besteht, so setzt dies zwangsläufig vorhersehbare Schäden voraus. Der Zweck einer Verhaltensnorm, die von einer strafrechtlichen Verursachungsnorm in Bezug genommen wird, kann nicht darin bestehen, unvorhersehbare Risiken abzuwenden. Ex post betrachtet muss der konkrete Schadensverlauf eine Folge darstellen, zu dessen Vermeidung die Norm existiert.130 Somit kann ein aus der Sicht eines objektiven Beobachters unvorhersehbarer Erfolgsverlauf i. d. R. nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst 127
Vgl. auch Otto, in: FS Lampe, S. 491 (500). Vgl. hierzu Hauck, GA 2009, S. 280 (292 f.), der in diesem Fall die Existenz einer „individuelle(n) Bestimmungsnorm“ betont, die dem Täter die Vermeidung der vorhersehbaren Gefährdung auferlegt. 129 Roxin, in: FS Honig, S. 133 (140) verwendet das Beispiel, in dem nach der fahrlässigen Tötung eines Fußgängers durch einen PKW-Fahrer die Mutter des Verstorbenen wegen eines durchaus vorhersehbaren Schocks körperlich verletzt wird. 130 Oder wie Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 67 formuliert: „Das Vermeiden des Wirklichkeit gewordenen schadensträchtigen Verlaufs muss Legitimationsgrund der übertretenen Verhaltensnorm gewesen sein“. 128
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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sein.131 Denn die Norm schützt nicht vor abstrakten Folgen wie dem Unfall durch falsches Überholen oder dem Tod durch eine nicht de lege artis durchgeführte Operation, sondern nur vor in der konkreten Tatsituation typischen Folgen. Damit stellt das Merkmal der Vorhersehbarkeit ein Kriterium dar, das sich auch aus dem Schutzzweckgedanken erklären lässt.132 Zur Lösung der Weiterungsfälle muss daher konkretisiert werden, ob die Ersthandlung in einem Verstoß von Normen bestanden hat, die gerade dem Zweck dienen, vor den Weiterungstaten zu schützen. b) Kritik am Schutzzweck der Norm Einige Teile der Literatur sehen den Aspekt vom Schutzzweck der Norm sehr kritisch.133 Meist wird an der Suche nach dem Schutzzweck der Norm kritisiert, dass sich dieser ohnehin nicht bestimmen ließe.134 Zudem verleite die Anwendung des Schutzzweckgedankens dazu, letztlich doch persönliche Strafwürdigkeitsaspekte in die Zurechnung einfließen zu lassen.135 Den Ansichten, die den Schutzzweck der Norm als völlig irrelevante Kategorie bezeichnen, kann nicht gefolgt werden.136 Denn Zurechnung bedeutet nach dem hier vertretenen Standpunkt zwangsläufig die Respektierung rechtlich anerkannter Freiheitssphären, die durch die zum Teil vorstrafrechtlichen, aber auch originär strafrechtlichen Verhaltensnormen begrenzt werden. Knüpft man im Rahmen eines Erfolgsdelikts an eine Verhaltensnorm an, so darf deren Anwendungsbereich nicht in unzulässiger Weise ausgedehnt werden. Stattdessen hat sich der Rechtsanwender bei der Erfolgszurechnung innerhalb des Regelungsbereichs und damit des Schutzzwecks der Norm zu bewegen. Nur auf diese Weise ist legitimes Strafen möglich. Soweit die Gegner des Schutzzweckgedankens kritisieren, dass der Schutzzweck der Norm u. U. nur schwer zu bestimmen ist, ist der Einwand durchaus berechtigt. Dies gilt besonders für Normen, die nicht dem geschriebenen Recht entstammen. Aber auch geschriebenen Rechtsnormen lässt sich der Zweck nicht
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Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 17. Vgl. aber zur eigenständigen Bedeutung des Merkmals der Vorhersehbarkeit unten Kap. 5, B. II. 3. 133 Namias, Die Zurechnung von Folgeschäden, S. 85 ff.; LK-Vogel, § 15 Rn. 202 hält Schutzzweckerwägungen nur ausnahmsweise für erforderlich. 134 Namias, Die Zurechnung von Folgeschäden, S. 85 ff. 135 Vgl. nur Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 80 ff. 136 Dass selbst vehemente Gegner des Schutzzweckgedankens nicht ganz auf dieses Merkmal verzichten können, beweist Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 525, indem er im Rahmen der Zurechnung danach fragt, ob der Erfolg „sich als Realisierung eben jenes Risikos begreifen (lässt), dessentwegen die Handlung verboten ist“. 132
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
immer ganz eindeutig entnehmen. Es ist daher den Kritikern darin Recht zu geben, dass erst noch ein geeignetes Verfahren gefunden werden muss, mit dessen Hilfe Normschutzzwecke bestimmt werden können.137 So verleitet die viel zitierte Frage, was denn die Norm schützen wolle, zu der Annahme, es handele sich hierbei ausschließlich um den Willen des historischen Gesetzgebers, der ausfindig gemacht werden müsse.138 Stattdessen hat die Frage zu lauten, was die Norm schützt. Der Schutzzweck der Norm muss demnach anhand anerkannter Auslegungsmethoden bestimmt werden.139 Dass dieser sowohl bei geschriebenen als auch ungeschriebenen Rechtsnormen mitunter schwierig zu ermitteln sein kann, soll hier nicht bezweifelt werden. Nur lässt sich dieses Kriterium nicht umgehen. Denn objektive Zurechnung heißt auch, die u. U. außerstrafrechtlichen Verhaltensnormen in ihrer Form und Zielsetzung zu respektieren. Anderenfalls würde man eine nicht zu legitimierende Einschränkung der rechtlich garantierten Freiheitssphären vornehmen.140 Es muss daher ein geeignetes Verfahren entwickelt werden, mithilfe dessen der Schutzzweck der Norm im Einklang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG durch den Rechtsanwender festgelegt werden kann. Bei diesem Verfahren muss der freiheitssichernde Charakter der Verhaltensnormen berücksichtigt werden. Die Frage muss daher lauten, ob die Verhaltensnorm gerade dazu geeignet und bestimmt ist, durch ihre Einhaltung in der konkreten Situation äußere Freiheit zu sichern.141 Lässt sich hingegen nicht mit hinreichender Bestimmtheit ein Schutzzweck der Norm entnehmen, so muss dies im Zweifel den Ausschluss der Zurechnung und damit der Strafbarkeit aus dem in Rede stehenden Erfolgsdelikt zur Folge haben. Wenn Stree im Zusammenhang mit der Rechtsprechung im Bereich der Weiterungsfälle behauptet, dass der Schutzzweck der Norm bei der Garantenstellung aus vergangenem Tun einen maßgeblichen Stellenwert besitzt, kann dem an dieser Stelle voll und ganz zugestimmt werden.142 Da die Garantenstellung aus In137
Namias, Die Zurechnung von Folgeschäden, S. 87. Siehe Namias, Die Zurechnung von Folgeschäden, S. 86; siehe auch NK-StGB/ Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 232. 139 Vgl. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 13 Rn. 71; siehe auch Otto, in: GS Schlüchter, S. 77 (94 f.). 140 Siehe dazu oben Kap. 4, B. III. 4. c). 141 Einen geeigneten Ansatz vertritt NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 233 f., die zwar grundsätzlich kritisch zu der von der h. L. verwendeten Formel vom Schutzzweck der Norm steht, aber durch eine Modifikation der klassischen Formel zu sinnvollen Ergebnissen gelangt. Sie fragt nicht danach, vor welchen Erfolgen die Norm schützen will. Stattdessen hat die Bestimmung des Schutzzwecks danach zu erfolgen, ob die Norm generell dazu geeignet ist, den eingetretenen Schadensverlauf abzuwenden. Zu diesem Zweck werden Fallkonstellationen, bei denen die Verhaltensnorm eingehalten wird, mit solchen Fallkonstellationen verglichen, in denen die Verhaltensnorm missachtet wird. Sind Schadensverläufe der in Frage stehenden Art bei der ersten Gruppe signifikant geringer als in der Vergleichsgruppe, so eignet sich die Norm generell zum Schutz vor dem konkret eingetretenen Schadensverlauf. 138
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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gerenz an einen besonderen Verhaltensnormverstoß anknüpft, muss der Normzweck bei der Zurechnung zwingend berücksichtigt werden.143 Den Schutzzweckzusammenhang scheint mittlerweile auch die Rechtsprechung im Rahmen der Ingerenz zu berücksichtigen. Die Schaffung einer nahen Gefahr des Schadenseintritts sei dem BGH zufolge nur dann anzunehmen, wenn eine Vorschrift missachtet wurde, die „dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient“.144 Dies hatte der Senat in einem konkreten Fall verneint, in dem der Angeklagte zuvor den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V. m. § 27 Abs. 1 StGB erfüllt hatte. Hinsichtlich der Garantenstellung aus diesem strafbaren Vorverhalten führte der BGH aus: „Aus der in der Vorschrift des § 1 AufenthG niedergelegten Zweckbestimmung des Aufenthaltsgesetzes folgt, dass dieses Gesetz keine Individualrechtsgüter schützt. Der vom Angeklagten insoweit verwirklichte Gesetzesverstoß kann demnach keine Garantenstellung für das Leben der illegal eingereisten Mitreisenden begründen“.145 In den hier behandelten Weiterungsfällen ist die Bestimmung des Schutzzwecks der Verbotsnorm, gegen die verstoßen wurde, auch möglich, da es sich hierbei regelmäßig um selbstständige Straftaten handelt, die einer Auslegung zugänglich sind. Dass hierbei gegebenenfalls Meinungsverschiedenheiten bestehen können, stellt kein Hindernis dar, sind sie doch zwangsläufig und in fast allen Bereichen des Rechts mit der Auslegung von Normen verbunden. Dies wird an späterer Stelle exemplarisch anhand ausgewählter Straftaten dargestellt werden. 3. Das Merkmal der Vorhersehbarkeit a) Das Merkmal der Vorhersehbarkeit im Verhältnis zur Gefahrrealisierung Sowohl im Bereich der fahrlässigen als auch im Rahmen der vorsätzlichen Erfolgsdelikte wird regelmäßig die Vorhersehbarkeit des schädigenden Erfolges verlangt. Die Vorhersehbarkeit des schädigenden Erfolges wurde besonders im Rahmen der Adäquanztheorie zu einem zentralen Kriterium.146 Dabei ist bis 142 Stree, in: FS Klug, S. 395 (399). Nicht zugestimmt werden kann hingegen der These, dass in den Weiterungsfällen die Zurechnung infolge eines Mittäterexzesses grundsätzlich ausgeschlossen sein soll. Zu den unterschiedlichen Schutzzwecken siehe unten Kap. 5, B. III. 143 Zur Übertragung des Schutzzweckzusammenhangs auf die Ingerenz anhand von Fallbeispielen Roxin, in: FS Trechsel S. 551 (561 f.); auf den Schutzzweck der Norm bei der Ingerenz ebenfalls explizit abstellend LK-Weigend, § 13 Rn. 47; BeckOK-StGB/ Heuchemer, § 13 Rn. 55; Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a. 144 BGH NStZ 2008, 276 (277); in BGHSt, 37, 106 (115) sieht der Senat hierin den „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“. 145 BGH NStZ 2008, 276 (277); siehe auch Rengier, Strafrecht AT, § 50 Rn. 96. 146 Ausf. hierzu Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, S. 128 ff. m.w. N.
