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German Pages 343 Year 2018
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1380
Operative Polizeiarbeit in Polen und in Deutschland Zugleich ein Beitrag zu unterschiedlichen Formen der Grundrechtskontrolle
Von
Jan Muszyński
Duncker & Humblot · Berlin
JAN MUSZYŃSKI
Operative Polizeiarbeit in Polen und in Deutschland
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1380
Operative Polizeiarbeit in Polen und in Deutschland Zugleich ein Beitrag zu unterschiedlichen Formen der Grundrechtskontrolle
Von
Jan Muszyński
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die operative Polizeiarbeit, insbesondere die Überwachung der elektronischen Kommunikation, ist ein brisantes und schwieriges Thema weltweit. Einer der Gründe dafür sind die dabei benutzten Begriffe wie etwa Terrorismus, Überwachung, Freiheit und Sicherheit, die sich nicht eindeutig definieren lassen und in verschiedenen Ländern anders verstanden und gewürdigt werden. Eine Methode, die in einem Land selbstverständlich ist, könnte in einem anderen für unzulässig und unverhältnismäßig erscheinen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Fülle der technischen Aspekte verknüpft mit den komplizierten Fragen des Grundrechtsschutzes in diesem Bereich die IT-basierte Überwachung zu einem juristischen gordischen Knoten machen. Nicht nur die Methoden der operativen Polizeiarbeit an sich sind von Land zu Land anders, für viele Unterschiede und Missverständnisse sorgen auch die unterschiedlichen Grundrechtsschutzniveaus. Sichtbar wird dies vor allem an den Verfahren vor den höchsten Gerichten des jeweiligen Staates. Denn früher oder später landen die Überwachungsfälle auf dem Prüfstand der Verfassungsmäßigkeit und die Handhabung dieser Fälle lässt zahlreiche Rückschlüsse für die Grundrechtsschutzkondition zu, was in den nachfolgenden Kapiteln gezeigt wird. Bei der rechtsvergleichenden Analyse der polizeilichen Maßnahmen in Polen und in Deutschland tauchen zunächst Begriffsprobleme auf, denn Polizei-, Strafprozess- und Verfassungsrecht arbeiten dort mit anderen Strukturen. Wenn man sich aber mit den höchstrichterlichen Entscheidungen auseinandersetzt, wird sichtbar, dass nicht nur die Strukturen anders sind, sondern auch die verfassungsrechtliche Würdigung der Überwachungsfragen. Diese Arbeit strebt an, rechtsvergleichende und rechtssoziologische Aspekte dieser komplexen Frage in Polen und in Deutschland stichprobenartig zu schildern, sucht nach ihrem Ursprung und versucht sie in einem gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext zu verstehen. Bei dieser Untersuchung spielt die Verfassungsrechtsprechung der beiden Länder eine ausschlaggebende Rolle. Sie dient als Barometer des Zustands des Überwachungsrechts auf den beiden Seiten der Oder. Die Verfahren vor den jeweiligen Verfassungsgerichten heben diese Aspekte hervor, auf die sich die Gesellschaften in Polen und in Deutschland konzentrieren, und weisen, gemeinsam mit den Reaktionen auf diese Rechtsprechung, auf die Lösungen, die sie dafür finden, hin.
6 Vorwort
Die vorliegende Bestandsaufnahme stellt die Entwicklungen bis Ende des Jahres 2016 dar. Bei dieser Analyse ist jedoch die Aktualität und Vollständigkeit des Untersuchungsmaterials nicht von primärer Bedeutung, sondern ein Blick auf die Strukturen, in denen sich das polnische und deutsche Überwachungsrecht bewegen. Die Strukturen und Denkmuster – gebildet durch einerseits Fachvorschriften des Telekommunikations-, Polizei- und Strafprozessrechts und andererseits durch materielles und formelles Verfassungsrecht – bleiben konstant trotz Kurskorrekturen durch den jeweiligen Gesetzgeber oder das Verfassungsgericht. Damit ist die Arbeit nicht als lückenlose chronologische Darstellung, sondern eher als ein Bild der komplexen Rechtsund Gesellschaftslage in Bezug auf die Telekommunikationsüberwachung in Polen und in Deutschland zu sehen. Die Entwicklungen im Bereich der Telekommunikationsüberwachung, sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung und Praxis, verlaufen heutzutage äußerst dynamisch. Diese Stichprobe der Realität der letzten Jahre könnte jedoch eine von der Zeit unabhängige Richtung der Entwicklungen zeigen. Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation am 12. Januar 2018 an der Juristischen Fakultät der Universität Bayreuth verteidigt. Sie entstand im Rahmen des Stipendiums der Konrad-Adenauer-Stiftung. Als Verfasser bedanke ich mich vor allem bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Oliver Lepsius, der mich während der Schöpfungsphase besonders unterstützt hat. Die Ver öffentlichung dieser Dissertation wäre nicht möglich ohne die finanzielle Unterstützung seitens der Konrad-Adenauer-Stiftung wie auch anderer Personen, die anonym bleiben möchten. Poznań, im Mai 2018
Jan Hubert Muszyński
Inhaltsverzeichnis Einführung – Erhebung der elektronischen Daten als Gegenstand der Arbeit und Beispiel zweier Umgangsweisen mit der Freiheit und Sicherheit . 15 A. Die operative Polzeiarbeit – eine Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Kurzer technischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Umfang der geheimen Datenerhebung in Deutschland . . . . . . . . . . . . 20 2. Umfang der geheimen Datenerhebung in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3. Einschätzung der Eingrenzung des Forschungsgegenstands . . . . . . . . . 27 4. Subjektbezogene Einschränkung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Polizei- und Geheimdienste in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Trennungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 bb) Die Geheimdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 cc) Die polizeilichen Dienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Polizeiliche Dienste und Geheimdienste in Polen . . . . . . . . . . . . . . 35 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten aus den vernetzten IT-Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Die einschlägigen Grundrechte aus dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . 38 a) Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . 39 b) Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) . . . . . . . . 42 c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Ausprägungen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 d) Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Einschlägige Grundrechte in der polnischen Verfassung . . . . . . . . . . . 46 a) Recht auf Privatheit (Art. 47 PolVerf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Telekommunikationsgeheimnis (Art. 49 PolVerf) . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 51 PolVerf) und das Problem damit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 d) Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 50 PolVerf) . . . . . . . . . . 53 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Gesetzesgrundlagen der Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Historische Begebenheiten und ihr Einfluss auf die Regelungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Die Einführung der heimlichen Überwachungsmittel . . . . . . . . . . . 58
8 Inhaltsverzeichnis b) Die Grundrechtsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Die gesetzgeberische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 d) Fragestellungen im Polizeirecht nach dem Volkszählungsurteil . . . 63 e) Verwendung der polizeilich erhobenen Daten im Strafprozess . . . . 65 f) Einschätzung der grundrechtlichen Diskussion in Deutschland . . . 68 2. Die Einzelheiten der Gesetzesregelungen in Deutschland . . . . . . . . . . 68 3. Die Eingriffe in die IT-Tätigkeit des Individuums nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Geheimdienstliche Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Repressive Überwachung im Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Bedeutung des Anfangsverdachts für den Einsatz der Überwachungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Exkurs: Kontroversen um den Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . 70 cc) Die Zwangsmaßnahmen § 100a, § 100g, § 100i und § 100j StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 dd) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Präventive polizeiliche Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Die Präventive Überwachung nach BayPAG . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Das Verfahren beim Einsatz der Überwachung nach BayPAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme . . . . . 80 d) Die Einschätzung der Regelungen im deutschen Recht . . . . . . . . . 82 IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Polizeiliche Tätigkeit in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Herkunft der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei . . . 86 b) Strukturänderung in den Sicherheitsdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Der Weg vom Kollektivismus zum Individualismus . . . . . . . . . . . . 89 d) Die Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Änderungen . . . . . . 90 e) Exkurs: Geheimdienste und Polizei in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Die Lage de lege lata bei der Überwachung der IT-basierten Tätigkeit des Einzelnen in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Die Regelungen im PolStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Zugang zu den inhaltsbezogenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Zugang zu den nicht inhaltsbezogenen Daten . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Einschätzung der Regelung in der PolStPO . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Die Regelungen im PolizeiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Die Maßnahmen, die einer externen Kontrolle unterliegen . . . 102 bb) Exkurs: Strafprozess – Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Die Operations- und Erkennungstätigkeitsmethoden, die keiner externen Kontrolle unterliegen – eine „Wehklage“ gegen die Unreife des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Bedeutung der Rechtsschutzprozeduren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Löschung, Wahrung der gesetzlichen Geheimnisse . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis9 b) Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tragweite – zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. „In Zangen der Sicherheit“ Entwicklung der Operations- und Erkennungstätigkeit der polizeilichen Dienste in Polen nach dem Jahr 1989, eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtspolitische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Angst vor Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Angst vor Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Angst vor Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vielschichtige Kritik der jetzigen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generelle Kritik an der Idee der Operations- und Erkennungstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik aus der Strafprozessperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik aus der Perspektive des Grundrechtsstandards . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 115 118 119 119 120 122 124 126 131 131 132 135 142
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . 145 I. Bedeutung der Verfassungsgerichte bei der Überprüfung der IT-gebundenen Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Spezifik der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Unterschiede zu Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Das Volkszählungsurteil als Ursprung der Überlegungen . . . . . . . . . . . 151 a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Die Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Prüfungsmaßstab des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Die Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Casus „Großer Lauschangriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) „Die Wende des Gerichts“ – das BVerfG und Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) BVerfG und sonstige verfassungsrechtliche Beanstandungen des Großen Lauschangriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Die Ermächtigungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 cc) Problem mit der Kennzeichnung, Löschung und Verwendung der Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Einschätzung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Casus „Online-Durchsuchung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Das Umfeld des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
10 Inhaltsverzeichnis b) Der Auftakt – Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Die Ausführungen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Schutzdefizit des Telekommunikationsgeheimnisses . . . . . . . . 184 bb) Schutzdefizit der Unverletzlichkeit der Wohnung . . . . . . . . . . 184 cc) Das Auffanggrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Konstruktion des Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität der IT-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Der Eingriff und seine Spezifik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Schutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Kritik an verdeckter Teilnahme an Kommunikationseinrichtungen 191 f) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5. Casus „Vorratsdatenspeicherung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Die Frage der Vorlage vor dem EuGH und Exkurs zum Urteil des VerfGH vom 30.7.2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Die Verfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 d) Die Ausführungen des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 e) Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Die Kraft der deutschen Rechtsprechung aus der Perspektive des polnischen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Ein paar Punkte aus der Geschichte des Grundrechtsschutzes in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Entscheidungen des VerfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Nur der Tenor bindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5. Grundrechtsdogmatik als Problem für den Grundrechtsschutz . . . . . . 217 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes zur staatlichen Überwachung und zum Datenschutz gegen staatliche Eingriffe in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. „Das erste Überwachungsurteil“ vom 12. Dezember 2005 (K 32 / 04) . 221 a) Argumentation des Ombudsmannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Allgemeine Erwägungen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 d) Fehlerhafte Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Veränderung der Datenverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Telekommunikationsüberwachung bei der Zustimmung eines Teilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 cc) Anlasslose Datenbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 dd) Informationspflichten – der Sündenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 e) Folgen des Urteils K 32 / 04 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Das „CBA-Urteil“ vom 23. Juni 2009 (K 54 / 07) . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Inhaltsverzeichnis11 b) Vorwürfe und Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Erwägungen des VerfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Einschätzung des Urteils K 54 / 07 – Sondervotum der Richterin Ewa Łętowska . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 e) Auswirkungen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Das „Große Urteil“ vom 30. Juli 2014 (K 23 / 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Facetten des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Kollektive Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Bindung an die Überprüfungsanträge und Reichweite des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 cc) „Das Kulturteil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Kontrollanträge und Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Die Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Die materiellen Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 c) Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 d) Die grundrechtlichen Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 aa) Unscharfe Sprache bei der Regelung der Kommunikationsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Subsidiarität über alles? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (1) Angeblich falscher Ansatz des Antragstellers . . . . . . . . . . 260 (2) Ungeschicktes Ausweichmanöver des VerfGH . . . . . . . . . 262 cc) Das Verfahren bei der Vorratsdatenspeicherung . . . . . . . . . . . . 263 (1) Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller . . 264 (2) Allgemeine Überlegungen des VerfGH . . . . . . . . . . . . . . . 265 (3) Bezugnahme auf die Rechtsprechung der internationalen Gerichte und Verfassungsgerichte anderer Staaten . . . . . . 269 (4) Zusammenfassung der allgemeinen Überlegungen des VerfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (5) Einschätzung der Vorratsdatenspeicherung durch VerfGH 272 dd) Mangelnder Rechtsschutz vor dem Eingriff in das Berufsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 ee) Erneute Verwertung und Löschung der Verkehrsdaten . . . . . . 276 e) Einschätzung des Urteils und seiner Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Mängel beim Gesetzgebungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Grundrechtsbedenken im Laufe der parlamentarischen Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 cc) Die ungeklärten Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 V. Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit oder Kampf der Legislative und Exekutive gegen Verfassungsgerichtsbarkeit? . . . . . . . . . . . . . 284 C. Die operative Polizeiarbeit in Polen und in Deutschland – Gründe für die Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Die ausschlaggebende Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Unterschiedliche Wahrnehmung – die Wertung der Sicherheit . . . . . . . . . 288
12 Inhaltsverzeichnis 1. Definitionen der Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefahrenabwehr oder Schutz der Sicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das unbequeme Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Schutz der Sicherheit in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Suche nach Parallelen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Paradoxon der Beseitigung des sozialistischen Erbes . . . . . . . . . . . . 1. Sozialistisches Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Umkehr zum Rechtsstaat im Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der verfassungsrechtliche Einfluss auf den Grundrechtsschutz im Bereich des Polizeirechts in Polen und in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . V. Das Verhältnis zur Überwachung der IT-basierten Tätigkeit des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
288 290 291 293 293 294 296 299 300 302
Anhang – die einschlägigen Gesetze der Republik Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
Abkürzungsverzeichnis ABW
Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego (Agentur für Innere Sicherheit) AöR Archiv des Öffentlichen Rechts BayPAG Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei BKAG Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten BNDG Gesetz über den Bundesnachrichtendienst BPolG Gesetz über die Bundespolizei BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfSchG Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz CBA Centralne Biuro Antykorupcyjne CR Computer und Recht DÖV Die Öffentliche Verwaltung DuD Datenschutz und Datensicherheit DVBl Deutsches Verwaltungsblatt Dz.U. Dziennik Ustaw (Polnisches Gesetzblatt) GG Grundgesetz HDG Handbuch der Grundrechte JA Juristische Arbeitsblätter JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts Jura Juristische Ausbildung JZ Juristenzeitung K&R Kommunikation und Recht KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft MO Milicja Obywatelska (Volkspolizei in der Volksrepublik Polen) NGefAG Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift NRW Nordrhein-Westfalen
14 Abkürzungsverzeichnis NStZ NVwZ PiP PolizeiG PolStGB PolSTPO PolTK
Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Państwo i Prawo (Staat und Recht) Polnisches Polizeigesetz (Ustawa o Policji) Polnisches Strafgesetzbuch (Kodeks Karny) Polnische Strafprozessordnung (Kodeks Postępowania Karnego) Polnisches Telekommunikationsgesetz (Prawo Telekomunikacyjne) PolVerf Polnische Verfassung (Konstytucja Rzeczpospolitej Polskiej) PPiA Przegląd Prawa i Administracji (Zeitschrift für Recht und Verwaltung) Prok. i Pr. Prokuratura i Prawo (Staatsanwaltschaft und Recht) RhPfPOG Rheinland-Pfälzisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz RP Republik Polen RPEiS Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny (Schriften für Recht, Wirtschaft und Soziologie) SB Służba Bezpieczeństwa (Staatssicherheitsbehörde der Volksrepublik Polen) StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung TKG Telekommunikationsgesetz TKÜ Telekommunikationsüberwachung VDS Vorratsdatenspeicherung VerGH Polnischer Verfassungsgerichtshof VRP Volksrepublik Polen VSG Gesetz über den Verfassungsschutz VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer ZaöRV Zeitschrift für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht ZfdG Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften ZG Zeitschrift für Gesetzgebung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
Einführung – Erhebung der elektronischen Daten als Gegenstand der Arbeit und Beispiel zweier Umgangsweisen mit der Freiheit und Sicherheit Der Zugang zu den einschlägigen Daten aus den IT-Systemen wird zu einer der wichtigsten Erkenntnisquellen in der Sicherheitspraxis der heutigen Staaten. Das Problem dabei ist vielschichtig und wird weltweit unter den Gesichtspunkten verschiedener Sicherheitskonzepte und philosophischer Ansätze unterschiedlich betrachtet. Die Frage, die sich hier stellt, betrifft vor allem die „Einschlägigkeit“ der Daten, die von den Sicherheitsbehörden erhoben werden sollten. Wie können sie „Spreu vom Weizen“ trennen? Welche Daten haben für die Fahndung nach unterschiedlichen Straftaten Bedeutung? In welchem Umfang kann man Daten anzapfen? Wie soll das Verfahren dabei aussehen? Diese und andere Fragestellungen werden zum Gegenstand zahlreicher Wissenschaftsdisziplinen, von der Ingenieurwissenschaft über die Gesellschafts-, Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft bis hin zur Philosophie. Diese Fachperspektiven werden noch von den nationalen Betrachtungsweisen bereichert und erweitert. Die Vielfalt der Disziplinen und Per spektiven angeheizt durch Emotionen wie Angst, Hilfslosigkeit oder sogar Rachsucht, die die Fragen der Sicherheit immer auslösen, verursachen ein Gewirr von Stimmen, bei denen sich die populistischen Ansätze mit den ausgewogenen Diktionen vermischen. Das Ziel ist dabei, die besten Rezepte für den Schutz vor angeblich neuartigen Gefahren zu erhalten. Die Verhältnisse, in welchen die verschiedenen Stimmen in den jeweiligen Gesellschaften Gehör finden, beeinflussen die Sicherheitspolitiken der jeweiligen Länder, die dadurch andere spezifische Eigenschaften gewinnen. Die Messung ihrer praxeologischen Richtigkeit oder Effektivität fällt auch anders aus, weil erstens die Kriterien der Messung anders sind und zweitens die Ziele unscharf und utopisch. Das Beispiel der Erhebung der digitalen Daten in Polen und in Deutschland durch polizeiliche Dienste veranschaulicht verschiedene Umgangsweisen der Lösung des Konflikts zwischen Sicherheit und Freiheit, einer Frage, auf die die allerletzte Antwort nicht in Sicht zu sein scheint. Die Lösungskonzeptionen in den beiden Ländern sind von geschichtlichen, gesellschaftlichen, politischen und auch vom Nationalcharakter abhängig. Das gleiche gilt für die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen. Das Widerspiegeln dieser Faktoren ergibt das juristische Bild der Vorgehensweise
16 Einführung
mit der Datenerhebung aus den vernetzten IT-Systemen in den beiden Ländern. Die Perspektive dieser Arbeit ist juristisch und zugleich soziologisch, deswegen wird das Thema aus technischer Perspektive nicht streng eingeengt und detailliert betrachtet. Sie ist aber auch nicht als eine komplette Studie zum polnischen und deutschen Überwachungsrecht zu sehen, sondern als eine Stichprobe aus diesem Bereich und als Versuch einer Antwort auf die Frage nach den unterschiedlichen Vorgehensweisen der polnischen und deutschen Polizei- und Sicherheitsdienste. Die Gewinnung der Informationen aus den IT-Systemen wird eher als ein rechtspolitisches und gesellschaftliches Phänomen verstanden und nicht als Gruppe konkreter technischer Mittel. Sie stellt einen Komplex der Rechtsnormen dar, der rein technisch auch mehr dimensional gesehen werden kann, doch dieser Ansatz wird absichtlich nur kurz angedeutet. Die Präzisierung des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit muss auch zwangsläufig einen technischen Rahmen bekommen, um die Eckpunkte der Konzepte der Datenerhebung aus den IT-Systemen in Polen und in Deutschland besser zu veranschaulichen. Eine rechtsvergleichende Arbeit verlangt außerdem eine solche Eingrenzung des Gegenstandes, der das Problem nicht durch die Details verwischt und damit einen gemeinsamen Rahmen für die Untersuchung zweier Rechtssysteme schaffen kann. Mit anderen Worten, mit der Sprache der Naturwissenschaft könnte man sagen, das geeignete Untersuchungsmaterial solle von dem jeweiligen „juristischen Stoffgemisch“ des zur Beobachtung stehenden Landes extrahiert werden, um die Struktur des Extraktes danach zu untersuchen. Dabei behandelt diese Untersuchung die Fragen des Überwachungsrechts als eine Grundlage für allgemeine Schlussfolgerungen.
A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme Die polizeiliche Datenerhebung aus den IT-Systemen scheint aus der technischen Perspektive relativ einfach zu sein. Das Ziel ist klar: Zugang zu den persönlichen elektronischen Geräten zu erlangen um Daten davon anzuzapfen. Die Umsetzung dieses Ziels ist für eine Behörde angesichts der Ressourcen, die ein Staatsapparat zur Verfügung hat, einfach. Erst die Frage nach dem Zweck einer solchen staatlichen Tätigkeit eröffnet das Feld der juristischen Betrachtung dieser Praxis. Die hierzu geführte Diskussion beruht auf einem Konglomerat verschiedener Rechtsnormen aus dem Bereich des Telekommunikationsrechts, Polizeirechts, Geheimdienstrechts, Strafrechts und Verfassungsrechts. Diese juristische Mischung verlangt eine Systematisierung, nähere Erklärung und Abgrenzung, die die Voraussetzung für die weitere Analyse sind.
I. Kurzer technischer Ansatz Aus technischer Perspektive scheint der Begriff der Datenerhebung aus den vernetzten IT-Systemen durch die polizeilichen Dienste ungenau zu sein, weil er eine ganze Menge von verschiedenen technischen Maßnahmen umfasst. Die deutsche, praxisbezogene juristische Fachliteratur erörtert auch die technische Seite der Maßnahmen im Vergleich zur polnischen relativ eingehend.1 Es gibt auch speziell ausgebildete Richter, die sich mit den Genehmigungen befassen. Dank der detaillierten und differenzierten Gesetzgebung und aufmerksamer Praxis unterscheidet man in Deutschland nach der Eingriffsstärke unter der Berücksichtigung der Ausgestaltung des Mittels, was in Polen nicht der Fall ist. Außerdem, die technische Präzisierung der „Überwachungsmaßnahmen“ wird nach der Rechtsprechung des VerfGH selbst, nicht dem Gesetzgeber, sondern der polizeilichen Praxis überlassen.2 Im Urteil des VerfGH vom 30. Juli 2014 hieß es: „Aus dem Gesichtspunkt der Gebote der Rechtsklarheit und der gesetzlichen Form der Bürgerrechteeinschränkung ist es nicht zwingend nötig, einen geschlossenen Katalog der technischen Mittel der Operationskontrolle [im Gesetz] zu schaffen.“ Zwar ist die Literatur zur Verwendung der Daten reichlich, dennoch trauen sich nur die wenigsten ju1 Vgl. etwa: Wolfgang Bär, TK-Überwachung § 100a–101 StPO mit Nebengesetzen Kommentar, Köln 2010, Kommentar zum § 100g StPO. 2 Urteil des VerfGH vom 30.7.2014, Az.: K 23 / 11, Punkt III 9.2.2.
18
A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
ristischen Autoren eine technische Betrachtung des Themas zu. Der Grund dafür sei, dass die Methoden zu den Staatsgeheimnissen gehören. Die Rechtsprechung hierzu ist geheim und die Kriminalistiklehre, die sich damit teilweise befasst, ist für die anderen juristischen Disziplinen nicht wirklich anschlussfähig. Selbst vor dem Verfassungsgericht 2014 haben sich die Parteien geweigert, die „Küche“ der Methoden zu offenbaren, wobei es nicht um das Fahndungsgeheimnis in concreto ging, sondern lediglich um die Bestimmung, welche Daten in welchem Verfahren angezapft werden und welche Persönlichkeitsrelevanz sie aufweisen.3 In Polen steht also das Geheimnis der Fahndungsmethoden, die in der heutigen Zeit ohnehin, etwa dank Internetforen und ausländischer Literatur bekannt sind, im Vordergrund. Eine genauere Betrachtung der Methoden soll die Effektivität der Sicherheitsmaßnahmen gefährden. Außerhalb des Fokus stehen die Daten selbst oder genauer gesagt ihre Tragweite für den Einzelnen. Der richtige Ansatz wäre eine Prioritätensetzung nach dem Prinzip: Es ist sekundär wie man Daten gewinnt, primär ist aber, was man aus ihnen schließen kann. Der polnische Gesetzgeber und die Praxis haben hauptsächlich eine umgekehrte Betrachtungsweise. Zwar kritisiert in Deutschland etwa Frank Braun die übertrieben technische Vorgehensweise mit den Daten, bei der die Persönlichkeitsrelevanz ausgeblendet werde,4 doch die Lage scheint trotz der Unzulänglichkeiten differenzierter und dadurch grundrechtsfreundlicher zu sein. In Deutschland versucht man schon auf der materiellrechtlichen Ebene der TKG Zugang zu bestimmten Datensätzen einzuschränken (§ 113b Abs. 1 TKG im Vergleich zu § 96 TKG) oder gar auszuschließen (§ 113b Abs. 5 TKG), weil sie besonders sensibel sind und die Rückschlüsse aus ihnen tief in intime Sphären greifen,5 der Zugang zu den Daten wird abgestuft und die Daten in Gruppen sortiert, die unterschiedliche Zugangshürden aufweisen. Der polnische Gesetzgeber unterscheidet dagegen nur nach zwei Arten von Daten: Die inhaltsbezogenen und die restlichen. Den Zugang zu den Inhalten der Kommunikation regeln etwa Art. 237 PolStPO und Art. 19 PolizeiG, die restlichen Daten werden in Art. 218 und 218a PolStPO und Art. 20c PolizeiG erwähnt. Um einen Abriss der technischen Seite des Themas anzubieten, ist es angebracht, sich erst einmal über die materiellrechtlichen Vorschriften einen Überblick zu verschaffen. Den Ausgangspunkt für die Suche nach der Ant3 Urteil
des VerfGH vom 30.7.2014, Az.: K 23 / 11, Punkt II 3.11.2. Keller / Frank Braun / Réne Hoppe, Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, Stuttgart 2015, S. 19–24. 5 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, Drucksache 18 / 5088, http: / / dip21.bundestag.de / dip2 1 / btd / 18 / 050 / 1805088.pdf (Zugang: 29.06.2016). 4 Christoph
I. Kurzer technischer Ansatz19
wort auf die Frage zum Gegenstand dieser Arbeit auf der technischen Seite gibt das polnische Gesetz vom 18. Juli 2002 über auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen.6 Danach ist ein IT-System eine Gruppe zusammenwirkender Geräte und Software, die die Datenverarbeitung und -speicherung wie auch das Senden und Empfangen von Daten über Telekommunikationsnetze mithilfe einer für das jeweilige Netz entsprechenden Telekommunikationssendeeinrichtung gewährleisten.7 Nach der Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik ist dagegen ein Informationssystem ein „computergestütztes Anwendungssystem, d. h. ein Softwaresystem zur Ausführung betrieblicher Aufgaben.“8 Die beiden Definitionen beziehen sich aber auf die technischen Aspekte, wobei die kommunikationstheoretischen und grundrechtsrelevanten Ansätze nicht berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für die Definition der Telekommunikation. Sie stellt einen technischen Oberbegriff dar, der auch die Internetkommunikation umfasst. Nach § 3 Nr. 22 und 23 TKG wird sie als jeder technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen, also technischen Einrichtungen oder Systemen, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können, definiert.9 Eine artgleiche Definition der Telekommunikation funktioniert auch im polnischen Recht, in Art. 2 Nr. 42 PolTKG. Das polnische Telekommunikationsgesetz (PolTKG) formuliert auch die Definition der Telekommuni kationsübermittlung, nach Art. 2 Nr. 27a des genannten Gesetzes ist sie als Inhalt der Telefongespräche und anderer Informationen, die mithilfe der Telekommunikationsnetzwerke übermittelt werden, definiert. Die Begriffe im Telekommunikationsrecht und Telemedienrecht (so wie jene aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik) entsprechen den Belangen des Regulierungsrechts und umfassen verschiedene Formen der Informationstechnologien in technischer Hinsicht. Sie blenden aber den soziologischen, subjektbezogenen Aspekt ihrer Nutzung aus, der bei der Betrachtung 6 Gesetz vom 18. Juli 2002 über auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen (Dz. U. vom 2014, Pos. 243, mit späteren Änderungen). 7 Art. 2 Nr. 2 Gesetz über auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen. 8 http: / / www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de / wi-enzyklopaedie / lexi kon / uebergreifendes / Kontext-und-Grundlagen / Informationssystem / index.html (Zugang: 29.06.2016). 9 Jürgen-Peter Graf, Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, München 2015, Kommentar zum: § 100a, (Zugang Online: 12.4.2016). Ralf Eschelbach, in: Helmut Satzger, Wilhelm Schluckebier, Gunter Widmaier, StPO Kommentar, Köln 2014, Kommentar zum: § 100a Rn. 1–3; Mayer-Goßner Lutz, Schmitt Bertram, Strafprozessordnung Kommentar, München 2015, Kommentar zum § 100a StPO, Rn. 6–8.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
der Datenerhebung aus der Grundrechtsperspektive essentiell ist. Der technische Telekommunikationsbegriff der TKG ist breiter als derjenige, der für die Markierung des Schutzbereichs des Telekommunikationsgeheimnisses notwendig ist. Er umfasst etwa den Abruf von Web-Seiten oder die Nutzung von Datenbanken, die als nicht kommunikative Nutzung von Internen einzustufen sind und damit nicht in den erwähnten Schutzbereich fallen.10 Er schließt auch die subjektunabhängige Kommunikation zwischen den Maschinen ein. Insofern muss dem technischen Begriff der Telekommunikation der materielle gegenübergestellt werden, der aus der Analyse des Schutzbereiches des Art. 10 GG hervorgeht und vom BVerfG als „unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs“11 definiert wird. Darüber hinaus soll auch in diesem Sinne der Begriff des IT-Systems verstanden werden. Er könnte definitionstechnisch das Genus darstellen, aber die Rechtswissenschaft mit der Einbeziehung der sozialwissenschaftlichen Kriterien soll differentia specifica formulieren. Wolfgang Hoffmann-Riem bemerkt, dass die Benutzung des Begriffs des IT-Systems im verfassungsrechtlichen Sinne „noch erarbeitet werden muss und keineswegs der informationstechnischen Literatur entnommen werden dürfte.“12 Deswegen soll die Erhebung der Informationen aus den IT-Systemen eher aus dem Gesichtspunkt der Schutzgehalte der Grundrechte bestimmt werden. Oder mit anderen Worten, die technischen Mittel, die für die Erhebung verwendet werden, sind zweitrangig. Erstrangig ist dagegen – aus der Perspektive dieser Arbeit – die Art der Informationen, die beim Einsatz der Technik gewonnen werden und welche Grundrechte in Deutschland und in Polen einschlägig sind. 1. Umfang der geheimen Datenerhebung in Deutschland In Deutschland, wie in Polen, schreibt der Gesetzgeber den inhaltsbezogenen Daten den höchsten Schutz zu. Sie stellen eine separate Gruppe dar. Im Unterschied aber zu Polen differenziert der deutsche Gesetzgeber bei den nicht inhaltsbezogenen Daten. Der Systematik nach werden sie entweder für die Anbieterzwecke zugelassen oder lediglich zu Sicherheitszwecken. Zur ersten Gruppe gehören etwa zu Abrechnungszwecken erhobene Verkehrsda10 Frank Braun, Überwachung des Surfverhaltens nach den § § 100a, b StPO zulässig? (Anmerkung zu LG Ellwangen, Urteil vom 28.05.2013, Az: 1 Qs 130 / 12), juris Praxisreport IT-Recht, Ausgabe 18 / 2013, Anm. 5. 11 BVerfGE 120, 274 (306–307). 12 Wolfgang Hoffmann-Riem, Das grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationsrechtliche Systeme, JZ 2008, S. 1012.
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ten nach § 96 TKG oder in anonymisierter Form, etwa zur Ermittlung des Funkzellenkapazitätsbedarfs, Standortdaten nach § 98 TKG sowie die Bestandsdaten nach § 95 TKG. Die zu Sicherheitszwecken erhobenen Daten werden in Art. 113b ff. TKG erwähnt. Zu den aus der Grundrechtsperspektive am schwächsten tangierten Daten gehören die Bestandsdaten, also Daten, die für die vertragsgemäße Erbringung der Dienstleistungen durch den Anbieter nach § 95 Abs. 1 TKG oder § 111 TKG erhoben werden. Die zweite Gruppe regelt § 113b ff. TKG, die einen fast so hohen Schutz genießen wie die inhaltsbezogenen Daten. Die bayerische Polizei etwa darf den Zugang zu ihnen, soweit dies zur Abwehr oder für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist, erlangen (Art. 34b Abs. 4 BayPAG). Nach § 3 Nr. 30 TKG sind Verkehrsdaten diejenigen Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Gemäß § 96 TKG gehören zu Verkehrsdaten: (1) die Nummer oder Kennung der beteiligten Anschlüsse oder der Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten, (2) die Angabe zu Beginn und Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen (3) die Angabe zu dem vom Nutzer in Anspruch genommenen Telekommunikationsdienst, (4) die Angabe zu den Endpunkten von fest geschalteten Verbindungen, ihren Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen, und (5) die sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation, sowie zur Entgeltabrechnung notwendigen Verkehrsdaten. Diese Verkehrsdaten dürfen nur verwendet werden, soweit dies für durch gesetz liche Vorschriften begründete Zwecke oder zum Aufbau weiterer Verbindungen erforderlich ist. Sie dürfen also nur bei der Einwilligung des Nutzers von den Anbietern verwendet werden. Näheres regelt § 96 Abs. 3 TKG. Demgegenüber dürfen die Daten aus § 113b TKG nur zu Sicherheitszwecken verwendet werden. Die Daten aus § 96 TKG können aber von den Sicherheitsbehörden im Rahmen vom § 100g StPO (n. F.) erfasst werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Das BayPAG sieht die Zugangsmöglichkeit zu diesen Daten in Art. 34b Abs. 2 vor. Die nächste Gruppe sind die nicht inhaltsbezogenen Daten, die zu Sicherheitszwecken auf Vorrat gespeichert werden. Sie können nach § 100g Abs. 2 StPO (n. F.) bei dem Verdacht, dass jemand eine besonders schwere Straftat begangen hat und sie auch im Einzelfall besonders schwer wiegt, dabei die
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Erforschung der Sache auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht, erhoben werden. Nach einer langen und kontroversen Diskussion beschloss der Bundestag am 16. Oktober 2015 diese Form der Datenspeicherung wieder, nachdem sie 2010 in der damaligen Ausgestaltung für verfassungswidrig erklärt worden war. Um welche Datensätze es sich handelt, wird in § 113b TKG erwähnt und selbst bei ihrer Bestimmung findet man die grundrechtsbezogenen Einschränkungen, die in der polnischen Aufzählung nicht vorkommen. Zu den Verkehrsdaten gehören also: (1) die Rufnummer oder eine andere Kennung des anrufenden und des angerufenen Anschlusses, sowie bei Um- oder Weiterschaltungen jedes weiteren beteiligten Anschlusses, (2) Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung unter Angabe der zugrundeliegenden Zeitzone, (3) Angaben zu dem genutzten Dienst, wenn im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Dienste genutzt werden können. Im Fall mobiler Telefondienste ferner (4) die internationale Kennung mobiler Teilnehmer für den anrufenden und den angerufenen Anschluss, (5) die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes, (6) Datum und Uhrzeit der ersten Aktivierung des Dienstes unter Angabe der zugrundeliegenden Zeitzone, wenn Dienste im Voraus bezahlt wurden. Im Fall von Internet-Telefondiensten (7) auch die Internetprotokoll-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und zugewiesene Benutzerkennungen. Die erfolglosen Verbindungen werden auch registriert. Im Falle der Internetzugangsdienste sind die Anbieter verpflichtet, (1) die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse, (2) eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt, sowie eine zugewiesene Benutzerkennung, (3) Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone zu speichern. Zu den nicht inhaltsbezogenen Daten, die von den polizeilichen Diensten erhoben werden können, gehören darüber hinaus die Standortdaten der Funkzellen, die bei der Verbindung verwendet wurden (§ 113b Abs. 4 TKG). Schon das TKG verbietet aber ausdrücklich im Art. 113b Abs. 5 und 6 TKG, die Inhalte der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post sowie Daten zu den Verbindungen mit der Telefonseelensorge aufgrund dieser Vorschrift zu speichern. Das Gesetz enthält auch detaillierte Vorschriften zur Sicherheit der Daten und ihrer Löschung. Die Daten nach § 113b TKG dürfen zehn Wochen aufbewahrt werden, Standortsdaten vier Wochen. Der Zugang zu allen oben genannten Daten erfolgt unter Richtervorbehalt.
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Die Literatur in Deutschland beschäftigt sich mit verschiedenen Softwares und Geräten bezüglich ihrer Datenzugriffskapazität: IMSI-Catcher, stille SMS u. ä. werden von der juristisch-technischen Seite aus untersucht. Die Methode, die dabei am kontroversesten gesehen wird, ist die sog. OnlineDurchsuchung mit ihren Ausführungsmöglichkeiten durch unterschiedliche Maßnahmen – Keylogers, Trojanersoftware u. a. Nach Michael Soiné kann man Online-Durchsuchung als „den heimlichen staatlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme mittels Kommunikationsnetzen unter Einsatz einer so genannten Remote Forensic Software bezeichnen. Der Zugriff kann einmalig erfolgen (Online-Durchsicht) oder sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (Online-Durchsuchung). Die Installation der Software auf dem Zielrechner ist auf elektronischem Weg oder in der Wohnung des Betroffenen möglich“.13 Dies ermöglicht nicht nur die Erfassung von o. g. Daten, sondern gibt gleichzeitig einen Anlass zur kompletten Infiltrierung eines IT-Systems, wobei nicht nur die Inhalte der Kommunikation erforscht und die Verkehrs-, Standorts- und Bestandsdaten, sondern auch andere gespeicherte Inhalte erfasst werden können. Mittlerweile haben Bayern und Rheinland-Pfalz in ihren Polizeigesetzen den verdeckten Zugriff auf die IT-Systeme14 vorgesehen. Auf der Bundesebene ist das BKA laut § 20k BKAG dazu ermächtigt. Ähnlich wie die Online-Durchsuchung funktioniert die Quellen-TKÜ. So „bezeichnet man die behördliche Überwachung von Telefongesprächen, die über das Internet, z. B. mittels ‚Skype‘, verschlüsselt geführt werden (so genannte Voice-over-IP). Voraussetzung dafür ist, dass der Telekommunikationsinhalt entweder vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung abgehört wird. Dieser Zugriff erfordert ebenso wie bei der Online-Durchsuchung die vorherige Installation einer Remote Forensic Software auf dem Zielrechner.“15 Die methodenbezogene Diskussion ist in Polen weder im Verfassungsrecht noch im Strafprozessrecht verbreitet. Lediglich die Kriminologie beschäftigt sich damit, doch ihre technische Veranlagung und Nähe zu den polizeilichen Kreisen hindert sie in der vertieften grundrechtlichen Betrachtung der Sache. 2. Umfang der geheimen Datenerhebung in Polen Der polnische Gesetzgeber befolgt beim Zugang zu den Informationen über die IT-Tätigkeit des Einzelnen eine Effektivitätsregel. Die Inhalte der 13 Michael Soiné, Eingriffe in informationstechnische Systeme nach dem Polizeirecht des Bundes und der Länder, NVwZ 2012, S. 1586. 14 Art. 34d Abs. 1 BayPAG, § 31c RhPfPOG. 15 Michael Soiné, Eingriffe in informationstechnische Systeme nach dem Polizeirecht des Bundes und der Länder, S. 1587.
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Kommunikation werden separat betrachtet, dagegen werden alle anderen Daten undifferenziert als ein Komplex betrachtet. Allein die erste Gruppe steht unter Richtervorbehalt. Die Methoden der Erfassung der Daten aus der Sicht der Informatik werden aus der Grundrechtsperspektive eher selten erörtert. Lediglich der Umfang der Daten, die die Sicherheitsdienste in Polen erfassen können, wird zum Gegenstand der vertieften Überlegungen.16 Die Daten, die die Inhalte der Kommunikation nicht betreffen, werden folgendermaßen systematisiert: Die polnischen Sicherheitsgesetze verwenden zur Bezeichnung der geheimen Maßnahmen zur inhaltsbezogenen Datenerhebung mithilfe der technischen Mittel den Begriff „Operationskontrolle“17 im Rahmen der Operationsund Erkennungstätigkeiten der Polizei. Nach der letzten Novelle des Polizeigesetzes18 vom 15. Januar 2016 (in Kraft seit 4. Februar 2016) ist die Operationskontrolle heimlich und besteht in (1) der Erfassung und Speicherung von Inhalten der Gespräche, die mithilfe von Telekommunikationsnetzwerken geführt werden, (2) der Erfassung und Speicherung des Bildes und Tons in Räumlichkeiten, Transportmitteln oder anderen nicht öffentlichen Räumen, (3) der Erfassung und Speicherung der Inhalte der Korrespondenz, darunter auch elektronische Korrespondenz, (4) dem Erfassen und Speichern der Daten aus den informatischen Datenträgern, Endgeräten der Telekommunikation und informatischen und teleinformatischen Systemen, (5) der Zugangserlangung und Kontrolle der Postsendungen. Artgleiche Definitionen befinden sich in den Befugnisnormen anderer Sicherheitsgesetze.19 Plakativ lässt sich sagen, dass damit der polnische Gesetzgeber die gleiche Materie, die etwa der bayerische Gesetzgeber in den Art. 33–34d BayPAG erfasst, in einem Absatz zusammengefasst hat. Es wird nicht nach Herkunft, voraussichtlichem Inhalt oder damit verbundener Eingriffsintensität differenziert.
16 Etwa: Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do procesu karnego, Warszawa 2012; Miłosz Kiziński, Retencja danych telekomunikacyjnych, Prok. i Pr. 1 / 2016, S. 138–155. 17 „Kontrola operacyjna“ geregelt in: Art. 19 Abs. 6 Polizeigesetz, Art. 9e Abs. 7 Grenzschutzgesetz, Art. 36c Abs. 4 Gesetz über Finanzkontrolle, Art. 31 Abs. 7 Militärpolizeigesetz, Art. 27 Abs. 6 Gesetz über die Agentur der Inneren Sicherheit und über das Zivile Nachrichtendienst, Art. 31 Abs. 4 Gesetz über das Militärabschirmdienst und Militärnachrichtendienst, Art. 17 Abs. 5 Gesetz über das Zentrale Anti korruptionsbüro. 18 Ustawa z dnia 6 kwietnia 1990 o Policji, (Gesetz vom 6. April 1990 über die Polizei), Dz.U. 1990 Nr. 30 Pos. 179, mit späteren Änderungen. 19 Alle Einschlägigen Vorschriften im polnischen Recht befinden sich im Anhang 1. Die englische Übersetzung: http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / default.aspx?pdffile=CDL-REF(2016)036-e (Zugang: 22.07.2016).
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Die Erfassung aller nicht inhaltsbezogenen Daten zur IT-Tätigkeit des Einzelnen in Polen erfolgt nach dem Muster der mittlerweile nichtigen Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2006 / 24 / EG. Ihre Umsetzung bestand in der Hinzufügung der Art. 180a bis 180g ins PolTKG, die immer noch gelten und nie vor das Verfassungsgericht gebracht wurden und stellt den materiellrechtlichen Kern der Datenerfassung dar. Der polnische Gesetzgeber entschied sich ursprünglich für die längste, vorgegebene Speicherungsdauer der Verbindungsdaten, also 24 Monate. 2012 hat er sie auf zwölf Monate verkürzt. Die Speicherung, Zurverfügungstellung, Schutz und Löschung verläuft im Gegensatz zu Deutschland auf Kosten der Dienstleistungsanbieter. Der Umfang der Retentionsdaten aus dem Art. 180c-180d PolTKG entspricht der Bezeichnung „Telekommunikationsdaten“ etwa im Art. 20c Abs. 1 Pkt. 1 PolizeiG. Die Telekommunikationsdaten (dane telekomunikacyjne) nach Art. 180c umfassen Daten, die die Bestimmung des die Verbindung initiierenden Gerätes und des Adressaten der Verbindung ermöglichen, auch der misslungenen Verbindungen. Hier sind die Angaben zur Feststellung des Endgerätes gemeint: (1) das Datum, die Uhrzeit und Dauer der Verbindung (2), ihre Art (3) und die Standorte der beiden Geräte (4).20 Die genauen Angaben zu den als Telekommunikationsdaten gemeinten Werten enthält die Verordnung des Infrastrukturministers21 über die Daten, die von den Dienstleistungsanbietern gespeichert werden sollten. Um nicht in die technischen Details zu gehen, genügt die Feststellung, dass die Verordnung die Erklärung enthält, welche Daten gespeichert werden sollten, mit Differenzierung auf Festnetzanschlüsse, mobile Anschlüsse und Internetanschlüsse. Bei Festnetzanschlüssen sind das etwa die Telefonnummern der beiden Endgeräte, bei mobilen Anschlüssen MSISDN-Nummern, IMSI-Nummern, IMEI- oder ESN-Nummern, bei Internetanschlüssen werden in der Rechtsverordnung u. a. IP-Adressen und MAC-Nummern erwähnt. Wenn es um Standortdaten geht, sind es etwa geografische Koordinaten der BTS- Stationen. Der polnische Gesetzgeber sieht kein separates Verfahren für die Erhebung der Standortdaten und Verkehrsdaten vor, er bezeichnet aber genau und technisch welche Daten in beiden Kategorien gemeint werden. Die Rechtsverordnung erging nach dem Art. 180c Abs. 2 PolTKG, der im Wege der Umsetzung der mittlerweile nichtigen Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2006 / 24 / EG verabschiedet wurde. Nach der herrschenden Meinung gilt die Umsetzung der 20 Miłosz Kiziński, Retencja danych telekomunikacyjnych, Prok. i Pr., 1 / 2016, S. 141–142. 21 Rozporządzenie Ministra Infrastruktury z dnia 28 grudnia 2009 r. w sprawie szczegółowego wykazu danych oraz rodzajów operatorów publicznej sieci telekomunikacyjnej lub dostawców publicznie dostępnych usług telekomunikacyjnych obowiązanych do ich zatrzymywania i przechowywania. (Dz. U. 2009 Pos. 226 Nr. 1828).
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Richtlinie in Polen als Teil der nationalen Rechtsordnung fort.22 Der Umfang der vom polnischen Gesetzgeber gemeinten Telekommunikationsdaten ähnelt dem Katalog der Verkehrsdaten vom § 113a TKG a. F. 2010, der vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Daten nach Art. 180d PolTKG definieren und umfassen außer Daten, die die Telekommunikationsfirmen zu Abrechnungszwecken erheben, und Standortdaten aus den Registern der Telekommunikationsanbietern, die zu ihren Zwecken verwendet werden dürfen, noch zusätzlich die Bestandsdaten, die bei dem Abschluss vom Vertrag erhoben wurden. Diese Daten betreffen Vornamen und Nachnamen, Namen der Eltern, Geburtstag und Geburtsort, angemeldete Wohnort, Anschrift, persönlicher PESEL-Nummer,23 Pass- oder Personalausweisnummer, Daten zur Vereinbarung der angebotenen Dienstleistung, andere Daten, die beim Vertragsschluss mit der Zustimmung des Nutzers erhoben wurden. Insbesondere die Bankverbindung, Debit- oder Kreditkartennummer, Emailadressen und Telefonnummern. Der Umfang der Daten nach Art. 180c und 180d überlappt sich an vielen Stellen. Dazu erwähnt das polnische Polizeigesetz die sog. „Internetdaten.“ Dieser Begriff wurde nach der Novelle vom Februar 2016 eingeführt. Nach Art. 20c Abs. 1 Pkt. 3 PolizeiG sind es Daten nach dem Art. 18 Abs. 1–5 des Gesetzes über die auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen. Sie beziehen sich auf Angaben, die der Dienstleister verarbeitet, zur Begründung, Gestaltung des Inhalts, Änderung oder Auflösung eines Rechtsverhältnisses. Danach folgt die Aufzählung, die erklärt, welche Angaben gemeint werden: (1) der Name und vor Vorname des Dienstleistungsempfängers, (2) die PESELErfassungsnummer24 oder, falls diese Nummer nicht erteilt worden ist, die Nummer des Reisepasses, des Personalausweises oder eines anderen Dokuments, das die Identität bestätigt, (3) die Adresse, unter der der ständige Wohnsitz angemeldet worden ist (4) die Anschrift für den Schriftverkehr und (5) Signaturprüfdaten, die der Überprüfung der elektronischen Signatur des Dienstleistungsempfängers dienen. Die meisten Bedenken tauchen aber bei der Formulierung des Art. 18 Abs. 5 Nr. 3 des Gesetzes über die auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen auf. Sie betrifft „die Informationen über den Beginn, die Beendigung und den Umfang einer jeden Inan22 Maciej Taborowski, Skutki wyroku TSUE stwierdzającego nieważność dyrektywy retencyjnej, http: / / www.hfhr.pl / wp-content / uploads / 2014 / 04 / skutki_wyroku_ TSUE_MTaborowski-3.pdf (Zugang: 10.4.2016). 23 Persönliche Nummer die jeder Bürger in Polen bekommt nach dem Gesetz über die Bürgerregister. 24 PESEL-Nummer – (poln. powszechny elektroniczny system ewidencji ludności, Allgemeines elektronisches System der Bevölkerungserfassung) eine einmalige, jeder in Polen angemeldeten Person zustehende Nummer, die Geburtsdatum, Geschlecht, Ordnungszahl und Kontrollzahl erfasst.
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spruchnahme der auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistung.“ Dieser technisch angelegte Begriff scheitert bei der Überprüfung nach dem Grundrechtsmaßstab. Der „Umfang der Dienstleistung“ ermöglicht eine weitgehende Auslegung, die notwendigerweise auch beispielsweise die Inhalte der Email-Kommunikation bedeuten könnten.25 Bei der letzten Novelle der Sicherheitsgesetze eingeführten Kategorien der „Internetdaten“ nach Art. 20c Abs. 1 Pkt. 3 PolizeiG und „Telekommunikationsdaten“ nach Art. 20c Abs. 1 Nr. 1 PolizeiG handelt es sich um unbestimmte Kategorien, die sich noch zusätzlich überlappen. Die polnische Regelung der Daten, die aus den vernetzten IT-Systemen entnommen werden können, scheint inkonsequent und zugleich unscharf zu sein. Also schon auf dem Niveau der Bestimmung der Arten von Daten, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherungsmaßnahmen erfasst werden können, erscheint ein Problem der mangelnden Präzision des Gesetzes. Dies führt zu mangelnder Differenzierung nach der Grundrechtsrelevanz der Datensätze. Der Gesetzgeber behandelt Standortdaten, Verkehrsdaten und Bestandsdaten gleich. Die Daten, die zu Sicherheitszwecken erfasst werden sollen, greifen unreflektiert auf die Begriffe aus den Abschnitten, die als Daten für die Zwecke des Anbieters gemeint werden, auf. Soweit die Bestandsdaten kein hohes Grundrechtsgefährdungspotential aufweisen, kann man das nicht über die Verbindungsdaten sagen, aus denen Kommunikationsprofile gebildet werden können. Das Gleiche gilt für die Standortdaten. Sie alle werden praktisch „in einen Topf“ geworfen und ungeachtet des potentiellen Einflusses auf die Grundrechte mit der gleichen Zugangsprozedur verbunden, und zwar ohne Richtervorbehalt. Der polnische Gesetzgeber unterscheidet nur dichotomisch nach Daten, die Inhalte der zwischenmenschlichen Kommunikation enthalten, und anderen Daten. 3. Einschätzung der Eingrenzung des Forschungsgegenstands Die Klassifizierung der technischen Aspekte der IT-gebundenen Informa tionsgewinnung ist einerseits die Aufgabe der Rechtsinformatik,26 andererseits der Kriminalistik, doch das Auslassen der Grundrechtsperspektive dabei, die noch zusätzlich mit mangelnder Transparenz oder sogar Öffentlichkeitsarbeit bei den Sicherheitsbehörden verstärkt wird, wie im Fall Polens führt zu einer diffizilen Lage, bei der weder die Wissenschaft noch die Praxis ei25 Wojciech Klicki / Katarzyna Szymielewicz, Ustawa inwigilacyjna – skandal czy burza w szklance wody? https: / / panoptykon.org / wiadomosc / ustawa-zwana-inwigila cyjna-skandal-czy-burza-w-szklance-wody (Zugang: 10.4.2016). 26 Dazu: Arkadiusz Lach, Dowody elektroniczne w procesie Karnym, Toruń 2004, S. 17–34.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
nen wirklichen Anschlusspunkt an die Maßnahmen der Datenerhebung haben. Die Aufzählung der verschiedenen Datenerfassungsmethoden sowie ihre Charakteristik gehören nicht zum Gegenstand dieser Arbeit, denn sie wäre hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Forschungsgegenstands nicht weiterführend, zumindest im rechtsvergleichenden Aspekt. Angesichts der Differenzierungen im deutschen Recht und der Pauschalisierung im polnischen ist es schwierig, den genauen technischen Gegenstand dieser Arbeit zu markieren. Im polnischen Sprachgebrauch verwendet man den Begriff der Überwachung (poln.: inwigilacja). Er bezieht sich auf die geheimen Praktiken der Datensammlung und Beobachtung generell, sei es in der digitalen oder analogen Welt. Im Fall dieser Arbeit handelt es sich um die inhaltsbezogenen sowie nicht inhaltsbezogenen Daten aus der Telekommunikation, die sich mithilfe der technischen Mittel aus den vernetzten persönlichen IT-Geräten anzapfen lassen, sowie Daten, die sich aus dem Ausspähen jener Geräte erfassen lassen. Für die Beschreibung des so gemeinten Gegenstands der Forschung steht die technische Ausgestaltung der Methoden nicht im Vordergrund, sondern das, was sich aus ihnen erschließt. Mit anderen Worten, der Fokus bewegt sich von der technischen Seite in die Richtung der grundrechtlichen. Die folgenden Erörterungen betreffen also nicht nur die Daten, die direkt Schutzgegenstand des Telekommunikationsgeheimnis sind, sondern umfassen die Daten, die bei der Nutzung der IT-Geräte erzeugt werden und die in Verbindung mit der personalisierten Nutzungsweise derartiger Einrichtungen eine Persönlichkeitsrelevanz aufweisen und damit sowohl durch nationale Grundrechte tangiert werden, wie auch durch internationale Maßstäbe. Um jedoch die materiellrechtliche Ebene mit der informatischen zu verknüpfen, kann die durch IOCE (International Organisation on Computer Evidence) vorgeschlagene Definition des digitalen Beweises reichen. Danach sind das „Informationen, die digital aufbewahrt oder übertragen werden, die eine Bedeutung im Gerichtsverfahren haben können“ – sowohl an der vorprozessualen Etappe als auch vor dem Gericht senso stricto.27 Bei der Regelung zum Umfang der aus den IT-Systemen gefassten Daten ist zweierlei zu beobachten. Zum einen spielt die Methode der Erfassung eine Rolle, weil manche Maßnahmen nicht nur die Daten den polizeilichen Stellen zugänglich machen können, die in den jeweiligen Vorschriften vorgesehen werden, sondern es wird auch ermöglicht, Inhalte anzuzapfen, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, also für die keine Rechtsgrund-
27 Vgl.: Morgan Whitcomb, The Evolution of Digital Evidence in Forensic Science Laboratories, http: / / www.policechiefmagazine.org / magazine / index.cfm?fuseaction= display&article_id=1321 (Zugang: 22.7.2016); Arkadiusz Lach, Dowody elektroniczne w procesie Karnym, Toruń 2004, S. 28–31 und dort erwähnte Literatur.
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lage besteht (etwa digitale Tagebücher, private Fotos).28 Das wurde auch angesichts der Streubreite der Online-Durchsuchung vom BVerfG unterstrichen.29 Die Beurteilung einzelner Methoden geht aber über den angestrebten Umfang dieser Arbeit hinaus. Zum anderen erscheint aus der rechtsvergleichenden Perspektive der Beurteilung der Regelung des Umfangs der Daten, die die Sicherheitsbehörden in Polen und in Deutschland erfassen können, schon auf der materiellrechtlichen Ebene, dass das TKG verschiedene Gruppen von Daten, die in gewisser Weise nach der Eingriffsintensität sortiert sind, erzeugt. Man merkt die Bemühungen, die Daten nicht nur nach der technischen Herkunft zu gruppieren, was grundrechtlich zweitrangig ist, sondern nach der Persönlichkeitsrelevanz der Anzapfstelle. Dementsprechend werden Daten, die nur den Sicherheitszwecken dienen sollten, und Daten, die auch der Anbieter erheben kann, zu eigenen, gesetzlich begrenzten Zwecken getrennt, obwohl sie materiell das Gleiche betreffen. Darüber hinaus werden in Deutschland Eingrenzungen vorgenommen, wie beispielsweise bei der Nichterfassung der Daten über Verbindungen mit der telefonischen Seelsorge, oder bei der Ausnahme von der Vorratsdatenspeicherung der im Internet angesehenen Seiten. Solche Ausschlussregeln sind in der polnischen Rechtsordnung nicht bekannt. Es wird außerdem nach dem Ort des Einsatzes unterschieden – Wohnung oder öffentlicher Raum. Das deutsche System bietet einen vielfältigen und differenzierten Maßstab der Einschätzung der Tiefe der Eingriffe in Grundrechte durch verschiedene Methoden der Datenerhebung. Es ermöglicht das Skalieren der Fahndungsbelange und einen Ausgleich durch die grundrechtlichen Hürden auf der Seite des Einzelnen. Der polnische Gesetzgeber befolgt die Regel der pauschalen Betrachtung aller Daten, die von den IT-Geräten stammen können. Mit den neuen Begriffen der „Internetdaten“ erfasst er weitgehende Daten aus dem Art. 18 Abs. 1–5 des Gesetzes über die auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen, die von den Sicherheitsbehörden ausgelegt werden können. Der Anbieter hat keine Möglichkeit, sie rechtlich zu überprüfen und anzufechten, was schon im früheren Rechtsstand kritisiert wurde.30 Die gerichtliche Kontrolle dabei stockt, was in späteren Teilen der Arbeit erörtert wird. Der Umfang dieser Daten wurde ursprünglich für die Erbringung der Dienstleistung von dem Anbieter gedacht. Mit der Polizeigesetznovelle wurden die nicht konkretisierten Inhalte zum Gegenstand der möglichen sicherheitsrechtlichen 28 Johannes Rux, Ausforschung privater Rechner durch die Polizei- und Sicherheitsbehörden, JZ 2007, S. 295. 29 BVerfGE 120, 274, (323–324). 30 Wojciech Klicki / Anna Obem / Katarzyna Szymielewicz, Telefoniczna kopalnia danych, Warszawa 2013, https: / / telefoniczna-kopalnia.panoptykon.org / # (Zugang 16.6.2016).
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Überwachung. Das Problem des Art. 18 Abs. 1–5 des Gesetzes über die auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen besteht in der Unbestimmtheit der Daten, die dort erwähnt sind. Angesichts der Tatsache, dass die Anbieter der elektronischen Dienstleistungen zu ihren wirtschaftlichen Zwecken immer mehr Daten der Nutzer analysieren, könnte die Eröffnung des Zugangs zu den „Internetdaten“ durch Art. 20c Abs. 1 Nr. 3 PolizeiG den Behörden einen leichten Zugang zu zahlreichen Datensätzen errichten, über die die Diensteanbieter verfügen. Die Auslegung dieser Formulierung könnte zur Folge haben, dass auch beispielsweise der Inhalt der Email darunter subsumiert werden könnte, worauf u. a. das Helsinki Komitee in Polen im Gutachten vom 30.12.2015 aufmerksam macht.31 Dies könnte zur Umgehung der gerichtlichen Kontrolle bei Erlangung der Inhalte der Telekommunikation führen. Der polnische Gesetzgeber differenziert nicht nach der Eingriffsintensität auf der Ebene der Datenbestimmung, die zu erheben sind. Im Rahmen der neuangelegten Operationskontrolle in der Polizei- und Sicherheitsrechtsnovelle vom Januar 2016 unterscheidet der Gesetzgeber nicht nach dem Ort des Einsatzes der Erhebungsmaßnahme, weil z. B. die Maßnahmen der Erhebungen in den Wohnungen und der Maßnahmen in den privaten Transportmitteln oder anderen „nicht öffentlichen Orten“ gleichgesetzt werden. Der Gesetzgeber verwendet die technischen Definitionen der Daten, die das Kriterium der Eingriffsintensität nicht berücksichtigen kann. Zum Schluss ist es noch anzumerken, dass die Zugangsgewährleistung der staatlichen Stellen auch die ökonomischen Kosten umfasst. In Polen werden die Diensteanbieter dazu verpflichtet, die infrastrukturellen Vorkehrungen auf eigene Kosten zu treffen, was von den Gerichten auch bestätigt wird.32 Selbst wenn in Deutschland die Firmen dafür vergütet werden, erheben sich Stimmen, die die hohen Kosten der Sicherheitsgesetze unterstreichen.33 Dies zeigt auch ein anderes Niveau der Diskussion in beiden Ländern.
31 Uwagi Helsińskiej Fundacji Praw Człowieka do poselskiego projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw (druk sejmowy nr 154), Anmerkungen der Helsinki Stiftung für Menschenrechte zur Polizeigesetznovelle, http: / / www.hfhr.pl / wp-content / uploads / 2015 / 12 / HFPC_opinia_ustawa_o_policji_ 30122015.pdf (Zugang: 16.6.2016). 32 Beschluss des Höchsten Gerichts vom 22.1.2003, I KZP 45 / 02, OSNKW 2003, Nr. 1–2, Pos. 7, LEX Nr. 57088. Dazu: Maciej Rogalski, Prawo telekomunikacyjne, Warszawa 2011, Kapitel XV Punkt 3. 33 Etwa: Martin Wissmann, Telekommunikationsrecht Praxishandbuch, Frankfurt a. M. 2006, S. 815–816.
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4. Subjektbezogene Einschränkung des Themas Auf die Daten aus den vernetzten IT-Systemen kann nach den Sicherheitsgesetzen sowohl in Deutschland als auch in Polen eine Reihe von Behörden zugreifen. Das Hauptunterscheidungsmerkmal stellt die Einstufung der Behörden als Geheimdienste oder als polizeilichen Dienst dar. Diese beiden können die Daten zu differenzierten Zwecken, im Rahmen von unterschiedlichen Verfahren, erfassen. Im Folgenden wird ein Überblick vorgestellt. a) Polizei- und Geheimdienste in Deutschland Um das Forschungsumfeld für diese Arbeit weiter in einem subjektbezogenen Aspekt zu markieren, ist es notwendig, den Begriff der strategischen Telekommunikationsüberwachung einzuführen. Dieser Begriff wird vor allem in Verbindung mit der Überwachung, die von den Geheimdiensten in Deutschland vorgenommen wird, in Verbindung gebracht. Die strategische TKÜ gehört zu den nachrichtendienstlichen Mitteln, nach § 8 Abs. 2 BVerfSchG. Anders als bei der präventiven und repressiven polizeilichen Überwachung können die Geheimdienste ohne den Anfangsverdacht im Sinne vom § 152 Abs. 2 StPO agieren und brauchen lediglich eine Indizwirkung bestimmter Erkenntnisse oder Tatsachen, die einen angenommenen Sachverhalt als möglich erscheinen lässt,34 um ihre Kompetenzen zu ergreifen. Auch die gerichtliche Kontrolle über die nachrichtendienstlichen Methoden wird eingeschränkt, was sich aus dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG ergibt. aa) Trennungsgebot Das Trennungsgebot ist auf den „Polizeibrief“ der Alliierten vom Jahre 1949 zurückzuführen und findet im Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG seinen Ausdruck.35 Die Geheimdienste arbeiten also jenseits der strafrechtlichen Relevanz und beziehen auch Verhaltensweisen ein, welche die Strafbarkeitsschwelle nie erreichen.36 Die Aufgaben der Polizei- und Geheimdienste überschneiden sich nur, wenn die beobachteten Zustände strafrechtliche Re-
34 Frederik Roggan, Neue Aufgaben und Befugnisse im Geheimdienstrecht, in: Frederik Roggan, Martin Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Berlin 2006, S. 415. 35 Christoph Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Tübingen 2009, S. 21. 36 Bernadette Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, Stuttgart 2007, S. 292.
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levanz gewinnen.37 Das Trennungsgebot ist damit ein Element eines differenzierten Zuständigkeitssystems, das die geheimen Methoden der Datengewinnung nach Zweck und Art des Rechtsschutzes unterscheidet und einige Prinzipien formuliert, damit die Grundrechtsmäßigkeit gewahrt wird. Danach werden die Überwachungs- und Exekutivbefugnisse voneinander getrennt, damit kein Dienst beide in seiner Hand verbindet, was wiederum durch das geschichtliche Beispiel von der Zusammenlegung der geheimdienstlichen und polizeilichen Befugnisse der Gestapo zu erklären ist.38 Der Ausschluss der polizeilichen Befugnisse bei den Nachrichtendiensten kommt im § 8 Abs. 3 BVerfSchG zum Ausdruck, wonach die polizeilichen Befugnisse oder Weisungsbefugnisse dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zustehen; die Polizei darf auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Praktisch bedeutet es, dass den Nachrichtendiensten untersagt wird, jegliche auf die polizeilichen Generalklauseln gestützten Maßnahmen gegenüber den Bürgern zu erteilen.39 Dies schließt jedoch nicht aus, dass von den Nachrichtendiensten erhobene Informationen aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen auch von der Polizei genutzt werden.40 Heutzutage beobachtet man sogar eine Erweiterung der polizeilichen Aufgaben auf das ursprünglich den Nachrichtendiensten zugeschriebene Feld. Die Vorfeldermittlungen setzen die Aktivität der Polizei voraus, nicht im Rahmen einer Antwort auf bestehende Gefahr, sondern aufgrund der tatsächlichen Anhaltspunkte, was bisher typisch für die Nachrichtendienste war. bb) Die Geheimdienste Die Geheimdienste sind ein Element des staatlichen Apparats zum Schutze der inneren Sicherheit. Deutschland verfügt über drei Arten von nachrichtendienstlichen Behörden. Diese Trias besteht aus dem Bundesnachrichtendienst (BND), den Verfassungsschutzbehörden des Bundes (BfV) und der 16 Bundesländer (LfV), sowie dem Militärischen Abschirmdienst (MAD). Diese dürfen die nachrichtendienstlichen Methoden anwenden, darunter auch die Telekommunikationsüberwachung und der verdeckte Zugriff auf die IT-Systeme. Die Differenzierung der Behörden beruht nicht nur auf ihrer Zuteilung zu einzelnen Ministerien, sondern vor allem auf der Zuordnung (so im Fall 37 Dazu: Hans-Jürgen Schwagerl, Konkurrierende Zuständigkeit zwischen Polizei und nachrichtendienstlichem Verfassungschutz?, Kriminalistik, S. 301–303.; H. Sippel, Verfassungsschutz und die Polizei, Die Polizei 1971, S. 167–170. 38 Martin Kutscha, Innere Sicherheit und Verfassung, in: Frederik Roggan, Martin Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, Berlin 2006, S. 79–81. 39 Christoph Gusy, Das gesetzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz, Die Verwaltung, 1991, S. 467. 40 Christoph Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 21.
I. Kurzer technischer Ansatz33
von Verfassungsschutzbehörden) zu entsprechenden Stufen des Aufbaus des Bundesstaates. Nach dem § 2 BVerfSchG haben die Länder und der Bund die Aufgabe, die Verfassungsschutzbehörden zur Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht, gewaltangelegte Bestrebungen, die auswärtige Belange Deutschlands gefährden und Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind (§ 3 Abs. 1 BVerfSchG), einzurichten. Die Verfassungsschutzbehörden konzentrieren sich damit auf die Bedrohungen im Inland im Gegensatz zu den Nachrichtendiensten. Nichtsdestoweniger überschneiden sich manche Befugnisse der Geheimdienste mit den Kompetenzen der Polizeibehörden. Dies geschieht u. a. im Fall der Erhebung der Daten aus den vernetzten IT-Systemen, sei es durch Maßnahmen der TKÜ oder verschiedene Arten des verdeckten Zugriffs auf die IT-Systeme. Wobei die Geheimdienste die Informationen nur sammeln und auswerten und die polizeilichen Dienste sie zu exekutiven Zwecken verwenden können und die Übermittlung an andere Stellen nur für erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit (§ 9 Abs. 1 BNDG) erfolgen kann. Seit der Notstandsgesetzgebung und vor allem mit dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses,41 sog. G10-Gesetz, verfügen auch die Geheimdienste in Deutschland über die Ermächtigung, in die Telekommunikationsgeheimnisse einzugreifen. Das G10-Gesetz sah die Befugnis für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Amt für Sicherheit der Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst vor, die vom Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis geschützten Sendungen zu öffnen und einzusehen, sowie Fernschreibverkehr mitzulesen, Fernmeldeverkehr abzuhören und auf Tonträger aufzuzeichnen. Mit dem Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz von 1997 wurde der Begriff „Fernmeldegeheimnis“ durch den Begriff „Telekommunikation“ ersetzt, wobei dies keine inhaltliche Änderung mit sich trug.42 Die aktuelle Version des G10-Gesetzes sieht die Möglichkeit der Überwachung der Telekommunikation für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst vor. Die Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis der Geheimdienste unterscheiden sich von den polizeilichen auch in der Kontrolle über ihren Einsatz. Vor allem entziehen sie sich der gericht lichen Kontrolle, unterliegen aber der parlamentarischen Kontrolle der sog. „G-10 Kommissionen“ sowohl auf der Länder- als auch auf der Bundesebene.
41 BGBl
vom 1968, S. 949. 106, 28 (36).
42 BVerfGE
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
cc) Die polizeilichen Dienste Durch die wichtigste Aufgabe der Polizei – Gefahrenabwehr – werden die Maßnahmen der geheimen Datenerhebung einem anderen Ziel unterordnet, als es im Fall der strategischen TKÜ der Fall war, selbst wenn die Gefahrenabwehraufgabe der Polizei in Deutschland durch die Maßnahmen der Vor feldermittlungen aufgeweicht wird.43 Zu den polizeilichen Diensten, die den Zugriff auf die Telekommunikation und Daten aus den vernetzten IT-Systemen verwenden können, gehören in Deutschland die Bundespolizei (etwa: § 22a BPolG), die 16 Länderpolizeibehörden, das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsbehörden (etwa: § 23a ZFdG), das Bundeskriminalamt (etwa: § 20l BKAG) und die Landeskriminalämter. Im Unterschied zu den Nachrichtendiensten verfolgen sie die Aufgabe der Gefahrenabwehr und sind mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet. Nach den polizeilichen Generalklauseln haben die Landespolizeibehörden außerdem auf dem Gebiet des jeweiligen Bundeslandes die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die polizeirechtlich geschützten Güter abzuwehren. Darüber hinaus haben die anderen polizeilichen Behörden spezielle Gefahren im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse abzuwehren. dd) Zusammenfassung Der oben dargestellte Überblick über die Erfassungsmaßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung und anderen Daten aus den vernetzten ITSystemen zeigt die große Zahl der Behörden, die diese Maßnahmen in Deutschland ergreifen können. Doch durch das Trennungsgebot und die zwar durch die Vorfeldermittlungen nicht mehr streng, aber immer noch relativ klar zugeschnittenen Aufgaben können die Befugnisse verschiedener Dienste auf dem jeweiligen Tätigkeitsfeld markiert werden. Die früher strenggesehene Trennung zwischen polizeilichen und Geheimdiensten kommt in den letzten Jahren zum Wackeln, denn der Gesetzgeber etwa im BKAG den nachrichtendienstlichen Befugnissen einer Polizei behörde zuschreibt, was von dem BVerfG nicht beanstandet wurde.44 Dies könnte Konsequenzen in der fortschreitenden Verwischung der Grenzen zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten nach sich ziehen.45 43 Dazu: Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 162–182, 208 ff. 44 BVerfGE 141, 220. 45 So: Heinrich Amadeus Wolff, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz, ZG 2016, S. 361–388.
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Die nachrichtendienstliche Datenerhebung bleibt in dieser Arbeit außer Betracht, dennoch diente ihre kurze Beschreibung dem rechtsvergleichenden Ziel. Später wird das BayPAG als Stichprobe und als Untersuchungsgegenstand herangezogen werden. b) Polizeiliche Dienste und Geheimdienste in Polen Polen als zentralisierter Staat unterscheidet nicht nach Bundes- und Landesbehörden. Darüber hinaus kennt das polnische Rechtssystem das Trennungsgebot der nachrichtendienstlichen Aufgaben von den polizeirechtlichen nicht. Der schon erwähnte Art. 19 Abs. 6 PolizeiG stellt ein Muster für die Formulierung der Befugnisse sowohl der polizeilichen Dienste als auch der Geheimdienste dar. Wesensgleiche Ermächtigungsgrundlagen findet man in den schon erwähnten Art. 9e Abs. 7 Grenzschutzgesetz, Art. 36c Abs. 4 Gesetz über Finanzkontrolle, Art. 31 Abs. 7 Militärpolizeigesetz, Art. 27 Abs. 6 Gesetz über die Agentur der Inneren Sicherheit (ABW) und über den zivilen Nachrichtendienst (AW), Art. 31 Abs. 4 Gesetz über den Militärabschirmdienst und Militärnachrichtendienst, Art. 17 Abs. 5 Gesetz über das zentrale Antikorruptionsbüro (CBA). Damit verfügen insgesamt sieben Behörden über die Ermächtigung zum Einsatz der Operationskontrolle und dem Einsatz der anderen Mittel zur Aufklärung der IT-Systeme auf dem Staatsgebiet der Republik Polen. Die Einsätze der Zivil- und Militärnachrichtendienste werden nicht eingehend geregelt. Alle erwähnten Behörden, ungeachtet ihres nachrichtendienstlichen oder polizeirechtlichen Charakters, verfahren bei der Gewinnung der Informationen aus den vernetzten Systemen nach dem gleichen Muster, das anhand des PolizeiG vorgestellt wird. Vorwegnehmend kann erwähnt werden, dass die sog. Operationskontrolle, also praktisch die inhaltsbezogene Überwachung, immer einer Form von Richtervorbehalt unterzogen wird, die nicht inhaltsbezogene Überwachung dagegen nicht. Im sog. Antiterrorgesetz46 wird neuer46 Ustawa o działaniach antyterrorystycznych (Dz.U. 2016, Nr. 904), Gesetz über die antiterroristischen Handlungen. Das Antiterrorgesetz wurde als ein Rechtsvereinheitlichungsprojekt von der Regierung Szydło dargestellt. Tatsächlich führt es Maßnahmen zu Koordinierung der Tätigkeit der polizeilichen und Geheimdienste bei der Terrorbedrohung. Das Gesetz wird aber vor allem wegen seiner Unbestimmtheit kritisiert. Es führ unscharfe Definition des „terroristischen Vorfalls“ und sieht Erstellung von Listen der Terrorverdächtigten nach nicht genau bestimmten Kriterien. Der Bürgerrechtsbeauftragte stellte am 11.7.2016 einen Antrag auf Überprüfung des Gesetzes im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle an den VerfGH. https: / / www.rpo.gov. pl / sites / default / files / Wniosek %20do %20TK %20w %20sprawie %20ustawy %20an tyterrorystycznej %2011 %20lipca %202016.pdf (Zugang: 18.10.2016).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
dings die Unterscheidung nach der Nationalität der beobachteten Personen vorgeschlagen. Danach sollten nichtpolnische Staatsbürger im polnischen Staatsgebiet ohne gerichtliche Zustimmung überwacht werden können. Das Gesetz sieht es aber nicht vor, wie die polnischen Staatsbürger, die sich mithilfe der Telekommunikationsnetze mit den Ausländern in Verbindung setzen, vor der Überwachung geschützt werden sollten. Die Ziele, zu der die Kontrolle angewendet wird, sind oft verzahnt. Die Straftatenkataloge bei den verschiedenen Behörden überlappen sich. Die Polizei verfügt über die generelle Befugnis zur Verfolgung und Vorbeugung der Straftaten. Bei bestimmten Tatbeständen sind aber spezielle polizeiliche Dienste parallel zuständig. Wie etwa beim illegalen Waffenhandel die Polizei, die Agentur für Innere Sicherheit und die Militärpolizei. Das Gleiche gilt für den Straftatbestand der Korruption. Danach ist das Zentrale Antikorruptionsbüro, die Polizei und, wenn die Korruption die Streitkräfte betrifft, die Militärpolizei zuständig. Die Kompetenzzuweisung ist nicht präzise geregelt, was teilweise mit dem vor kurzem in Kraft getretenen Antiterrorgesetz teilweise bezüglich der terroristischen Bestrebungen ausgesetzt werden sollte. Danach wird in diesem Fall die Agentur für Innere Sicherheit für die Koordinierung der Verfolgung von den Terrorismus-Fällen zuständig.47 Der Hauptkritikpunkt vieler Menschenrechtsorganisationen war aber der breite Kreis der zugangsbefugten Subjekte. Im Art. 180a Abs. 1 Nr. 2 PolTKG werden erwähnt: die Gerichte (ganz allgemein, ohne Spezifizierung ob nur Strafgerichte oder auch andere), die Staatsanwaltschaft, die Zollbehörde und andere „befugte Organe“, womit der Gesetzgeber die Tür zum Auslegungsspielraum eröffnete und vor allem Chaos in der Gesetzesauslegung verursachte. Die Formulierung „andere befugte Organe“ hat in der Praxis zu großen Auslegungsabweichungen geführt. Es kam zu Fällen, was auch im Verfahren K 23 / 1148 vor dem VerfGH erhoben wurde, bei denen sich die Gerichte in Zivilsachen als befugt gesehen haben, die Verbindungsdaten bei der Beweiserhebung einzuholen, was der Schnelligkeit und Prozessökonomie dienen sollte, was aber auf Grund des Strafverfahrens unzulässig ist.49 Das kam einerseits durch eine misslungene Auslegung der Vorschriften der Zivilprozessordnung zu Beweisherausgabe und der unscharfen Formulierung des Umsetzungsgesetzes50 zustande. 47 Art. 5
des Gesetzesentwurfs über die antiterroristischen Handlungen. mit Urteil vom 30. Juli 2014. Übersetzung des Urteils ins Englische: http: / / trybunal.gov.pl / en / hearings / judgments / art / 7004-okreslenie-katalogu-zbiera nych-informacji-o-jednostce-za-pomoca-srodkow-technicznych-w-dzialani / (Zugang: 22.7.2016). 49 Jerzy Skorupka, Kommentar zum Art. 237 PolStPO, Rn. 40, in: Jerzy Skorupka (Hrsg.) Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Warszawa 2015. 48 Beendet
I. Kurzer technischer Ansatz37
5. Zwischenfazit In den „streitbaren Demokratien“ Polens und Deutschlands werden zur geheimen Erfassung der Daten durch die Mittel der Telekommunikationsüberwachung und des verdeckten Zugriffs auf die IT-Systeme zahlreiche Behörden gesetzlich eingeschaltet. In Deutschland ist eine Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden zu beobachten. Das hat nicht nur für den Grundrechtsschutz Bedeutung, sondern auch für die Aufgabenabgrenzung der einzelnen Dienste. Die parlamentarische Kontrolle über das Vorgehen der Geheimdienste wurde vom BVerfG bestätigt,51 dennoch findet sie einige Gegner.52 Sie schien bisher ein gelungenes Modell darzustellen, wobei diese Einschätzung wackelt, seitdem der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages seinen Bericht angekündigt hat.53 Die mangelnde Aufgabenabgrenzung zwischen polizeilichen Diensten und Geheimdiensten in Polen schafft vor allem zwei Probleme: zum einen das Problem der sich überlappenden Zuständigkeiten, zum anderen das grundrechtsbezogene Problem der mangelnden Differenzierung nach Aufgaben im Präventions- und Repressionsbereich. Die gerichtliche Kontrolle und das gleiche Muster bei der Anordnung der sog. Operationskontrolle bei verschiedenen Sicherheitsdiensten in Polen, bei verschiedenen Spezifika ihrer Arbeit, erscheinen weniger verwunderlich unter der Betrachtung der Sache, dass manche Geheimdienste (außer Nachrichtendienste) auch Fahndungskompetenzen haben. Die Gerichtskontrolle bei den Geheimdiensten scheint sogar fiktiv zu sein, wenn selbst das zuständige Gericht in Warschau die Auskunft über die entschiedenen Fälle der Operationskontrolle im Fall der Agentur für Innere Sicherheit (ABW) dem VerfGH ursprünglich verweigert hat.54
50 Krzysztof Domagała, Wiadomość tekstowa (sms) i treść e-maila, jako dowód w postępowaniu cywilnym, a obowiązek zachowania tajemnicy telekomunikacyjnej, http: / / www.zielona-gora.po.gov.pl / magazyn / upload / lektury_elektroniczne / krzysz tof-domaga.pdf (Zugang: 23.06.2016); Urteil des Apelationsgerichts in Białystok vom 6.4.2011, Az.: I A CZ 279 / 11. 51 BVerfGE 67, 157 (170–171), BVerfGE 100, 313 (361). 52 Stellvertretend: Corinne Hoppe, Vorfeldermittlungen im Spannungsverhältnis von Rechtsstaat und der Bekämpfung Organisierter Kriminalität, Frankfurt a. M. 1999. 53 BND soll stärker kontrolliert werden, http: / / www.spiegel.de / politik / deutsch land / kabinett-bundesnachrichtendienst-soll-schaerfer-ueberwacht-werden-a-1100190. html. 54 Urteil des VerfGH vom 30.7.2014 Punkt I 3.2.1. „Das VerfGH teilt nicht die Einsicht des Präsidenten des Bezirksgerichts in Warschau, zu der Unmöglichkeit der Erteilung der Information zur Urteilspraxis [zu der Operationskontrolle] für die Zwecke des Verfahrens vor dem VerfGH.“.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Wie schon angedeutet, werden im Folgenden stichprobenartig nur die Bestimmungen des PolizeiG für Polen und des BayPAG für Deutschland, wenn es um die Bestimmungen zur Datenerhebung geht, behandelt.
II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten aus den vernetzten IT-Systemen Die vielfältige Nutzung der IT-Systeme und ihr Formenreichtum stellt vor der Praxis und Dogmatik des Grundrechtsschutzes eine ambitionierte Herausforderung dar. Sowohl das Grundgesetz als auch die polnische Verfassung entstanden in Zeiten, in der die Digitalisierung entweder noch nicht vorhersehbar war oder ihr Ausmaß und ihre Bedeutung sich noch nicht genau prognostizieren ließen. Das Gleiche gilt für die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Doch dies scheint kein Problem für die schöpferische Kraft der Jurisprudenz zu sein. Bei der digitalen Dimension der Grundrechte handelt es sich ja nicht um eine neue Funktion der Grundrechte (im Sinne der Abwehr- oder Gewährleistungsfunktion), sondern höchstens um eine neue Art ihrer Anwendung.55 Im Folgenden werden die relevanten Grundrechte für die IT-Nutzung in Polen und in Deutschland angesprochen. In der rechtsvergleichenden Auffassung dient es der Markierung der Schutzinhalte der im jeweiligen Land relevanten Grundrechte. Es wird damit der Bereich des Schutzes gezeigt und seine Grenzen. 1. Die einschlägigen Grundrechte aus dem Grundgesetz Die Menschen führen jetzt ein „Smart Life“56 und die Grundrechte haben die Aufgabe, sie auch auf diesem Gebiet schützend zu begleiten. Besonders in Deutschland scheint dieser Auftrag von der Rechtsprechung und Dogmatik ernst genommen zu werden. Die digitale Aktivität des Einzelnen wird mit speziellen Grundrechten tangiert. Das Verständnis der Unverletzlichkeit der Wohnung, das Telekommunikationsgeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das sog. „IT-Grundrecht“ wird von der Literatur und Rechtsprechung entwickelt, was durch den offenen wissenschaftlichen Diskurs und mehrjährige Erfahrungen eine Basis eines kohärenten und komplexen Grundrechtschutzsystems im Kommunikationsbereich schafft. Das System wird mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschlossen, dem eine 55 Christian Hoffmann / Annika Luch / Sönke Schulz / Kim Corinna Borchers, Die digitale Dimension der Grundrechte, Baden-Baden 2015, S. 19 ff. 56 Dirk Heckmann, Smart Life. Smart Privacy Management, Kommunikation & Recht, 2011, S. 1 ff.
II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten39
Auffangfunktion57 zugeschrieben wird. Schon in den frühen Entscheidungen des BVerfG wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dem Gebot der Wahrung der Menschenwürde verbunden58 und damit bekam die Möglichkeit der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch den Einzelnen, in der auch Datenschutz miteinbezogen wird, einen hohen Stellenwert. In Folge dessen ist eine enge Beziehung zwischen Datenschutz und unantastbarer und unabwägbarer Menschenwürde entstanden.59 Die Grundrechtsgarantie des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist damit europaweit ungewöhnlich weit. Unter anderem stellt diese Gestaltung des grundrechtlichen Auffangnetzes in Deutschland eine Voraussetzung für eine starke Einbeziehung der Grundrechte in die sicherheitspolitische Diskussion bezüglich der Infiltrierung der IT-Systeme dar. a) Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) In der ursprünglichen Fassung schützte Art. 10 GG das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Doch spätestens seit der TKG-Reform von 1997 spricht man auch vom Telekommunikationsgeheimnis anstatt vom Fernmeldegeheimnis.60 Der Art. 10 Abs. 1 GG schützt den Einzelnen vor Eingriffen, die auf Inhalte oder Umstände der individuellen Kommunikation zielen,61 unabhängig davon, ob sie von natürlichen oder inländischen juristischen Personen geführt wird.62 Damit ist das Problem der Kommunikation zwischen Maschinen während der Arbeitsprozesse zunächst einmal vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG ausgeschlossen, was aber in Bezug auf das Cloud Computing nicht unumstritten bleibt.63 Irrelevant ist auch das Medium der Kommunikation.64 Das Kommunikationsverständnis des Grundgesetzes schließt den technischen Begriff der Telekommunikation des TKG mit ein. Für den Schutz ist auch der Zweck der Kommunikation nicht von Bedeutung.65 57 Vgl.:
BVerfGE 54, 148 (153). BVerfGE 27, 1 (6), BVerfGE 27, 344, (350). 59 Dazu: Michael Fehling; Evolving Law and Economics of Internet Privacy in the Evolving Technological Environment, in: Thomas Eger, Stefan Oeter und Stefan Voigt (Hrsg.), Economic Analysis of International Law, Tübingen 2014, S. 99 ff. 60 So in: BVerfGE 125, 260 (309). 61 BVerfGE 67, 157 (171–173), BVerfGE 85, 386 (396), BVerfGE 116, 28 (35), BVerfGE 125, 260 (309). 62 BVerfGE 100, 313 (356–357), Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 9.10.2002, 1 BvR 1611 / 96, 1 BvR 805 / 98. 63 Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein / Hans Hofman / Hans-Günter Henneke; GG Kommentar zum Grundgesetz, Köln 2014, Kommenatr zum Art. 10 GG, Rn. 25. 64 BVerfGE 33, 1 (11); BVerfGE 124, 43 (53). 65 BVerfGE 106, 28 (35–36). 58 Etwa:
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Ein relevantes und bei Telekommunikation oftmals problematisches Merkmal ist aber die zeitliche Komponente. Der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses beginnt mit der Übermittlung der Nachricht und endet in dem Moment, in dem die Nachrichten beim Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang abgeschlossen ist.66 Damit betrifft er die laufende Kommunikation und erfasst solche Inhalte und Umstände, die sich nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs im Herrschaftsbereich des Nutzers befinden, nicht.67 Damit fallen die gespeicherten oder archivierten Nachrichten aus dem Grundrechtsschutz des Telekommunikationsgeheimnisses heraus und werden höchstens vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aufgefangen, besonders in seiner Ausprägung als sog. „IT-Grundrecht.“68 Problematisch scheinen dabei aber die Inhalte, die nicht im Herrschaftsbereich des Nutzers, sondern immer noch des Dienstanbieters sind. Nach der Einsicht des BVerfG unterliegt ein Eingriff in diesem Bereich auch den Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 GG.69 Die Vielfältigkeit der Kommunikationsdienste heutzutage, die nicht nur nach dem Prinzip „senden-empfangen“ fungieren, sondern auch verschiedene Modalitäten dieser Funktionen ermöglichen wie z. B. senden oder empfangen mit Verspätung oder Ablehnung der zugestellten Nachrichten sowie blockieren der Nachrichten von bestimmten Nutzern, stellt eine Herausforderung für die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 GG dar.70 Vom Telekommunikationsgeheimnis werden vier Aspekte erfasst: (1) der Inhalt, (2) die Umstände, (3) die Bedingungen einer freien Telekommunikation und (4) die Verwendung der durch Art. 10 GG geschützten Daten.71 66 Etwa:
BVerfGE 115, 166 (184). 115, 166 (183–185); BverfGE 120, 274 (307–308), BVerfGE 124, 43 (54); Christian Hoffmann / Annika Luch / Sönke Schulz / Kim Corinna Borchers, Die digitale Dimension der Grundrechte, Baden-Baden 2015, S. 182. 68 BVerfGE 120, 274 9308), Diana Kohlmann, Online-Durchsuchungen und Andere Maßnahmen mit Technikeinsatz. Bedeutung und Legitimation ihres Einsatzes im Ermittlungsverfahren, Baden-Baden 2012, S. 104–105; Martin Kutscha / Sarah Thomé, Grundrechtschutz im Internet?, Baden-Baden 2013, S. 62–63; Florian Meininghaus, Der Zugriff auf Mails im Strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, Hamburg 2007, S. 141. 69 BVerfGE 124, 43 (53). 70 Etwa: Hybridebrief, vgl.: Christian Hoffmann / Annika Luch / Sönke Schulz / Kim Corinna Borchers, Digitale Dimension der Grundrechte S. 69 und 178–180; Wolfgang Stuflesser, Sicherheitslücke oder doch „Hintertür“? https: / / www.tagesschau.de / aus land / whatsapp-135.html (Zugang: 13.1.2017); Christoph Herrmann, Das Grundrecht auf Gewährleistung Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Entstehung und Perspektiven, Frankfurt am Main 2010, S. 46–48. 71 Christoph Keller / Frank Braun / Réne Hopp, Telekommunikationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, Stuttgart 2015, S. 19; Bruno Schmidt67 BVerfGE
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Damit stellen jede staatliche Ermittlung, Kenntnisnahme, Speicherung und Weitergabe von den oben genannten einen Eingriff in das Grundrecht dar.72 Die Vorschriften der jeweiligen TKG konkretisieren den Schutzbereich der verfassungsrechtlichen Bestimmungen. Laut § 88 TKG unterliegen dem Telekommunikationsgeheimnis der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Telekommunikationsgeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche. Wie schon erwähnt, endet der Schutz des Art. 10 GG mit dem Abschluss der Übermittlung der Nachricht, woraus resultiert, dass Daten, die sich im Herrschaftsbereich des Betroffenen befinden, danach als persönlichkeitsrelevante Inhalte subsidiär durch das Recht auf Informationelle Selbst bestimmung,73 das sich allmählich zu seiner besonderen technischen Ausprägung als IT-Grundrecht74 entwickelte, geschützt werden, wenn sie in jeglicher Form wieder zu erforschen sind. Dabei sind auch die Fallkonstellationen vorstellbar, in denen das Grundrecht aus dem Art. 13 Abs. 1 GG zum Tragen kommt, wenn sich der Datenträger im räumlichen Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung befindet. Der Grundrechtsschutz des Art. 10 Abs. 1 GG erstreckt sich also nicht auf die außerhalb des laufenden Kommuni kationsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Inhalte und Umstände der Kommunikation.75 Der Grundrechtsschutz ist im Fall des Telekommunikationsgeheimnisses situationsbezogen. Es werden Daten bei besonderen Zuständen oder Prozessen geschützt und nicht Personen oder Räume.
Bleibtreu / Franz Klein / Hans Hofman / Hans-Günter Henneke, GG Kommentar zum Grundgesetz, Köln 2014, Kommenatr zum Art. 10 GG, Rn. 21 ff. 72 Friedhelm Hufen, Staatsrecht II Grundrechte, München 2015, S. 284. 73 BVerfGE 115, 166 (189) „Greift Art. 10 GG nicht ein, werden die in der Herrschaftssphäre des Betroffenen gespeicherten personenbezogenen Verbindungsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Telekommunikationsumstände Rechnung getragen und die Vertraulichkeit räumlich distanzierter Kommunikation auch nach Beendigung des Übertragungsvorgangs gewahrt.“. 74 BVerfGE 120, 274 (306–307) „Die Gewährleistung des Telekommunikationsgeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 GG schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs (vgl. BVerfGE 67, 157 [172]; 106, 28 [35 f.]), nicht aber auch die Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen.“. 75 Etwa: BVerfGE, 124, 44 (54).
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b) Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schützt dagegen nicht zeitlich begrenzte Situationen, wie es bei dem Telekommunikationsgeheimnis der Fall war, sondern hat eine räumliche Komponente, die für das Bestehen des Schutzes essentiell ist. Das Schutzgut dieses Grundrechts ist die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet.76 Es ist damit eines der Grundrechte, die die private Sphäre des Einzelnen schützt. Damit wird vor allem ein „Rückzugsort“ des Einzelnen in Betracht gezogen, aber die Auslegung der Vorschrift erweiterte den Schutzbereich, in dem nun auch Arbeits-, Betriebs-, und Geschäftsräume umfasst werden. Das Verständnis des Begriffs „Wohnung“ ist damit in Deutschland breit und erschließt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG.77 Der Eingriff in das Grundrecht ist durch Art. 13 Abs. 2 bis 7 GG kompliziert dargelegt. Es reicht aber an dieser Stelle anzumerken, dass das „staat liche Eindringen“ in die Wohnung sowohl körperlich als auch unkörperlich vollzogen werden kann. Die klassischen Beispiele der Wohnungs-, Arbeitsraumdurchsuchung oder Verweisung stellen gewiss einen Eingriff in das Grundrecht dar, doch mit der Technikentwicklung erstreckte sich das BVerfG doch auf den Schutz anderer Zustände, die zur Infiltrierung der Wohnung mithilfe akustischer sowie optischer Mitteln führen.78 Mit dem Urteil zum großen Lauschangriff79 wird der Schutz jener Räume differenziert. Das BVerfG wendet die Sphärentheorie, die ursprünglich auf das soziale Verhalten der Menschen angelegt wurde, analog auf die Räumlichkeiten, die von den Grundrechtsberechtigten benutzt werden, an. Ob eine Theorie, die ursprünglich auf die plastische, abstrakte Persönlichkeit eines Menschen angewendet wurde, zu den handfesten Merkmalen einer räumlich definierten Sphäre anpassbar ist, ist in der Literatur umstritten,80 weil die Markierung des Kernbereiches in Einsatzsituationen fast unmöglich ist.81 Der räumliche Schutzbereich des Grundrechts aus dem Art. 13 Abs. 1 GG stellt eine Herausforderung für den Schutz der Nutzer der vernetzten ITSysteme dar. Das BVerfG sah die Lücke in dem räumlichen Schutz der Wohnung, wenn sich die mobilen IT-Systeme in der Wohnung befinden. Art. 13 76 Vgl.
BVerfGE 89, 1 (12); BVerfGE 103, 142 (150 ff.). BVerfGE 32, 54 (68–70); BVerfGE 51, 97 (107). 78 BVerfGE 109, 279 (309, 327). 79 BVerfGE 109, 279. 80 Etwa: Erhard Denninger, Verfassungsrechtliche Grenzen des Lauschens – Der „große Lauschangriff“ auf dem Prüfstand der Verfassung, ZRP 2004, S. 101–104. 81 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), Jura 7 / 2005, S. 439. 77 Etwa:
II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten43
Abs. 1 GG „gibt dem Einzelnen allerdings keinen generellen, von den Zugriffsmodalitäten unabhängigen Schutz gegen die Infiltration seines informationstechnischen Systems, auch wenn sich dieses System in einer Wohnung befindet“.82 Wie das Gericht erwähnt, „[wird] der Standort des Systems in vielen Fällen für die Ermittlungsmaßnahme ohne Belang und oftmals für die Behörde nicht einmal erkennbar sein“.83 Mit anderen Worten, die Unverletzlichkeit der Wohnung würde dann in manchen Fällen, in denen das IT-Gerät sich in der Wohnung befindet, greifen und in anderen nicht, selbst wenn die auf den eigengenutzten, immer öfter mobilen Geräten gespeicherten Daten eine hohe Grundrechtsrelevanz aufwiesen. Mit dieser Grundrechtslücke wurde der Weg zur Anwendung des „Auffanggrundrechts“ eröffnet. c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Ausprägungen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) Auch wenn die Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG wie eine Parole klingt, bekam das allgemeine Persönlichkeitsrecht dank der Rechtsprechungspraxis des BVerfG eine juristisch handfeste Form. Die Verbindung mit dem Art. 1 Abs. 1 GG verleiht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine zusätzliche Tragweite. Mit der Entwicklung der Technik wurde das Auffanggrundrecht neuen Eingriffen ausgesetzt. Eine bekannte Antwort auf die Herausforderungen der neuen Zeiten ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit „unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung“84 schützen sollte. Art. 2 Abs. 1 GG schützt zwar nicht das Telekommunikationsgeheimnis an sich, wird aber doch in Fällen der TKÜ oft einschlägig. Es ist ein Grundrecht, das auf einen unantastbaren Bereich der menschlichen Freiheit und Persönlichkeit hinweist und damit als Auffanggrundrecht, das die Schutzlücken anderer Grundrechte deckt, benannt wird.85 Über Jahre entwickelte die deutsche Dogmatik und Rechtsprechung die Konzeption der schon angesprochenen Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG. Anhand des Art. 2 Abs. 1 GG wird der Schutz des menschlichen Handelns konstruiert, dessen Grenzen von Rechten und Freiheiten anderer markiert werden. Unter anderem leitet das BVerfG den Schutz der privaten Sphäre und der personenbezogenen Daten aus dem Art. 2 Abs. 1 GG ab. Mit der im Volkszählungsurteil86 präsentierten Auslegung konstruiert das BVerfG ein Grund82 BVerfGE
120, 274 (311). 120, 274 (310–311). 84 BVerfGE 65, 1 (43). 85 Friedhelm Hufen, Staatsrecht II, S. 176. 86 BVerfGE 65, 1. 83 BVerfGE
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recht auf informationelle Selbstbestimmung, also ein Abwehrrecht des Einzelnen gegenüber Eingriffen, die im Anzapfen seiner personenbezogenen Daten bestehen, und gewährleistet eine Selbstbestimmung über eigene Daten.87 Mit dem technischen Fortschritt fügt das Gericht eine zusätzliche Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG in Form des Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität der informationstechnischen Systeme bei. Damit wird vor allem die Sicherheit der IT-Systeme vor dem Eindringen von außen geschützt. Praktisch bedeutet das einen verstärkten Schutz des Einzelnen und seinen oft hochpersönlichen Daten, die er auf dem eigenen Rechner speichert, vor den staatlichen Eingriffen, die nicht durch andere Grundrechte tangiert sind. Schon 1983 formulierte das Gericht im Volkszählungsurteil die Grund lagen des Datenschutzes. Aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wird ein Abwehrrecht gegen Datenerhebung, -speicherung und -weiterleitung durch die staatlichen Stellen interpretiert.88 Dem Recht schrieb aber das Gericht auch einen Gewährleistungsgehalt zu, weil es dem Einzelnen generell die Befugnis, selbst über eigene Daten zu verfügen, erteilt und dem Staat obliegt die Schaffung der Bedingungen dafür.89 Dieser Richterspruch hatte eine herausragende Bedeutung für die Maßstabsetzung des Datenschutzes, auch im Polizeirecht, obwohl er nicht in einer polizeirechtlichen Sache gefällt wurde. Wichtig war dabei die mittlerweile eingebürgerte Feststellung, dass der Eingriff nicht nur in der Erhebung der Daten besteht, sondern in ihrer jeweiligen Verwendung und Weiterleitung.90 Wie das BVerfG aber 2010 anerkannt hat, „trägt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Persönlichkeitsgefährdungen nicht vollständig Rechnung, die sich daraus ergeben, dass der Einzelne zu seiner Persönlichkeitsentfaltung auf die Nutzung informationstechnischer Systeme angewiesen ist.“91 Der Nutzung der IT-Geräte wurde damit eine wesentliche Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen zugeschrieben und zugleich mit einer zusätzlichen Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine neue Fallgruppe gebildet, die grundrechtlich geschützt wird. Das BVerfG erkannte an, dass der Schutz des gesamten Systems weder vom Art. 10 Abs. 1 GG, Art. 13 Abs. 1 GG noch vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht in 87 Friedhelm
Hufen, Staatsrecht II, S. 196. Hufen, Staatsrecht II, S. 195. 89 Vgl.: Christian Hoffmann / Annika Luch / Sönke Schulz / Kim Corinna Borchers, Schutzpflichten und Drittwirkung im Internet, Baden-Baden 2014, S. 42–65; Christoph Gusy, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, DuD 2009, S. 33–41. 90 BVerfGE 100, 313 (366). 91 BVerfGE 120, 274 (312–313). 88 Friedhelm
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der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfasst wird. Das damit entstandene Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme tritt vor das Recht auf informationelle Selbstbestimmung92 und neben die Gewährleistung des Kommunikationsgeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung und schützt den Einzelnen vor staatlichen Zugriffen auf die Daten auf seinen vernetzten IT-Geräten. Mit dem „neuen Computer-Grundrecht“ wird auch der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflicht Rechnung getragen, weil sie nicht nur als ein Abwehrrecht zu verstehen ist, sondern auch als ein objektiver Gehalt des Schutzes der IT-Systeme des Einzelnen durch den Staat, da wo es dem Bürger nicht zugemutet werden kann.93 d) Zusammenfassung und Ausblick Heute beobachtet man in Deutschland einen differenzierten Schutz der Freiheit des Einzelnen im Bereich seiner IT-Tätigkeit. Das kommunikative Verhalten wird durch die Telekommunikationsfreiheit geschützt. Der Schutz ist hier nicht absolut, sondern aufgrund der auf verschiedene Verhältnisse angewandten Sphärentheorie abgestuft. Der raumbezogene Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG wird auch auf Grund der Sphärentheorie gesteigert und schafft hohe Hürden für die staatlichen Eingriffe in die weitverstandene Wohnung. Das Verhalten des Einzelnen, das mit der Anwendung der vernetzten ITTechnik verbunden ist, wird vom Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG tangiert. Darüber hinaus weist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedem im Anwendungsbereich des GG ein generelles Recht, über eigene Datenverwendung zu entscheiden, zu. Obwohl der Grundrechtskatalog des GG 1949 entstand, wird er durch die Kreativität der Praxis und Jurisprudenz weiterentwickelt und kann damit dem Stand der Entwicklung der Gesellschaft in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts entsprechen und auf neue Entwicklungen immer antworten. Man könnte sogar die These wagen, dass kein anderes Land im kontinentalen Rechtssystem eine so reiche und differenzierte Grundrechtsdogmatik und Grundrechtsliteratur wie Deutschland hat. Die intensive Entwicklung des Grundrechtschutzes ist auch der lapidaren sprachlichen Form der Vorschriften des GG zu verdanken. Die Mütter und Väter der deutschen Verfassung öffneten zahlreiche Auslegungsspielräume und damit haben sie die Eckbedingungen für die Arbeit der Jurisprudenz geschaffen. 92 Vgl.: Christian Hoffmann / Annika Luch / Sönke Schulz / Kim Corinna Borchers, Digitale Dimension der Grundrechte, S. 69 und dort angegeben Literatur. 93 Wolfgang Hoffmann-Riem, Das grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationsrechtliche Systeme, JZ 2008, S. 1013.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Für das Beispiel Deutschlands ist auf jeden Fall zu bekräftigen, dass der Grundrechtsdiskurs europaweit beispiellos ausgeprägt ist und der Maßstab der Grundrechte ein Fundament vieler Entscheidungen darstellt, auch, oder vor allem in der Fachgerichtsbarkeit. Dies hält die Grundrechte lebendig und verleiht ihnen starke, nicht nur philosophische oder rechtstheoretische Posi tionen, sondern schafft aus ihnen eine durch die ganze Rechtsordnung gehende Entscheidungsbasis. Diese verstärkte, unmittelbare Anwendung der Verfassung durch Fachgerichte, wie es die polnische Dogmatik oft nennt, wäre äußerst wünschenswert auch jenseits der Oder,94 denn dies könnte das Bewusstsein stärken, wie mit den Schutzgehalten umzugehen ist. Von der Bedeutung der Grundrechte für das Rechtssystem in Deutschland zeugt darüber hinaus noch ihr hoher Stellenwert während der juristischen Ausbildung. Ein Universitätskurs des öffentlichen Rechts ohne fundierte Grundrechtsvorkenntnis käme nicht in Frage. Die Studienprogramme schreiben den Grundrechten eine primäre Bedeutung zu, indem in vielen Staatsrechtsklausuren die Fragen der Grundrechte das zentrale Problem der Aufgabe darstellen. Die ersten Rechtsprobleme, mit denen angehende Juristen in Deutschland konfrontiert werden, betreffen die Grundrechte und prägen damit die ganze Ausbildung, während in Polen die Grundrechte lediglich einen Ausschnitt des Kurses des Verfassungsrechts darstellen und in anderen Fächer nicht wirklich prüfungsrelevant sind. Nur ansatzweise ist für Deutschland die Bedeutung des internationalen Grundrechtsschutzes zu erwähnen. Im Gegensatz zu Polen wird hier die Bindung an die EMRK nicht stark betont. Ihre Bedeutung wird zwar wahrgenommen, doch wird sie nicht als Schutzmuster oder Vorbild gesehen, obwohl der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses und des Rechts auf Wahrung der privaten Sphäre im Sinne der EMRK einschlägig sind.95 Eine ähnliche Einstellung ist der Europäischen Grundrechtscharta (die in Polen lediglich hilfsweise gilt) beizumessen. 2. Einschlägige Grundrechte in der polnischen Verfassung Der Grundrechtskatalog der polnischen Verfassung von 1997 ähnelt den Formulierungen der EMRK. Als direktes Vorbild der Systematik dienten aber der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der 94 Dazu: Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, Warszawa 2012, S. 141–167. 95 Thilo Marauhn / Konstantin Meljnik, in: Oliver Dörr, Rainer Grote, Thilo Marauhn, EMRK / GG Konkordanzkommentar, Tübingen 2006, Kapitel 16, Rn. 26–65; Jens Meyer-Ladewig / Martin Nettesheim / Stefan von Raumer, EMRK Handkommentar, Kommentar zum Art. 8 EMRK, Baden-Baden 2011, Rn. 10–47.
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Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen.96 Der Katalog scheint umfangreich zu sein (Art. 32 bis 80 PolVerf), wobei einige grundrechtsrelevante Inhalte auch in den Art. 1–29 PolVerf zu finden sind. Der polnische Grundrechtskatalog kennzeichnet neben der starken internationalen Orientierung auch Verflechtungen klassischer Abwehrrechte, Staatszielbestimmungen und Gewährleistungsrechte, was die Markierung der Schutzgehalte erschwert. Darüber hinaus verweist die Verfassung an vielen Stellen auf einfache Gesetze, die die Einzelheiten der Ausübung der Rechte regeln. Lech Garlicki97 kritisiert diese legislatorische Praxis, weil sie zur Schwächung der Gehalte der Verfassung führe.98 In der polnischen Grundrechtsdogmatik ist es unbestritten, dass den Grundrechten sowohl subjektive als auch objektive Gehalte beizumessen sind.99 Die Grundrechte, als Teil der Verfassung, sind allgemeingeltendes Recht in Polen (Art. 8 PolVerf). Charakteristisch für das polnische Grundrechtsschutzsystem ist die Möglichkeit der Einbeziehung der ratifizierten internationalen Verträge als Prüfungsmaßstab bei Prüfungen des VerfGH, was einen direkten Anschluss u. a. an die Straßburger Rechtsprechung ermöglicht und eigene Rechtsprechung des seit 1985 existierenden Gerichts stärkt sowie argumentativ untermauert.100 Außerdem wollte der polnische Verfassungsgeber damit sein Bekenntnis zu den westlichen liberalen Demokratien und die Rechtsbindung des internationalen Rechts unterstreichen.101 Um den Stellenwert der Kontrolle zu unterstreichen, resultiert diese Kompetenz direkt aus Art. 188 PolVerf.102 Der Position der Grundrechtsdogmatik in Deutschland lässt sich die entsprechende Bedeutung in Polen nicht gegenüberstellen. Erstens ist die Grundrechtsdogmatik vergleichsweise jung, andererseits wird rechtlich vor 96 Lech Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, Warszawa 2005, S. 109; Zum Grundrechtskatalog in Polen: Tanja Diemer-Benedict, Die Grundrechte in der neuen polnischen Verfassung, ZaöRV 1998, S. 205–238. 97 Lech Garlicki (geb. 1946), Verfassungsrechtler der Universität Warschau, 1981– 1987 Direktor des dortigen Instituts für Staats- und Rechtswissenschaft, 1987 ordentliche Professur, 1993–2001 Richter des polnischen Verfassungsgerichthofes, 2002– 2012 Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. 98 Lech Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, S. 110. 99 Ibidem, S. 109. 100 Lech Garlicki, Vier Jahre der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, JöR 1990, S. 285–317. 101 Andrzej Mączyński / Jan Podkowik, in: Marek Safjan, Leszek Bosek (Hrsg.), Konstytucja RP. Tom II. Komentarz do Art. 87–243, Warszawa 2016, Kommentar zum Art. 188, Rn. 28 ff. 102 Die Einzelheiten zum Verfahren vor dem polnischen VerfGH werden im Teil B Punkt III detaillierter angesprochen.
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allem faktisch den Verfassungsgerichtsentscheidungen keine solche Rolle wie in Deutschland zugeschrieben. Die Rechtsprechung des VerfGH ist auch quantitativ nicht mit dem Rechtsprechungsgut des BVerfG zu vergleichen.103 Dementsprechend ist auch die Rolle der Grundrechtsliteratur, die mehrheitlich keinen Anspruch auf eine wegweisende Rolle auf sich nimmt, begrenzt. Für die Verwendung der vernetzten IT-Geräte und die Informationsgewinnung werden im Folgenden relevante Grundrechte vorgestellt. a) Recht auf Privatheit (Art. 47 PolVerf) Der Umfang des Rechts auf Privatheit aus dem Art. 47 PolVerf entspricht einem Teil der Formulierung in Art. 8 EMRK. In der polnischen Dogmatik stellt es eine Art des Basisgrundrechts zum Schutz verschiedener Aspekte der Privatheit dar. Wegen der Unbestimmtheit der Formulierung des Rechts kommt es oft lediglich ergänzend zum Tragen. Nach Art. 47 PolVerf hat jedermann das Recht auf rechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens, der Ehre und des guten Rufes sowie das Recht, über sein persönliches Leben zu entscheiden. Das Grundrecht legt also den Akzent auf zwei Elemente, ein abwehrrechtliches und auf der anderen Seite verleiht es das Recht, über eigene Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Die Anwendung des Grundrechts lässt sich besser anhand der Fallgruppen zu Art. 8 EMRK beschreiben, wobei es in Polen im Kontext der Informationsgewinnung selten ein einziges Grundrecht ist, an dessen Maßstab die Überwachungsmaßnahmen geprüft werden, obwohl die Literatur es als wesentlich ansieht.104 Im Art. 47 könnte man aber Potential für die Entwicklung der digitalen Gehalte der Grundrechte sehen. Nach Paweł Sarnecki105 kommt er zum Tragen, wenn die Garantie des Telekommunikationsgeheimnisses nicht anwendbar ist, also z. B. bei den gespeicherten Inhalten der Kommunikation.106 Diese These bekam aber noch keine ausdrückliche Bestätigung in der Rechtsprechung. Wie 103 Nach der Statistiken des VerfGH in Warschau 2014 gab es 530 eingegangenen Rechtssachen. 2014 erließ der Gerichthof 71 Urteile und 98 Beschlüsse. Diese Angaben stellen erfahrungsgemäß einen durchschnittlichen Stand der Belastung des Gerichts in den Jahren 1998–2014 dar. Dagegen BVerfG verzeichnete in dem selben Jahr 6811 Eingänge. http: / / trybunal.gov.pl / fileadmin / content / dokumenty / ds.pdf und http: / / www.bundesverfassungsgericht.de / DE / Verfahren / Jahresstatistiken / 2014 / gb2014_pdf / A-I-2.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Zugang. 20.6.2016). 104 Vgl.: Sylwia Jarosz-Żukowska, Konstytucyjnoprawne aspekty ochrony tajemnicy komunikowania się w Internecie, PPiA 2008, S. 11–29. 105 Paweł Sarnecki (1939–2016), Professor des Verfassungsrechts der Jagiellonen Universität in Krakau. 106 Paweł Sarnecki, in: Lech Garlicki (Hrsg.), Konstytucja Rzeczpospolitej Polskiej Komentarz, Warszawa 2003, Band 3, S. 63.
