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German Pages 326 [328] Year 2015
Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film
Hedwig Wagner (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Koordinatorin des Graduiertenkollegs »Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz« an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film. Zum Verhältnis von Gender und Medium
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INHALT Einleitung 11
Aufbau der Studie 13
Ziel der Studie: Gender als Medium 18
A.1. Motiv und Ideologiekritik. Filmwissenschaft I: Populärkultur und Cultural Studies 21
A.1.1. Filmische Darstellung von Prostitution: Populärkultur und Ideologiekritik 21
A.1.2. Prostitution im Hollywoodfilm. PRETTY WOMAN: Cultural Studies 25
A.2. Sex und Witz. Filmwissenschaft II: stardom-Forschung 35
A.2.1. Marilyn Monroe in FÜNF PERLEN: the dumb blonde 45
A.2.2. Kim Novak in KÜSS MICH, DUMMKOPF: nice girl/hot blonde 53
A.3. Gender und Genre. Filmwissenschaft III: Genreforschung 71
A.3.1 Alan Pakulas KLUTE: Genre 71
A.3.2. Hollywoods working girls: class 85
A.4. Kino und Bordell. Filmwissenschaft IV: Feministische Filmtheorie 95
A.4.1. Pornofilm und Prostitution: Kino im Bordell 95
A.4.2. G.W. Pabsts TAGEBUCH EINER VERLORENEN: Kino statt Bordell 100
B.1. Wissenschaft und Prostitution. Eine transdisziplinäre Untersuchung: Wissenschaftliche Prostitutionsdiskurse 113
B.1.1. Schisma der Prostitutionsdebatte: Wissenschaft und Politik 113
B.1.2 Aufbrechen der Prostitutionsdebatte: Gender Studies 123
B.2. Gender und Prostitution. Neuere Geschlechterstudien: Gender Studies-Prostitutionsdiskurse 129
B.2.1. Die imaginary domain: Kulturelle Selbstrepräsentation 135
B.2.2. Exkurs: Das mediale Unbewusste und das unbewusste Mediale 141
C.1. Körper und Bewusstsein. Systemtheorie: Robert van Ackerens DIE FLAMBIERTE FRAU 147
C.1.1. Liebe und Sex I: Luhmanns Codierung von Intimität im Filmmilieu der Prostituierten 147
C.1.2. Liebe und Sex II: Zum Verhältnis von Körper und Bewusstsein 153
C.2. Öffentlichkeit und Privatheit. Feministische Theorie: Lina Wertmüllers LIEBE UND ANARCHIE 173
C.2.1. Orte und Räume I: Innen und Außen 178
C.2.2. Orte und Räume II: Raum und Handeln 198
C.3. Ödipus und Anti-Ödipus. Psychoanalytische Kulturwissenschaft: Jacques Feyders ANNA CHRISTIE 213
C.3.1. Ödipus I: Von Sophokles bis Sigmund Freud 215
C.3.2. Ödipus II: Von Melanie Klein zu Gilles Deleuze und Félix Guattari 245
C.4. Medium und Sexualität. Kulturwissenschaftliche Medientheorie: Ryu Murakamis TOKIO DEKADENZ 263
C.4.1. Mediale Sexualität I: Sehen 266
C.4.2. Mediale Sexualität II: Michel Foucault 280
D.1. Ausblick. Medienwissenschaftliche Geschlechterstudien: Gender und Medien 289
D.1.1. Medien und gender I: Verlust und Verschwinden 291
D.1.2. Medien und gender II: Erscheinen und Performanz 295
Bibliographie 301
Filmographie 321
Abbildungsverzeichnis 325
»In addition to the restrictions and negative experiences that make it difficult for women to view prostitution objectively, prostitution itself is shrouded in layer upon layer of mystique. The male-controlled media, which includes classic literature as well as modern television, movies, novels, and magazines, have largely created an unreal image of the prostitute. On the one hand, the media presents the ›whore with the heart of gold‹ and the ›sex goddess‹; on the other hand, it presents the depraved, degraded prisoner, the sexual slave. Modern pornography has further confused the issue, by misrepresenting women’s sexuality, including prostitution.« (Alexander 1987, S. 186)