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heute nicht geklärt, wie sich das Merkmal der Vorhersehbarkeit systematisch einordnen lässt. Im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte wird neben der objektiven Zurechnung danach gefragt, ob es sich um eine vorhersehbare Folge handelt. Häufig dient der Aspekt der Vorhersehbarkeit auch der Feststellung einer Sorgfaltspflichtverletzung. Wie gezeigt werden konnte, verwendet die Rechtsprechung die Vorhersehbarkeit zur Lösung der Regressverbotsfälle. Im Rahmen der vorsätzlichen Erfolgsdelikte dient das Merkmal der Vorhersehbarkeit meist dem Ausschluss von atypischen Kausalverläufen.147 Zum Teil wird überhaupt nicht explizit nach der Vorhersehbarkeit des Schadensverlaufs gefragt, da sie als Teil des Risiko- oder des Schutzzweckzusammenhangs behandelt wird.148 In der Tat lässt sich das Vorhersehbarkeitskriterium durchaus auch als Teil des Schutzzwecks der (Handlungs-)Norm begreifen.149 Denn die Norm schützt nicht vor Schadensverläufen, die untypisch und völlig unwahrscheinlich sind.150 Es kommen daher nur solche Schäden in Betracht, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch vorhersehbar sind. Allerdings lässt sich die Vorhersehbarkeit auch als ein Bestandteil des jeweiligen Zwecks des Tatbestands verstehen. Sinn und Zweck einer strafrechtlichen Tatbestandsnorm ist der Rechtsgüterschutz. Die objektive Zurechnung ermöglicht die Erreichung des Tatbestandszwecks unter strenger Respektierung der rechtlich anerkannten Freiheitssphären.151 Eine strafrechtliche Norm, die dem Bürger ein Verhalten verbietet, bei dem zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung die Schadensfolge überhaupt nicht vorhersehbar ist, ist nicht befolgbar, kann somit keinen Rechtsgüterschutz bewirken und stellt daher eine unzulässige Einschränkung der rechtlich garantierten Freiheit dar.152 Daher darf eine legitime Tatbestandsnorm in Form einer Verursachungsnorm ausschließlich ein Verhalten verbieten, das für den Täter ex ante erkennbar die Gefahr eines schädigenden Erfolges in sich birgt.153 Wurde demnach zwar eine rechtlich relevante Gefahr 147
Ausf. hierzu Block, Atypische Kausalverläufe, S. 86 ff. Triffterer, in: FS Bockelmann, S. 201 (212 f.); hierauf weist auch Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 68 hin. 149 So auch Roxin, in: FS Honig, S. 133 (140). Hierbei sollte aber besser schlicht vom Zweck der Norm gesprochen werden, statt von ihrem Schutzzweck. 150 Vgl. Triffterer, in: FS Bockelmann, S. 201 (212 f.). 151 Siehe dazu oben Kap. 4, B. III. 6. 152 Vgl. Ast, Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, S. 56; Schünemann, GA 1999, S. 207 (215 ff.); siehe auch Namias, Die Zurechnung von Folgeschäden, S. 40 f.; and. hingegen Vogel, Norm und Pflicht, S. 50 ff., für den das normwidrige Verhalten rein objektiv bestimmt und nicht einmal willentliches Handeln vorausgesetzt wird. Zur Befolgbarkeit des Normbefehls als wesentlicher Aspekt der objektiven Zurechnung siehe oben Kap. 4, B. III. 6. 153 LK-Walter, Vor § 13 Rn. 90; Frisch, in: FS Roxin zum 70., S. 213 (219); Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 105 ff.; NHK-StGB/Heinrich, Vor § 13 Rn. 91; SKStGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 57; vgl. auch Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 42 f. 148
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durch ein Verhalten geschaffen, aber hat sich nicht eine zum Zeitpunkt der Handlung vorhersehbare, sondern stattdessen eine aus der Sicht des Täters ex ante völlig unwahrscheinliche und atypische Gefahr verwirklicht, so hat sich nicht die vom Täter geschaffene Gefahr im Erfolg realisiert. Die Vorhersehbarkeit des schädigenden Erfolges stellt demnach auch einen maßgeblichen Aspekt der Risikorealisierung dar.154 Da für eine Garantenstellung aus Ingerenz ebenfalls ein zurechenbarer Verstoß gegen eine Verursachungsnorm vorliegen muss, können nur solche Vorhandlungen in Betracht kommen, bei deren Vornahme der schädigende Erfolgseintritt vorhersehbar gewesen ist. Auch die h. M. lässt grundsätzlich nur solche Vorhandlungen genügen, die die nahe Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Erfolgseintritts geschaffen haben, also solche, bei denen ex ante der Erfolg vorhersehbar war.155 Damit wendet insbesondere die Rechtsprechung ein anerkanntes Kriterium der objektiven Zurechnung an, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen. So bejaht der BGH eine Garantenstellung aus Ingerenz, wenn das gefährdende Vorverhalten „die Gefahr des Schadenseintritts als naheliegend erscheinen lässt“.156 Wie schon gesagt wurde, soll das Kriterium der Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts durch die Rechtsprechung keineswegs verworfen werden. An dieser Stelle konnte aber verdeutlicht werden, dass damit ein Kriterium der objektiven Zurechnung gefordert wird, das zwar notwendig ist, aber für die Bestrafung allein nicht genügt. Unabhängig von terminologischen Unterschieden kann damit festgehalten werden, dass die Vorhersehbarkeit des schädigenden Erfolges auch bei der Ingerenz im Einklang mit der h. M. aus dem hier vertretenen Schutzzweckprinzip sowie dem allgemeinem Verständnis von strafrechtlichen Normen resultiert. b) Kritik am Merkmal der Vorhersehbarkeit und dessen Konkretisierung in den Weiterungsfällen Hier soll von dem Grundsatz ausgegangen werden, dass die Vorhersehbarkeit aus Sicht eines vor der Tat urteilenden objektiven Beobachters zu beurteilen ist, der über die Kenntnisse eines einsichtigen Menschen des betreffenden Verkehrskreises verfügt.157 Da es sich hierbei um eine Voraussetzung des objektiven Tat154
So auch Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 62. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung in der Ledersprayentscheidung gemacht, da sie eine Garantenstellung aus Ingerenz annahm, obwohl die schädigende Wirkung zum Zeitpunkt der Vorhandlung nicht vorhersehbar war. Von dem hier vertretenen Standpunkt ausgehend hätte eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht bejaht werden dürfen. Ob u. U. eine andere Garantenstellung bspw. aus einer Verkehrssicherungspflicht bestand, ist eine andere Frage, die an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann. 156 BGHSt 43, 381 (396 f.); vgl. auch BGHSt 37, 106 (115); NJW 1998, 1568 (1573); 1999, 69 (71); 2009, 3173 (3174). 157 Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 20; Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 33. 155
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bestandes handelt, kommt es auf die subjektiven Vorstellungen des Täters zum Tatzeitpunkt nicht an. Auch wenn die Notwendigkeit der Vorhersehbarkeit des schädigenden Erfolges außer Frage stehen mag, bereitet dennoch der konkrete Inhalt dieses Kriteriums Probleme.158 Häufig wird behauptet, dass das Merkmal der Vorhersehbarkeit untauglich sei, die Zurechnung einer Handlung zum Erfolg zu ermöglichen.159 Dabei darf nicht übersehen werden, dass diese Kritik oft im Zusammenhang mit der Adäquanztheorie geäußert wurde und so gemeint ist, dass reine Vorhersehbarkeit als alleiniges Kriterium für die Erfolgszurechnung nicht tauge.160 Das wird hier aber auch nicht behauptet. Stattdessen stellt die Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges eine Voraussetzung dar, die zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Erfolgszurechnung ist. Im Bereich der Vorhersehbarkeit sind nach wie vor viele Fragen umstritten. So herrscht nach wie vor Streit darüber, welche Anforderungen an den Grad der Vorhersehbarkeit gestellt werden müssen, ob dabei nur der Erfolg oder aber auch der Kausalverlauf in das Wahrscheinlichkeitsurteil einbezogen werden muss und inwiefern Sonderwissen des Täters zu berücksichtigen ist.161 Dabei ist eine ausführliche Stellungnahme zu allen Problemen im Hinblick auf das Vorhersehbarkeitskriterium an dieser Stelle weder möglich noch notwendig, da die Arbeit ausschließlich der Lösung der Weiterungsfälle gewidmet ist. In den Weiterungsfällen kommt es in der Regel nicht darauf an, ob der Täter Sonderwissen hat oder nicht, so dass diese Frage hier offen gelassen werden kann. Hinsichtlich des Bezugspunktes der Vorhersehbarkeit gilt, dass schon aus dem Schutzzweck der jeweils in Betracht kommenden Verhaltensnorm folgt, dass nur typische Schadensfolgen zugerechnet werden können, deren Typizität sich gerade auch aus der besonderen Art des Schadensverlaufs ergibt. Folglich muss der Verlauf bis hin zum Erfolgseintritt zwar nicht in allen Einzelheiten, aber in seinen wesentlichen Merkmalen voraussehbar gewesen sein.162 Auch wenn die Rechtsprechung grundsätzlich nur auf den Erfolg als Bezugspunkt abstellen möchte, lehnt sie die Vorhersehbarkeit ab, wenn es sich um einen außerhalb aller Lebenserfahrung liegenden Kausalverlauf handelt und bezieht daher letztlich sehr wohl den Schadensverlauf in die Prognose ein.163
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Zur Kritik siehe Wolter, GA 1977, S. 257 (259 ff.). Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 42. 160 Vgl. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 55; siehe auch die Kritik von Wolter, GA 1977, S. 257 (261). 161 Hierzu Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 57; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 31 ff. 162 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 586 f. 163 BGHSt 3, 62 (63 f.); 12, 75 (77 f.); 49, 166 (174); OLG Stuttgart NJW 1982, 295 (296); NStZ 1997, 190 (191). 159
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Die schwierigste Aufgabe besteht darin, festzulegen, wie wahrscheinlich der Schadensverlauf aus der Sicht eines objektiven Dritten ex ante gewesen sein muss, damit der konkrete Erfolg als vorhersehbar bezeichnet werden kann. Mit anderen Worten: es muss der objektive Wahrscheinlichkeitsgrad des Gefahrverlaufs bestimmt werden, der für die Annahme eines Verhaltensnormverstoßes vorausgesetzt wird. Nur ist eine genaue Grenzziehung hinsichtlich dieses Wahrscheinlichkeitsgrades bisher nicht gelungen.164 Zwar verlangt die h. M., dass der Täter zum Zeitpunkt seiner Handlung den Erfolg als möglich voraussehen kann und er nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liegen darf.165 Aber es ist gerade, wie Rudolphi zu Recht bemerkt, „die allgemeine Lebenserfahrung, die uns lehrt, daß es auch atypische Kausalverläufe gibt“.166 Auch an dieser Stelle wird keine ausführliche Stellungnahme zu den Grenzen des Vorhersehbarkeitsmerkmals erfolgen können. Denn selbst wenn sich ein genauer Wahrscheinlichkeitsgrad benennen ließe, bei dessen Vorliegen der Schadensverlauf als vorhersehbar bezeichnet werden könnte, wäre hierdurch noch nicht viel gewonnen. Da die Prognose zum Zeitpunkt der Handlung ex ante gebildet werden muss, kann ohnehin kein objektiver Betrachter alle Faktoren erfassen, die Einfluss auf den Kausalverlauf haben können.167 Daher wird man sich mit einer objektiven Prognose begnügen müssen, die sich an den erkennbaren Umständen der Handlungssituation orientiert und gleichzeitig Erfahrungssätze eines einsichtigen Menschens des betreffenden Verkehrskreises einbezieht.168 Allerdings spricht viel dafür, schon im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Funktion von Normen, dass eine Person nur dann eine Verhaltensanpassung vornehmen wird, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein bestimmter Schadensverlauf eintritt. Man wird von niemandem verlangen können, dass er sein Verhalten im Hinblick auf theoretisch mögliche, aber ganz unwahrscheinliche und atypische Folgen anpasst. Die Voraussetzung, dass nur konkret wahrscheinliche Schadensverläufe als vorhersehbar bezeichnet werden können, folgt auch aus der Sanktionsfunktion der Tatbestandsnormen.169 Denn wie gezeigt werden konnte, richtet sich der Bestimmtheitsgrundsatz auch an die Rechtsprechung, die durch die präjudizielle Wirkung ihrer Urteile gewährleisten muss, dass der Bürger die Möglichkeit der 164 Darauf weisen Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 24 hin, die aber auch bemerken, dass das Merkmal der Vorhersehbarkeit gleichwohl nicht zu verwerfen sei. 165 BGHSt 12, 76 (78); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 586 f.; Gropp, Strafrecht AT, § 12 Rn. 45; Fischer, StGB, § 222 Rn. 25 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 667a. 166 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 55. 167 Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 22; vgl. auch Wolter, GA 1977, S. 257 (261). 168 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 22. 169 Siehe dazu oben Kap. 5, B. II. 3. b).
