Die Reform der Vereinten Nationen: Möglichkeiten und Grenzen. Referate und Diskussionsbeiträge eines Symposiums des Instituts für Internationales Recht vom 18. - 21. November 1987 in Kiel [1 ed.] 9783428465781, 9783428065783


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German Pages 237 Year 1989

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Die Reform der Vereinten Nationen: Möglichkeiten und Grenzen. Referate und Diskussionsbeiträge eines Symposiums des Instituts für Internationales Recht vom 18. - 21. November 1987 in Kiel [1 ed.]
 9783428465781, 9783428065783

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Die Refonn der Vereinten Nationen

VERÖFFENTLICHUNGEN DES INSTITUTS FÜR INTERNATIONALES RECHT AN DER UNIVERSITÄT KIEL

Herausgegeben von lost Delbrück . Wilhelm A. Kewenig . Rüdiger Wolfrum 106

Die Reform der Vereinten Nationen Möglichkeiten und Grenzen Referate und Diskussionsbeiträge eines Symposiums des Instituts für Internationales Recht vom 18. bis 21. November 1987 in Kiel

herausgegeben von

Rüdiger Wolfrum

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung, Köln

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Die Reform der Vereinten Nationen: Möglichkeiten und Grenzen; Referate und Diskussionsbeiträge eines Symposiums des Instituts für Internationales Recht vom 18. bis 21. November 1987 in Kiel! hrsg. von Rüdiger Wolfrum. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel; Bd. 106) ISBN 3-428-06578-6 NE: Wolfrum, Rüdiger [Hrsg.]: Institut für Internationales Recht : Veröffentlichungen des Instituts ...

Alle Rechte, einschließlich das der Übersetzung, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu vervielfältigen. © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45· Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7263 ISBN 3-428-06578-6

Vorwort Die Effektivität der Vereinten Nationen und die Notwendigkeit ihrer strukturellen Reform haben Wissenschaft und Praxis schon mehrfach beschäftigt. Ausgelöst durch die Finanzkrise der Vereinten Nationen hat diese Problematik erneut an Aktualität gewonnen. Die Frage nach der Effektivität der Vereinten Nationen und den Möglichkeiten einer entsprechenden Reform verlangt zunächst eine Auseinandersetzung damit, was von den Vereinten Nationen bei ihrer Gründung erwartet wurde und welche Erwartungen derzeit die Mitgliedstaaten legitimerweise in sie setzen köpnen. Die Charta gibt zwar Aufschluß über die den. Vereinten Nationen zugewiesene .Aufgabe", vermeidet es aber, den Weg genau vorzuzeichnen, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll. Dahinter steht das Vertrauen in die zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Dieses Vertrauen hat sich in der letzten Zeit als nicht immer tragfähig erwiesen, da die Mehrheiten in den Vereinten Nationen in zunehmendem Maße nicht alle Hauptakteure einschließen und diese sich in den Vereinten Nationen als nicht mehr hinreichend berücksichtigt empfinden. Dieser, hier nur zu skizzierende, Befund hat die Durchführung des Symposiums angeregt. Der vorliegende Band enthält die Referate und Diskussionen des elften Symposiums des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, das vom 18. bis 21. November 1987 in Kiel veranstaltet wurde. Aufgabe des Symposiums war es, die derzeitigen strukturellen Defizite der Vereinten Nationen - gemessen an den in sie gesetzten Erwartungen - aufzuzeigen und der Frage nachzugehen, wo Möglichkeiten, aber auch Grenzen für eine Abhilfe liegen. Das Institut dankt den Referenten und Diskussionsteilnehmern für ihre Mitwirkung, die zu einem fruchtbaren und anregenden Gedankenaustausch geführt hat. Zu danken ist auch allen Mitgliedern des Instituts für ihren Einsatz. Der Dank des Instituts gilt schließlich der Thyssen-Stiftung für die rasche und großzügige finanzielle Unterstützung der Durchführung des Symposiums und zur Drucklegung dieses Bandes. Kiel, im November 1988

Rüdiger Wolfrum

Inhalt Einführung in das Symposium (Erster Tag) ....•...•...•............

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Die Reformdiskussion in den Vereinten Nationen aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland

Von Peter Bazing ......•...•..........................•....

15

Diskussion zum Referat von Peter Bazing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . .

31

Beitragspflichten und Stimmrecht. Notwendigkeit und Möglichkeit, das Entscheidungsverfahren über Ausgaben der Vereinten Nationen neu zu strukturieren

Von Eckart Klein

69

Diskussion zum Referat von Eckart Klein . . . • . . • . . . . . . . • . . • . . . . . . . • .

95

Einführung in das Symposium (Zweiter Tag) ....•....•..•..••......•

127

Ursprüngliche Aufgabenzuweisung und jetzige Aktivitäten der Vereinten Nationen: Faktischer Wandel und normative Bewertung

Von Rüdiger W oUrum .....•.........•..•..................•

129

Diskussion zum Referat von Rüdiger WoUrum . . . . . . . . • . . . . . . . . . . • . . .

157

Strukturwandel der Vereinten Nationen: Perspektiven, Möglichkeiten und Grenzen

Von Erich Suy •.•...•..•.••........•...•.••........•..••..

189

Diskussion zum Referat von Eric Suy ...... . • • . . . . . . . . . • • . . . . . . • . . .

200

Teilnehmerverzeichnis •. . • . . . . • • . . . . • . • . . . . . . . • • . . . . . . . • . . . • . . .

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Abkürzungen a. a. 0. Abs. ACABQ ACC AFDI AJIL Art. ASIL Aufl. BGBl. bzgl. ca. COMECON CPC d. h. Doc(s). EA ECE EDOSOC ed. (Ed.) EG EPIL EPTA EPZ etc. FAO FAZ Fs. GA GAOR GATT GG ggf. GS

GV

Hrsg. IAEA IAEO

am angegebenen Ort Absatz Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions Administrative Committee on Co-ordination Annuaire Franc;ais de Droit International American Journal of International Law Artikel American Society of International Law Auflage Bundesgesetzblatt bezüglich circa Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Committee for Programme and Co-ordination das heißt Document(s) Europa-Archiv Economic Commission for Europe Edonomic and Social Council edited, editor Europäische Gemeinschaft(en) Encyclopedia of Public International Law Expanded Programme of Technical Assistance Europäische Politische Zusammenarbeit et cetera Food and Agricultural Organization of the United Nations Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift General Assembly General Assembly Official Records General Agreement on Tariffs and Trade Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Generalsekretär Generalversammlung Herausgeber International Atomic Energy Agency Internationale Atomenergie-Organisation

10 ibid. ICAO ICJ (Reports) i. (e.) S.

IFAD ILC ILM ILO IMF IMO 10 ITU Jg.

JIU

Kap.

m.E.

NGO No. OAS OECD para(s). rd. RdC REP RES (= Res.) RGDIP RGW S. sog. SUNFED Supp(l). SVN u. a. (m.) UN UNA-USA UNCDF UNCITRAL UNCTAD UNDOF UNDP UNDRO UNEF UNEP UNESCO UNFPA

Abkürzungen ibidem International Civil Aviation Organization International Court of Justice (Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders) im (engeren) Sinne International Fund for Agricultural Development International Law Commission International Legal Materials International Labour Organization International Monetary Fund International Maritime Organization International Organization International Telecommunication Union Jahrgang Joint Inspection Unit Kapitel meines Erachtens Non-Governmental Organization Number Organization of American States Organization for Economic Cooperation and Development Paragraph(en) rund Academie de Droit International, Recueil des Cours Report Resolution Revue General de Droit International Public Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Seite sogenannte Special United Nations Fund for Economic Development Supplement Satzung Vereinte Nationen (= Charta) und andere(s mehr) Uni ted Nations Uni ted Nations Association of the United States of Arnerica United Nations Capital Development Fund Uni ted Nations Commission on International Trade Law Uni ted Nations Conference on Trade and Development United Nations Disengagement Observation Force (Golan) United Nations Development Programme Office of the Uni ted Nations Disaster Relief Coordinator United Nations Emergency Force (Nahost) United Nations Environment Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Uni ted Nations Fund for Population Activities

Abkürzungen UNICEF UNIDIR UNIDO UNIFIL UNITAR UNRWA UNTS

UNYB

UPU usw. vgl. VN

WEU

WHO WMO WVK

YB

z. B. Ziff. ZSchwR z. T. z. Zt.

United Nations Children's Fund = United Nations Institute for Disarmament Research United Nations Industrial Development Organization United Nations Interim Force in Lebanon United Nations Institute for Training and Research United Nations Relief and Works Agency for Palestine United Nations Treaty Series Yearbook of the Uni ted Nations Universal Postal Union und so weiter vergleiche Vereinte Nationen (auch Zeitschrift) Westeuropäische Union - Western European Union W orld Health Organization W orld Meteorological Organization Wiener Vertragsrechtskonvention Yearbook zum Beispiel Ziffer Zeitschrift für Schweizerisches Recht zum Teil zur Zeit

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Einführung in das Symposium Erster Tag

Wolfrum:

Liebe Kollegen, meine Damen und Herren! Ich darf Sie ganz herzlich zu dem diesjährigen Symposium des Instituts für Internationales Recht begrüßen und freue mich, daß Sie weder den langen Weg noch das schlechte Wetter gescheut haben, um zu uns nach Kiel zu kommen. Sinn dieser Symposien, die wir in Kiel alle zwei Jahre durchführen, ist es unter anderem, Praxis und Wissenschaft zusammenzuführen, und wir werden dies, so hoffe ich, auch diesmal sowohl über die Referenten als auch über die Diskussion erreichen. Das Thema des Symposiums war sicher bereits aktuell, als Herr Delbrück und ich uns seinerzeit dafür entschieden. Inzwischen ist das Thema aber nicht weniger aktuell - was ja auch passieren kann -, sondern eher noch aktueller geworden. Die Reform der Vereinten Nationen ist fast schon ein politisches Tagestherna, nachdem auch Herr Gorbatschow sich dieses Komplexes angenommen hat. Herr Hüfner war so liebenswürdig, den Wortlaut der Vorschläge mitzubringen, und ich habe mir erlaubt, sie zu verteilen. Wir sollten versuchen, sie in unsere Diskussion mit einzubeziehen. In der Diskussion sollten wir bestrebt sein, die verschiedenen Ebenen unseres Themas anzusprechen: Die politische Frage der Reformbedürftigkeit (liegen Strukturdefizite vor, wo liegen sie, was ist ihr Hintergrund?), die Vorgaben der Charta der Vereinten Nationen, die politischen und rechtlichen Grenzen einer Reform der Vereinten Nationen. Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, erlauben Sie mir bitte noch eine Bemerkung in eigener Sache. Das nächste Symposium unserer regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen ist für die Zeit vom 17. bis 21. Mai 1989 geplant. Dieses Datum ist deshalb für uns von großer Bedeutung, da wir 1989 unseren 75. Geburtstag begehen. I;)as Thema dieser Veranstaltung wird lauten: .Die Universalität des Völkerrechts: Gefahren und Chancen in der Regionalisierung". Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich den Termin bereits jetzt vormerken könnten, eine Einladung wird Ihnen aber noch im Sommer 1988 zugehen.

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Einführung in das Symposium (1. Tag)

Wir wollen nunmehr mit unserem heutigen Thema beginnen. Ich darf das Wort Herrn Botschafter Bazing vom Auswärtigen Amt geben. Ich freue mich außerordentlich, daß Sie sich als erster Redner zur Verfügung gestellt haben und mit uns Ihren reichen Erfahrungsschatz teilen wollen.

Die Reformdiskussion in den Vereinten Nationen aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland Von Peter Bazing Einleitung Welches Bild bietet die Reformdiskussion in den Vereinten Nationen (VN) heute aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig. Vorab eine Klarstellung: Gegenstand dieser Betrachtung ist die Diskussion, die vor allem in den letzten beiden Jahren in Gang gekommen ist und die zu einer Reihe von Resolutionen und Reformmaßnahmen, zu mancherlei Hoffnungen und Enttäuschungen, aber auch zu tiefgreifenden Auffassungsunterschieden und Auseinandersetzungen geführt hat, die noch für längere Zeit auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen bleiben werden. Die heutige Reformdiskussion ist in der 42-jährigen Geschichte der VN weder die erste, noch wird sie die letzte sein. Sie ist diesmal allerdings durch den inneren Zusammenhang mit den Beitragszurückhaltungen der USA von besonderer Art. Die Entscheidungen über das weitere amerikanische Zahlungsverhalten stehen noch aus. I Sie werden den Fortgang der Reformbemühungen wesentlich beeinflussen. Seit ihrer Gründung sind die VN ein Abbild der Errungenschaften, aber auch der Probleme im Leben der Völker und der Staaten. In der Weltorganisation spiegeln sich die Bewußtseinsschritte einer Menschheit wider, die zu erkennen beginnt, daß wachsende Interdependenz ihr Schicksal ist und daß für den gemeinsamen Weg in die Zukunft jeder Staat, ob klein oder groß, reich oder arm, ein Stück Mitverantwortung trägt. Die VN nehmen, wie alle von Menschen geschaffenen Einrichtungen, an den Wandlungen der Welt teil; sie können, selbst wenn jemand dies wollte, gar nicht stehenbleiben. Sie können allerdings den Notwendigkeiten hinterherhinken, und es hat zu jeder Zeit genug Kritiker gegeben, die der WeltI Inzwischen hat der US-Kongreß am 14. Dezember 1987 571 Mio. $ für alle amerikanischen Beiträge zu internationalen Organisationen bewilligt. Für die VN sind davon Ende 1987 100 Mio. $ gezahlt worden. Die Zahlung weiterer 44 Mio. $ für 1987 wird in der ersten Jahreshälfte 1988 erwartet.

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Peter Bazing

organisation gerade dies vorwerfen: sie gerate gegenüber den Realitäten immer mehr ins Abseits, sie sei, zu starr, zu schwerfällig, nicht effizient genug. Dies alles sind heute wie huher .catch-words· der Reformer. Der Ruf nach Reformen ist fast so alt wie die VN selbst.

I. Frühere Reformansätze Die Veränderungen, die seit der Gründung der VN eingetreten sind, lassen sich - vereinfacht - in drei Abschnitte einteilen: - Die erste Dekade 1945-1955 stand schon bald im Zeichen des sich verschärfenden Ost-West-Gegensatzes. Als die Siegerkoalition des Zweiten Weltkrieges zerbrach, konnte auch der Sicherheitsrat als entscheidendes Instrument der Friedenswahrung seiner eigentlichen Funktion, wie sie die VN-Charta vorsieht, nicht mehr gerecht werden. Die Aktivitäten der Mitgliedsstaaten verlagerten sich zunehmend auf regionale und bilaterale Themen. - Die zweite Dekade 1955-1965 stand im Zeichen der Dekolonisierung und dem daraus folgenden Ansteigen der Mitgliedszahl der VN. 1965 hatte die Organisation 118 Mitglieder, mehr als doppelt soviel wie bei ihrer Gründung und bereits drei Viertel der jetzigen Mitgliedschaft. 2 Mit dieser quantitativen Veränderung ging eine Verlagerung der Thematik einher. Die Entwicklungsproblematik - zu der sich in der Charta nichts findet - wurde von den unabhängig gewordenen Staaten eingebracht. Die Folge war eine organisatorische Anpassung der VN, die sich vor allem durch Gründungen neuer Gremien und Organisationen und die Errichtung spezieller Hilfsprogramme äußerte. Beispiele für die Reformen jener Zeit sind das World Food Program (1961), UNCTAD (1964) und UNDP (1966). So richtig und wichtig der Aufbau dieser Teile des VN-Systems an sich war, so bedauerlich bleibt, daß die damalige Anpassung an die veränderten Bedingungen ohne klares Gesamtkonzept durchgeführt worden ist. Daß heute der ECOSOC-Bereich der VN so unübersichtlich ist, hat einen wesentlichen Grund im. Wildwuchs· jener Jahre. - Heute stehen wir in der dritten Phase im Leben der Weltorganisation. Seit den 60er Jahren ist das Verhältnis zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern immer mehr zur Dominante in den VN geworden. Die Länder der Dritten Welt gewannen kraft ihrer Dreiviertel-Mehrheit auf die Themen und die Arbeitsweise der Generalversammlung, aber auch vieler VN-Gremien und Sonder-Organisationen, einen wesent2 Am 26. Juni 1945 unterzeichneten 51 Staaten die Charta. 1955 zählten die VN 76 Mitgliedstaaten. Seit 1984 beträgt die Mitgliedszahl 159.

VN-Reformdiskussion aus deutscher Sicht

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lichen Einfluß. In den wichtigen multilateralen finanz- und wirtschaftspolitischen Organisationen der VN-Familie, wie Weltwährungsfonds, Weltbank oder GATI, blieb dagegen das Gewicht der westlichen Industrieländer bestimmend. Vor diesem Hintergrund entstanden neue Gruppierungen und Allianzen, wie vor allem die .Gruppe der 77". Neue Problembereiche wurden Schwerpunkte der Arbeit: Handel und Entwicklung, Rohstoff-und Energiefragen, die Bekämpfung von Hunger und Not. Zugleich wurden damit aber auch die Hemmnisse für eine erfolgreiche Arbeit immer stärker sichtbar: Unfähigkeit zu durchgreifenden Lösungsansätzen im Nord-Süd-Verhältnis, sachfremde Politisierung, ungelöste Regionalkonflikte, kontroverse Budgetfragen, die Aufblähung und geringe Effizienz zahlreicher Gremien. Allgemeine politische und VN -spezifische Faktoren wirkten zusammen und erzeugten bei vielen aber keineswegs bei allen - Mitgliedstaaten den Wunsch nach Reformen. Der Streit ist müßig, ob diese Reformbestrebungen ohne den von den amerikanischen Beitragszurückhaltungen ausgehenden Druck ernsthaft aufgegriffen worden wären. Tatsache ist, daß sich die VN seit der 41. Generalversammlung von 1986 darangemacht haben, ihren eigenen Apparat kritisch auf Verbesserungen hin zu durchleuchten. Ähnliches hat die Weltorganisation schon in früheren Anläufen versucht. Dazu folgendes Zitat als Beispiel: .Die Forderung nach der Neugliederung des UN-Systems wird seit langem mit der veränderten AufgabensteIlung der Weltorganisation im Nord-Süd-Dialog und ihrer Funktion in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vor allem mit den Entwicklungsländern, sowie mit Rationalisierungsnotwendigkeiten begründet. Die neue Mitgliedschaft vieler Entwicklungsländer und die dadurch bedingten veränderten Mehrheitsverhältnisse verstärkten das Reformverlangen." Weiter heißt es dann: .Mit dem nunmehr erreichten Ergebnis ist ein Anfang gesetzt." Das Zitat stammt aus einem Aufsatz eines deutschen UNO-Beamten, I. von Ruckteschell, aus dem Jahre 1978. 3 Der Verfasser beschreibt darin die Bemühungen um die Neugliederung des ECOSOC-Bereichs, deren Grundlage die Resolution 197 der 32. Generalversammlung (1977) war. Damals ist u. a. der Posten eines Generaldirektors für Entwicklung und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit neu geschaffen worden. Doch ein klares ECOSOCKonzept ist aus den damaligen Reformbemühungen nicht entstanden.

3 lngo von Ruckteschell, Erhöhung der Effizienz, Wahrung der Kontinuität: Die Empfehlung zur Neugliederung des UN-Wirtschafts- und Sozialbereichs, in: Vereinte Nationen (VN) 26 (1918), S. 13.

2 UN-RefoTm

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Peter Bazing

11. Aktuelle Reformansätze Niemand, der aktuelle Reformansätze ins Auge faßt, kann an der Studie von Maurice Bertrand vorbeigehen. Die Veröffentlichung seiner Studie 1985 fiel zeitlich mit dem 40. Jahrestag der Vereinten Nationen zusammen. 4 Es lohnt sich, Bertrands Analyse kurz in Erinnerung zu rufen, denn sie nennt entscheidende Schwächen der VN beim Namen. Bertrand geht davon aus, daß angesichts zunehmender Kritik an den VN und wachsender Frustration innerhalb der Organisation eine bloße Veränderung der bestehenden Strukturen zur Beseitigung der Mängel nicht mehr ausreicht. Notwendig sei nach dem Völkerbund und den bisherigen Vereinten Nationen eine Weltorganisation der dritten Generation. Einzelne Elemente der jetzigen Struktur müßten übernommen werden, so z. B. der Bereich des Sicherheitsrats. Es sei unrealistisch zu erwarten, daß dort eine einvernehmliche Änderung möglich wäre.

Im Wirtschafts- und Entwicklungshilfebereich jedoch sei eine völlige Neugestaltung notwendig. Die entscheidenden Mängel des bestehenden Systems seien u. a.: - die Zersplitterung der Aktivitäten auf Dutzende von Organisationen und Tausende von Programmen, - die mangelnde Koordinierung innerhalb des Systems, - die Dürftigkeit vieler Dokumente und Veröffentlichungen, - die ungenügende Definition und Durchführung von Projekten, - die mangelnde Qualifikation vieler Bediensteter, - der Verbalismus und der Mangel an Realismus in Resolutionen und Programmen, - Schwächen bei der Verwirklichung der Programme und bei der Evaluierung ihrer Ergebnisse. Die Ursachen hierfür seien weniger eine Folge wirklicher Mißwirtschaft als vielmehr immanenter Mängel des VN-Systems. Bertrand hält die Vorstellung, daß der Frieden durch eine Institution bewahrt werden könne, für ebenso falsch wie die Erwartung, daß die allgemeine Entwicklung durch sektorale, nicht integrierte Anstrengungen gefördert werden könne. Er anerkennt zwar Errungenschaften der Vereinten Nationen bei der Dekolonisierung, der Friedenssicherung, im Menschenrechtsbereich u. a., meint jedoch, daß sich die Vereinten Nationen zu stark mit unlösbaren Problemen und ideologischen Streitigkeiten beschäftigen, während die wirklich wichtigen Themen, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, wie die 4

Report 01 the Joint Inspection Unit - JIU/REP/85/9 ( = A/41).

VN-Reformdiskussion aus deutscher Sicht

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Fragen von Geld, Krediten und Handel, den Vereinten Nationen weitgehend entzogen seien. Die Reformvorschläge von Bertrand betreffen im Bereich der Entwicklung die Einrichtung regionaler und integrierter Entwicklungsagenturen der Vereinten Nationen. Er plädiert dafür, die großen Programme wie UNDP, UNICEF, World Food Program, UNFPA sowie die entsprechenden Abteilungen der Sonderorganisationen aufzulösen. Konkrete Entwicklungsarbeit könne nur im Feld geleistet werden. Bereits bestehende Regionalorganisationen seien in die neuen Agenturen einzupassen. Bertrand beklagt die Aufblähung der wirtschaftlichen Hauptorgane, insbesondere des ECOSOC, die eine wirkliche Sachdiskussion praktisch unmöglich mache. Er schlägt deshalb vor, ECOSOC und UNCTAD durch einen Rat mit begrenzter Mitgliedschaft (23 Staaten) zu ersetzen. Dieser Rat müsse die Funktion eines •Wirtschaftssicherheitsrats· übernehmen. So würde sich eine Wirtschaftsweltorganisation mit der politischen Weltorganisation zu einem Gesamtsystem verbinden.

Aus heutiger Sicht ist festzustellen, daß zwar Bertrands Diagnose in vielen Teilen Zustimmung gefunden hat, daß aber seine Therapie, seine z. T. umwälzenden Reformvorstellungen, bisher auch nicht ansatzweise aufgegriffen worden sind. Große Bedeutung gewann dagegen der sog. Bericht der 18, der auf einen Antrag der 40. Generalversammlung zurückgeht. Der Bericht dieser hochrangigen Gruppe von 18 Regierungsexperten aus allen Regionen, die unter Vorsitz des norwegischen VN-Botschafters Tom Vraalsen tagte, erschien im Sommer 1986. 5 Er enthält Vorschläge zur Verbesserung der Effizienz im Verwaltungs- und Finanzbereich der VN und eine Vielzahl von Rationalisierungsvorschlägen, vor allem zum Konferenzbetrieb und zur Verbesserung der Kontroll- und Managementfunktionen von VN-Organisationen sowie zur Restrukturierung der VN, namentlich des Sekretariats. Einschneidend sind die Vorschläge zu Personalkürzungen. Zur Reformierung des als besonders problematisch bekannten Bereichs Wirtschaft und Entwicklungshilfe empfehlen die 18 Experten die Gründung einer Sonderkommission, die in der Mai-Tagung 1987 des ECOSOC beschlossen wurde 6 und allen VN-Mitgliedern offen steht. Zum Vorsitzenden wurde der ägyptische VN-Botschafter Badawi gewählt. Der Bericht der Gruppe der 18 wurde von der 41. Generalversammlung erörtert. Die Beratungen endeten am 19.12.1986 mit der Verabschiedung der Reformresolution 41/213, für die auch die Bundesrepublik Deutschland sich 5 6 2 •

UN Doc. A/41149. ECOSOC Doc/1987/112 vom 6. Februar 1987.

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Peter Bazing

nachdrücklich eingesetzt hat. Die Annahme erfolge ohne Abstimmung. Die Empfehlungen der Gruppe der 18 wurden damit von allen VN-Mitgliedstaaten grundsätzlich indossiert. Der eigentliche Kern der Resolution liegt in der Festlegung eines veränderten Haushaltsverfahrens: Der Programm- und Koordinierungsausschuß (Committee for Programme and Coordination, CPC) soll jeweils bereits im Jahr vor der Haushaltsentscheidung der Generalversammlung über den nächsten Zweijahreshaushalt beraten. Ein Vorschlag des Generalsekretärs (sog. budget outline) soll möglichst im Konsens gebilligt werden. Damit wird sichergestellt, daß die politischen Programmaussagen der Generalversammlung mit der Bereitstellung entsprechender Mittel verbunden werden. Das vorgeschriebene Bemühen um Konsens gibt den großen Beitragszahlern die Möglichkeit, in der Budgetund Programmgestaltung ihr Gewicht stärker zum Tragen zu bringen. Die Verhandlungen über die Reformresolution waren langwierig und zeitweise sehr kontrovers. Die Bundesrepublik Deutschland hat an ihnen aktiv teilgenommen. Über weite Strecken gab es eine bemerkenswerte Interessenparallelität von Ost und West. Haupthindernis auf dem Weg zur Einigung war die Haltung der Ungebundenen. Viele dieser Staaten sahen den Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten sowie das in der Charta verankerte Prinzip der Mehrheitsentscheidungen als Basis für Beschlüsse der Generalversammlung bedroht. Sie fürchteten, von wenigen "Geldgebern" in der Organisation in ihren politischen Ausdrucks- und Aktionsmöglichkeiten eingeschränkt zu werden. Den Konsens im CPC werteten viele als charta-widrige Einräumung einer Art Vetorecht für die großen Beitragszahler in allen Haushaltsfragen. So äußerten Staaten wie Bolivien und Simbabwe auch noch nach Annahme von Resolution 41/213 in Stimmerklärungen entsprechend starke Vorbehalte,1 die zeigten, daß Meinungsverschiedenheiten über die Frage des Konsens als Mittel zur Herbeiführung einer breiteren Grundlage für Haushaltsbeschlüsse durchaus noch nicht beigelegt waren. Damit war mit der Verabschiedung der Resolution 41/213 zugleich klar, daß man erst am Beginn eines langwierigen Reformprozesses stand. IH.. Interessenlagen

Seither ist ein knappes Jahr vergangen. Die praktische Reformarbeit ist in dieser Zeit nur schleppend vorangekommen. Von Anfang an zeigte sich ein deutliches Gefälle an Reformengagement zwischen den größeren Industriestaaten und vielen Staaten der Dritten Welt. Beide Staatengruppen schätzen ihre Interessenlage hier offenkundig unterschiedlich ein. 7 Nachmittagssitzung der Generalversammlung vom 19. Dezember 1986, A/411PV, 102.

VN-Reformdiskussion aus deutscher Sicht

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Es liegt auf der Hand, daß die Bundesrepublik Deutschland in Fragen der VN-Reform die Ziele der anderen größeren Industriestaaten und großen Beitragszahler teilt. Ihre Debattenbeiträge bei der Ausarbeitung der Reformresolution 41/213 machen dies deutlich. Die Bundesrepublik will darauf hinwirken, daß die VN sich den großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte handlungsfähig und effizient stellen kann. Sie ist gemeinsam mit zahlreichen wichtigen Partnern der Überzeugung, daß die bisherigen Strukturen ebenso wie die Haushalts- und Programmprozeduren angesichts der weiter wachsenden Aufgaben der Verbesserung bedürfen. Niemand wird dabei verkennen, daß die Ursachen für zahlreiche Schwächen und Unzulänglichkeiten der VN nicht nur im System und in den bestehenden Organisationsformen liegen, sondern in tiefgreifenden Unterschieden des politischen Wo lIens, der politischen Perspektiven und Erwartungen der Mitgliedstaaten. Es ist und bleibt wahr, daß die VN nur so gut und wirksam sein können, wie sie von den Mitgliedstaaten gemacht werden. Fehlender politischer Wille läßt sich nicht durch Reformen ersetzen; gegensätzliche Zielsetzungen lassen sich nicht durch Reformen ausgleichen. Diese Tatsache darf freilich nicht zu der Schlußfolgerung führen, daß deshalb Versuche, das System zu verbessern, sinnlos wären. Doch bedürfen alle diese Bemühungen der Geduld und eines wachen Sinns für die Realitäten. Die Bundesrepublik Deutschland wünscht eine Stärkung der Vereinten Nationen. Diese Stärkung kann nicht von wenigen Mitgliedstaaten bewirkt werden; sie kann nur auf der Basis eines breiten Konsenses gelingen. Die administrative Straffung, die vom VN-Generalsekretär im Bereich des Sekretariats eingeleitet worden ist, findet die volle Zustimmung der Bundesrepublik. Sie wird auch die Ausgabenseite entlasten. Die Bundesrepublik wendet sich nicht gegen die Kosten vernünftiger Programme, wohl aber gegen unproduktive, überflüssige, oder vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her unvertretbare Projekte und gegen unnötige, oft mehrfach parallel anfallende Verwaltungskosten. Dieser Linie entspricht die Forderung nach einer stärker praxisorientierten Arbeitsweise im gesamten VN-System. Die Freiheit der Mitgliedstaaten, vom Instrumentarium der VN den für sie bestmöglichen Gebrauch zu machen, soll und darf dabei nicht angetastet werden. Es geht aber darum, nach Wegen zu suchen, die es erlauben, etwa die Zahl der regelmäßig und oft nahezu unverändert wiederkehrenden Resolutionen und verschiedene wenig produktive Aktivitäten zugunsten möglichst konkreter wirksamer Schritte zu reduzieren. Die Bundesrepublik Deutschland stand auch von Anfang an auf der Seite der Mitgliedstaaten, die der Überzeugung sind, daß eine disziplinierte Haushalts- und Programmgestaltung, die auch von den großen Beitragszahlern mitbeeinflußt und mitgetragen werden kann, ein zwingendes Erfordernis ist.

22

Peter Bazing

Die Bundesrepublik Deutschland findet sich bei der Verfolgung dieser Reformziele in einer Interessengemeinschaft mit wichtigen Partnern, einschließlich der USA. Sie sieht in der Verwirklichung von Reformen ein eigenes wichtiges Anliegen, nicht jedoch einen .Preis", der von den Mitgliedstaaten der VN für die Wiederaufnahme voller Beitragszahlungen durch die USA zu entrichten wäre. In den zähen Auseinandersetzungen um die Reformresolution 41/213 ist von den Vertretern der Bundesrepublik Deutschland deshalb auch immer wieder betont worden, daß es ein gemeinsames Interesse aller Mitgliedstaaten geben muß, die Leistungsfähigkeit der Organisation zu optimieren. In diesem Ziel sollte der gemeinsame Reformnenner der Industriestaaten und der Staaten der Dritten Welt liegen. Die Finanzkrise hat teilweise den Blick dafür getrübt, daß es bei den Refonnen eben nicht nur darum geht, Kosten einzusparen; es geht vielmehr entscheidend darum, im Hinblick auf die gegenwärtigen und künftigen Aufgaben, vor denen die Welt steht, die Effizienz des gesamten VN-Systems nachhaltig zu steigern. Der bisherige Verlauf der Reformdiskussion hat jedoch deutlich gemacht, daß die Dritte Welt ihre Interessen zum Teil anders sieht. Vor allem aber ist für die Staaten der Dritten Welt der politische Zusammenhang zwischen den amerikanischen Beitragszahlungen und ihrer eigenen Reformwilligkeit ein wesentlicher Maßstab ihres Verhaltens. Die Interessenlage der Staaten der Dritten Welt gegenüber den Reformbemühungen ist nicht auf eine einfache Fonnel zu bringen. Hier wird einmal mehr deutlich: Der Begriff Dritte Welt hat keinen klar konturierten Inhalt. Er faßt eine große Zahl hinsichtlich Entwicklungsstand, politischer Orientierung und Bevölkerungszahl sehr unterschiedlicher Länder zusammen und erweckt - eher zu Unrecht - den Eindruck einer engeren politischen Zusammengehörigkeit. Die Vielfalt der Interessen, der inneren Ordnung und der außenpolitischen Gruppierungen ist für die Dritte Welt in der politischen Wirklichkeit weithin bestimmender als die Punkte der Gemeinsamkeit. Diese Feststellung gilt bis zu einem gewissen Grade auch für die Einstellung der Dritten Welt zum Reformprozeß. Die VN sind im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer mehr zum weltpolitischen Forum der Dritten Welt geworden. Hier können sich auch kleine, machtlose Staaten Gehör verschaffen; hier können sie kraft ihrer Stimme Entscheidungen, vor allem aber Meinungstrends, mitbeeinflussen. Der Grundsatz "ein Staat, eine Stimme" macht die VN gerade für die jungen Nationen zum Inbegriff ihrer Staatlichkeit und Unabhängigkeit. Die VN haben in ihrer bisherigen Gestalt den Staaten der Dritten Welt vielfache Möglichkeiten der Selbstdarstellung, der Artikulierung ihrer Interessen und der kollektiven Einflußnahme geboten. Reformbestrebungen, die auch nur

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in den Verdacht geraten, sie führten im Ergebnis zu Einschränkungen dieser Möglichkeiten, haben keinerlei Chancen. Ebenso bedeutsam wie die allgemeinen politischen Vorteile ist auch der wirtschafts- und entwicklungspolitische Nutzen, den die Dritte-WeltStaaten aus ihrer VN-Mitgliedschaft ziehen können. Der ECOSOC-Bereich spielt hier eine zentrale Rolle. Und es ist vielleicht nicht nur die durch die Jahre gewachsene Vielfalt und Unübersichtlichkeit dieses Bereiches, die dazu geführt hat, daß die Gruppe der 18 sich an Reformüberlegungen hierzu gar nicht erst versucht hat. Reformen gehen im ECOSOC-Bereich schnell auch an den Kern bedeutender materieller Interessen. Reformen können deshalb den bestehenden Besitzstand der Dritten Weit nicht unbeachtet lassen. Die Reformarbeit im ECOSOC-Bereich steht noch in den ersten Anfängen. Zu welchen Ergebnissen sie führen wird, läßt sich heute noch nicht erkennen. Man könnte sich z. B. vorstellen, daß die Dritte Weit im Rahmen einer Reform des VN-Systems im Wirtschafts- und Entwicklungsbereich in einer Stärkung der Regionalkommissionen und der dezentralen Entscheidungsstrukturen einen Vorteil erkennt. Damit erhielten die Dritte-Weit-Staaten erweiterte eigene Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Doch solche Reformprozesse könnten - so fürchten manche - stecken bleiben, noch ehe sich am Ende die erhofften Vorteile einstellen. Hier gibt es also Risiken, deren Vermeidung oft für ein Festhalten am .Altbewährten" zu sprechen scheint. Es gibt schließlich auf seiten mancher Dritte-Welt-Staaten die Vermutung, daß die Industrieländer, allen voran die USA, die Reformen vor allem deswegen betreiben, weil sie sich vom Ergebnis per Saldo eine Schwächung des Einflusses der in den VN mit ihrer großen Zahl operierenden Staaten der Dritten Welt erhoffen. Auf ähnliche Bedenken stößt z. T. der Abbau von Stellen im VN-Sekretariat. Er trifft zahlreiche Dritte-Weit-Staaten, die auf ihren personellen Besitzstand größten Wert legen, an einem besonders empfindlichen Punkt. Im Ergebnis, das sollten diese Beispiele zeigen, würden viele Dritte-WeltStaaten vermutlich durchaus bereit sein, die VN auch weiterhin so zu akzeptieren, wie sie sind. Wie weit sie die Reformziele dauerhaft mittragen, wie weit sie wirklich bereit sind, auch eigene .politische Investitionen" im Interesse langfristiger Verbesserungen vorzunehmen, all dies ist bisher noch nicht voll zu beurteilen. Die bisherige Reformarbeit zeigt jedoch an einigen Stellen, wie sich die Bedenken und Sorgen der Dritte-Welt-Staaten konkret auswirken.

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Peter Bazing

IV. Praktische Reformarbetl Ein Beispiel dafür ist das Committee [or Programme and Coordination (CPC). Die Reformresolution 41/213 hat diesem Gremium eine besondere

Rolle zugedacht. Das CPC führte bislang eher ein Schattendasein. Seine derzeit 21 Mitglieder8 sollen nunmehr Haushalts- und Programmentscheidungen, die bisher unkoordiniert getroffen wurden, miteinander in Einklang bringen und darüber möglichst Konsens herstellen. Diese neue Aufgabe hat das CPC im Verlauf seiner diesjährigen Sitzung nur ungenügend erfüllt. In der Frühjahrssitzung im Mai 1987 wurden zunächst die unproblematischen Teile des VN-Haushalts behandelt, die durch die Reformarbeit nicht betroffen sind; sie konnten im Konsens verabschiedet werden. Auch in der Septembersitzung gelang es, für den überwiegenden Teil des Haushalts Konsens zu erzielen. Dies galt erfreuliche~eise auch für diejenigen Haushaltskapitel, in welchen die Reformbemühungen des Generalsekretärs innerhalb des Sekretariats sich niederschlugen (z. B. Personaleinsparungen, Ersparnisse an Sachmitteln, Zusammenlegung von Arbeitseinheiten etc.). Bis zuletzt jedoch blieben zwei entscheidende Fragen ungelöst:

- Über die Gesamthöhe des Budgets der VN für 1988 konnte keine Einigung erzielt werden. 9 - Offen blieb auch, ob der .Contingency-Fund" im Budgetrahmen enthalten sein sollte - was der Präferenz der Hauptbeitragszahler entsprochen hätte - oder nach einem Prozentsatz dazuaddiert werden mußte, was von den meisten Staaten der Dritten Welt befürwortet wurde. An dieser Frage wird die bekannte Grundproblematik der VN-Haushaltsgestaltung einmal mehr sichtbar: Der Mindestbeitragssatz, der für viele Dritte-Weit-Länder gilt, beträgt 0,01 %. Dies entspricht derzeit etwa 70000,- $. (Man muß sich zum Vergleich vor Augen halten, daß die durchschnittliche Jahresrniete für die Büros einer VN-Vertretung in New York höher liegt.) 89 Mitgliedstaaten tragen auf diese· Weise zum Gesamtbudget zusammen nur rd. 1 % bei. Sie werden durch jede Erhöhung des Budgetvolumens nur minimal getroffen. Die finanziellen Folgen der Entscheidungen, die diese Staaten kraft ihrer Stimmenzahl herbeiführen können, haben so gut wie ausschließlich die wenigen großen Beitragszahler zu tragen, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland mit einem Satz von derzeit 8,26 % gehört. (Die nachstehenden Zahlen verdeutlichen die Lage: die 10 Siehe Fußnote 11. Die 42. Generalversammlung verabschiedete am 21. Dezember 1987 die Budgetresolution nahezu einstimmig. Darin ist für das Biennium 1988/89 ein Haushaltsvolumen von US $ 1 769586300,- vorgesehen; (A/RES/42/226). 8 9

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größten Beitragszahler decken 76,15 % des VN-Budgets. Nur 16 Staaten zahlen mehr als 1 % des Haushalts; auf sie entfallen 84,25 % des gesamten Haushaltsvolumens. ) Es liegt deshalb auf der Hand, daß auch die Bundesrepublik Deutschland der Arbeit des CPC im Rahmen eines reformierten Budgetprozesses hohe Bedeutung zumißt. Die Bundesregierung betreibt seit längerem aktiv die Wiederwahl in das CPC, da die Mitgliedschaft Ende 1987 ausläuft. 10 Doch auch andere Staaten zeigen wegen der Reformen erhöhtes Interesse am CPC. Dies hat zu Überlegungen, vor allem in der Dritten Welt, geführt, die Mitgliedszahl des CPC zu erweitern. Derzeit werden in New York entsprechende Pläne erörtert. Mehrere Zahlenmodelle sind in der Diskussion. II Auf alle Fälle stellt des Committee for Programme and Coordination, auch wenn sein Reformstart in diesem Jahr nicht überzeugen konnte, ein Kernstück des neuen Budgetverfahrens dar. Nur hier - im Konsens großer und kleiner Beitragszahler - kann die Diskrepanz zwischen Stimmgewicht und Beitragsleistung überbrückt werden. Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeit, zu einem Ausgleich divergierender Interessen zu kommen, bildet die ECOSOC-Sonderkommission. Sie wurde aufgrund der Empfehlung 8 des Berichts der Gruppe der 18 eingerichtet, um die Reformarbeit im umfangreichen und differenzierten Wirtschaftsund Sozialbereich des VN-Systems voranzubringen. Prozedural liegt der Wirtschafts- und Sozialbereich bei seinen Reformbemühungen damit um einen Takt zurück. Das Endergebnis der Arbeiten der Sonderkommission müßte in eine Resolution nach der Art von 41/213 münden. Die ECOSOC-Sonderkommission hat bisher vier Sitzungen abgehalten,I2 in denen Verfahrensfragen und die Rolle des ECOSOC selbst Schwerpunkte der Diskussion waren. Dabei zeichnete sich grundsätzliches Einvernehmen darüber ab, daß der ECOSOC eine Art Filterfunktion zur Entlastung der Generalversammlung erhalten und damit eine stärkere Konzentration der Arbeit des 2. und 3. Ausschusses der Generalversammlung auf einige zentrale Themen ermöglichen sollte. Es zeigte sich auch eine gewisse Bereitschaft der Mehrheit der Staaten, unter noch näher zu bestimmenden Voraussetzungen (z. B. universelle ECOSOC-Mitgliedschaft) über eine Straffung der nachgeordneten Gremien nachzudenken. Einmütigkeit besteht schließlich dahingehend, den ECO10 In der Wahl, die am 17. Dezember 1987 stattfand, ist die Bundesrepublik Deutschland erneut für eine Periode von drei Jahren in das CPC gewählt worden. 11 Die 42. Generalversammlung entschied mit Decision 42/450, daß das CPC künftig 34 Mitglieder umfassen soll nach folgendem Regionalschlüssel: 9 Afrika, 7 Asien, 4 Oste uropa, 7 Lateinamerika, 7 Westeuropa. 12 1.: 3. - 6.2.1987; 2.: 18. - 20.3.1987; 3.: 23.4. - 1.5.1987; 4.: 1. - 4.9.1987.

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Peter Bazing

SOC in seiner traditionellen Koordinierungsaufgabe zu stärken und Duplizierungen der Programmarbeit im ECOSOC-Bereich abzubauen. Wie diese Grundsatzübereinstimmung konkret umgesetzt werden soll, dazu gibt es bisher noch keine präzisen Vorstellungen. Für die nächsten Sitzungsperioden der ECOSOC-Sonderkommission, die von Januar bis Mai 1988 vorgesehen sind, zeichnen sich UNCTAD und die regionalen Wirtschaftskommissionen mit ihrem Unterbau als Schwerpunktthemen ab. Angesichts der Tatsache, daß die ECOSOC-Sonderkommission für die 43. Generalversammlung einen Bericht vorzubereiten hat, in dem sie ihre Reformvorschläge und Schlußfolgerungen darlegen soll, wird die Arbeit der Sonderkommission im ersten Halbjahr 1988 von besonderer Bedeutung sein. Das bedeutet auch für die Bundesrepublik Deutschland, die dann den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft innehat, erhöhte Verantwortung beim Bemühen um einen substantiellen Beitrag der 12 EG-Staaten zu den Reformüberlegungen. Angesichts all dieser noch ungelösten, noch unfertigen oder kaum begonnenen Reformaufgaben fehlt es nicht an pessimistischen Stimmen und an Zweifeln hinsichtlich des schließlichen Erfolgs. Doch es gibt inzwischen auch Beispiele für zielstrebige und entschlossene Reformansätze. Die Economic Commission for Europe (ECE) hat vor einem halben Jahr ein ad hoc Komitee für Sparmaßnahmen und Restrukturierung gebildet, das in kurzer Zeit zu bemerkenswerten Vorschlägen kam. Diese sind Anfang November 1987 auf einer Sondertagung der ECE einstimmig angenommen und inzwischen an die ECOSOC-Sonderkommission weitergeleitet worden. Bemerkenswert ist auch, daß die ECE auf der Sondertagung gleichzeitig beschloß, die Vorschläge des ad hoc Komitees sofort zu implementieren und damit nicht bis zum Abschluß der gesamten Arbeit der ECOSOC-Sonderkommission zu warten. Was die ECE damit für ihren Bereich vorhat, kann in mancher Hinsicht als beispielhaft gelten: Vorgesehen ist u. a. die sog. sunset-clause, d. h. - die automatische Beendigung von Projekten nach 3 Jahren, ihre Verlängerung bedarf eines neuen Beschlusses; ferner: - für ein neues Projekt müssen die erforderlichen Ressourcen vorher vorhanden sein; - es muß sichergestellt sein, daß es keine parallelen Aktivitäten anderer VN-Organe gibt; - die Dokumentenflut wird eingeschränkt. Diese Beschlüsse konnten in der ECE wohl vor allem auch deshalb so zügig getroffen werden, weil die Mitglieder, die Staaten Ost- und West-

VN-Reformdiskussion aus deutscher Sicht

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europas, in Reformfragen eine vergleichsweise homogene Gruppe darstellen. Wenn man positive Reformergebnisse nennt, darf vor allem auch das, was der Generalsekretär in seinem eigenen Bereich getan hat, nicht unerwähnt bleiben. Perez de Cuellar hat in seinen Berichten von April und September 1987 zur Implementierung der Reformresolution 41 /213 im VN -Sekretariat 13 eine Reihe wichtiger struktureller, personeller und administrativer Maßnahmen dargestellt, die er bereits verwirklicht oder in Angriff genommen hat. Durch Zusammenlegung und Neugliederung von Arbeitseinheiten im politischen, wirtschaftlichen und informationspolitischen Teil des VN-Sekretariats und durch bessere Nutzung der Ressourcen im Konferenzbetrieb konnten erhebliche Kostenersparnisse bei gleichzeitigem Zugewinn an Effizienz erzielt werden. Auch hat der VN-Generalsekretär trotz vielfältiger Widerstände einen beachtlichen Anfang mit der vorgesehenen Verringerung des Personals gemacht. Innerhalb von drei Jahren soll, wie der Bericht der 18 vorsieht, der Personal bestand um 15 % reduziert werden. Die .Kopflastigkeit" der VN-Bürokratie soll durch eine 25prozentige Verringerung der obersten Ränge, Assistant Secretary General und Under Secretary General, beseitigt werden. Gerade solche personal-politischen Schritte fordern vom Generalsekretär ein hohes Maß an Energie, Mut, Durchsetzungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Hier kann es im Einzelfall auch für die Staaten, die, wie die Bundesrepublik Deutschland, den Generalsekretär bei dieser schwierigen Aufgabe unterstützen, durchaus zu Interessenkollisionen mit wichtigen eigenen personalpolitischen Zielen kommen.

Die Reformbemühungen vollziehen sich vor dem Hintergrund der tiefgreifendsten Finanzkrise in der Geschichte der Vereinten Nationen. V. Finanzkrise

Zum Jahresende 1987 ist die finanzielle Lage der Vereinten Nationen ernster denn je. Obwohl es dem Generalsekretär ähnlich wie schon 1986 durch seine Sparmaßnahmen gelang, nochmals rund 85 Mio. US-Dollar einzusparen, zeichnet sich bisher keine Lösung für den wahrscheinlichen Fall ab, daß die USA auch weiterhin nicht ihre vollen Beitragszahlungen leisten. Die Beitragszurückhaltung des mit 25 % größten Zahlers hätte die Vereinten Nationen rein rechnerisch schon seit dem 1.10.1987 zahlungsunfähig machen müssen. Es ist dem Sekretariat durch administrative Maßnahmen gelungen, diesen Zeitpunkt hinauszuschieben. 13

VN-Dokumente A/42/234, Ale. 5/42/2 Rev. 1.

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Peter Bazing

Die Vereinten Nationen leben wegen Zurückhaltung und verspäteter Zahlung von Beiträgen durch eine erhebliche Zahl von Ländern im Grunde schon seit Jahren mit einer latenten Finanzkrise. Bis einschließlich 1985 konnte die immer wieder drohende Illiquidität durch Inanspruchnahme von Reserven abgewendet werden. Die Organisation konnte auf den W orking Capital Fund und auf das Special Account zurückgreifen. Seit 1986 ist mit den ausbleibenden Zahlungen der Vereinigten Staaten die latente Krise akut geworden. Inzwischen sind alle Reserven aufgebraucht. Die Vereinten Nationen hatten am 30. September 1987 Beitragsaußenstände von 522 Mio. US-Dollar 14 bei einem Jahreshaushalt von insgesamt rund 800 Mio. US-Dollar. Von diesen Außenständen entfallen 353 Mio. US-Dollar auf die Vereinigten Staaten einschließlich des Beitrags für 1987. Der Auswärtige Ausschuß des amerikanischen Senats hat für den Haushalt 1988 für Beiträge zu allen internationalen Organisationen 571 Mio. USDollar vorgeschlagen; im Auswärtigen Ausschuß des Repräsentantenhauses liegt der Anschlag bei 373 Mio. US-Dollar. Der endgültige Haushaltsansatz wird im Vermittlungsausschuß (Conference Committee) ausgehandelt. Da der VN-Beitrag nur einen Teil dieser Gesamtsumme ausmacht, steht schon jetzt fest, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die vollen Beiträge für 1988 nicht werden zahlen können, von den aufgelaufenen Rückständen ganz zu schweigen. 15 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat einen Appell an die Mitgliedstaaten gerichtet, ihre Beiträge für 1988 so früh wie möglich zu zahlen, da sonst die Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen nicht mehr gesichert sei. Die Sorge, daß bei der üblichen Verzögerung der Beitragseingänge am Jahresbeginn eine zeitweise Illiquidität der VN eintreten kann, ist nicht unbegründet. Die Haushaltsgesetze der Bundesrepublik Deutschland erlauben keine Zahlungen vor Fälligkeit der entsprechenden Beträge. Der finanzielle Beitrag der Bundesrepublik zur Zahlungsfähigkeit der Vereinten Nationen besteht darin, die erste Rate des Beitrags zum frühestmöglichen Zeitpunkt - also gleich im Januar 1988 - zu zahlen. Die zweite Rate wird in der Regel gegen Ende der ersten Jahreshälfte gezahlt. Die Bundesrepublik Deutschland gehört damit regelmäßig zu den ca. 20 Mitgliedstaaten, die ihre Verpflichtungen frühzeitig und voll erfüllen. AngeSichts der besonderen Verantwortung der USA für die Bewältigung der Finanzkrise hat sich der Generalsekretär Anfang November 1987 in einem eindringlichen Schreiben an Präsident Reagan gewandt. Die Bundesrepublik hat gegenüber den USA sowohl auf bilateralen Wegen als auch im 14

IS

VN-Dokument Ale. 5/42/31. Zum inzwischen vorliegenden Ergebnis siehe Fußnote 1.

VN-Reformdiskussion aus deutscher Sicht

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Rahmen der Zwölfergemeinschaft in der letzten Zeit wiederholt ihre Sorgen dargelegt und auf volle Zahlung des VN-Beitrags gedrungen. In dieser Phase der Ungewißheit und der damit einhergehenden Schwächung der amerikanischen Stellung in der Weltorganisation hat die Sowjetunion neue und z. T. überraschende Schritte unternommen. Vizeaußenminister Petrowskij kündigte im Oktober 1987 an, daß die Sowjetunion alle beim regulären Beitrag noch bestehenden Zahlungsrückstände begleichen werde. 16 Dies ist dann auch geschehen. Die Sowjetunion, die am Ende des dritten Quartals 1987 ca. S2 Mio. US-Dollar Außenstände zu verzeichnen hatte, hat amt 14. Oktober 198742 Mio. US-Dollar bezahlt; die Differenz von 10 Mio. US-Dollar wurde nach einer auch früher schon geübten Praxis in nicht-konvertibler Rubel-Währung bezahlt. Darüber hinaus hat die Sowjetunion angekündigt, daß sie, verteilt auf die nächsten Jahre, auch die auf sie entfallenden Beiträge für die seit 1970 durchgeführten friedenserhaltenden Maßnahmen bezahlen werde. Es würde sich dabei immerhin um eine Summe von nicht ganz 200 Mio. Dollar handeln; dieser Betrag würde allerdings den truppenstellenden Staaten zugute kommen und keine Entlastung für den allgemeinen VN-Haushalt bringen. Die VN-politischen Auswirkungen dieser Gesten in der gegenwärtigen Situation liegen auf der Hand. Eine längere Fortdauer der amerikanischen Beitragszurückhaltungen müßte unter den gegebenen Umständen nicht nur das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der USA zutiefst schädigen, sondern auch die W eltorganisation selbst in den Strudel schwerer finanzieller und politischer Turbulenzen stürzen. Die begonnene Reformarbeit bliebe auf der Strecke. Niemand kann eine solche Entwicklung wünschen. Sie ginge einher mit einem kaum wiedergutzumachenden Verlust an Einfluß und Vertrauen für den Westen insgesamt. In den VN würden diese Veränderungen alsbald konkret sichtbar werden: Die westlichen Industrieländer einschließlich der Bundesrepublik Deutschland sähen ihre Position geschwächt. Die zeitliche, sachliche und politische Verknüpfung von Finanzkrise und Reformen gibt dem gegenwärtigen Abschnitt der Geschichte der VN besondere Bedeutung. Das VN-politische Engagement und die Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland, den Reformprozeß mitzugestalten, werden für die weitere Entwicklung eine erhebliche Rolle spielen. Es muß im Interesse aller Staaten liegen, daß die VN aus dieser kritischen Phase handlungsfähig und gekräftigt hervorgehen - die Aufgaben der Zukunft erfordern es. Wie werden die Reformbemühungen nun weitergehen? Eine verläßliche Prognose läßt sich heute noch nicht geben. Möglich ist, daß die Anstrengun16 Erklärung von Vizeaußenminister Petrowskij in einer Pressekonferenz in New York am 15. Oktober 1987.

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Peter Bazing

gen allmählich versanden oder zu rein formalen Pflichtübungen werden - mit praktischen Ergebnissen, die kaum über den jetzigen Stand hinausgehen. Möglich ist aber auch, daß die Reformarbeit trotz aller Schwierigkeiten Schritt für Schritt und entschlossen fortgeführt wird - mit befriedigenden konkreten Resultaten. Ob die erste oder zweite Alternative die größeren Chancen hat, das hängt einmal vom weiteren amerikanischen Beitragszahlungsverhalten ab, zum anderen aber auch von der Aktivität all der Staaten, die von der Notwendigkeit wirklicher Reformen überzeugt sind. Und es ist schließlich auch eine Frage des persönlichen Einsatzes des Generalsekretärs, der - ausgehend vom Sekretariatsbereich, für den er eigene Verantwortung trägt - weitere Anstöße zur Reformarbeit geben kann. Die Linie der Bundesrepublik Deutschland ist es, ihn dabei nach Kräften zu unterstützen, in der Überzeugung, daß die VN ein Mehr an Effizienz brauchen, denn nur dann können sie ihre Funktionsfähigkeit in einer sich immer rascher verändernden Welt behalten.

Diskussion zum Referat von Peter Bazing

WolfrUIn:

Haben Sie herzlichen Dank, Herr Bazing, für Ihr Referat und die Einführung, die Sie uns damit gleichzeitig von der gesamten Materie gegeben haben. Ob alle Teilnehmer mit dem Pessimismus, der in Ihren letzten Worten anklang, einverstanden sein werden, wird sich in der Diskussion zeigen. Zumindest werden wir im Verlauf der Tagung darüber zu reden haben, ob nicht doch Reformen auch unter den von Ihnen beschriebenen Gegebenheiten möglich sind. Nochmals herzlichen Dank. Wildhaber:

Ich danke Ihnen vielmals, Herr Botschafter, für Ihre Darstellung, die von großem Verantwortungsbewußtsein und Mäßigung getragen war, einer Mäßigung, die ich manchmal unserer eigenen Schweizer Diskussion auch wünschen würde. Sie haben ganz am Anfang gesagt, daß der Bertrand-Bericht darlege, es bestehe eigentlich eine Notwendigkeit, gleichsam an eine dritte Generation einer Weltorganisation zu denken. Wenn ich sagen darf, ist das viel zu hoch gegriffen. Ein schrittweises •trial and error" -Verfahren wird eventuell möglich sein, aber mehr nicht. Ich würde raten, den Gedanken einer Diskussion über eine dritte Generation nicht ernsthaft ins Auge zu fassen. Wenn ich versuchen darf, eine vielleicht allgemeine Deutung in die Geschehnisse zu bringen, so haben Sie angesetzt beiJI.en Finanzierungs-und bei Restrukturierungsfragen. Wenn man z. B. Thomas Francks UNO-Buch liest, so sieht man, daß im internationalen Beamtenrecht ähnliche Bewegungen bestehen. Was wir hier und anderswo vor uns haben, ist nämlich ein Versuch, das Vetorecht über den Bereich des Sicherheitrates hinaus in die Kompetenzen anderer Organe hineinzutragen. Das ist keine speziell neue Bewegung. Wir kennen gerade im finanziellen Bereich die Ausscherbewegungen von Vetornächten vom Gutachten .Certain Expenses· und den damaligen Stellungnahmen der Sowjetunion und Frankreichs her. Also haben wir im Moment einfach eine besondere Dramatisierung der Lage

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Diskussion

deswegen, weil die USA als stärkster Beitragszahler in spürbarem Ausmaß nicht mehr mitmacht. Das Austrittsrecht, das zum Teil gezielt - namentlich bei Spezialorganisationen - benutzt worden ist, ist ein zu grobschlächtiges Mittel. In verschiedenen Spezialorganisationen, namentlich der UNESCO und der ILO, ist das Austrittsrecht zwar als Mittel eingesetzt worden, um Einfluß zu nehmen durch Zurückhaltung von Zahlungen, Teilverweigerungen und gezielte Nachlässigkeiten. Aber eigentlich ist das Austrittsrecht ein .overkill". Es ist eine zu weitreichende Strategie. So gesehen kann man der Zurückhaltung von finanziellen Beiträgen sogar ein gewisses gemäßigtes Element abgewinnen. Denn sie ist eine gemäßigtere Strategie gegenüber den noch grobschlächtigeren, etwas paradox gesagt, eine Art Annäherungstheorie an die UNO-Charta. Aus dieser Sicht kann ich Ihnen vielleicht doch auch das Schweizer Verhalten näherbringen, das im März 1986 zum eindeutigen Abstimmungsergebnis im Verhältnis von etwa 3 : 1 gegen die UNO geführt hat. Wir haben dabei häufig über Souveränität und Neutralität gesprochen. Es ging jedoch gerade auch um den Zustand der UNO und um die Unlust ihr gegenüber. Es kann kaum die Politik der Schweizer Regierung sein, auf eine Verstärkung der UNO hinzuzielen. Dennoch verfolgt sie die Strategie der Verstärkung bei den Spezialorganisationen. Man kann dieses Verhalten paradox nennen. Aber die Verweigerung des übermäßigen politisierten Teils der UNO-Tätigkeit, die sich bei uns in einer Verweigerung des Mitwirkens an der UNO generell äußerte, überschnitt sich eben mit den Bestrebungen, die Organisation trotz allem im Interesse des Weltfriedens zu stärken und sie damit in einen Zustand zu bringen, wo sie wieder präsentabier und in einer Volksabstimmung akzeptabler würde. Realistisch gesehen ist in den nächsten zehn Jahren in der Schweiz mit einem Beitritt nicht zu rechnen. Ich habe mich bei der Abstimmung für einen UNO-Beitritt eingesetzt und bin mir bewußt, daß man Gefahr läuft, sich unglaubwürdig zu machen, wenn man allzu rasch beginnt, wieder von einem Beitritt zu sprechen. Auf der Regierungsebene werden Sie den geschilderten Gegenläufigkeiten gewiß auch wieder begegnen. Skubiszewski:

Eine Reise nach Kiel aus einem anderen Teil von Europa stellt für mich immer eine intellektuelle Herausforderung dar und bedeutet mir auch eine ganz persönliche Freude. Ich möchte mich für die Einladung ganz herzlich bedanken. Herr Botschafter Bazing ist von uns allen seines rationalen Berichtes wegen zu beglückwünschen. Wir finden eine Fülle von Suggestionen und Beobachtungen. Ich werde mich nur mit einem Thema Ihres Berichts, Herr

Diskussion

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Bazing, beschäftigen, nämlich mit dem wirtschaftlichen Sektor. Hierzu möchte ich anmerken, daß meiner Meinung nach die Kompetenzen der Organisation in diesem Sektor begrenzt sind, und - auch bezüglich einer Reform - werden sie so bleiben. Ich füge hinzu, diese Begrenzung geht nicht aus den Charta-Vorschriften hervor, sie ergibt sich in erster Linie aus den Befugnissen und besonders aus den Tätigkeiten des Währungsfonds der Weltbank und den anderen internationalen Institutionen mit finanzieller Ausrichtung. Diese bilden für die Vereinten Nationen eine reale Begrenzung der täglichen Tätigkeiten und Aktivitäten, zugleich auch die Begrenzung für eine Reform. Ich gebe zu, daß es die Vereinten Nationen waren, besonders die Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung, die UNCTAD, nicht die Organisation von Bretton Woods und auch nicht das allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, GATI, welche die weite Perspektive, die weite Vision der internationalen wirtschaftlichen Lage schufen, und darüber hinaus die Sondersituation der Dritten Welt mit einbezogen. Doch bis jetzt sind die Erfolge der Organisationen der Vereinten Nationen bezüglich der Verbindung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung gering. Wie wir wissen, blieben die drei Entwicklungsstrategien der Vereinten Nationen zum größten Teil ohne Resultat. Wie sind also, Herr Botschafter, die Chancen für die Zukunft? Sie persönlich waren ziemlich skeptisch. Wird die Organisation - das ist meine Frage an Sie, aber auch eine Frage an das ganze Symposium - ihre Arbeit an die Veränderung der Weltwirtschaftslage anpassen können? Ich denke besonders an die Universalität, die neue Universalität der Idee der Marktwirtschaft, auch in den Ländern des COMECON. Ich denke weiter an die Schuldenkrise. Nach Ansicht des ehemaligen stellvertretenden Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Herrn Philippe de Seynes, sei jetzt die Hauptaufgabe der Vereinten Nationen das Vorzeigen, das Vorbringen verschiedener ökonomischer Optionen und ihrer Folgen. Ist aber, frage ich, die Organisation auf eine solche politisch konzeptionelle Arbeit vorbereitet? Sie, Herr Botschafter Bazing, haben den Bertrand-Bericht erwähnt. Dieser Bericht formuliert - wie Sie sagten - einige organisatorische Richtlinien. Er sieht die Schaffung eines einzigen Weltforums für wirtschaftliche Angelegenheiten vor, nämlich eine Vereinigung des Wirtschaft- und Sozialrates mit der Konferenz für Handel und Entwicklung, auch einer Organisation des Wirtschaftssektors des Sekretariats. Das sind große Projekte, besonders aus juristischer Sicht. Dazu, Herr Botschafter, meine Frage: Denken Sie, daß solche Maßnahmen hilfreich sein könnten? Man denkt heute nach dem Bestehen der Vereinten Nationen von mehr als 40 Jahren eigentlich nicht an große Reformen, sondern an Anpassung und Transformierung an die in der Praxis erforderlichen Schritte. Ich bin sicher, im Laufe der weiteren Diskussion wird hierzu noch manches gesagt. Wenn ich Ihnen diese Frage stelle, die Frage nach den praktischen Möglichkeiten einer Reform, die uns der Ber3 UN·Reform

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Diskussion

trand-Bericht vorgelegt hat, dann abstrahiere ich natürlich von den rein rechtlichen Schwierigkeiten, die in der Struktur und in dem Verfassungsaufbau der Vereinten Nationen liegen. Ich danke Ihnen. Arnold:

Ich habe nur drei kurze Fragen an Herrn Bazing zur Politik der Bundesregierung. Sie haben etwa so formuliert, daß die Bundesregierung sich an der Reform aktiv beteiligt, in weitgehender Übereinstimmung oder in Kontakt mit den großen Beitragszahlern, daß sie aber nicht bereit ist, einen Preis zu zahlen für die Beitragsnachzahlungen der Vereinigten Staaten. Das heißt doch, daß wir einerseits mit den Vereinigten Staaten als dem größten Beitragszahler übereinstimmen, in anderen Punkten aber andererseits nicht übereinstimmen, denn sonst wäre das ja kein Preis. Meine Frage ist: Wo sind die Überlappungen, wo sind die Unterschiede, wo sehen wir die Probleme anders als unser größter Beitragszahler in den Vereinten Nationen? Zweite Frage: Wie wird die Reform innerhalb der europäischen politischen Zusammenarbeit behandelt, sofern sie überhaupt ein gewichtiges Thema, nicht nur ein Randthema für diese Zusammenarbeit ist? Sollte letzteres stimmen: Warum ist sie kein Hauptthema? Die dritte Frage zielt auf die Unter- und Sonderorganisationen. Die Sonderorganisationen sind dem Ruf, sich in ihren Bereichen aktiv an Reformbestrebungen zu beteiligen, bisher eigentlich nicht gefolgt, aus der verständlichen Befürchtung heraus, daß alles nur darin endet, daß sie letzten Endes weniger Personal und weniger Finanzmittel zur Durchführung ihrer operativen Aufgaben bekommen. Deswegen ist es wahrscheinlich kein Zufall, daß die einzige Unterorganisation, die ECE, die bisher - man kann fast sagen - beispielhaft vorangegangen ist, eine Organisation ist, die keine großen Programme macht, sondern nur Verhandlungen, also von diesen beiden Punkten Personal- und operative Mittel wenig betroffen ist. Meine Frage: Wie sieht die Bundesregierung im Blick auf die Sonderorganisationen die Reformbestrebungen, will sie etwas tun oder schwimmt sie mit ihrem Schiff, in welchem Geleitzug auch immer, und wie interpretieren Sie die Tatsache, daß innerhalb der ECE als der einzigen eindeutig auf Ost-WestBeziehungen und Europa ausgerichteten Unterorganisation diese sehr positive Reaktion gekommen ist?

Bazing: Ich möchte versuchen, mit den letzten Fragen anzufangen, um dann zu den anderen Punkten zu kommen und dabei zu den Fragen von Herrn Skubiszewski und Herrn Wildhaber überzugehen.

Diskussion

3S

Herr Arnold, zu Ihrer Frage 1: Was heißt Übereinstimmung mit den Partnern? Wie sehen wir die Haltung der USA, und was bedeutet der Satz, den Sie zitiert haben, daß wir nicht bereit sind, einen Preis für Reformen, in denen wir ja einen eigenen Wert sehen, an die Amerikaner zu bezahlen. Nun, es besteht grundsätzlich Übereinstimmung bei eigentlich allen Mitgliedern der VN, nicht nur bei den engeren Partnern - und wenn ich sage, engere Partner, dann gilt das natürlich vor allem für die Zwölfergemeinschaft -, daß die Beitragszurückhaltung nicht chartagemäß ist. Das ist ein Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, der als solcher nicht hingenommen werden kann und der auch - unter welchen Begründungen auch immer nicht ein Weg ist, den wir gutheißen können. Es ist eine ganz andere Frage, ob man der Meinung ist, in der politischen Wirklichkeit dieser Welt, wie sie nun mal beschaffen ist, haben diese Beitragszurückhaltungen einen Prozeß in Gang gesetzt, ich habe das ja versucht anzudeuten, der vielleicht sonst gar nicht in dieser Form - jedenfalls nicht so schnell - in Gang gekommen wäre. Wir können, glaube ich, alle der Meinung sein, daß in der Tat ohne diesen Finanzdruck und seine Verknüpfung mit Reformwünschen die Dinge nicht da wären, wo sie heute sind: die Resolution 411213wäre in dieser Form mit der Übernahme des Berichts der 18 vermutlich so nicht möglich gewesen. Aber davon zu trennen ist die rechtliche Einschätzung, daß ein nicht chartagemäßes Verhalten von uns nicht gut befunden werden kann, ganz gleich wer sich dieses Verhalten zu Schulden kommen läßt und unter welchen Gründen auch immer. Hier liegt also eine Grenze. Ich kann Ihnen sagen, daß diese Übereinstimmung, nach der Sie fragen, mit wichtigen Partnern z. B. ihren besonderen Ausdruck gefunden hat in der sog. Gen/er Gruppe. Ihnen ist die Genfer Gruppe wahrscheinlich ein Begriff. Sie ist ein informeller Zusammenschluß - das ist eigentlich schon zuviel -, ein Gremium der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Gesprächs der zwölf größten Beitragszahler der Vereinten Nationen, die sich periodisch mit der Frage befaßt: Was kann man tun, um Haushaltsdisziplin, um ein vernünftiges Finanzgebaren, eine vernünftige Verwaltung der vor allem von diesen Staaten geleisteten Beiträge sicherzustellen. Hier ist eines der Ergebnisse in den letzten Jahren das gewesen, daß kein Land, das zu dieser Gruppe gehört, bereit ist, ein Mehr an Belastung finanzieller Art auf sich zu nehmen, um in die Lücken einzutreten, die die Amerikaner mit ihrer Nichtzahlung entstehen lassen. Das ist eine ganz gerade und feste Linie, die bisher auch kompromißlos durchgehalten worden ist und die immer wieder neu getestet wird, wenn es bei der Haushaltsverabschiedung auch in den Sonderorganisationen darum geht: wo kommt nun das Geld her, in welcher Höhe kann überhaupt ein Haushalt verabschiedet werden? Da gibt es ja sehr unterschiedliche Praktiken. Es gibt einige Organisationen, die so tun, als ob das gesamte amerikanische Geld kommt und planen damit ihren Haushalt; hinterher kann man ja sehen, wie die Lücken gestopft werden. Es gibt auch 3 •

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den Versuch, etwas realistischer zu sein. Da gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, die auch in der Genfer Gruppe andiskutiert werden, ohne daß die Genfer Gruppe in diesen Dingen bindende Beschlüsse fassen kann, daß man also z. B. Eventualbudgets macht, die Projekte minderer Priorität enthalten, die erst dann in Angriff genommen werden können, wenn die unsicheren Forderungen, zu denen die amerikanischen Zahlungen gehören, eingehen. Das sind also Schritte, die in der Genfer Gruppe besprochen werden; aber ich will noch einmal zu Ihrer Frage betonen: Es ist zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft gewesen, daß die wichtigsten Beitragszahler nicht bereit sind, in Löcher, die durch amerikanische Nichtzahlung entstehen, eigenes Geld hineinzufüllen. Dies ist also die Grenze, die wir hier ganz klar ziehen, und wo wir in Übereinstimmung mit allen wichtigen Partnern sind. Die Amerikaner - das muß ich ehrlicherweise sagen - sind auch nie formell an uns herangetreten mit der Forderung: nun zahlt doch bitte ein bißchen mehr, bis wir wieder können. Das haben sie nicht getan. Dies ist die Übereinstimmung, von der ich sprach, und das ist auch der Hintergrund für den Satz, den ich in meinem Referat hatte. Zur Frage: Was macht die EPZ mit den Reformvorhaben? Die EPZ beschäftigt sich durchaus mit Fragen der VN-Reform. Ich will nicht sagen, daß es immer ein Hauptthema ist; dazu ist die Palette der EPZ-Themen zu groß. Es kann nur ein Thema unter mehreren sein. Aber ich habe auch ganz kurz angedeutet, daß gerade das, was in diesen Tagen in Washington passiert, eine Absprache ist, die im Zwölferkreis getroffen worden ist, nämlich eine Demarche der zwölf Botschafter zunächst beim State Department und dann gezielte Gespräche der einzelnen Botschafter im Kongreß. Letzteres ist eine bemerkenswerte Sache, und ich muß dazu sagen, daß sie auch nicht einfach so von den zwölfen beschlossen worden ist, sondern daß wir hier die Amerikaner gefragt haben, ob sie denn glauben, daß eine solche Aktion hilfreich sei für ihre eigenen Bemühungen, den Kongreß zu vollen Zahlungen zu bewegen. Es hat natürlich keinen Zweck, daß man im Übereifer politische Aktionen unternimmt, die die Sache ins Gegenteil verkehren. Im Gegensatz zu dem, was noch im Frühjahr etwa Alan Keyes, der damalige Leiter der amerikanischen VN-Abteilung, uns in Genf in der Genfer Gruppe erzählt hat, haben die Amerikaner jetzt gesagt, sie würden eine solche Demarche der zwölf und eine solche Anstrengung, auch individuell Senatoren und Abgeordnete anzusprechen, begrüßen. Also Keyes hat damals gesagt, dies käme überhaupt nicht in Frage, und er könne nur dringend davor warnen, daß die Mitgliedstaaten der Genfer Gruppe hier etwa auf dem Capitol herumliefen, um nun ihre eigenen Gesichtspunkte anzusprechen. Dies sei in dem jetzigen Stadium, in dem man sei, eine Sache der Administration, die am ehesten den Kongreß überzeugen könne, wieder zu vollen Zahlungen überzugehen. Also das hat sich geändert, und die Antwort auf Ihre Frage

Diskussion

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lautet: Ja, die EPZ beschäftigt sich damit und sie trifft auch konkrete Entscheidungen dieser Art, wie das Beispiel zeigt, das ich gerade genannt habe. Die dritte Frage war: Wie sehen wir die Sonderorganisationen und ihren Reformbeitrag? Wir sind immer der Meinung gewesen, daß auch die Sonderorganisationen ihren Beitrag dazu leisten sollen. Auch dazu hat die Genfer Gruppe sich Gedanken gemacht und hat versucht, in der informellen Weise, die ihr möglich ist, Anstöße in dieser Richtung zu geben und die Sonderorganisationen zu ermutigen, hier in ihrem jeweiligen Bereich Vorstellungen zu entwickeln, wo und wie sie die Reformen voranbringen können. Dies hat noch nicht zu sehr viel geführt. Ich möchte hinzusetzen, daß es für jede einzelne Sonderorganisation - soweit sie in Genf sitzt - und auch für die UNESCO in Paris und für die FAO in Rom Genfer Gruppen gibt, die heißen auch in Paris Genfer Gruppe, und sie heißen auch in Rom Genfer Gruppe. Diese Genfer Gruppen können dort - und tun das auch - selber versuchen, initiativ zu werden, um zu Reformvorstellungen zu kommen, die auf die entsprechende Sonderorganisation Anwendung finden können. Bei diesem ganzen Prozeß ist jedoch noch eine skeptische Note geboten, dies ist alles noch nicht sehr weit gediehen. Die ECE haben Sie angeführt - ich habe sie ja auch erwähnt als ein leuchtendes Beispiel -, die ECE hat bessere Fortschritte machen können - aus dem Grund, den Sie schon nannten -, sie ist nicht eine Organisation, die Projekte durchführt, sondern sie stellt einen Kooperations-, einen Abstimmungsapparat dar. Aber Reformvorstellungen konnten in der ECE auch deshalb so zügig verabschiedet werden, weil eben in der Mitgliedschaft ein erhöhtes Maß an Übereinstimmung zu den Reformfragen vorhanden war. Ein Gremium, in dem nur Ost- und Westeuropäer zusammensitzen, kann sich in diesen Dingen schneller einigen als ein solches Gremium, in der auch alle verschiedenen Gruppierungen der Drittweltstaaten vertreten sind. Ich habe an anderer Stelle, glaube ich, schon kurz einfließen lassen, daß in dem gesamten bisherigen Reformprozeß, auch als es darum ging, wie die Resolution 41/213 entstehen und verabschiedet werden kann, ein beachtliches Maß an Zusammenarbeit, an Kontakten und an konstruktivem Zusammenwirken mit den osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion zu verzeichnen war. Das sollte man auch festhalten. Hier gibt es Interessenparallelitäten, die auch für die zukünftige Reformarbeit ihre Bedeutung haben können. Ich darf vielleicht noch kurz auf die anderen Fragen eingehen. Herr Skubiszewski, Sie haben gefragt, wie kann es weitergehen im wirtschaftlichen Bereich, und haben gemeint, man müsse dies mit einer gewissen Skepsis sehen. Sie haben aus meinen Worten eine gewisse Skepsis herausgehört. Ich muß Ihnen sagen, daß gerade der Wirtschafts bereich nur im formalen Sinne in meinem Arbeitsbereich liegt. Die inhaltlichen Aufgaben sind davon organisatorisch getrennt, so daß ich nicht in der Lage bin, hier

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sozusagen ins Eingemachte zu gehen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß eine Möglichkeit, die Arbeit zu versachlichen, Reformen langfristig voranzubringen und gerade in diesem wichtigen Bereich zu einer verbesserten Sacharbeit im VN-System zu kommen, darin läge, daß man versucht, etwas zu vermeiden, was wie eine Krankheit durch viele Gremien hindurchgeht, nämlich die Politisierung, die Belastung der Organisation und ihrer Arbeit mit sachfremden Themen. Wenn Sie dieses bekämpfen könnten, wenn Sie hier einmal dazu beitragen könnten, daß eben nicht in der Weltgesundheitsorganisation - ich sage nun ein Beispiel, das stimmt vielleicht auch so gar nicht - Abrüstungsresolutionen gefaßt werden oder daß in der ILO zu ganz bestimmten, allgemeinen Aspekten der Verschuldungsproblematik Resolutionen fabriziert werden, dann würden Sie einen ganzen Schritt weiter sein. Genauso wie man einen Schritt weiter sein würde, wenn man etwa vermeiden könnte, daß z. B. in der IAEO nun große Attacken gegen israelische oder südafrikanische oder andere Staaten geritten werden. Das beeinträchtigt die Sacharbeit und trägt zu einem von unS und anderen nicht geschätzten Eindruck bei, hier beschäftigten sich Organisationen mit Dingen, zu denen sie überhaupt nicht berufen sind und verschwenden damit Ressourcen, Kräfte und Zeit. Also, ich glaube, hier wäre ein ganz wesentlicher Reformweg, wenn man sich darauf einigen könnte, diese Dinge stärker zu eliminieren, aber Sie stoßen hier natürlich sofort wieder auf die unterschiedliche Interessenlage, die ich ja auch versucht habe, in meinem Referat anzudeuten; wie weit Sie die überwinden können, ist wiederum nicht eine Frage der großen, schönen Überschrift, die Sie einer Arbeit geben können, sondern der sehr konkreten Auseinandersetzung mit spezifischen Interessen der Mitgliedstaaten, und ich glaube, wir kommen in der Sache nur soweit, wie eben wirklich auch die Einsicht der individuellen Regierungen und Mitgliedstaaten in diese Richtung reichen. Herr Wildhaber, Sie sprachen von der Schweizer Erfahrung und der Schweizer Haltung und haben Ihre Erwartung ausgedrückt, daß doch wohl nach dem Referendum und seinem Ergebnis in den nächsten zehn Jahren ein neuer Anlauf voraussichtlich nicht zu erwarten sei. Ich teile diese Einschätzung auch deswegen, weil ich seit langem befreundet bin mit dem neuen schweizerischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, der die Beobachtermission Ihres Landes dort leitet, Herr Cheneau. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen?

Wildhaber: Ja, er ist ein Freund von mir!

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Bazing:

Er ist dadurch bekannt geworden, daß er im Vorfeld des Referendums entgegen den meisten seiner Kollegen eine kritische Tonlage angeschlagen hat. Während die meisten Angehörigen des eidgenössischen Departments sich für einen Beitritt aussprachen, hat er in Artikeln und Beiträgen gesagt, er sei nicht davon überzeugt, daß dies ein Schritt sei, den die Schweiz außenpolitisch vornehmen sollte. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, daß er in einem Gespräch vor einigen Wochen - er wohnt noch nicht sehr lange in New York - erklärte, daß er seine bisherigen New Yorker Erfahrungen eigentlich nur dahin zusammenfassen könne, daß er sich in seiner Skepsis voll bestätigt sehe. Ganz sicher wird dieses Thema so schnell nicht wieder aufgenommen werden können. Umgekehrt glaube ich aber doch, daß die Schweiz mit ihrer eigenen Haltung hier auch die Entwicklung mitbegleitet, die die Vereinten Nationen nun realiter nehmen werden und meine, daß die Perspektiven, die die Vereinten Nationen im Laufe der kommenden Jahre bieten werden, immer wieder neu, auch für die Schweiz, Anlaß bieten könnten, die eigene Haltung zu durchdenken. Ich glaube, daß unter veränderten Voraussetzungen, vielleicht wenn es gelingt, die Effizienz zu steigern, und wenn es gelingt, falsche Politisierungen stärker in den Griff zu bekommen, auch in der Schweiz ein etwas aussichtsreicherer Versuch gestartet werden könnte, die eigene Stellung zu den VN neu zu definieren. Ich will zunächst hier aufhören und die Diskussion weiter ihrem Lauf überlassen.