EINLEITUNG Eine deutschsprachige wissenschaftliche Monographie über die Prostituierte im Film liegt bisher nicht vor. Filmwissenschaft wie Feministische Filmtheorie haben sich eher am Rande mit der Filmfigur der Prostituierten beschäftigt und gingen auf Begriff und Sache der Prostitution meist nur implizit ein. Filmwissenschaftliche Studien erörterten die Prostitution unter kulturwissenschaftlich und medienwissenschaftlich vorstrukturierten Aspekten wie Starwesen, Genretheorie, Populärkultur; dies häufig unter ideologiekritischen Problemzugängen.1 Die Gegenstandskonstitution meiner Studie will auf etwas anderes hinaus. Sie ist nicht auf Ergänzung, Zusammenfassung, Kritik oder Überbietung bereits vorliegender wissenschaftlicher und ästhetischer Texte zur Prostitution und zur Figur der Prostituierten gerichtet – sie macht die Prämissen dieser Texte und ihre Argumentationslogik zu ihrem Gegenstand. Es geht in der vorliegenden Arbeit zunächst um nichts mehr und nichts weniger als um die Darstellung, wie und warum die Figur der Prostituierten und die Prostitution bisher so dargestellt wurden, wie sie dargestellt wurden. Ich frage in den Analysen von Filmen wie in den Analysen film- oder genderkritischer Diskurse nach den Prämissen der Imagination von Prostitution und Prostituierter. ›Gender als Medium‹ lautet, formelhaft verkürzt, die metatheoretische Prämisse dieser Prämissen-Rekonstruktion. Prostitution und Prostituierte sind traditionell – und teilweise noch heute – tabubesetzte Gegenstände, der Ruf oder Ruch des Außergewöhnlichen, Verbotenen, Exotischen, Obszönen, zumindest Unmoralischen macht sie zum besonderen, oftmals zum extravaganten Diskursgegenstand. Das führt nicht selten dazu, dass kausalistisch Vermutungen angestellt werden zum Zusammenhang des psychischen, sozialen, ökonomischen, sexualpolitischen Phänomens Prostitution und zum imaginativen ›Bild‹ (Filmthema, Filmmotiv) der Prostitution.
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Vgl. die Erörterung von Positionen Georg Seeßlens in Kapitel A.1. und Heide Schlüpmanns in Kapitel A.4.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
»Ein ganzer sozialer Bereich, der die Aura des Verbotenen und Heimlichen trotz aller Liberalisierungskonzepte und Reformen noch bewahrt hat, war schon immer ein Lieblingsthema des Films vom frühen Stummfilm bis heute: die Prostitution. An kaum einem filmischen Motiv lassen sich Kontinuitäten und sexualpolitische Kämpfe deutlicher ablesen.« (Koch 1981, o.S.)
Wie gern möchte man dem – und vielen anderen Texten – zustimmen. Doch die von Gertrud Koch behauptete Beziehung von sozialer, sexualpolitischer, filmischer bzw. filmmotivischer Realität könnte man auch umgekehrt darstellen und behaupten, dass die ›Straßenfilme‹, ›Dirnenfilme‹ der 10er und 20er Jahre,2 die ›Prostituiertenfilme‹ der 60er, 70er, 80er, 90er Jahre Reflex sind oder Ursache der sozialen, politischen juridischen Sexualdiskurse. Die sexualpolitischen Kämpfe sind die eine Ebene, auf die hin das Prostitutionsthema durchscheint. Die andere Ebene, auf die Koch im gleichen Zusammenhang verweist, ist die der Entwicklung anderer Filmgenres. So sei die häufige Thematisierung der Prostituierten im Film Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre3 Reaktion auf den Pornofilm: »Daß die Prostitution als Thema so auffallend zurückgekehrt ist, hängt wohl genau mit dieser Gegenläufigkeit zusammen: Während die sexualpolitischen Kämpfe der sechziger Jahre abgelöst wurden durch die Dogmatisierungstendenzen der frühen siebziger Jahre und in der Frauenbewegung oft nur noch negativ in einem Neo-Puritanismus endeten, nahm die Produktion von Pornofilmen immer mehr zu. Erstaunlich genug, daß die seriösen öffentlichen Genres auf die anstößige Konkurrenz kaum Reaktionen zeigten außer in den verklemmten Melodramen […]« (Koch 1981, o.S.).
So urteilt Koch, die das filmische Erscheinungsbild der Prostituierten auf einen anderen Filmwandel zurückführt, auf den des Pornofilmes. Auf den ersten Blick als Urteil über die Gesellschaft verstehbar, verweist Koch vielmehr auf die gegenläufige Wechselwirkung von sozialer und medialer Realität. Dieser Doppelbezug von Gesellschaftlichkeit und Medialität bleibt von den 60er Jahren bis in die 80er/90er Jahre erhalten und führt 2
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Vgl. Geschlecht in Fesseln. Sexualität zwischen Aufklärung und Ausbeutung im Weimarer Kino 1918-1933; Red. v. Malte Hagener; München: Edition Text und Kritik 2000. Koch erinnert sich an mindestens zehn von vierzig Filmen, in denen Prostitution zentrales Thema war. Sie bespricht vier eingehender: SAUVE QUI PEUT (LA VIE), F/Ö/BRD/CH 1980, Regie: Jean-Luc Godard; A.A.A. OFFRESI, I 1980; PROSTITUTE, GB 1980; Regie: Tony Garnett; SIGMUND FREUDS DORA, USA 1980.