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Strafbarkeit zum Zeitpunkt seiner Handlung erkennen kann. Dem Bürger unwahrscheinliche und untypische Schadensfolgen zuzurechnen, würde dazu führen, dass die Bestimmtheit der Verursachungsverbotsnormen nachlassen würde, da der Bürger nicht vorhersehen könnte, welche seiner Handlungen im Nachhinein als normwidrig bewertet werden könnten. Damit stellt die Vorhersehbarkeit ein unverzichtbares Kriterium der objektiven Zurechnung dar, das nur dann erfüllt ist, wenn der Erfolgsverlauf auf Grund konkreter Anhaltspunkte hinreichend wahrscheinlich und damit konkret vorhersehbar ist.170 Speziell im Bereich der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun folgt das Erfordernis eines zum Zeitpunkt der Vorhandlung konkret wahrscheinlichen Schadensverlaufs umso mehr aus dem Gebot, die Ingerenz restriktiv handzuhaben, um den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG gerecht zu werden.171 Besonders bei psychisch vermittelten Kausalverläufen lassen sich die Folgen freier Handlungen Dritter wegen der unzähligen Anzahl theoretisch möglicher Verhaltensweisen nur schwer vorhersehen. Daher darf auch in diesen Fällen die Vorhersehbarkeit zum Zeitpunkt der Ersthandlung nur dann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Weiterungstat einer Person vorliegen. Diese müssen sich aus den allgemeinen Tatumständen ergeben und sind besonders dann zu bejahen, wenn sich der spätere Weiterungstäter zum Zeitpunkt der Ersthandlung erkennbar tatgeneigt zeigt.172 Die Voraussetzung einer konkreten Wahrscheinlichkeit ergibt sich bei psychisch vermittelten Kausalverläufen auch schon aus dem Vertrauensgrundsatz, den die Rechtsprechung173 besonders im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte regelmäßig heranzieht, der aber auch in der Literatur viele Anhänger174 gefunden hat.175 Hiernach könne grundsätzlich jeder darauf vertrauen, dass andere keine Straftaten begehen. Jedoch dürfe sich derjenige nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, der sich selbst nicht sorgfaltsgemäß verhält.176 Damit ist aber nicht gemeint, dass nach jeder pflichtwidrigen Handlung eine Berufung auf den Ver170
So auch BeckOK-StGB/Kudlich, § 15 Rn. 56. Siehe oben Kap. 2, C. V. 172 Siehe hierzu im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (190 ff.). 173 RGSt 70, 71 ff.; 73, 239 ff.; BGHSt 4, 182 ff. 174 Siehe hierzu Schmoller, in: FS Triffterer, S. 223 (245 f.); Contreras, Normative Kriterien, S. 240. 175 Wenn darauf vertraut werden konnte, dass der Dritte sich rechtstreu verhält, so lässt sich u. U. schon die rechtlich missbilligte Risikoschaffung verneinen. In den hier behandelten Weiterungsfällen liegt aber allein in der Vorhandlung schon das rechtlich missbilligte Verhalten. Die Frage, ob der Vertrauensgrundsatz eingreift, stellt sich dann ausschließlich im Hinblick auf die weitergehende Rechtsgutsverletzung durch den Dritten. 176 Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 33; Fischer, StGB, § 222 Rn. 14; BeckOKStGB/Kudlich, § 15 Rn. 49. 171
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trauensgrundsatz für alle nachfolgenden pflichtwidrigen Handlungen durch Dritte verwehrt bleiben müsse.177 Stattdessen kann auch bei einer für sich genommen strafbaren Handlung das Vertrauen des Vortatbeteiligten anerkannt werden, dass ein anderer dem Opfer nicht ohne ersichtlichen Grund weitere bzw. noch schwerwiegendere Schäden zufügt.178 Wer demnach einem anderen in einer Einkaufspassage ins Gesicht schlägt, kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass er hierdurch nicht andere zu Weiterungstaten auffordert. Etwas anderes gilt dann, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine Straftat durch einen Dritten nahelegen; unter anderem dann, wenn ein Dritter erkennbar tatgeneigt ist.179 Geht demnach z. B. eine Gruppe aggressiv gestimmter Neonazis durch die Stadt und beginnt einer von ihnen ohne Absprache mit den anderen einen Ausländer zu verprügeln, dann wird der Täter sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen dürfen, wenn die Situation Weiterungstaten der anderen Gruppenmitglieder nahe gelegt hat. Somit lässt sich aus dem Vertrauensgrundsatz folgern, dass für die Vorhersehbarkeit der konkreten Schadensfolge ein allgemeines Risiko für Straftaten Dritter nicht ausreicht. Es müssen stattdessen konkrete Anhaltspunkte für die Weiterungstaten anderer Personen vorliegen.180 D. h. entweder muss der andere durch sein vorheriges Verhalten deutlich gemacht haben, dass er zu Weiterungstaten neigt, oder die konkrete Situation muss die Weiterungstat des Dritten nahelegen.181
III. Übertragung der Ergebnisse auf ausgewählte Delikte als Vorhandlung Im Folgenden soll anhand von Beispielen gezeigt werden, welcher Schutzzweck verschiedenen Delikten im Hinblick auf einen späteren Erfolg entnommen werden kann und welche Folgen sich daraus für die Strafbarkeit in den Weiterungsfällen ergeben. Es wurden mit der Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung und der Beleidigung drei Delikte ausgewählt, die in den 177
Vgl. auch NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 166. Zu Recht weist Sch/Schr-Sternberg-Lieben, (28. Aufl.), § 15 Rn. 215 darauf hin, dass die Sorgfaltspflichtverletzung „erfolgsrelevant“ gewesen sein muss, damit der Vertrauensgrundsatz verwehrt werden darf. Die Verwehrung des Vertrauensgrundsatzes auf Grund einer Pflichtverletzung darf nicht dazu führen, dass andere Zurechnungsvoraussetzungen „überspielt“ werden. 179 Roxin, Strafrecht AT I, § 24 Rn. 28 ff. 180 Während der Vertrauensgrundsatz überwiegend im Zusammenhang mit dem erlaubten Risiko zum Tragen kommt, möchte Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 37 ff. ihn zur Abgrenzung von Verantwortungsbereichen heranziehen. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 73 zieht den Vertrauensgrundsatz bei Fällen fahrlässiger Förderung fremden Unrechts heran. 181 Vgl. Schmoller, in: FS Triffterer, S. 223 (246). 178
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durch die Rechtsprechung entschiedenen Weiterungsfällen typischerweise vorkommen.182 Damit diese Delikte als Vortaten für eine Garantenstellung aus Ingerenz in den Weiterungstaten herangezogen werden können, muss die Rolle der in Betracht kommenden Verhaltensnormverstöße genau bestimmt werden. Zunächst stellt die Verwirklichung z. B. einer Körperverletzung einen Verstoß gegen die eigenständige Verursachungsnorm, die in § 223 StGB enthalten ist, dar. Im Kontext mit der Weiterungstat stellt die Körperverletzung, durch die die Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen werden muss, den Verstoß gegen eine eigenständige Handlungsnorm dar, der quasi als Durchgangsstadium den Verstoß gegen die Verursachungsnorm aus dem Körperverletzungstatbestand voraussetzt. Diese Handlungsnorm, die die Schaffung der Gefahr des Weiterungserfolges durch die Körperverletzung verbietet, wird von der für die Ingerenzstrafbarkeit erforderlichen eigenständigen Verursachungsnorm, z. B. des Totschlags durch (Ingerenz-) Unterlassen gem. §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB, in Bezug genommen. Da folglich die Handlungsverbotsnorm konkret an das bereits verwirklichte Unrecht aus der Ersthandlung anknüpft, muss insbesondere der Schutzzweck des verwirklichten Tatbestandes, in diesem Beispiel also der Körperverletzung, beachtet werden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang aber auch der Art und Intensität der Rechtsgutsverletzung zu. Auf Grundlage dieser Anknüpfungspunkte soll daher im Ergebnis festgestellt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die nachfolgenden Delikte als Grundlage für eine Garantenstellung aus Ingerenz bei den Weiterungsfällen fungieren können. 1. Körperverletzung gem. § 223 StGB als Vortat Die h. M. sieht den Zweck des Körperverletzungstatbestandes ausschließlich im Schutz der körperlichen Integrität und Gesundheit.183 Gemeint sind damit physische Beeinträchtigungen des Körpers durch körperliche Misshandlungen oder Gesundheitsschädigungen. Der Umfang des Normzwecks ist hochumstritten. Der Streit handelt im Wesentlichen darum, vor welchen Schäden über die physische Unversehrtheit hinaus geschützt werden soll.184 Sieht man den Zweck des Körperverletzungstatbestandes ausschließlich im Schutz der physischen Un182 Grds. kann jedes gemeinsam begangene Delikt die Weiterungstat eines Vortatbeteiligten nach sich ziehen. Denkbar ist dies vor allem dann, wenn die Weiterungstat zur Verdeckung der Vortat erfolgt. 183 BeckOK-StGB/Eschelbach, § 223 Rn. 1; Sch/Schr-Eser, § 223 Rn. 1; Fischer, StGB, § 223 Rn. 2; MüKo-StGB/Joecks, § 223 Rn. 4; NK-StGB/Paeffgen, § 223 Rn. 2; kritisch Schroeder, in: FS Hirsch, S. 725 (734 ff.). 184 So befürwortet eine beachtliche Mindermeinung bspw. auch den Schutz vor psychischen Schäden über die §§ 223 ff. StGB. Siehe dazu Blei, Strafrecht BT, § 12 III; Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht BT I, Rn. 193.
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versehrtheit, so wäre in den Weiterungstaten die Frage, ob die Norm vor weitergehenden Straftaten schützen soll, eindeutig mit nein zu beantworten, so dass auch eine Garantenstellung aus Ingerenz entfallen müsste. Der Schutzzweck würde sich dann in den physischen Folgen der (Vor-)Tat erschöpfen und würde damit nicht dem Schutz vor über den freien Willen einer voll verantwortlichen Person vermittelten Weiterungstaten dienen. So verstanden kann die Körperverletzung als Ersthandlung trotz der Schaffung einer Gefahr für den Weiterungserfolg, der auch in weiteren Körperverletzungen bestehen kann, mangels Schutzzweckzusammenhangs nicht zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz herangezogen werden. Der Schutzzweck des § 223 StGB lässt sich aber auch anders interpretieren. Die körperliche Unversehrtheit stellt eine Grundvoraussetzung für die Freiheitsentfaltung des Menschen dar. Mithilfe seines Körpers kann sich der Mensch ernähren, sein Leben gestalten, sich aber auch vor Fremdeinwirkungen schützen. Dieses Freiheitsentfaltungspotenzial des Menschen hängt maßgeblich von der Funktionsfähigkeit seines Körpers ab. Die Verletzung eines Menschen stellt demnach nicht nur eine Beeinträchtigung seines Körpers bzw. seiner Gesundheit dar, sondern wirkt sich auch – je nach Schwere der Beeinträchtigung mehr oder weniger – auf seine Autonomie aus. Daher erschöpft sich die Funktion des § 223 StGB nicht ausschließlich im Schutz der biologischen Unversehrtheit des Menschen. Stattdessen lässt sich der Körperverletzungstatbestand, wie Tag betont, als Norm begreifen, die mittelbar über den Schutz der körperlichen Unversehrtheit hinaus die „freie Entfaltung des Einzelnen“ schützt.185 Der Wortlaut des § 223 StGB ist insoweit nicht eindeutig, da das StGB von körperlicher Misshandlung und Gesundheitsschädigung spricht, ohne dass genau ersichtlich wird, was unter der Körperlichkeit zu verstehen ist.186 Gegen den Schutz der Autonomie durch den Tatbestand der Körperverletzung könnte eingewendet werden, dass das Strafrecht andere Delikte enthält, die möglicherweise explizit und abschließend den Schutz der personalen Autonomie zur Aufgabe haben. Zu nennen wären z. B. die Delikte zum Schutz der freien Willensäußerung, aber auch die Delikte zum Schutz der persönlichen Bewegungsfreiheit.187 Doch setzen diese Straftaten nicht zwangsläufig eine Körperverletzung als Grundlage der Autonomieeinschränkung voraus.188 Der Bereich der Freiheits185 Tag, Der Körperverletzungstatbestand, S. 68; vgl. auch Freund/Heubel, MedR 1995, S. 194 (198), die im Begriff des Körpers bei wertender Betrachtung den „Kernbestand des Freiheitsentfaltungspotenzials einer Person“ sehen. 186 Hiermit soll allerdings nicht gemeint sein, dass die Autonomie der Person von § 223 StGB auch unabhängig von Eingriffen in die körperliche Integrität geschützt werden soll. Daher unterfällt dem Schutzbereich des § 223 Abs. 1 StGB auch nicht das reine Beschädigen von Prothesen. So aber Freund/Heubel, MedR 1995, S. 194 (198). 187 Tag, Der Körperverletzungstatbestand, S. 63. 188 Tag, Der Körperverletzungstatbestand, S. 62 f.