Delbrück:

Ja, ich möchte, daß der folgende Punkt nicht untergeht, er ist mir sehr wichtig: Sie haben darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Verein mit einigen anderen Staaten gegenüber den USA die Rechtswidrigkeit der Beitragszurückhaltungen hervorgehoben hat. Ist dies Ihrer Ansicht nach überhaupt noch ein Vorwurf, den man gegenüber der amerikanischen Regierung oder gegenüber dem Kongreß heute erheben kann, wenn man gleichzeitig sieht, von welchem Umfeld diese Regierung und dieser Kongreß im Bereich der völkerrechtlichen Wissenschaft umgeben ist? Mir fällt dabei ein, daß mir gerade vor kurzem in zynischer Weise vorgeworfen wurde, daß mit dem Hinweis auf rechtswidriges Handeln einer internationalen Organisation - in diesem Fall der EG - ein .stupider Konstitutionalismus" betrieben würde. Ist es nicht so, daß bei verschiedenen Völkerrechtlern in den Vereinigten Staaten - in Yale und anderswo, auch dies habe ich bei verschiedenen Konferenzen der letzten Jahre drüben erlebt - der Eindruck entsteht, wir Europäer, insbesondere die Deutschen, hingen einem Legalis-

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mus an, der völlig unangemessen sei. Ob rechtmäßig oder nicht, sei doch eine relative Frage, denn es ginge eigentlich doch darum, z. B. hier die Vereinten Nationen sozusagen auf ihren satzungsmäßigen Auftrag hinzutreiben. Nur unter dieser Prämisse könne man richtig argumentieren, und von daher sei das .legalistische" Vorgehen im Grunde ganz fruchtlos. Ist es unter dieser Voraussetzung dann eigentlich noch produktiv, wenn wir diese Karte des .Legalismus" spielen? Ich stimme in der Sache mit Ihnen überein, natürlich ist die Beitragsverweigerung rechtswidrig; nur sehe ich auch die Kluft, die da zwischen uns und den USA aufgebrochen ist, und zwar sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Ich würde ganz gern Ihre Einschätzung dazu hören. Vielleicht stellt dies ja auch nur ein vorübergehendes Phänomen dar, zumindest was das State Department angeht und einige Teile im Kongreß. Aber ich habe doch grundsätzlich das Gefühl, daß wir eine ganz andere Sprache sprechen, und das kann uns große Probleme bringen. Bazing:

Dazu kann ich aus der praktischen Erfahrung folgendes sagen: Ich war selber eine Reihe von Jahren in Washington in unserer Botschaft tätig, allerdings in einer Zeit, in der die Krise noch nicht ausgebrochen war, und die Amerikaner noch voll bezahlt haben. Schwierige Dinge haben wir bei den Amerikanern immer sehr offen und direkt angesprochen. Auch sprachen wir sie dieses Mal genau auf der Linie an, die ich gerade dargelegt habe, daß es nämlich in der Tat nicht den Regeln entspreche und nicht chartagemäß sei, Zahlungen, zu denen man verpflichtet sei, einfach nicht zu leisten. Und wir haben gesagt, daß die Vereinten Nationen ja eigentlich gerade die Form der Zusammenarbeit weltweit sind, in der das Rechtliche als das Verläßliche seinen Ausdruck finden muß. Anderenfalls können wir auch von anderen Staaten nicht verlangen, sie müßten sich chartamäßig verhalten. Ob das nun der Iran ist oder irgendein anderer Staat. Wenn große, bedeutende Mitglied~taaten, die durch die Höhe ihres Beitrages besondere Verantwortung tragen, sich ihrer Verantwortung mit Gründen entziehen, die jedenfalls keine rechtlichen sind, wie sieht dann die Zukunft der VN aus? Allerdings haben wir auch angedeutet, daß es auf der politischen Ebene durchaus Überlegungen gibt, die auch wir teilen. Auch wir wollen eine aktionsfähige, eine handlungsfähige, eine effizientere Organisation haben. Es ist allerdings die Frage, ob man sie partout auf diese Weise erzeugen soll. Wichtige Schritte in Richtung Reformen ist die Staatengemeinschaft bereits gegangen. Sie sind keineswegs zu Ende, aber ein wichtiger Anfang ist bereits getan. Kommen nun die Amerikaner mit der vollen Zahlung zurück? Und hier ist nun der entscheidende Punkt: Wenn wir im Dezember feststellen

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müssen, es wird nur wieder ein kleiner Teilbeitrag geleistet, geraten die Vereinten Nationen in eine sehr ernste Finanzkrise. Darüber hinaus werden wir bei einer Vielzahl von Staaten die Reaktion haben, 'wofür wollen wir diese Anstrengungen denn eigentlich unternehmen?' Die Einsicht, von der ich sagte, daß sie eigentlich die gemeinsame Plattform in den VN bilden sollte, daß alle Staaten dieser Welt ein effizienteres System wünschen, ist keineswegs Allgemeingut, und zwar aus den Gründen, die ich auch versucht habe anzudeuten, als ich über die Interessenlage der Dritten Welt referierte. Ich glaube, daß wir hier zu den Amerikanern keine ernste Kluft haben. Allerdings sagen wir, ihr müßt aufpassen, die Methode, die ihr anwendet und die ihr offenbar weiter anwendet - jetzt ein bißchen gegen den Willen der Administration, am Anfang war es durchaus mit dem Willen der Administration - wird uns nicht weiterhelfen, sondern im Gegenteil zurückwerfen. Andererseits sind wir aber politisch mit den Amerikanern durchaus der Meinung, daß energische Versuche unternommen werden müssen, um das System zu reformieren. Es ist beides sehr offen angesprochen worden, beides schließt sich nicht aus und führt auch nicht zu politischer Verstimmung, sondern gehört zu dem Dialog, den wir mit unserem wichtigsten Partner über diese Fragen führen. Zemanek:

Während ich gestern hierhergeflogen bin, habe ich in der .International Herald Tribune" eine interessante Nachricht gelesen: Die Botschafter der Staaten, die Kontingente zur US-Friedenstruppe im Südlibanon stellen, also zu jener Truppe, die auf Wunsch der Vereinigten Staaten aufgestellt worden ist, haben eine Kollektivdemarche im amerikanischen State Department gemacht, weil die Amerikaner auch die Beiträge zu dieser friedenserhaltenden Operation nicht voll bezahlen. Und darauf hat der zuständige Assistant Secretary of State offiziell geantwortet, sie mögen selbst als Lobbyisten zu Senat und Repräsentantenhaus gehen. Also das, was sie angedeutet haben, das die Zwölf machen wollen, wurde ganz offiziell vorgeschlagen. Was zu dem Kommentar eines ungenannten Botschafters geführt hat: andere Staaten verwahrten sich dagegen, daß ausländische Botschafter sich in innere Angelegenheiten des Empfangsstaates einmischten, hier würde man gerade dazu aufgefordert. Ich glaube wirklich, daß das die Grenzen des Vertretbaren sprengt. So sahen das auch sehr viele Botschafter. Sie empfanden es als eine eher demütigende Aufforderung, um jenes Geld bitten zu gehen, zu dessen Zahlung die USA völkerrechtlich verpflichtet sind. Eine Bemerkung zum Bertrand-Bericht: Ich kenne Maurice Bertrand sehr gut und habe oft Gelegenheit gehabt, mit ihm privat seine Ideen zu besprechen. Das Problem seines Berichtes liegt darin: Er verlangt eine Sat-

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zungsänderung, die unmöglich ist. Das zeigen die Diskussionen in den ganzen Jahren, in denen es ein Komitee zur Revision der Satzung gibt, und zwar aus einem einfachen Grund: Im Rahmen einer Satzungsänderung würde die Mehrheit die Beseitigung des Vetorechts im Sicherheitsrat verlangen. Daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates dem zustimmen, ist nicht wahrscheinlich, ihre Zustimmung wäre aber für das Wirksamwerden der Satzungsänderung notwendig. Wie immer man zum BertrandBericht steht, seine Realisierung halte ich jedenfalls mittelfristig oder in überschaubarer Frist für unmöglich. Sie haben das Beispiel ECE erwähnt, zu dem ich noch etwas beitragen möchte, weil es gerade in bezug auf die Reform von Bedeutung ist. Es spielt eine große Rolle, daß der gegenwärtige Generalsekretär der ECE ein erfahrener Diplomat und Administrator ist, nämlich der ehemalige Generalsekretär des österreichischen Außenministeriums, der vorher Botschafter in Moskau und noch davor Botschaftsrat in Washington gewesen war. Und das berührt das Problem der Personalpolitik der Vereinten Nationen. Es ist sicherlich so, daß ein erfahrener Administrator und Diplomat imstande wäre, von seiten des Sekretariats Sachentscheidungen zu beeinflussen. Tatsächlich hat man in derartigen Führungspositionen der VN aber oft Leute, die einfach dorthin geschickt werden, weil das Gehalt im Verhältnis zu den Bezügen im eigenen Land eine Steigerung bedeutet oder weil sie zu Hause nicht mehr erwünscht sind. So verhielt es sich beispielsweise auch mit dem gegenwärtigen Generalsekretär Perez de Cuellar, der ursprünglich als Undersecretary General nach New York geschickt wurde, weil die peruanische Regierung ihn nicht mehr im diplomatischen Dienst verwenden wollte. Da stellt sich die Frage, ob mit einem solchen System immer die geeignetsten Leute an die wichtigsten Führungspositionen gelangen. Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt etwas sagen. Einer der Vorwürfe betrifft die ungeheure Flut von Resolutionen, von denen viele repetitiv sind, ohne daß sich etwas ändert, die seit zehn, manchmal seit 20 Jahren immer wieder beschlossen werden. Es gibt allein im Abrüstungsbereich jedes Jahr ungefähr 10 bis 15 Resolutionen, die dann in einer zusammengefaßt werden, um die Zahl zu verschleiern, weil die Resolution dann nur mehr eine Nummer hat, aber oft bis zum Buchstaben N Untergruppen aufweist, von denen jede mehrere Seiten lang ist. Und das in einem Bereich, in dem die Vereinten Nationen praktisch keine Wirkungsmöglichkeit haben. Im Jahr 1985 hat das Asian-African Legal Consultative Committee eine Studie gemacht, die in der Generalversammlung zirkuliert wurde (A/401 726) und aus der ich ein Stückchen zitieren darf. Da heißt es: .Some improvement in that direction may weIl be achieved through creating conditions in which states have sufficient opportunity to appraise themselves of and to evaluate those resolutions which they are called upon to implement.

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To this end the first step might be to reduce the number of resolutions to be adopted at each session by confining them to the issues where recommendations are to be made and on which the states are called upon to act, and secondly, by avoidance of repetitive resolutions on the same suject matter ...• Wir wissen, daß der 18er Bericht diesen Gedanken aufgegriffen hat, und Sie finden in der Recommendation 3, Buchstabe (f), den Satz: .Efforts should be made to reduce the number of resolutions adopted by the General Assembly." Was aber hat 1986 das 5. Komitee, das diesen 18er Bericht zu bewerten hatte, daraus gemacht? Sein Kommentar lautet: •With regard to recommendation 3 (f), the Fifth Committee reiterated the right of Member States to present resolutions which they see m necessary.· Nun können sie sagen, es sei kein Unglück passiert; aber ein negativer psychologischer Effekt ist da. Das möchte ich durch eine persönliche Erinnerung exemplifizieren. Ich bin letztes Jahr in New York direkt vom Flugzeug in eine westliche Gruppensitzung gegangen, die über die Haltung zu einem vorgeschlagenen Resolutionstext beriet. Plötzlich kam vom Verantwortlichen der Gruppe, der die Verhandlungen mit den anderen Gruppen führte, der folgende bemerkenswerte Satz: .Dieser Text schafft keine Probleme, denn er ist genau derselbe wie im vorigen Jahr." Auf meine Frage, ob man nicht sehe, daß das das Todesurteil für die Organisation sei, denn das hieße, daß sie total stagniere, bekam ich zur Antwort, daß das allgemein so sei. Man sei eben in einer Phase, wo alle glücklich seien, wenn zu den Resolutionen vom letzten Jahr nichts Neues dazu käme. Wenn man darüber nachdenkt, ist es gar nicht so komisch wie es scheint, denn die repetitiven Resolutionen sind nicht nur die Schuld der .anderen". Wären wir bei den repetitiven Menschenrechts- oder Afghanistanresolutionen bereit zu verzichten? Ich fürchte, der Wunsch nach Verminderung beruht auf der Meinung, die überflüssigen Resolutionen seien immer die der anderen. Einen Konsensus über Bereiche, in denen die bloß formelle Bestätigung früherer Resolutionen von den Interessenten als ausreichend empfunden würde, halte ich für nicht erzielbar. Genausowenig, wie eine Verkürzung oder gar Abschaffung der Reden zu erreichen ist. Ich habe die Frage gestellt: Wäre es nicht gescheiter, wir alle blieben zu Hause und diese Texte würden verteilt? Wir würden sie in Ruhe, mit den Füßen auf dem Tisch oder am Kamin sitzend lesen können, anstatt dazusitzen und sie uns in einer fremden Sprache simultan gedolmetscht anhören zu müssen. Das ist auch nicht durchführbar. Natürlich besteht jeder darauf zu reden, obwohl er weiß, daß ihm niemand zuhört und die anderen Delegierten nachher den Text verlangen, um ihn zu Hause zu lesen, soweit er überhaupt gelesen wird. Ich fürchte, man darf sich keine Illusionen machen: Hier bestehen fest eingefahrene Traditionen, von denen wegzukommen, wenn überhaupt, nur sehr schwer möglich ist.

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Bazing:

Nur kurz ein Wort dazu, Herr Zemanek. Sie haben, glaube ich, allen, die mit diesen Dingen zu tun haben, aus dem Herzen gesprochen; Sie haben Mißstände genannt, die wir gern vermieden sehen wollen. Die Sache liegt aber in der Tat - und einige Gesichtspunkte haben Sie angedeutet -komplizierter in der realen politischen Welt. Nicht nur, weil die überflüssigen Resolutionen dann die der anderen sind, auch das ist richtig, sondern weil in der politischen Welt, wie sie nun mal funktioniert, das Nichtsagen, das Sich-nicht-äußern zu einer bestimmten Thematik, eine bestimmte politische Wirkung hat. Sie brauchen gar nicht bei den Resolutionen stehenzubleiben, die sind pars pro toto. Ich habe mich lange genug mit dem Redenschreiben beschäfti gen müssen und kann Ihnen aus leidvoller Erfahrung, nicht nur für UNOReden, sondern für alle möglichen anderen Reden, sagen, daß der Versuch, hier Dinge zu straffen, bestimmte Dinge, weil sie ja nun schon oft gesagt worden sind, sei es zu Nahost, sei es zur Apartheid - ich nenne nur diese Beispiele -, sei es zu einer Lösung in Zentralamerika, einmal ungesagt zu lassen, daß dieser Versuch zumeist mißglückt ist. Da stoßen sie jedesmal auf die Meinung aller professionellen Außenpolitiker, die das im politischen Raum zu vertreten haben, daß dies überhaupt nicht in Frage kommen könne, denn das Weglassen einer solchen Wendung, in der bekräftigt und bestätigt wird, daß dieses unsere Haltung sei, würde als Hinweis auf eine geänderte Politik verstanden werden. So schaffen Sie hier durch das Nichtsagen, durch das Weglassen, und dasselbe gilt dann für die Resolutionen, eine politische Interpretationsmöglichkeit, die diejenigen, die die Resolutionen einbringen, vermeiden möchten. Und so kriegen sie die Resolutionen wieder. Dies ist die politische Realität; wir können dies betrauern, aber wir werden es nicht ändern. Gleichwohl gibt es einzelne Beispiele, die gelegentlich von Einsicht zeugen. So haben wir z. B. in der jetzigen Generalversammlung mit großer Zufriedenheit festgestellt, daß die Resolution zum israelischen Angriff auf den irakisehen Atommeiler, der, glaube ich, 1979 oder 1980 geschah und seither in jedem Jahr zu einer Resoluti~m der Generalversammlung führte, inzwischen tatsächlich nicht noch einmal repetiert worden ist. Hüfner:

Herr Vorsitzender, ich will versuchen, mich kurz zu fassen. Herr Bazing, zur ECE würde ich sagen, die Sparmaßnahmen kann man sehr positiv aufnehmen, wie Sie es auch getan haben. Man kann es aber auch ganz einfach erklären: sie steht .auf der Abschußliste" im Hinblick auf die Weiterfinanzierung durch die UNO. Das ist sicher ein wichtiger Grund, warum die

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ECE bemüht ist, ihre eigenen Kosten zu reduzieren, um weiterhin fremdfinanziert zu werden und nicht über ihre Mitglieder. Langfristig weiß ich gar nicht, ob wir glücklich sein sollen; denn eigentlich - die Bertrandschen Vorstellungen weiterentwickelnd - wäre ja die ECE die ideale Organisation eines europäischen Regionalismus, der über die Dachfunktion von RGW und EG hinaus nun noch stärker integrative Funktionen übernehmen sollte. Das wäre zumindest der funktionalistische Ansatz von Bertrand, und wenn wir schon mehr auf der technisch-administrativen Ebene sparen, dann sind die Hoffnungen gar nicht mehr so groß, daß eine der Grundideen von Bertrand weiterentwickelt wird. Den zweiten Punkt, den ich nennen wollte: Ich habe nicht ganz den Satz verstanden, der da lautete: .Nicht Kosten einsparen, sondern Effizienz erhöhen." Das kann man sehr vielfältig als Kosten-Nutzen-Relation interpretieren. Nicht eigene Kosten, sprich Mitgliedsbeiträge, sparen, sondern Effizienz der VN erhöhen; nicht Kosten der Vereinten Nationen erhöhen, sondern Effizienz der Vereinten Nationen - wir haben ja zig Kombinationsmöglichkeiten hier, je nachdem, wer als Kosten- und/oder Nutzenträger bei den VN und ihren 159 Mitgliedern gemeint ist -, mein Problem ist hier konkret, ob Sie den einen Teil auf die Bundesrepublik Deutschland, den anderen auf die VN oder beides jeweils sowohl auf die Bundesrepublik Deutschland als auch auf die VN beziehen. Der dritte Punkt, den ich nennen wollte, bezieht sich auf die Diskussion, die wir hier schon hatten, das war die Frage, ob es sich nur um einen deutschen Legalismus handelt, wenn wir sagen, bei der Nichtbeitragszahlung handelt es sich um eine Verletzung der Charta-Pflichten. Zunächst einmal muß betont werden, es war nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern es war die EG insgesamt, vertreten durch den britischen Vertreter, der ziemlich deutlich gesagt hat, daß dies eine Verletzung der Chartabestimmungen bedeuten würde. Sowohl er als auch die EG insgesamt fanden sich bisher in dieser äußerst angenehmen politischen Situation, dabei nicht nur die USA, sondern auch die UdSSR zu meinen. Dies fällt nun nach dem Versprechen der Sowjetunion weg, und jetzt tut es weh. Es passiert zunächst politisch das, was Sie bereits erkannt haben, Herr Delbrück, daß wir das entweder nicht mehr so laut sagen können oder aber, daß wir zumindest innerhalb der westlichen Gruppe demnächst Probleme haben können, wenn wir dies zu deutlich sagen. Herr Zemanek, Sie haben völlig recht in Ihrer Einschätzung, daß es unrealistisch ist, jetzt von Veränderungen der Charta auszugehen, und die Versuche dieser Art, welche die VN-Gesellschaft der USA vorgelegt hat, die im Grunde genommen eine Fortführung oder eine westliche Operationalisierung bestimmter Ideen von Bertrand sind, der auch im wahrsten Sinne des Wortes dahintersteckt, diese Versuche gehen davon aus, daß die Charta

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nicht geändert werden kann. Sie haben eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet über die Neukonstituierung von ECOSOC etc., die wir später noch einmal ausführlich diskutieren wollen. Ich will sie jetzt nicht im einzelnen nennen, nur möchte ich darauf hinweisen, daß diese Kritik am ECOSOC uns natürlich auch zu einer entsprechenden Selbstkritik führen sollte; denn wir waren es ja - wir, d. h. die westlichen Staaten -, die den ECOSOC Anfang der 60er Jahre mit entmachtet haben, u. a. durch die OECD-Gründung und die damit verbundene Verlagerung der Politik gegenüber den neu entstehenden Staaten der Dritten Welt aus den VN heraus, worüber Dag Hammarskjöld sehr böse und enttäuscht war. Wir waren es auch, welche die Idee von Dag Hammerskjöld damals nicht geteilt haben, daß dieser ECOSOC mindestens einmal im Jahr als High-Ievel-, zumindest aber als Ministeriallevel-Treffen tagen und die Wirtschaftsminister und Außenminister zusammenbringen sollte. Bertrands Idee ist insofern nicht neu. Das alles war damals vorgesehen, nur wollte der Westen es nicht. Einen Punkt noch zum Schluß: Ich persönlich hasse die Begriffe .Politisierung" und .Effizienz·. Ich bin der Ansicht, wir sollten sie überhaupt nicht mehr verwenden; sie sind so mißbraucht und gleichzeitig so leerformelhaft, wie wir in anderen Zusammenhängen gesehen haben, daß sie eigentlich in der Diskussion überhaupt nicht weiterhelfen; denn das, was Herr Zemanek über die Resolutionen sagte, betrifft ja auch die Politisierung. Sie haben ein paar Beispiele gebracht, was wir als Politisierung empfinden. Wir beteiligen uns genauso an der Politisierung, und die andere Seite kann ebenso viele schöne Beispiele nennen. Deswegen sollten wir das Ganze lassen. Diese Organisationen sind politisch und bleiben es, solange es Staaten- bzw. Regierungsorganisationen sind. Sie sagten zum Schluß Ihrer Ausführungen, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Stärkung der Vereinten Nationen wünscht. Darüber sind wir uns auch wieder alle einig, aber: welche Stärkung, und wohin soll es gehen? Solange diese Diskussion jetzt nicht inhaltlich ausgefüllt wird, bleiben diese Argumente unglaubhaft. Denn Stärkung wünschen alle, die in der UNO sind, so behaupten sie es jedenfalls. Nur, was die einen als Stärkung wünschen, empfinden die anderen als Schwächung, etc. Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik Deutschland ein kleines Signal setzen würde über das, was Sie gesagt haben, nämlich zu den ersten 20 zu gehören, die ihren vollen Beitrag bezahlt haben und darüber hinaus die Regeln der Vereinten Nationen erfüllen würden, in den ersten 30 Tagen nach der Notifikation ihren Beitrag vollständig zu bezahlen. Das haben immerhin 16 Staaten im vergangenen Jahr geschafft. Danke.

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Klein:

Herr Vorsitzender, Sie werden verstehen, daß ich einen großen Bogen um die Thematik meines heute nachmittäglichen Referates mache. Deswegen möchte ich mit nur wenigen Bemerkungen noch einmal auf den BertrandBericht eingehen und dabei nur ganz wenige Aspekte - zwei nämlich herausgreifen. Die Lektüre dieses Berichtes ist ja absolut faszinierend - auch wenn vielleicht nicht alles neu ist, was da geschrieben steht. Aber die Zusammenschau, die dieser Bericht bietet, ist bedeutend, und jedenfalls für mich kann ich sagen, daß ich eigentlich noch nichts Besseres und Konstruktiveres über das UN-System gelesen habe. Zwei Dinge möchte ich nennen, die mich besonders angesprochen haben und mir zu denken geben. Das erste betrifft den Bereich, für den die Vereinten Nationen ja zunächst einmal vor allem gegründet worden sind, den Bereich der Friedenssicherung. Insoweit wird von Bertrand geltend gemacht, daß man sich an überalterte, überlieferte Vorbilder zu stark angehängt, im Grunde sich im Hinblick auf die ganze Struktur und den Aufbau der Institution an den Völkerbund angehängt habe, was in dem Vorwurf gipfelt, daß man Frieden überhaupt nicht institutionell garantieren und sichern könne. Dieser Folgerung, glaube ich, kann man sich deshalb nicht anschließen, weil gerade in diesem Bereich der Faktor Macht einfach nicht ausgeklammert werden kann; dies führt aber notwendig zur Konzentration der Befugnisse auf ein Organ wie den Sicherheitsrat, der freilich durch das Bestehen des Vetorechts charakterisiert ist, aber in diesem Rahmen verbindliche Beschlüsse fassen kann. Eine Ausklammerung der wesentlichen, in dieser Welt maßgeblichen Machtfaktoren ist insofern schwerlich vorstellbar. Selbst wenn man die Möglichkeit hätte, die Vereinten Nationen von Grund auf neu zu konzipieren, kann ich mir nicht denken, daß es hier überhaupt eine prinzipiell andere Möglichkeit gibt. Wenn man also den Gedanken der kollektiven Sicherheit aufgreifen will, kann es, glaube ich, nur in dieser oder einer ganz ähnlichen Form geschehen. Das zweite, was mir mehr einleuchtet, ist der Vorwurf an die Vereinten Nationen - insbesondere an die Generalversammlung, aber auch organübergreifend -, daß Entschlüsse ohne genügende Abklärung und Vorbereitung getroffen werden. Ich glaube, das ist wirklich etwas, was richtig ist. Die Erörterungen werden weitgehend zum Palaver. Die Probleme werden in den vorbereitenden Gesprächen häufig nicht auf den Punkt gebracht, und sie können deshalb nicht auf den Punkt gebracht werden, weil dabei die wichtigen, politisch mächtigen Strömungen nicht in einer entsprechenden Weise repräsentiert werden. Bertrand sagt ja, das Repräsentationsproblem der Vereinten Nationen stellt sich gerade in diesem Bereich besonders vordringlich, und in dem Punkt möchte ich ihm durchaus folgen. Das sind mehr

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Bemerkungen, allenfalls die Frage an Sie, Herr Bazing, ob Sie diese Einschätzung teilen. Ein letztes noch ganz kurz zur allgemeinen Reformdiskussion: Da wird - das ist auch heute in der Diskussion angeklungen, auch bereits im Referat - immer sehr schnell die .Schranke des Realismus· heruntergelassen: Bestimmte Überlegungen seien nicht realistisch, sollten also nicht weiter verfolgt werden. Ich möchte vor einer solchen Haltung warnen, und das ist jetzt vielleicht eine gewisse Vorschau auf mein eigenes Referat, ich möchte davor warnen, daß die Guillotine des vorgeblichen oder wirklichen Realismus in unserer Diskussion allzu schnell fällt. Ohne Druck sind - so wie sich die Vereinten Nationen heute darstellen - Reformbewegungen und Reformbestrebungen überhaupt nicht denkbar. Der Druck muß sogar massiv sein; wie er sich ausdrücken sollte, darüber wird man im einzelnen sicher streiten können. Jedenfalls muß etwas bewegt werden; es ist um der Sache willen sinnvoll, daß hier etwas bewegt wird. Dabei sollte man nicht zu vorsichtig mit seinen Forderungen und Vorschlägen sein, nur weil man sich gleich dem Vorwurf ausgesetzt sieht: es hat ja doch alles keinen Sinn. Sonst wäre es besser, auseinanderzugehen und die Dinge einfach so zu lassen wie sie sind, und zu sehen, zu welchem Ende sie kommen.

Tomuschat: Ich möchte noch einmal das Stichwort von der Effizienz aufgreifen, obwohl Herr Hüfner es haßt. Ich glaube, auf einer technisch-administrativen Ebene wird man vielleicht Einigkeit über die Notwendigkeit der Effizienz erreichen, daß z. B. keine Gelder verschwendet werden, daß Vetternwirtschaft zu unterbinden ist, daß besser koordiniert wird. In anderen Bereichen ist es sehr viel schwerer, einen Konsens über die inhaltlichen Konturen von Effizienz zu erreichen. Das liegt einfach in der Tatsache begründet, daß keine Einigkeit über politische Zielvorstellungen herrscht. Der Westen hat andere Ziele als der Osten, der Norden hat wiederum andere Ziele als der Süden. Insofern hat jede Seite ihre Frustrationen. Wir haben unsere Frustrationen, aber die Dritte Welt hat etwa in puncto Abrüstung oder Atomwaffen auch ihre ganz speziellen Frustrationen. Sie fühlt sich den Entscheidungen der Industrieländer ausgeliefert, und sie ist es ja auch, etwa in puncto Umweltschutz. Was tun wir? Wir zerstören die Ozonschicht, wir machen die Meere kaputt, und vielleicht hat der Süden noch gar nicht gemerkt, was da alles im Gange ist. Kurzum, insofern zu Effizienz zu kommen, ist sicher sehr schwierig. Wenn ich es recht sehe, gibt es im übrigen eine sehr grundlegende Diskrepanz zwischen dem Westen und wohl auch dem Osten auf der einen

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Seite und der Dritten Welt auf der anderen Seite. Die Dritte Welt will die Vereinten Nationen als ein Instrument gebrauchen, um die Welt zu verändern, während unsere Ausgangskonzeption doch wohl dahin geht, die Vereinten Nationen sollten den status quo erhalten. Unserer Sicht nach sollten sie in erster Linie Aufgaben der Friedenssicherung wahrnehmen im Sinne des negativen Friedens, was ich gar nicht abschätzig meine. Das heißt letztendlich Sicherung des gegebenen Zustandes, während im übrigen die souveräne Verantwortlichkeit des Nationalstaates weiterbestehen soll. Leitbild ist der Staat, der nicht auf Kooperation und Solidarität angewiesen ist, der für sich selbst sorgt, während die Dritte Welt sehr viel mehr erhofft von der Weltorganisation, eben im Sinne von Kooperation und der Solidarität. Wenn man sich in ganz allgemeiner Form unterhält, ist es einfach. Man ist sich auf der einen Seite einig, daß bloßes Palaver nicht ausreicht, um wiederum ein Stichwort aufzugreifen; eine schneidige Entscheidungsmaschinerie will aber auch niemand haben. Das Ganze muß sich also auf einer mittleren Ebene bewegen, und diese mittlere Ebene ist eben sehr schwer und nur pragmatisch zu definieren. Lassen Sie mich ein abgenutztes Beispiel bringen. Die Bundesrepublik fordert jedes Jahr erneut, daß ein Internationaler Menschenrechtsgerichtshof errichtet wird. Diese Forderung ist irgendwann einmal zu Papier gekommen, und sie wird nun von der Bundesregierung Jahr um Jahr wiederholt. Auf der anderen Seite ist man aber nicht bereit, das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren. Der Gerichtshof ist ein so hehres Ziel, daß man weiß, man wird es nie erreichen. Deswegen kann man es auch ungestraft proklamieren, man wird nie zur Verantwortung gezogen. Das zweite, auf das ich eingehen wollte, ist die gegenwärtige Praxis der USA. Es muß ein Grund zur ernsthaften Sorge sein, daß unser engster Verbündeter oder jedenfalls einer unserer engsten Verbündeten für das völkerrechtliche Argument nicht mehr viel übrig hat. Das zeigt sich in vielen Bereichen, etwa bei der Zurückweisung des Urteils des IGH im NicaraguaStreit, am Rückzug der Unterwerfungserklärung zur Fakultativklausel des IGH-Statuts. Ich erinnere an eine Debatte, die im letzten Jahr im American Journal of International Law zwischen Charney, Glennon und Henkin darüber geführt worden ist, inwieweit der Präsident der USA an Gewohnheitsrecht gebunden ist. In dem frühen Urteil The Paquete Habana heißt es, daß durch einen controlling executive act der Präsident in der Lage ist, sich von der Geltung des Gewohnheitsrechtes zu befreien, das an sich auf der anderen Seite als part of the law of land bezeichnet worden ist - eine sehr undogmatische Formulierung, über die keine Einigkeit besteht. Drittens, und letzter Punkt: Wenn man dem die Vorschläge gegenüberstellt, die in jüngster Zeit von der Sowjetunion kommen, dann ist das - auf den ersten Blick jedenfalls - Ausdruck einer ganz anderen Einstellung zu 4 UN-Relorm

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den Vereinten Nationen. Vorschläge müssen freilich umgesetzt werden in Taten: sie sind zunächst einmal nur Worte. Aber hier fällt besonders auf, daß eine andere Haltung gegenüber dem Internationalen Gerichtshof befürwortet und betont wird, daß dessen Gerichtsbarkeit von allen Staaten anerkannt werden sollte und daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Nun, die Sowjetunion könnte ein solches Beispiel geben: sie ist ja eines der ständigen Mitglieder. Bisher ist nichts Konkretes geschehen. Hier ist aber jedenfalls eine positive Perspektive gegeben, die nicht bloßem Abwehrdenken entspringt. Ich könnte mir daher vorstellen, daß jene Vorschläge die Reformdiskussion sehr stark bestimmen werden. Bazing:

Wenn ich nur ganz kurz antworten darf. Ich möchte auch nicht wieder hinten anfangen und sagen, daß das, was Herr Tomuschat eben erläutert hat, zur Frage der Effizienz, zur Frage dessen, was gewollt ist, eigentlich genau die Erläuterung ist, die ich zu Anfang kurz versucht habe zu geben, als ich über die Interessenlage sprach. Es beleuchtet dies sehr gut, und ich kann nur sagen, daß ich die Dinge genauso sehe und einverstanden bin mit dieser Charakterisierung der Lage. Auch die Sorge, daß wir in einem so wichtigen Punkt mit den USA unterschiedliche Akzente setzen, wird geteilt. Trotzdem bleibt es dabei, daß wir hier genau das tun, was wir auch in anderen Fällen politisch wollen: Eine gute Freundschaft muß vertragen, daß man sich über Punkte, über die man unterschiedlicher Ansicht ist, auch ausspricht. Genau dies geschieht. Es geschieht natürlich mit dem Bestreben, die Dinge längerfristig wieder zusammenzuführen. Auch amerikanische Gesprächspartner können eigentlich nicht in Abrede stellen, daß das Nichtzahlen von Beiträgen, zu denen man völkerrechtlich und auch sonst verpflichtet ist, keine legale Tat darstellt. Das ist argumentativ nicht durchzuhalten. Man muß eben nur wissen, was man auf die Dauer politisch will. Aber dieses Gespräch wird in einem vernünftigen Sinn geführt und gefährdet nicht die Kernübereinstimmung und das Bündnis, in dem wir gemeinsam stehen. Ich wollte zur Frage von Herrn Klein, ob ich die Überzeugung zu den Einschätzungen der Vorstellungen von Herrn Bertrand teile, folgendes anmerken: Ich bin selber ein bißchen skeptisch, daß das, was er sich vorstellt - ich habe das ja auch in meinem Vortrag zu sagen versucht -, überhaupt Realisierungschancen hatj die Gründe dafür, daß es im Sicherheitsbereich eigentlich kaum andere Regelungen geben kann als die, die es jetzt gibt, die teilen wir wohl alle hier im Raum. Ich würde nur in einem einzigen Punkt nicht Ihrer Meinung sein. Sie sagen, eine Reformdiskussion, von welchem Punkt immer sie ausgeht,

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bedarf des Drucks, um voranzukommen. Ich teile diese Auffassung nicht ganzi vielleicht bin ich da zu naiv. Ich glaube nicht, daß Sie mit Druck zur Kooperation kommen. Die Staaten in der Welt sind in diesem Punkt sehr empfindlich, und ich möchte sagen: zu Recht empfindlich. Wir würden es selber auch sein. Ich würde einen anderen Ansatz sehen. Ich würde sagen, Reform kann dann vorangebracht werden, wenn die Arbeit, die zu leisten ist, von Überzeugungen und Einsichten geleitet ist. Die Überzeugungen und Einsichten sind verknüpft mit den Zielvorstellungen, und damit deckt sich das, was ich gesagt habe, wieder mit anderen Beiträgen, die wir gehört haben. Zielvorstellungen wachsen auf dem Boden, auf dem jeder Staat sich selbst und seine Interessen definiert. Aber das Gespräch darüber, über Einsichten, über das Verständnis dessen, was man mit Reformen will, das soll und das muß geführt werden. Ich bin längerfristig - deshalb auch mein Plädoyer für Geduld und Realismus, was ich beides anzubringen versucht habe - nicht so pessimistisch, daß ich nicht glaube, daß zumindest in einem breiteren Maß als das bisher der Fall gewesen ist, auch im Gespräch mit der Dritten Welt Einsichten in gemeinsame Reforminteressen noch verstärkt werden. Klein:

Darf ich kurz eine Gegenfrage stellen? Meinen Sie, daß die jetzige Reformdiskussion ohne diesen Druck der USA überhaupt in Gang gekommen wäre? Bazing:

Ich habe mich dazu in meinem Vortrag geäußert, und ich habe auch vorhin gesagt, daß die Drucksituation durch die Beitragszurückhaltung ganz sicherlich den Prozeß beschleunigt hat. Ob er deswegen zu besseren Ergebnissen führt, haben wir noch nicht gesehen. Die Frage ist eben auch hier die der Geduld. Die Frage bleibt für mich bestehen: Sind die Staaten der Welt bereit, in einer Drucksituation zu kooperieren oder sind sie es nicht viel eher, wenn sie erkennen - unter anderen Voraussetzungen als Druck, nämlich aus Einsicht -, daß bestimmte Reformschritte notwendig und in ihrem eigenen Interesse sind. Ich habe nicht gesagt, es gehe nicht darum, Kosten einzusparen, sondern die Effizienz zu steigern. Vielmehr habe ich gesagt, es gehe nicht nur darum, Kosten zu sparen, sondern der Kernpunkt sei, daß man die Leistungsfähigkeit des Systems verstärkt. Wenn man das tut und wenn man das richtig macht - und die Reformen des Generalsekretärs im Bereich des Sekretariats zeigen das -, kann man auch zu Ersparnissen kommen. Also die Dinge 4 •

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sind nicht ein Gegensatz, aber der Akzent in der Diskussion, der manchmal zu ausschließlich auf die Kostenseite gesetzt wird, weil uns die Finanzkrise dazwischen gekommen ist, lenkt davon ab, daß es nicht nur um Kostenersparnis geht, sondern in Wirklichkeit um umfassende Effizienzsteigerung. Das war es, was ich zu sagen versuchte. Partseh:

Ich komme gerade von der Generalkonferenz der UNESCO zurück und möchte doch bemerken, daß nicht nur bei der ECE - wie Herr Arnold meinte - ein Reformimpetus besteht, sondern jedenfalls auch bei der UNESCO, Natürlich ist da der Druck noch viel stärker, weil nach Ausfall des ganzen amerikanischen Beitrages sehr viel mehr eingespart werden muß als bei den VN. Eine Fünfergruppe von Mitgliedern des Exekutivrates ist zunächst dazu eingesetzt worden, mit den Amerikanern darüber zu verhandeln, daß sie ihre Beiträge noch für ein zweites Jahr nachzahlen. Gleichzeitig wirbt sie aber sehr intensiv, um die Reformen in Gang zu bringen. Dabei steht die westliche Gruppe durchaus nicht allein, sondern genießt die volle Unterstützung der Sowjetunion und eines Teils der Gruppe der 77, vor allem der asiatischen Staaten, die sich keineswegs so wie die Afrikaner aus alter Solidarität mit M'Bow dagegen sperrt. Herr Hüfner warnte davor, von Politisierung zu sprechen. Das muß man wohl aufgliedern. Auf der einen Seite ist in der UNESCO das Herausstreichen von Programmen, die eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehören, im Gange. Die Forderung von Herrn Maetzke (FAZ), die 15 Programme auf 6 zu reduzieren, wird wahrscheinlich nicht ganz erfüllt, doch ist mit einer erheblichen Verminderung zu rechnen, nicht nur bei der Abrüstung. M'Bow meinte ja, man könne über alles lehren; deswegen sei auch .alles· Zuständigkeit der UNESCO. So entstand das absurde Ergebnis, daß die UNESCO Abrüstungsresolutionen faßte. Auf der anderen Seite hat Herr Hüfner in~ofern Recht, als das Verhalten innerhalb der Organe politisch bedingt ist. Solange die Amerikaner z. B. im Menschenrechtsausschuß der UNESCO mitwirkten, haben sie die ganze Dritte Welt auf die russische Seite gedrängt; seitdem sie auszogen, ist die Dritte Welt viel offener und macht sich in Menschenrechtsfragen Forderungen zu eigen, die man sonst von westlicher Seite erwartete. Insofern ist natürlich das politische Element nicht eleminiert. Zum Schluß noch eine Bemerkung zu dem, was Herr Skubiszewski sagte: Er sprach davon, die Weltbank-Gruppe habe die Tätigkeit von UN-Organen zurückgedrängt, wohl kaum auf normativer Ebene. Dieses Ergebnis dürfte vielmehr darauf zurückzuführen sein, daß die Weltbank-Gruppe effektiver

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war, weil sie sehr viel unpolitischer und sehr viel sachbezogener arbeitete und dadurch den UN-Organen den Wind aus den Segeln nahm. WolfrUffi:

Erlauben Sie, daß ich mich als Diskussionsleiter in die Debatte zur Sache einschalte; auch ich möchte den Komplex der Politisierung ansprechen. Ich bin der Meinung, man sollte diesen Begriff mit Vorsicht gebrauchen und würde ebenfalls - Herr Partsch hat dies soeben ausgeführt - sagen, er hat seinen Sinn, vorausgesetzt, er wird aufgegliedert. Es darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß die Vereinten Nationen und alle anderen internationalen Organisationen von ihrer Natur her politische Gremien sind und daß nicht nur das Verhalten der Mitglieder in diesen Gremien politischen Motivationen unterliegt, sondern auch die Funktionen politisch weiterentwickelt werden. Die ständige Weiterentwicklung der Vereinten Nationen - und dies geht schon in mein Thema hinein - ist meiner Ansicht nach bereits in der Charta angelegt und insoweit völlig legitim. Des weiteren ist darauf hinzuweisen, daß nicht nur das Verhalten der Mitglieder in den Organen politisch motiviert ist, sondern den Programmen als solchen und ihren Auswirkungen auch ein politischer Freiraum belassen bleiben muß. Auf der anderen Seite darf dies nicht dazu führen, daß die UNESCO oder die WHO - diese Beispiele hatten Sie gewählt, Herr Bazing - plötzlich Dinge an sich ziehen, die im entsprechenden Aufgabenkatalog nicht vorgesehen sind. Die Dezentralisierung, die in den Sonderorganisationen oder in den Spezial organen liegt, hat ihren guten Sinn. Die Organisation mit der umfassendsten politischen Aufgabenpalette sind allerdings die Vereinten Nationen, während UNESCO, IMO oder UPU in dieser Hinsicht beschränkt sind. Nur diesen kann also vorgeworfen werden, sie zögen Aufgaben satzungswidrig an sich. Wenn die USA nunmehr diesen Vorwurf auch gegenüber den Vereinten Nationen erheben, setzen sie sich mit ihren eigenen Prämissen in Widerspruch. Denn die USA sind bislang stets gegen eine rechtliche Einbindung der Arbeit der Vereinten Nationen und für deren evolutionäre Entwicklung eingetreten. Als zweites möchte ich einen Punkt ansprechen, den auch Herr Klein und vor allem Herr Tomuschat erwähnt haben, nämlich die Frage nach den Möglichkeiten einer Reform. Man sollte einerseits nicht zu früh in bezug auf die Möglichkeiten einer Reform resignieren. Andererseits bin ich aber mit Herrn Zemanek der Meinung, daß eine Chartarevision im eigentlichen Sinne sich nicht verwirklichen läßt. Herr Tomuschat, ich gestehe ein, daß es positiv ist, die Einrichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs zu fordern, wobei bekannt ist, daß diese Forderung sich nicht verwirklichen läßt. Deswegen sollte man diese Forderung aus der pragmatischen Erwägung heraus

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fallen lassen, man kann u. U. im Bereich des Menschenrechtsschutzes andere Ziele erreichen und schwächt unter Umständen seine Position, wenn man zu hoch gesteckte Forderungen ansetzt. Seine Forderungen auf das zurückzuschneiden, was noch erreichbar ist, aber nicht eben nur auf das, was noch erreichbar ist, ist sicher die hohe Kunst, die von den Praktikern verlangt wird. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß die Prioritäten von Staat zu Staat unterschiedlich gesetzt werden. Während für die Bundesrepublik Deutschland vielleicht der Frage des Menschenrechtsschutzes besondere Bedeutung zukommt, kann aber nicht geleugnet werden, daß auch die Komplexe Entschuldung, Abrüstung oder Neue Weltwirtschaftsordnung vor das Forum der Vereinten Nationen gehören. Schreuer:

Ich möchte noch einmal auf das angeblich leere Ritual der Wiederholung von Resolutionen der Generalversammlung zurückkommen. Ich glaube, daß dieser Vorgang nicht nur eine politische, sondern auch eine juristische Komponente hat. Dieser Wiederholungsbrauch wird als Teil des follow up der Resolutionen betrachtet. Es gibt dazu übrigens einen Aufsatz im AJIL vor etlichen Jahren (S. A. Bleicher, The legal Significance of Re-Citation of General Assembly Resolutions, American Journal of International Law 63 (1969), S. 444). Die Wiederholung soll die rechtliche Wirkung dieser Resolutionen bekräftigen und verstärken. Umgekehrt formuliert könnte die Nichtwiederholung, wie Herr Bazing das schon angedeutet hat, sehr leicht als negatives Signal, d. h. als Aufgabe einer Rechtsposition aufgefaßt werden. Noch eine Bemerkung zur Rückbehaltung der Mitgliedsbeiträge durch die USA. Die Völkerrechtswidrigkeit dieser Praxis steht außer Zweifel, darüber braucht man wohl kein weiteres Wort zu verlieren. Über die Nützlichkeit kann man verschiedener Meinung sein. Herr Delbrück hat in diesem Zusammenhang von Antikonstitutionalismus oder Antilegalismus gesprochen, den man in den Vereinigten Staaten heutzutage vielfach bemerkt. (Zutreffend dazu: B. H. Weston, The Reagan Administration Versus International Law, Case Western Reserve, Journal of International Law 19 (1987), S. 295. - Warum er allerdings Yale dafür verantwortlich macht, weiß ich nicht. Ich glaube, daß der Realismus, der dort geprägt wird, ganz anders zu verstehen ist.) Den hier angesprochenen politischen Pseudorealisten kann man mit ihren eigenen Argumenten entgegentreten: Selbst wenn die rechtswidrige Rückbehaltung der Beiträge ursprünglich einen positiven Reformeffekt gehabt haben sollte, so hat sie diesen mittlerweile sicher verloren. Die anhaltende Rückbehaltung der Beiträge ist heute - davon bin ich überzeugt - kontraproduktiv, weil sie nur zum Zynismus führt. Diejenigen, welche sich vielleicht dadurch haben bewegen lassen bei der

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Reform mitzumachen, sagen heute: Wir haben guten Willen gezeigt, die Vereinigten Staaten haben aber nicht reagiert. Das hat sicherlich auch eine Präzedenzwirkung für künftige derartige Versuche. Ich glaube, daß die Vereinigten Staaten sich hier sozusagen ihrer eigenen, wenn auch rechtswidrigen, Waffe mutwillig berauben. Dazu kommt, daß die Motive, die heute den Kongreß (verantwortlich ist ja der Kongreß und nicht die Regierung) dazu bewegen, Geld zurückzubehalten, gar nichts mehr mit dem Reformwillen zu tun haben, sondern mit Desinteresse, Feindseligkeit und Sparsamkeit. Die derzeitige Finanzmisere hat also, wie ich glaube, keinen Bezug mehr zu der Reform der Vereinten Nationen. Das führt zu einer generellen Frage, die allerdings heute Nachmittag erörtert werden wird: Ist es sinnvoll, daß eine Weltorganisation wie die Vereinten Nationen sich auf Dauer von einem einzigen Staat finanziell abhängig macht? Wenn 25 % des Budgets aus einem Mitgliedstaat stammen, so schafft das eine starke Abhängigkeit. Noch eine kurze Bemerkung: Herr Botschafter Bazing hat dankenswerterweise bei seiner Diskussion der Reformtätigkeit auch die wichtige Aufgabe der Vereinten Nationen als Artikulationsforum für die Dritte Welt erwähnt. Ich glaube, man sollte das nicht aus den Augen verlieren. Gerade wir hier im Norden oder Westen laufen leicht Gefahr, die sehr wichtige Funktion der Vereinten Nationen für die Dritte Welt unterzubewerten, vor allem auch deswegen, weil uns vieles nicht gefällt, was dort gesagt wird. Darüber hinaus ist auch anzuerkennen, daß in den letzten Jahrzehnten manche Denkanstöße aus der Dritten Welt gekommen sind. Ich will mich nicht an Beispielen verlieren. Das vor drei Jahren hier abgehaltene Symposium über Medienrecht hat gezeigt, daß besonders für kleinere Staaten oft gar keine Möglichkeiten bestehen, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, so daß die Generalversammlung für sie unerläßlich ist, um sich zu artikulieren. Zuletzt noch eine kurze Bemerkung zum Wort .Palaver", das hier schon zweimal gefallen ist. Es wird bei uns fast immer in einem pejorativen Sinn gebraucht. Das Palaver hat aber in gewissen Gesellschaften eine durchaus positive Funktion bei der Willensbildung, auch wenn diese Gesellschaften von uns meist etwas herablassend als primitiv bezeichnet werden. Ich glaube, daß das Palaver im ursprünglichen Sinne, wie es in Afrika gebraucht wird, eine sehr wichtige Funktion in den Vereinten Nationen hat. Bothe:

Zunächst kurz zur Frage der gegenwärtigen Finanzsituation: Was kann man tun? Kann man dazu auch sinnvolle rechtliche Überlegungen ans tel-

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len? Es ist ja so, daß die Vereinten Nationen ihre Gehälter Anfang Dezember wahrscheinlich nur dann bezahlen können, wenn sie von irgendjemand Kredit bekommen. Es ist eine Rechtsfrage, ob Mitgliedstaaten - wenn sie denn schon aus Rechtsgründen nicht zahlen - beispielsweise doch Sicherheit leisten können, damit die Banken den Vereinten Nationen Kredit geben. Anders wird es wohl nicht gehen. Zu der Frage der Reformen: Es geht immer wieder um ein stream lining der Aufgabenerfüllung. Das ist eine ständige Aufgabe, und zwar deswegen eine ständige Aufgabe, weil immer neue Sachaufgaben als Probleme erkannt werden, und die haben es so an sich, nicht in die bestehenden Strukturen zu passen. Die Verschuldungskrise, die hier genannt worden ist, paßt in keines der bestehenden Kompetenzfelder von UN und Sonderorganisationen so ganz hinein. Daß der Weltwährungsfonds in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle übernommen hat, war nur möglich, weil er innovationsfähig war, weil er über seinen bestehenden Aufgabenbereich etwas hinausgegangen ist. Denken Sie an den Umweltschutz! Auch er hat viele Organisationen berührt und berührt sie noch. Es stellt sich die Frage, wie diese neu gesehene Aufgabe nun in einem solchen organisatorischen Apparat bewältigt werden kann, der sich historisch entwickelt hat und zur Bewältigung anderer Probleme geschaffen wurde. Die Frage wird und muß bleiben. Das hängt natürlich damit zusammen, daß man ständig auch über neue Aufgaben nachdenkt. Auf der westlichen Seite - das wurde hier schon gesagt - sind die Vereinten Nationen sehr stark als ein Instrument der Erhaltung des status quo und des Krisenmanagements gesehen worden. Auch im Umgang mit der Verschuldungskrise wird praktisch nur Krisenmanagement unternommen. Aber kann das alles sein? Die Dritte Welt versucht, das anders zu sehen. Daher kommt sicherlich auch ein großer Teil der Schwierigkeiten, die dann dazu führen, daß man auf westlicher Seite manches, was da geschieht, dadurch zu stigmatisieren versucht, daß man es als .Politisierung" bezeichnet. Auch dazu ist schon sehr viel Richtiges gesagt worden, und ich möchte eigentlich wiederholen, daß man zunächst einmal an die eigene Brust klopfen muß. Wie oft haben wir Deutsche technische Organisationen zum Ausfechten von politischen Statusfragen benutzt? In den ehemaligen deutschen Ostgebieten durfte zu gewissen Zeiten das Wetter nicht stattfinden, wenn es nach uns gegangen wäre, weil die Wettermeßstationen Namen hatten, die sie eigentlich nicht haben durften. Selbstverständlich durfte die DDR, weil sie ja kein Staat war, keine eigene Vorwahlnummer auf der Liste der von der ITU vereinbarten Telefonvorwahlnummern in der Welt haben. Wir haben da unsere eigene Geschichte, und jeder, der damals unsere Linie vertrat, sagte, selbstverständlich sei auch das Telefon etwas Politisches. Der Auslöser der gegenwärtigen Politisierungsdebatte und der damit zusammen-

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hängenden Stigmatisierung waren sicherlich zum großen Teil die Verbalinjurien, die bestimmte politische Konflikte, aber auch die Wirtschaftsdebatte, d. h. die Debatte um die Wirtschaftsordnung, begleitet haben. Letzteres hat sich, wenn man neuere Dokumente dazu liest, weitgehend erledigt. Die Debatte um die Weltwirtschaftsordnung wird lange nicht mehr so ideologisch geführt, sondern ist vielmehr praktisch orientiert. Im Grunde hat man manchmal den Eindruck, daß auf der westlichen Seite immer noch gegen Dinge gekämpft wird, die auf der Seite der Entwicklungsländer vielleicht gar nicht mehr so vertreten werden. Damit bin ich bei meinem letzten Punkt, nämlich: Wie geht es weiter, und was ist der politische Hintergrund der Haltung der Vereinigten Staaten? Ist das einfach eine Sache dieser Administration? Kann man sagen, die Vereinigten Staaten wählen demnächst einen neuen Präsidenten, da wird wieder alles anders und besser? Ich bin nicht der Auffassung, daß es viel besser wird, weil ich glaube, in der US-Politik - und dazu ist hier die Haltung des Kongresses im Grunde viel signifikanter als die der Administration - ist eine Welle von Renationalisierung, einer nach innen gekehrten amerikanischen Politik zu sehen, die recht tief geht. Will man eine Prognose stellen, kann sie eigentlich nur sehr skeptisch sein. Herr Zemanek hat gesagt, daß gerade diese Spannung zwischen Administration und Kongreß Konsequenzen zeitigt, die eine Zumutung für die Partner sind. Das ist sicherlich richtig, aber eine Zumutung, weil wir in unserem parlamentarischen System daran gewöhnt sind, daß der Staat mit einer Stimme spricht, daß er eine Regierung hat, die eine Mehrheit im Parlament besitzt. In den USA merken wir jetzt, daß dieses System darauf nicht angelegt ist. Wir haben eine Zwei- und Mehrteilung der Stimmen, mit denen die Vereinigten Staaten sprechen, und da dieses Land nun einmal so wichtig ist wie es ist, werden wir wohl auch mit diesen verschiedenen Stimmen verhandeln müssen, wenn wir weiterkommen wollen. Das ist im amerikanischen Regierungssystem so angelegt.

Ress: Bisher habe ich in den Diskussionsbeiträgen so eine Mischung zwischen verhaltener Hoffnung und Ratlosigkeit festgestellt. Juristische Betrachtungsweisen sind an sich wenig angetan, das Problem zu lösen. Was kann man wirklich als Jurist zur Lösung dieser Frage angemessen beitragen? Vielleicht nicht sehr viel. Gleichwohl will ich einige ganz unjuristische Bemerkungen machen. Ich glaube, der Hintergrund der Krise ist nicht nur eine kurzfristige finanzielle Pedanterie, die durch das amerikanische Verhalten entsteht, sondern eine grundsätzlich andere Einstellung der USA, politischer Kreise und auch maßgeblicher Völkerrechtler zu dem Prozeß der internationalen

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Rechtswerdung und Rechtssetzung. Die Amerikaner haben - wenn ich das recht einschätze - das Gefühl, an diesen Verfahren nicht angemessen politisch beteiligt zu sein, und daraus erklärt sich vieles auch an ihrer eigenen innenpolitischen Reaktion. Eine der Fragen, die sich stellt und die man diskutieren sollte, ist deshalb: Wie kann man dieser Situation in irgendeiner Form auch institutionell abhelfen? Ich möchte dabei für die UNO ebenso wie Herr Klein den Bereich des Sicherheitsrates, der Friedenssicherung und ganz global die anderen Bereiche unterscheiden. Im Sicherheitsrat sehe ich an sich Chancen, den USA deutlich zu machen, daß hier ein weitgehend ungenutztes Feld liegt, das sie - insbesondere, wenn die UdSSR sich stärker kooperativ in diesem Bereich zeigen - intensiver nutzen könnten. Der Sicherheitsrat ist geradezu eine kaum genutzte Institution im Rahmen der UNO. Die Behandlung des Krieges zwischen Iran und Irak ist natürlich kein sehr hoffnungsvolles Beispiel. Aber man sollte - und das ist das Posivitive an den Vorschlägen Gorbatschows - die völlig anderen Töne und neuen Einstellungen, auch zur internationalen Gerichtsbarkeit, die von ihm kommen, doch zunächst testen, um zu sehen, was sich daraus im Sicherheitsrat machen läßt. Hier liegt - ohne eine formale Satzungsrevision - ein wichtiges Feld, in das versucht werden könnte, die Amerikaner zu engagieren. Die zweite Bemerkung betrifft die Generalversammlung. Ich glaube wie Herr Zemanek und andere -, daß hier kaum realistische Möglichkeiten einer formalen Satzungsänderung existieren. Die Generalversammlung ist ein höchst wichtiges Organ, dessen Bedeutung für die internationale Ordnung mancherorts verkannt wird. Sie ist ein Forum des Gesprächs, der Diskussion. Sie ist ein Teil des internationalen Kommunikationsprozesses, an dem durch sie und über sie auch die Entwicklungsländer beteiligt sind. Ich halte sie in dieser Funktion für unverzichtbar. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß die entwickelteren Staaten, die Industriestaaten, im Grunde diesen Teil der Organisation finanzieren. Wir tun dies auch zu unserem eigenen Vorteil, weil wir damit in der internationalen Kommunikation stehen. Daß man hier vieles verbessern kann unter dem Gesichtspunkt der .Effektivität" oder der .Effizienz·, will ich gerne zugestehen. Wir werden, weil Kommunikation diffus ist, auch in diesem Bereich weiterhin sehr vieles hinnehmen müssen. Was könnte man konkret verbessern? Ich will hier nur höchst allgemein sagen: Meiner Ansicht nach ist der zweite große Bereich, den Herr Botschafter Bazing angesprochen hat, die gesamte Aktivität der Entwicklungshilfe oder der ökonomisch sozialen Zuwendung in den Organisationen nicht adäquat und nicht ohne Doppelung organisiert. Das halte ich technisch für verbesserungsfähig. Das hängt natürlich in hohem Maße mit einer Verbesserung dessen zusammen, was Herr Zemanek

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die Personalpolitik genannt hat. Ohne eine bessere Personalpolitik im Rahmen der UNO - dazu braucht man gar keine Satzungsänderung - werden wir keine Verbesserung erreichen. Wenn die Bundesrepublik und viele andere mit uns befreundete Staaten auf eine bessere Auswahl drängen, kann und muß dieses Verlangen dazu führen, daß man von dem regionalen geographischen Proporz abweicht und unter Umständen ein eigenes screening vornimmt, um gute Kräfte zu finden. Der Mut zu derartigen unpopulären Aktionen ist meiner Ansicht nach viel wichtiger als eine große Zahl von Reformdiskussionen. Wenn sie einen guten, erfahrenen Manager in dieser Position haben, werden ihnen viele Probleme erspart. Sie können gewiß versuchen, neue Kontrollgremien zu schaffen, die zusätzlich eine Zusammenfassung der Aktivitäten vorsehen. Nur braucht man für dieses Kontrollgremium wirklich einen geeigneten Mann. Hier liegen die wahren Möglichkeiten einer •Reform" , d. h. eines stärkeren begleitenden Engagements im Rahmen der UNO. Das ist alles, was ich als völlig unjuristische Überlegung zu diesem Problem beitragen könnte; aber es ist das, was mich als Jurist ununterbrochen ärgert, wenn ich von Ineffizienz und Ineffektivität dieser Organisation sprechen höre. Ginther:

Nach dem ausgezeichneten Referat und der Diskussion, die wir jetzt gehabt haben, sehe ich eine Struktur der Reformdiskussion sich abzeichnen, in der es sich um einen Trilateralismus handeln könnte, USA - Europa - Dritte Welt. Die Position Europas wurde sehr deutlich definiert, und wir haben auch gehört, wie sich die EG, die Gruppe der 12, zur Reform der UN stellt. Wir haben gehört, daß es in Europa eine gute Basisstruktur für eine Regionalisierung gäbe, die EPZ auf der einen Seite, der organisierte Raum des Warschauer Paktes als Grundlage einer gut funktionierenden ECE auf der anderen Seite. Bei der ECE ließen sich schon Ansätze für eine Regionalisierung im Rahmen des UN-Systems, so wie Bertrand von Regionalisierung gesprochen hat, finden. Mit weniger Deutlichkeit hat sich dabei bisher das Feld der Dritten Welt abgezeichnet. Ich habe aus den Ausführungen von Herrn Bazing herausgehört, daß es sich dabei um sehr wesentliche Belange handelt. Wenn Sie von Dritter Welt sprechen und deren Heterogenität betonen, wollten Sie wohl sagen, es handele sich um eine Teilmenge der Staatengemeinschaft, die nicht leicht als solche ansprechbar ist. Ich würde gerne fragen, welche Gedanken man sich dazu vor allem aus deutscher Sicht gemacht hat; vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen, wie aus Bonner Sicht Dritte Welt in bezug auf die Reformdiskussion gesehen wird. Wenn wir hier von Bertrand hören, es sollte Regionalisierung geben, und er will das UN -System

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in einer dritten Generation darauf abstützen; eine Idee, die ursprünglich ChurchilJ schon hatte, die in der Gründungsgeschichte der OVN in einer relativ späten Phase fallengelassen wurde, hat das alles seine Vernunft; das ist ganz klar. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein geistiges Erbe unserer politischen Kultur, und ich glaube nicht nur das, es ist einfach vernünftig. Aber das heißt nicht, daß Regionalisierung unbedingt in den UN stattfinden muß. Jedenfalls scheint Regionalisierung durchaus eine Voraussetzung zu sein für einen gut verlaufenden multilateralen globalen Prozeß; das europäische Beispiel zeigt das ja gerade in Gestalt der ECE. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit in der Reformdiskussion gerade aus europäischer Sicht und im Hinblick auf die Position der USA eine ganz besondere Dritte-Welt-Politik gefordert ist. Möglicherweise sollte im Zusammenhang des .Politikdialoges" mit der Dritten Welt, der ja bisher in einem ganz anderen Zusammenhang steht, das Thema der Regionalisierung auch im Hinblick auf die UN-Reform mitbedacht werden. Wie ist hier die Dritte Welt zu sehen? Ich will meine Fragen kurz fassen, weil das Mittagessen wartet und wir davon auch morgen Vormittag, den Herr Wolfrum bestreiten wird, hören werden: Sie haben erwähnt, daß Simbabwe und Bolivien Vorbehalte zur Resolution 213 gemacht haben. Hat da Simbabwe dabei als Vorsitzender der blockfreien Bewegung oder nur für sich alleine gehandelt? Haben viele andere Staaten der blockfreien Gruppe ähnliche Vorbehalte gemacht oder ist Simbabwe eher allein geblieben? Ist das als ein relativ schwaches Signal zu verstehen, wenn nur Simbabwe - sagen wir mit einem sozusagen obligaten Vorbehalt auftritt? Läßt sich - eine weitere Frage - unter dem Druck der Reformdiskussion in den Vereinten Nationen ein Stimulus für eine Dritte-Welt-Politik im Sinne von besser reflektierter Hilfe zum .institution building" auf regionaler Ebene gewinnen? Heute verläuft die entwicklungspolitische Diskussion in einer Abkehr von den großen Industrialisierungsprojekten in Richtung auf die Basis und hat dort Entwicklungszusammenarbeit auch im Hinblick auf .institution building" bis hin zu Verwaltungshilfe im Auge. Läßt sich dieser Gedanke im Hinblick auf .institution building" auf zwischenstaatlicher, regionaler Ebene in der Dritten Welt nachvollziehen, indem überall dort, wo sich in der Dritten Welt Regionen zu institutionalisieren beginnen, dies auch im Hinblick auf die UN-Reform zu unterstützen wäre? Danke schön. Arnold:

Ich möchte eine kurze Bemerkung zu der Mitteilung von Herrn Bazing machen, daß die 12 Europäer beim Kongreß in Washington lobbyieren sollen oder werden. Diese Thematik wurde ja auch schon von Herrn Zemanek angesprochen. Ich möchte dies durch ein weiteres Beispiel illustrieren:

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In einem sehr freundschaftlichen und vertraulichen Gespräch einiger westlicher Botschafter - darunter der aus den Vereinigten Staaten - wurde von dem amerikanischen Vertreter bei einem bestimmten Punkt der Thematik gesagt, ja, das sei alles sehr gut und sehr richtig, aber leider könne man das nicht machen, der Kongreß sei dagegen. Worauf ein anderer Botschafter sagte: Mein lieber Kollege, wir kennen dieses Argument. Es ist in vielen Fällen das amerikanische Standardargument, in dem der Kongreß so ungefähr die Stellung des lieben Gottes bekommt. Wir haben alle unsere Parlamente und unsere Innenpolitik, und wir sind hier alle einschließlich des amerikanischen Vertreters nicht Vertreter von Regierungen, sondern von Staaten, und wir müssen unsere Probleme im Kern lösen. Dieses Beispiel zeigt, daß der jetzt gegebene Vorschlag vom State Department oder der amerikanischen Regierung, beim Kongreß zu lobbyieren, nur die logische Fortsetzung einer Position ist, die von den Vereinigten Staaten immer wieder bezogen wird. Natürlich macht jeder Botschafter in Washington Lobby im Kongreß; ein Botschafter, der nicht viermal in jeder Woche mit irgendeinem Senator das Breakfast einnimmt, hat seine Funktion verpaßt. Das ist harte Arbeit. Aber es ist ja etwas anderes, ob man Gespräche führt oder ob man tatsächlich als Zwölf-Staaten-Vertreter in einer mehr oder weniger formellen oder nach außen sehr erkennbaren Form Lobby macht. Wenn man das tut und wenn dies Schule macht und weitergeht, werden die Staaten, die mit den Vereinigten Staaten zu verhandeln haben, doch mehr und mehr Elemente amerikanischer Innenpolitik und gelegentlich sehr harter Auseinandersetzungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kongreß. Und deswegen - womit ich zu dem Mittagessen überleiten möchte - sollten wir sehr vorsichtig sein, wenn wir uns daran machen, die Suppe, die uns hier hingestellt wird, auszulöffeln. Wenn wir in Bayern wären, würde ich sagen, wir kämen sonst in die Position des Buchbinders Wanninger, aber das zu erläutern, würde nun zuviel Zeit in Anspruch nehmen. Zemanek:

Nur einen Satz möchte ich dazu einwerfen: In dem Artikel in der .International Herald Tribune" stand, daß der Assistant Secretary of State den Botschaftern gesagt hat: •This administration has no longer influence in congress. You must do it yourself." Dicke:

Ich möchte eine kurze Bemerkung zu dem von Herrn Hüfner aufgeworfenen Problem der .Politisierung" machen und eine Frage an Herrn Bazing

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stellen. Herr Hüfner, nachdem Ihre ablehnende Haltung gegenüber den Begriffen .Effizienz" und .Politisierung" durch die Diskussion wohl etwas rationalisiert ist, darf ich hoffen, daß wir unsere Zusammenarbeit zum Thema .Effizienz der VN" fortsetzen werden. Das scheint mir schon deswegen notwendig, weil mit diesen Begriffen durchaus Politik gemacht wird, und ich halte es für erforderlich, darüber nachzudenken, welche Konzeptionen internationaler Politik und internationaler Organisation sich jeweils hinter diesen Begriffen verbergen. Herr Professor Tomuschat hat schon darauf hingewiesen, daß im administrativen Bereich wohl ein schmaler Konsens darüber besteht, was .Effizienz" einer internationalen Organisation bedeutet. Aber welche politischen Interessen und Absichten mit der ja fast inflationären Verwendung dieses Begriffes durch die Mitgliedstaaten und in den Organen der VN verbunden sind, muß deutlich gemacht werden. Ähnliches gilt für den Begriff der Politisierung. Diesem Begriff kann man sich insofern nähern, als man - vielleicht .legalistisch" - die rechtliche Grundlage der Satzung als eine Grenze der .Politisierung" angeben kann. Diese Grenze wird aber nur dann als eine solche sichtbar, wenn die Satzung als eine die Tätigkeit einer Organisation auch begrenzende Grundlage in den politischen Diskussionen präsent ist und wenn man das, was über die satzungsgemäßen Grenzen hinausgeht, wirklich auch unzulässige .Politisierung" nennt. Um dafür ein Beispiel anzuführen: Man muß doch einmal die Frage aufwerfen, ob die Tatsache, daß Herr Bertrand als Inspektor der Joint Inspection Unit einen Bericht mit so weitreichenden Aussagen wie der Forderung einer Weltorganisation der .dritten Generation" vorlegt, denn eigentlich vom Mandat der Joint Inspection Unit abgedeckt ist? Meiner Ansicht nach deutlich nein, so daß wir es hier mit einer unzulässigen .Politisierung" zu tun haben; nicht, wenn er das in einer Konferenz in Gummersbach oder in Kiel oder sonstwo immer sagt, aber wenn er das als Inspektor der Joint Inspection Unit tut, habe ich meine Bedenken. Zwischenruf von Herrn Zemanek: Er hat es zwei Monate vor seinem Ausscheiden getan. Zwischenruf von Herrn Arnold: Darf ich dazu kurz anmerken: Genau das war umstritten. Er ist vom Generalsekretär stark kritisiert worden, weil er unter seinem Titel veröffentlichte. Es wurden aber keine besonderen Schritte dagegen unternommen. Die Angelegenheit war zumindest zweifelhaft, denn es gibt andererseits ein freies Meinungsäußerungsrecht. In diese Richtung geht auch die Frage an Herrn Bazing: Sie haben deutlich gemacht, daß in der zweiten Phase, die Sie am Anfang im historischen Rückblick ansprachen, durch die Erhöhung der Mitgliederzahl und die Verlagerung auf den Bereich Entwicklung ja eine Vielzahl von Koordinationserfordernissen entstanden ist. Aber es sind auch einige - zwar nicht eine Vielzahl, aber doch einige - Gremien entstanden, die die Aufgaben

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haben sollten zu evaluieren, zu kontrollieren, zu überwachen, u. a. die Joint Inspection Unit. Meine Frage: Inwieweit setzt die Bundesregierung darauf, daß diese Instrumente .effektiv·, daß sie wirksam sein können? Inwieweit etwa würde sie sich um das Mandat der Joint Inspection Unit und die Arbeitsweise etwa der Joint Inspection Unit kümmern, die doch auch daran krankt, daß zwar eine ganze Fülle von Berichten, die durchaus zum Teil sehr lesenswert sind, verabschiedet werden, daß aber nachvollziehbare Konsequenzen sich daraus nicht ergeben. Herzlichen Dank. Vollers:

Herr Arnold hat bereits das Mittagessen angesprochen. Ich möchte dennoch gern einmal zurückkommen auf das, was Herr Ress gesagt hat, daß die UNO in ganz wesentlichen Teilen ihrer Funktion nach eine Ausdrucksmöglichkeit der Dritten Welt ist. Insofern ist sie sozusagen die Couch des Psychiaters, denn viele Staaten der Dritten Welt müssen erstmal lernen, sich im internationalen System zu bewegen, zu sehen, was möglich ist und was nicht. Sie brauchen ganz einfach eine Ausdrucksmöglichkeit. Das ist auch schon angesprochen worden. Die Gegenleistung dazu sozusagen in unserem Sinne ist, daß Resolutionen der Generalversammlung nur Empfehlungen sind, daß sie nicht bindend sind. Aber weil sie Empfehlungen sind, vergehen sie wie eine Blüte im Wind, wenn sie nur einmal und möglicherweise nur mit einer nicht zu eindrucksvollen Mehrheit beschlossen werden. Wenn man sie aber wiederholt, Jahr für Jahr, dann beeinflussen sie die weltöffentliche Meinung, und das ist meiner Ansicht nach gerade die Idee dabei, wenn Sie etwa Dinge nehmen wie Nahost-Positionen oder SüdafrikaResolutionen, die seit 20 Jahren wiederholt werden. Sie haben einen ganz erheblichen Einfluß auf die Weltpolitik, obwohl sie nie in irgendeiner Weise eine rechtliche Bedeutung hatten. Und ich glaube, das rechtfertigt die Repetition dabei. Auf der anderen Seite führen wir natürlich als Minderheit immer wieder das Ziel des Konsenses ein, weil wir sagen, eine Mehrheitsresolution, die ja nur Empfehlung ist und die gegen eine bedeutende Minderheit, jedenfalls eine Minderheit von bedeutenden Zahlern, gefaßt wird, kann nicht wirklich Willensäußerung der Organisation sein. Ich glaube, das ist für jede Minderheit eine Haltung, die ganz gerechtfertigt und die verständlich ist. Sie wird natürlich von den Amerikanern übertrieben, wenn sie z. B. in finanziellen Fragen den Konsens als einzig möglichen Beschluß ansehen und damit eine Forderung aufstellen, die für die Mehrheit nicht akzeptabel ist. Man kann, glaube ich, in diesen Fragen nur die Gleichheit der Mitgliederstaaten ihrer Solidarität gegenüberstellen, zwei Pole, zwischen denen man sich bewegen muß. Die Gleichheit sagt: die Mehrzahl zählt; die Solidarität sagt, daß große Staaten mehr zahlen als kleine Staaten, das heißt

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aber, daß die große Zahl der kleinen Staaten nicht unbegrenzt über die Interessen der großen Zahler hinweggehen kann. Die Amerikaner haben ihre Forderungen zu einem gewissen Extrempunkt getrieben, aber man sollte nicht vergessen, daß die Russen auch in ihrer neuen Politik, z. B. in dem Gorbatschow-Artikel, einerseits von der Demokratisierung der Vereinten Nationen sprechen, andererseits aber immer wieder auf den Sicherheitsrat, auf das Vetorecht zurückkommen und dann plötzlich finden, daß dessen Generalstabsausschuß wiederbelebt werden soll etc. Alles Privilegien, die eindeutig nur den Großmächten zustehen. Insofern gibt es auch da das deutliche Bestreben einer einzelnen Großmacht, sich bei aller Demokratisierung doch tatsächlich durchzusetzen. Zum Schluß vielleicht, was Herr Arnold gerade so deutlich gesagt hat: Natürlich ist es nicht akzeptabel, daß ein Mitgliedstaat auf eine seiner drei Gewalten verweist und bedauert, wenn die nicht mitspielt, könne er seine Mitgliedspflichten nicht erfüllen. Selbstverständlich gibt es in der UNO nur Staatenvertreter, und die haben auch eine Staatenverantwortlichkeit. Dies ist eine Frage, die die Haltung zur Weltordnung, zum internationalen Recht betrifft. Vor einiger Zeit erschien ein Artikel in Amerika, in dem behauptet wurde, der Unterschied zwischen der Sowjetunion und den USA nach dem Krieg sei gewesen, daß die Sowjetunion nur egoistische Interessen vertreten habe und damit zwar eine große Macht gewesen sei, aber keine Weltmacht, während die USA sich über ihre egoistischen Interessen hinaus um die Weltordnung im allgemeinen gekümmert hätten. Diese Weitsicht hätten die Amerikaner in letzter Zeit verloren und seien dadurch nur noch eine große Macht, aber nicht mehr eine Weltmacht. Danke schön. Delblück:

Ich wollte doch noch einmal einen Versuch unternehmen, für die weiteren anderthalb Tage, die wir vor uns haben, das Thema der .Politisierung" etwas zu entlasten und dahingehend fruchtbar zu machen, daß wir doch noch einmal darüber nachdenken, auch wenn Herr Hülel mich schon wieder skeptisch anschaut. Ich glaube, es ist in' der Tat richtig, wenn man hier differenziert. Es ist gesagt worden, es sei besser, wenn wir das Thema diskutieren würden unter dem Gesichtspunkt kompetenzieller Aspekte. Herr Partsch hat es angedeutet, und ich halte es für ganz entscheidend, deutlich zu machen - und hier auch mit einem sehr starken juristischen Akzent versehen -, daß die jeweiligen Satzungen, die .Verfassungen" dieser internationalen Organisationen, Kompetenzen der Organe, aber auch der Gesamtorganisation festlegen. In diesem Bereich nun - wie ich meine - fehlt es an dem, was man innerstaatlich als .Interorganrespekt" bezeichnet, was man hier vielleicht .Interorganistionsrespekt" nennen

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könnte. Dies gilt insbesondere für die vielfachen Überlappungen, für das Parallelisieren von Programmen u. ä. unter dem Stichwort: hier werden wichtige Interessen großer Gruppen von Staaten thematisiert, und darum muß dies in jedwedem Sach- und Organisationszusammenhang erörtert werden können. Ich glaube, dieses muß eingedämmt werden unter dem Gesichtspunkt einer ganz strikten und im Grunde genommen .legalistischen" Interpretation der jeweiligen Aufgabenbereiche. Es steht überhaupt nicht in Frage, daß neue Aufgaben auch neue Organisationsformen innerhalb der Organisation erfordern, aber hier bitte in den Schranken der Satzungsnormen. Die Mißachtung dieser Schranken ist wohl genau der Punkt, der unter dem Stichwort .Politisierung" eigentlich gemeint ist: daß etwa die UNESCO sich auf breitester Basis mit Abrüstung befaßt, daß die Beratungen zur Konvention für die Rechte der Frau belastet werden mit der erschöpfenden Diskussion des Abrüstungsthemas, und die Frage, wie man eigentlich zur Aufhebung der Apartheid kommen kann, aus keiner Sachdiskussion in den UN mehr wegzudenken ist. Diese kompetenziellen Abgrenzungen stärker hervorzuheben, müßte eigentlich möglich sein, ohne in irgendeiner Weise die überaus wichtigen Funktionen der Organisationen als Artikulationsgremien für die Dritte Welt zu beschneiden. Vielleicht könnte dann dabei auch die politische Funktion der Generalversammlung wieder viel stärker in den Blick kommen. Da kann man solche Fragen ja durchaus kontrovers behandeln, aber dann muß es nicht noch einmal in Paris und in Genf, kurz überall behandelt werden. Hierüber mit der Dritten Welt etwas stärker in den Dialog zu kommen, scheint mir eine wichtige Aufgabe in der Reformdiskussion, und ich denke, dies ist durchaus ein Thema, das man konkret anpacken kann, ohne die UN in ihren Funktionen und ihre Mitglieder in ihren Interessen, Wünschen u. ä. zu beschneiden. Denn wenn dies einherginge mit einem Zurückdrehen etwa der Artikulationsfunktion der UN, dann wäre eine solche Entwicklung sicher ungut und würde den Interessen insbesondere der Staatengruppe der .Dritten Welt" nicht gerecht werden. Aber es scheint mir nicht ein legitimer und auch kein legaler Anspruch zu sein, alles in allen Gremien vortragen zu dürfen; denn unter Zugrundelegung dieser Maxime geschieht in der Tat das, was wir heute sehen: völlig überfrachtete Sachdiskussionen, die das Stichwort der Politisierung heraufbeschwören, das dann wiederum in einem großen Rundumschlag benutzt wird, um alles tot zu machen. Das halte ich für falsch, aber ich sehe hier doch gerade von völkerrechtlicher Seite eine ganz wichtige Aufgabe und möchte auf das Problem der Kompetenzbereiche der einzelnen Organisationen als Grundlage für machbare Reformen hinweisen.