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Wiesław Skrzydło107 bemerkt, hat das Recht auf Privatheit keine solche Tradition wie im Westen108 und dementsprechend klingt es eher nach einer Parole als nach einem starken Abwehrrecht. b) Telekommunikationsgeheimnis (Art. 49 PolVerf) Den klassischen Schutz des Kommunikationsgeheimnisses gewährleistet der Art. 49 PolVerf, der gemeinsam mit Art. 8 EMRK zu lesen ist.109 Durch ihn werden vor allem die Inhalte der Kommunikation unabhängig vom Medium (Brief, Gespräch, Telekommunikation) geschützt, aber auch ihre Umstände.110 Paweł Wiliński111 sieht in der Vorschrift einen Ausdruck des Rechts auf Privatsphäre, der alle Arten der zwischenmenschlichen Kontakte umfasst.112 Deswegen ist der Schutzbereich des Art. 49 PolVerf größer als des Art. 10 GG, bei dem die sog. Raumgespräche ausfallen. Der Schutzgehalt hat zwei wichtige Aspekte: Zum einen wird die Freiheit der Kommunikation unterstrichen, zum anderen der Schutz des Kommunikationsgeheimnisses. Der Einzelne kann also sein Kommunikationsverhalten frei gestalten und der Staat soll es beschützen, damit könnte eine Staatszielbestimmung gemeint sein. Der abwehrrechtliche Gehalt wird gleich beigefügt und damit auch aufgeweicht. Die Freiheit und das Geheimnis der Kommunikation können nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in einer gesetzlich bestimmten Form eingeschränkt werden. Zur Konkretisierung der Schutzgehalte des Art. 49 PolVerf ist Art. 159 Abs. 1 PolTKG und die entsprechenden Bestimmungen in anderen Gesetzen, etwa im Postgesetz, heranzuziehen. Nach dem polnischen Recht betrifft das Telekommunikationsgeheimnis Daten, die den Benutzer betreffen, die Inhalte der individuellen Nachrichten, Verkehrsdaten, Standortdaten und Daten zu
107 Wiesław Skrzydło (geb. 1929), Professor für Verfassungsrecht an der Universität Warschau. 108 Wiesław Skrzydło, Konstytucja Rzeczpospolitej Polskiej Komentarz, Warszawa 2013, Kommentar zum Art. 47 PolVerf. 109 Lipowicz Irena, Między wolnością a bezpieczeństwem, Rzeczpospolita von 15.3.2011. 110 Antoni Bojańczyk, Karnoprawne aspekty ochrony prawa pracownika do tajemnicy komunikowania się, Palestra 1–2 / 2003, S. 45; Paweł Sarnecki, Kommentar zum Art. 49 PolVerf, in: Lech Garlicki, Konstytucja Rzeczpospolitej Polskiej Komentarz. 111 Paweł Wiliński (geb. 1975) Professor für Strafprozess der Adam-MickiewiczUniversität Poznań, 2010–2012 Richter ad hoc des EGMR. 112 Urteil des VerfGH vom 20.6.2005, Az.: K 4 / 04; Paweł Wiliński, Porces Karny w świetle Konstytucji, Warszawa 2011, S. 242.
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den erfolglosen Verbindungsversuchen. Der Schutz vor ihrer Bearbeitung durch staatliche Stellen bestimmt der Art. 51 PolVerf parallel. Sowohl in Polen als auch in Deutschland wird unterstrichen, dass der Schutz nur die Inhalte der individuellen Kommunikation betrifft, also einer, die sich nur an einen beschränkten, vom Absender bestimmten Adressatenkreis richtet.113 Das Telekommunikationsgeheimnis wird breit und abstrakt gefasst, weil heutzutage die Übertragung von Meldungen über die Telekommunikationsnetze verschiedene Formen annimmt. Es werden also Inhalte und Umstände unabhängig davon, ob sie Telefonate, Emails, Telefax oder Whatsapp-Nachrichten betreffen, geschützt. Damit sind auch die in Mailboxen gespeicherten SMS oder Emails erfasst.114 Weder die polnische Rechtsprechung noch die Literatur betrachten den Schutz aus der Perspektive des Unterschiedes zwischen dem Zugriff auf gespeicherte Inhalte nach dem Vorgang der Kommunikation und während der Kommunikation. c) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 51 PolVerf) und das Problem damit Anders als in Deutschland ist in Polen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als ein separates Grundrecht in der Verfassung aufgelistet. Zur Zeit der Vorbereitung der polnischen Verfassung war der Datenschutz schon ein wichtiges Thema weltweit. Der polnische Verfassungsgeber schöpft aus den Erfahrungen anderer Ländern, in denen der Datenschutz auf dem verfassungsrechtlichen Niveau diskutiert wurde. Die komplizierte Ausgestaltung der Vorschrift resultiert aus einem Kompromiss. Einerseits wollte man, dass der Einzelne über eigene Daten sowohl in staatlichen als auch in privaten Datenbanken verfügt und entscheidet, andererseits wollte man die Abrechnung mit dem ehemaligen Regime nicht verhindern, indem jeder seine Daten aus den Archiven der sozialistischen Staatssicherheitsorgane löschen könnte. Auch die Einsichtnahme in die gegenwärtigen polizeilichen Register wurde bei Arbeiten am Verfassungsentwurf thematisiert, doch durch die Einschränkung der Einsichtnahme bei den staatlichen Archiven ist diese Sache ebenso betrachtet worden.115
113 Sylwia Jarosz-Żukowska, Konstytucyjnoprawne aspekty ochrony tajemnicy komunikowania się w Internecie, S. 11–29; Lena Engelhardt, Verwendung präventivpolizeiliche erhobener Daten im Strafprozess, Münster 2011, S. 25 ff. 114 Sylwia Jarosz-Żukowska, Konstytucyjnoprawne aspekty ochrony tajemnicy komunikowania się w Internecie, S. 20. 115 Mikołaj Wild, in: Marek Safjan, Leszek Bosek (Hrsg.), Konstytucja RP. Tom I. Komentarz do Art. 1–86, Warszawa 2016, Kommentar zum Art. 51, Rn. 9–14.
II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten51
Nach dem ersten Absatz des Art. 51 PolVert ist eine Verpflichtung, Informationen über die eigene Person zu offenbaren, nur auf Grundlage eines Gesetzes möglich. Das Grundrecht schützt vor jeglichen Eingriffen seitens des Staates in die personenbezogenen Daten, deren Erhebung in einem demokratischen Rechtsstaat unentbehrlich sind. Damit schützt Art. 51 Abs. 2 PolVerf im Kontext der Telekommunikationsüberwachung auch die Umstände der Telekommunikation, parallel mit Art. 49 PolVerf. Er könnte aber auch nach der deutschen Dogmatik als Schranke des Art. 49 PolVerf und Art. 51 Abs. 1 PolVerf gesehen werden. Der Doppelschutz der Kommunikation durch das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor staatlichen Eingriffen wird auch vom VerfGH bestätigt.116 Das Grundrecht wird sowohl als Abwehrrecht konstruiert als auch als Gewährleistungsgrundrecht. Der Eingriff wird aus der polnischen Perspektive auch anders verstanden. Die polnische Dogmatik übersieht das Problem der Stufenhaftigkeit der Prozesse, die mit der Datenerhebung und -verarbeitung vorgenommen werden, deswegen ermöglicht der einmalige Zugriff auf die Inhalte ihre Weiterleitung ohne weitere gesetzliche Grund lage.117 In der Praxis werfen die Abs. 3 und 4 des genannten Artikels Umsetzungsschwierigkeiten auf und stellen damit eines der Hauptprobleme der Datenerfassung durch polizeiliche Stellen in Polen dar. Nach Art. 51 Abs. 3 PolVerf hat jedermann das Recht auf Zugang zu den ihn betreffenden amtlichen Dokumenten und Datensammlungen. Eine Einschränkung dieses Rechtes darf nur vom Gesetz bestimmt werden. Art. 51 Abs. 4 sieht dazu vor, dass jedermann einen Anspruch auf Berichtigung oder Löschung falscher, unvollständiger oder in widerrechtlicher Weise beschaffter Informationen hat. Das Recht auf Zugang zu Informationen in öffentlichen Registern kann durch das Gesetz beschränkt werden. Nach der Meinung des VerfGH habe hier der Gesetzgeber gewissermaßen eine zweifache Erlaubnis, das Recht einzuschränken (außer Art. 31 Abs. 3 PolVerf). Der Verfassungsgeber entschied auch nicht direkt, wie der Gesetzgeber die Einschränkung vornehmen sollte, im Gegensatz zu Art. 49 PolVerf, der besagt, dass die Fälle und die Form der Einschränkung gesetzlich formuliert werden müssen. Dagegen sieht das Grundrecht auf die Berechtigung und Löschung der Informationen zur ei genen Person keine direkte Einschränkungsmöglichkeit im Art. 51 Abs. 4 116 Urteil des VerfGH K 23 / 11 Begründung Punkt II 1.3.: „Respect for and protection of privacy by public authorities as well as a general prohibition against interference in that realm are guaranteed by Article 47 of the Constitution. What complements those guarantees is Article 51 of the Constitution, which provides for the socalled informational self-determination.“. 117 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno rozpoznawcze i procesowe (na tle prawa polskiego i niemieckiego), PiP 11 / 2011, S. 71–83.
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olVerf vor. Dabei kommt lediglich die allgemeine Schranke des Art. 31 P Abs. 3 PolVerf zum Tragen. Wenn aber das Recht auf Zugang breiter einschränkbar ist als das Recht auf Berechtigung und Löschung, besteht für das zweite kaum eine Möglichkeit, ausgeübt zu werden.118 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein „Gordischer Knoten“ in der polnischen Verfassung. Die Zersplitterung seiner Elemente und verschiedene Formulierungen der Gesetzesvorbehalte rufen Kontroversen und Auslegungsprobleme hervor. Die oben dargelegte Stellungnahme des VerfGH geht in die Richtung eines verstärkten Rechts auf Löschung der unrechtmäßig gewonnenen Informationen. Die Argumentation war also pro-freiheitlich, doch der Konflikt um das Recht auf Zugang und Löschung der Informationen aus den staatlichen Registern im Kontext der Telekommunikationsüberwachung ist auch rechts theoretisch veranlagt. Dobrosława Szumiło-Kulczycka stellt die Sache wie folgt vor: Das Grundrecht aus Art. 51 Abs. 4 PolVerf sei kein absolutes Recht, es kann nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eingeschränkt werden (Art. 31 Abs. 3 PolVerf). Nach einer von Roland Dworkin in Polen weitgehend übernommenen Auffassung sind die Grundrechte Regeln und nicht Prinzipien,119 welche dementsprechend als solche in Konflikte geraten können und es im Wege einer Abwägung zum Weichen des einen vor dem anderen kommen kann.120 Bei der Abwägung in diesem Fall werden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit (Art. 2 PolVerf) herangezogen und auf der anderen Seite Prinzipien der Unabhängigkeit und Souveränität des Staates (Art. 5 PolVerf). Auf Grund des Prinzips des Art. 5 PolVerf ist ein Konflikt bei der Einschränkung des Grundrechts leicht zu Gunsten der Sicherheit zu lösen, dennoch kann dies aus der Perspektive der Prozessgarantien (Element des Rechtsstaatsprinzips) nicht akzeptabel sein. Die Sicherheitsaufgabe des Staates rechtfertigt selbst die unrechtmäßige Datenerhebung, wenn es für die Realisierung der Staatsaufgabe aus dem Art. 5 nötig ist. Die Abwägung auf der Ebene des Rechtsstaatsprinzips und der damit verbundenen Prozessgarantien führt aber zu einem anderen Ergebnis. Denn die unrechtmäßig oder gar falsch erfassten Informationen stehen im Licht der humanitären Belange des „fair trails“. Roland Dworkin schlug eine Schaffung von Kollisionsregeln für Konflikte zwischen Prinzipien vor, doch dies würde eine Hierarchie der Prinzipien schaffen, die nicht in seinem Sinne wäre.121 Das polnische Verfas118 Urteil
des VerfGH, K32 / 04 Begründung, Punkt I 3.3. Morawski, Zasady wykładni prawa, Toruń 2010, S. 137. 120 Roland Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Frankfurt a. M. 1984, S. 62; Maciej Dybowski, Rolanda Dworkina koncepcja zasad prawa, RPEiS 3 / 2001, S. 100– 103. 121 Maciej Dybowski, ibidem, S. 102. 119 Lech
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sungsgericht versuchte sich in seiner Rechtsprechung auf die europäischen Standards zu stützen, um den Grundrechten vollere Geltung zu gewähren, doch es stößt immer auf die Reaktion der Sicherheitsbefürworter, die auch in der polnischen Rechtskultur ein starkes Argument des Art. 5 PolVerf erheben. Der Konflikt des Grundrechts auf Löschung der Informationen mit dem Staatsprinzip aus dem Art. 5 PolVerf dient nur als Beispiel der Konflikte rund um die Grundrechtsausübung in Polen. Zu ähnlichen Konfrontationen kommt es gewiss auch bei anderen Grundrechten. In dem Fall von Art. 51 PolVerf sind die gegensätzlichen Positionen am besten ausgearbeitet. d) Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 50 PolVerf) Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird gewährleistet, besagt Art. 50 PolVerf. Der Verfassungsgeber führt aber sofort die Schrankenbestimmung hinzu. Nach Art. 50 S. 2 darf die Durchsuchung einer Wohnung, anderer Räume oder eines Fahrzeugs nur in den im Gesetz bestimmten Fällen und in der gesetzlich bestimmten Weise erfolgen. Der zweite Satz hilft bei der Auslegung der Vorschrift nicht nur durch die Bestimmung der Begrenzungen des Grundrechts, er weist auch auf den Schutzinhalt der Norm hin. Die Wohnung wird also nach der polnischen Verfassung weit verstanden. Die Auslegung des Begriffs „Wohnung“ muss mit der Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR erfolgen. Sie umfasst die Begriffe „domicile“ und „home“ und schließt die Räume, die zu Berufs- oder Gewerbeausübung122 dienen können, wie auch die eigengenutzten Fahrzeuge mit ein. Überraschend war Art. 50 PolVerf nie ein Maßstab zur Überprüfung der Vorschriften zur Datenerfassung durch die Sicherheitsdienste. Der VerfGH hat dies sogar im Urteil vom 12. Dezember 2005 ausdrücklich bedauert, mit einem obiter dicta Satz: „Im Überprüfungsantrag wurde weder Art. 47 noch Art. 50 PolVerf erwähnt […] erfahrungsgemäß werden bei den Maßnahmen der Überwachung der Kommunikation auch die Gehalte, die von Art. 50 PolVerf geschützt werden, angetastet. Dies nach dem Maßstab der Unverletzlichkeit der Wohnung zu überprüfen, ist auch in der Grundrechtschutzpraxis europaweit üblich.“123 Auch der VerfGH hat einiges für die Einführung der Sphärentheorie in die polnische Rechtsdogmatik getan. In dem schon erwähnten Urteil unterstreicht er den höheren Stellenwert des Schutzes der Wohnung als den der Kommunikation, denn „die Privatheit bestehe aus verschiedenen Sphären“, und zitiert das Urteil des BVerfG zum sog. großen 122 Etwa: Urteil des EGMR vom 17.9.1996, Buckley vs. Great Britain Az.: 20348 / 92. 123 Urteil des VerfGH Az.: K 32 / 04 Begründung Punkt I 1.3.
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Lauschangriff.124 Die Unverletzlichkeit der Wohnung scheint ein vergessenes Grundrecht im Zusammenhang mit der Überwachung der IT-Tätigkeit des Einzelnen zu sein. Die Literatur ist dabei aber auch äußerst zurückhaltend. Sogar Adam Taracha erwähnt den Art. 50 PolVerf nicht in seinem Werk zu Operations- und Erkennungstätigkeiten als Mittel des Schutzes vor staat lichen Eingriffen durch die Telekommunikationsüberwachung.125 Die neuere Literatur holt dies zwar nach und stellt die These auf, dass die Operationsund Erkennungstätigkeit der Polizei oft im Konflikt mit dem Grundrecht aus dem Art. 50 PolVerf steht,126 doch trotzdem wird dieses als Überprüfungsmaßstab der Kommunikationsüberwachungsmaßnahmen nicht herangezogen.127 e) Zusammenfassung Das Grundrechtsschutzsystem im Zusammenhang mit den polizeilichen Überwachungsmaßnahmen der IT-gebundenen Tätigkeit des Einzelnen stellt in Polen ein stabiles Gebilde dar, das aber noch nicht mit Inhalten gefüllt wird. Die Möglichkeit bestünde bei häufiger Einbeziehung der Rechtsprechung des EGMR. Das System ist angesichts seiner Unbestimmtheit leider nicht fähig, den Grundrechtsschutz auf dem erforschten Gebiet auf einem ausreichenden Niveau zu stellen. Darüber hinaus schränkt die begrenzte Möglichkeit der Grundrechtsdurchsetzung im Vergleich zu Deutschland die Möglichkeit der schöpferischen Auslegungsarbeit des Verfassungsgerichts ein. Der dritte Grund ist die bei weitem noch nicht etablierte unmittelbare Anwendung der Grundrechte nach Art. 8 PolVerf, wobei das Bewusstsein in der Gesellschaft schon vorhanden zu sein scheint 3. Zwischenfazit Die Umschreibung des verfassungsrechtlichen Rahmens dient zum einen der Einengung des Themas aus der Grundrechtsperspektive, zum anderen aber der Darstellung der Unterschiede zwischen den Grundrechtsordnungen in Polen und in Deutschland. Zwar sind die Namen der Grundrechte in bei124 Urteil
des VerfGH Az.: K 32 / 04, Pkt. III 3.2. Adam Taracha, Czynności operacyjno-rozpoznawcze aspekty kryminalistyczne i prawnodowodowe. Lublin 2006. 126 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 225–226. 127 Selbst im neusten Überprüfungsantrag des Ombudsmannes vom 16. Februar 2016 zur Überprüfung einigen Vorschriften der Polizeigesetznovelle vom Januar 2016. Quelle: https: / / www.rpo.gov.pl / sites / default / files / Wniosek_do_TK_kontrola_ operacyjna.pdf (Zugang: 20.06.2016). 125 Etwa:
II. Einschlägige Grundrechte bei der Erfassung der Daten55
den Verfassungen gleich, doch ihre Schutzgehalte und vor allem die Dogmatik unterscheiden sich. Die deutsche Grundrechtsdogmatik ist in ihrer Sys tematik konsequent. Sie verfügt über ein großes Rechtsprechungsgut und jahrelange Erfahrung, die verschiedene Konzeptionen verifiziert und sie weiterentwickeln lässt. Auch die Stellung der Grundrechte und des Verfassungsgerichts wäre hier als Festigungsfaktor der Grundrechtsorientierung zu erwähnen. Der Stellenwert der Grundrechte in Deutschland ist auf die eingeprägte Auffassung zurückzuführen, dass sie schon früh als eine „objektive Wert ordnung“128 für die Republik zu verstehen sind. Mit Robert Alexy kann man sagen, dass „die Grundrechtsbestimmungen in zwei Arten von Normen statuiert werden, nämlich Regeln und Prinzipien“.129 Damit erlangen sie eine Doppelnatur und schweben über der gesamten Rechtsordnung. Sie sind damit nicht nur subsumtionsfähig als geltende Vorschriften, sondern müssen möglichst weitgehend verwirklicht werden, selbst wenn sie in Konflikt geraten. Damit scheinen sie kompromisslos ihre Geltung in Deutschland zu entwickeln und sollen als ein Komplex, nicht als einzelne Grundrechte, die Entscheidungen der Gerichtsbarkeit durchdringen, vor allem im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Es scheint, dass keine anderen Rechtsprinzipien mit ihnen konkurrieren können. Die Aussage gewinnt an Verständlichkeit, wenn sie mit der Position der Verfassungsprinzipien der Republik Polen zusammengestellt wird. Die polnische Verfassungsrechtslehre erkennt die Verfassungsprinzipien der Republik Polen: Sie sollen die Verfassungsidentität bilden130 und haben bei der „Formung der Inhalte des gesamten Rechts Polens“131 Bedeutung. Die Grundrechte werden dagegen als Dworkins Rechtsregeln betrachtet.132 Zu den Prinzipien des polnischen Rechtssystems gehören u. a. das Prinzip der Unabhängigkeit und Souveränität des Staates (verankert vor allem in Art. 5 und Art. 126 Abs. 1 PolVerf) und die damit verbundene Staatsaufgabe der Sicherheitsgewährleistung. Im Kontext der Freiheitseinschränkungen zugunsten der Sicherheit gewinnt die Argumentation damit eine starke verfassungsrechtliche Verankerung und Aussagekraft. Damit können die Rechtsprinzipien mit den Grundrechten in Konflikt geraten, was an der Lage in Polen zu sehen ist. Der Konflikt wurde am Beispiel Art. 51 PolVerf gezeigt. Anders als in Deutschland, wo das Grundrecht auf Sicherheit keine eindeutige Verfassungsgrundlage hat, bekommen die Befürworter der Sicherheitsaufgaben128 BVerfGE
7, 198. Alexy, Theorie der Grundrechte, Berlin 1985, S. 75–77. 130 Lech Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, Warszawa 2005, S. 53. 131 Zbigniew Witkowski, Prawo konstytucyjne, Toruń 2015, S. 59. 132 Stellvertretend: Lech Morawski, Wstęp do prawoznawstwa, Toruń 2009, S. 57. 129 Robert
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
stärkung den Wind auch explizit vom Wortlaut der Verfassung (Art. 5 PolVerf) und dementsprechend ist ihre Position stärker. Darüber hinaus haben in Polen die Grundrechte weder im objektiven noch im subjektiven Sinne eine lange Geschichte. Die Bürgerrechte und -freiheiten erfreuten sich immer einer großen Anerkennung, ihre Juridifizierung war aber erst in den späten 80er Jahren des 20. Jh. möglich. Sie werden deswegen oft als Parolen oder Programmsätze verstanden, mit anderen Worten, als Zustände die man anstreben sollte, die aber doch nicht erreicht werden können und oft auch nicht als handfeste Vorschriften mit Subsumtionspotential, die zu Entscheidungsgründen werden können.133
III. Gesetzesgrundlagen der Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland Nachdem der technische und verfassungsrechtliche Rahmen dieser Untersuchung markiert wurde, kann das Wechselspiel zwischen zwei Verfassungswerten, nämlich Sicherheit und Freiheit, anhand der Datenerfassung illustriert werden. Im Folgenden wird der Eingriff in die Grundrechte durch geheime Datenerfassung aus den eigengenutzten IT-Systemen in Deutschland und in Polen dargestellt. Der Blick wird nicht nur auf die rechtsdogmatische Seite geworfen, sondern erfasst eine weitere historische und soziologische Per spektive, die bei der verfassungsrechtlichen Betrachtung unvermeidlich ist. 1. Historische Begebenheiten und ihr Einfluss auf die Regelungen in Deutschland Wissen ist Macht, verkündet ein bekanntes Sprichwort. Es gilt nicht nur für die Menschen, sondern auch für das Wesen des Staates. Um die heutigen sicherheitsrechtlichen Regelungen zur Datenerfassung in Deutschland zu besprechen, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Der Absolutismus brachte den Begriff des Polizeistaates mit sich. Diese in den deutschen Ländern, aber vor allem in Preußen, tragende Konzeption knüpfte an die weitreichenden Befugnisse des Staates an, was faktisch die Handlungen des Herrschers bezeichnete, der mit dem Staat identifiziert wurde (Die Worte Ludwigs XIV. drücken das sprichwörtlich aus: „L’État c’est moi“). Doch die Idee war nicht nur mit dem Gewaltmonopol des Staates und mit der gewaltsamen Durchsetzung des Willens des Herrschers verbunden, sondern auch mit den Wohlfahrtsaufgaben. Die Polizei im Absolutismus war nicht nur in der Aufgabensphäre, die heute unter Polizeiaufgaben 133 Ewa
Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa, Warszawa 2012, S. 141–167.
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland57
verstanden werden, tätig, sie hatte vielfältige Befugnisse, die nicht nur die Anwendung von Gewalt betrafen, sondern auch die Fürsorgeaufgaben, was aus der heutigen Sicht totalitaristische Assoziationen hervorrufen könnte. Diese weite und im Endeffekt nicht freiheitliche Vorstellung der Polizei wurde in der Aufklärung kritisiert, vor allem aus den Positionen des Liberalismus heraus. Der Mensch kann danach selbstständig seine Existenz bestimmen. Schon 1794 inkorporiert diese Betrachtungsweise das Preußische Allgemeine Landrecht, indem es die Gefahrenabwehr von der Wohlfahrtspflege trennt134 und der Polizei nur die erste Gruppe zuschreibt. Das 19. Jahrhundert ist ein Schauplatz des Konflikts der liberalistischen Idee, verbunden mit dem immer stärker werdenden Kapitalismus und seinem rückständigen absolutistischen Gedankengut. In der juristischen und politischen Diskussion taucht auch ein neues Thema der Bürgerrechte auf, das den Gedankenaustausch maßgeblich beeinflusst und eine graduelle Liberalisierung bewirkt, vor allem durch die Einführung der gerichtlichen Überprüfung der Tätigkeit der Staatsgewalt. Dies fand gewiss eine Widerspiegelung in der Polizeirechtslehre, die sich von den Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens der Bürger allmählich abwendet. Das „Dritte Reich“ hat sich von diesem Modell der Kompromisssuche zwischen Bürgerrechten und Gewaltmonopol des Staates weit entfernt. Die Zentralisierung und die Zusammenführung der Polizei mit den Geheimdiensten und paramilitärischen SS-Einheiten und ihre Aufgabe, den Willen des Führers rücksichtslos umzusetzen, hat nach dem Zweiten Weltkrieg zu grundlegenden Änderungen im deutschen Polizeirecht geführt. (Unter anderem zur Einführung des schon besprochenen Trennungsprinzips.) Durch Demokratisierung, Dezentralisierung, Entnazifizierung, Demilitarisierung und naturrechtlichen Strömungen zur Stärkung der Rechte des Individuums wurde die Regelung der Polizei den Ländern übertragen und ihre Tätigkeit den Grundrechten unterworfen. Zu den Aufgaben der Polizei zählen danach wieder die Gefahrenabwehr (Prävention) und die Beteiligung bei der Fahndung nach Straftätern (Repression), wobei die rechtlichen Grundlagen von beiden getrennt sind, und zwar nicht nur nach den einzelnen Kompetenzen, sondern auch gesetzgebungstechnisch, was durch den föderalistischen Aufbau Deutschlands ermöglicht wird. Damit könnte die These aufgestellt werden, dass Deutschland eine Doppelsicherung auf dem Gebiet der Eingriffsmaßnahmen gewährleistet: einmal durch die Aufteilung der gesetzgeberischen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie durch dominante Strömungen der Grundrechtsorientierung im Polizeirecht.
134 Christoph
Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 29–30.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Auf der Ebene der einzelnen Polizeibefugnisse wurden die verheerenden Folgen der Nazidiktatur verarbeitet, was auf dem Gebiet der Informations erfassung durch die Polizei zu einer europaweit einmaligen Empfindlichkeit im Umgang mit den Bürgerdaten führte. Man wollte vermeiden, dass wieder die zahlreichen Register der personenbezogenen Daten zu verbrecherischen, aber auch möglicherweise politischen Zwecken verwendet werden, und ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei gar keine Daten der Bürger sammeln dürfe, solange es zur Abwehr der eng verstandenen Gefahren nicht nötig sei. Dieses enge Verständnis der Gefahrenabwehr hat ihren Ursprung im verfassungsrechtlichen Argument, dass der Staat erst dann eingreifen kann, wenn eine Bedrohung für die polizeirechtlich geschützten Rechtsgüter faktisch besteht. Die Freiheit des Einzelnen, solange sie nicht die Rechte der anderen antastet oder gefährdet, sei die unüberschreitbare Grenze der polizeilichen Tätigkeit.135 Diese Theorie mag in einer idyllischen Gesellschaft funktionieren, doch die Wirklichkeit der Nachkriegsjahre brachte Zweifel an ihr. a) Die Einführung der heimlichen Überwachungsmittel Die gesellschaftlichen Anspannungen um die Notstandsgesetzgebung, die in den 60er Jahren die Rhetorik des Kalten Krieges in der jungen Republik widerspiegelte, und um den Terrorismus, vor allem seitens der Roten Armee Fraktion in den 70er und 80er Jahren, veranschaulichte die Unzulänglichkeiten der streitbaren Demokratie und die verschiedenen Ansichten, sie zu beheben. Die Gesellschaft wurde mit einem Problem konfrontiert, das sich nicht einfach lösen ließ – einem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Die Politik fühlte sich angesprochen, eine entschlossene rechtliche Antwort zu geben. Schon 1968 erging die Notstandsgesetzgebung. Damit sollte Deutschland auch die neuesten Gefahren mit harten Mitteln abwehren können und die Täter bestrafen, was wiederum die Gespenster aus der NS-Vergangenheit in den Raum stellte. Exemplarisch für die Notstandsgesetzgebung wird das bereits angesprochene Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und das siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes erwähnt. Es wurde am 24. Juni 1968 verabschiedet und setzte dem Grundrecht des Art. 10 GG Schranken. Damit wurden Geheimdienste zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes136 berechtigt, in die Brief-, 135 Christoph 136 § 1
Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 51–70. des „G10 Gesetzes“.
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland59
Post- und Fernmeldegeheimnisse einzugreifen. Auch die StPO wurde um Überwachungsvorschriften ergänzt. Die landesweite „Freiheitsdebatte“ wurde damit eröffnet und hat sich ausgeweitet. Das „G10 Gesetz“ stattete die Geheimdienste mit Rechtsgrundlagen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten aus, doch seine Verabschiedung zog die Diskussion über die Gestaltung der Vorfeldermittlungen mit sich und bereitete das Feld für die Auseinandersetzung zwischen der Erweiterung der geheimdienstlichen Maßnahmen der Polizei und ihrer Gegner vor. Damit stellte sich auch die Frage nach der Bedeutung der Ergebnisse der Vorfeldermittlungen für das Strafprozessrecht. b) Die Grundrechtsdiskussion Die Maßnahmen des G10-Gesetzes verlangten eine dogmatische Bearbeitung, die der Rechtslehre relativ schwer fiel, angesichts der schon vorhandenen Konzeptionen des Grundrechtseingriffs. Der Eingriff in die Grundrechte durch die Maßnahmen des G10-Gesetzes war empirisch und intuitiv vorhanden, doch die klassische Eingriffstheorie umfasste den Sachverhalt der verdeckten Straftatenbekämpfung nicht.137 Die Idee, dass der Bürger sich nur gegen die unmittelbaren Hoheitshandlungen des Staates, die auf die Beschränkung abzielt, wehren kann, war für die theoretische Untermauerung der neuen Überwachungsmaßnahmen nicht geeignet. Der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes reiche weiter als die klassische Eingriffstheorie es zuließ. Dies beschreibt Edda Weßlau folgendermaßen: „Zunehmend setzte sich die Einsicht durch, wonach nicht die Form und das Ziel staatlichen Handelns die maßgeblichen Kriterien sein konnten, sondern dass ein umfassender Grundrechtsschutz gegen jede Art hoheitlicher Betätigung gewährleistet sei. Der Blick verschob sich damit auf die Wirkungen staatlichen Handelns, die bei dem Betroffenen eingetreten sind. Ob ein ‚Eingriff‘ vorlag, wurde also vom Schutzbereich der Grundrechte her ermittelt und nicht von einem Katalog formaler Kriterien abhängig gemacht.“138 Die aus dieser Idee entwickelte Sphärentheorie setzte in einer ursprüng lichen Form voraus, dass der Einzelne in zwei Bereichen lebt, nämlich in einem öffentlichen und in einem privaten. In dem ersten müsse er die Grundrechtseinschränkungen hinnehmen, im zweiten dagegen nicht, da dem Staat etwaiger Zugriff auf die Privatheit verwehrt bleibe. Angesichts der modernen EDV wird aber das Merkmal der Herkunft der Datensätze aus den bestimmten persönlichkeitsrelevanten Bereichen obsolet. Wie das BVerfG im bahnbrechenden Volkszählungsurteil zugibt, komme es nicht auf die Herkunft der 137 Andreas Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Videoüberwachungstechnologie bei Straftatenbekämpfung, Berlin 1994, S. 111–117. 138 Edda Weßlau, Vorfeldermittlungen, Berlin 1989, S. 163.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Datensätze an, sondern auf ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit,139 was angesichts der Möglichkeit der Persönlichkeitsprofilbildung aus verschiedenen „Datenfetzen“ zum Vorschein kommt.140 Die Eingriffsintensität könnte damit nicht mehr an der Herkunft der Daten gemessen werden, sondern es musste ein neues Kriterium des Zwecks der Verarbeitung herangezogen werden. Die überholte Sphärentheorie, die lange Zeit vom BVerfG unterstützt wurde,141 konnte die heimlichen Ermittlungsmethoden nur dann, wenn die Eingriffe sich auf die private Sphäre richteten, abwehren. Dennoch wurde der Schutz noch mit der „Schwellentheorie“ und der Theorie der staatlichen Informationsvorsorge aufgeweicht. Die erste suchte die Antwort auf das Problem der Eingriffsintensität in einer Messung des Grades der Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Bürgerrechte und stimmte damit mit der Sphärentheorie in der ursprünglichen Version überein. Doch diese wurde als überholt bezeichnet, weil sie am klassischen Eingriffsbegriff ansetzt und den Schutz von einem unscharfen Kriterium der Erheblichkeit abhängig machte.142 Die Theorie der staatlichen Informationsvorsorge sah die Datenerhebung durch die Sicherheitsdienste als eine genuine Ergänzung der Staatsaufgaben an, was in Richtung des „Grundrechts auf Sicherheit“ führte. „Für die Polizei war die Datenverarbeitung [danach] eine Voraussetzung, um im Konfliktfall wirksame Leistungen in Gefahrenabwehr und Rechtschutz zur Wahrung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bringen zu können.“143 Trotz der Grundrechtsbedenken musste die Staatsrechtslehre eine Reaktion auf die Bedrohungen finden. Die politischen Weichen angesichts der RAFAktionen wurden ja gestellt. Der Staat musste seine Aufgaben erfüllen, zu denen auch der Schutz der Sicherheit seiner Bürger zählt. Die staatliche Informationsvorsorge setzte voraus, dass die Sicherheit auch ein Recht der Bürger sei und die Gewährleistungspflicht mit sich trägt.144 Diese Gedanken stießen 1983 beim Fall der Volkszählung aufeinander. Das Urteil selbst ist ein Teil anderer Überlegungen im Rahmen dieser Arbeit, es reicht hier, nur zu erwähnen, dass die aus der Sphärentheorie entsprungene Idee des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung maßgeblich die Dog139 BVerfGE
65 1 (45). Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 173–178 und die dort erwähnte Literatur. 141 Etwa: BVerfGE 27, 1; BVerfGE 27, 344; BVerfGE 54, 148. 142 Corinne Hoppe, Vorfeldermittlungen im Spannungsverhältnis von Rechtsstaat und der Bekämpfung Organisierter Kriminalität, Frankfurt am Main 1999, S. 47. 143 Edda Weßlau, Vorfeldermittlungen, op. cit., S. 168. 144 Dazu: Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 208–252, Rupert Scholz / Reiner Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverarbeitung, Berlin 1984, S. 104. 140 Edda
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland61
matik der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen prägte. Das Urteil setzte voraus, dass nicht nur der Bürger in „Sphären lebt“, sondern, dass er auch selbst entscheidet, welche Informationen er über sich preisgeben möchte und damit sein öffentliches Bild gestalten kann. Der zweite Aspekt des Urteils setzt voraus, dass das Recht nicht absolut sei, sondern vom Staat auch eingegriffen werden kann, aber nur zu genauen, gesetzlich formulierten Zwecken unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Diese Zweckgebundenheit macht seitdem eindeutig die Spezifik der Datenerhebung durch Sicherheitsdienste in Deutschland aus. Das Volkszählungsurteil öffnete ein neues Kapitel in der Diskussion zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung im Polizeirecht und Geheimdienstrecht, wie auch zum Einsatz der Zwangsmittel, die auf das Informationserfassen im Rahmen vom Strafprozess zielten, obwohl es nicht die heimlichen Überwachungsmethoden primär betraf. Die Diskussion ging aber seitdem in die Richtung der Differenzierung der Eingriffsqualität der Maßnahmen, die entscheidenden Kriterien wurden das Ziel der Maßnahme (präventiv oder repressiv). Darüber hinaus wurde die Idee der Schwelle bei der Eingriffsintensitätsmessung aufgegeben. Der Eingriff kann verschiedene Grade der Intensität aufweisen, abhängig von den (technischen) Mitteln, die eingesetzt werden, seine Heimlichkeit, Länge der Dauer und Sphäre der Privatheit, die betroffen wird. Er besteht aber immer, wenn die staatliche Stelle bei einem individualisierten Subjekt Daten erhebt. Das Volkszählungsurteil konstruierte ein zusätzliches Grundrecht, das über die ursprünglichen, ausdrücklich im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes genannten hinausgeht. Die praktische Umsetzung des Volkszählungsurteils konnte man im Bereich der Unterscheidung anwenden, welche Arten der Tätigkeit der Polizei und anderer Dienste als Eingriff in die Grundrechte einzustufen sind. Demnach stellt eine einfache Polizeistreife keinen Eingriff dar, weil sie sich nicht gezielt gegen eine konkrete Person richtet. Erst wenn während der Streife Informationen zu einer Gefahr erhoben werden und mit einer konkreten Person in Verbindung gebracht werden können, kann von einem Eingriff ausgegangen werden. c) Die gesetzgeberische Ebene Angesetzt auf Dezentralisierung und Kompetenzverteilung, sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Rechtsprechung als auch beim Vollzug der Normen, stellt das Bundesstaatsprinzip den Hauptunterschied zum Einheitsstaatssystem der Republik Polen dar, mit weitreichenden Konsequenzen. Sichtbar wird es vor allem bei der Erörterung der Kompetenzfragen der staatlichen Organe, denn sie werden nicht nur durch die Grundrechte be-
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
schränkt, sondern auch durch die Zuständigkeitsaspekte der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Die Kompetenzabgrenzung verläuft nicht nur auf der Gesetzgebungsebene, wo auf der Bundesstufe auch die Länder durch den Bundesrat ein Mitspracherecht haben, sondern auch funktionell zwischen den Behörden und ihren Befugnissen, wo die Länder auch zur Ausführung der Bundesgesetze verpflichtet sind. Die Verhinderung der Zentralisierung und Konzentration der Hoheitsaufgaben auf einer Ebene der Staatsgewalt, was historisch wiederum, nicht nur wegen des verhängnisvollen Totalitarismus 1933–45, nachvollziehbar ist, etablierte sich allmählich zu einem der prägenden Merkmale der Bundesrepublik. Die scheinbare Schwächung der Staatsgewalt durch Schaffung eines multipolaren Zuständigkeitssystems stärkt tatsächlich die Gewaltenteilung und gibt ihr nicht nur horizontale Dimension, sondern auch vertikale.145 Die vorhin erwähnten Verfassungsprinzipien beeinflussen das ganze Rechtssystem und geben ihm einen Charakter. Das Grundgesetz geht von einer Trennung zwischen Landes- und Bundeskompetenzen aus. Das Schwergewicht bei der Gesetzgebung liegt aber beim Bund, während die Verwaltung und Rechtsprechung fast ausschließlich die Sache der Länder ist.146 Art. 70 ff. GG trennen die Bundes- und Landeskompetenzen und schaffen die Kategorie der konkurrierenden Gesetzgebung. Auf ihrem Gebiet haben die Länder die Möglichkeit, z. B. in den Bereichen des Gerichtsverfahrens, der Gerichtsverfassung und des Strafrechts von ihren Gesetzgebungskompetenzen Gebrauch zu machen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). Der Bund hat aber seine Befugnisse so weitgehend ausgeschöpft, dass den Ländern hier nur wenig Spielraum geblieben ist.147 Der Bund dagegen kann auf den im Art. 74 Abs. 1 GG aufgezählten Gebieten die Regelungen nur treffen „wenn und soweit [es] die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“ (Art. 72 Abs. 2 GG). Auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes „haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden“ (Art. 71 GG). Zu den weiteren, wesentlichen Bundeskompetenzen für diese Arbeit gehören „die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG), „die Zusammenarbeit des Bundes und 145 So etwa: Ekkehart Stein / Frank Götz, Staatsrecht, Tübingen 2010, S. 115 ff.; Rolf Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Grasberg bei Bremen 2013, S. 28. 146 Ekkehart Stein / Frank Götz, Staatsrecht, S. 112. 147 Ibidem, S. 119.
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland63
der Länder in der Kriminalpolizei, zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG). Ergo, durch die Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bund die Zuständigkeit im Bereich der Aufklärung und Verfolgung der schon begangenen Straftaten, also des Strafprozessrechts. Der Art. 70 GG sieht dagegen die Kompetenz der Länder zur Gesetzgebung im Bereich der Abwehr der zukünftigen Rechtsbeeinträchtigungen und Verhinderung der zukünftigen Straftaten vor.148 Für solche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern spricht auch der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG, der davon ausgeht, dass nur die schon begangenen Taten zum Gegenstand der Straftat werden können. Das BVerfG hat festgestellt, „dass das Strafprozessrecht sich auf die Aburteilung von Straftaten bezieht und die angedrohte und verhängte Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen muss.“149 Durch die Kompetenzverteilung bei der Gesetzgebung wird in Deutschland noch ein Indiz für die Trennung der präventiven und repressiven Tätigkeit der Sicherheitsdienste neben dem Zweck der Regelung gegeben. Der präventive Zweck der polizeilichen Aufgaben könnte auch auf die traditionelle und historische Bedeutung des Polizeirechts zurückgeführt werden, die sich auch auf andere Gebiete der Gefahrenabwehr ausgebreitet hat, die nichts mit den kriminellen Bedrohungen zu tun hatten, sondern sich auf dem Gebiet des heutigen Ordnungsrechts befinden. Jedenfalls ist festzustellen, dass die funktionelle Trennung der polizeilichen, geheimdienstlichen und Strafverfolgungsaufgaben in Deutschland ein wichtiges Prinzip ist. Ein Prinzip, das auch vom BVerfG begründet wird in informationeller Hinsicht, wenn es um Austausch der Informationen zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei geht.150 d) Fragestellungen im Polizeirecht nach dem Volkszählungsurteil Obwohl die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verfassungsrechtlich geregelt und das Trennungsprinzip in der Rechtsordnung tief 148 Christoph
Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 12. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 9. 150 BverfGE 133, 277, (123). 149 Christoph
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
verankert ist, war die Diskussion über die geheime Informationserfassung mit dem Volkszählungsurteil nicht zu Ende, im Gegenteil. Wenn die Ausstattung der Straftatenverfolgungsbehörden mit den heimlichen Maßnahmen zu Fahndungszwecken nicht wirklich umstritten war, entbrannte aber die Auseinandersetzung um die präventiven Maßnahmen. Der Ausgangspunkt dafür war die Unterscheidung zwischen Aufgabenzuweisungsnormen und Befugnisnormen in den Polizeigesetzen. Die Konzeption der effektiven Gefahrenabwehr setzte alle erforderlichen Mittel für diesen Zweck voraus und leitete dies aus den Aufgaben der Polizei ab. Doch der polizeiliche Eingriff in die Grundrechte bedarf einer konkreten gesetzlichen Ermächtigung, die sich in einer Befugnisnorm befinden muss. Dies stieß auf die Idee der Kompetenzverteilung im Bereich Strafprozessrecht und Polizeirecht zwischen Bund und Ländern und zusätzlich auf das Trennungsgebot. Daraufhin entstanden zahlreiche Konzeptionen der präventiven Tätigkeit der Polizei. Die Theorie der Prädominanz basierte auf der Idee, dass die Polizei Gefahren vorbeugen soll und erst als die zweitrangige, nicht eigenständige Aufgabe wird die Fahndung erwähnt. In einem sozialen Rechtsstaat solle die Polizei, wie Erhard Denninger meint, Instrument des Rechtsgüter sicherheitsstaats sein und damit solle die Polizei die Rechtsgüter schützen, bevor in diesem Bereich Einbußen eintreten.151 Diese Theorie traf aber auf Kritik wegen der Unbestimmtheit ihrer Begriffe und mangelnder handfester Kriterien. Sie eröffnete aber die Diskussion über verschiedene Arten und Stufen der Gefahr. Dies hatte dagegen zur Folge, dass bei der abstrakten Gefahr (im Sinne eines statistisch signifikanten, über das sozialadäquate Maß hinausgehenden Risikos in einer großen Zahl von Fällen, nicht hingegen notwendig für den Einzelfall152) die Polizei aufgrund der Aufgabenzuweisungsnormen tätig sein kann. Bei konkreten (im Einzelfall über das allgemeine Lebens risiko hinausgehender, also nicht mehr sozialadäquater Bedrohung eines Rechtsgutes153) bedarf sie der Befugnisnorm. Die Kriminalpolitik und der technische Fortschritt überholten aber die Diskussion und machten die klare Abgrenzung der reinen Gefahrenabwehr von der Gefahrenvorsorge schwierig durchzuführen. Die Feststellung der Doppelfunktionalität, vor allem der polizeilichen Datenerhebung, war die Konsequenz dieser Entwicklung.154 Die Doppelfunktionalität sei zwar aus dem grundrechtlichen Gesichtspunkt be151 Erhard
Denninger, Der Präventionsstaat, Kritische Justiz, 1988, S. 14. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 63. 153 Ibidem, S. 63. 154 Dazu: Martin Kniesel, Neue Polizeigesetze contra StPO?, ZRP 1987, S. 377– 416. 152 Christoph
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denklich, da es eigentlich unklar macht, ob die Behörde schon repressiv oder noch präventiv handelt und dementsprechend im Schweben bleibt, welchen Maßstäben diese Tätigkeit zu unterwerfen wäre.155 Dies wurde zu einem gewissen Präzedenz, das die Abgrenzung zwischen Repression und Prävention weiter prägt auch bei anderen Angelegenheiten.156 e) Verwendung der polizeilich erhobenen Daten im Strafprozess Es ist festzustellen, dass eine klare Abgrenzung der Prävention und Repression nur im Idealfall möglich ist. Wenn sie aufeinander treffen und in Konflikt geraten, so sei dann zu entscheiden, ob die Gefahrenabwehr oder die Strafverfolgung das höherwertige Ziel ist.157 Die Datenerhebung durch die Polizei als doppelfunktionales Werkzeug der Kriminalpolitik verbreitete sich damit und schuf neue Fragestellungen. Zunächst war es die strafprozessuale Verwertung seiner Ergebnisse. Im Urteil vom 14. Mai 1991 entschied der BGH, dass, wenn die geschehene Überwachung aus polizeirechtlichen Gründen hinzunehmen sei, so ihre Ergebnisse auch im Strafverfahren als Beweismittel verwertbar seien, obwohl in der Strafprozessordnung bisher eine Vorschrift über diese besonderen Ermittlungsmaßnahmen fehle. Bedenken könnten nur bestehen, wenn zur Zeit der Ermittlungen ein wirklicher Anlass für präventivpolizeiliches Handeln nicht bestanden hätte – diese also auch nicht rechtmäßig gewesen wäre, weil der polizeiliche Weg nur beschritten worden wäre, um nicht bestehende strafprozessuale Bestimmungen zu ersetzen.158 Der Ansatz des BGH wurde einer scharfen Kritik ausgesetzt.159 Die Zweckbindung der Datenerhebung werde mit der Übertragung zum Strafprozess gelöst und damit ein zusätzlicher Eingriff vorgenommen, der nach dem Volkszählungsurteil einer neuen Rechtsgrundlage bedürfe.160 Da rüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass die Anwendung des Landes(Polizei)Rechts von Beginn an eine strafprozessuale Begründung hat und nicht der Prävention, sondern einer Erweiterung und Erleichterung der Re-
155 Erhard
132.
Denninger, Zehn Thesen zum Ethos der Polizeiarbeit, JA 1987, S. 131–
156 Dazu: Susanne Beck, Ausweitung der Befugnisse der Polizei im Ermittlungsverfahren – Effizienz vor Rechtsschutz?, ZRP 2011, S. 21 ff. 157 Claus Roxin / Bernd Schünemann, Strafprozessordnung, München 2012, S. 58. 158 Urteil des BGH vom 4.05.1991, 1 StR 699 / 90, Rn. 23. 159 Stellvertretend: Brigit Tischer, Das System der informationellen Befugnisse der Polizei, Frankfurt a. M. 2004, S. 509; Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 71 und dort erwähnte Literatur. 160 Vgl.: Lena Engelhardt, Verwendung präventivpolizeiliche erhobener Daten im Strafprozess, Münster 2011, S. 220–230.
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pression dient, was im Einvernehmen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft geschehen sollte.161 Daraufhin reagierte der Gesetzgeber mit der StPO-Novelle von 1999. Nach dem § 161 Abs. 1 und 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft befugt, im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Der zweite Absatz regelt dagegen explizit die Zulässigkeit der Anwendung der polizeilich erhobenen Daten im Prozess. „Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen.“ In der Literatur zum Strafprozessrecht wird heute die Ansicht vertreten, dass dieser hypothetische Ersatzeingriff die Prüfung, ob das Beweismittel nach den konkreten Umständen hätte erlangt werden können, enthält. Hierbei sind die grundrechtsbezogenen Beschränkungen der entsprechenden prozessualen Ermächtigungsgrundlage zu prüfen. Den Verdacht der erforderlichen Straftat dürfen die Strafverfolgungsbehörden nicht durch die übermittelten Daten substituieren. Dies ist nur durch die Polizei zulässig, wenn sie durch ihre präventive Tätigkeit schon Kenntnis von den infragestehenden Daten hat. […] Zweck des hypothetischen Ersatzeingriffs ist es, dass dem Empfänger ein Erhebungsrecht zusteht und die grundrechtsbezogenen Beschränkungen der Strafprozessordnung nicht umgangen werden.“162 Auch die Zufallserkenntnisse werden in Deutschland zur Verwendung zugelassen, allerdings nicht als Beweis im Strafprozess. Das BVerfG ist der Einsicht, dass die „rechtmäßig gewonnenen Zufallserkenntnisse, die keine Katalogtaten betreffen, zwar nicht zu Beweiszwecken verwertet werden; sie können aber Anlass zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel sein.“163 Selbst bei der fehlerhaften Beweiserhebung kann nach der Meinung des BVerfG ein prozessreifer Beweis entstehen: „Aus dem Prozessgrundrecht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren lässt sich kein Rechts161 Klaus Rogall, Anmerkung zum BGH Beschluss von 14.04.1991, NStZ 1992, S. 44 ff. 162 Lena Engelhardt, Verwendung präventivpolizeiliche erhobener Daten im Strafprozess, S. 231–232. 163 BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. 6. 2005 – 2 BvR 866 / 05 – Rn. 4.
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satz des Inhalts ableiten, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist.“164 Die Regelungen der StPO sichern jedoch, dass eine Ermittlungsmaßnahme, die sich gegen eine Person, der Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, richtet und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würde, über die diese das Zeugnis verweigern dürfte, unzulässig ist. Dennoch, die schon erlangten Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und der Löschung der Aufzeichnungen ist aktenkundig zu machen (§ 161a Abs. 1 StPO). Darüber hinaus dürfen die Daten, die den Kernbereich der Privatheit betreffen, auch nicht verwendet werden. § 160a Abs. 2 StPO sieht eine besondere Abwägung vor: „Soweit durch eine Ermittlungsmaßnahme eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen; betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht von einem Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Soweit geboten, ist die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken.“ Am Rande gilt es noch, das neueste Urteil des BVerfG zum Bundeskriminalamtgesetz vom 20. April 2016165 zu erwähnen. In Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine Wiederverwendung der bereits erhobenen Daten, die über das ursprüngliche Ermittlungsverfahren hinausreicht, lässt das BVerfG die weitere Nutzung dieser Daten im Rahmen des ursprünglichen Erhebungszweckes aber in einem anderen Verfahren nur in bestimmten Grenzen zu. Solange die erhebungsberechtigte Behörde die Daten im selben Aufgabenkreis zum Schutz derselben Rechtsgüter und zur Verfolgung oder Verhütung derselben Straftaten nutzt, kann eine Umwendung stattfinden. Anderes gilt allerdings für Daten aus Wohnraumüberwachungen oder einem Zugriff auf informationstechnische Systeme. Das BVerfG gibt darüber hinaus einen Hinweis, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine solche Zweckänderung sich am Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung orientieren muss, was in Verbindung mit dem Begriff des hypothetischen Ersatzangriffs steht.166
164 BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des zweiten Senats vom 30. 6. 2005 – 2 BvR 1502 / 04 N Rn. 1. 165 BVerfGE 141, 220 – 378. 166 http: / / www.bundesverfassungsgericht.de / SharedDocs / Pressemitteilungen / DE / 2016 / bvg16-019.html (Zugang: 13.10.2016).
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f) Einschätzung der grundrechtlichen Diskussion in Deutschland Die Debatte in Deutschland zu den heimlichen, staatlichen Maßnahmen der Informationsgewinnung ist nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem grundrechtsorientiert. Die Diskussion zeichnet eine Vielfältigkeit der engagierten juristischen Disziplinen. Nicht nur die Kriminalistik und die Strafrechtslehre kommen zu Wort, sondern auch die Verwaltungs- und Verfassungsrechtslehre. Sie zeigt die Kohärenz des Staatsrechts in Deutschland, wodurch die Argumente verschiedener Natur bei der Diskussion einbezogen werden können. Der Schwerpunkt liegt bei der Betrachtung dieses Rechtskomplexes aus der Grundrechtsperspektive und bei der Entwicklung des Eingriffsbegriffs. Die grundrechtsrechtlichen Argumente werden weiterentwickelt und im Rahmen von rechtspolitischem Aufruhr verifiziert. Die zweite Sicherung auf dem Niveau der Gesetzgebung ist auch von zentraler Bedeutung. Damit bekommt das Trennungsgebot eine zusätzliche Begründung und Befestigung. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die ausgeprägte Jurisprudenz und Rechtsprechung, die ihren reichen und kreativen Beitrag zu Grundrechtsfragen leistet. 2. Die Einzelheiten der Gesetzesregelungen in Deutschland Die Unterscheidung nach Repression und Prävention hat in Deutschland, wie schon erörtert, feste verfassungsrechtliche Grundlagen. Zu den Staatsaufgaben gehört nicht nur die Verfolgung der schon begangenen Straftaten, sondern auch die Vorbeugung. Diese zwei Ebenen sind von einander nicht nur formell, sondern auch kompetenziell getrennt. Die Grenze zwischen der Prävention und Repression schafft die Tatsache des Begehens einer Straftat. Es ist mit dem Begriff der Gefahrenabwehr verbunden. Die Polizei ist beauftragt, die Gefahren der polizeirechtlich geschützten Rechtsgüter abzuwenden, darunter verstehen sich auch die Gefahren, die von den strafrechtlich relevanten Sachverhalten ausgehen. Wenn ein gefährlicher Zustand besteht, wird die Handlungspflicht der Polizei aktiviert, die besteht, solange die Gefahr besteht. Ist der Zustand zu Ende und besteht die Bedrohung der Rechtsgüter durch eine Straftat nicht mehr, spricht man nicht mehr von einer Prävention, sondern von einer Repression, also durch Strafrecht vorgegebene Vergeltung.167 Damit ändert sich auch die Zuständigkeit. Die Straftatenverfolgung gehört zum Bundesrecht, die Vorbeugung dagegen liegt in den Händen der Länder.
167 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 47–51.
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Empirisch und technisch gesehen, aus der Perspektive des Betroffenen, unterscheidet sich die Erhebung der Daten durch die Telekommunikationsüberwachung zu präventiven und repressiven Zwecken nicht, obwohl es aus der Grundrechtsperspektive zwei verschiedene Zwecke sind, die unterschieden werden müssen. 3. Die Eingriffe in die IT-Tätigkeit des Individuums nach deutschem Recht Das deutsche Recht sieht drei Arten der Eingriffe in die IT-basierte Tätigkeit des Einzelnen vor. Die niedrigste Hürde hat dabei die geheimdienstliche Überwachung. Sie unterliegt aber dem Trennungsgebot der Geheimdienste und der Polizei. Die zweite Gruppe betrifft die Überwachung im Rahmen des Strafprozesses. Sie unterliegt dem Richtervorbehalt und darf nur repressiv eingesetzt werden. Im Gegensatz zur dritten Gruppe, – der polizeilichen Überwachung – die präventiv zur Einsatz kommt. Eine klare Trennung aller Gruppen ist nur im Idealfall möglich. Schon auf der Gesetzgebungsebene lassen sich Lücken in dieser Aufteilung finden, was Gegenstand der Kritik in deutscher Literatur und Rechtsprechung ist. Im Folgenden wird die geheimdienstliche Überwachung lediglich angedeutet, die Bestimmungen zur strafprozessualen und polizeilichen Überwachung werden eingehender erörtert. a) Geheimdienstliche Überwachung Zwei Kriterien spielen in Deutschland für die Datenerhebung aus den ITTätigkeiten der Menschen die ausschlaggebende Rolle: die Kompetenzabgrenzung und die Eingriffsintensität. Außer Betracht bleiben in dieser Arbeit die geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen, die auch ohne Verdacht erfolgen können und dabei gerichtlich nicht überprüft werden. Es ist aber anzumerken, weil dies eine Stufe der Überwachungsmaßnahmen darstellt. Darin spiegelt sich auch der Grundrechtsdiskurs in der Verfahrensregelung wider. Die streitbare Demokratie in Deutschland setzt nämlich auch die Arbeit der Geheimdienste voraus und gibt ihnen breite Kompetenzen im Bereich der Überwachung, wofür sie die polizeilichen Befugnisse einbüßen müssen. Außerdem dürfen die Maßnahmen im Falle des Bundesnachrichtendienstes nur auf die Informationsgewinnung im Ausland gerichtet werden (§ 1 Abs. 2 BNDG) und im Fall des Verfassungsschutzes auf bestimmte schwerwiegende Straftaten (§ 3 Abs. 1 BVerfSchG).168 168 Dazu: Frederik Roggan, Neue Aufgaben und Befugnisse im Geheimdienstrecht, in: Frederik Roggan, Martin Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 412–447.
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b) Repressive Überwachung im Strafprozess Eine andere Spezifik weisen die repressiven Maßnahmen der Überwachung im Strafprozess auf. Die Befugnis, die IT-Tätigkeit des Einzelnen zu überwachen, wird nach dem Zeitpunkt der Begehung einer im Katalog erwähnten Straftat aktiviert. Ausschlaggebendes Kriterium ist die Entstehung des Anfangsverdachts, mit dem rechtsstaatlich relevante Konsequenzen verbunden werden. aa) Bedeutung des Anfangsverdachts für den Einsatz der Überwachungsmaßnahmen Das Ermittlungsverfahren wird nach § 152 StPO durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung verfolgbarer Straftaten vorliegen. Der Anfangsverdacht muss „zumindest in Form von Indizien vorhanden sein, die nach kriminalistischen Erfahrungen einen Verstoß gegen Strafnormen als möglich erscheinen lassen.“169 Im Rahmen von Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt vielseitig zu erforschen und nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu berücksichtigen (§ 160 Abs. 1 und 2 StPO). Um diese Vorgaben durchzusetzen, hat die Staatsanwaltschaft u. a. die Eingriffsmaßnahmen zur Verfügung. Sie müssen aber vom Gericht genehmigt werden. Der deutsche Gesetzgeber passt die Eingriffsintensität der Maßnahmen an die Dringlichkeit des Tatverdachts an. Diese sind fallbezogen, dennoch müssen sie abstrakt formuliert werden. Die deutsche Rechtslehre unterscheidet zwischen dringendem und einfachem Verdacht. In Fällen, in denen der Anfangsverdacht besonders schwach zu sein scheint, wurde eine Sonderform des Ermittlungsverfahrens herausgearbeitet, nämlich das Vorverfahren.170 In ihrem Rahmen können nur die Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht getätigt und keine Zwangsmittel angewandt werden.171 bb) Exkurs: Kontroversen um den Anfangsverdacht Die Vorermittlungen sind eine umstrittene Materie im deutschen Strafprozessrecht. Günter Haas meint, dass die Prüfung eines Verdachts einer Straftat 169 Robert Schnabl, Helmut Vordermayer, in: Helmut Satzger, Wilhelm Schluckebier, Gunter Widmaier (Hrsg.) Köln 2014, Kommentar zum § 152 Rn. 6. 170 Claus Roxin / Bernd Schünemann, Strafprozessordnung, München 2012 S. 316. 171 Robert Schnabl / Helmut Vordermayer in: Helmut Satzger, Wilhelm Schluckebier, Gunter Widmaier (Hrsg.), Kommentar zum § 152 Rn. 8.
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bereits der Verdacht einer Straftat ist.172 Eine andere Ansicht wird etwa von Uwe Hellmann vertreten. Danach folgt aus § 152 Abs. 2 StPO nicht nur, dass unterhalb des Anfangsverdachts kein (förmliches) Ermittlungsverfahren geführt werden darf, sondern dass gar keine strafverfolgungsbehördlichen Maßnahmen stattfinden dürfen,173 damit das Individuum nicht ohne Anlass zum Objekt der Ausforschung wird.174 Die Vorermittlungen sind von den Vorfeldermittlungen der Polizei zu unterscheiden. Bei den ersten prüft die Staatsanwaltschaft, ob weitere Erkenntnisse für die Klärung des Vorliegens des Anfangsverdachts gewonnen werden können,175 bei den zweiten dagegen handelt es sich um eine Aufgabe, die nicht in der StPO erwähnt wird, sondern lediglich präventiv und in Verbindung mit der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung verstanden werden kann. Die Polizei sucht aufgrund von Vermutungen und Hinweisen nach tatsächlichen Anhaltspunkten, um einen Anfangsverdacht zu begründen und weiter verfahren zu können.176 Die Grenzziehung zwischen Vorermittlungen, Vorfeldermittlungen und vorbeugender Straftatenbekämpfung ist äußerst schwer und umstritten. Horst Hund sieht das Kernproblem dabei im polizeilichen Effektivitätsgedanken. Danach soll die undefinierte und an sich irrationale Angst vor der Kriminalität in der Gesellschaft Druck auf den Gesetzgeber und die Polizei selbst ausüben und erzwingt die Vorverlagerung der Straftatenbekämpfung, noch bevor überhaupt eine Straftat begangen wurde und lediglich Vermutungen und nicht einmal Indizien dafür sprechen.177 Diese Denkweise sprenge die klassische Idee des Strafprozesses, die erst dann einschlägig wird, wenn die Tat begangen wird. Sie knüpfe an die Idee der Gefahrenabwehr des Polizeirechts an. Gerade dies soll unnötig sein, da ohnehin die Vorbereitung für viele schwerwiegende Straftaten strafbar sei. Mit der Erweiterung der Straftatenbekämpfung soll ein zweifelhaftes Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft erzielt werden, das dem Bewusstsein der staatlichen Kriminalitätsvorsorge zugrunde liegt. Dennoch sei es nur illusorisch, weil statistisch gesehen keine Verbesserung der Aufdeckungsquoten durch die Tätigkeit im Vorfeld erzielt 172 Günter
Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, Berlin 2003, S. 25. Hellmann, Strafprozessordnung, Berlin 2006, S. 21 ff. 174 Horst Hund, Polizeiliches Effektivitätsdenken contra Rechtsstaat, ZRP 1991, S. 463. 175 Gerd Pfeiffer, Strafprozessordnung Kommentar, München 2005, Kommentar zum § 152 Rn. 1c. 176 Robert Schnabl / Helmut Vordermayer, in: Helmut Satzger, Wilhelm Schluckebier, Gunter Widmaier (Hrsg.), Kommentar zum § 152 StPO Rn. 9. 177 Vgl.: Edwin Kube / Elmar Erhardt, Kriminalistisch-kriminologische Forschung als Beitrag zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität, NStZ 1991, S. 173. 173 Uwe
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worden sei.178 Hund fasst die unklaren Grenzen der polizeilichen Tätigkeit im Vorfeld, sei es nach StPO oder nach Polizeigesetzen, mit dem Satz: „Es geht bei der angeblich ‚vorbeugenden Verbrechenbekämpfung‘ nicht um Gefahrenabwehr, es geht um Erleichterung der Strafverfolgung, es geht um die Überwindung strafprozessualer Effektivitätshindernisse“, zusammen.179 Selbst wenn Phasen vor der Klageerhebung in der Literatur in Deutschland kritisiert werden, folgt ihre Herausarbeitung aus der Grundrechtsorientierung des Strafprozessdiskurses und zeugt von einer etablierten Differenzierungspraxis an Stellen, an denen die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit stattfindet. Das Fazit von Hunds Aufsatz: „Jeder an Strafverfahren Beteiligte sollte im Hinterkopf behalten, dass der Beginn der Ermittlungsakte mög licherweise nicht der Anfang der Ermittlungsarbeit war. Es wäre hilfreich, wenn durch parlamentarische Anfragen geklärt werden könnte, welchen Umfang die polizeilichen Geheimermittlungen inzwischen angenommen ha ben“180 bleibt äußerst aktuell, obwohl er im Jahre 1991 verfasst wurde, und unterscheidet sich kaum von den einsamen Stimmen in der polnischen Literatur in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts.181 Für den Rechtsstand in Deutschland bleiben sie aber dennoch auch nicht überholt. Die damit angestoßene Diskussion bezieht sich weiter auf die sachspezifischen Rechtsgebiete des Strafrechts, Verwaltungsrechts und Verfassungsrechts und stellt Anhaltspunkte für die Diskussion zu Gefahren- und der Risikobetrachtung – ein Ansatz, der im Bereich der Literatur zur polizeilichen Überwachung fehlt. Auf diese Aspekte wird in den kommenden Teilen der Arbeit eingegangen. cc) Die Zwangsmaßnahmen § 100a, § 100g, § 100i und § 100j StPO Der Gesetzgeber in Deutschland differenziert nach dem Grad der Intensität des Eingriffs in die Grundrechte durch die Zwangsmaßnahme und dementsprechend schafft er unterschiedliche Verfahren bei den Zwangsmaßnahmen. Für die Eingriffe in die IT-Tätigkeit des Einzelnen sind vor allem die Vorschriften § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung), § 100g StPO (Erhebung von Verkehrsdaten), § 100i StPO (Technische Ermittlungsmaßnahmen bei Mobilfunkendgeräten), § 100j StPO (Bestandsdatenauskunft) direkt relevant. Einen Eingriff in die bereits erwähnten Grundrechte stellen 178 Horst Hund, Polizeiliches Effektivitätsdenken contra Rechtsstaat, ZRP 1991, S. 464. 179 Ibidem, S. 466. 180 Ibidem, S. 467. 181 Vgl.: Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno rozpoznawcze i procesowe (na tle prawa polskiego i niemieckiego), PiP, 11 / 2011, S. 71–83.
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aber alle verdeckten Maßnahmen der §§ 100a–j StPO dar. Systematisch befinden sich die Maßnahmen im Abschnitt zur Beschlagnahme, Überwachung des Fernmeldeverkehrs, Rasterfahndung, Einsatz technischer Mittel, Einsatz verdeckter Ermittler und Durchsuchung. Der Gesetzgeber hat damit systematisch einen separaten Abschnitt im Gesetz für diese Art der Maßnahmen vorgesehen, der Gesetzgeber in Polen sieht ähnliche Maßnahmen im Abschnitt zur Beweiserhebung vor. Die strafprozessuale Überwachung der Telekommunikation kann ohne Wissen der Betroffenen durchgeführt werden. In ihrem Rahmen werden die Inhalte der Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden in den Fällen, in denen bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen (1), dass jemand als Täter oder Teilnehmer (2) eine in Katalog des zweiten Absatzes der Vorschrift bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht, oder durch eine Straftat vorbereitet hat (3). Um die Maßnahme aus dem § 100a StPO anzuwenden, muss die Tat auch im Einzelfall schwer wiegen (4) und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos werden (5), damit dem Gebot der Subsidiarität genüge getan wird. Die Absätze 3 und 4 der angesprochenen Vorschrift grenzen die Anwendung der inhaltsbezogenen Überwachung ein, in dem sie nur einen bestimmten Personenkreis betreffen, können in diesem Fall aber auch Dritte, deren Anschluss der Beschuldigte benutzt, und bestimmte Situationen aus der Überwachung ausschließen. Die Überwachung darf also nicht durchgeführt werden, wenn der Kernbereich des Privatlebens angetastet werden könnte. Die schon unrechtmäßigerweise gewonnenen Inhalte sind danach unverzüglich aktenkundig zu löschen, was als Nachlese der Rechtsprechung des BVerfG zu sehen ist. Wenn § 100a StPO als Musterfall der Überwachung der IT-Tätigkeit des Einzelnen genommen werden könnte, dann könnten die anderen Maßnahmen, Erhebung von Verkehrsdaten, andere technische Ermittlungsmaßnahmen bei Mobilfunkendgeräten und Bestandsdatenerhebung, die weicheren Formen des Eingriffs darstellen. Bei dem Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten, die im § 96 TKG erwähnt werden nach § 100g StPO, wird der Katalog der Straftaten, bei dem die Maßnahme eingesetzt werden kann, um die Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, erweitert. Als Prüfungsmaßstab bei der Anordnung der Erhebung erwähnt der Gesetzgeber die Erforderlichkeit und Angemessenheit wörtlich. Das Subsidiaritätsprinzip wird auch herangezogen.182 Dem Zugang zu den im § 113a TKG erwähnten Daten werden höhere Hürden gesetzt. Diese können nur nach der 182 § 100g Abs. 1 S. 2 StPO „[…] wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre“.
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Verfolgung der Straftaten aus dem Katalog des § 100g Abs. 2 StPO erfasst werden. Wiederum wird die Subsidiarität der Maßnahme unterstrichen, danach dürfen die Daten nur erhoben werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. Die Angemessenheit soll dabei geprüft werden. Der deutsche Gesetzgeber behandelt auch den Fall der Funkzellenabfrage separat. § 100g Abs. 4 StPO schützt die Erkenntnisse der in § 53 Abs. 1 S 1 Nr. 1 bis 5 StPO genannten Personen, über die diese das Zeugnis verweigern dürften. Solch eine Erhebung der Verkehrsdaten ist ausdrücklich ausgeschlossen. So erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden und sind unverzüglich aktenkundig zu löschen. Einen separaten Fall der Erhebung sieht § 100i vor. Danach dürfen die Gerätenummer eines Mobilfunkendgerätes, die Kartennummer der darin verwendeten Karte sowie der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist. Der zweite Absatz der Vorschrift schützt die Dritten und lässt in ihrem Fall die Datenerhebung nur zu, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Absatz 1 unvermeidbar ist. Die Erfassung der Bestandsdaten, also Daten, die zur Erfüllung des Vertrages zwischen Telekommunikationsunternehmen und ihren Einzelkunden erforderlich sind, wird ermöglicht, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist. Dies steht zwar unter Richtervorbehalt, kann jedoch bei allen Straftaten verwendet werden. Schon auf der materiellrechtlichen Ebene werden die Daten nach Eingriffsintensität sortiert und danach werden die Schwellen bei der Erhebung gesetzt. Es gilt allgemein die Regel, je weiterreichende Informationen zum Verhalten des Einzelnen die Daten enthalten, desto stärker werden sie geschützt. dd) Verfahren Bei der inhaltsbezogenen Überwachung gilt im deutschen Strafprozess die Regel, dass alle Zwangsmaßnahmen nur vom Gericht angeordnet werden können und nur bei Fällen von Gefahr im Verzug die nachträgliche richterliche Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Verfügung möglich ist. Nach § 100b StPO ist die Anordnung auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen
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Ermittlungsergebnisse fortbestehen. Die Anordnung ergeht schriftlich. Die Anordnung muss, außer der Konkretisierung des Betroffenen und des Anschlusses, Art, Umfang und Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes beinhalten. Die sofortige Beendigung der Maßnahme regelt § 100b Abs. 4 StPO. Danach sind, sobald die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vorliegen, die ergriffenen Maßnahmen unverzüglich zu beenden. Nach Beendigung der Maßnahme ist das anordnende Gericht über deren Ergebnisse zu unterrichten. Es besteht auch die Pflicht der Länder und des Generalbundesanwalts dem Bundesamt für Justiz kalenderjährlich jeweils bis zum 30. Juni des dem Berichtsjahr folgenden Jahres über in ihrem Zuständigkeitsbereich angeordnete Maßnahmen nach § 100a StPO zu berichten. Der Bericht wird im Internet veröffentlicht. Es werden auch einheitliche Regeln bei allen geheimen Maßnahmen der StPO im § 101 formuliert. Zu den wichtigsten Bestimmungen gehört die besondere Kennzeichnung der Daten, die auf diese Art und Weise gewonnen wurden, und die Informationspflicht gegenüber dem Betroffenen. Nach § 101 Abs. 4 StPO ist die Ermittlungsbehörde verpflichtet, die beteiligten Personen über den Einsatz einer geheimen Datenerhebung, darunter auch die TKÜ, zu benachrichtigen. Dazu gibt es zwar Ausnahmen: Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen oder wenn die von der Maßnahme betroffene Person nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Die wichtigste Beschränkung der Benachrichtigungspflicht besteht in § 101 Abs. 5 StPO. Danach erfolgt die Benachrichtigung, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der persönlichen Freiheit einer Person und der bedeutenden Vermögenswerte möglich ist. Ergo: wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, erfolgt keine Benachrichtigung. Sollte die Benachrichtigung innerhalb von zwölf Monaten nicht erfolgen können, so muss das Gericht über die weitere Sperrung der Information entscheiden. Es kann dem endgültigen Absehen von der Benachrichtigung zustimmen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden. Die Betroffenen können vor dem zuständigen Gericht auch nach Beendigung der Maßnahme, und bis zu zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung, die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen.
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c) Präventive polizeiliche Überwachung Wahrscheinlich der kontroverseste Komplex der geheimen Überwachungsmethoden, die u. a. die IT-Tätigkeit des Einzelnen betrifft, stellen die Maßnahmen im Polizeirecht dar. Sie werden auf mehreren Ebenen kritisiert. Dies ist eine Folge der schon erwähnten Diskussion über die Überwachungsmaßnahmen. Sie spiegelt sich auf der Ebene der Probleme mit der Einordnung der Überwachungsmaßnahmen zu den Präventionsmaßnahmen und Repressionsmaßnahmen wider. Die Annahme der Doppelfunktionalität löst nicht das Problem der Maßnahmen, die zum Ausspähen der IT-Tätigkeit des Einzelnen verwendet werden. Es wird bemängelt, dass sie aus dem Gesichtspunkt der Gesetzgebungskompetenzen problematisch seien, weil sich die Länder in ihren Polizeigesetzen mit der Materie der strafrechtlichen Repression befassen, die zu Bundeskompetenzen gehören.183 Der nächste Kritikpunkt setzt am Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten an. Die strategische Überwachung, deren Bindung am Gefahrenabwehrprinzip ist äußerst schwach und gehört nicht zu der Domäne der Polizei, sondern der Geheimdienste. Der entscheidende Unterscheidungspunkt sei hier die Voraussetzung für den Einsatz: Die tatsächlichen Anhaltspunkte, die den Beginn der Tätigkeit der Geheimdienste voraussetzen, sind nicht auf die Gefahrenabwehraufgaben der Polizei anzuwenden.184 Nicht zu übersehen ist auch das Problem der Ergebnisse der polizeilichen Tätigkeit im Vorfeld und ihr Einsatz im Strafprozess angesichts § 161 StPO.185 Bislang haben Bayern, Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen eine entsprechende Regelung zu präventiven Eingriffen in die Telekommunikation erlassen.186 Die präventiven Überwachungsmaßnahmen drangen allmählich in die Polizeigesetze der Länder. aa) Die Präventive Überwachung nach BayPAG Der Begriff der Datenerhebung und -verarbeitung erscheint in allen Polizeigesetzen der Länder, die einzelnen Gesetze unterscheiden sich aber nach den Maßnahmen, zu deren Einsatz die Behörden befugt sind. Der III. Abschnitt des BayPAG betrifft diesen Komplex. Die Datenerhebung wird auch 183 Horst Hund, Polizeiliches Effektivitätsdenken contra Rechtsstaat, ZRP 1991, S. 466, Edda Weßlau, Vorfeldermittlungen, Berlin 1989, S. 131–142. 184 Bernadette Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, Stuttgart 2007, S. 305. 185 Dazu etwa: Lena Engelhardt, Verwendung präventivpolizeiliche erhobener Daten im Strafprozess, Münster 2011. 186 LKA will früher lauschen, Süddeutsche Zeitung vom 22.02.2016.
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im nicht wirksamen MEPolG erwähnt. Die Polizeibehörden können personenbezogene Daten erheben, soweit dies durch das jeweilige Polizeigesetz oder durch besondere Rechtsvorschriften zugelassen ist. Die Mittel der Erhebung, die für die weiteren Erörterungen einschlägig sind, werden in der deutschen Polizeirechtsdogmatik als besondere Mittel der Datenerhebung genannt. Sie gehören zu den geheimen Methoden, unter denen auch der Einsatz von V-Leuten oder heimliche Video-Überwachung zu verstehen ist. Ähnlich wie in den Bestimmungen der StPO wird ein differenziertes System der Unterscheidung nach Eingriffsintensität geschaffen, wo verschiedene Faktoren wie Zweck der Mittel, Dauer, Zeitpunkt des Einsatzes und sein Ort unterschieden werden. Stellvertretend werden in dieser Arbeit die Regelungen der BayPAG untersucht. Sie gilt als eine der eingriffsintensivsten in Deutschland, was die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde bestätigen könnte. Gleichwohl entschied das BVerfG im Beschluss vom 15. Juli 2016, dass die Beschwerde zur Entscheidung nicht angenommen wird.187 Dennoch stellt das bayerische Gesetz ein gutes Vergleichsmaterial zum polnischen PolizeiG dar, weil es ähn liche Methoden vorsieht, doch andere Grundrechtshürden überwinden muss. Die Polizei kann personenbezogene Daten erheben, wenn dies erforderlich ist zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (Art. 2 Abs. 1 BayPAG), zum Schutz privater Rechte (Art. 2 Abs. 2 BayPAG), zur Vollzugshilfe (Art. 2 Abs. 3 BayPAG) oder zur Erfüllung ihr durch andere Rechtsvorschriften übertragener Aufgaben (Art. 2 Abs. 4 BayPAG). Sie kann ferner über die gefahrenverantwortlichen Daten wie: Namen, Vornamen, akademische Grade, Anschriften, Telefonnummern und andere Informationen über die Erreichbarkeit, sowie nähere Angaben über die Zugehörigkeit zu einer der genannten Personengruppen erheben, soweit dies zur Vorbereitung für die Hilfeleistung in Gefahrenfällen erforderlich ist. (Art. 31 Abs. 2 BayPAG). Bei den Erhebungen gilt das Gebot der Unmittelbarkeit der Datenerhebung (Art. 30 Abs. 2 BayPAG). Sie soll auch erkennbar und offen sein (Art. 30 Abs. 3 BayPAG). Bei den besonderen Mitteln der Datenerhebung werden wiederum die Schranken höher gesetzt und differenzierter betrachtet. Die höchsten Hürden bei der Datenerhebung werden der Datenerhebung in den Wohnungen auf erlegt. Diese Methoden können auch die Erhebungen aus den vernetzten ITSystemen umfassen, solange das Gerät sich in der Wohnung befindet.
187 BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 2016, 1 BvR 2544 / 08, http: / / www.bverfg.de / e / rk20160615_1bvr254408.html (Zugang: 04.02.2017).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Die nächste Gruppe der personenbezogenen Daten und Informationen, die durch die Sicherheitsdienste in Deutschland erhoben werden können, stellen die inhaltsbezogenen Daten aus der Telekommunikation dar, unbeachtet auf welchem elektronischen Weg diese übersendet werden. Nach Art. 34a BayPAG kann die Polizei durch die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation personenbezogene Daten über die Gefahrenverantwortlichen erheben, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen, soweit eine gemeine Gefahr besteht, erforderlich ist. Die Erhebung kann auch gegen Personen vorgenommen werden, bei denen bestimmte Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass sie für Gefahrenverantwortlichen herrührende Mitteilungen entgegennehmen. Ausgenommen werden die Personen, die das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach §§ 53, 53a StPO haben. Die Telekommunikationsüberwachung kann auch bei Personen eingesetzt werden, die ihre Kommunikationseinrichtungen für die Gefahrenverantwort lichen für wichtige oben genannte Rechtsgüter zur Verfügung stellen. Die Überwachung kann nur eingesetzt werden, wenn die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, damit das Subsidiaritätsgebot eingehalten wird. Auch das spezifisch deutsche Erfordernis der Wahrung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird erwähnt. Die Behörde darf zur Vorbereitung der Überwachung spezifische Kennungen, insbesondere die Geräte- und Kartennummer von Mobilfunkendgeräten, sowie den Standort eines Mobilfunkendgerätes ermitteln. Wenn es unvermeidbar ist, können die personenbezogenen Daten Dritter erhoben werden, nach der Beendigung der Maßnahme sind sie aber zu löschen. Bei Gefahr für Leben oder Gesundheit einer Person kann die Polizei mithilfe der Überwachung inhaltsbezogene Daten dieser Person sowie Standortsdaten ermitteln. Nach Art. 34b BayPAG haben die Telekommunikationsdienstleistungsanbieter eine Mitwirkungspflicht, wenn die Erhebung angeordnet wird. Außer der im Art. 34a Abs. 1 BayPAG erwähnten inhaltsbezogenen Daten darf die bayerische Polizei Zugang zu den Verkehrsdaten und die Standortdaten der im Art. 34a Abs. 1 und 3 erwähnten Personen bekommen. Zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kann die Polizei Dienste anbieter verpflichten, Auskunft über die nach §§ 95 und 111 TKG erhobenen Bestandsdaten zu erteilen (Bestandsdaten). Dabei sieht man die niedrigere Schwelle bei dem Zugang zu den Bestandsdaten im Vergleich zu den Verkehrs- und Standortdaten. Nach Art. 34b Abs. 3 BayPAG bekommt die Polizei auch Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten nach 113a TKG.
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland79
Eine Erwähnung verlangt auch Art. 34b Abs. 7 BayPAG, danach werden die Dienstleistungsanbieter für die Auskunftserteilung im Gegensatz zu den polnischen Vorschriften entsprechend vergütet. bb) Das Verfahren beim Einsatz der Überwachung nach BayPAG Nach Art. 34c BayPAG darf sowohl die inhaltsbezogene als auch die nicht inhaltsbezogene TKÜ nur durch den Richter angeordnet werden, bei Gefahr im Verzug auch durch den Leiter eines Präsidiums der Landespolizei oder des Landeskriminalamts. Die Anordnungsbefugnis kann auf Polizeivollzugsbeamte mit besonderen Voraussetzungen (Befähigung zum Richteramt, Ausbildung zur IV Qualifikationsebene) übermittelt werden, in diesem Fall ist unverzüglich eine Bestätigung der Maßnahme durch einen Richter einzuholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die beantragende Polizeidienststelle ihren Sitz hat. Bei den Bestandsdaten besteht kein Richtervorbehalt, wenn der Betroffene vom Auskunftsverlangen bereits Kenntnis hat oder haben muss oder wenn die Nutzung der Daten bereits durch eine gerichtliche Entscheidung gestattet wird; das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist aktenkundig zu machen. Art. 34c Abs. 2 BayPAG enthält eine Erleichterung des Zugangs zu den Bestandsdaten unter der Voraussetzung, dass dies nur zur Bestimmung des Aufenthaltsorts der Person dient. Die Anordnungen sind schriftlich zu erlassen und zu begründen und müssen Art, Umfang und Dauer der Maßnahme beinhalten. Der bayerische Gesetzgeber unterscheidet nach dem Zweck der Erhebung. Im Falle einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person genügt eine räumlich und zeitlich hinreichende Bezeichnung der Telekommunikation, in anderen Fällen müssen der Name und die Anschrift des Betroffenen angegeben werden. Es wird auch differenziert nach der Dauer des Einsatzes. Die Verhinderung der Verbindung darf höchstens drei Wochen dauern, in allen anderen Fällen höchstens einen Monat mit einer richterlichen Verlängerungsmöglichkeit auf die gleiche Zeitdauer. Art. 34 Abs. 4 BayPAG sieht die Möglichkeit der Verwendung der inhaltsbezogenen sowie den nicht inhaltsbezogenen Daten zu den Zwecken, zu denen sie erhoben wurden (Gefahrenabwehr Art. 34a Abs. 1 und 34b Abs. 1 BayPAG), sowie zu Zwecken der Strafverfolgung, wenn sie zur Verfolgung von Straftaten im Sinn des § 100a Abs. 2 StPO benötigt werden, dafür ist eine Zweckänderung festzustellen und zu dokumentieren. Damit schafft der bayerische Gesetzgeber ein Tor zum Durchdringen der Ergebnisse der operativen Tätigkeit der Polizei zum Strafprozess, was durch die StPO nicht unumstritten bestätigt wird.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Der bayerische Gesetzgeber verbietet die Verwendung der Daten, die ohne Voraussetzungen erhoben wurden, Zeugnisverweigerungsrechte antasten und Kernbereiche privater Lebensgestaltung betreffen. Eine Ausnahme stellt eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person dar. Hier ist die richterliche Anordnung nachzuholen, anderenfalls sind sie zu löschen. Nach Art. 34c Abs. 5 BayPAG sind die Personen, gegen die die Maßnahme gerichtet war, sowie diejenigen, deren personenbezogene Daten im Rahmen einer solchen Maßnahme erhoben wurden, zu benachrichtigen. Die Unterrichtung erfolgt, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, der eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten oder bestimmten Rechtsgüter geschehen kann. Generell ist also die Benachrichtigungspflicht nach der Beendigung der Maßnahme in Deutschland gewährleistet, selbst wenn die Voraussetzungen einige Entscheidungsspielräume lassen und die Praxis bei der Benachrichtigung äußerst zurückhaltend ist.188 cc) Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme Art. 34d BayPAG ist verfassungsrechtlich umstritten und seine Zukunft ist in Bayern nicht sicher. Angesichts des Urteils des Verfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung und der neuen Maßstabsetzung kann es verständlich sein. Trotz des unsicheren Schicksals der Vorschrift ist es angebracht, sie in dieser Arbeit als ein Pendant zu den polnischen Regelungen näher zu bringen. Die Online-Durchsuchung in Bayern besteht auf dem verdeckten Zugriff mit technischen Mitteln auf informationstechnische Systeme, um Zugangsdaten und gespeicherte Daten zu erheben. Bekanntlich kann die Durchsuchung etwa durch sog. Trojaner-Programme oder Key-Logger durchgeführt werden. Das IT-System kann auch nach § 34d Abs. 1 S. 3 BayPAG manipuliert werden, indem die Daten gelöscht werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben nicht anders abzuwehren sei. Ähnlich wie bei der Telekommunikationsüberwachung darf die bayrische Polizei bei gefahrenverantwortlichen Personen, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Rechtsgüter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist, auf die IT-Systeme zugreifen. Die zweite Gruppe der Personen, bei denen die Online-Durchsuchung durchgeführt werden kann, sind Personen, von diesen die Individuen aus der ersten Gruppe herrührende Mitteilungen entgegenneh188 Frank Braun, Polizeiliche Überwachung der Internetkommunikation, http: / / vi deo.uni-passau.de / 2015 / 05 / for-net-2015-polizeiliche-ueberwachung-der-internet kommunikation-dr-frank-braun / (Zugang: 4.7.2016).
III. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Deutschland81
men oder entgegengenommen haben, mit dem Ausschluss der Personen, denen das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach §§ 53, 53a StPO zusteht. Die Maßnahme kann jedoch auch gegen Personen angewendet werden, die dem Berufsgeheimnis unterstehen oder in einem geschützten Vertrauensverhältnis stehen, soweit die Maßnahme sich gegen sie selbst richtet. Die dritte Gruppe sind Personen, die den Gefahrenverantwortlichen ihre informationstechnischen Systeme zur Verfügung stellen. Der Einsatz muss unter der Beachtung des Subsidiaritätsgebotes verlaufen. Der Kernbereichsschutz wird folgendermaßen gewährleistet: Die Maßnahme ist unzulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten dem Zweck der Herbeiführung eines Erhebungsverbots dienen sollen. Die Daten, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen, sind generell unverzüglich aktenkundig zu löschen oder im Falle einer Herbeiführung des Erhebungsverbots dem Richter zur Entscheidung über ihre Verwendung vorzulegen. Solange das Gericht es nicht entscheidet, bleiben die Daten gesperrt. Angesichts des Verbotes der Datenerhebung aus dem Kernbereich des Privatlebens in Deutschland ist diese Bestimmung fraglich. Das Gericht bestimmt zwar die Verwendung der Daten, doch die Polizei trifft die Entscheidung zur Vorlage der Daten an das Gericht. Dadurch zwangsläufig gewonnene und „belauschte“ Informationen können aber nicht aus der Erinnerung der Polizeibeamten verschwinden. Die Online-Durchsuchung wird nach Art. 34d Abs. 3 BayPAG vom Gericht angeordnet unter der Berücksichtigung der Vorschriften, die sonst bei der Durchsuchung der Wohnung einschlägig sind. Die Maßnahme kann höchstens drei Monate dauern, eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als einen Monat ist möglich, soweit die Voraussetzungen fortbestehen. Die so gewonnenen Daten sind entsprechend zu kennzeichnen. Daten, die gewonnen wurden trotz mangelnder Voraussetzungen oder die Inhalte betreffen, über die das Zeugnis nach §§ 53 und 53a StPO verweigert werden könnte und einem Vertrauensverhältnis mit anderen Berufsgeheimnisträgern zuzuordnen sind oder den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen, sind unverzüglich zu löschen. Wie bei den Telekommunikationsdaten ist die Bestimmung zur Zweckänderung der Daten fraglich. Sie wird aber anders formuliert. Generell dürfen die Daten nur zum angeordneten Zweck verwendet werden, doch wenn ihre Verwendung zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist, kann das Gericht nachträglich ihre Verwendung genehmigen, selbst wenn sie sonst zu löschen wären (Art. 34d Abs. 5 S. 4 BayPAG). Art. 34d Abs. 7 BayPAG regelt dagegen die Bestimmungen zur Benachrichtigung der Betroffenen durch die Maßnahme. Unterrichtet von der Maßnahme wird vor allem die Person, bei der die Online-Durchsuchung angeord-
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
net wurde, und Personen, deren personenbezogene Daten im Rahmen einer solchen Maßnahme erhoben oder gelöscht und zu den Zwecken des Abs. 5 Satz 2 verwendet wurden. Dies erfolgt aber erst, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, der eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten im Abs. 1 Satz 1 genannten Rechtsgüter geschehen kann, mit möglicher Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Die bayerische Staatsregierung hat jährlich den Landtag über die Anordnung der Maßnahmen zu unterrichten nach Maßgaben der Art. 34d Abs. 8 BayPAG. d) Die Einschätzung der Regelungen im deutschen Recht Wie von Dobrosława Szumiło-Kulczycka in ihrer rechtsvergleichenden Arbeit zusammengefasst wird, beruht das deutsche Modell der Überwachung auf zwei Säulen. Die erste sei die rechtstheoretische und dogmatische Auf arbeitung der strengen Aufteilung der Aufgabennormen und Befugnisnormen, die auch von der Rechtsprechung beeinflusst und übernommen wird. Die Unterschiede zwischen denen, die auf der Handlungsebene verlaufen, entsprechen dem Prinzip, dass die staatlichen Eingriffsmaßnahmen lediglich auf Grund der klar formulierten Befugnisnormen vorgenommen werden können und nicht von den Aufgaben der jeweiligen Stelle interpretiert werden. Die zweite Säule sei die strenge, wobei auch mittlerweile aufgeweichte Trennung der Staatsaufgaben der Prävention und der strafrechtlichen Verfolgung. Die Abgrenzung ist redundant, sie verläuft auf der Regelungszuständigkeitsebene und auf der Behördenebene. Damit verläuft die Strafverfolgung nach dem Bundesrecht und die vorbeugenden Maßnahmen werden nach dem Landesrecht ausgeführt. Damit ist die Überlegung der Zielsetzung der Datenerhebung verbunden. Jede Erhebung wird als ein Grundrechtsangriff qualifiziert, sie ist auch zweckgebunden. Jede Zweckänderung verlangt eine neue Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Deswegen können die geheim gewonnenen Materialien nicht beliebig zwischen präventiven Gefahrenabwehrzwecken und Beweiszwecken im Strafprozess migrieren. Das deutsche Modell versucht in sich die materiell rechtlichen mit den prozessualen Garantien zu verbinden mit einem insgesamt durchaus positiven Ergebnis. Zugrunde liegt die Idee, dass die Grundrechte nur dann bewahrt werden können, wenn ihre Gehalte zur Geltung gebracht werden können. Die materiell rechtlichen Garantien des Telekommunikationsgeheimnisses, die Unverletzlichkeit der Wohnung oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts können nur dann verwirklicht werden, wenn das Verfahren dazu geschaffen wird, und zwar ein Verfahren, das effektiv fungieren kann. Das sieht man bei der Einführung der Kontrollprinzipien der geheimen Gewin-
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen83
nung der Daten aus der IT-Tätigkeit des Einzelnen und bei den Informationspflichten. Darüber hinaus spielt der breite Zugang zur Verfassungsbeschwerde auch eine Rolle, die in weiteren Teilen dieser Arbeit erörtert wird. Obwohl die Prävention und Repression etwa durch polizeiliches „Effektivitätsdenken“ während der Vorfeldermittlungen etwas unterlaufen werden, ist die Rüstung immer noch erkennbar und funktionsfähig. Die ständige Rechtsprechung des BVerfG und die aktive und ausgebaute grundrechtsorientierte Jurisprudenz befestigen das Modell. Dadurch ist es auch nicht so populismusanfällig. Freilich kann man in den deutschen Gesetzen auch gewisse Spuren von Aktionismus erkennen. Doch dank der oben vorgestellten Mechanismen ist es dagegen immuner als das polnische System. Vollständigkeitshalber muss noch angemerkt werden, dass die oben dargestellten bayerischen Vorschriften mit großer Wahrscheinlichkeit novelliert werden. Zum einen könnte es das neuste, bereits erwähnte Urteil des BVerfG zum BKAG erzwingen, zum anderen möchte der Gesetzgeber in München das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen verabschieden189. Dies ändert jedoch an dem Untersuchungsmaterial dieser Arbeit eher wenig, denn dadurch werden die wichtigsten Prinzipien und Grundlagen des deutschen Überwachungsrechts nicht angetastet und diese sind vor allem Gegenstand dieser Vergleichung.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen Nachdem das deutsche Modell näher gebracht wurde, wird das polnische Beispiel der Regelung der IT-basierten Datenerfassung vorgestellt. Dobrosława Szumiło-Kulczycka bekräftigt, dass der Vergleich des Verfahrens bei geheimen Methoden der Datenerfassung für die polnische Jurisprudenz aus einigen Gründen wertvoll sei. Zum einen kann die reiche deutsche Literatur Inspiration für die sich dynamisch entwickelnde polnische Lehre und Rechtsprechung sein, zum anderen kann das Beispiel Deutschlands aus historischen und dogmatischen Gründen fruchtbar sein. Sowohl Deutschland als auch Polen haben Erfahrungen mit Diktaturen gemacht, die beiden Ländern wurden bzw. haben sich von ihnen befreit. Deutschland führte die Überwachungsregelungen nach den Terrorismusfakten in den 1960ern und 70ern ein. Polen tat dies dagegen nach der wachsenden Kriminalitätswelle in den 1990er Jahren und nach den empörenden Fällen der Korruption. Dogmatisch haben die beiden 189 Inzwischen, während der Korrekturen dieser Arbeit wurde Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen am 24. Juli 2017 verabschiedet https: / / www.verkuendung-bayern.de / gvbl / jahrgang:2017 / heftnummer:13 / seite:388 (Zugang: 30.07.2017).
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Länder auch ähnliche Strukturen des Strafprozesses.190 Die erwähnte Autorin unterstrich nur die Vorteile aus dem Vergleich für die polnische Seite, die Absicht dieser Arbeit ist es aber, dem deutschen Leser einen Überblick über die polnischen Regelungen zu verschaffen, was angesichts der neusten Kontroversen um die Polizeigesetzesnovelle vom Januar 2016 einen Einblick in die Komplexität des Systems der polizeilichen Überwachung in Polen gibt und einen Blick auf die Genese der Regelungen ermöglicht.191 Das Kriterium der Unterscheidung der Überwachungsmaßnahmen nach ihrem präventiven oder repressiven Zweck ist freilich auch der polnischen Literatur bekannt, besitzt aber keine Grundrechtsrelevanz, sondern dient nur der systematischen Gliederung der Methoden. Nach den polnischen Polizeiund Geheimdienstgesetzen dürfen die Behörden die gleichen Maßnahmen im Rahmen von Polizei- und Sicherheitsrecht und Strafprozessrecht sowohl zu präventiven als auch repressiven Zwecken verwenden. Die Systematik des Gesetzes regelt zunächst die Aufgaben der Polizei. Schon die Formulierung des Art. 1 Abs. 2 Pkt. 1, 2 und 3 des PolizeiG, in der die Aufgabenzuweisung der Polizei erfolgt, schreibt der Polizei sowohl die Aufgaben im Rahmen der Gefahrenabwehr als auch der Straftatenverfolgung vor. Die Vorschrift drückt aber vor allem eine Schutzaufgabe der Polizei aus, die sowohl als präventiver Schutz als auch als repressive Verfolgung verstanden wird.192 „Die Polizei schützt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, was die Stabilität des Staatswesens und die Existenz der Bürger sichert. Dazu zählt auch die Aufgabe der ‚Raumschaffung‘ für die Ausübung der Bürgerrechte.“193 Diese Schützer(selbst)wahrnehmung der Polizei ist für Polen charakteristisch. Die von der Literatur erwähnte Hauptaufgabe der Polizei ist also nicht nur weitgefasst, sondern sieht auch diffuse paternalistische Fürsorgepflichten vor, die behaupten lassen, dass ohne Polizei die Ausübung der Bürgerrechte und Freiheiten gar nicht möglich wäre. Es ist eine Einstellung, die in einer freiheitlichen Gesellschaft eigentlich fremd sein sollte, auch wenn sie durch das Verfassungsprinzip der Subsidiarität geschwächt wird.194 Dennoch determi190 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 20–21. 191 Die Polizeirechtnovelle der seit November 2015 amtierenden Regierung wurde nicht nur seitens der Opposition kritisiert. Der Bürgerrechtbeauftragte und einige Organisationen des zivilen Gesellschaft protestierten gegen das Gesetz. Am 13. Juni 2016 erließ die sog. Venedig-Kommission ein Gutachten über die Novelle. Opinion on the Act of 15 January 2016 amending the Police Act and certain other acts. http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / ?pdf=CDL-AD(2016)012-e. 192 Karol Sławik, Zarys systemu prawa policyjnego, Warszawa 2011, S. 17–18. 193 Bartłomiej Opaliński / Przemysław Szustakiewicz, Policja studium administracyjnoprawne, Warszawa 2013, S. 26. 194 Präambel der polnischen Verfassung.
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niert dieses Paradigma die (Selbst)Reflexion über die Aufgabe der Polizei in der Gesellschaft, die stark mit der Staatsaufgabe der Wahrung der Souveränität und Gewährleistung der Sicherheit aus Art. 5 PolVerf in Verbindung steht. Bei den Kompetenznormen in Art. 19 und 20c PolizeiG findet man Ausdrücke, die eindeutig die gleichen Methoden der polizeilichen Arbeit sowohl zu den Vorbeugezwecken als auch zur Verfolgung der Delikte durch ihre Aufdeckung, Tätersuche und Beweissicherung dienen. Wie es sich auf den Grundrechtsschutz auswirkt, wird nachfolgend dargelegt. In der polnischen Rechtsdogmatik gehört das Polizeirecht teilweise zum Verwaltungsrecht. Als Rechtszweig wird es vor allem durch Strafprozess und Kriminalistik entwickelt. Diese Betrachtungsweise ändert den Gesichtspunkt dieser Disziplin und resultiert aus den historischen Begebenheiten. Vorweg soll bemerkt werden, dass nach dem polnischen Recht kein Trennungsprinzip der Geheim- und Polizeidienste existiert. Deswegen unterliegt die Überwachungstätigkeit der Nachrichtendienste den gleichen Verfahrensmustern wie im Fall der Polizei zumindest in Bezug auf die polnischen Staatsbürger. 1. Polizeiliche Tätigkeit in Polen Im polnischen Strafprozessrechtsdiskurs wurden andere Aspekte des Zwecks der polizeilichen Maßnahmen ergriffen und erörtert. Nach der Zwecksetzung der Polizei in Art. 2 Abs. 1 PolizeiG kommt der Art. 14 Abs. 1 des PolizeiG, der drei Gruppen von polizeilichen Aufgaben unterscheidet, die sich angesichts der Systematikunterschiede in Polen und in Deutschland nur schwer übersetzen lassen. Die erste Gruppe der polizeilichen Tätigkeit betrifft die Verwaltungs- und Ordnungsaufgaben (poln.: Czynności administracyjno-porządkowe). Als Beispiele wären hier die Absicherungen von Massenveranstaltungen und das Ausstellen von verschiedenen Bescheinigungen etwa im Bereich Waffenrecht zu nennen.195 Auf diesem Gebiet wirkt die Polizei nach den Vorschriften des Verwaltungsrechts. Es lassen sich auch Parallelen mit den Aufgaben der Ordnungsbehörden in Deutschland ziehen, wobei sie in der Bundesrepublik viel weiter reichen und in Polen teilweise durch Feuerwehr oder besondere Hilfspolizei (Straż Gminna) ausgeübt wird. Die zweite Gruppe umfasst die Ermittlungsaufgaben, (poln.: Czynności dochodzeniowo-śledcze). Diese Gruppe umfasst die Aufgaben, die unter der 195 Ryszard
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Szałowski, Prawnoadministracyjne kompetencje Policji, Łódź 2010,
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Aufsicht der Staatsanwaltschaft und des Strafgerichts von der Polizei im Rahmen der Ermittlung der Straftat, etwa Spurensicherung und Täterfahndung, vorgenommen werden. Hier wirkt die Polizei auf dem Gebiet und auf der Grundlage des Strafprozessrechts.196 Die dritte und umstrittenste Aufgabengruppe sind die Operations- und Erkennungstätigkeiten (poln.: Czynności operacyjno-rozpoznawcze), die zum Gegenstand der folgenden Ausführungen werden. Die Unterscheidung nach den drei Gruppen hat vor allem strafprozessuale Relevanz. Das Kriterium dieser Aufteilung ist nicht der Zweck der Maßnahme (präventiv oder repressiv) sondern die Möglichkeit der Verwertung der Ergebnisse im Strafprozess. Die erste Gruppe hat fast keine Bedeutung im Strafprozess, sie besteht schließlich aus den Verwaltungsaufgaben, die höchstens geringe Fahndungsrelevanz haben, dagegen sollen die Resultate der Tätigkeit in der zweiten Gruppe prozessreife Beweise liefern.197 Die dritte Gruppe wiederum entstand als Gesamtbegriff für die früher geheimen polizeilichen Aufgaben im Vorfeld. Sie galt, bis die Strafrechtsnovelle aus dem Jahr 2002 als unzulässig bei der Beweiserhebung vor dem Strafgericht.198 In Art. 14 Abs. 1 PolizeiG sind zwar die Ansätze für die in Deutschland bekannte Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen zu erkennen, doch ihre Bedeutung ist völlig anders. Die Abgrenzung der Maßnahmen hat in dem polnischen Strafprozessrecht lediglich eine Bedeutung bei der Beweiserhebung und ist nicht kompetenziell verankert. Sich auf die deutsche Systematik stützend, ist festzustellen, dass der Begriff Operations- und Erkennungstätigkeit sowohl die präventiven als auch die repressiven Aufgaben umfasst. Der Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 PolizeiG sieht den Einsatz von den geheimen Methoden sowohl für die Vorbeugung der Straftaten als auch für die Aufklärung der Begebenheiten, Täterfahndung und Festigung der Beweise vor. a) Herkunft der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei Zum ersten Mal wurde die Operationstätigkeit von Leon Schaff in den 1960er Jahren dogmatisch erarbeitet. Er charakterisierte sie als geheime polizeiliche Maßnahmen, die dem Informationssammeln dienen sollen, und sowohl im Fall der Strafverfahrenseinleitung als auch während des Prozesses oder sogar nach seinem Ende (bei der Einstellung des Verfahrens wegen 196 Krzysztof Nitkowski, Rola policji w polskim postępowaniu karnym, Poznań 2011, S. 75. 197 Ibidem, S. 289–298. 198 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 105.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen87
Unmöglichkeit der Aufklärung des Täters) ergriffen werden können.199 Er schrieb ihnen eine wichtige Funktion in der Straftatenaufklärung und Vorbeugung zu, sah allerdings keine Möglichkeit, so „informell“ gewonnene Informationen im Strafprozess unmittelbar zu verwerten. Die Maßnahmen waren damals auch in keinem (nach der heutigen Terminologie) allgemeinverbindlichen Rechtsakt aufgezählt worden und waren nur in den Richtlinien und Instruktionen des Innenministeriums und der Hauptkommandantur der Bürgermiliz200 wiederzufinden.201 Bei dem damaligen Stand der Technik ging es z. B. um Korrespondenzkontrolle, Personenüberwachung oder Belauschen der Telefonate. Doch der Katalog war, angesichts seiner mangelnden Schließung, damit nicht erschöpft. Schaff sah die Operationstätigkeit der Strafverfolgungsorgane als reine Hilfstätigkeit der Miliz, denen sie die Hinweise geben sollte, um die formelle Strafverfolgung aufzunehmen und dann auf eine formelle Art und Weise die Beweise zu sichern, d. h. nach den Angaben des Strafprozessrechts. Interessanterweise erfolgte die erste Teilregelung mit Gesetzeskraft der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei in der Ausnahmegesetzgebung nach der Aufhebung des Kriegsrechts 1982. Damals ging es um das Belauschen der Telefonate, die nur nach staatsanwaltlicher Anordnung durchgeführt werden durften.202 Interessanterweise waren die Methoden der Operations- und Erkennungstätigkeiten in der VRP hauptsächlich Gegenstand der Kriminalistik und nur begrenzt der Strafrechtswissenschaft.203 Es war ein Ausdruck der Einstellung, dass die Methoden lediglich inoffiziell verwendet werden können. Kriminalistik als eine mit der Rechtswissenschaft verwandte Disziplin wurde als eine Ergänzung der Strafrechtswissenschaft gesehen; eine ihrer Methoden war die Aufklärung und Hinweissuche der Straftaten. Die Operations- und Erkennungstätigkeit war also nicht primär das Mittel der Fahndung, sondern des Schutzes der sozialistischen Gesellschaft vor kriminellen Bestrebungen, die durch Überwachung und andere geeignete Methoden im Keim erstickt wer199 Leon Schaff, Zakres i formy postępowania przygotowawczego, Warszawa 1961, S. 76; Maksymilian Lityński, Czynności operacyjne w procesie karnym, PiP 6 / 1961. 200 Komenda Główna Milicji Obywatelskiej (KGMO). 201 Etwa: Instrukcja tymczasowa Ministra Bezpieczeństwa Publicznego z 13 lutego 1945 o pozyskiwaniu, pracy i ewidencji agenturalno-informacyjnej. Instrukcja o współpracownikach konfidencjonalnych i prowadzeniu rozpracowań poufnych, Warszawa 1959, KG MO 35 / 1774, Instrukcja o pracy operacyjnej Milicji Obywatelskiej, Zarządzenie Ministra spraw wewnętrznych z 5 czerwca 1974. 202 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 99. 203 Andrzej Żebrowski, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Kraków 2000, S. 10; Włodzimierz Gutekunst, Kryminalistyka zarys systematycznego wykładu, Warszawa 1974, S. 43.
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den sollten. Die Literatur sah sie als Ausdruck der Fürsorge des Staates. Dabei blieb der Grundrechtsschutz völlig ausgeblendet im Gegensatz zu der praxeologischen Perspektive, schließlich unterlagen nach der sozialistischen Grundrechtslehre alle Bestrebungen, die sich gegen die Gesellschaftsordnung richteten, nicht dem Schutz der Grundrechte. Sie wurden aber nicht als ein rechtloses Gebiet angesehen, obwohl die Kompetenz zu ihrer Anwendung direkt von den Zielsetzungsnormen der Miliz abgeleitet wurde, die 1990 in fast unveränderter Form ins Polizeigesetz übernommen wurden. b) Strukturänderung in den Sicherheitsdiensten Trotz der demokratischen Umwälzungen brachten die frühen 1990er Jahre eigentlich keine anderen Ansichten in dieser Materie, sie haben sogar die alte Praxis in den neuen Rechtsstaat „geschmuggelt,“ indem auf die Effizienz der polizeilichen Arbeit Wert gelegt wurde. Mit dem Gesetz vom 6. April 1990 wurde zwar die Bürgermiliz (Milicja Obywatelska) und der Sicherheitsdienst (Służba Bezpieczeństwa)204 abgeschafft und die Polizei (Policja) und das Amt für Staatsschutz (Urząd Ochrony Państwa) ins Leben gerufen, aber der Aufgaben- und der Maßnahmenkatalog hinsichtlich der Erkennungs- und Operationstätigkeit ist eigentlich unangetastet geblieben. Die beiden Behörden wurden in das Verwaltungssystem eingegliedert.205 Aus der Perspektive des Strafrechts hat sich also fast nichts geändert. Aus verfassungsrechtlichem Gesichtspunkt begannen die stockenden Versuche, diesen Bereich nach grundrechtlichen Prinzipien zu regeln. Der Abkehr von der kollektivistischen Betrachtungsweise der Rechte der Menschen und Bürger, die vorher unter staatlicher Lizenz standen und reglementiert wurden, zu einer individualistischen Doktrin führte auch zu Auslegungsänderungen der Vorschriften zur Polizeitätigkeit. Diese Änderung war vor allem auf der verfassungsrechtlichen Ebene, auf dem Gebiet des einfachen (Polizei)rechts ging das Umdenken jedoch mühsamer. Für die Gesellschaft, die von einem sozialistischen Grundrechtsverständnis geprägt wurde und die Grundrechte eher als Ansprüche gegenüber dem Staat gesehen hat und nicht als Abwehrrechte, war das im Vergleich zu den ökonomischen Umwälzungen ein nebensächliches Problem. Die axiologische Wende war kein einmaliges Geschehen, sondern ein Prozess, der immer noch dauert, 204 Nicht wissenschaftlich, aber äußerst plastisch zeigt diese Übergangsphase des Jahres 1990 der Film „Psy“ deutsch: „Die Hunde“ (1992) des polnischen Regisseurs Władysław Pasikowski. 205 Stanisław Pieprzny, Policja organizacja i funkcjonowanie, Warszawa 2011, S. 47; Bartłomiej Opaliński / Przemysław Szustakiewicz, Policja studium administracyjnoprawne, Warszawa 2013, S. 63.
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dessen Auswertung aber ein Gegenstand der späteren Teile dieser Arbeit wird. c) Der Weg vom Kollektivismus zum Individualismus Die Einführung der Rechtsstaats- und Grundrechtsprinzipien erfolgte erstmals durch eine allmähliche Außerkraftsetzung großer Teile der Verfassung vom Jahr 1952 im Laufe der Jahre 1989 und 1990, durch die Verabschiedung des Gesetzes über das Verfahren zur Vorbereitung und Verabschiedung der Verfassung der Republik Polen206 und des Gesetzes über die gegenseitigen Verhältnisse zwischen der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt in der Republik Polen sowie über die lokale Selbstverwaltung,207 beide aus dem Jahre 1992. Für den Grundrechtsschutz spielte der Beitritt zur EMRK 1992 mit der Ratifizierung 1993208 eine bemerkenswerte Rolle. Damit bekam die Republik Polen einen individualistischen, klagbaren Grundrechtskatalog. Mit diesem Schritt gewann die Verfassungsrechtspraxis in Polen einen Anschluss zum westeuropäischen Rechtskulturkreis, wenn es um Grundrechtsschutz geht und an sich neue Auslegungsimpulse der Verfassung. Die Konzeption der Abwehrrechte wurde entwickelt, materiellrechtlich verankert und deren Umsetzung ins einfache Recht verstärkt in Angriff genommen. Die Polizeirechtslehre blieb aber weitgehend von der Werteumorientierung im Verfassungsrecht unbeeindruckt, obwohl das Polizeirecht von der marxistischen Ideologie befreit wurde. Seit 1990 hat die Polizei Menschenwürde und Menschenrechte zu beachten (Art. 14 Abs. 3 PolizeiG). Eine diffuse Grundrechtsgarantie wurde damit ins Gesetz inkorporiert, es fehlten jedoch die Ansätze zu ihrer praktischen Umsetzung. Die Kriminalistiklehre blieb hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Interesses ungerührt und verfolgte weiter die praxisorientierte Linie und vermied jedwede Grundrechtsanknüpfungspunkte, betrachtete sie aus einer Distanz oder fühlte sich unzuständig.209 Hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Relevanz stieg aber der Kurs der Kriminalistik angesichts der steigenden Kriminalität anfangs der 1990er Jahre. Anders als die Strafprozessrechtslehre, die durch die Verfassungsgarantien der Grundrechte einen neuen Denkanstoß bekommen hat. Allmählich bekamen die Polizei und andere Dienste die gleichen Befugnisse im Rahmen des Polizeirechts, die in der Strafprozessordnung wiederzufinden waren, doch ohne eine solche gesetzliche Hürde.