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einschränkung durch Verletzungen des Körpers kann daher nicht als abschließend geregelt bezeichnet werden. Ohnehin liegt der Autonomieaspekt vielen Delikten des Strafrechts zu Grunde. Also kann davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand der Körperverletzung die Autonomie durch körperliche Betätigung schützt. Geschützt wird damit auch die Möglichkeit, sich gegen Rechtsgutsverletzungen jeglicher Art zu wehren. Es macht unter diesem Gesichtspunkt daher auch keinen Unterschied, ob jemand auf einem Waldweg derart schwer verletzt wird, dass er sich aus eigener Kraft nicht in Sicherheit bringen kann und infolgedessen erfriert, oder ob sich das Opfer gegen einen weiteren Angreifer nicht wehren kann und daher von einer anderen Person getötet wird. Verletzt man einen Menschen mit der Folge, dass seine Abwehrmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind und er aus diesem Grund einer weitergehenden Verletzung bzw. sogar der Tötung durch eine dritte Person schutzlos ausgeliefert ist, so handelt es sich um eine Verletzungsfolge, vor der § 223 StGB schützt. Entscheidend ist hierbei, dass es sich um eine typische und konkret vorhersehbare Verletzungsfolge handelt. Im Rahmen der Zurechnung zum weitergehenden Erfolg darf die Körperverletzung nicht isoliert betrachtet werden. Stattdessen muss der Weiterungserfolg in die Betrachtung mit einbezogen werden. Denn die Zurechnung hängt maßgeblich vom Schutzzweckzusammenhang sowie der konkreten Vorhersehbarkeit des Schadensverlaufs ab. Der Schadensverlauf muss demnach, gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung, eine typische und konkret vorhersehbare Folge der Körperverletzung darstellen. Wird somit eine Person in ihrer eigenen Wohnung so lange geschlagen, bis sie ohnmächtig zu Boden fällt, und sodann in dieser Lage einfach liegengelassen, wird man weitergehende Verletzungen nicht zurechnen können, wenn zufällig am selben Tag ein anderer in die Wohnung einbricht und das Opfer noch schwerer verletzt. Zwar dient der Körperverletzungstatbestand dazu, solchen Verletzungen vorzubeugen, die dadurch entstehen, dass ein Mensch sich nicht gegen Angriffe Dritter wehren kann. Allerdings müssen unvorhersehbare, weil völlig untypische Folgen die Zurechnung entfallen lassen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn z. B. während einer Schlägerei unter Hooligans ein Beteiligter ohnmächtig geschlagen wird und kurz darauf von einem anderen Hooligan totgetreten wird, während er auf dem Boden liegt. Hier handelt es sich um eine typische und vorhersehbare Folge der Vorhandlung. Damit also die Weiterungstat eine typische und vorhersehbare Folge darstellt, wird man bei Körperverletzungen als Vortaten i. d. R. einen räumlich und zeitlich engen Zusammenhang zwischen Vorhandlung und Weiterungstat fordern müssen. Allerdings kann nicht bei jeder Form einer Körperverletzung der Schutzzweckzusammenhang und damit unter Umständen auch eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen werden. Stattdessen muss es sich um eine erhebliche Verletzung handeln, die dem Opfer die Möglichkeit der Selbstverteidigung als Ausdruck ihrer Autonomie nimmt. Gemeint ist damit der Zustand der Hilflosigkeit,
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den auch die bereits genannten Autoren189 im Zusammenhang mit den Weiterungsfällen heranziehen wollen. Dieser Begriff wird auch ausdrücklich von der Rechtsprechung im Rahmen der Weiterungsfälle verwendet, um eine Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen.190 Das Strafrecht kennt Delikte, die diesen Zustand ausdrücklich erwähnen. Er findet sich zum einen in der Aussetzung gem. § 221 StGB, die in einer Variante an das Versetzen des Opfers in eine hilflose Lage anknüpft, und zum anderen im besonders schweren Fall des Diebstahls, bei dem die Hilflosigkeit einer Person ausgenutzt wird. Nach der h. M. befindet sich derjenige in einer hilflosen Lage i. S. d. § 221 StGB, der potenziellen oder hypothetischen oder etwaigen Gefahren gegenüber hilflos wäre.191 Da die Aussetzung eine konkrete Gefährdung verlangt, ist bisher nicht geklärt, welcher Gefahrengrad bereits im Begriff der hilflosen Lage enthalten sein soll. Der Zustand der Hilflosigkeit im Rahmen des § 243 StGB meint eine Lage, in der sich jemand aus eigener Kraft nicht gegen die dem Rechtsgut konkret drohenden Gefahren schützen kann.192 Da die Delikte jedoch unterschiedliche und mit dem der Körperverletzung nicht identische Normzwecke verfolgen, können die Definitionen nicht einfach übernommen werden. Der Begriff der hilflosen Lage muss für die Körperverletzung als Vorhandlung im Hinblick auf eine Garantenstellung aus Ingerenz eigenständig definiert werden. Genauer gesagt muss anhand dieses Begriffs festgelegt werden, wie schwer die Abwehrfähigkeit des Opfers als Teil seines Freiheitsentfaltungspotenzials infolge einer Körperverletzungshandlung gemindert sein muss, damit die weitergehenden Verletzungshandlungen eines Dritten einen Schaden darstellen, vor dem der Tatbestand der Körperverletzung schützen will. Dennoch können Hinweise wie der Begriff der hilflosen Lage i. R. d. § 221 StGB sowie der Begriff Hilflosigkeit i. R. d. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB als Orientierung dienen. Zunächst einmal ist eine situationsbezogene Hilflosigkeit zu verlangen. Vorstellbar ist nämlich, dass die Person bereits vor der Körperverletzung vermindert fähig ist, sich gegen Angriffe anderer zu wehren. Das darf aber nicht dazu führen, dass diese Person weniger schützenswert ist als jemand, dessen Abwehrfähigkeit durch die Körperverletzung um ein erhebliches Maß reduziert wurde. Es kommt entscheidend darauf an, dass der Grad der Selbsthilfefähigkeit vom status quo abweicht und durch die Körperverletzung hervorgerufen wird.193 Wie groß 189
Stree, in: FS Klug, S. 395 (403). Siehe oben Kap. 1, C. I. 191 Küper, ZStW 111 (1999), S. 30 (47 ff.); Sch/Schr-Eser, § 221 Rn. 4; Lackner/ Kühl, StGB, § 221 Rn. 2. 192 Lackner/Kühl, StGB, § 243 Rn. 21. 193 Im Rahmen des § 221 Abs. 1 StGB wird auch eine Situationsverschlechterung gefordert. Siehe dazu BeckOK-StGB/Eschelbach, § 221 Rn. 1. Allerdings besteht zwischen der durch eine Körperverletzung hervorgerufenen Hilflosigkeit und der Hilflosigkeit im Rahmen der Aussetzung ein wesentlicher Unterschied darin, dass § 221 Abs. 1 190
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der Unterschied zur vorherigen Abwehrfähigkeit ist, ist nicht entscheidend. Denn wenn man die Autonomie durch die körperliche Unversehrtheit als durch die Körperverletzung geschützt ansieht, so wird man an die Differenz zwischen dem status quo und den durch die Vorhandlung geminderten Abwehrmöglichkeiten keine allzu großen Anforderungen stellen dürfen. Daher wird man auch die gebrechliche alte Dame, deren Abwehrfähigkeiten ohnehin nicht sehr ausgeprägt sind, ebenso schützen müssen, wie den Kampfsportler, wenn die Vorhandlung in eine vollständig hilflose Lage des Opfers mündet. Entscheidend ist demnach, dass das Opfer in eine Lage versetzt wird, in der es sich nicht mehr gegen potenzielle Gefahren wehren kann. Um feststellen zu können, ob sich das Opfer tatsächlich nicht mehr gegen potenzielle Gefahren wehren konnte, müssen alle situationsbedingten Aspekte berücksichtigt werden. So kann unter Umständen schon ein verstauchter Knöchel dazu führen, dass sich das Opfer gegen weitere Angriffe nicht mehr wehren kann. Andererseits kann jemand, dem beide Beine gebrochen werden, abwehrfähig sein, wenn er eine geladene Schusswaffe bei sich führt. Zeitlich gesehen muss die auf der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit basierende Hilflosigkeit bis zur Rechtsgutsverletzung bestehen bleiben.194 Hat demnach der Vortatbeteiligte eine andere Person durch die Körperverletzung in eine hilflose Lage versetzt und nutzt der Weiterungstäter diese Lage aus, um dem Opfer weitere Schäden zuzufügen, so handelt es sich um eine Folge, vor der die Norm, gegen die der Ersttäter verstoßen hat, grundsätzlich schützt.195 Die Zurechnung kann aber nur dann erfolgen, wenn sich die Weiterungstat zum Zeitpunkt der Ersthandlung nach allgemeiner Lebenserfahrung als typische Folge darstellt und ex ante konkret vorhersehbar war. Damit kann festgehalten werden, dass der Körperverletzungstatbestand vor konkret vorhersehbaren Rechtsgutsbeeinträchtigungen schützt, die darauf basieren, dass das Opfer durch die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit StGB auch das Versetzen in diese Lage durch Veränderung der räumlichen Situation erfasst, ohne dass die körperliche Abwehrfähigkeit verändert werden muss. 194 Vgl. auch BeckOK-StGB/Eschelbach, § 221 Rn. 2, wonach eine Person i. R. d. § 221 Abs. 1 StGB nicht als hilflos bezeichnet werden kann, wenn sie „auf die Unterstützung durch andere Personen (. . .), durch Tiere oder technische Apparaturen zurückgreifen und sich dadurch helfen kann“. 195 Daher muss Stree, in: FS Klug, S. 395 (403) widersprochen werden, wenn er die unmittelbar drohenden Weiterungstaten eines Dritten als nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst ansieht. Warum es sich bei der Weiterungstat eines Dritten im engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit der hilflosen Lage generell nicht um ein spezifisches Risiko derselben handeln soll, ist nicht ersichtlich. Ebenfalls auf den Schutzzweck der Norm rekurrierend aber dennoch generell eine Haftung für Weiterungstaten abl. Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 35a; siehe auch Roxin, in: FS Trechsel, S. 551 (562), der in den hier genannten Fällen eine Garantenstellung wohl ablehnen würde, obwohl er in diesem Zusammenhang auch an den Schutzzweck des Körperverletzungsverbotes anknüpft, hierbei aber nicht ausreichend differenziert.
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nicht dazu in der Lage ist, sich gegen typische und konkret vorhersehbare Weiterungstaten zu wehren. Es konnte also gezeigt werden, dass der Begriff der hilflosen Lage, der von Literatur und Rechtsprechung immer wieder im Zusammenhang mit den Weiterungsfällen genannt wird, nicht bloß ein zufällig herausgegriffenes Merkmal darstellt. Stattdessen hat sich herausgestellt, dass das Erfordernis der Schaffung einer hilflosen Lage mit dem Schutzzweck des Tatbestandes der Körperverletzung als Teil der Handlungsnorm, an die das Ingerenzunterlassen anknüpft, legitimiert werden kann. 2. Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als Vortat bei mehreren Beteiligten Im Rahmen einer gefährlichen Körperverletzung, die gem. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird, stellt sich die Frage, ob das Opfer hier ebenfalls in eine hilflose Lage versetzt werden muss, damit der Schutzzweckzusammenhang angenommen werden kann. Die Besonderheit bei dieser Qualifikationsvariante liegt darin, dass § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine Körperverletzung strenger sanktioniert, weil auf Grund der gemeinsamen Begehung ein höheres Gefahrenpotenzial besteht. Der Grund für die gesteigerte Gefährlichkeit dieser Begehungsweise liegt unter anderem in dem Aufschaukelungseffekt, der bei mehreren Personen auftreten kann.196 Denn es besteht hierbei die Gefahr, dass Beteiligte untereinander keine Schwäche zeigen und sich gegenseitig in der Härte des Angriffes überbieten wollen, woraus weitergehende schwerere Schäden resultieren können.197 Im Gegensatz zu der Körperverletzung schützt der Qualifikationstatbestand in dieser Variante also ganz gezielt auch vor psychischen Bestärkungen des Tatentschlusses anderer, die zu typischen Weiterungstaten führen. Daher kann auch über die motivierende Wirkung der Körperverletzung auf den Weiterungstäter eine Garantenstellung aus Ingerenz entstehen. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Umgehung der Täterschafts- und Teilnahmevorschriften, da hierbei an die Verletzung einer Norm angeknüpft wird, deren Zweck gerade darin besteht, vor Weiterungstaten zu schützen. Denn hier wird zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz in den Weiterungsfällen nicht an eine bloß irgendwie geartete Bestärkung des Tatentschlusses angeknüpft. Stattdessen handelt es sich bei § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB um eine Tatbestandsnorm, die gerade vor Weiterungstaten schützt, die aus der Begehung einer
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Siehe Lackner/Kühl, StGB, § 224 Rn. 7; NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rn. 24. Zum „Aufschaukelungseffekt“ siehe Paeffgen, StV 2004, S. 76 (79), der allerdings der Annahme der Qualifikation kritisch gegenübersteht, wenn der Täter die Körperverletzung lediglich mit der Unterstützung eines „bloß psychischen Beihelfers“ begangen hat. 197
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Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich resultieren können. Aber wie bei einfachen Körperverletzungen muss es sich auch hier um typische und konkret vorhersehbare Weiterungstaten handeln. Schubst demnach jemand mit einem anderen gemeinschaftlich ein Opfer gegen eine Wand, so ist nicht ohne weitere Anhaltspunkte vorhersehbar, dass einer der Beteiligten danach zur Tötung des Opfers übergeht. Anders ist die Lage zu bewerten, wenn das Opfer von beiden heftig verprügelt wird und der Weiterungstäter dem Opfer weitere, noch schwerere Verletzungen zufügt, die beispielsweise den Tatbestand des § 226 StGB erfüllen oder gar den Tatbestand des § 212 StGB verwirklichen. Bei der letzten Fallgruppe können dann Aspekte wie beispielsweise die Intensität der Verletzungshandlung oder das Aggressionspotenzial der Täter die konkrete Vorhersehbarkeit sowie die Typizität des Geschehensverlaufs begründen. Bis heute herrscht Streit darüber, welche Voraussetzungen für die gemeinschaftliche Beteiligung vorliegen müssen.198 Während die h. M. es genügen lässt, dass ein Teilnehmer am Tatort anwesend ist, soll die Qualifikation nach einer beachtlichen Mindermeinung nur dann erfüllt sein, wenn die Tat durch mindestens zwei Mittäter begangen wurde.199 Als Grund für die strengeren Voraussetzungen wird das ansonsten bestehende Gefälle zwischen Voraussetzungs- und Rechtsfolgenseite genannt. Lasse man die bloße Teilnahme an der Körperverletzung genügen, wäre die Strafe im Vergleich zur Handlung unangemessen hoch und nicht mehr mit den anderen Varianten der gefährlichen Körperverletzung vergleichbar.200 Dennoch sprechen die besseren Argumente dafür, die Teilnahme einer am Tatort befindlichen Person für die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes ausreichen zu lassen. Denn immerhin hat der Gesetzgeber die Formulierung explizit von dem Erfordernis der gemeinschaftlichen Begehung dahingehend verändert, dass die Tat nunmehr gemeinschaftlich mit einem anderen Beteiligten, nach der Legaldefinition des § 28 Abs. 2 StGB also mit einem Täter oder Teilnehmer, begangen werden kann.201 Auch lässt sich schon aus sachlichen Gesichtspunkten eine Beschränkung auf die mittäterschaftliche Begehung nicht halten. Denn die Gefahr beispielsweise eines Aufschaukelungseffekts kann auch durch einen psychischen Gehilfen, der den Täter anfeuert, gesteigert werden.202 Genauso ist
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Zum Streitstand siehe NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rn. 23 ff. m.w. N. NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rn. 24. 200 Vgl. NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rn. 24. 201 Vgl. Sch/Schr-Stree/Sternberg-Lieben, § 224 Rn. 11a. 202 So auch BGH NStZ 2006, 572 (573); a. A. Sch/Schr-Stree/Sternberg-Lieben, § 224 Rn. 11a; siehe aber auch Wessels/Hettinger, Strafrecht BT I, Rn. 281, die zwar auch eine Teilnahme genügen lassen, aber hiervon die psychische Beihilfe explizit ausnehmen. 199
B. Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung
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denkbar, dass von einer Gefahrsteigerung nicht auszugehen ist, wenn ein Mittäter bloß „Schmiere steht“ und keinen Einfluss auf die Gefährlichkeit der Körperverletzung hat. Daher wird zu Recht verlangt, dass durch die gemeinsame Begehung die Gefahr für das Opfer durch die gegnerische Übermacht, den Aufschaukelungseffekt sowie die Reduzierung seiner Verteidigungschancen erhöht wird.203 Hierfür wird man bei einer Beihilfe nicht jedes einfache Fördern der Haupttat genügen lassen dürfen. Entscheidend ist viel mehr, dass der Gehilfe durch seinen gegebenenfalls auch psychischen Beitrag die besonderen Gefahren, die § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB voraussetzt, gefördert und mitbegründet hat.204 Zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz wird man daher verlangen müssen, dass der Täter gemeinsam mit einem am Tatort Anwesenden die Tat begeht. Dabei muss die Begehungsweise insbesondere unter besonderer Beachtung der Intensität der Verletzungshandlung eine Weiterungstat auf Grund konkreter Anhaltspunkte als konkret vorhersehbare und typische Folge erscheinen lassen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Vortatbeteiligte dem späteren Weiterungstäter, während er auf das Opfer einschlägt, einen Stock reicht, damit dieser noch fester zuschlagen kann, und der Täter daraufhin das Opfer mit Stockschlägen gegen den Kopf tötet. Handelt der Gehilfe hierbei ohne entsprechenden Tötungsvorsatz, kommt eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht, da er durch sein Verhalten die Verteidigungschancen des Opfers maßgeblich reduziert hat. 3. Beleidigung gem. § 185 StGB als Vortat Der Zweck des Beleidigungstatbestandes besteht nach ganz h. M. darin, die Ehre einer Person zu schützen.205 Auch wenn in vielen körperlichen Auseinandersetzungen Beleidigungen häufig parallel hierzu ausgesprochen werden, besteht der Schutzzweck der Vorschrift nicht darin, Weiterungstaten eines Dritten zu verhindern, auch wenn solche im konkreten Fall durchaus vorhersehbar sein sollten. Beleidigen demnach beispielsweise Neonazis gemeinsam – sei es auch in erheblicher Weise – einen Ausländer und fühlt sich einer der Beleidigenden dazu angestachelt, das Opfer zu verprügeln oder gar zu töten, so liegt diese Folge außerhalb des Schutzzwecks des Beleidigungstatbestandes. Daran ändert sich auch nichts, wenn diese Folge nach allgemeiner Lebenserfahrung durchaus typisch und vorhersehbar ist. 203 Vgl. BGHSt 47, 384 (387); vgl. auch Sch/Schr-Stree/Sternberg-Lieben, § 224 Rn. 11a. 204 Dies verkennt der BGH, indem er grundsätzlich eine psychische oder physische Beihilfe genügen lässt. Siehe nur BGH NStZ 2006, 572 (573). 205 BGHSt 1, 288 (289); 36, 145 (148); MüKo-StGB/Regge/Pegel, § 185 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB, Vor § 185 Rn. 1; dabei ist hochumstritten, was unter dem Begriff der Ehre zu verstehen ist. Siehe dazu NK-StGB/Zaczyk, Vor §§ 185–200 Rn. 1 ff.