5 UN-Reform

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Randelzhofer:

Verzeichen Sie, daß ich die Mittagspause etwas hinauszögere. Ich will noch einmal auf einen Punkt eingehen, den Herr Schreuer - wie ich meine - ganz zu Recht so besonders betont hat, er wurde im Referat von Herrn Bazing gleichfalls angesprochen: Wir haben es bei der Reformdiskussion in erster Linie mit der zentralen Schwierigkeit zu tun, daß die VN für unterschiedliche Staatengruppen unterschiedliche Zwecke erfüllen müssen. Ganz kurz schematisiert: Für die entwickelten Staaten sind sie der Versuch einer echten internationalen Zusammenarbeit; für die Staaten der Dritten Welt die Bühne, auf der sie sich ihrer Staatlichkeit erst einmal versichern und versuchen, sich selbst zu beweisen. Die VN sind für sie die Bühne, auf der sie deutlich machen können, wir sind ein Staat. Anders glauben sie es vielleicht selbst nicht oder sind sich dessen nicht sicher. Das macht sie notgedrungen weitgehend unfähig, sich der weiteren Aufgabe einer echten internationalen Zusammenarbeit vorrangig zu widmen. Ich glaube, daß deshalb eine Reform eine ganz neue und andere Dimension der Entwicklungshilfe voraussetzt. Wenn uns daran gelegen ist, daß die VN die Aufgabe der internationalen Zusammenarbeit wirklich mit allen Mitgliedstaaten erfüllen können, müssen wir auf allen möglichen Feldern diesen Staaten Entwicklungshilfe im weitesten Sinne leisten und ihnen Versicherungen ihrer Staatlichkeit zukommen lassen. Dann erst ist eine Art .equal footing" aller Mitgliedstaaten erreicht, und erst dann werden sie alle miteinander fähig sein, internationale Zusammenarbeit zu leisten. Daß dann alle Probleme gelöst werden und wir zu einer idealen Organisation der VN kommen, soll damit keinesfalls gesagt sein. Am Schluß doch eine leicht polemische Bemerkung: Wäre kurzfristig den VN nicht am meisten geholfen, wenn wir darauf hinwirken würden, daß die Vereinigten Staaten austreten? Wir haben gehört, daß es bei der UNESCO seit dem Austritt der USA diesen festgeschweißten Block Dritte Welt und Ostblock nicht mehr gibt, sondern die Dritte Welt sich hier auf Distanz begibt. Ich weiß freilich nicht, ob das der richtige Weg wäre. Insofern bin ich dankbar, daß Herr Vollers gemeint hat, wir sollten bei der gegenwärtigen, zum Teil gerechtfertigten Kritik an den Vereinigten Staaten nicht ganz vergessen, daß wir uns in 40 Jahren angewöhnt haben, die Amerikaner als Hauptverantwortliche dafür anzusehen, daß es in der ganzen Welt halbwegs erträglich zugeht, und jetzt mit großer Schärfe kritisieren, daß sie dieser Aufgabe nicht mehr in jeder Hinsicht gerecht werden, während wir auf der anderen Seite sehr leicht bereit sind, Worte schon als Taten anzusehen. Herr Ress hat darauf hingewiesen, daß wir uns in unserer heutigen Debatte etwas vom rein Juristischen entfernt haben und auch entfernen mußten. Der zentrale Satz, der uns immer wieder im Bewußtsein bleiben muß, ist von Herrn Bazing genannt worden: Das Entscheidende ist der politische Wille

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der Staaten; und wir sind noch mehr als sonst in der bescheidenen Rolle der Kommentatoren und können uns als Juristen nicht anmaßen, daß es nur darum ginge, dem Politiker ein juristisch sauberes Konzept vorzulegen, und dann wäre das Problem gelöst. Beyerlin:

Ich möchte ein paar wenige Bemerkungen zur Funktion der Generalversammlung machen, und zwar speziell im Hinblick auf den Reformwunsch, daß man Wiederholungen von inhaltsgleichen Resolutionen möglichst vermeiden sollte. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt - und die westlichen Staaten tun dies zu Recht -, daß der Generalversammlung keine unmittelbare Rechtsetzungskompetenz zukommt, dann müße man es der Generalversammlung auf der anderen Seite ermöglichen, ihre durch die UN-Charta verliehen Kompetenzen voll auszuschöpfen. Deshalb muß der Forderung der Dritten Welt Rechnung getragen werden, sich in der Generalversammlung durch Resolutionen artikulieren zu können. Auf diese Weise vermag die Dritte Welt nämlich auf den Rechtschöpfungsprozeß einzuwirken, weil gerade der Wiederholung von Resolutionen eine gewisse Bedeutung bei der Erzeugung von Völkergewohnheitsrecht zukommen kann. Insofern würde ich es geradezu für einen Affront gegenüber der Dritten Welt halten, wenn man versuchen würde, die Flut von Resolutionen allzu sehr einzudämmen, auch wenn diese zum Teil unnötig sein mögen. Bazing:

Sie werden sicher nicht von mir erwarten, daß ich diese für mich außerordentlich instruktive und interessante Diskussion nun komplett zusammenfasse und allen Punkten gerecht werde. Ich möchte nur sagen, daß ich fast alles, was hier gesagt worden ist, ganz ähnlich sehen würde. Mit dem meisten, das gesagt worden ist, befinde ich mich in Übereinstimmung. Es ist eine Frage der Akzentsetzung, und ich habe das Gefühl, daß die Debatte, die wir geführt haben, wenn wir sie als ganzes sehen, durchaus ein Beitrag zu dem Thema war, das wir uns vorgenommen haben. Die Debatte hat die Möglichkeiten der Reform dargelegt, sie hat aber auch Grenzen aufgezeigt. Ich möchte eigentlich ein Drittes hinzufügen. Sie hat auch die Notwendigkeit der Reform unterstrichen. Wie man sie praktisch angehen kann, dazu hat es hier eine ganze Reihe von Ansätzen, von Anregungen gegeben, die ich jetzt gar nicht im einzelnen alle aufnehmen kann. Ich möchte aber doch unterstreichen, was Sie, Herr Ginther, gefragt haben: Wie muß eigentlich das Reformgespräch laufen, welches sind die Gruppen, die hier aufgerufen 5 •

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sind, sich zu verständigen? Ich würde die zentrale Frage ganz ähnlich sehen. Ich würde auch glauben, daß Europa, die USA, wobei man noch prüfen sollte, ob man die USA hier so einzeln nehmen sollte, und jedenfalls die Dritte Welt aufgerufen sind, sich über den weiteren Gang der Dinge in ihrer gemeinsamen Organisation zu verständigen. Ich meine, daß ein Gedanke dabei ganz wesentlich ist: Wir werden, wie immer wir uns drehen und wenden und welche noch so berechtigten Gesichtspunkte wir in die Debatte werfen, in den Reformen nur dann wirklich global vorankommen, wenn diese Dinge von einem Konsens getragen sind. Es wird nicht möglich sein und ich habe auch versucht, dieses schon heute morgen bei der Einführung zu sagen -, daß eine Gruppe von Staaten ihre Vorstellung dem Rest der Staaten oder auch vielleicht nur einer Minderheit aufoktroyieren kann. Es geht um gemeinsame Meinungs- und Willens bildung, und es ist absolut richtig, was hier gesagt worden ist, daß auch der Reformprozeß ein Ausdruck des politischen Willens der Mitgliedstaaten bleibt. Haben wir ihn, dann werden wir vorankommen, haben wir ihn nicht, so werden auch einige, die den Willen haben, die Dinge allein nicht ändern können. Wir müssen also hier zu einem breiten Konsens kommen, und das ist die langfristige Aufgabe; deswegen bleibt es auch dabei, was ich zu sagen versuchte: wir müssen mit Geduld und langem Atem an diese Dinge herangehen. Wenn uns das gelingt, wenn wir diese Verständigungs prozesse, die dazu nötig sind - und ich bin der Meinung, daß gerade die Dritte Welt dabei besonders angesprochen werden muß -, mit der nötigen Intensität führen, dann bin ich keineswegs so pessimistisch wie vielleicht Herr Wolfrum nach meinem Vortrag den Eindruck hatte, daß ich es sei. Aber ich glaube, daß man hier wirklich diesen langen Atem braucht, und ich möchte vor der Erwartung warnen, daß hier nun schon von einer Generalversammlung zur nächsten spektakuläre Fortschritte zu verzeichnen sein könnten. Das ist eine langfristige Investition in politischen Willen und - ich möchte noch einmal sagen, was ich zu Herrn Klein gesagt habe - in politische Einsicht, die wir hier vornehmen müssen. Wenn uns das gelingt - und da ist die Bundesregierung sehr bereit, ihren Part zu spielen -, dann haben wir - glaube ich ganz wesentliche Schritte getan. Über die Notwendigkeit von Reformen das wollte ich hinzufügen - scheint mir. ebensowenig ein Zweifel zu bestehen wie darüber, daß es Möglichkeiten gibt, hier voranzukommen. Dieses wollte ich eigentlich als ein sehr allgemeines Wort am Ende des Vormittags - es ist ja keineswegs das Ende unserer Besprechungen hier sagen und insoweit mit einem langfristig-optimistischen Ton schließen. Herzlichen Dank.

Beitragspflichten und Stimmrecht Notwendigkeit und Möglichkeit. das Entscheidungsverfahren über Ausgaben der Vereinten Nationen neu zu strukturieren Von Eckart Klein

Einführung Wer von der Krise der Vereinten Nationen zu sprechen hat - und das ist ja implizit mein Thema -, der muß nicht nur Fakten und Zahlen aufbereiten, um diesen Befund zu belegen, sondern er sollte zunächst, schon um Distanz zu seinem Diskussionsgegenstand zu gewinnen, ein gewisses naives Staunen darüber nicht unterdrücken, daß die Vereinten Nationen überhaupt noch bestehen. Angesichts der Spannungen, die von der Organisation im Verlauf der letzten 40 Jahre auszuhalten waren, ist dies wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Doch ganz offenbar ist bei aller heftigen Kritik, die an den Vereinten Nationen zu Recht oder zu Unrecht geübt wird, eine globale Übereinstimmung dahin festzustellen, daß ein Zurück hinter den Organisationsverbund, den die Vereinten Nationen den Staaten bieten, nicht sinnvoll wäre. Diese Sicht rüstet die Vereinten Nationen mit einem Überlebenspotential aus, das beträchtlich ist. So ist es auch gelungen, die akut gefährliche Situation, die durch umfangreiche Beitragsverweigerungen im letzten Jahr entstanden war, im Verlauf dieses Jahres zu entschärfen. Während der Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen vom Jahr 1986 von blankem Entsetzen geprägt war und mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zum Jahresende rechnete, I wird im diesjährigen Bericht schon fast hochgemut .die baldige finanzielle Gesundung der Organisation" prognostiziertj2 die letzten Berichte klingen freilich wieder weit weniger hoffnungsfroh. 3 UN Doc. Al4111, S. 6. UN Doc. AI42/1, S.8. Auch die Rede des Bundesaußenministers vor der 42. Generalversammlung in New York am 24.9.1987 thematisiert das Problem nicht, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 94 vom 26.9. 1987, S. 805 ff. 3 Vgl. etwa UNO Woche, Jg. 3, Nr. 42/43 vom 28.10.1987, S. 5 f. i Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.11.1987: •Vereinte Nationen vor der Zahlungsunfähigkeit". I

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Ich will die Angelegenheit nicht verharmlosen. Die zweifellos vorhandene Krisenresistenz der Vereinten Nationen, so positiv sie an sich zu veranschlagen ist, kann auch zu einer Reformresistenz werden, die die Zeichen der Zeit wahrzunehmen weder fähig noch willens ist. Auch wenn vieles darauf hindeutet, daß die Staaten die Existenz der Vereinten Nationen als auch im eigenen nationalen Interesse liegend betrachten, sind Interessenfehleinschätzungen nach aller geschichtlichen Erfahrung nicht auszuschließen. Die große Bedeutung der Vereinten Nationen allein ist keine Bestandsgarantie. Ob die gegenwärtige Krise der Vereinten Nationen nicht nur Ausdruck einer gefährlichen Lage ist, sondern - was das Wort Krise ja auch enthält - den Wendepunkt einer Entwicklung, nämlich zur Reformbereitschaft markiert, ist ungeachtet der Resolution der Generalversammlung 41/213, die man als historisches Ereignis gefeiert hat,4 noch keineswegs ausgemacht. Eine Besserung der finanziellen Lage könnte nur zu leicht dem phlegmatischen Hang zur Organisationsruhe erneut Auftrieb geben.

I. Die Krise - Fakten und Ursachen 1. Zahlen

Obgleich die Vereinten Nationen immer wieder schwierigen finanziellen Trockenzeiten ausgesetzt waren 5 - ich erinnere nur an die sich an die Kongo-Aktion (1960) anschließende Krise und daran, daß seit 1972 die finanzielle Notlage ein Dauerthema für die Generalversammlung ist6 - , spitzt sich die Situation im Verlauf des Jahres 1986 durchaus dramatisch zu. Die Dramatik bezog sich dabei weniger auf die Höhe der Verbindlichkeiten als auf den plötzlichen Mangel an Liquidität. Der ordentliche Zweijahreshaushalt 1986/87 beläuft sich auf 1,711 Mrd. US-Dollar, der auf das Jahr 1986 entfallende Anteil auf 830 Mio. Dollar; 1 dies ist weniger als ein Viertel der Ausgaben der gesamten UN -Familie (1986: 3,9 Mrd. Dollar).8 Der ganz überwiegende Teil der im ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen veranschlagten Ausgaben wird auf die Mitglieder nach ~ The Stanley-Foundation, Administrative and Budgetary Reform of the United Nations, Report of the 18th United Nations Issues Conferenee (February 20-22, 1987), 1987, S. 9. 5 Vgl. dazu etwa Karl Zemanek, Die Finanzkrise der Vereinten Nationen, in: Europa-Arehiv (EA) 28 (1973), S. 555 ff.; Hansjörg Döpp, Der Haushalt der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen (VN) 21 (1973), S. 14ff.; Michael von Harpe, Der UN-Haushalt: Inhalt und System, in: VN 28 (1980), S. 52 ff. 6 Von UN Doe. AIRes. 3049 A (XXVII) bis AlRES/411204. 7 UN Doe. A/RES/401253 A. B Vgl. die Nachweise in VN 34 (1986), S. 141.

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Art. 17 Abs.2 Satzung umgelegt, so z. B. von 872 130450,00 Dollar - den für 1987 bewilligten Ausgaben - der Betrag von 851 502 100,00 Dollar, der sich allerdings durch verschiedene Auf- und Anrechnungen auf insgesamt ca. 756 Mio. Dollar ermäßigt. 9 Ende 1985 betrug der sich aus 1985 und aus früheren Jahren angesammelte Beitragsrückstand 242,4 Mio. Dollar. Diese Summe vergrößerte sich Ende 1986 auf 257,8 Mio. Dollar. lo Für Mitte Oktober 1987 sind folgende Zahlen bekannt gegeben worden: l1 Der 1986 und früher betreffende Rückstand ist auf 189 Mio. Dollar zurückgegangen; von den 765 Mio. Dollar Beiträgen 1987 sind 473 Mio. gezahlt worden (= 62,6%). Addiert man die bisherigen Beitragsrückstände 1987 mit den früheren Rückständen, so kommt man für diesen Zeitpunkt auf eine Gesamtsumme von 572 Mio. Dollar. Allein der Anteil der USA hieran beträgt 340 Mio. Dollar (fast der gesamte Anteil von 1987 plus 140 Mio. Dollar aus 1986 und früher). Die akute Liquiditätskrise, in der sich die Vereinten Nationen seit Frühjahr 1986 befinden, ist zunächst durch die Ende 1986 erfolgte wenigstens etwa hälftige Beitragsleistung der USA (100 Mio. Dollar), durch erhebliche vom Generalsekretär verfügte Einsparungen l2 (ca. 140 Mio. Dollar für 1986 und 1987) - von denen übrigens u. a. die UNTS, das UNYB und YB on Human Rights betroffen sind -, durch die im Gegensatz zu vergangenen Jahren relativ frühzeitig erfolgte Beitragszahlung einer größeren Zahl von Mitgliedstaaten sowie durch freiwillige Leistungen entschärft worden. Freilich bleibt die Lage ernst. Ändert sich die Haltung der USA nicht, d. h. entrichten sie nur die Hälfte des auf sie entfallenden Beitrags, so entsteht jedes Jahr eine weitere Lücke von ca. 100 Mio. Dollar. \3 Die Höhe dieser absoluten Summe könnte sich zwar durch den neuen Doppelhaushalt für 1988/89, der durchaus diszipliniert ist (negative Wachstumsrate von 1,78 %), um einiges verringern. 14 Er ist vom Generalsekretär auf ein Volumen von 1 681 372 400,00 Dollar, d. h. um etwa 30 Mio. Dollar niedriger als der Vorgänger, veranschlagt worden. Sollten die zusätzlichen Kürzungen über mehr als 51 Mio. Dollar, die der Beratende Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ) vorgeschlagen hat, akzeptiert werden, so vermindert sich der von den USA zu leistende Beitrag nicht unbeträchtlich, angesichts der hohen prozentualen Beteiligung der USA am GesamtbeitragsaufkomUN Doc. A/RES/411211 C. UN Doc. A/C. 5/41/24, S. 5. 11 UNO Woche (Anm. 3). 12 UN Docs. A/411850, A/411901. 13 Dazu George Davidson I Myer Cohen, United Nations Financial Emergency Crisis and Opportunity, New York, August 1986 (hektrographiert), S. 5. 9

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Vgl. UNIS/1359 (8.10.1987).

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men (25 %) würde sich bei unveränderter amerikanischer Haltung aber keine prinzipielle Verbesserung ergeben können. Zum Bild der finanziellen Situation der Vereinten Nationen gehört auch die Frage der Finanzierung ihrer friedenserhaltenden Maßnahmen, auch wenn der ordentliche Haushalt davon nicht betroffen ist. Im Oktober 1986 wurden für Ende des Jahres bezüglich UNEF II/-UNDOF Beitragsrückstände von 31 268200,00 Dollar vorausgesehen, für UNIFIL sogar 223 153800,00 Dollar. 15 Hier wirkt sich die Beitragsverweigerung der USA noch nicht allzu deutlich aus (654400,00 bzw. 2930000,00 Dollar). Der größte Schuldner ist die Sowjetunion (24823300,00 bzw. 172 300 000,00 Dollar - einschließlich Ukraine und Weißrußland), die allerdings kürzlich angekündigt hat, ihren Verpflichtungen nachkommen zu wollen. 16 Daß das Defizit die Aktionen bisher nicht in Frage gestellt hat, ist auf die Bereitschaft der truppenstellenden Mitgliedstaaten zur Vorausfinanzierung zurückzuführen. 2. Beitragsverweigerungen und ihre Ursachen

a) Übereinstimmend und zu Recht werden die langfristigen und akuten finanziellen Schwierigkeiten der Vereinten Nationen primär auf die einstweilige oder dauernde Zurückhaltung der Beiträge oder von Beitragsanteilen durch die Mitgliedstaaten zurückgeführt. Daneben spielen Währungsschwankungen, Inflation und Zahlung in nicht konvertibler Währung eine jedenfalls teilweise keineswegs unbedeutende Rolle. Die sozusagen klassischen Gründe für Beitragsrückstände bilden die verzögerte Zahlung und Leistungsverweigerung im Hinblick auf konkrete Etatposten. Nach den geltenden Regeln sind die Staaten verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen nach der Zahlungsaufforderung durch den Generalsekretär den auf sie entfallenden Beitrag zu leisten; die Zahlungsaufforderung ergeht üblicherweise jeweils im Februar. 11 Die säumige Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten wird dadurch demonstriert,. daß im Oktober 1985 nur 33 Mitglieder (von 159), im Oktober 1986 nur 48 Mitglieder und im Oktober 1987 nur 69 Mitglieder den ganzen Jahresbeitrag entrichtet hatten. 18 Manchmal dauert es Jahre, bis ein früherer Beitrag vollständig bezahlt ist. UN Doc. Ale. 5/41/24, S. 21. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeiturtg vom 17.10.1987. 17 Vgl. dazu den Beitrag von earl-August Fleischhauer zu der von der ASIL durchgeführten Tagurtg am 29.5.1986 über International Law and United States Withholding of Payments to International Organizations (hektographiert), S. 1 f. 18 Dazu Anm. 3 und 11. 15 16

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Die Leistungsverweigerung im Hinblick auf bestimmte Budgetposten ist bis in den Anfang der 80er Jahre vor allem von sozialistischen Staaten, aber auch Indien, Portugal und Frankreich praktiziert worden. 19 Die Vereinigten Staaten von Amerika schlossen sich dieser Praxis seit 1982 an 20 und lehnen seitdem gezielt die Entrichtung ihres Anteils an den Kosten der SeerechtsVorbereitungskommission ab. Eine 25%ige Kürzung wurde vom Kongreß 1983 bezüglich des Anteils der USA an Programmen zugunsten der palästinensischen Bevölkerung, der PLO und SWAPO und 1985 hinsichtlich der Zweiten Dekade des Kampfes gegen Rassismus und rassische Diskriminierung und des Baus des Hauptquartiers der Afrikanischen Wirtschaftskommission in Addis Abeba beschlossen. In diese Kategorie gehört auch das Sundquist amendment j21 danach wird der anteilige US-Beitrag für die Bezahlung derjenigen VN-Bediensteten gekürzt, die einen Teil ihres Gehalts an ihre Heimatstaaten abführen müssen. Da die USA mit 25 % am Gesamtbeitragsaufkommen beteiligt sind, müssen sich alle diese Leistungsverweigerungen zwangsläufig merklich auswirken. In noch höherem Maß gilt dies für das im Kongreß 1985 beschlossene Kassebaum-Solomon amendment. 22 Es verfügt der Sache nach eine mit dem Fiskaljahr 1987 wirksam werdende generelle, d. h. nicht auf einzelne Etatposten beschränkte Reduzierung des amerikanischen Beitrags von 25 % auf 20 % des Gesamtaufkommensj dies soll so lange gelten, bis die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen bei der Entscheidung über ihre Haushalte ein Verfahren akzeptiert haben, das den Mitgliedstaaten ein ihrer Beitragsverpflichtung proportionales Stimmrecht einräumt. Eine weitere Verminderung der gezahlten Beiträge ist die Folge des Balanced Budget and Emergency Deficit Control Act von 1985 {sog. Gramm-Rudman-Hollings Act),23 eines Gesetzes, das - wie seine Bezeichnung ausdrückt - nicht speziell die VN-Beitrräge berührt, sondern generell auf Einsparungen im Zeitraum zwischen 1986 und 1991 abzielt. Für das Fiskaljahr 1986 bedeutete dies eine zusätzliche Einbehaltung von an Internationale Organisationen zu entrichtenden Beiträgen in Höhe von 4,3 %. Beides zusammen kürzt den amerikanischen Beitrag auf etwa 15 %.24 Nachweise UN Doc. Ale. 5/35/13 Annexes. Nachweise für das Folgende bei Elisabeth ZolleT, The .Corporate Will" of the United Nations and the Rights of the Minority, in: AJIL 81 (1987), S. 610 ff. 21 Foreign Relations Authorization Act, Fiscal Years 1986 and 1987, § 151, Pub. L. No. 99-93, 99 Stat. 405, 428, 22 U.S.e. § 287 e note (Supp. III 1985). 22 Foreign Relations Authorization Act, Fiscal Years 1986 and 1987, § 144, Pub. L. No. 99-93, 99 Stat. 405, 424-425, 22 U.S.e. § 287 e note (Supp. III 1985). 23 Pub. L. No. 99-177,99 Stat. 1037,2 U.S.e. § 901 (Supp. III 1985). Das Urteil des Supreme Court vom 7.7.1986, das wesentliche Bestimmungen dieses Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hat (92 U.S.L. Ed. 2nd 583), läßt die hier diskutierte Problematik unberührt. 19

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Gegenüber den früher schon geübten Zahlungsverweigerungen zeigen Kassebaum und Gramm-Rudman-Hollings eine neue Dimension. Es geht nicht mehr um gezielte Ablehnung von Einzelaktivitäten, sondern im Falle Kassebaum um prinzipielle Zurücknahme des finanziellen Engagements aus dem erklärten Grund, politische Vorstellungen in der Organisation durchzusetzen, im zweiten Fall um die offene Unterwerfung völkerrechtlicher Zahlungsverpflichtungen unter nationale haushaltspolitische Erwägungen. Ein Sonderfall der Beitragsverweigerung bleibt zu erwähnen; er betrifft die Republik Südafrika. Dieser Staat verweigert seit seinem Ausschluß aus der Generalversammlung 1974 die auf ihn entfallenden Beiträge; die Rückstände beim regulären Budget wurden zum 30.9.1986 mit 27566416,00 Dollar angegeben. 25 b} Der nach allem ohne weiteres zu ziehende Schluß, daß die verschiedenen Formen der Beitragszurückhaltung die wesentliche Ursache der Finanzkrise bilden, bliebe an der Oberfläche, würde man den Gründen für dieses Verhalten der Mitgliedstaaten nicht nachgehen. Andeutungsweise wurde bereits einiges dazu vermerkt. Der Mangel an finanzieller Leistungskraft dürfte nur in den wenigsten Fällen ausschlaggebend sein. Zwar hat sich der reguläre Haushalt der Vereinten Nationen erheblich ausgeweitet (1971: ca. 192 Mio., 1987: ca. 872 Mio. Dollar), und entsprechend stieg die Belastung der einzelnen Mitgliedstaaten. In absoluten Zahlen bedeutet dies für den größten Beitragszahler (USA, 25 %) im Jahr 1987 etwa 212 Mio. Dollar, für die 78 Staaten, die den geringsten Beitragssatz (0,01 %) zu entrichten haben, immerhin noch etwa 70000,00 Dollar. AngeSichts der Größenordnung der eigenen nationalen Budgets liegt hierin jedoch kein besonders überzeugendes Argument. 26 Dies gilt nach meiner Ansicht auch dann, wenn man durchaus zutreffend Einzelverschwendung (wie das für 75,5 Mio. Dollar projektierte Konferenzzentrum in Addis Abeba) und allgemeine und spezielle Ineffizienz im Geschäftsgang und in den Einzelaktivitäten der Vereinten Nationen rügt, wie sie ja auch die Expertise der Achtzehn z. T. recht schonungslos offengelegt hat. 27 Selbst 24 Margret E. GaJey, Statement, in: Financial Crisis at the United Nations: International Law and United States Withholding of Payments to International Organizations, sponsored by the ASIL (June 12, 1986) (hektographiert), S. 3 f. 25 UN Doc. Ale. 5/41/24, S. 17. 26 So zutreffend auch Klaus Hüfner, Die freiwilligen Finanzleistungen an das VN-System, GYIL 26 (1983), S. 299 ff. (337 f.). 27 Report of the Group of High-Level Intergovernmental Experts to Review the Efficiency of the Administrative and Financial Functioning of the United Nations, GAOR: 41st Session, Supp!. No. 49 (Al41 149), vg!. auch ILM 26 (1987), S.145ff. Vgl. zu dieser Frage auch Klaus Dicke 1 Klaus Hüfner (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des

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wenn manche Leistungsverzögerungen und - wie im Fall des GrammRudman-Hollings Act - auch gewisse Leistungsreduzierungen mit nationalen finanziellen Schwierigkeiten erklärbar sind, sind sie kaum ernsthaft als die entscheidenden Krisenelemente auszumachen. In der Tat dürfte kein Zweifel daran sein, daß der Finanzkrise mehr als das Unbehagen über Zahlen zugrunde liegt;28 was als Finanzkrise auftritt, ist in Wahrheit eine politische Krise und eine Strukturkrise. Wesentlich ist, daß man die Verbindung beider Aspekte erkennt. Die gewichtigste Kritik, die gegenüber den Vereinten Nationen artikuliert wird,29 ist ihr weites - wenngleich in der Charta angelegtes (z. B. Art. 55) Ausgreifen auf alle Politikbereiche, insbesondere in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht - bei allerdings gleichzeitig ebenda besonders ausgeprägter Ineffizienz und Ineffektivität30 -, was zugleich eine Akzentverlagerung gegenüber der klassischen Friedenserhaltungs- und Sicherungsaufgabe bedeutet, zumindest dann bedeuten kann, wenn der Verteilungskampf um Ressourcen auf diesem Wege zentralisiert und Mehrheitsentscheidungen im Sinne des one state one vote zugänglich gemacht wird. Wir sind dabei am entscheidenden Punkt. Nicht das Aufgreifen und das Behandeln wichtiger Themen an sich sind problematisch. Als problematisch aber erweist sich, daß die Auswahl der Themen, ihre Diskussion und die Entscheidung darüber den Verfahrensmechanismen der Organisation unterworfen sind, die ihrerseits nicht prinzipiell auf Interessenausgleich und -harmonisierung angelegt sind, sondern auf Entscheidung durch - z. T. freilich qualifizierten - Mehrheitsbeschluß. Die Minderheit, selbst wenn wesentliche eigene politische Interessen auf dem Spiel stehen, hat auch im Haushalts- und Beitragsverteilungsverfahren keine Chance, ihren Widerstand umzusetzen. Abgesehen davon, daß der bisher geltende Mechanismus bei der Aufstellung der mittelfristigen Planung und des Programmbudgets die Mitgliedstaaten von jeder effektiven Mitwirkung ausschloß3! bzw. nur auf die letztlich notwendige 2/3-Mehrheit (Art. 18 Abs. 2 SVN) vom VN-Systems: Politische Kritik und wissenschaftliche Analyse (1987). Zur Kritik am Maximalismus der Generalversammlung auch Christian Tomuschat, Die Krise der . Vereinten Nationen, in: EA 42 (1987), S. 97 H. (101). 28 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs UN Doc. A/421234 (23.4.1987), S. 4; ferner Hans Arnold, Von Macht und Geld. Die Weltorganisation im Zeichen der Reformdiskussion, in: VN 35 (1987), S. 1 H. 29 Davidson / Cohen (Anm. 13), S. 27. 30 Dies machen der Expertenbericht (Anm. 27) und der sogenannte BertrandBericht (Joint Inspection Unit, Some Reflections on Reform of the United Nations, A/40/988) ganz deutlich. 31 Vgl. Expertenbericht (Anm. 27), S. 27 f.; Lothar Koch, Die Erwartungen eines Mitgliedstaates an Haushalts- und Finanzpolitik der Sonderorganisation im VNSystem, in: Die Leistungsfähigkeit des VN-Systems (Anm. 27), S. 82 H. (85).

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Generalsekretariat als der vorbereitenden Stelle Bedacht genommen wurde, gibt es für die numerische Minderheit keine Möglichkeit, die Verabschiedung eines Haushalts zu verhindern, in dem ihnen angesonnen wird, abgelehnte Aktivitäten auch noch überwiegend selbst zu finanzieren. Insoweit spielen nicht nur festgefügte Abstimmungsblöcke eine Rolle, sondern auch die Tatsache, daß zu der ablehnenden oder jedenfalls kritisch eingestellten Minderheit gerade die großen Beitragszahler gehören, während die Mehrheit von denen gestellt wird, die die finanziellen Folgen ihrer Entscheidung kaum zu spüren haben; denn es ist eben diese Mehrheit, die über die prozentuale Verteilung der Beitragslasten entscheidet. So kann nach heutigem Stand die notwendige 2/3-Mehrheit von solchen Mitgliedstaaten gestellt werden, die zusammen nicht einmal 2 % der Ausgaben zu tragen haben. In der Praxis ist die Zustimmung freilich breiter; so wurde der Doppelhaushalt 1986/87 von Staaten, die gerade 1/5 des Gesamtbeitragsaufkommens aufbringen, befürwortet; abgelehnt wurde er von Staaten, die etwa 40 % der Beiträge zu erbringen haben. Die Unentrinnbarkeit dieser politischen Abläufe weckt Aggressionen. Kommt ein der Großmacht eigenes Überlegenheitsgefühl hinzu, das - wie im Fall der USA - nicht durch eine langfristig angelegte außenpolitische Konzeption kanalisiert und instrumentalisiert wird, so liegen Reaktionen, wie sie sich etwa im Kassebaum amendment finden, nicht fern. Enttäuschte, zunächst zu hoch gespannte Erwartungen tun ein Übriges. 32 Dies führt zu der Frage, wie die Leistungsverweigerung, aber vor allem die offen gelegte Strukturproblematik, unter rechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten sind. 11. Die Krise -

Bewertung

Was zunächst die Nichtleistung von Beiträgen als solche betrifft, kann sie nicht mit einem vertraglichen Leistungsverweigerungsrecht (vgl. Art. 60 WVK) begründet werden. 33 Die Rechte und Pflichten eines Mitgliedstaates beruhen zwar auf einem Vertrag, doch treten sich Organisation und Mitgliedstaaten nicht als Vertragsparteien gegenüber; ihre Beziehungen sind vielmehr institutioneller, der vertraglichen Sphäre entrückter Art. Dieses entscheidende institutionelle Element verhindert es, die Charta primär als 32 Thomas M. Franck, Great Expectations: An Exploration of the Exaggerated Hopes Aroused by the V.S. Campaign for Ratification of the V.N. Charter, in: Th. Buergenthal (ed.), Contemporary Issues in International Law, Essays in Honor of Louis B. Sohn (1984), S. 291 ff. 33 Christian Tomuschat, Die Beitragsverweigerung in Internationalen Organisa· tionen, in: Internationales Recht und Wirtschaftsordnung, Fs. F. A. Mann (1977), S. 439 ff. (451); Zoller (Anm. 20), S. 26 ff.

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Vertrag, gar als Vertrag zwischen den fünf Großmächten zu qualifizieren 34 und der Verweigerung von Beiträgen durch einen anderen Mitgliedstaat mit der eigenen Leistungsverweigerung, gestützt auf ein vertragliches Leistungsverweigerungsrecht (inadimplenti non est adimplendum), zu begegnen. Insofern scheidet auch der Einsatz der Repressalie zur Rechtfertigung eigener Beitragsverweigerung aus. Ihr Einsatz erscheint mir allerdings da zulässig, wo die Organisation selbst Rechte des Mitglieds verletzt (Fall Südafrika) oder ultra vires handelt und damit die zwischen Staatenkompetenz und Organisationskompetenz gezogene Grenzlinie überschreitet. 35 Abgesehen von ganz marginalen, überhaupt nicht näher spezifizierten Hinweisen 36 sind die mit dem Namen Kassebaum und Gramm-Rudman-Hollings verbundenen Beitragsverweigerungen mit Chartaverletzungen jedoch nicht begründet worden. 37 Der Zugriff auf die Repressalie bietet - und darauf kommt es mir an - dem in die Minderheit gedrängten Mitgliedstaat zunächst einmal Schutz gegen rechtswidriges Verhalten der Organisation, wobei allerdings Maßstab allein die VN-Charta selbst ist. Zum selben Ergebnis kommt man, wenn man mit Elisabeth ZolleI das Recht zur Beitragsverweigerung für den Fall, daß die Organisation den Boden des Rechts verläßt, als .an inherent right of UN membership" begreift. 38 Beide Argumentationen bieten Schutz gegen die Organisation bzw. die deren Verhalten bestimmende Mehrheit. Der dadurch ermöglichte Minderheitenschutz erstreckt sich jedoch nicht auf die Verteidigung nationaler, auch wesentlicher Interessen, sofern der Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens der Organisation nicht gemacht werden kann. Daraus folgt, daß das uns hier beschäftigende Problem, nämlich dieser durch Ablehnung politischer Ziele und Unterwerfung unter Mehrheitsbeschlüsse geschürzte Knoten nicht mit dem Instrument der Beitragsverweigerung gelöst werden kann. Sie - die (teilweise) Beitragsverweigerung - bleibt gleichwohl das einzige Mittel, mit dem politisch wirksam reagiert werden kann, sieht man von dem noch weniger wünschbaren Austritt ab. Auch wenn man unter rechtlichen Gesichtspunkten daher zu einer klaren Würdigung der Lage und insoweit eindeutigen .Schuldzuweisung" kommen muß, erscheint es doch wenig angemessen, hierbei stehenzubleiben. Vielmehr ist zu fragen, ob es nicht andere organistionsadäquate Lösungen gibt, die den erkannten Schwierigkeiten eher Rechnung tragen. 34 So Allan GeIson, Statement, in: Financial Crisis at the Vnited Nations (Anm. 24), S. 5 f. 35 Vgl. schon EckaIt Klein, Zur Beschränkung von Mitgliedschaftsrechten in den Vereinten Nationen, in: VN23 (1975), S.51ff.(54f.); ebenso Toml18chat (Anm.33). 36 Vgl. GeIson (Anm. 34), S. 1 f. 37 Vgl. Richard W. Nelson, International Law and V.S. Withholding of Payments to International Organizations, in: AJIL 80 (1986), S. 973 ff. (974 f.). 38 ZolleI (Anm. 20), S. 632.

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Diese Frage wird in der Tat ja auch gestellt. Der derzeitige Rechtsberater der Vereinten Nationen, earl-August Fleischhauer, hat nach deutlicher Kritik am Verhalten der Vereinigten Staaten zugestanden, daß es ernsthafte Zweifel daran gebe, ob die Struktur der Vereinten Nationen den Aufgaben, mit denen multilaterale Organisationen und Institutionen heute konfrontiert werden, adäquat ist. 39 Entsprechendes wird im Bericht der High-Level Experts (1986) formuliert 40 und in der Folge von der bereits erwähnten Resolution 41/213 jedenfalls prinzipiell anerkannt. Die damit angelaufenen Reformüberlegungen zielen einmal auf die Verbesserung der Binnenkoordination, vor allem durch organisatorische Straffung des Sekretariats. Insoweit konnte der Generalsekretär im April 1987 einen ersten positiven Erfolgsbericht vorlegenY Gewichtiger im Rahmen unseres Themas, weil dabei die Interessen der Mitglieder unmittelbar berücksichtigt werden, ist der Versuch, den Budgetprozeß neu zu strukturieren. Die wesentlichen Aspekte dabei sind die früher einsetzende Mitwirkungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten und das eher auf Interessenausgleich als auf Mehrheitsentscheidung ausgerichtete Verfahren in den vorbereitenden Gremien. Die Chance früherer Einflußnahme auf die Tätigkeiten der Organisation und deren Finanzierung soll den Mitgliedstaaten sowohl im Hinblick auf den mittelfristigen Plan 42 als auch im Hinblick auf den Programmhaushalt eröffnet werden. 43 Vor dem Jahr der Beschlußfassung über den Doppelhaushalt legt der Generalsekretär einen ersten Überblick über diesen Haushalt vor, der insbesondere eine vorläufige Schätzung der zu veranschlagenden Mittel und eine Prioritätenfestlegung enthalten soll. Der Programm- und Koordinierungsausschuß (CPC), ein Nebenorgan der Generalversammlung, behandelt diesen Überblick und legt der Generalversammlung über den Finanzausschuß (5. Committee)44 seine Schlußfolgerungen und Empfehlungen vor. Auf der Grundlage des danach gefaßten Generalversammlungsbeschlusses stellt der Generalsekretär nun den eigentlichen Haushaltsentwurf auf und legt ihn dem Programm- und Koordinierungsausschuß und dem Beratenden Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsfragen vor, die - wieder über den Finanzausschuß --:- ihre Empfehlungen der Generalversammlung zuleiten, die endgültig zu entscheiden hat. Statement, in: Financial Crisis at the United Nations (Anm. 24), S. 13. Expertenbericht (Anm. 27), S. 4. 4\ UN Ooc. Al421234, S. 8 ff. 42 Vgl. UN Ooc. Al421234, S. 5. 43 Einzelheiten in UN Ooc. AlRES/411213 11 und Annex. 44 Zur Rolle des 5. Ausschusses siehe Johan Kaufmann, United Nations Oecision Making (1980), S. 38 ff. 39

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Die angestrebte Verbesserung besteht also darin, daß vor den Festlegungen durch das Sekretariat (Entwurf) ein Meinungsbild entsteht, das in seinem Facettenreichtum vom Sekretariat berücksichtigt werden kann. Hinzu kommt nun aber, daß Resolution 41/213 nicht nur die Erwartung formuliert, daß der 5. Ausschuß ein möglichst umfassendes Einvernehmen herbeiführt, sondern daß der CPC seine Beschlüsse im Konsensusverfahren fassen wird. 45 Da in diesem Ausschuß in der Regel alle großen Beitragszahler vertreten sind, wird dies dahin verstanden, man habe sich auf ein gentlemen's agreement 46 des Inhalts geeinigt, daß budgetäre Entscheidungen nicht mehr gegen den Willen der Hauptbeitragszahler gefaßt werden, unbeschadet der Chartabestimmungen über die Haushaltsbefugnisse der Generalversammlung selbst. 47 Ein wichtiges Teilstück der Reformen bilden schließlich noch die Überlegungen zum Reservefonds (contingency fund). Durch ihn sollen zusätzliche, zunächst nicht behandelte Ausgaben aufgefangen werden, ohne daß es zu einer weiteren Belastung der Mitgliedstaaten kommt. 48 Reicht der Fonds, der vom Generalsekretär auf 0,75 %des Gesamthaushaltes kalkuliert wird,49 nicht aus, müssen Umschichtungen innerhalb des Budgets vorgenommen werden. Aus diesem Fonds nicht zu decken sind zusätzliche Anforderungen, die sich aus Inflation, Währungsschwankungen, aber auch Friedenssicherungsaufgaben ergeben. Man kann durchaus konstatieren, daß das von Resolution 41/213 eingeschlagene Verfahren den großen Beitragszahlern erheblich entgegenkommt. Ob es allerdings hält, was es verspricht, ist noch offen; offenbar tut man sich bei der gegenwärtigen Beratung des Doppelhaushalts 1988/89 im CPC auf dem vorgezeichneten Verständigungsweg noch schwer. 50 Jedenfalls leistet das in den Mittelpunkt des Budgetverfahrens gerückte Konsensusverfahren einen wichtigen Beitrag, um das innerhalb der Vereinten Nationen akut gewordene Problem der Disparität von Stimmrecht und Verantwortung zu entschärfen. Dabei stellt sich die Frage, ob das Konsensusverfahren die einzige Möglichkeit ist, die sich insofern bietet, und ob es selbst bzw. andere denkbare Alternativen den Grundprinzipien des geltenden Völkerrechts gemäß sind. UN Ooc. A/RES/41/213 11 Ziffer 5-7. Zoller (Anm. 20), S. 634. 47 Hierzu die Erklärung des Präsidenten der Generalversammlung, abgegeben auf der 102. Plenarsitzung am 9.12.1986 und der Resolution 41/213 aufgrund Beschlusses der Generalversammlung als Annex 11 beigefügt (lLM 26 (1987), S. 143). 48 UN Ooc. A/RES/41/213, Annex I, Ziffer 7-11. 49 UN Ooc. A/42/225, S. 10. 50 UN Press Releases, GA!AB/2466 (22.10.1987), Fifth Committee Continues Oebate on United Nations Budget for 1988-1989 Biennium. 45

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111. Das Problem der Disparität von Stimmrecht und Verantwortung

1. Ausgangspunkt: Souveräne Gleichheit der Staaten Ich gehe bei dieser Prüfung von dem auch für die heutige Staatengemein schaft immer noch grundlegenden Bauelement aus, dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Auf ihn rekurrieren gerade auch die in unserem Zusammenhang maßgeblichen, aber einander widersprechenden Ansichten; sowohl diejenige, die für die Verbindung: gleiches Stimmrecht - Mehrheitsregel eintritt,51 als auch diejenige, die Einstimmigkeit verlangt, jedenfalls die Kombination von Einem/Hundertneunundfünfzigstel Stimmgewicht (11159) und 25 % Beitragsvolumen als von diesem Grundsatz nicht gedeckt sieht. 52 Natürlich kann dieser letzten Meinung gegenüber auf die Bestimmungen der Charta verwiesen werden; wir müssen uns aber hier, wo es um die Beurteilung der Adäquanz dieser Regelung geht, also rechtspolitisch zu argumentieren ist, gedanklich von ihnen lösen. Aus der souveränen Gleichheit der Staaten ergibt sich, daß grundsätzlich jeder Staat seine Interessen selbst definiert und interpretiert und daß die so formulierten Interessen der Staaten gleichen Rang haben. Da die Staaten häufig unterschiedliche Interessen haben werden, können diese miteinander kollidieren. Da es eine Interessenrangordnung nicht gibt, läßt der Grundsatz der souveränen Gleichheit im heutigen Völkerrecht nur den vereinbarten Interessenausgleich zu; er verweist auf Verhandlungen und Komprorniß. Unter diesem Aspekt sind im folgenden Einstimmigkeits- und Mehrheitsprinzip zu betrachten.

2. Einstimmigkeitsprinzip Im Einstimmigkeitsprinzip kommt der materielle Konsensgedanke besonders deutlich zum Ausdruck, es entspricht insoweit daher sicher der aus der Souveränität folgenden Gleichheit der Staaten. Freilich ist es nicht von sich heraus auf Überwindung von Interessenkollisionen angelegt, erlaubt eher die Blockade eines Kompromisses als daß es ihn fördert; es dient mehr dem Interessenschutz als dem Ausgleich und kann von daher in einer Organisation, in der man sich zur Verfolgung eines vorab konsentierten Generalzwecks zusammengeschlossen hat, sich leicht als schwerer Hemmschuh für die weitere Entwicklung erweisen. 53 Allerdings ist zu beobachten, 5\ Z. B. Nelson (Anm. 37), S. 974, sowie verschiedene Staaten in der Debatte über Resolution 41/213, UN Doc. Al411PV. 102 (22. Dec. 1986). 52 Z. B. Gerson (Anm. 34), S. 1 f. 53 Vgl. Rüruger Wolfrum, Konsens im Völkerrecht, in: Hans Hottenhouer / Werner KoItefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung (1986), S. 79 ff. (82).

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daß selbst in auf Integration angelegten Gemeinschaften auf das Erfordernis der Einstimmigkeit zum Schutz wesentlicher nationaler Interessen nicht verzichtet wird. 54 Ein wirkliches Schutzbedürfnis besteht freilich nur, wenn die Entscheidungen der Organisation auf diese Interessen negativ einwirken können, was zu bejahen ist, wenn diesen Entscheidungen Verbindlichkeit zukommt. Im Rahmen der Vereinten Nationen ist dies mit wenigen Ausnahmen nicht der Fall, auch wenn insoweit zunehmend die - auch rechtliche - Langzeitwirkung von Resolutionen zu bedenken sein wird. Verbindlich sind jedoch gerade und sinnvollerweise die budgetären Entscheidungen (Art. 18 Abs. 2 SVN), mit denen auch zu einem nicht unerheblichen Teil die inhaltliche Tätigkeit der Organisation gesteuert wird j über den Haushalt und die Beitragsumverteilung gewinnen zunächst unverbindliche und von einem Mitgliedstaat abgelehnte Resolutionen über bestimmte Organisationsaktivitäten Verbindlichkeit. Budgetäre Entscheidungen dem Einstimmigkeitsprinzip zu unterwerfen, kann gleichwohl nicht empfohlen werden. Die Gefahr eines Scheiterns wäre zu groß. Das Einstimmigkeitsprinzip ist zu wenig flexibel, ihm fehlt der Zwang zum Komprorniß. 3. Mehrheitsprinzip

Die Zuordnung, d. h. die Verteilung von Stimmen ist nur in Verbindung mit dem Mehrheitsprinzip von Belang. Wenn ohnehin Einstimmigkeit gefordert ist, kommt es auf die Stimmverteilung nicht an. Ob der one State -one vote Grundsatz als solcher der souveränen Gleichheit der Staaten adäquat ist, kann daher sinnvoll gar nicht diskutiert werden. Entscheidend ist die Kombination mit einem wie immer gearteten Mehrheitserfordernis. Das Mehrheitsprinzip in Internationalen Organisationen wird unter Berufung auf das Demokratieprinzip propagiert und verteidigt. Insoweit war gerade die Debatte über die Resolution 41/213 aufschlußreich, da mehrere Staaten - vor allem afrikanische und mittel- und südamerikanische Staaten - dem hervorgehobenen Konsensusverfahren im CPC die Entscheidung durch die Mehrheit in der Generalversammlung auf der Grundlage one State - one vote als demokratische Notwendigkeit entgegensetzten. 55 Demokratie als Strukturelement des Völkerrechts und als Basis des Mehrheitsprinzips? 54 Vgl. nur zu B. Art. 100, 235 EWGV. Weitere Beispiele bei Karl Zemanek, Majority Rule and Consensus Technique in Law-Making Diplomacy, in: R.St.J. Macdonald / D.M. Johnston, The Structure and Process of International Law (1983),

S. 857 ff. (860).

55 So Panama als Vertreter der lateinamerikanischen und karibischen Staaten, Cape Verde als Vertreter der afrikanischen Staaten sowie Zimbabwe in der Sitzung vom 22.12.1986 (Anm. 51). 6 UN·Reform

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Ein erster Einwand folgt aus dem Verständnis der Demokratie als Konzeption, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Geht man von dieser auf die Menschen zentrierten Sicht aus, muß man bei der Übertragung des Demokratieprinzips auf die Staatengesellschaft auf die in den Staaten lebenden Menschen zurückgreifen. Die unterschiedlich große Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten steht dann jedoch schematischer Gleichbehandlung der Staaten entgegen. 56 So ist es wohl eher der der Demokratie immanente Gedanke von der Gleichheit der Rechtsgenossen, der seine Übertragung vom staatlichen in den völkerrechtlichen Bereich zu ermöglichen scheint. In Wahrheit überzeugt diese Argumentation deshalb nicht, weil sie wesentliche Unterschiede, die zwischen beiden Rechtsgenossenschaften bestehen - hier Individuen, dort Staaten -, außer Acht läßt. Gleichheit der Bürger in der rechtlichen Ordnung des Staates kann daher nicht ineinsgesetzt werden mit der im Völkerrecht bestehenden Gleichheit der Staaten. 57 Die Gleichheit der Bürger im Staat ist geschützt und ausbalanciert durch den Staat. Die Rechtsgewährleistung erfolgt nicht durch die Individuen selbst, natürliche Unterschiede in Macht, Reichtum und Einfluß treten zurück, da der Staat mit seinen Instanzen davon unabhängig ist. Von der Stärke des einen und der Schwäche des anderen Individuums kann der Staat daher abstrahieren. Demgegenüber ist der Schutz der Gleichheit der Staaten Sache dieser Staaten selbst. Von deren unterschiedlicher Stärke kann daher nicht in der gleichen Weise abgesehen werden. Darin sind die Staaten gleich, daß niemand sie gegen ihren Willen verpflichten kann, sie sind aber nicht gleich in den Möglichkeiten, ihre Souveränität zu verteidigen. Nicht diese Ungleichheiten, sondern ihre Leugnung führt zu Verzerrungen. 58 Solange es keine überstaatliche Instanz gibt, die die Gewalt rechtlich und tatsächlich monopolisiert, sind faktische Unterschiede zwischen den Staaten auch rechtlich erheblich. Die Verklammerung des Mehrheitsprinzips mit dem one State - one vote Grundsatz hat keineswegs die ihr häufig zugeschriebene Evidenz. 59 56 Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), S. 67; Rüdiger WoIlrUIß, Neue Elemente im Willensbildungsprozeß internationaler Wirtschaftsorganisationen, in: VN 29 (1981), S. 50 ff. (55 f.). 57 Im Ergebnis auch Edwin DeWitt Dickinson, The Equality of States in International Law (1920), S.336. 58 Vgl. ]örg Fisch, International Law in the Expansion of Europe, in: Law and State 34 (1986), S. 7 ff. (29). 59 Ähnlich Vincente Blanco-Gaspar, Differential Voting Strength, in: Contemporary Issues in International Law (Anm. 32), S. 313ff. (315f.); Rüdiger WoIlrUIß, International Organizations, Financing and Budgeting, in: R. Bernhardt (ed.), in: EPIL 5 (1983), S. 115 ff. (117).

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Aber selbst dann, wenn man diesen Erwägungen nicht folgen wollte, muß doch noch weiter berücksichtigt werden, daß das Mehrheitsprinzip eigene Funktionsvoraussetzungen hat, die nicht ohne weiteres gegeben sind. 60 Die Akzeptanz der Mehrheitsregel ist eng mit dem Gedanken des Minderheitsschutzes verknüpft. Minderheitsschutz kann sich dadurch verwirklichen, daß sich der Minderheitszugehörige der Mehrheitsherrschaft entziehen kannj6! gerade im Hinblick auf die Vereinten Nationen sollte der Austritt aus der Organisation jedoch nicht als das probate Mittel zur Lösung eines Mehrheits-Minderheits-Konflikts eingesetzt werden. So kommt es um so mehr auf das zweite Schutzelement an, nämlich auf den Gedanken der wechselnden Mehrheit oder der Machtzuteilung auf Zeit. Ist hingegen das Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit zementiert, kann also die Minderheit grundsätzlich nicht hoffen, ihrerseits zur Mehrheit zu werden,62 dann ist die Mehrheitsregel nicht friedenstiftendj denn hier wird sie vom rationalen Instrument, Herrschaft auf Zeit zu organisieren, zur Grundlage der eigenen Machterhaltung auf Dauer, zur Grundlage einer Diktatur der Mehrheit. Es entfällt für alle Seiten der Anreiz zur Mäßigung und damit zum Interessenausgleich, der aber - wie hervorgehoben - unmittelbares Folgegebot aus der souveränen Gleichheit der Staaten ist. Es kommt wohl nicht ganz von ungefähr, daß die energischen Hinweise auf Demokratie und Mehrheitsregel als angeblich notwendige Bauelemente des Rechts der Internationalen Organisationen vor allem von Staaten stammen, deren interne Ordnung diesen Forderungen weit weniger entspricht. 63 Die Beliebigkeit - und dies zeigen ja die budgetären Entschließungen der Generalversammlung über die letzten Jahrzehnte -, mit der eine feststehende Mehrheit den eigentlichen Zahlerstaaten, einer feststehenden Minderheit, Verbindlichkeiten oktroyiert hat, führt in eben diese Unentrinnbarkeitslage der Minderheit, in der das Mehrheitsprinzip seine Akzeptanz einzubüßten droht. 6• Dieser Befund gilt auch für qualifizierte Mehrheiten, soweit die Interessen einer in der Sache mächtigen Minderheit davon nicht aufgefangen werden. Ein Bericht der US-Regierung aus dem Jahr 1978 hielt das Vorhandensein einer starken Minderheit für ausreichend j sie genüge, um den Mehrheits60 Vgl. Werner Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie (1983), S.175ff., 194 ff. 6\ Werner Kaltefleiter, Die Grenzen der Demokratie, in: Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung (Anm. 53), S. 137 ff. (138). 62 Vgl. Kaltefleiter (Anm. 61), S. 142; Zemanek (Anm. 54), S. 869 ff.; Klaus Dicke, •T0 assess the adequacy and effectiveness·. Überlegungen zur Verbesserung der politischen Wirksamkeit der Vereinten Nationen am Beispiel der Weltraumpolitik, in: Die Leistungsfähigkeit des VN-Systems (Anm. 27), S. 44 ff. (48). 63 Oben Anm. 55. 64 Dazu Christian Tomuschat, Diskussionsbeitrag, in: WilhelmA. Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel (1975), S. 243.

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resolutionen ihre Überzeugungskraft im politischen oder rechtlichen Prozeß zu nehmen. 65 Freilich ist dies eine Argumentation, die gegenüber rechtlich verbindlichen Haushaltsentscheidungen der Generalversammlung nicht greift. Auch die erhöhte Mehrheit wird auf der völkerrechtlichen Ebene nicht zur pars sanior, die auf dieser Grundlage zur verbindlichen Entscheidung berechtigt wäre. Hieran wäre auch dann festzuhalten, wenn - anders als jetzt - die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, die Haushaltsentscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit (insbesondere ultra vires-Problematik) überprüfen zu lassen. Im einzelnen könnte zwar eine solche Überprüfbarkeit die Bereitschaft, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, fördern und wäre daher tendenziell zu begrüßen. Das eigentliche Problem bilden aber nicht die möglicherweise rechtswidrigen Ausgaben der Organisation, sondern politische Divergenzen. Die Erweiterung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs in diesem Bereich würde daher wenig nutzen, von allen anderen Schwierigkeiten, die mit der Aufwertung der internationalen Gerichtsbarkeit verbunden sind, ganz abgesehen. 66• Angesichts der im Budgetbereich verfestigten Mehrheits- und Minderheitsblöcke und ausgehend von der Notwendigkeit eines Interessenausgleichs und der Berücksichtigung faktischer Machtverhältnisse (was hier Zahlungsfähigkeit bedeutet), ist das one State - one vote Prinzip nur funktionabel, wo es mit einer Mehrheitsregel verbunden ist, die auch die Interessen der numerischen Minderheit, die zugleich die .praktische MehrheitM67 ist, ausreichend berücksichtigt. Da diese Minderheit zahlenmäßig sehr klein ist, müßte eine qualifizierte Mehrheit etwa 90 %betragen, also fast zur Einstimmigkeit führen. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob das one State - one vote Prinzip nicht durch eine andere Konzeption ersetzt werden sollte.

4. Stimmgewichtung Eine solche andere Konzeption ist die der Stimmgewichtung. Sie verbindet den Vorteil, Mehrheitsentscheidungen herbeiführen zu können, mit dem Vorteil, dem tatsächlichen Ungleichgewicht der Potenzen mit einer daran ausgerichteten Stimmenzuteilung entsprechen zu können. Bekanntlich ist 65 Proposals for United Nations Reform, Report pursuant to Seetion 503 of the Foreign Relations Authorization Act, Fiscal Year 1978 (Pub. L. 95-105) to the Committee on Foreign Relations United States Senate, March 1978, S. 29; vgl. auch Ulrich Scheuner, Aufgaben und Strukturwandlungen im Aufbau der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen im Wandel (Anm. 64), S. 189 ff. (227). 66 Vgl. auch Zoller (Anm. 20), S. 634. 67 So Amerasinghe (Sri Lanka) in der Generalversammlung, UN Ooc. AlPV. 2307 (6. Oec. 1974), zitiert nach R.P. Anand, International Law and the Oeveloping Countries (1987), S. 129 ff. (139).

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es aber außerordentlich schwierig, geeignete Kriterien für die Stimmgewichtung zu finden;68 dies war auch der Grund, weshalb man sich in Dumbarton Oaks und San Francisco mit diesem Gedanken nicht weiter befaßt hat. 69 In der Tat dürfte es kaum erfolgversprechend sein, ungeachtet aller zwischenzeitlich vorgelegten Modelle,1° eine alle Entscheidungen erfassende einheitliche Formel zu entwickeln. Allerdings zeigt die Staatenpraxis durchaus, daß in abgegrenzten Funktionsbereichen, in denen die Verantwortung der einzelnen Staaten leichter meßbar und in Stimmgewicht umsetzbar ist, solche Stimmgewichtungen auch tatsächlich erfolgen. Die Weltbankgruppe, der IFAD und die Rohstoffabkommen bieten bekannte Beispiele. Das Stimmgewicht eines Staates kann hier - überwiegend1! - nach seinen konkreten Leistungen bemessen werden. Entsprechendes gilt für die im EG-Ministerrat festgesetzten Stimmgewichte;12 dieses Beispiel zeigt überdies, daß auch in Integrationsgemeinschaften die simple auf one State one vote basierende Mehrheitsregel nicht immer akzeptabel erscheint. Das System des weighted voting ist zwar ebensowenig wie die einfache Mehrheitsregel auf Interessenausgleich unmittelbar angelegt; dabei ist aber zu berücksichtigen, daß dieser Interessenausgleich durch eine Interessenbewertung schon vorab mit der Zuteilung der unterschiedlichen Stimmgewichte vollzogen wurde. Dabei handelt es sich natürlich nur um eine .apriorische" Einschätzung, die im Einzelfall trügen kann. Bedeutsam aber ist, daß Risiko und Mitwirkung wieder prinzipiell einander zugeordnet sind. 13 Mit der relativen Sicherung der Durchführung und Einhaltung der in diesem Verfahren angenommenen Resolutionen wird auch der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Organisation ein Dienst erwiesen. 68 Vgl. nur Henry G. Schermcrs, International Institutional Law (1980), S. 397 f. (§682). 69 Andre Lewin, in: J.-P. Cot / A. Pellet, La Charte des Nations Unies (1985), S. 390. 70 Vgl. nur C.L. Patijn, A Formula for Weighted Voting, in: Symbolae Verzijl (1958), S. 255 ff. i Dahm (Anm. 56), S. 67 i Hanna Newcombe et al., Comparison of Weighted Voting Formulas for the U.N., World Politics 23 (1971), s. 452 ff. i Andre Lewin, La triade contraignante, une nouvelle proposition de ponderation des votes auxNations Unies, RGDIP88 (1984), S. 349ff.i Blanco-Gaspar (Anm. 59), S. 321 f. i ein Vorschlag von Harald E. Stassen (Januar 1985) wird dargestellt bei Klaus Hüfner / Jens Naumann, USA und UNO: Anmerkungen zur gegenwärtigen Krise, in: VN 33 (1985), S. 85. 71 D. h. neben einer allgemeinen, für alle Mitglieder gleichen Basisquotei dazu Henry G. Schermers, Weighted Voting, in: Ralf Bernhardt (ed.), in: EPIL 5 (1983), S.398. 72 Art. 148 EWGV i vgl. auch unten im Text nach Anm. 74. 73 Im übrigen wird zunehmende Interessenangleichung die Stimmgewichtung in ihrer praktischen Auswirkung verstärkt in den Hintergrund treten lassen, doch zugleich gibt diese Konzeption die Chance, Schwierigkeiten und Stillstände eher zu überwinden.

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Im Hinblick auf die Festsetzung der Stimmgewichte könnte bei Budgetbeschlüssen auf die tatsächlich erbrachte Beitragsleistung im vorangegangenen Haushaltsjahr abgestellt werden. Im einzelnen sind vielfältige Varianten denkbar. Weighted voting schließt freilich nicht prinzipiell das Überstimmtwerden aus, es sei denn, das Stimmgewicht eines Staates ist so groß, daß die geforderte Mehrheit ohne dieses Stimmpaket gar nicht erreicht werden kann. 74 Das Kassebaum amendment scheint diese Forderung für die USA nicht aufzustellen; sollte ein entsprechendes System daher realisiert werden können, wäre auch der größte Beitragszahler und Stimmenhalter nicht davor gefeit zu unterliegen. Hier ist ein weites Feld für Kombinationen; ein Blick auf die sorgfältige Austarierung der Stimmgewichte im EGMinisterrat (Art. 148 EWGV) zeigt, daß es gelingen kann, ein Gleichgewicht der Interessen zwischen großen und kleinen, leistungsstarken und leistungsschwächeren Staaten herbeizuführen. Der Einführung der Stimmgewichtung in das Budgetverfahren stehen - dies sei nochmals betont - keine völkerrechtsstrukturellen Gründe entgegen; das Demokratieargument der Entwicklungsländer sticht nicht. 75 Ich halte es auch für übertrieben, die Überlegungen zur Stimmgewichtung dahin zu werten, sie zielten auf den .Status quo ante einer politisch stimmenlosen Dritten Welt, die durch Bipolarität überschaubar strukturiert ist".76 Richtig ist freilich, daß der politische Widerstand gegen eine Lösung, die vom angeblich demokratischen Erfordernis des gleichen Stimmgewichts abgeht, kaum überwindbar sein würde. 77

74 Dies ist im Hinblick auf bestimmte Grundsatzentscheidungen des IMF der Fall, für die eine Mehrheit von 85 % verlangt wird, die USA ein Stimmgewicht von 20 % und damit eine Sperrminorität haben; vgl. Sir Joseph Gold, International Monetary Fund, in: Ralf Bernhardt (ed.), in: EPIL 5 (1983), S.108ff. (110); Wolfrum (Anm. 56), S.51. 75 Ungeachtet dessen sind - bislang freilich ohne Erfolg - Demokratisierungsbemühungen bezüglich Weltbank und Internationalem Währungsfonds (lMF) im Gange, vgl. Tomuschat (Anm. 27), S. 99. Zur jedenfalls in dieselbe Richtung zielenden Änderungen der Grundlagen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vgl. Gisbert Brinkmann, Ausgleich zwischen Beweglichkeit und Starrheit, in: VN 35 (1987), S. 93 H. 76 Hüfner I Naumann (Anm. 70), S. 90. 77 Scheuner (Anm. 65), S. 223, zitiert den Präsidenten der 28. Generalversammlung Leopoldo Berutes (Ecuador) mit den Worten: .The idea of weighted voting would speIl the final overthrow of the organization." ThomasM.Franck, Unnecessary UN-Bashing Should Stop, AJIL 80 (1986), S.336, charakterisiert das Kassebaum amendment als .impossible dream of forced weighted voting in fiscal maUers based on budgetary contribution".

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5. Konsensusverfaluen

In dieser Situation liegt es nahe, das Konsensusverfahren fruchtbar zu machen, das sich im multilateralen Verhandlungsprozeß inzwischen fest etabliert zu haben scheint. 78 Es ist dadurch charakterisiert, daß eine Abstimmung, ob auf der Grundlage des Einstimmigkeits- oder des Mehrheitsprinzips, vermieden oder zumindest zu vermeiden gesucht wird, vielmehr eine politische Verhandlungslösung,19 die im Ergebnis allen Beteiligten akzeptabel erscheint, angestrebt wird. Obwohl also auf eine inhaltliche Entscheidung am Ende nicht verzichtet wird, wird doch der Akzent von der Sachabstimmung auf die Prozedur verlegt, mit der versucht wird, alle erheblichen Einwände im voraus auszuräumen. 80 Dieses Verfahren hat den Vorteil, daß es von der Spannung, die zwischen der Mehrheitsregel auf der Grundlage one State - one vote und dem Einstimmigkeitsprinzip besteht, freigehalten iSt. 81 Es ist von seiner Natur her auf Kompromiß und internen Ausgleich angelegt, wirkt als .Filter"82 und wird gerade damit der souveränen Gleichheit der Staaten gerecht. Dabei erhält dieser Versuch des Ausgleichs in der Praxis dadurch eine besondere Note, daß Interessengruppen sichtbar werden und sich artikulieren,83 dieser .Organisationseffekt" hat deshalb große Bedeutung, weil er zu einer Zusammenfassung von Einzelinteressen und damit zu seiner seinerseits den Kompromiß erleichternden Interessenbündelung führt, praktisch also Fraktionsbildungen auslöst, die das Gesamtbild strukturieren und eine Verhandlungslösung erleichtern können. Wird sie erzielt, ist zugleich die Umsetzungschance größer als im Falle einer Mehrheitsentscheidung. Allerdings bedarf das Konsensusverfahren, soll es Erfolg haben, bestimmter Rahmenbedingungen. Es wird jedenfalls da, wo es um schwierige Fragen mit prinzipiell großer Interessendivergenz geht, nur funktionieren, wo ein Einigungszwang, eine Angewiesenheit auf den Kompromiß besteht, dessen Verfehlung alle als dem eigenen bzw. dem Gruppeninteresse schädlich bewerten würden. Dies war bekanntlich die Lage, die die Generalversammlung zu ihrer Praxis der Annahme von Resolutionen ohne Abstimmung 78 Nachweise bei Erik Suy, Consensus, in: Ralf Bernhardt (ed.), EPIL 7 (1984), S. 49 ff.; ders., Konfliktlösung durch Konsens: Die Rolle der Vereinten Nationen, ZSchwR 1051. Halbband (1986), S. 399 ff.; Zemanek (Anm. 54), S. 871 ff. 79 Schermers (Anm. 68), S. 393 (§ 673). 80 Vgl. Hans Ballreich, Wesen und Wirkung des .Konsens" im Völkerrecht, in: Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte, Ps. Hermann Mosler (1983), S. ; ff. (8 f.). 81 Wolfrum (Anm. 53), S. 87. 82 Vgl. Helmut Steinberger, Diskussionsbeitrag, in: Die Vereinten Nationen im Wandel (Anm. 64), S. 244. 83 Ballreich (Anm. 80), S. 12; Suy, ZSchwR (Anm. 78), S. 405.

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führte, als in den 60er Jahren die Sowjetunion und Frankreich so hohe Beitragsrückstände hatten, daß sie ihr Stimmrecht nach Art. 19 SVN nicht mehr hätten ausüben dürfen. 84 Das Beispiel zeigt übrigens recht gut, daß das Konsensusverfahren als Vermeidung einer Abstimmung nicht nur der numerischen Minderheit entgegenkommt, sondern auch der Mehrheit, da diese sonst Konsequenzen befürchten muß, die ihren Interessen mehr schaden als ein Kompromiß. Von daher liegt es nahe, das Konsensusverfahren gerade im Bereich der Budgetentscheidungen zu verankern, um so mehr, als es hier ja nicht um die Verteidigung hoher Rechtswerte geht, die Kompromissen nicht oder nur sehr beschränkt zugänglich gemacht werden dürfenj 8s die hier aufeinander stoßenden Interessen sind vielmehr ausgleichsfähig und ausgleichsbedürftig. Gleichwohl gibt es Bedenken. Das gewichtigste ist wohl, daß das zum Schluß festgestellte Ergebnis - eben mangels offener Abstimmung und damit ohne Nein-Stimmen und Enthaltungen - doch wieder im Zwielicht stehen, ein trügerisches Bild von Einigkeit vermitteln kann, das sich schnell als brüchige Grundlage für das weitere Vorgehen erweist. 86 Man hat daher das Konsensusverfahren gerade für den Haushaltsentscheidungsprozeß dezidiert als untauglich bezeichnet. 87 Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß die Grundpositionen während der Verhandlungen eben deutlich artikuliert werden müssen. Richtig ist, daß das Konsensusverfahren sich wohl eher für Grundsatzentscheidungen eignet, die auch einer Bewährung in der Praxis standhalten müssen, als für die Verabschiedung eines konkreten Zahlenwerkes. Ausgeschlossen ist dies aber nichtj im übrigen könnte auch daran zu denken sein, daß mit der im Konsensus gefundenen Entscheidung nur Rahmen gesetzt werden, die konkret und per Abstimmung auszufüllen sind. Das in der Resolution 41/213 vorgesehene Budgetverfahren verankert den Konsensus im CPC und geht zugleich davon aus, daß das in diesem procedere gefundene Ergebnis auch von der Generalversammlung akzeptiert wird. Diese Akzeptierung kann m. E. - trotz des Art. 18 Abs. 2 SVN ebenfalls im Konsensusweg, also ohne Abstimmung, getroffen werden, solange es möglich bleibt, eine Abstimmung zu verlangen. 88 Freilich könnte 84 Ob hier (19. Generalversammlung, 1964) der" .Ursprung des Konsensprinzips· liegt, wie Suy, ZSchwR (Anm. 78), S. 402, meint, oder ob der Ursprung schon früher im Kontext der Verhandlungen über den Weltraum (1961) liegt, soZemanek (Anm. 54), ist streitig. 8S Auf diesen Gesichtspunkt weist Wol/gang Naucke, Konsens als Quelle richtigen Rechts: Richtiges Recht als Grenze des Konsens, in: Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung (Anm. 53), S. 47 ff., zutreffend hin. 86 Anand (Anm. 67), S. 143; BaJIreich (Anm. 80), S. 21. 87 Koch (Anm. 31), S. 88. 88 So wohl auch Suy , EPIL 7 (Anm. 78), S. 51. Die Frage wird problematisiert von Ballreich (Anm. 80), S. 9, und verneint von Zoller (Anm. 20), S. 633 f. Den letztgenannten Standpunkt teilt auch Zimbabwe in der Debatte zu Resolution 41/213 (Anm. 51).

Beitragspflichten und Stimmrecht

89

diese Forderung den ausgehandelten Komprorniß in Frage stellen, könnte sich andererseits dann als notwendig erweisen, wenn in den vorbereitenden Instanzen Erklärungen zum gefundenen Ergebnis abgegeben werden, die Zweifel an der erreichten substantiellen Einigkeit (nicht Einstimmigkeit) aufkommen lassen. Die Möglichkeit zur Abstimmung stellt außerdem einen gewissen heilsamen Druck dar, um zu verhindern, daß aus dem Konsensusverfahren der Sache nach ein Verfahren wird, das Einstimmigkeit voraussetzt,89 oder anders: das jedem Staat ein Veto-Recht einräumt. Kommt es freilich zur Abstimmung, ist das Konsensusverfahren gescheitert und das der Sache nach unbefriedigende und ersetzungsbedürftige Mehrheitsprinzip wirkt sich wieder voll aus. Das Konsensusverfahren erweist sich somit als außerordentlich prekär und anfällig. Es steht zwischen der Skylla des Diktats weniger und der Charybdis der Tyrannei der Mehrheit. Wenn alles gut geht, kann es Kurs halten, scheitert es, dürfte die Verbitterung um so größer sein. Immerhin: Ansatzpunkte einer befriedigenden Regelung werden sichtbar. Doch es bedarf hinzutretender stabilisierender Elemente. 6.

Gruppenprinzip

Ein solcher Stabilisationsfaktor könnte durch eine Institutionalisierung des Gruppenelements eingeführt werden. Es wird ohnehin durch das Konsensusverfahren gefordert und ist Recht und Praxis der Vereinten Nationen nicht fremd j90 abgesehen von der Gruppe der ständigen Sicherheitsratsmitglieder ist insoweit nur auf die regionalen Gruppen, die sogenannte Gruppe der 77, der Blockfreien, der Entwicklungsländer oder am wenigsten entwickelten Länder zu verweisen. Mit einer weitergehenden Institutionalisierung des Gruppenprinzips würde zugleich die politisch beladene, besser: aufgeladene Gleichheitsproblematik durch die Mediatisierung der einzelnen Staaten entschärft werden können. 91 Auch hierfür gibt es in der UNFamilie Beispielej92 zu nennen sind die Regelungen für den Gemeinsamen Rohstoffonds, für IFAD und UNIOü. Mit dem Gruppenprinzip sind fünf Grundfragen verbunden. Die erste betrifft die Gefahr, daß der Gruppenbildung die Entstehung von Kollektiven begünstigt, die sich verhärten und letztlich .falsche" Strukturen darstellen. Dieser Gefahr kann mit einem Selbsteingruppierungsrecht begegnet werden. Die zweite Frage betrifft die Gruppeneinteilung und -zahl. Orientiert Zu weitgehend Suy, ZSchwR (Anm.78), S.407; wie hier Schermers (Anm. 79). Vgl. etwa Kaufmann (Anm. 44), S. 87 ff., 90 ff, und Scheuner (Anm. 65), S. 223, und ebd., S. 248 ff., die Diskussion zu Scheuners Referat. 91 Ebenso Wolfrum (Anm. 56), S. 55. 92 Vgl. Eckart Klein, United Nations, Specialized Agencies, in: Ralf Bernhardt (ed.), in: EPIL 5 (1983), S. 349 ff. (359); Wolfrum (Anm. 56), S. 53 ff. 89 90

90

Eckart Klein

man sich an den eben genannten Beispielen, so wird ein ziemlich durchgängiges Muster erkennbar, das sich sowohl an politischen als auch wirtschaftlichen Maßstäben, oder anders: sowohl am Ost-West- als auch am Nord-Süd-Gegensatz ausrichtet. Daraus ergeben sich dann die beiden Gruppen der westlichen und der sozialistischen Industriestaaten, ferner eine Gruppe oder zwei weitere Gruppen von Entwicklungsländern. Eine Klärung muß, drittens, im Hinblick auf das Stimmgewicht dieser Gruppen im Verhältnis zueinander erfolgen. Dieses Stimmgewicht kann paritätisch (IFAD) oder abgestuft (Rohstoffonds, UNIDO) bemessen sein. Die vierte Grundsatzfrage betrifft die Ermittlung des jeweiligen Gruppenwillens, also den Entscheidungsprozeß innerhalb einer Gruppe. Insofern kommt der one State one vote Grundsatz ebenso wie eine - etwa an der Leistungsfähigkeit oder der tatsächlich erbrachten Leistung orientierte - Stimmgewichtung in Betracht. Zu berücksichtigen ist dabei, daß wegen der unterschiedlich großen Gruppenmitgliederzahlen das Stimmgewicht der einzelnen Staaten automatisch differiert. Dies wird - wenn auch durch das Gruppenprinzip abgemildert - im Rahmen der fünften wesentlichen Frage deutlich, bei der es um die abschließende Entscheidung geht. Sie sollte entweder aufgrund der Zustimmung der Mehrheit der Gruppen oder aufgrund der Mehrheit der auf alle Gruppen verteilten und gewichteten Gesamtstimmen erfolgen. Da es unmöglich ist, alle denkbaren Varianten im Hinblick auf das Haushaltsverfahren der Vereinten Nationen an dieser Stelle zu diskutieren, beschränke ich mich auf die Vorlage einer Konzeption, wobei ich mir des darin liegenden Wagnisses völlig bewußt bin. In diese Konzeption gehen sämtliche der im Verlauf dieses Referats gewonnenen Erkenntnisse mit ein. IV. Eigene Konzeption Mein Vorschlag geht, dies ist vorauszuschicken, von einer Beitragshöchstleistung von 20 % aus, die auf die USA entfiele. Die dadurch erreichte weitere Abschwächung der finanziellen Abhängigkeit der Organisation vom Hauptbeitragszahler halte ich für wichtig und richtig. Den Vorschlag des Generalsekretärs Perez de Cuellar,93 daß jed~s ständige Sicherheitsratsmitglied 15 % des Beitragsvolumens - sozusagen als Entgelt für seine Privilegierung - aufbringen solle, möchte ich erwähnen, aber aus Zeitgründen nicht näher diskutieren, ebensowenig übrigens wie den Gedanken, das geltende Haushaltsentscheidungsverfahren (2/3-Mehrheitsbeschluß der Generalversammlung) durch einen zusätzlichen Beschluß des Sicherheitsrats (mit Vetorecht der ständigen Mitglieder) zu ergänzen. Die 5 % des Gesamtbeitragsaufkommens, die durch die Herabsetzung des Höchstbei93

Vgl. den Hinweis bei Nelson (Anm. 37), S. 983.

Beitragspflichten und Stimmrecht

91

trags auf die übrigen Mitgliedstaaten verteilt werden müssen (wobei es für 78 Staaten bei der Mindesthöhe von 0,01 % verbleibt), sind berücksichtigt. Ich kann mich insoweit auf eine Berechnung berufen, die Davidson / Cohen in ihrer Studie vom August 1986 angefertigt haben. 94 Daraus geht, um nur drei Beispiele zu erwähnen, hervor, daß Japan statt bisher 10,84 % nunmehr 11,56 %, die Sowjetunion statt 10,2 % dann 10,88 % und die Bundesrepublik Deutschland statt 8,26 % 8,81 % zu zahlen hätten. Die Erhöhung bliebe also durchaus maßvoll. Natürlich bleibt es bei der Verpflichtung, die übernommenen Verbindlichkeiten in vollem Umfang zu erfüllen. Das Haushaltsverfahren sollte grundsätzlich entsprechend der Resolution 41/213 abgewickelt werden, d. h. also auf der Basis des Konsensusverfahrens. Im CPC sollten die 10 größten Beitragszahler, die zusammen über 70 % aufbringen, ständig vertreten sein. Auch die Generalversammlung, die die letzte Entscheidung zu treffen hat, sollte in diesem Sinne (Konsensus) prozedieren. Müßte Art. 18 Abs. 2 SVN so zu verstehen sein, daß in den dort bezeichneten Materien, als auch bezüglich der budgetären Fragen, notwendig abgestimmt werden muß, oder wird - weil das Konsensusverfahren nicht zum Ziel führt - schließlich Abstimmung verlangt, sollte folgendes Verfahren, das auf einer Kombination des Gruppenprinzips und der Stimmgewichtung aufbaut, angewendet werden: Es werden vier Gruppen gebildet: 95 -

Gruppe

-

Gruppe 11:

Sie besteht aus 11 sozialistischen Staaten, d. h. den Mitgliedern des Warschauer Paktes, ferner der Mongolei und Kuba. Diese Gruppe zahlt 16,16 %, davon die Sowjetunion 10,88%.

-

Gruppe III:

Besteht aus 51 Staaten, vor allem den nicht an die beiden Blöcke (Gruppe I und 11) gebundenen Staaten, darunter z. B. Schweden und Jugoslawien, Indien und China sowie alle Staaten, die nicht in Gruppe IV sind. Auf diese

94

I: Ihr gehören 20 westliche Staaten an; neben USA und den 12 EG-Staaten auch Japan, Australien, Neuseeland, ferner Kanada, Norwegen, Island und Türkei als NatoMitglieder. Diese Gruppe bringt insgesamt 69,59 % des Beitragsaufkommens auf, davon USA = 20 %, EG = 31,77 %.

Davidson / Cohen (Anm. 13), Annex C.

Es kommt mir darauf an zu betonen, daß die nachfolgende Konzeption lediglich insoweit ein. Vorschlag" ist, als damit gezeigt werden soll, daß es m. E. durchaus Möglichkeiten gibt, die jedenfalls sinnvolle Alternativen zu dem bislang geltenden unbefriedigenden Zustand darstellen können. Vor allem über die Gruppenzuordnung wäre selbstverständlich noch intensiv zu sprechen. 95

92

Eckart Klein

Gruppe entfallen 13,48 % des Beitragsvolumens. Größte Beitragszahler in dieser Gruppe sind Brasilien (1,49 %), Schweden (1,33 %) und Saudi-Arabien (1,03 %). Alle übrigen Staaten verbleiben unter 1 %. -

Gruppe N:

Sie besteht aus den 77 Staaten, die den Mindestbeitrag in Höhe von jeweils 0,01 % zahlen und keiner anderen Gruppe angehören. Die Gruppe entrichtet somit zusammen 0,77 % der Gesamtbeiträge.