206 Dz.U.
1992, Nr. 67 Pos 336. 1992, Nr. 84, Pos. 426. 208 Lech Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, Warszawa 2005, S. 31 ff. 209 Etwa: Brunon Hołyst, Kryminalistyka, Warszawa 2010, S 49 ff. 207 Dz.U.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
d) Die Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Änderungen Die erste wichtige Entscheidung des Verfassungsgerichts in Sachen des Grundrechtsschutzes vor den polizeilichen Maßnahmen erging am 24. Juni 1997. Das Verfassungsgericht überprüfte die Kompetenzen der Finanzverwaltung hinsichtlich der Einsichtsmöglichkeit in die Bankdaten der Bürger. Der VerfGH legte damit ein Fundament für die Interpretation der Privatheit in der polnischen Verfassung (noch unter der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der neuen Verfassung). „Das Recht auf Privatheit ist ein Recht, nach eigenen Überzeugungen zu leben, mit der Begrenzung zum notwendigen Minimum der Eingriffe von außen“.210 Die Privatheit beziehe sich vor allem auf persönliches Leben, Familienleben und soziales Leben sowie auf den Schutz der Informationen zur Person. Dieser Zustand solle dem Einzelnen die Möglichkeit zur Gestaltung des Umfangs der Informationen geben, die man nach außen geben möchte.211 Der VerfGH erkannte das Recht auf Privatheit als ein Element des Rechtsstaatsprinzips und verlieh ihm damit Verfassungsrelevanz noch vor dem Inkrafttreten der neuen Verfassung am 17. Oktober 1997. Das Verfassungsgericht sah aber das Recht auf Privatheit nicht als ein absolutes Recht, seine Einschränkungen müssten im Gesetz enthalten und verhältnismäßig sein.212 Die demokratischen Reformen gaben erstmals Grund für die Änderung der Betrachtungsperspektive des Polizei- und Strafrechts. Die Operationstätigkeit wurde allmählich ins Polizeigesetz aufgenommen, was nach einigen Ansichten gar nicht möglich sein könnte. Jerzy Zaborowski behauptete noch 1988, dass „gesetzliche Regelung der Operations- und Erkennungstätigkeit eigentlich unmöglich ist, [… aber] vor allem nicht geboten, […] weil die Regeln des Kampfes gegen die Kriminalität, nach Geheimhaltung mancher Bestrebungen verlangen, wie z. B. die Prozesse der Informationsgewinnung, der Taktik des Vorgehens oder des Einsatzes der Technik“.213 Was unter den Bedingungen des Realsozialismus nicht wundert, ruft Verblüffung hervor bei der späteren Literatur: Krzysztof Skowroński schrieb 2003 zur Telekommunikationsüberwachung, dass die Beschreibung aller Methoden und Maßnahmen der Überwachung in den Gesetzen und in untergesetzlichen Rechtsakten nicht erwünscht sei.214 210 Urteil
des VerfGH vom 25.6.1996, Az.: K 21 / 96.
211 Ibidem.
212 Ibidem.
213 Jerzy Zaborowski, Ustrój Milicji Obywatelskiej, studium administracyjno -prawne. Warszawa 1988, S. 153–154. 214 Krzysztof Skowroński, Operacyjna kontrola rozmów telefonicznych. Ustawowa treść, a praktyczne oblicze „legalnej inwigilacji“, in: Piotr Chrzczonkiewicz, Violetta
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen91
Seit dem Jahr 1995 beobachtet man eine kompulsive Tätigkeit des Gesetzgebers, der vor allem nach die Öffentlichkeit erschütternden Ereignissen präventive und repressive Maßnahmen entwickelt.215 Seit dem Jahr 2003 beobachtet man auch eine Vermehrung von Behörden, die diese Maßnahmen verwenden dürfen.216 2008 erschien sogar ein Gesetzesvorschlag, der die ganze Operations- und Erkennungstätigkeit der polizeilichen und Geheimdienste ausklammert und in einem separaten Gesetz regelt, was aber auch ein Akt der Benutzung der politischen Konjunktur war. Trotzdem ist die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei in keinem Gesetz definiert. Die alte Definition aus den 1960er Jahren beeinflusst immer noch die Literatur und Praxis in Polen, obwohl vereinzelte Stimmen dies kritisch sehen. Die überholte Beschreibung sei wegen der breiten Maßnahmenauswahl und Zulässigkeitsunklarheiten nicht mehr brauchbar, da wäre es angebracht, sich nach der deutschen Dogmatik zu richten und nach Prävention und Repression zu unterscheiden und was damit verbunden ist auf die Schutzinhalte der Grundrechte zu stützen.217 Die Begründung zum Entwurf des Gesetzes über die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei- und Sicherheitsbehörden aus 2008 enthielt zwar ein paar Bausteine der Definition, die von der Jurisprudenz übernommen wurden, die jedoch veraltet und unscharf waren.218 Danach ist die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei eine Gruppe der Unternehmungen der Polizei, die entweder geheim oder öffentlich sein können und die ausschließlich zum Zweck der Erkennung, Vorbeugung und Aufdeckung von Straftaten (1), der Suche nach Menschen, die sich vor der Strafverfolgung oder Justiz verstecken oder der Suche nach vermissten Personen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass ihr Verschwinden das Ergebnis einer Straftat ist, sowie der Suche nach Gegenständen, die verloren wurden in Folge einer Straftat oder die für eine Straftatbegehung verwendet werden konnten (2), der Identifizierung der Personen und LeiKwiatkowska-Darul, Krzysztof Skowroński (Hrsg.): Społeczeństwo inwigilowane w państwie prawa, Toruń 2003, S. 162. 215 Dazu: Adam Taracha, Ochrona osób trzecich a rozbudowanie uprawnień służb policyjnych, in: Zbigniew Sobolewski, Grażyna Artymiak (Hrsg.), Problemy znowelizowanej procedury karnej, Kraków 2006, S. 455 ff.; Sobolewski Zbigniew, Osoba podejrzana oraz potencjalnie podejrzana w znowelizowanym (2003) Kodeksie postępowania karnego a gwarancje procesowe, in: Zbigniew Sobolewski, Grażyna Artymiak (Hrsg.), Problemy znowelizowanej procedury karnej, Kraków 2006, S. 338 ff. 216 Siehe: Punkt II. 2. b. 217 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 342–349. 218 Etwa: Adam Taracha, Czynności operacyjno-rozpoznawcze. Aspekty kryminalistyczne i prawnodowodowe, Lublin 2006.
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chen, bei begründetem Verdacht der kriminellen Aktivität (3). Sie beruhen vor allem auf der Gewinnung, Verarbeitung und Prüfung von öffentlichen oder geheimen Informationen über Verbrechen und Gewinnung von Dokumentation und Referenzmaterialien, um die Beweise für ein Verbrechen zu enthüllen und sichern.219 Das Gesetz wurde wegen der Diskontinuität der parlamentarischen Arbeit nach der Beendigung der Wahlperiode 2010 nicht verabschiedet. Das Interessante an ihm war vor allem die Tatsache, dass zum ersten Mal die Operations- und Erkennungstätigkeit aller polizeilichen und Sicherheitsbehörden sowie auch der Geheimdienste in einem Rechtsakt geregelt werden sollten. Es wurde aufgezählt, welche Methoden und unter welchen Bedingungen diese von den Diensten verwendet werden dürfen, auch wenn der Katalog und die Anwendungsvoraussetzungen ziemlich defizitär waren. Der Entwurf des Gesetzes enthielt 16 Methoden (Art. 2 Abs. 2 des Entwurfs) und 4 Formen der Tätigkeiten. Darunter wurden u. a. verdeckte Interviews, Korrespondenzkontrolle, verdeckter Kauf oder Verkauf, Infiltration einer Verbrechergruppe, Personenbeobachtung, verdeckte Befragung und ähnliche, als Formen der Tätigkeiten wurde sowohl Überprüfung, Erkundigung, Unterwanderung der kriminellen Organisation und als auch die Suchaktion – also alle bisher bekannten Maßnahmen erwähnt. Aus dem Gesichtspunkt der Logik haben sich die Designatoren, die den Begriffen in den Definitionen zugeschrieben wurden, einfach überschnitten. Eine Abgrenzung zwischen der Überprüfung einer Tatsache oder deren Erkundung war nicht eindeutig und die Definitionen mit dem ignotum per ignotum als Fehler belastet. Das Gesetz, könnte man behaupten, hätte mehr Interpretationsprobleme bereitet als die bisherige Praxis. Die umfangreichste Regelung enthielt Art. 14 des Entwurfs, in dem ausdrücklich Dienste, die Operations- und Erkennungsmaßnahmen verwenden durften, aufgezählt wurden. Erwähnt wurden die Polizei, die Agentur für innere Sicherheit (ABW), der Grenzschutz, die Militärpolizei, der zivile Gegenspionagedienst, die Finanzkontrollbehörde und das Zentrale Antikorrup tionsbüro (CBA). Bei der Aufzählung der Dienste sticht vor allem die Vermischung der Spezial- und Geheimdienste mit den polizeilichen Behörden ins Auge. Doch die Schaffung eines gewissen gesetzlichen „Lexikons“ der Maßnahmen ist aus technischen Gründen unmöglich. Solange der Katalog nicht an die Grundrechte knüpft und an die Eingriffsintensität, der eine Maßnahme im 219 Gesetzesentwurf: Das Gesetz über die Operations- und Erkennungstätigkeit, Drucksache: 253, http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki6ka.nsf / 0 / 0EE2EFB34B2B8750C12 5741A003B1486 / $file / 353.pdf (Zugang: 19.05.2016).
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen93
Einzelfall beizumessen ist, bleibt so eine Regelung eine einfache Aufzählung und ja, eine Anleitung für Kriminelle, welche Methoden die Behörden verwenden. e) Exkurs: Geheimdienste und Polizei in Polen Wie schon früher erwähnt, existiert in der polnischen Rechtsdogmatik das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und der Polizei nicht, jedenfalls nicht in der in Deutschland bekannten Form. Der Nachrichtendienst war in der VRP Domäne der Streitkräfte und funktionierte ohne strikte Gesetzesgrundlage. Für die innere Sicherheit sorgten die MO (Bürgermiliz) und SB (Sicherheitsdienst), die formell getrennte Einrichtungen waren. Aus der heutigen Perspektive war das nur eine Scheintrennung, weil zahlreiche besonders höherrangige MO-Beamte gleichzeitig SB-Funktionäre waren und die Dienstposten der SB mit der MO Nomenklatur angeglichen waren. Die Verflechtung des Staatsschutzes mit der Miliz lag damit auf der Hand und wurde auch nie wirklich verborgen. Die beiden Behörden unterlagen dem Innenministerium der VRP und damit war es auch effektivitätshalber begründet sinnvoll, die gleichgeschalteten Institutionen aufrechtzuerhalten, faktisch war aber die MO dem SB unterordnet.220 Nach dem Systemwechsel und der Umbenennung wurden die Polizei und das Amt für Staatssicherheit (UOP) ins Leben gerufen, doch eine institutionelle, kompetenzielle Trennung der beiden Dienste wurde nie vollzogen. Mit dem Reorganisieren der Geheimdienste ab 2002 hat sich an dieser Materie auch nichts geändert. Die Sicherheitsrechtsliteratur begründet die „Einheitlichkeit der Sicherheit“ mit der aus Art. 5 PolVerf verstärkt mit der Bürgerpflicht der Verteidigung des Vaterlandes (Art. 85 Abs. 1 PolVerf) hervorgehenden Staatsaufgabe für die Gewährleistung der Innen- und Außensicherheit. Auf diese Aufgabe arbeiten alle Staatsorgane vom Staatspräsidenten über das Militär, die polizeilichen Dienste, bis zu Feuerwehr und Staatsinspektionen auf eigenen Feldern zusammen hin.221 Die elf Behörden und Dienste, die befugt sind, die Operations- und Erkennungstätigkeit durchzuführen, gehören zu verschiedenen Fachgruppen. Traditionell als Geheimdienst sind der Militärnachrichtendienst, der Militärabschirmdienst, die Agentur für Innere Sicherheit, der zivile Nachrichtendienst 220 Karol Sławik, Zarys systemu prawa policyjnego, Warszawa 2011, S. 58–59; Andrzej Misiuk, Administracja porządku i bezpieczeństwa publicznego zagadnienia prawno-ustrojowe, Warszawa 2008, S. 47–84. 221 Marian Zdyb / Jerzy Stelmasiak / Kamil Sikora, System bezpieczeństwa i porządku publicznego organy i inne podmioty w administracji, Warszawa 2015, S. 29–35.
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und das Zentrale Antikorruptionsbüro einzustufen. Die Literatur nennt als charakteristisches Merkmal der Geheimdienste die Bekämpfung der antistaatlichen Bestrebungen, die gegen Bestand, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der RP oder Bestrebungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten.222 Das Kriterium ist enigmatisch und unscharf, weil die Polizei generell die Kompetenz hat, alle Straftaten zu verfolgen. Praktisch bedeutet das heutzutage im polnischen Inland vor allem die Gefahr der Kompetenzüberschneidungen bei Verfolgung und Prävention und unnötige Konkurrenz zwischen den Behörden. Wenn es um die Befugnisnormen zur Verwendung der geheimen Maßnahmen zur Infiltrierung der IT-verbundenen Tätigkeit des Einzelnen geht, sind die Regelungen bei allen elf Diensten nach einem Muster konstruiert, unbeachtet des eigentlichen Ziels der jeweiligen Behörde. Dieser Komplex wird aber später näher betrachtet. 2. Die Lage de lege lata bei der Überwachung der IT-basierten Tätigkeit des Einzelnen in Polen Die früheren gesetzlich ungeregelten Maßnahmen oder sogar Taktiken der MO wurden übernommen und mühsam gesetzlich implementiert. Die Sicherheitsbehörden fanden sich mit den Einbußen im Bereich Flexibilität und Effektivität der Fahndung nicht leicht ab. Doch ihre Interessen wurden von eigentlich allen Regierungen seit 1989 stärker oder schwächer vertreten. Der Fokus des folgenden Teils der Arbeit ist die Besprechung der Überwachung der IT-basierten Tätigkeit des Individuums nach dem polnischen Recht. Als Beispiel, ähnlich wie im Teil zu deutschen Regelungen wird die strafprozessuale und polizeiliche Überwachung genommen. Im Fall Polens ist es aber anzumerken, dass zwar die beschriebenen Regelungen die Polizei betreffen, doch das Muster der Tätigkeit, sowohl bei den Geheimdiensten als auch bei den polizeilichen fast gleich sind. Der größte Unterschied liegt nur bei dem Katalog der Straftaten, bei dem die Überwachung eingesetzt werden kann. Die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei und vor allem die Regelungen zur Überwachung der Kommunikation und des Internets werfen in der Praxis zahlreiche Probleme auf, nach der Auswertung der Literatur kann man sie in zwei Gruppen unterteilen: die strafprozessualen und die verfassungsrechtlichen Probleme. Der wichtigste Ansatzpunkt bei der Diskussion über die Operations- und Erkennungstätigkeit ist auf die Ergebnisse der Maßnahmen und auf ihre Ver222 Andrzej Misiuk, Administracja porządku i bezpieczeństwa publicznego zagadnienia prawno-ustrojowe, S. 143.
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wertung fokussiert. Da sie zur sog. außerprozessualen Tätigkeit gehört, dürfen die auf ihrem Grund gewonnenen Informationen nur begrenzt im Strafprozess zu Beweiszwecken zur Anwendung kommen, weil der Strafprozess vor allem auf Beweiserhebung angesetzt ist und nicht auf die Methoden der Gefahrenabwehr.223 Sie wird zwar explizit in den Sicherheitsgesetzen erwähnt, es wird jedoch in der Literatur immer gestritten, welche Bedeutung sie für den Prozess an sich hat. Der Gesetzgeber lässt die Ergebnisse im Prozess zu, was eine verstärkte Kritik hervorruft, denn es führt dazu, dass die strenger tangierten prozessualen Tätigkeiten mit den für die Strafverfolgungsbehörden relativ leicht zugänglichen außerprozessualen Methoden angeglichen werden.224 Das erste Problem knüpft an das zweite an, weil es auf die Prozessgarantien aufmerksam macht. Aus der Position des Verfassungsrechts und der internationalen Standards, die die RP verbinden, sind die Regelungen des polnischen Polizeigesetzes auch nicht ausreichend, wenn es um Grundrechtsschutz geht, vor allem im Bereich der Verfahrensgarantien, was neulich im brisanten Gutachten der Kommission von Venedig kritisiert wurde225 und Gegenstand der Ausführungen im Punkt IV 5 wird. a) Die Regelungen im PolStPO Die polnische StPO bestimmt in Art. 2 § 1 Ziele des Strafprozesses, es handelt sich dabei u. a. um die Entdeckung der Straftat und zur Rechenschaftziehung des Täters und „durch zutreffende Einsetzung der Maßnahmen des Strafrechts und durch die Entdeckung der für die Begehung der Straftat förderliche Begebenheiten, die Aufgaben der Straftatenbekämpfung und Vorbeugung, sowie der Befestigung des Respektierens des Rechts und der Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens erfüllt werden“. Damit wird aber nur in „Programmsätzen“ des ersten Abschnitts sowohl ein präventiver als auch repressiver Zweck formuliert. Für das Verfahren an sich hat die Vorschrift eine untergeordnete Rolle, der Satz zeigt aber trotzdem auch den Geist des Gesetzes.
223 Aneta Posytek, Wartość dowodowa czynności poeracyjno-rozpoznawczych, Prok. i Pr. 3 / 2011, S. 24. 224 Adam Taracha, Ochrona osób trzecich a rozbudowanie uprawnień służb policyjnych, in: Zbigniew Sobolewski, Grażyna Artymiak (Hrsg.); Problemy znowelizowanej procedury karnej, Kraków 2006, S. 13; Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012 S. 350–372. 225 Opinion on the Act of 15 January 2016 amending the Police Act and certain other acts. http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / ?pdf=CDL-AD(2016)01 2-e (Zugang: 22.07.2016).
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aa) Zugang zu den inhaltsbezogenen Daten Die Einleitung des Strafverfahrens erfolgt nach Art. 303 PolStPO: „bei Bestehen eines dringenden Tatverdachts wird von Amts wegen oder infolge einer Straftatanzeige der Beschluss über die Einleitung der Untersuchung erlassen“. Damit kann das Strafverfahren nur im Falle eines dringenden Tatverdachts eingeleitet werden, was aber die Stufen des Verdachts nach der deutschen Dogmatik nicht widerspiegelt. Wie Tomasz Grzegorczyk bemerkt, sind für eine Strafverfahrenseinleitung die Daten notwendig, die auf eine Straftatenbegehung hindeuten. Es ist aber keine „Überzeugung“ von der Straftatenbegehung nötig, während eine „Vermutung“ auch nicht ausreicht. Die Vermutung, also ein subjektiver Zustand, der aufgrund der besessenen Informationen mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen lässt, dass eine Tat oder Unterlassung tatsächlich zustande kam,226 ist der Hauptgrund für eine Verfahrenseinleitung. Die Strafprozessordnung besagt, dass nach der Einleitung des Strafverfahrens das Gericht auf Antrag des Staatsanwalts die Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen anordnen kann, um Beweise für das anhängige Verfahren aufzudecken und zu erlangen oder die Begehung einer anderen Straftat zu verhindern. Das Ziel der Vorschrift Art. 237 § 1 ist danach also sowohl präventiv als auch repressiv, wobei die Bestimmung des Ziels vor dem Einsatz erfolgen soll.227 Bei Gefahr im Verzug kann die Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen vom Staatsanwalt angeordnet werden, er muss sich innerhalb von drei Tagen mit dem Antrag auf Genehmigung der Anordnung an das zuständige Gericht wenden. Das Gericht erlässt den Beschluss zu dem Antrag innerhalb von fünf Tagen in einer Sitzung ohne Beteiligung der Parteien. Falls der Beschluss des Staatsanwalts nicht genehmigt wird, ordnet das Gericht im Beschluss zum Antrag die Vernichtung aller Aufzeichnungen an. Der Art. 241 PolStPO besagt, dass die Regelungen der Art. 237 ff. PolStPO auf Kontrolle und Aufzeichnung des Inhalts anderer Gespräche oder der Übermittlung von Informationen unter Anwendung technischer Geräte entsprechend Anwendung finden, darunter auf den auf elek tronischem Wege übermittelten Schriftverkehr, also u. a. Email.228 Ansätze zur Anwendung des Subsidiaritätsgebotes sind in der Vorschrift nicht vorhanden. Der Gesetzgeber erstellt einen Katalog der Straftaten, bei dem die inhaltsbezogene Telekommunikationsüberwachung erfolgen kann. 226 Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Warszawa 2014, Kommentar zum Art. 303 PolStPO Rn. 2. 227 So: Ibidem, Kommentar zum Art. 237 PolStPO, Pkt. 8. 228 Piotr Hofmański / Elżbieta Sadzik / Kazimierz Zgryzek, Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Warszawa 2011, Kommentar zum Art. 241 PolStPO, Rn. 3.
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Er besteht aus den schwerwiegenden Tatbeständen aus dem PolStGB und ist geschlossen.229 Der Personenkreis, den die Überwachung betreffen kann, besteht aus dem Verdächtigten (vor der Einreichung der Klageschrift), Angeklagten sowie gegenüber dem Verletzen oder einer anderen Person, mit der der Angeklagte in Kontakt treten kann oder die im Zusammenhang mit dem Täter oder mit der drohenden Straftat steht. Die Anbieter der Tele kommunikationsdienstleistungen sind verpflichtet, die Ausführung des Beschlusses des Gerichts oder des Staatsanwalts im Bereich Kontrolle von Telefongesprächen zu ermöglichen und sicherzustellen, dass die Durchführung einer solchen Kontrolle verzeichnet wird. Die Verwendung der Zufallserkenntnisse zu einer Straftat, die aber nicht durch die Anordnung der Kontrolle erfasst war, die ans Tageslicht kamen bei der Belauschung einer anderen Person, auf die sich die Kontrolle nicht bezog, hat der Staatsanwalt über die Verwendung des Beweises zu entscheiden. Die Kontrolle kann höchstens auf drei Monate angeordnet werden mit einer ebenso langen Verlängerungsmöglichkeit. Die Kontrolle muss mit dem Wegfall der Prämissen zu ihrem Einsatz beendet werden. Das Gericht entscheidet nach Antrag des Staatsanwalts über die Verwendung der Aufzeichnungen, wenn sie nach seiner Meinung keine Bedeutung für das Verfahren haben, das Gleiche passiert nach der Beendigung des Vorbereitungsverfahrens bezüglich des Teils der Materialien, der keine Bedeutung für das Verfahren hat. Bei der Entscheidung zur Löschung nach dem Vorbereitungsverfahren können die Parteien teilnehmen. Art. 239 § 1 PolStPO enthält die einzige explizite Informationspflicht zur Überwachung in der polnischen Rechtsordnung. Die Vorschrift besagt, dass die Verkündung des Beschlusses über Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche an die Person, auf die er sich bezieht, für eine Zeit aufgeschoben werden kann, die für das Wohl der Sache unerlässlich ist, jedoch nicht später als bis zum Abschluss des Vorbereitungsverfahrens. Gegen diesen Beschluss steht der Person, auf die sich der Beschluss bezieht, eine Beschwerde über die Begründetheit und die Rechtmäßigkeit der Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche zu. bb) Zugang zu den nicht inhaltsbezogenen Daten Der Zugang zu den nicht inhaltsbezogenen Daten erfolgt im Rahmen der Vorschriften über die Durchsuchung.230 Nach Art. 218 § 1 PolStPO sind die 229 Jerzy Skorupka, Kommentar zum Art. 237 PolStPO Rn. 13, in: Jerzy Skorupka (Hrsg.), Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Warszawa 2015. 230 Piotr Mierzejewski, Kompendium postępowania karnego, Warszawa 2012, S. 134–138.
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Behörden, Institutionen und Rechtsträger, die im Bereich Postwesen oder Telekommunikation tätig sind, Zollbehörden und Transportunternehmen verpflichtet, dem Strafgericht oder dem Staatsanwalt, auf die im Beschluss enthaltene Aufforderung, den Schriftverkehr, die Sendungen und die Angaben im Sinne des Art. 180c und 180d PolTKG (also die auf Vorrat gespeicherten Daten231) zu übergeben, soweit sie für das anhängige Verfahren von Bedeutung sind, was vor, während und nach dem Verfahren geprüft werden muss.232 Nur das Gericht oder der Staatsanwalt haben das Recht, sie zu öffnen oder ihre Öffnung anzuordnen. Der Beschluss wird dem Betroffenen zugestellt, doch die Zustellung kann auf eine bestimmte Zeit aufgeschoben werden, soweit dies für das Wohl der Sache unerlässlich ist, doch nicht später als bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.233 Art. 218a PolStPO sieht darüber hinaus die Verpflichtung der IT-Dienstleistungsanbieter vor, auf Verlangen des Strafgerichts oder des Staatsanwalts die im Beschluss enthaltenen elektronischen Daten, die sich auf einem Datenträger oder im EDV-System befinden, vom Zeitraum von nicht mehr als 90 Tagen zu sichern.234 Die Berufsgeheimnisse werden durch allgemeine Vorschrift des Art. 225 § 1 PolStPO gesichert. Bei den nicht inhaltsbezogenen Daten im Rahmen vom Art. 218 und 218a PolStPO besteht kein Katalog der Straftaten, bei denen der Einsatz zulässig ist und keine Subsidiaritätsklausel. Die digitalen Beweise werden auf die gleiche Art und Weise betrachtet wie die traditionellen. Das bejaht auch Art. 236a PolStPO, in dem die Vorschriften des Abschnitts auch zu Nutzer oder „Disponent“ der informatischen Geräte oder IT-Systeme Anwendung finden, wenn es um die Daten geht, die auf den Einrichtungen gespeichert wurden, darunter auch die Inhalte der elektronischen Post.235 Art. 236 PolStPO gibt „der Person, deren Rechte durch die Durchsuchung angetastet wurden“, die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen die Maßnahme einzulegen. Im Vorbereitungsverfahren prüft die Beschwerde das für den Sitz der Fahndungsbehörde236 zuständige Gericht der ersten Instanz (Sąd Rejonowy). 231 Siehe:
Punkt II 1 b. Skorupka, Kommentar zum Art. 218 PolStPO Rn. 1, in: Jerzy Skorupka (Hrsg.), Kodeks Postępowania Karnego Komentarz. 233 Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Kommentar zum Art. 218 PolStPO, Pkt. 4. 234 Ibidem, Pkt. 3. 235 Piotr Hofmański / Elżbieta Sadzik / Kazimierz Zgryzek, Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Kommentar zum Art. 218 PolStPO. 236 Den Durchsuchungsbeschluss erlässt das Strafgericht, die Staatsanwaltschaft oder in Fällen der höchsten Notwendigkeit die Polizei. Sie betrifft die Sachen die Beweise in einem Verfahren sein können oder Sachen die zur Sicherung der Vermögensstrafen beschlagnahmt werden können. (Art. 217 § 1 PolStPO). 232 Jerzy
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cc) Einschätzung der Regelung in der PolStPO Die Regelung der Telekommunikationsüberwachung in der PolStPO kommen von der Novelle 2003 und wurden noch 2011 aktualisiert.237 Sie erscheinen schon auf den ersten Blick lückenhaft. Es fehlen dabei konkrete Garantien, vor allem der Grundrechte der betroffenen Dritten. In der Literatur wird oft unterstrichen, dass die Regelungen im PolStPO einen anderen Charakter haben, als die im Sicherheitsrecht und können durch sie nicht ersetzt werden.238 Bei der sog. Beschlagnahme der Informationen aus Art. 218 und 218a PolStPO mangelt es an Differenzierung nach der Persönlichkeitsrelevanz der Daten. Die Vorschrift behandelt Daten gleich, deren Übernahme durch Fahndungsbehörden verschiedene, wie man nach den Begrifflichkeiten der deutschen Grundrechtsdogmatik sagen würde, Eingriffsintensitäten aufweisen. Die gleichen Vorschriften werden ungeachtet der analogen oder digitalen Form des Gegenstands angewendet, was angesichts der Frage der Präzision der Gesetzessprache im digitalen Zeitalter fraglich sein kann. Das nächste Problem ist die verschiedene Betrachtung der Aufzeichnung der Telekommunikation und der Einsicht in die Korrespondenz. Art. 237 § 3 PolStPO sieht einen Katalog der Straftaten vor, bei denen die klassische inhaltsbezogene Telekommunikationsüberwachung eingesetzt werden kann, wohingegen die Beschlagnahme von Emails oder gar Korrespondenz keiner solchen Eingrenzung unterliegt. Die mangelnden Subsidiaritätsgarantien bei der Überwachung im Rahmen des Strafprozesses werfen auch Fragen grundrechtlicher Natur auf.239 Neuerdings verschlechtert die Lage noch die Reform des Strafprozesses, die am 15. April 2016 in Kraft getreten ist. Die u. a. neueingeführten Vorschriften – Art. 168a und 168b PolStPO sehen vor, dass ein Beweis nicht lediglich wegen seiner Gewinnung, die Merkmale einer Straftat erfüllten vom Strafgericht für unzulässig erklärt werden kann und geben dadurch der Staatsanwaltschaft zusätzliche Möglichkeiten der Verfolgung von Straftaten, die zufällig bei der Überwachung wegen einer anderen Straftat entdeckt wurden. Die Vorschriften wurden von der Fachöffentlichkeit, als verfassungsund EMRK-widrig240 kritisiert, weil sie „fruit of the poisonous tree“ legali237 Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Kommentar zum Art. 237 PolStPO, Pkt. 1. 238 Piotr Mierzejewski, Kompendium postępowania karnego, S. 143–146. 239 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 203. 240 Adam Bodnar, Reformę prokuratury powinien ocenić trybunał, http: / / prawo. gazetaprawna.pl / artykuly / 933293,reforme-prokuratury-powinien-ocenic-trybunal. html (Zugang: 19.6.2016).
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sieren. Es wurden auch zwei Überprüfungsanträge an das VerfGH diesbezüglich gerichtet.241 Die oben genannte Liste der Fragen ist freilich nicht abgeschlossen, sie dient nur als Beispiel für die Probleme, die die Regelungen im strafprozessualen Alltag aufwerfen. Eine Systemfrage gilt als die Zusammenfassung aller rechtlichen Problemstellungen, die in Verbindung mit der Beweissammlung nach der PolStPO auftauchen. Das Ziel der Maßnahmen nach PolStPO ist sowohl präventiv als auch repressiv.242 Dies schafft von Anfang an ein Potential für Grundrechtskonflikte. Es stellt auch ein vorprogrammiertes Kompetenzproblem zwischen den Behörden oder seitens des Einzelnen gesehen eine Aussetzung der Maßnahmen dar, auf die er nicht vorbereitet ist. Der Einzelne verfügt nur über Informationen über den Einsatz der Überwachung, wenn dies im Laufe des Strafprozesses geschieht, nicht wenn die Polizei und Sicherheitsgesetze ins Spiel kommen. Dementsprechend kann er sich nur gegen diese Maßnahmen wehren. Die Strafverfolgungsbehörden haben aber die Wahl zwischen strafprozessualen und polizeilichen Methoden, weil die beiden eigentlich den gleichen Zweck haben – Aufdeckung der Straftat und Vorbeugung der Begehung in der Zukunft. Damit bekommen die Behörden eine unfreiwillige Drehschraube in die Hand, sie können das Verfahren nach eigenem Effektivitätsinteresse gestalten. Die Kritik dieser Lage ist seitens der Strafprozesslehre verbreitet.243 In Verbindung mit den Regelungen in den Sicherheitsgesetzen bietet sich den Augen des Betrachters ein diffiziles Bild, das weder von den Behörden durchblickt werden könne244 noch von den Gerichten, was ein gefährliches Potential für den Einzelnen bedeutet und 241 Antrag des Beauftragten für Bürgerrechte: https: / / www.rpo.gov.pl / sites / de fault / files / Wniosek %20do %20TK %20owoce %20zatrutego %20drzewa %20art %20 art. %20168a %20 %20KPK %206.05.2016.pdf (Zugang: 19.6.2016); Antrag des Landesrates für Gerichtswesen: www.krs.pl / admin / files / tk / uchwala %20krs %203632016. docx (Zugang: 19.6.2016). 242 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 202–203. 243 Stellvertretend: Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 201–205; Adam Taracha, Czynności operacyjno-rozpoznawcze Aspekty kryminalistyczne i prawnodowodowe, Lublin 2006, S. 13; Jacek Kudła / Piotr Kosmaty, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do nowego modelu procesu karnego, Prok.i Pr. 12 / 2015, S. 99. 244 Jacek Kudła / Piotr Kosmaty, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do nowego modelu procesu karnego, Prok. i Pr. 12 / 2015, S. 99; Adam Taracha, Ochrona osób trzecich a rozbudowanie uprawnień służb policyjnych, in: Zbigniew Sobolewski, Grażyna Artymiak (Hrsg.), Problemy znowelizowanej procedury karnej, Kraków 2006, S. 455 ff.; Sobolewski Zbigniew, Osoba podejrzana oraz potencjalnie podejrzana w znowelizowanym (2003) Kodeksie postępowania karnego a gwarancje procesowe, in: Zbigniew Sobolewski, Grażyna Artymiak (Hrsg.), Problemy znowelizowanej procedury karnej, Kraków 2006, S. 338 ff.
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auch gleichzeitig für den Staat, der sich den Klagen vor den internationalen Gerichten aussetzt.245 b) Die Regelungen im PolizeiG Die Herkunft der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei als einstige geheime Methoden der Infiltrierung der Kriminalitäts- aber auch des Oppositionsmilieus wurde schon dargelegt. Im Folgenden wird dargestellt, wie die Polizei, aber auch andere Dienste heutzutage die Maßnahmen verwenden dürfen und in welchem Verhältnis sie zu den Regelungen im Strafprozess stehen. Besonders wird die Novelle der Regelungen vom Januar 2016 in Betracht gezogen, die Anlass für verstärkte Kritik sowohl im Inland seitens der Rechtslehre246 als auch der Organisationen der zivilen Gesellschaft247, sowie seitens der Rechtsschutzorgane der RP248 und im Ausland seitens der internationalen Organisationen249 gegeben hat. Dennoch formt sie die aktuelle Gesetzeslage. Die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei lässt sich in zwei Gruppen untergliedern, die erste kann als Methoden, die einer externen (außerbehördlichen) Kontrolle unterliegen, bezeichnet werden, darunter fallen die Maßnahmen des Art. 19 PolizeiG. Die zweite Gruppe dagegen verlangt keine externe Überprüfung, darunter lässt sich Art. 20c, 20ca, und 20cb PolizeiG subsumieren. 245 Adam Taracha, Czynności operacyjno-rozpoznawcze Aspekty kryminalistyczne i prawnodowodowe, Lublin 2006, S. 330–341. 246 Etwa: Miłosz Kiziński, Retencja danych telekomunikacyjnych, Prok. i Pr., 1 / 2016, S. 138–155; Roman Zdybel, Przestrzeganie standardów demokratycznego państwa prawnego w świetle orzeczenie Trybunału Konstytucyjnego w warunkach wdrożenia przez organy ścigania kontroli operacyjnej, Policja 3 / 2015, S. 6–17; Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, Zeszyty Prawnicze BAS, 3 / 2015, S. 143–158. 247 Etwa: Gutachten der Hauptanwaltskammer vom 29.12.2015 zum Entwurf der Novelle des Polizeigesetzes http: / / www.adwokatura.pl / admin / wgrane_pliki / fileopinianranowelizacjaustawypolicji29122015-13945.pdf (Zugang: 20.7.2016); Gutachten des Helsinki Komitees vom 30.12.2015 zum Entwurf der Poizeirechtsnovelle http: / /programy.hfhr.pl / monitoringprocesulegislacyjnego / files / 2015 / 12 / HFPC_opi nia_ustawa_o_policji.pdf (Zugang: 20.7.2016); Stanowisko Fundacji Panoptykon w sprawie projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, https: / / panoptykon.org / sites / default / files / leadimage-biblioteka / panoptikon_usta wa_o_policji_opinia_21.12.2015_0.pdf (zugang: 20.7.2016). 248 Gutachten des Genralinspektors für Datenschutz zur Änderung des Polizeigesetzes vom 30.12.2015, http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / 9E317D85E84BDE 3DC1257F310041F2E8 / %24File / 154-002.pdf (Zugang:19.9.2016). 249 Opinion of the Venice Commission on Act of 15 January 2016 amending the Police Act and certain other Acts; http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / default.aspx?pdffile=CDL-REF(2016)036-e (Zugang: 22.7.2016).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
aa) Die Maßnahmen, die einer externen Kontrolle unterliegen Zu der ersten Gruppe gehören Maßnahmen, die die schwersten Grundrechtsangriffe darstellen. Art. 19 Abs. 6 Nr. 1–5 erwähnen hier die sog. Methoden der „Operationskontrolle“: 1. Erfassung und Speicherung von Inhalten der Gespräche die mithilfe von Telekommunikationsnetzwerken geführt werden; 2. Erfassung und Speicherung des Bildes und Tons in Räumlichkeiten, Transportmitteln oder anderen nicht öffentlichen Räumen; 3. Erfassung und Speicherung der Inhalte der Korrespondenz, darunter auch elektronische Korrespondenz; 4. Erfassung und Speicherung der Daten aus den informatischen Datenträgern, Telekommunikationsendgeräten und informatischen und teleinformatischen Systemen; 5. Zugangserlangung und Kontrolle der Postsendungen.250 Der Umfang der Operationskontrolle A.D. 2016 wurde im Vergleich zu den vom VerfGH 2014 beanstandeten Vorschriften konkretisiert, aber auch überraschenderweise erweitert.251 Auch andere Vorschriften des PolizeiG enthalten Maßnahmen und Techniken, die zur ersten Gruppe gehören: verdeckter Kauf / Verkauf252 (Art. 19a Abs. 1. PolizeiG), verdeckte Bestechung (Art. 19a Abs. 1 PolizeiG), verdeckte Überwachung der Herstellung und des Vertriebes der Gegenstände, die zur Straftatverübung dienen (Art. 19b Abs. 1 PolizeiG),253 Gewinnung von Bank- und Versicherungsdaten (Art. 20 Abs. 3 PolizeiG).254 250 Wie schon angedeutet, die gleichen oder ähnlichen Formulierungen enthalten: Art. 27 Abs. 6. Nr. 1 ABW-Gesetz, Art. 17 Abs. 5 Nr. 1 CBA-Gesetz, Art. 9a Abs. 7 Nr. 1 Grenzschutzpolizeigesetz, Art. 31 Abs. 4 Nr. 1 Gesetz über Zivile Gegenspionagedienst, Art. 31 Abs. 7 Nr. 1 Militärpolizeigesetz, Art. 36c Abs. 4. Nr. 1 Gesetz über die Finanzkontrolle. Diese Aufzählung soll nur als Beispiel dienen für die gesetzliche Verankerung der Briefkontrolle in den verschiedenen polizeilichen und Geheimdienstgesetzen. Alle Maßnahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit der Behörden werden fast gleich in diesen Gesetzen formuliert, deswegen werde ich nachfolgend nur die Hausnummern aus dem Polizeigesetz angeben, die analogen Regelungen finden sich aber immer in den oben aufgezählten Gesetzen. Zu Zwecken dieser Arbeit genügt es, weil sie sich nicht auf die Aufgabenverteilung zwischen den Behörden fokussiert, sondern einen allgemeinen Mechanismus der Grundrechtsangriffe darstellt und sie verfassungsrechtlich behandelt und nicht strafprozessrechtlich oder polizeirechtlich. 251 Die Vorschriften der alten und neuen Fassung werden im Anhang übersetzt. 252 Poln.: Transakcja pozorna. 253 Poln.: Przesyłka niejawnie nadzorowana. 254 Poln.: Pozyskiwanie danych bankowych i ubezpieczeniowych.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen103
Das Verfahren bei der Anordnung wird im Fall der Operationskontrolle aufgrund einer misslungenen Kompetenznorm eingeleitet (Art. 19 Abs. 1 PolizeiG). „Bei der Ausführung von der Polizei wahrgenommenen Aufgaben der Operations- und Erkennungstätigkeit zur Vorbeugung, Aufdeckung, Bestimmung der Täter sowie Beweissicherung“ des später folgenden Katalogs255 der vorsätzlichen Offizialdelikte kann die Polizei Operationskontrollen in Angriff nehmen. Die Ziele der Kontrolle werden vorformuliert und sind sowohl präventiv als auch repressiv, was in den Bereich der Normierung der angedeuteten Vorschriften der PolStPO eingreift. Weiter stellt der Gesetzgeber Hürden vor die Verwendung der Maßnahme. Vor allem gilt das Subsidiaritätsgebot, das wie folgt formuliert wird: „wenn andere Maßnahmen sich als unwirksam erwiesen haben oder unbrauchbar werden können.“ Die Bremse der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nicht formell genannt. Der Gesetzgeber lässt die Operationskontrolle nur unter der Voraussetzung der Genehmigung des Bezirksgerichts zu. Das Gericht handelt auf Antrag des Generalkommandanten der Polizei oder des Kommandanten des zentralen Fahndungsbüros der Polizei nach Erhalt einer schriftlichen Zustimmung des Generalstaatsanwalts oder auf Antrag des Woiwodschaftskommandanten der Polizei nach Erhalt eine schriftliche Zustimmung des zuständigen Bezirksstaatsanwalts. Nach Abs. 3 der Vorschrift kann in besonderen Fällen, bei denen die Verzögerung zu Informationsverlust, Spurenbeseitigung oder zur Vernichtung der Beweise führen könnte, die Polizei nach der Zustimmung des zuständigen Staatsanwalts die Operationskontrolle, mit der gleichzeitigen Antragstellung auf Erlass des nachträglichen Beschlusses an das zuständige Bezirksgericht anordnen. Wenn das Gericht innerhalb von fünf Tagen der Operationskontrolle nicht zustimmt, ist sie unverzüglich einzustellen und die so gewonnenen Materialien protokollarisch zu löschen. Der Gesetzgeber macht die Vorgaben zu Elementen des Antrags und formuliert sogar ein Formular dafür in der Rechtsverordnung.256 255 Der Katalog der Straftaten ist begrenzt und erfasst nur die schwerwiegenden Tatbestände. Doch sind die Kataloge in allen sieben polizeilichen und Sicherheitsgesetzen und zusätzlich in den nachrichtendienstlichen insgesamt umfangreich und überschneiden sich oft. Das führt zur Möglichkeit mehrfacher Grundrechtseingriffen bei der gleichen Tat oder des Tatverdachts durch verschieden Stellen. Die Kataloge sind zum Teil auch ungeschickt konstruiert und die Tatbestände, bei denen schwerwiegende Eingriffe möglich sind, stehen in einem Missverhältnis zur Schwere der Tat. Z. B. darf die Militärpolizei die Operationskontrolle, also u. a. die Briefkontrolle, bei dem Verdacht oder der Verfolgung der Beleidigung des polnischen Volkes einsetzen (Art. 31 Abs. 1 Pkt. 2 Militärpolizeigesetz in V. mit Art. 133 PolStGB). 256 Rozporządzenie Ministra Infrastruktury z dnia 28 grudnia 2009 r. w sprawie szczegółowego wykazu danych oraz rodzajów operatorów publicznej sieci telekomunikacyjnej lub dostawców publicznie dostępnych usług telekomunikacyjnych obowiązanych do ich zatrzymywania i przechowywania (Dz. U. 2009 Pos. 226 Nr. 1828).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Die Kontrolle darf nicht länger als drei Monate dauern, mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit auf drei Monate und, falls neue Beweise auftauchen, auf eine „nötige Zeit“ (Art. 19 Abs. 9 PolizeiG), jedoch nicht länger als insgesamt 12 Monate. Interessanterweise entschied der Gesetzgeber bei den polnischen Vorschriften, dass die Kosten der Bereitstellung der technischen Infrastruktur und Bedingungen zur Überwachung von dem Anbieter der Telekommunikationsdienstleistungen zu tragen sind, was eine Wiederholung der Formulierung der Vorschriften der PolTKG ist und verfassungsrechtliche Bedenken erwecken kann.257 Die Operationskontrolle soll sofort nach dem Wegfall der sie begründenden Tatsachen eingestellt werden, spätestens jedoch mit dem Eintreten der Frist, für die sie angeordnet wurde. Die Polizeistelle benachrichtigt danach den zuständigen Staatsanwalt über die Ergebnisse der Operationskontrolle nach ihrem Ende. Art. 19 Abs. 6a und 6b PolizeiG erfassen eine Art negativer Definition der Operationskontrolle, sie betrifft also nicht die Räumlichkeiten des Gewahrsams der Polizei. Diese gesetzgeberische Abschweifung scheint überflüssig zu sein, denn ohnehin können die Personen in polizeilichem Gewahrsam überwacht werden, aus dem Grundrechtsgesichtspunkt ändern die zwei neuen Absätze nichts. Art. 19 Abs. 15 PolizeiG eröffnet den Weg für die Erkenntnisse aus der Operationskontrolle zum Strafprozess. Auch die Zufallserkenntnisse können nach der Vorschrift übernommen werden: sollten bei dem Einsatz der Operationskontrolle Materialien gewonnen werden, die eine Einleitung des Strafverfahrens ermöglichen oder wenn Materialien gewonnen werden, die für ein anhängiges Strafverfahren von Bedeutung sind, übermittelt sie die Polizei dem zuständigen Staatsanwalt, der über ihr weiteres Schicksal entscheidet. Näheres dazu wird in nachfolgenden Punkten erörtert. bb) Exkurs: Strafprozess – Beweiserhebung Nun stellt sich die Frage welche Bedeutung diese außerprozessualen Maßnahmen für den Strafprozess haben? Um nicht in die strafprozessuale Diskussion einzusteigen und über die Verwertbarkeit der Ergebnisse jeweiligen Maßnahmen zu sprechen, wird sich an dieser Stelle nur auf die Operationskontrolle beschränkt, doch die gleichen Muster dienen auch den anderen Maßnahmen. 257 Maciej Rogalski, Prawo telekomunikacyjne, Warszawa 2010, Komentar zum Art. 180a PolTKG.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen105
Die direkte Übernahme der Ergebnisse der Operationskontrolle im Strafprozess wurde mehrmals von verschiedenen Autoren kritisiert.258 Die Vermischung der polizeilichen und strafprozessualen Erkenntnissammlung wirkte sich nicht nur negativ auf die Prozessgarantien aus, sondern durchbricht ein Modell des Strafverfahrens und führt dazu, dass die Effektivität der Rechte des Angeklagten übertrumpft werden.259 Die ursprüngliche Betrachtungsweise der Operations- und Erkennungstätigkeit, die als Hilfsmaßnahmen der Polizei und Ausschluss jeglicher Verwendung der Ergebnisse im Prozess scheinen, ist nach wie vor in der polnischen Rechtsordnung präsent. Dies führe dazu, dass es im Härtefall zu Situationen kommen könnte, bei der die Polizei zwar Hinweise oder sogar Nachweise für die Straftat hat, sie aber nicht verwenden kann, weil die Strafprozessordnung dem entgegensteht. Nach der PolStPO-Novelle von 2016 wurden diese Bedenken zerstreut, zugunsten einer bedrohlichen Regelung, da der Gesetzgeber formell auch die in Folge einer Straftat gewonnenen Beweise prozessfähig macht. Allerdings kam von Reihen der Strafprozesslehre die Ansicht, dass der neue Art. 168a PolStPO nur so im Kontext der Beweisverbote ausgelegt werden kann, dass seine Anwendung in die verfassungswidrige Richtung nicht abgeleitet werden kann.260 Ohnehin schließt der polnische Gesetzgeber die Verwendung von „fruits of the poisonous tree“ nicht aus und auch solche Hinweise, die unrechtmäßig erfasst wurden, können zur Gewinnung der legalen Beweise dienen.261 Die illegale Beweiserhebung kann jedoch auch abhängig davon gerügt werden, wie stark die Regeln angetastet wurden.262 Um die Effektivität der Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern, führte der Gesetzgeber z. B. in Art. 19 Abs. 15a PolizeiG (a. F.) direkt die Möglichkeit der Verwendung der Materialien aus der Operationskontrolle ins Strafverfahren ein, was die Tür für den Einsatz der schwächer grundrechtlich tangierten Informationsgewinnung im Prozess eröffnete. In der Rechtslage bis April 2016 war dagegen die Verwendung der Verkehrsdaten, die im Rahmen vom Art. 20c der Polizei vorliegen, ausgeschlossen. Entscheidend für diese Auslegung war der Wort258 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 205–224; Piotr Hofmański / Elżbieta Sadzik / Kazimierz Zgryzek, Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Warszawa 2011, Kommentar zum Art. 237 PolStPO, Rn. 19; Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Warszawa 2014, Kommentar zum Art. 237 PolStPO, Pkt. 8. 259 Stanisław Waltoś, Owoce zatrutego drzewa, Kraków 2010, S. 275–276. 260 So: Konrad Lipiński, Klauzula uadekwatniająca przesłanki niedopuszczalności dowodu w postępowaniu karnym (Art. 168a k.p.k.), Prok. i Pr. 11 / 2016, S. 44–59. 261 Stanisław Waltoś, Owoce zatrutego drzewa, S. 276–277. 262 Romuald Kmiecik, Prawo dowodowe zarys wykładu, Warszawa 2008, S. 210– 215.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
laut des Art. 393 § 1 PolStPO. Nach ihm können die Protokolle oder Aufzeichnungen vor dem Strafgericht vorgeführt werden, die im Rahmen der Vorbereitungsverfahren (in Art. 297 ff. PolStPO geregelt), Gerichtsverfahren (im ersten Zug) oder in anderen gesetzlich vorgesehenen Verfahren errichtet worden sind.263 Ergo stellen die Beweise, die im formellen Verfahren mit hohen Grundrechtsschutzhürden gewonnen wurden, kein Problem bei der Beweisprozedur nach der PolStPO dar.264 Problematisch war dagegen die Verwertung der Materialien, die gewonnen wurden, mit dem Einsatz der Methoden aus der zweiten Gruppe. Die Gerichte265 sehen keine Möglichkeit der Verwertung von Notizen oder Protokollen, die im Rahmen von informellen Verfahren durch die Behörden gewonnen worden sind. Es stünde dem Gebot der unmittelbaren Verwendung der Beweise, also dem Verbot der Ersetzung der Erklärungen eines Zeugen oder Angeklagten durch Notizen oder andere Dokumente (Art. 174 PolStPO) entgegen.266 Sie können lediglich als ein Hinweis für die Strafverfolgungsbehörden dienen, ein formelles Beweisgewinnungsmittel zu beantragen. Im Endeffekt dürfen vor die Strafgerichte nur die Beweise kommen, die in einer formellen Prozedur gewonnen worden sind und die durch PolStPO zugelassen werden, die informellen Maßnahmen sind nur als reine Hinweise zu sehen. Unter der Betrachtung von Art. 174 PolStPO hätte z. B. ein Beamter, der verdeckt einen Angeklagten beobachtet hat, beim Prozess aussagen können, was aber die Geheimhaltung der polizeilichen Methoden oft hätte bedrohen können.267 Die neue Fassung des Art. 393 § 1 PolStPO, die seit 14 April 2016 gilt, lässt aber alle Protokolle, Gutachten und andere Dokumente im Strafgerichtsprozess zu, die im Rahmen eines vom Gesetz vorgesehenen Verfahrens gewonnen wurden. Der zweite Satz der Vorschrift verbietet jedoch die Möglichkeit des Vorlesens einer Notiz über Vorgänge, die protokollarisch dokumentiert werden sollten. Damit können u. a. alle Erkenntnisse aus der Operationskontrolle und alle Daten anhand des Art. 20c ff. PolizeiG im Strafverfahren erfasst und unter der Bedingung ihrer rechtmäßigen Erstellung einfließen. 263 So auch das Höchste Gericht in der Entscheidung Az.: III KK 58 / 09 vom 22.09.2009. 264 So: Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Kommentar zum Art. 393, Pkt. 13; Wojciech Kotowski, Ustawa o policji komentarz, Warszawa 2012, Komentar zum Art. 19, Pkt. 17. 265 Urteil des Appellationsgericht in Warschau vom 22.3.2005, Az.: II Aka 396 / 05. 266 So: Ryszard Ponikowski, in: Jerzy Skorupka (Hrsg.), Kodeks Postępowania Karnego Komentarz, Kommentar zum Art. 393 PolStPO Rn. 14. 267 Tomasz Grzegorczyk, Kodeks postępowania karnego, Komentar zum § 393 PolStPO.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen107
cc) Die Operations- und Erkennungstätigkeitsmethoden, die keiner externen Kontrolle unterliegen – eine „Wehklage“ gegen die Unreife des Gesetzgebers Die zweite Gruppe der Methoden der Operations- und Erkennungstätigkeit der polizeilichen Dienste besteht aus den Maßnahmen, die ohne externe Kontrolle angeordnet werden können: darunter etwa Videoüberwachung und Aufzeichnung von Personen (Art. 15 Abs. 1 Nr. 5a Polizeigesetz). Die Methoden der Datenerhebung sind verschieden: Einsatz von verdeckten Mitarbeitern, verdeckte Befragung, aber auch ganz öffentliche Methoden, wie die Befragung von Passanten oder Beobachtung. Die Maßnahmen sind also vielfältig. Manche von ihnen können nur repressiv angesetzt werden (Vorgehensweise bei der Straftatenbegehung), die anderen auch präventiv. Der Grad des Grundrechtseingriffs bei allen von ihnen ist auch verschieden, trotzdem werden sie als ein Komplex betrachtet. Aus der Perspektive dieser Arbeit ist in dieser Gruppe vor allem die Erfassung der Verkehrsdaten und Standortdaten zur Nutzung der Telefon- und Internetdienstleistungen zu nennen. Die im Laufe der Umsetzung der mittlerweile nichtigen Richtlinie 2006 / 24 / EG eingeführte Methode wird in Art. 20c ff PolizeiG niedergeschrieben und stellt, wegen der Eingriffsintensität und mangelnden Kontrollmittel den tiefsten Eingriff in die Grundrechte der PolVerf, sowie gegen die Art. 8 und Art. 6 EMRK dar, was auch durch den VerfGH zuletzt 2014 unterstrichen wurde. Die Maßnahmen in der zweiten Gruppe werden ohne Zweifel einen geringeren Grundrechtseingriff darstellen als die aus der ersten. Es ist aber trotzdem fraglich, ob aus der Grundrechtsperspektive ihrem Einsatz keine höheren Schranken auferlegt werden sollten. Die bis 7. Februar 2016 geltende Version der Vorschrift Art. 20c Abs. 1 PolizeiG lautete: „zur Vorbeugung oder Aufdeckung der Straftaten kann die Polizei den Zugang zu den Daten, die in den Art. 180c und 180d des Telekommunikationsgesetzes erwähnt werden, bekommen.“ Der VerfGH setzte diese Formulierung mit dem Urteil vom 30. Juli 2014 wegen mangelnder Präzision der Ziele außer Kraft. In der Umsetzungsnovelle268 vom 15. Januar 2016 hat der Gesetzgeber, laut der Begründung zum Gesetzesentwurf, die Ziele „genauer gefasst.“269 Auf Seite 6 der Entwurfsbegründung liest man: 268 Die Regelung des Verfahrens zum Vorratsdatenspeicherung befindet sich im Art. 20c PolizeiG. Fast wortgleiche Regelungen enthalten: Art. 28 ABW-Gesetz, Art. 18 CBA-Gesetz, Art. 10b Grenzschutzpolizeigesetz, Art. 32 Gegenspionagedienstgesetz, Art. 30 Militärpolizeigesetz und Art. 36b Finanzkontrollgesetz. 269 Der VerfGH im Urteil vom 30. Juli 2014 erkannte einen Widerspruch mit der Verfassung im Punkt der Ungenauigkeit der Formulierung des Art. 19 Abs. 1 PolizeiG und er erklärte ihn deswegen für Verfassungswidrig. Der Vorwurf gegen Art. 20c Abs. 1 PolizeiG umfasste aber die Ungenauigkeit der Formulierung nicht, sondern
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
„Der VerfGH macht in seinem Urteil eine Vorgabe, den Umfang der Nutzung, der aus den durch die Operations- und Erkennungstätigkeit gewonnenen Daten zu markieren, vor allem ihre Verwendung im Strafprozess als Beweismaterial.“ Der Gesetzgeber formuliert danach die Markierung des Umfangs der Nutzung der Daten im Vergleich zu der alten Fassung so: „zur Vorbeugung, Aufdeckung der Straftaten oder zur Rettung des Lebens oder Gesundheit der Menschen oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungsarbeiten kann die Polizei den Zugang zu [Aufzählung der Datenarten] ohne Wissen und Zustimmung des Betroffenen bekommen.“ (Art. 20c Abs. 1 PolizeiG n. F.) Der Gesetzgeber liefert sich mit der Novelle ein „Wortspiel“ mit dem Verfassungsgericht, das in folgenden Punkten näher erläutert wird. An dieser Stelle sieht man, dass die „genaue Markierung“ tatsächlich erfolgt, und zwar auf eine erweiternde Art und Weise. Zu den Daten, die die Polizei erfassen kann, zählen, wie schon im Punkt II. 1. b) angedeutet: Daten, nach Art. 180c und 180d des PolTKG [Standorts daten, Verkehrsdaten], Daten gemäß Art. 82 Abs. 1 Pkt. 1 des Postrechts, weiter: Postdaten, Daten gemäß Art. 18 Abs. 1–5 des Gesetzes über die auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistungen, weiter: Internetdaten. Ihre Persönlichkeitsrelevanz und Tragweite wurde schon angesprochen. Damit bleibt die Umsetzung der nichtigen Richtlinie 2006 / 24 / EG im polnischen Recht bestehen, trotz des negativen Gutachtens bezüglich EU-Rechtskonformität zum Gesetzesentwurf des Analysebüros des Sejms.270 Paradoxerweise löschte der Gesetzgeber den Art. 180g PolTKG, der eine statistische Informationsübermittlung zur Vorratsdatenspeicherung vorsah, mit der Begründung, dass der EuGH die der Vorschrift zugrundeliegende Richtlinie für nichtig erklärte,271 die exzessiven Speicherpflichten wurden jedoch an dieser Stelle verschwiegen. Die Erhebung der Daten nach Art. 20c Abs. 1 PolizeiG erfolgt ohne Kon trolle ex post, was zwar ausdrücklich vom VerfGH als zulässig erklärt wurde,272 doch auch ohne Subsidiaritätsklausel, was wiederum von den lediglich die mangelnde externe Kontrolle über die Gewinnung der Daten, was vom Gesetzgeber auf eine listige Art und Weise in der Umsetzung des Urteils benutzt wurde. 270 Gutachten vom 31. Dezemeber 2015, Opinia w sprawie zgodności z prawem Unii europejskiej poselskiego projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw. S. 5–6, https: / / www.senat.gov.pl / gfx / senat / pl / senateksper tyzy / 3364 / plik / 071o.pdf (Zugang: 22.07.2016). 271 Projekt ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / B1A37C48E0F8ECBAC1257F290035A6B5/ %24File / 154.pdf (Drucksache 154), (Zugang: 19.07.2016), S. 23. 272 Urteil des VerfGH, Az.: K 23 / 11, Pkt.: III 10.4.4. „The Constitutional Tribunal does not determine at this point what exactly a procedure for access to telecommunications data should look like, and in particular, whether it is necessary – with regard
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen109
Richtern für unzulässig erklärt wurde.273 Der Gesetzgeber entschied sich in der neuen Fassung des Art. 20c PolizeiG dafür, eine Kontrolle einzuführen. Sie erfolgt im Art. 20ca PolizeiG. Die Kontrolle über die Gewinnung von den Telekommunikationsdaten, Postdaten und Internetdaten durch die Polizei übt das örtlich zuständige Bezirksgericht für die anfordernde Polizeistelle aus, lautet der erste Absatz. Die im Abs. 1 erwähnte Polizeistelle leitet halbjährlich einen Bericht an das Bezirksgericht mit Angaben zur (1) Anzahl der Fälle, bei denen im Berichtzeitraum die Telekommunikations-, Post- und Internetdaten angefordert wurden und die genaue Art der Daten, (2) rechtliche Qualifikation der Taten, bei denen die Telekommunikations-, Post- und Internetdaten angefordert wurden, oder die Angabe, ob die Daten zur Rettung des Lebens oder Gesundheit der Menschen oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungs arbeiten verwendet wurden. Im Rahmen der Kontrolle kann das Bezirksgericht einen Einblick in die Materialien, die die Datenanforderung begründeten, anfordern. Die Polizeistelle wird über die Ergebnisse der Kontrolle innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Beendigung benachrichtigt. Aus der Kontrolle werden die Daten zur Vorbeugung oder Aufdeckung der Straftaten sowie zur Rettung des Menschenlebens und Gesundheit oder Unterstützung der Bergungs- und Sucharbeiten ausgeschlossen, d. h. die Daten nach Art. 20cb PolizeiG. Es stellt sich die Frage nach Sinn und Effektivität der Kontrolle über die statistischen Informationen. Der Gesetzgeber scheint den Zweck der Kontrolle völlig zu verfehlen und schreibt dem Gericht eine untergeordnete Aufgabe der Statistikführung zu. Die Prozedur des Zugangs zu den Materialien wirft auch Bedenken nicht nur grundrechtlicher, sondern praxeologischer Natur auf. Der Telekommunikationsdienstleistungsanbieter, Postbetreiber oder der Anbieter der auf elek tronischem Weg erbrachten Dienstleistungen gewährt nämlich unentgeltlich den Zugang zu den Post-, Telekommunikations- und Internetdaten. Die Erto every type of retained data referred to in Article 180c and Article 180d of the Telecommunications Act – to obtain permission for access thereto. Not always access to the data of the same type results in the same extent of interference in the freedoms and rights of the individual. Thus, in the opinion of the Tribunal, it may not be ruled out that, with regard to accessing telecommunications data in the course of operational and investigative activities, ex post facto supervision will be introduced as a rule.“. 273 Urteil des VerfGH, Az.: K 23 / 11, Pkt.: III 5.2.4. „The secret obtaining of information on individuals in the course of operational and investigative activities must be a subsidiary measure, i. e. one which is resorted to when other solutions are useless or ineffective. This entails that secret interference in rights and freedoms is to constitute ultima ratio. This concerns, to the same extent, operational surveillance and the disclosure of telecommunications data, or other forms of operational and investigative activities that have a similar impact on individuals.“.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
mächtigung eines Beamten zum Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten erfolgt nach einer Verfügung vom Generalkommandant der Polizei, Kommandanten des Zentralfahndungsbüros oder Woiwodschaftskommandanten der Polizei. Der bevollmächtigte Beamte kann später auf mündliche Nachfrage oder über das Telekommunikationsnetz den Zugang bekommen. Die Einsichtnahme kann ohne Beteiligung der Mitarbeiter des Betreibers der Telekommunikationsnetze oder Postbetreibers, aufgrund einer Abmachung zwischen dem Unternehmen und der Polizei erfolgen. Die rechtliche Natur der Abmachung oder vielleicht sogar des Vertrages ist unklar, besonders angesichts der Tatsache, dass das polnische Rechtssystem keine öffentlichrechtlichen Verträge vorsieht. Darüber hinaus wundert, dass solch eine Bestimmung den Platz in einem Gesetz gefunden hat, statt in einer Rechtsverordnung. Die Daten aus Art. 20c Abs. 1 PolizeiG, die eine Bedeutung für ein Strafverfahren haben, werden von der Polizei dem zuständigen Staatsanwalt übermittelt. Der Staatsanwalt entscheidet über Art und Weise sowie Umfang der Verwertung der Daten, nach Abs. 6 der Vorschrift. Dies stellt eine Erweiterung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Bereich der Auswahl und Bestimmung dar, wie mit den Daten zu verfahren ist. Es stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft in den polnischen Bedingungen die geeignete Stelle dafür ist, die Unabhängigkeit von etwa politischem Druck zu gewährleisten. Eine lakonische Formulierung des Art. 20c Abs. 7 beendet die Vorschrift: Materialien, die keine Bedeutung für die Strafverfahren haben, sind unverzüglich protokollarisch zu vernichten. Es werden jedoch keine Bedingungen oder Kriterien für die Bedeutung für das Strafverfahren vorgebracht. Als Ergänzung könnte noch hinzugefügt werden, dass die Datenerhebung durch die polnische Polizei auch solche Datensätze umfasst, die aufgrund des Datenschutzgesetzes nicht gespeichert werden dürfen, also Daten zu Ras senherkunft, politischen Anschauungen, Religion, Parteien-, Vereins- und Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheitszustand, Abhängigkeiten, sexuelle Orientierung, Vorstrafen, laufenden Gerichtsverfahren mit der Teilnahme der Person, Erhebung von daktyloskopischen Daten, Erhebung von Bildern, Adressen, Beruf, Familienumfeld, Spitznamen, besonderen Erkennungszeichen, Vorgehensweise beim Straftatbegehen, persönlichen Gegenständen (Art. 20 Abs. 1 Polizeigesetz).274 Die Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung wurden bereits 2005 vom VerfGH im Verfahren K 32 / 04 kritisiert und teilweise außer Kraft gesetzt. Der Gesetzgeber hat aufgrund der Argumentation des Gerichts höhere 274 Poln.:
Pozyskiwanie danych osobowych.
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen111
Grundrechtsschutzstandards umgesetzt. Die Vorratsdatenspeicherung war dagegen damals kein Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Erst 2011 wurden sie vom Generalstaatsanwalt und vom Beauftragten für Bürgerrechte beanstandet und vor den VerfGH gebracht. 3. Bedeutung der Rechtsschutzprozeduren Die zwei Gruppen der Operations- und Erkennungstätigkeiten mit verschiedenen Zulassungsschwellen stellen verschiedene Arten und Stärken der Grundrechtsangriffe angesichts der verschiedenen Persönlichkeitsrelevanz der gewonnenen Informationen dar. Während der ersten Gruppe hohe Schranken gesetzt werden, sind sie bei der zweiten ziemlich niedrig, was aber nicht bedeutet, dass die Eingriffe harmlos sind. Doch der Gesetzgeber blickt nicht auf die Spezifik der Daten, die die Dienste sammeln, sondern schafft Verfahren in Anknüpfung an das Kriterium der Heimlichkeit und Effektivität der längst überholten Operations- und Erkennungstätigkeiten.275 Um die Beschwerlichkeit der Eingriffe zu lindern, schafft der Gesetzgeber auch selbstlimitierende Verfahren, nach der deutschen Begrifflichkeit Schranken der Eingriffe und Verfahrensgarantien, die als Zweck die Beschränkung der Stärke und Grenzsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Rechtsstaat haben. Eine Erweiterung dieses Themas wird in folgenden Teilen der Arbeit dargestellt, an dieser Stelle wird lediglich die Ausgestaltung des Rechtsschutzes vor den Informationseingriffen des Staates in Polen dargelegt. Es gibt zwei Kerne der Schutzmaßnahmen gegen Informationseingriffe. Zum einen ist das die Kontrolle ex ante und ex post der unabhängigen Stellen (dabei kann der Betroffene aus Effektivitätsgründen teilweise nicht teilnehmen) zum anderen das Verfahren nach dem Eingriff, in dem auch der Betroffene teilnehmen kann. Das erste richtet sich an die Zulassungsvoraussetzungen der Überwachung, die zweite an die Linderung der Schwere des Eingriffs und Transparenz des Rechtsstaates. Die beiden Sphären stellen ein Kraftfeld dar, in dem verschiedene Interessen aufeinander stoßen. Ihre Erwägung erfolgt nach Kriterien, deren Quelle aus den Erfahrungen und dem Verständnis des Rechtsstaates kommt. Die Herkunft der Standards in Polen und in Deutschland wird Teil C. dieser Arbeit behandelt. Vorweg aber werden empirische Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Vorschriften angegeben.
275 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 342–349.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
a) Löschung, Wahrung der gesetzlichen Geheimnisse Bezüglich des Rechtsschutzes enthält das polnische PolizeiG inkohärente und nicht schlüssige Vorschriften. Dabei ist der „Geist“ der Regelungen zu sehen – die angebliche, weil empirisch nicht begründete Effektivität der Fahndung und die staatliche Überzeugung von der Gewährleistung des quasi absoluten Schutzes vor nicht ausgesprochenen, diffusen Bedrohungen der Sicherheit. Generell gilt bei der Überwachung, dass die Daten, die unbrauchbar im Strafverfahren sind, gelöscht werden. Doch die Daten werden nicht nur zu Beweiszwecken gesammelt, sondern auch zu Zwecken der Prävention. Das Löschen der Daten, die nicht in den Strafprozess fließen, ist damit für die Prävention kontraproduktiv. Damit offenbart sich die Idee von H. Hund, dass die Vorfeldermittlungen nicht als Mittel der Gefahrenabwehr (im Sinne des deutschen Polizeirechts), sondern vor allem als Vorwand der Erleichterung der Verfolgung von Straftaten zu sehen sind. Mit dem Unterschied, dass dies in Polen weder Kontroversen noch Empörung auslöst. Der gutgemeinte Zweck der Hütung der Gesellschaft vor „allem Bösen“ legitimiert diese intellektuelle Misere. Die generelle Regel wird gewiss geschwächt. Art. 19 Abs. 15 PolizeiG besagt, dass bei dem Einsatz der Operationskontrolle gewonnene Materialien, die eine Einleitung des Strafverfahrens ermöglichen, oder Materialien, die für ein anhängiges Strafverfahren von Bedeutung sind, dem zuständigen Staatsanwalt übermittelt werden und dieses aufgrund dessen das Vorverfahren in Angriff nimmt (Art. 303 § 1 PolStPO) und als Konsequenz eventuell die Klageschrift vorbereitet (Art. 331 § 1 PolStPO). Danach gibt es zwei „Stufen“ des Löschens: Die erste absolute, Art. 19 Abs. 15f Nr. 1 PolizeiG besagt: Sollten die Materialien nach Abs. 15 die Informationen gemäß Art. 178 PolStPO (Strafverteidigergeheimnis) enthalten, so ordnet die Polizei sofort eine protokollarische Löschung der Materialien an. Die relative Pflicht zur Löschung besteht nach Nr. 2 der erwähnten Vorschrift, wenn Materialien Informationen im Sinne von Art. 178a (Mediationsgeheimnis) oder Art. 180 § 3 PolStPO (journalistisches Geheimnis) (mit Ausnahme der Informationen über Straftaten im Sinne des Art. 240 § 1 PolStGB) oder solche Informationen enthalten, die Gegenstand des Berufsgeheimnisses nach dem Art. 180 § 2 PolStPO (andere Berufsgeheimnisse) sind, leitet die Polizei sie an den zuständigen Staatsanwalt weiter. Diese Ausgestaltung bekamen die Vorschriften nach der Novelle vom 2016, die schon während der parlamentarischen Arbeiten äußerst kontrovers war.276 276 Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, Zeszyty Prawnicze BAS Nr. 3 / 2015 S. 143–
IV. Datenerfassung aus der IT-basierten Tätigkeit in Polen113
Es stellt sich die Frage, warum der Staatsanwalt die Informationen zum Mitlesen bekommt, wenn er sie ohnehin nach Abs. 15g der besprochenen Vorschrift an das Gericht weiterleiten muss. Im Fall des Abs. 15f Nr. 2, übermittelt die Staatsanwaltschaft die Materialien sofort nach ihrem Erhalt an das Gericht. Noch mysteriöser kommt die Ausgestaltung des Antrags des Staatsanwalts ans Gericht, der umfasst: eine Feststellung, dass die eingereichten Materialien Informationen nach Abs. 15f Nr. 2 enthalten und eine Genehmigung der Verwendung in Strafverfahren von genannten Materialien. Damit muss der Staatsanwalt die Zulassung der Materialien beantragen, selbst wenn er weißt, dass dies rechtswidrig sein könnte. Das Gericht beschließt unverzüglich nach dem Antrag des Staatsanwalts eine Zulassung der Verwendung im Strafverfahren von Materialien in dem Sinne, wenn es notwendig für das Wohl der Justiz ist und die Begebenheit des Tatbestands nicht mithilfe anderer Beweise festgestellt werden können. Sollte die Verwertung der Materialien im Strafverfahren unzulässig sein, beschließt das Gericht die sofortige Löschung der Materialien. Das Kriterium des Wohles der Justiz scheint in diesem Zusammenhang nicht eindeutig zu sein. Welches Wohl hat der Gesetzgeber gemeint? Die Effektivität der Fahndung? Die Prozessökonomie? Die Grundrechte des Betroffenen? Das Merkmal kann verschieden ausgelegt werden und zeugt von der mangelnden Sorgfalt der Gesetzgebung oder ja auch von Eingriffen in das Gebot der Bestimmtheit der strafrechtlichen Vorschriften. Gegen den Beschluss des Gerichts über die Zulassung der Verwendung der Materialien, steht lediglich dem Staatsanwalt eine Beschwerde zu. Auf dieser Etappe ist der Betroffene kein Teil des Verfahrens. Die Polizeistelle ist verpflichtet, den Beschluss der Löschung der Materialien unverzüglich protokollarisch auszuführen. Die Polizeistelle benachrichtigt unverzüglich den Staatsanwalt über die Vernichtung der Materialien, der es ohnehin weiß. Noch diffiziler stellt sich die Lage bei der Gewinnung der sog. Telekommunikations-, Post- und Internetdaten nach Art. 20c Abs. 1 PolizeiG dar. Die so gewonnenen Daten, die eine Bedeutung für ein Strafverfahren haben, werden von der Polizei dem zuständigen Staatsanwalt übermittelt. Der Staatsanwalt entscheidet über die Art und Weise sowie Umfang der Verwertung der Daten. Materialien, die keine Bedeutung für die Strafverfahren haben, sind unverzüglich protokollarisch zu vernichten. Doch was passiert mit den Materialien, die zur „Erkennung, Vorbeugung, Bekämpfung, Aufdeckung der Straftaten oder zur Rettung des Lebens oder Gesundheit der Menschen 158 (Gutachten zum Julientwurf, bleibt aber komplett aktuell zu der Januarnovelle.); Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw (druk sejmowy 154), http: / / orka.sejm.gov.pl / RexDomk8.nsf / 0 / 35E730BF5C69F31BC1257F2A00402B89 / $file / i522-15.rtf, Gut achten zum Dezemberentwurf.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungsarbeiten“ dienen sollten? Lediglich das Schicksal der Materialien zur „Beweissicherung“ scheint mit der Vorschrift des 7. Absatzes des erwähnten Artikels festzustehen. Sollte man die Vorschrift so lesen, dass nur die Materialien, die in den Strafprozess hineinfließen sollten, brauchbar sind? Was passiert aber dann mit anderen Zwecken der Erfassung? Sind sie alle der Strafverfolgung untergeordnet? b) Informationspflichten Ein zu Recht stark kritisierter Komplex der Verfahrensgarantien bei der Datenerfassung in Polen sind die Informationspflichten. Ein Meilenstein für die Festigung der Informationspflichten im Rahmen der TKÜ war die Entscheidung des EGMR in der Sache Klaas u. a. gegen Deutschland 1978. Dabei hat der Gerichtshof die Unmöglichkeit des generellen Ausschlusses der Benachrichtigung des durch Überwachung Betroffenen bestätigt. Danach „muss [er] nach Beendigung der Überwachungsmaßnahmen von diesen benachrichtigt werden, sobald dies ohne Gefährdung des Zweckes der Beschränkung erfolgen kann“,277 was das Erlangen effektiven Rechtsschutzes gegen TKÜ-Maßnahmen voraussetzt. Das gleiche unterstreicht der polnische VerfGH in der jüngeren Rechtsprechung von 2005,278 2006,279 2009280 und 2014.281 Er formuliert dieses Erfordernis im Urteil vom 30.7.2014 in etwa so: es soll also eine Überprüfung des Einsatzes möglichst vor seinem Beginn durch eine unabhängige Stelle stattfinden, und wenn dies nicht möglich ist, dann unbedingt danach, jedenfalls soll die Kontrolle auf keinen Fall unterbleiben. Um die Effektivität des Rechtsschutzes zu gewährleisten, muss auch der Betroffene sobald wie möglich von den Maßnahmen benachrichtigt werden. Das polnische Verfassungsgericht unterstrich diese Notwendigkeit schon in den früheren Entscheidungen. Selbst in dem aus eigener Initiative erlassenen Beschluss von 2006 (Signalisierungsverfahren) forderte das Gericht eine Einführung von expliziten Informationspflichten bei der TKÜ. Im erwähnten Beschluss hieß es: „Der VerfGH stellte die Verfassungsmäßigkeit des Art. 19 Abs. 6 des PolizeiG [im vorigen Verfahren] fest, doch gleichzeitig erkennt er an, dass diese Vorschrift die Möglichkeit der Benach277 Urteil vom 6. 9.1978, Klass u. a. gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 5029 / 71, Pkt. 58. 278 Urteil des VerfGH vom 12.12.2005, Az.: K 32 / 04. 279 Beschluss des VerfGH vom 25.1.2006, Az.: S 2 / 06. 280 Urteil des VerfGH vom 23.6.2009, Az.: K 54 / 07. 281 Urteil des VerfGH, vom 30.7.2014, Az.: K 23 / 11.
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richtigung über die Überwachung des Betroffenen nicht ausschließt und nicht ausschließen soll. Es kann jedoch die Möglichkeit der Benachrichtigung während der Dauer der Maßnahme ausschließen[…] Zu diesen Folgen führt die Auslegung des Art. 51 Abs. 3 PolVerf. Diese Vorschrift sichert dem Einzelnen den Zugang zu den Informationen zu seiner Person in den öffentlichen Registern. Dabei kann das Gesetz diesen Zugang einschränken, jedoch nicht ausschließen, denn in einem solchem Fall wäre das Grundrecht aus Art. 51 Abs. 3 PolVerf verwirkt. Art. 19 Abs. 6 des PolizeiG schließt die richtige Folge nicht aus, dass sich mit dem Wegfall des Grundes für die Überwachung die Möglichkeit einer Einsicht in die erfassten Materialien von dem Betroffenen eröffnet. Er eröffnete den Weg zur Einsicht. Was der derzeitige Rechtsstand gewährt, ist aber etwas anderes als die positive Pflicht der Benachrichtigung des Betroffenen zur Überwachung. In dem jetzigen Rechtsstand wäre so eine Pflicht wünschenswert und würde die Durchsetzung des Rechts aus dem Art. 51 Abs. 4 PolVerf verfahrensrechtlich ermöglichen.“ In der Novelle vom 15. Januar 2016 ignoriert der Gesetzgeber sowohl die internationalen Standards als auch die nationalen, angeblich unverbindlichen Vorgaben des VerfGH. Art. 19 Abs. 16 PolizeiG besagt: „die Materialien, die während der Operationskontrolle erfasst werden, sind dem Betroffenen nicht zugänglich zu machen. Die Rechte aus dem Art. 321 PolStPO bleiben unberührt.“ Nach Art. 321 PolStPO kann der Angeklagte Zugang zu den Materialien erlangen, die zur Klageschriftformulierung dienten. Die Personen, die jedoch überwacht wurden, und bei denen die Informationen nicht gebraucht wurden, sind nicht zu informieren. Die Vorschriften zur nicht inhaltsbezogenen Überwachung erwähnen den Art. 321 PolStPO nicht einmal. Das offensichtliche Ignorieren des Grundrechtsstandards hat weitreichende Konsequenzen. Das gleiche Problem besteht bei den Vorschriften der PolStPO, bezüglich der Betroffenen, gegen die kein Strafverfahren eingeleitet wurde. c) Tragweite – zwei Beispiele Um die Tragweite der Informationspflichten zu veranschaulichen, werden zwei Beispiele aufgeführt. Der Mordfall Maria Bögerl ist als Paradebeispiel für den Missbrauch der Überwachungsmaßnahmen bekannt, in Polen ist es der Fall des Journalisten Janusz Wróblweski. Am 12. Mai 2010 wurde die Frau eines Bankers, Marie Börgerl, entführt. Noch an demselben Tag meldete sich der Täter telefonisch bei dem Ehemann des Opfers und forderte Lösegeld. Die Geldübergabe scheiterte. Zwei Tage später wurde Frau Bögerls Auto im Hof des Klosters Neresheim aufgefunden. Anschließend startete die Polizei eine große Öffentlichkeitsfahndung.
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Die Suche endete schließlich am 3. Juni 2010, als ein Spaziergänger ihre Leiche in einem Waldstück unweit Heidenheim an der Brenz fand.282 Der immer noch unaufgeklärte Fall sorgte für eine große Aufmerksamkeit in den Medien und in der Gesellschaft. Die Polizei und die Ermittlungsbehörden gerieten unter massiven Druck. Ein Faden des Falles ist aber für den Gegenstand dieser Arbeit entscheidend. Im Laufe der Ermittlungen zum Mordfall wurde eine Überwachung der Telefonanschlüsse und des gesamten Internetverkehrs der Angehörigen angeordnet. Überwacht wurde also pauschal das ganze Kommunikationsverhalten der Familienmitglieder, darunter, wie sich herausstellte, auch die Gespräche mit den Anwälten. Bei der Internetüberwachung wurde ein Staatstrojaner angewendet. Die Maßnahmen brachten jedoch keine Ergebnisse. Daraufhin haben die Ermittler die Betroffenen über die Überwachung pflichtgemäß informiert. Der Sohn und der Freund der Tochter der Ermordeten legten eine Beschwerde gegen die Anordnung der Überwachung vor dem Landgericht Ellwangen283 ein und bekamen teilweise Recht. Die Telefonanschlussüberwachung nach dem Mord sei rechtswidrig gewesen, die Internetüberwachung dagegen nicht. Die beiden Beschwerdeführer haben sich entschieden, daraufhin eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG zu erheben.284 Aus der polnischen Perspektive scheint der Fall eher ein Kavaliersdelikt der Behörden zu sein. Er zeigt auch den effektiven Rechtsweg bei der Entdeckung der Missstände. Zum Vergleich nenne ich folgendes Beispiel: Von 2005 bis 2007 überwachte das zentrale Antikorruptionsbüro die Agentur für innere Sicherheit und die Polizei die Telekommunikation von mindestens zehn Journalisten, die Affären an der Regierungsspitze ans Tageslicht brachten.285 Die Behörden verlangten die auf Vorrat gespeicherten Daten – Verkehrsdaten von den Mobiltelefonanbietern der Journalisten. In Polen ist der Zugang zu den nicht inhaltsbezogenen Daten ohne Zustimmung des Gerichts möglich. Anscheinend wollten sie an Quellen der Journalisten kommen und damit möglicherweise den „Whistleblower“ in eigenen Reihen finden. 282 http: / / www.faz.net / aktuell / gesellschaft / mordfall-boegerl-merkwuerdigkeitenund-vorwuerfe-11788397.html (Zugang 22.7.2016); https: / / de.wikipedia.org / wiki / Mordfall_Maria_B %C3 %B6gerl (Zugang 22.7.2016). 283 LG Ellwangen 1. Große Strafkammer, Beschluss vom 28.05.2013, Az.: 1 Qs 130 / 12. 284 Dazu: Frank Braun, Überwachung des Surfverhaltens nach den § § 100a, b StPO zulässig? (Anmerkung zu LG Ellwangen, Urteil vom 28.05.2013, 1 Qs 130 / 12), juris Praxisreport IT-Recht, Ausgabe 18 / 2013, Anm. 5. 285 http: / / www.newsweek.pl / polska / dziennikarze-podsluchiwani—-to-jest-jakis -matrix-,65902,1,1.html (Zugang: 22.07.2016); http: / / wyborcza.pl / 1,76842,8480752, Dziennikarze_na_celowniku_sluzb_specjalnych.html (Zugang: 22.7.2016).
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Die Journalisten standen aber unter keinem Straftatverdacht, sie genossen Quellenschutz und wurden zu der Tätigkeit der Behörden auch nachträglich nicht informiert (diese Pflicht existiert im polnischen Recht nicht). Nach dem Regierungswechsel ermittelte 2010 die Staatsanwaltschaft in der Sache der Telekommunikationsüberwachung der Journalisten, stellte aber fest, dass keine Straftat begangen wurde und stellte damit das Verfahren ein. Als Beteiligter im Überprüfungsverfahren der Staatsanwaltschaft erlangte Bogdan Wróblewski,286 Redakteur der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, einer der Überwachten, Zugang zu der Information, dass er überwacht wurde und machte seine zivilrechtlichen Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechteverletzung gegen das zentrale Antikorruptionsbüro geltend. Ein anderer Rechtsweg, um die Rechtswidrigkeit der Überwachung festzustellen, war und ist immer noch nicht gegeben. 2012 entschied das Kreisgericht in Warschau zugunsten des Journalisten und stellte die Rechtswidrigkeit der Überwachung fest, dazu ordnete es eine Entschuldigung an.287 Ohne das Verfahren der Staatsanwaltschaft wären die Journalisten wahrscheinlich nie zu den Informationen gelangt. Um die heutzutage populäre Argumentation zu entkräften, ist auch anzudeuten, dass sich nicht nur bestimmte politische Richtungen der Überwachungsmaßnahmen bedienen, es kam heraus, dass es auch zur Zeit der PORegierungen 2009–2015 zu Missbräuchen kam, u. a. bei der Überwachung der Journalisten bei dem Skandal zu Aufzeichnungen der Prominenten aus der Politik 2015.288 Die gegenwärtige Fassung der Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation erleichtert solche Missbräuche erheblich. Die zwei Fälle zeigen in etwa Folgendes: Bei der Überwachung der Telekommunikation kann es leicht zu Missbräuchen kommen. Sie entstehen, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht eingehalten werden, doch damit der Einzelne nicht zum Rechtsobjekt wird, sondern ein Rechtssubjekt bleibt, sind die Kontrollmittel und der Rechtsschutz zu gewährleisten. Die Transparenz der Informationspflichten gibt dem Einzelnen die Möglichkeit, die Willkür der Ermittlungsbehörden zu überprüfen. Doch die Situation, in der die Pflichten nicht ganz ausbleiben, aber auch keine Verfahren zu ihrer Umsetzung existieren, öffnet den Weg der intransparenten, möglicherweise politisch motivierten Überprüfung. Die Ausgestaltung der Kontrollmechanismen zeugt von dem Niveau des Grundrechtsschutzes und seiner Effektivität. Die zwei Fälle, die in beiden Ländern für große Aufregung gesorgt haben, zeigen 286 http: / / wyborcza.pl / 1,76842,13815430,CBA_ma_przeprosic_dziennikarza__ Gazety_Wyborczej_.html (Zugang: 15.6.2015). 287 Urteil des Bezirksgerichts in Warschau, vom 26.4.2012, Az.: II C 626 / 11. 288 http: / / www.gazetaprawna.pl / artykuly / 917307,audyt-policja-podsluchy-dzien nikarze-prawnicy-afera-tasmowa.html (Zugang: 22.7.2016).
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das unterschiedliche Ausmaß des Problems der Kontrolle der Telekommunikationsüberwachung in Polen und in Deutschland. Der Rechtsschutz wirft folgende Grundrechtsfragen auf: Selbst wenn die Kontrolle ex ante oder ex post unbegründet war, kann sich der Betroffene dagegen nicht wehren, weil er über die Tatsache gar nicht informiert wird. 4. Zwischenbilanz Obwohl die Geschichte der Einführung der Überwachung in die Strafprozessordnung und die Polizeigesetze in Polen und in Deutschland einige Pa rallelen aufweisen, stehen die beiden Rechtsordnungen auf anderen Standpunkten. Der Ausgangspunkt aller Überlegungen zu Zwangsmaßnahmen in Deutschland sind die Grundrechte und ihre Wahrung. Das System enthält zahlreiche Differenzierungen nach der Eingriffsintensität – nach dem Zeitpunkt des Einsatzes, seiner Dauer, der Art der Daten, die erhoben werden, dem Ort der Erhebung, der Streubreite, des Subjektes, der die Daten erhebt, und der späteren Verwendung der Daten und ist mehrdimensional – vertikale Gesetzgebungskompetenz, Aufteilung und horizontale Teilung der Befugnisse zwischen verschiedenen Dienste. Es ist gewiss ein Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit und Auseinandersetzungen zwischen Rechtsprechung, Rechtslehre und Gesetzgeber, doch das System, das am Ende steht, ist innerlich schlüssig und die Schwächen überwiegen nicht die Stärken. Das polnische System der Überwachung entstand aus den geheimen Maßnahmen der Polizei. Weder die Vorschriften der PolStPO noch die Polizei und die Sicherheitsgesetze, deren Motto „Zweck heiligt die Mittel“ war, enthalten eine Reflexion über das Beenden der überkommenen Methoden. Diese Einstellung ist zwar geschwächt, jedoch immer noch im „Geist“ der polnischen Vorschriften vorhanden. Die Schwäche der Konzeption, die auf Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei und anderer Dienste baut, erstreckt sich auf verschiedene Gebiete des Rechts – von Verfassungsrecht über Verwaltungsrecht bis hin zum Strafrecht, nur die Kriminalistiklehre scheint zufrieden mit der Effektivitätsidee der Gewährleistung der Sicherheit zu sein, die Einbußen in der Rechtsstaatlichkeit aber auch der praxeologischen Unzulänglichkeiten des Systems sind ein Gegenstand vieler wissenschaftlicher Diskussionen. Die gefährlichsten Einbußen erleiden jedoch in dieser Hinsicht die Grundrechte. Entsprechend formulierte Befugnisnormen zur Kommunikationskontrolle und zur Vorratsdatenspeicherung könnten zur Umgehung der höher tangierten, allerdings nicht perfekten Vorschriften der StPO dienen und zur Verwendung des Polizeirechts, dessen grundrechtliche Hürden nicht so hoch sind. Damit haben zwar die Behörden keine Möglichkeit, die Inhalte der
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Kommunikation mitzuhören, doch die Metadaten bringen eine enorme Ballung von Informationen mit sich. Unter der Herrschaft des Art. 20c des PolizeiG und ähnlichen Mustern in anderen Sicherheitsgesetzen entsteht eine Diskrepanz zwischen der Kommunikationsüberwachung im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit, die unter Richtervorbehalt liegt, und dem Anzapfen von Verbindungsdaten, das keiner externen Kontrolle unterliegt, aber gleichzeitig fast genauso viele Informationen liefern kann. Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Polen also zu einem quasi milderen Mittel im Vergleich zur Kommunikationsüberwachung. Diese wurde vollständig außer Acht gelassen, sogar in Anbetracht mangelnden Interesses vor allem der Rechtsschutzorgane und Medien zum Thema Telekommunikationsüberwachung. Die Vorschriften eröffnen den Diensten die Möglichkeit eines relativ leichten Zugriffs auf die Persönlichkeitssphäre der Bürger, auch bei den banalen Straftaten wie Beleidigung des Volkes. Es könnte dadurch auch die Tür geöffnet werden zur Verfolgung der politischen Gegner oder unbequemen Journalisten jenseits des politischen Spektrums in Polen. 5. „In Zangen der Sicherheit“ Entwicklung der Operationsund Erkennungstätigkeit der polizeilichen Dienste in Polen nach dem Jahr 1989, eine Bilanz Zweifelsohne ist das System einer der diffizilsten Rechtskomplexe im polnischen Recht, das nicht nur den Menschenrechtsbefürwortern Sorgen bereitet, sondern auch den Behörden selbst.289 Im Folgenden wird erörtert, wie es zur jetzigen Lage gekommen ist, welche Unzulänglichkeiten das System aufweist und welche praktische Bedeutung dies für die Rechts- und Gesellschaftspraxis hat. a) Rechtspolitische Hintergründe Die Rechtslage, wenn es um die Operations- und Erkennungstätigkeit der polizeilichen und Sicherheitsdienste geht, ist ein Ergebnis der bestehenden Situation zur Zeit der politischen Umwandlungen 1989–1990, der späteren politischen Eingriffe und der Rechtsprechung. Kolloquial könnte man den Prozess der letzten 25 Jahre mit dem Satz „zwei Schritte vor, ein Schritt zurück“ beschreiben. Der politische Wandel nach dem Jahre 1989 hat gewiss auch die axiologischen Fundamente des Rechts geändert. Die ungeregelten und damit exzessi289 Jacek Kudła / Piotr Kosmaty, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do nowego modelu procesu karnego, Prok. i Pr. 12 / 2015, S. 115–117.
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ven Maßnahmen der Informationsgewinnung durch die Polizei und damals noch durch das Amt für die Staatssicherheit (UOP) sind eigentlich eins zu eins von den sozialistischen Regelungen übernommen, doch ihr Einsatz in der neuen Realität verlangte vor allem praxisbezogene Änderungen. aa) Angst vor Kriminalität Der Anfang der neunziger Jahre war durch einen raschen Zuwachs der Kriminalität gekennzeichnet. Während noch 1988 die MO etwas über 475.000 Straftaten registrierte, ist die Zahl 1990 schon auf 883.000 gestiegen.290 In den neunziger Jahren stieg die Zahl noch weiter und erreichte eine psychologische Grenze 1998 – eine Million,291 den höchsten Stand verzeichnete die Polizei 2003, die Anzahl belief sich auf über 1.466.000 Straftaten. Die Empörung über diese Tatsache wurde noch von den Medien verstärkt und von den Politikern als Popularitätsmultiplikator verwendet. Eine große Karriere machte der Begriff der organisierten Kriminalität. Durch die Medien gingen erschütternde Berichte über brutale Gangster, die die Städte erobern sollten. Es entstand der Anschein, dass der Staat der „Mafia“ machtlos gegenüber stand. Tatsächlich waren die Verfolgungsorgane nicht auf die neue Kriminalität vorbereitet. In der rechtsstaatlichen Realität konnten sie nicht mehr inoffiziell gegen die Kriminalität vorgehen. Die sozialistische Regel, dass bei der Wiederherstellung der Ordnung der Zweck die Mittel heiligt, war nicht mehr aktuell. Die Gesellschaft reagierte auf diese vorübergehende Schwäche der Strafverfolgungsorgane mit Empörung, die die Parole, dass „Verbrecher mehr Rechte haben als die anständigen Bürger“, zum Ausdruck brachte. Während sich die Fälle der einfachen Kriminalität, die sich mit gewaltigen Straftaten gegen das Eigentum tatsächlich in den Jahren 1988–1995 mehr als verdoppelt haben, war die Betroffenheit durch die Straftaten jedoch nicht größer als im Durchschnitt der westeuropäischen Ländern.292 Die Kriminalitätswahrnehmung war vor allem auf die neuen, spektakulären Verbrechen der gewalttätigen Gangs fokussiert, die im Bereich Drogenhandel, Erpressungen und Entführungen tätig waren. Dies erzeugte eine diffuse Angst vor der internationalen, organisierten „Mafia“, die den Einzelnen bedroht. Man blendete aber dabei aus, dass die Straftaten, die einen möglicherweise selbst betreffen konnten, nicht durch die „Gangster“ durchgeführt wurden, sondern durch Personen aus dubiosen Milieus in der unmittelbaren Nähe. 290 Jolanta Szymańczak, Przestępczość w latach dziewięćdziesiątych, ein Bericht des Büros der Studie und Expertisen des Sejms, 1998, S. 4. 291 Eliza Olczyk / Jerzy Pilczyński, Milion przestępstw rocznie, „Rzeczpospolita“ vom 7.7.1999. 292 Jolanta Szymańczak, Przestępczość w latach dziewięćdziesiątych, S. 8.
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Der Wunsch nach Verschärfung der Kriminalitätsbekämpfung wurde gehört. Der Gesetzgeber benutzte das Klima für den rücksichtslosen Kampf gegen die Kriminalität und beugte rechtsstaatliche Regeln, um die „Sicherheit zu gewährleisten“. Dabei wurden die Strafen für manche Straftaten erhöht und einige Maßnahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit ins Gesetz hineingeschrieben. Die Effektivität der Telekommunikationsüberwachung aber war im Kampf gegen die faktischen Besorgniserreger der Bürger, also einfache Kriminalität, empirisch nicht belegt. Die Angst um das eigene Vermögen wurde genutzt, um den erbitterten Kampf gegen die diffusen Gegner auszurufen, auf Kosten der vitalen Freiheiten – was aber überraschend gut in der Gesellschaft ankam.293 Der Kampf gegen alle Arten der Kriminalität bekam das gleiche Werkzeug. Der „einfache Dieb“, der die Gesellschaft plagte, wurde benutzt, um den Kampf gegen organisierte Kriminalität, Terroristen und korrupte Geschäftsleute zu rationalisieren. Ab 2004 ging die Zahl der Straftaten zurück und erreichte knappe 800.000 im Jahr 2015.294 Die durch das subjektive Unsicherheitsgefühl geweckten Erwartungen wurden für eine Weile befriedigt. Der Preis war aber aus der Grundrechtsperspektive hoch und die objektiven Ergebnisse unangemessen. Auf der neugewonnenen politischen und ökonomischen Freiheit lag der Schatten der Bedrohung der organisierten Kriminalität in der damals „neuen“ Rzeczpospolita. Die gnadenlose Bekämpfung der Kriminalität entsprach auch der Grundrechtsempfindlichkeit der Gesellschaft, die am objektiven Gehalt der Grundrechte hingen, wobei die Abwehrfunktion eine theoretisch unterstrichene, doch praktisch völlig unbekannte und missverstandene Dimension darstellte. Die Gesellschaft stellte sich die Freiheit anders vor. Die Feuerprobe, welche die Einstellung zum Risiko durch steigende Kriminalität darstellte, hat sie schlecht bestanden. Das Effektivitätsdenken, verbunden mit der sozialistischen Idee, dass Menschen, die sich gegen die öffentliche Ordnung stellen, vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen werden sollen, zeichnete sich in der öffentlichen Debatte ab und prägte die Meinungen. Dazu kam der Glaube, dass die Regierenden alles mit einem Federstrich verändern können und die erwarteten Zustände, von Sicherheit, Freiheit und Wohlstand mit einer Entscheidung dekretieren können. Vor allem die Rechtsschutzorgane des neuen Staates bekamen dies zu spüren. Noch im Oktober 1988 beschrieb Ewa Łętowska, die erste Ombudsfrau der Republik Polen, zutreffend die Stimmung und die Wahrnehmung der Grundrechte in der Gesellschaft: „[Die Leute] hoffen, dass der Ombudsmann Wunder bewirkt, dass er mit 293 Kommentar in der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ vom 28.12.2000, „Chcemy zaostrzyć kary“. 294 http: / / www.statystyka.policja.pl / st / ogolne-statystyki / 47682,Postepowaniawszczete-przestepstwa-stwierdzone-i-wykrywalnosc-w-latach-1999-2015.html, (Zugang: 18.7.2016).
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seinem Feuerschwert der Gerechtigkeit sofort das Ganze, seit Jahrzehnten gewachsene Unrecht wiedergutmacht; sie hoffen, dass wir den Beschwerdeführern ihre Würde vor aller Augen zurückgeben und zugleich ihre Feinde demütigen, die sie um Gnade bitten sollten. Diese Leute denken, dass sich der Ombudsmann in jedem Konflikt persönlich engagieren und als privater Anwalt und Berater die Gerechtigkeit wiederherstellen soll wie ein Herrscher, der durch keine Gesetze gebunden ist.“295 Der Wunsch nach einer schnellen Einführung der Ordnung, quasi ihr Dekretieren durch die Regierenden, war stärker als das Bewusstsein über die Unzulänglichkeiten der Methoden, die dazu dienen sollten und weiter gedacht, vitaler als der Wille, die neugewonnenen Freiheiten zu genießen. Die mangelnde Erfahrung mit der Bedeutung der Abwehrdimension der Grundrechte führte zu einer unreflektierten Einschränkung der Grundrechte durch die Entwicklung der vom sozialistischen Recht stammenden Methoden. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass nicht die Verstärkung der Überwachungsmethoden zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geführt hat, sondern die Infiltrierung dieses Milieus und die Änderungen im Strafprozess, etwa die Einführung des Kronzeugen.296 Allgemein hat die Einführung der Maßnahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit nicht im Wesentlichen zur Verbesserung des Schutzes vor Kriminalität beigetragen. In der ersten Hälfte des Jahres 2009 wurden 17,1 % Straftäter mithilfe der Operations- und Erkennungstätigkeit, die Statistiken umfassen aber beim Einsatz nicht konkret entdeckt, mit welchen Methoden diese Zahl erreicht wurde. Die einfache Kriminalität ging seit 2003 allgemein zurück, aber nicht wegen der Ausstattung der Polizei mit Überwachungsmaßnahmen, sondern weil wachsender Reichtum der Gesellschaft dazu beigetragen hat, dass die einfachen Vermögensdelikte sich schlicht nicht mehr lohnten. Dagegen hat man einen Zuwachs an Wirtschaftskriminalität bemerkt.297 bb) Angst vor Terrorismus Wenn man die Operationstätigkeit aller polizeilichen, geheimen und Nachrichtendienste in Polen als einen Komplex betrachtet, muss man vor allem eine Häufung der Vorschriften zur jeglichen Überwachung der Kommunika295 Ewa
58.
Łętowska, Jak zaczynał Rzecznik Praw Obywatelskich, Łódź 1992, S. 57–
296 Damian Furmańczyk, Przestępczość spada. Polska wśród najbardziej bezpiecznych państw Unii, http: / / wiadomosci.dziennik.pl / wydarzenia / artykuly / 458685,w-pol sce-jest-coraz-bezpieczniej-nowe-unijne-statystyki.html (Zugang: 19.7.2016). 297 Dazu: Paweł Waszkiewicz, Traktat o dobrej prewencji Kryminalnej, WarszawaNewark 2015, S. 17–50.
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tion nach dem Jahre 2001 feststellen. Dabei fungierte der gleiche Mechanismus wie bei der Angst vor Kriminalität, obwohl die terroristische Bedrohung den Polen fremd war. Doch diesmal hat die Überwachungsgesetzgebung in westlichen Ländern, die für Polen immer ein Beispiel waren, die Überzeugung verstärkt, dass man damit den richtigen Weg nimmt. Die Erschütterung nach den Attentaten von New York, Madrid und London war in Polen ziemlich groß, auch wenn das Land nicht direkt betroffen wurde, wobei bei allen drei Attentaten polnische Staatsbürger ums Leben gekommen sind. Die Polen fühlten sich aber als enger Verbündeter der USA bedroht. Nicht nur die sog. Sicherheitsexperten überzeugten die Bevölkerung vom hohen Risiko der Attentate in Polen, auch die polizeilichen Berichte haben es erwähnt. Als Beispiel könnte man den Bericht zum Stand der Sicherheit in Polen vom Jahre 2013 geben. Die Polizei erwähnt, dass das Risiko der Attentate in Polen wegen offener Grenzen und Bündnisse mit westlichen Ländern besteht. Später ist aber zu lesen, dass Polen höchstens als ein Transitland für die angeblichen Terroristen zu sehen ist. Die Anzahl der untersuchten Fälle zu terroristischen Straftaten betrug 2013 jedoch nur sieben, die Anzahl der Verdächtigten vier.298 Die Anklageschrift erging aber nur in einem Fall und das zusätzlich gegen einen polnischen Staatsbürger, der ein Attentat auf das Sejmgebäude vorhatte, angeblich aus Frust gegen die Politik.299 Doch in der Begründung zur Novelle des Polizeigesetzes vom Jahr 2009, die die Richt linie der Vorratsdatenspeicherung umsetzte, ist zu lesen: „Die längst mögliche Dauer der Aufbewahrung der Telekommunikationsdaten ist mit der Bedrohung verbunden, dass Polen als ein Transitstaat für Terroristen benutzt werden könnte.“300 Es schien damals, dass der islamische Terror nach Polen heranzieht. Aber die Logik der Politik war erbärmlich. Für die Entscheidungsträger war die einzige Möglichkeit ihn aufzuhalten, die Einschränkung der Telekommunikationsfreiheit, um die Terroristen zu infiltrieren und im Vorfeld ihre Vorhaben zu stoppen, was nachrichtendienstlich vielleicht Sinn gehabt hätte. Es müsste bei den polizeilichen Diensten jedoch mindestens als fraglich angesehen werden, allein wegen der geringen faktischen Möglichkeit eines Angriffs der 298 Komenda Główna Policji 2013 Raport o stanie bezpieczeństwa w Polsce, S. 299–306, http: / / isp.policja.pl / download / 12 / 4474 / 00RAPORT2013.pdf, (Zugang: 19.07.2016). 299 http: / / www.tvn24.pl / raporty / planowany-zamach-na-polskie-wladze-zatrzyma nia-abw,553, (Zugang: 19.07.2016). 300 Proejkt ustawy o zmianie ustawy – Prawo telekomunikacyjne oraz niektórych innych ustaw, (Drucksache 1448), http: / / ww2.senat.pl / k7 / dok / sejm / 030 / 1448.pdf (Zugang: 19.07.2016).
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Islamisten hierzulande. Zum einen wegen mangelnden Interesses an Polen, zum anderen wegen der schlechterdings sehr großen Auffälligkeit der Immigranten in Polen.301 Doch diese Argumentation hat überzeugt und die Zustimmung der Öffentlichkeit bekommen. Nicht ohne Bedeutung war dabei die Rhetorik, die „die Sicherheit des Staates als den höchsten Wert jeder Gesellschaft dargestellt hat.“302 Man hatte unreflektiert die Maßnahmen der westlichen Länder willig übernommen, doch bei der Feststellung ihrer Unverhältnismäßigkeit durch den EuGH 2014 keinen Fall gelöscht. Ein vermeintliches Risiko wollte man mit realen Mitteln bekämpfen. Bis heute haben die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung zu keiner Festnahme eines „Terroristen“ geführt, wohl aber zur Überwachung der Journalisten, die schon früher erwähnt wurde. cc) Angst vor Korruption Der nächste Faktor war die damalige (2002–2007) gesellschaftspolitische Kondition Polens, die durch zahlreiche Affären unter den Spitzenpolitikern und Geschäftsleuten gekennzeichnet war. Die Empörung über die Arroganz und unlautere Geschäfte der Regierenden und zusätzlich der durch die Medien erhitzten Wille, der angeblichen Willkür des Establishments ein Ende zu setzen, eröffneten der repressiven Gesetzgebung den Weg. Als ein wichtiges, gemeinsames Merkmal der Affären könnte man eine „Telekommunikationsspur“ erwähnen. Sowohl die sog. „Rywin-Affäre“,303 „die Kohle-Mafia“304 als auch die „Affäre von Starachowice“305 wurden 301 Roman Polko, Armia w walce z Terroryzmem XXI wieku, in: Brunon Hołyst, Jakub Jałoszyński, Arkadiusz Letkiewicz (Hrsg.), Wojna z Terroryzmem w XXI wieku, Szczytno 2009 S. 269–270. 302 Elżbieta Szafrańska, Bezpieczeństwo państwa w kontekście zagrożeń terrorystycznych, in: Brunon Hołyst, Jakub Jałoszyński, Arkadiusz Letkiewicz (Hrsg.), Wojna z Terroryzmem w XXI wieku, Szczytno 2009, S. 158. 303 Sog.: Afera Rywina, Lew Rywin (ein Filmproduzent) machte am 22. Juli 2002 Adam Michnik (dem Chefredakteur der größten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza) ein Korruptionsangebot um gegen Zahlung von 17 Mio. Dollar das Mediengesetz dahingehend geändert würde, dass der Verlag der Zeitung Gazeta Wyborcza (Agora S.A.) die Kontrolle über den privaten Fernsehsender Polsat oder das staatliche TVP2 übernehmen könnte. Rywin berief sich dabei auf „Gruppe, die die Macht in den Händen hält“ deutete an, dass der damalige Prämierminister Leszek Miller (SLD) zumindest gewusst habe. Die Affäre wurde von Adam Michnik am 22. Dezember 2001 ans Tageslicht gebracht. Daraufhin wurde Rywin auf zweieinhalb Jahre Gefängnis und 100.000 zloty Bußgeld verurteilt. Wichtige Beweise waren die sog. „Billings“. 304 Sog.: Mafia Weglowa, Struktur, die dank der Protektion der Politiker bis 2006 Erschleichung in Millionenhöhe begangen hat, durch Fälschung von Qualitätszertifikaten für Kohle aus den Oberschlesischen Bergwerken. Die Presse brachte die Affäre
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durch Preisgabe der Telekommunikationsdaten zwar nicht von Behörden, sondern von Betroffenen enthüllt. Die privat aufgezeichneten Telefonate, SMS-Nachrichten und Verbindungsdaten gingen erst durch die Presse und im Anschluss wurden sie als Beweismaterial vor Gerichten verwendet. Diese Tatsache erweckte den Eindruck in der Gesellschaft, dass es nur durch repressive Mittel der Überwachung der modernen Telekommunikation möglich sei, schweren Straftaten vorzubeugen. Die zweifelhafte Effektivität der Politik zur Straftatenverfolgung stand im Vordergrund. Daraufhin wurde 2006 das zentrale Antikorruptionsbüro ins Leben berufen, eine Formation, der sowohl polizeiliche als auch nachrichtendienstliche Aufgaben zugeschrieben wurden.306 Man wollte sich mit der Korruption, wie mit der steigenden Kriminalität, wiederum mit harten Mitteln auseinandersetzen. Die CBA wurde vor allem am Anfang ihrer Tätigkeit für die Fehlschläge bei den eindringlichen Versuchen der Korruptionsaufdeckung berühmt. Vor allem der Fehlvorwurf gegen einen bekannten Warschauer Arzt sorgte für große Empörung.307 2012 wollte die Opposition sogar die Liquidierung des Büros wegen unzulässiger Korruptionsprovokationen, die deren Agenten sich erlaubt haben.308 Noch 2009 erklärte der VerfGH einige Vorschriften zur Überwachung durch die CBA für verfassungswidrig.309 Bei dem Kampf gegen die Korruption wurden die gleichen Emotionen in der Gesellschaft benutzt wie bei der Kriminalitätsbekämpfung, eine „heilige“ Empörung wurde mit Gnadenlosigkeit und Effektivitätsdenken kombiniert, dazu kam noch der Wunsch, die Missstände schnell zu eliminieren, am besten mit einem Rechtsakt. Es handelte sich dabei nicht um die am Anfang der Neunziger bekannt gewordene Bestechung der einfachen Beamten, die schon längst u. a. durch die Bereicherung der Gesellschaft überwunden wurde, sondern um Korruption auf den hohen staatlichen Posten, die persönlich keinen Bürger betraf, ans Tageslicht. Die Verurteilung der Täter erfolgte vor allem aufgrund den Einzelverbindungsnachweise. 305 Sog.: Afera Starachowicka, Andrzej Jagiełło, ein Parlamentsabgeordnete der SLD informierte im März 2003 seinen bekannten Henryk Długosz über eine gegen ihn geplante Polizeirazzia. Die Nachricht habe er vom stellvertretenden Justizminister Zbigniew Sobotka bekommen. Die Beziehungen zwischen den Verdächtigten konnten aufgrund der Einzelverbindungsnachweise feststellen. 306 Projekt ustawy o Centralnym Biurze Antykorupcyjnym (Drucksache 275), http: / / ww2.senat.pl / k6 / dok / sejm / 012 / 275.pdf, (Zugang: 19.07.2016). 307 http: / / wiadomosci.gazeta.pl / wiadomosci / 1,114873,3918121.html, Sog. Fall des Doktors „G.“, Im Februar 2007 wurde Mirosław Garlicki von der CBA (Zentrales Antikorruptionsbüro) fälschlicherweise beschuldigt wegen Korruption und Mordversuch auf einige seiner Patienten. Der Gerichtsprozess dauerte bis 2013. Der Arzt wurde freigesprochen. 308 http: / / www.polskieradio.pl / 7 / 1691 / Artykul / 739318 (Zuganag: 19.07.2016). 309 Urteil des VerfGH vom 23.6.2009, Az.: K 54 / 07.
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doch zu Recht große Empörung hervorrief, aber nicht durch nachrichtendienstliche Methoden, wie die Telekommunikationsüberwachung, bekämpft werden sollte, sondern, wie die Praxis gezeigt hat, durch die Solidaritätsbrechung zwischen den Gebern und den Bestochenen.310 dd) Die Umsetzung Schon in der ursprünglichen Fassung des Polizeigesetzes vom 6. April 1990 führte Art. 19 die Operationskontrolle als ein Mittel der polizeilichen Arbeit ein. Aus der heutigen Sicht war die Vorschrift unbestimmt. Der Art. 19 klang wie folgt: „Bei der Durchführung der Operationstätigkeit, im von der Strafprozessordnung nicht gefassten Umfang, kann der Innenminister nach der Zustimmung des Generalstaatsanwalts zur Verhinderung oder Enthüllung von Straftaten, die sich gegen das menschliche Leben richten oder im Rahmen internationaler Abkommen verfolgt werden, eine befristete Kontrolle der Korrespondenz, sowie die Verwendung technischer Mittel einsetzen, die den geheimen Zugang zu Informationen ermöglichen oder der Beweissicherung dienen.“311 Die erste Novelle des Art. 19 kam 1995. Die Tatbestände, bei denen ein Einsatz der Kontrolle möglich ist, wurden um Korruption und Wirtschaftsstraftaten erweitert. Zusätzlich wurde das Verfahren etwas detaillierter geregelt und nur subsidiär, als ultima ratio, zur Anwendung bereitgestellt. Art. 19 in der neuen Fassung sah auch die unverzügliche Vernichtung der Materialien, die keine Informationen zur Straftatbegehung lieferten, vor. Die größte Novelle kam im Jahre 2002 und erließ die Vorschrift, in der es um die Prozedur geht, in ähnlicher Form wie sie heute noch besteht. Als eine Antwort auf die beschriebenen Bedrohungslagen wurden auch spezielle Behörden ins Leben gerufen: vor allem die Agentur für Innere Sicherheit (ABW) im Jahre 2003 und das schon erwähnte zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) im Jahre 2006, es wurden auch die Nachrichtendienste umgebaut. Zusätzlich wurden den bisher existierenden Behörden neue Befugnisse eingeräumt. Die Häufung der bereitgestellten Maßnahmen und ein gewisser politischer Aktionismus haben zu einer Unklarheit und Ungewissheit der Rechtsstaatsgrenzen beim Einsatz der Kontrollmethoden geführt. Während die Briefkontrolle und Telekommunikationskontrolle relativ kleine 310 Małgorzata Wypych, Czym jest Korupcja? Informatior prawny, Matarialen der Helsinki Kommission in Polen und Stefan-Batory-Stiftung, http: / / www.batory.org.pl / ftp / program / przeciw-korupcji / publikacje / czym_jest_korupcja.pdf (Zugang: 19.07. 2016). 311 http: / / isap.sejm.gov.pl / Download;jsessionid=ABF03CEDC1EB9EDB9AC9CF C568A4BFF3?id=WDU19900300179&type=3 (Zugang: 15.06.2016).