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
In so einem Fall eine Garantenstellung aus Ingerenz anzunehmen, liefe auf eine unzulässige Umgehung der Täterschafts- und Teilnahmevorschriften hinaus. Denn in diesem Fall dient die Norm, an die zur Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz angeknüpft wird, nicht dem Schutz vor Weiterungstaten. Stattdessen könnte man in so einem Fall nur noch auf den objektiven Unrechtsgehalt einer psychischen Beihilfe in Form der Bestärkung des Tatentschlusses des Weiterungstäters abstellen, die aber in den ausschließlichen Regelungsbereich der Täterschafts- und Teilnahmevorschriften fällt und daher bei mangelndem Vorsatz zum Zeitpunkt der Ersthandlung straflos bleiben muss. 4. Ergänzende Hinweise bei Anstiftung und Beihilfe zur Ersthandlung als Vortat Denkbar sind ebenfalls Fallkonstellationen, in denen eine Person an der Ersthandlung entweder als Anstifter oder als Gehilfe teilgenommen hat und der Haupttäter nach der Ersthandlung eine Weiterungstat begeht, die nicht vom Teilnehmervorsatz umfasst war. Auch hier hängt die Zurechnung vom Schutzzweck der Norm ab, gegen die verstoßen wurde. Auch eine vollendete Anstiftung zu einer Körperverletzung, die die Gefahr einer Weiterungstat schafft, kann einen Verstoß gegen eine Handlungsverbotsnorm darstellen, an die eine Ingerenzstrafbarkeit anknüpfen kann. Bei der Anstiftung spricht die mit der Haupttat identische Strafandrohung dafür, dass das Strafrecht beiden Beteiligungsformen einen ähnlich hohen Unrechtsgehalt zuschreibt. Auch wenn die Anstiftung auf Grund der limitierten Akzessorietät von der Haupttat abhängig ist, erlangt sie durch das Bestimmen des Täters zur Haupttat und der hiermit verbundenen (Mit-)Verursachung der Straftat ihren besonderen Unrechtsgehalt.206 Dies wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Anstifter in erheblichem Maße die Freiheitssphäre des Opfers tangiert, indem er eine andere Person dazu veranlasst, dessen Rechtsgüter zu verletzen. Schließt sich an die Haupttat eine Weiterungstat an, die auf die Anstiftung zurückzuführen ist, so hat der Anstifter die Freiheitssphäre des Opfers über die bereits mit der Haupttat verbundene Freiheitsverletzung hinaus in einen negativen Zustand versetzt, der sich endgültig zu verfestigen droht. Damit dies nicht geschieht, trifft den Anstifter die Pflicht, die Schadensrealisierung zu verhindern.207 Daher kann grundsätzlich eine Anstiftung eine Garantenstellung aus Ingerenz – auch hinsichtlich Weiterungstaten – nach sich ziehen.
206 Siehe zum Streit über den Strafgrund der Teilnahme Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 985 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 521 bezeichnet die Anstiftung als intellektuelle (Mit-)Täterschaft und verdeutlicht auf diese Weise den besonderen Unrechtsgehalt. 207 Zur Entstehung der Rechtspflicht, selbst geschaffene Gefahren unschädlich zu machen siehe oben Kap. 2, C. VII. 3. b).
C. Voraussetzungen für Entstehung einer Garantenstellung
211
Die Beihilfe ist auch abhängig von der Haupttat, jedoch wiegt ihr Unrechtsgehalt gegenüber der Anstiftung weitaus geringer. Wer nach der Rechtsprechung die Tat nur in irgendeiner Weise gefördert hat, kann schon Gehilfe sein, selbst wenn der tatbestandsmäßige Erfolg auch ohne die Mitwirkungshandlung eingetreten wäre. Gleichwohl stellt auch die vollendete Beihilfe zu dem durch die Ersthandlung verwirklichten Delikt, durch das die Gefahr für Weiterungstaten geschaffen wird, einen Handlungsnormverstoß dar, der die Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen im Stande ist. Gleichwohl kann nicht jede Teilnahmehandlung eine Garantenstellung aus Ingerenz begründen. An dieser Stelle sollen auch nicht alle denkbar möglichen Täterschafts- und Teilnahme-Kombinationen im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für eine Garantenstellung aus Ingerenz überprüft werden. Stattdessen soll nur darauf hingewiesen werden, dass durch die vorliegenden Ausführungen die Weichen für die Zurechnung auch bei Teilnahmeersthandlungen und damit für eine Unterlassungsstrafbarkeit aus Ingerenz gestellt sind. Ausgehend von dem Umstand, dass auch eine Teilnahme einen Eingriff in die Freiheitssphäre des Opfers der Haupttat darstellt, kann der Gehilfe damit ebenfalls zur Revokation des von ihm mitgeförderten Schadensverlaufs der Weiterungstat verpflichtet sein. Entscheidend ist hierbei, dass die Vorhandlung einen Verstoß gegen eine freiheitssichernde Handlungsnorm darstellt, die dem Zweck dient, vor dem konkret eingetretenen Erfolg zu schützen. Hierbei ist ebenso, wie in den täterschaftliches Unrecht begründenden Vorhandlungen erforderlich, dass der Schadensverlauf gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung eine typische und konkret vorhersehbare Folge des Vorverhaltens darstellt. Da die Garantenstellung aus Ingerenz im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz restriktiv ausgelegt werden muss, darf die Zurechnung nur dann erfolgen, wenn der Schutzzweck der Norm mit hinreichender Bestimmtheit der verletzten Handlungsnorm entnommen werden kann.
C. Zusammengefasste Voraussetzungen für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz in Weiterungsfällen Im Rahmen der bisherigen Untersuchung konnten die Voraussetzungen entwickelt werden, die für eine Strafbarkeit in den Weiterungsfällen erforderlich sind. Hierbei wurde versucht, in der gebotenen Ausführlichkeit auf die einzelnen Kriterien samt der damit verbundenen Probleme einzugehen. Im Folgenden sind der Übersichtlichkeit halber die bisherigen Ergebnisse zu einer Kurzformel zusammengefasst. Aus dieser ergeben sich die Voraussetzungen für eine Garantenstellung und damit eine Strafbarkeit aus Ingerenz in den Weiterungsfällen: Der Täter muss durch ein rechtlich missbilligtes Verhalten eine Gefahr geschaffen haben, die sich ohne weiteres Zutun des Täters nach den Regeln der objektiven Zurechnung im Erfolg zu realisieren droht.
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
Die Vollendungsstrafbarkeit kann nur eintreten, wenn sich die rechtlich missbilligte Gefahrschaffung durch die Vorhandlung auch tatsächlich im Erfolg realisiert hat. Dazu muss der Schadensverlauf vom Schutzzweck der Norm gedeckt sein und für den Täter zum Zeitpunkt der Handlung, d.h. ex ante, objektiv vorhersehbar sein. Es müssen somit konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die Weiterungstat gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung als naheliegend erscheinen lassen.
D. Die Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen Wie schon zu Beginn der Arbeit bemerkt wurde, ist für die Strafbarkeit des Vortatbeteiligten in den Weiterungsfällen nicht nur die Frage entscheidend, ob eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen werden kann. Von Bedeutung ist ebenso die Frage, ob der Unterlassende als Täter oder Teilnehmer bestraft werden soll. Für den Fall, dass eine Unterlassungsstrafbarkeit neben das vorsätzliche Begehungsdelikt eines Dritten treten soll, werden unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Beteiligungsform vertreten. Die Rechtsprechung entscheidet diese Frage nach vorwiegend subjektiven Kriterien.208 So ist für die Abgrenzung der Beteiligungsform nach wie vor entscheidend, ob eine Person mit Täter- oder Teilnehmerwillen handelt.209 Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine streng-subjektive Theorie, da die neuere Rechtsprechung zur Ermittlung des Täterwillens eine „wertende Betrachtung“ vornimmt, bei der objektive und normative Kriterien wie der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft herangezogen werden.210 Diesen objektiven Kriterien kommt jedoch nur indizielle Wirkung zu, so dass nach wie vor ein Rekurs auf den reinen Täterwillen unabhängig von objektiven Kriterien möglich bleibt.211 Die Rechtsprechung212 zieht diese Kriterien unverändert auch zur Abgrenzung der Beteiligungsform bei den unechten Unterlassungsdelikten heran. So hat der BGH in dem hier besprochenen Weiterungsfall213 vom 12.02.2009 ausdrücklich auf die „innere Haltung des Unterlassenden zur Tat“ und die „Tatherrschaft“ abgestellt.214 Gegen die Heranziehung des Täterwillens zur Bestimmung der Beteiligungsform sprechen die gleichen Argumente, die auch gegen die Vorgehensweise der 208
Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 30; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 125 ff. Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 30. 210 BGHSt 35, 347 (353); 47, 383 (385); BeckRS 2012, 18738. 211 Dies zeigt schon die Tatsache, dass neben den objektiven Kriterien auch das „eigene Interesse an der Tat“ sowie der „Wille zur Tatherrschaft“ für die Annahme von Täterschaft ausreichen können. Siehe nur BGH BeckRS 2012, 18738. 212 BGHSt 38, 356 (360 f.); NStZ 2009, 321 (322). 213 BGH NStZ 2009, 321 (322). 214 Siehe die ausf. Kritik von Becker, HRRS 2009, S. 242 (244 f.). 209
D. Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen
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Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Begehungsdelikten sprechen. Die Abgrenzung nach dem Täter- oder Teilnehmerwillen bildet ein Einfallstor für Rechtsunsicherheit und Willkür und muss daher sowohl im Bereich der Begehungsdelikte als auch im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte verworfen werden.215 Daran ändert auch die Heranziehung objektiver Kriterien als Indizien nur bedingt etwas, da zwar eine Annäherung an die Tatherrschaftslehre vollzogen wird, in Einzelfällen aber immer der Rückgriff auf den Täter- oder Teilnehmerwillen möglich bleibt.216 Während die Heranziehung des Kriteriums der Tatherrschaft durch die Rechtsprechung – wenn auch nur als Indiz – im Rahmen der Begehungsdelikte immerhin als Fortschritt gegenüber der extrem-subjektiven Theorie217 gewertet werden kann, bestehen gegen eine Übertragung dieses Kriteriums auf den Bereich der Unterlassungsdelikte erhebliche Bedenken.218 Denn die Tatherrschaft kann im Bereich der Unterlassungsdelikte nichts anderes bedeuten als die Möglichkeit der Erfolgsabwendung, durch die der Erfolg der Tat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre.219 Hiermit ist aber eine Voraussetzung benannt, die zur Strafbarkeit jedes unechten Unterlassungsdelikts benötigt wird und daher nicht als Abgrenzungskriterium zur Bestimmung der Beteiligungsform herangezogen werden kann.220 Ansonsten stellt das Nichtstun des Garanten keine faktische (Mit-)Beherrschung des Geschehens dar. Konsequenterweise müssten diejenigen, die das Tatherrschaftskriterium zur Abgrenzung der Beteiligungsform bei Unterlassungsdelikten heranziehen, regelmäßig zu einer Beihilfe durch Unterlassen gelangen.221 Aus diesem Grund können auch die Stimmen in der Literatur,222 die eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei den Unterlassungsdelikten unabhängig vom Täterwillen ausschließlich anhand des Kriteriums der Tatherrschaft vornehmen wollen, nicht überzeugen. Andere Teile der Literatur halten eine Differenzierung der Beteiligungsform beim Unterlassungsdelikt in Abhängigkeit von der Funktion der Garantenstellung 215 Jakobs, Strafrecht AT, 21. Abschn. Rn. 32; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 839, 852, 1180; Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 35 hält sie für „unberechenbar“. 216 Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 852 betonen, durch die Heranziehung der Tatherrschaft als Indiz spiegele die Rspr. „objektive, gesetzesorientierte Rationalität vor“, ersetze aber in Wahrheit die Tatherrschaft durch die „Leerformel vom Willen zur Tatherrschaft“. 217 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 30. 218 Becker, HRRS 2009, S. 242 (245 f.). 219 Vgl. Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 133, der aber für die hypothetische Kausalität der Unterlassung eine Risikoverringerung genügen lässt. Siehe dazu Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 46. 220 Becker, HRRS 2009, S. 242 (246). 221 So Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 230; vgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1179. 222 Rengier, Strafrecht AT, § 51 Rn. 18 ff.; LK-Weigend, § 13 Rn. 94.