Die Stimmen innerhalb einer Gruppe werden nach Beitragslast verteilt, wobei jeder Staat mindestens eine Stimme hält. Für Gruppe I ergibt dies z. B. bei 20 % Beitragsleistung für die USA 20 Stimmen, für die Bundesrepublik Deutschland (8,82 %) 9 Stimmen, für das Vereinigte Königreich (5,18 %) 5 Stimmen. Daraus folgt für die Gruppen: Gruppe I hält 76 Stimmen (davon 20 USA, 35 EG-Staaten, 12 Japan), Gruppe 11 hält 21 Stimmen (davon 11 UdSSR, mit Ukraine und Weißrußland sogar 13), Gruppe 111 hält 51 Stimmen (jeder Staat eine Stimme) und Gruppe IV hält 77 Stimmen (jeder Staat eine Stimme). Ein positiver Budgetbeschluß sollte zustandekommen, wenn - entweder mindestens drei Gruppen mehrheitlich zustimmen und diese Gruppen zusammen mindestens 50 % des Beitragsvolumens aufbringen;

der Sache nach gibt dies Gruppe I ein Vetorecht, erlaubt ihr freilich nicht die Durchsetzung eigener Vorstellungen, auch nicht im Verein mit Gruppe 11, - oder wenn mehr als die Hälfte der Stimmen jeder Gruppe im positiven Sinn abgegeben wird; dies bedeutet, daß benötigt werden in Gruppe I: 39, in Gruppe 11: 11, in Gruppe 111: 26, in Gruppe IV: 39 Stimmen. Die notwendige Anzahl der Stimmen könnte z. B. in Gruppe I von den EGStaaten (35) zusammen mit Japan (12) oder mit Kanada (3) und Australien (2) bzw. Neuseeland (1) erbracht werden, während eine Mehrheit allein durch die USA (20) und Japan (12) nicht erreicht würde. In Gruppe 11 würde die Sowjetunion allein die notwendige Mehrheit (11121) halten. Diese Konzeption, die primär auf Konsensus und nur sekundär auf Abstimmung setzt, erscheint mir geeignet und ausreichend, um einerseits einseitige Blockierungen zu vermeiden und andererseits die Interessen der .praktischen Mehrheit" zu schützen. Sie ist insgesamt auf Interessenausgleich und auf Förderung von Kompromissen angelegt und entspricht damit dem grundsätzlichen Anspruch, der an Völkerrechtsnormen zu stellen ist.

Beitragspflichten und Stimmrecht

93

Inwieweit diesem Vorschlag eine Realisierungschance zukommt, ist gleichwohl eher skeptisch zu sehen. Ich brauche nur auf die Notwendigkeit und die Schwierigkeiten einer Satzungsänderung96 zu verweisen. Doch wer es nie wagt, über das geltende Recht hinauszudenken, wird Änderungen nie erreichen können. Diese aber sind notwendig; Resolution 411213, so richtige und wichtige Ansätze sie auch enthält, ist auf Dauer kaum ausreichend. Hält man nicht, wie der Bertrand-Bericht,91 die Vereinten Nationen in ihrer derzeit bestehenden Form ohnehin für verloren, muß man bereit sein, auf Remedur zu sinnen. So jedenfalls habe ich meine Aufgabe verstanden; ich hoffe zu Recht.

Art. 108 VN-Charta. Vgl. oben in Anm. 30; positiv dazu Arthw F. Ewing, Reform of the United Nations, Journal of World Trade Law 20 (1986), S. 131 ff. Zutreffende Kritik an den zu weit gehenden Forderungen hingegen bei Tomuschat (Anm. Anm. 27), S. 105. 96

97

76 (davon EG: 35, USA: 20, Japan: 12) 21 (davon UdSSR: 11 bzw, 13) 51 (jeder Staat 1 Stimme)

77 (jeder Staat 1 Stimme) 225 Stimmen

69,59 % (davon EG: 31,77 %, USA: 20 %, Japan: 11,56 %) 16,16 % (davon UdSSR: 10,88 %) 13,48 % (davon Brasilien: 1,49 %, Schweden: 1,33 Saudi-Arabien: 1,03 %) 0,77 %

100 % Beiträge

20 Staaten (EG, USA, Japan, Australien, Neuseeland, Kanada, Norwegen, Island, Türkei)

11 Staaten (WP-Staaten, Mongolei, Kuba)

51 Staaten (Nichtblockgebundene Staaten, darunter Schweden, Indien, China)

77 Staaten (alle Staaten, die Mindestbeitrag von 0,01 zahlen und nicht in einer anderen Gruppe sind)

159 Staaten

I

11

III

IV

Ein positiver Beschluß kommt zustande, a) wenn drei Gruppen mehrheitlich zustimmen und diese Gruppen zusammen mindestens 50 % des Beitragsvolumens aufbringen, b) oder wenn mehr als die Hälfte der Stimmen jeder Gruppe in positivem Sinn abgegeben wird,

Stimmenzahl

Beitragsvolumen

Mitglieder

Gruppen

Anhang

5'

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c.o

Diskussion zum Referat von Eckart Klein Arnold:

Es geht mal wieder nach dem Alphabet. Ich bin etwas in Verlegenheit, denn bei der Fülle des Stoffes ist man in der Gefahr, zu einem Coreferat abzuheben, aber ich werde mich disziplinieren und mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken. Ich möchte einen Punkt herausgreifen, nämlich den von Ihnen - ich habe es, glaube ich, richtig notiert - erwähnten Begriff der an Leistung orientierten Stimrngewichtung. Das ist ein Denkmodell, das nicht unbedingt neu ist, das man auch aus internen nationalen Überlegungen kennt. Ich erinnere mich, wie ich in den fünfziger Jahren in den USA gearbeitet habe, da gab es den texanisehen Ölmilliardär Hunt, der dies für die Stimmabgabe in den Vereinigten Staaten vorschlug, daß jeder soviel Gewicht hat, wie er Steuern zahlt. Wenn man diesen Gedanken für die Vereinten Nationen fruchtbar macht, dann kann man es sich zunächst einmal ganz einfach machen, wenn man sich auf den Boden des realen Multilateralismus stellt. Dann kann man sagen, ob der Gedanke gut oder schlecht ist, brauchen wir gar nicht zu beurteilen, denn für die Durchführung eines solchen Gedankens muß die Charta geändert werden. Dafür gibt es keine Mehrheit. Ende der Durchsage. Aber wir wollen uns ja hier auch gedanklich mit den Dingen auseinandersetzen, und deswegen - glaube ich - muß man, wenn man sich dem Begriff und was damit zusammenhängt nähert, zunächst doch unterscheiden zwischen der UNO und anderen multilateralen Organisationen, die erwähnt wurden als eine Möglichkeit für Stimmengewichtung. Es gibt keine zweite Organisation in der Welt, die mit der UNO vergleichbar wäre, und wenn innerhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Stimmengewichtung möglich ist, dann eben allein aus dem Grund, weil sich hier einige Staaten in einer sehr spezifischen Weise zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam den Weltproblemen zu stellen, während innerhalb der Vereinten Nationen sämtliche Weltprobleme bereits präsent sind und sich artikulieren. Es gibt keine Außenwelt für die Vereinten Nationen, wenn man vom Heiligen Stuhl absieht. Ich glaube, daß unter diesen Umständen der jetzt erreichte Kompromiß, eine Angleichung der Interessen der einen an die Interessen der anderen

96

Diskussion

- und bei Reformen möchte jeder Staat, daß die Organisation so reformiert bzw. verändert wird, daß es seinen Interessen entgegenkommt - das Maximum des Erreichbaren ist. Er hat sich noch nicht bewährt, und es wird zu sehen sein, ob er auch das Optimum der Möglichkeiten darstellt. Wenn man nun als weiterführende Position über die Stimmengewichtung sich Gedanken macht, dann kann man natürlich das nach dem derzeitigen Abstimmungsmodus in der Organisation mit Minderheit und Mehrheit bezeichnen, wenn man die Stimmen zählt - one state, one vote. Man kann aber auch sagen, die Reichen und die Armen; denn der Beitrag spiegelt ja auch den persönlichen Reichtum wider. Und man kann dann sagen, die Welt ist eben so organisiert, daß alle gleich sind, alle Staaten, aber daß es eben einige gibt, die gleicher sind, und die Organisation VN ist gut bedient, wenn sie sich realistisch an die gegebenen Verhältnisse in der Welt anpaßt. Ich glaube nun einmal - das brauche ich aber nicht zu vertiefen -, daß man sich natürlich mal fragen muß, was haben eigentlich die wenigen Reichen in ihrer Existenz bisher für echte Nachteile gehabt durch Mehrheitsvoten in den Vereinten Nationen? Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten jemals in ihren wesentlichen Interessen wirklich durch ein Mehrheitsvotum beeinträchtigt wurden. Ich glaube, es handelt sich hier in vielen Fällen mehr um verbale Politikbekundungen, und der Ursprung der Bewegung, wie sie dargelegt wurde, liegt in einer der beiden Kongreßentscheidungen. Ein weiterer Punkt ist in der Haushaltspolitik zu sehen. Die sich hierauf gründende Entscheidung wird jetzt nach dem Montag-Crash wahrscheinlich noch mehr Gewicht bekommen. Die erstere ist eigentlich die Reaktion auf das Gefühl in den Vereinigten Staaten, .we don't want to be kicked around any more". Diesem Gefühl wurde Rechnung getragen mit dem KassebaumAmendment. Ich bin der Auffassung und möchte das hier in die Diskussion einführen, daß es eine Funktion der Vereinten Nationen ist, eine Art Gegenkraft gegen die bestehenden Verhältnisse in der Welt zu bilden. Damit befinde ich mich auf der Brücke, die Herr Randelzhofer heute früh von der UN-Reformfrage zu der Entwicklungspolitik geschlagen hat. Denn hier zeigt sich in der Tat eine Parallele. Die Entwicklungspolitik, wie sie sich heute in ihren Ergebnissen darstellt, ist in ihrem wesentlichen Teil - nicht ausschließlich darauf ausgerichtet, den unterentwickelten Ländern durch entsprechende Hilfe die Teilnahme am Weltmarkt zu ermöglichen mit der Hoffnung (oder der Ideologie), daß sie damit intern auch ihre eigenen Bedürfnisse weiterentwickeln. Tatsache ist, daß die die Welt beherrschenden Staaten in dem Moment, wo ihnen die Kleinen, die sie hochgepäppelt haben, unangenehm werden, entsprechend reagieren. Beispiele gibt es viele, ich erwähne nur den Stahlsektor. Wir haben Stahlanlagen gebaut. In dem Moment, wo der Stahl auf den Weltmarkt kommt, ist er ein bißchen billiger. Wir machen die Jalousie runter und lassen ihn nicht mehr rein, und die Produzenten in der

Diskussion

97

Dritten Welt bleiben auf ihrem Stahl sitzen. Dies ist die Parallele zu den politischen Verhältnissen in der UNO, und es führt gar kein Weg daran vorbei, daß ein Ausgleich, eine friedliche Fortentwicklung innerhalb der Staatengemeinschaft nur dadurch entstehen kann, daß wir umschichten. Wir werden in der Weltschuldenfrage einfach Nettozahlungen leisten müssen. Wir wissen nur noch nicht wie, um keine schlechten Sitten einreißen zu lassen. Es müssen sich die Mächtigen dazu verstehen, etwas an Macht abzugeben oder in Kooperation umZusetzen mit den weniger Mächtigen, d. h. die Anpassung muß darauf gerichtet sein, daß die jungen Staaten den großen Abstand, den sie zu den alten Staaten haben, in einer kürzeren Zeit aufholen können. Dies führt zu dem Stichwort" und zu dem Prinzip der Solidarität, das sowohl von Perez de CU/War als auch von all denen betont wird, die über die Vereinten Nationen sprechen, auch von Herrn Bazing heute vormittag. Die Vereinten Nationen sind dazu da, gemeinsam die Weltprobleme zu lösen. Wenn man es so sieht, dann ist natürlich ein Beitrag hierzu nicht nur das, was netto in die Kasse fließt, sondern all das, was der einzelne nach seinen eigenen Möglichkeiten aufbringt. So lassen sich die 0,01 % für einen Staat, gemessen an seinem niedrigen Bruttosozialprodukt, ganz anders gewichten als die 20 % der Vereinigten Staaten. Mit anderen Worten, es ließe sich durchaus - unterstellt, daß der reale Multilateralismus nicht besteht - in den Vereinten Nationen ein Stimmsystem als Anpassung an die realen Machtverhältnisse durchführen. Nur dann wären es nicht mehr die Vereinten Nationen von heute, die Weltprobleme würden sich anders artikulieren, anders gestalten. Es gäbe zumindest nicht mehr die Vereinten Nationen als ein Ventil für eine Kanalisierung von Konflikten, und ich weiß nicht, ob das dann eine Organisation der Welt wäre, die wir wirklich wünschen. Vollers: Ich wollte noch einmal einen kleinen Moment zur Realität zurückkommen. Wir haben einen amerikanischen Schuldensatz von 300 Millionen. Wenn die Amerikaner im Durchschnitt etwa die Hälfte ihrer Beiträge bezahlen, brauchen sie immerhin vier Jahre, bis sie mit zwei Jahresbeiträgen im Rückstand sind, und die Frage ist, ob die UNO solche vier Jahre durchstehen kann oder ob die UNO vielleicht schneller bankrott ist als die Amerikaner ihr Stimmrecht verlieren. Auf der anderen Seite stellen wir fest, daß viel weniger durch die Beschlüsse der Mitgliedstaaten, als durch die einsamen Entscheidungen des Generalsekretärs tatsächlich heute so viel mehr Geld eingespart wird als man das in der Theorie erwarten würde. Damit kommt die UNO praktisch sehr viel länger über den Berg als es theoretisch zu erwarten wäre, was einerseits die praktische Konsequenz hat, daß die 7 UN-Reform

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Diskussion

Schulden der USA anwachsen, andererseits aber, daß die UNO eben nicht so schnell bankrott geht. Es hat damit einmal die theoretische Konsequenz, daß ein sehr sichtbarer Schuldner damit durchkommt, daß er seine eigenen Beiträge beliebig selbst festsetzt, andererseits hat es die pragmatische Konsequenz, daß wir alle weiter die gleichen Beträge zahlen, die UNO insgesamt aber weniger Ausgaben leisten kann, so daß die Beitragsrelation praktisch verändert wird. Man könnte die Konsequenz ziehen, daß wir die Höchstbeiträge eben anders festsetzen, dagegen haben sich die Amerikaner bisher aber sehr energisch gewehrt. Wenn ich jetzt direkt zu Herrn Klein komme, dessen Ideen ich hochinteressant fand, dann sollte man sich vielleicht mit Herrn Arnold noch einmal in Erinnerung rufen, daß die UNO typisch ein Verein der kleinen Staaten ist. Je kleiner ein Staat ist, desto mehr braucht er die UNO. Je größer ein Staat ist, desto weniger braucht er die UNO. Die Supermächte können alles bilateral regeln, diplomatisch, militärisch und anderweitig. Sie könnten grundsätzlich ohne jede internationale Organisation auskommen. Insofern ist die Interessenlage natürlich sehr unterschiedlich. Auf der anderen Seite kann ein weltweiter Verein mit derartig disparaten Mitgliedern notwendigerweise nur ein Mindestmaß an Solidarität üben. Es ist daher ganz typisch, daß nach der Charta nur gewisse und sehr eng begrenzte Beschlüsse des Sicherheitsrates für alle Mitglieder verbindlich sind, ebenso wie übrigens die Beschlüsse der Generalversammlung zu Budget-Fragen. Alle anderen Resolutionen sind Empfehlungen, die man befolgen oder nicht befolgen kann. Nun können die Budget-Beschlüsse der Mehrheit ohne weiteres ausgedehnt werden, denn es gibt keine Begrenzungen irgendwelcher theoretischen Art. Sie könnten theoretisch das gesamte Sozialprodukt der Welt umfassen. Auf der anderen Seite steht dem entgegen, daß jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit hat auszutreten. Wir müssen damit leben, daß nach der Charta das Mehrheitsprinzip gilt, daß jeder Mitgliedstaat die gleiche Stimme hat, daß aber nirgends in der Charta geschrieben steht, wie die Beiträge festgesetzt werden. Man könnte sich durchaus eine völlig andere Verteilung der Mitgliedsbeiträge vorstellen, rein theoretisch könnte man sich auch vorstellen, daß jeder gleich viel bezahlt, und wenn man als Maximum für die Kleinstaaten die jetzige Beitragsleistung von 70 000 $ ansehen würde, dann käme man eben auf so etwa 10 Millionen $ als Maximum dessen, was die UNO überhaupt ausgeben könnte. Wenn ich den sehr interessanten Vorschlag von Herrn Klein ansehe, die Mitglieder in verschiedene Loyalitätsgruppen aufzuteilen, dann finde ich das eine diskutierenswerte Idee. Nur habe ich hier zu meiner rechten Seite erhebliche Unruhe verspürt, da sich offensichtlich verschiedene Staaten nicht solidarisch fühlen mit den Gruppen, in die sie nach ihrem Schema eingeteilt werden. Man kann meiner Ansicht nach eigentlich nur - wenn

Diskussion

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überhaupt - Gruppen nach Kriterien einteilen, die aus der Sache herauskommen. Wenn Sie dagegen ideologische Gruppen nehmen, dann haben Sie große Schwierigkeiten. Es wurde hier beim Kaffee schon die Unterscheidung zwischen Schweden und Norwegen erwähnt, die in der UNO wirklich keine Rolle spielt. Im Gegenteil, das sind zwei Staaten, die in der UNO eng zusammenarbeiten. Man könnte sich jedoch vielleicht andere Kriterien ausdenken. Wir haben einmal das Spiel durchgespielt, indem wir der Gleichheit der Mitgliederrechte die Unterschiedlichkeit der Beitragssätze als objektives Kriterium entgegengesetzt haben. Wir haben uns gefragt, ob man nicht das CPC in seiner Mehrheit aus den 16 großen Beitragszahlern zusammensetzt. Das ist ein objektives Kriterium, und was das Budget angeht, ist das eine Unterscheidung, mit der grundsätzlich jeder leben kann. Sie hängt nicht von der Ideologie eines Mitgliedstaates ab, sondern sie stellt auf die Beitragszahlung ab. Wenn dann das Grundbudget von der Mehrheit des CPC, in dem alle großen Beitragszahler sitzen, beschlossen würde, könnten weitere Ausgaben von der großen Mehrheit im Fünften Ausschuß und im Plenum zusätzlich beschlossen werden, dann aber zu einem anderen Beitragssatz, der in etwa alle Mitglieder gleich belastet. Auf diese Weise würden die kleinen Beitragszahler, wenn sie einen Beschluß unbedingt durchsetzen wollen, eben relativ mehr dazu zahlen. Mit diesem Konzept könnte die Demokratie zwar durchgesetzt, der Mehrheit die letzte Entscheidung eingeräumt werden, ohne daß die großen Beitragszahler das Gefühl haben, daß andere Leute ungehemmt über ihre Kasse bestimmen. Nun hat sich in der Diskussion herausgestellt - dieses Modell ist über ein Jahr alt -, daß keine Chance besteht, ähnliches durchzusetzen. Es ist nirgends festgeschrieben, wer im CPC sitzen soll. Im Moment wird auch über die Vergrößerung des CPC diskutiert. Aber wer in das CPC kommt, entscheidet die Mehrheit. Es ist also durchaus möglich, daß große Beitragszahler auch durchfallen können. Aber im Ansatz war die Idee, daß die großen Beitragszahler im CPC sitzen, und daß durch den Konsens ein Zwang da ist, die Interessen der großen Beitragszahler bei seinen Beschlüssen angemessen zu berücksichtigen. Allerdings ist man nicht so weit gegangen, das, was im CPC nicht beschlossen werden kann, dann in anderer Weise im Plenum zu beschließen. Es ist vielmehr das gleiche Verfahren, weil das CPC im Moment wirklich nur eine VOIschaltstelle ist, so daß im Endeffekt Ausgaben eben dann doch wieder mit der Mehrheit aller Mitglieder beschlossen werden, wobei ich meine, daß bei allen diesen Regeln die Grundregel der Mäßigung die Vorfahrt haben muß, denn man kann keine dieser verschiedenen Prinzipien bis zum Exzeß reiten, ohne daß sie der Organisation schließlich schadet. Danke schön.

7 •

100

Diskussion

WolfrUffl:

Ich möchte mich zu vier Punkten äußern, wobei ich drei Punkte eher als Bestätigung oder Ergänzung zu dem, was Herr Klein gesagt hat, verstehe, der vierte allerdings eine gewisse Nuancierung enthält. Zu einem juristischen Punkt: Herr Klein hat die Frage aufgeworfen, ob die Beitragsverweigerung wirklich ein Mittel ist, mit dem man gegen rechts-

widrige Akte der Vereinten Nationen vorgehen kann. Unterstellen wir - allerdings würde ich bereits in dieser Hinsicht Zweifel anmelden -, daß die Vereinten Nationen in der Vergangenheit ihre Kompetenzen überschritten haben, ist m. E. dennoch die Beitragsverweigerung keine zulässige Repressalie. Zunächst einmal sind die Vereinten Nationen auch - wie der IGH in einem anderen Zusammenhang gesagt hat - ein sog. geschlossenes System. Die eigentliche Reaktion auf ein rechtswidriges Verhalten ist wohl nur der Austritt. Denn wenn die Beitragsverweigerung als Sanktion zugelassen wird, werden einigen Staaten sehr weitgehende Rechte - Beitragsverweigerung von 20 oder 25 % des Beitrages ist spürbar, Beitragsverweigerung von 0,01 %anderer Staaten dagegen nicht - eingeräumt; d. h. das wäre ein Mittel für wenige, und die sich hieraus ergebenden Ungleichheiten sollte man nicht außer Betracht lassen. Ich gebe zu, daß der Austritt ein hartes Mittel ist, dennoch ist er m. E. das einzige Mittel, das die Charta eröffnet. Insgesamt stimme ich Herrn Klein in seinen Ausführungen zur Gruppenparität voll zu. Dieser Ansatz wird bereits mit Erfolg praktiziert; zu verwei-

sen ist insoweit auf IFAD und den Gemeinsamen Rohstoffonds. Auch die IAEA hat dieses Prinzip in gewissem Sinne verwirklicht. Die nicht hinreichende Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes in der Generalversammlung ist sicher ihre Schwäche. Ob aber ein System, wie dies Herr Klein vorschlägt, verwirklicht werden kann und soll, möchte ich bezweifeln. Meine Bedenken richten sich gegen die Einführung des Gruppenprinzips für die Generalversammlung an sich und gegen die speziell vorgeschlagene Lösung. Mir leuchtet schon die Unterscheidung zwischen Norwegen und Schweden nicht ein, und wo Österreich einzuordnen ist, darüber wäre noch zu diskutieren. Ich nehme an, Österreich gehört zu Gruppe drei. Aber dies ist nicht der entscheidende Punkt. Problematischer ist das Abstirnmungsverfahren. Es führt dazu, daß der Gruppe I (westl. Industriestaaten) ein Vetorecht zukommt, dies ist auch das Ziel des Modells. Hinzu kommt aber, daß innerhalb von Gruppe I die USA, Japan und die Bundesrepublik Deutschland ein Vetorecht haben. Damit können diese drei letztlich insgesamt Beschlüsse verhindern, da ohne die Gruppe I kein positiver Beschluß gefaßt werden kann. Ich glaube nicht, daß es politisch vertretbar ist, drei Staaten ein derartiges Stimmengewicht zu geben. Man könnte dieses System aber - wie es Herrn Klein anspricht - ohne weiteres weiterentwickeln. Denk-

Diskussion

101

bar wäre beispielsweise, Haushaltsbeschlüsse zunächst in einem Gruppengremium und dann in einem Plenargremium zur Abstimmung zu bringen. Eine positive Entscheidung sollte dann zustande kommen, wenn das Plenargremium auf der Basis one state one vote das ablehnende Votum des gruppenmäßig zusammengesetzten Gremiums mit qualifizierter Mehrheit überstimmt. Vergleichbar wäre das Verhältnis Bundesrat und Bundestag bei Einspruchsgesetzen. Ich würde Herrn Arnold darin zustimmen, daß beispielsweise für Mali das Mindestaufkommen für den Haushalt wahrscheinlich eine vergleichbare Belastung bedeutet wie die Verpflichtung der USA für diese. Insgesamt sollte die Politik der Staaten primär darauf gerichtet sein, neue, kostentreibende Programme abzulehnen, anstatt zu dem Mittel der Beitragsverweigerung zu greifen. Herr Klein hat bereits darauf verwiesen, daß die meisten kostentragenden Beschlüsse in der Praxis durchaus mit einer Mehrheit derer verabschiedet werden, die auch die Kosten dafür tragen. Ein Teil der Misere - zumindest das, was als Misere in den Vereinten Nationen empfunden wird - resultiert weniger aus der Forderungshaltung in der Dritten Welt, sondern aus dem nachgiebigen Stimmenverhalten eines Teils der westlichen Staaten.

Klein:

Darf ich mich vielleicht - damit ich möglichst jedem gerecht werde schon jetzt zu einem Zwischenwort melden. Herr Arnold, ich bin durchaus mit Ihnen einverstanden und möchte Ihnen da beipflichten, wo Sie auf die Notwendigkeit des Interessenausgleichs hinweisen. Mein Problem ist aber - und darauf habe ich mich versucht zu konzentrieren -, vollzieht sich der Interessenausgleich aufgrund des gegenwärtigen Systems? Mit scheint der Interessenausgleich nicht zu gelingen und Solidarität wird ganz klein geschrieben. Man kann natürlich an die Staaten appellieren, mehr Solidarität zu übenj wenn das gelingt, glaube ich, sollte man sich auf dieses sehr viel einfachere Instrument zurückziehen. Ich bezweifele allerdings, ob wir mit diesem Solidaritätsappell weiterkommen, wobei ich dieses Solidaritätsargument nicht nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander sehen würde, sondern auch des einzelnen Mitglieds zur Organisation. Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, etwas zur Erfüllung der Organisationsfunktion beizutragenj deshalb halte ich es für wichtig, diese Rechtsgrundsätze der internationalen Organisationen, nämlich der Loyalität zwischen ihren Organen, aber auch einzelner Mitgliedstaaten zur Organisation, hervorzuheben. Nur wenn wir damit nicht weiterkommen - und das war die Situation, mit der ich mich befassen mußte -, dann muß

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man sich überlegen, was zusätzlich zu tun ist. Das war der Ausgangspunkt für mich und die Diskussion. Das heißt, wir müssen sehen, was passiert, wenn eine Einigung fehlschlägt. Wir sind uns ja darin einig, daß der angestrebte Konsensus im CPC ein wichtiger Schritt ist. Aber das Problem ist doch folgendes: Es ist nun mal nicht auszuschließen, daß eine Einigung nicht zustande kommt. Soll man sich dann einfach wieder auf derselben Stufe - vielleicht noch verhärteter, noch verärgerter - wiederfinden, von der man vorher ausgegangen war? Deshalb mein Versuch, ein .Netz· zu spannen, nämlich dieses Gruppensystem vorzuschlagen, und damit komme ich nun zu Fragen, die sowohl Herr Vollers als auch Herr WolfrUIn angesprochen haben. Daß die Frage der Gruppen, daß vor allem aber auch die Frage der Gruppeneinteilung völlig unterschiedlich gesehen werden kann, ist mir absolut klar. Herr Rudolf hat mich vorhin in der Pause freundlicherweise sogar auf einen wirklich gravierenden Fehler kollegial aufmerksam gemacht. Ich habe nämlich Island als NATO-Staat vergessen. Das durfte natürlich nicht passieren. Ich schiebe das also hiermit gerne nach. Daraus ergeben sich geringfügige, aber nicht das Prinzip tangierende Veränderungen. Darüber hinaus kann man natürlich in der Tat fragen, wie ist es mit Schweden, wie ist es mit Norwegen? Das ist sicher ein Casus. Auf einen anderen Fall hat mich Herr Zemanek in der Pause hingewiesen, ob sich nämlich die Volksrepublik China in der vorgeschlagenen Gruppe wohlfühle. Nun handelt es sich ja um eine bloße Diskussionsvorlage; ich bin weder willens noch ermächtigt, die Staaten wirklich strikt in diese Gruppen einzuteilen. Sie sollen sich also anders gruppieren, wie immer sie wollen. Ich glaube, es kommt wirklich nur darauf an, daß man sich einfach mal überlegt, wie so etwas sinnvollerweise aussehen könnte. Ich bin deshalb ganz einig mit Ihnen, Herr Vollers, wenn Sie sagen, wir brauchen dafür Kriterien. Solche Kriterien zu entwickeln, ist natürlich schwierig. Ich wollte nicht den Anschein erwecken - vielleicht habe ich es getan -, daß ich selbst dabei ganz willkürlich vorgehe, sondern mir lagen schon gewisse Kriterien vor Augen, die einerseits von einer politisch~n Zuordnung ausgehen, andererseits aber in der Tat auch von der tatsächlich erbrachten finanziellen Leistung. Ob mir das gelungen ist oder nicht, das weiß ich selber nicht. Aber jedenfalls ist es ein Versuch und sollte auch nur ein solcher Versuch sein. Eine weitere Frage von Herrn Arnold betrifft die Frage der Gleichheit. Sicher, wenn man sagt, alle sind gleich aber manche sind gleicher als andere, dann hat das natürlich einen sehr kritischen Unterton. Nun ist diese Kritik - das versuchte ich auszuführen - im Staat berechtigt. Aber ich meine eben, daß wir nicht so ohne weiteres die Gleichheit, wie sie im Staat für den Bürger garantiert ist, auf das Verhältnis der Staaten zueinander übertragen können. Mir ist völlig klar, auch heute morgen ist schon gesagt worden, daß

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der Beitritt zu den Vereinten Nationen für die neuen Staaten, die dieser Organisation beitreten, sozusagen die Krone der Souveränität bedeutet. Da sehen sie ihre Unabhängigkeit, ihre Bedeutung widergespiegelt. Deswegen liegt mir nichts ferner, als dieses System - d. h. auf der ersten Stufe Konsensus, auf der zweiten Stufe, wenn der Konsensus nicht zustande kommt, i. S. eines .Netzes·, einer zweiten Verteidigungslinie diese von mir vorgeschlagene Möglichkeit, um dann doch zu einem Ergebnis zu kommen - auf alle Resolutionen auszudehnen. Es geht hier ausschließlich und nur um das Haushaltsverfahren. Und gerade da, meine ich, ist allerdings auch die finanzielle Leistungskraft und Leistungsfähigkeit wesentlich und sollte in unsere Überlegungen eingehen. Nun können Sie natürlich sagen, das, was für die USA 25 % sind, prozentual oder auch dann in absoluten Zahlen, bedeutet nicht so viel wie für einen kleinen Staat die 0,01 %bzw. die 70 000 $. Diese Ansicht läßt sich noch durch die Tatsache stützen, daß die etwas umständliche Rechnung, mit der die Beitragsgewichtung vorgenommen wird, nicht einmal ganz der Leistung der USA gerecht wird. Sie ist ja ohnehin schon herabgestuft worden. Zu Beginn der Vereinten Nationen lag der Satz der USA, glaube ich, bei 39 oder noch mehr Prozent - 49 sogar -, dann ist er runtergegangen auf 30 %, und erst seit 1973 auf 25 %. Das ist mir alles völlig klar. Trotzdem meine ich, daß es einfach ein Faktum ist, daß die Vereinigten Staaten, aber auch die anderen großen Beitragszahler, eine doch recht beträchtliche Summe zu zahlen haben und daß gerade im Bereich des Zahlens, im Bereich der finanziellen Angelegenheiten, die Zuweisung eines gleichen Stimmgewichts an alle Staaten mir so disparat erscheint, der Unterschied so groß ist, daß die damit ausgelöste Spannung auf Dauer schwerlich ausgehalten werden kann. An dieser großen Disparität kann man sinnvollerweise nicht vorbeigehen, vor allem dann nicht, wenn sie - wie die Praxis nun zeigt - seit Jahren zu erheblichen Schwierigkeiten führt. Ich schließe daran eine Bemerkung zu Herrn Wolfrwn an, der die Frage der Repressalie aufgegriffen hat. Da meine ich nun doch, daß die Vereinten Nationen nicht als self-contained regime angesehen werden können. Der IGH hat den Begriff im Zusammenhang mit dem Diplomatenrecht gebraucht. Man kann weder Begriff noch Sache auf die Vereinten Nationen übertragen; richtig ist selbstverständlich, daß dann, wenn die Satzung der Vereinten Nationen bestimmte Möglichkeiten zur Verfügung stellt, diese auszuschöpfen sind, bevor auf irgendwelche Mittel des allgemeinen Völkerrechts zurückgegriffen wird. Die Möglichkeit des Austritts gibt es sicherlich, so wenig wünschenswert er auch ist. Eine wirkliche Alternative zur Beitrittsverweigerung ist er kaum. Ich meine, wir würden wirklich vor großen Schwierigkeiten stehen, wenn die USA austreten würden. Dasselbe gilt für die Sowjetunion. Gerade eine politische Organisation, wie sie die Vereinten Nationen sind, würde dies nur

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schwer verkraften können. Demgegenüber halte ich die Möglichkeit der Einbehaltung der Beiträge als Reaktion gegen ein rechtswidriges Verhalten der Organisation, nicht als Antwort auf die BeitragszuTÜckhaltung eines anderen Mitgliedes, für notwendig, weil es schlechterdings für einen Mitgliedstaat keinen Rechtsschutz in der Organisation gibt. Es bleibt wirklich nur der Austritt oder die Beitragsverweigerung, und da - muß ich sagen ist mir das letzte lieber. Ihr Argument, Herr Wolfrum, daß die Repressalie nur ein Mittel für wenige ist, kann ich nicht akzeptieren. Viele völkerrechtliche Positionen stehen faktisch nur bestimmten, mächtigen Staaten zur Verfügung. Das gilt z. B. auch für die Verteidigungsfähigkeit. Trotzdem wird man nicht sagen können, daß sich die großen nicht anders verteidigen als die kleinen Staaten. Gerade dieses Beispiel zeigt m. E., daß Macht in diesem Bereich auch ein rechtlicher Gesichtspunkt ist. Und Macht ist eben ungleich verteilt. Sehr dankbar bin ich für den Hinweis von Herrn Vollers, der die Mäßigung als Prinzip unterstrichen hat. Denn eben dies war eigentlich mein

Bestreben, daß in den verschiedenen Komponenten, die ich in meinem Modell zusammengeführt habe, der Gedanke der Mäßigung bzw. des Maßes sich auswirken können soll. Sowohl das Gruppenprinzip als auch das Konsensusprinzip als auch die Stimmengewichtung, aber auch die Möglichkeit, Mehrheiten innerhalb der Gruppe und zwischen den Gruppen zu finden, wirkt sich - wie ich meine, jedenfalls war es das Ziel - mäßigend, komprornißfördernd aus. Genau das war die Idee, die hier zugrunde lag. Arnold:

Ich wollte nur einen Satz sagen, um nicht falsch verstanden worden zu sein. Ich habe das von mir befürwortete Prinzip .one state, one vote" nicht im Analogieschluß aus der Theorie der innerstaatlichen Gleichheit der Bürger abgeleitet. Der Vergleich nationale Demokratie und UNO hinkt mehr als nur auf einem Bein. Ich habe gemeint, daß ich dieses System im jetzigen VNSystem politisch für richtig und eine Veränderung dieses Systems nicht für wünschenswert halte. Magiera:

Auch ich möchte auf den Komplex der Abstimmungsmodalitäten zu sprechen kommen - und da bietet sich das von Herrn Arnold erwähnte Prinzip .one state, one vote" als Anknüpfung an -, will mich allerdings nur zu dem Analyseteil Ihres Beitrages, Herr Klein, äußern, den Reformteil hingegen ausklammern.

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Ihrer Analyse kann ich grundsätzlich zustimmen und nur versuchen, einige Ergänzungen anzufügen. Sie haben in Ihren Ausführungen zutreffend betont, daß die Gründe der Finanzkrise der Vereinten Nationen nicht so sehr in der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit einzelner Mitglieder zu suchen sind, sondern in tieferliegenden strukturellen Problemen. Aus meiner Sicht besteht das größte Problem in der Frage der Stimmengleichheit bzw. Stimmengewichtung bei der organisatorischen Willensbildung. Sie stellt sich insbesondere angesichts der faktischen Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Nach allgemeinem Völkerrecht folgt aus dem Prinzip der formalen Staatengleichheit, daß ein Staat nicht überstimmt werden darf. Für die Mitgliedschaft in einer funktionsfähigen internationalen Organisation läßt sich dieses Prinzip jedoch nicht uneingeschränkt aufrechterhalten. Es lag auch nicht in der Absicht der Vereinten Nationen, wie das Sicherheitsratssystem zeigt. Die Generalversammlung sollte demgegenüber grundsätzlich keine bindenden Beschlüsse fassen, so daß ihre Mehrheitsentscheidungen akzeptabel erschienen. Warum, so fragt sich deshalb, sind einige Mitgliedstaaten in jüngerer Zeit nicht mehr bereit, ohne weiteres mitzumachen und sich überstimmen zu lassen? Liegt es daran, daß die Beschlüsse der Generalversammlung an Gewicht gewonnen haben? Dies würde ich eher als ein Positivum für die Vereinten Nationen betrachten. Wenn aber Organe internationaler Organisationen bedeutsame Beschlüsse mehrheitlich fassen können, so ist im allgemeinen eine Stimmengewichtung vorgesehen, wie etwa in der Europäischen Gemeinschaft oder in internationalen Finanzorganisationen. Die Konsequenz für die Vereinten Nationen wäre, dieses Prinzip auch in der Generalversammlung zur Geltung zu bringen. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß die Bedeutung der Generalversammlung vermindert wird. Das kann auf verschiedene Weise versucht werden, äußerstenfalls durch Austritt der unzufriedenen Mitglieder aus der Organisation. Dies wäre sicher nicht wünschenswert. Deswegen halte ich es auch nicht für ausreichend, die Vereinigten Staaten wegen ihrer Beitragsverweigerung zu kritisieren. Selbst wenn diese vertragswidrig sein sollte, wäre sie möglicherweise das mildere Mittel gegenüber einer Aufkündigung der Mitgliedschaft, wie sie gegenüber der UNESCO erfolgt ist, wo erst diese - äußerste - Alternative zu Organisationsverbesserungen geführt hat. Nun ist Herr Bazing leider gegangen, an den ich zum Schluß noch eine konkrete Frage stellen wollte. Vielleicht kann sie aber auch von einem der Herren aus dem Auswärtigen Amt beantwortet werden. Gibt es - über die Kritik an den Vereinigten Staaten hinaus - konkrete, realisierbare Vorschläge der EG-Staaten oder von deutscher Seite zur Bewältigung der Finanzkrise der Vereinten Nationen?

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laenicke:

Bevor ich auf das Budgetverfahren eingehe, möchte ich zu der Streitfrage zwischen Herrn Wolfrum und Herrn Klein Stellung nehmen, ob man rechtswidrige Beschlüsse einer Organisation mit der Verweigerung des Beitrages bekämpfen kann. Ich würde da eher der Meinung von Herrn Klein zuneigen. Vor allem dann, wenn die Organisation deutlich erkennbar über ihre Regelungskompetenz hinausgeht, muß man diese Möglichkeit offen lassen, solange und soweit die Organisation keine Streitregelung für solche Fälle vorsieht. Soweit das der Fall ist, muß ich allerdings sagen, daß der Streit über die Kompetenzfrage innerhalb der Organisation ausgetragen werden müßte, vorausgesetzt, daß das Entscheidungsverfahren eine hinreichende Unparteilichkeit verbürgt. In manchen Organisationen ist das so, daß dann die Organisation selbst verbindlich entscheidet, wenn ein Mitgliedstaat mit der Organisation einen Streit hat, wie etwa im Internationalen Währungsfonds. Das ist auch nicht die richtige Lösung. Im vorliegenden Falleist offensichtlich, daß die Beitragsverweigerung der USA nicht unterstützt werden kann; denn die Organisation hat nicht erkennbar außerhalb ihrer Kompetenzen gehandelt. Ich würde es aber in diesem Fall dennoch für politisch unklug halten, auf die USA einzuschlagen. Wenn die Beitragsverweigerung der USA einen gewissen Druck zur Reform der UN erzeugt, dann würden wir dazu beitragen, diesen Druck zu beseitigen, wenn wir erkennbar nach außen der USA Vorwürfe machen, um sie dazu zu bringen, doch ihre Beitragsverpflichtung zu erfüllen. Lassen wir das die anderen tun! Aber das ist eine Frage der politischen Taktik und keine Frage des Rechts. Nun zu dem Budgetverfahren: Ich stimme Herrn Klein zu, daß, um das Ungleichgewicht zwischen Stimmengewicht und Beitragszahlung zu verringern oder zu beseitigen, im Budgetverfahren im wesentlichen drei Möglichkeiten gegeben wären: Konsens, Stimmengewichtung oder Gruppenabstimmung - Gruppenabstimmung ohne Stimmengewichtung wohlgemerkt. Dabei würde ich nach den bisherigen Erfahrungen in internationalen Organisationen und Konferenzen das Konsensprinzip am ehesten für erreichbar halten, die Stimmengewichtung am wenigsten. Ich möchte hier nicht auf das Modell von Herrn Klein eingehen, weil ich finde, daß das Modell zu sehr auf die gegenwärtigen politischen Gruppierungen abstellt: NATO, Neutrale und Ostblock. Das braucht ja nicht immer so zu bleiben. Ich frage mich, ob man hier nicht die Gruppen nach dem System einteilen sollte, das eigentlich der Praxis der Vereinten Nationen eher entspricht, nämlich nach den Regionalgruppen. Bei diesem Modell müßten dann also alle fünf Regionalgruppen einem Budgetbeschluß zustimmen. Das würde eine genügende Streuung der Stimmen bewirken und eine gewisse Bremse gegen überzogene Ausgabenbeschlüsse darstellen.

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Schließlich frage ich mich, ob man nicht die Ausgabenbremse noch viel früher ansetzen müßte als im Budgetverfahren. Die meisten Posten des Budgets sind ja unstreitig oder zwangsläufig. Müßte man nicht schon vorher ansetzen, ehe das ausgabenwirksame Projekt überhaupt ins Budgetverfahren kommt? Für Beschlüsse, die besonders Kosten verursachen wie z. B. Projektfinanzierungen großen Stils oder die das gegenwärtige Budget über einen bestimmten Prozentsatz überschreiten, also das Budget über den Inflationsindex hinaus aufblähen, sollte schon von vornherein eine größere Mehrheit, eine Gruppenabstimmung oder Konsens verlangt werden. Das weitere Budgetverfahren könnte dann unverändert bleiben, wenn man die Bremse schon an dieser Stelle ansetzte. Partseh:

Ich kann mich kurz fassen, da ich mit Herrn Jaenicke weitgehend übereinstimme, vor allem hinsichtlich der Gruppeneinteilung nach Regionen. Aber etwas ganz anderes: Das Thema lautet .Beitrag und Stimmrecht". Artikel 19 der Charta wurde zwar einmal erwähnt, er bietet aber Probleme. Die bewußte und geziele Beitragsverweigerung ist nicht durch Art. 19 gedeckt, da liegen keine .conditions beyond the control of the Member" vor. Diese Form des Rückstandes kann, wenn Art. 19 ernstgenommen würde, mit dem Stimmrechtsverlust geahndet werden. Das ist keine Repressalie, sondern eine organisatorische Maßnahme, die in der Charta selbst vorgesehen ist. Praktisch wird ein Staat noch nicht einmal gefragt, ob sein Rückstand auf Umstände zurückzuführen ist, die jenseits seiner Verfügungsgewalt liegen. Dabei ist interessant, daß Australien und Neuseeland in der UNESCO beantragt haben, den dem Art. 19 der Charta entsprechenden Artikel der UNESCO-Verfassung dahin zu ändern, daß der Staat das Stimmrecht verliert, wenn er nicht nachweist, daß der Rückstand von ihm nicht bezahlt werden kann. Die Autoren dieses Antrages wurden auf die Liste der Rückstände verwiesen, auf der die Mehrheit aller Mitgliedstaaten erscheint. Auf die Frage, ob diese wohl sich selbst das Stimmrecht aberkennen würden, wurde der Antrag zurückgezogen. Unabhängig davon bleibt natürlich die Frage, ob nicht darauf hingewirkt werden sollte, daß Art. 19 schärfer gehandhabt wird, um Rückstände zu beseitigen. Denn ein Stimmrechtsverlust trifft hart und löst Empfindlichkeiten aus. Stattdessen geschieht nun nichts, und das Übel wird stillschweigend getragen. Mir scheint auch dieses Problem zum Thema zu gehören.

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Vollers:

Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie eng die Solidarität der 12 EG-Mitglieder ist. Allerdings zeigt die Praxis eben, daß Irland 0,18 % des Budgets bezahlt. Wir bezahlen 8,26 %, so daß die Interessenunterschiede ganz offensichtlich sind. Wir haben zwar alle die gemeinsame Haltung, daß jeder Staat zu bezahlen hat, daß ein Beitragsrückhalt nicht gerechtfertigt und nicht rechtmäßig ist, daß wir ihn auch nicht ausgleichen sollten. Aber zu allen Fragen der Reform, wie etwa der, daß größere Beitragszahler gewisse größere Rechte im Budgetverfahren haben, gibt es ganz offensichtlich unterschiedliche Meinungen, die sich bereits aus der Grundüberzeugung der Staaten, aber auch aus ihrer eigenen Situation ergeben. Randelzhofer:

Zunächst möchte ich Herrn Klein grundsätzlich unterstützen. Wenn man das Allgemeine und Abstrakte vorzieht,läuft man weniger Gefahr, angegriffen zu werden, als wenn man konkret wirdi und mit Ihren konkreten Vorschlägen setzen Sie sich notwendigerweise Angriffen aus. Trotzdem würde ich hoffen, daß immer wieder Leute den Mut haben, konkrete Vorschläge zu machen, auch wenn wir ihnen dann im Ergebnis nicht ganz folgen. Herr Arnold, Sie sagten, es müsse doch eingesehen werden, daß es eine Frage der internationalen Solidarität sei, daß die Reicheren mehr bezahlen und die Ärmeren weniger. Soweit, so gut. Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß dies erstrebenswert ist. Doch genau hier liegt das Problem. Diese internationale Solidarität können wir heute so oft beschwören wie wir wollen, gegenwärtig - und auch wohl in der allernächsten Zukunft haben wir sie jedenfalls nicht im gewünschten Ausmaß. Im übrigen - das wurde ja schon ein paarmal betont - Beitragsverweigerung ist gar kein neues Phänomen im Rahmen der VN. Es wurde darauf hingewiesen, daß etwa die Russen und die Franzosen nie aus wirklich wirtschaftlichen, finanziellen Gründen, sondern aus politischen Gründen ihre Beiträge nicht bezahlt haben. Warum ist dann die Beitragsverweigerung durch die USA jetzt plötzlich ein so großes Problem? Offensichtlich wegen des großen Anteils der USA, weil sie eben mit 25 % der Hauptzahler der Vereinten Nationen sind. Es ist eine alte Volksweisheit: Wer zahlt, schafft an. Es ist nicht zu übersehen, daß die Regelung in den Vereinten Nationen im eklatanten Widerspruch zu dieser Volksweisheit steht. Trotzdem würde ich nicht dafür plädieren, daß wir die VN danach zu strukturieren hätten, daß es stimmt - wer zahlt, schafft an. Es kann nur darum gehen, das Ausmaß des Widerspruches zu diesem Satz in der konkreten Regelung der Vereinten Nationen etwas abzubauen. Dies, glaube ich, muß angestrebt werden, und

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das hätte auch den positiven Nebeneffekt, daß damit ein Abbau der Abhängigkeit der Vereinten Nationen von den USA erreicht würde, und dann könnte eine eventuell spätere, erneute Säumigkeit des US-Beitrags sich auch als ein leichter zu bewältigendes Problem darstellen. Es liegt im ureigensten Interesse der VN, den hohen finanziellen Anteil der USA an ihrem Budget abzubauen.

Wildhaber: Mir scheint, wir arbeiten zum Teil mit Szenarien, und zu dieser Szenarientechnik hätte ich gern noch ein bißchen mehr gesagt. Ein Szenario wäre beispielsweise, wie Herr Partsch vorhin gesagt hat, .Stimmrechtsverlust" mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Im Grunde kann man Herrn Kleins Modell auch als ein Szenario bezeichnen, nämlich eine ChartaÄnderung nach dem Grundsatz .Zahlung nach Leistung". Herr Klein hat zu Recht gesagt, man könne lange an dieser Einteilung herumdoktorn, und man kann es in der Tat. Man könnte den Regionenproporz erwähnen, von dem Herr laenicke gesprochen hat, oder man könnte an die Bevölkerungszahl denken. Wenn man eine Umschichtung der Veto-Rechte vornehmen wollte, so könnte die Sowjetunion alle ihre Oststaaten in Grund und Boden stimmen, was diese sicher nicht freuen würde. Aber die UdSSR hätte nur ein indirektes Vetorecht, während die USA, zusammen mit Japan und der Bundesrepublik, im Effekt ein direktes Vetorecht hätten. Im übrigen ist es die am wenigsten realistische Version, von einer Charta-Änderung auszugehen; alles andere ist realistischer. Lassen Sie mich noch drei weitere Szenarien aufdecken, die nicht davon ausgehen, daß wir die Charta zu ändern hätten. Das offensichtlichste Szenario in dieser Richtung ist .business as usual", wie wir heute morgen schon gesehen haben. Das ist das Verhalten, wonach man einfach sagt, es gehe schon weiter. Man tut dergleichen, das Geld komme, und vielleicht kommt es noch einmal. Dann ein weiteres Szenario, das ich .sweet reason" nennen möchte: Man sagt, die UNO liege im Interesse aller und appelliert an die Solidarität, wobei es schwierig sein wird, damit durchzuhalten. Herr Arnold hat gesagt, den USA habe es bisher eigentlich nicht entscheidend weh getan. Aber der UNO hat es bisher auch nicht entscheidend weh getan, wie die Darstellungen von Herrn Zemanek dargetan haben. Somit würde ich ein •worst case" -Szenario anregen. Die Charta wird nicht geändert: es geht alles weiter; die Zahlungsmoral zerfällt zusehends; die USA zahlt noch weniger; folglich kann die UNO mit der Zeit nicht mehr zahlen. Dann streichen wir gewisse Programme, danach gewisse Beamtenstellen. Daraufhin gibt es keine Blauhelme mehr in Zypern und Südlibanon. Wer sie will, der soll sie zahlen - nicht umsonst, wollen wir mal sehen, was das gibt. Schließlich gibt

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es nur noch Programme, die ohnehin schon freiwillig sind, wie die UNEP. Diese könnten wahrscheinlich überleben. Der Einfluß der Sowjetunion würde zunehmen. Und so könnte es noch eine Zeitlang weitergehen. Die Frage wäre, von wann an es so weh tut, daß es so nicht mehr weiterginge. Zweifellos ginge es vorerst eine erhebliche Zeit lang weiter, ehe eine Umkehr unumgänglich würde. Darf ich Herrn Klein bitten, einen weiteren Punkt noch etwas zu vertiefen. Die wohl realistischste Version einer Charta-Änderung war diejenige, wonach der Sicherheitsrat alle Generalversammlungsbeschlüsse genehmigen müßte. Wäre dies nicht so nahe an den doppelten Beschlüssen, die wir von den Wahlen her kennen, daß das noch am ehesten denkbar wäre? Tomuschat: Mir scheint, die USA benehmen sich im Augenblick so, als ob die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen für sie überhaupt nichts wert wäre. Eine cost benefit analysis hat sie offenbar zu der Auffassung gebracht, daß für sie die UN nur mit finanziellen Nachteilen verbunden ist. Ich glaube, da wird einiges zu gering veranschlagt, vor allem der ständige Sitz im Sicherheitsrat, der Mitwirkung an einer legalen Weltherrschaft zur Sicherung des Friedens bedeutet. Dieser privilegierte Status ist ungeheuer viel wert, aber dies müßte den USA einfach einmal von irgend jemand gesagt werden, der ihnen das sagen kann. Ich würde meine Aktiva nicht so leichtfertig aufs Spiel setzen. Wenn die USA die UNO verlassen würden, wären sie zunächst einmal den ständigen Sitz im Sicherheitsrat los, und sie müßten sich gewaltig anstrengen, um ihn eines Tages wiederzubekommen. Punkt 2 - ich will mich sehr kurz fassen: Ich glaube, wir haben bei unseren bisherigen Überlegungen nicht ausreichend berücksichtigt, daß durchweg das übliche Haushaltsverfahren nur für die administrativen Kosten gilt, während sämtliche Ausgaben für Projekte durch freiwillige Zahlungen gedeckt werden. Die ganze Debatte, die hier geführt wird, geht ja nur um die Verwaltungsstrukturen, um sonst nichts. Nur hier und dort sind operative Kosten in den normalen UNO-Haushalt eingestellt worden. Eines der Hauptbeispiele bilden dabei die Kosten für die Aufstellung von Friedenstruppen. Ich komme zum dritten Punkt. Herr Wolfrum, Ihre Meinung zu der Unzulässigkeit der Beitragsverweigerung hat zu Recht wenig Gefallen gefunden. Was Sie darüber gesagt haben, daß der Kleine dem Großen nicht weh tun kann, trifft natürlich auch für Nicaragua im Verhältnis zu den USA zu. Wenn Nicaragua entscheidet, angesichts der unglaublichen Haltung der USA zum Urteil des IGH sämtliche Einfuhren aus den USA zu sperren, dann lachen die

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USA über einen solchen Schritt. Aber das ist das Spiel des Völkerrechts, insofern haben Herr Klein und Herr Jaenicke durchaus die richtige Antwort gegeben. Hier handelt es sich im übrigen nicht um ein self-contained Regime. Beim Diplomatenrecht ist es ganz offensichtlich, daß nur bestimmte Sanktionen zulässig sein sollen, nämlich die Erklärung des unerwünschten Diplomaten zur persona non grata. Hier aber sind keine solchen besonderen Streitlösungsmöglichkeiten gegeben. Im Gegenteil, die Beitragszurückhaltung ist das einzige Mittel, das der Staat, dessen Rechte verletzt worden sind, zur Hand hat. Zum weighted voting möchte ich ebenso wie Herr Wildhaber sagen, daß, wenn man sich ernsthaft überlegt, ob ein solches Projekt Chancen der Durchsetzung hat, die Dritte Welt wohl kaum bereit sein würde, allein das Kriterium der Beitragshöhe zu akzeptieren; es würde sicher mit anderen Kriterien verbunden. Nach dem Grad der Betroffenheit könnte man etwa dann auf die Bevölkerungszahl des Staates zurückgehen. Damit ergäbe sich eine Parallele zur sog. population reserve, die bei der Berechnung des Personalanteils der einzelnen Mitgliedstaaten im UNO-Stab eine gewisse Rolle spielt. Insgesamt habe ich nicht den Eindruck, daß man mit einer solchen ausschließlichen Berücksichtigung des Beitragsaufkommens sehr viele Erfolgschancen hätte. Man könnte auch daran denken, das Modell der Rohstofforganisationen zugrunde zu legen, wo ja die Erzeuger und die Verbraucher in zwei verschiedenen Kollegien zusammengeschlossen sind. Hier hätte man auf der einen Seite die Beitragszahler, auf der anderen Seite die Nutznießer oder Betroffenen, die dann nach einem bestimmten Schlüssel besondere Stimmen bekommen könnten. Ich sage das nur einmal als Hypothese. Ernstlich glaube ich nicht, daß man sehr viel Erfolg mit irgendwelchen Reformen haben kann.

Klein:

Damit nicht zuviel zusammenkommt, möchte ich die konkret an mich gerichteten Fragen in aller Kürze zu beantworten versuchen. Herr Jaenicke, ich stimme Ihnen ganz bei. Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen; ich hatte ihn selbst nur am Rande erwähnt, da er nicht unmittelbar etwas mit dem Thema zu tun hat. Aber er betrifft eine wichtige Strukturfrage. Daß die Mitgliedstaaten im Rahmen der Vereinten Nationen keine Möglichkeit haben, Akte der Organisation rechtlich überprüfen zu lassen, das halte ich in der Tat für einen ganz entscheidenden Struktur- und Organisationsmangel. Ich stimme Ihnen auch in der Reihung bezüglich der Wertigkeit der Möglichkeiten zu, die für die Lösung unserer Problematik in Betracht kommen, nämlich Konsensusverfahren am ehesten, Stimmengewichtung am

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wenigsten. So denke ich auch i ich habe die Stimmengewichtung zwar nicht ganz herausgelassen, aber ich wollte sie sozusagen wieder durch das Gruppenprinzip mäßigen. Natürlich habe ich mir auch überlegt, ob man die Entscheidung und die Steuerung des Budgetverfahrens, die Problematik des Haushaltsverfahrens dadurch entschärfen kann, daß man dem Vorstadium besondere Beachtung widmet. Sie schlugen vor, über gewisse ausgabenträchtige Resolutionen sollte schon vorher nach diesem - möglicherweise nach einem anders gearteten - Gruppenprinzip abgestimmt werden. Insoweit habe ich mich nun aber gescheut, weil ich meine Vorschläge, die über das one state - one vote-Prinzip hinausgehen, unmittelbar auf das Budgetverfahren selbst konzentrieren und nicht noch mehr Unwägbarkeiten bezüglich der Realisierung hineintragen wollte, wie es dann zwangsläufig geschähe, wenn man den Kreis der Entscheidungen, die vom Gruppenprinzip berührt würden, noch weiter zöge. Im Prinzip stimme ich Ihnen allerdings durchaus zu. Herr Partseh, ich bin Ihnen sehr dankbar für den Hinweis auf die UNESCO-Debatte, die ich noch nicht kannte. Natürlich stellt sich die Frage: Wie hält man es mit dem Art. 19 UN-Charta? Nun haben gerade die Erfahrungen der frühen Zeit, nach 1960, gezeigt, daß die Vereinten Nationen nicht bereit sind - wie ich meine, aus sinnvollen Gründen -, von diesem Instrument Gebrauch zu machen. Im übrigen sind es ja nicht sehr viele Staaten, die diese Grenze erreichen, weil sie häufig gerade soviel zahlen, daß sie unterhalb dieser Grenze bleiben. Aber die USA könnten dieses Limit überschreiten - das ist ja vorhin gesagt worden. In einigen Jahren lohnt es sich, diese Frage zu stellen. Meines Erachtens wären die Vereinten Nationen dann freilich im Ergebnis besser beraten - gleichgültig, wie man diese Dinge rechtlich beurteilen mag -, diese schwierige Situation auf andere Weise zu klären, also über diesen Punkt hinwegzusehen, im Konsens zu entscheiden, Abstimmungen zu vermeiden, wie man es damals getan hat, als den USA die Stimme zu entziehen. Das habe ich in meinem Referat angesprochen. Gerade die damaligen Ereignisse zeigten ja - sie waren praktisch die Geburtsstunde des Konsensusverfahrens -, daß man es zwar für unglaublich hielt, was da von seiten vor allem der Sowjetunion, aber auch Frankreichs und anderer Staaten, ges{;hah, man aber gleichwohl meinte, hier entstehen, wenn man dieses Schwert des Art. 19 der Charta schwingt, Nachteile, die größer wären als der Nachteil, der sich daraus ergibt, daß man von diesem Schwert keinen Gebrauch macht und die Angelegenheit, so übel sie ist, toleriert. Es gibt Stimmen in der Literatur, die aufgrund dieser Vorkommnisse den Art. 19 für obsolet halten. Ob eine solche Ansicht rechtlich begründet ist, habe ich allerdings meine Zweifel. Ich selbst glaube nicht, daß Art. 19 obsolet wurde und deshalb nicht mehr angewendet werden dürfte. Aber ich meine, es ist die politische Opportunität, die eigentlich davon abrät, dieses Richtschwert zu schwingen.

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Herr Wildhaber hat zwei direkte Fragen an mich gestellt. Das Szenario von der allmählichen Auflösung ist natürlich beängstigend. Gerade weil das so ist, kommt man vielleicht, wenn man die Dinge einfach so treiben läßt, in der Tat zum Exitus der Organisation. Weil ich bezweifle, daß der gegenwärtige Zustand ein sinnvolles Funktionieren der Vereinten Nationen ermöglicht, ist dies für mich nicht hinnehmbar. Deswegen suchte ich nach einer Lösung, das zu vermeiden, und deswegen meine ich eben, wir müssen zwar ein Konsensusverfahren anstreben, aber auf der anderen Seite - ich nannte das vorhin zweite Verteidigungslinie - müssen wir auch weiterkommen, wenn das nicht klappt. Ein Haushaltsbeschluß muß in einer internationalen Organisation so wie in einem Staat irgendwann einmal gefaßt werden. Diese Frage kann nicht auf Dauer offen bleiben, und dann würde das von mir Vorgeschlagene immerhin Kriterien und Elemente zur Verfügung stellen, die das möglicherweise absichern könnten. Daß ich der Überlegung, das Budget dem Sicherheitsrat mit der Folge der Vetomöglichkeit der fünf ständigen Mitglieder vorzulegen, nicht nahegetreten bin, ergibt sich im Grunde aus einer einfachen Überlegung. Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind z. B. weder Japan noch die Bundesrepublik Deutschland, obwohl sie erhebliche Beiträge zahlen. Für mich ist dies ein wichtiger Punkt. Mir erscheint es sinnvoller, die vier oder fünf größten Beitragszahler in eine insoweit entscheidende Position zu bringen. Insofern reicht mir das Vetorecht der Sicherheitsratsmitglieder nicht aus.

Zemanek: Ich möchte inhaltlich zu der Frage, ob die Verweigerung der Beitragszahlungen legitim sein könne, nicht Stellung nehmen. Aber einmal angenommen, sie wäre legitim. Selbst dann kann diese Legitimität meiner Meinung nach nicht zur Erklärung des amerikanischen Verhaltens herangezogen werden. Denn welches wären denn die berühmten .ultra-vires·-Beschlüsse, die das Verhalten der Vereinigten Staaten rechtfertigen sollten? Ich glaube, die Resolution, die die amerikanische öffentliche Meinung am stärksten beeinflußt hat und mitverantwortlich ist für die heutige Stimmung, war jene, die Israel als rassistischen Staat bezeichnete. Nun kann man diese Resolution als politisch unklug, ungerecht, überflüssig oder wie immer bezeichnen, aber .ultra vires' war sie bestimmt nicht. Wollte man den Standpunkt vertreten, sie sei .ultra vires· gewesen, dann würden wir die ganze Anwendungspraxis des Art. 55 der Charta, damit aber auch unsere eigenen Menschenrechtsinitiativen in den Vereinten Nationen in Frage stellen. Ich meine, daß wir da etwas vorsichtiger sein sollten. Zwischenruf von Herrn Klein: Ich habe es nicht behauptet. 8 UN·Reform

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Gut, dann reden wir hier eben von einer Fiktion; aber welche wären dann der oder die Beschlüsse .ultra vires", die die Vereinigten Staaten berechtigten, ihre Beitragszahlungen zu verweigern? An eine Anwendung des Art. 19 der Charta glaube ich nicht. Es hat sich nämlich - Sie haben schon davon gesprochen - im Jahre 1964 gezeigt, daß die Anwendung des Art. 19 an der Operationalisierung scheitert. Der Text vermittelt zwar den Eindruck als träte die Folge automatisch ein, tatsächlich aber braucht man ein Organ, das den Eintritt feststellt. 1964 war die Situation so, daß Generalsekretär U Tant, an den man wegen der Feststellung herantrat, daß die Sowjetunion und Frankreich mit ihren Beitragszahlungen in der Höhe von mehr als den zwei letzten Jahresbeiträgen in Rückstand wären und daher kein Stimmrecht in der Generalversammlung hätten, sich geweigert hat, diese Feststellung zu machen. Auch der Präsident der Generalversammlung hat sich geweigert. Es wäre somit nur die Möglichkeit geblieben, anläßlich einer Abstimmung in einem .point of order" die Abstimmung als fehlerhaft zu bezeichnen, weil an ihr Staaten teilgenommen hätten, denen das Stimmrecht entzogen sei. Nachdem die Sowjetunion aber erklärt hatte, sie würde einen Versuch, Art. 19 der Charta auf sie anzuwenden, mit dem Austritt beantworten, wollte anscheinend kein Mitgliedstaat das Odium auf sich nehmen, diesen Austritt provoziert zu haben. Deshalb ist Art. 19 nicht zur Anwendung gekommen. Herr Klein, ich bin auch nicht der Meinung, daß die Ereignisse des Jahres 1964 der Anfang des Konsensus waren. Das ganze spielte sich folgendermaßen ab: Der Präsident der Generalversammlung saß am Rostrum und sämtliche Delegationschefs pilgerten an ihm vorbei und flüsterten ihm wie in einer katholischen Ohrenbeichte etwas ins Ohr. Er hat dann nicht festgestellt, daß ein Konsensus vorliege; er hat schlicht und einfach gesagt: Ich habe nicht gehört, daß ein Staat gegen diesen Beschluß stimmen will. Daher erkläre ich den Beschluß ohne Abstimmung für angenommen. Ob man das als den Beginn des Konsensus betrachten kann, ist zu bezweifeln. Konsensus ist ein Verhandlungsverfahren. Hier haben zwar Verhandlungen in Gruppen stattgefunden, aber nicht zwischen ihnen, sondern es haben nur alle in das Ohr des Präsidenten geflüstert. Herr Tomuschat meinte, die Vereinigten Staaten würden durch den Austritt den Sitz im Sicherheitsrat verlieren. Das ist ein hübsches juristisches Problem; denn Art. 23 der Charta, in dem sie ausdrücklich als Sicherheitsratsmitglied genannt sind, wird in der Satzung bleiben. Es ist also ein interessantes Auslegungsproblem, ob für die Anwendung des Art. 23 die Mitgliedschaft notwendige Voraussetzung ist. Nun zu meinem letzten Punkt, dem Modell von Herrn Klein. Was mich daran stört, ist die Verwendung zweier verschiedener Kriterien. Auf der einen Seite haben Sie ein Kriterium ideologischer Homogenität in den

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beiden ersten Gruppen und danach das Kriterium ideologischer Heterogenität. Meines Erachtens müßte man ein Kriterium finden, das durchgehend wirksam ist, also etwa die regionalen Gruppen, wobei die ideologische Komponente entfiele, oder ein anderes. Durch die Verwendung verschiedener Kriterien entsteht - vor allem in der Gruppe 3 - ein völliger Basar, sozusagen ein .Rest der Welt", den man nicht anders zuteilen kann. Das halte ich für unbefriedigend. Übrigens muß die Bezeichnung Schwedens als "blockfrei" ein Schreibfehler sein, weil.blockfrei" ein terminus technicus ist, der auf Schweden nicht angewendet werden kann. Randelzhofer:

Herr Wo]frum, darf ich ganz kurz einen Versuch zur Lösung des von Herrn Zemanek als interessante Frage bezeichneten Problems unternehmen, ob

man auch als Nichtmitglied der Vereinten Nationen Sitz und Stimme im Sicherheitsrat haben kann? In Satz 2 des Absatzes 1 von Artikel 23 der Charta, den Sie zitiert haben, steht, daß China usw. Mitglieder sind. Aber davor steht der Satz 1. Der Sicherheitsrat besteht aus 15 Mitgliedern der Vereinten Nationen.

Delbrück:

Mir wird eigentlich zunehmend unbehaglich bei der Diskussion um die Reform der VN, weil mir noch nicht so recht klar ist, ob wir durch die Konzentration auf den Finanzbereich wirklich das Stimmenverfahren im Budgetbereich oder die mit seiner Reform beabsichtigten weiteren Wirkungen meinen und ob nicht auch bei den USA das Motiv die weiteren Wirkungen sind und nicht so sehr das politische Verhalten im Haushaltsverfahren. Herr Tomuschat hat das schon angesprochen, im Kern geht es bei Haushaltsentscheidungen eigentlich gar nicht um so furchtbar aufregende Dinge; denn die umstritteneren und teureren Projekte sind ja oft die, die gar nicht im Normalverfahren eingebracht werden. Insofern möchte ich wieder einmal darauf hinweisen, obwohl das vielleicht etwas weitab liegt von dem, was unsere Diskussion bislang angeschnitten hat, daß die Vereinigten Staaten ja mit den Vereinten Nationen im Frieden gelebt haben, als sie eine automatische Mehrheit hinter sich hatten. Damals ist niemand ernstlich auf die Idee gekommen, man müsse jetzt das Stimmverfahren ändern, insbesondere im Bereich des Haushaltsverfahrens, um diese automatische Mehrheit zu durchbrechen. Dann haben sich die politischen Verhältnisse geändert, und nun stellt der gesamte Westen oder wer immer die Minorität ist - fest, daß das, was sie politisch wollen, in B•

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gar keiner Weise konsensfähig ist mit dem, was die Mehrheit jetzt zur Zeit wünscht. Also wird gesagt: man muß ja nun doch zu Haushaltsbeschlüssen kommen, denn eine Organisation kann ja nicht ohne Haushalt existieren, wenn dies aber nun einmal nur so geht, daß Minderheitenpositionen besser berücksichtigt werden, dann muß man eben das Verfahren für den Beschluß des Haushalts ändern. Es wäre einmal interessant, diese Argumentation in der Dimension der EG zu durchdenken. Wenn Herrn Kiechle - völlig erschöpft am Sonnabendabend nach Abbruch der Verhandlungen über den Agrarhaushalt - einfallen würde zu sagen: wir kommen hier nicht zu einem tragfähigen Konsens, mir mißfällt das alles, was die übrigen EG-Mitglieder im Agrarbereich wollen, und deshalb müssen wir das Beschlußverfahren ändern, damit ein Haushalt und eine Agrarpolitik zustande kommt, die mir paßt, dann würde das wahrscheinlich nicht auf sonderliche Gegenliebe in der EG stoßen. Ein bißchen ähnlich sieht es ja eigentlich auch in den Vereinten Nationen aus. Von daher gesehen scheint mir der Ansatz an den technischen Regeln des Abstimmens, und zwar bezogen oder sogar - wie im Referat - ausdrücklich beschränkt auf das Budgetverfahren eigentlich kein sonderlich fruchtbarer Ansatz für die Reform der Vereinten Nationen zu sein. Ich denke, die gegenwärtige Situation müßte Anlaß sein, darüber nachzudenken, wie es eigentlich kommt, daß wir eine institutionalisierte Polarisierung in den Vereinten Nationen beobachten müssen, die zu diesen Verhältnissen und zu solchen Überlegungen führt. Da ist zum einen auf die Tatsache hinzuweisen, daß im Moment wenig Initiative und wohl auch Bereitschaft zur Reform zu sehen ist bei denjenigen, die jetzt die Mehrheit bilden; es fehlt der Mehrheit der politische Wille, in einer sicherlich langfristigen Perspektive ernsthaft auf machbare und bezahlbare Veränderungsvorschläge einzugehen. Der andere Punkt ist das Problem, das wir heute morgen schon ansatzweise besprochen haben, daß VN-Tätigkeiten einen hohen Kostenaufwand auslösen und in Bereichen stattfinden, die sich oft überschneiden, daß somit die Tätigkeit ineffektiv ist und eine wie immer geartete stärkere Koordination im Gesamtsystem der Vereinten Nationen wahrgenommen werden muß. Mir scheint es in der Tat sehr viel zukunftsweisender zu sein, bei der Frage der Kompetenzen, der Abgrenzung der Aufgaben u. ä. anzusetzen und einfach von daher größere Sparsamkeit zu entwickeln. Daß es in einer solchen Organisation auch immer wieder Beschlüsse geben wird, die einem nicht passen, die auch vielleicht an den eigenen Maßstäben der Organisation gemessen sogar rechtswidrig sind, das wird man auch mit den besten Veränderungen des Stimmverfahrens, wenn es denn auch nur auf den Haushalt beschränkt wäre, nicht ändern können. Daraus ergibt sich ein Drittes, das man in Angriff nehmen müßte, und das wäre etwas, was der Westen und einige neutrale Staaten meines Erachtens erreichen könnten, nämlich darauf hinzuweisen, daß die Idee der Gründungsväter, die Verein-

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ten Nationen, wenn man so will, von den Fesseln der Gesetzmäßigkeit des eigenen Handeins zu befreien, gar nicht so gut war. Vielmehr müßte man die doch vorhandenen Ansätze innerhalb der Charta, so etwas wie ein Gesetzmäßigkeitsprinzip, eine Art Selbstbindungsprinzip u. ä. etablieren, weiterentwickeln und diese. Verrechtlichung" der VN-Tätigkeit offensiv vertreten. Mir scheint also der Ansatz vom Budgetverfahren - wie immer man diesen Ansatz und diesbezügliche Reformvorschläge im einzelnen rechtfertigen kann - letztlicht für die eigentlichen Probleme, die die Organisation hat, nämlich sich mit Autorität zu politischen Fragen äußern zu können, so daß dies auch Akzeptanz findet, nur sehr peripher zu berühren. Ich will das einfach noch einmal sagen, weil ich es verengt finde, wenn man sich hieran festbeißt. Wir sehen ja, die technischen Probleme solcher Verfahrensänderungen sind ungeheuer schwierig, das eine bewegt sich im Rahmen der Satzung, wenn auch dann im Grunde genommen mit einer desuetudo von vorhandenen Vorschriften u. ä., das alles ist ja auch nicht so sonderlich sauber im Verfahren. Wenn es andere Dinge sind, die man erstens politisch angehen kann und zweitens auch vielleicht langfristig zu einer Stabilisierung des Verfahrens in allen Bereichen der UNO führen könnte, ist dies natürlich vorzuziehen. Herr Scheuner hat hier vor fast 13 Jahren - 1974, auf dem Symposium .Vereinte Nationen im Wandel" - darauf hingewiesen, man sollte sich nicht kurzatmig an den Problemen, die die jeweilige Mehrheit in den Vereinten Nationen verursacht, festbeißen. Auch die würden sozusagen im Rahmen der Sozialisierung der Staatengemeinschaft auf Dauer andere Verhaltensweisen an den Tag legen, und dann wird man vielleicht sogar bedauern, daß man jetzt Strukturveränderungen erzwingt, die sich nachher in der Praxis als gar nicht so erfolgreich erweisen würden. Deshalb ist meines Erachtens der Bereich der Finanzkrise und ihre möglichen Lösungen für die Reform der Vereinten Nationen langfristig nicht so zentral und vielleicht gar nicht so reformfruchtbar, wie das im Moment erscheinen mag. Beyerlin:

Ich darf auch ganz kurz auf das von Herrn Klein befürwortete Gruppenprinzip zu sprechen kommen. Dieser Vorschlag würde meines Erachtens zu einer unerwünschten Zementierung der Staatengruppen und damit zu einer vermehrten ideologischen Blockbildung führen. Der Universalismus, für den die UNO ja gerade steht, würde dadurch stark gefährdet. Etwas weniger Bedenken hätte ich, wenn diese Gruppen nach geographischen Gesichtspunkten eingeteilt würden; aber auch dies hielte ich nicht für sehr gut. Meiner Auffassung nach würde das Gruppenprinzip zur Verschärfung der Gegensätze zwischen den Gruppen führen. Auch wenn Herr Klein dieses

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Gruppenprinzip auf das Haushaltsverfahren beschränkt wissen will, schlüge es doch auch auf das Abstimmungsverhalten der Staaten im übrigen, etwa bei der Verabschied.ung von Resolutionen, durch. Damit käme es insgesamt zu einer vermehrten Polarisierung und Politisierung. Da nun aber gerade die Politisierung ein entscheidendes Hindernis dafür ist, daß man zu einem Interessenausgleich zwischen Nord und Süd kommt, glaube ich, daß der Vorschlag, ein Gruppenprinzip einzuführen, insgesamt nicht sehr hilfreich ist. Noch ein zweiter kleiner Punkt: Insbesondere bei den beiden ersten Staatengruppen bestünde die Gefahr, daß der Höchstbeitragszahler dann die betreffende Gruppe allzu sehr dominieren würde. So könnte es z. B. geschehen, daß die Sowjetunion künftig mehr als erwünscht zahlen möchte. Das Gruppenprinzip birgt also eine doppelte Gefahr in sich: Zum einen würde es die Blockbildung zementieren; zum anderen erhielte innerhalb der jeweiligen Gruppe eine Macht, nämlich der Höchstbeitragszahler, eine zu starke Dominanz. Beides erscheint nicht erstrebenswert.

Ginther:

Zwei Fragen an Herrn Klein: Es ist die Parallele gezogen worden zu der Finanzkrise in der Folge der .peace keeping operations" und der Zahlungsverweigerung seitens der Sowjetunion und anderer Staaten. Die Frage ist heute, ob die Verweigerung der Zahlung der Beiträge durch die Vereinigten Staaten nicht etwas völlig anderes darstellt. Sie ist nämlich eine pauschale Verweigerung, eine kategorische Verweigerung. Im früheren Fall handelte es sich um eine .projektbezogene" Verweigerung. Man konnte damals den Gerichtshof fragen, ob die verweigerten Beitragsleistungen auch wirklich .Ausgaben der Vereinten Nationen" betrafen. Heute scheint es mir schwieriger, eine Frage an den Gerichtshof zu formulieren. Wollte man heute ein IGH-Gutachten in diesem Streit im Hinblick auf die Beitragsverweigerung durch die Vereinigten Staaten, um damit .den Streit rechtlich etwas zu dämpfen, dürfte sich das als schwieriger erweisen. Eine zweite Frage: Wie schon mehrfach angesprochen, mit dem Budge· tentscheid hat es ja nicht sein Bewenden und kann es nicht sein Bewenden haben. Denn wie wir hier gehört haben, geht es im Grunde um Grundsätz· licheres; ich glaube, Herr Randelzhofer hat schon darauf verwiesen: es geht um die Politik der Vereinten Nationen. Wie im Staat wird auch in den Vereinten Nationen über das Budget Politik gemacht. Es wird im Budgetent· scheid schließlich wieder etwas zurückgenommen, was dem Grunde nach in materiellen Resolutionen der Generalversammlung zuvor beschlossen wor· den war. Ich glaube, das muß in die Konfrontation führen. Es ist dankens-

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wert, daß Sie, Herr Klein, die Mühe auf sich genommen haben, uns anhand eines Modells für eine Stimmgewichtung ein neues Beschlußverfahren vorzulegen. Die Frage ist, ob das ein realistischer Weg ist, der - wenn auch langfristig - zum Erfolg führen kann. Da meine ich, wie einer der Vorredner, man würde es gegebenenfalls später bereuen, das gegenwärtige Verfahren aufgegeben zu haben, weil man sich mit dem neuen Verfahren in ungeheure Schwierigkeiten hineinmanövriert hat, nicht zuletzt, weil es zu kompliziert ist. Es stellt sich die Frage der Gruppenbildung: Soll nach dem Grundsatz der .auto-selection" verfahren werden, indem sich die Gruppe der 77 aus jenen Staaten bildet, die ganz einfach dazugehören wollenj oder entscheidet die Gruppe, wer zu ihr gehören darf mit der Folge, daß z. B. Israel nicht zur Gruppe der 77 zugelassen wird. Hier frage ich mich, ob nicht doch das Beharren auf der Form, wie wir sie haben, die zweit- oder drittbeste Lösung ist, wir aber keine bessere finden. Wenn wir eine juristische Lösung zur Problematik der Beschlußfassung suchen wollen, dann möglicherweise auf dem Weg - und das wurde hier schon angesprochen - des Grundsatzes einer Mäßigung im Stimmverhaltenj damit ist eine Entwicklung gemeint, nach welcher der bisherigen Konstituierung automatischer Mehrheiten der Grundsatz von Treu und Glauben und der Selbstbindung im Gebrauch des Stimmrechts entgegengehalten werden kann, um von daher die Situation, wie sie ist, unter Kontrolle zu bekommen. Der andere Weg scheint mir in die Kontroverse zu führen und abgesehen davon zu kompliziert zu sein, um in einer Staatenversammlung von rund 160 Staaten noch Zustimmung bzw. eine Mehrheit finden zu können. Sie, Herr Klein, haben bewußt die Realisierbarkeitsfrage zunächst ausgeblendetj sonst hätten Sie wohl auch Ihr Referat gar nicht halten könnenj sie muß nunmehr gestellt werden. Entscheidend dabei ist, daß es sich letztlich um eine politische Entscheidung handelt, die die Generalversammlung in ihrer Lenkungskompetenz der Vereinten Nationen und mit ihrer jetzigen Mehrheit zu entscheiden haben wird. Rudolf:

Heute morgen wurde festgestellt, daß die Finanzkrise der Vereinten Nationen eine Strukturkrise ist. Wir haben dann gehört, daß das CPCVerfahren verbessert werden soll, und haben schließlich erfahren, daß insbesondere seitens der westlichen Staaten viel guter Wille aufgebracht wird, um die Amerikaner von ihrer starren Haltung abzubringen. Vermißt habe ich, etwas darüber zu hören, was aus den Vorschlägen werden soll. In einem Punkt stimme ich der hier allgemein geäußerten Meinung zu, daß zu vermeiden ist, was Herr Bazing als Politisierung bezeichnet hat, nämlich die Belastung der Arbeit mit sachfremden Themen. Man soll sich wieder stärker an die Kompetenzen halten, was ja an und für sich immer gut ist.