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Grundrechtsprobleme aufwiesen, weil sie unter dem Richtervorbehalt standen, hätte der breite Zugang zu Verkehrsdaten größere Bedenken aufwerfen sollen. Erst mit dem Aufkommen von sozialen Netzwerken, Online-Diensten, Smartphones und der faktischen Verlagerung zahlreicher menschlicher Aktivitäten in die digitale Welt und mit der Entstehung der Nichtregierungsorganisationen, die sich mit diesen Fragen als ihre Satzungsziele befassten, kam auch die Reflexion über die Folgen der zu Beginn der 2000er Jahre eingeführten Gesetzgebung. Es sollte hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass diese Gesetzgebung ein Ergebnis der Tätigkeit einer bestimmten politischen Richtung war. Im Gegenteil, im Zeitraum zwischen 2002 und 2016 gab es in Polen Regierungen verschiedener politischer Richtungen. Sie alle trugen dazu bei, dass sich die heutige Gesetzgebung zur Operations- und Erkennungstätigkeit der polizeilichen Dienste, so wie die Bestimmungen der Strafprozessordnung, in einem erbärmlichen Zustand befinden. Es bestand ein gewisser überparteilicher Konsens zur Verschärfung der Gesetzgebung. Außer politischem Aktionismus war die Einstellung der Medien und der Gesellschaft auch markant. Effektivitätsdenken, Suche nach einfachen Lösungen, und sozialistisch vorprogrammierte Wahrnehmung der Grundrechte haben dazu beigetragen, dass Polen 2004 und 2005 eines der wenigen EULänder war, das keine Grundrechtsschutzbedenken in der Diskussion über das Projekt der Richtlinie 2006 / 24 / EG geäußert hat. Im Gegenteil, Ende 2005 kam Przemyslaw Gosiewski, Sprecher der damaligen Regierungspartei PiS, mit der Idee, die Einzelverbindungsnachweise (sog. Billing) bis zu 15 Jahre aufzubewahren, was der Effektivität der Strafpolitik dienen sollte.312 Seine Aussage löste keine große Empörung in der polnischen Gesellschaft aus, während die Menschenrechts- und Datenschützer in anderen EU-Staaten Alarm geschlagen haben, dass schon 24 Monate Aufbewahrungszeit einen übermäßigen Grundrechtsangriff darstelle. Mangels Gegenargumenten in der öffentlichen Debatte keimte die Überzeugung, die bis heute spürbar ist, dass nur durch eine lückenlose Telekommunikationsüberwachung eine effektive Straftatenverfolgung sowohl in präventiven als auch im repressiven Sinne möglich ist. 2007 begannen die parlamentarischen Arbeiten am Projekt der Richtlinienumsetzung. Im April 2007 empörte sich der damalige Opposi tionspolitiker, spätere Vizepremier in der ersten Regierung Tusk, Waldemar Pawlak, in seinem Blog über das Projekt: „[…] Polen hat die Chance, das einzige EU-Land zu werden mit einer Verkehrsdatenspeicherungsfrist von fünf Jahren […] Liebe Journalisten, Experten, Kommentatoren, Ihr Schwei312 Piotr Waglowski, 15 lat retencji, http: / / prawo.vagla.pl / book / export / html / 7082 (Zugang: 23.03.2016).
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gen bedeutet eine Zustimmung für die Einführung der absurden Lösungen!“313 Tatsächlich interessierte sich wiederum die Öffentlichkeit hier in sehr geringem Umfang für das neue Gesetz. Die Arbeiten wurden 2007 aber durch vorgezogene Wahlen gestoppt. Mit der Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG durch die Regierung Tusk, kamen 2009 die Regelungen in Polen auf den heutigen Stand. Wie man in der Begründung zum Gesetzesprojekt lesen kann, soll die Umsetzung die Harmonisierung und Transparenz im Vergleich zu den damaligen recht breit gefassten und unklaren Vorschriften fördern.314 Der Gesetzgeber hat also selbst die Schwäche der eigenen Gesetzgebung erkannt und hatte vor, sich durch eine Umsetzung der europäischen Richtlinie an die höheren Standards anzupassen. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Polizei schon 2001 die Möglichkeit bekam, an die Verkehrs- und Standortsdaten von Mobilfunk anbietern zu gelangen, damals aber bestand noch keine Reglung, wie lange die Daten von den Unternehmen aufbewahrt werden sollten, es wurde ihnen selbst überlassen, dazu interne Regelungen zu treffen. Insofern könnte man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2009 eigentlich einen Fortschritt darstellte, ein Fortschritt, der aus der Perspektive anderer Mitgliedsländer äußerst mager aussah. Im Evaluationsbericht der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Richtlinie 2006 / 46 / EG wurde bemerkt, dass Polen europaweit über die große Anzahl an Behörden verfügt, die zu den Daten Zugang haben, die meisten Abfragen bei den Telekommunikationsfirmen verlangte (selbst im Vergleich zu den bevölkerungsreicheren Ländern) und sich für die längste Dauer der Speicherung entschieden hat.315 Die Umsetzung im Gesetz vom 24. April 2009 löste wieder keine große Diskussion aus und hat eher kleine Kontroversen hervorgerufen, bestimmt nicht solche wie die Transponierung derselben Richtlinie ins deutsche Rechtssystem, die eine Fülle von Verfassungsbeschwerden gebracht hat, denn eigentlich bedeutete sie eine Milderung des zurzeit geltenden Rechts. Damit hat Polen eines der schärfsten Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung in der EU bekommen. Diejenigen, die früher empört waren, haben sich in Schweigen gehüllt. 313 http: / / waldemarpawlak.blog.onet.pl / 2007 / 04 / 11 / skandaliczne-milczenie-me diow / (Zugang 16.03.2016). 314 Projekt ustawy o zmianie ustawy – Prawo telekomunikacyjne oraz niektórych innych ustaw, (Drucksache 1448), http: / / ww2.senat.pl / k7 / dok / sejm / 030 / 1448.pdf (Zugang: 19.07.2016). 315 Evaluation report on the Data Retention Directive (Directive 2006 / 24 / EC) http: / / eur-lex.europa.eu / LexUriServ / LexUriServ.do?uri=COM:2011:0225:FIN:en: PDF (Zugang: 22.7.2016).
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2005 erging ein Urteil des VerfGH, das sich in einem Normenkontrollverfahren mit einem Antrag des Beauftragten für Bürgerrechte gegen die Befugnisse der Polizei zur Telekommunikationsüberwachung beschäftigte. Der VerfGH kritisierte die repressive Gesetzeslage scharf und hat einen großen Teil der Telekommunikationsüberwachungsvorschriften außer Kraft gesetzt.316 Im Urteil wurde zwar die Vorratsdatenspeicherung nicht erwähnt, doch die allgemeinen Vorgaben des VerfGH zur Praxis der Strafverfolgungsbehörden konnten teilweise darauf bezogen werden. Der VerfGH unterstrich vor allem, dass geheime Methoden der Strafverfolgungsbehörden auch im Rechtsstaat unentbehrlich sind, doch der Gesetzgeber muss sich bei der Regulierung der delikaten Materie an die Vorgaben der Art. 49 und 51 der VerfPol halten. Dadurch ist sein Spielraum beschränkt. Die Statistiken waren alarmierend. Polen stand an der Spitze der EU-Länder mit der größten Zahl der angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen.317 In deutlichen Worten bringt der VerfGH die Wichtigkeit der Freiheiten und Menschenrechte der ersten Generation zum Ausdruck: „Die Verfassung formuliert die minimale, nicht die maximale Garantie der Rechte und Freiheiten des Einzelnen. Daher müssen alle Einschränkungen dieser Rechte eng ausgelegt werden und können nicht zu einer Regel werden, denn die Bestimmungen über die Rechte und Freiheiten des Einzelnen können nicht ein fernes Ziel darstellen, dessen Verwirklichung der Gesetzgeber nur nach seinen Möglichkeiten bestreben sollte. Dieses Verständnis ist üblich bei wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, es darf jedoch nicht für die Aus legung der persönlichen und politischen Rechte und Freiheiten eingesetzt werden.“318 Die öffentliche Diskussion zu dieser Zeit konzentrierte sich jedoch nur auf die Abhörmethoden der Strafverfolgungsbehörden und nicht auf die Vorratsdatenspeicherung, die in der Gegenüberstellung relativ harmlos davonkam. Das letzte „große Urteil“ des VerfGH zu Überwachungsmaßnahmen vom 30. Juli 2014 brachte einen neuen Wind mit sich. Zahlreiche Organisationen haben es öffentlich zur Debatte gestellt. Vor allem das Komitee von Helsinki, die Stiftung Panoptykon und Watchdog Poland waren dabei aktiv.319 Die Kommunikationsüberwachung wurde auch dank der Nachrichten über die 316 Urteil
des VerfGH vom 12.12.2005 Az.: K32 / 04. report on the Data Retention Directive (Directive 2006 / 24 / EC) http: / / eur-lex.europa.eu / LexUriServ / LexUriServ.do?uri=COM:2011:0225:FIN:en: PDF (Zugang: 22.7.2016). 318 Urteil des VerfGH Az.: K 32 / 04 vom 12.12.2005 Punkt 4.2. 319 Etwa: Der Brief des Vorsitzenden des Helsinki Komitees Adam Bodnar an die Premierministerin Ewa Kopacz vom 19.05.2016, http: / / programy.hfhr.pl / monitoring procesulegislacyjnego / files / 2015 / 05 / K2311wykonaniewyroku.pdf (Zugang: 22.06. 317 Evaluation
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Missstände im US-amerikanischen NSA zu einem Thema. Noch 2015 hatte man die Hoffnung, dass die Umsetzung des Urteils K 23 / 11 den europäischen Trend verfolgen wird, besonders nach dem Urteil des EuGH zur Nichtigkeit der Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung. In der zweiten Hälfte des Jahres 2015 erging ein Entwurf des Senats zur Änderung des Polizeigesetzes und anderer Sicherheitsgesetze.320 Der Vorschlag wies zahlreiche Unzulänglichkeiten auf und hat das Urteil oberflächlich betrachtet. Allein die Vorschriften, die Entscheidungsgegenstand des Urteils K 23 / 11 waren, wurden geändert, obwohl das Gericht auch in obiter dicta Sätzen auf andere Vorschriften hingewiesen hat. Selbst aber die Bestimmungen, die novelliert werden sollten, waren nicht vollständig mit dem Urteil vereinbar.321 Vor allem die Vermeidung der effektiven Kontrolle des Zugangs zu Verkehrs- und Standortsdaten und die mangelnden Informationspflichten wurden kritisiert. Die Gleichstellung der Überwachung in den Räumlichkeiten wurde, unabhängig von der inhaltsbezogenen Telekommunikationskontrolle dagegen nicht angegriffen. Das Projekt fuhr dagegen das Gebot der Subsidiarität beim Zugriff auf die Verkehrsdaten. Das Gesetz wurde nicht verabschiedet und der im Herbst 2015 neugewählte Sejm hat die Frage der Gesetzesänderung geerbt. Die Zeit für das neue Parlament war aber knapp, der VerfGH setzte eine Frist bis 7. Februar 2016. Nach diesem Datum sollten die beanstandeten Überwachungsvorschriften nichtig sein. Der neue Gesetzesentwurf vom Dezember 2015 war eigentlich größtenteils eine Kopie des früheren. Der Unterschied bestand in der Erweiterung des Datenzugangs nach dem Art. 20c PolizeiG um die sog. Internetdaten und in der Löschung der Subsidiaritätsklausel. Die Kontrolle über den Zugang zu Verkehrs- und Standortsdaten wurde wieder vernachlässigt. Die angespannte politische Atmosphäre nach dem Regierungswechsel führte aber dazu, dass die parlamentarischen Arbeiten gleichzeitig mit einigen starken Protesten verliefen. Überraschend war aber die erwünschte Bürgeraktivität um das neue Projekt der PiS-Regierung, vor allem weil es von dem um ein paar Monate älteren PO-Entwurf eigentlich alles übernommen 2016) oder allgemeine Erklärung der „Panoptykon“ Stiftung https: / / panoptykon.org / sluzby (Zugang: 22.06.2016). 320 Projekt ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, (Drucksache 3765) http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki7ka.nsf / 0 / 141378691F4818FFC125 7E920045EDAB / %24File / 3765.pdf (Zugang: 19.07.2016). 321 Anna Obem / Kilicki Wojciech, Dostęp do danych telekomunikacyjnych: lifting zamiast reformy, https: / / panoptykon.org / wiadomosc / dostep-do-danych-telekomuni kacyjnych-lifting-zamiast-reformy (Zugang: 19.7.2016); Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, Zeszyty Prawnicze BAS, 3 / 2015, S. 152–153.
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hat. Die sachlichen Argumente gingen in der Auseinandersetzung unter, und man könnte den Eindruck bekommen, dass das Projekt nur wegen der Abstammung seitens der neuen Regierung verurteilt wurde. Seine Verurteilung war an sich richtig, aber die erhobenen Argumente nicht immer sachlich. b) Vielschichtige Kritik der jetzigen Lage Die Kritik der Vorschriften zur Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei in Polen ist komplex und verläuft auf verschiedenen Ebenen. Die erste bezieht sich auf das Modell und die Ausgestaltung der Operations- und Erkennungstätigkeiten als Mittel zur Informationssammlung über den Einzelnen. Es geht hier um die dogmatische Platzierung dieses Komplexes in der Rechtsordnung generell. Als Vertreter dieser ist Dobrosława SzumiłoKulczycka zu nennen. Die zweite Ebene ist die Kritik aus den Reihen der Strafprozesslehre, sie setzt vor allem an der Möglichkeit der Verwendung der präventiv gewonnenen Materialien im Strafprozess an. Als Vertreter dieser Linie sind vor allem Tadeusz Hanausek und Stanisław Waltoś zu erwähnen. Die dritte Ebene der Kritik kommt aus der grundrechtlichen Perspektive und verbindet die oben genannten Kritikpositionen in verschiedenen Verhältnissen, dazu kommen auch die Vertreter der Zivilgesellschaft wie das Helsinki Komitee oder die Stiftung „Panoptykon“. Alle diese drei Gruppen der Kritik sind wiederum mehrstufig. Im Folgenden wird ein Überblick gegeben. aa) Generelle Kritik an der Idee der Operations- und Erkennungstätigkeiten Die rechtspolitischen und axiologischen Änderungen im Verfassungsrecht wurden im Polen der neunziger Jahre schnell vollzogen, doch die tiefer gehenden, schon eingeprägten, alten Institutionen in sämtlichen Fachrechtsgebieten blieben bei der alten Nomenklatur, wenn auch mit neuen Wertegrundlagen. Die schon bestehende Gesetzessprache und Dogmatik wurden mit der neuen Rechtsstaatsschicht überzogen, was eine positive Auswirkung auf die Kontrolle der Rechtsmäßigkeit hatte, aber doch keine neue Überlegung für die Klassifikation der polizeilichen Maßnahmen mit sich brachte. Dobrosława Szumiło-Kulczycka hält die noch vom sozialistischen Recht stammende, nicht unumstrittene Definition der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei für überholt. Alle Bausteine der Bezeichnung als geheime, informelle, außerprozessuale Methode, die keine Beweisbedeutung hat, seien nicht mehr gültig. Im Gegenteil, sie werden in Polizei- und anderen Sicherheitsgesetzen formuliert und finden vor oder parallel zum Prozess An-
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wendung und als solche ermöglichen sie auch dem Betroffenen beschränkte Einsicht, allerdings nur im Rahmen des Strafprozesses.322 In Polen werde immer noch das statische Kriterium der Möglichkeit der Prozessverwertung der Ergebnisse als Maßstab genommen, die lediglich die Maßnahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit in ein dichotomisches System aufteilen lässt. Vernachlässigt wurde aber die Abwägung der Intensität des Eingriffscharakters der Maßnahmen, der sie in ein dynamisches Aufteilungssystem mit der Differenzierung der Eingriffsstärke als Maßstab hätte verwandeln können. Die veraltete Systematik der 1960er Jahre könne nicht mehr mit den Gesetzes-, Wirtschafts- und Gesellschaftsänderungen auf dem neusten Stand bleiben und werde zu einem Störungsfaktor gegenüber dem freiheitlichen Grundrechtskatalog der Verfassung und der Rechtsprechung des VerfGH. Die Gesetzeslage erschwere die inkonsequenten Novellen der polizeilichen Gesetze, die Ansatzpunkte für die differenzierte Betrachtungsweise liefern, aber kein kohärentes System bilden. Der Gesetzgeber differenziere nicht nach Eingriffsintensität der verschiedenen Maßnahmen, sondern nach dem Grad der Heimlichkeit. Es lässt sich feststellen, dass nur die Vorschriften, die vorher vom Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt wurden, objektive Erwägungskriterien bekamen, die die Maßnahmen vor der Willkür der Behörden schützen sollen. Die punktuellen Eingriffe des Verfassungsgerichts in die Gesetze haben zur Folge, dass auch die Änderungen der Vorschriften punktuell verlaufen und den Gesetzgeber nur zu den nötigen Nachbesserungen zwingen, aber keine vertiefte Reflexion über das gesamte System veranlassen, wahrscheinlich auch mangels politischen Willens. bb) Kritik aus der Strafprozessperspektive Die immer noch stark verwurzelte Dichotomie der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei scheint aber in den letzten Jahren zu schwächeln, was jedoch nicht unbedingt positive Folgen für das Rechtssystem hat. Das bisherige Kriterium der Aufteilung – die Verwertung im Strafprozess, wird mit den Novellen der polizeilichen und Geheimdienstgesetzen aufgelockert. Für die Zwecke dieser Arbeit ist es nicht notwendig, in alle Details der strafprozessualen Kritik hineinzugehen. Es reicht die Meinung von Kazimierz Marszał zu erwähnen, die eine eindeutige Bewertung der Regelungen für äußerst schwierig hält, vor allem weil die polnische Regelung kein inhaltlich schlüssiges System bildet.323 Seit dem Ende der 1990er Jahre beobachtet 322 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 320–349. 323 Kazimierz Marszał, Proces karny przebieg postępowania, Katowice 2012, S. 428.
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man die Tendenz, die Ergebnisse der außerprozessualen Tätigkeit der Sicherheitsbehörden gesetzlich prozessfähig zu machen. Die im vorprozessualen Stadium gewonnenen Materialien können nach Art. 393 § 1 (n. F.) PolStPO im Prozess als Beweise einfließen. Die klassische dichotomische Unterscheidung nach Maßnahmen zur Hinweisgewinnung und Beweissammlung wurde damit überflüssig, was das Modell des Prozesses in Frage stellt. Durch die Hinzufügung der Möglichkeit der Verwendung der Ergebnisse der Operations- und Erkennungstätigkeit konkurrieren die im Polizeirecht verwurzelten Methoden mit denen in der PolStPO. Was den Behörden und der Staatsanwaltschaft, nicht aber dem Gericht eine Wahl ermöglicht, auf welche Methoden zur Aufklärung der Straftaten zugegriffen werden sollte. So ist es gewiss leichter, über die sich der externen Kontrolle entziehenden Vorschriften des PolizeiG an die Telekommunikationsdaten zu kommen, als über die Vorschriften der PolStPO, die den Zugang unter Richtervorbehalt vorsehen. Es gibt also den vielen polizeilichen Diensten in Polen eine unmoralische Wahlmöglichkeit, die zur Rechtsumgehung und Missbräuchen führen kann und geführt hat. An dieser Stelle setzen viele Kritiker aus dem Bereich der Strafprozesslehre ein. Aus der Perspektive dieser Arbeit sind die jedoch zu ins Detail gehend und nicht weiterführend. Das Problem der Konkurrenz der Vorschriften der PolStPO mit den Sicherheitsgesetzen wird durch das Beispiel der Auslegungsschwierigkeiten mit dem Wortlaut des Art. 325f PolStPO illustriert. Die Operations- und Erkennungstätigkeiten der Polizei wurden heutzutage zu einer eigenständigen Methode der Aufklärung von Straftaten und deren Verfolgung, die nicht nur als eine Hilfstätigkeit der Polizei zu sehen ist, sondern sich komplett jeglichen Klassifikationen entzieht. Art. 355f PolStPO lässt eine Einstellung der Ermittlungen zu, wenn die Aufklärungsversuche der Behörden innerhalb von fünf Tagen keinen Erfolg brachten (es betrifft nur unerhebliche Vergehen). Nach der Einstellung können aber die Operations- und Erkennungstätigkeiten aufgenommen werden, um die Täter aufzuklären, z. B. mithilfe der auf Vorrat gespeicherten Standortsdaten, die aufgrund von Art. 20c PolizeiG zur Aufklärung jeglicher Straftaten dienen können und sehr leicht zugänglich sind. Diese Situation macht Tätigkeiten zu einer dritten Fahndungsmethode (neben Ermittlungen Art. 325a ff. und Untersuchung Art. 309 ff. PolStPO), mit dem Unterschied, dass sie außerhalb der Strafprozessordnung geregelt sind und insofern keine prozessualen Garantien gewährleisten.324 Der polnische Gesetzgeber hat einen einfachen Weg gewählt, um die Polizei von den Ermitt324 Etwa: Stanisław Waltoś, Tak zwane umorzenie rejestrowe czyli legislacyjna kula w płocie, in: Aktualne problemy prawa i procesu karnego, Księga ofiarowana prof. Janowi Grajewskiemu, „Gdańskie Studia Prawnicze“ 2003, Band 11, S. 281; Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 325 und dort erwähnte Literatur.
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lungen, die sich als erfolglos prognostizieren lassen, zu befreien, doch dabei hat er die Tür für die Grundrechtsmissbräuche geöffnet. Damit wurde ungewollt aus der außerprozessualen Tätigkeit, die früher nur als Hilfstätigkeit beschrieben wurde, eine strafrechtliche Prozedur geschaffen, die keine Fristen, keine externe Kontrolle und keinen Rechtsschutz vorsieht. Auf die Abgrenzungsprobleme, die aufgrund der alten Systematik entstanden sind, werden auch Probleme der Eingriffsintensitätsdifferenzierung aufgetragen. Dobrosława Szumiło-Kulczycka erwähnt zwei Arten des Umgangs mit der Datenerhebung zu polizeilichen Eingriffszwecken.325 Das erste Modell nennt sie eingleisig, es stützt sich auf die Annahme, dass die Eingriffe zu Präventionszwecken den gleichen Maßstäben der Verhältnismäßigkeit unterliegen, wie die repressiven. Der Vorteil dieses Modells ist ein Katalog der Maßnahmen für die Informationsgewinnungszwecke, die durch Behörden und Gerichte angewendet werden und die Möglichkeit der gleichzeitigen Verwendung präventiver und prozessualer Maßnahmen. Es besteht auch die Notwendigkeit der Schaffung einer unabhängigen Überprüfungsstelle. Wie die Autorin erkennt, könnte man als Nachteile dieser Herangehensweise die Abspiegelung der Vorteile nehmen. Vor allem schließt das eingleisige Modell die Möglichkeit der Differenzierung bei der Eingriffsstärke und schafft damit ein starres System.326 Das zweigleisige Modell dagegen setzt die Differenzierung der Eingriffsstärke voraus, indem die Prävention von der Repression getrennt wird. Es bietet auch eine bessere Möglichkeit der Kontrolle, denn die Überprüfung erfolgt erstmals bei der polizeilichen Behörde und danach beim Strafgericht. Die Zweigleisigkeit setzt die theoretische Aufarbeitung der beiden Elemente voraus, weil im Vorfeld schon die Grundsätze erarbeitet werden müssen, die für die Anwendung der Maßnahmen mit verschiedener Eingriffsintensität zu berücksichtigen sind.327 Die Maßnahmen müssen nicht unbedingt anders sein, die Einsatzvoraussetzungen und die Überprüfung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verlaufen aber anders. Das polnische System vermischt die Präventions- mit den Repressionszwecken, indem die Anhaltspunkte für den Einsatz gleich definiert werden. Der Gesetzgeber zählt in Art. 19 Abs. 1 PolizeiG die Ziele des Einsatzes der Operationskontrolle auf: Vorbeugung, Aufklärung, Täterfahndung und Beweissicherung, gibt dazu Grenzen, die sich aus dem Subsidiaritätsprinzip ergeben und ordnet die Maßnahmen zu – Korrespondenzkontrolle und Einsatz der technischen Mittel zum Eingriff in die Telekommunikationsnetze. Er nimmt keine Differenzierung nach der 325 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 342 ff. 326 Ibidem, S. 353. 327 Ibidem, S. 354.
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Eingriffsintensität vor. Darüber hinaus verschwindet durch diese Formulierung die Grenze zwischen Prävention und Repression. Wenn die vorbeugende Wirkung erfolglos war, geht man sofort auf Grund der gleichen Vorschrift zur Repression über. Mit anderen Worten, der Gesetzgeber unterscheidet nicht nach dem Zeitpunkt des Einsatzes der Maßnahmen im Verhältnis zum Zeitpunkt des Delikts. Der Einsatz der gleichen Methode, nach der gleichen Vorschrift vor und nach dem Zeitpunkt der Begehung der Straftat entstellt den Sinn der Methode. Sie wird zu einem juristischen „Multitool“, das auf eine entdifferenzierte Art und Weise den Behörden ihre Aufgabenerfüllung erleichtert und dem Grundrechtsschutz keine Anhaltspunkte bietet. Diese Regelung könnte strenggenommen zu einer Entkräftigung der Gesetzmäßigkeit der Staatsorgane führen. Sie liefert den Bürger dem guten Willen der Organe aus und nicht handfesten Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit und Bestimmtheit des Gesetzes. cc) Kritik aus der Perspektive des Grundrechtsstandards Die Grundrechtsperspektive der polizeirechtlichen Überwachungsbestimmungen war eine lange Zeit nur begrenzt Gegenstand der Gesellschaftsdebatte. Die kritischen Stimmen erklangen in breiter Wahrnehmung erst nach 2014, nach dem „großen Urteil“ zur Überwachung des VerfGH. Die verschärfte, leider zum Teil lediglich durch politische Konjunkturen motivierte Kritik wurde aber erst Ende Dezember 2015 laut und begann damit nach der Vorstellung des Entwurfs der Novelle des PolizeiG. Vor allem die vor noch nicht langer Zeit regierende Opposition, die ein ähnliches Projekt im Juli 2015 vorstellte, spielte bei der ihrerseits unglaubwürdigen Kritik die erste Geige.328 Dennoch war die Kritik begründet. Sowohl einige Menschen rechtsorganisationen,329 der Ombudsmann,330 die Strafrechts- und Verfas 328 Ewa Siedlecka, PiS legalizuje inwigilację w sieci. Co zawiera nowa ustawa o Policji?, http: / / wyborcza.pl / 1,75968,19407900,pis-legalizuje-inwigilacje-w-sieci-cozawiera-nowa-ustawa-o.html (Zugang: 21.07.2016). 329 Gutachten des Helsinki Komitees vom 30.12.2015 zum Entwurf der Polizei rechtsnovelle http: / / programy.hfhr.pl / monitoringprocesulegislacyjnego / files / 2015 / 12 / HFPC_opinia_ustawa_o_policji.pdf (Zugang: 20.7.2016); Auch dazu das Gut achten der Stiftung Panoptykon: https: / / panoptykon.org / sites / default / files / leadima ge-biblioteka / panoptykon_ustawa_o_policji_opinia_27.12.2015_0.pdf (Zugang: 20.7. 2016). 330 Etwa: Antrag auf die abstrakte Normenkontrolle des VerfGH der Operationskontrolle vom 29.06.2011 http: / / www.sprawy-generalne.brpo.gov.pl / pdf / 2011 / 01 / 66603 7 / 1576197.pdf (Zugang: 22.06.2015), Gutachten vom 29.12.2016 zur Novelle des Polizeigesetzes: https: / / www.rpo.gov.pl / sites / default / files / Do_Marszalka_Sejmu. pdf (Zugang: 20.7.2016).
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sungsrechtsliteratur,331 die Praxis332 als auch die Behördenkreise333 selbst sind mit der heutigen Rechtslage unzufrieden. Bemerkenswert ist, dass die Novelle im Gutachten von der sog. Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) als mit den europäischen Standards des Menschenrechtsschutzes teilweise unvereinbar bezeichnet wurde.334 Im Folgenden wird ein Überblick über die Kritikpunkte vorgestellt. Die Regelungen zur Datenerfassung, besonders im polnischen Polizei- und Sicherheitsrecht, sind äußerst diffizil formuliert. Art. 19 PolizeiG, der die Operationskontrolle normiert, enthält zahlreiche unbestimmte Begriffe, die gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen dürften. Die Formulierung „zur Vorbeugung, Aufdeckung, Bestimmung der Täter sowie Beweiserlangung und -sicherung“ zeugt vom präventiven und repressiven Zweck der Vorschrift. Der Umfang der Begriffe ist jedoch weder in der Judikative noch in der Literatur unumstritten. Vor allem die Vorbeugung wirft Fragen auf: Wo fängt sie an und wie unterscheidet sie sich von der Erkennung der Sicherheitsrisiken? Auch der Zweck der Beweissicherung kann unterschiedlich interpretiert werden: Soll sie unmittelbar für den Strafprozess dienen, oder kann sie für andere Zwecke verwendet werden, besonders unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass der Staatsanwalt die Verwendung der Materialien bestimmt? Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle durch die Unschärfe der Begriffe ein mögliches Feld für Missbräuche eröffnet. Zwar nimmt Dobrosława Szumiło-Kulczycka an, dass damit die Vorbeugung überhaupt effektiv sein könnte, bestimmte Anhaltspunkte im Raum stehen müssen und nicht reine Vermutungen,335 es dürfte aber trotzdem Auslegungssache sein, wie diese „Anhaltspunkte“ zu verstehen sind. Der Rechtsschutz könnte in solchen Fällen zu spät kommen, weil die Maßnahme zügig durchgeführt werden kann und ihre Ergebnisse zwar gelöscht, aber doch nicht vergessen 331 Etwa: Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012; Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, Warszawa 2012; Kazimierz Marszał, Proces karny przebieg postępowania, Katowice 2012; Adam Taracha, Czynności operacyjno-rozpoznawcze. Aspekty kryminalistyczne i prawnodowodowe, Kraków 2006; Tomasz Grzegorczyk / Janusz Tylman, Polskie postępowanie karne, Warszawa 2014. 332 Gutachten der Hauptanwaltskammer vom 29.12.2015 zum Entwurf der Novelle des Polizeigesetzes http: / / www.adwokatura.pl / admin / wgrane_pliki / file-opinianrano welizacjaustawypolicji29122015-13945.pdf (Zugang: 20.7.2016). 333 Jacek Kudła / Piotr Kosmaty, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do nowego modelu procesu karnego, Prok. i Pr. 12 / 2015, S. 115–117. 334 Opinion on the Act of 15 January 2016 amending the Police Act and certain other acts. http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / ?pdf=CDL-AD(2016)01 2-e (Zugang: 20.7.2016). 335 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze, Warszawa 2012, S. 176–177.
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werden können. Die gleiche Überlegung gilt für Art. 20c ff PolizeiG, wo wiederum der Begriff „zur Rettung des menschlichen Lebens oder Gesundheit“ fraglich ist. Hier entsteht die unbestimmte Grenze zwischen einem Risiko und einer Gefahr, die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit zu paternalistischen Praktika seitens des Staates und hilft dabei, nicht die sprachliche Auslegung nach gesundem Menschenverstand und die Versicherungen, dass „kein rechtschaffener Bürger Angst haben soll“, sondern handfeste Kriterien heranzuziehen.336 In der neuen Rechtslage wirft Art. 19 Abs. 6 PolizeiG auch andere Fragen grundrechtlicher Natur auf. Die Maßnahmen werden an dieser Stelle nicht differenziert nach möglicher Eingriffsintensität. Art. 19 PolizeiG betrifft inhaltsbezogene Überwachung, Art. 20c PolizeiG dagegen die nicht inhaltsbezogene. Der polnische Gesetzgeber beendet hier die Differenzierungen. In der ersten Gruppe befinden sich Daten, die sowohl die Intimsphäre betreffen als auch lediglich das private oder gar öffentliche Leben. Besonders bei der Regelung des „Lauschangriffs“ in den Räumlichkeiten ist sichtbar, dass der Gesetzgeber keine Abwägung der Schwellenhöhe für die Eingriffe nach der Herkunft der Daten vornimmt. Bei der nicht inhaltsbezogenen Überwachung ist die Lage noch besorgniserregender. Ohne Zustimmung des Gerichts können da sowohl die einfachen Bestandsdaten erfasst werden, die etwa zur Abgleichung der Zugehörigkeit einer Telefonnummer zu einer Person dienen können, als auch die Verbindungsnachweise der vergangenen zwölf Monate. Die Gleichstellung der Daten, die verschiedene Eingriffsintensität und Streubreite aufweisen, war auch ein wesentlicher Kritikpunkt der Venedig-Kommission.337 Die im polnischen PolizeiG vorgeschlagene Lösung ist weder für die Behördeneffektivität noch für die Grundrechte glücklich. Die Zulässigkeitsschwellen des Art. 19 scheinen zu hoch zu sein, etwa für das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im öffentlichen Raum, dagegen scheint der gefährlich leichte Zugang zu den Verbindungsnachweisen und Passwörter im Internet nach Art. 20c we336 Radiointerview mit Piotr Waglowski, http: / / www.rdc.pl / informacje / kiedy -uczciwie-rozmawiamy-jakie-beda-konsekwencje-danego-przepisu-to-tak-stworzone -prawo-jest-lepsze-posluchaj / (Zugang: 21.7.2016). 337 Der Bericht CDL-AD(2016)012 S. 17: „The Venice Commission understands that the metadata, in the logic of the Police Act, may not reveal the content of the communication stricto sensu. However, at the meetings in Warsaw the rapporteurs received conflicting answers as to whether metadata, under the Polish law, also includes „content-related“ information: web-logs, Internet cookies, content of research requests, headings of e-mails, etc. In the opinion of the Venice Commission, either the Act should associate that kind of metadata with the „content“ of communications, access to which is regulated by Article 19, or exclude it from the notion of metadata in explicit terms.“
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der mit der Verfassung noch mit den europäischen Standards vereinbar zu sein.338 Die polizeilichen und Sicherheitsdienste bekommen nach Art. 20c P olizeiG und ähnlichen Vorschriften Zugang zu sensiblen Daten nicht nur ohne Richtervorbehalt, sondern auch ohne geschlossenen Katalog der Straftaten, bei denen es zulässig sein könnte, und ohne einer zureichenden Bestimmung des Personenkreises der von der Maßnahme betroffen werden kann. Dies ermögliche die Verfolgung mit einem eingriffsintensiven Mittel selbst bei Bagatellstraftaten339 und einem Personenumfeld um die Straftat, wodurch eine Menge von unschuldigen Personen betroffen werden kann, und was einen Abschreckungseffekt bei der Grundrechtsausübung hervorrufen könnte.340 Die unzureichende Beschränkung des Betroffenenkreises ist einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte an dem Gesetz, sowohl von den polnischen Kreisen, als auch von der Venedig-Kommission. Zwar kritisierte diesen Zustand auch schon das VerfGH,341 doch es war noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Gerichts und dementsprechend wurde der Änderungsauftrag an den Gesetzgeber nicht explizit formuliert, mindestens nach der Auffassung des Gesetzgebers.342 Der anhängige Überprüfungsantrag des Beauftragten für Bürgerrechte thematisiert dieses Problem zum ersten Mal als einen separaten Vorwurf.343 338 Insbesondere: Urteil EuGH vom 8.4.2014 Az.: C-293 / 12 und C-594 / 12, Rn. 26–27. 339 Access of public authorities to the data of Internet service users, Warszawa 2013, S. 26–27. https: / / panoptykon.org / sites / default / files / publikacje / transparency_ report_pl_1.pdf (Zugang: 22.7.2016). 340 Der Bericht CDL-AD(2016)012, S. 18: „Thus, for example, by „emptying“ a mobile relay station one can discover the mobile phones in the area during a particular time period, helping the police identify whether e. g. mobiles belonging to known members of organized crime were present in the area when a bank robbery occurred. At the same time this technique may help identifying who was in the area when a large demonstration was going on against the government. It is easy to see how this can „chill“ freedom of association or assembly protected by Article 11 of the Convention.“. 341 Urteil des VerfGH Az.: K 23 / 11 Begründung: Punkt III 10.4.4. „First of all, the Tribunal decides to address the allegation about insufficient procedural guarantees, related to the lack of external supervision of the process of accessing telecommunications data. The said allegation remains the same with regard to all the provisions challenged within that group. The ruling declaring the unconstitutionality thereof renders it redundant to address the other allegations formulated by the applicants with regard to the admissibility of obtaining data also for the purpose of preventing and prosecuting offences that have relatively insignificant detrimental effects on society, or the lack of the premiss of subsidiarity.“. 342 Projekt ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / B1A37C48E0F8ECBAC1257F290035A6B5/ %24File / 154.pdf (Drucksache 154), (Zugang: 19.07.2016).
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Der größte und komplexeste Vorwurf gegen das Anzapfen der Daten zur IT-Tätigkeit des Einzelnen in Polen betrifft aber die Mängel der effektiven und unabhängigen Kontrolle über die Erhebungen. Die höchste Kontrollkammer im Kontrollbericht über den Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten 2013 hat in den Schlussfolgerungen bemerkt: „Im gegenwärtigen Rechtsstand existiert kein Subjekt, das eine reale Kontrolle über die Benutzung dieser Maßnahme [Abrufung der auf Vorrat gespeicherten Daten JM] durch die gesetzlich befugten Organe, Dienste und Formationen hätte“.344 Die Venedig-Kommission erwähnt dies als Hauptmangel der polnischen Überwachungsgesetzgebung.345 Dasselbe tun die lokalen Rechtsschutzbehörden und Organisationen. Im Urteil K 23 / 11, sowie in den früheren Urteilen war es einer der Hauptgründe für die Erklärung der Verfassungsunvereinbarkeit einiger Bestimmungen der Polizei und der Sicherheitsgesetze. Die misslungene Umsetzung des Urteils K 23 / 11 hat die Lage nicht verbessert. Die oben präsentierten Kontrollmaßnahmen (Kapitel V Punkt 4.) geben dem Gericht, das in den polnischen Bedingungen den besten Schutz vor den Missbräuchen der Behörden anbietet, lediglich eine illusorische Möglichkeit des Zugriffs, vor allem auf die nach Art. 20c PolizeiG durchgeführten Maßnahmen. Das Gericht bekommt dubiose statistikbezogene Aufgaben, aber keine reale Aufsicht über die in die Grundrechte eingreifende Tätigkeit. Vor allem kann das Gericht auf keine Art und Weise die Kontrolle stoppen, sondern lediglich die Kontrolle durchführen und Schlussfolgerungen ziehen, die keine Rechtskraft für die Behörden haben. Damit ist auch das schon angesprochene Problem der Transparenz der Maßnahmen verbunden. Die geltenden Vorschriften gewährleisten keine Benachrichtigung der betroffenen Person, selbst wenn wegen der Fahndungsbelange keine Bedenken mehr bestehen. Der Gesetzgeber geht mit der Umgehung von diesen sowohl national als auch international begründeten Belangen besonders zynisch um. In der Begründung zum neuesten Gesetzesvorwort bekräftigt der Gesetzgeber aber, dass das Verfassungsgericht lediglich die Ein-
343 Überprüfungsantrag der Bürgerrechtsbeauftragten vom 18.2.2016, Punkt III, https: / / www.rpo.gov.pl / sites / default / files / Wniosek_do_TK_kontrola_operacyjna. pdf (Zugang: 22.07.2016). 344 Kontrollbericht der Höchsten Kontrollkammer Kontrolle: KPB-P / 12 / 191 Berichtsnr.: 107 / 2013 / P / 12 / 191 / KPB, S. 67, https: / / www.nik.gov.pl / plik / id,5421,vp70, 38.pdf (Zugang: 22.07.2016). 345 Der Bericht CDL-AD(2016)012, S. 32: „In order to improve the Act, the Venice Commission recomends that following most important amendments be adopted to provide, in respect of metadata collection under Article 20c, an effective mechanism of oversight of specific operations by an independent body; such body should have necessary investigative powers and expertise and be able to use appropriate legal remedies.“
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führung der Kontrolle verlangte, doch ihre Ausgestaltung dem Gesetzgeber überließ.346 Die Einführung der Informationspflichten verlangte der VerfGH schon 2006 im Signalisierungsbeschluss S 2 / 06 mit ganz konkreten Vorgaben nach dem Urteil Klaas v. Deutschland. Danach „soll der Gesetzgeber die Gesetzesinitiative ergreifen“ um dem Bürger die Möglichkeit der nachträglichen Benachrichtigung über die Operationskontrolle zu gewährleisen.347 Der unverbindliche Hinweis des „negativen Gesetzgebers“ an das Parlament verging aber ohne jeglichen Widerhall. Der mangelnde Rechtsschutz wurde auch in einigen Urteilen vom VerfGH thematisiert.348 Die Beeinträchtigung des Schutzgutes solle gleich aussehen, unabhängig von dem Dienst, der es vornimmt. Am Rande kann man anmerken, dass die Umsetzung des Beschlusses S 2 / 06 2009 beabsichtigt wurde, doch der Gesetzentwurf des Senats wurde vom Innenministerium negativ beurteilt und die Arbeiten wurden nicht fortgesetzt.349 Mit allen oben genannten verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten ist auch der Mangel am Schutz der Berufsgeheimnisse verbunden. Das PolizeiG sieht zwar die Löschungsverfahren der Daten vor, die die Berufsgeheimnisse betreffen, doch erst nach einer Zustimmung des Staatsanwalts. Die Polizei muss dementsprechend alle Daten erst sammeln und auswerten und dann noch dem Staatsanwalt vorlegen. Das absolut geschützte Anwalt-Mandant Vertrauensverhältnis wird damit praktisch ausgehöhlt.350 Dabei ist auf den Mangel an gesetzlicher Verankerung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im polnischen PolizeiG hinzuweisen. Die Polizei muss aber bei ihrer Tätigkeit die Menschenrechte und Menschenwürde bewahren (Art. 14 Abs. 4 PolizeiG), doch diese Bestimmung gleicht das Fehlen der besser bestimmten Verhältnismäßigkeitsprüfungsmaßstäbe nicht aus. Es herrscht die unrichtige Überzeugung, dass das Übermaßverbot im polnischen Recht hauptsächlich auf dem verfassungsrechtlichen Niveau gilt und nur den Gesetzgeber bindet.
346 Projekt ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, (Drucksache 154) S. 6–7, http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / B1A37C48E0F8E CBAC1257F290035A6B5 / %24File / 154.pdf (Zugang: 19.07.2016). 347 Beschluss des VerfGH vom 25.1.2006, Az.: S 2 / 06, Punkt. 4. 348 Etwa: Urteil des VerfGH vom 12.12.2005 Az.: K32 / 04. 349 Anfrage des Sejmabgeordneten Ireneusz Zyska vom 7.3.2016, http: / / www. sejm.gov.pl / Sejm8.nsf / InterpelacjaTresc.xsp?key=3B5F8342 (Zugang: 17.9.2016). 350 Gutachten der Hauptanwaltskammer vom 29.12.2015 zum Entwurf der Novelle des Polizeigesetzes http: / / www.adwokatura.pl / admin / wgrane_pliki / file-opinianrano welizacjaustawypolicji29122015-13945.pdf, S. 6, (Zugang: 20.7.2016).
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Auch die Fristen, die für die Speicherung der Daten vorgesehen werden, und die Dauer der Telekommunikationsüberwachung sind fragwürdig. Die auf Vorrat gespeicherten Daten werden zwölf Monate aufbewahrt, doch wie schon im Verfahren vor dem VerfGH 2014 erwähnt wurde, sind sie zu lange, die meisten Daten (fast. 70 %) werden ohnehin in den ersten vier Monate nach der Straftatbegehung abgerufen.351 Außerdem kann bei der inhaltsbezogenen Überwachung der Einzelne bis zu 18 Monaten belauscht werden, dies stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Auch die sich seit 2002 häufende Zahl der Dienste, die die Maßnahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit verwenden dürfen und ihre Aufgabenüberschneidungen, führen zu Kompetenzunklarheiten und zu einem vermehrten Einsatz der Kontrollmittel durch verschiedene Dienste zum gleichen Sachverhalt. Das erklärt zum Teil die alarmierenden Statistiken der Telekommunikationsüberwachung in Polen352 – sowohl wenn es um die Maßnahmen geht, die den Rückgriff auf die Inhalte der Kommunikation haben, als auch nur in der Hinsicht auf das Abrufen der Verkehrsdaten. Doch die astronomischen Zahlen, die auch die Venedig-Kommission wahrgenommen hat, sind auf zwei Tatsachen zurückzuführen. In einigen Fällen müssen die Behörden die Daten mindestens zweimal verlangen – einmal im Rahmen der polizeilichen Operations- und Erkennungstätigkeit und einmal im Strafprozess, um sie sicher als Beweise in den Prozess zu bringen. Darüber hinaus wird in Polen nicht unterschieden, um welche Daten es 351 Urteil des VerfGH, Az.:K 23 / 11, Punkt III 6.2.6. „Having regard to statistical data included in the latest report for the European Commission on the disclosure of telecommunications data retained by the providers of telecommunications services or networks in 2013, which was drafted on 17 March 2014 by the President of the Office of Electronic Communications, the Tribunal points out that a 12-month period for data retention is relatively long, considering the significant interference in constitutional rights and freedoms of individuals, caused by the retention of telecommunications data related to them. The said evaluation is even more justified as in the light of the above information: circa 49 % of instances where data were disclosed occurred in the first 2 months of retention; circa 69 % during the period of first 4 months. During the period from the 6th to the 11th month of retention, the instances deceased from 3.6 % to 2.9 % of the total number of disclosed data. A certain increase was observed in the 12th month (up to 8.37 % of the total number of instances), which may stem from the tardiness of the organs of the state that wish to access those data. The above observation may suggest that it is likely that although authorised organs of the state were capable of accessing telecommunications data earlier, they delayed that until the last month. Bearing in mind the said statistics, one may raise doubt if retaining traffic and location data for a period longer than 6 months meets the constitutional requirement of usefulness, which follows from the principle of proportionality. However, this issue falls outside the scope of the allegation.“. 352 https: //panoptykon.org sites default files/zestawienie_liczby.pdf (Zugang: 22.7. 2016).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
sich handelt. Die meisten polizeilichen Nachfragen betrafen lediglich die Daten zur Abgleichung der Bestandsdaten und nicht die empfindlichen Daten zu Verbindungsnachweisen. An dieser Stelle sieht man, dass die ungenauen Vorschriften in dieser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert sind. Zum einen können die Behörden eigentlich undefinierte Daten von den Telekommunikationsfirmen abrufen, zum anderen quellen die Register über vor hohen Zahlen. Außerdem hat die Vielzahl der Behörden, deren Fahndungskompetenzen sich überlappen, zur Folge, dass in vielen Fällen sämt liche Behörden die Daten herunterladen, ohne von einander zu wissen. Deswegen fallen teilweise die Statistiken für Polen so ungünstig aus: In einem Land mit 38 Millionen Einwohnern wurden bei 833.361 Straftaten (2015), 8000 mithilfe der Maßnahmen nach Art. 19 PolizeiG erforscht. Die Daten nach Art. 20c PolizeiG wurden von den Fahndungsbehörden 1.497.174 Mal eingeholt, dabei wurden 703.819 Mal die Einzelverbindungsnachweise eingefordert.353 Aus der Sicht dieser Arbeit sind aber vor allem die Mängel in der Differenzierung nach den technischen Mitteln des Einsatzes von Bedeutung. Der Gesetzgeber sieht bei der Operationskontrolle die Kontrolle der Korrespondenz und die Kontrolle der Telekommunikationsnetze vor. Es wird aber keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen, die sich auf die Mittel bezieht. Die Behörden sollen Mittel verwenden, die sie für zielführend halten. Selbst das Verfassungsgericht bestätigte diese Betrachtungsweise im letzten Urteil vom 30. Juli 2014354 und unterstreicht die Notwendigkeit der Wahl der Methoden durch die Behörden. Es scheint, dass das Gericht diese, im Vergleich zu den anderen fraglichen Bestimmungen subtile Differenzierung mit Absicht auf die Seite geschoben hat, angesichts größerer Probleme.
V. Zusammenfassung Die Überschrift „Zwei Schritte nach vorne, ein Schritt zurück“ kennzeichnet die Entwicklungen im polnischen Polizeirecht im Spannungsfeld von Privatheit versus Sicherheit. Zwar bekennen sich sowohl Polen als auch Deutschland zu den Menschenrechten, etwa durch die Ratifizierung der EMRK, und haben anklagbare Grundrechtskataloge in den eigenen Verfassungen, doch gehen die Entwicklungen der geheimen Überwachung der ITGeräte in den beiden Ländern völlig auseinander. Auf dem materiellrecht lichen Niveau beginnen schon die Unterschiede, die pauschale Betrachtung der Daten aus den IT-Tätigkeiten des Einzelnen in Polen führt nicht nur zu 353 http: / / www.venice.coe.int / webforms / documents / ?pdf=CDL-AD(2016)012-e S.7-8 (Zugang: 22.07.2016). 354 Urteil des VerfGH vom 30.7.2014, Az.: K 23 / 11, Punkt II 9.
V. Zusammenfassung143
grundrechtlichen Bedenken wegen verschiedener Relevanz der Daten für die grundrechtlich geschützten Gehalte, es macht aber auch den Behörden Schwierigkeiten, die zu hohen alarmierenden Statistiken zu verzeichnen, die keine Forschungsqualität haben. Vor allem aber auf der Verfahrensebene sind massive Unterschiede zu sehen. Die mangelnden Verfahren für die Geltendmachung eigener Grundrechte schienen längst mit der Überwindung des sozialistischen Verständnisses der Grundrechte überholt zu sein, dies ist aber nicht der Fall. Die übernommene Dogmatik aus den 1960er Jahren, als in Polen noch kein Grundrechtsschutz im heutigen Sinne bestand, hindert die Reformen des Strafrechts gleichermaßen, wie die kompulsive Angst der Behörden vor angeblichem Verrat der Geheimnisse. Der erwähnte Drang nach dem Vorbeugen von Straftaten und deren Bekämpfung um jeden Preis, der sich in den besprochenen Vorschriften widerspiegelt, und auf der anderen Seite die mangelnde Sensibilisierung der Gesellschaft, wenn es um eigenen Grundrechtsschutz geht, erschwert es wesentlich, die Vorschriften zur Kommunikationskontrolle rechtsstaatsgemäß zu gestalten. Die Politik hat auch aus den Überwachungsmethoden eine Wahlkampfwährung gemacht, die für die Stimmengewinnung gegen Gewährleistung der subjektiven, scheinbaren Sicherheit vor Terror, organisierter Kriminalität und Korruption verwendet. Dabei ist die Eignung der Maßnahmen völlig ausgeblendet. Die Unterschätzung und der Verständnismangel der grundrechtlichen Freiheiten, die vermeintliche Effektivität um jeden Preis und die Abneigung der polizeilichen Kreise gegenüber einem tatsächlichen Paradigmenwechsels machen die Diskussion auf dem Grundrechtsniveau schwer. Die Kritik seitens der Strafprozessrechtslehre ist berechtigt, betrifft aber vor allem Verfahrens aspekte, die hauptsächlich für den Strafprozess relevant sind, und nicht das ganze System. Sie bereiten aber den Boden für die weiteren verfassungsrechtlichen Erwägungen im vergleichenden Kontext und nicht die Unterscheidung nach Prävention und Repression mit allen Konsequenzen, die wiederum durch das Denken in den Kategorien der Sicherheitsgewährleistung und dem Schutz des Staates nach Art. 5 PolVerf gehemmt werden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht scheint interessant zu sein, was mit den Art. 19 und 20c PolizeiG demnächst passieren wird. Im Verfahren K 23 / 11 hat das VerfGH die Frist für die Änderung bis 7. Februar 2016 gesetzt, die nach diesem Datum in Kraft getretene Novelle der Polizei- uns Sicherheitsgesetze wird aus vielen Gesichtspunkten heraus kritisiert. Auf die Kritikpunkte wird im Einzelnen im Teil C. IV. eingegangen. Es reicht an dieser Stelle zu erwähnen, dass bereits am 18. Februar 2016 ein Überprüfungsantrag des Bürgerrechtsbeauftragten bezüglich der Novelle eingegangen ist.355 Der 355 http: / / ipo.trybunal.gov.pl / ipo / dok?dok=F-1860511071 %2FK_9_16_wns_ 2016_02_18_ADO.pdf (Zugang: 10.10.2016).
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A. Die operative Polizeiarbeit – eine Bestandaufnahme
Gesetzgeber soll die „Löschung“ der nötigen Stellen aus den Gesetzen bewirken und die Einführung der minimalen Erfordernisse, die vom VerfGH und EGMR vorgegeben werden, bewirken. Es scheint aber nach wie vor nicht so, dass grundlegende Änderungen zu erwarten sind.
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen Der vorige Teil dieser Abhandlung berücksichtigt vor allem die Spezifika der Gesetzgebung. Um aber ein volles Bild der Umgangsweise mit den Überwachungsmethoden der Internettätigkeit zu bekommen, ist es nötig vor allem die Verfassungsrechtsprechung zu untersuchen. Umfang und Absicht dieser Arbeit lassen es nicht zu, einen kompletten Überblick über die Urteile der Verfassungsgerichte beider Länder zu verschaffen. Vielmehr geht es um die Veranschaulichung der gesellschaftlichen und verfahrensmäßigen Aspekte der Richtersprüche, die die Spezifik der Grundrechtsstandards in Polen und in Deutschland zur präventiven und repressiven Überwachung auf den Punkt bringen.
I. Bedeutung der Verfassungsgerichte bei der Überprüfung der IT-gebundenen Überwachung Der Ausgangspunkt für die Rechtsprechungsanalyse ist ein in beiden Ländern präsentes allgemeines Bedrohungsgefühl, ein Gefühl, das der Soziologe Zygmunt Bauman als von der Umgebung induziertes, doch aber nicht persönlich belegbares Phänomen beschreibt.1 Die Angst vor organisierter Kriminalität, Terrorismus und im Fall Polens noch vor der Korruption zwingen die Gesetzgeber zu Handeln. Doch die stehe außer Verhältnis zu dem bestrebten rechtlich schwierig greifbaren Zustand der Sicherheit, vor allem aus einem Grund: Die meisten Überwachungsmaßnahmen von den früher genannten sind dafür nicht geeignet, weil deren Einsatz die mehr oder weniger putative Bedrohungslage gar nicht verringert.2 Sowohl in Deutschland als auch in Polen versucht der Gesetzgeber auf die Bedrohungen entschlossen, wie es in den politischen Kreisen heißt, zu reagieren, wobei das Maß an Schutz der Grundrechte mehr oder weniger verloren geht. Wie viel von dem Schutz tatsächlich verschwindet, hängt nicht nur, oder sogar paradoxerweise am wenigsten vom Gesetzgeber ab, sondern ist von einem Konglomerat der gesellschaftlichen und juristischen Faktoren abhängig. Dazu zählen die Aktivi1 Zygmunt Bauman / David Lyon, Liquid Surveillance, Cambridge-Malden 2013, S. 100. 2 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), Jura 9 / 2005, S. 587–588.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
tät der Gerichtsbarkeit – primär der Verfassungsgerichte und das Netz der Bedingungen darum: Bereitschaft der Politik die Vorgaben umzusetzen, Zugang zu den Verfassungsgerichten, Form des Verfahrens, Anerkennung der Urteile in der Gesellschaft und weitere eher soziologische Faktoren wie generelle Einstellung zu den Freiheiten, Stellenwert der Verfassung in der Gesellschaft, Bereitschaft sich in die politischen Prozesse (nicht im Sinne „parteipolitischen“) zu engagieren und schließlich auch Bildungsniveau der Gesellschaft wenn es um die politischen Prozesse geht. Alle diese Faktoren scheinen in Deutschland und in Polen anders verstanden zu werden. 1. Spezifik der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen Obwohl Polen und Deutschland sich durch EU-Mitgliedschaft und Ratifikation der EMRK sowie durch inländische Bestimmungen zu den Grundrechten zu den gleichen Werten bekennen, finden sich schon auf der vorhin erörterten Ebene der Gesetzgebung einige Unterschiede. Der Schutz der öffentlichen Ordnung als Polizeiaufgabe, verstärkt von der Gewährleistungsaufgabe des Schutzes des Territoriums und Sicherheit im Inland, sowie das immer noch spukende sozialistische Grundrechtsverständnis sind Faktoren, die die Richtung der Entwicklungen der polizeilichen Maßnahmen beeinflussen. Hinzu kommt, dass die Position des Verfassungsgerichts, als Zensor des Gesetzgebers, seit der Gründung dieser Institution 1985 umstritten und brüchig war.3 Beispielhaft wäre hier die Verfassungsbeschwerde, die in Deutschland als Kern des Rechtsschutzsystems gesehen wird und in Polen erst 1997 nach kontroversen Diskussionen und Kritik seitens des Obersten Gerichts4 eingeführt wird.5 Diese nicht unangreifbare Position des Verfassungsgerichts in Polen lässt sich auch in seiner Rechtsprechung wiederfinden, die für polnische Verhältnisse manchmal mutig ist, aber im Vergleich zu den zahlreichen Entscheidungen des BVerfG nie eine solche Wirkungskraft entwickeln 3 Die Entwicklungen, die zur Marginalisierung der Verfassungsgerichtsbarkeit führen, die seit Herbst 2015 zu beobachten sind, sind insofern nichts Neues. Sie stellen zwar ein gefährlicher Regress in der Rechtsentwicklung aber waren wegen der Schwäche der Gesetzgebung zur Verfassungsgerichtsordnung und Verfahren möglich, wozu alle Regierungen und ein Teil der Lehre und Praxis seit 1989 beigetragen haben. Dazu: Adam Sulikowski, Trybunał Konstytucyjny a polityczność. O konsekwencjach upadku pewnego mitu, PiP 4 / 2016, S. 3–14; Hubert Izdebski, Konstytucjonalizm – legicentryzm – ustawowy nihilizm prawny. O powołaniu naszych czasów do nauki konstytucji, PiP 6 / 2016 S. 5–24. 4 Sąd Najwyższy (Das Oberste Gericht) – Das höchste Gericht der Republik Polen, letzte Instanz in Straf- und Zivilsachen, Entstanden 1917. 5 Włodzimierz Wróbel, Skarga konstytucyjna –problemy do rozwiązania, in: Księga XX-lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, Marek Zubik (Hrsg.), Warszawa 2006, S. 55.
I. Bedeutung der Verfassungsgerichte147
konnte,6 was auch vom Parlament gnadenlos instrumentalisiert wurde. Etwa im Fall des angesprochenen Signalisierungsbeschlusses S 2 / 06 zu Informa tionspflichten bei TKÜ oder in der neuesten Umsetzung des Urteils zum Polizeigesetz K 23 / 11.7 Ewa Łętowska bringt diese Begebenheiten folgendermaßen auf den Punkt: Die Politik betrachte die Tätigkeit des VerfGH als „Umkippen unserer Gesetze“,8 dementsprechend entwickelt sie eine Abneigung gegenüber dem Verfassungsgericht, die auch an der gegenwärtigen Krise zu sehen ist.9 Diese Abneigung wird nicht nur verbalisiert, sondern sogar gesetzlich umgesetzt. Die Rechtsprechungsanalyse versucht die weiteren Hintergründe davon zu erläutern, anhand der Fälle und Verfahrensanalyse. Die Fallanalyse der Rechtssachen die von den Verfassungsgerichten entschieden wurden hat einige Vorteile. Es erlaubt nicht nur die Untersuchung und einen komplexen Einblick nicht nur in die Entscheidungsgründe, sondern auch in die Positionen der Widersacher vor dem Gericht und die Atmosphäre um die Entscheidung. Es gibt dagegen eine Vision der Gesetzesauslegung durch verschiedene Körper oder Individuen, die zu Verfassungsgerichtsverfahren zugelassen wurden und deren Beweggründe mit in die Untersuchung einzubeziehen sind, was den soziologischen Kontext veranschaulicht. Es zeigt aber vor allem wie daraufhin die Maßstabsbildung der beiden Gerichte verläuft und wie dieses Umfeld die Entwicklung der Standards beeinflusst. Es lässt sich daraus eine allgemeine Folge ziehen: nicht nur die verschiedenen Positionen, die vor dem Verfassungsgericht dargestellt werden, und die Argumentation des Gerichts im Urteil macht die Entscheidung aus, sondern auch das Verfahren und seine Rechtsfolgen. Anhand des Vergleichs zwischen Polen und Deutschland wird deutlich, wie groß die Bedeutung des 6 Deswegen die Assoziationen, die mit der Beschreibung des BVerfG als „Entgrenztes Gericht“ (Mathias Jestaedt / Oliver Lepsius / Christoph Möllers / Christoph Schönberger, Das Entgrenzte Gericht, Berlin 2011) oder der „Spitzname“ der Bundesrepublik – „Richterrepublik“ oder „Grundrechtsrepublik“ in der deutschsprachigen Literatur auftauchen, können nicht für die Lage in Polen angewendet werden. Falls doch, dann höchstens mit dem Ziel der Schaffung der Gegensätze. Dazu: Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa, Warszawa 2012, S. 105–170. 7 Auch frühere Urteile des Verfassungsgerichts wurden ignoriert oder nur teilweise umgesetzt, dazu: Marek Safjan, Niezależność Trybunału Konstytucyjnego i suwerenność konstytucyjna RP. (Ein Vortrag des Präsidenten des VertGH vor der Verfassungs richterversammlung am 5.4.2006.) PiP 6 / 2006, S. 3 ff. 8 Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa, S. 227. 9 Posłowie nie rozumieją, co robią (Die Abgeordnete verstehen nicht was sie tun), ein Interview mit Ewa Łętowska, http: / / kulturaliberalna.pl / 2015 / 12 / 01 / ewa-letow ska-wywiad-pis-trybunal-demokracja / , (Zugang: 2.8.2016).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Verfahrens vor dem Verfassungsgericht ist. Um die Grundrechte umzusetzen sind die Verfahren nötig: Nicht nur im einfachen Recht, das vor verschiedenen Behörden zur Anwendung kommt, sondern auch das Verfahrensrecht vor der Instanz, die die Verfassungsmäßigkeit der Eingriffe der Behörden am Maßstab der Grundrechte misst. Die Folgen einer Unvereinbarkeitserklärung mit der Verfassung eines Gesetzes (in Polen) oder aller Akte der öffentlichen Gewalt, die einen in seinen Grundrechten verletzen (in Deutschland), hängen unmittelbar mit dem Verfahren und mit den Implementierungsmechanismen, geschriebenen wie ungeschriebenen, zusammen. Die Verflechtung der rechtlichen Argumentation und der Rechtsfolgen einer endgültigen Entscheidung des jeweiligen Verfassungsgerichts zeugt von der Effektivität des Grundrechtsschutzes in einem Staat und zeigt die Tendenzen der Politik, sie zu respektieren. Diese Arbeit strebt keine vollständige Analyse der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte Polens und Deutschlands an. Das Ziel ist es hingegen anhand der ausgewählten Fälle die Mitbestimmung der Grundrechtsinhalte durch die Rechtsprechung bei den Überwachungsmaßnahmen zu analysieren und die Umsetzung der Vorgaben der Verfassungsgerichte in diesem Bereich zu schildern. Denn es scheint, dass es nur zwei Wege der Änderung eines verfassungswidrigen Gesetzes bestehen: entweder eine Nichtigkeitserklärung eines Verfassungsgerichts oder eine parlamentarische Initiative, die zu Gesetzesänderung ohne die Einschaltung der Gerichtsbarkeit führt. Erfahrungsgemäß ist das zweite Modell – die „Selbstkontrolle“ eigentlich nur eine Utopie, denn die Parlamentsmehrheiten geben es ungern zu, dass sie sich geirrt haben, bzw. dass sie absichtlich ein grundrechtswidriges Gesetz verabschiedet haben. In diesem Zusammenhang müsste eigentlich das nächste gewählte Parlament die diffizile Lage ändern, was dauert und den Sinn des Parlaments entstellt, das nicht zum Rügen des verfassungswidrigen Rechts berufen ist, sondern für die Umsetzung des Programms der Mehrheit. Deswegen ist die „Sanierung“ des Rechts durch die Verfassungsgerichtsbarkeit in einem Rechtsstaat wünschenswert. Denn das Vertrauen auf die „Vernunft“ des Gesetzgebers oder auf die Zurückhaltung der Vollzugskräfte des Staates ist vergeblich und lässt sich mit keinen rechtlichen Garantien verbinden. Doch gerade das scheint durch die schon erwähnten Novellen des polnischen Polizei- und Strafprozessrechts in den letzten Jahren angestrebt zu werden. Piotr Wlagowski, Mitglied des Digitalisierungsrates beim Digitalisierungsministerium, beschreibt in einem Radiointerview die Sitzung des Rates am 4. Januar 2016, bei der die Umsetzung des Urteils K 23 / 11 besprochen wurde, folgendermaßen: „Auf die Vorwürfe des Rates, dass die Novelle bezüglich des Umfangs der Überwachung extensiv sei und möglicherweise gegen die Verfassung verstoße, hat der Minister Maciej Wąsik mehr oder weniger so geantwortet: Machen Sie sich keine Sorgen, wir wollen ja nicht
I. Bedeutung der Verfassungsgerichte149
alle belauschen und durchleuchten. Das ist aber keine Antwort. Wollen wir auf dem Wort des Ministers bestehen oder Prozeduren schaffen?“10 Die restriktive Gesetzgebung und Ausblendung der Frage der Kontrolle über die TKÜ in Polen sollten eigentlich den Weg zur Überprüfung des Gesetzes am Maßstab der Verfassung dem VerfGH eröffnen. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde ist es aber nicht möglich. Es kommt nur die abstrakte Normenkontrolle in Frage, doch bei dem gegenwärtigen Patt um die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist auch dies nicht klar, welche faktischen Folgen es haben könnte. Die Gründe dafür werden im Folgenden erklärt. Man beobachtet also einen Regress der Rechtsstaatlichkeit, einen Regress der keinen wundern sollte und schon von anerkannten Autoren wie Ewa Łętowska vorhergesehen wurde. Sie meinte, dass lediglich die Involvierung Polens in die Internationalen Grundrechtsschutzstrukturen die Bestrebungen der kurzsichtigen Politik limitieren können. „Ich bin keine Euro-Enthusiastin, weil ich die zahlreiche Schwächen der EU sehe, aber ich bin eine Anhängerin der Zusammenarbeit im Bereich der Rechtsetzung. Das bringt wirklich viel Gutes. Wir hätten einige sinnvolle Regelungen nicht umgesetzt, ohne die Verpflichtung, die sich aus der Mitgliedschaft in der EU ergibt“,11 meinte die ehemalige Bürgerrechtsbeauftragte 2011. 2. Unterschiede zu Deutschland Aus der Perspektive eines Juristen, der die Grundrechtsausbildung in Deutschland genossen hat, scheint diese Einstellung erschreckend zu sein. Es zeigt doch, dass die Exekutive und Legislative sich von der Kontrolle der Judikative lösen wollen und eine interne Kontrolle ihres Vorgehens bzw. möglichst geringe Einsicht eines unabhängigen Organs anstreben. Die deutsche Literatur scheint oft eine völlig gegensätzliche Ansicht zu vertreten, indem sie die überlegende Position des BVerfG gegenüber dem politischen Parlament kritisiert.12 Aber im Fall Deutschlands beziehen sich die Überlegungen auf ein Land, das lange Erfahrungen mit der Verfassungsgerichts barkeit hat, deren Geburtsstunde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand, wo die historischen und politischen Begebenheiten völlig anders waren als bei der Einführung des Verfassungsgerichts ins polnische Rechts10 http: / / www.rdc.pl / informacje / kiedy-uczciwie-rozmawiamy-jakie-beda-kon sekwencje-danego-przepisu-to-tak-stworzone-prawo-jest-lepsze-posluchaj / (Zugang: 2.8.2016). 11 Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa, S. 224. 12 Matthias Jaestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht. Was das Gericht zu dem macht, was es ist, in: Oliver Lepsius / Christoph Möllers / Christoph Schönberger; Das entgrenzte Gericht: Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren Bundesverfassungsgericht, Berlin 2011, S. 149–151.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
system 1985, das von zahlreichen Kompromissen gekennzeichnet war. Die detaillierte Maßstabsetzung für den Gesetzgeber mag also hier als Problem des zu tiefen Eingriffs in die Parlamentsautonomie gesehen werden, doch in einem Staat, in dem die Rechtskultur auf einem fortgeschrittenen Niveau steht unfähig ist, sich den grundrechtlichen Eingriffen ohnehin wiederzusetzen. Die Kritik der zu weitgehenden Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgericht das politischen Willen in die Schranken weise, muss in einem Land, in dem die grundrechtlichen Grenzen des politischen Entscheidungsprozesses nicht redundant gesichert werden (etwa durch Rechtsetzungsprozedur mit unterschiedlicher Mehrheitsbildung im Bundestag und Bundesrat) und in dem das Bewusstsein über den Ernst des politischen Prozesses nicht ausreichend etabliert ist, Sorgen um die Respektierung der Grundrechte auslösen.
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Trotz der negativen Entwicklungen im Polizeirecht in Polen, nicht nur im grundrechtlichen aber auch im praxeologischen und logischen Sinne ist der Blick nach Deutschland fruchtbar. Die differenzierte Gesetzgebung zu Überwachungsfragen in Deutschland ist kein Verdienst der Politik. Die Reihe von Gesetzen zur Beobachtung verschiedener Art war auch ursprünglich mit zum Teil gravierenden Unzulänglichkeiten belastet.13 Die Rolle des BVerfG bei den Gesetzesänderungen ist nicht zu unterschätzen. Die faktische und rechtliche Position des BVerfG wird in Deutschland kritisch diskutiert. Diese Abhandlung beabsichtigt nicht zu dieser Diskussion Stellung zu nehmen, sondern lediglich aus der Perspektive der polnischen Regelungen und ihrer Konsequenzen die Bedeutung der starken Verfassungsgerichtsbarkeit für den Grundrechtschutz zu vergleichen. Aus dieser Perspektive ist eine übergewichtige Bedeutung eines politisierten (nicht gemeint im Sinne der Partei politik) Verfassungsgerichts wünschenswerter als eine viel zu starke Position der konjunkturellen und populistischen Politik, wie es in Polen der Fall ist. Die starke, oft kontroverse Rolle des BVerfG wäre aber nicht wahrnehmbar, wenn eine Reihe von Bedingungen nicht gewährleistet wären: Das Verfahren, das den Anspruch auf das Letzte angeblich objektive Wort dem Gericht zuschreibt und den Zugang zur Überprüfung eigener Angelegenheit weit eröffnet ist dabei ausschlaggebend. Dies wäre aber nicht möglich ohne den parteiergreifenden Konsens über die Rolle des Gerichts als höchste Schlichterstelle 13 Dabei ein Wünsch nach „flexiblen rechtlichen Bekämpfungsmöglichkeiten“ der Kriminalität äußerten u. a. Jörg Ziercke, Polizei in der digitalen Welt, Kriminalistik 2 / 2008, S. 76–80, oder die Landesregierung Nordrheinwestfalens in: BVerfGE 120, 274 (294).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts151
der Politik. Der ernsthafte Umgang mit den Entscheidungen zeigt sich nicht nur in den Versicherungen jene zu respektieren und zu schätzen, sondern in der Einführung der Prozeduren, die zur fundierten Umsetzung führen. Freilich ist die Frage der Umsetzungen der Verfassungsgerichtsentscheidungen auch ein Thema in Deutschland, doch die Betrachtungsweise kommt von einem konträren Blickwinkel. Nicht die Unzulänglichkeit der Umsetzung wird wie in Polen kritisiert, sondern die zu detaillierte Auferlegung der Maßgaben für die Politik. Freilich ist die hiesige Analyse nur punktuell und konzentriert sich auf die internetbezogene Tätigkeit des Einzelnen und ihren Schutz vor den (nicht nur) staatlichen Eingriffen. Doch die Entwicklung in Deutschland scheint einen Einfluss auf die späteren europäischen Lösungen zu haben,14 vor allem in Anbetracht des Volkszählungsurteils, aber auch Vorratsdatenspeicherungsurteils. Die Polizeirechtsdogmatik und die durch die Rechtsprechung des BVerfG induzierte datenschutzrechtliche Gesetzgebung schaffen eine spezifische juristische Konstellation, die auf die Datenerhebungsgrundsätze auch außerhalb Deutschland ausstrahlt. 1. Das Volkszählungsurteil als Ursprung der Überlegungen In den durch individualistische Ideen geprägten Verfassungssystemen des globalen Westens hat der Datenschutz lange Geschichte, die nach manchen Meinungen sogar bis in die Antike15 reiche. Im Nachkriegsdeutschland kam die Frage des Grundrechtsschutzes vor staatlichen Eingriffen in die sensible Sphäre der personenbezogenen Daten schon relativ früh auf, so dass 1969 das BVerfG im Mikrozensusbeschluss16 die Erhebung der Daten aus der grundrechtlichen Perspektive analysierte. Ein Jahr darauf wurde das hessische Datenschutzgesetz verabschiedet. Die „Erfindung“ des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das BVerfG 198317 ist also keine Rechtsschöpfung aus dem Vakuum, sondern eine rechtsschöpferische Artikulierung einer Idee, die im Rechtsverkehr schon präsent war. Das Volkszählungsurteil gewann in nächsten Jahren an Bedeutung und beeinflusste nicht 14 Peter Häberle, Wechselwirkung zwischen deutschen und ausländischen Verfassungen, in: Detlef Merten, Jans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, § 7, Rn. 44. 15 Walter Rudolf, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Detlef Merten, Jans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band IV Einzelne Grundrechte I, Heidelberg 2011, § 90 Rn. 4 ff. 16 Mikrozensusbeschluss, BVerfGE 27, 1. 17 Volkszählungsurteil, BVerfGE 65,1.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
nur die Gesetzgebung in Deutschland,18 sondern auch das Verständnis des Schutzes der personenbezogenen Daten in anderen Ländern.19 Das Urteil hat auch die Rechtsfortbildung angekurbelt, da es breit und kontrovers diskutiert wurde. Aus den Reihen des Praxis und Lehre sind bis heute sowohl Zustimmung als auch Ablehnung der Ausgestaltung des Grundrechts zu hören.20 Obwohl der Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde lag, mit den polizeirechtlichen – präventiven oder repressiven Erhebungsmaßnahmen nicht direkt in Verbindung stand, gab er einen Anlass zur Formulierung abstrakter Regeln, die für die staatliche Datenerhebung auch auf dem Gebiet des Polizei- und Sicherheitsrechts von grundlegender Bedeutung sind und bis heute aktuell bleiben. Aus der rechtsvergleichenden Perspektive ist die Verkupplung des Datenschutzes mit der Menschenwürde zu berücksichtigen, was die spätere Richtung im Datenschutzrecht im Wesentlichen geprägt hat,21 was aber in Polen nicht unterstrichen wird. a) Ausgangslage Der Fall, der der Entscheidung zugrunde liegt, könnte aus der heutigen Perspektive eines Menschen, der ständig statistisch bewertet wird, nicht so gefährlich vorkommen. Viel ernster scheinen heute die Probleme der polizeilichen und geheimdienstlichen Datenerhebungen und des Datenschutzes von Privaten im Internet zu sein, dagegen die Erhebungen zu Zwecken der Statis18 Walter
Rudolf, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, § 90 Rn. 14 ff. Häberle, Wechselwirkung zwischen deutschen und ausländischen Verfassungen, in: Detlef Merten, Jans-Jürgen Papier (Hrsg.); Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, § 7 RN. 44. 20 Die Aufzählung zielt an dieser Stelle nicht auf Vollständigkeit. Kritische Einstellung zeigte etwa: Friedhelm Hufen, Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – eine juristische Antwort auf „1984“?, JZ 1984, S. 1072 ff.; Später etwa: Karl-Heinz Ladeur, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Eine juristische Fehlkonstruktion?, DÖV 2009, S. 45 ff.; Positiv dagegen: Ernst Benda, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Datenschutz, DuD 1984, S. 86 ff.; Spiros Smitis, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung, KritV 1994, S. 121 ff., und grundsätzlich positiv mit Reformvorschlägen: Wolfgang Hoffmann-Riem, Informationelle Selbstbestimmung in der Informationsgesellschaft – auf dem Wege zu einem neuen Konzept des Datenschutzes, in: AöR 1998, S. 513 ff. 21 Mehr: Michael Fehling, Evolving Law and Economics of Internet Privacy in the Evolving Technological Environment, in: Thomas Eger, Stefan Oeter und Stefan Voigt (Hrsg.), Economic Analysis of International Law, Tübingen 2014, S. 99–113. 19 Peter
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts153
tik, die zur Unterstützung der staatlichen oder auch privaten Planungstätigkeiten dient, scheint nach wie vor auf den ersten Blick geringe Grundrechtsrelevanz zu haben. Diese Wahrnehmung hat die parlamentarischen Arbeiten am Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung am 25. März 1982 verabschiedet, beeinflusst. Erst nach seiner Veröffentlichung „schossen die Initiativen gegen die Volkszählung aus den Boden.“22 Die damaligen Entscheidungsträger haben ihre Verblüffung und Irritierung nicht verborgen. Der Bundesminister des Innern, Friedrich Zimmermann, meinte in seinem Interview für „Spiegel“ Anfang 1983 zu den wachsenden Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes: „Alle relevanten Themen dieser Volkszählung sind parlamentarisch beschlossen, Sachverständige sind gehört worden […]“ er fügte weiter hinzu: „Ich hätte mir gewünscht, dass diese SPD-Abgeordneten ihre Einwände bei der Beschlussfassung geltend gemacht und dagegen gestimmt hätten und dass sich die schleswigholsteinische Landesregierung genauso verhalten hätte, als die Sache im Bundesrat war. […] Das Gesetz war vier Jahre lang in der Beratung, und es war ausreichend Zeit, sich zu äußern. Bei einem rechtskräftig beschlossenen, unterzeichneten und verkündeten Gesetz kann ich nachträgliche Einwände nicht mehr berücksichtigen.“23 Der Kernkritikpunkt des Gesetzes war die Reichweite der Informationen und das Ausmaß der Erhebung. Zwar war die Volkszählung bereits die vierte in der Geschichte der Bundesrepublik, doch die erste die so tief reichte. Für die Tiefe der Erhebung stand symbolisch der Wortlaut des § 9 Abs. 1 S. 1. des Volkszählungsgesetzes, der den Vergleich der erhobenen Daten mit den Melderegistern vorsah. Obwohl „aus diesen Angaben gewonnene Erkenntnisse nicht zu Maßnahmen gegen den einzelnen Auskunftspflichtigen verwendet werden [dürften]“ (§ 9 Abs. 1 S. 2 Volkszählungsgesetz), äußerten die Bürger Befürchtungen, dass durch die Datensammelaktion der Staat gegen sie vorgehen könnte.24 Die Besorgnis mancher wurde durch die gerade aufkommende Technikentwicklung verstärkt. Die durch die Rechner unterstützte Auswertung der Fragebögen und die nicht genug gewährleistete Anonymisierung der Daten erzeugte den Eindruck, dass durch die Erhebung der Staat zahlreiche sensible Informationen zusammenführen könnte, um ein Persönlichkeitsbild eines Bürgers zu erstellen. Diese Perspektive ließ die Emotionen hochkochen und schien eine Tür zu öffnen für die praktische 22 Bernhard Schlink, Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, Der Staat (25), 1986, S. 234. 23 Der Spiegel vom 28 März 1983, S. 34–45. 24 Zu nennen sind hier die Wehrdienstverweigerer die in Westberlin den Wohnsitz angemeldet haben, faktisch aber auf dem Bundesgebiet wohnten oder die Zweitwohnsitzbesitzer, die dadurch die Enthüllung ihres faktischen Standorts um die steuerlichen Begünstigungen bangten.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Umsetzung von George Orwells „1984“ in Deutschland. In der öffentlichen Wahrnehmung entstand ein von den Politikern völlig unerwartetes und un erwünschtes Bild der Volkszählung, das zum Widerstand gegen die geplante Erhebung zahlreiche Initiativen animiert hat. Die Öffentlichkeit sah in der Volkszählung keine Unterstützung der staatlichen Planungstätigkeit, sondern einen Eingriff in ihre Privatheit und den Versuch der Erweiterung der Staatsmacht auf Sphären, die bisher als unantastbar für die Hoheitsträger galten. Für viele schien es ein Bruch des inoffiziellen „Vertrages mit dem Staat“ zu sein, der die ungeahndete Möglichkeit der Begehung „kleinen bürgerlichen Kavaliersdelikte“ vorsah. Daraufhin ergingen zahlreiche Verfassungsbeschwerden, die zunächst zu einer Durchführungsaufhebung der Volkszählung im April 1983 führten und schließlich zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit im Urteil vom 15. Dezember 1983. Die vom Gesetzgeber 1983 beabsichtigte „Volkszählung und Berufszählung mit gebäudestatistischen und wohnungsstatistischen Fragen sowie eine Zählung der nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstätten und Unternehmen (Arbeitsstättenzählung)“ sollte durch eine Befragung der Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet erfolgen. Die Teilnahme an der Befragung war Pflicht und mit Bußgeld bedroht. Die Fragen an die Bürger betrafen vor allem Angaben zur Wohnung (u. a. Art, Größe, Ausstattung und Verwendungszweck, Art der Beheizung und der Heizenergie sowie zum Bezugsjahr der Wohnung, den Wohnverhältnissen, der Förderung der Wohnung mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus sowie die Zahl und Nutzung der Räume, Nutzung der Wohnung als alleinige Wohnung, Hauptwohnung oder Nebenwohnung), Berufs leben (etwa: Quelle des überwiegenden Lebensunterhaltes, erlernten Beruf, Stellung im Beruf, ausgeübte Tätigkeit, Arbeitszeit, landwirtschaftliche und nichtlandwirtschaftliche Nebentätigkeit). Die Angaben bei der Arbeitsstättenzählung betrafen etwa: Zahl der tätigen Personen nach Geschlecht, Stellung im Betrieb, Zahl der Teilzeitbeschäftigten sowie Zahl der ausländischen Arbeitnehmer nach Geschlecht, Summe der Bruttolöhne und Bruttogehälter des vorhergehenden Kalenderjahres. Die Angaben, die im Rahmen der Volkszählung abgefragt werden sollten, waren oder dürften dem Staat mehrheitlich ohnehin bekannt gewesen sein, jedoch in zerstreuter Form. Die Ballung der Daten und ihre Verknüpfung mit konkreten Bürgern oder anderen Rechtssubjekten waren die Auslöser der sich ab Beginn des Jahres 1983 verbreitenden Ängste. Die Angst der Bürger konzentrierte sich also eigentlich nicht auf die Angaben an sich, sondern auf die vermutlichen Schlüsse, die die staatlichen Stellen aus den geballten Informationen ziehen konnten.
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts155
b) Das Urteil Die anhängigen Verfassungsbeschwerden stammten von Bürgern verschiedener Sozial- und Altersgruppen. Es lässt sich die These verteidigen, dass die Kritikpunkte die Ängste der breiten Schichten der Gesellschaft repräsentierten. Aus dem Gesichtspunkt dieser Arbeit waren vor allem vier Punkte einschlägig. aa) Die Kritikpunkte (1) Die mangelnde Anonymität der geplanten Volkszählung: Das BVerfG drückt es folgendermaßen aus: „Sei die Anonymität nicht oder nicht voll gewährleistet, so mache eine Befragung Daten über individuelle Personen und Personengruppen für beliebige fremdbestimmte Zwecke verfügbar. Dadurch könne die Einzelperson der freien Selbstbestimmung beraubt und zum Gegenstand fremder Willensausübung und Kontrolle werden. […] Aufgrund dieser gewandelten technologischen Bedingungen sei die Erstellung eines umfassenden und detaillierten Bildes der jeweiligen Person – ein Persönlichkeitsprofil – möglich, und zwar auch im Intimbereich; der Bürger werde zum ‚gläsernen Menschen‘.“25 (2) Die Gesetzestechnik. BVerfG bringt es auf den Punkt: „Das Gesetz gerate durch sein Schweigen zu bestimmten wichtigen Fragen seiner Anwendung in Konflikt mit dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Wesentlichkeitsgebot. Erhebungszweck und Erhebungsprogramm müssten im Gesetz geregelt werden. Das Volkszählungsgesetz regele den Zählvorgang selbst aber nur mit einem unwesentlichen Satz und lasse damit die Form der grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahmen offen.“26 Die Beschwerdeführer bemängelten auch die unbestimmte Gesetzsprache, die den Zugang zu den Daten einem unbestimmten Personenkreis eröffnen solle. Dabei ging es um den Begriff „wissenschaftliche Zwecke“ und seine Bedeutung.27 (3) Der leerlaufende Rechtsschutz: „[…] Wegen der Unbestimmtheit des Empfängerkreises und der möglichen Verwendungszwecke der ermittelten Daten dem Bürger jeglicher Überblick darüber vorenthalten, wer wo über welche seiner Daten in welcher Weise und zu welchem Zweck verfüge. Einmal weitergegebene Daten seien in komplex verbundenen und zunehmend ‚vernetzten‘ Systemen unterwegs, so dass sie nicht mehr zurückgehalten werden könnten.“28 25 BVerfGE
65, 65, 27 BVerfGE 65, 28 BVerfGE 65, 26 BVerfGE
1 1 1 1
(16–17). (18). (19–20). (20–21).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
(4) Letztendlich setzte die Kritik des Gesetzes an das Verhältnismäßigkeitsprinzip an mit der Begründung, dass durch den technischen Fortschritt im empirischen sozialen Fortschritt die Zwangsdatenerhebungen nicht erforderliche Mittel zur Erfüllung der Planungsaufgaben des Staates bereitstellen. Anonyme und freiwillige Erhebungen gäben in diesem Fall vergleichbar präzise Ergebnisse.29 Die Sorgen der Beschwerdeführer fokussierten sich also auf der angeblich drohenden Omnipotenz des Staates, unterstützt durch die technischen Errungenschaften, wobei es nicht um körperliche Bedrohung ging, sondern um diffuse Informationsidentität eines Individuums. Die Beschwerdeführer setzten sich gegen eine Maßnahme zur Wehr, die nicht als Repression gedacht wurde, sondern als ein Mittel das einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten sollte. Man setzte sich gegen eine leicht paternalistische Maßnahme zur Wehr und betrachtete sie als einen tiefen Eingriff, der die Interessen der Bürger beeinträchtigte. Signifikant ist dabei, dass die Argumentation, die hier verwendet wurde, sich bei den Beanstandungen der polizeirechtlichen Maßnahmen wiederholt. Auf eine gewisse Weise setzte das Urteil einen sehr hohen Maßstab für andere Bereiche, die es primär nicht betraf. Das Verfassungsgericht ging in seinem Urteil noch weiter als erwartet und überprüfte das Gesetz als Ganzes.30 bb) Prüfungsmaßstab des Gerichts Für die Argumentation wurden die Verfassungswerte herangezogen, die einen besonders hohen Stellenwert haben – die Menschenwürde und der Schutz des Individualismus, in diesem Fall durch die freie Entfaltung der Persönlichkeit repräsentiert. Damit trifft das BVerfG die Aussage, dass die Eigenschaften der Person und ihre Verwertung unter stärkstem Schutz des Staates stehen. Bei der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entdeckte das BVerfG eine neue Ausprägung des Persönlichkeitsrechts – das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.31 Laut dem Urteil „[setzt die] Individuelle Selbstbestimmung – auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitungstechnologien – voraus, dass dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht 29 BVerfGE
65, 1 (18). Rudolf, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Detlef Merten, Jans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band IV Einzelne Grundrechte I, Heidelberg 2011, § 90 Rn. 9. 31 BVerfGE 65, 1 (43). 30 Walter
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts157
mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. […] Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“32 Das BVerfG konstruierte also primär ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat, das aber ein Potential besaß sich zu einem Gewährleistungsrecht zu entwickeln. Aus diesen Aussagen des BVerfG folgt eine Interpretation, die ständig das Verständnis des Datenschutzes nicht nur in Deutschland, sondern auch in einigen anderen Ländern prägt. Dessen Konsequenz ist die Überzeugung, dass Datenschutz an sich nicht ein Ziel an sich darstellt, sondern ein Mittel zum Zweck sei und zwar zu einem sehr werteorientierten Zweck – Durchsetzen der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit – zwei Werte mit denen sich schwer diskutieren und schwer abwiegen lässt. Aus dem Anknüpfen an Menschenwürde und individuelle Selbstbestimmung als normative Grundlage des Schutzes gegen willkürliche Datenerhebungen folgen die Einschränkungen der staatlichen Gewalt bei der Datenerhebung bei den Bürgern. Die Erhebungen im Zeitalter der elektronischen Auswertungsmöglichkeiten der Daten unterliegen besonderen Einschränkungen. Die Möglichkeit, ohne großen Zeit- und Kostenaufwand die Daten zusammenzuführen und kumulativ auszuwerten und zu vergleichen, soll ein besonders rücksichts volles Vorgehen des Staates implizieren. Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgt auf mehreren Stufen. Er beginnt mit der Erhebung und Speicherung dauert fort durch die Verwendung und möglicherweise Weitergabe der Daten. Für alle diese Stufen sind die Rechtsgrundlage und die Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich. Ferner konzipiert das Gericht die Schranken des Grundrechts. „[Das] Recht auf ‚informationelle Selbstbestimmung‘ ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ‚seine‘ Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation ange32 BVerfGE
65, 1 (42–43).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
wiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Grundgesetz hat, wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach hervorgehoben ist, die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden. Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinneh men.“33 Das „neue“ Grundrecht sollte also sämtlichen Schranken unterzogen werden, auch wenn es den wichtigsten „unantastbaren“ Wert der Verfassung – die Menschenwürde – heranzieht. Aus der Ausführungen des BVerfG können wir schlussfolgern, dass die Daten kein Eigentum des Bürgers sind, sondern zu seinen Eigenschaften zählen, über die er zwar Verfügungsrecht hat, doch nicht in so einem ausgedehnten Ausmaß wie beim Eigentumsrecht. Die Gemeinschaftsbezogenheit des Bürgers weist darauf hin, dass die personenbezogenen Daten von dem jeweiligen Individuum auch zugunsten der Allgemeinheit benutzt werden dürfen. Die Belange der Normenklarheit versichern dem Bürger die präzise Angabe der Bedingungen unter deren sein Grundrecht eingeschränkt werden darf. Die Erfassung der Daten durch den Staat muss unter der eindeutigen Angabe des Zwecks verlaufen. Der Zweck muss sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung befinden und darf nicht instrumental verwendet werden als ein bloßer Anlass zur „Erschleichung“ der Informationen vom Bürger. Diese Regel gilt für alle Stufen des Umgangs mit den Daten – von der Erhebung und Speicherung bis zur Verwendung (Auswertung) und Weitergabe. Alle Stufen der Datenbearbeitung unterliegen der Verhältnismäßigkeitsprüfung und dem Gesetzesvorbehalt. Im Fall der Volkszählung 1983 fehlte es an den ausreichend klaren Gesetzesbestimmungen, zu welchen Zwecken die Daten verwendet werden sollen. „Erst wenn Klarheit darüber besteht, zu welchem Zweck Angaben verlangt werden und welche Verknüpfungsmöglichkeiten und Verwendungsmöglichkeiten bestehen, lässt sich die Frage einer zulässigen Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beantworten.“34 Die Zweckbindung der Erhebung ist von zentraler Bedeutung für die Datenerhebung und Verarbeitung. Die delikaten Angelegenheiten, die im statistischen, anonymisierten Verfahren, nach der Bearbeitung als wichtige Planungsmaßnahme des Staates dienen könnten, enthalten auch Angaben, die für Zwecke 33 BVerfGE 34 BVerfGE
65,1 (43–44). 65,1 (45).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts159
z. B. des Verwaltungsvollzugs dienen könnten, wie vom BVerfG erwähnt.35 Die Daten können auch nicht zur Erstellung der Persönlichkeitsprofile dienen, also ein Bild, das aufgrund der Schlüsse von den Angaben einen Einblick ins Innenleben des Individuums geben könnte. c) Konsequenzen Das Volkszählungsurteil prophezeite die Richtung der weiteren Entwicklung des Datenschutzrechts in Deutschland. Es behandelte die personenbezogenen Daten des Einzelnen weder als sein Eigentum, noch als Gegenstand eines absolut geschützten Rechts. Einerseits knüpft der Schutz im Kernbereich an den Art. 1 Abs. 1 GG an, andererseits konzentriert er sich auf die Gemeinschaftsbezogenheit der Daten und dadurch auf die Unmöglichkeit der Verbergung der Informationen zu sich durch den Einzelnen, der nicht nur ein Individuum, sondern auch ein Bürger ist. Das Volkszählungsurteil weist eine besondere Verallgemeinerungsfähigkeit auf, wodurch es die Prognose erfüllte zu einem der wichtigsten Urteile in der Bundesrepublik zu zählen.36 Die Datenverarbeitung auf einer massiven Skala war erst in der Anfangsphase, doch die Erwartungsposition der Gesellschaft, begründet durch die historischen Erfahrungen, war hoch und dem entsprechend hoch war auch das Bewusstsein der Bedeutung der personenbezogenen Daten. Das BVerfG schmiedete eine besonders schwere Waffe – auf dem Niveau der Grundrechte, die wahrscheinlich noch zu schwer für die damaligen Schutzbedürfnisse war. Doch die Anpassung der Gesetze an die Belange des Volkszählungsurteils brachte das Datenschutzrecht in Deutschland auf einen Stand des weitreichenden Schutzes. Man könnte sagen, dass das Gericht, bewusst oder unbewusst, die Gegenwart überholte und ein Fundament schaffte, auf dem man das auf den Grundrechten angesetzte Datenschutzrecht weiter pflegte. Mit einfachen Worten setzte das Gericht einen hohen Standard, bevor er essentiell wurde. Der Grundrechtsschutzstandard, der sich hinter dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verbirgt, ist besonders hoch. Die Anknüpfung an den höchsten Wert des Grundgesetzes – die Menschenwürde – bereitete der Legislative und der Exekutive eine große Herausforderung. Mit einer beträchtlichen Streubreite für das Rechtssystem, denn dessen Anpassung an die Belange des Volkszählungsurteils dauerte lange Jahre37 und erforderte 35 BVerfGE
65,1 (61). Rundschau vom 14.4.1983. 37 Walter Rudolf, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: HGR IV, § 90 RN 14 ff. 36 Frankfurter
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
eine große Kompromissbereitschaft. Der Standard ist mit Laufe der Zeit immer schwieriger zu halten gewesen. Seit 1983 entstanden einige neue Konstellationen mit großem Eingriffs potential in dieses Grundrecht. Als Beispiel kann man die massive Datenverarbeitung durch private Rechtssubjekte auf der einen Seite und die verschärften Sicherheitsgesetze auf der anderen Seite nennen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung prägte aber im Wesentlichen die Vorgehensweise bei den neuen Herausforderungen und blieb ein „juristischer Wegweiser“ im Bereich Datenschutz in Kontinentaleuropa. Selten entwickelt ein Richterspruch, der einen konkreten und individualen Fall zugrunde hat, solch eine Kraft. Aus der rechtsvergleichenden und zeitlichen Perspektive erscheint es fraglich, ob ein Urteil eines Verfassungsgerichts Gesetzesänderungen anstoßen würde, auf Gebieten, die es gar nicht betrifft.38 Aus der polnischen Perspektive erscheinen die weit über den Fall hinausgehende Reichweite des Urteils und sein Einfluss auf die Gesetzgebung in Deutschland generell. Die umfassende Anpassungsarbeit des Gesetzgebers in Deutschland, die einige Jahre dauerte, erscheint jenseits der Oder als übertrieben, denn in Polen hält man eine Entscheidung des Verfassungsgerichts nur auf einen konkreten Fall anwendbar, was noch erörtert wird. In Polen erfolgt die Maßstabsbildung lediglich für Fälle, die relevante Merkmale aufweisen und selbst dort wird oft die feine juristische Arbeit des Verfassungsgerichts vom Gesetzgeber vergeudet, indem die Änderungsaufträge aus den Urteilen in einer entstellten Form umgesetzt werden, dies wird im Kapitel zum sog. „Großen Urteil“ vom 30.7.2014 noch thematisiert. An dieser Stelle reicht es zu erwähnen, dass die Urteile des VerfGH nicht zu einem allgemeinen Maßstab werden, die weit über den Ausgangsfall hinausreichen. Deswegen überrascht die Verlagerung der Diskussion auf das Polizeirecht wo die größten Änderungen bewirkt wurden.39 Mit dem Volkszählungsurteil nahm das BVerfG eine privilegierte Position des Schützers des Einzelnen vor den Informationsangriffen des Staates ein. Wie Andreas Peilert prognostizierte: „Die Aufgabe des BVerfG ist es weiterhin, den Ausgleich zwischen einem hohen Sicherheitsstand im Datenschutzrecht einerseits sowie einer größtmöglichen Normenklarheit andererseits herzustellen.“40 Die Stärke des Urteils besteht in seiner allgemeinen Aussagekraft. Es scheint, dass das Gericht seine Argumentation dem schöpferischen Einfluss der Rechtswissenschaft gezielt aussetzte, um sie weiterzuentwickeln. Das hat 38 So: Karl-Heinz Ladeur, Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine juristische Fehlkonstruktion?, DÖV 2009, S. 45 ff. 39 Andreas Peilert, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011, S. 370–371. 40 Ibidem, S. 373.
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts161
auch dazu beigetragen, dass das Volkszählungsurteil zu einem der „Exportschlager“ des deutschen Rechtssystems wurde. Auch der polnische Verfassungsgeber schöpfte aus dieser Quelle. Anders dogmatisch bearbeitet befindet sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der polnischen Verfassung vom Jahr 1997. Art. 51 PolVerf konstruiert das Recht nicht auf der Grundlage der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Menschenwürde, sondern knüpft im Vordergrund an den Begriff des Rechtsstaates, was einen Verweis auf die Rechtsprechung des VerfGH bedeutet. Schon die Erwähnung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung in einer Verfassungsurkunde ist nicht selbstverständlich. Die Ausgestaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung stellt den Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen zu den staatlichen Eingriffen in die breitgefasste private Sphäre des Bürgers dar. 2. Die Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen Das Bekenntnis des Grundgesetzes und der polnischen Verfassung zu den westlichen und demokratischen Werten macht es gleichzeitig nicht selbstverständlich, dass sie in den beiden Ländern genau so ausgelegt werden und dass der Wertekonflikt – Sicherheit gegen Freiheit gleichermaßen gelöst wird. In diesem Spannungsfeld werden die unterschiedlichen Betrachtungsweisen sichtbar. Das Problem der staatlichen Eingriffe in die weit gefasste Privatheit war in der deutschen Rechtslehre auch vor dem Volkszählungsurteil präsent. Doch erst nach ihm hat sie den heutigen charakteristischen Rahmen genommen. Durch die Entwicklung des Internets und das angeblich wachsende Risiko durch Terrororganisationen und organisierte Kriminalität hat man vor allem seit 2001 weltweit einen Zuwachs an Sicherheitsgesetzen beobachtet. Wie man aber 2016 feststellen kann, mit magerer Effektivität. Das Bestreben lückenlose Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten, ist schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt, denn erstens es kann keine „lückenlose“ Prozeduren geben und zweitens besteht ein Problem mit der Sicherheitsdefinition. Für jeden, auch für die Institutionen, ist der Zustand des Nichtdrohens einer Gefahr anders zu verstehen. Die Tendenz war und ist immer noch in Polen und in Deutschland zu beobachten,41 mit einigen Unterschieden: Zum einen ist es 41 2016 beobachtet man vermehrte Versuche die Sicherheitsgesetze sowohl in olen (etwa: das in dieser Arbeit besprochene Polizeigesetz und angeblich für die P Sicherheit der Weltjugendtage in Krakau vorbereitete Antiterrorgesetz), als auch seit den neusten Anschlägen in Frankreich und in Bayern im Sommer 2016 in der Bundesrepublik zu verschärfen. Das Sicherheitsprogramm vom Bundesminister Thomas de Máiziere stoßt aber in Deutschland auf eine vielseitige Kritik. Es wird sowohl als
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
die Sicherheitsrechtsdogmatik, die jenseits der Oder verschiedene Ansätze als ihre Hauptthesen annimmt und andere Maßnahmen verwendet, zum anderen die Effektivität der Kontrollmechanismen vor allem der Verfassungsgerichte. Sowohl in Polen als auch in Deutschland wurden einige Sicherheitsvorschriften vor die jeweiligen Verfassungsgerichte getragen, aber mit unterschiedlichen Folgen. Gewiss war der Umgang mit dem Trauma der Terror anschläge und der Kriminalstatistiken oder der Korruption im Fall Polens42 eine Herausforderung für den Rechtsstaat, doch der Umgang damit nahm verschiedene Bahnen in beiden Ländern. Im Folgenden werden drei Urteile des BVerfG besprochen, die in Verbindung mit den Verfassungsbeschwerden über die Überwachungsmaßnahmen nach der verstärkten Gesetzgebungsaktivität nach 2001 ergingen. Gewiss sind es nicht alle Urteile des BVerfG, die die Thematik der IT-basierten Überwachung berühren. Diese jedoch wurden aber als „große Urteile“ genannt.43 Sie schufen Maßstäbe für die Politik und Rechtsvollzug die bei verschiedenen Überwachungsmaßnahmen zu beobachten sind. Damit stießen sie wichtige Gesetzes- und Praxisänderungen an. Die Urteile wurden auch länderübergreifend rezipiert und zitiert. Viele Züge des Urteils zur Vorratsdatenspeicherung wurden vom EuGH im Urteil vom 2014 übernommen und das Urteil zum Großen Lauschangriff wurde u. a. vom polnischen VerfGH im Urteil vom 30.7.2014 zitiert. In Deutschland scheint die Verfassungskontrolle der Sicherheitsgesetze unerlässlich. Fast jedes Gesetz, das geheime Überwachungs- und Fahndungsmethoden vorsah, wurde vor das BVerfG gebracht.44 Deswegen konnte das zu weitgehend, als auch als nicht ausreichend beanstandet. Nordbayerischer Kurier vom 13 / 14.08.2016. 42 Uzasadnienie do projektu ustawy o CBA, http: / / ww2.senat.pl / k6 / dok / sejm / 01 2 / 275.pdf (Zugang: 13.8.2016) S. 1–16. 43 Andreas Peilert, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011, S. 851; ibidem: Dirk Heckmann, S. 893; Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), Jura 9 / 2005, S. 891–892. 44 Manche Beispiele: BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 20. April 2016 – 1 BvR 966 / 09 – BKA-Gesetz-Urteil, BVerfGE 134, 141 – Beobachtung von Abgeordneten; BVerfGE 133, 277 – Antiterrordateigesetz; BVerfGE 129, 208 – TKÜ-Neuregelung; BVerfGE 125, 260 – Vorratsdatenspeicherung; BVerfGE 124, 43 – Beschlagnahme von E-Mails; BVerfGE 120, 274 – Online-Durchsuchungen; BVerfGE 118, 168 – Kontostammdaten; BVerfGE 115, 320 – Rasterfahndung; BVerfGE 115, 166 – Kommunikationsverbindungsdaten; BVerfGE 113, 348 – Vorbeugende Telekommunikationsüberwachung; BVerfGE 112, 304 – GPS-Urteil; BVerfGE 110, 33 – Zollkriminalamt; BVerfGE 103, 142 – Wohnungsdurchsuchung; BVerfGE 100, 313 – Telekommunikationsüberwachung; BVerfGE 90, 255 – Briefüberwachung; BVerfGE 80, 367 – Tagebuch; BVerfGE 67, 157 – G 10-Urteil.
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Gericht eine feste Urteilslinie entwickeln und Maßstäbe setzen für den Grundrechtsschutz in diesem Bereich. Das BVerfG lässt es zu, die kontroversen Themen in der öffentlichen Debatte zu juridifizieren, indem es breiten Zugang zur Verfassungsbeschwerde gewährleistet. Damit ist verbunden, dass das sich hohen Ansehen erfreuende BVerfG etwa bei den Überwachungs fragen leicht eingeschaltet werden kann und damit zu einem Akteur in der Diskussion wird. Gewiss verursachten die Urteile einige Kontroversen im deutschlandweiten juristischen Diskurs. Sie rücken aber im Vergleich mit den Urteilen des polnischen VerfGH in den Hintergrund. Doch genau das gewährt die Verarbeitung der Karlsruher Urteile durch die Wissenschaft und Praxis und die Kenntnisnahme im breiten Kreise. Auch der Umgang des Gesetzgebers mit den Urteilen ist bemerkenswert. Schlussendlich verfügt das Gericht über keine Erzwingungsmaßnahmen, die bewirken können, seine Urteile zu respektieren. 3. Casus „Großer Lauschangriff“ Am 3. März 2004 entschied das BVerfG die Verfassungsbeschwerden, die sich nicht nur gegen die Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität45 sondern auch gegen die Verfassungsänderung, die Art. 13 GG betraf, richteten. Bemerkenswert ist, dass die Einführung der heimlichen Wohnungsüberwachung in Deutschland sogar die Verfassungsänderung verlangte. Aus der Perspektive der polnischen Gesetzgebung ist es lediglich eine der Methoden der Operationskontrolle, die pauschal in einem Artikel des PolizeiG geregelt werden und parallel auch im PolStPO. Schon diese Konstellation macht die Entscheidung im Lichte des polnischen Rechts ungewöhnlich, denn es ist umstritten ob eine Verfassungsänderung ein Gegenstand der Überprüfung des VerfGH werden kann.46 Obwohl dieses Urteil nicht direkt die Überwachung der IT-Tätigkeit betrifft, hat die Formulierung des Kernbereichs der Privatsphäre eine große Bedeutung für die weitere Rechtsprechung entwickelt, vor allem für das Online-Durchsuchungsurteil. Auch aus dem rechtsvergleichenden Blickwinkel liefert es Untersuchungsstoff, weil etwa der VerfGH sich in seinem „großen Überwachungsurteil“ vom 30. Juli 2014 argumentativ auf den Karlsruher Richterspruch vom 2004 stützt, vor allem wenn es um die Kritik der bestehenden 45 BGBl. I
S. 845. bejahen dies: Piotr Tuleja / Bartosz Szczurowski, in: Marek Safjan, Leszek Bosek, Konstytucja RP, Warszawa 2016, Kommentar zum Art. 235, Rn. 61– 72; Andere Meinung: Ewelina Gierach / Aleksandra Syryt, Ustawa o zmianie konstytucji – wybrane problemy związane z kontrolą konstytucyjności, in: Stanisław Bożyk (Hrsg.), Aktualne problemy Reform konstytucyjnych, Białystok 2013, S. 226–232; Solch ein Fall wurde noch nie dem VerfGH zur Entscheidung vorgelegt. 46 Grundsätzlich
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Kontroll- und Informationsmechanismen sowie bei der verfassungsrecht lichen Bewertung des Schutzes von Dritten in den polnischen Sicherheitsgesetzen geht. a) Ausgangslage Zu Grunde lag ein parteiübergreifendes Projekt der Bekämpfung der sich in den 90er Jahren angeblich verbreitenden organisierten Kriminalität, von der der Einzelne betroffen sein sollte. Es war das Jahr 1998, die Osterweiterung der EU stand bevor, die Presse berichtete von der osteuropäischen Mafia, die ihre Einflusszonen nach Deutschland erweitern wollte.47 Nachdem die Grenzkontrollen milder werden sollten, könnte sich die Lage noch verschlimmern, wurde beklagt.48 Das Bedrohungsgefühl in der Gesellschaft stieg, die Politik fühlte sich angesprochen, Regelungen zum harten Vorgehen gegen die kriminellen Banden vorzunehmen. Als Antwort darauf brachten die CDU / CSU, SPD und FDP über die politischen Spaltungen hinweg im Oktober 1997 einen gemeinsamen Entwurf ein, der die Informationsgewinnungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden erheblich erweiterte. Bisher war es generell unzulässig die privaten Wohnungen zu belauschen. Das neue Projekt sollte dies ändern. Ein Konsens zur Verfassungsänderung und Verschärfung der Maßnahmen wurden erreicht, die tatsächliche Geeignetheit und Effektivität der Maßnahmen aber anscheinend nicht wirklich überprüft. Der Wunsch nach kompromisslosem Vorgehen gegen die (organisierte) Kriminalität, die angeblich vor der Türen jedes Deutschen stand, wurde aber erfüllt und zwar mit einem äußerst einfachen Mittel – einer Gesetzesnovelle, die das Abhören der Gespräche in Wohnungen ermöglichte. In den Augen der Politik fand das komplexe Problem eine einfache Lösung. Die neuen Regelungen wurden zwar den grundrechtlichen Anforderungen angepasst, vor allem konnte die Wohnraumüberwachung nicht anlasslos erfolgen,49 aber von der Maßnahme konnten alle Wohnungen betroffen sein, in der sich die verdächtige Person aufhält. Beim Einsatz waren die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsätze zwar zu beachten, auch ein Richtervorbehalt wurde gewährleistet und das Abhören war zu befristen, aber trotz dieser 47 Etwa: Justizsenatorin warnt vor Hysterie, (Süddeutsche Zeitung vom 30.05.1997, S. 6); Kampf gegen Kriminalität vereinbart (Süddeutsch Zeitung vom 13.03.1998, S. 7); Mädchenhändler werden immer brutaler (Süddeutsch Zeitung vom 26.08.1998, S. L8). 48 Der Spiegel 11 / 1995 „Erwarte keine Gnade“, S. 182–192, http: / / www.spiegel. de / spiegel / print / d-9158136.html (Zugang: 10.8.2016). 49 Art. 13 Abs. 4 GG in principio: „Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat […]“.
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Hürden haben die Maßnahmen Bedenken grundrechtlicher Natur hervorgerufen. Der Große Lauschangriff spaltete die Koalition. Im März 1999 legte die Justizministerin, die wegen der Verabschiedung des Gesetzes ihr Amt nieder gelegt hatte – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und andere FDP-Mitglieder etwa Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum, vor dem Bundesverfassungsgericht eine der Beschwerden gegen die Änderung des Art. 13 GG und die Maßnahmen im StPO ein. Die Beschwerden richteten sich unmittelbar gegen Art. 13 Abs. 3–6 GG und die Maßnahmen zum elektronischen Abhören in Wohnungen nach § 100c Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 StPO, sowie gegen die Benachrichtigungspflichten aus dem § 101 Abs. 1 und 4 StPO. Sie sahen sich durch die angegriffenen Bestimmungen in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.50 Was generell charakteristisch für die Beschwerden bei Überwachungsmaßnahmen ist, wurden sie ohne Ausschöpfung des Rechtsweges nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG eingelegt und trotzdem wurde ihre Zulässigkeit vom Gericht wegen der allgemeinen Bedeutung bejaht (§ 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG). Auch die Voraussetzung der unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit durch das Gesetz wurde im Hinblick auf den Angriff gegen die Vorschriften der Strafprozessordnung bejaht.51 Die zwar außerordentliche Möglichkeit der Zulassung einer Gesetzesverfassungsbeschwerde ist beim Vergleich mit den polnischen Urteilen von Bedeutung, weil dieser Weg im Prozess vor dem polnischen VerfGH nicht möglich ist, was die Chance der Überprüfung der geheimen Methoden der Überwachung im Wege einer Verfassungsbeschwerde ausschließt. Wie schon dem ersten Teil der Arbeit zu entnehmen war, erlangt der Betroffene keinerlei Auskunft über die eingetretene Überwachung. Damit kann er den Rechtsweg nicht in Anspruch nehmen und die Zulässigkeits voraussetzung für die Verfassungsbeschwerde nicht erfüllen. Die Frage der Benachrichtigung war auch einer der Gegenstände der Beschwerden, die das BVerfG in seinem Urteil entschieden hat. Die Beschwerdeführer führen aus, dass es einem nicht bekannt sein kann, ob gegen sie bereits Maßnahmen nach § 100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO angeordnet worden seien. Nach den angegriffenen Regelungen könne von derartigen Maßnahmen weder vor noch während ihrer Durchführung Kenntnis genommen werden. Auch nach Beendigung der Maßnahme könne eine Benachrichtigung für Monate oder gar Jahre unterbleiben.52 Diese Ausführung dient einerseits der 50 BVerfGE
109, 279 (290). 109, 279 (305); Dazu: Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), Jura 2005, S. 434–435. 52 BVerfGE 109, 279 (290). 51 BVerfGE
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Bestätigung der Zulässigkeit der Beschwerde, andererseits ist sie auch ein Vorwurf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG das gegen § 101 Abs. 1 StPO erhoben wird. Darüber hinaus sahen die Beschwerdeführer das Mithören und Verwerten von Wohnungsgesprächen als Eingriff in den Wesensgehalt und Kernbereich privater Lebensgestaltung an und meinten, dass es sich bei der Verfassungsänderung um verfassungswidriges Verfassungsrecht handle, wegen des Antastens der Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 2 GG). Dies soll den legitimen Zweck, also die erste Stufe bei der Prüfung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach der deutschen Dogmatik, verneinen und deswegen solle die Verfassungsänderung schon daran scheitern. Auch die Geeignetheit der Abhörmaßnahmen in den Wohnungen wurde bestritten, denn die organisierte Kriminalität könne sich auf sie einstellen. Darüber hi naus sei die Streubreite der Technik zu weitgehend und betreffe auch die hohe Anzahl Nichtbeschuldigter. Der Schutz des Kernbereichs des persön lichen Lebens sei durch die Verfassungsänderung nicht ausreichend gewährleistet, denn „das heimliche Abhören eines vertraulich gesprochenen Worts in der eigenen Wohnung des Betroffenen sei der schärfste Grundrechtseingriff zur staatlichen Informationsgewinnung überhaupt“,53 die Wohnung dagegen das letzte Refugium des Einzelnen, und ihr Antasten verletze die Menschenwürde. Es wird auch die niedrige Eingriffsschwelle des Eingriffs beanstandet und die mangelnde Präzision des Gesetzgebers bei der Festlegung des Personenkreises gegen den sich die Maßnahme richtet. Die Regeldauer des Einsatzes – vier Wochen – könne beliebig oft verlängert werden was den Einzelnen einem unbestimmt langen Eingriff aussetzt. Auch die Berufsgeheimnisse werden durch den Lauschangriff aufgeweicht, weil keine einsatzfreien Räume erwähnt wurden. Bundesminister Wolfgang Schäuble solle selbst den Beichtstuhl als potenziellen Einsatzort gesehen haben.54 Bei allen Vorwürfen war das spezifische Wahrnehmen der Unverletzlichkeit der Wohnung in Deutschland spürbar. Die Wohnung wird als letzter Zufluchtsort gesehen und wird nicht nur mit dem Recht auf dessen Unverletzlichkeit tangiert, das abwägungsfähig ist, sondern auch durch die unabwägbare und absolut geschützte Menschenwürde. Damit ist das Konzept des von jeglichem staatlichem Eindringen freien Raumes – des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung – verbunden. Nun hat das Gericht in seiner Entscheidung einen Kompromiss zur Auslegung dieses Bereichs getroffen.