214
Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
für möglich.223 So solle bei einer Beschützergarantenstellung grundsätzlich Täterschaft angenommen werden, da hier die besondere Beziehung zum Opfer die Täterschaft legitimiere. Bei Überwachergarantenstellungen liege hingegen nur Beihilfe vor.224 Diese Vorgehensweise sieht sich aber den Bedenken ausgesetzt, die grundsätzlich gegen den Gehalt der Funktionenlehre sprechen. Zwar dient sie der Systematisierung von Garantenstellungen und es lassen sich durch die Zuordnung durchaus Anhaltspunkte für die Schutzrichtung der Garantenstellungen in problematischen Bereichen gewinnen.225 Allerdings können mithilfe der Funktionenlehre keine Entstehungsgründe für Garantenstellungen ermittelt werden. Ebenso wenig kann auf ihrer Grundlage eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme erfolgen. Denn zum einen ist eine genaue Abgrenzung zwischen den beiden Arten von Garantenstellungen in vielen Fällen ohnehin sehr schwierig.226 Zum anderen bestehen häufig Überwacher- und Beschützergarantenstellungen gleichzeitig.227 Es ist darüber hinaus mehr als fragwürdig, ob das Unrecht des unterlassenden Beschützergaranten mehr wiegt, als das des Überwachergaranten.228 Daher verwundert es kaum, dass auch die Vertreter dieser Ansichten jeweils Ausnahmen von ihrem Grundsatz anerkennen und dadurch selbst die geringe Überzeugungskraft dieser Abgrenzungsmethode belegen.229 Die Anhänger der sog. Gehilfentheorie wollen in den Fällen einer mittelbaren Tatverwirklichung durch einen anderen den Unterlassenden immer als Gehilfen bestrafen.230 Hierfür wird angeführt, dass die unmittelbare Handlung des anderen die Tatbeherrschung des Unterlassenden verstelle.231 Die Rolle des Unterlassenden bestehe dann nur noch darin, die Chancen für das Gelingen der Tat zu erhöhen. Dies entspreche der Beihilfe.232 Aber auch hiergegen sprechen die Argumente, die im Grunde gegen alle bisher genannten Auffassungen sprechen. Der
223 Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 104 ff.; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 1182; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 38 Rn. 67 ff. 224 Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 106. 225 Siehe dazu oben Kap. 3, C. 226 So ist im Bsp. von Jakobs, Strafrecht AT, 29. Abschn. Rn. 72 unklar, ob der Bademeister Überwachergarant wegen der Gefahr des Wassers oder aber Beschützergarant für die Badegäste ist. Siehe auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 160. 227 So z. B. wenn die Mutter tatenlos dabei zusieht, wie der Sohn seine Schwester schwer verletzt. 228 So auch Becker, HRRS 2009, S. 242 (248). 229 Siehe nur Sch/Schr-Heine, (28. Aufl.), Vor §§ 25 ff. Rn. 106, der von seinem Grundsatz abweichen will, wenn „die besondere Qualität der Pflicht und der Gedanke des Gleichstellungserfordernisses des § 13 anderes gebieten“; siehe die ausf. Kritik bei Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 161. 230 Gallas, JZ 1960, S. 686 (687); LK-Jescheck, (11. Aufl.), § 13 Rn. 53, 57; Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 230. 231 Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 230. 232 Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 230.
D. Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen
215
Versuch, eine Abgrenzung mithilfe der für die Begehungsdelikte entwickelten Beteiligungsdogmatik vorzunehmen, muss scheitern, weil das Unterlassungsdelikt im Gegensatz zu den Begehungsdelikten den Verstoß gegen eine Erfolgsabwendungspflicht233 voraussetzt. Auf Grund der strukturellen Verschiedenheit beider Deliktsarten kann das Kriterium der Tatherrschaft nicht zur Bestimmung der Beteiligungsform bei den Unterlassungsdelikten herangezogen werden.234 Darüber hinaus muss auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 StGB bei Vorliegen einer rechtlichen Einstandspflicht Täterschaft grundsätzlich möglich sein, da ansonsten die Wertung des Gesetzes übergangen wird. Vorzugswürdig ist die Ansicht, die in den Fällen, in denen ein Garant die aktive Erfolgsherbeiführung durch einen anderen geschehen lässt, grundsätzlich Täterschaft annimmt.235 Da die Beteiligungsform für die Unterlassungsdelikte nicht ausdrücklich geregelt ist, ist derjenige, der alle Tatbestandsvoraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts verwirklicht, als Täter einzustufen. Für die Beihilfe bleibt dann nur ein schmaler Anwendungsbereich, nämlich dort, wo Delikte des Besonderen Teils Tatbestandsvoraussetzungen enthalten, die der Garant im Gegensatz zum Aktivtäter nicht erfüllt.236 So verbleibt für eine Beihilfe durch Unterlassen bei Delikten Raum, die eine eigenhändige Tatbegehung verlangen. Lässt beispielsweise die Mutter zu, dass ein anderer ihr Kind vergewaltigt, so kann sie nur eine Beihilfe durch Unterlassen begehen, da § 177 Abs. 2 StGB eine eigenhändige Begehung des Täters voraussetzt.237 Darüber hinaus ist eine Beihilfe durch Unterlassen möglich, wenn der Garant im Gegensatz zum Aktivtäter eine besondere Täterqualität eines Sonderdelikts, wie beispielsweise die Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des § 266 StGB, nicht aufweist.238 Gegen die grundsätzliche Annahme von Täterschaft wird eingewendet, dass der Garant, der die Straftat eines anderen abwenden muss, sich regelmäßig in einer schwierigeren Situation befinde, als derjenige, der eine sonstige Gefahr, 233 Eine in der Literatur verbreitete Ansicht ordnet es den Pflichtdelikten zu. So z. B. Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 153; kritisch hierzu Freund, Strafrecht AT, § 10 Rn. 48 f. 234 Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 141 ff.; vgl. auch SK-StGB/Rudolphi, (7. Aufl.), Vor § 13 Rn. 40, der jedoch im Gegensatz zu der hier vertretenen Ansicht verlangt, dass die Deliktsverwirklichung durch Unterlassen der durch Tun völlig gleichsteht. 235 Frister, Strafrecht AT, Kap. 26 Rn. 40; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26 f.; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 140 ff.; SK-StGB/Rudolphi, (7. Aufl.), Vor § 13 Rn. 40. 236 Einen Sonderfall bildet der Überwachergarant, der eine Beihilfe der zu überwachenden Person geschehen lässt. Hier ist ebenfalls nur eine Beihilfe durch Unterlassen denkbar. Siehe dazu Frister, Strafrecht AT, Kap. 28 Rn. 53. 237 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 14 Rn. 24; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 143; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26. 238 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 14 Rn. 24; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 143; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26.
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
wie beispielsweise Naturgewalten, technische Risiken oder Ähnliches, unschädlich zu machen hat.239 Dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen. Es kann in einigen Konstellationen durchaus der Fall sein, dass die Abwendung einer sonstigen Gefahr leichter vorzunehmen ist als einen Straftäter von seiner Tat abzuhalten. Genauso sind aber auch umgekehrte Fälle denkbar, in denen sich z. B. die Rettung des Kindes aus einem brennenden Haus weitaus schwieriger gestaltet als einen Schüler daran zu hindern, seinen Mitschüler zu ohrfeigen. Für unechte Unterlassungsdelikte, die im Unrechtsgehalt zwar etwas weniger schwer wiegen können als das vergleichbare Begehungsdelikt, aber ihm gleichwohl im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB entsprechen, sieht § 13 Abs. 2 StGB eine fakultative Milderungsmöglichkeit vor. In diesen Fällen kann also § 13 Abs. 2 StGB seine Wirkung entfalten und auf diese Weise ein geringerer Unrechtsgehalt beim Strafmaß berücksichtigt werden, ohne dass hierfür auf die Milderungsmöglichkeit des § 27 Abs. 2 StGB zurückgegriffen werden muss.240 Nunmehr kann also, wie an früherer Stelle241 bereits angekündigt wurde, eine Stellungnahme zu der Frage erfolgen, wie mit der fakultativen Milderungsmöglichkeit aus § 13 Abs. 2 StGB umgegangen werden soll. Da die Ingerenz in ihrem Unrechtsgehalt immer weniger schwer wiegt als die Deliktsverwirklichung durch ein Tun,242 ist die Milderungsmöglichkeit nicht nur fakultativ, sondern stattdessen obligatorisch anzuwenden. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Vorhandlung unmittelbar in den schädigenden Erfolg mündet oder ob, wie in den Weiterungsfällen, ein Dritter freiverantwortlich dazwischentritt. Für die Garantenstellung ist allein entscheidend, ob der Täter durch ein rechtlich missbilligtes Verhalten eine Gefahr geschaffen hat, die ohne weiteres Zutun in dem objektiv zurechenbaren Erfolgseintritt mündet. Dabei muss das Verhalten gegen eine Norm verstoßen, die vor dem konkret drohenden Schaden schützt, der zum Zeitpunkt der Handlung auch konkret vorhersehbar war. Liegen diese für die Garantenstellung erforderlichen Bedingungen neben den weiteren Tatbestandsmerkmalen vor, so ist der Garant auch Täter eines Unterlassungsdelikts. Verglichen mit einer Erfolgsherbeiführung durch aktives Tun wiegt die Tat wegen des fehlenden Vorsatzes zum Zeitpunkt der Vorhandlung geringer, so dass eine obligatorische Strafmilderung gem. § 13 Abs. 2 StGB zu erfolgen hat.243 Verwirklicht der Weiterungstäter einen Straftatbestand, der eine eigenhändige Begehung oder eine besondere Täterqualität fordert, so kann sich der Vortatbeteiligte nur wegen einer Beihilfe durch Unterlassen strafbar machen, bei der es konsequenterweise zu ei239
LK-Weigend, § 13 Rn. 91. So auch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 14 Rn. 26; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 145; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26. 241 Siehe oben Kap. 2, C. VI. 2. 242 Siehe oben Kap. 2, C. VI. 2. 243 Siehe oben Kap. 2, C. VI. 2. 240
F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91
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ner doppelten Strafmilderung aus § 13 Abs. 2 und § 27 Abs. 2 StGB kommen muss, die unbestritten zulässig ist.244
E. Abschließende Stellungnahme zu der Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten in den Weiterungsfällen Eingangs wurde die Frage aufgeworfen, ob die Gerichte den Vortatbeteiligten für die Weiterungstat wegen einer Erfolgsqualifikation bestrafen können.245 Nach den bisher erfolgten Überlegungen kann die Frage eindeutig beantwortet werden. Hat der Täter durch die Ersthandlung eine Gefahr geschaffen, die sich, gemessen an den Voraussetzungen der objektiven Zurechnung, tatsächlich im Erfolg realisiert hat, so kann durchaus auch ein erfolgsqualifiziertes Delikt verwirklicht sein, soweit der darüber hinaus erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge vorliegt. Falls zugleich ein vollendetes Erfolgsdelikt durch Unterlassen begangen wurde, nimmt die h. M. beispielsweise zwischen einer Körperverletzung mit Todesfolge und einem Totschlag durch Unterlassen Tateinheit an.246 Eigenständige Bedeutung erlangt ein erfolgsqualifiziertes Delikt in den Fällen, in denen die besonderen Voraussetzungen des Unterlassungsdelikts neben einer bestehenden Garantenstellung aus Ingerenz nicht vorliegen. Die Strafbarkeit wegen einer Erfolgsqualifikation kann demnach bejaht werden, sofern die Kriterien für den spezifischen Gefahrzusammenhang ebenfalls vorliegen. Besonders in den Fällen, in denen sich der Vorsatz zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts nicht nachweisen lässt, kann die Strafbarkeit aus der Erfolgsqualifikation wegen des gegenüber dem Grunddelikt erhöhten Strafmaßes in ausreichender Weise das Unrecht der Tat erfassen.247
F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91 anhand der hier gefundenen Ergebnisse I. BGH 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 In dem Fall, auf dem das Urteil vom 12.02.2009 beruht, hatte sich der Angeklagte zu einem früheren Zeitpunkt an Misshandlungen sowie Demütigungen gegen das Opfer beteiligt. Es soll dabei als wahr unterstellt werden, dass die ande244 Sch/Schr-Stree/Bosch, § 13 Rn. 64; NK-StGB/Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 26; Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rn. 247. 245 Siehe oben Kap. 1, C. II. 3. 246 BGH NStZ 2000, 29 (30); MüKo-StGB/Hardtung, § 227 Rn. 26; Fischer, StGB, § 227 Rn. 12; a. A. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 177 f. 247 Siehe Heinrich, NStZ 2005, S. 93 (94 f.).