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Zur Reformfrage hat bereits Herr Delbrück alles gesagt, was ich anmerken wollte: Hat es überhaupt einen Sinn, über die Finanzen die Struktur zu verändern? Erzielt man mit Nichtzahlung der Beiträge nicht bloß einen kurzfristigen disziplinären Effekt? Sicher kann man die Stimmenwägung auch bei der UNO durchaus als ein Modell in Erwägung ziehen. Es gibt Stimmenwägung auch in politischen Organisationen, wenn sie wirtschaftliche Ziele verfolgen, wie beispielsweise der EG, die viel mehr Kompetenzen als die UNO besitzt. Wir sind uns aber auch mit Herrn Klein darüber einig, daß es grundsätzlich bei dem Zustand 'one state - one vote' bleiben soll. Nur bei Fragen der Budgetierung könnte es anders sein. Man müßte allerdings auch hier eine zu große Disparität vermeiden. Ich erinnere daran, daß selbst im Bundesrat des Norddeutschen Bundes und später des Deutschen Reiches die Stimmengewichtung zwischen dem kleinsten - das war wohl Schaumburg-Lippe - und dem größten - Preußen, das fast 800 mal mehr Einwohner hatte - wie 1 : 17 war. Das war schließlich auch ein Bund, der aus zunächst selbständigen Staaten zusammengesetzt war, und auch da hat man nicht nach der Bevölkerungszahl und schon gar nicht nach der wirtschaftlichen Leistung entschieden, sondern die Disparität beim Stimmengewicht nicht zu groß festgelegt. Grundsätzlich ist gegen eine moderate Stimmenwägung nichts einzuwenden. Nur halte ich es für unrealistisch, weil man sie nicht durchsetzen wird. Gleichwohl ist interessant, was Herr Klein uns hier mit seinem Vorschlag vorgelegt hat. Nur frage ich mich, ob das für den Westen im Augenblick politisch überhaupt sinnvoll ist, so zu verfahren. Müßte man das, was man auf der einen Seite an Beiträgen für die UNO spart, nicht möglicherweise auf der anderen Seite z. B. bei der Entwicklungshilfe und dann in viel höherem Maße ausgeben? Die Abstimmung nach Blöcken halte ich nicht für sinnvoll - darauf ist wiederholt hingewiesen worden -, denn das würde eine Zementierung und Petrifizierung des jetzigen Zustandes bedeuten. 'One state - one vote' ist auch eine Chance der UNO. Der individuelle Staat soll nicht im Block untergehen und durch den Block mediatisiert sein. Schon aus dem Grunde bin ich der Meinung, daß man hier mit der Fixie~ung von Blöcken vorsichtig sein soll. Ganz abgesehen davon, ist die Zuordnung zu Blöcken außerordentlich schwierig. Im Grunde genommen sind die Gruppen 3 und 4 von Herrn Klein vom Ergebnis her letztlich gleich zu behandeln, da in jeder der beiden Gruppen jeder Staat eine Stimme hätte. Ich muß gestehen, daß auch mir unwohl dabei ist, daß die Gruppen 1 und 2 - Herr Zemanek hat darauf hingewiesen - nach ideologischen Gesichtspunkten, die Gruppen 3 und 4 nach finanziellen Gesichtspunkten zusammengesetzt sind. Letztlich bin ich der Meinung, daß wir über die Finanzen die Strukturkrise der UNO kaum werden ändern können. Insofern kann ich mich dem anschließen, was Herr Delbrück gesagt hat.

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Schreuer:

Ich bin ein wenig erstaunt darüber, daß die Stimmwägung im EG-Rat hier mehrfach als leuchtendes Vorbild dargestellt wurde. Seit der Luxemburger Vereinbarung von 1966 funktioniert das doch gar nicht mehr. Sicher hat es gute Gründe, daß man zur Mehrheitsabstimmung zurückzukehren versucht. Ob das Verfahren im EG-Rat aber wirklich so ein gutes Vorbild ist, weiß ich nicht. Noch eine kleine Bemerkung zur Auseinandersetzung um die Legalität der Beitragsverweigerung. Herr Ginther hat schon den Certain ExpensesFall (Certain Expenses of the United Nations, ICJ-Reports 1962, S. 150, 167 f.) erwähnt, wenngleich er betont hat, daß dieser Fall auf die aktuelle Situation nicht paßt, weil hier keine eindeutige Reaktion auf ultra-viresBeschlüsse vorliegt. Dennoch glaube ich, daß aus dem damaligen Rechtsgutachten etwas zu gewinnen ist. Der IGH hat damals zwischen einer bloßen Kompetenzüberschreitung eines Organs einerseits und einer echten ultravires-Handlung - also einer Überschreitung der Kompetenzen der Organisation als ganzen - andererseits unterschieden. Er hat dann festgestellt, daß eine bloße Kompetenzüberschreitung eines Organs nichts daran ändern würde, daß es sich um eine Aufgabe der Organisation handelt. Das heißt, die Staaten müßten trotzdem zahlen. Daraus ist durchaus der Umkehrschluß zulässig, daß im Falle einer echten ultra-vires-Tätigkeit der Organisation sehr wohl eine Beitragsverweigerung legitim wäre. Das wesentliche, was ich sagen wollte, hat Herr Randelzhofer eigentlich schon vorweggenommen. Was er gesagt hat, halte ich für sehr wichtig. Unsere Debatte hat sich hauptsächlich darum gedreht, wie man die Willensbildung an die Beitragszahlungen anpassen kann. Umgekehrt könnte man aber auch fragen, wie man die Beitragsverteilung an einen erträglichen Modus der Willensbildung anpaßt. Wir haben heute mehrfach gehört, daß die Beiträge in absoluten Zahlen für die meisten Staaten kein finanzielles Problem darstellen. Die Beträge, um die es hier geht, sind so gering, daß ein mittelgroßes multinationales Unternehmen darüber lacht, wenn es vom Jahresbudget der Vereinten Nationen hört. Es geht hier also gar nicht in erster Linie um eine Ersparnis oder um fiskalische Gesichtspunkte, sondern - wie auch gesagt wurde - um politische Dinge. Man sollte also bei einer Verbesserung des Beitragsschlüssels nicht nur wie bisher die Wirtschaftskraft der Mitglieder, sondern auch politische Gesichtspunkte berücksichtigen. Dazu gehört insbesondere auch der Gesichtspunkt einer Diffusion der Einflußnahme. Wenn man radikal vorgeht und sagt, kein Staat soll mehr als 10 % zahlen (es wären dann wahrscheinlich mehrere, die 10 % zahlen müssen), könnte man zwei Probleme mit einem Schlag lösen: Zunächst würde dadurch die Möglichkeit einer Pression merkbar verringert werden. Die

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Organisation wäre finanziell nicht mehr einem Mitgliedstaat ausgeliefert. Diese Vorgehensweise würde aber auch die Einführung der neuen Modelle der Willensbildung, die wir heute diskutiert haben und die Herr Klein vorgestellt hat, sehr erleichtern, weil dann das Problem des Minderheitsvetos bei der Stimmwägung wesentlich entschärft wird. Zum Schluß noch eine etwas destruktiv klingende Bemerkung. Die Debatte ist heute immer unter der Prämisse abgelaufen, daß die Vereinten Nationen doch noch gerettet werden. Es hat eigentlich keiner gewagt, die apokalyptische Vorstellung auszusprechen, die Vereinten Nationen könnten tatsächlich bankrott gehen. Auch das scheint mir aber ein zumindest juristisch reizvolles Thema zu sein. Mittlerweile gibt es ja bereits den Fall, daß über eine internationale Organisation, das International Tin Council, ein Konkursverfahren im technischen Sinne eingeleitet wurde. Ein hochinteressantes Präzedenzbeispiel.

Ress: Wenn man sich den Artikel 18 der Charta mit den Stimmodalitäten in Haushaltsfragen genau vor Augen führt, so ist sicher ursprünglich nie daran gedacht worden oder nie für möglich gehalten worden, daß eine %-Mehrheit nur 2 %des gesamten Budgetaufkommens ausmachen könnte. Das ist in der Frühphase der Entwicklung - Sie haben zu Recht auf die Dekolonisierungsphase hingewiesen -, den VN aus dem Blickfeld gelaufen. An anderer Stelle, nämlich bei der Zulassung der erheblichen Zahl neuer Mitglieder, sind Entscheidungen getroffen worden, die zu einer völligen strukturellen Veränderung und damit zur Störung des in Art. 18 Abs. 2 der Charta vorausgesetzten institutionellen Gleichgewichts geführt haben. Deswegen ist der Gedanke, daß diese Störung des in Art. 18 Abs. 2 vorausgesetzten Gleichgewichts bei der Interpretation berücksichtigt wird, völlig korrekt. Es kann bei der Interpretation davon ausgegangen werden, daß es nie so gemeint war, daß eine Staatengruppe, die nur 2 % des Budgetaufkommens erbringt, über den Haushalt verfügt. Um Sinn und Zweck des Art. 18 Abs. 2 gerecht zu werden und seine Funktion wiederherzustellen, muß also der Abstimmungsprozeß, müssen die Abstimmungsvoraussetzungen neu interpretiert werden. Was bietet sich als Lösung an? Zunächst einmal der Versuch, durch den "Konsensus·, das fehlende Quorum, das hier im Grunde angelegt ist, aufzubessern. Das ist meiner Ansicht nach ein zutreffender Gedanke, und er hat auch juristisches Gewicht. Die zweite Möglichkeit, die über eine Satzungsänderung laufen würde (dies war der Vorschlag von Herrn Klein), hat sicher viel Reizvolles für sich. Ich sehe aber ein, daß die Probleme der Gruppenbildung wahrscheinlich nahezu unüberwindlich sein werden. Deswegen

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scheint mir der dritte Ansatzpunkt, der auch von Herrn Wildhaber aufgegriffen wurde, sehr viel realistischer, nämlich an den Sicherheitsrat anzuknüpfen. Ich würde es für denkbar halten, daß man diese Anknüpfung mit dem Erfordernis der einfachen Mehrheit der ständigen Sicherheitsratsmitglieder (Doppelquorum) verbinden könnte. Wenn über ein solches Verfahren praeter constitutionem innerhalb der Organisation eine Verständigung herbeigeführt werden könnte, läge darin zumindest eine Bremse gegen eine ungezügelte Expansion des Haushalts der Organisation, ein Aspekt, von dem auch Herr Delbrück gesprochen hat. Damit ist aber nur eine und vielleicht nicht einmal die wichtigste Seite des Problems angesprochen. Denn die viel wichtigere Seite des Problems besteht darin, daß die USA und auch andere gewichtige Mitglieder sich in der Generalversammlung nicht ausreichend gemäß ihrem politischen Gewicht (und damit auch nicht gemäß ihrem finanziellen Beitrag) repräsentiert sehen und eine Remedur dieses Problems nicht auf dem Weg über die Zustimmung zu finanziellen Regeln gefunden werden kann. Ich sehe also die Wichtigkeit dieser Vorschläge, glaube aber nicht, daß wir den eigentlichen Ausgangspunkt des Problems damit in den Griff bekommen.

Hailbronner: Ein Problem scheint mir darin zu liegen, daß ein erheblicher Teil der Mitgliedstaaten der VN durch einen großen Teil der Beschlüsse nicht eigentlich betroffen ist, und zwar wegen des zu geringen Mindestbeitrages. Ein Staat, der nur über die Verwendung der Mittel der anderen entscheidet, verhält sich anders - tendenziell weniger verantwortlich - als ein Staat, der mit der Abstimmung zugleich über die Verwendung der von ihm selbst aufgebrachten Mittel entscheidet. Bei der UNESCO kann man deutlich beobachten, daß es eine erhebliche Rolle spielt, wenn eine große Zahl von Staaten ständig an Beschlüssen beteiligt ist, die ohne jegliche Relevanz für den eigenen finanziellen Beitrag ist. Da sehe ich ein Problem. Deshalb die Überlegung, ob nicht der Mindestbeitrag erheblich höher sein müßte bzw. ein Teil des Budgets umverlagert werden müßte, und zwar in der Weise, daß die zahlreichen Staaten, die nicht die Möglichkeit haben, einen höheren Beitrag zu zahlen, direkt subventioniert werden. Das würde bedeuten, daß der von den Staaten zu erbringende - subventionierte - Mitgliedsbeitrag zugleich auch anders verwendbar sein müßte; mit anderen Worten, wenn die Staaten einen Beschluß mit finanziellen Auswirkungen fassen, müssen sie bereit sein, prinzipiell hierfür auch einen spürbaren Anteil der für sie selbst verfügbaren Mittel aufzuwenden.

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Klein:

Damit ich es am Schluß nicht vergesse, herzlichen Dank für alle konstruktiven und destruktiven - Herr Schreuer meinte, er würde eine destruktive Frage stellen - Beiträge, die ich gerne aufnehme und mit denen ich mich auch gerne auseinandersetze. Ich möchte nochmals zur ultra vires-Problematik zurückkommen. Sie war ja von mir aus ganz bewußt an den Rand gerückt worden, da ich meine, diese Frage spielt für uns hier keine Rolle. Es ist nicht meine Auffassung, daß sich die Vereinigten Staaten auf dieses Argument zu Recht berufen könnten, ob sie in der Praxis dies nun tun oder nicht. Ich gebe Ihnen ganz recht, Herr Ginther, daß die hier diskutierte Beitragsverweigerung der USA - ich glaube, das habe ich auch gesagt - eine neue Dimension der Beitragsverweigerung darstellt. Herr Zemanek, sicher kann man darüber streiten, ob diese Ereignisse nach 1960 die Geburtsstunde des Konsensus waren. Ich glaube aber, man kann es sagen; denn ein kleines Kind entwickelt sich ja und das ausgebildete Konzept des Verfahrens sieht dann etwas anders aus als im Moment der Entstehung. Ich meine schon, daß die Weichen in diesem Bereich damals gestellt worden sind. Es ist jedenfalls versucht worden, mit Hilfe eines informellen Verfahrens über die Krise, die eine klare Abstimmung heraufbeschworen hätte, hinwegzukommen, und das ist ja auch das eigentliche Ziel des Konsensusverfahrens. Im übrigen darf ich insoweit, ohne daß dieser Hinweis rechtfertigenden Charakter hätte, auch auf die Beurteilung von Eric Suy verweisen, der genau hier die Geburtsstunde des Konsensus gesehen hat. Das Problem der Gruppeneinteilung tauchte in der Diskussion immer wieder auf - zu Recht! Ich bin mir bewußt, wie unvollkommen diese Einteilung ist. Ich mache daraus gar keinen Hehl und bin offen auch im Hinblick auf die Verbesserungsfähigkeit dieses Modells und auch die absolute Infragestellung dieser Neuorientierung. Ich wollte im Grunde mit meinem Modell nur sagen: wie es im Augenblick ist, kann es nicht bleiben; ich sehe in meinem Vorschlag jedenfalls eine Denkmöglichkeit, es anders zu machen. Mehr sollte dieser Vorschlag eigentlich nicht bewirken; er sollte allerdings auch die Diskussion etwas anregen, und zumindest diese Funktion hat er sehr gut erfüllt. Vielleicht noch eines, Herr Schreuer, Sie haben die EG-Stimmwägung angesprochen. Ich berufe mich darauf nicht, um zu sagen, das funktioniert ja großartig, und weil es großartig funktioniert, müssen wir dies auch in den Vereinten Nationen tun. Mein Argument war nur: Man sieht, daß es in anderen Bereichen auch so etwas gibt - innerhalb der UN-Familie, außer-

Diskussion

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halb der UN-Familie - und daß vielleicht eine gedankliche oder eine sachgebotene Notwendigkeit dafür spricht. Es ist wohl in der Tat das Grundsatzproblem, das Herr Delbrück, Herr

Rudolf und am Schluß auch noch Herr Ress angesprochen haben. Ich stimme

mit ihnen insofern überein, als sie sagen, hier kuriert man doch ein bißchen an Nebenpunkten herum. Man kriegt damit das eigentliche Problem nicht in den Griff. Freilich kann ich mich da exkulpieren mit dem Hinweis darauf, daß die Herren des Kieler Instituts mein Thema so gefaßt und mich auf den Budgetbereich festgelegt haben. Ich habe allerdings ganz dankbar ein konkretes Thema akzeptiert und wollte daher nicht über allgemeine Reformvorstellungen reden, so stark und zusammenhängend die Beziehungen untereinander hier selbstverständlich sind. Aber ich meine immerhin doch klar gesagt zu haben, daß die Krise des Budgetprozesses tiefergehende Ursachen hat; gleichwohl erscheint es mir möglich, daß man hier einen Schritt weiterkommen kann. Dieser Zusammenhang ist von den USA unmittelbar artikuliert worden, und wir sollten sie insofern beim Wort nehmen. Manche werden jedoch sagen, na ja, wenn dies erreicht ist, dann gehen die USA noch weiter und wollen noch mehr erreichen. Das mag sein; aber wenn man einmal vom gegenwärtigen status quo ausgeht und die Forderung, ihn zu verbessern, ernst nimmt, dann stellt sich die Frage, ob man nicht doch mit dem einen oder anderen Modell vielleicht zu einer allseits akzeptierten, befriedigenden Lösung kommt. Wer weiß, vielleicht kann man damit auch dem Untergangsszenarium, das Herr Ginther und Herr Schreuer angesprochen haben, entgehen! Vielen Dank!

Einführung in das Symposium Zweiter Tag Delbrück:

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie und entbiete einen zeitgemäßen Gruß, die einen mögen es als ein angenehm spätes Anlaufen des Tages betrachten, die anderen als einen reichlich frühen Start. Wir wollen gleich in die Verhandlungen dieses Morgens eintreten. Herr Wolfrum hat die schwierige Aufgabe übernommen, über das, was in der VN-Charta normativ vorgesehen war und das, was sich in den Institutionen der VN entwickelt hat und nun auch normativ zu bewerten ist, zu referieren. Er hat mir schon angekündigt, daß er etwas länger redet als es einem Professor zukommt, deswegen müssen wir jetzt ganz schnell beginnen. Aber er ist ja auch. teilweise ein Reisender, insofern darf er das gerne tun. Ich darf Ihnen dann gleich das Wort geben.

Ursprüngliche Aufgabenzuweisung und jetzige Aktivitäten der Vereinten Nationen: Faktischer Wandel und normative Bewertung Von Rüdiger Wolfrum I. Einleitung

Die Vereinten Nationen haben im Verlauf ihrer Praxis eine zunehmende Zahl von globalen wirtschaftlichen und sozialen Problemen aufgegriffen. Dies hat zu einer tiefgreifenden Veränderung ihrer Struktur und Arbeitsweise geführt. Budget I und Personalbestand2 sind gegenüber den Anfangsjahren deutlich gestiegen; die Gründung neuer Neben- oder Spezialorgane 3 hat die Organisation komplexer werden lassen und der Kritik der Ineffizienz ausgesetzt. 4 Zudem werden die Vereinten Nationen in Formen tätig, die sich I 21,S Millionen Dollar (1946) gegenüber 1 663 Millionen Dollar für die Haushaltsjahre 1986-87 (regulärer Haushalt). Daneben verfügen die Vereinten Nationen über 1 200 Millionen Dollar jährlich an freiwilligen Leistungen. 2 1 546 Beschäftigten im Jahre 1946 stehen 11 423 Beschäftigte 1986 gegenüber (Besoldung aus dem regulären Haushalt). 3 Zu den Begriffen vgl. Beate Lindemann,Organisationssystem der Vereinten Nationen, in: Rüdiger Wolfrunt / Norbert Prill / Peter Brückner (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, München 1977, S. 330-335; die jeweilige Organisationsstruktur der Vereinten Nationen wird im Yearbook of the Uni ted Nations (UNYB) mitgeteilt, z. B. 1982, Appendix III. 4 Vgl. dazu im allgemeinen Klaus Hüfner, Konzepte zur Effizienzmessung internationaler Organisationen unter besonderer Berücksichtigung ihrer politischen Aktivitäten: Beispiel Vereinte Nationen, in: Klaus Dicke / Klaus Hüfner (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des VN-Systems: Politische Kritik und wissenschaftliche Analyse, Bonn 1987, S. 29-43, und Klaus Dicke, .To assess the adequacy and effectiveness": Überlegungen zur Verbesserung der politischen Wirksamkeit der Vereinten Nationen am Beispiel der Weltraumpolitik, a.a.O., S. 44-63; Ingo von Ruckteschell. Erhöhung der Effizienz, Wahrung der Kontinuität: Die Empfehlungen zur Neugliederung des UN-Wirtschafts- und Sozialbereichs, in: Vereinte Nationen (VN) 26 (1978), 73-80 sowie .Report of the Group of High Level Intergovernmental Experts to Review the Efficiency of the Administrative and Financial Functioning of the Uni ted Nations" (UN Doc. AI41/49, in: General Assembly Official Records (GAOR), Fortyfirst Session, Supp. 49). Erste administrative Konsequenzen wurden von dem Generalsekretär bereits gezogen, vgl. Bericht UN Doc. Al42/234. Die Reform soll 1988 abgeschlossen sein.

9 UN·Reform

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Rüdiger Wolfrum

nicht mehr ohne weiteres unter die Begriffe •erörtern" , .empfehlen" und .fördern" (Art. 10, 55 Charta VN) fassen lassen. Schlüsselt man den regulären Haushalt der Vereinten Nationen nach Aufgaben aufs und vergleicht ihn mit demjenigen der Anfangsjahre, so ist schließlich auch festzustellen, daß sich die Gewichte zwischen den Tätigkeitsbereichen verschoben haben: Die Aufgabenentwicklung in den Bereichen Friedenssicherung, friedliche Streitbeilegung und Menschenrechtsschutz entspricht - haushaltsrechtlich gesehen - nicht derjenigen in dem Komplex Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Damit ist das gestellte Thema nach zwei Richtungen hin zu untersuchen: Haben die Vereinten Nationen auf der einen Seite die ihnen ursprünglich zugewiesenen Aufgaben, u. U. zugunsten anderer, vernachlässigt, haben sie auf der anderen Seite unter Überschreitung ihrer ursprünglichen Funktionen weitere Aufgaben übernommen? Für beide Fragestellungen gilt es, die·· Funktionszuweisungen in der Charta den Aktivitäten der Vereinten Nationen, wie sie sich in der vierzigjährigen Praxis herausgebildet haben, gegenüberzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Charta sich insofern von einem normalen völkerrechtlichen Vertrag unterscheidet, als sie Verfassungselemente aufweist. Sie ist als Handlungsrahmen konzipiert und auf eine dynamische Entwicklung angelegt, wobei dem politischen Gestaltungsspielraum der Organe der Vereinten Nationen ein weiter Raum eröffnet wird. Die Praxis der Vereinten Nationen hat somit eine die Charta ausfüllende, sie weiterentwickelnde Funktion. Da das Generalthema dieser Tagung auch die Frage einer Reform der ten Nationen Vereinaufwirft, ist weiterhin aufzuzeigen, in welchen Punkten der angesprochenen Tätigkeitsbereiche ein Reformbedürfnis besteht und welches die Grenzen einer Reform sind. Allerdings sind die hier angesprochenen Reformerwägungen auf Modifikationen des bestehenden Systems angelegt. Die Gründung einer Weltorganisation der .Dritten Generation·, wie sie Maurice Bertrand vorschwebt, 6 halte ich für nicht realistisch, auch wenn seiner Beschreibung der Defizite in vielen Punkten zuzustimmen ist. Warnen möchte ich allerdings gleichzeitig davor, die Reform der Vereinten Nationen auf eine finanzielle Sanierung reduzieren zu wollen.

5 Bezogen auf den Haushalt 1981 ergibt sich folgende Aufgabenverteilung: Politische Aktivitäten 10,4 %, wirtschaftliche und soziale Aktivitäten 31,0 %, Konferenzen 19,5 %, technische Kooperation 4,4 %, Menschenrechte 2,9 %, Völkerrechtsentwicklung 1,7 %, Information 5,2 %, Verwaltung 24,9 %. 6 .Some Reflections on Reform of the United Nations· (UN Doc. A/40/988); vgl. auch George P. Steele, The Reform of the United Nations, 1987, mit Recht kritisch zu dem Bertrand-Bericht: Christian Tomuschat, Die Krise der Vereinten Nationen, in: Europa Archiv (EA) 42 (1987), S. 97-106 (105).

Aufgabenzuweisung und Aktivitäten der Vereinten Nationen

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11. Friedenssicherung Der Sicherheitsrat hat die ihm in Kapitel VIF eingeräumten Funktionen nur in zwei, zudem atypischen, Fällen wahrgenommen. 8 Die Gründe für das Scheitern des Systems der kollektiven Sicherheit9 sind bereits bei der Entstehung der Charta erkannt, allerdings von den maßgeblichen Politikern unberücksichtigt gelassen worden. 10 Wesentliche Voraussetzung für dessen Funktionsfähigkeit war die Solidarität der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Mit dem Zerfall der Weltkriegsallianz war diese Solidarität \1 nicht mehr gegeben, und der Sicherheitsrat verlor in der Praxis seine satzungsmäßige Funktion. Die Verhandlungen zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates über ein Waffenembargo gegenüber dem Iran ist der Beleg für Versuche, diese Solidarität wenigstens partiell zurückzuerlangen. Versuche einer institutionellen Reform des Sicherheitsrates sind bislang allerdings gescheitert.12 Die Generalversammlung hat die Rolle des 7 Vgl. dazu insgesamt Michael Schaefer, Funktionsfähigkeit des Sicherheitsmechanismus der Vereinten Nationen, BerlinJHeidelberg/New York 1981, S. 27 ff. a S/RES1231 vom 16. Dezember 1966; S/RES1253 vom 29. Mai 1968 (Südrhodesien); S/RES/418 vom 4. November 1977 (Südafrika). 9 Vgl. dazu allgemein Jost Delbrück, Collective Security, in: Rudolf Bemhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law (EPIL) 3, S. 104-114; Ulrich Scheuner, Kollektive Sicherheit, in: Strupp I Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts 11, Berlin 1961, S. 242-251; Luis L. Claude, Swords into Plowshares, 4th ed., New York 1971, S. 245 ff.; Bertrand, Some Reflections (Anm. 6), S. 25, hält Friedenssicherung durch eine internationale Organisation für völlig ausgeschlossen. 10 Vgl. dazu Thomas M. Franck, Nation Against Nation: What Happened to the UN Dream and what the U.S. can do about it, New York/Oxford 1985, 20 ff. Der Secretary of State antwortet auf die Frage nach den Konsequenzen einer fehlenden Einigung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates: •we should not be too deeply concerned with the kind of question Franklin Roosevelt always characterized as iffy ... N, Department of State Bulletin, 12. Juni 1945, S. 1010. I! Die Schwäche des Sicherheitsrates liegt, worauf Tomuschat (Anm. 6) zutreffend verweist, nicht nur in dem Veto, sondern in dem .Klima permanenter Konfrontation" zwischen den Supermächten. Nicht nur die Ost-West-Konfrontation, sondern die Blockzugehörigkeit insgesamt hat sich negativ auf das Wirken des Sicherheitsrates ausgewirkt, vgl. Raimo Väyrynen, Focus on: Is there a Role for the United Nations in Conflict Resolution, in: Journal of Peace Research 22 (1985), S. 189-196; Emest B. Haas, Regime Decay: Conflict Management and International Organizations 19451981, International Organization (10) 37 (1983), S. 189-256; dabei soll nicht geleugnet werden, daß auch in der Blockbildung systemstabilisierende Elemente liegen können, Jost Delbrück, Peace Through Emerging International Law, in: Raimo Väyrynen et al. (eds.), The Questfor Peace, London 1987, S. 127-143; sowie insgesamt Emest B. Haas, The Collective Management of International Conflicts, 1945-1984, in: UNITA 2 (ed.), The United Nations and the Maintenance of International Peae and Security, DordrechtlBoston/Lancaster 1987, S. 3 ff. !2 Steele (Anm. 6), 104 ff.; vgl. die massive Kritik der nordischen Staaten hieran (UN Docs. A/381271 und S/15830).



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Sicherheitsrates trotz der Umting for Peace-Resolution l3 nicht zu übernehmen vermocht. Es ist niemals t4 zu der darin vorgesehenen Empfehlung von Kollektivmaßnahmen gekommen. Lediglich von der Möglichkeit einer sofortigen Einberufung der Generalversammlung wurde Gebrauch gemacht. 15 Sucht man nach Gründen dafür, warum das in der Umting for PeaceResolution liegende Instrumentarium nicht genutzt wurde, wird in der Regel darauf verwiesen, daß die Generalversammlung durch den starken Mitgliederzuwachs und wegen der geänderten Mehrheitsverhältnisse ihre Fähigkeit verloren habe, auf Friedensbrüche zu reagieren. 16 Vor allem wird an ihrer Objektivität gezweifelt. Letzterem gegenüber ist festzuhalten, daß die Generalversammlung bei der Behandlung und Verurteilung der Mehrzahl der Friedensbrüche eine verhältnismäßig konsistente Linie verfolgt hat. Anläßlich der Konflikte über Afghanistan, Grenada, Kampuchea, Bangladesh, Ost-Timor, West-Sahara und Nicaragua hat sie sowohl gegenüber den beiden Großmächten wie auch gegenüber den beteiligten Entwicklungsländern auf die Grundsätze von Art. 2 Abs. 4 der Charta verwiesen. 17 Dabei ist 13 A/Res. 377 (V) vom 3. November 1950, vgl. dazu Eric Stein 1 RichardC.Morrissey, (Unity for Peace) EPIL 5, S. 379-382; Keith S. Peterson, The Uses of the Uniting for Peace Resolution since 1950, in: 10 13 (1959), S. 219-232; Jost Delbrück, Peacekeeping by the United Nations and the Rule of Law, in: Fs. Bert Röling, 1977, S. 73-100. Harry Reicher, The Uniting for Peace Resolution on the Thirtieth Anniversary of its Passage, in: Columbia Journal of Transnational Law, 20 (1981), S. 1-49; Franck (Anm. 10), S. 39 fl., zu ihrer Entstehungsgeschichte aus amerikanischer Sicht; zur ablehnenden Haltung der UdSSR Miroslav Petrovsky, The Soviet Concept of Security, UNIDIR 1985. 14 Alfred Verdross 1 Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, S. 152. Es wird häufig nicht berücksichtigt, daß die Generalversammlung bereits vor der Uniting for Peace-Resolution Sanktionen empfohlen hat: 1946 gegen Spanien (A/Res. 39 (I) vom 12. Dezember 1946), 1949 ein Waflenlieferungsembargo gegen die kommunistische Guerilla in Griechenland (AIRes. 288 A (IV) vom 18. November 1949). In beiden Fällen war der Sicherheitsrat durch ein Veto der UdSSR blockiert. Auch die neue Definition des Auftrags für die Truppen in Korea, die den Einmarsch in Nordkorea erlaubte, erfolgte zeitlich vor der Uniting for Peace-Resolution (AIRes. 376 (V) vom 7. Oktober 1950). 15 Z. B. im Falle Afghanistan, Sixth Emergency Special Session; vgl. dazu Franck (Anm. 10), S. 226. 16 Verdross 1 Simma (Anm. 14), S. 152; Stein 1 MOllissey (Anm. 13), S. 382. 17 UN Docs. Kampuchea: AIRes. 34/22 vom 14. November 1979,3516 vom 22. Oktober 1980, 36/5 vom 21. Oktober 1981, 37/6 vom 28. Oktober 1982,38/3 vom 27. Oktober 1983; West-Sahara: AIRes. 3458 A (XXX) vom 10. Dezember 1975, 37/28 vom 23. November 1982; Ost Timor: AIRes. 3485 (XXX) vom 12. Dezember 1985; Afghanistan: Res. ES-VI vom 14. Januar 1980, 35/37 vom 20. November 1980, 36/34 vom 22. November 1981,37/37 vom 30. November 1982, 38/29 vom 23. November 1983; Grenada: AlRES/ 38/7 vom 2. November 1983; Nicaragua: 38/10 vom 11. November 1983.

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jedoch nicht zu übersehen, daß die Wortwahl gegenüber den USA nachdrücklicher als gegenüber der UdSSR war. Positiv zu beurteilen sind auch die Reaktionen der Generalversammlung auf den Vorwurf des Giftgaseinsatzes in Afghanistan, Südostasienl 8 und im Golfkrieg l9 . Damit hat die Generalversammlung gezeigt, daß sie in ihrer Mehrheit bis zu einem gewissen Grade in der Lage ist, Aufgaben im Bereich der Friedenssicherung zu erfüllen. Politischen Opportunitätserwägungen in höherem Umfang Raum gegeben haben vor allem die UdSSR (und der Ostblock), die USA und Länder wie Indien, Syrien und Kuba. 20 Der Grund dafür, warum es trotzdem nicht gelungen ist, Kapitel VII über die Uni fing f01 Peace-Resolution zu ergänzen und das kollektive Sicherheitssystem u. U. insgesamt funktionsfähig zu machen, ist daher vor allem darin zu suchen, daß ein Gremium wie die Generalversammlung wegen ihrer Heterogenität strukturell nicht in der Lage ist, sich auf konkrete und insbesondere rasche und effektive Kollektivmaßnahmen zu einigen. Die Einberufung von Sondergeneralversammlungen und die Aufforderung zum Truppenabzug beschreiben wohl die Obergrenze der möglichen Einigungsfähigkeit. Einen gewissen Ausgleich für die fehlende Funktionsfähigkeit des kollektiven Sicherheitssystems bilden die friedenserhaltenden Operationen. Auch hierbei handelt es sich - ebenso wie bei der Uni fing f01 PeaceResolution - um eine Entwicklung außerhalb der Charta - in der Praxis eine Ergänzung von Kapitel VI.21 Die bisherigen friedenserhaltenden Operationen dienten folgenden Zielen: der Observation, der Bildung von Pufferzonen und der Ausübung von Polizeiaufgaben. 22 Gegenwärtig werden Friedenstruppen ausschließlich von dem Sicherheitsrat aufgestellt und ihr Einsatz auch von diesem überwacht. Die früher in dieser Hinsicht eigenständigere Rolle des Generalsekretärs23 und der Generalversammlung24 sind damit zugunsten des Sicherheitsrates reduziert worden. Organisatorisch entspricht insofern die Kompetenzverteilung in bezug auf die Frie18 A/RES/ 35/144 vom 12. Dezember 1980; Berichte der Untersuchungskommission: UN Docs. A/36/613 Annex, A/371259. 19 Bericht UN Doc. S/16433. 20 Die USA beispielsweise enthielten sich der Stimme bei der West-Sahara und der Ost Timor-Resolution und stimmten gegen die Kampuchea-Resolution; der Ostblock votierte geschlossen gegen die Afghanistan- und Kampuchea-, aber für die Grenada-, Nicaragua- und Ost Timor-Resolutionen. 21 Verdross / Simma (Anm. 14), S. 155 f.. sehen in ihnen Hilfsorgane gemäß Artikel 29 der Charta. 22 Siehe dazu Derek W. Bowett, United Nations Forces (1964). 23 Vgl. dazu Verdross / Simma (Anm. 14), S. 156 f., mit weiteren Nachweisen. 24 Die Zuständigkeit der Generalversammlung ist von dem JGH in seinem Gutachten Certain Expenses bejaht worden, vgl. JC] Reports 1962, S. 151 ff.

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denssicherung wieder dem ursprünglichen Bild der Charta, wenn auch auf viel bescheidenerer Ebene. Angesichts der skizzierten Diskrepanz zwischen dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium der Friedenssicherung und der Praxis stellt sich zwangsläufig die Frage nach Abhilfemöglichkeiten. Dies war u. a. Gegenstand der Beratungen in dem .Special Committee on the Charter of the Uni ted Nations and on the Strenghtening of the Role of the Organization"25 sowie des Palme-Berichts 26 • Sie haben deutlich werden lassen, daß wesentliche strukturelle Veränderungen in bezug auf Zusammensetzung27 und Abstimmungsverfahren 28 des Sicherheitsrates zur Zeit ebenso ausgeschlossen sind wie eine Erweiterung der Kompetenzen auf seiten der Generalversammlung. 29 Bereits der Versuch, die Funktionen der Friedenstruppen festzuschreiben und ihre Aktivitäten zu regeln, ist auf Schwierigkeiten gestoßen. 30 Abgelehnt worden ist auch die Gründung einer ständigen Friedenstruppe. 31 Insgesamt sind zur Zeit alle Versuche, die Idee der kollektiven Sicherheit zu verwirklichen, um die Lücke zwischen dem Mandat der Charta und der Praxis der Vereinten Nationen zu schließen, zum Scheitern verurteilt. 32 Die Großmächte sind weder in der Lage, die von Kapitel VII vorausgesetzte Solidarität zu entwickeln, noch bereit, darauf zu verzichten, die ihnen in der Charta auferlegte Verantwortung als Privilegien zum Schutz ihrer 25 Eingesetzt in der derzeitigen Fassung mit A/Res. 3499 (XXX) vom 15. Dezember 1975. Die Reformdebatte geht von A/RES/ 31/28 vom 29. November 1976 aus; vgl. dazu u. a. Schaefer (Anm. 7), S. 375 ff. 26 Independent Commission on Disarmament and Security Issues .Common Security": A Programme for Disarmament (1982). 27 S. Mexico (UN Doc. A/I0033, 58) plädierte für zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrates aus den Reihen der Entwicklungsländer, ebenso Nigeria (UN Doc. A/I0033/67) und Sierra Leone (UN Doc. A/10033/78). 28 Gegen das Vetorecht der ständigen Mitglieder haben sich vor allem Entwicklungsländer ausgesprochen, z. B. Algerien (UN Doc. A/I0033, S. 6), Tunesien (UN Doc. A/10033, S. 84), Madagaskar (UN Doc. A/10235, S.7), Sambia (UN Doc. A/I0235, S. 12); für seine Einschränkung - unanwendbar für die Einsetzung einer fact-Unding Mission oder humanitäre Fragen Kolumbien (UN Doc. Al10033, S. 14), Guyana (UN Doc. A/10033, S. 37), Indonesien (UN Doc. Al10033, S. 42), Tansania (UN Doc. A/C./6/SR. 1571 para. 40), Bangladesh (UN Doc. A/C.6/SR. 1571 para. 55). Das Veto wurde durch die Staaten des Ostblocks und durch die westlichen Industriestaaten verteidigt. 29 Gegen jede Änderung der Charta wandten sich vor allem die Staaten des Ostblocks und alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates bis auf China. 30 Dafür sprachen sich Zypern (UN Doc. A/I0255, S. 5), Schweden (UN Doc. A/9128, S. 22), Bahrain (UN Doc. A/9695, S. 5 f.) aus; vgl. Slee1e (Anm.6), S. 104 ff. 31 Dafür u. a. Kolumbien (UN Doc. AI 10033,S. 14), Neuseeland (UN Doc. Al10033, S. 61), Zypern (UN Doc. A/I0255, S. 5), Kenia (UN Doc. Al9695, S. 13). 32 So auch Berlrand, Some Reflections (Anm. 6), S. 25.

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Interessensphären zu mißbrauchen 33 bzw. diese Privilegien aufzugeben. Bezeichnend ist die Ablehnung eines Ausschusses, um Mittel und Wege zu finden, die Vorschriften der Charta zur kollektiven Sicherheit zu implementieren. 34 Keine Veränderungen kündigen sich insoweit auch aus dem jüngsten Gorbatschow-Artikel an. 35 Im Gegenteil, die hierin angesprochenen Ansätze zielen eher darauf ab, die Position der ständigen Mitglieder innerhalb ihrer jeweiligen Gruppe zu stärken. Abgesehen davon erscheint es auch zweifelhaft, ob die übrigen Staaten bereit und in der Lage sind, das Instrument der kollektiven Sicherheit zu handhaben. Die Vereinten Nationen sind eben nur das Spiegelbild der weltpolitischen Interessen- und Machtgegensätze, es ist daher illusorisch, in ihnen ein neutrales Kräftefeld aufbauen zu wollen. Aussichtsreich sind nur Reformversuche auf einer bescheideneren Ebene. 36 Dazu gehören vor allem Maßnahmen, die die Aufstellung einer Friedenstruppe und die Durchführung ihrer Aktivitäten im Einzelfall administrativ erleichtern. Zu denken ist an die Bereitstellung nationaler Kontingente vorab, die Errichtung eines Fonds zur Vorfinanzierung von Friedenstruppen sowie der Durchführung ihrer Aktivitäten. Eine Stärkung des Systems der Friedenstruppen wäre es auch, wenn weitere Staaten dem Beispiel Kanadas und einiger skandinavischer Länder folgen würden und den Einsatz von Friedenstruppen ausdrücklich zum möglichen Auftrag ihrer Streitkräfte machten. Schließlich sollte weiterhin der Versuch unternommen werden, die Funktionen der Friedenstruppen festzuschreiben und ihre Aktivitäten zu regeln. IH. Friedliche Streitbeilegung Im Bereich der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten räumt die Charta dem Sicherheitsrat nur die Möglichkeit ein, an die Parteien zu appellieren oder ihnen Verfahrensvorschläge zu machen bzw. Untersuchungen durchzuführen. Es fehlt jedoch die Möglichkeit, sich ohne Einwilligung der Beteiligten als Schlichter in eine zwischenstaatliche Streitigkeit einzuschalten (vgl. Art. 37 Abs. 2 der Charta). Die Generalversammlung kann lediglich Streitigkeiten im Rahmen ihrer allgemeinen Kompetenzen diskutieren und 33 Tomuschat (Anm. 6) weist darauf hin, daß das politische Handeln der UdSSR gegen Ungarn, Tschechoslowakei und Afghanistan sowie der USA gegen Nicaragua deren politischen Kredit geschwächt habe. 34 Alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmten gegen A/RES/38/191 vom 20. Dezember 1983. 35 Reality and Guarantees for a Secure World, Information Service Uni ted Nations Association in the USSR, 4/21 (October 1987), S. 3 ff. 36 Wenig überzeugend ist der Vorschlag im Palme-Bericht, Grenzkonflikte in Afrika nicht unter Kapitel VII fallen zu lassen.

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entsprechende Empfehlungen abgeben, abgesehen von den Befugnissen nach Art. 11 Abs. 1, 14 und 35 der ChartaY Die Uniting for Peace-Resolution hat die Befugnisse der Generalversammlung auch in dieser Hinsicht erweitert; die Manila-Deklaration 38 hebt ihre Rolle zusätzlich hervor. Ob die Generalversammlung allerdings das geeignete Gremium ist, um im Sinne einer friedlichen Streitbeilegung tätig zu werden, ist nicht unumstritten. 39 Zumindest können in der Generalversammlung aber Konflikte artikuliert und damit auch rationalisiert werden. Auch hierin kann bereits eine Befriedigungswirkung liegen. Das Konzept von Kapitel VI ist nicht völlig mit dem von Kapitel VII abgestimmt. Die Charta der Vereinten Nationen stellt, wie vor allem Art. 55 der Charta belegt, nicht nur ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem kriegerische Konflikte be.igelegt werden sollen, sondern sieht Maßnahmen zur Konfliktlösung bereits im Vorfeld militärischer Auseinandersetzungen vor, indem sie den Abbau sozialer und wirtschaftlicher Spannungen zu einer Aufgabe der Vereinten Nationen macht. Es wäre sachgerecht gewesen, diesen Gedanken explizit auch auf politische Spannungen auszudehnen, um so den Übergang von einer bilateralen Streitbeilegung zu einer Streitbeilegung unter Einschaltung der Vereinten Nationen zu erleichtern. Zutreffend geht denn auch von dieser Überlegung eine von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Italien, Japan, Neuseeland und Spanien getragene Initiative aus,40 die den Vereinten Nationen das Recht eröffnen soll, schon bevor sich ein Konfliktfall verhärtet, gleichsam präventiv tätig zu werden. Letztlich würde die Realisierung dieses Vorschlages zu einer Stärkung des Generalsekretärs führen, was auf Widerstand des Ostblocks stößt. Weniger weit geht der Vorschlag Gorbatschows, der nur eine Kontrolle der Abrüstung vorschlägt. Keine progressive Fortentwicklung des Instrumentariums der friedlichen Streitbeilegung enthält dagegen die Manila-Deklaration, da sie das Recht der Staaten übermäßig betont, Verfahren und Institutionen der Streitbeilegung frei zu wählenY 37 Vgl. dazu Verdross / Simma (Anm. 14), S. 136, die von einer konkurrierenden Zuständigkeit von Generalversammlung und Sicherheitsrat sprechen. 38 A/RES/37/ 10 vom 15. November 1982, vgl. dazu Constantin P. Economides, La declaration de Manille sur le reglement des differends intemationaux, AFDI 28 (1982), S. 613 ff.; Christian Tomuschat, Neuformulierung der Grundregeln des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen: Bewegung, Stillstand oder Rückschritt?, in: EA 38 (1983), S. 729 ff. 39 Vgl. dazu Claude (Anm. 9), S. 335 ff. 40 UN Doc. AIAC./182/L.38/Rev.1, letzte Fassung, in: GAOR, Forty-second Session, Suppl. 33 (Al42/33), para. 13. 4\ Sehr kritisch Tomuschat (Anm. 38), S. 734 ff.

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In der Praxis haben der Sicherheitsrat oder die Generalversammlung die Staaten vor allem aufgerufen, ihre Streitigkeiten friedlich beizulegen. Häufig sah sich der Sicherheitsrat allerdings vor der Situation, daß zwar beide Parteien grundsätzlich verhandlungsbereit waren, daran aber für die andere Seite unannehmbare Bedingungen knüpften. In der Regel kam dann entweder.wegen eines Vetos oder wegen fehlender Mehrheiten keine Entscheidung zustande. Nur selten ist von der Möglichkeit der Art. 34 und 36 Abs. 142 der Charta Gebrauch gemacht worden. Die klassischen Fälle für die Entsendung einer Untersuchungskommission waren der griechische Grenzkonflikt 1946 43 und der indisch-pakistanische Konflikt44 . Inzwischen entsendet der Sicherheitsrat Untersuchungskommissionen nicht, um festzustellen, ob die Fortdauer der Streitigkeit oder Situation die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährden könnte, sondern er führt Tatsachenermittlungen durch, um eine Grundlage für Entscheidungen in Streitigkeiten zu erhalten (sog. fact-finding)"s Mehrfach wurde der Generalsekretär aufgefordert, seine guten Dienste zur Streitbeilegung anzubieten. 46 Letztlich haben sich Sicherheitsrat und Generalversammlung des ihnen unmittelbar zur Verfügung gestellten Instrumentariums aber nur mit Einschränkungen bedient. Sie sind stattdessen in Verfahren ausgewichen, die die Charta nicht ausdrücklich benennt, wie die guten Dienste des Generalsekretärs oder des fact-finding außerhalb von Art. 34 der Charta. Während die guten Dienste des Generalsekretärs in der Vergangenheit nachweisbar dazu beigetragen haben, daß in zwischenstaatlichen Streitigkeiten eine friedliche Lösung herbeigeführt werden konnte,47 läßt sich die Bedeutung des von dem Sicherheitsrat veranlaßten .fact-finding" sehr viel schwerer beurteilen. Soweit ersichtlich, hat ein derartiges .fact-finding" 42 z. B. hat der Sicherheitsrat mit Res. 395 (1976) vom 25. Juni Griechenland und die Türkei aufgefordert, den IGH anzurufen. 43 Security Council, 1st Year, 2nd Session No. 28, 19. Dezember 1946. 44 Security Council, 3rd Year, Suppl. for November, S. 64, 65. Nicht strikt unter Artikel 34 fällt der Auftrag des Sicherheitsrates an den Generalsekretär, Untersuchungen im West-Sahara-Konflikt durchzuführen, obwohl auf diese Vorschrift ausdrücklich verwiesen wurde. 45 Z. B. S/RES/289 (1970) vom 23. November; 294 (1971) vom 15. Juli; 326 (1973) vom 2. Februar; 327 (1973) vom 2. Februar; 384 (1975) vom 22. Dezember; 404 (1977) vom 8. Februar. Unter diese Rubrik fällt auch die mit Res. 496 (1981) vom 15. Dezember eingesetzte Untersuchungskommission über den Angriff auf die Seychellen. 46 S/RES/242 (1967) vom 22. November; 307 (1971) vom 21. Dezember; 377 (1975) vom 22. Oktober; 457 (1979) vom 4. Dezember; 367 (1975) vom 12. März; 479 (1980) vom 28. September. 47 Vgl. dazu Hanna Wege, Rechtliche Legitimation eigenständiger streitschlichtender Aktivitäten des UN-Generalsekretärs in friedensbedrohenden Konfliktsituationen, in: GYIL 19 (1976), S. 352 ff.

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bislang nicht zu weiteren Aktionen des Sicherheitsrates geführt. Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Tatsachenermittlung als solche und die Veröffentlichung der Fakten mittelbar mit zu einer friedlichen Streitbeilegung beigetragen haben. Die Gründe für die geschilderte Praxis im Bereich der Streitbeilegung liegen, wie bei der Friedenssicherung nach Kapitel VII, in der Struktur und in dem Willensbildungsverfahren des Sicherheitsrates, aber auch in der fehlenden Bereitschaft der Staaten, die Vereinten Nationen in aktuellen Streitigkeiten einzuschalten. Hinzu kommt, daß der Sicherheitsrat keine und die Generalversammlung wenig attraktive Institutionen für eine friedliche Streitbeilegung geschaffen haben. Ein Vergleich der Institutionen, die sich mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen beschäftigen, offenbart ein deutliches Mißverhältnis. Abgesehen von einigen ad hoc-Kommissionen oder Einrichtungen, die für spezielle Situationen geschaffen wurden, stehen folgende Verfahren und Institutionen zur Verfügung: Die revidierte Generalakte für die friedliche Beilegung von Streitigkeiten,48 das Panel for Inguiry and Conciliation,49 die Peace Observation Commission5o sowie das Register of Experts for Factfinding. 5 \ Weder das Panel noch die Kommission oder das Register haben indessen eine Bedeutung erlangt. 52 Daß das Instrumentarium der friedlichen Streitbeilegung intensiver genutzt werden sollte, hat die Generalversammlung gelegentlich zu erkennen gegeben. 53 Sie hat dabei aber stets die Freiheit der Staaten besonders hervorgehoben, das ihnen genehme System der Streitbeilegung zu wählen. Eine Verbesserung des Systems der friedlichen Streitbeilegung, im Sinne einer erhöhten Effizienz, könnte auf fünf Ebenen erfolgen: Durch die Einführung präventiver Maßnahmen, z. B. durch die Vorverlagerung der Einflußnahmemöglichkeiten der mit der friedlichen Streitbeilegung betrauten Organe der Vereinten Nationen, so daß diese schon vor Ausbruch des eigentlichen Konfliktes (im Spannungsfall) tätig werden können; Stärkung des Generalsekretärs mit dem Ziel, daß dieser unabhängiger als bislang seine guten Dienste anbieten kann; eine Revision des Willensbildungsverfahrens im Sicherheitsrat; Schaffung besonderer Organe für die friedliche 48 A/Res. 268 A (II1) vom 28. April 1949, in Kraft seit 20. September 1950, die Revidierte Generalakte sieht keine Iqstitutionen vor, sondern bietet nur ein Verfahren an. 49 Errichtet durch NRes. 268 D (III) vom 28. April 1949. 50 Errichtet durch NRes. 377 A (V) vom 3. November 1950. 51 Errichtet durch A/Res. 2329 (XXII) vom t8. Dezember 1967. 52 Die Kommission ist 1951 und 1955 bei den griechischen Grenzzwischenfällen genutzt worden, vgl. Bericht des Generalsekretärs UN Doc. N10289. 53 A/Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970,2734 (XXV) vom 16. Dezember 1970, 32/155 vom 19. Dezember 1977.

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Streitbeilegung mit dem Ziel, das Verfahren gegenüber der Generalversammlung zu entpolitisieren; Verpflichtung der Streitparteien, eines der in Art. 33 der Charta genannten Verfahren zu wählen. Die in dem Special Committee on the Charter of the Uni ted Nations and on the Strengthening of the Role of the Organization diskutierten 54 Verbesserungsvorschläge zeigen, wo die Probleme gesehen werden; die Diskussion eben dieser Vorschläge läßt aber auch die Grenzen einer Reform erkennen. Nicht realisierbar erscheinen zur Zeit alle Vorschläge, die eine Änderung der Charta verlangen. Dazu gehört vor allem die Idee, Art. 33 der Charta zu ergänzen, so daß eine Verpflichtung besteht, Streitigkeiten einem Schlichtungsverfahren zu unterwerfen,55 sollten Verhandlungen und Vermittlung nicht zu einem Erfolg führen. Dies gilt auch für den Vorschlag, dem Sicherheitsrat das Recht einzuräumen, Streitigkeiten bindend an den IGH zu verweisen. Ebensowenig zu verwirklichen ist die Errichtung einer in der Charta verankerten Kommission für Vermittlung und schiedsgerichtliche Entscheidung. 56 Beide Vorschläge sprechen zwar eine der entscheidenden Schwächen des Streitschlichtungssystems an - Fehlen jeglichen Verfahrens, das die automatische Einschaltung einer neutralen Stelle vorsieht und zu geringes institutionelles Engagement der Vereinten Nationen -, beiden Vorschlägen wurde jedoch mit der Begründung widersprochen, daß die Wahl eines Streitschlichtungsverfahrens zu den souveränen Rechten der Staaten gehöre. 57 Ebensowenig ist zu erwarten, daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, wie vorgeschlagen,58 generell auf die Ausübung des Vetorechts bei Entscheidungen nach Kapitel VI der Charta verzichten. Eigene Vorschläge in Richtung auf eine Effektivierung des Sicherheitsrates in diesem Bereich erfolgten von dieser Seite allerdings nicht. 59 Von den fünf angesprochenen Ebenen bleiben daher nur drei, in denen ein Versuch, das Streitschlichtungsverfahren der Vereinten Nationen effizienter zu gestalten und die Rolle der Vereinten Nationen zu stärken, Aussicht auf Erfolg verspricht. Sinnvoll erscheint die Gründung von Neben54 In der derzeitigen Fassung eingesetzt mit AIRes. 3499 (XXX) vom 15. Dezember 1975 unter Einbeziehung des 1974 eingerichteten .Ad hoc Committee on the Charter of the United Nations'. 55 UN Doc. AIAC. 175/L.2, I, § 94. 56 UN Doc. AlAC. 175 L.2, I, S. 95, Al10033, S. 43. 57 UN Doc. A/PV. 2307 § 43-45, AlC. 6/SR. 1568 § 11, AlPV. 2316 § 161. 58 UN Doc. AIAC. 182/L. 12/Rev. 1 § 17 (Algerien, Argentinien, Barbados, Kolumbien, Kongo, Zypern, Ekuador, Ägypten, EI Salvador, Kenia, Mexico, Nigeria, Philippinen, Rumänien, Sierra Leone, Tunesien, Jugoslawien, Zambia). 59 Typisch ist insoweit der Vorschlag von Frankreich und Großbritannien zu .Rationalization of Existing United Nations Procedures·, UN Doc. A/AC. 182/L. 43/Rev. 1, der lediglich Banalitäten enthält.

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organen des Sicherheitsrates, gemäß Art. 29 der Charta, oder der Generalversammlung, gemäß Art. 22 der Charta, für Untersuchung, Vermittlung und Schlichtung. Dabei würde es die Akzeptanz dieses Ansatzes verbessern, wenn diese Funktion nicht einem, sondern verschiedenen Organen anvertraut würden. 60 Die Gründung eines Nebenorgans bei dem Sicherheitsrat würde zudem die Möglichkeit eröffnen, das fact-finding in institutionelle Bahnen zu lenken. Insgesamt könnten derartige Organe aber mit Rücksicht auf Art. 36 der Charta nicht mehr als ein Angebot an die Staaten sein. Immerhin wären Institutionen dieser Art ein ständiger Appell an die Staaten und mit ihrer Einrichtung würde der Stellenwert der friedlichen Streitbeilegung nachhaltiger als bislang betont. Diesem Ansatz folgte bis zu einem gewissen Grade ein Vorschlag von Nigeria, den Philippinen und Rumänien. 6 \ Angestrebt wurde ursprünglich nur die Vereinbarung eines Verfahrens und eines Büros. Die Einsetzung eines Schlichtungs- oder Vermittlungsgremiums sollte nur in Übereinstimmung der Parteien erfolgen können. Dennoch wurde diesem Vorschlag von den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und den Staaten des Ostblocks mit der Begründung widersprochen, er verletze das Recht der Staaten, frei über die Wahl eines Streitschlichtungsverfahrens entscheiden zu können. 62 Inzwischen haben die Initiatoren diesen Vorschlag weitgehend umgestaltet und schlagen nunmehr ein von den Parteien frei zu vereinbarendes Vermittlungs- und Schlichtungsgremium traditioneller Art vor. 63 Es ist davon weder eine Stärkung des Instrumentariums der Vereinten Nationen noch eine Förderung des Gedankens der friedlichen Streitbeilegung zu erwarten. Die westlichen Staaten müssen sich an dieser Stelle fragen lassen, ob es nicht erfolgversprechender gewesen wäre, diesen Vorschlag zusammen mit den Entwicklungsländern zu unterstützen. Zu erwägen wäre nunmehr folgender Ansatz: Erarbeitung eines gesonderten Vertrages über Verfahren der friedlichen Streitbeilegung einschließlich entsprechender Institutionen, denen allerdings nur die Vertragsmitglieder angehören. Weniger weitgehend wäre eine Ausarbeitung von Verfahrensregeln für Untersuchung, Vermittlung und Schlichtung. 64 Ob das von dem Generalsekretär auf Anregung der USA entworfene Handbuch für Streitbeilegung sich in der Praxis bewähren wird, ist zweifelhaft. Insgesamt läßt sich der Gedanke der friedlichen Streitbeilegung nur dann stärker in die Praxis umsetzen, wenn ein Wille der Staaten besteht, sich 60 6\

62

Vgl. dazu Karl Jose! Partseh, Fact-finding and Inquiry, EPIL I, S. 61 (62).

A/38/343, A/e.6/39/L.2. DDR A/e.6/39/SR. 24 § 22; UdSSR SR. 25 § 26; USA SR. 26 § 56; Bulgarien SR.

27 § 9; Tscheehoslowakei SR. 27 § 15; Weißrußland SR. 28 § 31; Polen SR. 29 § 10. 63 UN Doe. A/42/33 § 4 ff. 64 UN Does. Ale. 6/437, S. 6; AIAe. 175/L. 2, 11 § 193; A/9695, S. 20; Ale. 6/SR. 1573 § 16.

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dieses Instrumentariums zu bedienen oder sich ihm sogar zu unterwerfen. Dieser Wille fehlt zur Zeit; es fehlt jedoch auch an Staaten, die diesen Gedanken über längere Zeit in der Generalversammlung nachhaltig vertreten haben. Insofern besteht in diesem Komplex Raum für eine kreative Politik in den Vereinten Nationen. IV. Wirtschaftljche und soziale Fragen Seit den sechziger Jahren haben sich die Vereinten Nationen in zunehmendem Umfang Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung zugewandt. Als Grund dafür wird in der Regel auf die wachsende Zahl der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in der Generalversammlung verwiesen, die ihre wirtschaftliche Entwicklung als Bestandteil des Dekolonisierungsprozesses und der Vollendung ihrer Unabhängigkeit sahen und sehen. 65 Einer der Gründe ist aber auch in der zunehmenden wirtschaftlichen Interdependenz der Staaten zu suchen; sowohl bei den OECD-Staaten wie auch bei den Entwicklungsländern macht inzwischen der Export deutlich über 20 % des Bruttosozialprodukts aus. Die Probleme im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sind damit in einem Umfang internationalisiert worden, wie es 1945 noch nicht vollstellbar war. Ohne Zweifel hat dies zu einer Verlagerung des Arbeitsschwerpunktes der Vereinten Nationen geführt. Die Organe der Vereinten Nationen haben sich wirtschaftlichen Fragen in verschiedenen Formen angenommen und zwar durch Schaffung von Institutionen, durch Empfehlungen an Staaten und internationale Organisationen, durch die Formulierung von Prinzipien, Programmen und Vertragstexten sowie durch die Leistung technischer Hilfe. Soweit es sich um die Schaffung neuer Institutionen66 handelt, sind die Vereinten Nationen außerordentlich pragmatisch vorgegangen, um den verschiedenen wechselnden Interessen und erhobenen Forderungen gerecht zu werden. Die Gründung neuer Institutionen geschah dabei mit unterschiedlichen Zielen. Teilweise wurde versucht, die Diskussion in bestimmten Sachbereichen zu vertiefen, um so die Erarbeitung von Prinzipien, Programmen und Normen zu ermöglichen. Hierzu zählen Spezialorgane wie UNID061, UNCITRAL 68, UNCTAD 69 (mit seinem gesamten 65 Prill, Weltwirtschaftsordnung, Handbuch Vereinte Nationen (Anm. 3); Ram Parakash Anand, Sovereign Equality of States in International Law, in: RdC 197 (198611), S. 9-228 (52 ff.). 66 Außerordentlich kritisch Erickson / Summer, The U.N. and Economic Development, in: A World U.N. Pines (ed.), 1984, 1-23 (20). Danach haben die Vereinten Nationen Institutionen statt realer Projekte geschaffen. 67 A/Res. 2152 vom 17. November 1966; dazu KarI-Heinz Moritz, United Nations Industrial Development Organization, Neugründung als Mittel der Effektivitätssteigerung?, Diss. Kiel 1979.

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organisatorischen Unterbau) und UNEp10 sowie alle ad hoc-Gremien zur Vorbereitung von Dekaden und Konferenzen bzw. zu deren Bewertung. l1 Struktur, Grad der Unabhängigkeit, Finanzierung und Aufgabenbereich derartiger Institutionen variieren. 12 Nicht verbunden mit der Gründung dieser Institutionen ist eine Kompetenzverlagerung aus Generalversammlung und ECOSOC. Vielmehr bleibt die sachliche Kompetenz dieser beiden Hauptorgane ausdrücklich13 unberührt. Andere Organe sollen einen eigenen Zweig der Vereinten Nationen zur Finanzierung der technischen Hilfe oder zur Kapitalhilfe schaffen. Erstes Organ dieser Art war der "Special United Nations Fund for Economic Development (SUNFED)",14 der zur Unterstützung des .Expanded Programme of Technical Assistance (EPTA)"15 gegründet worden war. Heutige Beispiele sind UNCDp16, das United Nations Financing System for Science and Technology for Development,n der United Nations Fund for Population Activities18, IFAD, der Uni ted Nations Special Fund19, der United Nations Special Fund for Landlocked Developing Countries80, der Commond Fund8! etc. Eine dritte KateA/Res. 2205 (XXI) vom 17. Dezember 1966. A/Res. 1995 (XIX) vom 30. Dezember 1964, der erste Zusammentritt von UNCTAD (1964) beruhte auf einer Initiative des ECOSOC, E/Res. 197 (XXXIV) vom 3. August 1962 (mit Billigung der Generalversammlung, AIRes. 1785 (XVIII) vom 8. Dezember 1962). 10 A/Res. 2997 (XXVII) vom 15. Dezember 1972. 11 Exemplarisch für die zweite Weltraumkonferenz vgl. Dicke (Anm. 4). 12 Verdross / Simma (Anm. 14), S. 98, qualifizieren Spezialorgane mit einem höheren Grad an Unabhängigkeit wie vor allem UNCTAD als .quasi-autonome Sonderorgane"; eine Liste der wichtigsten Organe findet sich im Bertrand-Bericht, Annex 11 (Anm. 6). 13 Die Empfehlungen des Ad Hoc Committee on the Restructuring of the Economic and Sodal Sectors of the United Nations System (AIRES. 32/197 vom 20. Dezember 1977, Annex I) und verschiedene dieser Resolution folgende Reformansätze versuchen hingegen, die Generalversammlung auf die Erarbeitung allgemeiner Programme, Leitlinien, Strategien und Zielvorgaben zu beschränken; die gleiche Aufgabe wird aber in den genannten Empfehlungen für den wirtschaftlichen Bereich auch UNCTAD zugewiesen (vgl. III). 14 AIRes. 1219 (XII) vom 14. Dezember 1957. 15 A/Res. 304 (IV) vom 16. November 1949, E/Res. 222 A (IX) vom 15. August 1949. 16 AIRes. 2186 (XXI) vom 13. Dezember 1966. 11 A/Res. 37/224 vom 21. Dezember 1982. 18 A/Res. 2211 (XXI) vom 17. Dezember 1966, s. ferner Ved Prakash Nanda, The Role of International Law and Institutions Towards Developing Global Plan of Action on Population, in: Denver Journal of International Law 2 (1973), 1-44; Beiträge 1985: 128,2 Millionen Dollar. 19 A/Res/3356 (XXIX) vom 18. Dezember 1974. 80 A/RES/31/177 und Annex vom 21. Dezember 1976. 81 A/RES/35/56 und Annex vom 5. Dezember 1980. 68

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gorie von Institutionen ist eingerichtet worden, um unmittelbar technische Hilfe zu leisten. Hierzu zählen vor allem UNID082, UNDp83 aber auch UNICEF sowie das Welternährungsprogramm84 . Angesichts der Vielzahl der Träger der technischen Hilfe - sie gehört inzwischen zum Aufgabenbereich der meisten Sonderorganisationen wie ILO, FAO, UNESCO, WHO, ICAO, ITU, UPU, WMO, IMO und UNIDO - stellt sich zwangsläufig die Frage nach einer Koordinierungsstelle. Die Aufgabe der Koordinierung im gesamten VN-System obliegt dem ECOSOC, er hat diese Funktion trotz Resolution 32/197 vom 20. Dezember 1977 bislang nicht auszufüllen vermocht. Von besonderem Interesse in dem hier zu behandelnden Zusammenhang ist die Leistung technischer Hilfe durch die Vereinten Nationen, sei es durch das Sekretariat oder die Spezialorgane wie UNDP. Maßnahmen technischer Hilfe wurden von dem ECOSOC bereits auf dessen vierter Tagung ergriffen. 85 In der Folgezeit schuf die Generalversammlung das Programm der Vereinten Nationen für technische Hilfe86 und das erweiterte Programm für technische Hilfe zur Entwicklung als ein gemeinsames Unternehmen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen. Letzteres Programm wurde durch freiwillige Leistungen finanziert, es ist 1965 mit dem 1957 gegründeten Sonderfonds der Vereinten Nationen zur UNDP vereinigt worden. 81 Die Aufgaben von UNDP werden durch Resolutionen der Generalversammlung und Aktionspläne einzelner Konferenzen bestimmt. 88 Grundsätzlich erfassen sie alle Fragen wirtschaftlicher und sozialer Art. Auf der Basis der lackson-Studie89 wurde UNDP 1970 die Rolle eines Koordinators des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen zugewiesen. 9o Gleichzeitig entwickelte die Generalversammlung einen Rahmen für die KoordinaA/RES12152 vom 17. November 1966. A/Res. 2029 (XX) vom 22. November 1965. 84 AIRes. 1714 (XVI) vom 19. Dezember 1961. 85 A/Res. 51 (IV) vom 28. März 1947. 86 AIRes. 200 (111) vom 4. Dezember 1948. 87 A/Res. 2029 (XX) vom 22. November 1965, Beitrag zu UNDP und von UNDP verwalteten Fonds 847,9 Millionen Dollar (1985), 1986 auf 1 000 Millionen Dollar geschätzt. 88 A/Res. 2090 (XX) vom 20. Dezember 1965 (Forderung von Investitionen zur Entwicklung); A/Res. 2318 (XXII) vom 15. Dezember 1967 (wissenschaftliche und technische Entwicklung); A/Res. 2562 (XXIV) vom 13. Dezember 1969 (Steuerreform); A/Res. 3241 (XXIX) vom 29. November 1974 (Forderung einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsländern). Andere Resolutionen sprachen Komplexe wie Ausbildung für die öffentliche Verwaltung, Ernährung, natürliche Ressourcen, Tourismus, Häfen, Dürre, Ausbreitung der Wüste und Abwanderung von ausgebildeten Kräften an. 89 A Study of the Capacity of the UN Development System, 2 Bde., UN Docs. DP/5 (Vol. I, 11) Nov. 1969. 90 A/Res. 2688 (XXV) und Annex vom 11. Dezember 1970. 82

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tion der technischen Hilfe auf Landesebene, indem sie die Länderprogrammplanung des UNDP einrichtete. 91 Die Generalversammlung versucht aber ebenfalls, die Rolle von UNDP zugunsten der regionalen Wirtschaftskommissionen einzuschränken. Aufgabe der regionalen Wirtschaftskommissionen soll es danach sein, die Umsetzung der VN-Strategien auf regionaler Ebene vorzunehmen; gleichzeitig sollen die Wirtschaftskommissionen ihre Kooperation mit UNDP verstärken. 92 Die bisherigen Erfahrungen über die Koordination sind allerdings nicht positiv. 93 Der Koordinationsanspruch von UNDP wird dadurch geschwächt, daß die Finanzleistungen an das Programm, gemessen am Gesamtvolumen der Leistungen, von 65 % (1975) auf ca. 30 % zurückgegangen sind. Der Grund liegt in den gestiegenen Leistungen an die Sonderorganisationen, das Welternährungsprogramm und UNICEF. Neben der bislang angesprochenen technischen Hilfe haben sich im Laufe der Zeit spezielle wirtschaftliche Hilfsprogramme entwickelt, deren Durchführung in der Verantwortung des Generalsekretärs liegt. Sie kommen in Situationen zum Tragen, die nicht eindeutig unter eines der etablierten Programme fallen. Spezielle Hilfsprogramme dieser Art wurden offiziell mit der Resolution 386 (1976) des Sicherheitsrates eingeführt, und zwar um den wirtschaftlichen Problemen in Mozambique zu begegnen. In den folgenden Jahren sind Sonderprogramme für wirtschaftliche Entwicklung auf Initiative der Generalversammlung, des ECOSOC und des Sicherheitsrates eingesetzt worden. In der Praxis sollen sie Probleme lindern helfen wie: Auswirkqngen der politischen Situation in Südafrika auf Nachbarländer, die unstabile wirtschaftliche Lage bei Erlangung der politischen Unabhängigkeit, Wiederaufbau nach inneren Unruhen oder Naturkatastrophen, schwere wirtschaftliche Probleme und Probleme, die aus der Ab- oder Zuwanderung von Flüchtlingen entstehen. Anders als bei den bislang behandelten Komplexen stellt sich hier die Frage, ob die Aktivitäten der Vereinten Nationen nicht den in der Charta gesteckten Rahmen überschreiten. Diese Frage bezieht sich sowohl auf die Sachkompetenz wie auf die gewählten Handlungsformen. Die Kompetenzen der Vereinten Nationen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich werden in den Artikeln 1 Abs. 3, 13-Abs. 1 (b) und 55 (a) und (b) angesprochen, wobei Art. 55 der Charta eine zentrale Bedeutung zukommt. In den Verhandlungen von San Francisco wurde Art. 55 der Charta als Durchführungsbestimmung zu Art. 1 verstanden, durch die zudem die Not91 A/Res. 2688 (XXV) und Annex vom 11. Dezember 1970 §§ 1-5, erneut betont mit A/Res. 32/197 und Annex vom 20. Dezember 1977 § 33, E/RES/1986/74 vom 23. Juli 1986; vgl. dazu auch den Bericht des Generalsekretärs Al421234 § 30. 92 Weiter ausgebaut mit AlRES/331202 vom 29. Januar 1979. 93 Joint Inspection Unit UN Doc. Al42/110, günstiger UN Doc. Al42/305.

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wendigkeit von eigenen Aktivitäten der Vereinten Nationen betont werden sollte. Die besondere Bedeutung von Art. 55 der Charta liegt aber vor allem darin, daß er den inneren Zusammenhang der verschiedenen in Art. 1 der Charta genannten Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen betont. Nach der dem Art. 55 der Charta zugrundeliegenden Philosophie setzt die Aufrechterhaltung des Weltfriedens neben der Ächtung des Krieges voraus, daß ein Zustand wirtschaftlicher und sozialer Stabilität in und zwischen den Staaten hergestellt wird. 94 Diese Philosophie ist von den Vereinten Nationen in der Vergangenheit mehrfach hervorgehoben worden. 95 Daneben haben sie auch betont, daß Frieden eine der wesentlichen Voraussetzungen für die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten ist. Frieden und wirtschaftliche Entwicklung stehen daher in einem dialektischen Verhältnis, sie sind gleichberechtigte Ziele, bedingen sich jedoch zugleich gegenseitig. Wenn die Vereinten Nationen sich daher zur Zeit auf Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung konzentrieren, kann ihnen nicht vorgeworfen werden, den Schwerpunkt ihrer Aufgaben gemessen an der Charta unzulässig verschoben zu haben. Art. 55 (b) der Charta ist zudem außerordentlich weit und flexibel gefaßt. Er erlaubt den Vereinten Nationen, jede Frage aufzugreifen, deren politische Bewältigung einen Beitrag zur Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art darstellt. Eine weite Auslegung des Begriffes. wirtschaftliche Probleme", wie sie die Praxis der Vereinten Nationen verfolgt, entspricht durchaus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. 96 Die Charta enthält keine Vorgabe dafür, in welcher Richtung eine Lösung der weltwirtschaftlichen Probleme zu suchen ist. Diese Entscheidung wird bewußt dem Spiel der Kräfte in der Generalversammlung überlassen. 91 Eine andere Frage ist es, ob durch die Gründung der verschiedenen Institutionen, vor allem soweit sie mit einer gewissen Selbständigkeit aus94 In San Francisco von den USA ausdrücklich betont, Plenum, 1. Tagung, UNICO 1, 123 •.. economic security goes hand in hand with security from war ... ". In der Resolution International Economic Security (AIRES/40/173 vom 17. Dezember 1985) werden Friedenssicherung und Wirtschaftsstabilität als gleichrangig behandelt. Das verbindende Element ist die Interdependenz der Staaten. Dieser Ansatz wird von Schaefer (Anm. 7) nicht voll erkannt, vgl. dazu aber Jost Delbrück, Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen im Wandel (Wilhelm A. Kewenig, Hrsg.), 1975, S. 132-155. 95 Bericht des Generalsekretärs UN Doc. A/36/356 und Corr. 1; UN Doc. A (S-12) 13 Add. 1-4 sowie A/RES/(S-1 0) 2 vom 30. Juni 1978 Abs. 11, 16; bestätigt z. B. durch AlRES/41/57 vom 3. Dezember 1986. 96 Der Berichterstatter von Ausschuß 11/3 stellte zu Art. 55 (b) fest, daß Einigkeit bestand, das Wort .wirtschaftlich" umfassend zu verstehen. Darunter subsumiert werden sollten u. a. auch folgende Sachkomplexe: Welthandel, Finanzen, Verkehr, Transport, Rohstoffe, Kapital und Handel mit Betäubungsmitteln. 91 Franck (Anm. 10).

10 UN-Reform

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gestattet ist, die Generalversammlung ihre Kompetenzen gemäß Art. 22 der Charta überschritten hat. Dieser Vorwurf ist in der Anfangszeit der Vereinten Nationen in Einzelfällen (z. B. bei der Gründung des Verwaltungsgerichts der Vereinten Nationen 98 oder der Gründung der Kommission für Palästina99 ) erhoben worden. Die Gründung von Spezialorganen stößt dann auf Bedenken, wenn die ihnen zugewiesenen Funktionen nicht dem Funktionskatalog der Vereinten Nationen zu entnehmen sind, oder es sich um unabhängige Organe mit eingeschränktem Mitgliederkreis handelt, die aber dennoch aus dem ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen finanziert werden. Der zweite genannte Grund scheidet für die bislang angesprochenen Spezialorgane erkennbar aus. tOO Die Kompetenz der Generalversammlung, Spezialorgane auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu errichten, wurde bislang jedoch zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Die Funktionen der Spezialorgane übersteigen nicht diejenigen der Generalversammlung; zumindest handelt es sich bei diesen Funktionen um Annexe zu den Sachkompetenzen der Generalversammlung. Soweit in letzter Zeit die Errichtung von Spezialorganen umstritten war, wie z. B. diejenige von Habitat, wurden lediglich administrative Bedenken vorgetragen,tOt nicht aber die Errichtungskompetenz der Vereinten Nationen bezweifelt. Kein Argument läßt sich übrigens auch aus der Tatsache herleiten, daß bereits verschiedene Sonderorganisationen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet tätig sind und der Aufgabenbereich neugegründeter Spezialorgane sich häufig mit demjenigen von Sonderorganisationen überschneidet bzw. ohne weiteres einer bestehenden Sonderorganisation hätte angegliedert werden können. Ein typisches Beispiel der Aufgabenüberschneidung findet sich im Verhältnis IF AD zu FAO sowie UNCTAD zu GATI. Art. 57 der Charta gibt diesen Sonderorganisationen kein AufgabenmonopoI. die institutionelle Vielfalt der Organisationen ist eine direkte Konsequenz der auf Dezentralität angelegten Charta. Die Sonderorganisationen haben übrigens ebenfalls ihre Funktionen ganz wesentlich erweitert, was zu ihrem institutionellen Ausbau führte. t02 Diese Aufgabenerweiterung stößt allerdings auf Grenzen, da sie nicht in den Bereich der Friedenssicherung, der ausschließlich bei den Vereinten Nationen liegt, eingreifen dürfen. Das Nebeneinander von Vereinten Nationen und Sonderorganisationen erlegt also nur letzteren Pflichten auf. Vgl. dazu das Gutachten des IGH, ICJ Reports 1954,47. AIRes. 181 (11) vom 29. November 1947. 100 Vgl. dazu Hynes, Uni ted Nations Financing of the Law of the Sea Preparatory Commission: May the United States Withold Payment, in: Fordham International Law Journal 6 (1985), S. 472-500. 101 So ausdrücklich Italien Ale. 2/32/SR.57 § 24, ebenso Frankreich § 18 und die DDR als Sprecher des Ostblocks, S. 19 ff. 102 Der Beltrand-Bericht (Anm. 6), S. 5, zählt zwanzig unabhängige Einheiten für WHO, achtzehn für die FAO und zehn für UNESCO und ILO auf. 98 99

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Conforti schließlich bezweifelt die Rechtmäßigkeit eines wesentlichen Teils der Aktivitäten der Vereinten Nationen, indem er zwischen Aktivitäten normativer und operativer Art unterscheidet. Zur ersten Kategorie zählt er an Staaten gerichtete Empfehlungen, zur zweiten alle Handlungen, wie technische und finanzielle Hilfe und bis zu einem gewissen Grade auch die Einrichtung neuer Organe sowie die Prüfung von Menschenrechtsverletzungen. 103 Ausgangspunkt von Confortis These ist, daß die Charta die Generalversammlung nur zur Abgabe von Empfehlungen und nur ausnahmsweise sowie nur in beschränktem Umfang zu operationellen Aktivitäten ermächtigt. Diese Beschränkung der Generalversammlung entspricht nicht ihren Funktionen im wirtschaftlichen, sozialen und menschenrechtlichen Bereich. Zwar hat die Generalversammlung nach Art. 10 der Charta nur Empfehlungen abzugeben, Art. 18 wählt jedoch, worauf der IGH in seinem Gutachten Certain Expenses 01 the United Nations verweist,104 den weiteren Begriff .Entscheidungen". Wesentlich ist vor allem aber, daß Art. 55 der Charta diese Beschränkung auf Empfehlungen nicht enthält, sondern allgemein von .fördern" spricht. Dieses Fördern schließt auch operative Maßnahmen mit ein. Die einzige wesentliche Grenze für Aktivitäten der Generalversammlung gemäß Art. 55 der Charta enthält Art. 2 Abs. 7, eine Vorschrift, auf die die USA in San Francisco wegen der besonderen Befugnisse der Vereinten Nationen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich nachdrücklich verwiesen haben. lOS

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die Generalversammlung die ihr in der Charta zugewiesenen Funktionen auf wirtschaftlichem und sozialem Bereich nicht überschritten hat. Angesichts der weiten Fassung von Art. 55 der Charta und der Bandbreite der der Generalversammlung zur Verfügung stehenden Handlungsformen erscheint es auch sachgerechter, die Aktivitäten der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet unter politischen und organisationssystematischen Gesichtspunkten zu steuern. Dazu gehört vor allem der Versuch, die Arbeit der Vereinten Nationen in diesem Bereich effektiver zu gestalten. Reformen müssen auf drei Ebenen ansetzen, zunächst bei der Koordination zwischen Vereinten Nationen und Sonderorganisationen auf der Ebene der Planung: Die bisherige Koordination durch die Generalsekretäre und Direktoren im .Administrative Committee on Coordination"106 ist nicht sachgerecht. Dieser Ausschuß auf Verwal103 Benedetto Conforti, Proliferation organique, proliferation normative et la erise des Nations Unies: Reflexions d'un juriste: L'adaption des Struetures et Methodes des Nations Unies, in: Aeademie de Oroit International, Colloque 1985 (Bardonnet, ed.), S. 153-158 (156 ff.). 104 ICJ Report 1962, S. 151 (163, 165, 172). lOS UNCIO Ooe. 567; 11/3/27 Bd. 10,83; Ooe. 90911/11 Bd. 8,64; Ooe. 1180; 11/18 (1), Bd. 8, 268; vgl. dazu Rajan, The Expanding Jurisdiction 01 the United Nations, 1982, S. 6 ff. 106 Kompetenzen werden dureh E/RES/1643 (LI) vom 30. Juli 1971 und dureh

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tungsebene kann - in Maßen - interorganisatorische Koordination leisten, nicht aber zwischen Mitgliedstaaten und den Vereinten Nationen vermitteln. Er ist zudem völlig ungeeignet, auch nur im Verhältnis der Vereinten Nationen zu ihren Sonderorganisationen Planungsfunktionen zu übernehmen. Ebensowenig effektiv war bislang die Arbeit des "ECOSOC-Committee on Programme and Coordination". Theoretisch liegt gemäß Art. 62 Abs. 1 und 63 Abs. 2 der Charta die Koordination der Tätigkeiten von Vereinten Nationen und Sonderorganisationen bei dem ECOSOC. Diese Funktion wird durch die Resolution 32/197 vom 20. Dezember 1977 bekräftigt, wonach dem ECOSOC die zentrale Rolle der Konzeptentwicklung, der Koordinierung und der Evaluierung aller operativen Maßnahmen der Vereinten Nationen übertragen wird. Dieses Mandat ist von dem ECOSOC nicht eingelöst worden. IO ? Eine Reform der Aktivitäten der Vereinten Nationen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet muß also bei dem ECOSOC und seinen Ausschüssen ansetzen,108 wie auch Bertrand vorschlägt. Dieser muß durch eine Konzentration seiner Aktivitäten in die Lage versetzt werden, seine Aufgaben zu erfüllen. Außerdem muß er in seiner Zusammensetzung und in seinem Status innerhalb der Organisation aufgewertet werden. lOg Anderenfalls besteht weiterhin die Gefahr der fehlenden Koordination bei gleichzeitiger Stärkung der Bürokratien in den Sekretariaten. Ebenso reformbedürftig ist die Abstimmung zwischen den Spezialorganen der Vereinten Nationen, die bislang weitgehend durch das Sekretariat geleistet wird. Die Gründung der vielen Spezialorgane hat zu einer wesentlichen Ausdehnung des Sekretariats geführt. 110 Dabei wird durch die unklare Aufgabenabgrenzung zwischen den einzelnen Spezialorganen die Aufgabe des Sekretariats weiter erschwert. Inzwischen ist eine Umbildung des Sekretariats erfolgt; ob sie Abhilfe schafft, ist zweifelhaft. Der Generalsekretär z. B. räumt ein, daß bislang eine Abstimmung zwischen den Forschungsaktivitäten von UNCTAD und den Entwicklungsaktivitäten der AJRES/32/197 vom 20. Dezember 1977 definiertj vgl. dazu J. Berteling, InterSecretariat Coordination in the Uni ted Nations System, Netherlands International Law Review 24 (1977), S. 21-41. 107 Vgl. dazu Bericht des Generalsekretärs (UN Doc. AJ42/1); Herbert Sahlmann, Vorschläge zur Restrukturierung im operativen Teil der Vereinten Nationen, in: Dicke / Hüfner (Anm. 4), S. 91-99 (98). 108 Die Unterorgane des ECOSOC gliedern sich in Sitzungsausschüsse, ständige Ausschüsse, Expertengremien und sonstige Unterorgane (einschließlich Spezialorgane). 109 Bericht des Generalsekretärs (UN Doc. AJ42/1). 110 Hierzu vor allem die Gruppe der High-Level Intergovernmental Experts, Bericht GAOR Forty-First Sess. Suppl. No. 49 (UN Doc. A/41149), eingesetzt mit AJRES/401237 vom 18. Dezember 1985.