53 BVerfGE
109, 279 (294). ist nicht entschieden, ob der große Lauschangriff vor den Kirchentüren haltmachen wird oder nicht. Zur Beichte gehören nur zwei, Berliner Zeitung vom 22.7.1998, http: / / www.berliner-zeitung.de / 16362182 (Zugang: 10.8.2016). 54 Noch
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts167
b) „Die Wende des Gerichts“ – das BVerfG und Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung Der Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung ist eine Nachlese der Sphärentheorie, die ganz wesentlich wurde bei der gesetzlichen Formulierung der Überwachungsmaßnahmen, was aus der Genese der Vorfeldermittlungen in Deutschland zu entnehmen ist. Im Urteil von 2004 gibt das BVerfG dem Kernbereich einen neuen Rahmen. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung bejaht das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsänderung und vollzieht eine Volte vom raumbezogenen Verständnis des Kernbereichs zu einem personell-inhaltlichen.55 Das BVerfG führt aus: „Die Privatwohnung ist als ‚letztes Refugium‘ ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde. Dies verlangt zwar nicht einen absoluten Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aber absoluten Schutz des Verhaltens in diesen Räumen, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt.“56 Die Kernaussage des Urteils stieß schon im Senat auf Kritik, es wurden zwei Sondervoten dazu abgegeben. Trotz der berechtigten Kritik der These des BVerfG wegen der Überschreitung eigener Kompetenzen durch die verfassungskonforme Auslegung, die einen zusätzlichen, unnötigen normativen Wert dem Art. 13 GG gegeben hat und wegen einer gewissen Entwertung des Menschenwürdesatzes durch Schaffung eines neuen qualifizierten Gesetzesvorbehalts im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 GG,57 hat die Reinterpretation des Kernbereich eine verallgemeinerungsfähige Aussagekraft, die aus der Zeitperspektive zu begrüßen ist. Beim Urteil von 2004 kam die typische, durch die bisherige deutsche Dogmatik konstruierte, raumbezogene Kernbereichskonstruktion ins Wanken, aber schon wenige Jahre später, bei der ebenfalls umstrittenen Entscheidung zur Online-Durchsuchung hat dies als theoretische Grundlage einer neuen Dimension des Freiheitsschutzes gedient. Das Urteil zum „Großen Lauschangriff“ eröffnete den Weg zur Entwicklung des grundrechtlichen Schutzes der IT-Tätigkeit des Einzelnen. Denn in Bezug auf die IT-Tätigkeit, die sowohl zu Hause als auch in öffentlichen Plätzen erfolgen kann, ist es nicht möglich, den Kernbereich auf den Raum in dem sich das Gerät befindet, zu beziehen. Die Persönlichkeitsrelevanz bezieht sich dort auf die Art der Nutzung, die sehr persönlich sein kann, wie beim Korrespondieren mit dem Lebenspartner, Arzt oder Anwalt, mal aber 55 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), Jura 2005, S. 437–438. 56 BVerfGE 109, 279 (314). 57 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), S. 437–438.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
quasi öffentlich ist, wie beim Kommentieren auf den öffentlichen Foren, wovon noch im nächsten Punkt zum Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität der eigengenutzten IT-Systeme die Rede sein wird. Die Maßstäbe, die im Urteil von 2004 gestellt werden, gelten nicht nur direkt für die Wohnung,58 sondern sie sollen für jeden staatlichen Eingriff sowohl zu den präventiven als auch zu den repressiven Zwecken zu verstehen sein. Das Urteil hat eine gewisse Brückenfunktion zum Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität der eigengenutzten IT-Systeme.59 Es ist auch anzumerken, nach Oliver Lepsius, dass eine solche Differenzierung, wie in diesem Fall das BVerfG vorgenommen hat, dem Gesetzgeber viel mehr Arbeit bei der Umsetzung bereiten wird.60 Die Fallbezogenheit der verfassungsrechtlichen Abwägung und die Anforderung, dass das Abhören bei der Feststellung, dass Inhalte die zum Kernbereich gehören, zu beenden ist, verlangt detaillierte gesetzliche Vorgaben, die schon 2005 vom Parlament umgesetzt wurden. Der Vorwurf, dass dem Betroffenen der Abbruch ohnehin nicht hilft, weil er schließlich „immer eine Sekunde zu spät kommt“61 bleibt aber im Raum. Die Frage der Umsetzung des neuen Ansatzes zum Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung scheint nicht weniger spannend zu sein als ihre dogmatische Bearbeitung. Das Gericht geht bei den Maßnahmen die ganze Verhältnismäßigkeitsprüfung durch und verharrt nicht bei der möglichen Negation des Lauschangriffs auf der Ebene der Geeignetheit, obwohl dabei wichtige Bedenken wegen der Effektivität bestanden.62 Das BVerfG formuliert in nächsten Prüfungsschritten, vor allem bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne klare Vorgaben an den Gesetzgeber, die er nicht nur in der Gesetzesnovelle mühsam umsetzt, sondern auch bei zukünftigen Regelungen zu beachten hat. Damit zeigt sich eine Einstellung des deutschen Gesetz gebers zu den Urteilen des BVerfG, die dem polnischen bei solchen Themenbereichen wie Staatssicherheit fremd ist. Mit der Reinterpretation des Kernbereichs schließt das BVerfG einen Kompromiss mit der Dogmatik. Im Endeffekt aber erweitert es das Verständnis des Kernbereichs und begründet 58 Friedhelm
Hufen, Staatsrecht II, München 2016, S. 254. Martin Kutscha, Verdeckte „Onlinne-Durchsuchung“ und Unverletzlichkeit der Wohnung, NJW 2007, S. 1169–1172. 60 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), Jura 2005, S. 591; Das Sondervotum der Richterinnen Jaeger und HohmannDennhardt zum Urteil zur Akustischen Wohnraumüberwachung BVerfGE, 109, 279 (383 ff.). 61 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), S. 439. 62 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), S. 587–588. 59 Vgl.:
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts169
seine privilegierte Position gegenüber dem Gesetzgeber. Das Urteil gewinnt dabei eine abstrakte Reichweite, das theoretisch den Richtersprüchen fremd sein sollte. Einen vergleichenden Schluss erlaubt auch die Konzeption des Kernbereiches. In Polen wird er auch vom VerfGH und von der Literatur erwähnt, erlangt aber keine normative Kraft und vor allem keinen so absoluten Schutz wie in Deutschland. Art. 50 PolVerf gewährleistet die Unverletzlichkeit der Wohnung und besagt, dass die Durchsuchung einer Wohnung, anderer Räume oder eines Fahrzeugs nur in den im Gesetz bestimmten Fällen und in der gesetzlich bestimmten Weise erfolgen darf. Dieses Grundrecht unterliegt auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot aus dem Art. 31 Abs. 3 PolVerf. Ein absoluter Schutz der Wohnung ist also nicht möglich. Die Beziehung der Kategorie des Kernbereichs auf die Inhalte der Kommunikation liegt dem polnischen Verständnis der Kommunikationsgeheimnis und Unverletzlichkeit der Wohnung relativ weit. Abgesehen davon bekam der polnische VerfGH in seiner über 30-jährigen Geschichte noch keine Gelegenheit sich zu einem Fall zu äußern, wo die Kernbereichstheorie auf die Unverletzlichkeit der Wohnung im Bereich des Überwachungsrechts herangezogen werden könnte. Dies zeigt wiederum, dass die Zugriffsmöglichkeit des Verfassungsgerichts in Polen auf die grundrechtswidrigen Regelungen gering ist oder mit anderen Worten der Zugang des Einzelnen zum Verfassungsgericht als Rechtsüberprüfungsinstanz im Vergleich zu Deutschland viel eingeschränkter ist. Angesichts der sog. Operationskontrolle, die pauschal verschiedene Maßnahmen betrachtet, wäre aber ein Anstoß zur Gesetzesänderung äußerst wünschenswert, denn auf den politischen Willen dazu kann man nicht zählen. Es mag sein, dass es eins der wenigen Themen ist, zu dem der politische Konsens über die tiefen Graben auf der polnischen politischen Szene hinweg herrscht. c) BVerfG und sonstige verfassungsrechtliche Beanstandungen des Großen Lauschangriffs Im Grunde genommen entschied das BVerfG im Urteil zum „Großen Lauschangriff“, dass die verfassungsrechtliche Grundlage des Eingriffs in die Wohnung in Art. 13 Abs. 3 GG verfassungskonform ist, jedoch nicht die einfachgesetzliche Ausführung des Eingriffs in der StPO. Die verfassungsrechtliche Hürde, die der Gesetzgeber bei der Rechtsetzung und die Behörden bei der Ausführung nehmen müssen, wurde komplizierter, wenn auch niedriger. Der Ausschluss der Wohnung, räumlich verstanden, von den Überwachungsmaßnahmen wurde verabschiedet und stattdessen dem neuen, personell-inhaltsbezogenen Verständnis der Weg geöffnet. Trotz der niedriger gesetzten Schranke wurden die beanstandeten Normen der StPO für verfassungswidrig erklärt. Die Argumentation des Gerichts ist in diesem Fall inte-
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
ressant, weil sie der Rechtsprechung des VerfGH vorangegangen ist und sie beeinflusst hat, bei den Fällen, die die Überwachung der IT-gebundenen Tätigkeit des Einzelnen in Polen betrafen. aa) Die Ermächtigungsvorschriften Zunächst prüft das Gericht die Ermächtigungsgrundlagen der Eingriffe in §§ 100c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 StPO, sowie § 100d Abs. 3 StPO. Es stellt fest, dass die Vorschriften vor allem mit Art. 13 Abs. 1 und 3 GG und daneben mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Es führt weiter aus, dass durch die Normen ermöglichte Maßnahmen „aber auch andere Grundrechte, wie insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, betreffen“63 könnten, obwohl sie nicht als Überprüfungsmaßstab von dem Beschwerdeführer angegeben wurden. Das Gericht prüft zwar diese Maßstäbe nicht, signalisiert aber dem Gesetzgeber, wo Probleme liegen können. Dementsprechend erfolgt keine Anwendung des § 78 S. 2 BVerfGG, als eine „bedeutsame, doch systemwidrige Ausnahme vom Grundsatz des ‚ne ultra petita‘.64 Das Selbstbewusstsein des Gerichts und der Umgang mit den Erweiterungen ist im Vergleich zu Polen hervorzuheben, wo das Gericht im steifen Rahmen der Klagegrenzen unterwegs ist und die Änderungsanträge an den Gesetzgeber in äußerst engen Grenzen formuliert werden können und manchmal in noch engeren umgesetzt werden, was der steifen Befolgung der Regel, dass nur der Tenor des Urteils den Gesetzgeber bindet zu verdanken ist. Jedenfalls entscheidet das BVerfG, dass die Vorschriften nicht ausreichend den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung schützen. Der Schutz der Inhalte der Gespräche mit den §§ 52 und 53 StPO sei nicht ausreichend gewährleistet.65 Die zwei Hauptvorwürfe des Verfassungsgerichts beziehen sich auf den Mangel der „hinreichenden Vorkehrungen dafür, dass die Überwachung abgebrochen wird, wenn unerwartet eine Situation eintritt, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist.“66 Die Fortsetzung der Überwachung sei in solchen Fällen rechtswidrig. Der zweite Vorwurf bezieht sich auf das Fehlen der ausreichenden Regelungen, „dass eine Verwertung unterbleibt, wenn Erkenntnisse unter Verletzung des Kern63 BVerfGE
109, 279 (325). Ulsamer in: Bruno Schmidt-Bleibtreu, Franz Klein, Hans Hofman, Hans-Günter Henneke; GG Kommentar zum Grundgesetz, Köln 2014, Kommentar zum § 78 BVerfGG, Rn. 2. 65 BVerfGE 109, 279 (329). 66 BVerfGE 109, 279 (331). 64 Gerhard
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts171
bereichs privater Lebensgestaltung erlangt worden sind, und dass in diesem Fall schon erhobene Daten gelöscht werden“.67 In der Abwägung bejaht das BVerfG den legitimen Zweck der Regelung – die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. In der Geeignetheitsprüfung bestätigt das Gericht grundsätzlich die Zweckmäßigkeit der Wohnraumüberwachung. Das Gericht sieht wohl das sprichwörtliche Glas halbvoll und nicht halbleer, weil die etwa 50 Prozent der Wohnungsüberwachungsfälle für die Strafverfolgung nicht relevant waren.68 Ob die fünfzigprozentige Effizienz einer in die Grundrechte eingreifenden Maßnahme das Merkmal der Geeignetheit erfüllen soll, sei umstritten.69 Die Folgen der Feststellung der Geeignetheit reichen weiter. Die Überwachung der Kommunikation in der Wohnung ist geeignet für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, aber wenn man die Struktur des organisierten Verbrechens näher unter die Lupe nimmt, wird sichtbar, dass diese Maßnahme sie eher nicht tangiert. Sie kann sich relativ gut vor den Maßnahmen schützen, indem sie differenziertere Kontaktmöglichkeiten einsetzt, als Treffen in Wohnungen, bzw. kann sie auch die Treffpunkte schnell wechseln. Die Maßnahme der Wohnungsüberwachung eignet sich besser für die Beobachtung der einfachen Kriminellen, doch der Gesetzgeber hat das in der Entwurfsbegründung nicht erwähnt.70 Das Belauschen einer Wohnung trägt auch präventive Merkmale. Es dient der Sammlung von Beweisen einer begangenen Straftat und gibt einen Einblick in die Verläufe in der Bande. Damit gehen Prävention und Repression Hand in Hand. Das ist auch sichtbar bei den Polizeigesetzen, wo die gleiche Maßnahme zu Gefahrenabwehrzwecken benutzt wird. Darüber hinaus ist der Begriff der organisierten Kriminalität eher als ein politisches Schlüsselwort einzustufen als ein Tatbestandsmerkmal. Er wirkt auf die Vorstellungskraft der Gesellschaft, aber ihr Phänomen sei schwer greifbar.71 Dies bringt die Lage in Polen und in Deutschland zu den Motiven der Einführung der repressiven Methoden der Überwachung auf einen gemeinsamen Nenner, es scheint nur dass die deutsche Politik die Einführung etwas eleganter durchgeführt hat und die Macht der Entscheidungen des BVerfG sich auch maßgebend auf die Bestimmungen auswirkt, also der faktische Einfluss des Verfassungsgerichts auf die Politik in Deutschland viel größer ist als in Polen. 67 Ibidem.
68 BVerfGE 109, 279 (336–337); Oliver Lepsius; Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), S. 587. 69 Idibem, S. 587. 70 Ibidem, und die dort erwähnte Literatur. 71 Ibidem.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Das BVerfG bejaht auch die Erforderlichkeit der Maßnahmen. Nach der Meinung des Senats „sind keine Ermittlungsmaßnahmen ersichtlich, die generell weniger belastend und zur Erreichung desselben Aufklärungszwecks ebenso geeignet wären“,72 darüber hinaus wird die Überwachung als letztes Mittel gesehen.73 „Der Ultima-Ratio-Gedanke setzt die Aussichtslosigkeit anderer Ermittlungsmaßnahmen voraus und ist auch für die Erschwernis prognose maßgeblich“,74 meint das BVerfG. Nach der Ansicht des Gerichts sei dagegen der Katalog der Straftaten, bei denen die Überwachung eingesetzt werden kann, zu breit. Maßgeblich für die Schwere des tatbestandlichen Unrechts seien der Rang des verletzten Rechtsguts und andere tatbestandlich umschriebene, gegebenenfalls auch in einem Qualifikationstatbestand enthaltene Begehungsmerkmale und Tatfolgen. „Sie allein müssen bereits die besondere, deutlich über dem Durchschnitt liegende Schwere des jeweiligen Straftatbestandes begründen.“75 Der Katalog „umfasst neben Verbrechenstatbeständen Vergehenstatbestände, darunter auch solche, deren Strafrahmen keinen überdurchschnittlichen Unrechtsgehalt zum Ausdruck bringt“,76 das Verfassungsgericht erweitert damit die Kontrolle und gibt weiterreichende Vorgaben dem Gesetzgeber. Nach dem Urteil bleiben lediglich die Tatbestände, die eine Mindesthaftgrenze von fünf Jahren vorsehen. In den polnischen Bestimmungen zur Operationskontrolle tauchen auch die Straftaten wie Sportkorruption oder Steuerstraftaten auf. Das BVerfG verlangt auch, dass die Schwere des Verdachtsgrades in einem angemessenen Verhältnis zu der Maßnahme steht. Der Verdacht solle also schwerer wiegen als der einfache Verdacht aus § 152 StPO. Er soll dringend sein, das heißt nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verurteilung des Beschuldigten aufweisen.77 Damit wird der Einsatz differenzierter überprüft. In der Überprüfung des polnischen VerfGH im Verfahren K 23 / 11 erscheint auch dieser Punkt, wird aber vom Gericht nur als obiter dictum genannt, denn die Zusammensetzung des Tatbestandskatalogs wurde nicht direkt als Vorwurf gegen die Vorschriften genannt. Dementsprechend macht das Gericht eine Anmerkung zu den zu weitgehenden Befugnissen der Kommunikationsüberwachung, doch kann es sie nicht durchsetzen. Der Gesetzgeber fühlt sich nicht angesprochen, weil die obiter dicta den Änderungsauftrag nicht begründen sollen.
72 BVerfGE 73 BVerfGE 74 BVerfGE 75 BVerfGE 76 BVerfGE 77 BVerfGE
109, 109, 109, 109, 109, 109,
279 279 279 279 279 279
(340). (341). (342). (343). (347). (351).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts173
Das BVerfG kritisiert schließlich den mangelnden Schutz der Dritten. Das Gericht kommt zu einer allgemeinen Konklusion: „Die heimliche Überwachung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern kann sich auch auf die Kommunikation der Gesellschaft insgesamt auswirken. Von der Möglichkeit zur akustischen Wohnraumüberwachung können Einschüchterungseffekte ausgehen, denen insbesondere auch der Unverdächtige ausgesetzt ist, weil auch er nach den gesetzlichen Regelungen jederzeit und ohne sein Wissen von der Ermittlungsmaßnahme betroffen werden kann. Allein die Befürchtung einer Überwachung kann aber schon zu einer Befangenheit in der Kommunikation führen.“78 Damit beendet es auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Eingriffsermächtigungen und gibt dem Gesetzgeber eine Menge Änderungsaufträge. bb) Informationspflichten Auch die mangelnden Informationspflichten werden vom Verfassungsgericht vermisst. Das Gericht argumentierte, dass § 101 Abs. 1 Satz 1 StPO mit Art. 13 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar sei, soweit darin die Benachrichtigung der von akustischen Wohnraumüberwachungen betroffenen Personen davon abhängig gemacht wird, dass sie ohne Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der weiteren Verwendung eines eingesetzten nicht offen ermittelnden Beamten erfolgen kann.79 Der Betroffene habe aus Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes einen Anspruch auf Kenntnis der Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung.80 Das BVerfG unterstreicht, dass der Einzelne sich nicht gegen die Maßnahmen wehren könne, auch nachträglich nicht in Form einer Rechtsmäßigkeitsüberprüfung, wenn er von dem Eingriff nicht erfährt. Die Heimlichkeit des Eingriffs mache die Anhörung des Betroffenen unmöglich. Damit muss dieses Defizit durch die Benachrichtigung ausgeglichen werden. Das BVerfG beschränkt jedoch diese Pflicht „soweit die Kenntnis des Eingriffs dazu führen kann, dass dieser seinen Zweck verfehlt, ist es daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, die Kenntnisgewährung entsprechend einzugrenzen.“81 Das Gericht sieht auch die Notwendigkeit einer Benachrichtigung der mittelbar Betroffenen – Inhaber der Wohnung oder Mitbewohner. Dabei sieht es die Möglichkeit, dass „die Benachrichtigung weiterer Beteiligter den Grundrechtseingriff bei der in erster Linie betroffenen Zielperson der Maßnahme 78 BVerfGE 79 BVerfGE
109, 279 (354). 109, 279 (363).
81 BVerfGE
109, 279 (364).
80 Ibidem.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
[den Eingriff vertiefen kann]. Das gilt insbesondere, wenn die Überwachung keine verwertbaren Ergebnisse erbracht hat.“82 Den Maßstab leitet es aus der Entscheidung zur verdeckten Telekommunikationsüberwachung83 ab und behauptet, dass sie analog bei dem Fall der Wohnraumüberwachung angewandt werden könne. Die Benachrichtigung der Dritten ist aber von den Umständen abhängig. Dabei spielt die Frage, wie intensiv der Eingriff war (inhaltsmäßig) und welcher Aufwand mit der Identifizierung verbunden ist auf der anderen Seite, eine Rolle bei der Abwägung. Wenn der Gesetzgeber entscheidet, dass die Benachrichtigung ausbleiben soll, dürfe er es nicht lediglich zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder aus Sicht des ermittelnden Beamten tun, sondern muss konkret bestimmen, welches Rechtsgut dabei in der Abwägung schwerer wiegt als die Belange des Betroffenen.84 Darüber hinaus äußert sich das BVerfG zum Richtervorbehalt bei der Benachrichtigung des Betroffen. Danach soll das einfache Gericht darüber entscheiden ob die Benachrichtigung erfolgt oder nicht. Dies soll nicht nur ad hoc erfolgen, sondern es sollte ein Werkzeug zur ständigen Überprüfung für das Gericht geschaffen werden, damit es jederzeit bei Änderung der Zustände und Voraussetzungen die Benachrichtigung beschließen könnte. Dabei sollte die Hauptrolle des Richters bei der Entscheidung nicht unterlaufen werden. Das BVerfG meint: „Die gemäß § 100 e Abs. 1 Satz 3 StPO vier Jahre nach Beendigung der Maßnahme einsetzende Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft gegenüber der obersten Justizbehörde, […] die zudem nur jährlich anfällt, ist kein angemessener Ersatz für die Einschaltung des Richters.“85 Auch innerhalb der Gerichtsbarkeit soll eine Balance für die Freiheiten des Einzelnen gewahrt werden. Die Fragen der Unterrichtung über die Maßnahmen der Überwachung sollen die Staatsschutzkammern entscheiden und nicht die Strafsenate, um die Zuständigkeiten nicht zu vermischen. Das Strafgericht sollte, um sich vor der Befangenheit zu schützen, nicht die Kenntnis von der Anordnung von den Maßnahmen erhalten, denn seine Aufgabe ist lediglich, die Beweise objektiv abzuwägen.86 „Das Verfahrensgrundrecht will verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwertet“,87 nach dieser Auffassung des BVerfG darf das Strafgericht also nur so viel wissen, wie der Angeklagte aus den Akten entnehmen kann. Da von der Benachrichtigung der 82 BVerfGE
109, 100, 84 BVerfGE 109, 85 BVerfGE 109, 86 BVerfGE 109, 87 Ibidem. 83 BVerfGE
279 (365). 313. 279 (366). 279 (368). 279 (370).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts175
Rechtsschutz ex post abhängt, konstatiert das Gericht, dass unter der Berücksichtigung der Maßgaben zur Benachrichtigung auch dem Recht auf effektiven Rechtsschutz genüge getan sei.88 Allerdings ist wiederum zu beachten, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der Benachrichtigung von der Frage der Anklage kompetenziell zu trennen sei. cc) Problem mit der Kennzeichnung, Löschung und Verwendung der Materialien Bei der Überprüfung der Vorschriften zur Kennzeichnung und Löschung der durch die Wohnraumüberwachung gewonnenen Informationen ist zunächst aus der polnischen Perspektive ein Detail zu veranschaulichen: Das BVerfG überprüft die Vorschrift trotz der Nichteinhaltung der Frist zur Beschwerdeeinlegung mit dem Hinweis auf eigene Rechtsprechung. „Nicht zulässigerweise angegriffene Vorschriften können aber bei bestehendem Regelungszusammenhang von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden, wenn ihre Verfassungswidrigkeit auf zulässigerweise angegriffene Vorschriften ausstrahlen würde (vgl. BVerfGE 30, 1 (29)) oder wenn sie notwendiger Bestandteil einer Gesamtregelung sind […]. So liegt es hier“89 – meint das BVerfG. Eine Anwendung des ungeschriebenen Verfassungsrechts würde das Verfassungsgericht in Polen nicht wagen. Die teleologische Auslegung der sich das BVerfG hier bedient und die vielleicht intuitiv oder nach dem „Grundrechtsgefühl“ richtig scheint, wäre bei der strengen Verankerung der literarischen Auslegung vor allem der formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen in Polen nicht akzeptabel. Dieser Umstand zeigt wiederum die ungewöhnlich starke Systemposition des BVerfG, das sich solch eine „interpretative Äquilibristik“ erlauben kann. Das BVerfG verfolgt den deutschen Maßstab der Datenerhebung – generelle Zweckbindung und was damit verbunden ist, erneuter Grundrechtseingriff bei jeder Zweckänderung. Danach sei eine Weiterleitung der Daten zu Zwecken eines anderen Verfahrens nur unter Berücksichtigung des gleichen grundrechtlichen Maßstabes zulässig.90 Es betreffe sowohl die Verwendung der Materialien in einem anderen Strafverfahren, also zu repressiven Zwecken, als auch zu Gefahrenabwehrzwecken der Polizei.91 Die Löschung der Daten aus der Überwachung sieht das Gericht als ein Hindernis beim Zugang zur gerichtlichen Überprüfung des Überwachungs88 BVerfGE
109, 109, 90 BVerfGE 109, 91 BVerfGE 109, 89 BVerfGE
279 279 279 279
(371). (374). (375). (378).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
falles. Wenn die Daten gelöscht werden, könne der Betroffene sich gar nicht gegen die Maßnahme wenden, wenn zwar Spuren vom Einsatz bestehen, doch der Einzelne keinen Zugang zu dem Beweismaterial hat, der den Missbrauch der Fahndungsmethode belegen kann. Das BVerfG konstatiert: „Die Vernichtungspflicht [muss] für die Fälle, in denen der Betroffene die gerichtliche Kontrolle staatlicher Informations- und Datenverarbeitungsmaßnahmen anstrebt, mit der Rechtsschutzgarantie so abgestimmt werden, dass der Rechtsschutz nicht unterlaufen oder vereitelt wird.“92 Diesen Ansatz erwähnt das polnische Verfassungsgericht nicht. Aus der polnischen Perspektive handelt sich eher um die mangelnde Löschungspflicht, die es garantieren sollte, dass die Informationen nicht missbraucht werden. Es wird ausgeblendet, dass die Löschung ein Eingriffspotential haben kann, wenn man sie aus der Perspektive der Nachweise bei der Rechtsmäßigkeitsüberprüfung betrachtet. Dieser Standpunkt ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Art. 51 Abs. 4 PolVerf. Der BVerfG behandelt die Löschung im Kontext des Rechts auf rechtliches Gehör aus dem Art. 103 Abs. 1 GG. Das BVerfG meint: „Die Regelungen über die Datenvernichtung müssen aber zugleich dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes genügen. Insofern kann eine spezifische Konfliktlage dadurch entstehen, dass es einerseits dem Datenschutz entspricht, nicht mehr benötigte Daten zu löschen, und dass andererseits durch die Löschung ein effektiver Rechtsschutz erschwert, wenn nicht gar vereitelt wird, weil eine Nachprüfung des Vorgangs nach Vernichtung der Unterlagen nur noch eingeschränkt möglich ist.“93 Das BVerfG verlangt auch eine besondere Kennzeichnung der Materialien, die im Rahmen vom Großen Lauschangriff gewonnen werden. Dies solle die Zweckbindung der Daten tangieren. „Die Zweckbindung lässt sich nur gewährleisten, wenn auch nach der Informationserhebung erkennbar bleibt, dass es sich um Daten handelt, die durch eine Maßnahme der akustischen Wohnraumüberwachung gewonnen worden sind.“94 Damit können die Daten, die mit hohen Grundrechtsangriffen gewonnen wurden, nicht mit anderen vermischt und ihr Zweck kann nicht verändert werden. d) Einschätzung des Urteils Das Urteil zum Großen Lauschangriff bezieht sich zwar nicht direkt auf die IT-Tätigkeit des Einzelnen, kann aber trotzdem als ein Wegweiser bei den Maßstäben, die in diesem Bereich gelten, dienen, besonders weil das Gericht 92 BVerfGE
109, 279 (380). 109, 279 (380). 94 BVerfGE 109, 279 (379). 93 BVerfGE
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sich auch auf das Urteil zur Telekommunikationsüberwachung vom 14.7.1999 stützt und korrespondierende Maßstäbe entwickelt. Trotz der Kritik an diesem Urteil ist es zu begrüßen, denn es hat den Weg für den erweiterten Schutz der IT-gebundenen Tätigkeit des Einzelnen von den staatlichen Angriffen im Wesentlichen mitgestaltet. Seine allgemeinen Aussagen wurden auch u. a. vom polnischen VerfGH als Verstärkung für die eigene Argumentation verwendet. Die Kritik, das Verfassungsrecht werde zum letzten Ver teidigungsmittel95 vor staatlichen Informationsangriffen, ist berechtigt. Sie hängt aber von der Perspektive ab. Denn wenn man dieses Urteil aus der polnischen Perspektive betrachtet, wäre eben diese Überprüfung der Sicherheitsgesetze äußerst wünschenswert. Sie besteht aber nicht wegen der Ausgestaltung des Verfahrensrechts vor dem VerfGH. Das Urteil übt weitgehende Kritik der Staatlichen Überwachungsmaßnahmen. Es verlangt vom Gesetzgeber nicht eine pauschale Kontrolle sowohl ex ante als auch ex post darüber, sondern ein differenziertes mehrstufiges Vo raussetzungsraster, das die Eingriffe nach klar formulierten Kriterien überprüfbar macht und exzessive Bestrebungen filtert. Der Sachverhalt zeigt auch, dass die Probleme in Polen und in Deutschland ähnlich sind. Vor allem bezüglich des polizeilichen Effektivitätsdenkens und möglichen, allerdings kurzsichtigen Antworten auf diffuse Bedrohungslagen wie die organisierte Kriminalität. Doch die Vorgehensweise und die Wahrnehmung des Problems in den beiden Ländern scheinen völlig anders zu sein. Der Gesetzgeber in Deutschland respektiert die, manchmal zu weitgehenden Vorgaben des Gerichts, er setzt sie auch in Gesetze um, die nach diesem Maßstab noch nicht überprüft wurden. Insofern ist die Empörung über die Position des Karlsruher Gerichts als „des Propheten“ des Grundgesetzes „der alle Fragen löst und Richtungsweisung verspricht“96 verständlich. Doch diese Stellung des BVerfG hat Vorteile, um die es das Warschauer Gericht nur beneiden kann. Die Wirkung der Urteile des BVerfG reicht auch viel weiter als rein normativ zu behaupten wäre. Wie Christian Rath behauptet, haben einige Karlsruher Urteile, darunter auch das zum Großen Lauschangriff auch außernormative, politisch lenkende Kraft. Der Gesetzgeber muss die Tatsache, dass jedes Gesetz, das die sensiblen Fragen im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit betrifft, vor das BVerfG von den aktiven Mitglieder der zivilen Gesellschaft oder den verfassungsrechtlichen Querulanten gebracht wird, in Kauf nehmen. Dabei kann die Politik davon ausgehen, dass das Gericht mit großer Wahrschein95 Oliver Lepsius, Der Große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil II), S. 591. 96 Uwe Volkmann, Anmerkung zum Urteil des BVerfG vom 27.2.2008, 1 BvR 370 / 07 und 1 BvR 595 / 07, BVBl 2008, S. 590.
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lichkeit diese Frage nach seinen bisher durchaus freiheitsfreundlichen Maßstäben entscheiden wird. Dementsprechend lenkt dies zu einem bestimmten Grad die politischen Strategien der Parteien. Das Beispiel mit der Änderung der Strategie der CDU / CSU im Wahlkampf 2009, die auf die harte Narration in Fragen der „Law and Order“ verzichtete, könne dies bestätigen.97 Abgesehen von der Diskussion über die Macht des BVerfG ist festzustellen, dass aus der polnischen Perspektive solch eine mutige, entschlossene und weitgehende Entscheidung vor allem in Bezug auf die Informationspflichten wünschenswert wäre. Um die Reichweite der Benachrichtigung bei der Überwachung und der grundrechtlichen Kluft zwischen der Lage in Deutschland und in Polen zu verdeutlichen, sind die Fälle Bögerl in Deutschland und Wróblewski in Polen geeignet.98 Die Erörterungen des BVerfG heben die Bedeutung des fairen Verfahrens nicht nur vor den Behörden, sondern auch vor dem Strafgericht hervor. Abgesehen davon, dass es sich in den beiden oben genannten Fällen um die Online-Durchsuchung und Überwachung des Surfverhaltens (Bögerl) und um Zugang zu Verbindungsdaten (auf Vorrat gespeicherten Daten von Wróblewski) handelt, zeigt sich am Ende der hohe Stellenwert der Benachrichtigung nicht nur für die Unverletzlichkeit der Wohnung und Telekommunikationsgeheimnis, sondern auch für andere Verfassungswerte – wie etwa die Pressefreiheit. Darüber hinaus ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass hinsichtlich des effektiven Rechtsschutzes das polnische Recht in den Fällen der Überwachung die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gerade wegen der mangelnden Benachrichtigungspflichten de facto unmöglich macht. Im Vergleich geht das polnische Verfassungsgericht auch nie so weit wie das deutsche. Es differenziert nicht innerhalb der Justiz nach den zuständigen Kammern bei der Überprüfung des Ausbleibens der Benachrichtigungspflichten. Es lässt auch das Problem der betroffenen Dritten aus und beachtet nicht das Problem der Löschung als Hindernis für die spätere Rechtmäßigkeit. Dies geschieht aus nachvollziehbaren Gründen: keine Beanstandung in den Überprüfungsanträgen betraf diese Probleme und das Gericht darf nicht die Überprüfung über die Klagegrenzen hinaus erweitern. Dementsprechend weiß das Gericht, dass sein Urteil eine beschränkte Reichweite haben wird, die von der Formulierung der Verfassungsbeschwerde oder des Überprüfungsantrags unmittelbar abhängt. Vor allem fehlt es dem polnischen Gericht an dem Selbstbewusstsein bei der Formulierung der Maßstäbe für den Gesetzgeber, was bei der Besprechung der polnischen Regelungen zu beobach97 Christian Rath / Pressearbeit und Diskursmacht des Bundesverfassungsgerichts, in: Robert van Ooyen, Martin Möllers (Hrsg.), Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2015. 98 Teil 1 Punkt IV. 3. c.
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts179
ten sein wird. Aus der deutschen Perspektive wäre eine gewisse Demut und Zurückhaltung des Verfassungsgerichts nach einigen Einsichten zu begrüßen, in Polen dagegen ist sie ein Ausdruck der beschränkten Macht des VerfGH. 4. Casus „Online-Durchsuchung“ Die gravierende maßstabsetzende Bedeutung des Volkszählungsurteils offenbarte sich 25 Jahre später mit dem Urteil zur Online-Durchsuchung,99 bei dem das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung eine neue Ausprägung bekommen hat. Die Konturen der neuen Inkarnation dieses Grundrechts wurden jedoch weitgehend auch vom Kernbereichsverständnis aus dem Urteil zur verdeckten Wohnraumüberwachung bestimmt. Das von der Presse bejubelte, angeblich neue Grundrecht100 löste sich weiter von der an räumlichen Abgrenzungen ansetzenden Dogmatik. Die Abwägung des Gerichts bezog sich schließlich unmittelbar auf die digitale Welt, die sich räumlich nicht markieren lässt. Zusätzlich, im Gegensatz zur Situation von vor einem Vierteljahrhundert, handelte es sich diesmal um einen Eingriff sicherheitsrecht licher Art. a) Das Umfeld des Urteils Als Antwort auf die Prognosen der Bundes- und Landesbehörden und steigender Bedrohung durch terroristische Angriffe in Deutschland hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ein Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit (PSIS) mit einem Gesamtvolumen von 132 Mio. € eingebracht.101 Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beschloss es am 9. November 2006. Damit war der Weg zur Stärkung der Haushalte der Sicherheitsbehörden frei und die technische Umsetzung neuer Überwachungsmaßnahmen finanziell gesichert. Wenige Wochen darauf am 20. Dezember beschloss der Landtag Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW).102 Die Novelle betraf die Erweiterung der Kompetenzen der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde. Im Katalog der nachrichtendienstlichen Mittel wurden weitere Maßnahmen einbezogen. Zum Streitpunkt wurden vor allem die „Online-Streife“ und „Online-Durchsuchung“. Das Gesetz sah auch 99 BVerfGE
120, 274. Zeitung vom 28.2.2008, S. 4; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.02.2008, S. 1. 101 http: / / www.bmi.bund.de / SharedDocs / Pressemitteilungen / DE / 2006 / 11 / pro gramm_zur_staerkung_der_inneren_sicherheit.html (Zugang 8.10.2015). 102 GV. NRW. vom 29.12.2006, Nr. 38, S. 619–634. 100 Süddeutsche
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
einen erweiterten Zugriff auf die Daten über „Zahlungsverkehr und über Geldbewegungen und Geldanlagen“103 vor, die bei „Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen“ einzuholen waren. b) Der Auftakt – Verfassungsbeschwerde Daraufhin setzten sich eine Journalistin, ein Mitglied der Partei „Die Linke“ und drei Rechtsanwälte gegen die Vorschriften der Novelle mit Verfassungsbeschwerden zur Wehr. Im Gegensatz zum Volkszählungsfall war es also keine „Massenbewegung“, sondern die Klage einer eher kleinen Gruppe, die ihre Beanstandungen vor allem aus beruflichen Gründen oder auf Grund gesellschaftlicher und politischer Aktivität geltend machen wollte. Das Urteil erging bei einem verstärkten Interesse der Öffentlichkeit. Der Gegenstand war heikel und löste unterschiedliche Emotionen aus. Zum einen wurde auf flexible rechtliche Reaktionen auf Terrorismus und Kriminalität plädiert104, zum anderen wurde die Online-Durchsuchung als „datenschutzrechtliche Sauerei“105 bezeichnet. Das Urteil erging auch in einem Kontext nach der Entscheidung des BGH vom 31.1.2007 in dem der BGH festgestellt hatte, dass die „Online-Durchsuchung nicht von den Eingriffsgrundlagen der StPO gedeckt und deshalb nach geltendem Rechts unzulässig ist“.106 Die Lehre war gegenüber der Maßnahme auch skeptisch eingestellt. Schon der Begriff der Online-Durchsuchung sei irreführend, weil es sich dabei um keinen Sonderfall des § 102 StPO handle.107 Um die Lage auf den Punkt zu bringen lässt sich sagen, dass die aktivistische Politik wiederum im Wettrennen mit den technologischen Lebensentwicklungen im Kontext der Sicherheit die neuartigen Gefährdungen überholen wollte, doch wie das BVerfG feststellte, mit Methoden, die gegen die Spielregeln verstießen. Das lobenswerte, aber utopische und damit gefährliche Ziel – die Sicherheit, kann nicht machiavellistisch verfolgt werden. Die Beschwerdeführer wendeten sich in erster Linie gegen § 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG NRW mit der Behauptung einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG. Diese Vorschrift sollte der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde zwei 103 § 5a
Abs. 1 VSG NRW. Ziercke, Polizei in der digitalen Welt, Kriminalistik 2 / 2008, 76 ff. 105 Michael Ronellenfitsch, Datenschutzrechtliche Schranken bei der Terrorismusbekämpfung, DuD 2007, S. 568. 106 BGH StB 18 / 06 – Beschluss vom 31. 1.2007. 107 Martin Kutscha, Verdeckte „Onlinne-Durchsuchung“ und Unverletzlichkeit der Wohnung, NJW 2007, S. 1169; dazu auch: Klaus Herrmann / Michael Soiné, Durchsuchung persönlicher Datenspeicher und Grundrechtsschutz, NJW 2011, S. 2924–2925. 104 Jörg
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts181
Kompetenzen zur Verfügung stellen: Zum einen die Befugnis heimlichen Beobachtens und sonstigen Aufklärens des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, zum anderen die Möglichkeit des heimlichen Zugriffs auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel. Die gesetzlichen Schranken wurden dabei relativ locker formuliert und beruhten auf einem nicht ausreichenden Gesetzesvorbehalt. Nach dem Gesetz konnten solche Maßnahmen einen Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis darstellen bzw. in Art und Schwere diesem gleichkommen. Dabei seien sie nur unter den Voraussetzungen des Gesetzes zu Art. 10 GG zulässig und nicht an den höheren Schranken aus dem Art. 13 GG zu messen. Die erste Alternative (heimliches Aufklären des Internets) definierte das BVerfG als „[…] eine Maßnahme […], mit der die Verfassungsschutzbehörde Inhalte der Internetkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen Weg zur Kenntnis nimmt“.108 Der heimliche Zugriff ist nach BVerfG als „[…] eine technische Infiltration […], die etwa Sicherheitslücken des Zielsystems ausnutzt oder über die Installation eines Spähprogramms erfolgt. Die Infiltration des Zielsystems ermöglicht es, dessen Nutzung zu überwachen oder die Speichermedien durchzusehen oder gar das Zielsystem fernzusteuern“.109 Wenn die erste Maßnahme sich auf die öffentlich zugänglichen Quellen bezog, hat die zweite ein stark grundrechtsbeeinträchtigendes Potential, denn sie sah die Brechung eines technischen Sicherheitsmechanismus vor bzw. eröffnet dem Staat eine Möglichkeit, zu einer List zu greifen, um an das ITSystem zu kommen. Dadurch lassen sich Informationen ergreifen, die in Folge sonstigen Ermittlungsmethoden nicht oder nur sehr zeitaufwändig erhebbar wären. Die Liste der verfassungsrechtlichen Vorwürfe gegen die Ausgestaltung der Online-Durchsuchung war jedoch noch länger: das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG sei nicht eingehalten und die Normen klarheit nicht gewährleistet. Weitere Vorschriften des Gesetzes verletzen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und das Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Geheimdiensten. Das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung soll mit der mangelnden Zweckbindung, Unverhältnismäßigkeit und Anlasslosigkeit der Durchsuchung angetastet werden.110 Alle Beschwerdeführer nutzten ihre Computer zu spezifisch berufsbezogenen und privatrelevanten Tätigkeiten. Die Journalistin betrieb zusammen mit anderen die schon wegen der Adresse Webseite stop1984.com. „Im Zusammenhang mit dieser Homepage besteht die Möglichkeit, an sogenannten Chats teilzunehmen. Diese Möglichkeit wird auch von Rechtsextremisten 108 Ibidem. 109 Ibidem.
110 BVerfGE
120, 274 (293–294).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
genutzt. Informationen über diese Personen speichert [sie] auf der Festplatte ihres privat wie beruflich genutzten Computers“.111 Das Mitglied der Partei „Die Linke“ nutzte seinen Rechner auch für die politische Tätigkeit, sowie zur Abwicklung von Zahlungsvorgängen, wobei anzumerken ist, dass seine Partei zu dieser Zeit unter der Beobachtung der Verfassungsschutzbehörde stand.112 Die Anwälte dagegen verwendeten die Computer in ihrer Arbeit, in der sie Asylbewerber betreuten, die auch Mitglieder der kurdischen Partei PKK waren und möglicherweise unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes hätten stehen können. Damit wurde wiederum § 90 Abs. 2 S. 2 GG angewendet und die Beschwerden wurden trotz des nicht ausgeschöpften Rechtsweges für zulässig erklärt. Mit dem Urteil vom 27. Februar 2007 hat das BVerfG den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben und erkannte, dass „§ 5 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 Alt. 2 VSG, der den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme regelt, verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“.113 c) Die Ausführungen des Gerichts Das Verfahren war umfangreich. Es wurden Vertreter der Sicherheitsbehörden angehört und aufgrund des starken Technikbezugs der Sache auch die Informatiksachverständige. Die Regierungs- und Behördenkreise äußerten sich generell skeptisch zur Begründetheit der Beschwerden. Die Datenschutzund Informatikexperten lieferten jedoch Wissen, das die gewisse Unkontrollierbarkeit der Online-Durchsuchung bestätigte und einen Einfluss auf die Entscheidung nahm.114 Das Informatikfachwissen hat damit die politischen Argumente vor dem Gericht übertrumpft. Nach dem BVerfG ist die Bedeutung der Informationstechnik in der heutigen Gesellschaft nicht nur in den steigenden Zahlen der Computernutzer in Deutschland in den letzten Jahren zu sehen, sondern auch an dem Zuwachs der persönlich wichtigen Angelegenheiten, die mithilfe der IT-Systeme erledigt werden. Deren Nutzung sei für viele Bürger von zentraler Bedeutung. Durch die Ausstattung verschiedener Geräte mit IT-technischen Komponenten und ihrer Vernetzung steige auch die Notwendigkeit des Schutzes der Bürger 111 BVerfGE
120, 120, 113 BVerfGE 120, 114 BVerfGE 120, 112 BVerfGE
274 274 274 274
(291). (290). (302). (293–297).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts183
vor unerwünschter Infiltration ihrer IT-Systeme. Die zunehmende Bedeutung der Informationstechnik weist nicht nur positive Auswirkungen auf, sie stelle auch Gefahren für die Persönlichkeit dar.115 Die Mengen der Daten, die mithilfe der IT-Systeme gespeichert werden, sind enorm und unüberschaubar. Die Daten werden sowohl im Laufe einer darauf gezielten Tätigkeit des Nutzers, als auch ohne sein Wissen gespeichert. Diese Datenmengen weisen eine hohe Persönlichkeitsrelevanz auf, denn sie betreffen das Verhalten des Einzelnen in Verbindung mit der Inanspruchnahme der elektronischen Dienste. Die Daten enthielten oft höchst persönliche Angelegenheiten, die zum Kernbereich des Privatlebens gehören, und ihre Ablesung eine Möglichkeit schafft zur Bildung von Persönlichkeitsprofilen.116 Die Vernetzung der Systeme ermöglicht zudem einen leichten Zugriff auf die auf einem Gerät gespeicherten Daten, auch ohne, dass der betroffene Nutzer davon erfährt. Diese Tatsache eröffnet einen leichten Zugang zu Daten, die für die Sicherheitsorgane des Staates von strategischer Bedeutung sein können, und ermöglicht ein müheloses Anzapfen von Daten, die sonst entweder unmöglich oder nur mit wesentlich größerem Zeit- und Kostenaufwand zu erreichen wäre. Der Rechtsstaat müsse aber der Entwicklung im Bereich Informationstechnologie zweierlei Rechnung tragen – aus dem subjektiv- und objektivrechtlichen Gesichtspunkt. „Aus der Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung und aus den Persönlichkeitsgefährdungen, die mit dieser Nutzung verbunden sind, folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis. Der Einzelne ist darauf angewiesen, dass der Staat die mit Blick auf die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung berechtigten Erwartungen an die Integrität und Vertraulichkeit derartiger Systeme achtet.“117 Das „neue“ Grundrecht soll also nach Ansicht des BVerfG die Wichtigkeit und faktische Unentbehrlichkeit der Nutzung des ans Internet angeschlossenen Rechners einer Schutzpflicht für den Staat begründen, die Vertraulichkeit und Integrität zu gewährleisten. Die Abwehr- und Schutzpflichtnatur brachte zwar verstärkte Kritik wegen der Sperrigkeit118 und zur weitgehenden Lösung vom Verfassungstext119 aber war auch ein Ausdruck des Willens mit dem Zeitgeist mitzuhalten und auch auf die Perspektive der Grundrechtseingriffe seitens der Privaten aufmerksam zu machen.120 115 BVerfGE
120, 274 (303). 120, 274 (305). 117 BVerfGE 120, 274 (306). 118 Karl-Heinz Ladeur, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Eine juristische Fehlkonstruktion?, DÖV 2009, S. 54. 119 Bernhard Wegener / Sven Muth, Das „neue Grundrecht“ auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, Jura 11 / 2010, S. 847. 120 Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung, Jura 3 / 2009, S. 211; Wolfgang 116 BVerfGE
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aa) Schutzdefizit des Telekommunikationsgeheimnisses Die „grundrechtlichen Gewährleistungen der Art. 10 und Art. 13 GG“ wie auch die bisher in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tragen dem durch die Entwicklung der Informationstechnik entstandenen Schutzbedürfnis nicht hinreichend Rechnung.121 Der Schutz des Art. 10 GG erstreckt sich nur auf die „unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs nicht aber auch die Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen“.122 Der Schutz des Kommunikationsgeheimnisses konzentriere sich vor allem auf den Ausschluss der Dritten aus der zwischen den Teilnehmern währen der laufenden Kommunikation zwischen den Kommunizierenden. Er betreffe zwar auch die Umstände der Kommunikation, aber nicht mehr die von Kommunizierenden gespeicherten Inhalte der Kommunikation. Der Schutz sei also stark zeitund inhaltsbezogen. Deswegen „soweit der heimliche Zugriff auf ein informationstechnisches System dazu dient, Daten auch insoweit zu erheben, als Art. 10 Abs. 1 GG nicht vor einem Zugriff schützt, bleibt eine Schutzlücke, die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen zu schließen ist.“123 bb) Schutzdefizit der Unverletzlichkeit der Wohnung Angesichts der Maßnahmen des § 5 Abs. 2 Nr. 11 Alt. 2 NRW VSG laufe auch der raumbezogene Schutz des Art. 13 GG leer, denn „das Schutzgut dieses Grundrechts sei die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet“.124 Etwa die Bemessung der elektromagnetischen Strahlung außerhalb einer Wohnung und die damit verbundene Eindringungsmöglichkeit in das sich dort befindende IT-System sei vom Schutzgehalt des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst, doch sobald das Gerät aus der Wohnung entfernt wäre, liefe der
Hoffmann-Riem, Der grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit und Integrität eigengenutzter informationsrechtlicher Systeme, JZ 2008, S. 1018; Wolfgang HoffmannRiem, Grundrechts- und Funktionsschutz für elektronisch vernetzte Kommunikation, AöR 2009, S. 513–541. 121 BVerfGE 120, 274 (306). 122 BVerfGE 120, 274 (306–307). 123 BVerfGE 120, 274 (308); Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung, S. 207– 208. 124 BVerfGE 120, 274 (309).
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Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung leer.125 Bei elektronischen Geräten wird das Merkmal der Raumbezogenheit nur dann relevant, wenn es um physische Manipulationen geht. Im heutigen Technikzustand sei aber der physische Zugriff auf das Gerät nicht nötig, um es vollständig auszuspähen. Das Schutzbedürfnis sei eindeutig gegeben. Das BVerfG zieht die Grenze für die Anwendung dieses Grundrechts dort, „wo es für den heimlichen Zugriff auf das System auf dessen Standort nicht ankommt, wie das auch bei der durch Infiltration ermöglichten Erhebung von Daten der Fall ist, die im Arbeitsspeicher oder auf den Speichermedien eines in der Wohnung befind lichen Systems gespeichert sind“.126 cc) Das Auffanggrundrecht Da die besonderen Grundrechte ihren Schutz nicht ausreichend gewährleisten, hat das Gericht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen. Die Ausprägung dieses Grundrechts als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze zwar den Bürger vor staatlichen Informationsangriffen, doch bei der Online-Durchsuchung handle es sich um einen Eingriff, der viel weiter gehe als eine Abfragung der Daten aus den nichtöffentlichen Registern. Das Gericht erweitert deswegen die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG um eine neue Fallgruppe. Dieses Grundrecht gewährleiste „in seiner Ausprägung als Schutz der Privatsphäre das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen einen räumlich und thematisch bestimmten Bereich, der grundsätzlich frei von unerwünschter Einsichtnahme bleiben soll“;127 damit wird auch der Schlenker zum Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung gemacht. Das Gericht führte weiter aus: „Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich dabei nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommenen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach dem Ziel des Zugriffs und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben.“128 Damit wird die Norm des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als einzige tragfähige Konstruktion, die dem Schutz der IT-Systeme Rechnung trägt, bestätigt. 125 BVerfGE 120, 274 (310); Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung, S. 208. 126 Ibidem. 127 BVerfGE 120, 274 (311). 128 BVerfGE 120, 274 (312).
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d) Konstruktion des Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität der IT-Systeme Das BVerfG fügt eine neue Auslegung des Persönlichkeitsrechts hinzu, angesichts der Tatsache, dass „der Einzelne zu seiner Persönlichkeitsentfaltung auf die Nutzung informationstechnischer Systeme angewiesen ist“.129 Der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes stelle keinen anderen Anknüpfungspunkt für einen effektiven Schutz der verschiedenen Techniken130 der Online-Durchsuchung. Durch das Urteil versucht das BVerfG die abwehrrechtliche Dimension mit den Schutzpflichten des Staates zu verknüpfen. Schutzgut ist hier die Sicherheit und Vertraulichkeit der IT-Systeme gegen das Eindringen und Auslesen.131 Denn wie das BVerfG betont: Schützenswert sei die Anwartschaft des Einzelnen, dass die Daten, die auf seinem Gerät erzeugt, gespeichert und verarbeitet werden, vertraulich bleiben.132 aa) Der Eingriff und seine Spezifik Das Grundrecht wirkt jedoch nicht absolut. „Eingriffe können sowohl zu präventiven Zwecken als auch zur Strafverfolgung gerechtfertigt sein. Der Einzelne muss dabei nur solche Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhen.“133 Die Kompetenznorm der Eingriffsvorschrift muss durch Verfahrensgarantien versetzt werden, damit der rein materielle Schutz leicht leer laufen könnte. „Der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber [soll] die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe und deren Reichweite selbst treffen, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können.“134 Dabei spielt die Gesetzessprache eine ausschlaggebende Rolle, denn sie darf den Einzelnen nicht in Ungewissheit lassen, „dass die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet [ist].“135 Die Eingriffe unterliegen damit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit der Beachtung der Unantastbar129 BVerfGE
120, 274 (313). dem Gesichtspunkt der Informatik gibt es zahlreiche Möglichkeiten ein IT-System zu knacken, etwa durch Trojaner-Programme, Malware, Key-Loggers oder durch das Einbauen von sog. Hintertüren in die Betriebssysteme. 131 Friedhelm Hufen, Staatsrecht II, München 2016, S. 197. 132 BVerfGE 120, 274 (314). 133 BVerfGE 120, 274 (315). 134 BVerfGE 120, 274 (316). 135 Ibidem. 130 Aus
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keit des Kernbereichs. Zwar sieht das allgemeine Persönlichkeitsrecht keinen Richtervorbehalt, doch die Anknüpfung an den Kernbereich legt nahe, dass hier ein Eingriff vorgesehen werden soll, was etwa das Gericht im Urteil zum Großen Lauschangriff nicht unumstritten bejaht hat. Der heimliche Zugriff auf ein IT-System aus den beanstandeten Vorschriften des VSG NRW sei mit den Maßstäben des Grundrechtsschutzes nicht vereinbar, weil sich die „tatbestandlichen Voraussetzungen der geregelten Maßnahmen dem Gesetz nicht hinreichend entnehmen lassen“.136 Der Einsatz der nachrichtendienstlichen Mittel ist zulässig, wenn dadurch verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse gewonnen werden können. Die Normenklarheit verlangt es, die angegriffenen Grundrechte nicht nur einfach zu benennen, sondern eine gewisse Rüstung für die Abwägung zu schaffen.137 Der Gesetzgeber muss zunächst konkretisieren, wo der Eingriff liegt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung lasse sich aus der beanstandeten Vorschrift ihre Reichweite nicht entnehmen. Das Gesetz ist zwar gegen die terroristischen Bestrebungen gerichtet, doch durch die nicht genug präzise Gesetzessprache lasse es Spielraum für eine erweiternde Auslegung. Bei der Geeignetheitsprüfung stellt das Gericht eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Online-Durchsuchung an. Hier klingt die Skepsis der Fachgutachter durch. Der Wert der Durchsuchung sei begrenzt und lasse sich nicht im Voraus feststellen, die Streubreite der Maßnahme dagegen sei massiv und lasse sich selbst durch die Behörde weder einplanen noch im Endeffekt beschränken. Durch den Eingriff sei also, wie das Gericht ausführt, „die entscheidende Hürde genommen, um das System insgesamt auszuspähen“.138 Mit anderen Worten: Dabei erschließen sich der Behörde nicht nur die relevanten Spuren, sondern der gesamte Inhalt des Geräts mit gespeicherten Passworten, persönlichen Dokumenten, Bildern, Suchgeschichte.139 Diese Risiken seien aber hinnehmbar, weil „der Online-Zugriff […] nicht unmittelbar der Gewinnung revisionsfester Beweise für ein Strafverfahren [dient], sondern der Verfassungsschutzbehörde Kenntnisse verschaffen [soll], an deren Zuverlässigkeit wegen der andersartigen Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes zur Prävention im Vorfeld konkreter Gefahren geringere Anforderungen zu stellen sind als in einem Strafverfahren“.140 Nun entsteht das Problem des Schutzes des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung. Ihn erwähnt 136 Ibidem.
137 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008, S. 930. 138 BVerfGE 120, 274 (308). 139 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008, S. 929. 140 BVerfGE 120, 274 (321).
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das Gericht bei den Fragen der Gestaltung der entsprechenden Prozedur der Online-Durchsuchung. Der Zugriff auf die IT-Systeme durch nachrichtendienstliche Stellen muss nach einer Abwägung des allgemeinen Interesses gegenüber dem privaten Interesse erfolgen. „Die Prüfung an diesem Maßstab kann dazu führen, dass ein Mittel nicht zur Durchsetzung von Allgemeininteressen angewendet werden darf, weil die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schwerer wiegen als die durchzusetzenden Belange.“141 Die Online-Durchsuchung ist kein Mittel, das auf ein Erfolgsziel angesetzt sei. Es sei ein Mittel, bei dem das Endergebnis ungewiss sei. Die nicht gezielt eingesetzte sondern auf eine gewisse Weise beliebige Maßnahme könnte nur dann erfolgreich werden, wenn die Ergebnisse der „Datenanzapfung“ sorgfältig ausgewertet werden. Vorerst aber erfolgt ein Eingriff, der sich pauschal gegen das ganze IT-System richtet. Angesichts der Tatsache, dass darauf Informationen gespeichert werden könnten, die nicht nur persönlich relevant sind, sondern auch durch die Beweisverbote gedeckt werden können, stellt sich die Frage nach der Abwägung der Rechtsgüter. Der Eingriff könne nicht nur der Gewinnung der nötigen Informationen für den Verfassungsschutz dienen, sondern eine entdifferenzierte Ausspähung darstellen, die den Zugang zu nicht für die Straftatenprävention nötigen Daten eröffnet und dadurch dem Staat einen Einblick in den Kernbereich der privaten Sphäre gewähre.142 Die Eingriffsschwere werde noch durch die Heimlichkeit erhöht, bei der normalen Durchsuchung nach § 110 StPO nimmt der Betroffene den einmaligen Eingriff zur Kenntnis.143 Die Streubreite des Eingriffs sei durch den Einblick in das gesamte System enorm, nicht nur der laufenden Kommunikation der Betroffenen. Es sind auch die Rechte Dritter betroffen, z. B. durch ungewollte Infizierung weiterer IT-Systeme durch die Vernetzung mit dem, der als Ziel des staatlichen Eingriffs steht.144 bb) Schutz durch Verfahren Da der Eingriff durch die Online-Durchsuchung tief sei und eine unbestimmte Streubreite aufweise, müsse die Hürde, die vor dem Eingriff von den Sicherheitsbehörden genommen werden sollte, hoch sein. Die praktische Umsetzung dieser Idee gewährleiste der Schutz durch Verfahren. Um den Betroffenen abzusichern, formuliert das BVerfG detaillierte Voraussetzungen 141 BVerfGE
120, 274 (322). 120, 274 (322–325). 143 Klaus Herrmann / Michael Soiné, Durchsuchung persönlicher Datenspeicher und Grundrechtsschutz, NJW 2011, S. 925–926. 144 BVerfGE 120, 274 (340). 142 BVerfGE
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für die Prozedur der Online-Durchsuchung. Diese hat der Gesetzgeber in der Ausgestaltung der Vorkehrungen umzusetzen, die Bestimmtheitsgrundsatz, Kernbereichsschutz, Verhältnismäßigkeit und Anknüpfung an konkrete Gefahr gewährleisten sollen. Der kurze Blick in die polnische Rechtsprechung gibt den Anlass zur Feststellung, dass die Anforderungen des VerfGH hinsichtlich Schaffung ähnlichen Verfahrens in polnischen Sicherheitsgesetzen völlig gescheitert sind. Das Gericht erkennt zwar eindeutig an, dass der Eingriff durch OnlineDurchsuchungen tief in die Grundrechte eingreift. Bei einer konkreten Gefahr müssen tatsächliche Anhaltspunkte für ein Vorliegen einer Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen.145 Dieter Hömig meint aber, dass das BVerfG eine konkrete Gefahr auch dann annehmen wolle, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern nur bestimmte Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares gefahrenträchtiges Geschehen zulassen.146 Diese Erweiterung des Begriffs der konkreten Gefahr stehe aber mit der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG im Einklang,147 wobei die polizeirechtliche Literatur dies enger sieht.148 Das BVerfG knüpft an die in der deutschen Dogmatik tief verwurzelte Gefahrenlehre an, die dagegen im polnischen Recht nur ansatzweise zu erkennen ist. Die Abstufung der Gefahren nach den Prämissen der Möglichkeit des Eintretens der Folgen stellt eine Drehschraube dar, die sowohl der Gesetzgeber als auch die Behörden bedienen können, um die Eingriffstiefe verhältnismäßig zu halten. Die Prognose, die dieser Gefahrenerkennung zugrunde liegt, muss sich auf konkrete Anhaltspunkte beziehen.149 Darüber hi145 Dirk Heckmann, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011, S. 855; Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung, Jura 3 / 2009, S. 211. 146 Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung, Jura 3 / 2009, S. 211. 147 Ibidem. 148 Zum Gefahrbegriff ausführlich: Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 162 ff. 149 BVerfGE 120, 274 (328–329): „Die konkrete Gefahr wird durch drei Kriterien bestimmt: den Einzelfall, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und den Bezug auf individuelle Personen als Verursacher. Der hier zu beurteilende Zugriff auf das informationstechnische System kann allerdings schon gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest
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naus müsse der Vorgang einer unabhängigen Überprüfung der Begründetheit unterliegen. Im deutschen Staatsgefüge könne diese Kontrolle nur durch die Richter, die eine breite persönliche und sachliche Unabhängigkeit genießen, gewährleistet werden.150 Damit überschreitet das Gericht den Verfassungstext und bedient sich der Systemauslegung contra legem. Der so gestellte Standard wird jedoch von der Rechtslehre kritisiert151, doch vom Gesetzgeber umgesetzt. Das Verfahren zur Einführung der Online-Durchsuchungsmaßnahmen muss auch den Kernbereich der Privatsphäre schützen, auch wenn sich im Vorfeld des Einsatzes nicht feststellen lässt, welche so gewonnenen Informationen dazu gehören werden. An dieser Stelle knüpft das BVerfG an den inhaltsbezogenen Begriff des Kernbereichs aus dem Urteil zum „Großen Lauschangriff“ und passt ihn auf die raumunabhängigen Verhältnisse der digitalen Welt an. Die staatliche Stelle bekommt zwar Zugang dazu, muss ihn jedoch selbst gleich sperren.152 Thomas Böckenförde bringt es zutreffend mit einem Vergleich der Wohnungswände mit einem Firewall im Computer auf den Punkt.153 Der Kernbereichsschutz verlangt eine unverzügliche Löschung der betreffenden Materialien. „Die gesetzliche Regelung hat darauf hinzuwirken, dass die Erhebung kernbereichsrelevanter Daten soweit wie informationstechnisch und ermittlungstechnisch möglich unterbleibt […] Insbesondere sind verfügbare informationstechnische Sicherungen einzusetzen. Gibt es im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine bestimmte Datenerhebung den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren wird, so hat sie grundsätzlich zu unterbleiben. Anders liegt es, wenn zum Beispiel konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass kernbereichsbezogene Kommunikationsinhalte mit Inhalten verknüpft werden, die dem Ermittlungsziel unterfallen, um eine Überwachung zu verhindern.“154 Entscheidende Bedeutung für den Schutz hat insoweit die Durchsicht der erhobenen Daten auf kernbereichs relevante Inhalte, für die ein geeignetes Verfahren vorzusehen ist, das den Belangen des Betroffenen hinreichend Rechnung trägt. so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann.“ 150 BVerfGE 120, 274 (332). 151 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008, S. 927: „Soweit die Diskussion auf dieser Ebene der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit verharrt, ohne die Wände der Wohnung als schutzbereichsbegründend zu begreifen, bricht das letzte belastbare Kriterium der Abgrenzung von Art. 13 GG zu Art. 2 Abs. 1 GG weg.“. 152 BVerfGE 120, 274 (335–336). 153 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008, S. 926. 154 BVerfGE 120, 274 (338).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts191
e) Kritik an verdeckter Teilnahme an Kommunikationseinrichtungen Die Eingriffe in die Kommunikation nach § 5 Abs. 2. Nr. 11 Satz. 1 Alt. 1 NRW VSG erteilt der Verfassungsschutzbehörde die Möglichkeit der „Aufklärung des Internets“. Dabei unterscheidet das Gericht nach „Teilnahme an der Kommunikation“155 und „Überwachung der Kommunikation.“156 Wie Böckenförde meint: „Bei der Überwachung ist der Betroffene stets vor der staatlichen Wahrnehmung von Telekommunikationsinhalten geschützt, bei der Teilnahme nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dies kann zur Folge haben, dass die gleichen Inhalte desselben Kommunikationsdienstes, wie etwa eines bestimmten Chat-Dienstes, je nach Zugriffsform von Art. 10 GG unterschiedlich geschützt werden.“157 Der Eingriff zielt auf die Kommunikation im Internet, etwa über E-Mail, Chats, Foren, zu denen Zugang beschränkt wird durch das Einloggen u. ä. Wenn die Behörde sich Zugangsschlüssel verschafft, ohne oder gegen den Willen der Kommunikationsbeteiligten liege ein Eingriff vor.158 Doch eine Schutzlücke des Art. 10 GG besteht, wenn dem Einzelnen kein Kommunikationspartner gegenübersteht – etwa bei Nutzung von Online-Banking oder dem Abonnieren von Nachrichten.159 Hier greift das IT-Grundrecht ein.160 Doch das BVerfG hielt auch fest: „Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht schon dann vor, wenn eine staatliche Stelle sich unter einer Legende in eine Kommunika tionsbeziehung zu einem Grundrechtsträger begibt, wohl aber, wenn sie dabei ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners ausnutzt, um persönliche Daten zu erheben, die sie ansonsten nicht erhalten würde.“161 Dabei fügt es hinzu: „Danach wird die reine Internetaufklärung in aller Regel keinen Grundrechts eingriff bewirken. Die Kommunikationsdienste des Internet ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen, in deren 155 BVerfGE
120, 274 (340–341). 120, 274 (309). 157 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, JZ 2008, S. 936. 158 BVerfGE 120, 274 (341). 159 Die subtile Differenzierung oder wenn man will sperrige, jedenfalls vielfältige, unterstreicht Thomas Böckenförde indem er den Unterschied zwischen Verschaffung des Zugangs zum Online-Banking mit dem Kontodatenabgelich so konstatiert: „Daran ändert auch die einige Absätze weiter getroffene Entscheidung des Urteils nichts, nach der die Ermächtigung bei Kreditinstituten Auskünfte zu Kontodaten, Geldbewegungen und Geldanlagen einzuholen, am Recht für informationelle Selbstbestimmung zu messen ist.“ Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, S. 937. 160 Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, S. 937. 161 BVerfGE 120, 274 (345). 156 BVerfGE
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Überprüfungsmechanismen bereitstehen.“162 Wo die Grenze zwischen den schutzwürdigen und nicht schutzwürdigen Interesse liegt, bleibt indes offen.163 Die Teilnahme an der Online-Kommunikation unterliegt also verschiedenen Grundrechtsmaßstäben. Der Schutz des Art. 10 GG reicht soweit die Teilnehmer der laufenden Kommunikation ihr Vertrauen daran haben, dass kein unbefugtes Subjekt daran teilnimmt. Der Zugriff auf Passwörter und Logins unterliegt dagegen dem IT-Grundrecht. Es gibt aber auch einen Bereich wo die Behörden das Internet aufklären können ohne in die Grundrechte einzugreifen. Die Grenze zwischen diesen Fallgruppen ist weitgehend eine juristische „Terra Incognita“. Die verdeckte Teilnahme an der Kommunikation durch staatliche Stellen ist zulässig, wenn die Ermächtigungsnorm den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Welche das sind, dürfte strittig sein. Es geht dabei vor allem, ähnlich wie bei der OnlineDurchsuchung, um eine Norm die Klarheit, Schutz des Kernbereichs des Privatlebens und dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechen muss. Daran fehlt es im geprüften Gesetz.164 f) Auswirkungen Das Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität der informationstechnischen Systeme stellte eine Besonderheit dar. Es ist eine Synthese der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG vor allem zum „Großen Lauschangriff“ und der Idee der Informationellen Selbstbestimmung. Die Jurisprudenz rea gierte auf das „neue“ Grundrecht mit der vollen Spanne der Stimmungen, von vorbehaltlosem Lob165 bis zur bitteren Enttäuschung.166 Die nichtfach liche Öffentlichkeit begrüßte das Urteil167 dagegen fast vollständig. Es ist 162 Ibidem.
163 Thomas
Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, S. 936. Markus Oermann / Julian Staben, Mittelbare Grundrechtseingriffe durch Abschreckung? Zur grundrechtlichen Bewertung polizeilicher „Online-Streifen“ und „Online-Ermittlungen“ in sozialen Netzwerken, Der Staat 2013, S. 630–661; Thomas Böckenförde, Auf dem Weg zur elektronischen Privatsphäre, S. 935 ff. 165 Etwa: Dieter Hömig, Die aktuelle Entscheidung „Neues“ Grundrecht, neue Fragen? Zum Urteil des BVerfG zur Online-Durchsuchung S. 207 ff. 166 Etwa: Uwe Volkmann, Anmerkung zum Urteil des BVerfG vom 27.2.2008, 1 BvR 370 / 07 und 1 BvR 595 / 07, BVBl 2008, S. 590 ff.; Bernhard Wegener / Sven Muth, Das „neue Grundrecht“ auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, Jura 11 / 2010, S. 847 ff. 167 Etwa: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.02.2008, S. 1. 164 Dazu:
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts193
einerseits wieder ein Ausdruck der Aufweichung der Dogmatik, doch auch ein Zeichen des Mithaltens des Grundgesetzes mit den Umständen des 21. Jahrhunderts. Das Gericht hatte mit dem Urteil der Politik wiederum eine Menge Arbeit geschaffen. Durch die allgemeine Aussagekraft wurden nicht nur das überprüfte Gesetz an die Maßstäbe angepasst, sondern auch die polizeilichen und strafprozessualen Regelungen. Damit wurde das gesamte Spektrum der nachrichtendienstlichen, präventiven und repressiven Gesetzgebung mit den neuen Anforderungen konfrontiert. Vorreiter der Umsetzung war das Land Bayern, das in seinem PAG die Online-Durchsuchung nach den Maßstäben ausgerichtet hat. Mittlerweile wartet das Gesetz auf die Entscheidung zu seiner Verfassungsmäßigkeit in Karlsruhe. Das Gericht hatte wegen der mittelbaren Drittwirkung weitreichende Bedeutung auch für Privatrecht u. a. Arbeitnehmerdatenschutz.168 Aus dem polnischen Blickwinkel fallen vor allem zwei Dinge ins Auge. Erstens, der Mut, mit dem sich das Gericht mit seinem Urteil durchsetzt. Dies überrascht nicht mehr in der „Richterrepublik Deutschland“, doch für andere Länder, mit nicht so starker Verfassungsgerichtsbarkeit, erscheint dies als Besonderheit. Zweitens, weicht das BVerfG nicht einer erweiternden Auslegung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und leitet ohne mit der Wimper zu zucken ein weitgehendes Gesetzesänderungsprogramm ein, das nicht nur das überprüfte Gesetz betrifft. Damit bestätigt das BVerfG seine Position gegenüber dem Gesetzgeber und ruft vermehrte Gegenstimmen hervor, weil Ansätze für richterlichen Aktionismus dabei zweifelsohne festzustellen sind. Vor allem aber setzt es einen neuen Maßstab und diesen durch. Von einem solchen Einfluss auf das Rechtssystem kann das VerfGH in Polen nur träumen. 5. Casus „Vorratsdatenspeicherung“ Die Geschichte der VDS lässt sich mit den Aktienkursschwankungen an der Börse vergleichen. Seit 2001 erfährt diese Datenerfassungsmethode zahlreiche Berg- und Talfahrten. Das Urteil des BVerfG vom 2. März 2010 war eine der Ursachen der vermeintlichen Prognose, dass auf die VDS in den westlichen Demokratien verzichtet wird. Das Urteil des EuGH vom 8. April 2014,169 das die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie 2006 / 24 / EG für nichtig erklärte, war auch nicht der entscheidende Schlag für die Maßnahme, zumin168 Alexander Roßnagel / Christoph Schnabel, Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und sein Einfluss auf das Privatrecht, NJW 2008, S. 3534 ff. 169 Urteil des EuGH vom 08.4.2014 in Sachen: Az.: C-293 / 12 und C-594 / 12.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
dest nicht auf der nationalen Ebene. VDS ist eine dermaßen bequeme Methode für die zahlreichen Sicherheitsdienste, dass sie wiederum 2015 in Deutschland eingeführt wurde. Das Schwert des Eingriffs durch VDS ist bei der erneuten Einführung jedoch etwas stumpfer. Diese Entschärfung des Eingriffspotenzials durch das Verfahren zur Erfassung der Daten, dessen Grundrisse im Kapitel zur gesetzlichen Regelungen in Deutschland zu sehen war, ist dem BVerfG zu verdanken und gilt trotzdem als äußerst umstritten. Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenbeger (FDP) bezeichnete die VDS als „einen vorprogrammierten Verfassungskonflikt“170 und bezüglich der neuen Version hat sie ihre Meinung nicht geändert. Die Verfassungsbedenken gegen die Anfangsversion der VDS brachte das BVerfG schon vor der Urteilsverkündigung zum Ausdruck: Die VDS stelle einen erheblichen Grundrechtseingriff dar und das BVerfG erließ mehrere einstweilige Verfügungen, die die Verwendung der auf Vorrat gespeicherten Daten lediglich zum Schutz der überragend wichtigen Rechtsgüter zuließ.171 Trotz der Bedenken, die eigentlich vor allem in Deutschland die Öffentlichkeit dermaßen elektrisiert haben, hat sich der Gesetzgeber entschieden, die Maßnahme wieder eizuführen, nachdem die Polizei- und Sicherheitsbehörden sowie die Politiker den Druck erhöhten, da die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung ohne Zugriff auf diese Daten spürbar erschwert war.172 Bundesjustizminister Heiko Maas, der als das Gesicht der neuen Vorratsdatenspeicherung gilt, äußerte sich zum neuen Gesetz folgendermaßen: „Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf hat mit dem alten Gesetz nicht viel zu tun. Es sollen weit weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum gespeichert werden, sie sind besser gegen Missbrauch gesichert und sie können nur zur Aufklärung schwerer Straftaten abgerufen werden. Kein Gesetz in Europa ist so zurückhaltend, wie das von uns geplante.“173 Tatsächlich ist die neuangelegte VDS im Vergleich etwa zu den polnischen Regelungen grundrechtsfreund licher, dennoch gibt es gegen das neue Gesetz wieder eine Verfassungs beschwerde vor dem BVerfG.174 Diese kurze Beschreibung der Berg- und Talfahrten der VDS veranschaulicht die Tragweite der Maßnahme einerseits für die Behörden, andererseits für die Grundrechte. 170 Sabine Leutheusser-Schnarrenbaeger, Vorratsdatenspeicherung – Ein vorprogrammierter Verfassungskonflikt, ZRP 2007 S. 9–13. 171 Dirk Heckmann, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.); Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011, S. 895–896. 172 Markus Möstl, Vorratsdatenspeicherung – wie geht es weiter?, ZRP 2011, S. 225. 173 Das Interview mit Bundesjustizminister Heiko Maas, Die Tageszeitung vom 27.7.2015. http: / / www.taz.de / !5215559 / (Zugang: 18.8.2016). 174 http: / / www.spiegel.de / netzwelt / netzpolitik / vorratsdatenspeicherung-werklagt-vor-dem-bundesverfassungsgericht-a-1074152.html (Zugang: 18.8.2016).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts195
Aus der rechtsvergleichenden Perspektive mit Polen scheint die Diskussion auf einem anderen Niveau zu stehen. Die „Beweislast“ scheint in Deutschland auf der Seite der Sicherheitspolitik zu liegen, dass die VDS überhaupt geeignet ist, die Kriminalität und den Terrorismus zu unterbinden. In Polen kämpfen dagegen die Gegner der VDS und anderen Überwachungsmaßnahmen überhaupt darum, dass die Geeignetheitszweifel von den Sicherheitsgremien ernst genommen werden und ein Bezug zwischen VDS und tiefen Grundrechtseingriffen hergestellt wird. Wiederum kommen hier das Sicherheitsverständnis und die Stärke der Sicherheitspolitiklobby zum Ausdruck. Diese Fragen werden am Ende dieser Arbeit noch erörtert. a) Die Frage der Vorlage vor dem EuGH und Exkurs zum Urteil des VerfGH vom 30.7.2014 Bevor die Erörterungen des BVerfG zu den für diese Arbeit relevanten Grundrechten und ihren Schutz dargelegt werden, gilt es kurz die Frage der nicht durchgeführten Vorlage des Falles beim EuGH anzureißen. Nach der „Solange-Rechtsprechung“175 des BVerfG erstreckt das deutsche Verfassungsgericht seine Kontrolle über das ins nationale Recht umgesetzten zwingenden Vorgaben des Europarechts, solange insbesondere die Rechtsprechung des EuGH einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell leistet. Dieser Schutz sei nach der Meinung des BVerfG in dem Fall angesichts der Richt linienumsetzung der Fall. Die Richtlinie gäbe jedoch dem deutschen Gesetzgeber einen Spielraum hinsichtlich der Umsetzung: die Bestimmungen zu Zeitdauer, Prozedur, Verwendung der Daten, ihre Sicherheit liegen in den Händen des deutschen Parlaments. Dementsprechend kann das Gericht tätig werden und lehnt die Vorlage ab176 und bekräftigt damit die eigene Position zur Enttäuschung einiger.177 Europarechtlich gesehen obligatorisch wurde die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und in anderen EU-Ländern mit dem Inkrafttreten der Richt linie 2006 / 24 / EG vom 15. März 2006. Polen hatte jedoch schon die ähnlichen Vorschriften früher unabhängig von der Richtlinie eingeführt.178 Sie traten in Kraft mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikations175 BVerfGE
118, 79 (95); BVerfGE 121, 1 (15). 125, 260 (306); Alexander Roßnagel / Christoph Schnabel, Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und sein Einfluss auf das Privatrecht, NJW 2008, S. 1239; Heinrich Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 751. 177 Heinrich Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 751. 178 Siehe: Teil A, Kapitel IV. 176 BVerfGE
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
überwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie der Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG vom 21. Dezember 2007, die in dem hier relevanten Umfang am 1. Januar 2008 in Kraft trat. VDS als ein Teil des ständig aufgestockten Sicherheitspakets und Umsetzung der Richtlinie wurde in der Beschwerde sowohl mit den deutschen Grundrechten als auch mit der EU-Grundrechtecharta als unvereinbar bezeichnet. Die Beschwerdeführer bemerkten außerdem, dass nicht nur die Umsetzung der Richtlinie, sondern auch sie selbst sei rechtwidrig179 und damit hätte sie in Deutschland gar nicht umgesetzt werden dürfen. Diese Stellung der Beschwerdeführer hätte eine Vorlage des Falles in Vorabent scheidungsverfahren vor dem EuGH als Ziel haben können. In dem Verfahren kam es aber dazu nicht. Die Kritik an den deutschen Vorschriften konzentrierte sich aber an den Art. 113a und 113b TKG, die durch Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung eingeführt wurden und an § 100g StPO in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung. Eine besondere Dimension der VDS in Deutschland stellt der Bezug zum EU-Recht dar. Viele Kreise hatten erwartet, dass das BVerfG ein Vorabent scheidungsverfahren nach Luxemburg in Bewegung setzt, damit die EURechtswidrigkeit der Richtlinie festgestellt werden könnte und das BVerfG daraufhin entscheiden könnte und Deutschland nicht in Konflikt mit dem EU-Recht geriete wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie. Dies ist jedoch nicht passiert, was bedauert wurde.180 Im polnischen Urteil zur VDS vom 30.7.2014 wurde die Frage gar nicht erörtert. Zum einen konnte das Gericht die VDS nicht komplett verwerfen, da die Klage sich nur gegen die Verfahrensvorschriften richtete, zum anderen war die Sache schon mit dem EuGH-Urteil vom 8.4.2014 eigentlich erledigt. Wäre es anders gewesen, hätte das Gericht zur Richtlinie wahrscheinlich nicht entschieden, denn keiner der Überprüfungsanträge, die 2011 und 2012 das Gericht erreicht haben, wurde auf die Überprüfung der Richtlinie angelegt oder auf das Anstoßen eines Vorabentscheidungsverfahrens. Für Polen war damals nicht die Richtlinie das Problem, welche mangelnde Standards (nach dem Urteil vom EuGH) setzte. Immerhin gab es dadurch einen Mindestschutz in Polen, im Gegensatz zu den eigenen polnischen Vorschriften zum Zugriff auf die Verbindungsnachweise und Verkehrsdaten.
179 BVerfGE
120, 260 (280). Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 751–753. 180 Heinrich
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts197
Im Wesentlichen richteten sich wieder detaillierte Ausführungen des BVerfG auf das Art. 10 Abs. 1 GG. Der Eingriff und seine Streubreite sind zwar bei der VDS beispiellos, dennoch sei die grundrechtsfreundliche Umsetzung der Richtlinie nicht ausgeschlossen.181 Sie muss aber unter besonderer Berücksichtigung des Art. 10 Abs. 1 GG verlaufen. Damit eröffnet das Gericht das Kapitel, wo es dem Gesetzgeber genaue Angaben vorgibt, wie die VDS in Deutschland verfassungskonform umgesetzt werden kann. Dabei soll es ultra vires handeln und über den Verfassungstext entscheiden, behaupten einige.182 Das BVerfG spielt dabei die hohen Töne und bringt den Datenschutz vor den staatlichen Profilierungsbestrebungen mit der Verfassungsidentität der Bundesrepublik in Verbindung. Für diesen Schutz der Bürger solle sich Deutschland in Europa einsetzen.183 Nur am Rande kann angemerkt werden, dass der polnische VerfGH die Strategie des BVerfG verfolgt, die im Urteil „Solange I“ vertreten wurde. Die Überprüfungskompetenz des Sekundärrechts durch das VerfGH sei zwar umstritten, aber der VerfGH schließt es nicht aus, wenn auf der europäischen Ebene kein ausreichender Grundrechtsstandard vorhanden ist.184 Das polnische Gericht dürfe aber lediglich die Umsetzung des Sekundärrechts prüfen, nicht den Rechtsakt selbst.185 Der europarechtliche Ansatz und die Kontroversen um die Vorlage bei EuGH stellen aber ein separates Rechtsproblem dar, das im Umfang dieser Arbeit nicht zu erörtern ist. b) Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG Die Verfassungsbeschwerden, die von über 34.000 Bürgern getragen wurden, richteten sich gegen die materiellen Grundlagen der Vorschriften und die Verfahrensnormen. Damit konnte das Gericht die Maßnahme flächendeckend überprüfen. Art. 113a TKG verpflichtete den Betreiber öffentlich zugäng licher Telekommunikationsdienste, „die von ihm bei der Nutzung seines Dienstes erzeugte oder verarbeitete Verkehrsdaten […] sechs Monate im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu speichern“. Nach Satz 2 der obengenannten Vorschrift war der Anbieter der 181 BVerfGE
125, 260 (308–309). Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 752. 183 BVerfGE 125, 260 (324). 184 Dazu: Mariusz Jabłoński / Sylwia Jarosz-Żukowska, Kontrola konstytucyjności prawa pochodnego UE w trybie skargi konstytucyjnej i pytań prawnych, in: Mariusz Jabłoński, Sylwia Jarosz-Żukowska, Zasada pierwszeństwa prawa Unii Europejskiej w praktyce działania organów władzy publicznej RP, Wrocław 2015, S. 55–79. 185 Krzysztof Wójtowicz, Sądy konstytucyjne wobec prawa Unii Europejskiej, Warszawa 2012, S. 82. 182 Heinrich
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienste, der selbst die Verkehrsdaten nicht erzeugt oder zu verarbeitet, verpflichtet zur Sicherstellung der Datenspeicherung. Anbieter der die Daten speicherte und veränderte musste sowohl die Anfangsversion als auch die Endversion der Behörde zugänglich machen. Nach dem Ablauf der Speicherungsfrist wurde der Anbieter verpflichtet die Daten zu löschen. Darüber hinaus sah Art. 113a Abs. 10 TKG vor, dass der Anbieter „[…] betreffend die Qualität und den Schutz der gespeicherten Verkehrsdaten die im Bereich der Telekommunikation erforderliche Sorgfalt zu beachten [hat]. Im Rahmen dessen hat er durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Zugang zu den gespeicherten Daten ausschließlich hierzu von ihm besonders ermächtigten Personen möglich ist.“ Der Umfang der Daten, die der Speicherung nach der beanstandeten Vorschrift unterlagen, war unterschiedlich bei verschiedenen Diensten. Bei Festnetzanschlüssen handelte es sich um Rufnummern und Angaben zu Beginn und Ende der Verbindung und Angaben zu dem genutzten Dienst soweit unterschiedliche Dienste genutzt werden konnten. Bei mobilen Telefondiensten handelte es sich um: Angaben zu Teilnehmern der Verbindung, ihrer Zeit und Dauer. Auch unbeantwortete Verbindungen mussten registriert werden. Im Fall von Internet-Telefondiensten handelte es sich um: die IP-Adressen der Anrufenden und Angerufenen. Die Anbieter der elektronischen Post mussten die Email-Adresse und IP-Adresse des Verschickenden sowie die Kennung (Email-Adresse) des Empfängers, dazu noch die genauen Uhrzeiten der Inanspruchnahme der Dienste, sowie die Anbieter von Internetzugangsdiensten speichern. Art. 113b TKG schreibt die Ziele der Verwendung der auf Vorrat gespeicherten Daten vor. Danach konnten sie sowohl repressiv als auch präventiv von der Polizei und Geheimdiensten angezapft werden, zur Verfolgung von Straftaten, zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder im Fall der Geheimdienste, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben. Die Verfahrensbestimmungen wurden auch beanstandet. Die Vorschrift des § 100g StPO enthielt die Regelung der Erhebung der Telekommunikationsdaten zur Strafverfolgung. Danach dürften die Strafverfolgungsbehörden die nach Art. 113a TKG gespeicherten Daten, ohne Wissen des Betroffenen erheben, „soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich [war]“. Die Erhebung musste von Tatsachen begründeten Verdacht antizipieren. Die nach Art. 113a TKG gespeicherten Daten konnten nur zum Zwecke der im § 100g Abs. 1 StPO erwähnten Straftaten erhoben werden. Es handelte sich dabei um Katalogstraftatbestände des § 100a Abs. 2 StPO, die auch im Einzelfall von er-
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts199
heblicher Bedeutung waren, oder wenn eine Straftat mittels Telekommunikation begangen worden ist. Wobei § 100a Abs. 2 StPO eine lange Liste der schwersten Straftaten enthält, die primär bei der Telekommunikationsüberwachung verfolgt werden sollten. Die Datenerhebung unterlag der gericht lichen Kontrolle ex ante, außer bei den Fällen der Gefahr im Verzug. c) Die Verfassungsbeschwerden Wie erwähnt, hatte der erste Senat des BVerfG im Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung mit einer großen Zahl von Verfassungsbeschwerden zu tun. Die Beschwerdeführer kamen aus verschiedenen gesellschaftlichen Milieus, beispielweise Parlamentsabgeordneten, Wissenschaftler, Ärzte und Studentenkreise.186 Sie rügten die Verstöße gegen Art. 10 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG; die Bandbreite der Rügen war also äußerst breit und betraf nicht nur die Grundrechte, die die Privatheit tangieren sollten. Bei der Zulässigkeitsprüfung kam wieder § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG zur Anwendung (Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Nach den Beschwerdeführern könnte die Speicherung der detaillierten elekommunikationsdaten zur Erstellung „nahezu lückenloser Bewegungs T profile“187 führen. Die Daten seien nicht nur auf die Telefonkommunikation begrenzt, sondern erstrecken sich auf die IP-Adressen, Standortsdaten, sowie Adressen der gemailten Kommunikationspartner. Insofern verstößt es gegen Art. 10 Abs. 1 GG. Der Eingriff sei auch nicht gerechtfertigt, denn im Bereich der Straftaten, die mittels Internet begangen werden, gehe es in erster Linie um Vermögenswerte. Soweit Telekommunikationsmittel nur als Hilfsmittel bei der Begehung herkömmlicher Straftaten genutzt würden, seien Rechtsgüter aller Art betroffen.“188 Die Vorratsdatenspeicherung sei nicht zu verteidigen angesichts der Erforderlichkeitsprüfung. Die gleichen Ziele seien durch das Quick-Freeze-Verfahren189 zu erreichen. Die anlasslose Speicherung habe auch eine enorme Streubreite, denn betroffen sind nicht nur die Verdächtigen für manche Straftaten, sondern die ganze Bevölkerung, die 186 BVerfGE 187 BVerfGE 188 Ibidem.
125, 260 (279). 125, 260 (281).
189 Nicolas Busse, Quick-Freeze-Verfahren reicht Brüssel nicht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.3. 2012. „Die Grundidee des Quick-Freeze-Verfahrens lautet, dass die Telekommunikationsdaten einer verdächtigen Person gespeichert („eingefroren“) und dann auf richterliche Anordnung an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben („aufgetaut“) werden können. Damit würden nicht vorbeugend die Daten aller Kunden erfasst, sondern nur die einzelner Verdächtiger, wie man es aus der klassischen Polizeiarbeit kennt.“.
200
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elektronische Dienste in Anspruch nimmt. Als Fazit für den generellen Zweifel an der VDS kann dieser Satz gelten: „Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die für die Demokratie unerlässliche Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation insbesondere auch im Rahmen beson derer Vertrauensverhältnisse. Der Schaden, der durch die Überwachung des Bürgers entstehe, werde durch den damit verbundenen Effizienzgewinn nicht aufgewogen.“190 Die Vorratsdatenspeicherung verstoße auch gegen die Berufsausübungsfreiheit, denn sie berühre das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, wenn durch Auswertung von Telekommunikationsverkehrs daten das Mandatsverhältnis aufgedeckt werden könne. Zudem, führten die Beschwerdeführer weiter aus, drohe den Journalisten der Verlust von Informanten und diesen negativen Auswirkungen stehe kein messbares öffentliches Interesse gegenüber.“191 Sie schränkt auch das im Art. 12 Abs. 1 verborgene Grundrecht hinsichtlich der Dienstleistungsanbieter ein, die ohne ausreichende Entschädigung die öffentlichen Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr erfüllen müssen192. Die mangelnde Entschädigung stelle auch einen Verstoß dar gegen Art. 14 GG, „soweit bisher genutzte Einrichtungen von den Telekommunikationsdienstleistern infolge der Vorratsdatenspeicherung nicht mehr genutzt werden könnten.“193 Die Novelle des TKG und die Einführung der §§ 113a und 113b sind da rüber hinaus mit dem Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Sie schrecke die Bürger ab, staatskritische Äußerungen mithilfe der Telekommunikationsdienste zu verbreiten, denn aufgrund der breiten Speicherungspflichten sei es sehr leicht, den Urheber solcher Meinungen zu entdecken. Auch der Gleichheitssatz würde bei der Einführung der Vorratsdatenspeicherung nicht gewahrt. Die Internetkommunikation sei dadurch stärker beeinträchtigt und werde anders behandelt als die traditionellen Medien.194 Die Vorratsdatenspeicherung nach den §§ 113a und 113b TKG verletze die Menschenwürde, wenn dadurch jeder Bürger unter Verdacht stehe, weil die Maßnahme sich nicht nur gegen sie Störer der öffentlichen Ordnung richtet sondern gegen jedermann. Es müsse ein Kernbereich der persönlichen Lebensführung belassen werden, in dem der Einzelne frei von staatlicher Beobachtung, Kontrolle oder Beeinflussung sei. 190 BVerfGE 191 BVerfGE 192 Ibidem. 193 Ibidem.
194 BVerfGE
125, 260 (283). 125, 260 (284). 125, 260 (285–286).
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts201
Die Speicherung sei auch unvereinbar mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, denn sie erfolgt „verdachtslos“ und „generell“.195 Sie wahrt auch den Bestimmtheitsgrundsatz und das Gebot der Normenklarheit nicht, denn „als Verwendungszwecke seien nur pauschal die Verfolgung von Straftaten, die Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und die Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben genannt. Es reiche nicht, dass die nähere Spezifizierung des Eingriffszwecks in den jeweiligen fachrechtlichen Zugriffsnormen erfolge.“196 Die Beschwerdeführer behaupteten auch, dass die Speicherung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Die gleichsam tauglichen Ergebnisse des Quick-Freeze-Verfahrens sollen den Mangel an Erforderlichkeit der VDS bestätigen. Die VDS sei allerdings unangemessen, denn die Verkehrsdaten ließen erhebliche Rückschlüsse auf das Kommunikations- oder Bewegungsverhalten zu und der legitime Zweck der Bekämpfung der Kriminalität und Terrorismus müsse hiervor weichen.197 Auch die Umsetzung hinsichtlich der Länge der Speicherung, der Datensicherheit, zugriffsberechtigten Stellen und der Bestimmtheit der Verwendungszwecke sei zweifelhaft. Die Rechtschutzgarantien seien bei der VDS mangelhaft ausformuliert. Die Vorwürfe gegen § 100g Abs. 2 i. V. m. § 100b und § 101 StPO konzen trierten sich auf den nur nachträglichen und zusätzlich durch eine restriktive Benachrichtigungspraxis beschränkten Rechtsschutz. Die Effektivität des Richtervorbehalts sei dabei umstritten. Die Bundesregierung bezweifelte die Vorwürfe. Die Eingriffe sein entweder gar nicht feststellbar, oder, wie im Fall des Eingriffs in Art. 10 Abs. 1 GG, nur „mittelschwer“.198 Die Internetkommunikation sei zu überwachen, denn praktisch erfolge die Aufklärung von kinderpornografischen Darstellungen nur anhand von Verkehrsdaten.199 Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip sei mit der Regelung nicht angetastet. Das Quick-Freeze-Verfahren sei bei weitem nicht so effektiv wie die Vorratsdatenspeicherung und nur wirksam bei gegenwartsnahen Sachverhalten. Auch die Streubreite der Maßnahme sage wenig über die „konkreten damit verbundenen Belastungen“ aus.200 Die Vorwürfe gegen mangelnde Datensicherheit seien auch nicht zutreffend, „§ 109 Abs. 1 TKG verpflichte die Diensteanbieter, angemessene technische 195 Ibidem. 196 Ibidem.
197 BVerfGE 198 BVerfGE
125, 260 (291). 125, 260 (295).
200 BVerfGE
125, 260 (296).
199 Ibidem.
202
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Vorkehrungen oder sonstige Maßnahmen zu treffen, um den Datenschutz, den Schutz des Fernmeldegeheimnisses und den Schutz der Telekommunikations- und Datenverarbeitungssysteme gegen unerlaubte Zugriffe durch Mitarbeiter und Dritte zu gewährleisten.“201 Bundesverwaltungsgericht und der Berliner Datenschutzbeauftragte bemerkten in ihren Stellungnahmen die zweifelhafte Verfassungsmäßigkeit der beanstandeten Vorschriften. Die Datenspeicherung auf Vorrat sei „ein Eingriff von erheblichen Gewicht“202 und stellt einen Verstoß gegen „das Verbot der Vorratsspeicherung zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken. Jedenfalls ermöglichten sie aber eine unverhältnismäßige Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses“.203 Der Bundesgerichtshof unterstrich, dass „die Verkehrsdaten nur Indizwirkung hätten und der Untermauerung durch weitere Ermittlungsergebnisse bedürften“.204 d) Die Ausführungen des BVerfG Die Informationen aus den auf Vorrat erfassten Daten weisen extreme Persönlichkeitsrelevanz auf. Die Verbindungsnachweise lassen weitgehende Schlüsse über die Persönlichkeit, religiöse und politische Anschauungen und ähnliches ziehen. Diese Schlüsse könnten zur Persönlichkeitsprofilierung führen, wobei sie nicht immer der Realität entsprechen, worauf der Präsident des BGH in seiner Stellungnahme aufmerksam machte.205 Die moderne Informationstechnik ermöglicht es, alle Aktivitäten aller Bürger umfassend und vollständig zu überwachen. Die verfassungsrechtlich geforderte zivilisatorische Leistung ist es aber im Interesse der Freiheit darauf zu verzichten.206 Der Weg aus der zu weitgehenden Überwachung, dennoch aber ohne Verzicht auf die Sicherheit, führt nach dem BVerfG über eine verstärkte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Mit Alexander Roßnagel lässt sich sagen: „Zum einen ist auf der Grundlage der Wirkungen eines Überwachungsinstruments dessen verhältnismäßiger Einsatz zu bewerten. Zum anderen ist aber zusätzlich auf der Basis einer Gesamtbetrachtung aller verfügbaren staatlichen Überwachungsmaßnahmen die Verhältnismäßigkeit der Gesamtbelastungen bürger 201 BVerfGE
125, 260 (297). 125, 260 (299). 203 BVerfGE 125, 260 (303). 204 BVerfGE 125, 260 (300). 205 BVerfGE 125, 260 (300). 206 Alexander Roßnagel, Die „Überwachungs-Gesamtrechnung“ – Das BVerfG und die Vorratsdatenspeicherung, NJW, 2010, S. 1240. 202 BVerfGE
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts203
licher Freiheiten zu prüfen.“207 Mit der generellen Zulässigkeit der VDS und der vermehrten Verhältnismäßigkeitsprüfung strebt das BVerfG den Schutz durch Verfahren an und stellt Anforderungen an den Gesetzgeber. Ein Ansatz der auch im polnischen Urteil anklingt wird aber von dem polnischen Gesetzgeber auf eine entstellte Art und Weise durchgeführt, was im Kapitel zur polnischen Rechtsprechung erörtert wird. Erstens, verlangt das BVerfG eine erhöhte Datensicherheit der auf Vorrat gespeicherten Daten. Die nach § 113a Abs. 10 TKG statuierte Pflicht, durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass der Zugang zu den gespeicherten Daten ausschließlich besonders ermächtigten Personen möglich ist sei nicht ausreichend, denn sie verweist nur auf die im Bereich der Telekommunikation allgemein erforderliche Sorgfalt, was die besonders hohen Anforderungen an die Sicherheit der umfangreichen und aussagekräftigen Datensammlung nach § 113a TKG nicht entspricht.208 Nach dem BVerfG wird eine hinreichende Datensicherheit auch nicht durch § 109 Abs. 3 TKG gewährleistet. „Zwar schreibt die Norm vor, dass Betreiber von Telekommunikationsanlagen Sicherheitsbeauftragte zu benennen und ein Sicherheitskonzept zu erstellen haben, das der Bundesnetzagentur vorzulegen ist. Auch ist danach das Konzept, wenn sich die ihm zugrunde liegenden ‚Gegebenheiten‘ ändern, anzupassen und erneut vorzulegen.“209 Die Daten sollen anspruchsvoll verschlüsselt werden und der Zugang solle unter dem Vier-Augen-Prinzip gewährt werden, darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass sie ordnungsgemäß aufbewahrt und gelöscht werden, nach einer angemessenen Frist. Damit bewirkt das Gericht praktisch einen Ausbau nicht nur hochsicherer IT-Einrichtungen, sondern auch einen Personalausbau und die Einführung detaillierter Prozeduren bei den Telekommunikationsunternehmen, wobei der Staat sich in den kostspieligen Programm nicht engagiere.210 Als zweite Anforderung nennt das Gericht eine Verwendungsbeschränkung der Daten. Der Zugriff auf VDS solle nur in katalogisierten Fällen möglich sein. Der Tatbestandskatalog „kann dabei entweder auf bestehende Kataloge zurückgreifen oder einen eigenen Katalog schaffen, etwa um Straftaten, für die die Telekommunikationsverkehrsdaten besondere Bedeutung haben, zu erfassen. Die Qualifizierung einer Straftat als schwer muss aber in der Straf207 Ibidem.
208 BVerfGE
125, 260 (348). 125, 260 (348). 210 Jens Eckhardt / Mark Schütze, Vorratsdatenspeicherung nach dem BVerfG: „Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. Eine kritische Auseinandersetzung insbesondere im Hinblick auf Auskunft über die Nutzer dynamischer Adressen und Kosten erstattungspflicht, Computer und Recht 2010, S. 225–232. 209 BVerfGE
204
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
norm, insbesondere etwa durch deren Strafrahmen, einen objektivierten Ausdruck finden. Eine Generalklausel oder lediglich die Verweisung auf Straf taten von erheblicher Bedeutung reichen hingegen nicht aus.“211 Die Daten können aber sowohl repressiv als auch präventiv verwendet werden. Für die Gefahrenabwehr darf die Verwendung der Daten nur bei Vorliegen tatsäch licher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.212 Diese Anforderungen gelten auch für die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste, weil in diesen Fällen für die Betroffenen die Beeinträchtigung durch den Eingriff gleich ist.213 Drittens soll die Transparenz der Nutzung der auf Vorrat gespeicherten Daten gewährleistet werden. „Soweit möglich muss die Verwendung der Daten offen erfolgen. Ansonsten bedarf es grundsätzlich zumindest nachträglich einer Benachrichtigung der Betroffenen. Unterbleibt ausnahmsweise auch diese, bedarf die Nichtbenachrichtigung einer richterlichen Entschei dung.“214 Dabei beruft sich das Gericht auf die schon vorhandenen Standards und erinnert an die Rechtsprechung zum Großen Lauschangriff215 und Telekommunikationsüberwachung.216 Es strebt eine Einführung möglichst weit angelegter Informationspflichten an. Viertens soll die Neuregelung der VDS ein hohes Maß an Rechtsschutz genießen. Die beste Gewährleistung dafür sei die Einführung eines Richtervorbehalts bei den Vorschriften. Nach dem BVerfG, reduziert sich der Spielraum des Gesetzgebers dahingehend, dass solche Maßnahmen grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen sind, denn Richter können aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren.“217 Ausgenommen davon seien die Nachrichtendienste, deren Kontrolle über parlamentarische Gremien nach Art. 10 Abs. 2 GG gewährleistet sei. Fünftens verlangt das Verfassungsgericht eine differenziertere Neuregelung. „Für Auskünfte über die Inhaber bestimmter IP-Adressen, für deren Ermittlung auf vorsorglich gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten 211 BVerfGE
125, 260, (329). 125, 260, (330). 213 Alexander Roßnagel, Die „Überwachungs-Gesamtrechnung“ – Das BVerfG und die Vorratsdatenspeicherung, NJW, 2010, S. 1241. 214 BVerfGE 125, 260 (334–335). 215 BVerfGE 109, 279. 216 BVerfGE 100, 313. 217 BVerfGE 125, 260 (338). 212 BVerfGE
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts205
zurückgegriffen werden muss, müssen nicht von Verfassungs wegen die sonst für die Verwendung solcher Daten geltenden besonders strengen Voraussetzungen gegeben sein.“218 Beim Abrufen der IP-Adressen lässt sich lediglich ein bestimmter Anschlusses ermitteln, der von den Diensteanbietern unter Rückgriff auf diese Daten ermittelt wurde. Dabei bleibt die Aussagekraft dieser Daten eng begrenzt: Die Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten führt allein zu der Auskunft, welcher Anschlussinhaber unter einer bereits bekannten, etwa anderweitig ermittelten IP-Adresse im Internet angemeldet war und nicht die konkrete Person. Eine solche Auskunft hat ihrer formalen Struktur nach eine gewisse Ähnlichkeit mit der Abfrage des Inhabers einer Telefonnummer. Ihr Erkenntniswert bleibe punktuell.219 Für das BVerfG ist es auch von grundlegender Bedeutung, dass die Speicherung und die Verwendung der Daten separat verläuft. Dies soll die Grundlage des Schutzes durch Verfahren sein und nur unter dieser Voraussetzung, die aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet wird, kann die VDS in Deutschland eingeführt werden.220 Die Hochschätzung des Verfahrensschützens durch das BVerfG könnte kritisiert werde, weil es den Grundrechtstandard in Deutschland niedriger macht. Schließlich verbietet das Gericht nicht die Eingriffe in die Rechte auf das Telekommunikationsgeheimnis, die informationelle Selbstbestimmung oder das IT-Grundrecht durch die VDS, sondern schränkt sie nur ein. Dies bleibt aber in den Bahnen der ständigen Rechtsprechung. Der polnische VerfGH merkt zwar an, dass die VDS auf der europäischen Ebene vom Tisch ist, doch erweckt nicht den Eindruck, dass sie generell von der polnischen Rechtsordnung verschwinden sollte. Damit folgt er auch der Linie des BVerfG. Das BVerfG bejaht weitgehend bei den beanstandeten Vorschriften die Verstöße gegen den Art. 10 Abs. 1 GG, weil sie die oben genannten Prinzipien antasten. Das BVerfG stellt aber fest, dass die Vorschriften zur VDS die Regelungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht antasten. Zwar sind die Telekommunikationsunternehmer mit der Schaffung der Infrastruktur für die VDS belastet. Diese Belastung sei aber durch die Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Seit der Privatisierung der Telekommunikationsbranche sei der Staat auf die Zusammenarbeit mit den privaten Unternehmen im Bereich Sicherheit angewiesen, dennoch bemerkt das Gericht, dass im Rahmen der Drittwirkung die Prinzipien des Datenschutzes auch die Privaten binden.221
218 BVerfGE
125, 125, 220 BVerfGE 120, 221 BVerfGE 120, 219 BVerfGE
260 260 260 260
(340–341). (341). (323–324). (358–363).
206
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
e) Auswirkungen Das Urteil vom 2. März 2010 ist in Deutschland umstritten. Es wird als ein Pyrrhussieg222 bezeichnet und als ein Urteil, das mehr Probleme schafft als es löst.223 Weder die absoluten Gegner der VDS könnten zufrieden sein, noch die Befürworter. Die Ersten müssen sich mit der verfassungsgemäßen VDS abfinden, die anderen müssen dagegen die Einbußen in der Elastizität der Regelung hinnehmen. Keiner der Widersacher nimmt das Urteil gern in Kauf. Der neuste Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist seit 2016 in Kraft und wird ab 2017 die volle Kraft entwickeln.224 Das neue Gesetz setzt die Karlsruher Vorgaben um. Es folgt wiederum der pauschalen Speicherung der Daten, mit einer verkürzten, differenzierten Speicherfrist.225 Der einzige Gewinner in der Sache scheint das BVerfG zu sein. Es konnte wiederum eine „Roadmap“ für die Legislative errichten, damit es die Regelungen verfassungskonform nachbessert. Das Gesetzesänderungsprogramm ist wiederum detailliert und setzt Maßstäbe, die gar nicht aus dem GG zu lesen seien.226 Dennoch wird das Urteil in die Reihe der großen Urteile eingereiht und die „klaren Grenzen“ für den Gesetzgeber begrüßt.227 Das BVerfG nimmt bei dem Urteil, so wie bei vielen anderen, die hier beschrieben wurden die Rolle eines quasiobjektiven Gutachters des Rechts ein. Das Gericht stellt eine Rezension des Gesetzes aus und gibt bindende Hinweise wie es nachgebessert werden soll. Das traut sich das polnische Verfassungsgericht nicht. Zwar versucht es ausführliche Vorgaben dem Gesetzgeber zu geben, aber angesichts der Klagegrenzen kann es nur mehr oder weniger verbindliche „Ratschläge“ formulieren. Am Ende liegt alles in den Händen des übermäßig mächtigen Gesetzgebers.
222 Nikolaus Fargó / Tina Krügel, Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig: Nach Entscheidung ist vor Entscheidung, K&R, 2010, S. 217; Heinrich Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 753. 223 Jens Eckhardt / Mark Schütze, Vorratsdatenspeicherung nach dem BVerfG: „Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. Eine kritische Auseinandersetzung insbesondere im Hinblick auf Auskunft über die Nutzer dynamischer Adressen und Kosten erstattungspflicht, Computer und Recht 2010, S. 232. 224 https: / / netzpolitik.org / 2016 / eilantraege-abgelehnt-vorratsdatenspeicherunghat-erheblichen-einschuechterungseffekt-bleibt-aber-vorerst-in-kraft / (Zugang: 19.08. 2016). 225 Möst Markusl, Vorratsdatenspeicherung – wie geht es weiter?, S. 227–228. 226 Heinrich Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 752. 227 Dirk Heckmann, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.); Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011 S. 900.
II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts207
Das BVerfG wird im Fall der VDS zu einem Schlichter zwischen Befürworter und Gegner der VDS, es mäßigt die Emotionen und hält seine Linie. Bei den Verfassungsbeschwerden entschied es sich etwa nicht, wie 2010 eine einstweilige Anordnung, zu erlassen und damit vorläufig die Maßnahme zu blockieren.228 Ist dies ein Zeichen, dass das BVerfG die Neuregelung für verfassungskonform halten könnte? Leider steht die Entscheidung noch bevor und diese Arbeit kann sie nicht berücksichtigen, denn es wird bestimmt ein neuer Aufzug des börsenähnlichen Kurswechsels bei der VDS in Deutschland. Das BVerfG bekräftigt seine Position und antwortet auf die Erwartungen, die man in Deutschland an das Verfassungsgericht stellt – das letzte Wort zu haben. Die Kraft des letzten Wortes besteht aber nicht darin, dass es formell keine weitere Instanz überprüfen kann, sondern in der Umsetzungskraft. Wiederum kämpft der Gesetzgeber mit harten Vorgaben des Gerichts, die nicht nur auf das überprüfte Gesetz ausstrahlen sondern sich auf ähnliche Fälle auswirken. Dirk Heckamnn meint, dass das Urteil in den letztjährigen Tendenz passt, „mit der Karlsruhe praktisch jedem Gesetz, welches die ITEntwicklung, für bestimmte öffentliche Zwecke nutzbar machen wollte, verfassungsrechtliche Grenzen aufgesetzt hat.“229 Obwohl diese Grenzsetzung negativ beurteilt wird, wegen des Mangels an demokratischer Legitimation des Gerichts,230 korrespondiert es mit der eingebürgerten Rechtsschutzpraxis in Deutschland, wo das Verfassungsgericht etwa durch § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG oder die Überprüfung der Gerichtsurteile nahezu das ganze Spek trum der Rechtsüberprüfung nach dem Maßstab des Grundgesetzes abdeckt. Das Urteil zu VDS ist ein gutes Beispiel für die sich in Deutschland, im Gegensatz zu Polen entwickelnde Neigung, beinahe alle Ideen des Gesetzgebers überprüfen zu lassen und damit zu juridifizieren. Wenn das Verfassungsgericht einmal entscheidet, dann hat das Urteil die Kraft eines quasi-Präzedenzfalles und nur das Verfassungsgericht kann es wieder ändern, während sich die politischen Entscheidungen im Parlament mit den Mehrheitsverhältnissen leichter ändern lassen. Aus der polnischen Sicht könnte man sich ein so starkes Gericht wünschen. Das nächste Kapitel zählt die Gründe dafür auf. Die Bekräftigung der Position des BVerfG von einem „negativen Gesetzgeber“ zu einem „positiven Gesetzgeber“ sui generis hat noch eine Kehrseite. 228 https: / / netzpolitik.org / 2016 / eilantraege-abgelehnt-vorratsdatenspeicherunghat-erheblichen-einschuechterungseffekt-bleibt-aber-vorerst-in-kraft / (Zugang: 19.8. 2016). 229 Dirk Heckmann, in: Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.); Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 2011, S. 899. 230 Heinrich Amadeus Wolff, Vorratsdatenspeicherung – Der Gesetzgeber gefangen zwischen Europarecht und Verfassung?, NVwZ 2010, S. 751.