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Kap. 5: Lösung der Weiterungsfälle
ren Täter tatsächlich durch die Vorhandlungen, an denen der Angeklagte beteiligt war, in ihrem Entschluss, an einem anderen Tag weitere Taten zu begehen, bestärkt wurden. Gleichwohl muss eine Garantenstellung hierbei entgegen der Ansicht des BGH abgelehnt werden. Auf die den Tatbestand der Beleidigung erfüllenden Demütigungen kann die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun nicht gestützt werden, da der Schutzzweck der Beleidigungsvorschriften nicht in der Verhinderung von Weiterungstaten besteht. Auch die zeitlich weit zurückliegenden gemeinschaftlich begangenen Körperverletzungen vermögen eine Garantenstellung nicht zu begründen. Zwar liegt der Sinn des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gerade darin, weitergehende Rechtsgutsverletzungen durch „aufgestachelte“ Beteiligte zu verhindern. Gemeint sind damit aber ausschließlich Verletzungshandlungen, die in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang geschehen. Nicht erfasst sind Weiterungstaten, die mehrere Tage danach erfolgen. Selbst wenn man den Schutzzweckzusammenhang bejahen würde, ließe sich kaum behaupten, dass die Weiterungstaten zum Zeitpunkt der Vorhandlungen des Angeklagten konkret vorhersehbar waren. Als letzter Anknüpfungspunkt verbleibt die sexuelle Nötigung, die gegen das Opfer verübt wurde. Die sexuelle Nötigung schützt allerdings das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung248 des Menschen und dient nicht dazu, vor Straftaten zu schützen, die nach einer erheblichen Zeitspanne gegen Rechtsgüter des Opfers gerichtet sind. Indem der BGH die Verurteilung ausschließlich auf die Gefahrerhöhung durch das Bestärken der Weiterungstäter in ihrem Tatentschluss, also auf eine fahrlässige und damit straflose Teilnahme stützt, missachtet er die geltenden Beteiligungsvorschriften.
II. BGH 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 In dem Fall, der dem Urteil vom 25.09.1991 zu Grunde liegt, haben M und S das Opfer durch die Körperverletzung in eine hilflose Lage gebracht. Der Schutzzweck der Körperverletzungsvorschrift besteht gerade darin, die Autonomie des Menschen zu schützen, und impliziert damit den Schutz seiner Abwehrmöglichkeiten. Wäre das Opfer nicht derart erheblich verletzt worden, hätte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, spätestens als M und S die Wohnung zum Bierholen verließen, durch eine Flucht oder einen Anruf bei der Polizei retten können. So aber war es den Weiterungstaten des M hilflos ausgeliefert. Gegen die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz könnte hier jedoch die zeitliche Zäsur sprechen, die zwischen den Vorhandlungen und der Weiterungstat bestand. Das Bierholen sowie das Telefonat mit der Mutter, das der Tötung durch M vorangegangen war, stellt zwar im Detail durchaus keinen ganz typischen Schadensverlauf dar. Es ist aber nicht untypisch, dass Misshandlungen unterbro248 Zum Schutzbereich der §§ 174 ff. StGB siehe Sch/Schr-Perron/Eisele, Vor §§ 174 ff. Rn. 1; NK-StGB/Frommel, Vor §§ 174 ff. Rn. 1.
F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91
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chen und dann in einem zeitlich nicht allzu großen Abstand fortgeführt werden. Da im vorliegenden Fall der Grund der Auseinandersetzung in einem Streit um Schulden bestand, war es mangels Lösung des Konflikts konkret vorhersehbar, dass nach den Misshandlungen weitere Taten folgen werden können. Daher ist im konkreten Fall eine Garantenstellung aus Ingerenz zu bejahen. S ist der Erfolgseintritt objektiv zuzurechnen, so dass er zur Abwendung der Weiterungstat verpflichtet war. S ist demnach wegen eines Totschlages durch Unterlassen zu bestrafen. Entgegen der Auffassung des BGH liegt jedoch eine täterschaftlich begangene Unterlassungstat vor, die auf einer Garantenstellung aus Ingerenz beruht und die hiermit verbundene Strafe daher nach § 13 Abs. 2 StGB obligatorisch zu mildern ist.
Zusammenfassung der Ergebnisse I. 1. Zunächst hat die Einführung1 in die Problematik verdeutlicht, dass die Weiterungsfälle wie auch die klassischen Regressverbotsfälle durch die fahrlässige Förderung fremden Unrechts gekennzeichnet sind. Die Weiterungsfälle weisen aber zusätzliche Merkmale auf. So besteht das Vorverhalten nicht in einer neutralen Handlung, sondern stellt eigenständiges strafrechtliches Unrecht dar, das durch die Vortatbeteiligten gemeinsam verwirklicht wurde. Zudem kann dem Vortatbeteiligten zum Zeitpunkt des Eintritts des Weiterungserfolges Vorsatz sowie die Möglichkeit zur Abwendung der weitergehenden Straftaten nachgewiesen werden. Während der Vorhandlung lässt sich jedoch weder ein gemeinsamer Tatplan, der für eine Mittäterschaft vorausgesetzt wird, noch ein doppelter Teilnehmervorsatz, der für eine Antstiftung oder eine psychische Beihilfe erforderlich wäre, nachweisen.2 Daher bleiben zur Bestrafung des Vortatbeteiligten nur noch zwei Möglichkeiten. Die eine besteht in der von der Rechtsprechung favorisierten Annahme einer Unterlassungsstrafbarkeit aus Ingerenz. Die Alternative besteht darin, den Vortatbeteiligten wegen eines erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen. Letztere Variante bleibt jedoch im Strafmaß hinter der Unterlassungsstrafbarkeit zurück. Zudem tauchen in diesem Zusammenhang dieselben Zurechnungsprobleme, die auch bei einer Strafbarkeit aus Ingerenz vorliegen, auf. Daher stellt das unechte Unterlassungsdelikt die einzige Möglichkeit dar, die vorsätzliche Nichtabwendung des Erfolgseintritts des Vortatbeteiligten mit dem Strafmaß des vorsätzlichen Begehungsdelikts zu ahnden. 2. Die Rechtsprechungsanalyse3 unter Berücksichtigung der hierzu existierenden Literaturauffassungen hat zeigen können, dass sich die Annahme eines unechten Unterlassungsdelikts in den Weiterungsfällen mit großen Problemen konfrontiert sieht. Zum einen ist fraglich, ob, wie auch in den klassischen Regressverbotsfällen, die freiverantwortliche Tat des Dritten möglicherweise zu einem Zurechnungsausschluss führen muss. Zum anderen droht eine Kollision mit den Beteiligungsvorschriften. Dieser Konflikt resultiert daraus, dass der Vortatbeteiligte hinsichtlich der Weiterungstat zwar nicht als aktiv handelnder Täter oder
1 2 3
Kap. 1. Kap. 1, C. II. Kap. 1, C.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Teilnehmer, wohl aber über den Umweg des unechten Unterlassungsdelikts mit demselben Strafmaß bestraft werden kann. 3. Es wurde deutlich, dass der Ingerenz seit ihrer Entdeckung durch Stübel in der Unterlassungsdogmatik ein besonderer Stellenwert zukommt.4 Während sie in den Anfängen der Unterlassungsdogmatik den einzigen Begründungsansatz für nachfolgende Erfolgsabwendungspflichten darstellte, wurde sie später mangels eindeutiger Rechtsquelle zum Teil gänzlich abgelehnt. Die moderneren materiellen Garantenlehren, die bis heute auf der Basis ganz unterschiedlicher dogmatischer Konzepte die Entstehung aller Garantenstellungen zu begründen versuchen, leiden an gravierenden Schwächen und können somit nicht überzeugen.5 Daher wurde im Rahmen dieser Arbeit davon abgesehen, die Ingerenz auf eines der materiellen Gesamtkonzepte zu stützen. Stattdessen widmete sich die Untersuchung dem Ziel, ausschließlich nach dem Entstehungsgrund der Garantenstellung aus vorangegangenem Tun unter strenger Berücksichtigung des § 13 StGB, der die Grundlage für die Strafbarkeit unechter Unterlassungsdelikte bildet, zu suchen.6 Es wurde deutlich, dass § 13 StGB seit seiner Entstehung nur „den kleinsten gemeinsamen Nenner“ für die Regelung der Garantenstellungen darstellt und wegen seines hohen Abstraktionsgrades möglicherweise nicht den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG genügt. In der Tat ist es für den Bürger kaum möglich allein durch die Lektüre des § 13 StGB, der für die Entstehung einer Garantenstellung eine rechtliche Einstandspflicht fordert, das Risiko der Strafbarkeit zu erkennen. Aus diesem Grund kritisieren viele Vertreter der Lehre § 13 StGB scharf. Einige von ihnen halten die Norm sogar für verfassungswidrig. Jedenfalls mahnen viele die Rechtsprechung zu einer restriktiven Handhabung der Garantenstellungen. Die Untersuchung hat aber zeigen können, dass dieses Gebot der restriktiven Handhabung von Garantenstellungen nur dann überzeugen kann, wenn sich der Bestimmtheitsgrundsatz, wie es das BVerfG vertritt, auch an die Rechtsprechung und Lehre wendet.7 Da dies im Ergebnis zu bejahen ist, kann tatsächlich eine restriktive ständige Rechtsprechung zur Ermöglichung der Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos durch den Bürger beitragen und damit die Bestimmtheit der Vorschrift gewährleisten. 4. § 13 StGB kann und muss somit bei der Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz berücksichtigt werden. Es wurde festgestellt, dass für die Entstehung einer Garantenstellung entscheidend ist, dass der Unterlassende für den Nicht-Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechtlich einzustehen hat. Der Entsprechensklausel kommt in diesem Zusammenhang nur außerhalb der Erfolgsdelikte eigenständige Bedeutung zu, wenn die sog. Modalitätenäquivalenz 4 5 6 7
Kap. Kap. Kap. Kap.
2, A. 2, B. 2, C. 2, C. V.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
nachgewiesen werden muss.8 Ob die Pflicht, durch ein vorangegangenes Tun geschaffene Gefahren unschädlich zu machen, eine Rechtspflicht darstellt, ist die zur Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz entscheidende Frage. Nicht ausreichend ist der Verweis auf das allgemeine Rechtsempfinden oder das Gewohnheitsrecht.9 Zwar ist Gewohnheitsrecht auch Recht und kann daher im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB für ein rechtliches Einstehenmüssen herangezogen werden. Allerdings muss das Gewohnheitsrecht auch die Eigenschaften aufweisen, die Recht generell aufweisen muss. Damit reicht auch eine ständige Gewohnheit nicht aus, eine mitunter nur sittliche beziehungsweise moralische Pflicht zur Rechtspflicht zu erheben, wenn sie die Grundvoraussetzungen des Rechts nicht erfüllt. Zudem hilft auch eine im Grundsatz gewohnheitsrechtlich anerkannte Garantenstellung aus Ingerenz nicht bei der Entscheidung über die heillos umstrittenen Grenzfälle, die beispielsweise im Bereich der Produkthaftung, der gesteigert riskanten Tätigkeiten oder aber der hier behandelten Weiterungsfälle existieren, weiter. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die zur Entstehung der Ingerenz erforderliche Erfolgsabwendungsgebotsnorm aus rechtlich anerkannten Verbotsnormen, wie dem allgemeinen Verletzungsgebot, dem sog. neminem laede, normlogisch abzuleiten.10 Dies würde aber voraussetzen, dass die Gebotsnorm in der Verbotsnorm enthalten ist. Da aber beide Normarten unterschiedlichen Inhalts sind, lässt sich eine normlogische Ableitung nicht durchführen, so dass dieser Begründungsweg ebenfalls versperrt bleibt. Das Erfordernis des rechtlichen Einstehenmüssens des § 13 Abs. 1 StGB muss so verstanden werden, dass hierfür weder geschriebenes Recht noch zwangsläufig gesetztes Recht erforderlich ist, sondern stattdessen ein existierendes Rechtsprinzip herangezogen werden kann.11 Diese Auffassung harmoniert mit der Rechtsprechung des BVerfG, aus der hervorgeht, dass gegenüber positiven Rechtsvorschriften ein „Mehr an Recht“ bestehen kann, das seinen Ursprung in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen hat. Aus diesem „Mehr an Recht,“ zu dem auch übergeordnete Rechtsprinzipien gehören, lassen sich demzufolge auch rechtliche Einstandspflichten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB herleiten. Speziell zur Legitimation der Ingerenz lässt sich das Rechtsprinzip heranziehen, wonach jeder verpflichtet ist, seine Freiheitssphäre vor, nach und während irgendwelchen Handlungen so zu gestalten, dass hieraus keine Schäden für fremde Freiheitssphären resultieren. Dieses Prinzip fußt auf dem Respektierungsgebot, das auf ein freiheitliches Rechtsverständnis zurückzuführen ist. Es erschöpft sich nicht in der Existenz von Verboten, sondern es bedingt darüber hinaus auch das Gebot, bereits in Gang gesetzte Gefahren unschädlich zu machen. 8
Kap. 2, C. VI. Kap. 2, C. VII. 1. 10 Kap. 2, C. VII. 2. 11 Kap. 2, C. VII. 3. 9
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Dabei handelt es sich auch nicht um ein sittliches oder moralisches Gebot, etwa das Wohl oder die Glückseligkeit seiner Mitbürger zu fördern. Stattdessen werden hierdurch die Freiheitssphären der Bürger miteinander in Einklang gebracht. Dieses Prinzip ist für ein gedeihliches Miteinander der Menschen unerlässlich und weist daher die Qualität des Rechts auf. Hierauf lässt sich die Garantenstellung aus Ingerenz zurückführen, womit die Voraussetzungen des § 13 StGB erfüllt sind.12 5. Da die h. M. eine Aufteilung der Garantenstellungen in Beschützer- und Überwachergarantenstellungen befürwortet und hieraus ganz unterschiedliche Folgen ableitet, wurde zu der Frage Stellung genommen, wie sich die Ingerenz in diesem Zusammenhang einordnen lässt.13 Eine Stellungnahme war insbesondere deshalb erforderlich, da ein Vorschlag der Literatur zur Lösung der Weiterungsfälle darin bestand, eine besondere der Garantenstellung aus faktischer Übernahme ähnelnde Beschützergarantenstellung anzunehmen, wenn das Opfer durch den Vortatbeteiligten in eine hilflose Lage gebracht wurde. Dieser Ansatz hat sich als nicht tragfähig erwiesen. Die Annahme einer Unterlassungsstrafbarkeit in den Weiterungsfällen ist nur dann möglich, wenn an die Vortat als gefährdendes Vorverhalten angeknüpft und auf dieser Basis eine Garantenstellung aus Ingerenz angenommen wird. Der Vergleich mit den anderen Garantenstellungen hat den Unterschied der Ingerenz zu den Beschützergarantenstellungen aufgezeigt. Während bei den Beschützergarantenstellungen der Unterlassende eine ursprüngliche Beziehung zum Opfer aufweist, weist der Ingerent lediglich eine ursprüngliche Beziehung zur Gefahr auf.14 Die Beziehung zum Opfer wird erst durch die Gefahr vermittelt. Auch der Vergleich mit der Garantenstellung aus faktischer Übernahme überzeugt nicht. Mag der Aspekt der Gefahrschaffung durchaus auch bei der Garantenstellung aus tatsächlicher Übernahme ein konstitutives Merkmal darstellen, reicht er für ihre Entstehung allein nicht aus. Es muss zusätzlich der zumindest konkludent erklärte Übernahmeakt, mit anderen Worten das Versprechen, eine Schutzpflicht übernehmen zu wollen, hinzukommen, damit eine solche Beschützergarantenstellung entsteht. Dieser Übernahmeakt liegt in der klassischen Ingerenzsituation – aber auch speziell in den Weiterungsfällen – regelmäßig nicht vor. Stattdessen weist der Ingerent die für die Überwachergarantenstellung typische ursprüngliche Beziehung zur Gefahr auf, so dass die Ingerenz den Überwachergarantenstellungen zuzuordnen ist. Davon abgesehen sagt die auf Grundlage der Funktionenlehre vorgenommene Typisierung der Garantenstellung nichts über den Grund oder die Grenzen der einzelnen Garantenstellungen aus. Sie dient lediglich der Systematisierung sowie der Bestimmung
12 13 14
Eing. oben Kap. 2, C. VII. 3. a). Kap. 3. Kap. 3, C.