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Spezialorgane nicht erfolgt. 111 Bezeichnend ist, daß der ECOSOC in fünf Jahren nicht in der Lage war, ein vollständiges Register der Tätigkeiten der Vereinten Nationen im operativen Bereich vorzulegen. 112 Insgesamt gibt es auf dieser Ebene praktisch keine gemeinsame Planung, sondern lediglich eine gewisse administrative Koordination durch das Administrative Committee on Coordination (ACC). Die Planung liegt bei den einzelnen Spezialorganen und Empfängerländern. Auch hierfür sollte ein veränderter ECOSOC zuständig sein. Reformbedürftig ist schließlich auch die Koordination auf Landesebene, d. h. auf der Ebene der operativen Entwicklungsaktivitäten. Hier treffen nach dem Bertrand-Bericht fünfzehn verschiedene Organisationen zusammen,113 die Koordination durch den resident coordinator von UNDP hat bislang keine Abhilfe geschaffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist offenkundig bereit, diese Institution zu unterstützen. I I. Die Konsequenz ist allerdings, daß dann die bislang eigenständige Rolle der Sonderorganisationen beschnitten werden muß. Man wird sich an dieser Stelle fragen müssen, ob einer sparsamen Mittelverwaltung oder den stärker spezialisierten Aktivitäten der Sonderorganisationen der Vorzug zu geben ist. Im Grunde genommen steht dahinter das Problem, ob die Dezentralisierung der Vereinten Nationen bis auf die operative Ebene hin aufrechterhalten werden kann. Reformbedürftig ist schließlich auch die Zersplitterung der Finanzierungsquellen, da dies zu einem erhöhten administrativen Aufwand führt. Eine Konzentration der Finanzierung durch UNDP, die aus Effizienzgesichtspunkten zu begrüßen wäre, führt aber zwangsläufig zu einem verringerten Einfluß der Geberländer. Nicht ohne Grund sind die der UNDP in jüngster Zeit zufließenden Gelder rückläufig. Es besteht der Trend zu einer sachlich stärker spezialisierten Hilfe, die den Gebern einen gewissen Einfluß über die Mittelverwendung beläßt. V. Menschenrechtsschutz

Gemäß Art. 1 Abs. 3 der Charta ist es Aufgabe der Vereinten Nationen, eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu fördern und zu festigen. Dieser Auftrag wird in Art. 55 (c) der Charta erneut aufgegriffen, wobei diese UN Doc. A/421236 vom 21. April 1967. Vgl. EI AC.5111987/13, gefordertin E/Res. 1982/71 vom 10. November und in A/RES/371226 vom 20. Dezember 1982. 113 UN Doc. A/40/988, S. 7. 114 Vgl. Bericht UN Doc. A/421290, S. 7 ff. 111

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Vorschrift zusammen mit Art. 56 der Charta die aktive Rolle der Vereinten Nationen deutlicher betont. Die Vereinten Nationen haben diesen Auftrag mit unterschiedlichem Erfolg erfüllt. Sie waren erfolgreicher bei der Formulierung von Menschenrechtsschutzstandards als bei deren Durchsetzung. Die auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes geleistete Normschöpfung ist bedeutend. Sie resultiert in einer wesentlichen Umgestaltung des Völkerrechts, die sich vor allem in der Relativierung der einzelstaatlichen Macht manifestiert. Das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern zählt danach nicht mehr zu denjenigen Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zu der inneren Zuständigkeit eines Staates gehören (Art. 2 Abs. 7 der Charta). I15 Der erste bedeutende Schritt hin auf eine Formulierung der internationalen Menschenrechte war die Universelle Erklärung der Menschenrechte l16 , die die Basis für die beiden Menschenrechtspakte bildete. 117 Die Ausstrahlung der Universellen Erklärung ist bedeutend.tt 8 Neben den beiden Menschenrechtspakten sind u. a. folgende Konventionen auf dem Gebiet des internationalen Menschenrechtsschutzes unter der Verantwortung der Vereinten Nationen ausgearbeitet worden: Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes,II9 das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung,I20 das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau,I21 das Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen einer Diskriminierung von Frauen l22 und das Internationale Übereinkommen über Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens Apartheid t23 • Die Vereinten Nationen haben sich zudem der Bekämpfung der Folter gewidmet und sowohl eine Deklaration wie eine Konvention erarbeitet. 124 1979 wurde ein Verhaltenskodex für Vollstrekkungsbeamte l25 von der Generalversammlung verabschiedet; in die gleiche 115 Betont von Rajan (Anm. lOS), S. 98 ff.; Christian Tomuschat, Zehn Jahre Menschenrechtsausschuß - Versuch einer Bilanz, in: VN 35 (1987), S. 157-163 (162). GAOR Plenary meetings Vo!. I, 14th Plenary meetings (A/34/PY.14), § 7 ff. 116 A/Res. 217 (III) vom 10. Dezember 1948. 111 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGB!. 1973, 11, S. 1533; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGB!. 1973,11, S. 1569. 118 Vg!. dazu P. Baehr I Leon Gordenker, The United Nations: Reality and Ideal (1984), S. 103. 119 BGB!. 1954, 11, S. 729. 120 BGB!. 1969,11, S. 961. 121 BGBl. 1969,11, S. 1929; berichtigt in BGB!. 1970,11, S. 46. 122 VN 28 (1980), S. 108. 123 A/Res. 3068 (XVIII) vom 30. November 1973. 124 A/Res. 3059 (XVIII) vom 2. November 1973,3452 (XXX) vom 9. Dezember 1975. 125 A/RES/34/169 vom 17. Dezember 1979.

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Richtung geht eine Resolution der Generalversammlung aus dem Jahre 1982 über Verhaltensnormen medizinischen Personals, insbesondere Ärzten, in bezug auf den Schutz von Strafgefangenen und Anstaltsinsassen gegen Folter und grausame Bestrafung. 126 Wie eingangs schon angedeutet, liegen die Probleme der Vereinten Nationen bei der Verwirklichung des Menschenrechtsschutzes nicht in der Normschöpfung, sondern in der Durchsetzung eben dieser Normen. Insgesamt halten die Durchsetzungsverfahren, und zwar sowohl diejenigen der Vereinten Nationen wie die vertraglich geschaffenen Verfahren, mit den materiellrechtlichen Verbürgungen nicht Schritt. 127 Die Durchsetzung der Menschenrechte auf universeller Ebene erfolgt grundsätzlich auf der Basis einer Prüfung von Staatenherichten,128 erfordert also die Kooperation der Staaten. In den Fällen schwerer Verletzungen der Menschenrechte besteht zudem im Rahmen der Vereinten Nationen die Möglichkeit, das durch Resolution 1503 (XLVIII) des ECOSOC geregelte ~Procedure for dealing with communications relating to violations of human rights and fundamental freedoms· in Gang zu setzen. 129 Dieses Verfahren, das die Menschrechtskommission, deren Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierungen und Minderheitenschutz, einschaltet, führt lediglich zu einer Studie an den ECOSOC. Eine weitergehende Untersuchung durch die Menschenrechtskommission ist von der ausdrücklichen Zustimmung des belangten Staates abhängig. 130 Derartige Untersuchungen sind für Äquatorialguinea und Uganda durchgeführt worden, allerdings erst nach der Beendigung der kritisierten Regime. Insgesamt ist dieses Verfahren weniger für eine Untersuchung, Verhinderung oder Beendigung konkreter einzelner Menschenrechtsverletzungen als für eine Identifizierung menschenrechtsfeindlicher Regime geeignet. 131 Die Menschenrechtskommission und die Generalver126 A/RES/37/194 vom 18. Dezember 1982. 127 Vg!. dazu Theresa D. Gonzales, The Political Sources of Procedural Debates in

the United Nations: Structural Impediments to Implementation of Human Rights, in: New York University Journal of International Law and Politics 13 (1981), S. 427; Baehr / Gordenker (Anm. 118), S. 114. 128 Vg!. insgesamt zum vorliegenden Instrumentarium, United Nations Action in the Field of Human Rights (1974) sowie Bericht des Generalsekretärs, Alternative Approaches and Ways and Means within the United Nations System for Improving the Effective Enjoyment of Human Rights and Fundamental Freedoms (UN Doc. A/10235). 129 Im Detail beschrieben in UN Doc. A/I0235, S. 13 ff., sowie Maxime E. Tardu, Human Rights: The International Petition System, 1979 (Loseblatt). 130 UN Doc. E/CN. 4/1371 (1980), Commission on Human Rights, Report on the Thirty-sixth Session, ECOSOC (XXXVI) Supp!. 3 (E/1980/13; E/CN. 4/1408),1980, 85. Vg!. dazu insgesamt Nigel S. Rodley, The Development of the United Nations in the Field of Human Rights and the Role of Non-Governmental Organizations, the U.S., the U.N., and the Management of Global Change 1983 (Gati, ed.), S. 281.

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sammlung können allerdings auch Menschenrechtsverletzungen angreifen, ohne daß vorher eine Untersuchung stattgefunden hat, wie dies durch die Generalversammlung im Falle Afghanistan, Bolivien, Chile, Guatemala, EI Salvador, Iran, Israel und Südafrika erfolgt ist. Die Auswahl dieser Staaten durch die Generalversammlung wurde zu nicht unerheblichem Umfang von politischen Gesichtspunkten diktiert. So hat sie z. B. 1983 die Verurteilung von P.olen durch die Menschenrechtskommission ignoriert, eine Verurteilung des Iran durch die Menschenrechtskommission in 1983 wurde von der Generalversammlung erst 1985 vollzogen. Bezeichnend für die Behandlung von Menschenrechtsverletzungen durch die Vereinten Nationen ist die harte Kritik des Präsidenten von Uganda an der falsch verstandenen Gruppensolidarität, die über Jahre einen Völkermord in Uganda stillschweigend geduldet habe. 132 Diese Praxis wird von den Entwicklungsländern jedoch weiter verfochten, wie der Beschluß der Menschenrechtskommission beweist, die Situation der Menschenrechte in Äthiopien nicht zu behandeln. 133 Die für die Rassendiskriminierungskonvention und den Pakt für bürgerliche und politische Rechte geschaffenen Verfahren haben gegenüber der Behandlung der Menschenrechte in der Menschenrechtskommission und in der Generalversammlung den Vorteil, daß sie in der Verantwortung von Expertengremien liegen, was zu einer gewissen Entpolitisierung im Vergleich zu den Debatten in der Menschenrechtskommission und vor allem der Generalversammlung führt. Das von ihnen eingesetzte Berichtsprüfungsverfahren macht es zunächst zu einer Aufgabe der Vertragsstaaten, den nationalen Rechtsstandard an dem der Pakte zu messen. Die Experten in der Rassendiskriminierungskommission und in dem Menschenrechtsausschuß üben insoweit eine Art Verifikationskontrolle aus. Ihre Prüfung bewirkt lediglich eine Offenlegung des erreichten Standards; diese Pflicht zur Offenlegung ist das Mittel, mit dem die Übernahme des internationalen Menschenrechtsstandards und dessen weitere Einhaltung gesichert werden soll. Die Staatenbeschwerde- und Individualbeschwerdeverfahren vergrößern den Druck auf den betroffenen Staat, auch wenn diese beiden Verfahren nur zu einem Bericht des prüfenden Expertengremiums führen. Insgesamt fehlt aber den Vereinten Nationen ein der Europäischen Menschenrechtskonvention vergleichbares richterliches oder quasi-richterliches Verfahren, welches in der Lage wäre, den Staaten unter Androhung 131 Franek (Anm. 10),232; LouisB. Sohn, Human Rights: Tbe Implementation and Supervision by the United Nations, in: Theodol Meron (ed.), Human Rights in International Law: Legal and Poliey Issues, Oxford, 11 1984, S. 369. 132 UN Doe. Al34/PV. 14, S. 4-6. 133 Commission on Human Rights, Report of the Forty-Seeond Session, ECOSOC OR (1986) Supp!. 2, S. 223.

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von Zwangsmitteln aufzugeben, ihren nationalen Rechtsstandard dem internationalen anzugleichen. Eine Bewertung der bisherigen Arbeit der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes läßt deutlich werden, daß ein weiterer Ausbau des Normenwerks keinesfalls im Vordergrund stehen kann. Dies liegt zum einen an der weit vorangetriebenen Normierung, aber auch an der geänderten Einstellung in den Vereinten Nationen gegenüber den individuellen Freiheitsrechten und Verbürgungen. Zumindest einige Kodifikationsvorhaben bergen die Gefahr einer Schwächung des existierenden Menschenrechtsbestandes, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen besteht zur Zeit die deutliche Tendenz in den Vereinten Nationen, die .Rechte der Völker" auf Kosten von Individualrechten zu stärken. Die Deklaration des Rechts auf Entwicklung 134 ist ein Beispiel hierfür. Zum anderen ist zu befürchten, daß neue Kodifikationen mit Formelkompromissen und Einschränkungen belastet sind. Dies kann mittelbar auch zu einer Abwertung der existierenden Verbürgungen führen. Anzustreben ist daher primär eine Verbesserung der Verfahren zur Durchsetzung der Menschenrechte, wobei allerdings eine Orientierung an dem Vorbild der Europäischen Menschenrechtskonvention ausscheidet. Die Staaten des Ostblocks und weite Teile der Entwicklungsländer sind nicht bereit, die mit derartigen Verfahren verbundenen Einschränkungen ihrer Souveränität zu akzeptieren. Aus diesem Grunde sind Vorschläge wie derjenige, einen Menschenrechtsgerichtshof1 35 zu errichten oder Menschenrechtsverletzungen auch ohne Einwilligung des betroffenen Staates durchführen zu können, nicht realisierbar. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn für den Menschenrechtsausschuß und die Rassendiskriminierungskommission ein Verfahren entwickelt würde, mit dem diese Gremien die Reaktion der Vertragsstaaten auf ihre Stellungnahmen verfolgen könnten. Denkbar wäre ein entsprechendes Fragerecht in der Generalversammlung. 136 Erwägenswert erscheint auch der Vorschlag, die Position der Menschenrechtskommission aufzuwerten und sie zu entpolitisieren. 137 Letzteres würde voraussetzen, daß sie, wie der Menschenrechtsausschuß und die Rassendiskriminierungskommission, mit unabhängigen Experten besetzt 134 Vgl. dazu Declaration on the Right of Development A/RES/41/128 vom 4. Dezember 1986, kritisch Christian Tomuschat, GYIL 25 (1982), Das Recht auf Entwicklung, S. 85 ff., und Partseh, VN 34 (1986), Menschenrechte und .Rechte der Völker". 135 Vorgeschlagen bereits 1948 von Australien (E/CN.4/AC. 1/27), vgl. im übrigen UN Doc. Al10235, S. 33. 136 Tomuschat (Anm. 115), S. 161. 137 Haiti (A/Conf.32/L.14/Corr.l), Nigeria (AiConf.32/C.2/L.28) beispielsweise schlugen vor, der Menschenrechtskommission den Status des Treuhandrates zu geben, ebenso AIAC. 62/9 § 62 sowie Italien (All0113/ Add.l).

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wird, auch wenn in der Praxis damit keine Unabhängigkeit aller ihrer Mitglieder erreicht werden kann. Eine institutionelle Aufwertung der Menschenrechtskommission hätte möglicherweise ebenfalls einen entpolitisierenden Einfluß auf die Entscheidungen der Generalversammlung in Menschenrechtsfragen. Denkbar wäre es auch, dem Generalsekretär Befugnisse im Bereich des Menschenrechtsschutzes einzuräumen. Es ist vorstellbar, daß er über das Instrumentarium der guten Dienste in Fällen Abhilfe schaffen kann, die für eine Untersuchung nicht zugänglich sind. Nicht unproblematisch erscheint dagegen der lange diskutierte Vorschlag, einen Hochkommissar für Menschenrechte 138 einzusetzen, da es schwierig ist, seine Aufgaben mit den bestehenden Verfahren abzustimmen. Abgesehen davon ist es fraglich, ob die Kompetenzen des Hochkommissars wirklich in der Hand einer Person liegen sollten. Der Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland, ihm Berater aus allen Regionen beizugeben, würde diesem Gesichtspunkt Rechnung tragen, ohne allerdings die Bedenken an dieser Institution völlig zu zerstreuen. Ebenso problematisch ist der Vorschlag, regionale Menschenrechtskommissionen einzurichten, soweit diese dazu führen, daß die bisherigen Menschenrechtsstandards unterschritten werden. Insgesamt scheint trotz des wenig befriedigenden Durchsetzungsverfahrens im Bereich des Menschenrechtsschutzes das derzeit Mögliche weitgehend erreicht zu sein. Es dürfte hier eher die Aufgabe sein, das Erreichte zu bewahren.

VI. Zusammenfassung Eine Reform der Vereinten Nationen muß auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Sie darf sich keinesfalls auf eine institutionelle Reform beschränken; geändert bzw. entwickelt werden müssen auch die Einstellung gegenüber den Vereinten Nationen bzw. die Grundlagen, auf denen die institutionalisierte Zusammenarbeit der Staaten basiert. Zu einem wesentlichen Teil beruht die derzeitige Kritik an den Vereinten Nationen auf einer übersteigerten Erwartu~gshaltung ihnen gegenüber. Die Vereinten Nationen können nur den realen Zustand der Staatengemeinschaft widerspiegeln. 139 Zwar haben die Vereinten Nationen ein Normengerüst geschaffen, das sich in gemeinsamen Werten der Staatengemeinschaft niedergeschlagen hat. Diese Entwicklung ist aber nur teilweise abgeschlossen. Ein anerkanntes Wertesystem normativer Art besteht nur für den Bereich des Menschenrechtsschutzes und das Gewaltverbot; es fehlt für den Wirtschafts- und Sozial bereich. Das Äquivalent der Universellen Vgl. dazu UN Doc. A/10235, S. 30 ff. Deutlich in diese Richtung Mowalfak Allal, The UN Crisis: A Crisis in Global MultiJateralism? (Walther-Schücking-Kolleg 5), Bonn 1986. 138 139

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Erklärung der Menschenrechte im Wirtschafts- und Sozialbereich ist umstritten geblieben. Im Bereich der Friedenssicherung beschränkt sich zudem der Konsens auf die abstrakte Ablehnung der militärischen Gewalt als Mittel der Politik. Auf allen drei Ebenen sind daher die Vereinten Nationen in unterschiedlicher Form gefordert. Während es im Bereich des Menschenrechtsschutzes primär darauf ankommt. die Durchsetzung zu verbessern. muß für den Wirtschafts- und Sozialbereich ein Grundkonsens erst noch erzeugt und im Bereich der Friedenssicherung der theoretisch bestehende Grundkonsens in der Politik der Staaten sichtbar gemacht werden. Vor allem die Entwicklung eines Grundkonsenses im wirtschaftlichen und sozialen Bereich wird zwangsläufig von Spannungen geprägt sein. Jedoch sind nur die Vereinten Nationen in der Lage. aus diesen Spannungen einen Grundkonsens der Staatengemeinschaft zu entwickeln. Voraussetzung für ein Gelingen ist die aktive Mitarbeit aller Staaten an diesem Prozeß. Bei der Reform der Vereinten Nationen ist zu berücksichtigen. daß die Charta bewußt als ein Rahmen angelegt war. den die Praxis der Vereinten Nationen zu konkretisieren und auszufüllen hatte. Der Vorwurf. die Vereinten Nationen hätten ihre ursprüngliche Aufgabenzuweisung verlassen. wird daher dem Gehalt der Charta nicht gerecht. Er verkennt. daß die Ziele der Vereinten Nationen vielfältig und dennoch untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Aufspaltung der .Organisation der Welt" (Schücking) in wirtschaftliche Funktionen einerseits und Friedenssicherung andererseits. wie sie von Bertrand angeregt wird. übersieht den politischen Realismus der Charta. der sich gerade darin zeigt. daß die vielfältigen Ziele und Aufgaben der Organisation institutionell und programmatisch miteinander verflochten werden. Die Reform der Vereinten Nationen ist damit als ein ständiger. dynamischer Prozeß zu begreifen. mit dem die Institutionen der Vereinten Nationen und deren Aktivitäten auf die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen der Mitgliedstaaten reagieren und deutlicher als bislang reagieren müssen. Insofern hat die Mitwirkung der einzelnen Mitgliedstaaten in den Vereinten Nationen für die Gestaltung der Organisation zentrale Bedeutung. Dies ist von den westlichen Industrienationen in der Vergangenheit nicht immer berücksichtigt worden. Viele der heute beklagten Empfehlungen der Vereinten Nationen sind von dieser Gruppe mitgetragen worden. obwohl deren Problematik erkannt war. Auch wenn Mehrheitsentscheidungen nicht zu verhindern sind. sollten doch unausgewogene Entschließungen nicht unwidersprochen bleiben. auch eine achselzuckende Enthaltung ist nicht ausreichend. Das Konsensprinzip gibt auch einer kleinen Staatengruppe die Möglichkeit. sich Gehör zu verschaffen. zumal Konsensentscheidungen ein anderer Stellenwert beigemessen wird als Mehrheitsbeschlüssen.

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Institutionell wird es in Zukunft darauf ankommen, einer weiteren Vermehrung der Spezialorgane und Sonderorganisationen entgegenzuwirken und das existierende System zu vereinfachen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß das System der Vereinten Nationen von vornherein dezentral angelegt ist und angelegt sein muß. Dem hierin liegenden Wettbewerb zwischen einzelnen Organisationen sowie dem sich hieraus ergebenden verstärkten Einwirkungsmöglichkeiten für einzelne Staaten steht eine möglicherweise verringerte Effizienz im operativen Bereich gegenüber. Für die Neuordnung des Wirtschafts- und Sozialbereichs ist wesentlich, daß der ECOSOC von den Funktionen und seinem Status her in die Lage versetzt wird, seine Aufgabe zu erfüllen. Darüber hinaus sollte für diesen Bereich eine nachträgliche Erfolgsbewertung institutionell verankert werden. Die .Joint Inspection Unit" in ihrer derzeitigen Gestalt vermag diese Funktion nicht zu leisten. Ihr fehlt vor allem ein geeigneter Prüfungsrahmen. Dieser kann bei den Vereinten Nationen nicht rechtspositivistischer Natur sein; ebensowenig ist die zur Zeit ausgeübte bürokratisch-administrativ angelegte Kontrolle der .Joint Inspection Unit" angemessen. Gleiches müßte schließlich auch für eine rein interessenbezogene Wertung der Arbeit der Vereinten Nationen geiten. Eine Evaluierung der Tätigkeit der Vereinten Nationen muß die drei angesprochenen Kriterien vereinen: Entscheidend effektivere Organisation, politische Kooperation und Interessenausgleich unter Wahrung und Fortentwicklung des Völkerrechts. Im Sinne dieser Kriterien ist eine Selbstbewertung und Selbstkontrolle der Vereinten Nationen erforderlich. Sie würde die Akzeptanz der Vereinten Nationen bei ihren Mitgliedern stärken. Auf diese Weise bleiben die Vereinten Nationen auf ihre Mitglieder angewiesen, wie auch die Vereinten Nationen für ihre Mitglieder unverzichtbar sind.

Diskussion zum Referat von Rüdiger Wolfrum

Delbrück:

Herzlichen Dank für das umfassende Referat; ich hatte wohl nicht zuviel versprochen. Mir ging eben durch den Kopf: Vor 13 Jahren haben wir ja ziemlich alle Themenkomplexe, die in diesem Referat vorkamen, auch in dem damaligen Symposium angesprochen. Allerdings haben wir damals vier Referate gebraucht, in diesem Falle nur eines. Das zeigt, daß es hier gelungen ist, ein ganz komplexes Problem - wie ich meine - sehr transparent und sehr konzentriert zusammenzufassen. Ich glaube, wir können uns auf eine interessante Diskussion freuen. Vol/ers:

Ich möchte Herrn Delbrück Recht geben. Das war ein umfassendes, ein Kolossalgemälde, und wir werden im Auswärtigen Amt sicher noch Jahre brauchen, um das aufzuarbeiten. Aber ich möchte nur zwei kleine Aspekte aus dem Gebiet der Streitschlichtung herausgreifen, die Herr Wolfrum angesprochen hat. Er hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß die institutionelle Reform relativ unwichtig ist. Wir haben ja, wie Herr Bazing schon gestern gesagt hat, kontinuierlich Reformdiskussionen, die kurz nach Gründung der Organisation bereits angefangen haben. Und die Tendenz war immer, in die Institutionen zu gehen, aber die praktische Anwendung der guten Ideen dann etwas hintenanzustellen. Und das trifft unserer Ansicht nach auch auf den rumänischen Vorschlag zu, den Sie angesprochen haben, der noch einmal eine neue Institution zur Streitschlichtung hervorbringen wollte. Eine Institution, die eigentlich nach unserer und vieler anderer Ansicht nichts Neues gebracht hätte und deswegen auch keinen rechten Widerhall gefunden hat. Die Rumänen haben ganz konsequent, weil es in erster Linie darum ging, überhaupt etwas vorzuzeigen, angesichts der Vorbehalte einfach die Anforderungen gesenkt und haben damit noch deutlicher gemacht, daß sie eigentlich damit nichts Neues bringen. Denn worum es geht, wenn wirklich etwas passieren soll, ist, daß die Parteien irgendwo gedrängt sind, miteinander zu sprechen und dazu gibt es an sich durchaus genug Institu-

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Diskussion

tionen, auch innerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen. Für uns speziell war natürlich auch unser eigener Vorschlag zur Prävention von Konflikten Grund zur Zurückhaltung, mit dem dieser rumänische Vorschlag in gewissem Maße in Konflikt stand. Wir sind der Ansicht, daß unser Vorschlag, der wahrscheinlich im nächsten Frühjahr beschlossen wird, mehr Chancen hat und realistischer ist. Denn er zielt darauf, die Institutionen, die da sind, darauf aufmerksam zu machen, daß sie gewisse Aufgaben haben und daß sie die wirklich wahrnehmen sollen, indem der Sicherheitsrat, indem der Generalsekretär bereits im Vorfeld von Konflikten wirklich tätig wird. Das ist nichts Neues, aber das soll eben gerade den Aspekt unterstreichen, daß der Geist entscheidender als die Institutionen ist. Institutionen wie Sicherheitsrat und Generalsekretär müssen sich ihrer Pflichten mehr bewußt werden und müssen sich mehr um diese Fragen kümmern. Sie sollten nach unserer Ansicht bereits im Vorfeld von Konflikten auf diese Konflikte einwirken, sich informieren und mit den Parteien sprechen. Ein konkretes Beispiel für unsere Vorstellung ist unsere Flüchtlingsinitiative. Sie ist insofern eine Neuerung, als hier erstmals in einer Resolution der Generalversammlung der Generalsekretär offiziell beauftragt wird, bereits vor Konflikten tätig zu werden, Informationen zu sammeln und diese Informationen in eigener Verantwortung der Generalversammlung bzw. dem Sicherheitsrat zur Kenntnis zu bringen. In dem Zusammenhang hat sich auch eine konkrete Institution ergeben. Durch die entsprechende Resolution wurde der Generalsekretär gebeten, ein Büro einzurichten, in dem Informationen gesammelt und ausgewertet werden. Das widerspricht zwar etwas meiner These, daß es nicht um Institutionen geht, aber zugleich mit der Errichtung des Büros hat er auch die Aufgabe übernommen, initiativ zu werden, Informationen zu sammeln und auszuwerten und das Resultat dieser Auswertung im Rahmen der VN zu nutzen. Das Büro kann eben noch nicht voll tätig sein, weil es gewisse politische Schwierigkeiten gibt; von welchen Seiten sie kommen, ist ganz offensichtlich, aber wir hoffen, daß auch diese bis zum Jahresende beseitigt sind. Der zweite Aspekt, den ich herausgreifen wollte: Herr Wolfrum erwähnte, daß in Kanada für die Streitkräfte ein ausdrücklicher Auftrag besteht, für die VN-Friedenstruppen zur Verfügung zu stehen. Das ist sehr lobenswert, zumal dies in einem gewissen Gegensatz zu anderen Mitgliedsländern der VN steht, in denen die eigene Verfassung es geradezu verbietet, daß Friedenstruppen von ihrem Land gestellt werden können. Man fragt sich, ob hier in Kanada vielleicht ein Geist vorherrscht, der den VN sehr viel positiver gegenübersteht, als es die Rechtslehre in manchen anderen Mitgliedsländern zum Ausdruck zu bringen scheint.

Diskussion

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Delbrück: Vielen Dank Herr Vollers. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich jetzt nach jedem Diskussionsbeitrag meinerseits etwas sage. Ich wollte nur einen Gesichtspunkt aus Ihren Ausführungen noch einmal'"besonders den Diskutanten ans Herz legen, nämlich das Problem einer effektiveren Nutzung vorhandener normativer Ansätze der Charta, etwa die Funktion des Generalsekretärs in der Prävention von Konflikten, die AufgabensteIlung des Sicherheitsrates in diesem Sinne, die Funktion der Generalversammlung nach Art. 14 der Charta, auch auf dem Hintergrund von Art. 19 der Völkerbundsatzung. Dies sollte mitreflektiert werden, wenn wir hier über Reformansätze institutioneller Art oder auch prozeduraler Art, wie z. B. eine neue Verfahrensordnung friedlicher Streitbeilegung, reden. Ich glaube, man muß die Reformdiskussion auf diesem Hintergrund der ChartaBestimmungen führen, sonst ist die Verführung groß, sich gleich auf etwas Neues zu stürzen und zu sagen: das gibt einen neuen Impetus und ist schick. Dann aber würden wir genau das tun, was sonst kritisiert wird, nämlich die Hypertrophie der Organe der VN noch zu verstärken. Ich wollte damit nur einen allgemeinen Hinweis für die Diskussion geben.

Zemanek: Eine Information zu dem letzten Punkt: Wir haben in Österreich bundesverfassungsgesetzliche Vorschriften über den Einsatz von Streitkräften zu friedenserhaltenden Operationen. Aber das war nicht der Punkt, zu dem ich sprechen wollte. Ich teile die Meinung von Herrn Wolfrum, daß der ECOSOC-Bereich wahrscheinlich der wichtigste und auch fruchtbarste Bereich für die reelle Reform ist. Ich stimme mit seiner Analyse voll überein, daß das ACC ein ungeeigneter Körper für die Koordination ist. Und zwar deshalb, weil in ihm die obersten Verwaltungsbeamten (Generalsekretär oder Generaldirektor) der einzelnen Organisationen sitzen, die nicht in der Lage sind, jene Beschlüsse ihrer Beschlußfassungorgane zu verhindern, die eine Duplizität der Aktivitäten verursachen. Ich glaube, und da möchte ich einen eigenen Gedanken einbringen, daß einer der Gründe auch darin liegt, daß wir die Koordination auf nationaler Ebene nicht bewältigen. Denn das Problem entsteht ja in einem hohen Maße daraus, daß innerstaatlich eine Zersplitterung der Kompetenzen auf verschiedene Ressorts besteht. Und zumindest in meinem Land muß ich aus jahrelanger, leidvoller Erfahrung sagen, daß die Koordination absolut nicht klappt. Wir haben zwar in einem .Bundesministeriengesetz· eine Mitwir-

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kungskompetenz des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in allen diesen Fragen, aber das funktioniert nicht. Das heißt, die Delegation des Landwirtschaftsministeriums, die zu FAO oder die Delegation des Sozialministeriums, die zur ILO fahren, unterrichten das Außenministerium schlicht und einfach nicht oder nur unvollkommen von den Ereignissen. Und soweit nicht eine am Ort bestehende ständige Vertretung Dokumente an das Außenministerium vorlegt, weiß man überhaupt nicht, was geschehen ist. Und wenn es Duplizitäten gibt, sind wir national einfach nicht imstande, das auszuräumen. Ich glaube, man müßte zweierlei tun. Erstens einmal die Staaten stärker darauf hinweisen, daß sie national für eine bessere Koordinierung sorgen müssen. Zweitens aber, durch eine Änderung der co-operation agreements zwischen Sonderorganisationen und den VN eine stärkere Kooperation zwischen den governing bodies der Spezialorganisationen und dem ECOSOC herstellen. Denn nur diese Organe können verhindern, daß Beschlüsse gefaßt werden, die zu Duplizitäten führen. Der oberste Verwaltungsbeamte ist nicht nur in seiner Kompetenz beschränkt, sondern hat ein Interesse an bürokratischer Ausweitung, ist also gar nicht so interessiert daran, neue Aktivitäten nicht aufkommen zu lassen. Eine kurze Bemerkung zu einem zweiten Punkt, die ähnlich leidvollen Erfahrungen entspringt. Ich kann ihnen nur zustimmen, Herr Wolfrum, wenn sie sagen, daß die Staaten sich endlich bequemen sollten, den Resolutionen, die sie nicht mögen, auch wirklich zu widersprechen. Ich führe den Kampf darum seit mehr als 20 Jahren und habe ihn praktisch immer verloren. Ich glaube, daß das auf die verschiedenen Denkweisen von Juristen, Diplomaten und Politikern zurückzuführen ist. Diplomaten und Politiker denken mehr ans Heute und vielleicht noch ans Morgen; und zwar als strukturelle Denkart. Juristen denken eher mittelfristig, weil sie bei der Konzeption von Rechtsvorschriften immer antizipieren müssen, was in der Zukunft geschehen wird und wie man das regelt. Wann immer ich gesagt habe, dieser Resolution müßte man widersprechen, denn sie könnte in der Zukunft unangenehme Folgen haben, kam regelmäßig die Frage: Wann? Wenn ich geantwortet habe, das ließe sich nicht berechnen, aber in fünf oder zehn Jahren könnte das Problem vielleicht virulent werden, dann haben die Politiker gesagt, wahrscheinlich ist dann die Opposition an der Macht und der wünschen wir Probleme. Die Beamten wieder, je höherrangiger und je näher der Pensionsgrenze sie waren, haben sich mit der Ansicht getröstet: das wird mein Nachfolger zu lösen haben. Sie sehen, die Kommunikation ist schwierig. Eine zukunftsgerichtete Denkweise ist, glaube ich, nicht unbedingt die Stärke der Diplomaten und Politiker.

Diskussion

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Skubiszewski: Ich denke, daß das Ziel der Verbesserung der Praxis der VN, nämlich des Verhandlungsprozesses und der diesbezüglichen Verhandlungsprozedur, auch für die Entschließungen der Generalversammlung und anderer VNOrgane gilt. Das Thema wurde gestern bereits besprochen und von mehreren Diskussionsteilnehmern berührt. Herr WollrUIß sprach dies heute auch kurz an. Mit Herrn Zemanek habe ich darüber sogar mehrere Jahre lang in einem Ausschuß des Institut de Droit International gearbeitet. Deshalb erachte ich es für wichtig, ein paar Worte darüber zu verlieren, besonders weil Herr Wollrum darauf kaum eingegangen ist. Fassen Sie bitte diese Bemerkung, Herr WollrUIß, nicht als Kritik zu Ihrem Vortrag auf; Sie konnten einfach nicht alle Probleme ansprechen. Wie Herr Ress gestern mit Recht sagte, die Resolutionen der Generalversammlung sind ein wichtiger Teil des internationalen Kommunikationsprozesses. Auch Herr Magiera hat dies gestern zu Recht angesprochen. Herr Beyerlin sprach in diesem Zusammenhang von einer Flut von Resolutionen, die die Arbeit der Generalversammlung stark beeinträchtigt. Herr Tomuschat schrieb am Anfang dieses Jahres in einem Beitrag zu diesem Problem von dem Maximalismus dieser Entschließungen. Ich denke, daß die Politiker, die Diplomaten, die Juristen, auch die Politologen in diesem Bereich durchaus etwas bewegen können. Es liegt im Interesse des Völkerrechts, die Ausarbeitung der Resolutionen und besonders der normativen Resolutionen der GV, aber auch die der anderen Organe, wie z. B. des Wirtschaftsund Sozialrats, zu verbessern. Ich meine, das ist keine unmögliche Aufgabe, wenn man im bescheidenen und rationalen Rahmen bleibt. Wir, die wir hier für zwei Tage versammelt sind, sollten einige Vorschläge dazu unterbreiten. Ich würde folgendes vorschlagen: Erstens, wie Herr Tomuschat in seinem Beitrag - auch Herr Zemanek sprach gestern davon -, bin ich grundsätzlich für eine radikale Verminderung der Zahl der wiederholenden Entschließungen. Doch wie sich gestern in der Diskussion ganz richtig gezeigt hat, gibt es Situationen, wo Wiederholungen erwünscht oder unentbehrlich sind. Eine Präzisierung dieser Praktik ist also erforderlich. In jedem Fall ist eine Mäßigung am Platze. Dem, was die Herren Schreuer und Vollers gestern sagten, kann ich insofern zustimmen, als die Wiederholung oft auch Ausdruck von Ohnmacht und Hilflosigkeit bestimmter Organisationen der VN ist. Die wiederholende Entschließung stellt sich damit nicht immer als eine Bekräftigung der Auffassung dar. Der Einfluß auf die öffentliche Meinung ist zudem oft problematisch. Mein zweiter Vorschlag: Wir brauchen eine Verbesserung der redaktionellen Arbeit, was die Ausformulierung der Resolutionen betrifft. Insbesondere sollte man Ausdrücke und Redewendungen vermeiden, die nicht klar zum Ausdruck bringen, ob die Resolution das geltende Recht lediglich 11 UN·Reform

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feststellt oder ob eine neue Regelung bzw. die Revision des bisherigen Rechtszustandes angestrebt wird. Die dritte Anmerkung ,faßt einen sehr konkreten Punkt ins Auge. Wir wissen, daß die Resolutionen den Begriff .Grundsatz· in verschiedenem Sinn verwenden. Das ist eine Tatsache, die man leider nicht ändern kann. Man muß aber auch hier nach einem einschränkenden Gebrauch dieses Begriffes streben. Als .Grundsätze" beschreiben die Resolutionen nämlich nicht nur normative Aussagen, dem stimme ich voll zu, sondern auch sehr generelle Ziele und Zwecke, ja sogar juristische oder politische Postulate, Vorschläge zur Änderung des bisherigen Rechts oder für das Schaffen neuen Rechts. Das ist meiner Meinung nach höchst bedenklich, da dies eine Vielzahl terminologischer Mißverständnisse verursacht. Viertens: Bei der Ausarbeitung normativer Resolutionen braucht man juristischen Fachverstand. Und wie wir alle wissen, verfügen die Vereinten Nationen über eine Vielzahl hochqualifizierter Juristen; daran mangelt es also nicht, der 6. Ausschuß zeigt das. Diese juristischen Fachkenntnisse werden aber nur sehr selten in Anspruch genommen. Woran das liegt, ist wohl mehr eine Frage der Formulierung. Es kann mit der Natur des Organs zusammenhängen, aber es ist auch eine Frage des nicht ausgenutzten Konsultationspotentials der Kommission für Völkerrecht; darüber hinaus wirft dies die Frage nach der Zusammenarbeit der juristischen Experten mit dem Sekretariat auf. Fünftens: Oft gibt es eine Vielzahl von Entwürfen großer Resolutionen und Deklarationen. Diese Entwürfe sollten unter den Mitgliedstaaten, vielleicht auch unter einigen juristischen Fachorganisationen, in Umlauf gesetzt werden, ähnlich wie bei den Vertragsentwürfen. Das, denke ich, würde die Ausarbeitung dieser Texte wesEmtlich vereinfachen und verkürzen. Sechstens und abschließend: Das zuständige Hilfsorgan sollte Eile und Hast in der Vorbereitung der Resolution vermeiden. Uns ist der Fall der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten wohl allen noch gut in Erinnerung. Dieser Text war sehr schnell, zu schnell, produziert. Die Resultate sind bekannt. Diese Vorschläge, die ich hier unterbreite, sind eigentlich ganz bescheiden, man könnte auch sagen elementar. In der praktischen Arbeit der VN finden sie jedoch nur sehr selten Verwendung. Dies ist mit eine Ursache für so viele verunglückte Resolutionen. - Ich danke Ihnen.

Delbrück: Vielen Dank Herr Skubiszewski. Ich glaube, Sie haben hier ein sensibles Thema angeschnitten. Diejenigen, die auch nur ein biß ehen Kontakt gehabt

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haben mit der Organisation, werden wissen, daß diese - für Juristen Selbstverständlichkeit im politischen Prozeß nicht eben einen großen Konsensus findet, weil wir es ja eben laut Wunsch der Väter der Charta mit einem politischen System zu tun haben. Ich halte dies wirklich für einen fundamentalen Konzeptionsfehler, weil für die Vereinten Nationen anders als im Völkerbund - gesolltes Recht, ich würde sagen, sekundär angesetzt worden ist. Und das zeigt sich ja in der Praxis durchgängig. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie diesen Gedanken eingefügt haben. Partseh:

Herrn Wolfrum bin ich vor allem deswegen dankbar, weil ich dabei bin, Art. 68 der VN-Charta zu interpretieren, und er mir mit seinem Vortrag wesentlich geholfen hat. Angesichts der Fülle des von ihm ausgebreiteten Materials stellt sich die Frage, wo bei ECOSOC mit Reformen anzusetzen ist. Es existieren drei Säulen von Unterorganen. Von den regionalen Kommissionen war schon gestern die Rede, und es scheint mir auch im Sinne der Analyse von M. Bertrand zu liegen, bei ihnen nicht viel zu ändern. Neben der ECE, deren Existenzberechtigung außer Frage steht, nehmen die anderen Regionalorganisationen wichtige Funktionen der Koordinierung von Entwicklungshilfe wahr, die nicht beschnitten werden sollten. Auch bei den funktionalen Kommissionen - alle schon 1946/47 gegründet - besteht kein dringender Reformbedarf, wohl aber bei den Ständigen Kommissionen, bei denen erhebliche Überschneidungen vorliegen. Nebeneinander besteht da ein allgemeiner Koordinierungsausschuß und ein besonderer Ausschuß für die Koordinierung von Sonderorganisationen. Das ist ein Konstruktionsfehler; denn die Arbeit der Unterorganisationen ist nur sinnvoll zu koordinieren, wenn man die Sonderorganisationen einbezieht. Herr Wolfrum hat zwar gesagt, rein organistorische Maßnahmen seien nicht so wichtig, aber bei den Ständigen Ausschüssen sollte der Wildwuchs aus den 60er Jahren gelichtet werden. Das würde keine Änderung der Charta erfordern und wesentlich die Effizienz dieser Organe erhöhen. Eine andere Materie sind die Expertengremien im Menschenrechtsbereich. Herr Wolfrum meinte, sie seien entpolitisiert, da sie aus Experten bestehen. Dem Rassendiskriminierungsausschuß gehöre ich nun seit 18 Jahren an, kann das aber leider nicht bestätigen. Allenfalls ist er etwas abgerückt von der Politisierung. Als ich letztes Jahr die Behandlung der Türken in Bulgarien aufgriff, konnte ich das nur wagen, wenn ich auf Verbündete rechnen konnte; ich fand sie unter den Mitgliedern aus sämtlichen moslemischen Staaten. Solche politischen Erwägungen sind leider nicht ganz zu vernachlässigen, wenn man wirkungsvoll arbeiten will. 11 •

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Eine wichtige Frage ist, ob die Organe selbst etwas tun können, um ihre Wirksamkeit zu verbessern. Obwohl von einigen Mitgliedern eine Kompetenzüberschreitung befürchtet wurde, hat der Rassendiskriminierungsausschuß es doch gewagt, die Berichtsstaaten einzuladen, Vertreter zu entsenden, um ihre Berichte zu erläutern und für Fragen zur Verfügung zu stehen. In der Konvention war das nicht vorgesehen, ist aber im ganzen Menschenrechtsbereich eingeführt worden. Diese Neuerung beruht auf eigener Initiative und war nicht leicht durchzusetzen. Ein Mitglied des Ausschusses wurde sogar abberufen, weil es ihm nicht gelang, das zu verhindern. Dagegen war vor allem die Sowjetunion, deren Haltung sich allerdings in Menschenrechtsfragen unlängst ganz erheblich geändert hat. So hat der Rat der Obersten Sowjets zahlreiche zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilte Dissidenten, deren Fälle einem Menschenrechtsorgan vorlagen, begnadigt. International anhängige Fälle werden jetzt geregelt, was es vor Jahren kaum gegeben hat. Zurück zur Frage, was kann so ein Organ aus eigener Initiative selbst tun, um effektiver zu arbeiten? Ein Vorbild ist der Menschenrechtsausschuß, der viel getan hat, um seine Arbeit wirkungsvoll zu organisieren, noch mehr als der Rassendiskriminierungsausschuß. Dieser hatte zwar den Erfolg mit der Einladung der Staatenvertreter, könnte aber durchaus einiges von dem Menschenrechtsausschuß übernehmen, was seine Arbeitsmethoden betrifft, z. B. eine unterschiedliche Behandlung von Erstberichten und Zweitberichten. Bisher ist das trotz mancher Versuche nicht gelungen. Unter der gegenwärtigen Finanzmisere bestehen einige Hoffnungen. Auf diese beiden Punkte möchte ich mich beschränken. Delbrück:

Darf ich bitten, daß Herr Tomuschat jetzt die Diskussionsleitung übernimmt. laenicke:

Ich möchte zunächst zur Frage der Vermehrung der Unterorgane und Programme der GV im wirtschaftlichen Bereich Stellung nehmen. Herr Wolfrum hat die Kompetenz der GV zu operativen Tätigkeiten in diesem Bereich im Prinzip bejaht. Das ist sicher insoweit richtig, als die GV die maßgebenden Bestimmungen der Charta in ständiger Praxis in dieser Richtung ausgelegt hat, obwohl sie meines Erachtens so nicht gedacht waren. Man kann sogar, wenn man die Charta genau liest, daraus das Gegenteil entnehmen. In Art. 56 der Charta heißt es nämlich, daß die Mitgliedstaaten sich verpflichten, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 proklamierten Ziele zu erreichen.

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Man kann daraus entnehmen, daß die operative Tätigkeit grundsätzlich auf der Ebene der Mitgliedstaaten in Kooperation mit der Organisation geschehen sollte, gegebenenfalls auch durch Errichtung von Sonderorganisationen gemäß Art. 57 bis 59 der Charta. Die Organe der Vereinten Nationen sollten nach dieser Konzeption lediglich eine Koordinierungsfunktion haben. Die Praxis ist jedoch über diese enge Auslegung inzwischen hinweggegangen und es hat keinen Zweck, darüber im einzelnen zu diskutieren. Ich glaube aber, daß eine richtige Entwicklung eingesetzt hat, solche Unterorgane der GV, die im Grunde autonome Organisationen sind wie UNCTAD und UNIDO, zu selbständigen Organisationen zu machen und nicht als Unterorgan zu belassen. In der Satzung der UNIDO, bevor sie in eine eigenständige Spezialorganisation umgewandelt wurde, fand sich der seltsame Satz, daß sie eine Organisation und gleichzeitig ein Organ der GV sei. Ich meine, es wäre nützlich, auch sonstige Fonds und Programme der UN einschließlich ihres organisatorischen Mechanismus in eigenständige Spezialorganisationen umzuformen. Das hätte den Vorteil, daß sie ein eigenes Budget hätten, daß nur diejenigen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen an ihnen teilzunehmen brauchten, die verantwortlich für die Finanzierung sind, und daß das Budget der VN von der Finanzierung dieser Unterorgane und Programme der VN entlastet werden könnte. Es wird vielleicht nur ein frommer Wunsch bleiben, daß diese Umstrukturierung durchgeführt wird. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß die Empfängerländer es leichter finden, ihre speziellen Interessen durch die Bildung von Unterorganen der GV zu artikulieren und durchzusetzen als in den Spezialorganisationen. Nun etwas zur Entwicklung eines globalen Streitregelungsmechanismus in den VN. Ich habe Zweifel, ob es je möglich sein wird, einen Streitregelungsmechanismus oder ein Schlichtungsorgan, das sozusagen global für alle Arten von Streitigkeiten zwischen den Staaten zuständig wäre, zu schaffen. Die Staaten sind alle sehr zurückhaltend, sich einem Streitregelungsmechanismus zu unterwerfen, ehe sie nicht genau wissen, welche Streitigkeiten darunter fallen können und nach welchen Regeln sie voraussichtlich entschieden werden würden, insbesondere, wenn etwa allgemeines Völkerrecht mit der Ungewißheit seiner Auslegung zur Anwendung gelangen soll. Solange eine solche Ungewißheit besteht, wird sich kaum eine Unterwerfung der Staaten unter einen umfassenden Streitregelungsmechanismus erreichen lassen. Andererseits existieren zahlreiche Verträge, in denen sich Staaten einer verbindlichen Streitregelung über die Auslegung und Anwendung dieser Verträge unterworfen haben. Sie haben es getan, weil sie wissen, welche Rechtsregeln in den dort möglichen Streitigkeiten angewendet werden. Das macht es den Staaten sehr viel leichter, sich einer verbindlichen Streitregelung zu unterziehen. So hat sich zum Beispiel die Sowjetunion in der Seerechtskonvention bereit erklärt, sich

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einem verbindlichen Streitregelungsverfahren zu unterwerfen, weil es hier nur um den begrenzten Bereich der Auslegung dieser Konvention geht. Auf diesem Wege sollte fortgeschritten werden. Demgegenüber sind die Erfahrungen mit der Unterwerfung unter eine allgemeine Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs, wie es die Fakultativklausel in Art. 36 des IGH-Statuts vorsieht, denkbar schlecht. Ich bin kein Freund einer solchen Unterwerfung; ich glaube auch nicht, daß sich noch sehr viele Staaten dieser Klausel unterwerfen werden, es sei denn, die Unterwerfung wird mit so weitgehenden Vorbehalten verbunden, daß sie ihren Wert verliert. Nun zu einem letzten Punkt: Herr Skubiszewski hat mit Recht gemahnt, in den Deklarationen der GV, die die Regeln des Völkerrechts formulieren wollen, genauer kenntlich zu machen, was bereits als geltendes Recht betrachtet wird und was de lege ferenda gemeint ist. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die GV das tun würde. Aber leider ist es ja gerade so, daß mit fleiß Formulierungen gewählt werden, die es bei kontroversen Fragen möglich machen, sowohl zu behaupten, das sei bereits geltendes Recht, wie auch zu behaupten, dies seien lediglich Formulierungen de lege ferenda, eben weil man sich darüber nicht einigen kann. Aber ich meine, Ihre Mahnung ist im Prinzip berechtigt und sollte beherzigt werden.

Tomuschat: Vielen Dank, Herr Jaenicke. Herr Wolfrum hat mich gebeten, einmal zwischendurch Stellung nehmen zu können. Ich glaube, er sollte diese Möglichkeit erhalten, sonst wird es zuviel.

Wolfrum: Herzlichen Dank. Ich will von vorne anfangen. Herr Vollers, vielen Dank für den Hinweis auf die Flüchtlingsinitiative und die Möglichkeit, die dort dem Generalsekretär eingeräumt wird, tätig zu werden. Ich stimme Ihnen auch im zweiten Punkt, den Sie ansprachen, voll zu. Auch ich habe nur begrenztes Verständnis für eine Interpretation bestimmter Verfassungsbestimmungen, die praktisch einen Einsatz der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Friedenstruppen ausschließen. Dies leitet über zu Herrn Zemanek. Daß die österreichischen Gesetze diesen Auftrag der österreichischen Streitkräfte ausdrücklich festschreiben, war mir nicht bewußt, für den Hinweis bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar.

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Sehr wichtig ist der Verweis darauf, daß schon auf nationaler Ebene die Koordination zwischen den einzelnen Ressorts nicht funktioniert. Wie können wir aber dann erwarten, daß Aktivitäten von Sonderorganisationen und Spezialorganen sich in einem Land gegenseitig koordinieren können, wenn dies Land selbst nicht in der Lage ist, diese Koordinierung zu leisten. Herr Tomuschat meint, das jeweilige Außenministerium solle die notwendige Koordinierungsfunktion leisten. Dies ist natürlich eine Alternative, an deren Verwirklichung ich aber nicht recht glauben kann. Auf jeden Fall wäre eine Voraussetzung dafür, daß die Verbindung eines Landes zu den internationalen Organisationen, nicht wie es auch in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist, zu sehr ressortmäßig aufgespalten wird. Es wird häufig gefordert, daß die Kooperationsabkommen zwischen den Sonderorganisationen und den VN dazu benutzt werden sollten, aber nicht dafür benutzt werden, eine bessere Koordinierung zwischen den einzelnen Gremien herzustellen. Dieses Instrumentarium liegt brach. Allerdings ist auch der Abschluß dieser Abkommen außerordentlich mühsam, so daß von daher Zweifel daran entstehen könnten, ob wirklich hierüber eine effektive Gremienkooperation zu erreichen ist. Wenn ich auf Herrn Skubiszewski eingehe, greife ich nur einen Punkt aus seinem Beitrag heraus, den auch Herr laenicke ansprach. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß Generalversammlungsresolutionen sich in der Regel nicht danach aufspalten lassen, ob sie geltendes Recht enthalten oder rechtsfortbildend wirken wollen. Es ist schon an sich schwierig, in dieser Hinsicht zu differenzieren und die Sicht der einzelnen Staaten ist zudem durchaus unterschiedlich. Wie Herr laenicke, würde ich außerdem sagen, daß mit Absicht Begriffe gewählt werden, die beiden Seiten Recht geben; dies bezeichnet man dann etwas positiv und vielleicht zu positiv als nconstructive on ambiguity". In diesem Bereich hat sie allerdings durchaus Berechtigung. Vermieden werden muß daher, an Resolutionen der GV mit der Interpretationselle eines völkerrechtlichen Vertrages heranzugehen. Rechtsetzung ist nicht die Aufgabe einer Resolution und deswegen kann sie auch nicht den hohen Grad an Präzision erreichen, wie ihn ein Vertrag erreichen sollte. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß bestimmte Resolutionen in völkerrechtliche Verträge, ein Beispiel ist der Weltraumvertrag, Eingang gefunden haben und sich die genannten Unklarheiten dieser Resolution damit in dem entsprechenden Vertrag niederschlagen. Das bringt mich zu dem von Herrn DeJbrück kurz angesprochenen Punkt. Natürlich spielt rule of law für die VN eine geringere Rolle, als sie im Völkerbund spielen sollte. Aber es ist dies nun einer der Ansätze, unter denen die Charta steht.

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Herr Partsch hat zu Recht gesagt, daß im Grunde genommen der ECOSOC reformiert werden muß. Ich habe dies nur sehr kurz angesprochen. Ich stimme ihm weiter zu, daß sicher eine Reform der regionalen Wirtschaftskommissionen nicht vorrangig nötig ist. Die einzelnen Wirtschaftskommissionen haben sehr unterschiedliche Kompetenzen. Wenn man beispielsweise die ECE mit der afrikanischen Wirtschaftskommission vergleicht, werden die Unterschiede deutlich. Positiv wäre es, wenn alle Wirtschaftskommissionen mit gleichen Funktionen und gleichen Ressourcen ausgestattet würden. Ein Hauptproblem der regionalen Wirtschaftskommissionen liegt darin, daß ihr Verhältnis zu UNDP ungeklärt ist und insoweit ein Konkurrenzverhältnis besteht. Hinzu kommt, daß die ständigen Ausschüsse zur Zeit überlappende oder konkurrierende Funktionen haben und damit zu Verwirrungen innerhalb der ECOSOC beitragen. Sie erfüllen nicht die Funktion, die ihnen an sich zukommt, nämlich die Aufbereitung des vielfältigen Materials für den ECOSOC. Wenn ich gesagt habe, der ECOSOC solle Planungsfunktionen haben, setzt dies natürlich eine Vorbereitung voraus, dies wird von den ständigen Ausschüssen nicht geleistet. Herr Jaenicke, ich würde den Art. 56 der Charta etwas anders lesen als Sie. Aber Sie haben völlig Recht, die Diskussion darüber ist inzwischen fast obsolet. Es wird die Praxis akzeptiert, daß operative Tätigkeiten unter Art. 55 der Charta gefaßt werden. Ein Verweis auf das einschränkende Wort .fördern" erfolgt nicht mehr. Eine richtiggehende Diskussion zu diesem Punkt hat es in Einzelfällen gelegentlich in den Anfangsjahren gegeben, aber diese Diskussion ist sehr schnell verstummt. Es ist eben das Problem, daß die Charta auch an diesen Stellen, Herr Skubiszewski wies darauf hin, weit ge faßt ist, so daß die Interpretationsräume groß sind. Da keine Interpretationskontrolle existiert - was die GV mehrheitlich beschließt, kann nur noch schwerlich nachgeprüft werden -, ist die GV weitgehend unbeschränkter Herrscher über die Interpretation der Charta. Die gegenüber einer Unterwerfung unter die Rechtspraxis des IGH angemeldete Skepsis möchte ich teilen. Die Praxis des IGH zeigt, daß im Grunde genommen eine Beteiligung beider Streitparteien an der gerichtlichen Entscheidung nur noch dann stattgefunden hat, wenn die Entscheidung nicht aufgrund der allgemeinen Unterwerfungserklärung erging, sondern aufgrund eines speziellen Schiedsvertrages. Die letzten 10 Entscheidungen, an denen beide Streitparteien bis zum Ende mitgewirkt haben, betrafen Fälle, die nicht aufgrund einer allgemeinen Unterwerfungserklärung dem Gericht unterbreitet wurden. Erwägenswert wäre es sicher, die Spezialorgane in Sonderorganisationen zu überführen. Dies würde die GV entlasten und läge auch im Sinne einer Dezentralisierung. Wenn ich mir allerdings überlege, welche großen Mühen es bereitet hat, UNIDO in eine Sonderorganisation umzuwandeln, weiß ich

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einfach nicht, ob dieser Weg praktisch gangbar ist. Abgesehen davon zweifle ich dar an, ob ein derartiger Schritt politisch durchsetzbar ist. Viele Staaten wünschen die starke Anbindung an die GV. - Vielen Dank. Tomuschat:

Vielen Dank, Herr Wolfrum.Wenn ich noch ein Wort ergänzend dazu sagen darf. Solange eine Institution ein Unterorgan der GV ist, ist die Finanzierung gesichert, denn dann fließen die Gelder aus den allgemeinen Haushaltsmitteln. Sobald eine Sonderorganisation geschaffen wird, müssen zunächst Mitglieder beitreten, und die Finanzierung ist eben nicht gesichert. Bevor ich nun Herrn Klein das Wort gebe, darf ich die nächsten fünf Redner bekanntgeben: Herr Klein, Herr Hüfner, Herr Randelzhofer, Herr Ress und Herr Ginther. Nun aber zunächst Herr Klein. Klein:

Vielen Dank. Ich will zunächst an das Letzte anknüpfen. Die Frage der Errichtung von Sonderorganisationen hat bisher immer dazu geführt, daß zwar auf der einen Seite Sonderorganisationen errichtet, auf der anderen Seite aber diese Aufgaben nicht aus dem allgemeinen Bereich der Hauptorganisation herausgenommen wurden, so daß der Entlastungseffekt zwar theoretisch erreichbar wäre, jedoch in der Praxis nur in sehr seltenen Fällen wirklich eingetroffen ist. Das nur als Randbemerkung dazu. Nun zu den drei Punkten, die ich ansprechen wollte. Zunächst, Herr also in diesem ersten Komplex, den Sie angesprochen haben - auch auf die sich im Zuge der Zeit wandelnde Aufgabenverteilung zwischen GV und Sicherheitsrat hingewiesen. Dabei ist eine Vorschrift nicht genannt worden, vielleicht ganz zu Recht, weil sie in der Praxis tatsächlich keine große Rolle mehr spielt, nämlich der Art. 12 der Charta. Art. 12 Abs. 1 räumt in diesem Bereich der Friedenssicherung durch den Sicherheitsrat eindeutig Vorrang ein und läßt die GV - wenn ich dies so verkürzt sagen darf - nur subsidiär zum Zuge kommen. Vielleicht wäre zu überlegen, ob durch eine striktere Einhaltung dieser Vorschrift - auf deren Einhaltung vor allem der Sicherheitsrat selbst bestehen müßte - nicht erreichbar wäre, den Sicherheitsrat im Falle seiner Verantwortung stärker einzubinden, damit er seiner Rolle eher gerecht werden kann. Aber wie gesagt, das setzt natürlich vor allem einen Umdenkungsprozeß beim Sicherheitsrat selbst voraus.

Wolfrum, haben Sie im Bereich der Friedenssicherung -

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Der zweite Punkt betrifft die Frage, die Sie gleichfalls angesprochen haben, nämlich den Appell an die Staaten, möglichst frühzeitig die VN mit ihren Streitigkeiten zu befassen. Ich schließe mich diesem Appell durchaus an, aber die Frage ist, ob sich durch solche Appelle wirklich viel ändern wird. Es gibt wohl kaum einen Streit zwischen den Staaten, der die Bedingungen erfüllt, daß er den Weltfrieden oder den Regionalfrieden ernsthaft gefährdet, der nicht irgendwann bei den VN landet. Ich glaube, es ist nicht die Frage, ob der Streit früher oder später vor die VN kommt, sondern der Wille bzw. der Unwille, den Aufgaben der VN Rechnung zu tragen. Ich könnte mir vorstellen, daß etwa im Iran-Irak-Konflikt auch eine frühere Einschaltung der VN unter den gegebenen Umständen wenig bewirkt haben würde. Ich glaube nicht, daß es in anderen Konflikten sehr viel anders aussieht; ich überblicke dies zwar nicht ganz, es ist deshalb mehr eine Vermutung von mir. Mein dritter Punkt: Menschenrechte. Ich glaube, da muß man wirklich ganz deutlich die große, konstruktive Rolle hervorheben, die die VN in diesem Bereich gespielt haben. Hier haben wir zunächst den wesentlichen Punkt, daß die Menschenrechte, wie es ja auch die Pakte sagen, über ideologische Grenzen hinweg als Individualrechte, gestützt auf die Würde des Menschen und die Notwendigkeit des Schutzes der Menschenrechte, formuliert sind. Das zweite ist die heute wohl fast unbestrittene Auffassung, daß im Falle eines .consistent pattern of gross violations of internationally recognized human rights" anerkannt wird, daß sich die Staaten entsprechenden Vorwürfen gegenüber nicht auf ihre .domestic jurisdiction" beziehen können. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Entwicklung ohne die VN, auch ohne die GV, aber natürlich auch ohne die verschiedenen Expertengremien in dieser Form verlaufen wäre. Dazu gehört auch, um ein weiteres Beispiel zu nennen, die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts, so wie das Selbstbestimmungsrecht heute gefaßt ist, auch in seiner Bedeutung über die koloniale Phase hinaus. Dies alles wäre ohne die Aktivitäten der VN schlechterdings nicht denkbar. Noch zum Schluß eine Bemerkung, weil dieses Problem von Herrn Vollers und auch von Ihnen, Herr WolfrUIß, angesprochen wurde. Ich gehöre zu denen, die einem Einsatz der Bundeswehr zu UN-Einsätzen kritisch gegenüberstehen. Ich meine, daß sich das aus dem Grundgesetz begründen läßt. Ich würde aber jedenfalls aus verfassungspolitischen Gründen empfehlen, den Weg Österreichs zu gehen und eine eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage schaffen, wenn man das will. Hüfner:

Ich will zunächst noch kurz etwas zu meinen Vorrednern sagen. Herr

Jaenicke, auch ich wäre sehr skeptisch, Spezialorgane in Sonderorganisa-

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tionen zu verwandeln. Und zwar hat das überhaupt keine Chance innerhalb der westlichen Industriestaaten, weil das Problem, mit dem wir jetzt in der GV im Hinblick auf die budgetäre Entscheidung konfrontiert sind, sich nur multiplizieren würde, und das wäre der entscheidende Punkt. Ich gebe Ihnen aber insofern recht, als Sie sagten, die Finanzierung, zwar nur eine ganz bestimmte, nämlich die Verwaltungsfinanzierung dieser Institution, ist gesichert, solange es sich um Spezialorgane handelt. Aber die Finanzierung der operativen Tätigkeiten, d. h. die Aktivitätsfinanzierung, läuft bisher über freiwillige Leistungen und wäre dann integraler Bestandteil eines autonomen Budgets. Das wollen wir, die großen Zahler, gerade nicht. Denn dann werden wir, falls nicht ein anderer Haushaltsentscheidungsmechanismus auch für die Sonderorganisationen gilt, gezwungen, uns der Mehrheitsentscheidung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage .ein Staat - eine Stimme" zu beugen. Das wäre in der Tatsache eine Multiplikation des Problems, mit dem wir uns gerade in der GV herumschlagen. Herr Partsch hat bereits auf die Probleme des Untergeordnetseins u. a. der funktionalen und regionalen Körperschaften des ECOSOC hingewiesen. Herr Wolfrum antwortete dahingehend, daß es wichtig wäre, daß die Arbeitsweise dieser Kommission so gut ist, daß das Hauptorgan ECOSOC sich angemessen damit befassen kann. Ich erinnere mich, daß Herr Tomuschat früher einmal geschrieben hat, und das gilt sicher nicht nur für den Menschenrechtsbereich, daß die ECOSOC-Mitglieder sich eben nicht oder sehr unzuverlässig mit den Outputs z. B. der Menschenrechtskommission befassen oder diese Arbeiten nur zur Kenntnis nehmen und weiterleiten. Selbst wenn dieser Mechanismus der Unterordnung funktioniert, muß er noch lange nicht im ECOSOC funktionieren. Und damit komme ich zugleich auf ein generelles Problem. Ich glaube, soweit ich die Literatur übersehe und auch die politischen Stellungnahmen, daß es eigentlich einen allgemeinen Konsensus gibt, daß mit dem ECOSOC etwas geschehen muß, daß er reformiert werden muß. Herr Bertrand hat einen sehr interessanten Vorschlag mit seiner Grundidee eines Wirtschaftssicherheitsrates gemacht. Das wäre aber dann ein neues Organ und würde notwendigerweise zu Änderungen der Charta führen; aus diesem Grunde hat Herr Wolfrum das auch für nicht sehr realistisch eingeschätzt und im Prinzip abgelehnt. Inzwischen gibt es aber von seiten dieses Panels der VN-Gesellschaft der USA einen ähnlichen Vorschlag. Danach soll eine .Instanz" eingeführt werden, und zwar in Form eines sog.• Ministerial Board", der als .Advisor" und sagen wir mal .Highest Level Advisor" für den ECOSOC dient. Das Ganze soll sehr flexibel gestaltet sein und ad hoc nur für zwei, drei Tage, immer wenn krisenhafte Weltwirtschaftsprobleme anstehen - eine Art Weltgipfel im VN-Kontext unter Einschluß von Dritte-Welt-Staaten und östlichen Industriestaaten. Darüber hinaus soll der ECOSOC bestehen bleiben, weil man einer Reduzierung seiner Mitgliederzahl keine großen politischen Chancen einräumt. Dies

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wäre allerdings auch eine Möglichkeit gewesen, den Stellenwert des ECOSOC zu erhöhen. Der ECOSOC soll vielmehr zu einem Gremium umgestaltet werden, dem sämtliche Mitglieder der VN angehören. Zudem sollen die 2. und 3. Kommission der GV aufgelöst und durch diesen ECOSOC ersetzt werden. Der ECOSOC tagt dann immer nur einmal im Jahr, nämlich innerhalb der Tagungsperiode der GV. Das ist der Vorschlag, der immerhin eine Mehrheit innerhalb dieser westlichen Expertengruppe gefunden hat und gewissermaßen eine Fortentwicklung der Bertrandsehen Gedanken darstellt. Dies wollte ich hier kurz erwähnen, weil es sozusagen eine Art Kompromißlösung darstellt. Einen zweiten Punkt, den ich noch in diesem Bereich anführen wollte, war der, daß ich auch ein weiteres Hauptproblem neben der Organisation von ECOSOC und Unterbau in den Beziehungen zwischen den Sonderorganisationen und den VN sehe, insbesondere auch in dem UNDP. Dieser .JacksonReport", der damals diese Regionalisierungsvorschläge unterbreitet hat, führte praktisch dazu, daß es auf der örtlichen Ebene zwischen den Vertretern der Sonderorganisationen, die sehr viele Regionalbüros haben, und den UNDP-Vertretern überall zu Konflikten kam und kommt. Obwohl es jetzt bestimmte Regelungen gibt, bleiben diese Konflikte bestehen. Das ist die eine Konfliktebene, die andere ist die innerhalb des VN-Systems zwischen den Generalsekretären oder -direktoren dieser Organisationen und dem VN-Generalsekretär. Auch hier gibt es eben gerade im Planning-Bereich enorme Probleme. Ich finde es interessant, wenn man - Herr Wolfrum hat es angedeutet - sich noch einmal sorgfältiger die Regelungen, die Abkommen zwischen den Sonderorganisationen und den VN im Hinblick auf eine mögliche Revision ansieht. Herr Wolfrum betonte, daß man die Ausuferung des Wachstums der Zahl der Spezialorgane stoppen oder beenden sollte. Ich möchte darauf hinweisen, daß meiner Erinnerung nach seit fast 10 Jahren in dieser Hinsicht nichts mehr geschehen ist. Insofern sollten wir hier die Kritik nicht zu scharf ansetzen. Es gab eine einzige Veränderung in den 80er Jahren, als nämlich ein Spezialorgan namens UNIDO in eine Sonderorganisation umgewandelt wurde. Insgesamt gab es also ein Nullwachstum. Das könnte man durchaus auch positiv interpretieren. Nun zu einem anderen Bereich, dem ersten, der von Herrn Wolfrum behandelt wurde. Er hatte die Grundfrage gestellt, inwieweit die Tätigkeiten der VN von den Bestimmungen der Charta gedeckt werden. Er hat nicht die Frage gestellt, und ist das bei der Reformdiskussion nicht eigentlich die gewichtigere Frage - nachdem wir ex post eine Kurzanalyse gemacht haben -, ob es eigentlich keine neuen Aufgaben gibt, die vom VN-System erfüllt werden müßten oder sollten, die eventuell nicht von der existierenden Charta abgedeckt werden, und was müßte da eigentlich geschehen? In

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dem Zusammenhang wäre auch die Frage zu stellen, ob nicht doch ChartaÄnderungen möglich sind. Ich bin kein Völkerrechtsexperte, aber ich nehme an, daß diese Frage von den meisten von Ihnen als eine politische Einschätzung aufzufassen ist, denn im Grunde kann die Charta geändert werden. Ich meine zu erkennen, wenn man die politischen Äußerungen genau analysiert, daß da etwas in Bewegung gekommen ist. Darüber hinaus müßte es doch Kompromißlösungen geben oder mittlere Wege - z. B. weiß ich von einem Vorschlag, daß man Zusatzprotokolle zur VN-Charta verabschieden könnte, um die Charta an sich nicht ändern zu müssen, sondern über diese Protokolle noch zusätzliche Aktivitäten ermöglichen kann. Ich frage das alles im Zusammenhang eines Komplexes, den Herr WolfrUIn völlig ausgeklammert hat, obwohl er zur Zeit im sicherheitspolitischen Bereich von höchster Aktualität ist, nämlich die Abrüstung. Das hat mich sehr gewundert, und zwar im doppelten Sinnej einmal, weil er zur Zeit diesen hohen politischen Stellenwert hat, und zum anderen, weil dann bei erfolgten Abrüstungen größeren Ausmaßes die Überlegung anzustellen ist, was an die Stelle - sagen wir mal- des .Gleichgewichts des Schreckens· kommt. Dies müßten doch offensichtlich völkerrechtliche Mechanismen sein. Und die sich daran anschließende Frage ist, welchen Stellenwert dann die VN hätten, und inwieweit kann man schon bestehende Bestimmungen der VN, etwa Art. 47 Abs. 1 der Charta, dahingehend interpretieren und ausbauen im Sinne der Gründung von Mechanismen und Institutionen, die bestimmte Funktionen im Zusammenhang mit der Überwachung von Abrüstungsmaßnahmen und schließlich in der Überwachung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu tun hätten.

Jaenicke: Herr Tomuschat bemerkte vorhin, wenn man eine Sonderorganisation gründe, sei man budgetär in einer schlechteren Position. Dies hinge mit dem Problem der freiwilligen Beitragsleistungen zusammen. Aber wenn man eine Sonderorganisation gründet, könnte die Finanzierung ebenso von freiwilligen Zahlungen abhängig gemacht werden. UNIDO lebt ausschließlich von freiweilligen Zahlungen mit Ausnahme ihres administrativen Budget. Das ist nicht das Problem, das kann keine entscheidende Rolle spielen. Was ich meine ist, daß bei der angestrebten Gründung von Sonderorganisationen gerade auch der Verwaltungshaushalt der VN entlastet werden würde.

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Tomuschat: Vielen Dank, Herr Jaenicke. In der Regel drängt, wenn eine Sonderorganisation gegründet wird, in der heutigen Zeit die Dritte Welt darauf, daß auch operative Aktivitäten aus dem allgemeinen Budget dieser neuen Organisation gedeckt werden. Hier gilt es wachsam zu sein, weil mit UNIDO ein Präzedenzfall geschaffen worden ist. - Jetzt Herr Randelzholer.

Randelzholer: Danke schön, Herr Tomuschat. Den Aussagen des eindrucksvollen Referats von Herrn Wollrum kann ich nur zustimmen. Deshalb nur zwei kurze Bemerkungen dazu und eine dritte Bemerkung, die durch den Beitrag von Herrn Skubiszewski ausgelöst ist. Meine erste Bemerkung bezieht sich auf das Problem der friedlichen Streiterledigung. Ich teile Ihre Auslegung, daß Art. 33 der Charta keine griffige Verpflichtung zu effektiver Streiterledigung ist. Ich weise nur darauf hin, daß - wenn ich micht nicht ganz falsch erinnere - die Interpretation des Art. 2 Ziff. 3 der Charta, den müssen wir im Zusammenhang mit Art. 33 der Charta sehen, wie sie in der Friendly-Relations-Declaration vorgenommen ist, durchaus so ist, daß Art. 33 der Charta eine effektive Streiterledigungspflicht enthält. Nach dieser Aussage müßten die Streitparteien notfalls die Verfahren solange durchlaufen, bis es zur verbindlichen Drittentscheidung kommt. Ich meine aber nicht, daß das die richtige Auslegung ist. Zu dem Vorschlag, es müßten wirksame Verfahren der Streiterledigung entwickelt werden, möchte ich folgendes anmerken. Die Hoffnung, ein wirksames Verfahren im Rahmen der VN zu erreichen, müßte eigentlich noch mehr schwinden, wenn man berücksichtigt, daß es uns bisher auch auf regionaler Ebene nicht gelungen ist, dies zu bewerkstelligen. Und zwar nicht deshalb, weil die Juristen nicht das entsprechende Instrumentarium zur Verfügung stellen konnten. Wir haben, theoretisch, im Bogotil-Pakt und im Europäischen Übereinkommen von 1957 zwei geschlossene Systeme effektiver Streiterledigung; geschlossen und effektiv in erster Linie deshalb, weil dort vorgesehen ist, daß den zunächst einzusetzenden diplomatischen Streiterledigungsverfahren, wenn sie nicht greifen, verbindliche Drittentscheidungen folgen sollen. Wir alle wissen, daß nur wenige Staaten in Amerika und Europa bereit waren, diese beiden Verträge ohne Vorbehalte zu ratifizieren. Die meisten Vorbehalte setzen genau an der Nahtstelle an, wo die Verpflichtung enthalten ist, beim Fehlschlag der diplomatischen Streiterledigungsmittel in die verbindliche Drittentscheidung hinüberzugehen. Daraus müssen wir die Erkenntnis ziehen, daß es sich nicht einmal

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auf regionaler Ebene, wo man eigentlich größere Solidarität, größeres Vertrauen zueinander voraussetzen müßte, als möglich erwiesen hat, effektive Streiterledigung verbindlich zu vereinbaren. Wie das dann auf globaler Ebene vonstatten gehen soll, wird damit noch fraglicher. Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Aussage, ein gemeinsames Wertesystem im Rahmen der UNO gäbe es bisher nur bei den Menschenrechten und beim Gewaltverbot. So kann das wohl nicht gemeint sein. Wir haben hier zwar Normen, auf die sich alle verständigt haben, aber ich glaube, wir müssen sehen, daß ein gemeinsames materielles Wertesystem dabei gerade nicht vorhanden ist. Wir wissen doch alle, deshalb möchte ich das gar nicht vertiefen, daß wir trotz des Textes, auf den man sich geeinigt hat, in Ost und West und teilweise auch in Nord und Süd, ein höchst unterschiedliches Verständnis der Menschenrechte und auch des Gewaltverbotes antrifft, und dies ist gerade Ausdruck des fehlenden materiellen Wertesystems. Die dritte Bemerkung zur Forderung von Herrn Skubiszewski, man müsse endlich dazu kommen, daß die Resolution der Generalversammlung nicht mehr diese nebelhaften Formulierungen enthalten. In vieler Hinsicht ist das sicher richtig. Man muß aber wohl auch einen anderen Aspekt berücksichtigen. Wenn eine Gruppe von Staaten - durch Resolutionen - die Rechtsentwicklung vorantreiben will, kann sie kaum mit einer eindeutig der geltenden Rechtslage noch nicht entsprechenden Formulierung das Recht in die gewünschte Richtung entwickeln, vielmehr ist sie gezwungen, die Resolution so offen, so nebulös zu formulieren. Ress: Ich wollte zunächst eine kurze Bemerkung zur Interpretationsproblematik machen. Sie haben am Anfang Ihres Referates zurecht darauf hingewiesen, daß die UNO-Charta nicht ein .normaler" völkerrechtlicher Vertrag sei, sondern Verfassungscharakter habe, und daß sich daraus gewisse Eigenarten auch der Interpretation ergeben. Ich teile Ihre starke Einbeziehung insbesondere der Praxis der Organe und der Mitgliedstaaten im Rahmen der VN als ein wichtiges Element zur Präzisierung und Fortentwicklung des inhaltlichen Verständnisses der einzelnen Vorschriften der Charta, woraus sich dann die Schwierigkeit ergibt festzustellen, wann eine ChartaÜberschreitung wirklich vorliegt und wann nicht. Sie haben auch so recht keinen einzigen Punkt genannt, wo Sie ein Handeln ultra-vires dingfest gemacht haben. Fällt eine solche Möglichkeit nach Ihrem Referat völlig außerhalb des an sich Denkbaren? Ist ein solches Handeln nicht doch in der Praxis feststellbar? Immerhin ist die Diskussion

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seit der .uniting for peace-Resolution" immer wieder auf dieses Problem gestoßen. Sie haben mit Recht auf das Dilemma hingewiesen, daß es keinen - jedenfalls keinen praktikablen - Mechanismus gibt, um eine solche Überschreitung festzustellen. Immerhin sind wir als Juristen gefordert, uns über die theoretische Möglichkeit Gedanken zu machen. Das Argument, es liege eine Kompetenzüberschreitung vor, spielt doch auch in der Praxis eine gewisse Rolle. Daher meine erste Frage: Wo sind denn hier die Aufgabenüberschreitungen, wo könnte es welche geben? Zweitens die Frage: Reicht das Instrumentarium aus? Ich fürchte, daß Herr Vollers mit seiner Eingangsbemerkung recht hat, daß der Geist wichtiger ist als die Institution. Noch wichtiger aber ist der politische Wille, der dann, wenn er mit Geist gepaart ist, in kurzer Zeit sehr viel bewegen kann. Natürlich bedarf es der Institutionen, aber es gibt ja deren in Fülle. Ich habe schon gestern darauf hingewiesen, daß der Sicherheitsrat ein unglaubliches Reservoir an Aktivierungsmöglichkeiten enthält, die von den Staaten nicht genutzt werden, weil dazu der politische Wille fehlt. Und ich fürchte, Herr Vollers, auch mit wohlgemeinten Anstößen, und seien es Anstöße der Bundesrepublik, kann dieser politische Wille derzeit kaum bewegt werden. Nicht was die Beweglichkeit des Geistes schlechthin, aber was die Beweglichkeit des spezifischen politischen Willens angeht, bin ich relativ skeptisch. Im weiteren frage ich mich - um einen Gedanken von Herrn Wolfrum aufzugreifen -, ob das präventive Zur-Verfügung-Stellen von Friedenstruppen als solches schon ausreicht, um eine stärkere Möglichkeit der Friedenssicherung zu bieten. Im Grunde haben sich alle diese Truppen dann bewährt, wenn das Problem im wesentlichen soweit gelöst war, daß man den status quo, wenngleich vorübergehend, akzeptiert hat. In diesem Zusammenhang ist es natürlich sinnvoll- ich stimme Herrn Klein hier zu -, wenn die Staaten die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Friedenstruppen schaffen. Ich bezweifle aber, ob damit schon eine wesentliche Verbesserung des Systems der Friedenssicherung insgesamt erzielt wird. Ich teile auch weitgehend die Bedenke~ von Herrn Randelzhofer über die bisherigen Erfahrungen und Möglichkeiten der regionalen Streitbeilegung. In der Weiterentwicklung gerade auf diesem Gebiet könnte allerdings gleichwohl unsere Hoffnung liegen. Eine Aktivierung eines globalen Systems der Streitbeilegung hat relativ wenig Chancen. Wenn überhaupt, dann bietet sich eine Verbesserung der regionalen Systeme der Streitbeilegung an und vielleicht eine, wie auch immer geartete institutionelle Verklammerung des UN-Mechanismus mit derartigen regionalen Systemen. Diese Perspektive setzt einen wirksamen Streitbeilegungsmechanismus in den einzelnen Regionen voraus. Ich kann mir für die Zukunft Entwicklungen

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in dieser Hinsicht sowohl in Europa als auch in Lateinamerika eher vorstellen als auf globaler Ebene. Das schließt die globale Akzeptanz eines - sogar gerichtlichen - Streitbeilegungsmechanismus in bestimmten, engen materiellen Sachbereichen, wie z. B. im Seerecht, natürlich nicht aus. Wenn man die langwierige, aber stetige Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Menschenrechte betrachtet und die eher positive Resonanz, die diese Entwicklung auch in der Diskussion ausgelöst hat - wobei ich hinzufügen würde, daß einer der großen Mängel dieses Systems nach wie vor in der fast nicht bestehenden Publizität besteht -, dann frage ich mich, ob nicht auch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Rechte eine Neubelebung der Charta-Diskussion denkbar wäre. Es ist mit Recht gesagt worden, daß die ursprüngliche Charta, wie Herr Tomuschat seinerzeit kritisiert hatte, außerordentlich mißverständlich und unpräzise gefaßt ist, so daß sie den Anforderungen eigentlich nicht gerecht werden konnte. Noch eine Anregung zum Schluß. Es wurde nach zusätzlichen UN-Aktivitäten gefragt. Meiner Ansicht nach könnte eine solche in einer Intensivierung des Gesundheitsbereichs liegen, um nur ein Stichwort zu nennen. Dort könnte, wenn wir uns mal die Situation bis zum Jahre 2000 ausmalen, ein Punkt liegen, der uns noch intensiv beschäftigen wird.