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EINLEITUNG
nicht selten zum Problem der Verwechselung, zu falschen Zuschreibungen.
Aufbau der Studie Meine Studie verfolgt die Entwicklung einzelner filmwissenschaftsdisziplinärer Zugänge der letzten vier Jahrzehnte mit dem Ziel, die Prämissen, die in Medienkritik und Medienwissenschaft eingehen, darzustellen am Beispiel einer besonderen Figur – der Prostituierten im Film. Meine Einzelfilmanalysen gelten dem jeweiligen Film selbst, seiner narrativen Struktur, Genreästhetik usf., richten sich aber auch auf die wissenschaftlichen Diskurse, in denen andere Filme dieses Sujets bereits Gegenstand von Analysen waren. Diese Diskursivierungen bzw. Filmanalysen befrage ich nach ihren analytischen Prämissen und Argumentationsmustern, womit eine kritische Nachkonstruktion entsteht. Sie verstehe ich nicht allein als Vorarbeit, Voraussetzung zu den von mir selbst unternommenen Filmanalysen, diese analytische Nachkonstruktion soll einen eigenständigen reflexiven Beitrag zur Diskursgeschichte leisten. Ich (re)konstruiere das Verhältnis von sozialer Prostitution, der Filmfigur der Prostituierten und den Prostitutionsdiskursen grundsätzlich als Diskurs-Verhältnis, verstehe also die Filmfigur der Prostituierten nicht nur als filmisches Konstrukt, sondern als mediales. Zum einen reagiert es auf und reflektiert die Wirklichkeitsentwürfe anderer Medien; etwa die des Fernsehens. Zum anderen arbeitet die Phantasie, die an der Realität der Filmprostitution arbeitet, mit Vorbildern aus der Filmgeschichte. Ähnlich dem Foucault’schen, diskursive wie nicht-diskursive Praxen umfassenden Diskursbegriff ist meine Reflexion auf den Prostitutionsdiskurs auf filmische Praxis perspektiviert wie auf nicht-filmische. Niemals aber ist mein Diskursbegriff darauf aus, die Ebenen zu wechseln oder ineinander zu schieben: Signifikant für den Prostitutionsdiskurs wie seine Analyse ist zunächst deren Heterogenität, die Nichtkongruenz des medial konstruierten gender-Bildes der Prostituierten mit dem sozialen Phänomen und der Analyse von sozialer Prostitution. Mir geht es nicht um die Wahrheit oder Unwahrheit einzelner Reden, sondern einzig um eine Verhältnisbestimmung der Reden untereinander – und dies ist keineswegs eine Relativierung meines Erkenntnisanspruchs. Mit dem Aufdecken der Aussagebedingungen, die das Auftauchen der Diskurse regeln, komme ich, das ist die unterlegte Prämisse, näher an die Realität der Filme, ihre Ästhetizität heran als mit traditioneller Filmanalyse.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
Zwischen dem filmischen Bild von Prostitution und dem gesellschaftlichen Bild werden Interdependenzen ausgemacht, Überkreuzungspunkte bestimmt. Die vielfältigen Reden über Prostitution sind nicht nur politisch, kulturpolitisch, moralistisch oder auf andere Weise ideologisch orientiert. Wenn eine weltanschauliche Intervention von Prostitution bzw. das in ihr gelebte oder dargestellte Geschlechterverhältnis in Frage steht, findet man im Film leicht eine Antwort. Umgekehrt zeigt schon ein erster Blick auf die Prostituiertenfigur, dass es die von Druckmedien und audiovisuellen Medien entworfene Wirklichkeitssicht ist, die den Blick auf die lebensweltliche Realität orientiert. Die dreiteilige Arbeit widmet sich zunächst den Diskursen und den Prämissen dieser Diskurse, die sich mit der Darstellung der Prostituierten im Film verbinden, konturiert sie unter Aspekten wie gendertheoretische Prostitutionsdiskursivierung, Geschlechterordnung, Medienzuschreibung, Vorstellung des Verhältnisses von Film und Realität (und im Horizont von Ideologie- oder Gesellschaftskritik, von ›frauenbewegter‹ und/oder feministischer Programmatik). Die Thematisierung des Prostitutionsdiskurses als Geschlechterverhältnis- und Sexualitätsdiskursivierung ist bestimmt vom jeweiligen filmwissenschaftsdisziplinären Zugang. So