208
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Das BVerfG gibt Vorgaben, denen sich kein Parlament in Deutschland widersetzen wird. Bei der Frage der Überwachungsmaßnahmen in der heutigen Situation der allgegenwärtigen Befürchtungen vor Kriminalität und Terrorismus besteht die Gefahr, dass in der Gesellschaft mit einfachen Worten gesagt, die „Stimmung kippt“231 und die Vorgaben für zu weitgehend empfunden werden? Wäre dann die Legitimation des Volkes gegenüber den allgemeingeltenden Urteilen des BVerfG stärker? Schließlich meint der Soziologe Ulrich Beck, dass die Bürger nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sich nach „mehr Staat“ sehen, der die beste Garantie der Sicherheit sei.232 Es bleibt noch die Frage des Einflusses der Karlsruher Rechtsprechung auf die späteren Entscheidungen vor allem des EuGH, aber auch des polnischen VerfGH. Auf der Ebene der höchsten Gerichte herrscht die Atmosphäre des gegenseitigen Respekts, aber auch ein gewisses Wettrennen. Es lässt sich deswegen kaum sicher erkennen, dass das Urteil des EuGH, quasi nach einer Vorlage des BVerfG-Urteils ausgegangen ist. Den Einfluss bemisst man hier eher an nicht juristischen Indizien. Wie etwa, dass der Berichterstatter bei der EuGH-Entscheidung vom 8.4.2014 der von Deutschland entsandte Richter Thomas von Danwitz war. Im Text des Urteils klingt die deutsche Dogmatik an. Dies beweist nicht nur die starke Position des BVerfG in Europa sondern auch Dogmatik „made in Germany“, die zu einem Exportschlager wird, etwa auch nach Polen. Der VerfGH zitiert das BVerfG doch die entscheidenden Passagen der Urteile enthalten nie den Verweis auf Deutschland, doch die Ideen der informationellen Selbstbestimmung, des Schutzes durch Verfahren angesiedelt in der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind in der polnischen Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung präsent. Auf die VDS zu verzichten fällt den Diensten nicht leicht. Sie gibt den Entscheidungsträgern ein Gefühl, dass sie die Sicherheit gewährleisten können, weil die technischen Voraussetzungen das ganze Spektrum der Kommunikation abdeckt. Dieses Gefühl täuscht, denn es fehlt immer noch an den komplett zuverlässigen Auswertungsmechanismen. Damit können manche Gefahren untertauchen und harmlose Tätigkeiten unter behördliche Lupe genommen werden.233 Wiederum zeigt das Beispiel des Falles Wróblewski, wie die Vorratsdatenspeicherung auf eine unangemessene Weise verwendet werden kann. Die Strafverfolgungsbehörden haben es zwar gut gemeint – sie 231 Worte von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei einer öffentlichen Veranstaltung an der Universität Bayreuth am 20.6.2016. 232 Ulrich Beck, Władza i przeciwwładza, w epoce globalnej, Warszawa 2014, S. 33, Original: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt am Main, 2002. 233 Interview mit dem ehemaligen NSA Führungskraft William Binney, https: / / www.youtube.com / watch?v=3owk7vEEOvs (Zugang: 9.9.2016).
III. Deutsche Rechtsprechung aus Sicht des polnischen Verfassungsrechts209
wollten die Missstände in eigenen Reihen ausfindig machen, sie wählten aber eine Methode dafür, die zwar leicht erhältlich doch zu eingriffsintensiv war. Ob sie die Schuldigen gefunden haben ist nicht bekannt, doch das Antasten des journalistischen Quellenschutzes wurde gerichtlich festgestellt.
III. Die Kraft der deutschen Rechtsprechung aus der Perspektive des polnischen Verfassungsrechts Bevor die Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichts besprochen wird, ist es angebracht einen Blick auf die Position des negativen Gesetzgebers in Polen zu werfen um die rechtlichen und faktischen Aspekte des Grundrechtsschutzes dort besser zu veranschaulichen, damit der Umfang und die Richtung der Entscheidungen des VerfGH nachvollziehbarer werden. 1. Ein paar Punkte aus der Geschichte des Grundrechtsschutzes in Polen Unter den sozialistischen Staaten war Polen einer der Vorreiter, wenn es um den Grundrechtsschutz geht. Wegen der allmählich schwächelnden Position der Regierung in der VRP wurden Kompromisse zwischen dem Prinzip der Einheitlichkeit der Staatsgewalt und der unabhängigen Überprüfung der Staatstätigkeit möglich.234 1980 wurde das Hauptverwaltungsgericht ins Leben gerufen, als Institution die im begrenzten Ausmaß die Tätigkeit der Staatsverwaltung am Maßstab der Rechtsmäßigkeit überprüfen konnte. Damit war Polen der einzige Staat im Einflussbereich der Sowjetunion mit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, einer Idee die sich gegen das kommunistische Ideal setzte, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine „reaktionäre Institution, für die in einem sozialistischen Staat, der der Gerechtigkeit des Volkes und seinem guten Willen voll vertraut, kein Platz ist“.235 Der nächste Schritt war die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit 1985. Wiederum ist damit eine „systemfremde“ Institution entstanden. Die sozialistischen Grundrechte waren als Leistungsrechte nicht justiziabel, ihre Abwehrdimension wurde von der marxistischen Rechtslehre verneint. Der Kompromiss war aber unvermeidlich. Die Partei verlor an Durchsetzungskraft und selbst in ihren Reihen fanden sich Befürworter der Stärkung der Justiz. Die Partei nahm diese Einbuße ihrer Macht in Kauf. Damit wurde die 234 Lech Garlicki, Vier Jahre der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, JöR 1990, S. 286 ff.; Mirosław Wyrzykowski, Die Problematik der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach der Novellierung Verwaltungsgesetzbuches in der VRP, AöR 1981, S. 93 ff. 235 Stefan Rozmaryn, Kontrola konstytucyjności ustaw, PiP 1948, Nr. 12, S. 20.
210
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Kompromissbereitschaft gegenüber der Opposition signalisiert, doch von der Abgabe der politischen Führung war damals noch keine Rede. Deswegen war das neue Gericht von Anfang an schwach aufgestellt. Seine Entscheidungen über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen galten allgemein doch unter der Vorbehalt, dass das Parlament sie nicht mit 2 / 3 Mehrheit überstimmte, damit sicherte sich die Partei den Primat des von ihr dominierten Parlaments. Individuale Verfassungsbeschwerden wurden auch nach dem Machtwechsel bis 1997 nicht vorgesehen, ihre Funktion wurde durch das Verfahren der Rechtsfragen und abstrakte Normenkontrolle durch unterschiedliche Subjekte und verschiedene Arten der Verbandsverfassungsbeschwerden ersetzt. Die nächste Zäsur war das Jahr 1987, als das Amt des Bürgerrechtsbeauftragen ins Leben gerufen wurde. Die als Fassadeinstitution236 gedachte Einrichtung hat sich aber erfolgreich ins System der Rechtsschutzbehörden in Polen integriert, und ihre Amtswalter haben die nicht hoheitlichen sondern lediglich Prüfungskompetenzen kreativ und zu Gunsten des Grundrechtsschutzes angewendet.237 Wohl die wichtigste Befugnis des Ombudsmanns war und ist immer noch die Möglichkeit der Einleitung einer abstrakten Normenkontrolle vor dem Verfassungsgericht. Im Kontext der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen in Polen ist es wichtig zu erwähnen, denn bisher alle wichtigsten Rügen des VerfGH ergingen in diesem Verfahren. Die Rechtsschutzorgane in der Volksrepublik Polen waren eher als „Jammerstellen“ von der Gesellschaft vorgesehen. Die mangelnde Erfahrung mit dem fundierten Grundrechtschutz und geringem Grundrechtsbewusstsein haben eine Welle von Beschwerden verursacht, in den sich die Bürger auf verschiedene Arten des ihrer Meinung nach Unrechts beklagten, wobei ihre Erwartung war, dass die Behörden ihnen Recht geben und sofort die angeblichen Verursacher, seien es staatliche oder private, mit der ganzen Strenge bestrafen. Die Enttäuschung vieler war groß, wenn die neuen Gerichte und der Ombudsmann nach dem Rechtsmäßigkeitsprinzip verfuhren und nicht dem Gerechtigkeitsgefühl des Bürgers oder des Amtswalters entsprechend. Dies war das Maß des Grundrechtsverständnisses der Bevölkerung damals. Bei vielen der ersten Grundrechtssachen ging es lediglich um die Leistungen, die aus unterschiedlichen Gründen verwehrt wurden. Die Menschen sahen aber es nicht nötig ihre klassischen Grundfreiheiten durch die keimende Abwehrdimension der Grundrechte zu verteidigen, sondern beriefen sich auf die angebliche Macht des Amtswalters. Darüber hinaus, etwa wenn es um die einfachen Eingriffe in die Freiheiten des Bürgers durch Polizeimaßnahmen ging, herrschte die alte sozialistische Überzeugung, dass derjenige, der die 236 Ewa
Łętowska, Jak zaczynał Rzecznik Praw Obywatelskich, Łódź 1992, S. 12. Muszyński, Die polnische Bürgerrechtsbeauftragte. Wie das Amt seine Bedeutung erhielt, JöR 2016, S. 219 ff. 237 Jan
III. Deutsche Rechtsprechung aus Sicht des polnischen Verfassungsrechts211
Gesellschaftsordnung stört, des Grundrechtsschutzes nicht würdig ist und mit aller Härte bestraft werden soll. Nach dem Machtwechsel 1989–1990 wurde die Lage noch interessanter. Die Opposition wurde zur Regierung und damit zum eventuellen „Störer“ der Grundrechte. Die Gerichte und der Ombudsmann verfuhren aber nach dem Muster der Rechtmäßigkeit, unabhängig davon wer an der Macht war, was oft auf das Missverständnis der neuen politischen Klasse stieß.238 Allmählich sind die ehemaligen Oppositionellen aus den Rollen der von der Staatsgewalt Geschädigten herausgewachsen und nahmen auch in den Sicherheitsstrukturen ihren Platz ein. Doch mit dem sozialistischen Grundrechtsvorverständnis waren die Rechtsstaatsreformen besonders im delikaten Bereich des Sicherheitsrechts, wo Effizienz verlangt wird und die zwei essentielle Werte Sicherheit und Freiheit besonders hart aufeinander prallen, schwer durchzuführen. Plötzlich wurden die Rechtsschutzbehörden mit ihren Kompetenzen zur Gesetzüberprüfung und Verwaltungskontrolle von Verbündeten zu Widersachern im Kampf um einen sicheren Staat. Die legizentrische Einstellung vom ehemaligen System ist geblieben und spiegelt sich nun in der Ausgestaltung des Verfahrens vor dem VerfGH wider.239 2. Verfassungsbeschwerde In dieser Atmosphäre etablierte sich die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Einstellung der Politik seit der „Wende“ brachte die ehemalige Ombudsfrau und Verfassungsrichterin Ewa Łętowska auf dem Punkt, „die Politiker denken, dass wir im Verfassungsgericht ‚ihre‘ Gesetze kippen“.240 Dies zeigt die fast persönliche Abneigung gegenüber dem negativen Gesetzgeber und den Mangel am Verständnis für den Verfassungsrechtsdiskurs.241 Dementsprechend war die Politik nie wirklich interessiert die Kompetenzen und damit die Position vor allem des VerfGH zu stärken. Nach der Verfassung von 1997 (Art. 188 Abs. 1 und 2 PolVerf) entscheidet der VerfGH u. a. über die Vereinbarkeit der Gesetze und der völkerrecht 238 Izabela
Malinowska, Ochrona praw i wolności, Warszawa 2009, S. 346. Garlicki, Vier Jahre der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, JöR 1990, S. 286; Hubert Izdebski, Konstytucjonalizm – legi centryzm – ustawowy nihilizm prawny, o powołaniu naszych czasów do nauki konstytucji, PiP 6 / 2016 S. 5 ff. 240 Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, Warszawa 2012, S. 287. 241 Hubert Izdebski, Konstytucjonalizm, Konstytucjonalizm – legi centryzm – ustawowy nihilizm prawny, o powołaniu naszych czasów do nauki konstytucji, PiP 6 / 2016, S. 6–7; Izabela Malinowska, Ochrona praw i wolności, Warszawa 2009, S. 343–348. 239 Lech
212
B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
lichen Verträge mit der Verfassung und die Vereinbarkeit der Gesetze mit den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen. Die Prozessfähigkeit vor dem VerfGH steht lediglich den Subjekten aus dem Katalog des Art. 191 PolVerf zu. Eine abstrakte Normenkontrolle beim Verfassungsgerichtshof können also der Staatspräsident, der Sejm- und Senatvorsitzende, der Premierminister, fünfzig Sejmabgeordnete, dreißig Senatoren, der Erste Präsident des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, der Generalstaatsanwalt, der Präsident der Obersten Kontrollkammer, der Beauftragte für Bürgerrechte sowie der Landesrat für Gerichtswesen einleiten. Die konkrete Normenkontrolle dagegen die Entscheidungsorgane der Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung, die Landesorgane der Gewerkschaften und landesweite Führungsorgane der Arbeitgeberorganisationen und der Berufsorganisationen, Kirchen und andere Religionsgemeinschaften. Zusätzlich kann jedes Gericht dem VerfGH eine Rechtsfrage bezüglich der Vereinbarkeit eines Normativaktes mit der Verfassung, den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen oder dem Gesetz vorlegen, wenn von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung einer beim Gericht anhängigen Sache abhängig ist. Darüber hinaus kennt Art. 79 PolVerf die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde für den Einzelnen. Danach kann jedermann, dessen verfassungsmäßige Freiheiten oder Rechte verletzt worden sind, eine Beschwerde beim VerfGH einlegen und die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder eines anderen normativen Aktes, auf dessen Grundlage ein Gericht oder ein Organ der öffentlichen Verwaltung endgültig über seine in der Verfassung bestimmten Freiheiten, Rechte oder Pflichten entschieden hat, beantragen. Die polnische Verfassungsbeschwerde hat also eine äußerst geringe Reichweite im Vergleich zur deutschen. Vor allem ist sie weit entfernt vom Konzept der Actio Popularis. Ihre Subsidiarität wird eng verstanden. Der VerfGH hat keine Möglichkeit einer Beschwerdeprüfung, wenn sie nicht eine konkrete Verletzung der Grundrechte durch einen Normativakt rügt. Dabei ist erstens die Erschöpfung des Rechtsweges von Bedeutung. Das Verfahren vor dem VerfGH sieht eine entsprechende Maßnahme wie § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG nicht vor. Es hat eine ausschlaggebende Bedeutung bei der Überprüfung der Überwachungsmaßnahmen. Angesichts der Tatsache, dass im polnischen Polizei- und Strafverfahrensrecht keine Informationspflichten gegenüber dem Betroffenen bestehen, gibt es keine Möglichkeit den Rechtsweg zu bestreiten und die Verletzung seiner Rechte zu belegen. Nur am Rande kann man anmerken, dass eine solche Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorschriften mit der in Polen tief verankerten linguistisch basierten Auslegung in Verbindung steht. Wenn ein Gesetzestext keine explizite Regelung trifft wird a contrario angenommen, dass der Gesetzgeber eine Norm nicht schaffen wollte. Diese Auslegung fetischisiert das Prinzip „interpretatio cesat in cla-
III. Deutsche Rechtsprechung aus Sicht des polnischen Verfassungsrechts213
ris“ und vernachlässigt die systematische Auslegung sowie die teleologische.242 Zweitens kann der Kläger in der Verfassungsbeschwerde in Polen sich nur gegen eine Vorschrift zur Wehr setzen, die als Grundlage der endgültigen Entscheidung gedient hat, im Gegensatz zu Deutschland wo alle Akte der öffentlichen Gewalt der Jurisdiktion des BVerfG unterliegen. Drittens muss der Eingriff in sein Grundrecht „persönlich und aktuell“ sein, d. h. eine lediglich potentielle Verletzung reicht nicht, um die Beschwerde zu erheben.243 Der Kläger muss nachweisen, dass die endgültige Entscheidung verfassungswidrige Folgen hat und dass die Vorschrift, auf deren Grund die Entscheidung gefällt wurde, verfassungswidrig ist.244 Dementsprechend scheidet die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde bei einer geheimen Überwachung, in Polen ohne Informationspflicht, aus. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde beträgt drei Monate von der rechtskräftigen, endgültigen Entscheidung. Es besteht außerdem Anwaltspflicht. Wegen der hohen formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen bei der Verfassungsbeschwerde in Polen ist sie ein äußerst selten verwendetes Mittel. 2014 gab es am VerfGH 375 eingegangene Anträge dieser Art, davon wurden 44 meritorisch vom Gericht geprüft und lediglich 22 Sachen wurden mit einem Urteil beendet. Weitgehend größere Bedeutung hat aber die abstrakte Normenkontrolle, die durch oben genannte Organe eingeleitet werden können. 2014 waren das 75 Fälle, davon 37 durch Urteile entschieden.245 Die Rechtsfragen der Gerichte haben eine marginale Bedeutung, was oft bedauert wird.246 Deswegen konnte sich die Verfassungsbeschwerde nicht zu einem „Normenkontrollanspruch des Bürgers“247 etablieren. Dennoch meint Włodzimierz Wróbel, trotz des engen Modells der Verfassungsbeschwerde habe der VerfGH eine Doktrin der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten des Einzelnen entwickeln und festigen können. Das seiner Meinung nach größte Problem sei jedoch die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer kein unmittelbarer Schutz hinsichtlich seiner Rechte oder 242 Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, Warszawa 2012, S. 165. 243 Ryszard Małajny, Polskie prawo konstytucyjne na tle prawnoporównawczym, Warszawa 2013, § 41 Pkt. 3. 244 Urteil des VerfGH vom 15.10.2002, Az.: SK 6 / 02. 245 Dynamika liczby spraw w Trybunale Konstytucyjnym w latach 1998–2014, http: / / trybunal.gov.pl / fileadmin / content / dokumenty / ds.pdf (Zugang: 15.9.2016). 246 Ewa Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, Warszawa 2012, S. 166. 247 Vgl.: Oliver Lepsius, Entscheiden durch Maßstabbildung, in: Robert van Ooyen, Martin Möllers (Hrsg.), Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, Wiesbaden 2015, S. 119.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Freiheiten durch den VerfGH gewährleistet werden kann. Die Entscheidung des VerfGH verursacht lediglich die Streichung der verfassungswidrigen Vorschrift aus dem Normativakt. Es gibt dem Einzelnen dann die Möglichkeit für die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Organ oder Gericht der ersten Instanz248. Nicht nur die Maßstäbe, die in Warschau gesetzt werden, haben eine viel schwächere Bedeutung, auch die Bindungskraft der Urteile wirkt anders als in Deutschland. Dagegen hat die abstrakte Normenkontrolle eine grundlegende Bedeutung für den Grundrechtsschutz in Polen. Der Kreis der Subjekte, die sie einleiten können, ist breiter als in Deutschland. Hinzu kommt die charakteristische Position des Ombudsmannes im polnischen Verfassungssystem, der oft eine filternde Rolle für die Beschwerden gegen mutmaßliche rechtswidrige Grundrechtsangriffe hat. Das unkomplizierte Verfahren vor dem Ombudsmann ermöglicht jedem, der sich im Herrschaftsbereich der Republik Polen befindet eine Beschwerde einzulegen. Der Bürgerrechtsbeauftragte prüft danach die gerügten Grundrechtsverletzungen. Stellt er eine Verletzung fest, stehen ihm lediglich nichthoheitliche Maßnahmen zu. Doch das Anprangern einer Verletzung durch den Ombudsmann bedeutet in Polen viel und zwingt die grundrechtsverletzenden Subjekte zu einer Stellungnahme. Der Ombudsmann kann auch das Verfahren zur abstrakten Normenkontrolle einleiten, wenn festgestellt wird, dass eine Grundrechtsverletzung nicht an der Auslegungspraxis liegt sondern an der verfassungswidrigen Norm an sich. Bisher sind fast alle Verfahren, die die geheime Überwachung betrafen, vom Ombudsmann alleine oder gemeinsam mit anderen Organen eingeleitet worden. Angesichts des beschränkten Zugangs zur Verfassungsbeschwerde nimmt der Ombudsmann eine primäre Rolle bei den Rügen der verfassungswidrigen Normen ein.249 3. Entscheidungen des VerfGH Im Rahmen von abstrakten Normenkontrollen oder Verfassungsbeschwerden ist die Entscheidungspraxis des VerfGH zurückhaltender als die des BVerfG.250 Das liegt vor allem an der engen Auslegung des Beschwerdegegenstands. Der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine Vorschrift, 248 Włodzimierz Wróbel, Skarga konstytucyjna – problemy do rozwiązania, in: Marek Zubik (Hrsg.), Księga XX-lecia Trybunału Konstytucyjnego, S. 77. 249 Jan Muszyński, Die polnische Bürgerrechtsbeauftragte. Wie das Amt seine Bedeutung erhielt, JöR 2016, S. 224. 250 Barbara Nita-Światłowska, Kto strzeże konstytucji w Niemczech, http: / / www. rp.pl / Rzecz-o-prawie / 301129897-Kto-strzeze-konstytucji-w-Niemczech.html (Zugang: 16.9.2016).
III. Deutsche Rechtsprechung aus Sicht des polnischen Verfassungsrechts215
auf deren Grund ein rechtkräftiger Einzelakt erlassen wurde (Urteil oder andere endgültige Entscheidung). Eine bloß verfassungswidrige Anwendung und Auslegung eines Normativakts kann daher nicht geltend gemacht werden.251 Der Verwurf muss formalistisch formuliert werden: er muss die genaue Angabe der Vorschrift, die gerügt werden soll und die genauen Gründe für die Grundrechtsverletzung enthalten. Der VerfGH kann nur auf Grund der in der Klage erwähnten Grundrechte entscheiden und nur zu den dort erwähnten Vorschriften (ne ultra petitia). Eine ähnliche Regelung zu § 78 S. 2 BVerfGG kennt das polnische Verfahren nicht. Das Gericht kann nicht zu sämtlichen Fragen Stellung nehmen. Es ist durch die Klagegrenzen gebunden, d. h. seine Entscheidung muss in enger Korrelation mit der Beschwerde oder mit dem Antrag stehen. Es wird nur dazu entschieden, was der Kläger oder Antragsteller hervorhebt.252 Das Verfassungsgericht überprüft zwar die beanstandeten Vorschriften im gesamten Kontext der Verfassung, doch im Tenor gibt nur diese Kontrollmustern (Grundrechtsnormen) an die vom Kläger oder Antragssteller angegeben wurden.253 Dies erfolgt, weil nur der Tenor des Urteils rechtsbindend ist. Der VerfGH soll die verfassungswidrigen Normen aus dem Rechtssystem entfernen und nicht theoretische Probleme lösen.254 Dieses enge Verständnis weist den VerfGH in die strengen Bahnen des kelseanischen Modells des Verfassungsgerichts und bestimmt seine Position. Der VerfGH hat eigentlich nie wirklich versucht, sich davon zu lösen. Die Politik benutzt diese Stellung gnadenlos bei der Umsetzung der Urteile des Gerichts. Oft wird lediglich der Tenor der Entscheidungen mit einer willkürlichen Anlehnung an die Erwägungsgründe bei der Umsetzung berücksichtigt. Ein gutes Beispiel dafür war die nachfolgend besprochene Umsetzung der Entscheidung zum Polizeigesetz vom 2014. 4. Nur der Tenor bindet Die Urteilsbegründung hat keine rechtliche Bindungskraft. Sie solle vor allem die Rationalität und Richtigkeit der Entscheidung belegen, dementsprechend erkläre sie das Ratio Decidendi und die Entscheidung könnte unter 251 Tanja Diemer-Benedict, Die Grundrechte in der neuen polnischen Verfassung, ZaöRV 1998, S. 233. 252 Andrzej Mączyński, Orzeczenia Trybunału Konstytucyjnego, in: Marek Zubik (Hrsg.), Księga XX-lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, Warszawa 2006, S. 93. 253 Andrzej Mączyński, Orzeczenia Trybunału Konstytucyjnego, in: Marek Zubik (Hrsg.), Księga XX-lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, S. 95. 254 Ibidem; Jerzy Oniszczuk, Konstytucja RP orzecznictwie Trybunału Konstytucyjnego na początku XXI w., Kraków 2004, S 175.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Umständen als ihre „Ergänzung“ dienen.255 Im Kontext der Kontroversen in Deutschland bezüglich der verfassungsfreundlichen Auslegung und ihrer quasi gesetzgeberischen Bedeutung könnte man anmerken, dass dieses Pro blem auch in Polen besteht, doch eine etwas andere Bedeutung enthält. Die sog. Bereichsurteile (Wyrok zakresowy) des VerfGH, die lediglich ein bestimmtes Verständnis einer beanstandeten Vorschrift rügen, ändern nach der unbestrittenen Meinung in Polen den normativen Inhalt der Norm. Folge solches Urteils ist der Teilverlust der Bindungskraft der Vorschrift, die auf dem Ausschluss seiner Anwendung in dem im Urteil gerügten Umfang besteht. Nach der herrschenden Meinung sei die Gesetzesänderung danach nicht notwendig, jedoch zweckmäßig.256 Für den nach politischen Konjunkturen, oft irrational agierenden Gesetzgeber sind die „Bereichsurteile“ eine gewisse Rechtfertigung einer ausbleibenden Urteilsumsetzung. Die These, dass lediglich der Tenor des Urteils bindend sei, wird oft auf die „Bereichsurteile“ ausgestreckt, damit sie nicht umgesetzt werden müssen. Das war der Fall bei der Novelle des Polizeigesetzes vom Januar 2016. Der Gesetzgeber nutzte die zum einen nicht hart und klar genug formulierten Argumente des Verfassungsgerichts im Urteil vom 30.7.2014 und beschränkte sich auf die Umsetzung des Tenors und hat sich aus der Urteilsbegründung lediglich die mit seiner Linie übereinstimmenden Argumente angeeignet. Das stieß auf den Protest des VerfGH, der jedoch vom Gesetzgeber ignoriert wurde.257 Die nachlässigen Umsetzungen der Urteile des VerfGH sind aber besonders im Bereich des Überwachungsrechts nicht nur eine Spezialität des seit Herbst 2015 amtierenden Parlaments. Der Signalisierungsbeschluss des VerfGH vom 25.1.2005 S 2 / 06 zu Informationspflichten wurde von keinem Parlament seither ungesetzt. Die Chance dafür bestand für fünf Parlamente mit verschiedensten politischen Zusammensetzungen. Darüber hinaus kommt die in Deutschland denkbare Lösung, dass das BVerfG eine eigene Regelung trifft, falls der Gesetzgeber die vom Gericht eingeräumte Frist zur Neuregelung eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht einhält,258 de lege lata in Polen nicht in Frage.
255 Beschluss
des VerfGH vom 21.3.2000, Az.: K 4 / 99. Mączyński, Orzeczenia Trybunału Konstytucyjnego, in: Marek Zubik (Hrsg.), Księga XX-lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, S. 94. 257 Meldung des VerfGH http: / / trybunal.gov.pl / uploads / media / Komunikat_BTK_ w_zwiazku_z_nowela_ustawy_o_Policji.pdf (Zugang: 16.9.2016). 258 Gabriele Britz, Das Verhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, JURA 4 / 2015, S. 320. 256 Andrzej
III. Deutsche Rechtsprechung aus Sicht des polnischen Verfassungsrechts217
5. Grundrechtsdogmatik als Problem für den Grundrechtsschutz Lediglich am Rand gilt es hier an den zersplitterten Grundrechtskatalog der polnischen Verfassung zu erinnern.259 Der Katalog ist umfangreich und überlappt sich an einigen Stellen, was die klare Formulierung der Grundrechtsvorwürfe oft erschwert oder auf eine unnötige Art und Weise erweitert. Etwa operiert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 51 PolVerf) mit verschiedenen und oft widersprüchlichen Gesetzesvorbehalten was die Auslegung Einschränkungen diese Grundrechts erschwert. Es fehlt dabei an klaren Gesetzesvorbehalten wie im GG. Es existiert auch kein Zitiergebot. Die Grundrechtsdogmatik wird in Polen oft unterschätzt. In der Gerichtspraxis gilt ein Grundrechtsbezug oft als Argumentationsarmut, weil die allgemein formulierten Grundrechte zwar allgemeinbindende Kraft aufweisen, doch oft nicht so handfest wie gesetzesbasierte Argumentation zu sein scheinen.260 Dabei zeichnet sich wiederum der Legizentrismus aus. Im Umgang mit der Grundrechtsargumentation ist auch der unbestimmte Aufbau der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Nachteil. Die Gesetzesvorbehalte (Schranken) der einzelnen Grundrechte stoßen zusätzlich auf die Bestimmungen des Art. 31 Abs. 3 PolVerf, der noch mal die Schranken enthält, was zur Verwirrung führt. Besonders sichtbar ist dieses Problem am Beispiel der Einschränkungen der Staatlichen Überwachung – Art. 47, 49, 50 und 51 PolVerf. Etwa das Recht auf Privatheit aus Art. 47 PolVerf sieht keine Einschränkungsmöglichkeiten vor. Dagegen kann das Telekommunikationsgeheimnis aus Art. 49 PolVerf nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in einer gesetzlich bestimmten Form eingeschränkt werden. Art. 51 Abs. 2 sieht ein generelles Verbot der Beschaffung der Informationen über Staatsbürger durch die öffentliche Gewalt unter dem Vorbehalt, dass dies in einem demokratischen Rechtsstaat unentbehrlich ist. Darüber schwebt noch die Regelung Art. 31 Abs. 3 PolVerf wonach alle Grundrechte nach in einem demokratischen Staat wegen seiner Sicherheit oder öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Umwelt, Gesundheit, der öffentlichen Moral oder der Freiheiten und Rechte anderer Personen notwendig Gesetz beschränkt werden dürfen. Bei der Prüfung stößt man auf die verschiedenen Schranken was die Markierung der Grundrechtsgehalte erschwert. Dazu kommt noch das Problem, dass eigentlich jede Art der staatlichen Überwachung die Privatheit beeinträchtigt, die eigentlich keine Einschränkung vorsieht. Es stellt sich ständig die Frage mit welchen Schranken soll am gegebenen Beispiel gearbeitet werden? Mit den aus der konkreten Vorschrift oder aus der allgemeinen Regelung des Art. 31 Abs. 3 PolVerf? 259 Er
wurde genauer im zweiten Teil dieser Arbeit erörtert. Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, S. 141.
260 Ewa
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Die differenzierten Schranken der Grundrechte des GG, die auch abstrakter formuliert wurden, vermisst man in der polnischen Verfassung. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip greift deswegen in Polen zu kurz wegen seiner zu weitgehenden Detaillierung und erschwert die Versuche, ein Prüfungsschema zu entwickeln. Die Beliebigkeit des Umgangs mit den Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung und die unbegründete Behauptung, dass sie lediglich den Gesetzgeber betrifft, schaden dem fundierten Grundrechtsdiskurs in Polen.261 Am Rande kann angemerkt werden, dass Art. 31 Abs. 3 PolVerf auch die Wesensgehaltsgarantie erwähnt, die eigentlich eine separate Vorschrift verdient. Selbst der VerfGH beruft sich lieber in seinen Entscheidungen auf die „Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates“, als auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dabei übersieht er das Potential dieses juristischen Werkzeugs, das zu abstrakten Ergebnissen führt, die auch in Zukunft praktikabel sind, statt einen Katalog der Prinzipien zu schaffen und sich als deren „Walter“ zu kreieren. Dies wird oft von der Rechtswissenschaftslehre in Polen kritisiert.262 Die hier angesprochenen Themen könnten gewiss umfangreichen Stoff zur weiteren Untersuchung liefern, doch an dieser Stelle gilt es lediglich die Probleme zu erwähnen, damit die Urteile des VerfGH in einem entsprechenden Licht gezeigt werden und dem deutschen Leser die Gundrechtsschutzlandschaft in Polen nähergebracht wird. 6. Zwischenergebnis Der VerfGH in Polen war zwar das erste Verfassungsgericht im Ostblock, doch konnte er nie eine selbst annähernd so starke Position wie das BVerfG entwickeln, geschweige die Möglichkeit „politische Kämpfe“ zu gewinnen, wie es dem BVerfG zu seinen Gunsten besonders in der 70-er Jahren gelang. In Polen, ist der VerfGH in Konfrontation mit der Exekutive und der meistens mit ihr eng verbündeten Legislative in einer prinzipiell schwächeren Position. Schuld dafür trägt hauptsächlich die Politik, der ein schwacher negativer Gesetzgeber bequem ist, weil er ihre Pläne nicht durchkreuzen kann. Sowohl die durch Verfassung als auch durch das Verfahren bestimmte Position des VerfGH ist gar nicht angriffsresistent, was die Spannungen um das Gericht seit 2015 gezeigt haben. Es liegt auch an der legizentristischen Einstellung, die schon aus dem ehemaligen sozialistischen System in Polen herrührt und an die demokratischen Bedingungen gut angepasst wurde durch 261 Ewa
Łętowska, Rzeźbienie państwa prawa 20 lat później, S. 128. Adam Sulikowski, Trybunał Konstytucyjny a polityczność. O konsekwencjach upadku pewnego mitu PiP 4 / 2016, S. 5–14 und die dort erwähnte Literatur. 262 Stellvertretend:
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 219
das schlechte Grundrechtsbewusstsein der Politiker und der Gesellschaft. Freilich sind die Entscheidungen des Gerichts wie in Deutschland auf die Akzeptanz des Parlaments angewiesen. Weder rechtlich, noch faktisch gelang es dem Gericht, seine Maßstäbe dem Gesetzgeber aufzudrängen. Das Gericht selbst hat nie versucht, seine Position zu bekräftigen, weder rechtlich noch faktisch oder medial. Daraus resultiert, dass das Verfassungsgericht vielen polnischen Bürgerinnen und Bürgern gleichgültig ist, weil sie nicht genau wissen welche Bedeutung es für den Einzelnen hat.263 In der breiten und politisch ungebildeten polnischen Öffentlichkeit wird eher „Strasbourg“ als Grundrechtshüter gesehen als der VerfGH. Dennoch ist der VerfGH eine der führenden Kräfte wenn es um Grundrechtschutz und seine Entwicklung geht, selbst wenn er seine Position immer vor der Politik bekräftigen muss. Seine Urteile haben der Gesellschaft nämlich in vielen Grundrechtsangelegenheiten die Augen geöffnet, was z. B. an dem neusten Urteil zu Überwachungsmaßnahmen sichtbar ist. Diese Arbeit strebt aber keine genaue Untersuchung der Unterschiede zwischen der polnischen und deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit an, auch wenn jedoch in einem für die Besprechung der Besonderheiten bei Informationsgewinnung aus den vernetzten IT-Systeme in Polen und in Deutschland notwendigem Umfang zu berücksichtigen sind.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes zur staatlichen Überwachung und zum Datenschutz gegen staatliche Eingriffe in Polen Die Lage de lege lata zur staatlichen Telekommunikationsüberwachung in der Republik Polen könnte man als diffizil bezeichnen. Die Unzulänglichkeit des Systems besteht aus vielen Faktoren, welche schon öfter vom VerfGH kritisiert wurden. Der „Sündenfall“ des polnischen Systems besteht vor allem in der Verankerung in der nicht mehr aktuellen Einteilung der Maßnahmen der polizeilichen Arbeit, die als Unterscheidungskriterium nicht die Eingriffsintensität, sondern verwaltungstechnische Bestimmungen heranzieht. Mit anderen Worten könnte man sagen, dass die Bemessung und Unterteilung der polizeilichen Überwachungsmaßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fehlt. Anstelle dessen existiert eine starre, nicht mehr zeitgemäße Klassifikation nach den Zielen und Aufgaben, die den grundrechtlichen Gesichtspunkt de facto ausblendet.
263 Izabela
Malinowska, Ochrona praw i wolności, Warszawa 2009, S. 329–361.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Seit 1989 können zwei Tendenzen bei der bereits beschriebenen Operations- und Erkennungstätigkeit beobachtet werden: Zum einen ist dies die Inkorporation der verschiedenen modernen Methoden der Überwachung, zum anderen die Erweiterung ihrer Anwendungsmöglichkeit auf zahlreiche (mittlerweile neun) Dienste, deren Aufgaben sich oft überlappen.264 In der polnischen Rechtssprache wurden die in Deutschland bekannten, relativ eindeutig definierten und dogmatisch bearbeiteten Grundbegriffe des Polizeirechts wie etwa „der Eingriff“ oder „die Gefahr“ nicht definiert. Das gleiche gilt für die Bestimmung des Umfangs der „Prävention“ und „Repression“. Der Gesetzgeber bedient sich der Begriffe „Vorbeugung“,265 „Aufdeckung“,266 „Ermittlung der Täter“,267 „Beweisermittlung und Sicherung“,268 die weder von ihm selbst noch von der Literatur eindeutig definiert werden. Diese Begriffe sind zwar ausreichend für die Zweckbestimmung der Polizei, können allerdings bei den konkreten Befugnisnormen nicht ausreichen, was jedoch vom Gesetzgeber ignoriert wird.269 Darüber hinaus ist das einzige Kriterium, das bei der Klassifizierung der polizeilichen Überwachungsmethoden eine praktische Rolle spielt, ihre Verwendungsmöglichkeit im Strafprozess. Der Gesetzgeber scheint sich bei der Schaffung der Vorschriften zur staatlichen Überwachung an diesem Kriterium zu orientieren. Diese Besonderheit setzt den Schwerpunkt der Dogmatik des Polizei- und Strafprozessrechts auf die formellen Kriterien der Erlangung der Beweise, die sich für Zwecke des Strafprozesses eignen. Die Literatur konzentriert sich aus Gründen praktischer Relevanz vor allem auf den Faktor polizeilicher Tätigkeit und nicht auf jenen der Eingriffsintensität, welcher mit den Grundrechten korrespondiert. Die Aufteilung der polizeilichen Überwachungsmaßnahmen verläuft nicht graduell nach der Intensität des Angriffs, sondern dichotomisch nach dem Kriterium der direkten Verwendbarkeit im Prozess.
264 Wie das Innenministerium im Sommer 2016 soll auch der Sicherheitsdienst der polnischen Staatsbahn (PKP) die Befugnis bekommen, die Operations- und Erkennungstätigkeit durchzuführen. Welche Befugnisse hier genau gemeint sind ist allerdings noch unklar, da die Operations- und Erkennungstätigkeiten aus verschiedenen Methoden bestehen und nach wie vor keine Legaldefinition existiert.https: / / bip.kprm. gov.pl / kpr / form / r2339,Projekt-ustawy-o-Strazy-Ochrony-Kolei.html (Zugang: 17.9. 2016). 265 Poln.: Zapobieganie. 266 Poln.: Wykrycie. 267 Poln.: Ustalenie sprawców. 268 Poln.: Uzyskanie i utrwalenie dowodów. 269 Dobrosława Szumiło-Kulczycka, Czynności operacyjno-rozpoznawcze i ich relacje do procesu karnego, Warszawa 2012, S. 254.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 221
Diese Grundhaltung erschwert die grundrechtsorientierte Diskussion über dieses Thema und spiegelt sich auch in den Entscheidungen des VerfGH wider. Mangels dogmatisch klar definierter Begriffe verursacht das Abdriften der wissenschaftlichen und praktischen Diskussion zur polizeilichen Tätigkeit eine Vereinfachung dieser Thematik, welche mit populären Floskeln im publizistischen Diskurs vielleicht genügt, doch im wissenschaftlichen einen zu niedrigen Anspruch hat. Die Rechtsprechungslinie des VerfGH zur Überwachungstätigkeit der dazu berufenen Dienste lässt sich vor allem an drei Urteilen erkennen, die im Folgenden dargestellt werden. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts befassen sich mit den polizeilichen Maßnahmen aus der vertieften Grundrechtsperspektive. Diese Perspektive fehlt vor allem dem Gesetzgeber und der Verwaltung. Charakteristisch für die polnische Rechtsprechung ist, im Unterschied zur Rechtsprechung des BVerfG, ihre Initiierung durch die ab strakte Normenkontrolle. Die schon in den vorigen Teilen der Arbeit angesprochene Geschichte der Informationsgewinnung aus den internetgebundenen Tätigkeiten der Bürger wird im Folgenden aus der Perspektive der Urteile des Verfassungsgerichts dargestellt, welche einen Blick aus der Grundrechtsperspektive ermöglicht und die Probleme der Regelungen der Überwachungsmaßnahmen hervorhebt. 1. „Das erste Überwachungsurteil“ vom 12. Dezember 2005 (K 32 / 04) Am 27. Juli 2001 wurde eine umfangreiche Novelle des Polizeigesetzes in Polen verabschiedet.270 Der Hauptteil des Projekts wurde von der parlamentarischen Mehrheit der Regierung von Jerzy Buzek verabschiedet,271 unterstützt von anderen Splitterparteien der damaligen zu Ende gehenden Wahlperiode. Es regelte die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei, die Prozedur und die Verwertung deren Ergebnisse im Strafprozess. Die Regelungen sollten vor allem der Effektivität der Aufdeckung und Verfolgung der Straftaten dienen. Einen besonderen Akzent setzte man dabei auf die Korruptionsbekämpfung.272 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Urteil zu einem Gesetz erging, welches die Überwachungswerkzeuge der Polizei erweitert hatte und noch 270 Dz. U. 2001, Nr. 100, Pos. 1084. Ustawa z dnia 27 lipca 2001 r. o zmianie ustawy o Policji, ustawy o działalności ubezpieczeniowej, ustawy – Prawo bankowe, ustawy o samorządzie powiatowym oraz ustawy – Przepisy wprowadzające ustawy reformujące administrację publiczną. 271 Jerzy Buzek, (geb. 1940), von 1997 bis 2001 Ministerpräsident Polens und von 2009 bis 2012 Präsident des Europäischen Parlaments. 272 Adam Zadworny, Przestępcy pod bat, Gazeta Wyborcza vom 25.05.2001.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
vor dem 11. September 2001 verabschiedet worden war. Die terroristische Bedrohung wurde in der Gesetzesbegründung nicht thematisiert. Die Initiative, die Ermächtigung der Polizei zu stärken, wurde lediglich mit der erbärmlichen Lage der bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität anwendbaren Mittel, aber vor allem mit dem Ziel der Korruptionsbekämpfung, begründet.273 a) Argumentation des Ombudsmannes Die Operationskontrolle A.D. 2001 und die schon beschriebene A.D. 2016 sind verfahrenstechnisch gesehen ähnlich. Sie beruhen auf dem Konzept der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei. Es könnte verwundern, weshalb diese Idee an sich nie beanstandet wurde. Erst 2004 leitete der Bürgerrechtsbeauftragte (damals Andrzej Zoll274) das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gegen einige Vorschriften der Novelle aus 2001 ein. Seine Vorwürfe waren konkret, doch äußerst fragmentarisch. Es wurden nicht etwa die flexible Dauer der Überwachung oder der breite Katalog der Straftaten bei der Operationskontrolle beanstandet; ganz zu schweigen vom für die deutsche Grundrechtsdogmatik essentiellen Kernbereichsschutz, der in Polen nicht thematisiert wird. Der Antrag des Ombudsmannes konzentrierte sich auf einige Absätze der Art. 19 und 20 des novellierten PolizeiG (2001). Es ging um vier Probleme. Erstens weckte der Art. 19 Abs. 4 PolizeiG (a. F.) verfassungsrechtliche Bedenken beim Ombudsmann. Die Vorschrift relativierte die konkrete Gerichtsgenehmigung der Belauschung der Telekommunikation unter Angabe der konkreten Straftat. Generell ließ das Gesetz in den Fällen der höchsten Dringlichkeit es zu, von der ex-ante-Genehmigung abzusehen. Doch nach spätestens fünf Tagen musste sie ex post unter Angabe konkreter Gründe eingeholt werden. Auch im Falle einer fehlenden nachträglichen Genehmigung räumt Art. 19 Abs. 4 PolizeiG der Polizei bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die eine Durchsuchung rechtfertigen, die Möglichkeit ein, die auf diese Weise gewonnenen Materialien erneut gerichtlich genehmigen zu lassen. Die Vorschrift gab also der Polizei die Möglichkeit der faktisch anlasslosen Belauschung um herauszufinden, ob der Betroffene nicht doch eine Straftat begangen hat oder begehen will. Der Ombudsmann meinte, dass diese Verwendung der Materialien als Umgehung des Richtervorbehalts in einem Rechtsstaat unzulässig sei und keinen Beweis im Strafverfahren dar273 Gesetzesentwurfsbegründung, http: / / orka.sejm.gov.pl / Rejestrd.nsf / wgdruku / 2 012 / $file / 2012.pdf, (Zugang: 17.9.2016). 274 Andrzej Zoll, geb. 1942, Strafrechtsprofessor der Jagiellonen-Universität in Krakau, 1993–1997 Präsident der VerfGH, 2000–2006 Bürgerrechtsbeauftragter.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 223
stellen könne. Das verstieße gegen den Art. 7 (Rechtsmäßigkeitsprinzip) und Art. 51 Abs. 4 i. V. m. Art. 31 Abs. 3 PolVerf.275 Zweitens beanstandete der Ombudsmann Art. 19 Abs. 16 des Polizeigesetzes. Die Vorschrift regelte äußerst provisorisch die Informationspflicht der Polizei nach der Operationskontrolle. Sie sah lediglich die Benachrichtigung des Betroffenen und seines Verteidigers vor, wenn ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wird. In allen anderen Fällen bestand keine Informationspflicht seitens der Polizei. Nach Meinung des Bürgerrechtsbeauftragen ging diese enge Ausgestaltung der Informationspflicht zu weit. Sie stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Kommunikationsgeheimnis (Art. 49 PolVerf i. V. m. Art. 31 Abs. 3 PolVerf) dar. Darüber hinaus fügte der Ombudsmann auch den Art. 77 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 1 PolVerf, also das Grundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren als Kontrollmuster hinzu, denn die Vorschrift mache es unmöglich, die Rechtmäßigkeitskontrolle des Polizeieinsatzes durchzuführen. Drittens: auch Art. 19 Abs. 18 PolizeiG warf verfassungsrechtliche Bedenken auf. Nach der Vorschrift könnte die Polizei von der Genehmigung des Gerichts absehen, wenn der Absender oder der Adressat der Kommunikation (Brief, Telefonat oder elektronische Kommunikation) mit dem Abhören einverstanden wäre. Nach Ansicht des Ombudsmannes könne die Zustimmung einer Seite der Kommunikation zum Leerlaufen des Grundrechtschutzes des Brief- oder Kommunikationsgeheimnisses der anderen Person führen. Am Rande sei bemerkt, dass diese Vorschrift besonders zu Zwecken der Verfolgung der Korruption eingeführt wurde und die Solidarität zwischen den Beteiligten bei diesen Machenschaften brechen sollte. Selbst wenn die ratio legis der Vorschrift lobenswert ist, so könnte sie etwa die Kommunizierenden in Versuchung führen, sich gegenseitig in das Strafverfahren hineinzumanö vrieren und privaten Groll vor Gericht zu bringen. Die am Gespräch Beteiligten könnten sich gegenseitig provozieren um das Strafverfahren gegen den anderen zu lenken. Dass der Staat solche Provokationen sanktioniert, sei nicht nur verfassungswidrig, sondern auch moralisch tadelnswert. Dies gibt allerdings einen Einblick in die damalige Lage in Polen, in der machiavellistische Prinzipien vorrangig waren. Der Vorwurf des Bürgerrechtsbeauftragten bestand in der Unvereinbarkeit mit dem Kommunikationsgeheimnis. Der Kontrollmaßstab bei diesem Punkt war der Art. 47 i. V. m. Art. 31 Abs. 3 PolVerf. Viertens wendete sich der Ombudsmann gegen Art. 20 PolizeiG. Der Artikel sah die Schaffung einer Datenbank vor, die zu Zwecken dienen sollte, die als nicht ausreichend empfunden wurden. Die Regelung der Informationsge275 Urteil
Az.: K 32 / 04 Punkt I 1.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
winnung sah auch die Gewinnung materiell unbegrenzter Daten vor. Nach Art. 20 Abs. 19 PolizeiG wurde der Hauptkommandant der Polizei dazu verpflichtet, eine Anweisung zu erlassen, die die Gewinnung, Aufbewahrung und Verwendung der Daten regelt. Das Gesetz gab aber keine Angaben zu deren Inhalt. Nach dem Rechtsquellensystem in Polen sind die Anweisungen kein allgemein geltendes Recht, sondern lediglich ein interner Rechtsakt der Verwaltung und dürfen nicht die Grundrechtsmaterie regeln. Der Ombudsmann beanstandete die gesetzliche Delegation an ein Organ der Polizei, das diesen verpflichtet, einen Rechtsakt zu erlassen, dessen Gegenstand zur Gesetzesmaterie gehört. Daran anknüpfend hat der Ombudsmann die Verfassungsmäßigkeit der Anweisung des Hauptkommandanten der Polizei Nr. 6 vom 16 Mai 2002 in Frage gestellt. Seine Kritik richtete sich hier vor allem gegen die Möglichkeit der geheimen Aufbewahrung der thematisch unbegrenzten Informationen auf Vorrat zu im Gesetz nicht eindeutig bestimmten Zwecken. Die Kritik des Beauftragten für Bürgerrechte fokussierte sich auch hier auf die Frage nach der Notwendigkeit der Erfassung der so weitgehenden Daten in einem Rechtstaat. Das Gesetz sah weder Informationspflichten seitens der Polizei noch Prozeduren zur Löschung der Daten im Fall eines Freispruchs oder bei Einstellung des Strafverfahrens vor. Daraufhin beantragte der Ombudsmann die Kontrolle am Maß des Art. 51 Abs. 2 PolVerf. In Kenntnis der Rechtsprechung des BVerfG und der Grundrechtspraxis in Deutschland könnte man behaupten, dass die Beanstandungen des Ombudsmannes zurückhaltend waren. Er formulierte zu jedem Punkt ein bzw. zwei verfassungsrechtliche Vorwürfe. Diese waren zutreffend, gaben aber dem VerfGH keine Möglichkeit einer vertieften Kontrolle der Vorschriften. Das Gericht muss sich streng an die Grenze der Vorwürfe halten und darf nicht über sie hinausgehend entscheiden (ne ultra petitia). Doch selbst unter den polnischen Verfahrensbedingungen hätte der Überprüfungsantrag weiter gehen können. Es hätten mehr Kontrollmaßstäbe erwähnt und auch andere Vorwürfe gegen die Überwachungsvorschriften enthalten sein können, sodass das Gericht den Tenor weiterreichender hätte bilden können. Zu den Anträgen des Bürgerrechtsbeauftragten haben der Generalstaatsanwalt (dessen Posten zur damaligen Zeit mit dem Amt des Justizministers gekoppelt war), der Hauptkommandant der Polizei und der Vorsitzende des Sejms Stellung genommen. Der Generalstaatsanwalt gab in seiner Stellungnahme dem Antrag begrenzt Recht. Interessanterweise verstieß nach der Meinung des Generalstaatsanwalts der Verzicht auf die Vernichtung der gesammelten Materialien im Falle einer Aufdeckung einer anderen Straftat zwar gegen das Legalitätsprinzip (Art. 7 PolVerf) und Art. 51 Abs. 4 PolVerf, aber nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 31 Abs. 3 PolVerf. Wie der oberste Staatsanwalt Polens (damals Andrzej Kalwas) zu diesem Ergebnis gekommen ist bleibt ein Rätsel. Das Urteil verschweigt es. Die
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 225
Vorwürfe des Ombudsmannes zur mangelnden Informationspflicht der Polizei nach der Beendigung der Überwachung wies er aber zurück. Der Generalstaatsanwalt sah auch keinen verfassungswidrigen Eingriff in den Regelungen zur Erfassung der Informationen zu Personen nach Art. 20 PolizeiG. Der Hauptkommandant der Polizei beschränkte sich auf die Bemerkung, dass die Anweisung zum Sammeln und Aufbewahren der Informationen nicht verfassungswidrig sei, alleine schon deswegen, weil damit ausschließlich die Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags geregelt sei, der Rechtsakt nur intern für die Beamten gelte und auf dessen Grundlage keine Verwaltungsakte herausgegeben werden. Der Vorsitzende des Sejms bestritt grundsätzlich die Verfassungswidrigkeit aller vom Ombudsmann erwähnten Vorschriften. Am Rande sei angemerkt, dass die Parlamentsmehrheit zur Zeit des Urteils in den Händen der Koalition unter der Führung der sozialdemokratischen Partei SLD lag, die 2001 als die einzige Fraktion gegen die erwähnte Novelle des Polizeigesetzes gestimmt hat.276 Die Ausführungen der Legislative und Exekutive sind ein Beleg für das Grundrechtsverständnis und die Grundrechtswahrnehmung in Polen. Sie wurden im Urteil verewigt und zeugen von Argumentationsarmut.277 b) Allgemeine Erwägungen des Gerichts Der VerfGH, dem als Berichterstatter die ehemalige Bürgerrechtsbeauftragte Ewa Łętowska angehörte, hat dem Antrag des Ombudsmannes weitgehend gefolgt. Doch das erste Urteil des VerfGH zu Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei enttäuscht durch mangelnde Entschlossenheit. Es mag daran liegen, dass im Jahr 2005 das Thema der staatlichen Überwachung medial noch nicht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat wie heutzutage. Das Urteil bezieht sich nicht auf die Idee der Operations- und Erkennungstätigkeit selbst, sondern rügt lediglich einige Vorschriften im PolizeiG. Der Antrag des Ombudsmannes bezog sich schließlich nicht auf die Vorschriften anderer Dienste, die diese Aktivität auch ausüben können. Das Urteil weist allerdings in eine Richtung, die trotz aller Unzulänglichkeiten für eine Verbesserung der Standards im Überwachungsrecht sorgte. Der VerfGH hatte keinen Zweifel daran, dass die Operations- und Erkennungstätigkeit in Form einer Operationskontrolle im heutigen Staat unaus276 Ergebnisse der Abstimmung am 24.05.2001 im Sejm. http: / / orka.sejm.gov.pl / SQL.nsf / glosowania?OpenAgent&3&109&21 (Zugang: 23.01.2016). 277 Dies bezieht sich auf Punkt I 1–4 der Urteils Az.: K 32 / 04.
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weichlich sei, auch wenn die Maßnahmen geheim erfolgen, tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und die externe Kontrolle darüber begrenzt und das Ermessen der Polizei dabei weitgehend ist. Die Polizei und andere Behörden sind verpflichtet der in der Verfassung verankerten Aufgabe des Schutzes der Sicherheit des Staates Rechnung zu tragen. Dabei sei der Konflikt zwischen Sicherheit und Grundrechten unvermeidlich. Dieser Konflikt sei nicht nur im Geltungsbereich des polnischen Rechts zu beobachten, sondern längst auch in anderen demokratischen Staaten und in der europäischen Rechtsprechung bekannt, so dass der Standard des Art. 8 EMRK klar entwickelt wurde und auf Grund des Art. 9 PolVerf berücksichtigt werden müsse. Die Maßnahmen der polizeilichen Überwachung seien also ein zweischneidiges Schwert: denn einerseits dienen sie dem Schutz der Gesellschaft vor verbrecherischen Bedrohungen, andererseits könne ihr Missbrauch zur „Zerstörung der demokratischen Institutionen und zur Beschränkung der Bürgerrechte“ führen.278 Markant ist die Betonung dieser Bedrohungen durch das VerfGH: eine „Verselbständigung“ des Zieles der Sicherheitsmaßnahmen, welche mangels Kontrolle erfolgen und zur großen Ideologisierung und Politisierung der Tätigkeit der Exekutive führen könne. Das Gericht konstatiert: „Das Merkmal der Heimlichkeit der Maßnahmen ist missbrauchsanfällig. […] Die öffentliche Sicherheit als ein Rechtsgut, das in der Regel die Eingriffe in die Grundrechte der Bürger der Legislative erlaubt, verlangt die Bewahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beim Eingriff und eines effektiven Systems der Einhaltung dieses Grundsatzes in der Praxis.“279 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei, nach dem VerfGH, vor allem dann Genüge getan, wenn die Einschränkungen nicht willkürlich und unangemessen an das Ziel anknüpfen. Darüber hinaus dürfen die Maßnahmen nicht außer demokratischer Kontrolle stehen. Der VerfGH zeigt damit bereits die Richtung seiner Entscheidung an: Der Gesetzgeber kann tief in die Grundrechte eingreifen wobei hauptsächlich die Verfahrensgarantien den Verfassungsstandart konstruieren. Aus deutscher Sicht würden hier die ersten Hürden auftauchen – der Kernbereich der Privatsphäre. Nach dem VerfGH soll nicht die Effektivität oder Bequemlichkeit des Einsatzes einer Maßnahme entscheidend sein, sondern die materiellen Garantien, die aber lediglich dann zum Tragen kommen können, wenn es das Verfahren ermöglicht.280 278 Urteil des polnischen Verfassungsgerichthofs vom 12. Dezember 2005, K 32 / 04, Punkt: III 1.1. (ZU OTK nr 11A / 2005, poz. 132) Online: http: / / ipo.trybunal.gov. pl / ipo / Sprawa?&pokaz=dokumenty&sygnatura=K %2032 / 04 (Zugang: 20.01.2016). 279 Urteil Az.: K 32 / 04, Punkt: III 1.1. 280 Urteil Az.: K 32 / 04, Punkt: III 1.1. „Man kann nicht von einem ausreichenden Schutzniveau sprechen, wenn zwar die meteriellrechtlichen Garantien da sind, doch der Betroffene sie nicht effektiv nutzen kann. Außerdem ist der Zugang zu Rechtsmit-
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Das Gericht bezieht sich auf die deutsche Dogmatik und konstatiert, dass es zwei in demokratischen Staaten mögliche Schranken für die betroffenen Grundrechte bei der Geheimen Überwachung zur Bekämpfung der Kriminalität gibt. Es ist die direkte detaillierte Aufzählung der Einschränkungsmöglichkeiten – ihrer Art und ihrem Umfang in der Verfassung nach – wie in Deutschland, die den Spielraum des einfachen Gesetzgebers begrenzt. Die andere Möglichkeit, welche vom polnischen Verfassungsgeber gewählt wurde, erwähnt die Einschränkungskriterien in der Verfassung nicht direkt sondern lässt sie im Allgemeinen zu. Die genaueren Beschränkungen werden dem Inhalt, Systematik, Logik und Aufbau der Vorschriften entnommen. Manche Grundrechte (wie etwa das Grundrecht aus den Art. 49, 50 und 51 Abs. 3 PolVerf) sehen vor, dass ein Gesetz die Begebenheiten und Mittel der Beschränkung regelt.281 Das heißt, dass sie von einem Gesetz generell beschränkt werden können ohne besondere Vorgaben zum Gegenstand der Einschränkung, was praktisch bedeutet, dass die Angabe jedes im demokratischen Rechtsstaat denkbaren Grundes hier möglich ist. Die anderen, die höher tangiert werden, etwa die Art. 47 und 51 Abs. 4 PolVerf, kennen keinerlei Einschränkungsmöglichkeit auf diesem Verfassungsniveau, sondern unterliegen lediglich den Einschränkungen aus dem Art. 31 Abs. 3 PolVerf. Über beiden Schranken schwebt jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wie immer bei Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts werden sog. „Kontrollmuster“ erwähnt. Sie beziehen sich nicht nur auf die früheren Entscheidungen des Gerichts selbst, sondern vor allem mangels eigener Rechtsprechung in diesem Fall und zur argumentativen Untermauerung und Verstärkung der eigenen Beweisführung, auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 der EMRK. Die Kontrollmuster beziehen sich auf die Auslegung der polnischen Grundrechte im Lichte der EMRK, nach deren Vorbild der Grundrechtskatalog der polnischen Verfassung konstruiert wurde. Wie bereits aufgezeigt kann das Gericht keine weiteren Kontrollmuster als jene heranziehen, die der Antragssteller oder Kläger angeführt hat. Deswegen bedauert der VerfGH, dass im Antrag des Ombudsmannes die Rüge der Verletzung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 50 PolVerf) und das allgemeine Recht auf Privatheit (Art. 47 PolVerf) nicht erwähnt wurden. Dies gewinnt besonders in Anbetracht der Tatsache, dass der Grundrechtskatalog in Polen zersplittert und detailliert in vielen Artikeln aufgelistet ist, an Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts. Der Ombudsmann stellte allerdings dem Gericht die Standards der Art. 7, 49, 51 Abs. 2 und 3, Art. 77 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 3 PolVerf zur Verfügung. Wäre der Antrag weiter teln gegen exzessiven Gebrauch [der Maßnahmen von den Behörden JM] und gegen Schikanen dem Betroffenen zu gewährleisten“ 281 Urteil Az.: K 32 / 04, Punkt: III 1.1.
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gegangen, hätte das Gericht einen eindeutigen Auftrag an den Gesetzgeber formulieren können.282 Zwar wird die geheime Art der Operationstätigkeit der Polizei und die Notwendigkeit des Einsatzes dieser Maßnahmen nicht bestritten und somit nicht zum Gegenstand des Prozesses. Das Gericht charakterisiert gleichwohl die Operations- und Erkennungstätigkeit. Es bezieht sich dabei lediglich auf die Maßnahmen selbst, aber nicht auf die Frage der vielen Dienste, die es anwenden können, wobei sich deren Befugnisse oftmals überlappen. Es übersieht die unterschiedliche Eingriffsintensität der hier inbegriffenen Maßnahmen, die zum Teil nicht gesetzlich definiert werden. Damit wird nolens volens das bisherige, vom sozialistischen Recht stammende Verständnis bestätigt. Das Gericht beschreibt die Operations- und Erkennungstätigkeit als nicht heimlich und nichtprozessual, wodurch die Gerichtskontrolle beschränkt ist. Deren Einsatz beruht nicht auf einem Verdacht, sondern auf bloßen Vermutungen der Fahndungsorgane. Die rechtliche Verankerung sei oft nur in den Aufgabennormen zu finden. Man solle nicht vergessen, dass das Ziel der Operationskontrolle das Aufrechterhalten des Rechtsstaates ist. Sie können nur dann zulässig sein, wenn sie diesen Wert schützen. Es gehe um die Anwendung der Maßnahmen, die notwendig sind, weil alle anderen Maßnahmen nicht zu diesem Ziel führen. Dennoch sollen es Maßnahmen sein, die das Subjekt, dessen Rechte eingeschränkt werden, am wenigsten belasten. VerfGH bezeichnet „die drei Fragen“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung als einen „Zauberspruch“, der die Verfassungsmäßigkeit gewährleistet. Die erste Frage lautet: Kann man durch die Regelung die bestrebten Ziele erreichen? Zweite Frage: Ist die Regelung unvermeidlich für den Schutz des öffent lichen Interesses, mit dem sie in Verbindung steht? Und schließlich: Sind die Ergebnisse der Regelung, im Verhältnis zu den Lasten, die dadurch bei dem 282 Das Urteil Az.: K 32 / 04 Punkt III 1.3. „Der Konflikt zwischen dem Bedürfnis des Einsatzes der Operationskontrolle in dem gegenwärtigen Staat und der Belangen der Privatheit der Menschen zeichnet sich viel breiter als es im Antrag vorgelegt wurde. […] Die Heimlichkeit der Überwachungsmethoden, kann auch die Privatheit, im Bereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 50 PolVerf) und des Grundrecht auf die Darstellung oder Kreation eigener Person in der Öffentlichkeit, (Art. 51 Abs. 4 PolVerf) verletzen. Freiheiten und Rechte, die die Privatheit betreffen sind nämlich in verschiedenen Vorschriften in der Verfassung geregelt und schützen ihre diverse Aspekte in unterschiedlichen Umfang und an unterschiedlichen Niveaus. Die Opera tionstätigkeit der Polizei greift in die Privatheit an sich (Art. 47 PolVerf [JM]), verlangt also einer differenzierten Bewertung abhängig davon, um welche Aspekte der Privatheit es bei dem konkreten Fall geht. Dass die Verfassungsrechtliche Überprüfung einer Vorschrift nach einem nicht so streng auszulegenden Muster positiv ausfällt bedeutet nicht, dass wenn die Muster anders gewählt worden wäre, würde die Kontrolle genauso ausfallen. […] Das also schließt nicht aus, dass die gleichen Vorschriften noch mal ein Gegenstand einer erneuten Überprüfung sein könnten.“.
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Bürger entstehen, vertretbar und zumutbar?283 Ist dies nicht der Fall, dann sei die Menschenwürde bedroht, deren Schutz sich aus Art. 30 PolVerf ergibt. „Die der Staatsgewalt zur Verfügung stehenden Mittel können zu tiefgreifenden Beeinträchtigungen der Privatsphäre führen. Wenn Prozedur und Umfang der Maßnahmen außer Verhältnis stehen, kann der Wesensgehalt des Grundrechts bedroht sein. Dies könnte wiederum, angesichts des immanenten Zusammenhangs Privatsphäre und Menschenwürde, zur Bedrohung der Würde des Einzelnen durch die Beraubung seiner Informationsautonomie führen“.284 Das Gericht scheint damit zu sagen: keine Privatheit – keine Würde. c) Zwischenergebnis Doch der letzte Satz mutet wie ein leeres Versprechen an. Die Charakteristik der umstrittenen polizeilichen Tätigkeit zeigt, wie das Verfassungsgericht seine Position versteht. Er bezieht sich nirgendwo auf die Unvereinbarkeit der formulierten staatlichen Aktivität mit den Grundrechten, sondern scheint die Fehler mit dem korrekten Verfahren sanieren zu wollen. Dabei wird der materiellen Unvereinbarkeit der Operations- und Erkennungstätigkeit mit der Verfassung ein obiter dictum gewidmet. Das Gericht sah sich nicht im Stande, gegen den Gesetzgeber vorzugehen. Es versteht sich schließlich als der negative Gesetzgeber und nicht als Vorgabengeber für das Parlament. An dieser Stelle vermisst man den Mut des BVerfG. Welche Standards verlangt also der VerfGH? Es selbst gibt an, dass es Mindeststandards sind. Doch es seien keine fromme Wünsche sondern zwingendes Recht.285 Vor allem die Operations- und Erkennungstätigkeit muss von unabhängigen Stellen kontrolliert werden. Dabei macht das Gericht ein Exkurs nach Deutschland um zu bekräftigen, dass es nicht unbedingt ein Gericht sein muss. Damit begeht es einen grundlegenden Fehler, denn das parlamentarische Gremium aus dem G 10-Gesetz bezieht sich auf die Nachrichtendienste und nicht auf die Polizei. Dieser Satz eröffnet den Weg für die späteren Machenschaften der Politik die gerichtliche Kontrolle der umstrittenen Aktivität nicht in Gesetzen zu formulieren. Zu Unrecht, da unter den in Polen vorherrschenden Bedingungen ausschließlich durch die Gerichte die gewünschte Unabhängigkeit gewährleistet werden kann. Dieser Fehler spiegelt sich auch in der Regelung des Polizeirechts und anderen Sicherheitsgesetzen sowie in der Novelle vom Jahre 2016 wider.
283 Urteil
Az.: K32 / 04 Urteilsbegründung Punkt III 3.1.
285 Urteil
Az.: K 32 / 04 Punkt III 4.2.
284 Ibidem.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Darüber hinaus muss das Gesetz ausreichend klar und präzise formuliert werden, damit der Bürger wissen könnte, unter welchen Bedingungen er überwacht werden kann. Dies soll auf keinen Fall anlasslos erfolgen; zudem muss die Speicherung von Daten immer zweckgebunden sein. Die Löschung unnötiger Daten soll auch gewährleistet werden. Äußerst mager fällt der „Polish Standard“ angesichts des Anspruchs des Verfassungsgerichts aus. Gewiss ist daran nicht nur der VerfGH schuld, sondern auch die bewusst die Hände bindende Prozedur. Doch das Gericht hätte mindestens obiter dicta etwas mehr zu Datenschutzprinzipien sagen können. Es hätte vor allem den Gesetzgeber zu einer nötigen Differenzierung der grundrechtlichen Hürden nach der Eingriffsintensität der verschiedenen Maßnahmen aufrufen können. Dies ist nicht geschehen. Das Gericht führt in seinem Urteil nicht wirklich vor Augen, warum der Standard so wichtig ist. Es will aber dem Gesetzgeber keine Vorgaben machen, sondern lediglich die fehlerhaften Vorschriften eliminieren. An vielen Stellen führt das Gericht „nationalspezifische“ Argumente an, vor allem wenn es um das Misstrauen gegenüber Staatsorganen geht, welche die Daten missbrauchen könnten oder den einfachsten Weg zur Kriminalitätsbekämpfung wählen, ohne Rücksicht auf die Grundrechte. Trotzdem traut das Gericht sich nicht, mit harten Worten dagegen vorzugehen. Das Gericht sieht auch eine politische Gefahr in der breiten und relativ leicht zugäng lichen Überwachung. Die so unpräzise formulierten Vorschriften geben den Regierenden die Möglichkeit, die Überwachungsmethoden unter Vorwand der Förderung der Sicherheit zum Schaden der Gegner zu verwenden.286 Der mangelnde Rechtschutz macht den Bürger, in diesem Fall auch z. B. Politiker, wehrlos gegenüber der Staatsgewalt. Der VerfGH bekräftigt seine Argumentation mit einem Blick ins Ausland. Er erwähnt vor allem die Rechtsprechung des EGMR zum Art. 8 EMRK und des BVerfG zum „Großen Lauschangriff“. Daraus leitet er die Notwendigkeit der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und Legalitätsprinzips ab. Aus der Rechtsprechung des EGMR übernimmt der VerfGH die Bestimmung der Schranken des Rechts auf Privatheit im Kontext der staatlichen Überwachung. Dabei betont er vor allem die Präzision der Gesetzessprache und die Notwendigkeit der Einführung einer unabhängigen, überparteilichen Kon trolle über die Überwachungsmaßnahmen, welche am besten durch Richtervorbehalt erreicht werden könnte.
286 Urteil:
Az: K 32 / 04 III 4.4.
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d) Fehlerhafte Vorschriften Der Tenor des Urteils vom 12. Dezember 2005 lässt keinen Zweifel an der Fehlerhaftigkeit fast aller Vorschriften zu, die vom Ombudsmann beanstandet wurden. Das Gericht hält sich aber in der Aufzählung der Fehler des Gesetzgebers zurück – die Begründung der Verfassungswidrigkeit ist treffend aber knapp. An vielen Stellen betont der VerfGH die Möglichkeit der erneuten Normenkontrolle mangels der Rüge der „Kontrollmuster“ zu vielen grundrechtsrelevanten Problemen im geprüften Antrag. Zu manchen Aspekten verhält sich das Gericht jedoch viel zurückhaltender als das BVerfG, auch wenn die Rechtslage in Deutschland einen Gegenstand der rechtsvergleichenden Analyse darstellte. Es scheint, dass das Gericht den Schwerpunkt auf die allgemeinen Überlegungen gesetzt hat, was davon zeugen könnte, dass die allgemeine Einschätzung des Rechtskomplexes – die Operations tätigkeit der Polizei, für berechtigt gehalten wird. Dies geschieht trotz allem leider nicht deutlich genug. aa) Veränderung der Datenverwendung Die Möglichkeit, Materialien, die im Wege der Operationskontrolle erfasst werden, aufzubewahren nach dem Art. 19 Abs. 4 PolizeiG umfasste den Verzicht auf die Löschung der Daten, wenn eine andere Straftat, als ursprünglich im Kontrollantrag der Polizei erwähnt und vom Gericht genehmigt durch die Überwachungsmaßnahmen ans Licht gekommen ist. Der Ombudsmann habe dabei bemerkt, dass „die beanstandete Norm Druck auf das Gericht ausübt, das einst die Zustimmung zur Durchführung der Operationskontrolle verweigert hat“.287 Durch die Vorschrift soll eine Erwartung entstehen, die Entscheidung des Gerichts zu ändern, weil angeblich neue Fakten aufgetaucht sind. Der Kern der Argumentation des Ombudsmannes bestand in der Beanstandung der Rechtsmäßigkeit der so gewonnenen Gerichtsentscheidung, die einst auf eine nichtrechtmäßige Art und Weise erfassten Informationen könnten dadurch saniert werden, dass eine nachträgliche Gerichtsentscheidung eingeholt wird, wobei in der Vorschrift nicht vorgesehen ist, ob diese Daten nur zur Verfolgung der schon im Katalog des Art. 19 Abs. 1 PolizeiG erfassten Straftaten dienen dürften oder auch zu anderen Zwecken. Der VerfGH gibt zwar dem Ombudsmann recht, dass die Norm einen unverhältnismäßigen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 4 PolVerf darstellt und das subjektive Recht auf die Löschung der im Rechtstaat nicht benötigten Daten zu Person angetastet wird; nicht jedoch werde gegen Art. 7 PolVerf, also gegen das Gesetzesmäßigkeitsprinzip verstoßen. Die nachträgliche Entscheidung des Gerichts 287 Urteil:
Az.: K 32 / 04 Punkt 5.1.
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würde zwar den Einsatz der Daten, die rechtswidrig gesammelt wurden, im Strafprozess konvalidieren, doch keinen Verstoß gegen Art. 51 Abs. 4 PolVerf begründen, der keinen Gesetzvorbehalt mit sich verbindet und der nicht beschränkt werden kann, es sei denn im Wege des Art. 31 Abs. 3 PolVerf, also nach der allgemeinen Schrankenbestimmung. Der VerfGH unterstrich, dass die Anerkennung der nachträglichen Entscheidung des Gerichts als Sanierung der nichtrechtsmäßig erfassten Materialien vor allem die Garantie des Art. 51 Abs. 4 PolVerf bedroht. Kritisiert wurde die zu enge Setzung des Kontrollmusters. Einschlägig wäre im diesem Fall vor allem der Art. 77 Abs. 2 PolVerf, also die Fair-Trial-Garantie. Für das Gericht ist nicht der Moment der Anwendung der Materialien einschlägig, sondern ihre Erfassung und sie lässt sich nicht mit einer Gesetzesvorschrift sanieren, da dies der Normenhierarchie widerspräche. bb) Telekommunikationsüberwachung bei der Zustimmung eines Teilnehmers Ganz knapp fällt die Begründung der Verfassungswidrigkeit des Art. 19 Abs. 18 PolizeiG aus, wonach von der gerichtlichen Kontrolle der polizeilichen Kommunikationsüberwachung abgesehen werden kann, wenn ein Teilnehmer der Kommunikation damit einverstanden ist. „Nach der Meinung des Verfassungsgerichtshofs sollen in einem demokratischen Rechtsstaat die Beschränkungen der Freiheiten und Rechte, die mit dem Schutz der Werte wie Sicherheit und öffentliche Ordnung begründet werden, der Gerichtskontrolle unterworfen werden. Diese Einsicht spiegelt sich auch in den Vorschriften des Polizeigesetzes wider.“288 Die Bestimmung zur Abweichung von dieser Regel schlage eine Bresche in die Regel, denn sie führe zu einem „übermäßigen, nicht rationalen und dadurch willkürlichen Eingriff in die Grund rechte“.289 Das Gericht kritisiert vor allem die Gleichstellung der gericht lichen Zustimmung mit der Zustimmung des Beteiligten. „Diese Person hat Interesse am Verlauf des [abgehörten] Gespräches und kann manipula tionsanfällig sein.“290 Die grundrechtsgarantierende Rolle des allgemeinen Richtervorbehalts läuft dadurch leer. Dies geschieht auch durch das falsche Verständnis der Maxime „volenti non fit iniuria“, denn der Beteiligte stimmt nicht einer Maßnahme zu, die gegen ihn gerichtet wird, vielmehr aber einem Eingriff in die Grundrechte einer anderen Person.
288 Urteil.:
289 Ibidem. 290 Ibidem.
Az: K 32 / 04 Punkt III 5.2.
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cc) Anlasslose Datenbanken Das Problem der Datenerfassung zu Personen, die Straftaten verübt haben, definiert der VerfGH als Problem der mangelnden Differenzierung nach der Art der Tat. Das Gesetz sehe eine „von den tatsächlicher Belangen des Strafverfahrens unabhängige“291 Befugnis vor, die personenbezogenen Daten zu den Tätern von der Polizei zu erfassen und bearbeiten. Die so entstandene Datenbasis differenziert nicht danach, welche Daten zu welchen Tätern erfasst werden dürfen, was zu einer „nicht erforderlichen, exzessiven oder sogar schikanierenden292“ Behandlung verschiedener Täter führen kann. Der Ombudsmann gab hier ein Beispiel eines Angeklagten, dessen Fingerabdrücke abgenommen wurden, obwohl er die Tat schriftlich begangen hat und die Daktyloskopie bei der Tatüberführung völlig unnötig war. Hier erkennt der VerfGH zwar einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit in der Ausprägung von Art. 51 Abs. 2 PolVerf, aber er führt in der Begründung nicht aus, worin sich dieser begründet. Dagegen stützt sich das Gericht argumentativ auf die „europäischen Standards“293 der Rechtsprechung des EGMR. Nichtsdestoweniger billigt das Gericht das Absehen vom Löschen personenbezogener Daten aus dem Register im Falle eines Freispruchs oder der bedingungslosen Einstellung des Strafverfahrens. „Das Gericht sieht zwar die Gefahr in der Aufbewahrung solcher Informa tionen zu Zwecken potentieller Verfahren und in der erschwerten Kontrolle über die Datenbanken, wie auch die Möglichkeit der exzessiven Nutzung solcher Daten sieht, doch muss festgestellt werden, dass im Rechtsstaat heutzutage (angesichts der Bedrohungen seitens Terrorismus und organisierten Kriminalität) solche Maßnahmen zu rechtfertigen sind.“ Die Norm des Art. 20 Abs. 17 PolizeiG hält sich im gesetzgeberischen Spielraum, wie ihn u. a. das Verhältnismäßigkeitsprinzip markiert.294 dd) Informationspflichten – der Sündenfall Wie sich erwiesen hat, fällt die Erwägung des VerfGH zur Informationspflicht der Polizei zur durchgeführten Operationskontrolle verhängnisvoll aus. Die Vorschrift ist bis heute in der zweifelhaften Form erhalten: Die Materialien, die während der Operationskontrolle erfasst werden, sind dem Betroffenen nicht zugänglich zu machen. Die Rechte aus dem Art. 321
291 Urteil
Az.: K 32 / 04 Punkt III 5.3.
292 Ibidem. 293 Ibidem. 294 Urteil
Az.: K 32 / 04 Punkt III 5.4.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
PolStPO bleiben unberührt.295 In der deutschen Übersetzung geht ein wichtiges Merkmal verloren. Es ist nämlich nicht sicher, ob das Wort „während“ in der polnischen Fassung sich auf das Verbot, den Betroffenen während der Dauer der Kontrolle zu informieren, oder auf ein generelles Verbot zu informieren, dass eine Kontrolle stattfand, bezieht. Dieses sprachliche Problem führte zu einer folgenreichen Entscheidung des VerfGH. Der Ombudsmann beanstandete die zweite linguistische Auslegung dieser Norm. Dagegen nahm das Gericht die Argumentation an, dass es ungewiss sei, ob diese Auslegung tatsächlich die gängige sei. Der Ombudsmann brachte keine ausreichenden Beweise für den Beleg seiner These. Das Gericht konnte die Norm nicht nach seiner ständigen Rechtsprechung, der Gegenstand der Kontrolle sei nur die gängige, verfassungswidrige Auslegung für verfassungswidrig erklären.296 Die beanstandete Norm lasse sich zwar so auslegen wie der Ombudsmann es behaupte, doch sie lasse sich ebenso verfassungskonform interpretieren. Das Gericht präsentiert in seinem Urteil eine Teillösung: „Die beanstandete Vorschrift schließt tatsächlich die Möglichkeit der Benachrichtigung des Betroffenen während der Durchführung der Maßnahmen aus, doch ist das nicht identisch mit dem nachträglichen Verbot der Erlangung solcher Information.“297 Der VerfGH führt weiter aus, dass es unmöglich sei, das Nichtexistieren der Vorschriften zur Benachrichtigung des Individuums zu rügen, wenn die Gesetzeslücken nicht der Jurisdiktion des VerfGH, sondern lediglich der Entscheidungsmacht des Gesetzgebers unterliegen. Damit begeht das Gericht zwei Fehler. Erstens weicht es einer klaren Entscheidung aus. Um es plakativ auszudrücken lässt sich sagen, dass der VerfGH im Spiel gegen den Gesetzgeber passt, obwohl er gute Karten hat. Zweitens versucht er im Wege einer verfassungskonformen Auslegung den Inhalt der Vorschrift zu ändern und damit die Norm zu sanieren. Wie das Gericht zu der Behauptung gekommen ist, dass die Information doch möglich sein könne, ist unklar. Die Erfahrungen mit dem polnischen Gesetzgeber ließen eher das Gegenteil erwarten. Es reichte einfach, die Polizeivertreter zur Verhandlung zu laden und zu fragen, welche Praxis gängig ist. Das wurde nicht getan. Der VerfGH hat im naiven Glauben an den polnischen Gesetzgeber die Vorschrift so gelassen wie er sie sich wünschte und hat keine rechtlich bindenden Vorgaben gemacht, denn obiter dicta werden äußerst selten vom Gesetzgeber berücksichtigt. Mit dieser Entscheidung gab das Gericht dem Gesetzgeber ein verhängnisvolles Argument an die Hand, dass die Vor295 Poln.: Osobie, wobec której kontrola operacyjna była stosowana, nie udostępnia się materiałów zgromadzonych podczas trwania tej kontroli. Przepis nie narusza uprawnień wynikających z Art. 321 Kodeksu postępowania karnego. 296 Urteil.: Az.: K 32 / 04 Punkt III 5.5. 297 Urteil Az.: K 32 / 04 Punkt III 5.5.
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schrift verfassungskonform sei. Sie ist es aber nicht, was zaghaft, weil zu spät, im nicht rechtlich bindenden und lediglich konsultativen darauffolgenden Beschluss S 2 / 06 erwähnt wurde – jenem berüchtigten Beschluss, der bis Sommer 2016 nicht umgesetzt wurde und wahrscheinlich nicht umgesetzt wird. Das Gericht hat damit eine der vielen Gelegenheiten298 verpasst, seine Position gegenüber dem Gesetzgeber zu festigen. e) Folgen des Urteils K 32 / 04 Ganz knapp wurde auch die Verfassungswidrigkeit der Anweisung des Hauptkommandanten der Polizei begründet. Sie regelt die Rechte und Pflichte des Einzelnen, gehöre demnach zur Gesetzesmaterie, deren Inhalt durch Verwaltungsakte nicht geregelt werden darf. Damit sei sie verfassungswidrig. Das Urteil, wie schon der Antrag des Ombudsmannes, ist knapp und fragmentarisch. Es berücksichtigt einige wichtige Aspekte, doch nicht die Gesamtheit der verfassungsrechtlich problematischen polizeilichen Tätigkeit. Es bezieht sich vor allem nicht auf konkrete Maßnahmen, sondern betrachtet diese lediglich abstrakt. Die Möglichkeit der Differenzierung nach der Eingriffsintensität bleibt aus. Das Urteil ergreift auch nicht die Problematik der Dauer der Maßnahmen sowie der zu vielen Behörden, die zu dieser Tätigkeit befugt sind, auf. Es verschweigt auch Aspekte wie den genaueren Datenschutzbezug oder den Versuch eine Art materiellrechtlichen Kernbereichs nach dem deutschen Vorbild einzuführen. Das Gericht wirkt verklemmt und zeigt keine Aktivität. Dies ist kein Wunder bei einem so formulierten Verfahrensrecht. Dennoch ist das Urteil im Ergebnis zu begrüßen, denn sonst wäre die Rechtslage noch schlechter. Der VerfGH wurde bei der Umsetzung des Urteils auch vom Gesetzgeber schlecht behandelt. Schon am 25. Januar 2006 richtet der VerfGH einen Beschluss S 2 / 06 an den Vorsitzenden des Sejms und weist auf die mögliche Verfassungswidrigkeit der fehlenden Pflicht hin; vor allem angesichts der Tatsache, dass die Polizei den Zugang zu den Daten über die Operationskontrolle nach Art. 19 PolizeiG sperren könnte. Mangels Prüfungsmöglichkeit nach Art. 51 Abs. 3 PolVerf, da dieser nicht im Kontrollantrag zum Art. 19 Abs. 16 PolizeiG erwähnt wurde, versucht das Gericht trotzdem seine Einsichten zu juridifizieren und für den Gesetzgeber anschlussfähig zu machen. Im Signalisierungsbeschluss S 2 / 06 betont das Gericht, dass „Art. 51 Abs. 3 PolVerf dem Bürger einen Zugang zu Daten, die die öffentlichen Stellen über 298 http: / / www.rp.pl / Sedziowie-i-sady / 309179991-O-sytuacji-sadownictwa-wPolsce-Sedziowie-sedziom-zgotowali-ten-los.html (Zugang: 20.9.2016).
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ihn sammeln, sichert. Der Zugang kann unter Gesetzesvorbehalt eingeschränkt werden (z. B. im Polizeigesetz). Das Gesetz kann aber den Zugang zu den Daten nicht komplett sperren, denn dadurch würde die Garantie des Art. 51 Abs. 3 PolVerf leerlaufen.“299 Nach dem Verfassungsgericht kann Art. 19 Abs. 16 Polizeigesetz nur im Lichte des Art. 51 Abs. 3 PolVerf ausgelegt werden; denn nur dadurch werde das Recht aus dem Art. 51 Abs. 4300 realisiert. Der blauäugige Glauben an die Verfassungsfreundlichkeit des Gesetzgebers ist aber vergebens. Im März 2016 wurde eine Nachfrage des Abgeordneten Ireneusz Zyska zur Umsetzung des Beschlusses dem Seim eingereicht.301 Daraufhin antwortete im April 2016 der stellvertretende Innen minister Jarosław Zieliński, dass keine Gesetzgebungsarbeiten vorgesehen seien, da vor dem VerfGH ein neuer Überprüfungsantrag (Az.: K 32 / 15) zu einem ähnlichen Komplex seit 2015 anhängig ist. Das Ministerium wartet also die Entscheidung ab und erst dann beabsichtigt es, weitere Schritte vornehmen. Die Sache wurde allerdings bis Ende 2016 nicht entschieden. Die europarechtlichen Hintergründe im Kontext der Entscheidungen des EuGH vom 8. April 2014, C-293 / 12 und C-594 / 12 und C‑203 / 15 und C‑698 / 15 vom 21. Dezember 2016 zur Vorratsdatenspeicherung wurden ignoriert. Beide Entscheidungen, sowohl K 32 / 04 als auch die funktionell mit ihr verbundene S 2 / 06, sorgten für relativ wenig Aufmerksamkeit in Medien und Politik.302 Vertreter der Polizei haben das Urteil gelassen aufgenommen und meinten, es komme zur richtigen Zeit, denn die Polizei wollte sich mit der Bitte, eine Gesetzesinitiative zu diesem Thema zu ergreifen, an das Innenministerium wenden.303 Was wurde damit bloß bezweckt? Damit war die Diskussion in der Gesellschaft abgeschlossen. Der Gesetzgeber hat den Änderungsauftrag des Verfassungsgerichts wahrgenommen. Am 5. September 2006 trat die das Urteil umsetzende Novelle des Polizeigesetzes in Kraft.304 Das neue Gesetz ging zwar formell auf das Urteil ein, doch hat es nur teilweise umgesetzt, wobei der Beschluss S 2 / 06 gar nicht 299 Beschluss:
Az.: S 2 / 06 Punkt 4. Abs. 4 PolVerf: „Jedermann hat einen Anspruch auf Berichtigung oder Löschung falscher, unvollständiger oder in widerrechtlicher Weise beschaffter Informationen.“. 301 Anfrage des Sejmabgeordneten Ireneusz Zyska vom 7.3.2016, http: / / www. sejm.gov.pl / Sejm8.nsf / InterpelacjaTresc.xsp?key=3B5F8342 (Zugang: 17.9.2016). 302 Ewa Siedlecka, Każdy może zapytać policję, co o nim wie (Jeder kann die Polizei fragen was sie über ihn weiß) in Gazeta Wyborcza 13.12.2005. 303 Ibidem. 304 Ustawa z dnia 21 lipca 2006 r. o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw (Dz. U. z dnia 5 września 2006 r.), die Begründung des Projekts: http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki5ka.nsf / 0 / DED238046214B9BFC125716A00371C7A / $file / 557-uzasadnienie.doc (Zugang: 26.1. 2016). 300 Art. 51
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 237
erwähnt wurde. Zwar wurde die Möglichkeit der nachträglichen Legalisierung der im Laufe der Kommunikationsüberwachung gesammelten Materialien abgeschafft und die Möglichkeit der Zustimmung eines Beteiligten an der abgehörten Kommunikation ebenfalls; doch der Zugang zu den von der Polizei aufbewahrten Daten ist ausgeblieben. Der Gesetzgeber berücksichtigte den Beschluss S 2 / 06 nicht. Er hatte auch keine normativ bindende Kraft. Es folgten noch andere Änderungen: Der Innenminister soll jetzt den Auftrag bekommen, im Rahmen einer Verordnung die Einzelheiten der Bedingungen der Datenerfassung durch die Polizei zu regeln. Es erging auch eine Art Subsidiaritätsklausel, die besagt, dass die empfindlichen Daten der einer Straftat Verdächtigten oder vermissten Personen nicht erfasst werden, wenn sie bei der Aufdeckung eine Straftat nicht nützlich sind oder nicht zur Identifizierung einer vermissten Person führen. Das Verfassungsgericht versucht einen grundrechtsfreundlichen Weg zu gehen, der in der gesetzgeberischen Praxis völlig missverstanden und über sehen wird. Wie es auch im Beschluss S 2 / 06 anklingt: „das Hauptkriterium des Kompromisses zwischen Sicherheit und Bürgerrechten ist die Bequemlichkeit der Polizei“.305 Diese Tatsache scheint das größte Unheil des Überwachungsrechts in Polen zu sein. In Kombination mit populistischen Bestrebungen zur Unterbindung der organisierten Kriminalität macht es aus dem Recht ein gefährliches Werkzeug in den Händen der Entscheidungsträger. Diese Tendenz ist nicht nur nach diesem Urteil zu erkennen. Auch das nächste Urteil vom 23. Juni 2009 zeigt ähnliche Mängel. 2. Das „CBA-Urteil“ vom 23. Juni 2009 (K 54 / 07) Das sog. CBA-Urteil, also das Urteil zum Gesetz über das Zentrale Antikorruptionsbüro, zeigt das Problem mit der Überwachung im Rahmen der Operations- und Erkennungstätigkeit von der Seite eines Geheimdienstes, wobei anzumerken ist, dass das Trennungsgebot in Polen nicht existiert und die Aufgaben der Geheimdienste und der klassischen polizeilichen Behörden sich überlappen. Das Urteil zeigt auch, dass man die konkreten Methoden der umstrittenen Tätigkeit nicht separat beurteilen kann, weil der Gesetzgeber sie nicht ausreichend differenziert. Man kann also nicht die Maßnahmen der Kontrolle der Email, IP-Adressen, dem Einsatz der Spionagesoftware oder des Abhörens der Wohn- und Geschäftsräume trennen, obwohl überall in die Grundrechte auf eine andere Art und Weise eingegriffen wird. Sie werden alle unter dem Begriff der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei und anderer Dienste gebündelt und werden nach dem Ermessen der Behörden eingesetzt. 305 Beschluss:
Az.: S 2 / 06 Punkt 1.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Der CBA-Fall zeigt auch, wie der gesetzgeberische Aktionismus sich auf den Grundrechtsschutz auswirken kann. Um eine unbestimmte Gefährdung zu bekämpfen wird eine Behörde ins Leben gerufen, deren Aufgabe der Korruptionsbekämpfung so weit verstanden werden kann, dass dies mit der Verfassung nicht in Einklang steht. Der Fall zeigt ebenfalls den Zuwachs an Interesse in der Gesellschaft bezüglich der staatlichen Überwachung. Doch wanderte sie in Richtung der Frust-Artikulierung gegen konkrete Personen in der Regierung, die das Gesetz vorbereitet haben und nicht in Richtung der Stärkung der Abwehrdimension der Grundrechte und einer Reflexion über das System der Operationsund Erkennungstätigkeit an sich. a) Hintergründe Die politische Färbung gewann die polizeiliche und geheimdienstliche Überwachung vor allem dank der Tätigkeit des Zentralen Antikorruptions büros (CBA). Die Behörde wurde 2006 mit Zustimmung breiter politischer Kreise (bis auf die nach der Wahl 2005 besiegten Sozialdemokraten, die ihre Niederlage hauptsächlich durch eine Korruptionsaffäre (Rywin-Affäre306) erlitten) eingerichtet. Die neue Behörde (nach der polnischen Nomenklatur ein „Spezialdienst“) nahm schnell ihre Aufgaben in Angriff. Daraufhin traten zahlreiche verfassungsrechtliche Bedenken zum Vorschein. Dem CBA wurden enge Beziehungen zur regierenden Partei vorgeworfen,307 vor allem weil der Chef des Dienstes ein Spitzenpolitiker der PiS, Mariusz Kamiński, wurde. Die Arbeitsmethoden waren umstritten, weil das CBA in der Opera tionstätigkeit zur Provokation greifen dürfe. Im November 2007 stellten die Abgeordneten der SLD308 einen Antrag auf eine abstrakte Normenkontrolle an den VerfGH. Sie beantragten eine weitgehende Überprüfung vieler Vorschriften des umstrittenen CBA-Gesetzes vom 23. Juni 2009.309 Die verfassungsrechtlichen Vorwürfe fokussierten sich vor allem auf die unscharfe Definition der Korruption, die der Behörde eine elastische Kontrollgrundlage, sowohl in der staatlichen Institutionen als auch in der privaten Wirtschaft, ermöglichte. Dazu wurden auch die Voraussetzungen für Datenerfassung durch die Behörde beanstandet, sowie die Möglichkeit, eine „Inaugenscheinnahme“ privater Wohnräume der kontrollierten Personen durchzuführen. Anfang 2008 folgte dem schon anhängigen noch ein Antrag auf die Überprü306 Siehe
Fn.: 303 im Teil A. Uhlig, PiS ma w końcu CBA (PiS hat endlich CBA), Gazeta Wyborcza vom 13.05.2006. 308 Poln.: Sojusz Lewicy Demokratycznej – Bündnis der Demokratischen Linken. 309 Ustawa o Centralnym Biurze Antykorupcyjnym Dz.U. 2006 Nr. 104 pos. 708. 307 Dominik
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 239
fung des gesamten CBA-Gesetzes nach sämtlichen Kontrollmustern. Das Verfassungsgericht entschloss sich, die beiden Anträge gemeinsam zu entscheiden. Der Fall des CBA war ein undankbares Verfahren für den VerfGH. Die Erwartungen waren hoch, die Positionen polarisiert. Die Grundrechte dienten dem politischen Kampf, den die Medien, je nach politischer Ausrichtung, als Verteidigung der Position des korrumpierten Establishments oder als Kampf um die Rückkehr zum angeblichen Polizeistaat310 darstellten. Das Urteil der Gesellschaft zu vermitteln scheint ein gewagtes Unternehmen zu sein. Einerseits lies die in Polen tief verwurzelte Überzeugung von der Arroganz der korrupten Entscheidungsträger die Vermutung keimen, dass das Verfassungsgericht sich für eine Position aussprechen sollte. Die Öffentlichkeit wollte die Entscheidung des Gerichts als eine Bestätigung oder Negation der Korruptionsbekämpfung in Polen sehen, was das Gericht nicht in die Rolle eines überparteilichen Schiedsrichters stellte, sondern in das eine oder andere Lager schieben sollte. Auf eine so vorformulierte Frage gibt es keine gute Antwort. Das „ja, aber“ des Gerichts, wurde für beide Lager zur Bestätigung ihrer Position und Anlass für Kritik gegenüber dem VerfGH, der – abhängig vom politischen Lager – zu weit oder nicht weitgehend genug entschieden hat. Dennoch fokussiert sich in diesem Urteil die Einstellung der zahlreichen staatlichen Stellen zur Erfassung von Informationen und Methoden der Operations- und Erkennungstätigkeiten. Die unterschiedlichen Positionen der vor dem Gericht auftretenden Beteiligten zeigen vor allem, wie locker die Grundrechtsbindung der Exekutive in Polen gesehen wird. b) Vorwürfe und Stellungnahmen Aus dem Gesichtspunkt dieser Arbeit ist vor allem der Punkt der personenbezogenen Datenerfassung durch die Behörden interessant. Im fast 60-seitigen Urteil widmet das Gericht dieser Frage lediglich sechs Seiten, sowohl dem Maßstabsteil als auch der Subsumtion. Das CBA-Gesetz im Art. 22 sah eine Möglichkeit „der Erfassung unter anderem der geheimen Informationen“ für die Agentur „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ vor. Absatz 2 des obengenannten Artikels gab der CBA die Berechtigung die personenbezogenen Daten aus allen staatlichen und kommunalen Stellen zum Zweck der „Verhinderung oder Verfolgung“ der Straftaten aus dem im CBAGesetz genannten Katalog abzurufen, wobei anzumerken ist, dass in diesem 310 https: / / www.wprost.pl / kraj / 164537 / Ustawa-o-CBA-przed-wyrokiem-TK.html (Zugang: 19.9.2016).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Katalog unbestimmte Straftaten gegen die „ökonomischen Interessen des Staates“ erwähnt wurden. Die Erfassung der Daten sollte durch eine Rechtsverordnung geregelt werden, die eine ständige Verbindung zu den erwähnten Stellen für die CBA gewährleisten sollte, mit der Folge, dass die Behörde einen direkten Zugriff auf praktisch alle staatlichen Datenbanken in Polen gehabt hätte. Am umstrittensten allerdings war der Abs. 4, der in seiner Formulierung eigentlich alle Angaben zur Person aus allen denkbaren Quellen erfasste. „In Rahmen ihrer Zuständigkeit kann die CBA alle erforderlichen personenbezogenen Daten erfassen, wenn es mit dem Charakter der gerade ausgeführten Aufgabe begründet ist, darunter auch die, die im Art. 27 des Datenschutzgesetzes erwähnt werden“. Diese Daten umfassten sog. empfindliche Daten, die nur unter engen Voraussetzungen erfasst werden können. Darunter fallen u. a. Daten zur sexuellen Orientierung, religiösen, Parteien-, Gewerkschafts- oder Rasenzugehörigkeit. Darüber hinaus könnten diese Daten erst dann vernichtet werden, wenn eine „Entscheidung dazu rechtskräftig wird“311 – welche Entscheidung und von welchem Organ blieb jedoch ungeklärt. Die übrigen Daten sollten alle zehn Jahre ausgewertet werden und, sofern diese nicht mehr benötigt würden, gelöscht werden. Darüber hinaus durfte das CBA laut Art. 22 Abs. 4 CBA-Gesetzes auch die Daten, die von der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden erfasst wurden, übernehmen. Darunter verstanden sich z. B. auch Informationen, die im Laufe einer Operationskontrolle der Telekommunikation von der Polizei erfasst wurden, auch wenn die CBA die Operationskontrolle der Inhalte der Kommunikation gar nicht vor einem Gericht beantragt hat. Diese äußerst gefährliche Überordnung der Antikorruptionsbehörde gegenüber anderen Sicherheitsbehörden wurde von den Antragstellern allerdings gar nicht in diesem Lichte dargestellt. Weder externe Kontrolle über die Datenbanken noch der Rechtschutz gegen die Maßnahmen wurden im Gesetz geregelt. Der Antrag der Parlamentarier war umfassend und das Motiv des Datenschutzes war politisch nicht der umstrittenste Aspekt und dadurch nicht der Punkt, der die öffentliche Aufmerksamkeit erweckte. In diesem Punkt war der Antrag auch löchrig. Er erwähnte zwar die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und Privatheit als Kontrollmuster. Es wurde auch auf die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Art. 31 Abs. 3 PolVerf) und der Menschenwürde (Art. 30 PolVerf) hingewiesen, darüber hinaus auf die Verletzung Art. 8 und 18 der EMRK sowie des Übereinkommens des Europa rates zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (Konvention Nr. 108). Doch diese Vorwürfe fokussierten lediglich den Datenschutz. Die extreme Art und Weise, auf die Art. 22 CBAGesetz gegen die Verfassung und Menschenrechte verstieß, hätte u. a. vor 311 Art. 22
Abs. 7 CBA-Gesetz a.f.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 241
allem auf das Rechtsstaatprinzip hin überprüft werden sollen, denn die verhüllte aber dennoch deutliche Überordnung einer Sicherheitsbehörde gegenüber anderen schafft eine im Rechtsstaat nicht akzeptable Möglichkeit der Konkurrenz zwischen den Behörden. Der Antrag war allerdings so umfassend, dass dieser Aspekt nicht erwähnt wurde. Das Ziel des Antrags wurde zwar erfüllt – die Vorschrift wurde als verfassungswidrig erklärt; doch der damit verbundene Auftrag an den Gesetzgeber, die Vorschrift neuzugestalten, hatte ein wichtiges Argument verloren. Zum Antrag der Sozialdemokraten äußerten sich im Verfahren der Generalstaatsanwalt, der Premierminister und der Sejm. Aus den Kreisen der Sicherheitsbehörden, vor allem des CBA, gab es trotz Anfrage keine Stellungnahme. Bemerkenswert ist auch die Entscheidung des Beauftragten für Bürgerrechte, sich nicht zu der Rechtssache zu äußern, da diese ihm womöglich für das Amt, das dieser bekleidete, als zu sehr von der Parteienpolitik beeinflusst schien. Der Generalstaatsanwalt – damals gleichzeitig Justizminister, nahm zu den Vorwürfen im Schreiben vom 25 März 2009 Stellung. Dieses Datum ist bedeutsam bei dieser Rechtssache. Nach den Wahlen im Jahr 2009 regierte nicht mehr die Koalition unter der Führung der PiS, sondern die oft als liberal bezeichnete PO. Die Stellungnahme kam also von dem damaligen Minister der Regierung Tusk Andrzej Czuma. In dem Schreiben argumentiert der Generalstaatsanwalt und Justizminister für die Verfassungskonformität eines Großteils der beanstandeten Vorschriften. Die Effektivität der Straftatenprävention und Verfolgung stehe beim Staatsanwalt, der auch nach dem Gesetz über die Staatsanwaltschaft Vertreter des öffentlichen Interesses ist, im Vordergrund, besonders im Bereich der Korruption, die eine Gefahr für den Staat darstelle. Seiner Meinung nach, müsse der Staat den Sicherheitsbehörden effektive Werkzeuge zur Verfügung stellen um die Verhinderung von Straftaten und deren Verfolgung zu ermöglichen. Seine allgemeine Argumentation weist zudem in Richtung des Art. 31 Abs. 3 PolVerf, in dem die Grundrechtsschranken erwähnt wurden. „Die Korruptionsbekämpfung ist ein legitimer Zweck, bei dem die Grundrechte eingeschränkt werden können.“312 Doch die weiteren Schritte der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die auch im polnischen Recht bekannt sind, nennt er nicht. Er erwähnt lediglich, dass das „Instrument des Art. 22 CBA-Gesetzes ein zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben erforderliches Werkzeug für die Behörde darstellt“.313 Die fehlende gerichtliche Kontrolle über die Erfassung der Daten bezeichnet der Generalstaatsanwalt als „Gesetzeslücke“, die als solche nicht der Überprüfung im abstrakten Normenkontrollverfahren vorgesehen wird.314 „Die Über312 Urteil
Az.: K54 / 07 Punkt I 4.6.
314 Urteil
Az.: K54 / 07 Punkt I 4.8.
313 Ibidem.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
prüfung solcher Vorwürfe könnte das Verfassungsgericht in die Rolle eines quasi Gesetzgebers verschieben und damit könnte das Gericht das Merkmal des „Gerichts über das Recht“ verlieren.“315 Die mangelnde Regelung zur Vernichtung der gesammelten und nicht verwendeten Daten zur Erstellung einer Klageschrift wurde vom Generalstaatsanwalt gebilligt. Die vorläufige Begrenzung des Zugriffs auf die Daten sei zwar eine Beschränkung des Rechts auf Berechtigung der Angaben zur eigenen Person, jedoch nicht verfassungswidrig. Schließlich habe die Person nach der Einleitung des Strafverfahrens gegen sie einen unbeschränkten Zugriff auf diese Daten, was nur bedingt stimmt. Flach und tendenziell fällt die Einschätzung des Generalstaatsanwalts aus. Das Niveau der Überlegungen könnte ein Beispiel für die Geringschätzung des Grundrechtschutzes bei Straftatenverfolgung in Polen liefern. Sie stellt nicht einmal die Effektivität der Straftatenverfolgung in den Vordergrund, sondern die Leichtigkeit des Zugangs zu den gewünschten Informationen. Dies stellt das Kernproblem des Sicherheitsrechts in Polen dar. Die Grundrechte werden dagegen instrumentalisiert und als überflüssig empfunden. Das Bild eines Verfassungsgerichts, das die Arbeit der Behörden nur stört, liegt damit nahe. Eine ähnliche Aussage enthält die Stellungnahme des Sejms. Der Sejmvorsitzende (damals der spätere Staatspräsident Bronisław Komorowski) stellte im Schreiben vom 9. März 2009 ähnliche Argumente wie der Generalstaatsanwalt vor. Neben der Billigung der undeutlichen Definition der Korruption sah der Sejmvorsitzende keinen Widerspruch zwischen Art. 22 CBA-Gesetz und den Grundrechten. In knappen Worten stellte er fest, dass die Effektivität der Strafverfolgung von der Zugangsmöglichkeit zu den Daten abhängig ist. Zwar gebe es verfassungsrechtliche Bedenken zu der beanstandeten Regelung, doch seien sie nicht ernst genug, um die Verfassungswidrigkeit des Art. 22 festzustellen.316 Ebenso unkritisch und knapp äußerte sich der Pre mierminister. c) Erwägungen des VerfGH Die beantragte Normenkontrolle wurde umfassend angegangen. Sämtliche Vorschriften des CBA-Gesetzes wurden beanstandet und viele als verfassungswidrig erklärt. Dennoch entschied sich das Gericht, nicht das gesamte Gesetz als verfassungswidrig zu qualifizieren. Der Grund dafür waren die umstrittenen und hohen Voraussetzungen zur Feststellung der Verfassungs315 Ibidem. 316 Urteil
Az.: K 54 / 07 Punkt I 6.4.
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widrigkeit eines ganzen Gesetzes317 und die damit einhergehende nicht ausreichende Begründung des Kontrollantrags. Nichtsdestoweniger war die Kritik an dem Gesetz äußerst stark, doch nicht ausführlich. Die Definition der Korruption verstieße nicht nur gegen die Rechtstaatsregeln, sondern auch gegen die Logik und ließe behaupten, dass jede Erwiderung jeglichen Vorteils, sei es in der privaten Wirtschaft oder auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, als Korruption eingestuft werden könne.318 Diesem Punkt schenkt das Gericht am meisten Aufmerksamkeit. Zur Verfassungswidrigkeit des Art. 22 des CBA-Gesetzes entwickelt das Gericht auch eine Kritik, die nicht so weit geht wie es von den Antragstellern erwartet wurde, auch wenn ihr Mindestziel – die Außerkraftsetzung der Absätze 4 bis 7 – erreicht wurde. Nach dem VerfGH gehöre die Korruptionsbekämpfung zur Staatsaufgabe, doch die Maßnahmen dazu müssen vor allem der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben dienen und sollen nur in diesem Zusammenhang ausgelegt werden. Das Gericht übersieht, dass einer Behörde zur Bekämpfung der Korruption Befugnisse zuerkannt wurden, die sonst lediglich bei der Bekämpfung von Straftaten gegen wichtigste Verfassungsgüter zur Anwendung kommen können. Damit erweitert es die Definition der „Staatssicherheit“ um den geringer wiegenden Schutz vor der Korruption, die zwar ein Problem darstelle, aber nicht mit körperlicher Gewalt verbunden sei. Es sei vertretbar, dass die Antikorruptionsagentur Zugang zu Daten aus allen staatlichen Registern erlangen kann um sie zu bearbeiten. Der Zugang zu den sensiblen Daten sei zwar bedenklich, jedoch beim Kampf gegen Korruption nicht prinzipiell unzulässig.319 Der Kern der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes liegt in den fehlenden Verfahrensgarantien. Das Gericht trifft hier eine letztlich naive Aussage zur Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips. Es scheint, als seien selbst tiefe Eingriffe in die Informationsfreiheit und Privatheit zulässig, wenn dem Gebot der Subsidiarität genüge getan wird. Das Gericht formuliert an dieser Stelle drei Gebote der sicherheitsrechtlichen Überwachung – Realisierung eines legitimen Zwecks, Subsidiarität und die Erforderlichkeit der Maßnahmen. Dabei wird auch erwähnt, dass entsprechende Kontrollmechanismen geschaffen werden sollten um die exzessive Anwendung der eingreifenden Maßnahmen zu unterbinden. Zu ihrer Ausgestaltung trifft das Gericht keine Aussagen. Dabei wird übersehen, dass es sich in diesem Fall um Kampf gegen 317 Dazu: Aleksandra Kustra, Kontrola konstytucyjności całej ustawy, Przedgląd Sejmowy, 2012 Nr. 2, S. 13–35; Aleksandra Kustra, Jeszcze raz w sprawie kontroli konstytucyjności całej ustawy – odpowiedź na polemikę Piotra Radziewicza. Przegląd Sejmowy, 2013 Nr. 2 S. 87–97. 318 Urteil Az.: K54 / 07 Punkt III 2. 319 Urteil Az.: K54 / 07 Punkt III 5.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Korruption handelt und nicht gegen wichtigere Rechtsgüter. Selbst wenn die Informationen aus dem Melde- oder KFZ-Register nicht die empfindlichsten Daten umfassen, so gehören zu den solchen jedoch Register der Sozialversicherungsbehörde. Außerdem enthält die Vorschrift den Ausdruck „ins besondere“, danach folgen die Beispiele der öffentlichen Register. Man stellt sich die Frage, ob die Patientendaten aus einem öffentlichen Krankenhaus nicht darunterfallen. Weder das Gericht, noch die Antragsteller haben diese Angelegenheit anzugehen versucht. Zwar werden sie durch das ärztliche Geheimnis geschützt, doch mangels effektiver Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der alltäglichen Behördenpraxis, lässt sich behaupten, dass der Grundrechtschutz an dieser Stelle löchrig sein könnte. Der VerfGH trifft lediglich allgemeine Aussagen und verspielt die Gelegenheit, sich zu einem grundrechtsrelevanten Aspekt klar zu äußern, vor allem durch das Anprangern des rechtstaatlich nicht vereinbaren Stellenwerts der Korruptionsbekämpfung. Bei der Prüfung der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sind zwei Faktoren einschlägig: Zum einen der Zugang zu den Daten zur eigenen Person und die Berechtigung, diese Daten richtigzustellen oder zu löschen, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen oder veraltet sind. Der ausbleibende Zugang zu den Daten zur eigenen Person während der Operationskontrolle aber vor der Eröffnung des Strafverfahrens ist verfassungswidrig. Der VerfGH bezieht sich bei diesem Punkt jedoch nicht auf die Belange der laufenden Fahndung, doch bei der Entscheidung der früheren Rechtssache K 32 / 04 hat er erwähnt, dass der Zugang nur möglich sei, wenn es die Effektivität des Verfahrens nicht gefährdet. Doch muss dem Betroffenen die Einsichtnahme gewährleistet sein nachdem sie die Verfahrenszwecke nicht mehr bedrohen könne. Aus der Rechtsprechung des EGMR zieht der VerfGH den Schluss, dass der Eingriff eine konkrete Gesetzesgrundlage haben sollte, die von den Gründen aus Art. 8 EMRK umfasst werden: Der Eingriff muss nicht nur geeignet sein den Zweck zu erreichen, sondern soll den Belangen des demokratischen, offenen, aufgeklärten und toleranzfördernden Staates entsprechen, dessen polizeiliche Dienste nicht willkürlich, unzuverlässig, nicht kleinlich agieren und die die Eingriffe nur als das nötige Übel sehen, nicht aber als Arbeitserleichterung.320 Mit diesem Muster seien die Maßnahmen des Art. 22 Abs. 4–7 CBAG nicht vereinbar. Das Gericht macht jedoch keine konkreten Vorgaben, mit welchen Mitteln der Kampf gegen die Korruption durchgeführt wird, wodurch die Abwägung zwischen Sicherheits- und Freiheitsbelangen geführt werden soll. 320 Urteil
Az.: K 54 / 07 Punkt III 5.