Ginther: Es wurde mit Recht die Frage gestellt, ob es zur Aufgabenüberschreitung kommt, wenn wir die UN-Aktivitäten über längere Zeitläufe betrachten. Das ist wohl auch eine Frage des neuralgischen Punktes, und zwar inwieweit liegt hier eine Einwirkung in vorbehaltene Wirkungsbereiche vor. Herr Wolfrum hat in verschiedener Hinsicht betont, daß die UN neben einer normativen Aufgabe auch eine Organisation mit operationellen Aufgaben ist, Art. 2 Ziff. 7 der Charta hat da ganz bewußt einiges an Handlungsspielraum offen gelassen, schon gar im Vergleich mit Art. 15 Ziff. 8 der Völkerbundsatzung. Was heute und nach welchem Kriterium in die wesentliche Zuständigkeit des einzelnen Staates fällt, ist nicht mehr ausschließlich im Hinblick auf ein sehr eng verstandenes Konzept von Staatlichkeit zu bestimmten. Damit will ich sagen, was in die einzelstaatliche Zuständigkeit fällt, hängt vom Begriff der Staatlichkeit ab. Es ist gestern schon betont worden, daß wir eine neue Mehrheit von Entwicklungsstaaten haben. Da haben wir die Krise a~ der Wurzel des VN-Systems. Ich erinnere mich an einen Beitrag von Ihnen, Herr Tomuschat, in dem Sie sich all;sdrücklich auf den Verfassungsstaat westeuropäischen Zuschnitts beziehen und damit doch angeben wollen, daß wir es mit unterschiedlichen Staatstypen zu tun haben, wenn wir von den Staaten im Geflecht internationaler Beziehungen 12 UN-Reform

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sprechen. Von anderer Seite ist der Begriff des schwachen Entwicklungsstaates eingeführt worden. Er wird auch charakterisiert durch Begriffe wie Phantomstaat oder Phantomgesetzgebung. Einiges davon mag sich in den VN wiederfinden. Eine Mehrheit von schwachen Staaten wird keine besonders starke Organisation hervorbringen können. Es wäre dennoch zu erfragen, was die UNO an organisatorischen Leistungen für die Erhaltung und Entwicklung des schwachen Entwicklungsstaates aufbringen kann und was nicht. Das wiederum verlangt nach einer eingehenden Auseinandersetzung in der Staatsrechtslehre mit unterschiedlichen Staatstypen und wie diese zueinander in Relation zu bringen sind. Ich glaube, da haben wir auch von Herrn Vollers viel an Anregungen bekommen. Ich hatte heuer Gelegenheit, eine neue Abteilung .Internationale Organisationen" im Außenministerium eines relativ entwickelten Entwicklungsstaates zu sehen. Da war ein Mann ohne irgendein Dokument, ohne irgendeinen Zugang zu Informationen. Wenn wir hier von Festigung des UN-Systems sprechen wollen und von dessen Rationalisierung, muß das begleitet sein von entsprechender entwicklungspolitischer Zusammenarbeit auf einer unteren Ebene. Herr Randelzhofer hat das wohl gestern Abend im Auge gehabt, vielleicht auch Herr Skubiszewski, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Tomuschat: Herr Ginther, herzlichen Dank. Den letzten sollen allerdings nicht die Hunde beißen, das ist Herr Beyerlin. Herr Rudolf ist jetzt an der Reihe. Rudolf: Herr Vorsitzender, die Frage, ob das Instrumentarium ausreicht, ist jedenfalls für den ECOSOC-Bereich angesichts der zahlreichen Institutionen sicherlich positiv zu beantworten. Wenn man sich das Gesamtgefüge der unter der UNO und ihrer Sonderorgani!iationen und Unterorganisationen ablaufenden Entwicklungshilfe ansieht, dann ist das ganz beachtlich. Richtig ist sicherlich, daß in den letzten 10 Jahren an diesem kolossalen Gemälde kaum noch Veränderungen gemacht worden sind und in letzter Zeit überhaupt keine mehr. Bei einer genaueren Betrachtung kommt einem das Ganze ziemlich diffus vor. Das Problem erinnert mich an den innerstaatlich geführten Disput um die Verwaltungsreform und die Deregulierung, eine Frage, die seit Kleists zerbrochenem Krug - man denke an die Unterhaltung zwischen dem Dorfrichter Adam und dem Gerichtsrat Walter - hinlänglich bekannt und also nichts Neues ist.

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Die entscheidenden Punkte dabei sind die, auf die Herr Zemanek schon hingewiesen hat. Jeder deutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat angekündigt, daß er die Koordination der Entwicklungshilfe vorantreiben will. Wenn wir dann die Ergebnisse betrachten, erscheinen uns diese relativ mager; sie müssen auch mager bleiben, wenn Sie sich das dicke Werk anschauen, das allein die Organisationen aufzählt, die sich im Bereich der Entwicklungshilfe im nationalen Bereich bewegen. Das ist bei den Entwicklungsländern deswegen noch weit schwieriger, weil ein großer Teil von ihnen überhaupt nicht über die Instrastruktur verfügt, die notwendig ist, um wirtschaftliche Entwicklungshilfe effizient administrieren zu können. Was wir bei den europäischen Staaten seit der französischen Revolution einzuführen versucht haben, nämlich eine funktionierende allgemeine innere Verwaltung, ist in vielen, insbesondere auch in größeren Entwicklungsländern überhaupt nicht vorhanden. Also werden für Aufgaben, die als notwendig erkannt worden sind, spezielle Verwaltungseinheiten eingerichtet mit der Folge, daß sich schließlich vieles überlappt und ein ungeheurer Koordinationsbedarf vorhanden ist. Ein Koordinationsbedarf wird durch die unkoordinierende Entwicklungshilfe auf nationaler und auf UNO-Ebene noch weiter kompliziert, so daß auch die nationalen Vertreter im Ausland durchaus nicht immer übersehen, was an Entwicklungshilfe im eigenen Bereich alles läuft, und dies auch gar nicht voll übersehen können. Deswegen wird es ziemlich schwierig sein, in diesem als reform bedürftig erkannten Bereich wirklich Ergebnisse zu erzielen. Ich erinnere nochmals an die eigene Diskussion um die Verwaltungsreform und die Deregulierung.

Eitel: Ich möchte nur drei übriggebliebene Nischen ausfegen. Die erste ist, daß über Herrn Wolfrums Vortrag so viel Gutes gesagt worden ist, daß ich nur fragen möchte, ob er auch alsbald in Druck erscheint. Denn unsereins möchte es nicht nur im Kopf, sondern auch schwarz auf weiß haben, wahrscheinlich zum illegalen Abziehen, zur weiteren Verteilung an die interessierten Stellen. Zweite Nische: Es wird zu Recht immer wieder über die Vielzahl der Resolutionen und die Dynamik der Repetition geklagt. Ich befinde mich da in voller Übereinstimmung mit Herrn Skubiszewski und allen anderen, die das getan haben. Neben dem ungünstigen Eindruck, der bei den Außenstehenden dadurch hervorgerufen wird, daß die VN eine Art Hyde-ParkCorner sind - zugegebenermaßen auf gehobenem Niveau - tritt aber, so glaube ich, doch ein therapeutischer psychologischer Effekt, der sehr wichtig ist: Wenn man Probleme nicht lösen aber wenigstens an- oder ausspre12 •

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chen kann, so bewirkt das, glaube ich, auch im internationalen Bereich doch schon etwas Gutes. Recht geben möchte ich auch Herrn Zemanek betreffend die traurige Zurückhaltung beim Widerspruch gegenüber Resolutionen. Es wird gelegentlich ein Korrektiv in den Abstimmungserklärungen gesehen, in denen dann genau erläutert wird, warum man ganz anders denkt, als man es erklärt hat. Dies ist eine unglückliche Praxis. Und ich glaube, das eigentliche Korrektiv liegt in dem Umstand, daß wir ja alle immer wieder erklären, daß Resolutionen unverbindlich sind. Insofern kann man dort vielleicht schon etwas großzügiger sein. Letzte Nische: Die Friedenswahrung und -stiftung. Da möchte ich das unterstreichen, was Herr Jaenicke schon gesagt hat, und die Zurückhaltung der Staaten in diesem Bereich der friedlichen Streitbeilegung bedauern. Ich glaube, daß Staaten nur mit den Gegenständen in eine Streitbeilegung hineingehen, bei denen sie bereit sind, sie auch zu verlieren. Und dieses ist verständlicherweise selten der Fall. Bei den sozialistischen Staaten kommt dann noch ein gesteigertes Souveränitätsbewußtsein hinzu. Sie scheuen, selbst bei akzeptablen Regelungen, die Entscheidungsgewalt Dritter. Aus diesen beiden Gründen glaube ich, daß es in der Tat ein hartes Brot sein wird, für die friedliche Streitbeilegung weitere Parteien zu gewinnen. Letztes trauriges Beispiel ist Nicaragua. Was die VN-Truppen angeht, so möchte ich nicht die deutsche Rechtslehre schelten, sie ist zudem nicht einheitlich. Knut Ipsen hat dargelegt, daß gewisse Dinge möglich sind, die andere Autoren für unmöglich halten. Ich persönlich danke Herrn Klein für die Unterstützung einer Auffassung, die auch die meine ist: Ich gebe nur zu bedenken, ob wir politisch wohlberaten sind, wenn wir an dieser Schwelle feilen und sie zu senken suchen. Es ist in den letzten Tagen ja die Idee einer VN-Marine im Golf aktuell geworden. Haben wir ein politisches Interesse daran, uns dort zu beteiligen? Bothe:

Nischen finde ich keine mehr, aber hinterherwedeln kann man immer noch. Zunächst zur Frage des Formelkompromisses und der mangelnden Präzision von UN-Resolutionen. Ich glaube, das muß man sehr differenziert sehen. Der Formelkompromiß kann einen guten Sinn haben. Denken Sie nur an die .relevant area" im Berlin-Abkommen. Dieses Abkommen, das eine eminent wichtige praktische Regelung besitzt, mußte bei aufrechterhaltenden unterschiedlichen Rechtsstandpunkten mit grundsätzlichen Fragen abgeschlossen werden. Das wäre ohne diesen Formelkompromiß nie möglich gewesen.

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Der Formelkompromiß, die .constructive ambiguity·, kann eine sehr wichtige Funktion haben. Die Frage ist, ob eine Resolution so wichtig ist, daß es sich lohnt, diesen Mangel an Klarheit dafür in Kauf zu nehmen. Damit sind wir bei der Bedeutung der Resolutionen und auch bei der Problematik des sog. soft bus. Man muß sich nach ihrer Funktion fragen. Das gilt für die Resolution, das gilt auch für die nationale Gesetzgebung, die Sie zu Recht angesprochen haben. Auch sie hat mitunter noch andere Funktionen, als wir das in der BGB-Übung lernen. Es gibt wesentliche politische, bewußtseinsbildende Funktionen - es sind Funktionen von Recht, die etwas anders auf die Gesellschaft wirken, als das unser BGB tut. Wenn z. B. ein afrikanischer oder südamerikanischer Staat ein Umweltgesetzbuch erläßt, dann funktioniert das nicht so wie das Bundesimmissionsschutzgesetz, aber es formt doch eine Umweltpolitik und hat damit in einer gewissen zeitlichen Verzögerung die notwendige gesellschaftsgestaltende Funktion. Ein anderer Punkt, den ich ganz kurz anschneiden möchte, betrifft die Rechtsquellenlehre, und zwar im Anschluß an das, was Herr Wolfrum gesagt hat: die Rolle der Praxis und die bekannten Interpretationsspielräume. Wir sagen immer so: .Es gibt da einen Interpretationsspielraum." Die logische Zusatzfrage, die daran anknüpft, ist die, wer hat denn Recht? Wo ist die richtige Interpretation, die richtige Nutzung dieses Spielraums? Im nationalen Bereich haben wir den Richter, der darüber entscheidet, im internationalen Bereich ist es das AußerstreitsteIlen bestimmter Interpretationen durch die Praxis. Diesen Vorgang haben wir in den VN immer wieder vor Augen. Dazu Beispiele aus dem Bereich der peace-keeping activities. Wir haben beispielsweise in der Frage, ob die GV peace-keeping forces aufstellen darf, eine klare Tendenz der Praxis, daß sie es nicht darf. Wir haben hinsichtlich der streitigen Finanzierungsfragen (dürfen solche Aktionen über den Haushalts beschluß finanziert werden?) eine ebenso klare Tendenz der Praxis, daß das geschehen darf. Hier haben wir eine, wie ich meine, für die Entwicklung völkerrechtlicher Verträge und deren Interpretation, sehr bedeutsame Funktion der Praxis.

Tomuschat: Vielen Dank, Herr Bothe. Ich bin jetzt nach der Liste selbst an der Reihe und möchte es auch sehr kurz machen. Im Anschluß an die Äußerungen von Hern Klein und soeben von Herrn Eitel möchte ich einiges zur KlarsteIlung sagen. Die hier von Herrn Klein

vertretene Auffassung, daß FHedenstruppen aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Bundesrepublik nicht gestellt werden könnten, stellt im Augenblick doch eher eine Minderheitsmeinung dar. Ich will nicht so weit gehen zu sagen, daß sich Herr Klein in einer hoffnungslosen Minderheits-

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position befindet, aber man ist von einer solchen Wertung nicht mehr weit entfernt. Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen und dabei in eine andere Richtung weisen, als die Debatte bisher gelaufen ist. Wir haben festgestellt, daß es genug an Institutionen gibt. Ausreichend ist aber nur die Zahl derjenigen Institutionen, die empfehlende Befugnisse haben, die alles erörtern können. Benötigt werden aber Institutionen, die Entscheidungen und Anordnungen treffen können. Und weil die Charta eben insofern nicht revidierbar ist - das scheint mir aus politischen Gründen durchaus die richtige Analyse zu sein -, muß oder kann man jedenfalls versuchen, das Instrumentarium des Sicherheitsrates stärker zu nutzen. Herr Ress hat zu Recht davon gesprochen, daß hier ein Reservoir besteht, meint aber, dieses könne nicht fruchtbar gemacht, könne nicht aktiviert werden. Ich weiß nicht, ob dieses Urteil richtig ist. Im Augenblick mag kein Wille vorhanden sein, aber wenn tatsächlich einmal eine Notlage kommt, wird der Sicherheitsrat sicher stärker genutzt werden. Eine sinnvolle Aufgabe kann es eben auch sein, für solche Notlagen Zukunftsplanungen zu treffen und ein Krisenmanagement bereits vorzubereiten, und zwar mit rechtlichen Gründen, wobei hier das Verständnis der Begriffe internationaler Frieden und internationale Sicherheit im Mittelpunkt steht. Ich erinnere daran, daß in einem Gebiet jedenfalls der Sicherheitsrat schon relativ unmerklich seine Zuständigkeit ausgedehnt hat, auf dem Gebiet der Menschenrechte nämlich. Bei Südafrika hat er mehrfach erklärt, daß bestimmte Entscheidungen mit der Charta unvereinbar und deswegen als null und nichtig zu betrachten seien, etwa die vor wenigen Jahren vollzogene Reform der Verfassung dahin, daß nun auch spezielle parlamentarische Gremien eingerichtet werden für die Inder und die farbige Bevölkerung. In bezug auf Israel kann man ähnliches feststellen. Auf dieser Linie könnte man die Frage stellen, ob es nicht auch andere Gebiete gibt, wo man dem Sicherheitsrat durch eine gewisse erweiterte Interpretation des Friedensbegriffes eine Zuständigkeit zusprechen könnte, etwa im Bereich des Umweltschutzes. Hier scheint es mir dringend zu sein, daß gegebenenfalls auch sehr en~rgische Entscheidungen getroffen werden können. Leider wird sich wohl die Lage in den nächsten Jahrzehnten immer mehr zuspitzen. In einer akuten Notsituation kann die Menschheit nicht einfach zusehen, wie ein Staat zu Lasten aller anderen die Umwelt vernichtet. Ferner: Wir brauchen sicher ein neues internationales Treuhandregime, und zwar für Länder, wo Recht und Ordnung völlig zusammengebrochen sind. Man hat bei der Schaffung der Charta daran nicht gedacht, daß es eines Tages notwendig werden könnte, wenn ein Staat in die Hände von Verbrechern gefallen ist, für Law und Order zu sorgen. Es ist bisher kein Instrumentarium dafür vorhanden, aber der Sicherheitsrat könnte wohl hier allmählich

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Verfahren aufbauen. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist natürlich außerordentlich schwierig. Aber ich glaube, hier müßte man Weichen in die Zukunft stellen. Damit möchte ich abschließen und Herrn Arnold das Wort geben.

Arnold:

Herr Vorsitzender, obwohl einen, der nicht Professor ist und zudem noch horribile dictu nicht einmal Jurist, heute vormittag das Gefühl beschleicht, als ob man immer kleiner würde, möchte ich doch, im Rahmen der von Herrn Eitel eingeleiteten Auskehr, ein paar kurze Bemerkungen nachschieben zu dem gestern und heute immer wieder erwähnten Begriff der .Politisierung" . Ich glaube, man macht sich mit dieser Kategorie, d. h. mit dem Versuch, die Arbeit in den VN in politische und in fachliche Arbeit unterteilen zu wollen, das Leben nur unnötig schwer. Ich sehe es so, daß sowohl personell als auch sachlich die VN und ihre Unter- und Sonderorganisationen politisch sind. Herr Partsch hat Illustrationen gegeben, wie im sehr delikaten und eigentlich sehr fachlichen Menschenrechtsbereich, von den Personen und Fachleuten her, politisch gehandelt wird. Ich bin sicher, Herr Tomuschat könnte aus seinen Erfahrungen mit der .International Law Commission" ähnliches beisteuern. Es gibt eben Staaten, und das sind nicht nur die sozialistischen Staaten, von denen jeder Staatsangehörige automatisch ein Staatenvertreter ist. Es gibt auch viele, auch kleinere Staaten, vor allem der Dritten Welt, in denen der Fachmann zu einer relativ kleinen Elite in der Heimat gehört und sich eben daran orientiert, wer in der Elite gerade das politische Sagen hat. Das setzt sich fort in den Delegationen, in dem Sekretariat, in dem Bestand des Personals. Jeder Staat verfährt so, weil er Einfluß ausüben will. Das geht bis in die Archive, bis in den Übersetzungsdienst. Sonst hätten wir ja nicht über viele Jahre hinweg das Gerangel mit der russischen Genitivübersetzung unseres Staatsnamens, d. h. des Namens der Bundesrepublik Deutschland, gehabt. Mit anderen Worten, die Sache ist vom Personal her durchpolitisiert. Wir als Deutsche sehen das manchmal nicht scharf genug, denn wir gehören zu den ganz wenigen, die tatsächlich mit Gründlichkeit und Konsequenz die Loyalität wechseln, und das bis zu dem Punkt, daß (gerüchteweise) einige deutsche Landsleute auch mit einem Deutschen nur noch englisch sprechen. Während andere Staaten sich bemühen, das von ihnen gestellte Personal als ein eigenes Instrument innerhalb des VN-Systems wirksam werden zulassen. Von der Materie her gibt es kaum eine VN-Organisation, die nicht politisch wäre. Die anerkanntermaßen technischste Organisation ist die WMO.

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Tatsächlich läßt sich in der Meteorologie nicht sehr viel politisieren. Mit der anderen, angeblich volltechnischen Organisation ITU, da sieht das in einigen Fällen schon wieder anders aus. Ich möchte schließen mit zwei Beispielen, die beide aus der WHO stammen. Es gibt in der WHO ein Projekt, die Zahl der Arzneimittel drastisch zu verringern. Angesprochen ist ein Ziel, daß es nur noch 100 verschiedene Arzneimittel geben soll. Mehr braucht der Mensch nicht nach der Kenntnis der WHO. In der Jahresversammlung der WHO ist dies umstritten. Die Delegation der Bundesrepublik ist eindeutig dagegen und macht eine entsprechende Lobby, auch gerade bei den Ländern der Dritten Welt, für die Arzneimittel eine besondere Bedeutung haben, mit allen Mitteln, die man hat, um Lobby zu machen und Stimmen zu gewinnen. Die deutsche Delegation ist natürlich nicht gegen die Begrenzung, weil sie dies aus gesundheitspolitischen Gründen so sieht, sondern weil sie die Exportchancen der Pharmaindustrie nicht einengen will. Mit anderen Worten: sie macht in der WHO Exportförderungspolitik. Das zweite Beispiel zeigt, daß man sich auch, wenn man sich auf Nichtpolitisierung konzentriert, in ein selbstgebautes Boxhorn jagen kann. Ebenfalls in der WHO gab es im Zuge der sowjetischen Antinuklearkampagne - zusammen mit der Kampagne gegen die Stationierung von Mittelstrekkenraketen - wie in fast allen VN-Organisationen Anträge und Resolutionsentwürfe zu Nuklearwaffen. In der WHO war das eine Resolution, daß sich die WHO mit dem Thema der Gesundheitsschädigungen durch Nuklearwaffen befassen solle. Der Westen hat sich hiergegen energisch mit dem Argument gewehrt, dies gehöre nicht in die WHO, denn diese sei eine Fachorganisation. Er kam damit etwas in Verdrückung, denn es lassen sich schon einige Fachargumente finden, die dann auch bei einigen Staaten der Dritten Welt, denen dieses Nukleargerangel ohnehin unsympathisch ist, Wirkung hatten. Deswegen hat sich der Westen, ich glaube im dritten Jahr, entschlossen, an die Sache offensiv heranzugehen. Man hat gesagt, das ist richtig, wir wollen das behandeln und wir en.tscheiden hiermit, es kommt in Komitee A, und damit war die Sache begraben. - Die Vereinten Nationen sind politisch, demnach muß auch alles politisch behandelt werden. Beyerlin:

Im Verlaufe der Diskussionen dieses Symposiums habe ich - unter anderem - gelernt, sich zu Wort zu melden, bevor man überhaupt weiß, was man sagen will; sonst läuft man Gefahr, gar nicht mehr zu Wort zu kommen.

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Ich möchte ganz kurz zu der Forderung von Herrn Skubiszewski Stellung nehmen, wonach Resolutionen zwischen Aussagen de lege lata und de lege ferenda trennen sollten. Hier kann ich nur mit wenigen Sätzen das unterstreichen, was Herr Randelzhofer gesagt hat. Ich glaube, daß die Forderung nach einer Trennung zwischen Aussagen de lege lata und de lege ferenda der Funktion von Resolutionen im dynamischen Prozeß der Erzeugung von Völkergewohnheitsrecht nicht gerecht würde. Gerade mit der Entwicklung neuer normativer Prozesse in Resolutionen der Generalversammlung können sich nämlich gemeinsame Rechtsüberzeugungen der Staaten anbahnen, ohne daß sich die Staaten schon aktuell an diese Sätze völkerrechtlich zu binden brauchen. Darin liegt auch eine Chance, kreativ zu wirken. Gleichzeitig erwächst daraus aber auch die Notwendigkeit, streng zwischen dem völkerrechtlich verbindlichen Instrument des Vertrages und dem völkerrechtlich unverbindlichen Instrument der Resolution zu unterscheiden. Deswegen sollte man auch der Vorstellung von .soft law· eine Absage erteilen. Andererseits bin ich der Meinung, daß die Generalversammlung ihre Chance, über Resolutionen auf den Rechtschöpfungsprozeß einzuwirken, voll wahrnehmen sollte, zumal es sich hierbei um die Hauptartikulationsmöglichkeit der Dritten Welt handelt. Herr Skubiszewski hat aber zweifellos recht, wenn er sagt, daß die Resolutionen präziser gefaßt und insbesondere juristisch besser fundiert sein sollten. Je stringenter sie formuliert sind, desto mehr können sie meines Erachtens im Rechtschaffungsprozeß bewirken.

Tomuschat: Vielen Dank, Herr Beyerlin. Jetzt obliegt es Ihnen, Herr Wolfrum, auf die gestellten Fragen nochmals abschließend einzugehen.

Wolfrum: Ich möchte mich in Anbetracht der überschrittenen Zeit so kurz wie irgend möglich fassen und mich auf insgesamt sechs Punkte beschränken. Ich werde damit Ihnen allen nicht gerecht. Zu der Frage, gibt es ultra vires-Akte - eine Frage, die Herr Ginther und Herr Ress angesprochen haben -, würde ich differenzieren. Ohne Zweifel gibt es und hat es ultra vires-Akte der Organe gegeben. Meines Erachtens kann es theoretisch auch ultra vires-Akte der Organisation selbst geben; daß ich Ihnen keinen genannt habe, liegt daran, daß ich keinen gefunden habe. Das wiederum liegt daran, daß die Charta der VN in bezug auf die Organisation Spielräume aufbaut, die schwer zu überschreiten sind.

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Herr Randelzhofer, in bezug auf das von Ihnen angesprochene Wertesystem bestehen zwischen uns Unterschiede in der Sicht. Für den Bereich Gewaltverbot möchte ich Ihnen allerdings zustimmen, verbales Bekenntnis und faktisches Verhalten klaffen auseinander. Hinsichtlich der Menschenrechte glaube ich, daß der Grundkonsens - trotz der Vorbehalte bei der Sowjetunion - zumindest im Ostblock und in einigen Entwicklungsländern in diesem Bereich weiter geht als nur die Anerkennung, wenn diese auch nicht das ganze Menschenrechtsschutzsystem und sicher nicht die Durchsetzung einschließt. Der Mindestkonsens wird wohl die universelle Erklärung umschreiben. Zusätzliche UN-Aktivitäten: Herr Hüfner, Herr Ress und Herr Tomuschat haben diesen Punkt angesprochen. Ich bin der Meinung, daß die Frage Abrüstung, Herr Hüfner, in den Bereich der VN gehören kann, bezweifle aber, daß sie dort sinnvoll erledigt werden wird. Zumindest sind bisher die Abrüstungsarbeiten der VN nicht besonders vielversprechend gewesen. Hinsichtlich des Komplexes Gesundheit, Herr Ress, den Sie ansprachen, bin ich mit Ihnen einer Meinung, daß da viel getan werden könnte. Ein Ansatzpunkt findet sich in Art. 55 der Charta. Einer Satzungsänderung bedarf es nicht, um ein Tätigwerden der Vereinten Nationen zu gewährleisten. Den Gesichtspunkt, den Herr Tomuschat ansprach, er hat ihn an anderer Stelle aufgehängt, aber er gehört auch in diesen Bereich, war die Frage eines Treuhandsystems für instabil gewordene Staaten. Dies wäre zweifelsohne eine neue Aufgabe, die vielleicht der Sicherheitsrat wahrnehmen könnte. Mir erscheint es problematisch, ob die Charta derzeit eine derartige Funktion der Vereinten Nationen eröffnet. Umweltschutz hingegen wird von den VN - sicher noch sehr unvollständig - durch die UNEP wahrgenommen. Sicherlich ist die Umweltbedrohung eine ebenso ernstzunehmende Bedrohung wie die Kriegsgefahr, deshalb wäre eine Befassung des Sicherheitsrats wohl vertretbar. Institutionen und Vergrößerung der Zahl der Institutionen: Ich komme damit noch einmal auf Herrn Vollers zurück. Ich habe nicht gesagt, daß ich die Gründung weiterer Institutionen ablehnen würde. Ich würde aber jede weitere Institution ablehnen, die nicht mehr und nicht neue Aufgaben im Vergleich zu den existierenden erfüllt. Herr Tomuschat hat jedoch zu recht darauf hingewiesen, daß die UNO zwar sehr viele beratende, kontemplierende Institutionen hat, aber sehr wenig entscheidende. Wenn es gelänge, dem System Entscheidungsinstitutionen hinzuzufügen, wäre dies sehr zu begrüßen. Die Probleme liegen jedoch auf der Hand. Bislang scheinen die Mitglieder nicht bereit zu sein, derartige Institutionen zu gründen. Herr Eitel, ich stimme Ihnen völlig zu, daß die Vereinten Nationen und die GV eine wesentliche Funktion für die mittleren und kleinen Staaten erfüllt, nämlich ein Forum zu schaffen, auf dem sie ihre Probleme artikulieren

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können. Diese Artikulationsfunktion hat deutlich friedensbewahrenden Charakter, selbst wenn die Debatten in der GV gelegentlich als ermüdend oder wiederholend empfunden werden. Die anderen Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang angesprochen wurden: Welche Bedeutung kommt den Resolutionen ZUj insoweit greife ich den Gedanken von Herrn BeyerJin auf. Resolutionen sind keine völkerrechtlichen Verträgej wenn wir versuchen, Resolutionen wie völkerrechtliche Verträge auszubauen, arbeiten wir kontraproduktiv. Wir nehmen damit den Resolutionen die in die Zukunft weisende Funktion, die sie haben können und sollen - wenn auch nicht immer haben. Insgesamt möchte ich noch einmal betonen: Wenn wir heute über Reform der Vereinten Nationen sprechen, sollten wir dieses Postulat nicht als einen einmaligen Prozeß betrachten. Die Reform der UN ist ein ständiger Prozeß. Die VN sind als dynamische Institution angelegt, sie müssen sich permanent weiterentwickeln. Daß sie sich in eine Richtung entwickeln, die auch unseren Interessen Rechnung trägt, ist unser Anliegen, um das wir ja auch in den VN kämpfen müssen. So komme ich wieder zur Artikulation, Herr Eitel hat es angesprochen, entsprechend muß man seine Forderung eben auch artikulieren. - Vielen Dank. Tomuschat:

Vielen Dank, Herr Wolfrum, für Ihr klar gegliedertes Schlußwort und für einen glänzenden Vortrag.

Strukturwandel der Vereinten Nationen: Perspektiven. Möglichkeiten und Grenzen Von Eric Suy Aus dem mir zugeteilten Thema geht, glaube ich, hervor, daß ich wie eine Wahrsagerin die Karten oder die Kristallkugel zu deuten habe. Das ist natürlich eine besonders undankbare Aufgabe, es sei denn, daß man - wie mancher es versucht hat - ein Guru sein will, der ungeachtet der Errungenschaften etwas ganz Neues prophezeit, das alle, die mit der Vergangenheit unzufrieden sind und nur die ikonoklastische Heilslehre wünschen, zu fesseln vermag. Das wäre, glaube ich, eine sehr leichte, aber eine äußerst utopische und vor allem politisch verantwortungslose Antwort auf die gestellte Aufgabe, wenngleich sie - wie es geschehen ist - zur unmittelbaren Popularität führen könnte, weil jeder, der mit dem Wirken der Organisation der Vereinten Nationen unzufrieden ist, daraus Nahrung schöpfen kann für etwas, dem wir im Grunde genommen alle nachstreben, d. h. einer besseren Welt. I. Grenzen des Strukturwandels Gestatten Sie mir, mit dem letzten Teil des Themas anzufangen: den Grenzen eines Strukturwandels für die Reform der Vereinten Nationen. Ich werde Ihnen heute nachmittag nichts Neues erzählen, wenn ich Ihnen sage, daß es keinen Sinn hat, Reformvorschläge zu machen, wie dies allerdings häufig geschehen ist und noch geschieht, soweit von vornherein feststeht, daß diese Vorschläge weder politisch, d. h. im Grunde genommen faktisch, noch juristisch durchführbar sind. Die Haupthindernisse einer grundlegenden Revision der Charta liegen in den von der Charta (Art. 108, 109) selbst aufgebauten Barrieren. Die Revision der Charta ist sowohl in Art. 108 als auch 109 an qualifizierte Mehrheiten gebunden. Diese Vorschriften beruhen auf dem Grundverständnis der Konferenz von San Francisco, daß die Charta eine rigide, d. h. nur schwer abänderbare Verfassung der Staatengemeinschaft, darstellen solle. Vor allem die den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates hinsichtlich des Inkrafttretens von Chartaänderungen eingeräumten.Vetorechte" erweisen sich als extrem revisionsfeindlich. Dies entspricht der Logik der Charta,

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nach der die Großmächte die eigentliche Verantwortung für die friedenssichernde Aufgabe der Vereinten Nationen tragen und in dieser Verantwortung nicht durch Überstimmen ausgeschaltet werden können. I Obwohl die Charta in vielen ihrer Bestimmungen überholt ist und trotz der Arbeiten der Sonderkommission,2 die sich mit dieser Frage beschäftigt, kann behauptet werden, daß die Möglichkeiten einer fundamentalen Revision dieses .Grundgesetzes" weit entfernt liegen. Allerdings sind in der Vergangenheit. technische" Anpassungen durchaus akzeptiert worden. Die erste erfolgreiche Revision auf der Basis von Art. 108 der Charta hat zur Änderung der Art. 23, 27 und 61 der Charta geführt. Die ständig wachsende Zahl von neuen Mitgliedern, vor allem von Entwicklungsländern, machte eine zahlenmäßig stärkere Vertretung der nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat und eine Vergrößerung des ECOSOC notwendig. 3 In einer weiteren Revision (AIRes. 2101 vom 10.2.1965) wurde der versehentlich nicht abgeänderte Art. 109 Abs. 1 der Charta der neuen Mitgliederzahl des Sicherheitsrates angepaßt. Diese Revisionen von 1963 und 1965 - sachlich handelt es sich allerdings nur um eine Revision - haben Struktur und Funktion der Vereinten Nationen nicht grundsätzlich berührt. Der Erweiterung des ECOSOC wird allerdings die derzeitige Ineffizienz dieses Gemiums 4 angelastet. 5 Auf diesen Gesichtspunkt werde ich noch zurückkommen. Im großen und ganzen ist die Charta heute noch immer ein sehr brauchbares Instrument, und die Mitgliedstaaten hätten vielleicht große SchwieI Jacques Dehaussy, Article 108, Article 109, in: Jean-Pierre Cot / AJain PelJet (Hrsg.), La Charte des Nations Unies. Commentaire article par article, ParisIBrüssel 1985,1417 ff., 1433 ff.; Joseph Nisot, La Revision de la Charte des Nations Unies, in: Revue Beige de Droit Internationale (1965), 369 ff.; Hans Jürgen SchJochauer, Bemerkungen zur Revision der Charter of the United Nations, in: ZaÖRV 19 (1958), 16 ff.; Egon SchweJb, The 1963/1965 Arnendments to the Charter of the United Nations, in: AJIL 60 (1966), 371 ff. 2 Mit Res. 3349 (XXIX) vom 17. Dezember 1974 wurde zunächst ein Ad hocAusschuß zur Charta der VN eingesetzt, der mit GA Res. 3499 (XXX) vom 15. Dezember 1975 in den Sonderausschuß zur Charta der VN und zur Stärkung der Rolle der Organisation umgewandelt wurde. Dazu Bengt Broms, The Special Committee on the Charter of the United Nations and the Strengthening of the Role of the Organization, in: GYlL 20 (1977), 77 ff. 3 Egon SchweJb, Arnendments to Article 23, 27 and 61 of the Charter of the United Nations, in: AJIL 59 (1965), 834 ff. - Die Mitgliederzahl der ECOSOC wurde durch GA Res. 2847 (XXVI) vom 20. Dezember 1971 nochmals auf jetzt 54 erhöht. 4 Dazu der Generalsekretär in seinem Bericht an die GV, UN Doc. A/42/1, S. 7; ausführlich auch in seinem Bericht .Co-ordination in the United Nations and the United Nations System" vom 22. Mai 1987, UN Doc. A/42/232, paras. 25 ff. S So etwa Frederic L. Kirgis, United Nations Economic and Social Council, in: EPIL 5 (1983), 313.

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rigkeiten, müßten sie über eine neue Verfassung der Weltgemeinschaft verhandeln oder beschließen. Man kann sich sogar fragen, ob die Einigung über ein Vertragswerk wie die Charta nicht Erlebnisse wie die des Zweiten Weltkrieges voraussetzt und daher in der heutigen Zeit nahezu unmöglich wäre. Wenn daher über die Reform der Vereinten Nationen nachgedacht, debattiert oder geschrieben wird, bezieht sich dies eher auf das Funktionieren der Organisation, wie sie existiert. Ohne Gewähr auf Vollständigkeit möchte ich in diesem kurzen Beitrag versuchen, einige Gedanken zu formulieren, die sich mit der Frage befassen, wie das Funktionieren der Vereinten Nationen verbessert werden könnte, ohne aber an ihren Grundprinzipien zu rütteln. Zentrale Fragen bilden dabei die Verfahrensordnungen und qie Arbeitsmethoden der Organisation. 11. Zusammenspiel von ECOSOC und Generalversammlung Einige Bemerkungen über die Arbeitsmethoden der Generalversammlung vorweg. In Art. 7 der Charta werden die Hauptorgane der Organisation vorgestellt, Art. 15 bestimmt, daß die Generalversammlung die Berichte der anderen Organe erhält und prüft. Für die Berichte der Hauptorgane - mit Ausnahme des Berichts des Sekretariats - ist dies meistens nur eine Formalität und das soll, meine ich, so bleiben, obwohl das Verhältnis zwischen Generalversammlung und ECOSOC besondere Züge aufzuweisen hat, die eher auf eine Unterordnung des ECOSOC unter die Generalversammlung schließen lassen. Diese Unterordnung läßt sich z. B. aus Art. 66 der Charta ableiten; diese Vorschrift ist keineswegs mit der Rolle des ECOSOC als Hauptorgan vereinbar. Eine Angelegenheit, die der ECOSOC behandelt und worüber dieser eine Resolution verabschiedet hat, sollte m. E. nicht mehr in der Generalversammlung aufgegriffen werden. Dies würde bedeuten, daß der ECOSOC alle Angelegenheiten, die zu seinem Kompetenzbereich gehören, ausschließlich zu behandeln hätte und nur ausnahmsweise Empfehlungen zur endgültigen Verabschiedung an die Generalversammlung weiterleiten würde. Diese Arbeitsmethode hätte den Vorteil, die Agenda und die Arbeitszeit der Generalversammlung wesentlich zu verkürzen. Im jüngsten Bericht der United Nations Association of the United States of America 6 lese ich, daß man sich dort auch in diesem Sinne geäußert hat. Dieser Vorschlag ist allerdings, und hierauf sollte ausdrücklich verwiesen werden, bei der gegenwärtigen Struktur des ECOSOC und dessen Stellung zur Generalversammlung nicht ganz unproblematisch. Den~ selbst diese verfahrensrecht6 United Nations Association 01 the United $tates 01 America (UNA-USA), A Successor Vision: The United Nations 01 Tomorrow, Final Panel Report, New York

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liehe Neuordnung würde zu einer größeren Unabhängigkeit im Verhältnis zur Generalversammlung führen. Voraussetzung dafür ist, daß innerhalb der Generalversammlung überhaupt der politische Wille besteht, die Rolle des ECOSOC für wirtschaftliche und soziale Fragen aufzuwerten. Davon kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Es besteht eine Tendenz der Staatenmehrheit, die Kompetenzen bei dem Plenarorgan zu konzentrieren und Organe mit beschränktem Mitgliederkreis in ihrer Bedeutung zurückzudrängen. Sollte sich diese Erkenntnis aber doch durchsetzen, so wären eine klare Arbeitsteilung zwischen Generalversammlung und ECOSOC und eine personelle Aufwertung des letzteren notwendig. Wie Sie wissen, arbeitet die Generalversammlung hauptsächlich durch die sieben Ausschüsse, von denen jeder für einen bestimmten Themenkreis zuständig ist, während das Plenum drei Aufgaben hat: 1. die jährliche Generaldebatte, 2. die formelle Annahme der in den Hauptausschüssen angenommenen Resolutionen und 3. die direkte Besprechung gewisser hervorstechender Probleme, denen man auf diese Weise eine besondere Bedeutung beimessen will. Obwohl in der Vergangenheit Vorschläge zur Beschränkung der Generaldebatte bezüglich der Redezeit oder der Themenkreise gemacht worden sind, scheint es mir utopisch zu glauben, man könne in dieser Hinsicht Vorschriften erlassen. Diese Generaldebatte ist das alljährliche .Hochamt", das der Regierung eines jeden Mitgliedstaates die einmalige Gelegenheit bietet, auf höchster Ebene ihre Außenpolitik darzulegen. 1 Deswegen glaube ich nicht, daß man - realistisch betrachtet Änderungen in der Praxis der Generaldebatte erwarten kann. Im übrigen meine ich, daß das Plenum nur ausnahmsweise eine sehr beschränkte Zahl von Themen direkt, d. h. ohne Verweisung auf Hauptausschüsse, aufgreifen kann. Es ist leider unmöglich, in dieser Hinsicht genaue Richtlinien aufzustellen. Wie Sie wissen, entscheidet das Büro der Generalversammlung souverän über die Frage, welche Themen in den Hauptausschüssen und welche direkt im Plenum behandelt werden. Man kann nur wünschen, daß das Plenum sich grundsätzlich nicht direkt mit solchen Themen befaßt. Meine dritte Anmerkung über die Arbeit der Generalversammlung ist eigentlich hinfällig. Die getroffene Grundsatzentscheidung8, künftig nur dann neue Hilfsorgane der Generalversammlung bzw. des ECOSOC zu 7 Zur Generaldebatte Klaus Dicke, Zwischen weltpolitischer Analyse, politischem Meinungskampf und Ritual der Staatengleichheit. Die Generaldebatte der 42. Generalversammlung der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen 36 (1988), S. 1-7. 8 Report of The Group of High-Level Intergovemmental Experts to review the efficiency of the administrative and financial functioning of the United Nations, GAOR 41/ Supp. No. 49 (A/41149), S. 6.

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bilden, wenn eine existierende ad hoc- oder Sonderkommission ihre Arbeit beendet hat, und diese zudem nicht jährlich tagen zu lassen, trifft den Kern meiner Kritik und ist sehr zu begrüßen. Wie Sie wissen, gibt es heute etwa 200 Hilfsorgane der Generalversammlung und des ECOSOC. Durch eine solche Beschränkung wird für die Generalversammlung Arbeitszeit gewonnen. Man könnte etwa im Rahmen der Kodifikation den Vorschlag machen, statt auf einer kostspieligen diplomatischen Konferenz, wo überdies nicht alle Staaten vertreten sind, Vertragstexte oder Deklarationen in der Generalversammlung ausarbeiten zu lassen. Ich weiß, daß dies ein sehr umstrittenes Thema ist und daß man als Gegenargument anführen könnte, mit der in der Generalversammlung ausgearbeiteten Convention of Special Missions seien in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht worden. Ich sehe dies allerdings nicht so pessimistisch und könnte mir vorstellen, daß durch die Anwesenheit praktisch aller Mitgliedstaaten in der Generalversammlung hier statt auf einer diplomatischen Konferenz an der Endphase der Kodifikation mitgearbeitet werden könnte. Insgesamt würde die Übertragung von Sachfragen dieser Art an die Generalversammlung möglicherweise deren Arbeitsstil positiv verändern, denn der Zwang zur Bildung von Kompromissen ist bei der Erarbeitung von Vertragstexten größer als bei der Ausarbeitung von Resolutionen, obwohl auch für diese in der Regel Konsens angestrebt wird. Lassen Sie mich nunmehr zum ECOSOC kommen. Wie schon angedeutet, sollte der ECOSOC das Organ sein, in dem letztinstanzlieh Fragen des Kompetenzbereichs dieses Organs behandelt werden, die entsprechenden Themen auf der Tagesordnung der Generalversammlung müßten dem Rat übertragen werden, der höchstens einmal - aber nicht gleichzeitig mit der Generalversammlung - im Jahr tagen sollte. Ich habe festgestellt, daß in dem Bericht der UNA-USA9 folgendes darüber geschrieben wird: •To eliminate the nearly complete duplication of agendas and debates between the Economic and Social Council and General Assembly's committees dealing with economic and social matters (Second and Third (Committee)), and to end the waste of scarce human resources that results from this duplication, the Second and Third Committees of the General Assembly should be discontinued and their duties assumed by ECOSOC.· Genau gesehen wird hier nicht eine völlige Übertragung der wirtschaftlichen und sozialen Kompetenzen der Generalversammlung an den ECOSOC gefordert, sondern zunächst nur die Verlagerung der Beratungs- und Beschlußkompetenzen angestrebt. In Wirklichkeit läuft dies jedoch auf eine weitgehende Entmachtung der Generalversammlung in diesem Sektor hinaus. Denn in der Praxis fehlt dem Plenum der Generalversammlung die Zeit, sich mit den in den Ausschüssen gefaßten Entscheidungen nochmals substantiell auseinander9

UNA-USA (Anm. 6), 86.

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zusetzen. Hinsichtlich der aus dieser Reform zu ziehenden organisatorischen Konsequenzen teilen sich allerdings die Meinungen. Die einen sagen, der ECOSOC muß viel kleiner werden, muß zurückgeschraubt werden auf die ursprüngliche Größe, während andere die Auffassung vertreten, der ECOSOC .should be enlarged to plenary size". Hieran schließen sich einige sehr interessante Bemerkungen über das Procedere an. lo Ich vertrete folgenden Standpunkt: .The General Assembly should refer all economic and sodal maUers on its agenda to ECOSOC for preliminary consideration."11 Bei einer gleichzeitigen Vergrößerung des ECOSOC auf Plenargröße würde dieser praktisch zu einem Hilfsorgan der Generalversammlung. Bliebe es dagegen bei seiner bisherigen Zusammensetzung, nähme er eine MiUelstellung ein. Dem Bericht der UNA-USA ist ferner zu entnehmen, daß der ECOSOC und die Generalversammlung einen Bericht zur endgültigen Annahme und zur Finanzierung der Resolutionen vorlegen müßten. Die Zweckmäßigkeit dieses Vorschlags ist fraglich j ich meine, dem ECOSOC muß - als einem Hauptorgan der Vereinten Nationen - das letzte Wort überlassen bleiben. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch folgendes bemerken. Der E\=OSOC hat in den verschiedenen geographischen Regionen dieser Welt regionale Wirtschaftskommissionen gebildet. Diese regionalen Wirtschaftskommissionen sollten, wie ich meine, eine viel größere Autonomie habenj ihre Strukturen müßten dann allerdings neu überdacht werden. Auch sollte die Zusammenarbeit der regionalen Wirtschaftskommissionen mit anderen regionalen Organisationen gefördert werden, was in der Praxis zum Teil schon der Fall ist. Es ist beispielsweise nicht einzusehen, warum die Wirtschaftskommission für Europa in Genf nicht den Wirtschaftskorb der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa übernehmen kann. III. Ausblick

Erlauben Sie mir, ein weiteres Thema anzuschneiden: Den Vereinten Nationen ist es sehr gut gelungen, sich den Herausforderungen einer sich immer rascher wandelnden internationalEm Gemeinschaft durch die Schaffung neuer Organisationen oder neuer Organe anzupassen. Ihnen dürften diese alle bekannt sein (UNDP, UNCTAD, World Food Programme, IFAD, UNFPA, UNIDO, UNEP, etc.). Nach einer 40jährigen Tätigkeit der Vereinten Nationen, in der immer neue Organe geschaffen wurden, hat man allerdings den Eindruck, daß dieses .network" von Organen und Organisationen eher aussieht wie .patchwork". Wo so viel Interesse besteht für die Nord-Süd10 11

Ibid. Ibid.

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Problematik, für Fragen des internationalen Handels und der Entwicklung der Dritten Welt könnte die Frage gestellt werden, ob nicht über eine Z~sammenlegung aller Organisationen und Organe innerhalb der Vereinten Nationen, die sich mit diesen internationalen Wirtschafts- und Entwicklungsfragen beschäftigen, ernsthaft nachzudenken wäre. Wäre es z. B. nicht möglich, eine neue Sonderorganisation zu schaffen, eine United Nations Economic, Trade and Development Organization, welche die Aktivitäten und Kompetenzen der UNCTAD, vielleicht des UNDP, des World Population Funds, der UNIDO umfassen würde, und ob man nicht neben der FAO auch das World Food Programme und den IFAD hier unterbringen könnte? In jeder Verwaltung ist es schwierig, einmal geschaffene Organe abzuschaffen. Läge es aber nicht im Interesse einer besseren Funktion und eines besseren Verständnisses der Organisation, das bestehende "patchwork" zu entwirren und etwas Neues zu schaffen, das alle diese Organisationen in einer rationellen Weise vereinigt? Im Bereich der humanitären Aufgaben der Vereinten Nationen scheinen Probleme bei der UNDRO zu existieren. Es existieren die Institutionen des Hochkommissars für Flüchtlinge, UNICEF, aber das jüngste Organ, UNDRO, scheint eher mühsam zu arbeiten. Es gibt in dieser Hinsicht zwei Tendenzen innerhalb der Organisation und unter den Mitgliedstaaten. Das eine Extrem über die künftige Rolle der UNDRO findet sich z. B. in dem schon erwähnten UNA-USA-Bericht. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, daß ihr nicht nur wesentlich mehr Finanzmittel, sondern auch ein wesentlich größeres Kompetenzspektrum zugeteilt wird. Demgegenüber vertritt die gegenteilige Meinung die Auffassung, die UNDRO sei überflüssig, zumindest aber müsse man sie lassen wie sie ist. Es ist die Frage, ob tatsächlich der Wille besteht, der UNDRO mehr Mittel zu geben, so daß sie direkt dort eingreifen kann, wo es "disastrous situations" gibt. Ich persönlich habe allerdings das Gefühl, daß die Mitgliedstaaten aus politischen Gründen diesen Auftrag nicht einer UNO-Organisation erteilen möchten. Vielleicht ist daher die UNDRO - in der Form ihrer jetzigen Handlungsmöglichkeiten - tatsächlich überflüssig. In den bisherigen Berichten bei diesem Symposium ist auch über die Menschenrechte und über die Aktivitäten der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet die Rede gewesen. Es ist natürlich sehr leicht, die Tätigkeit der Organisation auf dem Gebiet der Menschenrechte zu kritisieren. Wenn man allerdings untersucht, was die Vereinten Nationen in dieser Hinsicht in weniger als 40 Jahren geleistet haben, und wenn man dies in einer historischen Perspektive betrachtet, kann man mit Fug und Recht behaupten, daß hier große Fortschritte erzielt wurden, :auch wenn weder die Texte noch die Verfahren perfekt sind. Daß es aber seit 40 Jahren Verfahren verschiedener Art gibt (Berichte, Sonderbeauftragte usw.), ist nach meiner Meinung 13 •

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einer der größten Fortschritte, die in der Geschichte der Menschenrechte gemacht worden sind. Ich brauche hier keine Beispiele hervorzuheben; sie sind uns allen wohlbekannt. Ich bin mit anderen der Meinung, daß man das Augenmerk nicht darauf richten sollte, weitere Konventionen zu verfassen und neue Menschenrechte formulieren zu wollen, sondern daß vielmehr bei der Durchsetzung und der Kontrolle Fortschritte ins Auge gefaßt werden sollten. t2 Dies bedeutet keineswegs, daß die Kodifikation der Menschenrechte vollständig wäre. Eine Atempause in der Gesetzgebung zugunsten des .Normenkontrollverfahrens" scheint mir aber zur Zeit wesentlicher. Eine kurze Bemerkung über die Rolle der UNO-Streitkräfte möchte ich noch anschließen und einiges vertiefen, was ich schon anderweitig angedeutet habe. Vor allem sollten die Streitkräfte der Vereinten Nationen nicht nach, sondern vor einem Konflikt gebildet werden im Sinne von .preventive action". Schließlich ist die Rolle der nongovernmental organizations in den Vereinten Nationen, und nicht nur im Bereich des ECOSOC, ganz neu zu überdenken. Die Vereinten Nationen müssen dazu für die Anerkennung von non-governmental organizations einen ganz neuen und strengeren Standard anlegen, die Rolle dieser Organisationen muß viel wichtiger werden: die ständige Zusammenarbeit zwischen Generalversammlung und NGOs, zwischen Sekretariat und NGOs, zwischen ECOSOC und NGOs muß besser organisiert werden. Im Rahmen der Vereinten Nationen müßte ein permanentes Organ geschaffen werden, in dem die NGOs ein Aussagerecht hätten. Konferenzen zur Vorbereitung wichtiger Stellungnahmen, Deklarationen und Abkommen sollten hearings mit den zuständigen NGOs vorausgehen. Gestatten Sie, daß ich kurz etwas verlese, nicht aus dem berühmten Artikel von Gorbatschow, The Reality in Safeguards for aSecure World, sondern aus Erklärungen, die etwa einen Monat später von russischen Vertretern in den Debatten der Generalversammlung gemacht worden sind. Und zwar möchte ich Ihnen einige Ausschnitte aus dem Statement von Vizeaußenminister Petrovski im 6. Ausschuß.während der Debatte über den Bericht des Sonderkomitees über die Charta der Vereinten Nationen verlesen. Petrovski sagt z. B. über die Streitkräfte der Vereinten Nationen folgendes: •We believe that the special missions to the areas of existing or potential conflicts would contribute to the strengthening of the security and to enhancing the effectiveness of the decisions made. We come to a conclusion that an integral component of international pe ace and security should be a broader use of UN peace-keeping operations with the view to averting clashes between states. It is by far easier to prevent a fight and put it 12

Vgl. dazu auch den Beitrag von Rüdiger WolfrUIß in diesem Band, S. 151 ff.

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out, and this is why we come out in favour of a wider application of the techniques and models of preventing diplomacy in UN-practices."13 Im Gorbatschow-Artikep4 wird auch kurz die Rolle des Konsenses in den Vereinten Nationen angesprochen: .We emphatically stress the need to make the status of important political documents passed at the United Nations by consensus more binding morally and politically." Petrovski wiederholt diesen Satz und verweist dann auf eine bessere Kontrollmöglichkeit für die Vereinten Nationen, .a mechanism of broad international control over compliance with the agreements of reducing international tensions and limiting armour under the UN-auspices". Und über die Rolle der non-governmental organizations sagt er: •The United Nations could help implement ideas and initiatives concerning non-governmental commissions and groups which could analyse the causes, circumstances, and methods of resolving specific conflict situations."15 Und derselbe Petrovski hat die Idee für den Konsensus etwas erweitert in einem Statement am 9. Oktober, ebenfalls im 6. Ausschuß über. The Report of the special committee on enhancing the effectiveness of the principle of non-use of force in international relations· und sagt: .Attaching extreme importance to the consensus method of decision-taking in general, we view it as a manifestation of the ability of sovereign states to come to agreement and to assurne important moral and political obligation to ensure security for all ... It is on the basis of consensus ... that constructive interaction of states in tackling international problems is best ensured. It is only natural that the documents adopted by consensus merit a special place. Therefore·, dann wiederholt er den Gorbatschow-Satz, .we come out in favour of making the documents, adopted by general agreement, more binding ...•. 16 Lassen Sie mich schließlich ein weiteres Statement zitieren. Die Generalversammlung empfängt, bespricht und verabschiedet Berichte der anderen Hauptorgane der Vereinten Nationen. Eines dieser Organe ist der International Court of Justice. Daher kommt auch der Bericht des Internationalen Gerichtshofes vor die Generalversammlung. Diesmal entspann sich hierüber eine kurze Debatte. Das Statement von Herrn Ordzhonikidze (UdSSR) hätte vor 20 Jahren der Vertreter der Vereinigten Staaten sagen können: .An intrinsic element of this international machinery is the international judicial procedure, that is the UN International Court of Justice. Accordingly, one needs to take a fresh look at the work of the Court and to outline new approaches for a more active use of its potential in the interests of USSR Mission to the UN., Press release Nr. 136, 16. Oktober 1987, S. 4. Reality and Guarantees for aSeeure World, orig. (russ.), in: Pravda, 17.9.1987; engl. Übersetzung New Times 39/1987, S. 3-6 (6). 13 14

IS 16

Petrovski (Anm. 13), S. 5.

USSR Mission to the U.N., Press release Nr. 127,9. Oktober 1987, S. 4.

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international peace and legal order. The International Court of Justice could become one of the most important guarantors of peace, security, and cooperating among states. The unique status of this principal judicial organ of the Organization makes that essential. The unique nature of this judicial body is dear. Together with the Security Council and the General Assembly, it is one of the principal organs of the UNo The Court possesses universal competence, not restricted by the confines of any region or any sphere of activity of states, which is one way in which it differs fundamentally from other international judicial mechanisms. The Court has great experience in investigating disputes in various areas of inter-state relations, and, of course, it makes a useful contribution towards discharging the primary task of the Uni ted Nations, the maintenance of international peace and the guaranteeing of security. However, the role of this principal judicial organ could be enhanced further - apart from the provisions established in the Charta and the Court's Statute - and promoted by the objective need to enhance the role of internationallaw in world affairs. ( ... ) One should not forget that enhancement of the effectiveness of the International Court would mean that it should co-operate dosely with the other principal organs of the UNo The General Assembly and the Security Council could refer to it more often for advisory opinions on contentious questions of international law." 17

IV. Chancen Ich möchte daher zum Schluß die Frage stellen, ob der Wandel in der Auffassung der Sowjetunion nicht nutzbar zu machen ist, ob Z. B. die Zahlung von allen rückständigen Schulden an die Organisation durch die Sowjetunion nicht neue Ansätze für eine positive Entwicklung in der Rolle der Vereinten Nationen bieten könnte. Nach aller Kritik an den Vereinten Nationen kann die Frage gestellt werden: Ist hier nicht etwas im Gange, das in der Zukunft tatsächlich einen Wandel in der Organisation mit sich bringen könnte, etwas Neues, die Haltung der Sowjetunion, die man neben die neue Haltung der Vereinigten Staaten stellen kann? Angesichts dieser neuen Realitäten könnte man vielleicht diskutieren, ob die Organisation der Vereinten Nationen, die notwendig ist und bleibt, in Zukunft tatsächlich nicht anders aussehen wird. Während der 40 Jahre der Existenz der Vereinten Nationen wurden mehrere Versuche unternommen, Reformen durchzusetzen; praktische Ergebnisse haben sich hieraus nur bedingt ergeben. Die sogenannten finanziellen Schwierigkeiten der Organisation, die durch die Rückstände und Beitragsverweigerungen entstanden 17 GA, Provisional Verbatim Record 01 the Thirty-Sixth Meeting, UN Doc. A/42/PV.36, 15. Oktober 1987, S. 6 f.

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sind, haben gezeigt, daß die Großmächte die Organisationen als ein sehr wichtiges Mittel in der internationalen Politik betrachten. Erpressungen haben zu kosmetischen Korrekturen Anlaß gegeben, aber auch bewirkt, daß ausstehende Beiträge gezahlt wurden und daß ein Wandel in der Einschätzung der Rolle der Organisation eingetreten ist. Kann sich die eine Großmacht (die USA) im Lichte dieser Entwicklungen bei der Einschätzung der Organisation durch die andere Großmacht (die UdSSR) wirklich erlauben, ihre negative Einschätzung fortzusetzen? Ich glaube es nicht. Denn angesichts der festen Unterstützung der Organisation durch die Dritte Welt - auch wenn sie finanziell einen relativ kleinen Beitrag liefert - können die Großmächte es sich nicht erlauben, dieses Instrumentarium der internationalen Politik zu vernachlässigen. Ersparnisse werden wohl notwendig sein, wie in jeder Verwaltung. Sie werden aber minimal bleiben und kaum zu tiefgreifenden Reformen im System Anlaß geben: .Plus t;a change, plus t;a reste la meme chose." Und trotzdem bleibe ich von der absoluten Notwendigkeit und Nützlichkeit der Vereinten Nationen überzeugt, denn das Motto: •W as wir selbst tun, machen wir besser" ist in der heutigen Welt der Interdependenz ein Absurdum.

Diskussion zum Referat von Erle Suy

Delbrück:

Vielen Dank, Herr Suy. Ich denke, daß wir nach diesem Referat Gelegenheit haben - es war ja auch so geplant und die Organisatoren sind natürlich froh, wenn sich der Plan erfüllen läßt -, die Diskussion, die wir in den vergangenen Tagen hatten, weiterzuführen. Herzlichen Dank noch einmal. Hüfner:

Ich habe eine kurze Bemerkung und zwei Fragen. Zunächst einmal konnten wir feststellen, daß bei den Zitaten, die Herr Suy gebracht hat, immer von Effizienz oder Effektivität die Rede war. Dies ist insofern interessant, als hier eben doch zumindest der Versuch einer .politischen" Definition dieser Begriffe durchgeführt wird. Hier wird gewissermaßen eine Nutzenfunktion über den Stellenwert bestimmter existierender Institutionen des VNSystems definiert. Und es geht jetzt darum festzustellen, ob diese Nutzenfunktion auch von den anderen Mitgliedern des UN-Systems geteilt und akzeptiert wird, um über Effizienz und Effektivität dieser Organisationen im einzelnen sprechen zu können. Herr Suy, Sie haben im Zusammenhang mit den Zitaten dann auch zugleich die Frage gestellt, wie ernst es nun die Sowjetunion meine. Man müßte in dem Zusammenhang dann auch die Frage stellen: wie ernst meinen es eigentlich die Vereinigten St~aten von Amerika? Und zwar einmal gegenüber dem UN-System als ein multilaterales Instrument, womit wir auch gleichzeitig wissen und erfahren, daß, wenn es beide sehr ernst mit ihren bilateralen Beziehungen meinen, diese durchaus zu einem gewissen Umfang auf Kosten der multilateralen Institution gehen können. Meine zweite Frage lautet: Wissen Sie etwas über die Reaktionen anderer Mitgliedstaaten zu den Ausführungen von Gorbatschow, sei es im 1. oder 6. Ausschuß, sei es zu den Reden anläßlich der allgemeinen Debatte in der Generalversammlung?

Diskussion

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Arnold:

Herr Suy, Sie haben ein Bild unter einem doppelten Vorzeichen gezeichnet. Einmal unter dem Vorzeichen Verbesserung der Verfahren bis hin zur Reform im VN-System, und zum anderen sowjetische Initiative Gorbatschow-Erklärung. Ich habe nur eine Frage: Wie paßt sich in dieses Bild der Sicherheitsrat ein? Hilf:

Ich möchte drei Fragen ansprechen. Herr Suy, meine erste Bemerkung, bei der ich Ihnen grundsätzlich zustimmen möchte, bezieht sich auf die Unterorgane: Unter welchen Voraussetzungen sollte man der Weiterentwicklung der Organisation positiv gegenübergestellt sein? Oder, Sie haben ein Beispiel dafür zitiert: Soll man nur dann weitere Unterorgane schaffen, wenn man gleichzeitig dafür sorgt, daß man die gleiche Zahl von Unterorganen beseitigt? Das klingt fast nach Altstadtsanierung: Anstelle eines Neubaus nur Sanierung auf der Grundlage der alten Viertel. Dieser Vergleich drängte sich mir auf bei dem Beispiel der UNDRO, das Sie zitiert haben. Sie sagten, diese Organisation sei zur Zeit funktionslos, und im Augenblick sehe man kaum einen Willen der Staaten, dies zu ändern. Aber man weiß vielleicht gerade bei diesem Unterorgan noch nicht, ob es sozusagen als Organisationshülle, die im Augenblick noch ohne Luft ist, irgendwann einmal wieder gebraucht werden könnte, wenn sich plötzlich ein Bedarf zeigen würde und ein Neugründungsvorgang viel zu umständlich wäre. Ein Beispiel dazu aus dem europäischen Bereich ist die Westeuropäische Union (WEU). Man hätte sie wahrscheinlich schon vor vielen Jahren auf umständliche Weise auflösen können. Aber in jüngerer Zeit ergab sich eine politische Situation, in der man daran dachte, diese halb ruhende Organisationshülle wieder mit neuem Leben zu füllen. Auch auf der Ebene der Vereinten Nationen könnten auf diese Weise funktionslos gewordene Unterorgane ihren Sinn behalten, auch wenn zunächst nicht ersichtlich ist, wofür eine solche Bevorratung von Organisationshüllen zur Zeit gut ist. Die zweite Bemerkung betrifft die von Ihnen zur Zeit als ausgeschlossen angesehene Reform der UN-Charta. Hier stimmen wir, glaube ich, alle überein. Nur sollte man eine solche Reform nicht grundsätzlich ausschließen. Zumindest sollte man den Weg offenhalten, wenigstens zu ergänzenden Kapiteln oder Protokollen zu kommen, obgleich diese Änderungen wohl genauso schwer zu erreichen sind Wie eine solche der Gesamtcharta. Aber wenn man nicht so weit greift, die gesamte Charta neu zu gestalten, sollte das Instrument der Vertragsergänzung nicht von vornherein beiseite gelegt werden.

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Diskussion

Im Hinblick auf die künftige Rolle des IGH - und damit komme ich zu meiner letzten Bemerkung - würde ich meine Skepsis eher aufgeben, wenn ich von der östlichen Seite die erste Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH sehen würde. Sicherlich sind auf dieser Seite neue Überlegungen festzustellen. Man sollte aber nicht immer nur auf eine verbindliche Streitbeilegung abzielen und dies als das eigentliche Ziel an den Anfang setzen. Andere Mittel der internationalen Streitbeilegung sind zunächst aussichtsreicher, wie etwa das Instrument der Vermittlung. Gerade die Vermittlung ist in letzter Zeit äußerst erfolgreich gewesen, auch wenn sie nicht - oder weil sie nicht? - im zentralisierten RahmeILder UN erfolgt ist. Drei Beispiele: Der Beagle-Kanal, der Streit um die Falkland-Inseln / Malvinas und die iranische Geiselfrage. In diesen Fällen hat die Vermittlung durch einen unabhängigen Dritten letztlich Erfolg gehabt. Dieses Verfahren könnte Schritt für Schritt institutionalisiert und in ein Verfahren gefaßt werden, in das zunehmend rechtliche Elemente beigemischt werden, ohne daß die Parteien es merken. Denn der Vermittler kann, wenn er fähig ist und sich durch unabhängige Gutachter beraten läßt, ein juristisch so fundiertes Ergebnis vorschlagen, daß die Parteien letztlich an einem solchen Vorschlag nicht mehr vorbeikommen. Ein solches Verfahren könnte den Staaten die Sorge vor einem Verfahren vor dem IGH nehmen, dessen endgültige Entscheidung sie nicht mit Sicherheit vorhersehen können. Skubiszewski: Der Bericht von Herrn Suy war sehr interessant und - was vielleicht noch wichtiger ist - reich an Ideen. Ich habe drei Anmerkungen. Erstens, die Auszüge, die Sie, Herr Suy, aus der sowjetischen Rede verlesen haben, sind sehr bedeutend. Die Rede zeigt deutlich, daß die Politik der Sowjetunion und auch die Politik der anderen COMECON-Staaten reformierbar ist. Dies bezieht sich meines Erachtens nicht nur auf die Außen-, sondern in gleicher Weise auch auf die Innenpolitik. Natürlich interessiert uns hier primär die Außenpolitik und der Sektor der Vereinten Nationen. Eines aber muß ich zu bedenken geben. Man muß zwischen der Möglichkeit einer Reform und der Kontinuität des politischen Systems unterscheiden, das ist ein wichtiger Unterschied. Die Reformen, seien sie auch von fundamentalem Charakter, sind möglich bzw. erscheinen möglich, das politische System aber bleibt und diesem System folgt auch die Politik. Meine zweite Bemerkung ist kurz. Ich teile die Meinung von Herrn Suy, daß es möglich sein sollte, Vertragstexte und einige Deklarationen direkt der Annahme der Generalversammlung zu unterbreiten und nicht alles in Spezialkonferenzen und Ausschüsse zu verlegen. Schwierig wird dies allerdings etwa bei Deklarationen, die ziemlich lange Textpassagen aufweisen.

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Hier muß man an die Verbesserungen und Veränderungen im Laufe der Verhandlungsprozedur und des ganzen Verhandlungsprozesses denken. Dies will ich nicht weiter ausführen, ich sprach bereits heute vormittag darüber. Mein dritter und letzter Punkt ist ein bißehen länger. Herr Suy zeigte uns ein großes Spektrum von Problemen, die mit Reformbestrebungen in den VN verbunden sind, aber ein Bereich fehlt in seinem Bild. Dieser Bereich ist die Stellung des Generalsekretärs in der friedlichen Streitbeilegung und anderen Situationen. Meiner Meinung nach sind die Fälle insbesondere bemerkenswert - sie sind in der politischen und juristischen Literatur schon oft besprochen -, in welchen der Generalsekretär nicht aufgrund einer Ermächtigung der Hauptorgane tätig war, sondern auf .eigene Faust" oder auf individuelles Ersuchen der Mitgliedstaaten, welches ohne eine Zusammenarbeit mit den Organen in den VN stattgefunden hatte, aktiv wurde. Diese Rolle des Generalsekretärs sollte gefestigt und ausgebaut werden. Hinzu tritt das Problem, daß sich manchmal nur schwer feststellen läßt, ob die konkrete Situation für eine solche Tätigkeit des Generalsekretärs schon reif ist. Afghanistan als Beispiel: Hier konnte der Generalsekretär praktisch nichts zur Beilegung des Streites beitragen. In solchen Fällen sollte er sich mit weitgehender Vorsicht einschalten. Oft stehen seiner Tätigkeit auch ganz einfache praktische Hindernisse im Weg. Der Generalsekretär braucht vor allem Geld und Information, um tätig werden zu können. Die Finanzprobleme waren das gestrige Thema von Herrn Klein, deswegen möchte ich hierauf nicht weiter eingehen, sondern nur erinnern, daß man für diese Tätigkeit des Generalsekretärs die Verabschiedung eines Spezialabkommens vorschlägt. Prof. Thomas M. Franck aus New York erwähnte in diesem Zusammenhang eine konkrete Summe, nämlich 40 Millionen Dollar. Was die Information über die potentiellen Reibungen und Konflikte betrifft, gab es schon verschiedene Vorschläge. Herr Suy kennt diese Vorschläge besser als ich, ich möchte nur einen erwähnen: Im Juni 1985 schlug der italienische Politiker Amintore Fan/ani vor, daß der Sicherheitsrat die Rolle eines ständigen Beobachters potentieller Reibungssituationen spielen sollte. Doch in der Mehrzahl der Fälle kann der Generalsekretär diese Funktion besser erfüllen als der Sicherheitsrat. Dazu hätte ich gerne von Ihnen, Herr Suy, Ihre Auffassung gehört. Suy: Herr Hüfner, Sie haben die Frage gestellt, ob mir die Reaktionen anderer Mitgliedstaaten auf die Erklärung dieser angeblich neuen Position der Sowjetunion bekannt sind. Im Text befinden sich nur einige Erklärungen bezüglich der Position der Sowjetunion gegenüber dem IGH, angeblich gab

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es nur zwei, die gesagt haben, gut, wir nehmen sie beim Wort. Man müßte die Frage eigentlich an die Vertreter des Auswärtigen Amtes stellen, die vielleicht die Neuentwicklung in den letzten Wochen besser verfolgt haben. Herr Botschafter Arnold, ich habe es bewußt vermieden, über den Sicherheitsrat zu reden, und zwar aus zwei Gründen: Erstens hatte ich dazu den Bericht von Herrn Wolfrum gelesen und habe gedacht, da wäre alles drin und habe angenommen, daß darüber hier ausgiebig diskutiert worden ist. Zweitens, und das ist vielleicht der tiefere Grund, weil ich es nicht für realistisch halte, Reformvorschläge über ein Organ zu machen, das nicht nur das Zentralorgan der Organisation ist, sondern ein Organ, das ständig selbst mit seiner eigenen Reform in der Praxis beschäftigt ist. Ich glaube, daß die Mitglieder des Sicherheitsrates, und vor allem die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, jeden Reformvorschlag von außen für unakzeptabel halten. Das ist meines Erachtens der Grund, warum man in allen Bereichen und Symposien im allgemeinen sehr wenig über die Arbeitsweise des Sicherheitsrates findet. Seine Mitglieder sind wirklich sehr souverän auf diesem Gebiet. Sehr oft wird die Frage gestellt, wieso der Sicherheitsrat noch immer mit seinen .Provisional Rules of Procedure" aus den vierziger Jahren arbeitet. Dies deswegen, weil nämlich die ständigen Mitglieder nicht wollen, daß man sich mit dieser Frage beschäftigt. Der Sicherheitsrat hat durch verschiedene Verfahren, die er selbst eingeleitet hat, seine Arbeitsmethoden den wechselnden Umständen angepaßt. Wir alle wissen, daß seit etwa 15 Jahren der Sicherheitsrat nicht mehr in öffentlichen Sitzungen tagt, bevor nicht in nicht öffentlichen Privatkonsultationen versucht worden ist, einen Konsensus zu erreichen. Ich glaube, das sind Reformen, die der Sicherheitsrat selbst eingeleitet hat und wozu es keiner Anregung von außen bedarf. Herr Hilf, Sie haben zu Recht festgestellt, daß hier in diesem Kreise allgemein die Überzeugung herrscht, es sei heute unmöglich, die Charta zu revidieren. Ich habe nicht behauptet, daß eine Revision unmöglich ist. Ich habe gesagt, daß - wie die Sache heute aussieht - die Charta der Vereinten Nationen nicht revidiert werden kann. Ob es in Zukunft noch so bleibt, das habe ich am Ende meines Vortrages in Frage gestellt. Die Möglichkeit besteht, vorausgesetzt, die ständigen Mitglieder sind damit einverstanden. Mit der Abschaffung existierender Unterorgane verhält es sich tatsächlich so, daß man geneigt ist, ein existierendes Neben- oder Unterorgan nicht endgültig abzuschaffen. Dies deshalb, weil es in der Zukunft irgendwie oder irgendwann notwendig sein könnte, dieses Organ wieder zu beleben. Aus der Erfahrung stellen die Mitgliedstaaten fest, wie schwierig es oft ist, ein neues Unterorgan zu schaffen. Das Paradebeispiel ist die Kommission über den Terrorismus. Man wird versuchen, gewisse Unterkommissionen, die

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vielleicht nicht mehr aktuell sind, nur jedes zweite Jahr tagen zu lassen. Aber ein Unterorgan wirklich aus der Welt zu schaffen, ist etwas, was wahrscheinlich mit den traditionellen und klassischen Verwaltungsregeln nicht geht. Das gilt auf nationaler Ebene, das ist auch international so. Auch wenn man Unterorgane nicht aus der Welt schaffen kann oder möchte, bedeutet dies nicht, daß sie weiterarbeiten müssen. Ich glaube, das müßte auch im Rahmen der Reform der VN untersucht werden. Wenn es nicht möglich ist, Unterorgane der Generalversammlung oder des ECOSOC abzuschaffen, müßte es möglich sein, sie für eine gewisse Zeit einzuschläfern. Die Vermittlung als Streitbeilegung. Ich glaube, Herr Hilf, Sie haben vollkommen recht, daß das Institut der Vermittlung (Consiliation) erneut untersucht werden müßte. Ob es notwendig wäre, neue Regeln hierüber aufzustellen, möchte ich in Frage stellen: Es gibt das Haager Abkommen, das doch immer sehr aktuell ist, es gibt darüber hinaus in der Praxis ud hoc-Regelungen über Vermittlung, die anwendbar sind. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß bei Streitigkeiten öfters als bisher versucht werden sollte, das Vermittlungsverfahren anzuwenden. Herr Kollege Skubiszewski hat erstens - was sehr großes Interesse verdient - festgestellt, daß in der Politik der Sowjetunion und der Ostblockstaaten Reformen möglich sind, daß aber eigentlich am System selbst nicht gerüttelt werden kann. Ich hätte da eine Gegenfrage, Herr Skubiszewski. Wie sehen Sie das - im Zusammenhang mit der Unveränderbarkeit des Systems -, wenn hier z. B. von einer erhöhten Rolle des IGH die Rede ist? Grundsätzlich war das System doch gegenüber der internatiOIlalen Gerichtsbarkeit immer ablehnend. Ich war heute morgen leider nicht dabei, als Sie sich über Verbesserungen im Verfahren bzgl. der Ausarbeitung von Deklarationen, Erklärungen usw. geäußert haben, doch möchte ich dem, was ich vorhin sagte, noch folgendes hinzufügen: Ich habe den Eindruck, daß es bei den Mitgliedstaaten - vielleicht bei den Industriestaaten und bei den nördlichen Staaten mehr als bei den südlichen Staaten - eine allgemeine Müdigkeit bezüglich der Verfahren in den VN gibt. Auch reiche Staaten, die die Möglichkeit haben, an allen Tagungen im Rahmen der VN teilzunehmen, die dafür die personellen Voraussetzungen mitbringen, empfinden, daß die Zielsetzung des Konsenses den Verhandlungsprozeß nur sehr mühsam vorankommen läßt. Der Vorschlag, daß im Verhandlungsstadium nicht alle Staaten, sondern nur diejenigen einzubeziehen wären, die wirklich Interesse am Verhandlungsthema oder an der Substanz haben - man verhandelt also nicht mehr mit 159 Staaten, sondern nur noch mit 40 oder 45 -, leuchtet mir ein. Auch andere Verbesserungen in diesem Stadium sind willkommen, aber ich sehe dennoch nicht, wie diese Vorschläge - beim Festhalten am Konsens mit

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allen Staaten - letztlich zu einer schnelleren Verabschiedung von Ververtragstexten oder Deklarationen führen könnten. Die Stellung des Generalsekretärs: Der Generalsekretär arbeitet - mehr als wir denken - auf .eigene Faust", daneben oft auf Ersuchen von Parteien, ohne Auftrag, ohne Einschaltung der Generalversammlung oder des Sicherheitsrates. Hier lassen sich sehr bekannte Beispiele nennen. In der Praxis wird der Generalsekretär fast täglich von Mitgliedstaaten aufgesucht, als Vermittler in potentiellen oder bereits existierenden Konflikten einzugreifen, ohne daß diese Fragen vor die Generalversammlung oder vor den Sicherheitsrat kommen. Diese Rolle des Generalsekretärs ist sehr wichtig und m. E. zu wenig bekannt. Seine stille diplomatische Tätigkeit ist praeter Charta. Herr Skubiszewski, Sie haben gesagt, das gesamte Problem sei das Geld; ich glaube das nicht. Auch wenn der Kollege Thomas Franck dafür 40 Millionen Dollar übrig hätte, die Information ist das Problem. Der Generalsekretär hat des öfteren vorgeschlagen, man müßte innerhalb des Sekretariats irgendeine Warnstelle haben, die es ihm ermöglicht, sobald wie möglich über Konflikte, die sich anbahnen und eventuell.heiß" werden könnten, informiert zu werden. Das ist theoretisch eine gute Lösung; dafür hat man in unseren Staaten die Diplomaten, bei den VN hat man diese leider nicht. Deshalb wurde vorgeschlagen, weil die Organisation praktisch in jedem Staat einen .resident representative" des Entwicklungsprogramms hat, diesen die Funktion des Informanten des Generalsekretärs ausüben zu lassen. Dieser Vorschlag wurde vom Generalsekretär zu Recht abgewiesen, denn der .res. rep." oder der Leiter des Informationsbüros ist normalerweise kein Diplomat. Die politische Analyse ist nicht sein Auftrag. Ich glaube, die Mitgliedstaaten würden es nicht erlauben, daß der .res. rep." sich mit solchen heiklen Fragen beschäftigt. Man hat deshalb auch an einen reisenden Gesandten des Generalsekretärs gedacht. Das Problem der genauen und der vollständigen objektiven Information des Generalsekretärs ist bis heute nicht gelöst - und ich sehe nicht, wie es gelöst werden könnte. Es fragt sich überhaupt, ob die Mitgliedstaaten damit einverstanden wären, daß irgendein internationaler Beamter im Sekretariat sich mit Fragen beschäftigt, die noch nicht aktuell sind und noch nicht zu einem Konflikt geführt haben. Ich könnte Ihnen Beispiele nennen, wo der Generalsekretär dies versucht und wo dies - nachdem die Mitgliedstaaten davon Kenntnis hatten - zu Schwierigkeiten geführt hat. Das Problem bleibt bestehen, es wird sich kaum lösen lassen.