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Zusammenfassung der Ergebnisse
der Schutzrichtung einzelner Garantenstellungen. Eine Lösung der Weiterungsfälle kann auf eine reine Systematisierung nicht gestützt werden.
II. 1. Nachdem der Entstehungsgrund der Ingerenz herausgearbeitet werden und eine Systematisierung erfolgen konnte, ist auch eine Eingrenzung möglich. Die von der h. M. vertretene Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts hat sich wegen der zahlreichen Ausnahmen, die von ihr gebildet werden müssen, als nicht tragfähig erwiesen.15 Statt sich zur Korrektur dieser Formel einzelner Aspekte der Lehre von der objektiven Zurechnung zu bedienen, sollte diese Lehre als Gesamtkonzept zur Eingrenzung und damit zur Legitimation der Strafbarkeit aus Ingerenz herangezogen werden. Zwar ist die Berechtigung der Lehre von der objektiven Zurechnung schon im Bereich der Begehungsdelikte hochumstritten. Es konnte aber verdeutlicht werden, dass die Zwecke der strafrechtlichen Normen nur dann erreicht werden können, wenn einem Täter der Erfolg als „sein Werk“ zugerechnet werden kann.16 Nur auf diese Weise können die in den Tatbeständen enthaltenen Verhaltensnormen rechtsgüterschützend wirken und die Strafzwecke der Sanktionsnormen erfüllt werden. Dabei müssen die zum Teil vorstrafrechtlichen Verhaltensnormen im Rahmen der objektiven Zurechnung zwingend respektiert werden, da nur auf diese Weise eine Strafbarkeit mit den rechtlich anerkannten Freiheitssphären harmoniert und verfassungsrechtlich zulässig ist. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass die Strafbarkeit aus Ingerenz an den gleichen Verhaltensnormverstoß anknüpft, wie auch das gleichzeitig verwirklichte fahrlässige Begehungsdelikt. Ebenso kann die Strafbarkeit aus einem Ingerenzunterlassen nur dann legitimiert werden, wenn sie auch denjenigen trifft, dem durch sein Vorverhalten sowohl die Gefahr als auch der spätere Erfolg als sein Werk zugerechnet werden kann.17 Für die Ingerenz gilt aber die Besonderheit, dass zum Zeitpunkt der Vorhandlung, d.h. im Moment des Verstoßes gegen eine durch einen Tatbestand in Bezug genommene freiheitsichernde Handlungsnorm, gleichzeitig eine Erfolgsabwendungsgebotsnorm, die den Urheber der Gefahr zur Abwendung der schädigenden Folge verpflichtet, entsteht. Zugleich konnte aufgezeigt werden, dass das Ingerenzunterlassen mangels Vorsatzes zum Zeitpunkt der Vorhandlung nicht vollständig an den Unrechtsgehalt eines vorsätzlichen Begehungsdelikts hinsichtlich desselben Erfolges heranreicht.18 Dies ist aber auch nicht zwingend erforderlich, da sowohl aus der Entsprechensklausel des § 13 15 16 17 18
Kap. Kap. Kap. Kap.
4, B. 4, B. III. 4. c). 4, B. III. 5. 2, C. VI. 2.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Abs. 1 StGB als auch aus der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB folgt, dass das Unterlassen gegenüber dem vorsätzlichen Begehungsdelikt ein Defizit aufweisen kann. Allerdings darf die Strafbarkeit aus Ingerenz nicht weiter reichen als die aus dem Begehungsdelikt. Daher müssen zwingend die Gründe, die zu einem Ausschluss der objektiven Zurechnung beim Begehungsdelikt führen, auch den Ausschluss einer Garantenstellung aus Ingerenz zur Folge haben. Somit muss die Lehre von der objektiven Zurechnung ebenfalls zur Eingrenzung der Ingerenz herangezogen werden. 2. Die Anwendbarkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung zur Eingrenzung der Ingerenz hat zur Folge, dass der Streit bezüglich der Regressverbotsproblematik ebenfalls in diesem Bereich einschlägig ist, wobei die zusätzlich drohenden Kollisionen mit der Beteiligungsdogmatik berücksichtigt werden müssen.19 Trotz eines generell anzuerkennenden Autonomieprinzips ist ein striktes Regressverbot, verstanden als undurchdringbare Zurechnungsbarriere zum Ersthandelnden beziehungsweise zum Vortatbeteiligten, abzulehnen. Eine pauschale Lösung hat einer differenzierenden Betrachtungsweise zu weichen, die für die Strafbarkeit alle Aspekte der Erfolgszurechnung, darunter insbesondere den Aspekt des Schutzzwecks der Norm sowie die Vorhersehbarkeit durch den Normadressaten, berücksichtigt.20 Nur auf diese Weise lässt sich insbesondere in den Weiterungsfällen eine Strafbarkeit legitimieren, da sie auch nur unter diesen Voraussetzungen nicht mit der Beteiligungsdogmatik kollidiert. Für die Weiterungsfälle ist damit entscheidend, dass das Delikt, das durch die Vortat begangen wurde, vor der konkret in Betracht kommenden Weiterungstat schützt. Dieser Schutzzweck muss für jedes Delikt einzeln bestimmt werden. So dient beispielsweise der Körperverletzungstatbestand auch dem Schutz vor Weiterungstaten. Dies setzt aber unter anderem voraus, dass das Opfer durch die Vortat in eine hilflose Lage versetzt wurde.21 Eine Strafbarkeit aus Ingerenz darf aber generell nur dann erfolgen, wenn die Weiterungstat zum Zeitpunkt der Vorhandlung auch konkret vorhersehbar war. Es müssen folglich konkrete Anhaltspunkte für die Weiterungstat vorliegen, da ansonsten keine Verhaltensanpassung durch den Bürger verlangt werden kann und die Strafbarkeit der Pflicht zu einer restriktiven Handhabung der Unterlassungsstrafbarkeit zuwiderlaufen würde.22 Werden diese Voraussetzungen beachtet, so droht auch keine Kollision mit den Beteiligungsvorschriften, da dann die Strafbarkeit auf den Verstoß gegen eine strafrechtliche Norm, die speziell für diese Form der Deliktsbegehung existiert, zurückgeführt werden kann.
19 20 21 22
Kap. Kap. Kap. Kap.
5, A. 5, B. II. 5, B. III. 1. 5, B. II. 3. b).
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Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Auf der hier entwickelten Grundlage kann eine abschließende Beurteilung der Strafbarkeit in den Weiterungsfällen erfolgen. Da die Garantenstellung aus Ingerenz durch die Lehre von der objektiven Zurechnung eingeschränkt werden muss, kann auch ein erfolgsqualifiziertes Delikt nur dann eigenständige Relevanz beanspruchen, wenn dem Vortatbeteiligten kein Vorsatz hinsichtlich der Weiterungstat nachgewiesen werden kann. Ansonsten führen die Gründe, die zu einem Zurechnungsausschluss und damit zu einer Verneinung der Garantenstellung aus Ingerenz führen, auch zu einem Ausschluss des spezifischen Gefahrzusammenhangs zwischen Grunddelikt und schwerer Folge, da auch hier neben den speziellen Voraussetzungen des jeweiligen Delikts die allgemeinen Voraussetzungen der objektiven Zurechnung erfüllt sein müssen.23 Hinsichtlich der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen sowie in allen Ingerenzfällen gilt, dass sich das gegenüber dem Begehungsdelikt bestehende Defizit des Ingerenzunterlassens auf das Strafmaß auswirken muss. Die für solche Fälle vorgesehene Milderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB muss bei der Ingerenz obligatorisch angewendet werden. Es lässt sich grundsätzlich auch keine Milderung über die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen erzielen, da die Abgrenzungskriterien für die Beteiligungsform bei den Begehungsdelikten nicht auf die Unterlassungsdelikte übertragen werden können.24 Stattdessen ist auch der Ingerenzgarant Täter eines unechten Unterlassungsdelikts, es sei denn, das durch den Aktivtäter verwirklichte Delikt setzt eine eigenhändige Begehung oder eine besondere Täterqualität voraus. Abschließend kann daher festgehalten werden, dass in den Weiterungsfällen die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz durch die Rechtsprechung nicht zwangsläufig unzulässig ist. Sie ist sogar geradezu geboten, wenn die hier geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Andererseits konnte gezeigt werden, dass bei einer Anwendung der hier vertretenen Voraussetzungen in den hier dargestellten Entscheidungen durchaus andere Ergebnisse auch hinsichtlich der Beteiligungsform die Folge gewesen wären.25 Insgesamt stellt die Arbeit einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer Harmonisierung wesentlicher dogmatischer Bereiche des Allgemeinen Teils des Strafrechts dar. Der langfristige Erfolg dieses Bestrebens hängt maßgeblich davon ab, dass auch in Zukunft normative Strafbarkeitsvoraussetzungen, darunter insbesondere die Lehre von der objektiven Zurechnung, dogmatisch weiterentwickelt und auf diese Weise näher konkretisieret werden.
23 24 25
Kap. 5, E. Kap. 5, D. Kap. 5, F.
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Neminem laede 109 f. Normen, strafrechtliche – Wesen 152 ff. – Zweck 155 ff.
Fakultative Strafmilderung 102 ff. Formelle Rechtspflichttheorien 65 ff. Freiheit 116 ff. Funktionenlehre 121 ff. Garantenstellung – auf Grund Gefahrschaffung 73 ff. – auf Grund Herrschaft 79 ff. – auf Grund Verhaltenserwartungen 75 ff. – auf Grund Vertrauens 70 ff. – aus Organisations- und institutioneller Zuständigkeit 82 Handlungsnorm 153 ff. Hilflose Lage 36, 56, 132, 204 ff. Ingerenz – Defizit 102 ff. – Eigene Formel 211 f. – Eingrenzung 135 ff. – Entwicklung 60 ff. – Gewohnheitsrecht 105 ff. – Legitimität 58 ff., 119 f. – und Objektive Zurechnung 162 ff. – Zuordnung 130 ff. Interferenztheorien 63 ff. Kausalität 135 ff. Kausallehren 61 ff.
Objektive Zurechnung 143 ff. – beim unechten Unterlassungsdelikt 150 f. – Entstehung der Lehre 145 ff. – Gefahrrealisierung 195 ff. – Gefahrschaffung 184 f. – Rechtliche Relevanz 185 – Zweck 151 ff., 158 ff. Pflichtwidrige Vorhandlung 138 ff. Recht 111 ff., 119 Rechtsgüterschutz 155 ff. Rechtskausalitätstheorien 64 f. Regressverbot 21 ff., 168 ff. Sanktionsnorm 152 ff. Schutzzweck – des § 185 StGB 209 f. – des § 223 StGB 202 ff. – des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB 207 ff. Schutzzweck der Norm 182, 189 ff., 193 ff. Strafzwecke 156 ff. Übernahme 125 ff. Überwachergarantenstellung 121, 127 ff. Unrecht 114 f., 157 f. Verhaltensnorm 152 ff., 181 f.
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Sachwortverzeichnis
Verursachungsnorm 153 ff. Vorhersehbarkeit 195 ff. Weiterungsfälle 25 ff., 133, 168 ff.
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Beteiligungsform 212 ff. Lösung 211 f., 217 ff. Rechtsprechung 26 ff. Strafbarkeitsmöglichkeiten 36 ff.