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Der VerfGH teilt nicht die Befürchtungen der Antragsteller, dass die CBADatenbanken außer Kontrolle des Generalinspektors für Datenschutz stehen. Die Geheimdienste, die vertrauliche Informationen erfassen, müssen eine gewisse Freiheit von der Aufsicht der Datenschutzbehörde genießen. Außerdem haben die Antragsteller die mangelnde Kontrolle der CBA nicht genug im konkreten Fall belegt, denn es gäbe das gleiche Problem bei anderen Polizei- und Geheimdiensten.321 Diese Einstellung des Verfassungsgerichts erscheint problematisch. Es scheint, dass der VerfGH sich vor einer Entscheidung zurückzieht und die Sache nur nach einer oberflächlichen Einschätzung bewertet. Durch die knappe Passage zu diesem Punkt des Antrags verpasst das Gericht die Chance, Stellung zur datenschutzrechtlichen Kontrolle der Geheimdienste zu nehmen. Es geht schließlich nicht darum, die Polizei und andere Sicherheitsdienste genauso zu beaufsichtigen wie Unternehmen, sondern darum, eine Möglichkeit zur Überprüfung der Erfassung der Daten zu schaffen. Dieses Ausweichmanöver des Gerichts scheint unverständlich. d) Einschätzung des Urteils K 54 / 07 – Sondervotum der Richterin Ewa Łętowska Der Anstoß für das Verfahren erging von den Parlamentsabgeordneten. Das macht die Rechtssache K 54 / 07 noch stärker zu einem politischen Fall. Am Verfahren beteiligten sich auch bekannte Gestalten des öffentlichen Lebens. Die Aufmerksamkeit der Medien war groß. Doch sie zielte nicht auf die Urteilsargumentation selbst und seine Tragweite, sondern auf eine symbolische Verurteilung der polnischen Regierung in den Jahren 2005–2007. Die Medienberichte fokussierten sich auf die CBA, als eine quasiparteiliche Agentur, der Hoheitsmaßnahmen zur Verfügung gestellt wurden. Es herrschte eine blauäugige Behauptung, dass nach dem Regierungswechsel dieselbe Behörde lediglich mit ausgewechselter Spitze mit denselben Befugnissen nicht mehr rechtsstaatsbedrohend werden sollte, was vom parteipolitischen Grundrechts- und Rechtsstaatlichkeitsverständnis vieler Kommentatoren zeugte. Die primitive Politisierung der Diskussion um das Urteil hat zu einer Abwendung der öffentlichen Aufmerksamkeit von den Methoden der Operations- und Erkennungstätigkeit der Sicherheitsdienste in Polen beigetragen und zu einer unseriösen Auseinandersetzung mit den neun Behörden geführt, welche mit geheimer Datenerfassung arbeiten. Die politische Dimension der Atmosphäre um das Urteil war gewiss nicht zu übersehen. Es fehlte aber an einem Willen, die politisch motivierte Empörung zum Zweck einer fundierten, wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung mit den alten und nicht rechtstaatsmäßig geregelten Kompetenzen der Behörden, die den 321 Urteil
Az.: K 54 / 07 Punkt III 9.
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Kampf mit der Korruption aufnehmen sollte, zu verwenden. Mit anderen Worten: Der Ernst der Sache wurde weder vom VerfGH in seinem Urteil gesehen, noch wurde er in der darauffolgenden öffentlichen Diskussion angemahnt. Es ist gewiss leichter, die politische Auseinandersetzung mit der umstrittenen Praxis einer Behörde zu vermitteln, als das ganze System kon struktiv zu kritisieren, oder zumindest eine Diskussion dazu anzustoßen. Eine solche Kritik kommt aber aus den eigenen Reihen des VerfGH mit einem Sondervotum der Richterin Ewa Łętowska.322 Die abweichende Meinung der ehemaligen Bürgerrechtsbeauftragten enthält die Aussage der Verfassungswidrigkeit der ersten zwei Artikel des CBA-Gesetzes. Sie verstießen nicht nur gegen die im Antrag erwähnten Grundrechte, sondern generell gegen das Rechtsstaatprinzip (Art. 2 PolVerf). Łętowska verwendet ihr Votum Separatum fast wie eine Rezension des Urteils und geht in ihren Erwägungen nicht auf die konkreten Vorwürfe der Antragsteller ein, sondern greift tiefer und beanstandet die Ausgestaltung der Berechtigungen der CBA, die Informationen über die Bürger in dem vom Gesetz vorgegebenen Ausmaß zu erfassen. Für sie ist klar, dass die Sicherheitsdienste auch auf eine geheime Art und Weise auf die Informationen über die Bürger zugreifen können. Doch gerade die Heimlichkeit des Verfahrens sollte hohe Grundrechtsstandards als Gegenpol mit sich tragen. Die einschlägigen Grundrechtstandards bestehen aus zwei Hauptteilen: Zum einen sind das „die Vorschriften, die den Umfang der Tätigkeit der Beamten, ihre Aufgaben und Kompetenzen, in enger Bedeutung, gegenüber der Bürger bestimmen“.323 Zum anderen die „Mechanismen der anderen Verfahrensgarantien und institutionellen Garantien, die aus den Bestimmungen der Aufgaben und Kompetenzen der CBA nicht hervorgehen“.324 Die erste Gruppe der Garantien wirkt ex ante und besteht in der adäquaten, konkreten, eindeutigen und klaren Formulierung der Aufgabennormen sowie dann der Kompetenznormen. Die zweite funktioniert ex post und besteht primär in der Gestaltung solcher Rechtsinstitute, die eine Kontrolle der Hoheitshandlungen auf eine abstrakte Art und Weise vornehmen können, also einer Art der Dienstaufsicht; und sekundär der Schaffung einer Verfahrensgarantie für den Einzelnen, zur Überprüfung der Hoheitshandlung der Behörde nach dem Grundrechtsmaßstab. Über der Ausgestaltung und Ausführung der beiden Mechanismen solle zusätzlich das Verhältnismäßigkeitsgebot schweben. Die Entstehung dieser Mechanismen sei essentiell angesichts der Tatsache, dass innerhalb von fünf Jahren vor dem 322 Ewa Łętowska, geb. 1940, Professorin für Zivilrecht an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, 1987–1992 die erste Bürgerrechtsbeauftragte, 1999–2002 Richterin des Hauptverwaltungsgerichts (höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit), 2002–2011 Richterin des VerfGH. 323 Votum Separatum zum Urteil Az.: K 54 / 07 Punkt 1. 324 Ibidem.
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Urteil die Zahl der Behörden, die geheim Daten der Individuen erfassen können, von vier auf neun gestiegen ist. Deswegen solle das Verfassungsproblem nicht zerkleinert und anhand der einzelnen Grundrechte entschieden werden, sondern dem Gesetzgeber solle ein Auftrag erteilt werden, grundlegende Änderungen am CBA-Gesetz vorzunehmen. Das hätte nur passieren können, wenn das Gericht die Gelegenheit das Gesetz als eine Ganzheit zu überprüfen nicht verpasst hätte.325 Der Grundrechtsstandard der polnischen Verfassung und der EMRK könne einfach nicht eingehalten werden wenn die Kompetenzen einer Behörde nicht konkret genug formuliert werden, motiviert Łętowska die umfangreiche und unkonkrete Definition der Korruption könne dazu führen, dass die CBA nach eigenem, willkürlichem, möglicherweise politisch oder wirtschaftlich motiviertem Ermessen manche Zustände als korrupt einstufen kann und die anderen nicht und dementsprechend nach eigenem Willen und Interessen, nur die Ausgewählten verfolgen. Dazu komme die fehlende Garantie, die Tätigkeit der Behörde effektiv zu überprüfen, sei es ex ante durch einen Richter oder ex post auf Antrag des Betroffenen. Das alles schaffe der CBA ein weder materiell noch personell überschaubares Tätigkeitsfeld. „Die Tätigkeit der Antikorruptionsbehörde könnte nicht nur die eventuellen Straftaten betreffen, sondern sich auf das gesamte Spektrum der öffentlichen Wirtschaftsverwaltung erstrecken.“326 Die Kompetenzen der Behörde werden aus den Aufgaben interpretiert, denn zum Zwecke der „Erkennung und Vorbeugung der Straftaten gegen die ökonomischen Interessen des Staates“ stellt der Gesetzgeber der CBA eine ganze Skala an Kompetenzen. Das löchrige Subsidiaritätsprinzip (Formulierung: soweit andere Mittel sich als nicht erfolgreich erwiesen haben oder sich als nicht erfolgreich erwiesen könnten) garantiert auch kein ausreichendes Niveau des Grundrechtschutzes. Der Gesetzgeber übersehe vor allem den Unterschied zwischen Aufgabenzuschreibung einer Behörde und ihrer Ausstattung mit Hoheitskompetenzen, in diesem Fall tiefgreifenden Grundrechtseingriffen durch diese Maßnahmen, obwohl dies in der Rechtsprechung des VerfGH und auch des EGMR mehrmals thematisiert wurde. Im Urteil K 54 / 07 bezieht sich das Gericht zwar auf das Normenklarheitsgebot, doch zieht es daraus nicht ausreichend weitgehende Konsequenzen. Es zeigt zwar, dass die Definition der Korruption zu unbestimmt sei, doch nicht, dass die anderen Begriffe des Gesetzes sich als ein Potential für die willkürliche Auslegung erweisen und dadurch die Bestrebungen, über die einzelnen Grundrechte die Verfassungswidrigkeit der einzelnen Normen zu eliminieren, zu kurz kommt, wenn es den Kern des Problems nicht betreffe.
325 Votum 326 Votum
Separatum zum Urteil Az.: K 54 / 07, Punkt 2. Separatum zum Urteil Az.: K 54 / 07, Punkt 4.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Auch die nicht weit genug gehende Argumentation zu den ex ante Garantien wird von Łętowska kritisiert, doch angesichts der gravierenden Fehler des Gesetzgebers und des Übersehens des VerfGH im Bereich der Normenklarheit stehen sie nicht im Vordergrund. e) Auswirkungen des Urteils Das Urteil K 54 / 07 muss ambivalent bewertet werden. Zum einen enthüllt es teilweise die Tendenzen des polnischen Gesetzgebers, die diffusen Belange der unbestimmten Sicherheit über die Grundrechtsgarantien zu setzen. Vor allem hat das Urteil argumentativ zahlreiche Schwachstellen. Das Gericht nutzt nicht vollständig das Potential der Grundrechtsgarantien, die als Maßstab der Verfassungsmäßigkeitskontrolle erwähnt werden. Es könnte in den Erwägungen weitergehen, doch tut es das nicht. Das Urteil kann den Eindruck erwecken, dass sich der VerfGH die Arbeit spart, da ohnehin viele Vorschriften des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt werden. Doch die Argumentation, die als ein Auftrag für den Gesetzgeber dienen sollte, bleibt unvollständig. Abgesehen von der Tendenz des polnischen Gesetzgebers, die Urteile des VerfGH nach Möglichkeit zu umgehen, ist das ein gewagtes Unterfangen. Das Gericht geht das Risiko ein, dass die Vorschriften selbst nach der Nachbesserung durch das Parlament weiterhin verfassungswidrig sein werden. Das Urteil wurde im politischen Diskurs als ein Sieg der neuen Regierung von Tusk gegen die Methoden der vorherigen Regierung von Kazimierz Marcinkiewicz und danach Jarosław Kaczyński gesehen, was freilich eine falsche Betrachtung darstellte, denn die neue Regierung übernahm die Behörde mit allen kompetenziellen Unzulänglichkeiten verfassungsrechtlicher Natur. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ging die Bedrohung nicht von den extensiven Befugnissen der Behörde im Kampf gegen Korruption aus, sondern von der personellen Ausgestaltung der Behördenspitze. Diese oberflächliche Betrachtung verhinderte die vertiefte Diskussion über die Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei und der anderen Sicherheitsdienste in Polen und wurde von der neuen Regierung als Legalitätsvorwand für ihre Novelle benutzt. Sie verbesserte zwar die Rechtslage, aber wegen der Unzulänglichkeiten des Urteils K 54 / 07 konnte sie nicht den Grundrechtschutz auf ein akzeptables Niveau heben, was politisch auch nicht gewollt war. Mit dem Gesetz vom 5. August 2010327 wurde u. a. der Art. 22 CBA-Gesetz gestrichen und die Erfassung der personenbezogenen Daten in den neuen Art. 22a und 22b geregelt. Danach kann die CBA Informationen aus allen 327 Ustawa o zmianie ustawy o Centralnym Biurze Antykorupcyjnym (Dz. U. 2010 Nr. 151, Pos. 1014).
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 249
staatlichen Datenbanken bekommen und auch sensible Informationen zu Personen erfassen; alle fünf Jahre muss bei den so entstandenen Datenbanken verifiziert werden, ob die Informationen immer noch zur Aufgabenerfüllung der CBA erforderlich sind. Damit wurde die Frist der Überprüfung verkürzt, aber die Prinzipien des Art. 51 Abs. 4 PolVerf wurden wiederum übersehen. Das alte Muster ist geblieben. Der Art. 22b ruft einen inneren Datenschutzbeauftragten ins Leben, der gewiss Unabhängigkeit verspricht. Die Frage des Austausches der Informationen zwischen den Sicherheitsdiensten wurde jedoch nicht geregelt. Dadurch kann die CBA immer noch die Ergebnisse anderer Dienste ungehindert beziehen, wenn es zur Aufgabenerfüllung der CBA aus dem Art. 2 Abs. 1. CBA dient. Die anderen Sicherheitsbehörden können dann nur den Zugang verweigern, wenn es zur Verhinderung ihrer Aufgabenerfüllung führen sollte, oder zum Aufdecken ihrer verdeckten Mitarbeiter. Die Grundsatzfrage des Zugangs des Einzelnen zu den Daten zu seiner Person wurde nicht geregelt. In diesem Fall folgt der Gesetzgeber der Aussage des VerfGH, dass der Zugang aufgrund bestehender Vorschriften „nicht verboten“ sei.328 2013 entstand sogar ein Gesetzesentwurf zur Abschaffung der CBA.329 Er wurde von den beiden linken Parteien im polnischen Parlament – „Ruch Palikota“ und die SLD – getragen. Doch nach einer negativen Einschätzung der PO-PSL-Regierung wurde er zurückgezogen. Die Entwurfsgeber bezeichneten das Projekt als nötig und setzten das Hauptziel auf die Verminderung der Auswirkungen der Zerbröckelung der Kompetenzen zur Korruptionsbekämpfung und Prävention. Außerdem sei die Korruptionsbekämpfung mit polizeilichen Mitteln ineffektiv und ein Schritt zurück, denn auf der europäischen Ebene werde vor allem auf die Prävention mit Nicht-Hoheitsmitteln gesetzt.330 Als Ironie des Schicksals klingt die im Herbst 2016 getroffene Aussage des Vertreters der damals regierenden PO-PSL-Koalition und POVorsitzenden Grzegorz Schetyna, die CBA abzuschaffen.331 Der Fall CBA zeigt vor allem, dass der polnische Gesetzgeber in erster Linie auf repressive Maßnahmen bei der Staatsaufgabe zur Gewährleistung der Sicherheit setzt. Die wichtigsten Kriterien scheinen für sie Effektivität der Aufgabenerfüllung und ungestörte Arbeit der Sicherheitsdienste zu sein, 328 Urteil
Az.: K 32 / 04 Punkt III 5.5. nr 1440 Gesetzesentwurf http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki7ka.nsf / 0 / 7BD4 B6DAE82A168AC1257B880033CF10 / %24File / 1440.pdf (Zugang: 11.02.2016). 330 Druk nr 1440 Gesetzesentwurf http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki7ka.nsf / 0 / 7BD4 B6DAE82A168AC1257B880033CF10 / %24File / 1440.pdf, S. 13, (Zugang: 11.02. 2016). 331 http: / / www.gazetaprawna.pl / artykuly / 1042434,likwidacja-cba-schetyna-po. html. (Zugang: 16.5.2017). 329 Druk
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
was an dem Beispiel von CBA besonders zum Vorschein kommt. Eine ernsthafte Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes blieb bei der Legislative und Exekutive aus. Bei der Judikative dagegen, was sichtbar in der Entscheidung des VerfGH sichtbar war, ist sie auch nicht ausreichend. Zwar wird das Kriterium der Erforderlichkeit oft erwähnt und aus der Rechtsprechung des EGMR abgeleitet, doch die Verhältnismäßigkeitskontrolle im engeren Sinne wird einfach übersehen. 3. Das „Große Urteil“ vom 30. Juli 2014 (K 23 / 11) Die enge Konzeption der Verfassungsbeschwerde in Polen blockiert den Bürgern den direkten Zugang zum Verfassungsgericht. Diese Regelung muss aber nicht notwendig negativ bewertet werden, denn der Grundrechtsschutz des Einzelnen wird durch andere Subjekte gewährleistet, was die Anträge auf die Normenkontrolle des Generalstaatsanwalts und des Ombudsmannes im Verfahren K 23 / 11 zeigen. Die insgesamt sieben Anträge, die eine hohe Komplexität aufweisen, wurden im Laufe des Jahres 2012 dem VerfGH vorgelegt. Das Urteil selbst zählt zu den umfangreichsten in der Geschichte des polnischen Verfassungsgerichts. Die abstrakte Normenkontrolle in dem Verfahren betrifft die geheime Kommunikationsüberwachung und Datenerfassung durch die polizeilichen Dienste in Polen. Sieben Gesetze und damit Kompetenzen von neun Behörden332 wurden von den Antragstellern beanstandet, die meisten auch verworfen. Trotz seines Umfangs beseitigt das Urteil nur einen Teil der datenschutzrechtlichen Unzulänglichkeiten des polnischen Sicherheitsrechts. Jedenfalls stellt es eine wichtige Bestandsaufnahme der Rechtslage, aber auch der sie begleitenden Tendenzen und Meinungen dar.
332 Überprüft wurden angegebene Vorschriften folgender Gesetze: Polizeigesetz . Ustawa o Policji (Dz. U. 2007 r. Nr. 43, Pos. 277, ze zm.), Grenzschutzpolizeigesetz (SG), Ustawa o Straży Granicznej (Dz. U. z 2011 r. Nr. 116, poz. 675), Gesetz über die Fiskalkontrolle (KS), Ustawa o kontroli skarbowej (Dz. U. z 2011 r. Nr. 41, poz. 214), Militärpolizeigesetz (ŻW) Ustawa o Żandarmerii Wojskowej i wojskowych organach porządkowych (Dz. U. z 2001, Nr. 123, poz. 1353, ze zm.), Gesetz über die Agentur für innere Sicherheit und (ABW) über das zivile Nachrichtendienst (AW), Ustawa o Agencji Bezpieczeństwa Wewnętrznego oraz Agencji Wywiadu (Dz. U. z 2010 r. Nr. 29, poz. 154, ze zm.), Gesetz übe das Zentralle Antikorruptionsagentur, Ustawa o Centralnym Biurze Antykorupcyjnym (Dz. U. 2006, Nr. 104, poz. 708, ze zm.), Gesetz über Militärabschirmdienst (SKW) und Militärnachrischtendienst (SWW), Ustawa o Służbie Kontrwywiadu Wojskowego oraz Służbie Wywiadu Wojskowego (Dz. U. 2006, Nr. 104, poz. 709, ze zm.).
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 251
a) Facetten des Urteils Die Rechtssache K 23 / 11 hat einige besondere Züge, die im Vorfeld angesprochen werden. Das Urteil erging in einem abstrakten Normenkontrollverfahren, eingeleitet durch Anträge des Generalstaatsanwalts und des Beauftragten für Bürgerrechte333 und ist im Großen und Ganzen eine Synthese der bisherigen Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichtshofes zum unvermeidlichen Wertekonflikt der Grundrechte mit der Sicherheit. aa) Kollektive Überprüfung Die Anträge richteten sich gegen gewisse Vorschriftenkomplexe einerseits zur Kontrolle der Inhalte jeglicher Kommunikation (Operationskontrolle), andererseits zum Zugang zu Verkehrs- und Standortdaten bei Telefon- und Internetverbindungen. Die Kompetenzen zum Einsatz dieser Datenmengen lagen und liegen immer noch bei insgesamt neun polizeilichen Behörden und Sicherheitsdiensten. Wie bereits im Teil zur Besprechung der Rechtslage in Polen erwähnt, unterliegt das Verfahren bei der Operationskontrolle (inhaltsbezogene Kommunikationskontrolle) dem Richtervorbehalt und wird in allen erwähnten sieben Gesetzen fast gleich geregelt. Die geringen Abweichungen betreffen nur die Sachverhalte, bei denen die Behörden in dieser Form agieren können. Die Erfassung der Verkehrsdaten im Rahmen der Operationsund Erkennungstätigkeit verlangte, nach den beanstandeten Vorschriften, keine richterliche Überprüfung und erfolgte nur im Rahmen der Aufgabenzuweisungsvorschriften der jeweiligen Behörde. (Nach dem Urteil ist auch das erhalten geblieben.) Angesichts der Komplexität und des Umfangs vor allem aber der Vielfalt der verfassungsrechtlichen Bedenken in den Überprüfungsanträgen teilte der VerfGH sein Urteil nach den fünf Hauptrechtsfragen auf: (1) Präzision der Gesetzessprache bei dem Katalog der Straftatbestände bei der Anordnung der Operationskontrolle, (2) das Verfahren bei der Opera tionskontrolle, (3) Zugang zu den Verkehrsdaten, (4) Schutz des Berufsgeheimnisses sowohl bei der inhaltsbezogenen als auch bei der nichtinhaltsbezogenen Überwachung und (5) Löschung der unnötig erfassten Verkehrsdaten. Diese Rechtsfragen extrahieren die Richter aus den Anträgen und nach ihnen haben sie die verfassungsrechtliche Kontrolle der Vorschriftenkomplexe strukturiert. Diese Vorgehensweise des Gerichts weist auf eins deutlich hin: Obwohl die Kompetenzen verschiedener Behörden mit völlig anderen Aufgabenfeldern überprüft wurden, von Nachrichtendiensten über Einheiten, die 333 Nach dem Art. 208 Abs. 1. der polnischen Verfassung „[hütet] der Beauftragte für Bürgerrechte die in der Verfassung und in anderen Normativakten festgelegten Rechte und Freiheiten der Menschen und Staatsbürger“.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
sich mit Wirtschaftskriminalität und Korruption bis zur „einfachen“ Polizeiarbeit beschäftigen, hat sich der VerfGH nicht dazu entschieden, die Begründung nach diesen Kriterium aufzubauen. Das weist auf zwei spezifische Züge des polnischen Überwachungsrechts hin. Zum einen wird deutlich, dass das Trennungsprinzip zwischen (in deutscher Terminologie) Polizei und Nachrichtendiensten nicht existiert. Die Aufgaben verschiedener Dienste überschneiden sich, was den Sündenfall des polnischen Sicherheitsrechts darstellt. Darüber hinaus zeigt die kollektive Überprüfung die mangelnde Zweck-Mittel Differenzierung. Der Gesetzgeber gibt allen Behörden die gleichen gesetzlich verankerten Maßnahmen und schreibt den Behörden nur verschiedene Zwecke zu, bei denen „das Werkzeug“ angewendet werden kann. Es fehlt die Überlegung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip – ob die gleichen Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und etwa der Zwangsprostitution angewendet werden sollten. Die Tragweite des geschützten Rechtsgutes wird in die Abwägung nicht einbezogen. Dazu kommt die schon im ersten Teil angesprochene Vermischung der Präventions- und Repressionsaufgaben der Behörden. Insgesamt entsteht ein mangelhafter Gesetzeskomplex mit großem Willkürpotential und unklaren Zuständigkeiten. Dem VerfGH zufolge sei aber diesem Problem nicht durch das Verfassungsgericht Rechnung zu tragen, sondern durch den Gesetzgeber.334 bb) Bindung an die Überprüfungsanträge und Reichweite des Urteils Dieses schon oben angesprochene Problem des Umfangs der Überprüfung ist ein Ausdruck der angeblichen Machtlosigkeit des VerfGH hinsichtlich seiner Bindung an die Klagegrenzen. Das Verfassungsgericht in Polen hat fast keinen Spielraum angesichts der in den Überprüfungsanträgen erfassten Kontrollmuster. Das Gericht versucht stets eine Art Maßstabsteil in die Urteile einzubauen, doch mit geringer Wirkung auf den Gesetzgeber, weil lediglich der Tenor für ihn bindend ist. Die Erwägungsgründe werden oft ignoriert oder verdreht.335 Die Subsumtionsteile des Urteils entwickeln eine übermäßig wichtige Bedeutung. Das Gericht subsumiert die Vorwürfe nach den angegebenen, im Antrag formulierten Kontrollmustern. Demnach besitzt das Gericht faktisch keine effektive Möglichkeit, sich im weiteren Kontext zu äußern, sondern muss an den Vorwürfen aus den Anträgen festhalten. Dadurch entstehende Änderungsaufträge an den Gesetzgeber sind oft unvollständig, obwohl das Gericht in obiter dicta verschiedene Inhalte „einzu334 Urteil
Az.: K 23 / 11 Punkt III 5.2.6. Marek Safjan, Politics—and Constitutional Courts (Judge’s Personal Perspective), Polish Sociological Reviev, 1 / 2009, S. 3–25. 335 Dazu:
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 253
schmuggeln“ versucht. Jegliche Erweiterung der Rechtsprechungskompetenz des VerfGH ist in der Lehre in Polen umstritten, was vor allem an der Kritik am Rechtsstaatsprinzip sichtbar ist.336 Das Urteil weist damit auf einige brennende Probleme des Sicherheitsrechts hin, bei weitem aber nicht auf die wichtigsten und sicherlich nicht auf. cc) „Das Kulturteil“ Es ist auch zu erwähnen, dass dieses Urteil als erstes in der Reihe der Rechtsprechung zur Überwachungstätigkeit einen breiten Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden hat – nicht nur wegen seiner politischen Brisanz, sondern wegen des Grundrechtsinhalts. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen trugen den Fall in die Medien und machten die Öffentlichkeit auf das Problem der Datenerfassung durch die staatlichen Stellen aufmerksam.337 Die steigende Aversion gegenüber der lückenlosen Weltüberwachung durch Geheimdienste – vor allem dank den Enthüllungen von Edward Snowden – hat dem Richterspruch ein Flair der gesellschaftlichen Brisanz verliehen. Für die weitere Steigerung des öffentlichen Interesses am Urteil K 23 / 11 hat der Regierungswechsel im Herbst 2015 in Polen gesorgt. Die Regierung von Ewa Kopacz hatte zwar einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Urteils im Parlament im Sommer 2015 vorgelegt,338 doch vor der Beendigung der Wahlperiode hatte das Parlament das Gesetz nicht verabschiedet. Damit ging die Pflicht zur Gesetzgebung an die neue Regierung von Beata Szydło über. In der angespannten politischen Lage wurde der Richterspruch vom 30. Juli 2014 ungewollt zu einem Argument gegen die Regierung Szydło, was die Diskussion über seine Umsetzung zu einem politischen Fetisch der Opposition machte und eine meritorische Auseinandersetzung mit dem neuen Gesetzesentwurf deutlich erschwerte. b) Kontrollanträge und Vorwürfe Die Rechtssache K 23 / 11 hat zwei interessante Aspekte, die schon im Vorfeld betrachtet werden sollten.
336 Vgl. etwa: Agata Miętek, Zasada demokratycznego państwa prawnego w orzecznictwie Trybunału Konstytucyjnego, dialogi polityczne Nr. 11 / 2009, S. 75–85; Lech Morawski, Spór o pojęcie państwa prawnego, Państwo i Prawo 1994 / 4, S. 3–13. 337 An dieser Stelle gilt es vor allem die Bedeutung des Helsinki Komitees, der Stiftung „Panoptykon“ und des Bürgernetzwerks „Watchdog“ zu betonen. 338 Gesetzesentwurf des Senats, http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki7ka.nsf / 0 / 14137869 1F4818FFC1257E920045EDAB / %24File / 3765.pdf (Zugang: 12.8.2016).
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
aa) Die Antragsteller Als erstes, dass die Rügen der Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung von zwei, in ihrer Natur nach verschiedenen Organen ergingen. Das eine ist der Beauftragte für Bürgerrechte. Dieser steht einer unabhängigen Behörde vor, die vom Sejm gewählt wird und nur vor ihm verantwortlich ist (Art. 210 PolVerf). Verfassungsrechtlich gesehen wird ihm eine Aufgabe als Staatskontroll- und Rechtschutzbehörde zugeschrieben. Sowohl seine rechtliche als auch seine faktische Position ist stark, weil die Grundlagen direkt in der Verfassung verankert sind. Zugleich ist er eine Behörde, die im Laufe der friedlichen Reform der Volksrepublik Polen 1987 entstanden ist und seit dem eine führende Rolle im System des Grundrechtschutzes in Polen annimmt. Von der Öffentlichkeit wird er, unabhängig von dem Amtsinhaber, hochgeschätzt.339 Der zweite Antragsteller, Generalstaatsanwalt, ist auch ein Verfassungs organ, das in der Verfassung aber nur einmal erwähnt wird. Er gehört zu den Organen, die zur Einleitung des abstrakten Normenkontrollverfahrens berechtigt ist. Im polnischen Staatsgefüge gehört der Generalstaatsanwalt zu den Rechtsschutz-, insbesondere den Strafverfolgungsbehörden. Die Staatsanwaltschaft, mit ihm an der Spitze, „hütet die Rechtsstaatlichkeit und sorgt für die Strafverfolgung.“340 Bei der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben ist er unabhängig, wenn auch stark mit der Regierung verbunden, trotz seiner Trennung vom Posten des Justizministers. (Dies war der Fall in der Zeit zu der die Rechtssache entschieden wurde.341) Die Strafverfolgungsbehörde ist eines der Organe, die die Anträge der Polizei- und Sicherheitsbehörden auf die Kommunikationsüberwachung bewerten und genehmigen.342 In diesem Verfahren trat er in einer scheinbar zwiespältigen Rolle einer Behörde auf, die auf der Seite der Grundrechtsangriffe steht, doch gleichzeitig als Hüter des Allgemeininteresses fungiert. In dieser Funktion strebte der Generalstaatsanwalt mittelbar eine verfassungsrechtliche Kontrolle seiner eigenen Kompetenzen an. In Anbetracht der politischen Vergangenheit des Amtes ist dies nachvollziehbar. Auftritte des Generalstaatsanwalts vor dem polnischen VerfGH sind keine Seltenheit, denn kraft des Gesetzes kann er in allen Verfahren Stellung nehmen. Seine Rolle in den zwei schon erörterten 339 Dazu: Jan Muszyński, Die polnische Bürgerrechtsbeauftragte. Wie das Amt seine Bedeutung erhielt, JöR 2016, S. 219 ff.; Lech Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne, Warszawa 2005, S. 421. 340 Art. 2 der Gesetzes über die Staatsanwaltschaft. 341 Vom Jahre 2010 bis 2016 war der Posten des Generalstaatsanwalts vom Justizminister abgekoppelt. 2016 wurde die Zusammenführung beider Stellen wiederhergestellt. 342 Z. B. Nach Art 19 Abs. 1 in fine des PolizeiG.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 255
älteren Fällen ist nicht nur funktionell, sondern auch argumentativ mit den Stellungnahmen der Regierung verbunden, was in dem Verfahren K 23 / 11 nicht mehr der Fall war. bb) Die materiellen Aspekte Die zweite Anmerkung im Vorfeld bezieht sich auf den Gegenstand der Kontrolle im Kontext der Vorratsdatenspeicherung. Die Antragsteller richten sich generell gegen die Verfahrensvorschriften, die den Zugriff auf die Verbindungsdaten und Kommunikationsinhalte regeln. Sie fochten aber nur die mangelhafte Prozedur und nicht ihre materiell-rechtlichen Grundlagen an, zu denen auch die umgesetzten, mittlerweile nichtigen, Vorschriften der Richt linie 2006 / 24 / EG gehörten. Damit ist die Aussagekraft des Urteils schon im Vorfeld geschwächt, etwa im Vergleich zur Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung. Es ist von Anfang an klar, dass die Vorratsdatenspeicherung an sich nicht beanstandet wird, zumal selbst die Rechtschutzbehörden dies nicht forderten. Dadurch wird sie praktisch in der Form der extensiven Implementierung der zur Zeit des Urteils ungültigen Richtlinie 2006 / 24 / EG bestätigt. Der VerfGH bedauerte den engen Umfang der Überprüfung und gab gleichzeitig ein Signal der affirmativen Einstellung zum Urteil des EuGH vom 8. April 2014 C-293 / 12 ab, indem es das „normative Umfeld der Richtlinie“ mit in die Betrachtung zog.343 Der Grund warum der Überprüfungsantrag zu kurz griff, lässt sich u. a. mit den komplexen Anforderungen der Formulierung von Vorwürfen in Verfahren vor dem VerfGH und einer Zurückhaltung bei der Anzweiflung der Verfassungsmäßigkeit der EU-Vorschriften erklären. Die enge Auslegung der Klagegrenzen kommt auch noch von einer anderen Seite zum Vorschein: Das VerfGH verlangt bei möglichen Grundrechtsverletzungen eine detaillierte Begründung der Überprüfungsanträge und Beweise. Dies gilt auch bei der abstrakten Normenkontrolle und zwingt damit die Rechtschutzbehörden in ihren Anträgen konkrete, aber auch enge Kon trollmuster anzugeben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auf die vielen Punkte einzugehen, wobei viele andere Facetten des Verfassungsproblems keine Berücksichtigung finden. Dies wurde auch in diesem Fall deutlich. c) Das Verfahren Man kann den Verlauf des Verfahrens in der Rechtssache K 23 / 11 als ein Protokoll der lebhaften Diskussion zum Thema „Überwachung“ sehen. Ins343 Urteil
Az.: K 23 / 11, Punkt III 10.3.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
gesamt vier Tage mündlicher Verhandlung zeugen vom Umfang des Verfahrens. Der VerfGH hat auch zahlreiche Gremien zu schriftlichen Stellungnahmen bestellt. Durch seine gesetzlichen Kompetenzen erzwang es quasi einen umfassenden Überblick über den Klagegegenstand, den es in solchem Ausmaß vor polnischen Gerichten noch nie gab. Sämtliche Bürgerrechtsorganisationen, Berufsverbände, Polizei- und Sicherheitsbehörden, Nachrichtedienste, alle Appellationsgerichte (11), einige Kreisgerichte, Sejm, Premierminister, einige Minister, Oberste Kontrollkammer (NIK), und Amt für Elektronische Kommunikation (UKE), haben während des Verfahrens ihre Gutachten vorgelegt bzw. ausgesagt. Die Sache wurde in voller Zusammensetzung des VerfGH entschieden, was mit ihrer Komplexität und Reichweite zusammenhing. Dieser Arbeitsaufwand zeigt, wie dringend und wichtig die Entscheidung nach der Meinung des VerfGH war. Der Umfang des Verfahrens zeigt auch, wie viele Subjekte von der Regelung betroffen sind und welche gravierenden Probleme die staatliche Überwachung in Polen aufwirft. Noch kein Verfahren vor dem VerfGH war so breit angelegt. Nach den Äußerungen der Beteiligten ergab sich ein undurchsichtiges Bild der verschiedenen Arten der Kommunikationsüberwachung. Das liegt aber nicht nur an den voneinander abweichenden Gutachten sondern auch an der Struktur der Operations- und Erkennungstätigkeit zu der jegliche Kommunikationskontrolle gehört. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Vertreter des Sejms und der Regierung diesmal nicht ganz kritiklos, anders als 2005 und 2009, gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage waren. Das Gericht hat eingesehen, dass das Bild der Telekommunikationsüberwachung und Datenerfassung durch die staatlichen Stellen nicht vollständig ist und in der überprüften Gesetzeslage nicht vollständig werden kann.344 Die Behörden waren nicht im Stande, lückenlose Daten vorzulegen. Es kam auch zu dubiosen Vorkommnissen mit dem Kreisgericht Warschau,345 das sich weigerte, die ausführlichen Informationen zu seiner Tätigkeit dem VerfGH zu liefern. Diese Maßnahme wurde mit dem Schutz von Staatsgeheimnissen begründet.346 Bemerkenswert ist auch die Entscheidung des Gerichts keine Sachverständigen zu berufen, auch wenn es von den Beteiligten nicht selbst beantragt wurde. Die Komplexität der Sache, auch in technischer Hinsicht, sollte ein344 Urteil
Az.: K 23 / 11, Punkt I 3.3.1. Gericht, das die meisten Überwachungsanträge überprüft, angesichts einerseits der örtlichen Zuständigkeit andererseits wegen der ausdrücklichen Kompetenz in einigen Geheimdienstgesetzen. 346 Urteilsbegründung Urteil Az.: K 32 / 11 Punkt I 3.11.2. 345 Das
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 257
leuchtend sein. Technische Aspekte kommen im Urteil zu kurz, wenn es nicht auf die Feinheiten der Überwachungstechnik abstellt. d) Die grundrechtlichen Probleme Die Tätigkeit der sonst exotischen Koalition des Bürgerrechtsbeauftragten und des Generalstaatsanwalts konzentrierte sich, wie erwähnt, nach Meinung der VerfGH auf fünf Rechtsfragen. Zwei davon betrafen die Vorratsdatenspeicherung, die restlichen drei richtete sich gegen die Vorschriften zur inhaltsbezogenen Kommunikationsüberwachung. aa) Unscharfe Sprache bei der Regelung der Kommunikationsüberwachung Das erste Problem war die Frage der unkonkreten Begriffe in den oben genannten Sicherheitsgesetzen. Insbesondere die Voraussetzungen für den Einsatz der Telekommunikationsüberwachung in den jeweiligen Gesetzestexten sind problematisch. Der Vorwurf bezog sich aber nicht auf die Prozedur bei der Gewinnung der Verkehrsdaten. Nach der früheren Rechtsprechung des VerfGH darf diese Art der Überwachung nur in genau bestimmten Fällen eingesetzt werden, um den Belangen des Rechtstaates (Art. 2 PolVerf) und des Schutzes des Art. 47 PolVerf (Schütz der Privatsphäre) und des Art. 49 PolVerf (Kommunikationsgeheimnis) zu genügen, sowie der Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR. Die Tatbestände werden in den Vorschriften verschieden und vielfältig formuliert. Im Polizeigesetz z. B. bezieht sich der Gesetzgeber stellenweise direkt auf die Hausnummern der Vorschriften des Strafgesetzbuches (KK), an anderen gibt er nur die Art der Straftaten wie beispielsweise „Finanzstraftaten“ an. Diese Technik wird von dem VerfGH gebilligt, denn sie gäbe bei der Anwendung genügend Klarheit über die Bedingungen, bei denen die invasive Maßnahme der Kommunikationsüberwachung eingesetzt werden darf.347 Der Gesetzgeber verwendet aber auch unpräzise Begriffe wie z. B. „Straftaten, die sich gegen die Sicherheit der Streitkräfte richten“, „die sich gegen die ökonomischen Grundlagen des Staates richten“, „die sich gegen die Staatssicherheit richten“, „die nach internationalen Vereinbarungen verfolgt werden“ oder „Straftaten, die sich gegen das Verteidigungspotential der Streitkräfte richten“. Diese unkonkreten Formulierungen wurden von den 347 Urteil
Az.: K 23 / 11, Punkt III 6.1.4. und III 8.6.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Antragstellern beanstandet und von dem VerfGH für verfassungswidrig erklärt.348 Das VerfGH hat zugegeben, dass die Vorschriften in der von Natur aus unkonkreten Naturalsprache formuliert werden. Ausschlaggebend muss jedoch ihre Auslegung sein.349 Im Laufe der Interpretation des Gesetzestextes müsse sich feststellen lassen, welche Designatoren der Gesetzesbegriff beinhaltet. Gleichzeitig ist es nicht nötig, die Tatbestände starr nur durch Hausnummern im jeweiligen Strafgesetz zu erfassen, denn diese Praxis könnte, u. a. zu technischen Problemen bei Gesetzesänderungen führen. Es reicht, wenn der Gesetzgeber die Tatbestände mit Gattungsnamen bestimmt, wie z. B. Mord, Diebstahl, Geldfälschung. Die sprachliche Unkonkretheit dürfe aber nicht zu weit gehen und die Auslegung der Gesetzesbegriffe solle nicht unnötige Hürden stellen. Wenn die grammatische Auslegung kein zufriedenstellendes Ergebnis gäbe, solle auf die teleologische oder funktionelle Ebene zurückgegriffen werden. Es dürfe aber nicht zu einer Analogie kommen. So sei, nach der Meinung des VerfGH, der Begriff „Straftaten gegen Staatssicherheit“350 ein in der Judikatur und Fachliteratur geklärter Begriff, dem mit dem Rückgriff auf die Erklärung der Gesetzesbegriffe im Strafgesetzbuch genügende Klarheit zugeschrieben werden könne.351 Dagegen sei der Begriff „Straftaten, die sich gegen die ökonomischen Grundlagen des Staates richten“352 zu unbestimmt, weil er sich weder im Verlauf der grammatikalischen noch teleologischen oder sogar historischen Auslegung definieren ließe. Er werde zu unscharf gefasst und berge eine Missbrauchsgefahr.353 Die Meinung des VerfGH war in diesem Fall nicht einheitlich. Zwei Sondervoten zu diesem Punkt haben der Berichterstatter Marek Zubik354 und der Richter Wojciech Hermeliński355 eingelegt, indem sie diese ungleichmäßige Auslegungspraxis kritisierten. Ihrer Meinung nach dürfe bei strafrechtlich relevanten Begriffen auf keinem Fall auf weitgehende Auslegungstechniken 348 Urteil
Az.: K 23 / 11, Punkt III 6.1.4. Az.: K 23 / 11, Punkt III 8.7.3. 350 Ein Begriff aus dem Gesetz über die Agentur der Inneren Sicherheit. 351 Urteil Az.: K 23 / 11, Punkt III 8.7.3. 352 Ein Begriff aus dem Gesetz über die Agentur der Inneren Sicherheit. 353 Urteil Az.: K 23 / 11, Punkt III 8.6. 354 Marek Zubik (geb. 1974), Stellvertreter des Bürgerrechtsbeauftragten 2007– 2010, seit 2010 Richter des VerfGH, seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Verfassungsrecht an der Universität Warschau, seit 2015 Vorsitzender des Rechtswissenschaftlichen Komitees der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Der jüngste Richter in der bisherigen Geschichte des VerfGH. 355 Wojciech Hermeliński (geb. 1949), Staatsanwalt 1977–1980, später Rechtsanwalt bis 2006, 2006–2015 Richter des VerfGH. 349 Urteil
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abgestellt werden, sondern im Wege der linguistischen Interpretation klare Ergebnisse erreicht werden. Die Tatbestände müssten (und könnten auch) klar formuliert werden und so keine Auslegungsspielräume zulassen. Der, nach der Mehrheitsmeinung, verfassungskonforme Begriff der „Straftaten, die sich gegen die Sicherheit des Staates richten“ unterscheide sich nicht auf seiner semantischen Ebene von dem verfassungswidrigen Begriff der „Straftaten, die sich gegen die ökonomischen Grundlagen des Staates richten“. Beide seien unbestimmt und geben Raum für Interpretationsmissbräuche. Es sei dabei irrelevant, ob die Begriffe durch die Rechtslehre oder Rechtsprechung präzisiert wurden oder nicht.356 Richter Hermeliński fügt hinzu, dass das Hineinschreiben von Begriffen, die keinen normativen Inhalt haben, sowohl zu einer verfassungswidrigen Auslegung führen könne, als auch zu einer verfassungswidrigen Präzisierung im Gesetzeswege. Die Gesetzessprache des polnischen Gesetzgebers hinsichtlich der Überwachungsmaßnahmen wurde auch in den früheren Entscheidungen von dem VerfGH kritisiert. Die unbestimmten Begriffe sind einerseits unvermeidlich, weil Sprache von Natur aus unpräzise ist, andererseits die bewusste Verwendung der unbestimmten Begriffe in den Gesetzen, die als strafrechtsrelevante Angriffsgrundlage in die Grundrechte dienen, unzulässig ist. Das polnische Recht verwendet oft unbestimmte Begriffe, die emotionale Aufladungen enthalten. Selbst die Verfassung erwähnt „die Sicherheit des Staates“ (Art. 45 Abs. 2, Art. 53 Abs. 5), die öffentliche Ordnung (Art. 31 Abs. 2), die Unabhängigkeit des Staates (Art. 26 Abs. 1), die ökologische Sicherheit (Art. 74 Abs. 1) und vieles andere. Diese Formulierungen werden oft von der Lehre kritisiert. Man könnte es auch als einen besonderen Zug der polnischen juristischen Sprache anerkennen, solange diese Begriffe zu keinen Missbräuche führen, die die Ausübung der Grundrechte auf eine unzulässige Art und Weise beschränken. Die Gesetzessprache entspricht dem spezifischen Werteverständnis und der Werteordnung der polnischen Verfassung. bb) Subsidiarität über alles? Der Ombudsmann beanstandete die Formulierung des Art. 19 Abs. 6 Pkt. 3 des PolizeiG (a. F.), die auch in ähnlicher Form in den anderen genannten Sicherheitsgesetzen vorhanden ist. Diese Vorschrift kann ein Muster der außerstrafprozessualen Kommunikationsüberwachung in Polen darstellen. Danach wird die Operationskontrolle, also eine Art der Operations- und Erkennungstätigkeit der Polizei definiert als „Einsatz technischer Mittel, zur heimlichen Ergreifung der Informationen und Beweise sowie deren Auf356 Sondervotum
des Richters Merek Zubik zum Urteil Az.: K 23 / 11.
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zeichnung.“ Der Gesetzgeber fügte nach diesem Satz noch eine Erklärung hinzu: „[Die Ergreifung und Aufzeichnung betrifft] insbesondere die Inhalte der Telefongespräche und andere, über die Telekommunikationsnetzwerke übertragenen, Informationen“. (1) Angeblich falscher Ansatz des Antragstellers Die Argumentation des Antragstellers scheint in diesem Bereich sein Ziel zu verfehlen. Der Ombudsmann beanstandete die Unklarheit der Vorschrift und führte aus, dass sie nicht genügend präzisiert, welche technischen Mittel gemeint sind. Wenn der Vorwurf sich gezielt gegen die ausbleibende Unterscheidung nach der Zweck-Mittel-Relation zwischen der konkreten Straftat und der Eingriffsintensität der konkreten Methode richte und einige konkrete Beispiele nenne, hätte er eventuell einen Aussicht auf Erfolg gehabt. Daher forderte er eine Einführung eines geschlossenen, enumerativen Katalogs der Mittel. Dies solle die Möglichkeit der willkürlichen Verwendung der Operationskontrolle unterbinden. Doch die Forderung scheint unrealistisch, da nicht durchsetzbar vor dem Verfassungsgericht – dem negativen Gesetzgeber. Als Prüfungsmuster wurden folgende Vorschriften der Verfassung genannt: Art. 2 (Rechtstaatsprinzip), Art. 47 i. V. m. Art. 31 Abs. 3 (Unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatheit), Art. 49 (Kommunikationsgeheimnis), Art. 50 (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 51 (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und Art. 52 (Freizügigkeit im Staatsgebiet). Außer der Forderung nach einem gesetzlichen Katalog der technischen Mittel, führt der Ombudsmann aus, dass die Vorschriften unzureichend die Privatsphäre schützen. Es wird nicht festgelegt, welche Beweise durch das Belauschen gewonnen werden können und ob bzw. wann die Behörden aufhören sollen Gespräche mitzuhören. In seiner Argumentation knüpft der Ombudsmann eindeutig an die „Sphärentheorie“ aus der Rechtsprechung des BVerfG an. Diese Argumentation fällt auf einen unfruchtbaren Boden, weil sie falsch, einer Gesetzeslücke ansetzt. Der VerfGH hat diesen Vorwurf mit der Begründung abgewiesen, dass die Behörden auch einen Spielraum bei der Wahl der technischen Mittel brauchen, sonst lande man bei einer gefährlichen Kasuistik, die alle technischen Mittel mit Namen und Modell erwähnen müsste. Die Polizei und Sicherheitsbehörden brauchen einen gewissen Spielraum, um sich an den neuesten Stand der Technik anzupassen.357 Damit übersieht eben das Gericht das 357 Urteil Az.: K 23 / 11 Punkt III 9.2.2. „From the point of view of the specificity of law and the principle that constitutional rights and freedoms are to be restricted by statute, it is not absolutely necessary to have a closed catalogue of technical measures for operational surveillance. In some cases, this may be detrimental to the effi-
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Problem der Zweck-Mittel-Relation und stößt nicht die Diskussion über die Eingriffsintensität konkreter technischer Mittel an, verpasst damit die Chance, eine der wichtigsten Schwächen des polnischen Überwachungsrechts anzuprangern. Es sei auch, nach dem VerfGH, unmöglich, a priori zu bestimmen, welche Sphäre des Privatlebens die belauschten Gespräche oder mitgelesene Emails betreffen. Die Kontrolle betrifft normalerweise verschiedene Sphären des Privatlebens, auch Intimbereiche, z. B. bei Sexualstraftätern. Also wäre es sinnlos, eine bestimmte Sphäre aus der Überwachung auszuschließen.358 Dabei übersieht das Gericht, dass in der polnischen Gesetzeslage, wo die Überwachung äußerst breit definiert wird, sich oft leicht erkennen lässt, welche „Sphären“ angetastet werden, weil etwa nach Art. 19 PolizeiG die Behörde sowohl Wohn- als auch Geschäftsräume ausspähen kann. Wiederum konzentriert sich das Gericht auf Verfahrensgarantien. An die Durchführung der Operationskontrolle wurden hohe gesetzliche Anforderungen gestellt. Die polizeilichen Dienste dürfen sie nicht nur zu Straftaten aus dem gesetzlichen Katalog verwenden, sondern auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht bei dem Genehmigungsverfahren anrufen. Der Antrag muss ausführlich begründet sein und die vorgesehenen technischen Mittel zum Eingriff in das Kommunikationsgeheimnis (sei es elektronisch, telefonisch oder traditionell in Briefform) angeben. Dies solle die verfassungskonforme Durchführung der Überwachung gewährleisten. Gleichwohl sieht an dieser Stelle der VerfGH eine Gefahr: Im Laufe des Verfahrens hat sich nämlich herausgestellt, dass die Gerichte die Kommunikationskontrolle auch mit ganz knappen Angaben zu ihren Mitteln genehmigen. Oft kommt es vor, dass die Behörden nur angeben, dass sie gegen eine bestimmte Person „ein techniciency and effectiveness of operational activities carried out by police forces and state security services, considering the fact that the methods of transferring information are increasingly sophisticated. By contrast, this could, in turn, limit the efficient functioning of the organs of the state that are responsible for public security and public order, which would consequently result in the state’s failure to fulfil one of its basic tasks i. e. the protection of citizens (Article 5 of the Constitution). […] The Tribunal does not share the view held by the applicant that the challenged provisions are unconstitutional for the reason that they do not specify a closed catalogue of technical measures as well as information and evidence obtained via those measures.“. 358 Urteil Az.: K 23 / 11 Punkt III 9.2.3. „The specific content of recorded messages may only determine whether the information may refer to family, intimate or professional life. Therefore, it does not seem to be possible to a priori determine the spheres of privacy with which interference may be made on the basis of the challenged provisions. […] the exclusion or narrowing down of operational surveillance with regard to certain realms of private life does not appear to be justified in the light of the usefulness of such surveillance.“
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sches Mittel“ zu verwenden vorhaben. Laut VerfGH ist das inakzeptabel, doch eine Gerichtspraxis kann nicht von Verfassungsrichtern angeordnet oder für verfassungswidrig erklärt werden. Wieder als obiter dictum landet ein Satz, der eine erstrangige Bedeutung in der Sache hat, doch kann seine Durchsetzung nicht erzwungen werden. (2) Ungeschicktes Ausweichmanöver des VerfGH Damit gerät das Verfassungsgericht aber in eine selbst aufgestellte Falle. Einerseits will es keine Einführung des Katalogs der Mittel zur Kommunikationsüberwachung, was verständlich ist, denn eine reine Aufzählung wäre künstlich und unbrauchbar. Anderseits knüpft das Gericht nicht an die Schwere der Bedrohung des Rechtsgutes durch die Straftat an, bei der die Überwachung eingesetzt werden kann. Es zieht sich von der Abwägung zurück, welche Straftaten die tiefsten Eingriffe in die Privatheit erlauben und welche nicht. Es nimmt auch keine Differenzierung nach den Umständen der Straftat vor. Es lässt sich oftmals feststellen, welche Sphäre des Privatlebens angetastet werden kann. Ein Indiz könnte dafür etwa der Umstand sein, ob ein privater Telefonanschluss oder ein Geschäftsanschluss infiltriert wird. Das Gericht scheint es den Behörden nicht zuzutrauen, als Verhältnismäßigkeitsprinzip vor allem die Angemessenheit zu verwenden. Deswegen entscheidet es sich, die Subsidiarität des Angriffs zu unterstreichen und die Rechtmäßigkeit des Verfahrens in den Vordergrund zu bringen. Dabei geht aber die feinartige Differenzierung verloren. Es gibt Konstellationen, in denen zwar das Subsidiaritätsgebot erfüllt ist und damit der Weg zur Abhörung eröffnet wäre, aber das geschützte Rechtsgut das geopferte nicht überwiegt. Dies könnte vor allem bei den Eingriffen in die Privatheit der Wirtschaftsstraftäter der Fall sein. Bei der Unterscheidung verschiedener Überwachungstechniken nach Eingriffsintensität ist es vor allem nötig, die materiellrechtliche Unterscheidung einzuführen. Es geht dabei nicht um eine Aufzählung sondern um eine Analyse. Art. 19 PolizeiG (sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung) liefert nicht im geringsten Ansätze für eine solche Analyse. Er bündelt alle inhaltsbezogenen Überwachungsmethoden in einem Absatz und erschwert damit die sowieso schlecht funktionierende Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Behörden. Selbst eine sorgfältig entworfene Prozedur dabei kann die materiellrechtlichen Unzulänglichkeiten nicht wiedergutmachen, denn sie dient der Durchsetzung des fehlerhaften materiellen Rechts. Mit anderen Worten: Ein Antrag an die Kommunikationsüberwachung könnte auch in mehrstufigen Verfahren von unabhängigen Organen überprüft werden, aber wenn die Behörde nicht erläutern muss, ob sie die Aufklärung einer begangenen Straftat beantragt oder präventiv eingreift, kann der eigentliche Zweck der Kontrolle, also der Schutz der Grundrechte leer laufen.
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Diese Frage könne aber nicht im verfassungsgerichtlichen Verfahren erörtert werden, sondern ist ein Auftrag für den Gesetzgeber, so das Gericht. Es verbreitet die Binsenweisheit, dass die Überwachungsmaßnahmen sich kasuistisch im Gesetz nicht niederschreiben lassen. Damit beendet es die Prüfung und macht im Übrigen keine Vorgaben zum Zweck und Rechtsgüterabwägung. Diese flache und bedauerliche Einschätzung des VerfGH schwächt nochmals die Aussagekraft des Urteils, das mit einem enormen organisatorischen Aufwand erging, und trägt zur Einschätzung bei, dass der VerfGH lediglich einen Salutschuss abgefeuert hat und nicht eine gezielte Kanonade. Solch ein Vorgehen trägt nicht zur Stärkung der eigenen Position bei, was in Polen äußerst wünschenswert wäre. cc) Das Verfahren bei der Vorratsdatenspeicherung Das dritte vom VerfGH erkannte Problem betrifft die Vorratsdatenspeicherung. Zum ersten Mal beschäftigte sich das Gericht mit diesem Thema, obwohl der Zugang zu den sog. Billings für die Polizei schon seit dem Jahre 2000 bestand und die Verkehrsdaten gezielt ab 2004 auf Vorrat aufgrund des Art. 165 Abs. 1 PolTKG gespeichert wurden,. Lediglich zur Erinnerung kann hier erwähnt werden, dass die Verbindungsdaten der Nutzer in Polen über zwölf Monate „in Anbetracht der Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden“ zu speichern waren. Nach der Novelle vom Januar 2016 hat sich daran nichts geändert. Die beanstandete Form der Verkehrsdatenerfassung erschien im Zug der Änderung des Telekommunikationsgesetzes 2009,359 wodurch auch die Implementierung der Richtlinie 24 / 2006 / EG erfolgte. Diese Regelung der Vorratsdatenspeicherung fand in Polen keinen großen Widerhall, außer in Spezialistenkreisen.360 Die Antragsteller bemängelten das Verfahren, mit dem die Behörden an die Verkehrsdaten gelangen. Es sei verfassungswidrig aufgrund mangelnder externer Überprüfungsprozedur, mangelnden Rechtschutzes, unklarer Kriterien und niedriger Hürden beim Zugang. Die Prozedur des Zugangs zu den Verkehrsdaten war schon der Gegenstand der früheren allgemeinen Überlegungen zu den Operations- und Erkennungstätigkeiten der polizeilichen Dienste. Hier ist es nur angebracht, Wortlaut der Vorschrift des Art. 20c des PolizeiG wiederzugeben, wonach die Polizei Zugang zu den Verkehrsdaten nach den Art. 180c und Art. 180d PolTKG zur Vorbeugung und Aufdeckung jeglicher Straftaten erlangen kann. Der Zugang erfolgt nach einer Ermächti359 Ustawa o zmianie ustawy – Prawo telekomunikacyjne oraz niektórych innych ustaw (Dz. U. 2009, Nr. 85, Pos. 716). 360 Piotr Waglowski auf seinem Blog, http: / / prawo.vagla.pl / node / 5807 (Zugang am 16.03.2016).
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gung des Hauptkommandanten oder Woiwodschaftskommandanten der Polizei, ohne frühere Anrufung anderer Stellen. Die anderen polizeilichen und Sicherheitsgesetze enthalten wesensgleiche Bestimmungen. Der Überprüfungsantrag richtete sich gleichermaßen gegen die Berechtigungen aller neun früher erwähnten Dienste. Die Idee der Vorratsdatenspeicherung an sich stand nicht im Fokus der Verfassungsmäßigkeitskontrolle. (1) Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragsteller Die Argumentation der Antragsteller ging in Richtung des Nachweises der Verfassungswidrigkeit der nicht präzise genug vorgegebenen Tatbestände bei den Zugangskriterien zu den Daten. Wie schon erwähnt, haben sie nicht die Idee der Vorratsdatenspeicherung beanstandet, auch wenn sie von anderen Gerichten innerhalb der Europäischen Union Bedenken verfassungsrecht licher Natur geäußert haben.361 Die Zurückhaltung der polnischen Rechtsschutzbehörden wirft die Frage nach ihren Gründen auf. Die Anträge ergingen nach der ersten Zurückweisung der Klage gegen die Richtlinie 2006 / 24 / EG vom EuGH 2009 und die Rechtsprechung der südlichen Nachbarn findet in Polen keinen großen Widerhall. Man könnte die These wagen, dass die Vorwürfe des Ombudsmannes und des Generalstaatsanwalts auf einer gewissen Zurückhaltung gegenüber Beanstandungen des EU-Rechts basierten. Außerdem hätten die schon ausgebauten Anträge noch eine Überprüfungsebene durchlaufen müssen, mit einer mutmaßlich damals geringen Erfolgsperspektive. Der VerfGH befand sich zur Zeit des Urteilsspruchs in einer anderen Lage. Die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie wurde vom EuGH am 8. April 2014 für nichtig erklärt und das hat gewiss den Verfassungsrichtern in Warschau am 30. Juli 2014 Rückenwind gegeben. Doch der Rückhalt im Luxemburger Urteil konnte nicht bewirken, die materiellrechtlichen Grundlagen der in Polen sog. „BillingAbfrage“ zu verwerfen. In den Anträgen konzentrierten sich also die Rechtschutzbehörden auf die Aspekte, deren Hervorhebung vor dem VerfGH einen Erfolg versprechen könnte. Der Ombudsmann hob vor allem drei Probleme hervor: mangelnde Subsidiaritätsklausel beim Zugang zu den Verkehrsdaten, die Möglichkeit die Daten selbst bei Straftaten, die geringe soziale Gefährlichkeit aufweisen, abzufragen und mangelnde gerichtliche Überprüfung der Kontrollanträge der Sicherheitsdienste. Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich auf den zweiten Vorwurf und vertiefte ihn, indem die Straftaten aufgezählt wurden, bei denen 361 Urteil des Tschechischen Verfassungsgerichts vom 22.3.2011 (Az.: Pl US 24 / 10), Urteil des rumänischen Verfassungsgerichts vom 8.12.2009 (Nr. 1258), Urteil des bulgarischen Hauptverwaltungsgerichts vom 11.12.2008 (Nr. 13627).
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das Abfragen der Verkehrsdaten möglich sei. Das ergibt ein dubioses Bild der Sicherheitsbehörden, die zur „Vorbeugung und Aufdeckung“ etwa von Holzdiebstahl, Beleidigung einer Person, Züchtung von Windhunden ohne Erlaubnis und ähnlichen Straftaten auf die generell zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Terrorgruppierungen gedachten Maßnahmen zurückgreifen könnten. Die Aufgaben der Sicherheits- und Polizeibehörden können zwar breit gefasst werden, doch sobald es um konkrete Befugnisse der Dienste gegenüber den Bürgern geht, müssen sie konkrete Maßnahmen und Tatbestände präzise formuliert werden. Die Begriffe „Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben“ oder „Straftatenverfolgung und Verhütung“ genügen nicht den Erfordernissen der Art. 47 und 49 i. V. m. Art. 31 Abs. 3 PolVerf und Art. 8 der EMRK. Überraschend ist in diesem Zusammenhang die Außerachtlassung des Art. 51 PolVerf, also des Rechts auf die informationelle Selbstbestimmung. Art. 20c PolizeiG und ähnliche Artikel der anderen Sicherheitsgesetze geben den Behörden die Möglichkeit, auf willkürlicher Basis tiefe Eingriffe in die Grundrechte vorzunehmen. Die Rechtsgüter, die damit geschützt werden sollen, haben einen wesentlich niedrigeren Stellenwert als die durch die Regelung angetasteten. Sie lassen außerdem den Behörden zu viel Interpretationsspielraum.362 (2) Allgemeine Überlegungen des VerfGH Der VerfGH ging in seiner Entscheidung von grundlegenden Überlegungen aus. Dabei ist der Einfluss der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG sichtbar. An manchen Stellen werden sogar die beiden Gerichte ausdrücklich zitiert. Angesichts des tiefgreifenden Grundrechtsproblems mit der Vorratsdatenspeicherung in Polen und der fragmentarischen Klage formulierte das Gericht einen umfangreichen allgemeinen Teil, der dem Gesetzgeber als ein Wegweiser dienen sollte, auch wenn die materiellrechtlichen Normen im Verfahren K 23 / 11 nicht verworfen werden konnten. Der Status des Menschen im Rechtsstaat beruhe auf der Achtung seiner angeborenen und unveräußerlichen Würde (Art. 30 PolVerf). Daraus resultiere Freiheit im Sinne der Autonomie, also freies Entscheiden des Indivi duums über sein Verhalten nach seinem freien Willen (Art. 31 Abs. 1 und 2 PolVerf und Präambel). Der Verfassungsgeber setze einen möglichst breiten rechtlichen Schutz der Freiheit des Menschen voraus. Die Freiheit von jeglicher Beeinträchtigung impliziere eine Achtungspflicht vor allem seitens des Staates, aber auch seitens der Privaten. Eine Abweichung von diesem Grund362 Urteil
Az.: K 23 / 11 Punkt III 10.4.
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satz aufgrund der Verfassung, sei nur möglich zugunsten der Belange aus dem abschließenden Katalog des Art. 31 Abs. 3 PolVerf. Der verfassungsrechtliche Schutz der Freiheit des Menschen beziehe sich vor allem auf die Privatsphäre. Der Verfassungsgeber konstruiere die Privatheit nicht als subjektives, von der Verfassung verliehenes Recht, sondern als naturrechtlich verfassungsgeschützte Freiheit. Das bedeute vor allem die Handlungsfreiheit des Individuums innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Grenzen. Erst eine eindeutig formulierte Gesetzesregelung kann die Handlungsfreiheit beschränken. Dagegen sei es unzulässig, die Kompetenzen der Staatsorgane zu Eingriffen in die Freiheit des Individuums generell zu vermuten. Damit entstehen auch die Verpflichtungen der Staatsorgane, die Freiheiten zu achten und zu schützen. Dieser Standard gelte vor allem für die persönlichen Freiheiten neben der Privatheit, also die Kommunikationsfreiheit (Art. 49 PolVerf), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 50 PolVerf) und die weitgemeinte Informationsautonomie (Art. 51 PolVerf). Die Aufgabe, diese Freiheiten zu achten und zu schützen, sei die Konsequenz der in der Verfassung verankerten Menschenwürde. Die Wahrung der Menschenwürde in der Privatsphäre bestehe vor allem im Verbot, jemanden zu zwingen, mit anderen zusammen zu sein und seine Erlebnisse und Gefühle mit ihnen zu teilen. Mit dem Schutz der Privatheit korrespondiere der Schutz des Kommunikationsgeheimnisses (Art. 49 PolVerf). Es wird von VerfGH weit verstanden und ausgelegt, also nicht nur als Briefgeheimnis, sondern als Geheimnis „der interpersonellen Kontakte jeglicher Art“.363 Mittel der Kommunikation seien dabei zweitrangig. Sie erlangen nur die Bedeutung bei der Frage des Ausschlusses Dritter von den Inhalten der Kommunikation. Darüber hinaus schütze die Verfassung nicht nur die Inhalte, sondern auch alle Umstände der Kommunikation, damit also auch die personenbezogenen Daten der Teilnehmer. Sowohl die Inhalte als auch die Umstände und Metadaten der Kommunikation genießen den gleichen Schutz unabhängig vom Ziel der Kommunikation. Der Rechtsstaat müsse auch einen anonymen Auftritt des Individuums in der Öffentlichkeit gewährleisten. Eine besondere Rolle wird hier dem Internet zugeschrieben, das nicht nur als Mittel der schnellen Kommunikation und Datenübertragung, sondern wegen der gesellschaftlichen Entwicklung als ein differenziertes Werkzeug und eine Plattform zum Schaffen, Speichern und Weitergeben unterschiedlicher Informationen gesehen werden müsse. Es ermögliche damit das Funktionieren des Individuums in der heutigen Gesellschaft.364 Die Verfassung beziehe sich zwar nicht direkt auf das Funktionieren des Individuums im Internet, doch im Sinne des Grundrechtsschutzes 363 Urteil 364 Urteil
Az.: K 23 / 11 Pkt. III 1.3 in fine. Az.: K 23 / 11 Pkt. III 1.5.
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gibt es keine Abstufung im Vergleich zu den traditionellen Mitteln der Kommunikation. Wegen der Komplexität der Internettätigkeit der Menschen müsse aber der Schutz sorgfältig angepasst werden. Doch die Garantien bleiben auf dem Niveau, das auch bei anderen Aktivitäten maßgebend ist. Die Internetkommunikation stehe somit unter dem Schutz der Verfassung und nicht neben ihm. Nach diesem Freiheitslob erörtert das Verfassungsgericht die Schranken der Freiheit. Es präsentiert diese aber in Bezug auf die Kommunikation generell und differenziert nicht zwischen Art, Zweck und Mittel. Im Vergleich zum BVerfG gibt der VerfGH keine Hinweise auf die anderen, nicht so invasiven Telekommunikationsüberwachungsmethoden. Der Zuwachs der strafrechtlich relevanten Tätigkeit im Internet und die Effektivität der Vorgehensweise dagegen müssen in der Grundrechtsabwägung stärker berücksichtigt werden. Selbst die altbekannten Straftaten erlangen durch die neuen technischen Möglichkeiten eine neue Dimension. Deswegen müssen die Strafverfolgungsbehörden auf dem Stand der Technik sein und mit angepassten Mitteln und Maßnahmen ausgestattet werden. Im Gegenfall wäre der Staat unfähig, seine in der Verfassung verankerte Aufgabe zum Schutz der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der Sicherheit der Bürger zu erfüllen. Das könne sogar zur Nichteinhaltung der völkerrecht lichen Verpflichtungen Polens führen. Der Staat hätte also sowohl die angemessenen Bedingungen zum Schutz der Freiheiten und Rechte zu schaffen als auch die Sicherheit seiner Bürger und Unverletzlichkeit seiner Grenze zu gewährleisten. Die Kompetenz der Sicherheitsbehörden, Informationen zu Inhalt, Zeit und Form der durchgeführten Kommunikation zu erheben, könne die Furcht vor Überwachung der Bürger wecken. Diese Befürchtungen seien aus dem historischen Gesichtspunkt in Polen verständlich, denn die Bevölkerung habe immer noch die operativen Methoden der Sicherheitsdienste in Zeiten der Volksrepublik im Gedächtnis. Deswegen sei es äußerst wichtig, die heutigen, bestimmt unvermeidlichen Maßnahmen zur heimlichen Gewinnung der Informationen über Individuen so zu regeln, dass die Bürger nicht gezwungen werden, ihre Tätigkeit aus Angst vor dem Belauschen zu beschränken. Deswegen müssen die Methoden und Maßnahmen differenziert und klar geregelt werden. Jeder Grundrechtseingriff, jede Etappe und jeder Abschnitt der Überwachung benötige damit eine eigenständige Gesetzesgrundlage. Es dürfen auf diesem Gebiet keine pauschalen Regeln eingeführt werden. Der Grundrechtschutz soll sich also nicht nur auf das Verfahren der Einordnung beziehen, sondern auf den ganzen Prozess der Überwachung vom Beginn bis zum Ende. An dieser Stelle beruft sich der VerfGH direkt auf die Rechtsprechung des BVerfG.
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Die nächste Anforderung, die der VerfGH an die Vorschriften zum geheimen Datensammeln stellt, ist das Verbot der Erstellung von Datenmengen zu präventiven Zwecken. Schon das Bewusstsein, dass der Staat solche Register erstellen kann, könne die Bürger hindern, ihre Handlungsfreiheit wahrzunehmen. Obwohl es noch unmöglich sei, die Verkehrsdaten zur lückenlosen Profilerstellung zu verwenden, gäben sie schon viele Informationen zur Person, die in Verbindung mit anderen Fakten ein gefährliches Missbrauchs potential eröffneten. Sie können gleichwohl von Dritten einfach erfasst und gestohlen werden.365 Der polnische VerfGH bedient sich in diesem Fall der Argumentation des EuGH und billigt sie. Bei der Vorratsdatenspeicherung besteht auch Zweifel an der Zulässigkeit der Delegation der Speicherung an private Firmen. Zwar äußert der VerfGH keinen Zweifel an der Kostenbelastung der Vorratsdatenspeicherung der privaten Unternehmen, was vielleicht auch verfassungsrechtliche Bedenken erwecken könnte, doch in seinen Ausführungen kritisiert er generell eine solch delikate und staatssicherheitsrelevante Aufgabe auf die Privaten zu verschieben, die naturgemäß unter marktwirtschaftlichem Druck stehen und gewinnorientiert seien. Das Verfassungsgericht akzentuiert auch das Prinzip der Erforderlichkeit der Datensammlung durch den Staat. Nach der polnischen Dogmatik ist er nicht in einer streng formulierten Verhältnismäßigkeitsprüfung enthalten, sondern als ein selbstständiges Verfassungsprinzip im Art. 51 Abs. 2 PolVerf verankert. Erst am Ende wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung erwähnt. Die Grundrechtsdogmatik hat in Polen eine etwas andere Wende genommen und anders als im deutschen System ist diese Prüfung nur ein Nebenelement. Doch ist diese nicht in einem starren Prüfungsschema enthalten. Sie entsteht aus den gleichen Elementen, doch wird sie erst am Ende vom Verfassungsgericht erwähnt und auch eher im Kontext der Erforderlichkeitsprüfung und Angemessenheitsprüfung im engeren Sinne. Die Zulässigkeits- und Erforderlichkeitsprüfung wird an dieser Stelle nicht direkt erwähnt. Das Prüfungsschema ist also im polnischen Rechtssystem wesentlich lockerer als im deutschen.366
365 Das neuste Beispiel des Hackerangriffs des Islamischen Staates auf die Server der amerikanischen Armee und die spätere Veröffentlichung von Daten vom 100 USSoldaten, zeigt in welche Richtung die Bedrohungen gehen können. http: / / www.sued deutsche.de / politik / angeblicher-hackerangriff-is-veroeffentlicht-todesliste-mit-na men-von-us-soldaten-1.2404558 (Zugang: 23.03.2016). 366 Die Argumentationsstrenge ist in der Urteilsbegründung zum Urteil Az.: K 23 / 11 im Punkt III 10 zu finden.
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(3) B ezugnahme auf die Rechtsprechung der internationalen Gerichte und Verfassungsgerichte anderer Staaten Der VerfGH beruft sich in seiner Entscheidung vor allem auf die Rechtsprechung des EGMR, weil er die Kompetenz der Vereinbarkeitsprüfung mit der EMRK hat und damit die eigene Argumentation stärkt. Nach Art. 188 Nr. 2 PolVerf entscheidet er auch über „die Vereinbarkeit der Gesetze mit den ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen, deren Ratifizierung eine vorherige Zustimmung durch Gesetz voraussetzt“. Mit dem Inkrafttreten der polnischen Verfassung aus dem Jahr 1997 hat Polen seinen Grundrechtskatalog stark an der EMRK orientiert. Mangels eigener Rechtsprechung setzte das auch die Anpassung und Übernahme der Rechtsprechung des EGMR voraus. Die Huldigung der europäischen Standards war auch Ausdruck eines klaren Bekenntnisses zu westlichen Werten. Der polnische Gerichtshof schöpft äußerst gern aus der Rechtsprechung des EGMR, insbesondere in Sachen, die eine internationale Reichweite aufweisen oder bei solchen, bei denen das polnische Gericht noch keine klare Linie hat, oft aber auch um den eigenen Standpunkt besser zu untermauern und zu bekräftigen. Die Rechtsprechung des EGMR ist dem polnischen Verfassungsgericht auch sehr nahe, weil der Grundrechtskatalog nach der EMRK nachgebildet wurde. Nicht anders war es in diesem Fall. Der VerfGH hat sich nicht nur auf die Vorschriften der polnischen Verfassung bezogen, sondern auch auf den Art. 8 EGMR und auf die Rechtsprechung dazu. Vor allem die Definition der Privatheit als breiter Begriff, der nicht nur die Intimsphäre umfasst, sondern auch die soziale Sphäre der menschlichen Tätigkeit enthält. Außerdem übernimmt der VerfGH die Definition der „Korrespondenz“ von der EGMRRechtsprechung. Die Analyse der ähnlichen Fälle aus der Praxis des EGMR lässt den VerfGH einen Verfassungsstandard formulieren, den er billigt und als vereinbar mit der Verfassung erklärt. Analog zum EGMR formuliert der VerfGH acht Punkte, die bei der staatlichen Überwachung berücksichtigt werden müssen. Diese Punkte formuliert er nach der Rechtsprechung der EGMR und ergänzt sie um Überlegungen aus eigener Praxis. (1) Erstrangig sei eine ausreichende Verankerung in geltenden Gesetzen und vor allem eine eindeutige Formulierung, bei welchen Straftatverdachten die Überwachung eingesetzt werden dürfe. Das Verfassungsgericht unterstreicht, dass die Rechtsbestimmtheit in der polnischen Rechtsdogmatik zu einem Rechtsgrundsatz hervorgehoben wurde. (2) Die Art der Maßnahmen zur geheimen Informationsgewinnung muss zur Zeit des Einsatzes durch das Gesetz bestimmt werden. (3) Die Kategorie der Subjekte, bei denen die Kommunikationsüberwachung durchgeführt werden kann, müsse klar eingegrenzt werden, damit die
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Streubreite der eingesetzten Maßnahmen vorausgesehen werden kann und das Nötige nicht überschreitet. (4) Die maximale Zeit der Überwachung müsse differenziert vorgegeben werden. (5) Das Verfahren zur Einordnung der geheimen Überwachung solle vor einem unabhängigen Organ durchgeführt werden und dürfe sich nicht auf die formelle Zulässigkeitsfrage beschränken. Es solle auch in schrift licher Form durchgeführt werden und möglicherweise nicht nachträglich sein. (6) Das Verfahren zur Speicherung, Aufbewahrung, Wiederverwendung und Löschung der ungenutzten Daten solle durch eine außerhalb der Sicherheitsbehörden platzierte Stelle kontrolliert werden. Der Gesetzgeber solle auch in seiner Regelung die Datensicherheit gewährleisten und damit den Zugriff der Dritten verhindern. (7) Die Regelung zur Benachrichtigung der Betroffenen solle im Gesetz beinhaltet werden, doch nach dem VerfGH nur nachträglich und mit der Möglichkeit der Eröffnung des Gerichtsweges. (8) Die Einordnung der geheimen Daten und der Informationssammlung müsse dem Subsidiaritätsprinzip unterzogen werden. Das heißt, es solle als das letzte Mittel verwendet werden, nur in Fällen, wenn keine milderen Maßnahmen den Zweck verfolgen können, oder wenn sich herausgestellt hat, dass sie erfolglos waren. Das VerfGH schließt es aber nicht aus, die Intensität des Grundrechtschutzes an die Nationalität der Betroffenen zu binden. Der VerfGH macht auch darauf aufmerksam, dass die meisten Regelungen die vom EGMR beurteilt wurden, schon an der mangelnden Qualität der Gesetzestechnik scheiterten. Nur in wenigen Fällen könnte das europäische Gericht sie der Kontrolle nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterziehen. Das Gericht hat wahrscheinlich mit Absicht die Entscheidung des EuGH abgewartet und sich die Überlegungen aus Luxemburg angeeignet. An dieser Stelle bedauerte das Gericht, dass die Antragsteller sich in ihrer Rüge nicht vollständig gegen die Umsetzung der Richtlinie 2006 / 24 / EG gewendet haben. Das führt zur Überlegung des Gerichts, ob die nationalen Vorschriften, die nach einer nichtigen Richtlinie umgesetzt wurden, ihre Geltung behalten oder damit auch nichtig sind. Das Gericht tendiert zur Meinung, dass zwar das Urteil des EuGH in Sache C-293 / 12 den polnischen VerfGH nicht bindet, doch gibt es einen „funktionellen Zusammenhang“ zwischen der nichtigen Richtlinie und der polnischen Umsetzung. Das zeigt sich hier durch die Beurteilung der nationalen Regelung im Spiegel des Urteils. Doch, wie be-
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reits erwähnt, das Verfassungsgericht muss in diesem Fall zugeben, dass die Umsetzung der Richtlinie ins polnische Rechtssystem immer noch ihre Geltung behält. Es klingt aber eher nach einer Ermutigung des Gesetzgebers, sie zu ändern, ohne die Regelung vor den VerfGH zu tragen.367 Diese zurückhaltende, aber doch durchaus freundliche Einstellung des Warschauer Gerichts zur Rechtsprechung des EuGH wird auch von der Literatur bestätigt.368 Solange die Urteile der internationalen Gerichte im Einzelfall Polen nicht betreffen, werden sie eher als unverbindlicher Hinweis gesehen, als ein Anstoß für eventuelle Änderungsvorschläge für die Zukunft. In den nächsten Punkten schaut sich das Gericht auch die Rechtsprechung anderer Verfassungsgerichte genauer an. Der VerfGH bewertet nicht die Entscheidungen der deutschen, tschechischen, slowenischen, österreichischen, rumänischen und bulgarischen Gerichte. Er führt sie nur vor Augen, um die eigene Position zu bekräftigen und den breiten Kontext der eigenen Entscheidung zu zeigen.369 (4) Zusammenfassung der allgemeinen Überlegungen des VerfGH Der VerfGH erkennt an, dass heutzutage Freiheit, besonders Kommunikationsfreiheit, immer mehr Beschränkungen ausgesetzt ist. Es ist auch unvermeidlich in einer Welt, in der die Menschentätigkeit immer mehr auf Kommunikationstechnologien beruht und in der sich Straftaten in die digitale Welt verlagert haben. Die Aufgaben des Staates stehen in einem gewissen Widerspruch zueinander. Einerseits hat der Staat seine Schutzpflichten, andererseits muss er auch seine Sicherheitsaufgaben erfüllen, die in Polen eine exponierte Bedeutung haben und mehrmals in der Verfassung unterstrichen werden. Die Kommunikationsfreiheitsbeschränkungen müssen also nach dem Rechtsstaatsprinzip beigemessen werden, das oft in den Entscheidungen des 367 Urteilsbegründung Punkt III 3.2.3. „The CJEU judgment of 8 April 2014 in the case C-293 / 12 does not directly bind the Constitutional Tribunal in the procedure for the constitutional review of national provisions. However, given the fact that there is a functional relation between the challenged provisions and the said Directive, and that the level of protection of privacy in the context of the storing and processing of personal data is – at least – not lower than the level guaranteed in Articles 7 and 8 of the Charter, the Constitutional Tribunal deems it useful to consider the said judgment as a background for its own decision in the constitutional review of national provisions on granting access to telecommunications data to police forces and state security services.“. 368 Maciej Taborowski, Skutki wyroku TSUE stwierdzającego nieważność dyrektywy retencyjnej, http: / / www.hfhr.pl / wp-content / uploads / 2014 / 04 / skutki_wyroku_ TSUE_MTaborowski-3.pdf (Zugang: 10.4.2016). 369 Urteil Az.: K 23 / 11 Punkt III 3.3. – III 3.10.
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VerfGH unterstrichen wird und als ein quasi „Sammelprinzip“ bezeichnet werden könnte. Der VerfGH formuliert auch eine Schutzpflicht des Staates, die Kommunikationsfreiheit nicht nur vor eigenen Behörden zu schützen, sondern auch von ausländischen Diensten und Eingriffen seitens privater Subjekte. Doch diese Idee, äußerst wichtig besonders nach den sensationellen Enthüllungen von Edward Snowden und in der Ära der sozialen Netzwerke, blieb leider nur ein obiter dictum. Allgemein bezieht sich der VerfGH nur begrenzt auf das Internet. Er differenziert nicht und betrachtet es zwar als ein wichtiges Medium, das sehr von Bedeutung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist, doch verbindet er diesen Satz nicht mit weiterreichenden Konsequenzen. (5) Einschätzung der Vorratsdatenspeicherung durch VerfGH Der VerfGH hat den Anträgen weitgehend stattgegeben. Der Zugang zu den Verkehrsdaten sei den Sicherheitsbehörden zwar zu gewährleisten, aber angesichts der hohen Eingriffsintensität und des Missbrauchspotentials sei es gleichwohl geboten, entsprechende Schranken zu setzen. Der Gesetzgeber habe vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten und das Ziel nicht „allgemein zu setzen“.370 Doch bleibt das Gericht bezüglich der Tatbestände, bei denen die Behörden Verkehrsdaten anzapfen können, zurückhaltend und sagte nur, dass „je tiefer die Kompetenzen der polizeilichen Dienste gehen, desto höher sollen die Schranken sein“.371 Überraschend wenig prangert es die Fahndung der Bagatellstraftaten mit Vorratsspeicherung an und weist den Gesetzgeber nur darauf hin, den gesetzlichen Katalog der Straftaten zu formulieren. Es nimmt auch nicht die Gelegenheit wahr, sich selbst nebenbei auf das Rechtsstaatsprinzip zu berufen um den Zustand zu verurteilen, was von Richter Hermeliński in seinem Sondervotum stark kritisiert wurde.372 Der VerfGH scheint den Zugang zu den Daten zu billigen, solange eine unabhängige Institution darüber wacht. Das Verfassungsgericht billigt also an 370 Urteil
Az.: K 23 / 11 Punkt III 10.4.2. Az.: K23 / 11 Punkt III 10.4.4. 372 Sondervotum des Richters Hermeliński zum Urteil Az.: K 23 / 11 „In my opinion, when considered separately, each of the above defects of the challenged provisions would suffice to rule that the said provisions are inconsistent with Article 2, Article 47 and Article 49 in conjunction with Article 31(3) of the Constitution as well as Article 8 of the Convention. When grouped together, they result in a situation where police forces and state security services have a (virtually) unlimited possibility of accessing telecommunications data on citizens.“. 371 Urteil
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dieser Stelle den Zugang der Behörden zu manchen Verkehrsdaten auch ohne Richtervorbehalt. Sie solle aber auf irgendeine Art und Weise gebunden sein, was aber in Anbetracht der früheren Ausführungen zur Freiheit und Abschreckungswirkung der staatlichen Überwachung überrascht. Es ist also nicht ausgeschlossen, im Falle der Einholung der Verbindungsdaten nur eine nachträgliche Kontrolle einzuführen. Doch die Regelung dieses Mechanismus sollte die Aufgabenspezifik und den Umfang aller gesetzlichen Aufgaben der Behörden berücksichtigen, sowie der Notwendigkeit der schnellen und effektiven Straftatenverfolgung Rechnung tragen. Leider gibt das Gericht dem Gesetzgeber keine direkten Hinweise dazu, wie die Kontrolle über den Zugang aussehen soll und wie die Verfahrensgarantien formuliert werden sollen. Er bedient sich nur allgemeiner Begriffe und scheint nur die Kontrollhürden als niedriger zu verstehen als bei der inhaltsbezogenen Kommunikationsüberwachung. Der VerfGH differenziert nicht nach dem Ziel der Maßnahme. Er verlangt nur, dass der Zugang zu Billings nicht nur aufgrund einer polizeilichen Anordnung erfolgt. Das Verfassungsgericht nimmt sein Urteil nicht als Anlass zur Differenzierung nach Eingriffsintensität der Maßnahme z. B. bei Telefonverkehrsdaten oder Internetzugangsdaten. Es behandelt das Ganze pauschal, als eine Einheit. Das Gericht zieht sich in seinem Urteil zurück und meint, dass „die Erklärung der Normen als verfassungswidrig wegen der mangelhaften Verfahrensgarantien die Überprüfung nach andern Maßstäben überflüssig macht“,373 womit weitgehend auf die Möglichkeit der Formulierung einer Vorlage der Änderungen, die von dem Gesetzgeber an den beanstandeten Gesetzen vorgenommen werden sollen, verzichtet wird. Das Verfassungsgericht schließt jedoch nicht die Möglichkeit einer weiteren Überprüfung der materiellrechtlichen Grundlagen der Vorratsdatenspeicherung in Zukunft aus. Doch bei diesem Verfahren kann es sich nur auf Art. 47 und 49 i. V. m. Art. 31 Abs. 3 PolVerf stützen. Die Urteilsbegründung scheint hier nicht ausreichend zu sein. Sie ignoriert den Änderungsauftrag an den Gesetzgeber und weicht von wichtigen technischen Aspekten der Speicherung der Verkehrsdaten ab. Darüber hinaus können die Überlegungen des 373 Urteilsbegründung zum Urteil Az.: K 23 / 11 Punkt III 10.4.4. „First of all, the Tribunal decides to address the allegation about insufficient procedural guarantees, related to the lack of external supervision of the process of accessing telecommunications data. The said allegation remains the same with regard to all the provisions challenged within that group. The ruling declaring the unconstitutionality thereof renders it redundant to address the other allegations formulated by the applicants with regard to the admissibility of obtaining data also for the purpose of preventing and prosecuting offences that have relatively insignificant detrimental effects on society, or the lack of the premiss of subsidiarity.“.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
Gerichts, die nicht die Art. 2 und Art. 50 und Art. 51 PolVerf erwähnen, nur fragmentarisch sein, selbst wenn das Gericht nur am Maßstab der im Antrag angegebenen Normen überprüfen darf und die beanstandeten Normen trotzdem verwirft. dd) Mangelnder Rechtsschutz vor dem Eingriff in das Berufsgeheimnis Das nächste Problem, das der VerfGH erörtert, ist der fehlende Rechtschutz vor den Eingriffen in die Berufsgeheimnisse. In diesem Fall ging es vor allem um Abhörmöglichkeit und den Zugriff auf die Verkehrsdaten der Anwälte, Notare, Journalisten, Ärzte und Priester. Die beiden Antragsteller beanstandeten in ihren Kontrollanträgen jedenfalls nicht die Möglichkeit der Überwachung dieser Berufsgruppen generell. Das Verfahren solle das Geheimnis nicht genug schützen, weil weder ein genereller Ausschluss der erwähnten Berufsgruppen von der Telekommunikationsüberwachung, noch das sofortige Löschen von den schon erfassten Inhalten gewährleistet wird. Die Theorie der Früchte des giftigen Baums ist zwar im polnischen Strafrecht nicht direkt enthalten, doch angesichts des generell strengen Verteidigungsund Beichtgeheimnisses, sowie des schwächeren Quellenschutzes der Journalisten sind die auch durch Zufall, oder bei einem anderen Fall abgehörten Informationen nicht prozessfähig und dementsprechend für die polizeilichen Dienste unbrauchbar, es sei denn, der Träger des Geheimnisses wird selbst angeklagt und die Inhalte oder Umstände seiner Kommunikation sind unmittelbar zur Fahndung nötig. Die Antragsteller beanstandeten die Möglichkeit der Archivierung dieser zufällig oder unrechtmäßig erhobenen Daten. Der VerfGH teilte die Bedenken der Antragsteller, verneint jedoch die Möglichkeit eines pauschalen Ausschlusses einer Berufsgruppe von dem Abhören.374 Er ist der Meinung, dass alle Informationen die Verteidigungsgeheimnisse oder andere Geheimnisse antasten könnten, umgehend gelöscht werden müssen.375 Der VerfGH stellt fest, dass die Grundrechtsgarantien in den Gesetzen zu niedrig sind. Bei dem Schutz des Berufsgeheimnisses und des Beweisverbots gehe es nicht erstrangig um den Schutz der berufstätigen Person, sondern um den individuellen Schutz seiner Informanten, Kunden oder Mandanten. Im Vordergrund stehe also der Schutz der Privatheit (Art. 47 PolVerf), der informationellen Selbstbestimmung (Art. 51 Abs. 1 PolVerf), der Gewissensfreiheit (Art. 53 PolVerf), des Rechts auf ein unabhängiges Gerichtverfahren (Art. 45 Abs. 1 und Art 42 Abs. 1 PolVerf) oder der Pressefreiheitsgarantie (Art. 54 Abs. 1 PolVerf). Das Berufsgeheimnis müsse also im Kontext der Gegenüberstellung der beiden Seiten der Kommunikation 374 Urteil 375 Urteil
Az.: K23 / 11 Punkt III11.4. Az.: K23 / 11 Punkt III 11.4.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 275
gesehen werden und soll vor allem inhaltsabhängig sein.376 Danach ist es also kein wirklich individuell bezogener Schutz, wie das Verfassungsgericht meint, sondern ein inhaltsbezogener Schutz. Nicht die Tatsache der Informationsübertragung an einen Anwalt oder Journalisten wird geschützt, sondern der Inhalt. Dann aber stellt sich die Frage: Was soll mit den Beamten, die die Inhalte der Gespräche zur Kenntnis genommen haben, passieren? Die Informationen können ja nicht aus ihrem Gedächtnis gelöscht werden und können als Hinweise für eine legale Beweissuche dienen. Diese Frage beantwortet das Gericht allerdings nicht. Der VerfGH stellt also die Belange der Sicherheit höher als das Berufsgeheimnis und verlangt eine fast ehrenvolle Vorgehensweise der polizeilichen Dienste, die sich auf irgendeine Art und Weise selbst beschränken sollen. Vor allem aber vermeidet er eine generell-abstrakte Lösung und setzt den Schwerpunkt bei den Kontrollorganen, die beim Einsatz der Kommunikationsüberwachung von Fall zu Fall entscheiden müssen. Es sollte berücksichtigt werden, dass es in der Regel unmöglich ist, abstrakt die Beziehung zwischen den durch Berufsgeheimnis geschützten Gütern und Sicherheit des Staates oder öffentlicher Ordnung im Sinne von „höher – niedriger“ oder „wichtig – unwichtig“ zu konkretisieren. Solche Bewertungen können nur fallbezogen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls durchgeführt werden. Dies könne nur geschehen, wenn die Reichweite der Gefahr bekannt sei, wegen der das Berufsgeheimnis aufgehoben werden sollte, und das Gewicht der durch Berufsgeheimnis geschützten Informationen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zum Beispiel die Sicherheit von einer großen Zahl von Menschen in einem bestimmten Fall dem Schutz der Vertraulichkeit überwiegen könnte und so die Ergreifung von vertraulichen Informationen und ihre Verwertung durch Staatsorgane, selbst ohne vorherigen, aber mit nachträglichem, Gerichtsbeschluss rechtfertigt. Erst nach der Untersuchung und Analyse der gesammelten Daten sei festzustellen, welche von ihnen weiterer Verwendung unterliegen und welche umgehend vernichtet werden müssen.377 Anders als bei der Zweck-Mittel Relation der technischen Maßnahmen beginnt der VerfGH hier zu differenzieren. Seine Abwägung bezieht sich aber nicht auf den Stellenwert der unaufhebbaren Beweisverbote (Verteidi376 Urteil Az.: K23 / 11 Punkt III 11.5. „Although adherence to the requirement of confidentiality by persons who hold professions in which the public repose confidence must always be regarded as an integral value of a democratic state ruled by law, the basic role of the said professionals is to protect the constitutional rights and values of individuals who in secret impart to them certain information about themselves.“. 377 Urteil Az.: K23 / 11, Punkt III 11.7.
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gungsgeheimnis, Beichtgeheimnis) im Strafprozess und den aufhebbaren Beweisverboten (Notargeheimnis, Arztgeheimnis), sondern das Gericht relativiert sie alle. Nach dem VerfGH sollte das Geheimnis aufgehoben werden, wenn „es bekannt ist wie gewichtig die Gefahr ist und wie gewichtig diese Informationen, die das Geheimnis beinhaltet, sind. Erst dann kann entschieden werden, ob man die Informationen mit dem Zweck der weiteren Verwendung im Strafprozess behalten darf, oder ob man sie umgehend löschen soll“.378 Diese Position des VerfGH scheint fragwürdig zu sein, was Richter Hermelinski wiederum in seinem Sondervotum unterstreicht. Es scheint, dass das Gericht zu viel von einem transparenten Verfahren abhängig macht, den Grundrechtschutz lediglich an eine Prozedur bindet und nicht an die allgemeinen Standards. Jeder Eingriff in diese Sphäre soll nach den Maßstäben des Verhältnis mäßigkeitsprinzips, Rechtstaatprinzips, nach Belangen der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung und des Rechtschutzes der Dritten geprüft werden. Diese Vorgaben richten sich jedoch direkt an den Gesetzgeber. Von den Behörden werden diese oft übergangen. Das Schutzgut des individuellen Abwehrrechts muss in diesem Fall oft gegenüber den gemeinschaftsbezogenen Sicherheitsbelangen, die als Staatszielbestimmungen (deutsche Terminologie) oder Staatsprinzipien (polnische Terminologie) formuliert werden, weichen. Doch das Fehlen der Prozedur zur umgehenden Löschung der Materialien, die Berufsgeheimnisse enthalten, wird trotzdem scharf vom VerfGH kritisiert und in diesem Umfang werden auch die Vorschriften zur Telekommunika tionsüberwachung für verfassungswidrig erklärt. Der Änderungsauftrag an den Gesetzgeber wird dabei leider nicht hart genug formuliert. ee) Erneute Verwertung und Löschung der Verkehrsdaten Das fünfte Verfassungsproblem in den Anträgen ist die Löschung der Verkehrsdaten – entweder nach ihrer Verwertung oder in Fällen, bei denen sie nicht brauchbar zum Erreichen des Zwecks (Vorbeugen oder Aufdecken von Straftaten), zu dem sie abgerufen worden sind, waren. Die Sicherheitsgesetze weichen hier etwas voneinander ab. Der Beauftragte für Bürgerrechte beanstandete die Regelungen des CBAGesetzes und der Finanz- und Zollbehördenregelungen. Nach dem VerfGH erreicht Art. 20c Abs. 6 und 7 PolizeiG, wo die Weitergabe und Löschung der abgerufenen Verkehrsdaten geregelt wird, ein ausreichendes Niveau des Grundrechtsschutzes. Das PolizeiG sieht nämlich eine sofortige Weitergabe 378 Urteil
Az.: K23 / 11 Punkt III 11.7.
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der Daten an die zuständige Staatsanwaltschaft vor, wenn die Verkehrsdaten „Informationen, die eine Bedeutung für das Strafverfahren haben“, enthalten. Wenn dagegen im Wege des Art. 20c PolizeiG erfasste Daten keine Informationen, die für das Strafverfahren von Bedeutung sind, enthalten, sollen diese unverzüglich gelöscht werden. Abgesehen von der unklaren Bezeichnung der Informationen und der der ungeklärten Frage um welche „Strafverfahren“ es sich im Art. 20c Abs. 6 und 7 handelt, erkennt man das Ziel dieses Mechanismus. Demgegenüber enthielten die beanstandeten Vorschriften selbst nicht diese äußerst geringen Garantien. Das Verfassungsgericht erklärt die fehlende Überprüfungs- und Löschungsprozedur für unvereinbar mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung – doch nur in dem Umfang, in dem sie die Löschung der unbrauchbaren Daten nicht vorsehen. Er spricht in seinen Erwägungsgründen davon, dass „ein Eingriff nicht nur der einmaligen Erfassung der Daten innewohnt, sondern auch die Wiederverwendung einen neuen Eingriff darstellt“.379 Doch bringt es dies nicht deutlich zum Ausdruck in dem entscheidenden Teil des Urteils, sondern erwähnt es nur „zwischen den Zeilen“ und formuliert damit den Auftrag für den Gesetzgeber auf eine fragmentarische Art und Weise, mit der Erklärung, dass die Klagegrenzen es nicht zulassen.380 Zwar beschäftigen sich die Anträge, so wie das Urteil, nicht mit den grundlegenden Fragen der Datenerfassung durch die Sicherheitsdienste, sondern greifen verschiedene Teilprobleme auf, doch zieht sich das Gericht in vielen Punkten in seiner Entscheidung zurück und „versteckt sich“ hinter den Klagegrenzen, wie Richter Hermeliński im Sondervotum zum Ausdruck bringt. Sie sind zwar eng, aber lassen in obiter dicta deutliche, allgemeine und weite Erläuterungen zu.381 e) Einschätzung des Urteils und seiner Umsetzung Das Urteil vom 30. Juli 2014 war das erste Urteil zur sicherheitsrecht lichen und polizeilichen Datenerfassung, welches eine weite und nicht nur auf politische Rache (wie es 2009 der Fall war) bezogene öffentliche Diskussion hervorgerufen hat. Als wesentlicher Faktor sind die Enthüllungen von Edward Snowden zu nennen, die weltweit das Interesse der Öffentlichkeit an den Überwachungspraktiken der Dienste weckten. Der zweite Grund, ganz spezifisch für Polen, war die seit etwa 2007 sichtbare energische Tätigkeit zahlreicher Bürgerrechtsorganisationen, die das Thema der „Überwachten 379 Urteil
Az.: K23 / 11 Punkt III 12.2.3. Az.: K23 / 11 Punkt III 12.4.4. 381 Sondervotum des Richters Hermeliński zum Urteil Az.: K23 / 11. 380 Urteil
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Gesellschaft“382 in die Medien getragen haben und damit Druck auf die Dienste für mehr Transparenz in ihrer Arbeit ausübten. Daraufhin stieg eine diffuse Angst vor der unbestimmten Omnipotenz und dem Einfluss der Sicherheitsdienste, die noch von dem staatssozialistischen System geerbt worden ist. Die Zunahme der Anzahl an Behörden in den letzten 15 Jahre, die mit vermischten polizei- und nachrichtendienstähnlichen Befugnissen ausgestattet sind, hat den tief eingebürgerten Befürchtungen ein neues Gesicht gegeben. Damals wurde man der Bürgermiliz (MO) oder dem Sicherheitsdienst (SB) ausgesetzt, heute kämen noch zusätzliche Behörden dazu. Das Misstrauen sowie die Empörung stiegen noch an nachdem einige Fehler oder politisch beeinflusste Aktionen der Dienste von den Medien an die große Glocke gehängt wurden. Im internationalen Kontext ist auch der Zeitpunkt der Entscheidung dabei nicht zu übersehen. Der VerfGH hat sein Urteil nach der Nichtigkeitserklärung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie383 durch den EuGH gefällt, was selbst von ihm unterstrichen und als „normative Umgebung“ seiner Entscheidung bezeichnet wurde. Das polnische Gericht verstand die Zeichen aus dem Westen bestimmt als einen Anreiz, sich auf seine Art und Weise an die europäische Tendenz anzuschließen. All dies hat Rückenwind zur Beschränkung der Sicherheitskompetenzen gegeben. Bei den Forderungen haben vor allem die Nichtregierungsorganisationen einen rechtsvergleichenden Blick ins Ausland geworfen, vor allem nach Deutschland, wo der Grundrechtsschutz der Kommunikation schon eine gewisse Tradition hat und durch Rechtsprechung und Dogmatik konkretisiert wurde. Der Blick war aber zwangsläufig unvollkommen und tendenziell, sollte lediglich die polnische Praxis mit dem pauschalen Argument der besseren Prozedur zur Überwachung in Deutschland anprangern. Dabei wurden die Dogmatik und der Kontext der deutschen Vorschriften übersehen. Der Sinn des Trennungsprinzips, die unterschiedliche Dogmatik der Grundrechte sowie die andere Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit wurden dabei ausgeblendet. Die Tatsache, dass die deutschen Nachrichtendienste (durch das Trennungsprinzip) eigentlich weitere Überwachungsbefugnisse als die polnischen (die nach den gleichen Mustern wie Polizei verfahren) haben und dass es in Deutschland viel mehr Behörden, die diese Maßnahmen aufgrund der föderalen Staatsstruktur ergreifen können, gibt, wurde nicht berücksichtigt. Die wichtigsten Argumente in der Diskussion stammten aber aus der Analyse der Rechtsprechung des EGMR, die in Polen eine besondere Bedeutung hat. 382 Stiftung Panoptykon Statut https: / / panoptykon.org / organizacja (Zugang: 16.8.2016). 383 Urteil des EuGH vom 08.04.2014 – C-293 / 12 und C-594 / 12.
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Selbst die Politik hat sich mit Nachsicht zum Thema geäußert und das Urteil als wichtig angesehen. Doch zum Hauptthema des politischen Diskurses wurde es erst Ende 2015. Der VerfGH hat dem Parlament eine Frist von 18 Monate gesetzt, die Sicherheitsgesetze nach den Maßgaben seines Urteils anzupassen. Im Juli 2015 hat die erste Kammer des polnischen Parlaments, der Senat seinen Gesetzesentwurf384 zur Änderung der Sicherheitsgesetze, dem Sejm vorgelegt. Wegen der Diskontinuität der parlamentarischen Arbeiten nach den Wahlen im Herbst 2015 wurde erst das neue Parlament beauftragt, das Urteil umzusetzen. Der Umriss der Novelle und Kontroversen um sie herum wurden schon in dem vorigen Teil der Arbeit beschrieben. Selbst das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Juli 2014 bedauert, dass die Kontrollanträge nicht weit genug gingen und eigentlich nur fragmentarisch das Problem der Kommunikationsüberwachung behandelt haben. Die Sondervoten der Richter Hermeliński und Zubik haben darüber hinaus auf die nicht ausreichende Reichweite des Urteils hingewiesen. Trotzdem begrüßte die Fachöffentlichkeit das Urteil. Selbst die Vertreter der Sicherheitsdienste385 hofften auf eine Präzisierung mancher bisher unklarer Sachverhalte durch die bevorstehende Novelle der Gesetze. Die Nichtregierungsorganisationen zeigten sich zufrieden mit dem Richterspruch, jedoch fanden sie ihn, besonders soweit es um die Anordnung der richterlichen Kontrolle über die Verkehrsdatenabrufe ging, nicht ausreichend.386 Die Erwartungshorizonte der beiden Seiten waren also widersprüchlich und die Auslegung des Urteils auch, was zum grundlegenden Problem der Umsetzung wurde. A.D. 2016 lässt sich sagen, dass die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Arbeiten an der Novelle wurden relativ spät angefangen. Erst vier Monate vor den Wahlen 2015 erschien der Entwurf des Senats, wodurch im Gesetzesverabschiedungsverfahren die gesellschaftlichen Konsultationen vermieden werden konnten, wobei anzumerken ist, dass der Entwurf mit den Ansichten des Innenministeriums übereinstimmte.387 Als Antwort auf den Senatsentwurf kamen die Gutachten u. a. der Anwaltskammer, des Helsinkikomitees und der „Stiftung Panoptykon“, die sich gegen den Entwurf wegen 384 http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki7ka.nsf / 0 / 141378691F4818FFC1257E920045EDAB / %24File / 3765.pdf (Zugang: 16.08.2016). 385 Roman Zdybel, Przestrzeganie standardów demokratycznego państwa prawnego w świetle orzeczenie Trybunału Konstytucyjnego w warunkach wdrożenia przez organy ścigania kontroli operacyjnej, Policja 3 / 2015 S. 6. 386 Katarzyna Szymielewicz / Wojciech Klicki, Wyrok TK: musi być niezależna kontrola nad służbami, https: / / panoptykon.org / wiadomosc / wyrok-tk-musi-byc-niezale zna-kontrola-nad-sluzbami (Zugang: 16.8.2016). 387 Kilicki Wojciech, Krytyka powszechna, https: / / panoptykon.org / wiadomosc / krytyka-powszechna (Zugang: 16.8.2016).
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unzureichender Umsetzung des Urteils aussprachen oder sogar darauf hinwiesen, dass unter dem Deckmantel der Umsetzung tatsächlich weitergehende Eingriffe in die Bürgerrechte vorgenommen werden sollten. Die Wahlen im Herbst 2015 hielten das Gesetzgebungsverfahren auf. Damit war die Umsetzung wegen der Diskontinuität der parlamentarischen Arbeiten erst einmal vom Tisch. Das Projekt der PO-Regierung war in der Presse und in der Fachöffentlichkeit kritisiert worden, jedoch wurde es wegen des Wahlfiebers nicht zum Hauptthema der öffentlichen Diskussion. Die Wahlniederlage der PO-Regierung und der Regierungswechsel haben für eine erhitzte politische Atmosphäre in Polen gesorgt. Der daraufhin aufflammende Konflikt um den Verfassungsgerichtshof und die weitere Polarisierung der Öffentlichkeit haben die parlamentarischen Arbeiten am neuen Entwurf des Umsetzungsgesetzes überschattet. Der neue Gesetzentwurf wurde nach dem Streit um die Wahl der Verfassungsrichter und das neue Verfassungsgerichtsgesetz auf die Tagesordnung des Sejms gesetzt. Er wurde als Abgeordnetenprojekt vorgestellt, was wiederum weitreichende Beratungspflichten ausschließt und das Inkrafttreten wesentlich beschleunigt. Das neue Abgeordnetenprojekt hebt sich nur in wenigen Punkten von dem schon von den Expertenkreisen kritisierten Entwurf des Parlaments aus der vorigen Wahlperiode ab. Die zwei Entwürfe unterschieden sich nur in zwei Punkten: der neue Entwurf verzichtete auf die Subsidiaritätsklausel beim Zugang zu Verkehrsdaten und hat die neue Kategorie der „Internetdaten“ eingeführt. Der Hauptunterschied zwischen den zwei Entwürfen bestand in ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Zum ersten Mal nach dem ACTA-Fall hat ein Gesetz, das das Internet betrifft, eine Welle an Demonstrationen hervorgerufen, an denen auch die Oppositionspolitiker teilnahmen, die den früher sehr ähnlichen Entwurf in der vergangenen Wahlperiode noch unterstützt haben. aa) Mängel beim Gesetzgebungsprozess Die hohe Geschwindigkeit der parlamentarischen Arbeit war ungewöhnlich. Die verfassungswidrigen Vorschriften waren bis zum 6. Februar 2016 laut des VerfGH-Urteils in Kraft und der Entwurf wurde erst am 23. Dezember 2015 angenommen. Das Gesetz wurde trotz der Proteste und starken Kritik aus Expertenkreisen verabschiedet und trat am 7. Februar 2016 in Kraft. Der Gesetzgebungsprozess, auch wenn formell korrekt, wies zahlreiche Mängel auf. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde eine nicht bedeutsame Änderung angenommen. Es wurden keine gesellschaftlichen Beratungen zu dem Entwurf vorgenommen. Lediglich schriftliche Stellungnah-
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men zahlreicher Organe wurden vorgelegt. Der Beirat zur Digitalisierung beim Ministerium für Digitalisierung hat sich zu dem Gesetzgebungsverfahren kritisch geäußert, woraufhin der stellvertretende Minister-Koordinator der Geheimdienste den „Gesellschaftspartnern eine Zusammenarbeit auch nach der Beendigung des jetzigen Gesetzgebungsverfahrens“388 zusicherte, was darauf hindeuten könnte, dass die Regierung sich der zahlreichen Mängel der Novelle bewusst war. Das Gesetzgebungsverfahren dauerte nur etwas länger als einen Monat wegen der sich nähernden, vom VerfGH angeordneten Änderungsfrist. bb) Grundrechtsbedenken im Laufe der parlamentarischen Arbeiten An dieser Stelle gilt es, nur punktuell die Thesen zu erwähnen, denn die Lage ist schon im vorigen Teil erwähnt worden. Dennoch soll unterstrichen werden, dass trotz der Bedenken ein mangelhafter Entwurf angenommen wurde. Selbst aus dem parlamentarischen Büro für Analysen waren kritische Stimmen zu vernehmen.389 Die Hauptkritikgründe lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Fehlen des Subsidiaritätsprinzips beim nicht-inhaltsbezogenen Überwachen von Kommunikation.390 (2) Die vom VerfGH geforderte Regelung zur Sicherung der Berufsgeheimnisse sei mangelhaft. Die Übergabe der Materialien an die Staatsanwaltschaft und an das Gericht, die möglicherweise das Zeugnisverweigerungsrecht begründen könnten, sei dubios,391 denn sie ermöglicht der Staatsanwaltschaft und dem Gericht, sich mit den Inhalten vertraut zu machen.
388 http: / / mc.gov.pl / aktualnosci / okragly-stol-rady-ds-cyfryzacji-ws-ustawy-o-po licji (Zugang: 12.6.2016). 389 Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw, Zeszyty Prawnicze BAS Nr. 3 / 2015 S. 143– 158 (Gutachten zum Julientwurf, bleibt aber komplett aktuell zu der Januarnovelle.); Antoni Bojańczyk, Opinia prawna na temat projektu ustawy o zmianie ustawy o Policji oraz niektórych innych ustaw (druk sejmowy 154) http: / / orka.sejm.gov.pl / RexDomk8.nsf / 0 / 35E730BF5C69F31BC1257F2A00402B89 / $file / i522-15.rtf Gut achten zum „Dezemberentwurf“. (Zugang: 12.6.2016). 390 Gutachten des Generalinspektors für Datenschutz http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / 9E317D85E84BDE3DC1257F310041F2E8 / %24File / 154-002.pdf (Zugang: 12.6.2016). 391 Gutachten des Hauptrates der Anwaltschaft http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka. nsf / 0 / 9E317D85E84BDE3DC1257F310041F2E8 / %24File / 154-002.pdf (Zugang: 12.6.2016).
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(3) Falsch formulierte Kontrollpflicht beim Art. 20c PolizeiG und in anderen Sicherheitsgesetzen. Das Gesetz sieht zwar eine Informationspflicht der Polizei und anderer Dienste gegenüber dem Gericht vor, aber dessen Kontrollbefugnis sei unklar. Es sei keine Folge der Kontrolle vorgesehen, keine Rechtsmittel falls Verstöße festgestellt werden.392 (4) Keine Kontrolle ex ante des Zugangs zu den nicht inhaltsbezogenen Daten. Der VerfGH hat zwar diesen Auftrag nicht explizit formuliert. Diese Pflicht gehe aus dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung des EuGH hervor.393 (5) Entstehung einer festen informatischen Verbindung zwischen den Sicherheitsbehörden und den Telekommunikationsdienstleistungsanbietern oder Internetdienstleistungsanbietern. (6) Keine Beschränkung des Einsatzes der nichtinhaltsbezogenen Kommunikationskontrolle wegen der Differenzierung nach Schwere der Straftat.394 (7) Mangelnde Informationspflicht und Rechtsmittel gegen die erfolgte Kontrolle. Dieser noch nicht erfüllte Änderungsauftrag aus dem Jahre 2007 (Urteil K 32 / 04) wird auch bei der neuen Novelle nicht thematisiert.395 (8) Die Länge der Kontrolle. Die Länge der inhaltbezogenen Kommunika tionskontrolle kann mit allen Verlängerungen bis zu 18 Monate andauern. Diese Regelung wird von der Anwaltskammer kritisiert, jedoch im Gutachten des Höchsten Gerichts als zulässig bezeichnet, denn es setzt der Kontrolle absehbare zeitliche Grenzen. (9) Die nicht verfassungsmäßige Prozedur zur Löschung der Daten.396 cc) Die ungeklärten Fragen Obwohl alle erwähnten Gutachten auf weitreichende Unzulänglichkeiten des neuen Gesetzes hinweisen und grundlegende Änderungen im weiteren Gesetzgebungsprozess forderten, haben sie bei weitem nicht alle verfassungsrechtlichen Probleme erwähnt. Die Gutachter konzentrierten sich auf 392 Gutachten des Obersten Gerichts http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / 6DD 6555FEF040B65C1257F4700373DF8 / %24File / 154-004.pdf (Zugang: 12.6.2016). 393 Gutachten der Generalinspektors, Gutachten des Landesrates für das Gerichtswesen http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / D941AC33EC5D7E35C1257F45002B 7317 / %24File / 154-003.pdf (Zugang: 12.6.2016). 394 Ibidem. 395 Gutachten der Landesanwaltskammer http: / / orka.sejm.gov.pl / Druki8ka.nsf / 0 / 9E317D85E84BDE3DC1257F310041F2E8 / %24File / 154-002.pdf (Zugang: 12.6. 2016). 396 Ibidem.