Diskussion

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Skubiszewski:

Herr Vorsitzender, kann ich die Frage von Herrn Suy kurz beantworten? Die Frage betraf die internationale Gerichtsbarkeit im Zusammenhang mit dem politischen System. Meiner Meinung nach gehört die internationale Gerichtsbarkeit zur Politik; das wird sowohl am Beispiel der Vereinigten Staaten und ihrer Einstellung zum Internationalen Gerichtshof als auch an dem anderer Staaten, wie z. B. Frankreich, deutlich. Die Einstellung der Staaten zur internationalen Gerichtsbarkeit ist ein Politikum, das wichtige, rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, deshalb beschränken und relativieren die Staaten den Grad ihrer diesbezüglichen Verpflichtung. Die Politik eines Staates in diesem Bereich hat einen hohen Stellenwert. Als ich in diesem Zusammenhang von der Unrevidierbarkeit des Systems sprach, dachte ich nicht an die konkrete Verfassung. Die konkrete Verfassung kann geändert werden. In meinem Land, in Polen, spricht man zum Beispiel von einer fundamentalen Verfassungsrevision bis zum Jahre 1991, also in drei oder vier Jahren. Das System, das ich meine, ist die politische Philosophie der regierenden Partei, ihr folgen die grundsätzlichen Direktiven. Sie sind wichtig für die Außenpolitik, deshalb machte ich diesen Unterschied.

HailblOnner:

Ich muß gestehen, ich gehöre auch zu denjenigen, die skeptisch sind, was die Frage an einer förmlichen Chartarevision anbelangt. Ich glaube, wenn man heute in der Situation wäre, auch nur für Teilbereiche der Charta VN-Regeln förmlich festlegen zu müssen, wir würden keine Einigung erzielen. Wir stehen also vor der Situation, daß wir einen Text haben, der aus der historischen Situation der Nachkriegszeit entstanden ist, und nur in dieser Situation auch möglich war. Das Augenmerk muß man also auf die Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten richten. Da sehe ich allerdings, vielleicht im Gegensatz zu man-

chen anderen Teilnehmern an der Diskussion, erheblich mehr Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Charta. Ich denke nur an das Beispiel, das Herr Tomuschat erwähnt hat: die doch sehr weitgehende Auslegung der Kompetenzen des Sicherheitsrates. Man wird zweifeln können, ob die Verbindung von Friedenssicherung und dem Schutz der Menschenrechte unter dem geltenden Charta-System rechtlich ganz unbedenklich ist. Die Ausweitung der Kompetenzen des Sicherheitsrates wird aber getragen von der Zustimmung der Staaten; insofern sehe ich auch keine prinzipiellen juristischen Bedenken, auf diesem Wege weiterzumarschieren. Es ist besser

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- von der juristischen Warte aus - die Frage, inwieweit die Charta eine Fortentwicklung zuläßt, nicht ein für allemal grundsätzlich zu klären, sondern in einem gewissen Zwielicht zu belassen. Hier sollte man einfach auf die faktische Zustimmung der Staatengemeinschaft bauen. Aber ungeachtet dessen stehen wir natürlich vor der Situation, daß sich den Vereinten Nationen neue Aufgaben stellen und daß auch institutionell eine Reihe von Problemen aufgetreten sind. Ich glaube, man kann feststellen, daß in der Bevölkerung vieler Staaten Zweifel an der Fähigkeit der UNO bestehen - was sich u. a. auch in der Schweizer UNO-Abstimmung niedergeschlagen hat -, die vielfältigen Probleme, die sich in der internationalen Gemeinschaft stellen, angemessen zu lösen oder auch nur einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten. Wenn man sich überlegt, woran das liegt oder wie man das grundsätzlich verbessern könnte, so kommt insbesondere die präventive Konfliktverhütung ins Blickfeld, die ja nach Meinung vieler Teilnehmer bei der Charta unzureichend ausgebildet ist. Warum funktioniert es beim Sicherheitsrat nicht? Trotz Interessenübereinstimmung der Großmächte gelingt es dem Sicherheitsrat z. B. nicht, den Iran-/lrakkonflikt beizulegen. Das führt uns zu der Überlegung, daß es weniger an dem immer wieder beschworenen Interessengegensatz im Sicherheitsrat liegt, sondern daß noch andere Mechanismen vorhanden sind, die verhindern, daß der Sicherheitsrat effektiv genutzt werden kann. Einen dieser Gründe sehe ich in der stark formalisiert ausgestalteten Entscheidungskompetenz des Sicherheitsrates, die dazu führt, daß die Befassung des Sicherheitsrates oder gar eine Beschlußfassung ein so starkes politisches Gewicht hat, daß eine Großmacht einer Beschlußfassung - selbst wenn sie an sich mit ihren Interessen übereinstimmt nicht zustimmen kann, weil anderenfalls eine allgemeine Schwächung der politischen Macht befürchtet werden muß. Das müßte eigentlich dazu führen, entweder bei der Generalversammlung oder aber beim Generalsekretär nach neuen Möglichkeiten des Interessenausgleichs zu suchen. In den Referaten ist wenig die Rede über das .Special Political Committee" gewesen. Warum wird eigentlich an derartige Mechanismen so wenig gedacht, die immerhin einen Weg zur Konfliktlösung eröffnen, etwa im Bereich der Menschenrechte oder interner bewaffneter Konflikte. So ließe sich z. B. an die Einrichtung von Ausschüssen denken, die aus den wichtigsten Gruppen des Sicherheitsrates zusammengesetzt sind. Der Sicherheitsrat hat freilich eine strukturelle Schwäche; er spiegelt die Machtlage nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Diese hat sich insofern verschoben, als heute im Sicherheitsrat bei den ständigen Mitgliedern der ganze Block der Gruppe der 77 nicht repräsentiert wird. Damit stellt sich die Frage, ob nicht unter Berücksichtigung der mittlerweile entstandenen Machtblöcke neue Institutionen geschaffen werden müßten, die nun gerade nicht Entscheidungskompetenzen übertragen erhalten, sondern die im Vorfeld als •clearing" -Stelle in

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politisch sensitiven Bereichen tätig werden, ohne große spektakuläre politische Funktionen zu übernehmen. Wenn ich noch eine Bemerkung einfügen darf zu dem, was Herr Suy gesagt hat. Aus den von mir eben genannten Erwägungen glaube ich, daß z. B. ein Vorschlag, das Konsensusverfahren stärker zu formalisieren, in die falsche Richtung geht. In dem Moment, in dem man den Versuch macht, Resolutionen, die im Konsensusverfahren zustande gekommen sind, von anderen Resolutionen zu unterscheiden, wird es keine Konsensus-Resolutionen mehr geben. Damit wird das Konsensusverfahren kaputt gemacht, ohne dafür irgendeine Verbesserung zu erhalten.

DeJbrück: Vielen Dank, Herr Hailbronner. Jetzt fügt es sich gut. Die Herren sind bereits angesprochen, es kommen nun hintereinander die Herren Schreuer, Ginther und Wildhaber zu Wort. Dies ist keine Hierarchie der Neutralität, diese müßte ganz anders zu fassen sein. Doch sollte vielleicht der JuniorPartner dieses Blocks hier das Recht bekommen, zuerst zu reden. Herr Schreuer, bitte.

Schreuer: Die Rolle des Jüngeren übernehme ich gern, ob sich ein Block bildet, muß sich jedoch erst herausstellen. Ich bitte um Erlaubnis, auch zu dem einen oder anderen Punkt des heutigen Vormittags eine Bemerkung machen zu dürfen, zumal ich mich heute vormittag der Stimme enthalten habe. Herr Skubiszewski hat darauf hingewiesen, daß es wünschenswert wäre, besser zu unterscheiden zwischen Resolutionen, welche de lege ferenda und solchen, die de lege lata beschlossen werden. Es ist ihm schon entgegengehalten worden, daß die Unterlassung dieser Unterscheidung mit Vorbedacht erfolgt, daß die Staaten diese Unterscheidung also gar nicht wollen. Ich möchte noch hinzufügen, daß wir manchmal sogar das paradoxe Phänomen beobachten können, daß der Inhalt von Resolutionen, welche evident nicht de lege lata, sondern de lege ferenda sind, von manchen Staaten als ius cogens bezeichnet wird; sozusagen eine Überbewertung um zwei Stufen, um solcherart vielleicht wenigstens die Mittelstufe zu erreichen. Was die oft beklagenswert schlechte Legistik oder hohe Abstraktion solcher Resolutionen betrifft, so meine ich, daß das nicht so schlimm ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Im Zuge der weiteren Entwicklung zeigt sich 14 UN-Reform

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manchmal, daß eine Art Kaskadeneffekt im Sinne einer schrittweisen Konkretisierung eintritt. Was in einer Resolution zunächst auf fast unbrauchbar abstrakter Ebene ausgedrückt ist, wird durch spätere Beschäftigung im Detail immer präziser formuliert. Ich denke dabei etwa an die Entwicklung des Weltraumrechts, die ja in einer sehr diffusen Deklaration begonnen und sich dann langsam bis zu sehr konkreten Verträgen entwickelt hat. Heute vormittag ist von Herrn Wolfrum die These aufgestellt worden, daß in zwei großen Bereichen ein Grundkonsens besteht. Das seien der Bereich der Menschenrechte und der des Gewaltverbotes. Im Bereich der Menschenrechte wurde ihm bereits widersprochen. Ich glaube, daß man die Sache mit dem Gewaltverbot auch nicht ganz unwidersprochen lassen kann. Es gibt zwar einen verbalen Konsens, daß man Gewalt nicht wünsche und daß sie verboten sei; nur glaube ich, daß hinter dieser verbalen Front keine Einigung mehr steckt. Wir haben heute ein reichhaltiges Arsenal von Rechtfertigungen für Gewaltanwendungen aller Art. Es reicht von der vorgreifenden Selbstverteidigung über die Intervention auf Einladung, sei es durch die Regierung, sei es durch irgendeine Rebellenorganisation, bis zur Unterstützung der "Demokratie", was immer man gerade darunter versteht. Jetzt etwas allgemeiner. Bei der Debatte um die Frage, ob die Vereinten Nationen ihren Aufgaben gerecht werden oder gerecht werden können, ist es vielleicht ganz nützlich, sich einmal vor Augen zu halten, daß die Vereinten Nationen historisch eigentlich eine Einrichtung zur Verhinderung der Duplizität der Vergangenheit sind. Das trifft übrigens auch auf viele andere Organisationen zu. Man ist bei der Konzeption der Vereinten Nationen von einem ganz bestimmten Bild über die Kriegsursache ausgegangen, das damals sicherlich auch gestimmt hat. Das gleiche trifft auf den Völkerbund zu. Beim Völkerbund ging man davon aus, daß der I. Weltkrieg ein diplomatischer Unfall von an sich gutwilligen Leuten war. Man mußte also sozusagen nur ein Abkühlungsverfahren einschalten. Bei den Vereinten Nationen ging man davon aus, daß man dem verbrecherischen Außenseiter, der den Weltbrand anzündet, konzertiert entgegentreten muß. Die Situation hat sich geändert. Es ist kein Wunder, daß die Satzung der Vereinten Nationen den heutigen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird. Ich glaube, sie konnte nicht einmal der Situation im Jahre 1945 gerecht werden. Wir erleben also seit 1945 einen ständigen Umbau in der Konzeption der Vereinten Nationen, der mehr oder weniger spektakulär vor sich geht. Andererseits hat Herr Wolfrum schon gesagt, daß die Satzung so flexibel und ihr Rahmen so breit ist, daß man eigentlich alle nötigen Sachkompetenzen unterbringen kann, so daß sich das Problem der ultra vires-Handlungen glücklicherweise praktisch gar nicht stellt. Die Frage ist also nicht so sehr: Wird im Rahmen der Satzung gehandelt? Sondern: Wie kann man richtig und zielführend umstrukturieren?

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Es ist darauf hingewiesen worden, daß man nicht nur auf die Organe achten sollte, daß also eine rein organisatorische Reform nichts bringt, sondern daß vor allem die Einstellung der Beteiligten zählt. Allerdings sollte man den prozeduralen Aspekt doch nicht unterschätzen. Das geschieht oft, obgleich es in diesem Kreis heute nicht geschehen ist. Es besteht eine weit verbreitete Tendenz, prozedurale Aspekte ein wenig unter den Teppich zu kehren. Die Organe bilden einen wichtigen Rahmen. Beim Umbau der Vereinten Nationen können wir allerdings eine gravierende Degenerationserscheinung beobachten. Man hat angesichts unlösbarer Sachprobleme häufig neue Organe eingesetzt und gemeint, diese neuen Organe würden mit den Sachproblemen schon fertig werden. Die neuen Organe wurden mit den Sachproblemen meist nicht fertig. Heute haben wir zahlreiche Organe, Unterorgane und eine Vielzahl von Parallelitäten und Konkurrenzen. Man wird also bei einer sinnvollen Reform immer sowohl den prozeduralen als auch den materiellen Aspekt im Auge behalten müssen. Was konkret den Sicherheitsrat betrifft, bin ich gar nicht so pessimistisch. Der Sicherheitsrat ist ein Organ, welches seinen Aufgaben nach der Satzung bisher auch bei nachsichtigster Betrachtung keineswegs gerecht geworden ist. Andererseits haben sich die Staaten mittlerweile derart an die Ineffizienz des Sicherheitsrates gewöhnt, daß sie von vornherein kein Vertrauen mehr in ihn haben. Dies einfach deswegen, weil man sich mit dem Dauerveto - zuerst von der Sowjetunion und dann später auch von den westlichen Staaten - abgefunden hat. Vielleicht kommt es aber noch zu einem Umdenken. Vielleicht ergibt sich bei neuen politischen Fronten auch einmal eine neue Interessengemeinschaft im Sicherheitsrat. Vielleicht wird einmal nicht mehr alles unter dem Ost-West-Gegensatz gesehen, wie das lange Zeit der Fall war. Die Bemühungen im Iran/Irak-Konflikt sind - was seine Bewältigung im Sicherheitsrat betrifft - zwar nicht sehr weit gediehen, aber auch sie könnten einen ersten Ansatz in diese Richtung bieten. Herr Suy hat dankenswerterweise die Rolle der non-governmental organisations erwähnt und deren stärkere Einbindung in das UN-System auf allen Ebenen gefordert. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Nur habe ich den Verdacht, daß es hier bei vielen Staaten Widerstände geben wird. Man darf nicht vergessen, daß die Vereinten Nationen ein exklusiver Club der Staaten sind. Ich kann mir vorstellen, daß vor allem schwächere Staaten schwere Bedenken zeigen werden, wenn in dieser geschlossenen Arena der Staaten so viele neue Akteure auftreten sollen, die ihr Monopol gefährden. Aber das ist Spekulation. Zuletzt noch eine Bemerkung zur Einstellug der Sowjetunion zum IGH. Die erste Antwort auf Gorbatschows Erklärung zugunsten des IGH sollte etwa sein: Unterwerft euch bitte zunächst einmal der Fakultativklausel. Diese Forderung ist schon aufgestellt worden. Ich glaube, das ist aber zu 14 •

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wenig. Wir haben heute beispielsweise gehört, daß die Fakultativklausel keineswegs die wichtigste Grundlage für die Jurisdiktion des IGH ist. Die Sowjetunion hat sich jahrzehntelang auch konsequent geweigert, sich dem IGH vertraglich zu unterwerfen. Hier besteht meines Erachtens ein sehr viel größerer Nachholbedarf, denn diese Form der Unterwerfung durch diverse in Verträgen enthaltene Klauseln ist viel wichtiger als eine möglicherweise durch weitreichende Vorbehalte eingeschränkte generelle Unterwerfung der Sowjetunion nach der Fakultativklausel, welche kaum einen praktischen Wert hat. Ginther:

Nachdem jetzt schon einige Zeit vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Rede war, möchte ich nun zum Menschenrechtsschutz überwechseln und hierzu eine ganz konkrete Frage stellen, wie der Menschenrechtsschutz im UN-System heute ausfällt. Herr Suy, Sie haben betont, daß es auf dem Boden des Menschenrechtsschutzes einiges zu vervollkommnen gilt. Es gibt da auf UN-Ebene einen Vorschlag, der aus der Schweiz kommt, aber von Costa Rica eingebracht worden ist und im Zusammenhang mit der Verabschiedung einer Konvention gegen die Folter steht und zur Verwirklichung des Folterverbotes einen Besuchsmechanismus einführen soll. Inzwischen haben die europäischen Staaten im Rahmen des Europarates eine regionale Konvention mit einer abgewandelten Form eines Besuchssystems verabschiedet. In Lateinamerika wird mit Unterstützung der Internationalen Juristenkommission daran gearbeitet, im Rahmen der OAS ein ähnliches Besuchssystem einzurichten. In Afrika wurde eine Menschenrechtscharta verabschiedet. Auf der Tagesordnung der Menschenrechtskommission der VN steht nunmehr für 1989 die Verhandlung des Costa Rica-Protokolls und des dort vorgesehenen Besuchsprogramms. Inzwischen hat die Reformdiskussion der VN eingesetzt, und es stellt sich die Frage, inwieweit das UN-System noch eine Erweiterung des Menschenrechtsschutzverfahrens erträgt. Was ist dazu Ihre Meinung, Herr Suy? Sollen bzw. werden die Verhandlungen über ein Besuchssystem zur Verwirklichung des Folterverbots auf UNEbene weitergehen? Oder sollen sie im Hinblick auf die Entwicklungen, die in Europa stattgefunden haben und die es gegenwärtig in Lateinamerika gibt, weiter hinausgeschoben werden? Die andere Seite dieser Fragestellung ist, was in Afrika zu erwarten ist. Da wird einmal sehr viel zu tun sein, die Menschenrechtscharta, die ja bis jetzt nur eine formale Hülse darstellt, irgendwie mit Sinngehalt zu erfüllen. Für die Einrichtung eines Besuchssystems ist es sicherlich noch verfrüht. Haben die Vereinten Nationen aber die Funktion, die Idee eines Besuchssystems als eines neuen Verfahrens der

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Gewährleistung der Menschenrechte am Leben zu erhalten und daher das Costa Rica-Protokoll auch 1989 weiter zu betreiben? Sind das die Ausgaben, die es kosten wird, wert? Das Besuchssystem des Costa Rica-Protokolls ist dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz nachgebildet und soll ein neues Verfahren der direkteren Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte einführen. Wird das dafür nötige Geld in den VN auch jetzt, angesichts der Reformdiskussion, noch zur Verfügung stehen? Wieviel darf uns der Menschenrechtsschutz heute noch kosten? Das ist die Frage. Und wie sind Ihrer Meinung nach die Gewichte zwischen globalen und regionalen Menschenrechtsschutzsystemen heute verteilt oder zu verteilen? Läßt sich von dieser Frage ausgehend etwas zur Reformdiskussion sagen ? Wo sind allenfalls Schranken zu setzen, wie weit darf man heute noch mit einem wichtigen Programm fortfahren?

Wildhaber: Ich werde nicht lange reden angesichts dessen, daß meine drei Vorredner bereits verschiedene Dinge aufgegriffen haben, die ich auch behandeln wollte. Die erste Bemerkung ist durch Sie, Herr Delbrück, ausgelöst. Es ist nicht so, daß wir irgendwelche Neutralitätskomplexe haben wollen oder sollten. Die weitere Existenz der Neutralität wird nicht durch unsere Meinung vom letzten Jahr garantiert, sondern einfach durch das klassische System oder .patchwork" der zwischenstaatlichen, auf der Souveränität beruhenden Beziehungen. Das ist die letzten Endes ausschlaggebende Komponente. So lange die Staatenwelt so organisiert ist, so lange bleibt auch die Neutralität möglich. Herr Skubiszewski hat zur Sowjetunion gesagt, kleinere Reformen seien möglich, aber das System, die Politik, bleibe. Bis zu einem gewissen Grade können wir das auch auf die UNO übertragen. Kleinere Reformen sind möglich, aber das formelle, organisatorische System bleibt. Die Politik aller größeren Gruppen wird sich allerdings wandeln. Man könnte es sehr französisch sagen: "Plus c;:a change, plus c'est la meme chose." Dazu gleich meine erste Frage: Herr Suy hat relativ wenig am System gerüttelt in seiner Präsentation. Aber ich glaube doch, daß die Finanzen am System rütteln werden. Meiner politischen Einschätzung nach wird sich die amerikanische Haltung - unter und wahrscheinlich auch nach Reagan -in dem Sinn nicht ändern, daß am System gerüttelt werden soll. Insofern glaube ich, wenn Sie systemkonform, innerhalb des Systems denken, müßten Sie wahrscheinlich doch überlegen, wo es zu wackeln beginnen könnte. Und dazu, Herr Suy, hätte ich Sie gerne noch ein bißehen mehr herausgefordert. Wo wackelt es zuerst?

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Und noch eine zweite Frage zur Regionalisierung. Hier scheint es, Sie hätten zum Teil widersprüchliche Linien aufgezeigt. Sie haben auf die ECE und das dort vorhandene Potential zur Regionalisierung verwiesen. Danach haben Sie mit Ihrem Vorschlag einer Spezialorganisation, die alle die bestehenden Organe zusammenfassen sollte, eher für eine gewisse Straffung und Zentralisierung plädiert. In welche Richtung wird es hier gehen?

Skubiszewski: Gestatten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung. Herr Wildhaber sagte, ich hätte nur die Möglichkeit von kleinen Reformen angesprochen. Das muß ich insofern korrigieren, als ich auch von der Möglichkeit fundamentaler Reformen gesprochen habe, gleichwohl bleibt aber das System.

Tomuschat: Ich möchte in Anknüpfung an die Gedanken, die Herr Suy zur Kodifikation vorgetragen hat, etwas zur International Law Commission sagen, und zwar als Beispiel dafür, daß der Prozeß der Reform ein tatsächlich nicht endender Prozeß ist. Die International Law Commission ist ja sehr früh gebildet worden als Hilfsorgan der Generalversammlung bei der Erfüllung der Aufgaben nach Art. 13 der Charta. Aus ihrer Mitte sind eine ganze Reihe von Konventionen hervorgegangen, die Sie alle kennen, wie die Genfer Seerechtskonventionen, die Diplomatenkonvention, die konsularische Konvention, schließlich das Law of Treaties, das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, das jetzt auch die Bundesrepublik ratifiziert hat. Insofern kann die International Law Commission auf eine glorreiche Vergangenheit zurückschauen, und wenn wir von uns selbst sprechen, sagen wir immer .it is a prestigious body· und schmeicheln uns damit selbst. Wenn man die Gegenwart betrachtet, dann ist die Bilanz wahrscheinlich doch etwas kritischer zu sehen, und das kommt von einer ganzen Reihe von Ursachen her. Die erste Ursache ist vielleicht, daß es mit der Mitgliedschaft nicht immer zum besten steht. Die ILC hatte ursprünglich 15 Mitglieder, sie ist dann aufgestockt worden auf 21, später auf 25 und schließlich auf 34 Mitglieder. Wenn man mit Personen außerhalb der ILC spricht, heißt es stets - manchmal sehr offen, manchmal etwas verhaltener -, die ILC sei nicht mehr das, was sie einmal war. Als heutiges Mitglied muß man das zugestehen. Es läuft einem allerdings etwas kalt über den Rücken, weil man offensichtlich zu jenen gehört, die für den Verfall verantwortlich sind. In der Tat, ich war im Jahre 1966 zum ersten Mal bei der ILC, damals als frischgebackener Assistent, der in das Seminar geschickt wurde, das die

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Arbeiten in der ILC in jedem Jahr begleitet. Ich hielt mich dort drei Wochen auf und fand die ILC in der Endphase der Erarbeitung des Law of Treaties. Es war ein glänzendes Team: Sir Humphrey Waldock, Shabtai Rosenne, Tunkin, Reuter - um nur wenige Namen zu nennen. Es war wirklich eine Elite versammelt, wie man sie sich kompetenter kaum vorstellen könnte. Nun, welche Mißstände sind eingetreten? Zunächst einmal hat man bei der Themenwahl den Eindruck, daß sozusagen die relativ leichten und rechtstechnischen Themen in. gewisser Weise erschöpft sind. Es müssen jetzt Themen unter ganz schwierigen politischen Voraussetzungen behandelt werden. Das heikelste darunter ist sicher der Code of crimes against the peace and security of mankind, also die Idee, ein Völkerstrafgesetzbuch zu schaffen, das eingreifen soll bei schwerwiegenden internationalen Vergehen wie der Aggression. Die Liste der Straftaten würde sich steigern bis hin zur Apartheid oder auch der Subversion, wie etwa Herr Boutros Ghali aus Ägypten vorschlägt. Natürlich soll überdies nicht nur die Subversion als solche strafbar sein, sondern auch der Versuch und die Beihilfe dazu, was in genau der gleichen Weise auch für die Apartheid gelten würde. Was das in der konkreten politischen Wirklichkeit bedeuten kann, liegt auf der Hand. Das Thema .Internationalliability for injurious consequences arising out of acts not prohibited by international law·, Kurztitel •Risikohaftung" , ist nicht weniger umstritten. Das ist kein rechtstechnisches Thema. Es geht dabei um ganz grundlegende Fragen des Souveränitätsverständnisses. Ich kann eigentlich nicht glauben, daß wir hier bald mit einer Lösung über den Berg kommen. Die .State responsibility· ist wohl noch das technischste Thema, technisch allerdings in hohem Maße schwierig, obwohl es auch hier viele politische Implikationen gibt. Als ersten Grund für die Krise würde ich daher die doch sehr schwierigen Themen nennen, die die ILC notwendigerweise in politische Debatten hineinführen müssen. Was die Mitglieder angeht, so schlägt zunehmend vor allem die Dritte Welt Personen als Kandidaten vor, die wenig Erfahrungen im Völkerrecht besitzen. Es werden z. B. Justizminister teilweise fast routinemäßig vorgeschlagen. Eine größere Gruppe stellt ferner die Rechtsberater der Auswärtigen Ämter, die natürlich sehr viel mehr wissen, bei denen aber eine andere Gefahr auftaucht, daß sie sich in der ILC im wesentlichen als Regierungsvertreter verstehen. Und teilweise wird dies ganz offen zugegeben. Während der vergangenen Sitzungsperiode führte etwa ein Mitglied aus: Wie ich die Gelegenheit hatte, letztes Jahr in der Generalversammlung zu erklären . .. Haben Sie da nicht zugehört? Bei der Gelegenheit habe ich doch alles gesagt, und jetzt möchte ich es noch einmal wiederholen. All dies, und jetzt komme ich zu dem wichtigsten Punkt, schlägt sich natürlich nieder in der Auswahl der Berichterstatter. In früheren Jahren der

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International Law Commission wurde es häufig als selbstverständlich betrachtet, wenn Professoren die Rolle des Berichterstatters übernahmen. Mit geringen Ausnahmen lag das Schwergewicht der Berichterstattungen bei den westlichen Mitgliedern. Heute gilt als ungeschriebener Grundsatz die "equitable regional distribution", d. h. jede Region will ihren Berichterstatter haben. Und wie geht es innerhalb der verschiedenen Regionen zu? Primäres Verteilungskriterium ist nicht die Sachkompetenz, sondern eher die Anciennität. Man wächst nach oben, nach einer Reihe von Jahren der Mitgliedschaft wird man entweder Chairman oder Berichterstatter, wenn man sich einigermaßen einsetzt und nicht selbst auf Distanz zu einer solch verantwortungsvollen Aufgabe geht. Die ganze Arbeit der ILC hängt entscheidend von der Qualität der Arbeit des Berichterstatters ab. Es ist während der Reformdebatte in diesem Jahr über alles mögliche geredet worden, was noch geschehen könnte, ob man etwa die Debatten strafft oder nicht strafft. Aber wenn der Berichterstatter das Material aufgearbeitet hat und einen fundierten Vorschlag macht, wenn er in der Lage ist, die Fähigkeiten eines guten draftsman mit den Fähigkeiten eines Diplomaten und denen eines guten Gesetzgebers zu vereinigen, was natürlich nicht häufig vorkommt - als leuchtendes Vorbild würde ich Sir Humphrey Waldoek nennen -, dann läuft die Arbeit. Wenn der Berichterstatter allerdings nicht in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen, befindet sich die ILC in einer ganz hoffnungslosen Lage, und im Grunde gibt es dann keinen Ausweg. Mit anderen Worten: Durch gewisse äußere Umstände, durch den Prozeß der Politisierung und durch das Vordringen dieser Regionalverteilung sind Schwierigkeiten entstanden, die es früher nicht gegeben hat. lch kann mir vorstellen, daß man ähnliche Erfahrungen auch in vielen anderen Gremien gemacht hat. Mit rein technischen Änderungen läßt sich da gar nicht viel machen. Man müßte in der Lage sein, sehr offen über das Problem zu sprechen. Das ist allerdings kaum möglich. Portseh:

Herr Suy hat die Anregung erwähnt, eine gewisse Zahl wichtiger Aufgaben von der Generalversammlung auf ECOSOC zu verlagern. Es steht dahin, ob die Autoren alle damit verbundenen Probleme durchdacht haben. Ein voraussichtlich vergrößerter ECOSOC würde zunächst - dringender als bisher - special committees brauchen, um seine Sitzungen vorzubereiten, ob drei oder vier kann dahingestellt bleiben. Bisher unmittelbar der Generalversammlung unterstellte Organe - wie UNRWA, UNITAR und auch der Rassendiskriminierungsausschuß - würden es wahrscheinlich als capitis diminutio empfinden, wenn sie VOn der Generalversammlung auf ECOSOC umgeschaltet würden. In einem Fall müßte sogar eine Konvention

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geändert werden, was bekanntlich schwierig ist. Auch mit den Unterorganen wäre es nicht einfach. So prüfte etwa der 3. Ausschuß der Generalversammlung bisher auch die Berichte der ECOSOC unterstellten Organe. Soll das wegfallen und der 3. Ausschuß zu ECOSOC übergehen? Eine .Sanktion" in Menschenrechtsfragen besteht nur darin, daß die Berichte der Organe an die Generalversammlung gehen und von ihr veröffentlicht werden. Wenn sie nun nur noch als ECOSOC-Drucksachen erscheinen, werden sie in der Öffentlichkeit sehr viel weniger beachtet werden. Schon heute wird darüber Klage geführt, diese Berichte würden zu wenig gewürdigt; der Übelstand würde vermehrt. So entsteht eine ganze Reihe von Problemen, wenn ECOSOC zu einem echten Hauptorgan gemacht würde, das an die Stelle der Generalversammlung tritt. In gewissen Fällen wird es unmöglich sein, eine Berufung an die Generalversammlung zuzulassen, was natürlich sehr sorgfältig zu überdenken wäre.

Bothe: Ich bin etwas unglücklich darüber, daß die Diskussion hier mit einer beachtlichen Liebe zum Detail gepflegt wird und dabei vielleicht doch die Gesamtrichtung nicht genügend im Blick ist. Darum gestatten Sie mir den Versuch, etwas zur Gesamtrichtung beizutragen, so unvollkommen das auch sicher ist. Wozu sind internationale Organisationen eigentlich da? Sie sind im Laufe des letzten Jahrhunderts geschaffen worden zur kooperativen Bewältigung von Problemen, die Staaten alleine nicht lösen konnten. Dies hat Herr Scheuner in seinem vorhin schon zitierten Beitrag von 1974 sehr deutlich anklingen lassen, wenn er von den wandelnden Schwerpunkten und den Aufgaben der Vereinten Nationen sprach, weg von dem Schwerpunkt Friedenssicherung zu den Fragen der Dekolonisierung und den Fragen der Wirtschaft. Ich glaube, daß hinter der Reformdebatte und hinter dem Rütteln am System durchaus auch ein unterschiedliches Konzept der zu lösenden Aufgaben und der Art und Weise steht, wie diese Aufgaben zu lösen sind. Wir erleben eine bewußte Abkehr von kooperativen Lösungsmechanismen in dem Maße, in dem ein wesentlicher Akteur, nämlich die Vereinigten Staaten, aber nicht nur sie, glauben, daß diese Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen Regierungen entscheidende Probleme nicht oder nicht richtig lösen. In dem Augenblick, in dem Deregulation nicht nur innerstaatlich, sondern auch international gefragt ist, in dem Marktmechanismen und nicht staatliche Regelung die Wirtschaftsprobleme lösen soll, in dem Moment, wo man sagt, .das macht der Markt", ist der ganze teure Mecha-

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nismus in der internationalen Zusammenarbeit überflüssig. Und ich glaube, daß, wenn wir über Reform im System der Vereinten Nationen reden, wir uns auch diese Frage ehrlich mit stellen sollen. Persönlich glaube ich freilich, daß die Entwicklung der internationalen Organisationen seit dem letzten Jahrhundert gezeigt hat, daß wir diese Mechanismen zur Problembewältigung brauchen. Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt, der fundamental ist und der hier ein paar mal sehr kurz, ich meine zu kurz, angesprochen wurde. Es ist die Spannung zwischen Problemlösungsbedarf und Konsensprinzip. Es gibt eine Reihe von lebenswichtigen Aufgaben der internationalen Ordnung, die gelöst werden müssen und deren Lösung nicht unbegrenzt warten kann. Wir brauchen eine gewisse Geschwindigkeit zur Problemlösung, sonst laufen uns die Probleme davon. Die Schadstoffe, die im Jahre 2000 das Ozonloch noch vergrößern könnten, sind heute schon unterwegs. Dem Gebot der Geschwindigkeit steht die Tatsache entgegen, daß diese Ordnung auf Konsens aufgebaut ist. Hier haben wir einen Widerspruch von Zielvorstellungen, über die wir sehr viel nachdenken müssen. Wenn hier vorhin gesagt wurde, man kann die Verfahren nicht beschneiden, denn wir brauchen doch Konsens, ist das schon wahr. Aber das ist ein Befund, bei dem wir nicht einfach stehenbleiben können. Wir müssen uns eben Verfahren ausdenken, die diesen Konsens auch schneller ermöglichen. Das ist eine Aufgabe, die das System leisten muß. Damit komme ich doch wieder zu einem Detail, das hier erwähnt worden ist, das ich aber auch für wichtig halte. Im Hinblick auf die Geschwindigkeit der Problemlösungsmechanismen gilt es, die organisatorischen Hülsen von Institutionen zu betrachten, die mal da waren, dann mal eingeschläfert worden sind. Diese Hülsen haben u. a. den Vorteil, daß da doch schon etwas ist, so daß man sich nicht erst mit prozeduralen Vorreden aufhalten muß. Man kann das benutzen, obgleich sicherlich nicht immer ganz problemfrei. Von daher würde mir einleuchten, sich beispielsweise Gedanken darüber zu machen, wie man dauerhafte Strukturen bekommt, die im Bedarfsfall sehr schnell einsetzbar sind. Eine andere Art der Hülse, die noch nicht eingeschläfert ist, ist die ECE. Ich bin persönlich ein ECE-Fan, weil ich glaube, daß diese Organisation in der Nachkriegszeit sehr, sehr viel Nützliches getan hat. Und gibt es wieder einmal ein Problem im Umweltschutz, ist für die ECE noch sehr viel zu tun. Aber auch in anderen Bereichen, z. B. für die sich wieder entwickelnden Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen, ist sie das Gremium, das dafür einfach schon da ist.

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Vollers: Ich möchte noch mal kurz in die Niederung zurückkehren und mich der Verwirrung von Herrn Partsch anschließen. Herr Suy hat beim ECOSOC davon gesprochen, daß man ihn an die Stelle der Generalversammlung oder an die des zweiten und dritten Ausschusses setzen könnte; man könnte ihn auch einschläfern. Bei dieser Konstruktion gilt es zu bedenken, daß irgendwo diese ganzen Unterorganisationen koordiniert werden müssen, was zur Zeit in einer völlig unzureichenden Weise geschieht. Die Menschenrechtskommission z. B. macht wirklich sehr gute Arbeit. Dies wird dann in völlig unzureichender Weise über den ECOSOC weitergereicht, ohne daß sich jemand mal wirklich damit beschäftigt. Ich war selber im ECOSOC und habe gesehen, daß er eine völlig inadäquate Arbeit leistet. Man muß zu irgendetwas Neuem kommen. Anfang Januar beginnen die Sacharbeiten der Reformkommission des ECOSOC. Wir wissen noch nicht, wo wir hingehen sollen. Es wird wahrscheinlich eine Arbeit sein, die im technischen Detail stecken bleibt, ohne daß wirklich eine Änderung erfolgt. Man wird sich darauf beschränken, daß man vielleicht eine neue Resolution faßt und meint, es könnte auf diese Weise etwas anders werden. Aber eine vernünftige Grundkonzeption ist immer noch nicht gefunden. Es wäre vielleicht des Schweißes wert, darüber noch mal nachzudenken, wie der Wirtschafts- und Sozialbereich anders organisiert werden kann, so daß die Sacharbeit, die getan werden sollte, auch effektiv getan werden kann. Die zweite Sache: Herr Skubiszewski sprach von dem Generalsekretär als selbständigem Organ. Das ist eine Frage, die sicherlich in der ganzen präsentativen Friedensdiplomatie der Vereinten Nationen eine große Rolle spielt. Ich habe heute morgen kurz von dem neuen Büro berichtet, das eingerichtet wird, um dem Generalsekretär gerade bei dieser Arbeit zu helfen. Tatsache ist, daß die Sowjetunion bis jetzt immer verhindert hat, daß der Generalsekretär eine selbständige Position einnimmt und eigene Initiative ergreift, weil sie Angst hatte, daß er zu selbständig wird und nicht mehr über den Sicherheitsrat kontrolliert werden kann, wo die Sowjetunion mit ihrem Vetorecht entscheidenden Einfluß hat. Wahrscheinlich wird ein Komprorniß in der Weise gefunden werden, daß der stellvertretende Chef dieses Büros ein Sowjetbürger wird, womit dem Anliegen der Sowjetunion Rechnung getragen wäre. Herr Hüfner sprach die neue Politik der Sowjetunion an, wie sie in dem Artikel von Gorbatschow vom 17. September 1987 zum Ausdruck kommt. Andere haben von der amerikanischen VN-Politik oder vom Mangel derselben gesprochen. Das ist eine Frage, die sicherlich hochinteressant ist und uns noch einige Zeit beschäftigen wird. Allerdings, wenn man den

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Gorbatschow-Artikelliest, zeigt sich die Grundidee, die Vereinten Nationen völlig umzugestalten und alles neu zu machen, was vor Gorbatschow offensichtlich noch ungenügend geregelt war. Da wird sicherlich auch noch einige Arbeit auf der Seite ~er Sowjetunion geleistet werden müssen, um eine konsistente und kontinuierliche Politik zu finden. Während andererseits die Vereinigten Staaten sich überlegen müssen, ob sie wirklich ein solches Vakuum entstehen lassen wollen, indem andere sich tummeln können. Ich möchte noch ein kurzes Wort zu der Diskussion von heute morgen sagen, die einen eigentlich veranlaßt, einmal über Juristen in den Vereinten Nationen nachzudenken. Es ist die Kurzatmigkeit der Diplomaten erwähnt worden, die nicht über den Tag hinaus denken, es wurde von der Nebelhaftigkeit der Resolutionen gesprochen, von den Diplomaten, die keiner präzisen Rechtssprache fähig sind, und es wurde beklagt, daß der sechste Ausschuß, der die juristische Arbeit tun sollte, weitgehend unjuristisch arbeite. Vielleicht darf ich in dem Zusammenhang doch einmal feststellen, daß man als Praktiker überrascht und dankbar ist, welches Interesse und welcher Sachverstand um einen solchen Tisch versammelt ist. Davon weiß man nicht sehr viel, wenn man an seinem Schreibtisch im Auswärtigen Amt sitzt und unter den kalten Augen der großen Überzahl unserer bilateralen Kollegen arbeitet (Herr Eitel sitzt hier drüben) und erstmals hier bei einer solchen Tagung mitbekommt, wieviel über diese Probleme eigentlich nachgedacht wird und wieviel Interesse an diesen Fragen besteht. Ich möchte deswegen Herrn WolfrUIn und Herrn Delbrück ganz besonders herzlich für diese Tagung danken, die mir - uns - sehr viel gegeben hat. Delbrück:

Herr Vollers, ich möchte das eigentlich mit einem Wunsch kommentieren, was Sie eben gerade gesagt haben. Wir sollten über solche gelegentliche Treffen hinaus in der Tat darüber. nachdenken, wie wir hier einen kontinuierlicheren Informationsstrom entfalten können, denn das ist sicherlich ein Grundproblem insbesondere der kontinentaleuropäischen Staaten. Es gibt eine viel größere Osmose in den USA, weil man zwischen Praxis und Theorie viel leichter hin und her geht. Wir sind sicherlich bereit, uns hier durchaus auch Ihnen gegenüber stärker zu öffnen. Das ist ein Punkt, der mich auch schon lange beschäftigt. So, Herr Suy, Sie haben das Schlußwort. Sie sind souverän, es lang oder kurz zu machen, wie immer Sie möchten.

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Suy: Danke schön. Darf ich zunächst zwei kurze Bemerkungen machen zu dem, was Herr Hailbronner gesagt hat. Zum einen sagte er, daß es politisch nicht möglich ist, die Charta zu revidieren, daß es für eine Weiterentwicklung gewisser Bestimmungen in der Charta jedoch schon immer bestimmte Anzeichen gegeben hat und auch jetzt noch gibt. Herr Hai/bronner hat dann in einem anderen Zusammenhang weiter angeführt, daß man das Konsensverfahren in den Vereinten Nationen nicht übertreiben sollte, sonst bestünde die Gefahr, daß es bald überhaupt keinen Konsens mehr gibt. Ich möchte zum Beweis dafür, was er gesagt hat, die letzte Entscheidung des IGH im Nicaragua-Fall zitieren, in der der Gerichtshof - gefährlicherweise, wie mir scheint - den Unterschied gemacht hat zwischen .most grave forms of the use of force" und anderen Formen. Dies ist eine sehr wichtige Aussage. Man kann sich die Frage stellen, inwiefern dieses Dictum des IGH für die Weiterentwicklung und die Interpretation der Charta wichtig ist. Aus derselben Entscheidung des IGH geht noch manch anderes hervor, so daß die Staaten in Zukunft zweimal überlegen werden, ob sie sich mit einem Konsens - einer Streitschlichtung vor dem IGH - einverstanden erklären. Herr Ginther fragte, wie es nun mit den Mechanismen zur Kontrolle der Verifikation der Menschenrechte oder der Menschenrechtskonventionen weitergehen sollte und hat in diesem Zusammenhang das Besuchssystem in der Folterkommission erwähnt. Ich möchte ganz allgemein darauf antworten. Wenn man die Entwicklung der Kontrollmechanismen bei Menschenrechtskonventionen sieht, kann man feststellen, daß sehr viele Fortschritte gemacht wurden und daß es hier noch immer zu Weiterentwicklungen in diesem Bereich kommt, etwa die Einsetzung von Sonderberichterstatter und andere fact finding committees. Aufgrund der Entwicklungen, die wir in den letzten zwanzig Jahren gesehen haben, bin ich nicht pessimistisch. In den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren wird es noch weitere Entwicklungen geben in der Verfeinerung und Präzision des Kontrollmechanismus zur Einhaltung der Menschenrechtsverletzungen. Herr Wildhaber glaubte, in meinen Ausführungen Widersprüche zwischen einem Plädoyer für eine größere Regionalisierung auf der einen Seite und dem Plädoyer für die Schaffung einer neuen, alles umfassenden Organisation bezüglich des Wirtschafts- und Entwicklungsbereichs auf der anderen Seite zu finden. Ich halte dies nicht für widersprüchlich. Was ich mit dem letzten Vorschlag gemeint habe, ist, der Vielfalt der verschiedenen Organe ein Ende zu setzen. Ich bin nicht dagegen, daß man womöglich auch eine Gesamtwirtschafts- und Handelsorganisation auf regionaler Basis oder mit regionalen Antennen aufbaut.

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Ich danke Herrn Tomuschat für die Bemerkungen zum ILC. Man kann tatsächlich behaupten, daß wir mit der Auswahl der Themen für eine Kodifikation eigentlich fast am Ende sind. Die schönen Themen sind alle kodifiziert oder •vergriffen". Ich habe seinerzeit vorgeschlagen, man sollte sich auch einmal Gedanken machen über den Status der Privatdetektive, der Polizisten und so weiter, die unsere Staatsoberhäupter oder Außenminister auf Auslandsreisen begleiten. Hier wäre an eine Erweiterung des Diplomatenrechts zu denken. Dies wurde abgewiesen, weil es viel zu kompliziert war. Persönlich halte ich die Arbeit der Kodifikation des Völkerrechts für weitgehend abgeschlossen, und die Zukunft der ILC ist sehr fraglich. Herr Partseh, wenn ich über eine Reform des Wirtschafts- und Sozialrates gesprochen habe, so bin ich nicht in der Lage, einen genauen Plan vorzulegen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Sie sagten, ein Bericht des Menschenrechtsausschusses hätte als ECOSOC-Bericht weniger Aufsehen als ein Bericht der Generalversammlung. Aber bei einem aufgewerteten ECOSOC könnte das vielleicht anders aussehen. Es leuchtet mir ein, daß die Berichte, die aufgrund bestimmter Abkommen aufgestellt wurden, an die Generalversammlung zu richten sind. Aber dieses Verfahren könnte geändert werden. Wenn man die Diskussionen in den verschiedenen Berichten der Gruppe der 18 verfolgt, ist die allgemeine Tendenz deutlich, daß etwas geschehen muß - vor allem im Bereich des internationalen Handels und der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit - und daß neue Mechanismen ausgearbeitet werden müssen, die in der Charta bisher noch nicht vorgesehen sind. Auch für die Berichterstattung der Gremien auf dem Gebiete der Menschenrechte könnte das Prozedere vereinfacht werden. Herr Bothe, ich teile Ihre Meinung, daß gewisse Organe der Vereinten Nationen eine ausgezeichnete Arbeit geleistet haben und noch immer leisten; nicht nur die ECE, sondern auch im Bereich des GATI-Abkommens. Ich stelle fest, daß es ein .Overlapping" gibt zwischen der Arbeit der Institutionen in Brüssel, Genf, Straßburg und anderswo und daß an verschiedenen Stellen dieselben Probleme mit oft unterschiedlichen Lösungsvorschlägen bearbeitet werden. Sowohl zwischen dies~n Gremien als auch zwischen den verschiedenen Ministerien auf nationaler Ebene müßte es mehr Zusammenarbeit und Koordination geben, wenn es um Themen geht, die auch auf multilateraler Ebene, in verschiedenen Gremien, besprochen werden. Delbrück:

Vielen Dank, Herr Suy. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, wir sind am Ende unseres Symposiums. Und es fällt mir jetzt die Aufgabe zu, jedenfalls zu versuchen, noch einmal ein wenig zu bündeln, was hier in diesen zwei Tagen vor uns in Referaten und Diskussionen ausgebrei-

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tet worden ist. Ich will es möglichst kurz machen, aber auch nicht zu kurz. Ich nenne keine Namen, ich mache also keine Fußnoten bei diesen Anmerkungen, wer welchen Gedanken eingebracht hat - schon um mich nicht hinterher einer möglichen Kritik auszusetzen, wenn hier der eine oder andere vergessen worden ist. Ich werde es so formulieren, daß sich jeder in den Gedanken als Autor wiederfinden kann. Die erste, wohl übereinstimmende Beobachtung in diesem Symposium war, daß die Reformdiskussion als solche ein sich wiederholender und auch ein permanenter Prozeß ist. Darüber hinaus ist im weiteren sehr deutlich geworden, daß der Reformdruck im Augenblick aufgrund der Finanzkrise besonders en vogue ist. Damit einher geht die zweite Beobachtung, die hier in dieser Runde deutlich geworden ist, daß nämlich die Finanzkrise ihrerseits zwar sehr dramatisch ist und einer Reformdiskussion durch den Exitus der Organisation auch ein kurzfristiges Ende bereiten könnte, daß sie aber dennoch ein Oberflächenphänomen darstellt, das seinerseits auf viel tieferen politischen Ursachen beruht. Eine dieser tieferen Ursachen ist hier unter dem Stichwort der Politisierung diskutiert worden. Dies aus gutem Grund, weil dies derjenige Terminus ist, unter dem die Kritik jenseits des rein Finanziellen immer wieder zusammengefaßt wirdi dieser Begriff hat zu einer kontroversen Diskussion Anlaß gegeben. Ich meine, das Ergebnis dieser Diskussion war: Erstens, daß man sehr differenziert mit dem Begriff umgehen muß, daß man zunächst einmal die Feststellung abschichten kann, die, glaube ich, ganz unbestritten ist, daß alle Tätigkeiten und Entscheidungen in einer internationalen Organisation - gleich welcher Art - politisch sind. In diesem Sinne ist es banal oder auch überflÜSSig, von .Politisierung" internationaler Organisationen zu sprechen. Zweitens: Weil alles politisch ist, ist auch eine klare Trennung - und das ist hier mehrfach gesagt worden - von sog. technisch-administrativen, sachlichen Umständen und politischen Überlegungen, Entscheidungen und Tätigkeitenprogrammen nicht möglich. Denkbar erscheint aber, drittens, eine Mäßigung des politischen Prozesses durch seine Rückbindung an die rechtlichen Grundlagen, den rechtlich determinierten Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation. Eine solche Rückbindung vermag möglicherweise eine Organisation rational in ihren Entscheidungen zu entlasten - und das heißt, eine Überpolitisierung zu vermeiden -, wie wohl auch solche letztendlich politisch sind und auch politisch wirken. Was .Politisierung" in diesem Zusammenhang dann eigentlich meint -auch das ist hier mehrfach gesagt worden, und ich glaube auch unwidersprochen geblieben -, ist die sachfremde Überfrachtung von Entscheidungsprozessen mit dominanten aktuellen politischen Sachverhalten. Gemeint ist die Befassung mit Themen wie Abrüstung oder anderen Großthemen im wirt-

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schaftlichen, sozialen oder im Menschenrechtsbereich, Themen, welche die Vereinten Nationen sozusagen generell beschäftigen, in der je einzelnen Entscheidung jedoch nicht unmittelbar relevant sind. Eng mit diesem Punkt hängt zusammen, daß hier in Referaten oder Diskussionen, wie ich meine, zu Recht hervorgehoben worden ist, daß die Krise der Vereinten Nationen jedenfalls auch mit einem Mangel an kompetenzieller Denkungsweise zusammenhängt, sowohl interorganisatorisch also zwischen den verschiedenen Organisationen - als auch intraorganisatorisch; die Organe betreiben ein allzu starkes .overlapping". In diesem Zusammenhang ist auch deutlich geworden, daß zwar die Kompetenzfrage im Hinblick auf ein ultra vires-Handeln der Organisation praktisch relevant ist und von vitaler Bedeutung für die Reduzierung bzw. Eliminierung eben des hier schon genannten .overlapping" erscheint. Mit der Kompetenzfrage wiederum eng verbunden ist die Frage nach der Rolle des Rechts im Hinblick auf die Reformproblematik. Die Diskussion hat hier ein ambivalentes Ergebnis gebracht. Einerseits wird eine stärkere Beachtung des Rechts, der Gesetzmäßigkeit des Handeins, der Rechtssicherheit, als ein Reformbeitrag angesehen. Andererseits wird der Vorteil der Priorität des Politischen in der Flexibilität, der Anpassungsfähigkeit, und auch der Chance zum angemessenen Reagieren und Entscheiden in bestimmten noch aufkommenden Problembereichen gesehen. Hierüber wird, meine ich, weiter zu diskutieren sein, nicht nur in der Sicht der Theoretiker, sondern auch in bezug auf die Praxis; ebenso im Hinblick auf die Zukunft der Zusammenarbeit Europas und der USA in den Vereinten Nationen insbesondere bezüglich des unterschiedlichen Völkerrechtsverständnisses, wie es jedenfalls derzeit zwischen diesen beiden Kontinenten zu beobachten ist. Die im einzelnen diskutierten Reformvorschläge müssen, so ist hier glaube ich der Konsens zu deuten, bei aller Bedeutung auch weitergreifender Überlegungen für die Erzeugung eines kreativen Reformklimas, davon ausgehen, daß eine Chartaänderung derzeit und auch in absehbarer Zukunft nicht möglich sein wird. Die satzungsimmanente Reform ist angesagt, und damit das Anknüpfen an vorhandene normative Ansätze in der Charta, unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung im Sinne von einer Kosten-Nutzenüberlegung. Aber hierzu ist dann auch kritisch angemerkt worden: Was heißt eigentlich Kosten-Nutzenüberlegung, wer ist der Adressat? Wer zieht Nutzen? Wer zahlt welche Kosten? Ich meine, daß die Diskussion hierzu zumindest mittelbar deutlich gemacht hat, daß es eigentlich darum geht, die Autorität, die Akzeptanz der Organisationen bei den Mitgliedern zu stärken und in diesem Sinne eine Effizienzsteigerung des Handeins der Organisationen zu ermöglichen.

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Im einzelnen sind hier diskutiert worden die Strukturverbesserungen im Bereich der Spezial organe, der Abbau von .overlapping" bis hin zum ECOSOC-Bereich u. a. m. Hierzu ist sicher auch der Vorschlag zu zählen, der uns heute nachmittag beschäftigt hat, das Einbeziehen der NGO's in eine solche Strukturverbesserung. Des weiteren ist diskutiert worden und hat gewisse Sympathien ausgelöst - der Vorschlag zur Stärkung des Sicherheitsrates auch gerade im präventiven Bereich. Aber auch andere Organe sind hier genannt worden, sei es die Generalversammlung, sei es der Generalsekretär, dessen Rolle hier zu Recht mehrfach hervorgehoben worden ist. Einzubeziehen in diesen Punkt ist sicherlich auch die Stärkung jedenfalls die Möglichkeit einer solchen - der internationalen Rechtsetzung als ein Mittel der Effizienzverbesserung, bei der die ILC, die ebenfalls einen wichtigen Stellenwert in der Diskussion eingenommen hat, eine bedeutende Rolle zu spielen hätte. Dann schließlich, aber sicherlich nicht am geringsten einzuschätzen, ging es um die Sicherung der Finanzierung der Organisation als einer conditio sine qua non für die Zukunft der Organisation. Bezogen auf all diese Vorschläge ist in der Diskussion aber auch nachdrücklich unterstrichen worden, daß es erforderlich ist, die politische Bereitschaft zur Kooperation in den Vereinten Nationen zu erhöhen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wurde dem Konsensusverfahren eine große Bedeutung beigemessen. Voraussetzung für all dieses, damit es erfolgreich sein kann, ist schließlich, das hat uns vor allen Dingen gestern beschäftigt, die Anerkennung der Vereinten Nationen in ihrer Kommunikations- und Artikulationsfunktion, als Forum gerade auch den mittleren und kleinen Staaten, die Anerkennung durch alle Mitglieder sicherzustellen und die Bereitschaft von seiten der Reichen zu fördern, insofern eine Investition in die gemeinsame Zukunft aller Staaten zu leisten. Bei aller Reformbedürftigkeit, auch das klang heute nachmittag an, dürfen wir im Hinblick auf die Vereinten Nationen nicht vergessen, daß hier das Beste oft der Feind des Guten ist. Man kann durch eine zu intensive, zu weit ausgreifende Reformdiskussion das Vorhandene so abwerten, daß es noch ineffizienter wird, als es jetzt kritisch angemerkt wurde. Ich denke, wir sind insoweit wieder am Ausgangspunkt unserer zwei Tage angelangt. Es wurde nämlich am Anfang gesagt, daß eine Reform der Vereinten Nationen wohl Sensibilität und Geduld, aber auch Perspektive erfordert, daß man insoweit geduldig voranschreiten und es als eine permanente Aufgabe auffassen muß, die Vereinten Nationen den neuen Umständen anzupassen. Dies gesagt habend, bleibt mir nur noch, einen herzlichen Dank auszusprechen an viele Adressen. Zunächst einmal an die Referenten. Sie haben 15 UN -Reform

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unter dem sehr globalen Thema .Reform der Vereinten Nationen. Möglichkeiten und Grenzen" ein insgesamt sehr konkretes, sehr anregendes, zum Teil provokatives Material zur Diskussion gestellt. Der Dank gilt den Diskutanten, die in hoher Disziplin den Präsenzstand erhalten haben. Wir haben auch schon hier vor Jahren einmal ein Symposium gehabt, das jedenfalls am Freitagnachmittag einer Aufführung der Haydnschen Abschiedssynphonie glich, wie damals Herr Schreuer bemerkte. Daß das in diesem Jahr nicht so ist, zeigt aber auch, daß das Interesse an dem, was hier diskutiert wurde, groß war. Einen besonderen Dank richte ich an die Praktiker, die uns hier geholfen haben. Ich werde nicht müde zu betonen, daß Wissenschaft Praxisbezug haben muß, aber nicht in dem Sinne, daß die Wissenschaft permanent praktisch wird, sondern daß die Wissenschaft weiß, welche Probleme die Praxis hat, um in diesem Sinne relevant theoretisch nachdenken zu können. Ich denke, es hat sich bewährt, daß wir an diesem Konzept des Mischens von Praxis und Theorie festgehalten haben. Und ich möchte niemand jetzt diskriminieren, wenn ich einen besonderen Dank auch an unseren guten alten Freund Skubiszewski richte, daß er es wieder möglich gemacht hat, aus Posen zu uns zu kommen. Er hat durch seine qualifizierten Beiträge uns alle sehr bereichert. Wir freuen uns ganz besonders, daß Sie - ich glaube, eigentlich seit 1974 - regelmäßig an allen Symposien haben teilnehmen können. Das ist für UnS eine ganz große Freude. Mein letzter Dank in dieser Danksagung gilt natürlich - aber nicht als Routine - dem Stab des Instituts, Herrn Dr. Dicke und seiner Mannschaft, die es uns ermöglicht haben, dieses Symposium in jeder Hinsicht, wie ich meine, angenehm zu verbringen. Es ist zwar so, daß in unserem Institut mittlerweile eine Checkliste existiert; wenn es heißt, das nächste Symposium kommt, dann kann man viele Schritte routinemäßig abhaken. Und dennoch ist jedes Symposium ein Abenteuer, das zu bewältigen ohne organisatorische Pannen jedesmal doch auch wieder eine wichtige, große Aufgabe ist. Daß sie gelungen ist, verdanken wir dem Stab. Herzlichen Dank allen, die mitgeholfen und Hand angelegt haben. Dieses Symposium hat sich wie kaum ein anderes - das liegt aber nun auch an der teilweisen Übereinstimmung des Gegenstandes - als zweiter Band zu einem früheren Symposiums-Band erwiesen. Nämlich dem Band des Symposiums aus dem Jahre 1974 - Vereinte Nationen im Wandel. Es wird für alle interessant sein, diese beiden Bände, wenn dann dieser erschienen ist, nebeneinanderzuhalten. Ich darf das Symposium damit jetzt schließen.

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Skubiszewski: Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen persönlich für Ihre höflichen Worte. Ich glaube, daß ich im Namen aller Anwesenden spreche, besonders im Namen aller ausländischen Teilnehmer an diesem Symposium, wenn ich sage, daß wir Ihnen sehr dankbar sind für die Einladung. Unsere Dankesworte gehen auch an Herrn WolfrUIn und an die zahlreichen Mitarbeiter des Instituts, ihre Hilfe war wirklich sehr wichtig. Nochmals allen herzlichen Dank.

15 •

Teilnehmerverzeichnis

Dr. Hans Arnold, Botschafter a. D., Riedering Peter Bazing, Botschafter, Auswärtiges Amt, Bonn

Privatdozent Dr. Ulrich Beyerlin, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg Prof. Dr. Michael Bothe, Universität Frankfurt Prof. Dr. lost Delbrück, Universität Kiel Dr. Klaus Dicke, Universität Kiel Dr. Gerhard Eibach, Universität Kiel Dr. Tono Eitel, Botschafter, Auswärtiges Amt, Bonn Prof. Dr. Konrad Ginther, Universität Graz Enno Harders, Universität Kiel Prof. Dr. Kay HaiJbronner, Universität Konstanz Dr. Ursula E. Heim, Universität Kiel Prof. Dr. Meinhard Hilf, Universität Bielefeld Prof. Dr. Klaus Hüfner, Institut für Wirtschaftspolitik, Berlin Prof. Dr. Eckart Klein, Universität Mainz Doris König, MeL, Universität Kiel Prof. Dr. Siegfried Magiera, Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer Kat ja Michos-Ederer, Universität Kiel Prof. Dr. Karl losel Partseh, Ingelheim Prof. Dr. Albrecht Randelzholer, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Dr. Georg Ress, Universität Saarbrücken Prof. Dr. Walter Rudolf, Ministerium der Justiz, Universität Mainz Prof. Dr. Christoph Schreuer, Universität Salzburg Angelika Siehr, Universität Kiel Prof. Dr. Krzysztol Skubiszewski, Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau

Prof. Dr. Eric Suy, Universität Leuven

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Teilnehmerverzeichnis

Prof. Dr. Christian Tomuschat, Universität Bonn Dr. Klaus Vollers, Auswärtiges Amt, Bonn Dr. Volker Weyel, Chefredakteur, Bonn Prof. Dr. Luzius Wildhaber, Universität Basel Prof. Dr. Rüdiger Wol/rum, Universität Kiel Prof. Dr. Karl Zemanek, Universität Wien

Publikationen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

A. Jahrbuch für Internationales Recht German Yearbook of International Law (ab Band 19) Verlag: Duncker & Humblot, Berlin (ab Band 17). Die früheren Bände sind im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, erschienen. Bd. 12 Bd. 13 Bd. 14 Bd. 15 Bd. 16 Bd. 17 Bd. 18 Bd. 19 Bd.20 Bd. 21

629 617 645 971 571 517 574 557 569 579

S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.

1965 1967 1969 1971 1973 1974 1915 1976 1977 1978

75,85,85,95,128;128,138,148,148,158,-

DM DM DM DM DM DM DM DM DM DM

Bd.22 Bd. 23 Bd.24 Bd. 25 Bd.26 Bd. 27 Bd. 28 Bd. 29 Bd. 30

581 597 566 722 550 599 555 612 483

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

1979 168,- DM 1980 vergr. 1981 vergr. 1982 vergr. 1983 vergr. 1984 vergr. 1985 212,- DM 1986 212,- DM 1987 178,- DM

B. Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht Verlag: Duncker & Humblot, Berlin (ab Band 73).

Die ffUheren, hier aufgeführten Bände sind im Hansischen Gildenverlag, Hamburg, erschienen. übet die unten nicht aufgeführten Bände geben die Verlage und das Institut Auskunft. 40. Karl-Heinrich Buhse, Der Schutz von Kulturgut im Krieg. 1959. 150 S. 16,40 DM. 41. Wolfgang Pigorsch, Die Einordnung völkerrechtlicher Normen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland. 1959. VI, 135 S. 14,80 DM. 42. Wolfgang Birke, Die Konfiskation ausländischer Privatvermögen im Hoheitsbereich des konfiszierenden Staates nach Friedensvölkerrecht. 1960. XVI, 214 S. 28,- DM. 43. Völkerrecht, Lehrbuch der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (1957). Übersetzt von Prof. Dr. Schultz, Göttingen. Vorwort von Prof. Dr. E. Menzel, Kiel. 1960. XXVIII, 492 S. 38,- DM, Lw. 44,- DM. 44. Hans-Hinrich Biel, Minderheitenschulrecht in Nord- und Südschleswig. 1960. VIII, 131 S. 14,80 DM. 45. Peter Becker, Der Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf den Rechtsschutz in den europäischen Gemeinschaften. 1963. XII, 148 S. 19,80 DM. 46. Hans W. Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der Auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland. 1962.247 S. 30,- DM.

47. Dietrich Rauschning, Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge bei der Änderung des Status ihrer Partner. 1963. XIV, 264 S. 36,- DM. 48. Jürgen Schilling, Völkerrecht und staatliches Recht in Frankreich. 1964. X, 176 S. 26,- DM. 49. Uwe Lüthje, Die Theorie des Contrat Administratif im französischen Verwaltungsrecht. 1964. X, 142 S. 19,- DM. 50. Walter Wiese, Der Kampf um das Bricker-Amendment. Eine Studie über Abschluß und Stellung völkerrechtlicher Abkommen im Verfassungssystem der Vereinigten Staaten. 1965. XII, 231 S. 32,- DM. 51. 50 Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Festakt am 12. 11. 1964 und Wissenschaftliche Kolloquien mit Referaten von Max S0rensen, U1rich Scheuner, Paul Guggenheim, Konrad Zweigert. Lebensbilder und Bibliographien von Theodor Niemeyer, Walther Schücking, Hermann v. Mangoldt. 1965. 242 S. 30,- DM. 52. Dieter Feddersen, Die Rolle der Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik. 1965. 235 S. 29,80 DM. 53. Wolfgang Clausen, Die Staatwerdung Ghanas. 1966. XII, 196 S. 28,- DM. 54. Fritz Fischer, Die institutionalisierte Vertretung der Verbände in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 1965. 208 S. 26,- DM. 55. Wolfgang Wiesner, Der Widerruf individueller Entscheidungen der Hohen Behörde der EGKS. 1966. 128 S. 18,50 DM. 56. Volker Langbein, Die rechtliche Regelung des Lobbyismus in den Vereinigten Staaten. 1967. 181 S. 23,- DM. 57. Knut Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung. 1967.223 S. 28,50 DM. 58. Thomas Harms, Die Rechtsstellung der Abgeordneten in der Beratenden Versammlung des Europarates und im Europäischen Parlament. 1968. 173 S. 25,- DM. 59. Drei sowjetische Beiträge zur Völkerrechtslehre. G. I. Tunkin, Grundlagen des modernen Völkerrechts (1956); D. B. Lewin, Grundprobleme des modernen Völkerrechts (1958); G. I. Tunkin, Der ideologische Kampf um das Völkerrecht (1967). Übersetzt von Dr. Rossbacher, Dr. Frenzke, Dr. Rodingen. Einführung von Prof. Dr. E. Menzel. 1969. XL, 480 S. 68,- DM. 60. Sigrid Kunze, Wahlkosten und Wahlchancengleichheit bei den Unterhauswahlen in Großbritannien. 1968. 147 S. 20,- DM. 61. Klaus Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten im öffentlichen Recht der Fünften Französischen Republik. 1970. XV, 337 S. 44,- DM. 62. Gerhard Kutzner, Die Organisation der Amerikanischen Staaten (DAS). 1970. 400 S. 48,- DM. 63. Sigmar-Jürgen Samwer, Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91. Ihre Entstehungsgeschichte und ihre Herkunft. 1970. XI, 422 S. 48,- DM.

64. Die Nutzung des Meeresgrundes außerhalb des Festlandsockels (Tiefsee). Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 26. - 28. März 1969. 1970. 257 S. 29,- DM. 65. Lothar Schöppe, Neue Konkordate und konkordatäre Vereinbarungen, Abschlüsse in den Jahren 1964 bis 1969. Nachtrag zu "Konkordate seit 1800", Frankfurt a. M./Berlin 1964. 1970. 231 S. 28,- DM. 66. Ostverträge, Berlin-Status, Münchener Abkommen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR. Vorträge und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 27. - 29. März 1971. 1971. 361 S. 38,- DM. 67. Niels Brandt, Das Interamerikanische Friedenssystem, Idee und Wirklichkeit. 1972. 522 S. 52,- DM. 68. Rüdiger Pernice, Die Sicherung des Weltfriedens durch Regionale Organisationen und die Vereinten Nationen. 1972. 178 S. 25,- DM. 69. Ondolf Rojahn, Die Ansprüche der lateinamerikanischen Staaten auf Fischereivorrechte jenseits der Zwölfmeilengrenze. 1972. 308 S. 37,- DM. 70. Bodo Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein. 1973.257 S. 35,- DM. 71. Beiträge zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts für bewaffnete Konflikte. Hrsg. von Dieter Fleck in Zusammenarbeit mit Michael Bothe, Kay Hailbronner, Knut Ipsen. 1973. XVI, 216 S. 35,- DM. 72. U1rich Thieme, Rundfunksatelliten und internationales Recht - Eine neue Kommunikationstechnik und ihre weltweiten rechtlichen Auswirkungen. 1973. 117 S. 19,50 DM. 73. Die Vereinten Nationen im Wandel. Referate und Diskussionen eines Symposiums "Entwicklungslinien der Praxis der Vereinten Nationen in völkerrechtlicher Sicht", veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 20. - 23. November 1974. 1975.262 S. 68,- DM. 74. Eibe H. Riedei, Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem. 1976. 312 S. 76,- DM. 75. Wulf Hermann, Das Rundfunkrecht in den nordischen Staaten. 1976. 150 S. 48,- DM. 76. Abschreckung und Entspannung. Fünfundzwanzig Jahre Sicherheitspolitik zwischen bipolarer Konfrontation und begrenzter Kooperation. 1977. XII, 897 S. 178,- DM. 77. Joachim Wege, Positives Recht und sozialer Wandel im demokratischen und sozialen Rechtsstaat. 1977. 346 S. 86,- DM. 78. Deutsch-Amerikanisches Verfassungsrechtssyrnposium 1976/ American-German Bicentennial Symposium on Constitutional Law: Pressefreiheit / Freedom of the Press - Finanzverfassung im Bundesstaat / Financial Powers in the Federal System. 1978. 251 S. 56,- DM. 79. Völkerrecht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit. Referate und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 9. - 10. Dezember 1976. 1978.262 S. 68,- DM. 80. Wilhelm A. Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit. 1978. 149 S. 58,- DM.

81. Siegfried Magiera, Parlament und Staats leitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. 1979. 359 S. 98,- DM. 82. Völkerrecht und Kriegsverhütung - Zur Entwicklung des Völkerrechts als Recht friedenssichernden Wandels. Referate, Berichte und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 22. - 24. November 1978. 1979. 305 S. 75,- DM. 83. Wolfgang Hoffmann-Riern / Wilhelm A. Kewenig / Ingo von Münch / Thilo Ramm, Die Kündigung des NDR-Staatsvertrages. Voraussetzungen und Folgen. 1980.235 S. 96,- DM. 84. Andre Thomashausen, Verfassung und Verfassungswirklichkeit im neuen Portugal. 1981. 508 S. 148,- DM. 85. Ulrich Scheuner, Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit. 1982.99 S. 38,- DM. 86. Rainer Lagoni, Ländergrenzen in der EIbemündung und der Deutschen Bucht. 1982. 112 S. 48,- DM. 87. Hans-Joachim Schütz, Militärische Vertrauensbildende Maßnahmen aus völkerrechtlicher Sicht. 1984. 142 S. 48,- DM. 88. Antarctic Challenge - Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection, Economic Development. Proceedings of an Interdisciplinary Symposium, June 22nd - 24th, 1983. 1984.253 S. 78,- DM. 89. Das neue Seerecht. Internationale und nationale Perspektiven. Referate und Diskussionen eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom I. - 4. 12. 1982. 1984.258 S. 78,- DM. 90. Elmar Rauch, The Protocol Additional to the Geneva Conventions for the Protection of Victims of International Armed Conflicts and the United Nations Convention on the Law of the Sea: Repercussions on the Law of Naval Warfare. Report to the Committee for the Protection of Human Life in Armed Conflict of the International Society for Military Law and Law of War. 1984. 165 S. 56,- DM. 91. Marklen Ivanovic Lazarev, Theoretische Fragen des modemen Seevölkerrechts. 1985. 294 S. 68,- DM. 92. Eckart Klein / Matthias Pechstein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen. 1985. 107 S. 36,- DM. 93. Grigorij Ivanovic Tunkin, Recht und Gewalt im internationalen System. 1986. 213 S. 68,- DM. 94. Recht auf Information - Schutz vor Information. Menschen- und staatsrechtliche Aspekte. Referate und Diskussionsbeiträge eines Symposiums, veranstaltet vom Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 21. - 24. November 1984. 1986. 254 S. 78,- DM. 95. Antarctic Challenge II - Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection, Economic Development. Proceedings of an Interdisciplinary Symposium, September 17th - 21 st, 1985. 1986. 465 S. 158,- DM. 96. Eibe H. Riedei, Theorie der Menschenrechtsstandards. Funktion, Wirkungsweise und Begründung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte mit exemplarischer Darstellung der Rechte auf Eigentum und auf Arbeit in verschiedenen Rechtsordnungen. 1986.425 S. 136,- DM. 97. Jan Willisch, State Responsibility for Technological Damage in International Law. 1987. XXVIII, 326 S. 136,- DM. 98. Karin Heidenstecker-Menke, Die Bestandsgarantie völkerrechtlicher Verträge im österreichischen und deutschen Recht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung. 1987. 169 S. 68,- DM.

99. Klaus Bockslaff, Das völkerrechtliche Interventionsverbot als Schranke außenpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen. 1987. 193 S. 74,- DM. 100. Rainer Velten, Die Anwendung des Völkerrechts auf State Contracts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. 1987. 180 S. 76,- DM. 101. Marklen Ivanovic Lazarev (Verantwortl. Redakteur), Modemes Seevölkerrecht. Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten, Internationale maritime Organisationen, Wirtschaftszone, Streitbeilegung, Problem der maritimen Rüstungsbegrenzung. 1987. 281 S. 78,- DM. 102. Walburga Kullmann, Der Schutz von Computerprogrammen und -chips in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA. 1988. 184 S. 72,- DM. 103. Grigory I. Tunkin / Rüdiger Wolfrum (eds.), International Law and Municipal Law. Proceedings of the German - Soviet Colloquy on International Law at the Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 4 to 8 May 1987. 1988. 210 S. 96,- DM. 104. Thomas Roeser, Völkerrechtliche Aspekte des internationalen Handels mit konventionellen Waffen. 1988.287 S. 98,- DM. 105. Antarctic Challenge III - Conflicting Interests, Cooperation, Environmental Protection, Economic Development. Proceedings of an Interdisciplinary Symposium July 7th - 12th, 1987. 1988.589 S. 198,- DM.

C. Studien aus dem Institut für Internationales Recht Verlag: Duncker & Humblot, Berlin.

1. Eberhard Ott, Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO). 1976. XIII, 174 S. 56,- DM. 2. Gerd-Rudolf Wehling, Die politischen Parteien im Verfassungssystem Israels. 1977. XVI, 238 S. 66,- DM. 3. Klaus Junker, Anlegerschutz im Recht des amerikanischen stock-broker. 1977. XVII, 233 S. 68,- DM. 4. Friedrich Leffler, Das Heuerverhältnis auf ausgeflaggten deutschen Schiffen. 1978. XIX, 492 S. 96,- DM. 5. Bibliographie des Deutschen Schrifttums zum internationalen und ausländischen Privatrecht 1945 - 1970. Bearb. von Peter Soyke und Eckart Wehser. 1978. XLIII, 616 S. 56,- DM. 6. Hans Jürgen Wildberg, Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA). Ihre rohstoffwirtschaftliche Aufgabe, entwicklungspolitische Bedeutung und der Entwurf durch die Dritte Seerechtskonferenz. 1979. 144 S. 42,- DM. 7. Eberhard Eyl, Das ordentliche Haushalts- und Finanzwesen der UNESCO. 1979. 291 S. 78,- DM. 8. Brigitte Namgalies, Das französische Arbeitsunfallrecht. Eine Darstellung mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum deutschen Arbeitsunfallrecht. 1981. 208 S. 68,- DM. 9. Wilfried Braun, Vertragliche Geldwertsicherung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr. 1982. 270 S. 98,- DM. 10. Wolfgang Steiniger, Das dänische Aktiengesetz. Eine Darstellung des dänischen Aktiengesetzes vom 13. Juni 1973 mit späteren Änderungen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des Aktionärs mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 1983.386 S. 148,- DM

D. Sammlung "Dokumente" Verlag: Alfred Metzner Verlag, Frankfurt/M. -

Berlin.

Diese Sammlung wird herausgegeben von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Hamburg, dem Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel und dem Institut für Völkerrecht an der Universität Göttingen. Nachstehend werden nur die in Kiel bearbeiteten Bände angeführt. Bd.26. Hans W. Baade, Gesetzgebung zur Förderung ausländischer Kapitalanlagen. 1957. 89 S. 12,80 DM. Bd.29. Eberhard Jäckel, Die Schleswig-Frage seit 1945. 1959. 150 S. 19,80 DM. Bd. 34. Günter B. Krause, Der Internationale Fernmeldeverein. 1960. 184 S. 24,- DM. Bd.35. Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate. 1964. XXXVII, 584 S. 68,- DM. (Zur Fortsetzung vgl. unter B., Nr. 65.) Bd. 38. Hans-R. Krämer, Die Europäische Wirtschafts gemeinschaft. Texte zur Entstehung und Ausführung. 1965. XI, ?40 S. 68,- DM.

E. Parlamente und Parteien Verlag: Athenäum-Verlag, Frankfurt/M. (Siehe auch unter

c.,

Nr. 2.)

Bd. I. Wolf-Eberhard Ahrens, Immunität der Abgeordneten. 1970. 141 S. 28,- DM. Bd. 2. Carl-August Conrad, Die politischen Parteien im Verfassungssystem der Schweiz. 1970. 202 S. 34,- DM. Bd.3. Siegfried Magiera, Die Vorwahlen (Primaries) in den Vereinigten Staaten, Demokratisierung von Wahlen und Parteien. 1971. 174 S. 38,- DM. Bd.4. Jürgen Hansen, Die Institution des Ombudsman, 1972. 188 S. 38,- DM. Bd. 5. Rainer Lagoni, Die politischen Parteien im Verfassungssystem der Republik Irland. 1973.271 S. 58,- DM.

F. Bibliographien Verlag: Hansischer Gildenverlag, Hamburg (Siehe auch unter

c.,

Nr. 5.)

Bd. I. Dietrich Rauschning, Bibliographie des deutschen Schrifttums zum Völkerrecht 1945 - 1964. 1966. 569 S. 40,- DM. Bd. 2. Vladimir Ibler, Bibliographie des jugoslawischen Schrifttums zum Völkerrecht 1945 - 1964. 1970. XIX, 380 S. 30,- DM. Bd. 3. Johannes R. Gascard, Bibliographie des deutschen Schrifttums (BRD) zum Völkerrecht 1965 - 1971. 1972. XLIV, 414 S. 35,- DM.