IV. Ausgewählte Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofes 283
die Fragen, die im Urteil K 23 / 11 vom VerfGH aufgegriffen wurden; sie zählen dennoch nicht alle verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Novelle auf. (1) Unklare Rechtsbegriffe. Schon wieder benutzt der polnische Gesetzgeber eine unklare Sprache, wenn es um den Einsatz der geheimen nicht inhaltsbezogenen Kommunikationskontrolle geht. Die Sachverhalte, auf die die Maßnahmen angewendet werden: „zur Erkennung, Vorbeugung, Bekämpfung, Aufdeckung oder Beweissicherung der Straftaten oder zur Bergung des Lebens oder Gesundheit der Menschen oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungsarbeiten“ haben keine eindeutige Bedeutung. Sie bezeichnen nur grob die Situation, in der die Daten erhoben werden können. Mangels ausdrücklicher Erwähnung des Verhältnismäßigkeitsgebotes im Polizeigesetz und anderer Sicherheitsgesetze stellen sie eine Missbrauchsgefahr dar. (2) Gefahr für die Unverletzlichkeit der Wohnung. Der Einsatz der geheimen Belauschungs- und Bildaufzeichnungsmethoden in „nicht öffentlichen Räumen“ kann nicht als verhältnismäßig im Sinne des Art. 31 Abs. 3 PolVerf bezeichnet werden. Der Gesetzgeber nimmt keine Differenzierung vor und unterscheidet nicht nach Zweck der Räume und vor allem nicht nach Möglichkeit der Beeinträchtigung verschiedener Teile der Privatsphäre. Zwar wird die Sphärentheorie oder der Begriff des Kernbereichs locker in der polnischen Fachliteratur erwähnt doch nie vertieft in diesem Kontext vom VerfGH erörtert. Jedoch ist die Berufung auf die unverhältnismäßige Gleichstellung aller „nicht öffentlichen Räume“ in der Verfassungsbeschwerde oder wahrscheinlicher in einem Antrag auf der abstrakten Normenkontrolle bzw. eher unwahrscheinlich in konkreter Normenkontrolle durch die Gerichte, die die Kontrolle überprüfen können, durchaus möglich. (3) Die ausgeblendete Frage der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht. Der EuGH hat die Richtlinie 2006 / 24 / EG für nichtig erklärt. Die Art. 180c und 180d PolTKG und u. a. Art. 20c PolizeiG (offiziell in der alten Fassung, praktisch auch in der neuen) stellen ihre Umsetzung in das nationale Recht dar. Zwar sind sie polnische Gesetze und können nicht automatisch nichtig werden – nur kraft der Entscheidung des EuGH. Aber die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht (etwa Vorgaben der Richtlinie 2002 / 58 / EG) und die Kraft der Rechtsprechung der EGMR sind nicht zu übersehen.397 397 Dazu: Barbara Grabowska-Moroz, Ochrona danych telekomunikacyjnych i zasady ich udostępniania na tle Konstytucji PR i prawa Unii Europejskiej, EPS 1 / 2016 S. 35.
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B. Analyse der Rechtsprechung zu Überwachungsmaßnahmen
(4) Gleichstellung aller Methoden. Das Verfassungsgericht fordert zwar nicht die detaillierten Angaben über die technischen Mittel im Gesetz. Dies wäre auch sinnlos angesichts der sich schnell entwickelnden Technik. Doch die Mittel der Überwachung sollen in separaten Vorschriften thematisiert werden, denn sie alle weisen andere Merkmale und andere Eingriffsintensität bei verschiedenen Rechtsgütern auf. (5) Fehlende Differenzierung nach den Grundrechten. Der VerfGH hat schon in seinem Urteil K 32 / 04 festgestellt, dass das Kommunikationsgeheimnis, das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung andere Schranken aufweisen. Der Gesetzgeber blendet das bei den geplanten Eingriffen völlig aus.
V. Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit oder Kampf der Legislative und Exekutive gegen Verfassungsgerichtsbarkeit? Das polnische Verfassungsgericht konnte nicht eine so starke Wirkungskraft auf den Gesetzgeber wie sein deutsches Pendant entwickeln. Dies geschah aus den politischen und faktischen Gründen, auf die im Punkt III. 1. eingegangen worden ist, sowie aus rechtlichen Gründen, welche in den Punkten III. 2. und 3. erläutert wurden. Für den polnischen Gesetzgeber, der meist mit der Exekutive eng verbunden ist, erscheint der VerfGH oftmals als ein notwendiges Übel. Diese Einstellung ist nicht an eine konkrete politische Ausrichtung gebunden, sondern schwebt grundsätzlich als ein Gespenst über der politischen Szene. Der vom VerfGH abgekanzelte Gesetzgeber versteht die Vorgaben des Gerichts oft als Tadel für jeden einzelnen Abgeordneten, der für eine verfassungswidrige Lösung gestimmt hat, und reagiert beleidigt und nicht sachlich. Diese Einstellung schafft eine ungesunde Spannung auf der Linie Verfassungsgericht – Parlament, die neuerlich als offener Konflikt in der Öffentlichkeit tobt. Der Gesetzgeber versucht listig die Vorgaben des negativen Gesetzgebers so umzusetzen, damit möglichst viel von den ursprünglichen, verfassungswidrigen Ideen übrigbleibt. So weicht er dem Vorwurf der Ignorierung des VerfGH aus. Gleichzeitig versucht er aber die Tatsache auszunutzen, dass das Gericht über keine Zwangsmittel verfügt um seine Urteile umzusetzen. Der Gesetzgeber nutzt auch den Umstand, dass der Weg vor das Verfassungsgericht lang und unerfreulich ist, und zählt darauf, dass sich kein Querulant findet, der eine Frage erneut vor das Gericht tragen wird. Die Rolle der Opposition in diesem Prozess ist ebenfalls ambivalent. Einerseits unterstützt sie stets die Überprüfungsanträge vor dem Verfassungsgericht, doch nur jene, die sich nicht gegen „ihre“ Gesetze richten.
V. Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit285
Die Schutzlücken im polnischen Überwachungsrecht liegen auf der Hand. Es könnte sich die Frage nach der Möglichkeit eines ergänzenden Schutzes vor den europäischen Gerichten stellen. Dieser wäre theoretisch möglich, aber es liegen bisher keine Fälle vor, in denen ein Kläger gegen die polnischen Regelungen geklagt hätte. Dies scheint aber der einzige Ausweg von den extensiven Regelungen zu sein – angesichts der Krise des polnischen VerfGH. Der polnische Gesetzgeber ignoriert außerdem die Urteile, die sich nicht direkt gegen ihn richten, was bereits bei den Fällen „Digital Rights Irland“398 und „Tele 2 Svergie“399 sichtbar war. Der oben besprochene Fall zeigt auch die Einstellung der Politiker, die noch vor den Wahlen 2015 den mangelhaften Entwurf der Umsetzung des Urteils K 23 / 11 unterstützten, doch nach den Wahlen, als eine andere Partei an die Macht kam, die einst gelobten Ideen plötzlich verurteilten. Die Unreife der polnischen politischen Szene und deren Fokus auf die partikularen Interessen liegen auf der Hand. Es stellt sich aber die Frage, warum ausschließlich im Überwachungsrecht diese Tendenzen viel schärfer als in anderen Fällen sichtbar werden? Warum reagiert der polnische Gesetzgeber, egal von welcher politischen Ausrichtung dominiert, so allergisch auf die Vorgaben des negativen Gesetzgebers in diesem Bereich? Um diese Fragestellung zu beantworten soll auf die rechtssoziologische und gesellschaftliche Ebene sowie die historischen Hintergründe eingegangen werden. Der folgende Teil stellt einen Beitrag dazu dar.
398 Urteil 399 Urteil
des EuGH vom 8. April 2014, Az.: C-293 / 12 und C-594 / 12. des EuGH vom 21. Dezember 2016, Az.: C-203 / 15 und C-698 / 15.
C. Die opererative Polizeiarbeit in Polen und in Deutschland – Gründe für die Unterschiede Im ersten Teil dieser Arbeit wurde die deutsche und polnische Gesetzgebung zur Datenerfassung aus der Nutzung der IT-Systeme erörtert. Dies ließ zum Schluss kommen, dass sowohl Polen als auch Deutschland sich seit Jahren mit unterschiedlicher Intensität dem für die Grundrechtsabwehrdimension gefährlichen Denken des Risikoschutzes im Sicherheitsrecht nähern. Aus dem psychologischen Gesichtspunkt ist das durchaus nachvollziehbar. In den Medienberichten erscheint eine Welt voller Gefährdungen durch organisierte Kriminalität und Terrorismus, die es angeblich früher nie gab und die durch die Globalisierung alle Erdbewohner von Grönland bis Feuerland betreffe. Die Gesellschaften haben auch spezifische lokale Befürchtungen wie etwa die Korruption in Polen. Damit sinkt das subjektive Gefühl der Sicherheit. Häufig wird gefragt, ob die heutige Welt objektiv gefährlicher geworden ist. Auf eine so gestellte Frage gibt es keine Antwort, denn es gibt keine unteilbare „Sicherheit“. Es könnte höchstens „Sicherheiten vor verschiedenen Bedrohungen“ geben.1 Dennoch bleibt das Problem des Bestehens der Sicherheit in unterschiedlichen Bereichen oft die Frage der Betrachtungsweise. Die entscheidende Frage scheint zu sein, wie die Staaten mit unterschiedlichen Gefährdungen umgehen. Was veranlasst sie zu den spezifischen Vorgehensweisen? Diese breitangeschnittenen Fragestellungen legen einen Mechanismus nahe, wie die Bedrohungen für Sicherheit in Polen und in Deutschland wahrgenommen werden und warum die Gesetzgeber mit welchen Konsequenzen darauf Antworten geben. Dieser Komplex lässt sich im gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Umfeld sehen. Die Darstellung der Gesetzgebung und der Rechtsprechung zur Überwachung der IT-gebundenen Tätigkeit des Einzelnen in dieser Arbeit ermöglicht eine Betrachtungsweise aus dem Gesichtspunkt der Grundrechte. Dies geschieht, selbst auf dieser Ebene, nur stichprobenartig.
I. Die ausschlaggebende Frage In diesem Zusammenhang zu abweichenden Regelungen des Sicherheitsrechts bezüglich der Überwachungspraxis lässt sich folgende Unklarheit 1 In diesem Sinne: Paweł Waszkiewicz, Traktat o dobrej prewencji Kryminalnej, Warszawa-Newark 2015, S. 17–50.
I. Die ausschlaggebende Frage287
feststellen: Wenn sowohl die Deutschen als auch die Polen in einer Wertegemeinschaft der Europäischen Union gemeinsam leben und, allgemein gesagt, sich zu den westlichen Werten des Individualismus und Liberalismus bekennen, dann stellt sich die Frage, warum die beiden Gesetzgebungen zur Bekämpfung der gemeinsam erklärten Bedrohungen so weit von einander abweichen.2 Die gemeinsamen Wurzeln des Grundrechtschutzes resultieren aus den nationalen und internationalen Grundrechtsmaßstäben, die in den Fällen Polens und Deutschlands auf der nationalen Ebene auf der Verfassung vom Jahr 1997 oder auf dem Grundgesetz beruhen und aus der überstaatlichen Perspektive vor u. a. auf dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,3 der Europäischen Menschenrechtskonvention4 und der Grundrechtecharta der EU5 beruhen. Alle diese Rechtsakte bringen das Bekennen Polens und Deutschlands zu denselben westlichen, individualistischen, liberalen Werten oder, mit den Worten des BVerfG, zur „objektiven Grund rechtsordnung“6 zum Ausdruck. Dieses Bekenntnis bleibt nicht nur formell sondern auch justiziabel. Zum einen spiegeln sich im Idealfall die Grundrechte in den Gesetzen wider und im Rahmen des Übermaßverbots lässt die Staatsgewalt die in demokratischen Gesellschaften inakzeptablen Eingriffe nicht zu. Darüber hinaus stellen sie eine Grundlage für die Geltendmachung der verletzten subjektiven Rechte vor den Gerichten dar, falls es doch zu einer Verletzung kommt. Das BVerfG7 und der polnische VerfGH8 unterstreichen auch, dass die Grundrechte und ihr Schutz ein Element der Verfassungsidentität des jeweiligen Landes sind. 2 Dazu: Jan Muszyński, Fundamental rights and the surveillance of telecommunications in Poland and Germany – so similar yet so different in: Priesmeyer-Tkocz Weronika (Hrsg.), Common Values: Discussing German and Polish Perceptions of European Integration, Schriftenreihe des Arbeitskreises Europäische Integration, Baden Baden 2017. 3 International Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR from 16 December 1966 http: / / www.ohchr.org / EN / ProfessionalInterest / Pages / CCPR.aspx (Zugang: 4.9.2016). 4 Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms http: / / www.echr.coe.int / Documents / Convention_ENG.pdf (Zugang: 4.9.2016). 5 Protocol No. 7 to the Treaty on the functioning of the European Union http: / / eur-lex.europa.eu / legal-content / EN / TXT / PDF / ?uri=CELEX:12012E /TXT& from=DE (Zugang: 4.9.2016). 6 Lüth Urteil, BVerfGE 7, 198 (205). 7 Etwa: BVerfGE 73, 339 (387), BVerfGE 89, 155, (189 ff.), BVerfGE 123, 267 (354), dazu im: Rechtsvergleichenden Kontext: Peter Häberle, Wechselwirkung zwischen deutschen und ausländischen Verfassungen, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, § 7. 8 Urteil des VerfGH vom 24.11.2010, Az.: K 32 / 09, Punkt III 2.1.
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C. Die opererative Polizeiarbeit in Polen und Deutschland
II. Unterschiedliche Wahrnehmung – die Wertung der Sicherheit Dennoch weichen die Sicherheitsgesetzgebungen in Polen und in Deutschland voneinander ab. Einer der Gründe dafür ist das Verständnis der Sicherheit und ihre Wertung. Art. 5 PolVerf nennt die Sicherheit als einen der erstrebenswerten Zustände. Danach „[schützt] die Republik Polen die Unabhängigkeit und Integrität ihres Territoriums, gewährleistet Freiheiten und Rechte der Menschen und der Bürger sowie die Sicherheit der Staatsbürger, schützt das nationale Erbe und gewährleistet den Umweltschutz […]“. Das Zusammenbündeln des Schutzes (ochrona) und der Gewährleistung (zapewnienie) verschiedener ggf. widersprüchlicher Rechtsgüter zeugt von einem eher lockeren Verständnis des Gehalts dieser Worte und überträgt ihre Auslegung auf spezielle (Rechts)Gebiete. Gewiss enthält Art. 5 PolVerf lediglich eine Erklärung der Staatszielbestimmungen, die aber auf die ganze Verfassung und auf das Staatsleben ausstrahlt. Die Unabhängigkeit und Integrität des Territoriums gehören zur Nationalidentität des Staates und der Nation und beziehen sich auf militaristische Traditionen, die tief in der Kultur verwurzelt sind.9 Sie erlangen aber auch durch die Konstitutionalisierung einen normativen Wert. Ohne die Unabhängigkeit und territoriale Integrität könnten danach die Menschenrechte, die Sicherheit, das nationale Erbe und der Umweltschutz nicht gewährleistet werden. Nur unter der Bedingung eines stabilen Staatswesens scheinen die im Art. 5 PolVerf genannten Werte eine Verwirklichungsmöglichkeit zu erlangen. Dem militaristischen Verständnis der Gehalte des Art. 5 scheinen alle dort genannten Werte untergeordnet zu sein. Besonders die Sicherheit passt in diese Bahnen, deswegen wird sie gern in diesem Kontext ausgelegt. 1. Definitionen der Sicherheit Mit dem Thema der Sicherheit beschäftigen sich in Polen die Kriminalistik und die „Wissenschaft der Inneren Sicherheit“, die seit den letzten Jahren an zahlreichen, hauptsächlich nicht juristischen Fakultäten studiert werden kann. Einer der prominenten Lehrbücher zu diesem Fach beginnt die Erörterungen zur Sicherheit allgemein folgendermaßen: „Die Sicherheit ist ein Element zahlreicher Tätigkeitsgebiete des Menschen.“ Gegenwärtig wird die Sicherheit von Polemologie (Wissenschaft über den Krieg) und Irenologie (Wissenschaft über den Frieden) betrachtet. Dennoch verwendet die gängige Literatur, so wie die Alltagssprache, das Wort „Sicherheit“ mit verschiedenen Be9 Edmund Lewandowski, Charakter narodowy Polaków i innych, Warszawa 2011, S. 237.
II. Unterschiedliche Wahrnehmung – die Wertung der Sicherheit289
deutungen. Meistens wird die Sicherheit als ein Zustand ohne drohende Gefahren definiert.“10 Diese Betrachtungsweise dominiert das polnische Verständnis der Sicherheit, dagegen ist die Ableitung dieses Begriffs von der liberalen Tradition eher selten. So vertritt etwa Erhard Denninger eine völlig konträre, in Deutschland häufige Betrachtungsweise der Sicherheit. Er geht vom Art. 5 EMRK aus, die wiederum an die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 anknüpfen soll. Seiner Ansicht nach meint die EMRK „die Sicherheit nicht als einen Anspruch des Bürgers gegen den Staat auf umfassenden Schutz all seiner Rechtsgüter auch gegen Angriffe von Seiten Dritter, sondern, wie schon bei Montesquieu […] nachzulesen ist, vor allem die Rechtssicherheit gegenüber willkürlichen Eingriffen der Staatsgewalt, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, vor falschen verleumderischen Anklagen und nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren herbeigeführten, mithin willkürlichen Verurteilungen.“11 Damit wird die aus der deutschsprachigen Literatur bekannte Gegenüberstellung der Sicherheit mit der Freiheit unterstrichen, was bei dem aus Polen bekannten Sicherheitsbegriff zweitrangig ist oder gar übersehen wird.12 Die gewisse Militarisierung der Sicherheit in Polen ist in Mittel- und Osteuropa kein vereinzeltes Phänomen. Auch andere Staaten in dieser Region weisen diese Vorgehensweise auf.13 Dagegen ist Sicherheit als militärisches und technisches Konzept in Deutschland seit den 1960er Jahren überholt. Hier beobachtet man eine Abkehr von dieser Kategorie und eine Wende zum gegensätzlichen Begriff des Risikos. Dieser neue Risikobegriff wurde zunehmend in den letzten Jahrzehnten, vor allem nach dem Jahr 2001 dynamisiert und subjektiviert.14 Durch diese Merkmale weist er Parallelen zum mittel- und osteuropäischen Sicherheitsbegriff auf. Das von Christoph Gusy dargestellte Modell der „neuen“ Sicherheit könnte erfolgreich zur Veranschaulichung des Si10 Zbigniew Ścibiorek / Bernard Wiśniewski / Rafał Bolesław Kuc / Andrzej Dawidczyk, Bezpieczeństwo wewnętrzne podręcznik akademicki, Toruń 2015, S. 23. 11 Erhard Denninger, Prävention und Freiheit, Baden-Baden 2008, S. 6. 12 Andrzej Misiuk, Administracja porządku i bezpieczeństwa publicznego zagadnienia prawnoustrojowe, Warszawa 2008, S. 8–20; Bartłomiej Opaliński / Przemysław Szustakiewicz, Policja studium administracyjnoprawne, S. 91–97; Kazimierz Rajchel (Hrsg.), Zarządzanie Ochroną porządku i bezpieczeństwa publicznego w państwie, Rzeszów 2005, S. 37–55. 13 Vgl.: László Fodor, Neue Entwicklungen im ungarischen Polizeirecht, Osteuroparecht 3 / 2009, S. 229–239; Oesten Baller, Polizei- und Geheimdienstrecht in Russland – Eine institutionelle, aufgaben- und befugnisrechtliche Bestandsaufnahme, Osteuroparecht 1 / 2014, S. 3–20; Paata Turava, Polizeirecht in Georgien, Osteuroparecht 1 / 2014, S. 60–71. 14 Christoph Gusy, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, VVDStRL 63 (2004), S. 151 ff., S. 156–157.
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C. Die opererative Polizeiarbeit in Polen und Deutschland
cherheitsverständnisses in Polen dienen. Die Dynamisierungsthese bringt er folgendermaßen auf dem Punkt: „Es geht nicht mehr allein um aktuelle Schädigungen und reaktive Repression, sondern um Verhütung zukünftiger Risiken durch proaktive Prävention.“15 Seine Subjektivierungsthese beruht auf der Annahme, dass die objektive Einschätzung der Bedrohungen stark von dem subjektiven Sicherheitsgefühl abhängt. („Es ist ein Unterschied ob etwas sicher ist oder ob ich mir sicher bin.“16). Dies führe zu einem Paradoxon der Sicherheit, einer Erscheinung die auch in Polen durch die Sicherheitsgewährleistungsaufgabe aus dem Art. 5 PolVerf bekannt ist und dennoch wegen seiner Unerreichbarkeit utopisch bleibt. Mit Gusy kann man das folgendermaßen schildern: „Der Staat, der alle Risiken ausschließen soll, muss alles wissen, alles können und alles dürfen.“17 Die Sicherheit wird also in der polnischen Verfassung, anders als im GG, explizit erwähnt, und zwar in einer Reihe mit Unabhängigkeit und territorialer Integrität, so wie mit den Menschenrechten. Es scheint aber, dass Letztere in den Augen des Gesetzgebers und der Gesellschaft nicht so viel Bedeutung wie die ersten gewinnen. 2. Gefahrenabwehr oder Schutz der Sicherheit? Trotz der Abkehr von der traditionellen Polizeirechtsdogmatik18 wird der „neue erweiterte Sicherheitsbegriff“ in Deutschland limitiert. Das strukturierte Polizei- und Sicherheitsrecht in Deutschland ruht auf dem in früheren Abschnitten besprochenen Trennungsprinzip und der Gefahrenabwehr, was eine signifikante Rolle bei der Markierung der Befugnisse der Polizei und anderer Dienste spielt. Gusy erwähnt den Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr an der ersten Stelle der polizeilichen Aufgaben in Deutschland.19 In dem föderalen Staatsgefüge Deutschlands wird „die Gefahrenabwehr“ als die Hauptaufgabe der Polizeidienste in die jeweiligen Polizeigesetze hineingeschrieben.20 Etwa in Niedersachsen heißt sogar der zentrale Rechtsakt des Polizeirechts „Gefahrenabwehrgesetz“. 15 Christoph Gusy, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, S. 158. 16 Christoph Gusy, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, S. 159. 17 Christoph Gusy, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, S. 160. 18 Dazu: Oliver Lepsius, Sicherheit und Freiheit –ein zunehmend asymmetrisches Verhältnis, in: Gunnar Folke Schuppert, Wolfgang Merkel, Georg Nolte, Michael Zürn (Herausgeber), Der Rechtsstaat unter Bewährungsdruck, Baden-Baden 2010, S. 23–54. 19 Christoph Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Tübingen 2009, S. 39. 20 Beispiel § 14 Abs. 1 BPolG, § 2 Abs. 1 der BayPAG, § 1 Abs. 1 NGefAG.
II. Unterschiedliche Wahrnehmung – die Wertung der Sicherheit291
Der Polizei werden also Präventionsaufgaben zugeschrieben, doch in einem durch den Gefahrbegriff bestimmten Umfang. Eine Gefahr liegt vor, „wenn eine Sachlage oder Verhalten bei ungehinderten Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird21“, wo rauf hin die Polizei tätig werden kann um die Verwirklichung oder das Fortbestehen der Gefahr zu verhindern. Schon die linguistische Formulierung „Gefahrenabwehr“ setzt voraus, dass die Tätigkeit von dem Abwehrenden nur dann unternommen werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür bestehen, also eine Gefahr droht oder besteht. Die Feststellung einer Gefahr knüpft also an faktischen Anhaltspunkten an und muss sich belegen lassen.22 Die Gefahrenabwehr kann nur als eine Reaktion auf bestimmte Sachverhalte oder Umstände verstanden werden. A contrario lässt sich sagen, dass wenn keine Beeinträchtigung für die Zukunft absehbar ist, der Abwehrende, also die Polizei, nicht tätig sein kann. Dagegen schreibt das polnische PoizeiG der Polizei an erster Stelle die Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Ordnung zu (Art. 2 Abs. 2 PolizeiG). Semantisch setzt „der Schutz“ weitere Handlungsmöglichkeiten als die „Abwehr“ voraus. „Der Schutz“ sieht sowohl die Reaktion auf eine gegenwärtige oder zukünftige Gefahr vor, als auch aktive, präventive Gestaltungsmöglichkeiten, wobei sich die Prävention anders als in Deutschland nicht auf die gefährdenden Zustände bezieht, sondern diffuser ist. In Polen wird also der Polizei eine gewisse Schutzaufgabe zugeschrieben, die sich weitgehend plastisch gestalten und deren Umfang sich schwer eingrenzen lässt. 3. Das unbequeme Erbe Die unterschiedlichen Formulierungen der Aufgaben der Polizei kommen nicht aus einem juristischen Vakuum. Sie sind historisch und soziologisch abzuleiten und damit auch über Jahre in den jeweiligen Rechtsordnungen eingeprägt. Trotz der Überwindung der staatssozialistischen autoritären Regime in Mittel- und Osteuropa bleibt die paternalistische23 Vorstellung der polizeilichen Dienste als nicht nur der reagierende Verteidiger der Ordnung, sondern als ihrer Mitgestalter24 bestehen. Damit wird die Erwartungshaltung 21 Christoph
Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 54. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 192 ff. 23 Zygmunt Ziembiński, Wartości konstytucyjne: zarys problematyki, Warszawa 1993, S. 75. 24 Für Ungarn: László Fodor, Neue Entwicklungen im ungarischen Polizeirecht, Osteuroparecht 3 / 2009, S. 232. 22 Markus
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C. Die opererative Polizeiarbeit in Polen und Deutschland
der Gesellschaft auf die Gewährleistung und Effektivität der polizeilichen Tätigkeit induziert. Im Staatssozialismus war die Polizei als „Organ der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht“ ein Garant des Bestehens und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und ein Schützer „der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, der sozialistischen Errungenschaften, des friedlichen Lebens und der schöpferischen Arbeit der Menschen.“ Die Polizei leistete dadurch ihren Beitrag „zur Gewährleistung der Würde und Freiheit, des Lebens und der Gesundheit der Bürger, sowie zum Schutze der Rechte der Bürger.“25 Die Volkspolizei oder die Bürgermiliz hatten also im Sozialismus nicht nur die Gefahren der Bürger abzuwenden, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Programm durch die Inanspruchnahme der Schutz- und Gewehrleistungspflichten zu erfüllen, was etwa das polnische Gesetz über die Bürgermiliz im Art. 34 zur Ausdruck bringt. Danach soll der Funktionär der Miliz „die Staatsprinzipien der Volksrepublik Polen schützen“, auch wenn es das aufs Spiel setzen eigenen Lebens verlangen würde26. Die Volkspolizei in der DDR oder die Bürgermiliz in der VRP war damit auch ein Garant der Ausübung der sozialistischen Grundrechte, einer Ausübung im Rahmen der sozialistischen Prinzipien und ein aktiver Schützer der Gesellschaftsordnung. Nach dem Fall des maroden Systems blieb aber die Fürsorgepflicht der Polizei bestehen, diesmal ohne sozialistische Ideologie. Der Begriff des Schutzes der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung ist geblieben und wird nach wie vor als eine Fürsorgeaufgabe des Staats verstanden. Dabei ist die öffentliche Sicherheit als ein Zustand der Abwesenheit der Bedrohungen für die Funktion des Staatswesens und die Realisierung seiner Interessen zu verstehen, der die normale, freie Entwicklung des Staatswesens ermöglicht.27 Die öffentliche Ordnung meint das bestehende System der Zusammenhänge der gesellschaftlichen Beziehungen, die durch Rechtsnormen und anderen allgemein akzeptierten Normen geregelt wird und eine ungestörte und konfliktlose Tätigkeit des Menschen in der Gesellschaft garantiert.28 Aus diesem Verständnis entsteht also ein paternalistischer Handlungsauftrag für die Poli25 Dieser und folgende Zitate in diesem Satz stammen aus dem § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei vom 11. Juni 1968. 26 Art. 32 Ustawa o służbie funkcjonariuszy SB i MO Polskiej Rzeczpospolitej Ludowej. DzU.: 1985 Nr. 38 Pos. 181. 27 Andrzej Misiuk, Administracja porządku i bezpieczeństwa publicznego zagadnienia prawnoustrojowe, Warszawa 2008, S. 16–17. 28 Andrzej Misiuk, Administracja porządku i bezpieczeństwa publicznego zagadnienia prawnoustrojowe, Warszawa 2008, S. 18; Opaliński Bartłomiej / Szustakiewicz Paweł, Policja studium administracyjnoprawne, S. 27.
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zei. Er umfasst etwa den Schutz „der ungestörten und konfliktlosen Tätigkeit der Menschen in der Gesellschaft“ und setzt eine Mitgestaltung des öffent lichen Lebens voraus, der Polizei Gestaltungspflichte und Spielräume auf, programmiert also ein „Einmischen“ des Staates in die Autonomie des Bürgers. Was im Rahmen der sozialistischen Ideologie schon geschah und verurteilt wurde, das wird in den neuen Zuständen nicht mehr angegriffen. 4. Der Schutz der Sicherheit in der Gesellschaft Diese wissenschaftliche Betrachtungsweise der Sicherheit spiegelt sich auch im alltäglichen Verständnis der Gesellschaft wieder. In den Jahren 2010–2014 haben im World Value Survey die Polen und die Deutschen auf sicherheitsrelevante Fragen konträre Antworten gegeben. Fast 20 % aller Polen halten den Kampf gegen Kriminalität für wichtig, lediglich 8,4 % der Deutschen sind der gleichen Meinung. Dagegen ist der Fortschritt in Richtung humaner Gesellschaft, was mit der Wichtigkeit der Menschenrechte in Verbindung gebracht werden kann, nur für 10 % der Polen wichtig, dafür aber für über 30 % der Deutschen. (Am wichtigsten für die beiden Nationen sei die stabile Wirtschaft – 50 % der Deutschen und 57 % der Polen.)29 Nach Roland Inglehart könnte man behaupten, die polnische Gesellschaft achtet die materialistischen, primären Werte (security values), also solche, die mit der Sicherung der Existenz verbunden sind, höher als die postmateria listischen (postmaterial values), die wiederum in den Wohlfahrtsgesellschaften wichtiger sind und die mit der Individualität und gesicherten materiellen Grundlagen verbunden sind.30 5. Suche nach Parallelen in Deutschland Das polnische Verständnis der Sicherheit lässt sich im Kontext der in Deutschland bekannten Konzeption des Grundrechts auf Sicherheit nach Josef Isensee wiederfinden.31 Er übernahm die Annahme von Thomas Hobbes, dass der Mensch sich dem Staat unterwirft um die Sicherheit vor der Gewalt Anderer zu gewinnen. („Der Staat ist die institutionelle Überwindung des Bürgerkrieges.“32) und von John Locke, dass es Freiheit „durch“ den Staat 29 World Value Survey, Online Analysis, http: / / www.worldvaluessurvey.org / WVS Online.jsp (Zugang: 10.10.2016). 30 Roland Inglehart, Modernization and postmodernization cultural, economic and political change in 43 societies, Princeton 1997, S. 27–45. 31 Grundlegend: Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, Berlin / New York 1983. 32 Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 4.
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und „vor“ dem Staat gibt. Nach ihm begrenzen die Grundrechte die Macht des Staates, nicht aber die Freiheit des Bürgers. Im Gegenteil, sie konstruieren die Freiheit. Die Sicherheit, die der Staat durch seine Existenz gewährleistet, ruft nach dem Eingriff, der durch die Sicherheitsgewährleistungsaufgabe legitimiert ist.33 Isensee verknüpft das Grundrecht auf Sicherheit mit der Konzeption der grundrechtlichen Schutzpflichten. Es verwirklicht sich an dem Punkt wenn „das Können der Polizei in das Müssen umschlägt und sich das formelle subjektive öffentliche Recht des grundrechtlich Geschützten zu einem materiellen Recht verdichtet.“34 Es geht dabei um die Frage wie viel „Unsicherheit“, also Gefahr oder sogar Risiko, der Staat zulassen kann, bevor er anfängt zu agieren. Bei der Analyse der Konzeption von Isensee lassen sich einige Parallelen mit der polnischen Sicherheitsrechtsdogmatik finden, die sogar als Staatsprinzip (im Sinne von Dworkins Prinzipien) formuliert wird. Der sogar verfassungsrechtliche Fokus auf die Sicherheit in Polen impliziert die effektive Umsetzung der Sicherheitsidee. Sie ähnelt aber nicht der deutschen Schutzpflichtkonzeption, sondern der Feind-Freund Relation nach Carl Schmitt und durch das sozialistische Grundrechtsverständnis nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“. Das deutsche Pendant dieser Praxis könnte in der Konzeption des Feindstrafrechts nach Günther Jakobs gefunden werden.35 Die Frage der Sicherheitsdurchsetzung lässt sich mit juristischen Kategorien schwer beantworten. Ihre unbestrittene Definition ist nicht erreichbar. Deswegen verläuft die Subsumtion relativ beliebig, was die besprochenen polnischen Überwachungsvorschriften aufweisen.
III. Das Paradoxon der Beseitigung des sozialistischen Erbes Die Errichtung des Eisernen Vorhangs nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete nicht nur die politische und militärische Spaltung Europas und ihre Unterteilung in zwei verfeindete Lager, durch sie vollzog sich auch ein ökonomisches und rechtliches Zerwürfnis, das viel tiefer griff als die politischen Unterschiede. Die vorprogrammierte Schaffung der sozialistischen Gesellschaft im marxistisch-leninistischen Sinne östlich der symbolischen Grenze an der Elbe, und der allmähliche Aufbau einer pluralistischen, offenen Gesellschaft im Popperschen Sinne spiegelte sich nicht nur in der Eigentumsstruktur „der Produktionsmittel“, sondern auch in der Staatsrechtslehre wider. 33 Josef
Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 3. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 54. 35 Grundlegend: Günter Jakobs, Bürger Strafrecht und Feindstrafrecht, HRRS 3 / 2004, S. 91 ff; Robert van Ooyen, Öffentliche Sicherheit und Freiheit, Baden-Baden 2007, S. 13 ff. 34 Josef
III. Das Paradoxon der Beseitigung des sozialistischen Erbes295
Der zweite Aspekt der Spaltung zwischen West und Ost scheint ein wichtiger, oft unterschätzter Faktor, der das Rechtsverständnis in den umgebauten Rechts- und Gesellschaftssysteme im Mittel- und Osteuropa auszeichnet. Damit soll nicht gesagt werden, dass die ehemaligen Ostblockländer immer noch die sozialistische Utopie leben, sondern dass das Bild des Homo Sovieticus36 im Sinne von Alexandr Sinowjew und Leszek Kołakowski immer noch, selbst nach über 25 Jahren, nach dem Fall des Staatssozialismus, in der Gesellschaft präsent ist und einen Einfluss auf das öffentliche Leben hat. Die Neigung zu einem Anfang vom „Nullpunkt“ auf einer Seite, und ihre Sinn losigkeit auf der anderen, bestimmte dennoch aber durch eine Notwendigkeit der effektiven Befreiung von Reminiszenzen der sozialistischen Gesellschaftsordnung die Demokratisierungsprozesse in Polen und in den anderen ehemaligen Ostblockländern. Das Erbe des kollektivistischen Menschenbildes war aber bei weitem nicht so leicht zu überwinden wie die Relikte der Planwirtschaft oder der marxistisch-leninistischen Ideologie. 36 Homo Sovieticus ist ein literarisches und soziologisches Konzept. Er basiert auf der in vielen totalitären Regimen präsenten Bestrebung einen neuen Menschen zu schaffen und hat damit zwei Seiten, zum einen die utopische, wonach der neue Mensch im Kommunismus einige überdurchschnittliche Merkmale zugeschrieben werden, zum anderen die gegenutopische, die den negativen Einfluss des Systems auf das Individuum zeigt. Der Begriff kommt vom Roman des Schriftstellers Alexandr Siniwjew unter dem gleichnamigen Titel. In seinem Aufsatz „Über Stalin und den Stalinismus: die Maus, die der Berg gebar“ schrieb er: „Was die Entstehungszeit des Kommunismus so grauenhaft erscheinen lässt, sind nicht nur die Opfer, es ist die Tatsache, dass ein Menschentyp bevorzugt und ausgewählt wurde und sich schließlich auch durch setzte, der bereit war, sich selber zu opfern und andere zu seinen Opfern zu machen.“ Der Homo Sovieticus ist also ein Opportunist, der der Macht der Stärkeren völlig unterworfen ist, und daraus Profite zieht, dafür aber zynisch die unter sich stehenden benutzt. Er ist nicht selbständig und erwartet Entscheidungen von der Obrigkeit, damit entledigt sich jeglicher Verantwortung. Paradoxerweise lebt er in einem System des „Volkseigentums“, doch er versteht ihn als „niemandes Eigentum.“ Leszek Kołakowski setzte ihn etwa dem „Apparatschik“ gleich. Diese Vision des Homo Sovieticus war mit einem willenlosen, passiven und unbewussten Klienten der Bürokratie auf der Kehrseite verbunden. Die Weiterentwicklung des Begriffs für Polen unternahm Józef Tischner, für ihn sei der zynische Opportunist – Homo Sovieticus von dem System abhängig, doch es störte ihm nicht es umzuwerfen, wenn es seine Bedürfnisse nicht mehr erfüllen könnte. Seine Erwartungsposition übertrage er auf die neue Gesellschaftsordnung und passiv verlange die Lösung seiner Probleme. Homo Sovieticus soll aber als keine Beschreibung der Gesellschaft gesehen werden, sondern als eine im Staatssozialismus zwangsläufig prämierte Einstellung, die in den Rechtsstaatsbedingungen schädliche Folgen hat. Literatur (Auswahl): Leszek Koła kowski, Die Hauptströmungen des Marxismus Band 3, München 1981, S. 176–186; Józef Tischner, Etyka solidarności i Homo Sovieticus, Kraków 1992; Alexandr Si nowjew, Homo Sovieticus, Zürich 1987; Alexandr Siniwjew, Über Stalin und den Stalinismus: die Maus, die der Berg gebar, Schweizer Monatshefte: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur, 60 / 1980, S. 125–133.
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1. Sozialistisches Ideal Die sozialistische Staatsrechtslehre basierte auf dem Mythos „der historischen Mission der Arbeiterklasse“, eine klassenlose Gesellschaft, in einem starken, allgegenwärtigen Staat zu verwirklichen. Der Staat war durch seine Einrichtungen als „Sakramentsverwalter“ und Ausleger der sozialistischen Ideologie verstanden worden, wodurch seine Omnipotenz zugunsten der sozialistischen Gesellschaft legitimiert wurde. Dieses Verständnis der Einheitlichkeit der Staatsgewalt prägte die ganze Gesellschaftsordnung zu der auch die Ausübung der Grundrechte gehörte. Ihre Quelle wurde aber nicht im Naturrecht gesehen, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen teilweise der Fall war. Der Ursprung und Garant aller Grundrechte war der Staat in dem sich der Willen der „werktätigen Massen“ verwirklichte. Die individuellen Rechte und Freiheiten wurden nur insoweit gewährleistet, wie sie der Durchsetzung der sozialistischen Ideale dienten. Damit stellten sie keinen Minderheitenschutz oder Abwehrrechte gegenüber dem Staat dar, sondern waren ein ideologisches Manifest und aus der heutigen Perspektive leere Programmsätze. Damit wurden die Grundrechte nicht nach Schutzgütern differenziert, sondern als eine Einheit mit den Pflichten vermittelt und ihre individuellen Garantien galten als rückständig.37 Nach dieser Konzeption haben sich die Grundrechte „sinnvoll ergänzt und wechselseitig verstärkt.“38 Für Marxismus und Leninismus waren also die individualistischen Grundrechtskonzeptionen überflüssig und sogar gefährlich für die Umsetzung des Kommunismus. Nach Lenin sollte durch die sozialistische Revolution „die Notwendigkeit zur Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes Zusammenleben von Menschen sehr bald zur Gewohnheit werden“.39 Diese utopische Vision der Grundrechte und damit das idealistische Menschenbild im Sozialismus stellten eine Gefahr für das Individuum dar. Die naive oder zynische Vermittlung der Idee des Staates, der sich mit der Gesellschaft identifizierte und der Glaube, dass seine Eingriffe in die Grundrechte nur von einem Missstand zeugen, und eigentlich nicht erfolgen dürfen, trug im Endeffekt zu einer Wehrlosigkeit und programmierten Lähmung des Einzelnen in Gegenüberstellung zum Staat bei. 37 Etwa: Georg Brunner, Grundrechtstheorie im Marxismus-Leninismus, in: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, § 13 Rn. 41 ff. 38 Gert Egler / Karl Friedrich Gruel / Dieter Hösel / Gerhard Riege / Gerhard Schüßler / Herbert Tzschoppe (Gesamtredaktion), Staatsrecht der DDR, Berlin 1977, S. 194. 39 „Staat und Revolution“ (1917), in: Lenin, Werke, Band 25, S. 489, zitiert nach: Georg Brunner, Grundrechtstheorie im Marxismus-Leninismus, in: Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, Band I, § 13 Rn. 14.
III. Das Paradoxon der Beseitigung des sozialistischen Erbes297
Die Grundrechtsgarantie gab die Möglichkeit, die Grundrechte „in dem verfassungsmäßig festgelegten Sinne“40 auszuüben, und sollte das Volk animieren „das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben mitzugestalten“.41 Die Garantie vor staatlichen Eingriffen in die Grundrechte war nach dieser Ideologie nicht nötig, da der Staat „die Rechte und Freiheiten der Bürger festigte und erweiterte“.42 Das „werktätige Volk“ in der diffusen Einheit mit der Partei und mit dem Staat konnte ja als der einzige Träger der Staatsgewalt seine eigenen Grundrechte nicht antasten. Der ständige „Kampf um die Errungenschaften des Sozialismus“ und damit auch die Herstellung einer Atmosphäre der Bedrohung von Bourgeoisie und Imperialisten hatte zwei grundrechtsrelevante Folgen. Erstens wurde die Verteidigung des Systems vor seinen imaginierten oder realen Feinden zum Staatsziel und damit sollte sich die Befestigung der sozialistischen Gesellschaftsordnung vollziehen. Zweitens ergab sich aus dieser Bestrebung die Konzeption der Ausübung der Grundrechte nur „zur Erfüllung der Ziele der Verfassung.“43 Von dem Grundrechtsschutz waren also alle „Bestrebungen die gegen das Interesse der Werktätigen, gegen Sozialismus und für kon terrevolutionäre und imperialistische Ziele“44 ausgeschlossen. In der VRP wurde das noch ausdruckskräftiger formuliert: Andrzej Burda, prominenter Staatsrechtlehrer jener Zeit, schrieb: „ausgenommen vom Grundrechtsschutz sind die Feinde der Demokratie.“45 Das Ziel der Befestigung der Macht der Arbeiter und Bauern hatten die Staatsorgane zu verfolgen. Die Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit (in der DDR) oder der Volksgerechtigkeit (in VRP) und damit auch der Konzeption der sozialistischen Grundrechte wurde zum obersten Gebot der Staatsorgane und da der Klassenkampf noch nicht vollzogen wurde war die Verfolgung dieser Obliegenheit mit allen Mittel zulässig.46 Die Sicherheitsgewährleistungsaufgabe des Staates hatte damit an Bedeutung gewonnen. Von den Sicherheitsdiensten verlangte man vor allem Effizienz. Dieser Anspruch kam nicht nur von der Parteienspitze, sondern auch von der Gesellschaft selbst, die ihr Grundrechtsverständnis aus den im Sozialismus ausgeprägten Gewährleistungs- und Teilhaberechten ableitete. Faktisch waren aber die polizeilichen Einheiten vor allem das Mittel zur Machtaufrechterhaltung der führenden Partei, wovon die funktionelle, personelle und kompetenzielle Verflechtung mit den Innenministerien zeugte. 40 Staatsrecht
der DDR, S. 219. DDR Verfassung. 42 Etwa: Art. 57 VRP Verfassung. 43 Staatsrecht der DDR, S. 194. 44 Ibidem S. 226. 45 Andrzej Burda, Polskie Prawo Państwowe, Warszawa 1969, S. 344. 46 Stefan Rozmaryn, Polskie Prawo Państwowe, Warszawa 1949, S. 22. 41 Etwa: Art. 21
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Allerdings war „die Hetze“ gegen den Andersdenkenden nicht die Hauptbeschäftigung der Staatsorgane, viel mehr beschäftigten sie sich mit der einfachen Kriminalität, die auch als Bedrohung für die sozialistische Gesellschaftsordnung zu sehen war. Wenn das Grundrechtseinschränkungsproblem aus dieser Perspektive betrachtet wird, verliert es an antitotalitärer Aussagekraft. Die Kriminalität bedroht doch nicht nur die Gesellschaftsordnung in den (einst) sozialistischen Ländern, sondern auch in den Rechtsstaaten. Insofern könnte die Forderung nach Effektivität der Strafverfolgung auch heute in Polen auf Zustimmung stoßen. Diese Fürsorgepflicht des Staates wurde jedenfalls auch durchaus positiv bewertet und gleichwohl nach dem Jahr 1989 vermisst, besonders angesichts der Tatsache, dass die Kriminalität nach dem Fall des Staatssozialismus in Polen bemerkenswert anstieg.47 Der Prozess der „Entkommunisierung“ des Rechts nach dem Jahr 1989 bezweckte, die Staatsgrundlagen von der marxistisch-leninistischen Ideologie zu befreien. Nach über 40 Jahren des Staatssozialismus und der Einprägung des sozialistischen, kollektivistischen Menschenbildes wurde die Wende zum individualistischen Gedankengut angestoßen. Was politisch am leichtesten ging – mit den freien Wahlen, volkswirtschaftlich etwas mühsamer – (mit der „Restaurierung des Kapitalismus48“) erwies sich gesellschaftlich als am anspruchsvollsten. Aus der Grundrechts- und Menschenrechtsposition hatte die durchaus idealistische, aber utopische Idee der Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus und des Schutzes der gesunden, sozialistischen Gesellschaft vor den etwaigen Störer um jeden Preis verheerende Folgen, von der die Rechtsänderungen die Staaten in Mittel- und Osteuropa nicht vollständig befreit haben. Ewa Łętowska spricht von mangelnder Tradition des individuellen Grundrechtsschutzes.49 Die Nachwirkung dieser paternalistischen Einstellung des Staates und passiven Erwartungsposition der Gesellschaft kann immer noch etwa im Bereich des Polizei- und Sicherheitsrechts in den ehemaligen Ostblockländern gesehen werden, obwohl diese Bereiche als die am stärksten von der marxistischen Ideologie beeinflussten galten und dementsprechend scheinbar am sorgfältigsten den neuen Bedingungen angepasst wurden. Der Marxismus 47 Im Jahre 1990 wurden 883 346 Straftaten nach der Statistik der Polizei begangen, 1998 schon 1 073 042. Nach: Jarosław Warylewski, Wymiar sprawiedliwości karnej w Polsce – diagnoza statystyczno-kryminologiczna wybranych aspektów, in: Księga pamiątkowa prof. Lecha Gardockiego, Warszawa 2014, S. 335–346; Karol Sławik, Zarys systemu prawa policyjnego, Warszawa 2011, S. 20–21. 48 Begriff von Grzegorz Kołodko übernommen, Grzegorz Kołodko, From Shock to Therapy. The Political Economy of Postsocialist Transformations, Oxford 2000, S. 31. 49 Ewa Łętowska, Prawo do prywatności w Europie, S. 2. http: / / www.psep.pl / grundtvig / 6 / prawo_do_prywatnosci.pdf (Zugang: 13.10.2016).
III. Das Paradoxon der Beseitigung des sozialistischen Erbes299
wurde entfernt, doch nicht der marxistische Paternalismus, der sich vor allem in dem „Drang nach Effektivität“ in der Verfolgung der Straftaten offenbarte und die liberale, individualistisch orientierte Grundrechtsdiskussion auf einen untergeordneten Platz verdrängte. 2. Die Umkehr zum Rechtsstaat im Polizeirecht Nach 1989 sollte Polen nach dem demokratischen Vorbild ein Rechtsstaat mit freien Wahlen, demokratischen Partizipationsformen der Machtausübung, sozialer Marktwirtschaft und individualistischen Grundrechten als Abwehrrechte und Minderheitenschutz werden. Die Zeit nach dem Fall der VRP und die Schaffung des Rechtsstaats war eine Periode, die von einem juristischen Aktionismus gekennzeichnet war. In einer kurzen Zeit versuchte man das Erbe des ehemaligen Systems zu beseitigen. Die Eile war dabei spürbar, was an vielen Stellen zum Chaos im Rechtssystem führte und im Endeffekt zum „Infarkt des Rechts.“50 Dieser Zustand zeichnete vor allem eine Dissonanz zwischen den faktischen Bedürfnissen an Rechtssetzung und dem faktisch geltenden Recht, was vor allem auf dem Gebiet des ursprünglich stark politisierten und ideologisierten Sicherheitsrechts zu sehen war. Es zeichneten sich zwei gegensätzliche Positionen ab: die erste strebte eine „Reinterpreation“ des alten Rechts soweit es geht an, die andere setzte auf einen „Neubeginn“ und ein Neuschreiben des Rechts.51 Das Polizeigesetz vom Jahr 1990 sollte einen ideologischen „Nullpunkt“ für die Behörde bedeuten und war es auch teilweise. Von nun an sollte die Polizei nicht mehr die Staatsmachtausübungsmittel zur Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus sein, sondern Formation, die „der Gesellschaft dienen soll“52 und bei der Ausübung ihrer Befugnisse „die Menschenwürde und die Menschenrechte zu wahren hat“.53 Das neue Polizeirecht hatte drei grundlegenden Prinzipien: Rechtsmäßigkeit, hierarchische Unterordnung und Entpolitisierung.54 Rechtsmäßigkeit sollte bedeuten, dass die Polizei als Behörde nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen agieren darf. Die hierarchische Unterordnung sollte die im Sozialismus praktizierte Vermischung der Strukturen der Bürger-Miliz mit dem geheimen Sicherheitsdienst unterbin50 Begriff von Karol Sławik übernommen. Karol Sławik, Zarys systemu prawa policyjnego, Warszawa 2011, S. 11–13. 51 Negative Einschätzung der Situation etwa: Piotr Winczorek, Uwagi o aksjologicznych aspektach działalności legislacyjnej w dziedzinie prawa publicznego (konstytucyjnego) w Polsce, Ruch Prawniczy Ekonomiczny i Socjologiczny (4) 1994, S. 53–59. 52 Art. 1 PolizeiG. 53 Art. 14 Abs. 3 PolizeiG. 54 Karol Sławik, Zarys systemu prawa policyjnego, S. 59.
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den und eine gewisse Trennung der Nachrichtendienste und der Polizei fördern. Mit der Entpolitisierung wollte man professionelle Formationen schaffen, die nicht zur Verbreitung jedweder Ideologie verwendet werden. Die Erneuerung des Polizeirechts im ideologischen Bereich verlief schnell, aber oberflächlich. Die Aufgaben der Polizei wurden trotzdem als „Schutz“ oder sogar „Gewährleistung“ der öffentlichen Sicherheit und Ordnung formuliert. Die Struktur, sowie Aufgaben und Methoden der polizeilichen Arbeit, blieben damit unverändert. Aus dem praxeologischen Gesichtspunkt war das nachvollziehbar und legitim, doch eine genauere Betrachtung der Grundrechtsperspektive lässt einen zu anderen Schlüssen kommen, denn die Polizeirechtsdogmatik und polizeiliche Methoden waren für einen autoritären Staat gedacht und nicht für einen freiheitlich demokratischen Rechtsstaat. Ähnliche Entwicklungen waren aber auch in anderen Mittel- und Osteuropas Staaten zu beobachten. Der Gesetzgeber schreibt im polnischen Polizeigesetz vom Jahre 1990 im Art. 2 Abs. 2 den „Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen sowie Schutz des Vermögens gegen rechtswidrigen Eingriffen“ und den „Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“55 als „Hauptaufgaben“ der Polizei zu. Etwa in Tschechen wird das viel spätere Polizeigesetz vom Jahre 2008 ähnlich formuliert: „Die Polizei dienet der Öffentlichkeit. Ihre Aufgabe ist es, die Sicherheit von Personen und Eigentum und die öffentliche Ordnung zu schützen“.56 Was auf den ersten Blick auch der Polizeirechtlehre in Polen unproblematisch vorkommt, kann nach einer genaueren Betrachtung und Vergleich mit dem deutschen Polizeirecht Fragen aufwerfen.
IV. Der verfassungsrechtliche Einfluss auf den Grundrechtsschutz im Bereich des Polizeirechts in Polen und in Deutschland Das Grundgesetz aus 1949 und die polnische Verfassung aus 1997 wollten rechtspolitisch gesehen die gleiche Idee verwirklichen. Nach den Jahren eines totalitären Regimes in Deutschland und autoritären in Polen sollten sie das individualistische Menschenbild wieder zur Geltung bringen. Gewiss waren der Schock nach dem verheerenden Krieg und in der Geschichte beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten, sowie die politische Lage 1945 völlig andere Bewegungsgrunde, als die 1989 in Mittel- und Osteuropa, doch die Idee der Umkehr von einem Menschenbild zum anderem war die Hauptmotivation der beiden Verfassungen. 55 Art. 1 56 § 2
Abs. 2 Nr. 1 und 2 PolizeiG. Zákon o Policii České republiky (vom 17. Juli 2008).
IV. Der verfassungsrechtliche Einfluss auf den Grundrechtsschutz 301
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 wurden die Grundrechte zum zentralen Punkt des deutschen Staatswesens. Die „Grundrechtsrepublik Deutschland“ wurde zur Antithese des menschenrechtsverachtenden „Unrechtsstaates“ der Nationalsozialisten. Für Deutschland war es die Reaktion auf eigene Fehler der Vergangenheit. Die Erhebung der Bedeutung der Grundrechte hat sich nicht nur mit der Schaffung des Grundrechtskataloges vollzogen. Vielmehr waren das andere Rechtsinstitutionen, die es mittelbar oder unmittelbar gefördert haben. Die folgende Aufzählung zielt nicht auf Vollständigkeit, doch um die Vielfalt zu unterstreichen sind etwa die unmittelbare Geltung des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 3 GG in fine), Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG), Ausschließlichkeit des Gesetzes (Art. 19. Abs. 1 GG), Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG), Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) und Rechtschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) zu nennen. Die föderalistische Staatsform mit geteilten Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) tangiert unmittelbar den Grundrechtschutz, was auf dem Gebiet des Polizeirechts sichtbar wird. Eine Garantie für sich stellt auch das Bundesverfassungsgericht und seine Fortentwicklung des Grundrechtsschutzes durch die Rechtsprechung dar. Nicht zu vergessen ist auch die deutsche Verfassungsrechtdogmatik, die ungewöhnlich, im Vergleich zu anderen Ländern aber grundrechtsorientiert ist. Auch die im einfachen Recht formulierten Prinzipien tragen zu einem flächendeckenden Grundrechtsschutz bei. Diese Beispiele der Institutionen und ihrer Wechselwirkung bilden den „Grundrechtsstaat“ in Deutschland seit fast 70 Jahren. Dieses Modell erscheint erstarkt und stabil, aber auch untypisch. Hauptsächlich aus der zeitlichen und geografischen Perspektive, denn ein klagbarer Grundrechtskatalog war im kontinentalen Recht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Beispiel. Die anderen Staaten in diesem System, haben entweder eine kürzere Tradition der Verfassungsgerichtsbarkeit (mit Ausnahmen57) oder gar keine. Dieser ununterbrochene Dialog der Wissenschaft und Praxis und dazu die juristische Verarbeitung der Vorkommnisse aus der NS-Zeit impliziert eine im kontinentalen Europa kaum vorhandene Erfahrung im Grundrechtsschutz und liefert zugleich reichlich Untersuchungsmaterial, was das deutsche Rechtssystem zu einem aufschlussreichen Untersuchungsbeispiel in den Fragen der Entwicklung des Grundrechtsschutzes macht. Wie aber erörtert, ist das polnische System der Verfassungsgerichtsbarkeit durch einen Legizen trismus gekennzeichnet und lässt das Verfassungsgericht nicht eine so ausschlaggebende Rolle spielen wie sein Pendant in Deutschland. 57 Tschechoslowakei, Österreich http: / / www.usoud.cz / ustavni-soud-csr-1920-1948 / (11.06.2016).
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C. Die opererative Polizeiarbeit in Polen und Deutschland
V. Das Verhältnis zur Überwachung der IT-basierten Tätigkeit des Einzelnen Der marxistisch-paternalistische Konnotationen erweckende Begriff des Schutzes der Rechtsgüter im polnischen polizeirechtlichen Diskurs taucht in einem anderen politischen, ökonomischen und rechtlichen Kontext wieder auf. Die Verfassung von 1997 verfolgt aber ein anderes Menschenbild als die sozialistische von 1952. Trotzdem stammt die semantische Schicht der Aufgabenzuweisungsnormen des Polizeigesetzes aus einer vergangenen Epoche. Man könnte entgegenhalten, dass solch eine Formulierung der Aufgaben der Polizei auch in anderen westlichen Rechtsstaaten vorkommt. Ohne Zweifel ist das richtig. Doch die Reminiszenzen des sozialistischen Grundrechtsverständnis als Gewährleistungsrechten und die damit verbundene Erwartungsposition und mangelndes Vertrauen in die Staatsinstitutionen in der Gesellschaft und der Effektivitätsanspruch um jeden Preis basierten auf der nicht überwundenen Erbe des Kollektivismus, oder anders gesagt auf dem Paradoxon der Abrechnung mit der Vergangenheit. Die Reinigung des Rechts von der sozialistischen Ideologie erfolgte zwar relativ effektiv indem die Polizei von ihrer früheren Aufgabe ein „Koryphäe des Sozialismus“ zu sein befreit wurde, doch die paternalistischen Aufgaben dieser Institution wurden nicht beseitigt. Das Verständnis der Polizei und der anderen Sicherheitsbehörden als Institutionen, die der Gesellschaft dienen, aber gleichzeitig „das öffentliche Leben mitgestalten“58, prägen ständig nicht nur die Wahrnehmung der Sicherheitsdienste durch die Gesellschaft, sondern auch gleichzeitig ihre Selbstwahrnehmung. Dazu kommt das schon besprochene polnische Legizentrismus und die ausschlaggebende Position der Legislative und Exekutive im Staatsgefüge, die gegenüber der Judikative viel zu stark sind. Dies kommt wiederum von den Zeiten der Reformen des Staatssozialismus. Das Verfassungsgericht und andere Bürgerrechtschutzorgane waren ein Ergebnis eines Kompromisses und deswegen zwangsläufig schwach. Die Entwicklung des Grundrechtschutzes vor den staatlichen Eingriffen schritt nicht gleichermaßen schnell wie die Reinigung von der Ideologie fort. Dies wird vor allem anhand des Stellenwerts des Verfassungsgerichts sichtbar. Die Position des negativen Gesetzgebers und das Verfahren vor dem VerfGH stellt dem Bürger hohe Hürden bevor es die Beschwerde erheben kann und, mutatis mutandis, lässt das Gericht nicht allzu oft in wichtigen Fragen zu Wort kommen und wünschenswerte Änderungen durchsetzen. Ein 58 Marcin Brożek / Małgorzata Czuryk / Mirosław Karpiuk / Jarosław Kostrubiec, Służby Specjalne w strukturze władz publicznych, Warszawa 2014, S. 27.
V. Das Verhältnis zur Überwachung der IT-basierten Tätigkeit303
Beispiel dafür ist das Überwachungsrecht. Die verbündeten Kräfte der Exekutive und Legislative drosseln die Bestrebungen der Zivilgesellschaft und missachten oft die Vorgaben der (Verfassungs)Justiz. Das Ganze wird zu einem guten Zweck gemacht – zum verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Gesellschaft vor Risiken. Auf dem ersten Blick erscheint das lobenswert, doch das Maß der modernen, liberalen Gesellschaft ist nicht das Niveau des paternalistischen Schutzes, sondern der Anteil an Freiheit. Die Freiheit verursacht Risiken, aber ein Versuch der Schaffung einer risikofreien Gesellschaft mithilfe des Rechts, ja mit unreifer Zustimmung der Gesellschaft, droht mit Bevormundung und Freiheitsverlust, vor dem Erich Fromm in seinem Werk „Furcht vor der Freiheit“ warnte. „[…] Die Freiheit für den modernen Menschen [besitzt] eine zweifache Bedeutung: dass er sich von den traditionellen Autoritäten befreite und zu einem Individuum wurde, dass er aber gleichzeitig auch isoliert und machtlos und zu einem Werkzeug für Zwecke außerhalb seiner selbst wurde, sich selbst und anderen entfremdet. Wir sahen, dass dieser Zustand das Selbst unterminiert, es schwächt und mit Angst erfüllt und dass er den Menschen bereit macht, sich einer neuen Art von Knechtschaft zu unterwerfen. Andererseits führt die positive Freiheit zur vollen Verwirklichung der dem Menschen eigenen Möglichkeiten und befreit ihn, aktiv und spontan zu leben.“59
59 Erich
Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, München 2012, S. 195.
Anhang – die einschlägigen Gesetze der Republik Polen – Übersetzungen Die Verfassung der Republik Polen (vom 2. April 1997) Dz.U. 1997 Nr. 78 Pos. 483 (Auszug) Artikel 7 Die Organe der öffentlichen Gewalt handeln auf der Grundlage und in den Grenzen des Rechtes. Artikel 9 Die Republik Polen befolgt das Völkerrecht, das für sie verbindlich ist. Artikel 31 […] 3. Einschränkungen, verfassungsrechtliche Freiheiten und Rechte zu genießen, dürfen nur in einem Gesetz beschlossen werden und nur dann, wenn sie in einem demokratischen Staat wegen seiner Sicherheit oder öffentlicher Ordnung oder zum Schutz der Umwelt, Gesundheit, der öffentlichen Moral oder der Freiheiten und Rechte anderer Personen notwendig sind. Diese Einschränkungen dürfen das Wesen der Freiheiten und Rechte nicht verletzen. Artikel 45 1. Jedermann hat das Recht auf gerechte und öffentliche Verhandlung der Sache ohne unbegründete Verzögerung vor dem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht. […] Artikel 47 Jedermann hat das Recht auf rechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens, der Ehre und des guten Rufes sowie das Recht, über sein persönliches Leben zu entscheiden. Artikel 49 Die Freiheit und der Schutz des Kommunikationsgeheimnisses werden gewährleistet. Sie dürfen nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in einer gesetzlich bestimmten Form eingeschränkt werden.
Anhang305 Artikel 50 Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird gewährleistet. Die Durchsuchung einer Wohnung, anderer Räume oder eines Fahrzeugs darf nur in den im Gesetz bestimmten Fällen und in der gesetzlich bestimmten Weise erfolgen. Artikel 51 1. Eine Verpflichtung, Informationen über die eigene Person zu offenbaren, besteht nur auf Grundlage eines Gesetzes. 2. Die öffentliche Gewalt darf nur solche Informationen über Staatsbürger beschaffen, sammeln oder zugänglich machen, deren Erhebung in einem demokratischen Rechtsstaat unentbehrlich ist. 3. Jedermann hat das Recht auf Zugang zu den ihn betreffenden amtlichen Dokumenten und Datensammlungen. Eine Einschränkung dieses Rechtes darf nur vom Gesetz bestimmt werden. 4. Jedermann hat einen Anspruch auf Berichtigung oder Löschung falscher, unvollständiger oder in widerrechtlicher Weise beschaffter Informationen. 5. Grundsätze und Verfahrensweise des Erhebens und Zugänglichmachens von Informationen regelt das Gesetz. Artikel 77 1. Jedermann hat das Recht auf Entschädigung des Schadens, der ihm durch unrechtmäßige Maßnahmen eines Organs der öffentlichen Gewalt entstanden ist. 2. Das Gesetz darf es niemandem unmöglich machen, verletzte Freiheiten oder Rechte auf dem Gerichtsweg geltend zu machen. Quelle: http: / / www.sejm.gov.pl / prawo / konst / niemiecki / kon1.htm
Das Gesetz über die Polizei (vom 6. April 1990) Alte Fassung: Einheitlicher Text (Dz.U. 2011 Nr. 287 Pos. 1687 mit späteren Änderungen) Neue Fassung: Einheitlicher Text (Dz.U. vom 2015 Pos. 355 mit späteren Änderungen) Zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Januar 2016 (Dz.U. 2016 Pos. 147) in Kraft seit 7. Februar 2016 und Gesetz vom 11. März 2016 (Dz.U. 2016 Pos. 437) in Kraft seit 15. April 2016 (Auszug) Art. 1 […] 2. Zu den Hauptaufgaben der Polizei gehören:
306 Anhang 1) Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen sowie Schutz des Vermögens gegen rechtswidrigen Eingriffen; 2) Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; […] 4) Aufdecken der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie die Fahndung nach den Tätern; […] 8) Sammeln, bearbeiten und weiterleiten der Informationen zur Kriminalität; […] Art. 14 1. Im Rahmen ihrer Aufgaben führt die Polizei folgende Tätigkeiten aus: Operations-und Erkennungstätigkeit, Fahndungstätigkeit, Verwaltungs- und Ordnungstätigkeit. Ziele dieser Tätigkeit sind: 1) Erkennen, Vorbeugen und Aufdecken der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; 2) Fahndung nach Personen, die sich vor den Organen der Justiz verstecken […] 3) [vereinfacht: Suche nach vermissten Personen] […] 3. Polizei während der Inanspruchnahme ihrer Diensttätigkeiten hat die die Menschenwürde und Menschen Rechte zu achten und zu bewahren. Art. 19 1. Bei der Ausführung von der Polizei wahrgenommenen Aufgaben der Operations- und Erkennungstätigkeit zur Vorbeugung, Aufdeckung, Täterbestimmung sowie Beweissicherung der vorsätzlichen Offizialdelikte: 1) gegen Leben […]; 2) in den Vorschriften Art. 134 […] PolStGB aufgelistet; 2a) [Sportkorruption]; 3) die im PolStGB als Straftaten gegen den wirtschaftlichen Verkehr bezeichnet werden […]; 3a) die im PolStGB als Straftaten gegen die sexuelle Freiheit bezeichnet werden […]; 4) die im PolStGB als Straftaten gegen Fiskus bezeichnet werden und den Wert des Gesetzlichen Mindestgehalts mindestens 50 mal überschreitet […]; 4a) die im Art. 107 § 1 des Finanzstrafgesetzbuches bezeichnet wird; 5) illegalen Herstellung, Besitz, oder Handel mit den Waffen, Munition, Sprengstoff, Rauschgift, psychoaktiven Substanzen, Stoffe zu ihrer Herstellung oder Radioaktiven Materialen 6) die Tatbestände aus dem Art. 8 des Einführungsgesetzes zur Strafgesetzbuch; 7) die Straftatbestände aus dem Transplantationsgesetz 8) (a. F.) die aufgrund internationalen Verträgen geahndet werden,
Anhang307 8) (n. F.) die aufgrund vom Parlament ratifizierten internationalen Verträgen geahndet werden, wenn andere Maßnahmen sich als unwirksam erwiesen haben oder können unbrauchbar werden, kann das Bezirksgericht, auf Antrag des Generalkommandanten der Polizei oder Kommandanten des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei nach Erhalt einer schriftlichen Zustimmung des Generalstaatsanwalts oder auf Antrag des Woiwodschaftskommandanten der Polizei nach Erhalt einer schriftlicher Zustimmung des zuständigen Bezirksstaatsanwalts die Operationskontrolle beschließen. 1a. Der im Abs. 1 erwähnte Antrag wird mit den Materialen, die den Bedarf der Operationskontrolle begründen gestellt. 2. Der im Abs. 1 erwähnte Beschluss wird vom für die Polizeistelle örtlich zuständigen Bezirksgericht erlassen. 3. In besonderen Fällen, bei den die Verzögerung zur Informationsverlust, Spurenbeseitigung oder zur Vernichtung der Beweise führen könnte, kann der Generalkomamandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandant der Polizei nach der Zustimmung des zuständigen, im Abs. 1 erwähnten Staatsanwalts die Operationskontrolle anordnen, mit der gleichzeitigen Antragstellung auf Erlass des nachträglichen Beschlusses an das zuständige Bezirksgericht. Wenn das Gericht innerhalb von fünf Tage der Operationskontrolle nicht zustimmt, ist sie unverzüglich einzustellen und die so gewonnenen Materialen protokollarisch zu löschen. 4. (aufgehoben) 5. Wenn es notwendig ist, die Operationskontrolle bei den Personen gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde zu ausführen, ist es in dem im Abs. 1 erwähnten Antrag anzumerken. 6. (a. F.) Die Operationskontrolle ist heimlich und besteht in: 1) Kontrolle der Inhalte der Korrespondenz, 2) Kontrolle der Inhalte der Postsendungen, 3) Einsatz der technischen Mittel, die heimliche Erfassung und Speicherung der Informationen und Beweise ermöglichen, besonders der Inhalte der Telefongespräche und anderer Meldungen, die mithilfe der Telekommunikationsnetzwerke übermittelt werden. 6. (n. F.) Die Operationskontrolle ist heimlich und besteht in: 1) Erfassung und Speicherung von Inhalten der Gespräche die mithilfe Telekommunikationsnetzwerken geführt werden; 2) Erfassung und Speicherung des Bildes und Tons in Räumlichkeiten, Transportmitteln oder anderen nicht öffentlichen Räumen; 3) Erfassung und Speicherung der Inhalte der Korrespondenz, darunter auch elek tronischen Korrespondenz; 4) Erfassung und Speicherung der Daten aus den informatischen Datenträgern, Telekommunikationsendgeräten und informatischen und teleinformatischen Systemen;
308 Anhang 5) Zugangserlangung und Kontrolle der Postsendungen. 6a. (n. F.) Zur Operationskontrolle gehören nicht die Handlungen, die im Abs. 6 Pkt. 2 erwähnt werden, wenn sie in der Erfassung und Speicherung des Bildes und des Tones in Räumen aus dem Art. 15 Abs. 1 Pkt. 4a betreffen. [Räume zur Verwahrung der Festgenommenen Personen, Räume für nüchtern werden der betrunkenen Personen, die Gefahr darstellen, Räume für die in Verwahrung genommenen Kinder, Fluren bei den Polizeistationen] 6b. Die Ausführung der im Abs. 6a erwähnten Tätigkeiten Räume verlangt keine Zustimmung des Gerichts. 7. Der im Abs. 1 erwähnte Antrag der Polizeistelle auf die Anordnung der Opera tionskontrolle sollte ins Besondere Folgendes enthalten: 1) Nummer der Sache und ihr Decknamen, falls vorhanden; 2) Beschreibung der Straftat, wenn möglich mit der rechtlichen Qualifizierung; 3) Begebenheiten, die den Einsatz von der Operationskontrolle begründen, darunter die Feststellung der Unwirksamkeit und Unbrauchbarkeit anderer Maßnahmen; 4) Personaldaten oder andere Daten, die die genaue Bezeichnung des Subjekts oder des Objekts, der Operationskontrolle, mit der Bezeichnung des Ortes und Weise auf die Kontrolle [im Einzelfall] durchgeführt werden soll; 5) Zweck, Dauer und Art der Maßnahme die im Abs. 6 genannt wird. 8. Die Operationskontrolle wird für nicht länger als drei Monate angeordnet. Das Bezirksgericht kann nach dem schriftlichen Antrag des Generalkomamandanten der Polizei, Kommandanten des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandanten der Polizei gestellt nach der schriftlichen Zustimmung des zuständigen Staatsanwalts die Operationskontrolle auf weitere drei Monate einmalig verlängern, wenn die Gründe für ihren Einsatz noch bestehen. 9. In den Begründeten Fällen, kann das Bezirksgericht, wenn beim Einsatz der Kontrolle neue erheblich wichtige Begebenheiten für die Aufdeckung einer Straftat oder ihrer Vorbeugung sowie Täterfahndung und Beweisgewinnung einer Straftat, nach dem schriftlichen Antrag des Generalkommandanten der Polizei nach dem Erhalt einer schriftlichen Zustimmung des Generalstaatsanwalts, eine weitere Kontrolle nach den Ablauf der im Abs. 8 erwähnten Dauer beschließen, für die nacheinander kommenden Perioden, jedoch nicht länger als insgesamt 12 Monate. 9a. Generalkomamandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandant der Polizei kann seinen Stellvertreter zur Antragstellung nach Abs. 1, 3, 8 und 9 ermächtigen. 10. Bei den Anträgen die in den Abs. 3,8,9, erwähnt werden wird entsprechend Abs. 1a und 7 angewendet. Das Gericht vor dem Erlass des Beschlusses zu Abs. 1,3, 8 und 9 macht sich mit den Materialen, die zur Begründung des Antrags beigefügt werden, ins Besondere mit den Materialen aus der Operationskontrolle die in der Sache schon gewonnen wurden, vertraut. 11. Die Anträge die im Abs. 1, 3–5, 8 und 9 erwähnt werden, prüft ein Einzelrichter in einer Sitzung. Dabei sollen die Handlungen des Gerichts die Bedingungen für den Umgang mit den nicht öffentlich zugänglichen Materialen geschaffen werden,
Anhang309 mit der entsprechenden Anwendung Art. 181 § 2 PolStPO. Bei der Sitzung können ausschließlich der Staatsanwalt und der Vertreter der antragstellenden Polizeistelle teilnehmen. 12. Telekommunikationsunternehmer, der Anbieter der Postdienstleistungen und der Anbieter der auf den elektronischen Weg erbrachten Dienstleistungen sind verpflichtet auf eigenen Kosten die technischen und organisatorischen Bedingungen für die Durchführung der Operationskontrolle zu gewährleisten. 12a. Der Anbieter der auf den elektronischen Weg erbrachten Dienstleistungen, der als Kleinunternehmer im Sinne der Vorschriften der Gesetzes über die Gewerbefreiheit gewährleistet die technischen und organisatorischen Bedingungen für die Durchführung der Operationskontrolle seiner Infrastruktur entsprechend. 13. Die Operationskontrolle soll sofort nach dem Wegfall ihr begründeten Tat sachen eingestellt werden, spätestens jedoch mit dem Eintreten der Frist, für die sie angeordnet wurde. 14. Die Polizeistelle die im Abs. 1 erwähnt wird, benachrichtigt den zuständigen Staatsanwalt über die Ergebnisse der Operationskontrolle nach ihrem Ende. Nach Ersuchen des Staatsanwalts erfolgt es auch über ihr Verlauf. 15. Sollten bei der Einsatz der Operationskontrolle Materialen gewonnen werden, die eine Einleitung des Strafverfahrens ermöglichen oder wenn Materialien gewonnen werden die für ein anhängiges Strafverfahren von Bedeutung sind, übermittelt der Generalkomamandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandant der Polizei diese dem im Abs. 1 erwähnten Staatsanwalt. In dem Gerichtsverfahren wird bezüglich der Materialen Art. 393 § 1 PolStPO entsprechend angewendet. 15a–15e (aufgehoben) 15a. (a. F.) Die Verwendung der während der Operationskontrolle gewonnene Materialen im Strafprozess ist nur bei Tatbeständen zulässig, bei den die Operationskontrolle genehmigt werden kann. 15f (n. F.) Sollten die Materialien nach Abs. 15 1) die Informationen gemäß Art. 178 PolStPO enthalten, so ordnet der Generalkomamandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandant der Polizei sofort, eine protokollarische Löschung der Materialen an; 2) möglicherweise Informationen im Sinne Art. 178a [Mediationsgeheimnis] und Art. 180 § 3 PolStPO [journalistisches Geheimnis], mit Ausnahme der Informationen über Straftaten im Sinne des Art. 240 § 1 PolStGB oder die Informationen, die Gegenstand der Berufsgeheimnis darstellen nach dem Art. 180 § 2 PolStPO [andere Berufsgeheimnisse] enthalten, leitet der Generalkomamandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder der Woiwodschaftskommandant der Polizei sie an den zuständigen Staatsanwalt. 15g. Im Fall des Abs. 15f Nr. 2, übermittelt die Staatsanwaltschaft die Materialen sofort nach ihrem Erhalt an das Gericht, das die Operationskontrolle anordnete oder sie nachträglich nach Abs. 3 billigte, mit dem Antrag auf:
310 Anhang 1) eine Feststellung, dass die eingereichten Materialen Informationen nach Abs. 15f Nr. 2 enthalten; 2) eine Genehmigung der Verwendung in Strafverfahren von genannten Materialen, die Berufsgeheimnisse im Sinne Art. 180 § 2 PolStPO enthalten, die nicht unter die Verbote vom Art. 178a und Art. 180 § 3 PolStPO mit Ausnahme der Informationen über Straftaten im Sinne des Art. 240 § 1 PolStGB fallen. 15h. Das Gericht beschließt unverzüglich nach dem Antrag des Staatsanwalts eine Zulassung der Verwendung im Strafverfahren von Materialen im Sinne des Abs. 15g Pkt. 2, wenn es notwendig für das Wohl der Justiz ist und die Begebenheit des Tatbestands, können nicht mithilfe anderer Beweise festgestellt werden. Sollte die Verwertung der Materialen im Strafverfahren unzulässig sein, beschließt das Gericht die sofortige Löschung der Materialen. 15i. Gegen den Beschluss des Gerichts über die Zulassung der Verwendung der Materialen im Sinne des Abs. 15g Pkt. 2, steht dem Staatsanwalt eine Beschwerde zu. Die Vorschriften der PolStPO gelten entsprechend. 15j. Polizeistelle ist verpflichtet den Beschluss der Löschung der Materialen im Sinne des Abs. 15h unverzüglich, protokollarisch auszuführen. Polizeistelle benachrichtigt unverzüglich den Staatsanwalt gemäß Abs. 15g, über die Vernichtung der Materialien. 16. Die Materialien, die während der Operationskontrolle erfasst werden, sind dem Betroffenen nicht zugänglich zu machen. Die Rechte aus dem Art. 321 PolStPO bleiben unberührt. [Zugang zu den Materialien aus der Fahndung für den Angeklagten] 16a. Das Bezirksgericht, der Generalstaatsanwalt, der Bezirksstaatsanwalt und die Polizeistellen führen einen Register der Beschlüsse, schriftlichen Genehmigungen und Anordnungen bezüglich Operationskontrolle. 16b. Der Generalkommandant der Polizei führt ein Zentralregister der Anträgen und Anordnungen bezüglich der Operationskontrolle, die durch die Polizei ausgeführt wird. 16c. Die Organisationseinheiten der Polizei können, die die Beschlüsse der Operationskontrolle ausführen, können unabhängig von anderen Registern Daten aus der Dokumentation der Operationskontrolle aufzeichnen im Umfang, den die Register aus dem Abs. 16a erlauben. 16d. Die Registern nach Abs. 16a–16c werden in elektronischer Form geführt, nach den Vorschriften zum Schutz der nicht öffentlich zugänglichen Informationen. 17. Die Materialien aus der Operationskontrolle, die keine Beweise einer Straftat enthalten, die keine Einleitung des Strafverfahrens ermöglichen oder die keine Beweise für ein laufendes Strafverfahren enthalten, sind unverzüglich, protokollarisch zu löschen. Die Löschung ordnet die Polizeistelle, die den Antrag auf die Operationskontrolle gestellt hat. 17a. Über die Anordnung nach Abs. 17 ist der zuständige Staatsanwalt unverzüglich zu benachrichtigen. 18.–19. (aufgehoben)
Anhang311 20. Gegen den Beschluss des Gerichts 1) nach Abs. 1, 3, 8, und 9 steht der Polizeistelle, die den Antrag stellte, 2) nach Abs. 3 und 15c dem zuständigen Staatsanwalt eine Beschwerde zu. Für die Beschwerde gelten die Vorschriften der PolStPO entsprechend. 21. Der Innenminister im Einvernehmen mit dem Justizminister, dem zuständigen Minister für Angelegenheiten der Kommunikation und für die Digitalisierung, erlässt eine Verordnung zur Bestimmung der Methoden der Dokumentation Operationskontrolle, Speicherung und Übertragung von Anträgen und Anordnungen, sowie die Speicherung, Übertragung und Verarbeitung und Vernichtung von Materialien erhalten werden, wenn diese Steuerung verwenden, unter Berücksichtigung geheimen Charakter der Maßnahmen und deren Ergebnisse. Die Verordnung enthält auch die Vorlagen entsprechenden Formulare und Registern. 22. Der Innenminister berichtet jährlich dem Sejm und dem Senat über in Abs. 1.– 21. genannten Tätigkeiten. Der Bericht enthält Informationen und Daten gemäß Art. 20 Abs. 3. [Bank- und Versicherungsdaten] Das Bericht wird bis zum 30. Juni des Jahres nach dem Jahr, es betrifft. Art. 20c 1. (a. F.) Zur Vorbeugung oder Aufdeckung der Straftaten kann die Polizei den Zugang zu den Daten, die in den Art. 180c und 180d des Telekommunikationsgesetzes erwähnt werden bekommen. [Verkehrsdaten, Standortsdaten] Die Polizei kann diese Daten verarbeiten. 1. (n. F.) Zur Vorbeugung, Aufdeckung der Straftaten oder zur Rettung des Lebens oder Gesundheit der Menschen oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungsarbeiten kann die Polizei den Zugang zu: 1) den Daten die in Art. 180c und 180d des PolTKG [Standortsdaten, Verkehrsdaten] 2) den Daten gemäß Art. 82 Abs. 1 Pkt. 1 des Postrechts, weiter: Postdaten 3) den Daten gemäß Art. 18 Abs. 1–5 des Gesetzes über die auf elektronischen Wege erbrachten Dienstleistungen, weiter: Internetdaten ohne Wissen und Zustimmung des Betroffenen bekommen. 2. Der Telekommunikationsdienstleistungsanbieter, Postbetreiber oder der Anbieter der auf elektronischen Weg erbrachten Dienstleistungen gewährt unentgeltlich den Zugang zu den im Abs. 1 erwähnten Daten 1) einem vom Generalkommandant der Polizei, Kommandanten des Zentralfahndungsbüros oder Woiwodschaftskommandanten der Polizei Beamten, oder von einem von denen ermächtigten Person. 2) auf mündliche Nachfrage eines Polizeibeamten der die Ermächtigung einer vom Nr. 1 genannten Personen erteilt bekam; 3) über das Telekommunikationsnetz einem Polizeibeamten, der eine schriftliche Genehmigung der in Nr. 1 genannten Personen erteilt bekam.
312 Anhang 3. Im Falle des Abs. 2 Pkt. 3, erfolgt der Zugang zu den Daten im Sinne des Abs. 1 ohne Beteiligung der Mitarbeiter des Betreibers der Telekommunikationsnetze oder Postbetreibers, oder mit der Beteiligung des Betreibers der Telekommunikationsnetze oder Postbetreibers, wenn dies in der Abmachung zwischen ihm und dem Generalkommandanten der Polizei vorgesehen wird. 4. Die Bereitstellung der Daten für die Polizei nach Abs. 1 kann über ein Telekommunikationsnetzwerk erfolgen, wenn: 1) die Verwendung der Telekommunikationsnetzwerk: a) die Bestimmung der Person, die die Daten anfordert, Art der Daten und der Zeit der Anforderung, b) den technischen und organisatorischen Schutz vor den Eingriffen der Unbefugten ermöglicht. 2) dies durch die Art oder den Umfang der Aufgaben, die die Polizei ausführt gerechtfertigt ist. 5. Der Generalkommandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungs büros der Polizei und der Woiwodschaftskommandant der Polizei führen Register der Datenanforderungen der entsprechenden Polizeistellen. Der Register enthält die Angaben zu dem anfordernden Beamten, der Art der angeforderten Daten, Zweck der Anforderung und Zeit der Anforderung. Der Register wird elektronisch geführt. 6. Die nach Abs. 1 gewonnenen Daten, die eine Bedeutung für ein Strafverfahren haben, werden vom Generalkommandant der Polizei, Kommandant des Zentralen Fahndungsbüros der Polizei oder dem Woiwodschaftskommandant der Polizei dem zuständigen Staatsanwalt übermittelt. Der Staatsanwalt entscheidet über der Weise und Umfang der Verwertung der Daten. 7. Materialien, die keine Bedeutung für die Strafverfahren haben sind unverzüglich protokollarisch zu vernichten. Art. 20ca 1. Kontrolle über die Gewinnung von den Telekommunikationsdaten, Postdaten und Internetdaten durch die Polizei, übt das örtlich zuständige Bezirksgericht für die anfordernde Polizeistelle. 2. Die im Abs. 1 erwähnte Polizeistelle leitet halbjährlich mit der Berücksichtigung der Bestimmungen zum Schutz der nicht öffentlich zugänglichen Informationen, an das im Abs. 1 erwähnte Bezirksgericht ein Bericht, der folgende Angaben beinhaltet: 1) die Anzahl der Fälle bei den im Berichtzeitraum die Telekommunikations-, Postund Internetdaten angefordert wurden und die genaue Art der Daten. 2) Rechtliche Qualifikation der Taten bei den die Telekommunikations-, Post- und Internetdaten angefordert wurden oder die Angabe ob die Daten zur Rettung des Lebens oder Gesundheit der Menschen oder zur Unterstützung der Such- oder Bergungsarbeiten verwendet wurden. 3. Im Rahmen der Kontrolle kann das Bezirksgericht einen Einblick in die Mate rialen, die die Datenanforderung begründeten anfordern.
Anhang313 4. Das Bezirksgericht benachrichtigt die Polizeistelle über die Ergebnisse der Kontrolle innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Beendigung. 5. Der Kontrolle unterliegen nicht die Daten die nach Art. 20cb Abs. 1 angefordert werden. Art. 20cb 1. Zum Vorbeugen oder Aufdecken der Straftaten sowie zur Rettung des Menschenlebens und Gesundheit oder Unterstützung der Bergungs- und Sucharbeiten kann die Polizei folgende Daten anfordern und sie ohne Wissen und Zustimmung des Betroffenen bearbeiten: 1) Daten aus dem im Art. 179 Abs. 9 PolTKG erwähnten Register; 2) im Art. 161 PolTKG erwähnten Daten; 3) im Fall eines Nutzers, der keine natürliche Person ist, die Nummer seines Endgeräts, seine Geschäftsadresse oder Ort der Ausrichtung der gewerblichen Tätigkeit sowie seine Firma und Organisationsform; 4) im Fall der Festnetzanschlüsse auch den Namen des Ortes und der Straße, wo das Endgerät dem Nutzer zur Verfügung gestellt wird. 2. Für den Zugang und Bearbeitung der im Abs. 1 erwähnten Daten wird Art. 20c Abs. 2–7 entsprechend angewendet. Art. 20d (aufgehoben) Art. 20da 1. Zur Suche nach den vermissten Personen kann die Polizei die Telekommunikations- Post- und Internetdaten anfordern und kann sie bearbeiten ohne Wissen und Zustimmung des Betroffenen. Art. 20c Abs. 2–7 entsprechend angewendet. 2. Materialen, die nach Abs. 1 angefordert wurden und keine Informationen beinhalten, die für die Suche nach den Personen wesentlich sind, unterliegen einer sofortigen protokollarischen Löschung. Übersetzung: Jan Muszyński
Gesetz über auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen (vom 18. Juli 2002) (Dz.U. 2002 Nr. 144 Pos. 1204 mit späteren Änderungen) Auszug Art. 18 1. Der Dienstleister kann die folgenden personenbezogenen Daten des Dienstleistungsempfängers verarbeiten, die zur Begründung, Gestaltung des Inhalts, Änderung oder Auflösung eines Rechtsverhältnisses notwendig sind: 1) den Namen und die Vornamen des Dienstleistungsempfängers;
314 Anhang 2) die PESEL-Erfassungsnummer oder, falls diese Nummer nicht erteilt worden ist, die Nummer des Reisepasses, des Personalausweises oder eines anderen Dokuments, das die Identität bestätigt; 3) die Adresse, unter der der ständige Wohnsitz angemeldet worden ist; 4) die Anschrift für den Schriftverkehr, falls sie anders als die in Ziff. 3 genannte Adresse ist; 5) Signaturprüfdaten, die der Überprüfung der elektronischen Signatur des Dienstleistungsempfängers dienen; 6) elektronische Adressen des Dienstleistungsempfängers. 2. Zur Durchführung von Verträgen oder zur Vornahme eines anderen Rechtsgeschäfts mit dem Dienstleistungsempfänger kann der Dienstleister andere Daten verarbeiten, die im Hinblick auf die Eigenschaft der erbrachten Dienstleistung oder die Art und Weise ihrer Abrechnung notwendig sind. 3. Der Dienstleister bestimmt und kennzeichnet diejenigen der in Abs. 2 genannten Daten, deren Angabe für die Erbringung der Dienstleistung auf elektronischem Wege gemäß Art. 22 Abs. 1 notwendig ist. 4. Der Dienstleister kann mit Zustimmung des Dienstleistungsempfängers und zu den in Art. 19 Abs. 2 Ziff. 2 genannten Zwecken andere Daten des Dienstleistungsempfängers verarbeiten, die für die Erbringung der Dienstleistung auf elektronischem Wege nicht notwendig sind. 5. Der Dienstleister kann die folgenden Daten verarbeiten, die die Art und Weise der Inanspruchnahme der elektronisch erbrachten Dienstleistung durch den Dienstleistungsempfänger bezeichnen (Betriebsdaten): 1) Kennzeichen zur Identifizierung des Dienstleistungsempfängers, die auf der Grundlage der in Abs. 1 genannten Daten erteilt werden; 2) Kennzeichen zur Identifizierung des Netzabschlusspunktes des Telekommunikationsnetzes oder des vom Dienstleistungsempfänger verwendeten IT-Systems; 3) die Informationen über den Beginn, die Beendigung und den Umfang einer jeden Inanspruchnahme der auf elektronischem Wege erbrachten Dienstleistung; 4) die Informationen über die Inanspruchnahme der elektronisch erbrachten Dienstleistungen durch den Dienstleistungsempfänger. Quelle: System informacji prawnej LEX
Telekommunikationsgesetz (vom 16. Juli 2004) (Dz.U. 2004 Nr. 171 Pos. 1800 mit späteren Ändeungen) Auszug Art. 159 1. […] das Telekommunikationsgeheimnis beinhaltet:
Anhang315 1) Daten die den Benutzer betreffen, […] 3) Verkehrsdaten die für Abrechnungszwecke bearbeitet werden […] 4) Standortsdaten […] 5) Daten zu den Verbindungsversuchen […] auch zu den erfolgslosen […] Art. 161 […] 2. Der Betreiber öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste ist berechtigt, die folgenden Daten der natürlichen Personen zu verarbeiten: 1) Namen und Vornamen; 2) Namen der Eltern; 3) Geburtsort und Geburtsdatum; 4) Hausadresse und Postanschrift, […] 5) PESEL-Erfassungsnummer […]; 6) Personalausweisnummern […] 7) Daten, die zur Ausführung der Dienstleistung nach dem Vertrag nötig sind […] 3. Neben den im Abs. 2 genannten Daten kann der Betreiber der öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienste mit der Zustimmung des Nutzers weitere personenbezogenen Daten bearbeiten, insbesondere die Bankverbindung, Kreditkartennummern, wie auch elektronischen Adressen und Telefonnummern. Art. 179 […] 9. Der Dienstleistungsanbieter der die öffentlich zugängliche Telekommunikationsleistungen anbietet ist verpflichtet den elektronischen Register der Abonnenten, Nutzer oder Endgeräten zu führen, mit der Berücksichtigung der beim Vertragsschluss angegebenen Daten. Art. 180a 1. Vorbehaltlich des Art. 180c Abs. 2 Pkt. 2 ist der Betreiber des öffentlich zugänglichen Telekommunikationsnetzwerks und der Anbieter der öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdienstleistungen verpflichtet auf eigenen Kosten 1) die im Art. 180c erwähnten Daten […] für den Zeitraum von 12 Monaten [zu aufbewahren] danach sind die Daten zu löschen. […] Art. 180c 1. Die Pflicht aus dem Art. 180a Abs. 1 umfasst die Daten zur: 1) Bestimmung des Endgerätes und den Nutzer, die a) die Verbindung initiieren,
316 Anhang b) die Adressaten der Verbindung sind. 2) Bestimmung a) des Datums und der Uhrzeit des Anrufs und die Dauer, b) Art der Verbindung c) die Lage des Telekommunikationsendgerätes. […] Art. 180d Telekommunikationsdienstleistungsanbietet sind verpflichtet, die Bedingungen für Zugang und Speicherung der Daten im Sinne von Art. 159 Abs. 1 Pkt. 1 und 3–5, in Art. 161 und Art. 179 Abs. 9 für die aufgrund anderer Vorschriften Befugten Personen auf eigenen Kosten zu gewährleisten. Das gleiche gilt für die Zollbehörde, das Gericht und die Staatsanwaltschaft. Die Bestimmungen zur Verfahren dafür beinhalten separate Vorschriften. Übersetzung: Jan Muszyński
Strafprozessordnung (vom 6. Juni 1997) (Dz.U. 1997 Nr. 89 Pos. 555 mit späteren Änderungen) Zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. März 2016 (Dz.U. 2016 Pos. 437) in Kraft seit 15. April 2016 (Auszug) […] Art. 218 § 1. Behörden, Institutionen und Rechtsträger, die im Bereich Postwesen oder Telekommunikation tätig sind, Zollbehörden und Transportunternehmen sind verpflichtet, dem Gericht oder dem Staatsanwalt, auf die im Beschluss enthaltene Aufforderung, den Schriftverkehr, die Sendungen und die Angaben im Sinne des Art. 180c und 180d des Gesetzes vom 16. Juli 2004 – Regelung im Telekommunikationswesen (GBl. Dz. U. Nr. 171, Pos. 1800, mit nachträglichen Änderungen) zu übergeben, soweit sie für das anhängige Verfahren von Bedeutung sind. Nur das Gericht oder der Staatsanwalt haben das Recht, sie zu öffnen oder ihre Öffnung anzuordnen. § 2. Der Beschluss im Sinne des § 1 wird dem Empfänger des Schriftverkehrs und dem Fernsprechteilnehmer oder dem Sender zugestellt, dessen Verbindungsverzeichnis oder Verzeichnis anderer Informationsübermittlungen herausgegeben worden ist. Die Zustellung des Beschlusses kann auf eine bestimmte Zeit aufgeschoben werden, soweit dies für das Wohl der Sache unerlässlich ist, doch nicht später als bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.
Anhang317 § 3. Schriftverkehr und Sendungen, die für das Verfahren von keiner Bedeutung sind, sind unverzüglich an die zuständigen Behörden, Institute oder Unternehmen im Sinne des § 1 zurückzugeben. Art. 218a § 1. Behörden, Institutionen und Rechtsträger, die im Bereich Telekommunikation tätig sind, sind verpflichtet, auf Verlangen des Gerichts oder des Staatsanwalts die im Beschluss enthaltenen elektronischen Daten, die sich auf einem Datenträger oder im EDV-System befinden im Zeitraum von bis 90 Tage zu sichern. Die Vorschrift des Art. 218 § 2 zweiter Satz findet entsprechend Anwendung. […] Kapitel 26 Kontrolle und Aufzeichnung von Gesprächen Art. 237 § 1. Nach Einleitung des Verfahrens kann das Gericht auf Antrag des Staatsanwalts die Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen anordnen, um Beweise für das anhängige Verfahren aufzudecken und zu erlangen oder die Begehung einer anderen Straftat zu vereiteln. § 2. Bei Gefahr in Verzug kann die Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen vom Staatsanwalt angeordnet werden, der verpflichtet ist, sich innerhalb von 3 Tagen mit dem Antrag auf Genehmigung der Anordnung an das Gericht zu wenden. Das Gericht erlässt den Beschluss zu dem Antrag innerhalb von 5 Tagen in einer Sitzung ohne Beteiligung der Parteien. Falls der Beschluss des Staatsanwalts nicht genehmigt wird, ordnet das Gericht im Beschluss zum Antrag die Vernichtung aller Aufzeichnungen an. Wird gegen den Beschluss Widerspruch erhoben, so wird seine Vollstreckung gehemmt. § 3. Die Kontrolle und Aufzeichnung des Inhalts von Telefongesprächen sind nur dann zulässig, wenn sich das anhängige Verfahren oder die gerechtfertigte Befürchtung der Begehung einer neuen Straftat bezieht auf: 1) Totschlag, 2) Herbeiführung einer Gemeingefahr oder einer Katastrophe, 3) Menschenhandel, 4) Menschenraub, 5) Erpressung, 6) Flugzeug- oder Wasserfahrzeugentführung, 7) Raub, räuberischer Diebstahl oder räuberische Erpressung, 8) Angriff gegen die nationale Unabhängigkeit oder Integrität der Staatsgrenzen, 9) Angriff gegen die Verfassung des Staates oder dessen Zentralbehörden oder gegen eine Einheit der Streitkräfte der Republik Polen, 10) Spionage oder Offenlegung nicht öffentlicher Informationen mit der Klausel „geheim“ oder „streng geheim“;
318 Anhang 11) Sammlung von Waffen, Sprengstoffen oder radioaktiven Stoffen, 12) Geldfälschung oder Inverkehrbringen von Falschgeld, falschen Zahlungsmitteln oder -instrumenten oder von voraussehbaren Urkunden, die zum Erhalt eines Geldbetrages, einer Ware, einer Ladung oder eines Sachpreises berechtigen oder die Verpflichtung zur Zahlung von Kapital, Zinsen, Gewinnbeteiligungen oder Feststellung der Beteiligung an einer Gesellschaft enthalten, 13) Erstellung, Verarbeitung, Handel oder Schmuggel von Rauschgift, Vorstufen, Ersatzmittel oder Psycholeptika, 14) organisierte kriminelle Vereinigungen, 15) Vermögen von wesentlichem Wert, 16) Gewaltanwendung, rechtswidrige Drohung in Verbindung mit einem Strafverfahren, 17) Bestechung und entgeltliche Protektion, 18) Kuppelei und Zuhälterei, 19) Straftaten, die im Kapitel XVI. des Gesetzes vom 6. Juni 1997 – Strafgesetzbuch (Dz. U. Nr. 88, Pos. 553, mit nachträglichen Änderungen) sowie in Art. Art. 5–8 des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs genannt wurden, gefertigt in Rom am 17. Juli 1998 r. (Dz. U. von 2003, Nr. 78, Pos. 708), nachfolgend „Statut“. § 4. Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen sind gegenüber dem Verdächtigten, den Angeklagten sowie gegenüber dem Verletzen oder einer anderen Person zulässig, mit der der Angeklagte in Kontakt treten kann oder die im Zusammenhang mit dem Täter oder mit der drohenden Straftat steht. § 5. Behörden und Institute, die ihre Tätigkeit im Bereich Telekommunikation betreiben, sowie Telekommunikationsunternehmer im Sinne des Gesetzes vom 16. Juli 2004 – Regelung im Telekommunikationswesen – betreiben, sind verpflichtet, die Ausführung des Beschlusses des Gerichts oder des Staatsanwalts im Bereich Kontrolle von Telefongesprächen zu ermöglichen und sicherzustellen, dass die Durchführung einer solchen Kontrolle verzeichnet wird. § 6. Zur Wiedergabe der Aufzeichnungen sind das Gericht oder der Staatsanwalt berechtigt, bei Gefahr in Verzug auch die Polizei, mit Zustimmung des Gerichts oder des Staatsanwalts. § 7. Das Recht, sich mit dem Verzeichnis der vorgenommenen Telefongesprächskontrollen bekannt zu machen, steht dem Gericht zu – im vorbereitenden Verfahren, dem Staatsanwalt. § 8. (aufgehoben) Art. 237a Wurde infolge der Kontrolle ein Beweis der Begehung eines Offizialdelikts oder Finanzstraftat gewonnen, und zwar durch die Person, auf die sich die Kontrolle bezog, die aber nicht durch die Anordnung der Kontrolle erfasst war, oder durch eine andere Person, hat der Staatsanwalt über die Verwendung des Beweises zu entscheiden.
Anhang319 Art. 237b (aufgehoben) Art. 238 § 1. Kontrolle und Aufzeichnung von Telefongesprächen dürfen höchstens 3 Monate dauern, sie können aber in besonders begründeten Fällen für höchstens weitere 3 Monate verlängert werden. § 2. Die Kontrolle soll unverzüglich nach Aufhören der in Art. 237 § 1–3 genannten Gründe, beendet werden, doch spätestens mit Ablauf des Zeitraums, für den sie eingeleitet worden ist. § 3. Nach Abschluss der Kontrolle beantragt der Staatsanwalt den Beschluss über die Vernichtung sämtlicher Aufzeichnungen, wenn sie als Ganzes für das Strafverfahren ohne Bedeutung sind. Das Gericht entscheidet über den Antrag unverzüglich, in einer Sitzung ohne Beteiligung der Parteien. § 4. Nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens beantragt der Staatsanwalt die Vernichtung der Aufzeichnungen in dem Teil, in dem sie für das Strafverfahren, für das die Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche angeordnet worden sind, von keiner Bedeutung sind und die keinen Beweis im Sinne des Art. 237a darstellen. Das Gericht entscheidet über den Antrag in einer Sitzung, an der sich die Parteien beteiligen dürfen. § 5. Den Antrag auf Vernichtung der Aufzeichnungen kann auch, nicht früher als nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens, die in Art. 237 § 4 genannte Person stellen. Das Gericht entscheidet über den Antrag in einer Sitzung, an der sich die Parteien und der Antragsteller beteiligen dürfen. Art. 239 § 1. Die Verkündung des Beschlusses über Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche an die Person, auf die er sich bezieht, kann für eine Zeit aufgeschoben werden, die für das Wohl der Sache unerlässlich ist. § 2. Die Verkündung des Beschlusses im Sinne des § 1 kann im vorbereitenden Verfahren spätestens bis zum Abschluss dieses Verfahrens aufgeschoben werden. Art. 240 Gegen den Beschluss über die Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche ist eine Beschwerde zulässig. Die Person, auf die sich der Beschluss bezieht, kann in der Beschwerde die Begründetheit und die Rechtmäßigkeit der Kontrolle und Aufzeichnung der Telefongespräche verlangen. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Staatsanwalts wird vom Gericht geprüft. Art. 241 Die Regelungen des vorliegenden Kapitels finden auf Kontrolle und Aufzeichnung des Inhalts anderer Gespräche oder Übermittlung von Informationen unter Anwendung technischer Geräte entsprechend Anwendung, darunter auf den auf elektronischem Wege übermittelten Schriftverkehr.
320 Anhang Art. 242 Der Minister der Justiz bestimmt im Einvernehmen mit dem für das Kommunikationswesen zuständigen Minister, dem Minister der Verteidigung und dem für innere Angelegenheiten zuständigen Minister, im Wege der Rechtsverordnung, die Methoden der technischen Vorbereitung der zur Übermittlung von Informationen dienenden Netze für die Kontrolle von Telefongesprächen und anderen Übermittlungen von Informationen unter Nutzung dieser Netze, sowie die Art und Weise der Vornahme, Erfassung, Aufbewahrung, Wiedergabe und Vernichtung der Informationen, darunter des auf elektronischem Wege übermittelten Schriftverkehrs, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit des ordnungsgemäßen Schutzes der Aufzeichnungen vor deren Verlust, Verunstaltung oder ungerechtfertigter Offenlegung. Quelle: System informacji prawnej LEX, nachgearbeitet von Jan Muszyński
Verfassungsgerichtsgesetz (vom 1. August 1997) (Dz.U. 1997 nr. 102 Pos. 643) (nicht mehr in Kraft, zur Zeit der besprochenen Rechtsprechung einschlägig) Art. 32 1. Der Antrag oder die Rechtsfrage muss den Anforderungen eines Prozessschriftstückes entsprechen und zusätzlich soll: 1) die Bezeichnung des Organs, das das beanstandete Rechtsakt erlassen hat, 2) die Bezeichnung des beanstandeten Rechtsaktes oder seines Teils, 3) die Formulierung des Vorwurfs der Unvereinbarkeit des Rechtsaktes mit der Verfassung, mit dem ratifizierten internationalen Vertrag oder mit dem Gesetz, 4) die Begründung des Vorwurfs, mit der Nennung der Beweise enthalten. Art. 66 Der Verfassungsgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung an Grenzen der Klage, des Antrags oder der Rechtsfrage gebunden. Übersetzung: Jan Muszyński, Alle Angaben in eckigen Klammern stammen vom Übersetzer
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338 Literaturverzeichnis Beschluss des VerfGH vom 25.1.2006, Az.: S 2 / 06 Urteil des VerfGH vom 23.6.2009, Az.: K 54 / 07 Urteil des Höchsten Gerichts vom 22.09.2009, Az.: III KK 58 / 09 Urteil des Apelationsgerichts in Białystok vom 6.4.2011, Az.: I A CZ 279 / 11 Urteil des Bezirksgerichts in Warschau vom 26.4.2012, Az.: II C 626 / 11 Urteil des VerfGH vom 30.7.2014, Az.: K 23 / 11 Urteile der deutschen Gerichte, Fundstellen Beschluss des BGH vom 31.1.2007 – StB 18 / 06 BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29.6.2005 – 2 BvR 866 / 05 BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des zweiten Senats vom 30.6.2005 – 2 BvR 1502 / 04 BVerfGE 7, 198 BVerfGE 27, 1 BVerfGE 27, 344 BVerfGE 54, 148 BVerfGE 65, 1 BVerfGE 67, 157 BVerfGE 73, 339 BVerfGE 90, 255 BVerfGE 100, 313 BVerfGE 103, 142 BVerfGE 106, 28 BVerfGE 109, 279 BVerfGE 110, 33 BVerfGE 112, 304 BVerfGE 113, 348 BVerfGE 115, 166 BVerfGE 115, 320 BVerfGE 118, 168 BVerfGE 118, 79 BVerfGE 120, 274 BVerfGE 121, 1 BVerfGE 123, 267 BVerfGE 124, 43
Literaturverzeichnis339 BVerfGE 125, 260 BVerfGE 129, 208 BVerfGE 133, 277 BVerfGE 134, 141 BVerfGE 141, 220 Urteil des BGH vom 4.05.1991 – 1 StR 699 / 90 Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 15. Juni 2016, 1 BvR 2544 / 08. Beschluss des LG Ellwangen, 1. Große Strafkammer, vom 28.05.2013, Az.: 1 Qs 130 / 12. Andere Urteile, Fundstellen Urteil des EGMR vom 17.9.1996, Buckley vs. Great Britain, Az.: 20348 / 92 Urteil des EGMR vom 6. 9.1978, Klass u. a. gegen Deutschland, Az.: 5029 / 71 Urteil des EuGH vom 08.4.2014, Az.: C-293 / 12 und C-594 / 12 Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2016, Az.: C-203 / 15 und C-698 / 15
Stichwortverzeichnis Łętowska, Ewa 121, 147, 149, 211, 225, 245, 246, 298 abstrakte Normenkontrolle 149, 210, 212–214, 238, 250 ABW (Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego) 35, 37, 92, 126 Affäre von Starachowice 124 Alexy Robert 55 Aufgabennormen 82, 228, 246 bayerische Polizei 21, 78 Befugnisnormen 24, 64, 82, 94, 118, 220 Bereichsurteil 216 Berufsgeheimnis 81, 98, 112, 140, 166, 251, 274, 275, 281 Beweisverbot 105, 188, 274, 275 Börgerl Marie 115 Bürgermiliz 87, 88, 93, 278, 292 Bürgerrechtsbeauftragte 35, 149, 214, 222–225, 246, 257 CBA 238 CBA Centralne Biuro Antykorupcyjne 276 CBA (Centralne Biuro Antzykorupcyjne) 237 Deutsche Demokratische Republik 292 Dworkin Roland 55, 294 Effektivität der Polizeiarbeit 117, 118, 137, 143, 161, 177, 201, 221, 241, 267, 299 EGMR 53, 54, 114, 144, 227, 230, 233, 244, 247, 250, 257, 269, 270, 283
EMRK 46, 89, 99, 107, 142, 146, 226, 227, 240, 247, 269, 289 EuGH 108, 124, 130, 162, 193, 195, 208, 236, 255, 264, 265, 268, 270, 278, 282, 283 Feindstrafrecht 294 Fromm, Erich 303 fruits of the poisonous tree 105 G-10 Gesetz 33 Garlicki Lech 47 Gefahrenabwehr 34, 57, 64, 76, 95, 112, 171, 175, 194, 200, 204, 290, 291 Generalstaatsanwalt 103, 111, 126, 212, 224, 241, 242, 250, 254, 264 Großer Lauschangriff 163 Grundrecht auf Sicherheit 55, 294 Grundrechtsdogmatik 45, 47, 55, 99, 217, 222, 268 Grundrechtsstandard 115, 135, 145, 197, 246, 247 Homo Sovieticus 295 informationelle Selbstbestimmung 201, 205, 217, 240, 244, 260, 265, 277, 284 Informationspflicht 75, 83, 97, 114, 117, 140, 147, 173, 204, 213, 223, 225, 233, 282 Inglehart Roland 293 Internetdaten 26, 30, 108, 109, 113, 130, 280 Isensee, Josef 293 Klagegrenzen 170, 178, 206, 215, 252, 255, 277
Stichwortverzeichnis341 Kodeks postępowania karnego 96, 105 Kopacz, Ewa 253 Korruption 35, 36, 92, 116, 117, 143, 145, 172, 221, 223, 237, 238, 243, 286 Kriminalität 71, 83, 89, 101, 105, 120, 123, 143, 161, 164, 171, 180, 195, 222, 227, 265, 286, 293, 298 Legizentrismus 217, 301, 302 Militärischer Abschirmdienst 32, 33 Militärpolizei 35, 36, 92 obiter dicta 53, 130, 172, 229, 230, 234, 252, 262, 272, 277 Ombudsmann 121, 122, 135, 210, 211, 214, 222–225, 231, 235, 250, 259, 260, 264 Online-Durchsuchung 23, 80, 163, 178, 179, 186, 192 Operationskontrolle 17, 24, 30, 102, 104, 115, 126, 136, 140, 163, 172, 222, 228, 231, 240, 244, 251, 261 Operations- und Erkennungstätigkeit 24, 54, 86, 87, 90, 91, 93, 94, 101, 105, 107, 111, 118, 119, 122, 131, 132, 220–222, 225, 226, 228, 229, 237, 238, 239, 245, 248, 251, 256, 259, 263 Polizeigesetz (Polen) 257, 283, 299 polnische Verfassung 38, 47, 50, 53, 55, 161, 300 Prävention 57, 65, 94, 112, 134, 135, 143, 187, 220, 249, 252, 290, 291 Privatheit 48, 49, 61, 67, 90, 142, 154 Repression 57, 65, 66, 68, 76, 91, 134, 143, 156, 171, 220, 252, 290 Risiko 64, 72, 121, 123, 124, 137, 161, 286, 289, 294 Rywin-Affäre 124, 238 Sejm 108, 123, 130, 212, 224, 225, 235, 241, 242, 254, 256, 279, 280
Sicherheitsdienst 16, 24, 53, 88, 93, 119, 138, 245, 246, 248, 264, 277, 279, 297, 299 Sicherheitsgewährleistung 55, 143, 290, 294, 297 sozialistisches Recht 50, 87, 88, 120, 131, 143, 146, 209, 218, 228, 278, 291–293, 296, 297 Stiftung Panoptykon 129, 279 Subsidiarität 73, 78, 96, 98, 99, 108, 130, 164, 212, 230, 237, 243, 259, 262, 264, 270, 281 Telekommunikationsdaten 81, 109, 123, 198 Telekommunikationsgeheimnis 39, 40, 49, 82, 178, 184, 205, 217 Telekommunikationsüberwachung 31, 32, 34, 51, 69, 72, 78, 90, 117, 119, 129, 174, 196, 219, 254, 267 Telekommunkationsdaten 25 Tenor 170, 215, 216, 224, 252 Terrorismus 36, 58, 83, 122, 145, 180, 195, 208, 233, 286 Trennungsgebot 35, 64, 69, 76, 93, 181, 237 Tusk Donald 127, 128, 241 Überprüfungsantrag 53, 100, 138, 143, 178, 196, 284 UOP (Urząd Ochrony Państwa) 93, 120 Verfassungsbeschwerde 77, 83, 116, 128, 146, 154, 163, 178, 180, 197, 199, 210, 214 Verfassungsbeschwerde (Polen) 211–213, 250, 283 Verfassungsschutzbehörde 63, 69, 179, 180, 191 Verhältnismäßigkeit 52, 61, 67, 82, 103, 124, 134, 140, 156, 164, 166, 173, 186, 189, 201, 208, 218, 241, 250, 262, 268, 270, 272, 276, 283
342 Stichwortverzeichnis Volkspolizei 292 Volkszählungsurteil 43, 44, 59, 63, 151, 159, 179 Vorfeldermittlung 32, 34, 59, 71, 83, 112, 167
Vorratsdatenspeicherung 25, 27, 108, 118, 119, 123, 128, 129, 151, 162, 193, 236, 254, 263, 273, 282 Wróblewski Bogdan 117, 178, 208