ist der erste Teil dieser Studie (A) getragen von Fragestellungen der ›klassischen‹ Filmwissenschaft und der Feministischen Filmtheorie. Ich analysiere hier Filmanalysen, in denen die Frage nach Weiblichkeitsbildern impliziert ist. Der zweite Teil (B) widmet sich dem allgemeinen Prostitutionsdiskurs und dann dem Prostitutionsdiskurs der neuesten Gender Studies, d.h. der gendertheoretisch-kritischen Reflexion auf den Prostitutionsdiskurs. Hier kommen mit den Gender Studies-Theorien die 90er Jahre in den Blick. Dieser Teil widmet sich weder bestimmten Filmen noch filmtheoretischen Positionen, sondern er geht ausschließlich auf nichtästhetische Prostitutionsthematisierungen ein. Der dritte Teil der Arbeit (C) analysiert einzelne, für den Prostitutionsdiskurs exemplarische Filme – ausgehend von einer kulturwissenschaftlichen Sexualitätsdiskursivierung, ihrer Perspektive und der kritischen Sichtweise der Gender Studies. Die Überkreuzungspunkte der jeweiligen Diskurse und Wissenschaftsdisziplinen werden auf das Verhältnis von Geschlechtlichkeit und Medialität befragt. Aussagen zum Film können implizit Aussagen zum Prostitutionsdiskurs sein – wie sie sich in Filmanalysen und Filmkritiken zeigen –, oder es können sich in ihnen Annahmen manifestieren zum Geschlechterverhältnis, dem realen wie idealen, sowie Prämissen des gen-
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EINLEITUNG
der-Begriffs. Ich reflektiere zunächst auf das Verhältnis von Geschlechtlichkeit und Medialität, wie es sich seit den 60er Jahren im Zuge der akademisch sich etablierenden Filmwissenschaft herausbildete – dies in der theoretischen Zielperspektive der Gender Studies. Dabei interessieren mich immer diejenigen Bezüge bzw. Schnittstellen von Geschlechtlichkeit und Medialität, in denen das Mediale konstitutiv wird für gender und gender konstitutiv wird für Medialität. Deren Verhältnis als gegenseitig konstitutiv, als Interdependenzverhältnis, als kausale oder kausalzirkuläre Beziehung zu beschreiben, ist mein Interesse.
Teil A Vier verschiedene thematische Aspektierungen leiten die Argumentation. »Motiv und Ideologiekritik. Filmwissenschaft I: Populärkultur und Cultural Studies« erörtert die Theoretisierung des Filmmotivs in der Filmwissenschaft, diskutiert Fragen wie die nach dem Motiv als Genrekonstitutivum, oder ob sich ideologisch gewichtete Erwartungshaltungen zu einem Rezeptionsdispositiv ausbilden können. Im zweiten Kapitel »Sex und Witz. Filmwissenschaft II: stardom-Forschung« folge ich Richard Dyers diskursanalytischer, filmwissenschaftlich gewichteter Überlegung, wie Weiblichkeit, gender und Sexualität in den herrschenden Diskursen der 50er Jahre zusammenwirken und analysiere in dieser Perspektive Marilyn Monroes Prostituiertendarstellung. Filmhistorisch geht es dabei um das Spannungsfeld von Rollenanforderung, schauspielerischer Leistung und star image in einer Zeit des Umbruchs oder Übergangs: der Zeit des an Einfluss verlierenden Hollywood-Studiosystems – exemplarisch verdeutlicht an Kim Novaks Prostituiertendarstellung. Das Kapitel greift den zentralen Antagonismus von ›Hure‹ und ›Heiliger‹ bzw. das genderKlischee des dumb blonde heraus. Die einschlägigen stardom-Forschungen werden bezogen auf das Verhältnis von Rolle, Schauspielerin, Starimage und Rezeption. Diese Überlegungen münden in eine Reflexion der Dyer’schen stardom-Forschungsprämisse, die Integration von Ambivalenzen in das Startum, die auf das sex-role-typing angewandt wird. Das Kapitel »Gender und Genre. Filmwissenschaft III: Genreforschung« untersucht, ob die Prostituierte eine spezifisch neuartige Erscheinung ist (oder doch eher der Widerpart der Femme fatale des film noir) und stellt die Anleihen der Prostituiertendarstellung in Bezug auf den Typus des career girl der 90er Jahre dar. Um bereits etablierte und um neu sich bildende mediale gender-Bilder geht es in diesem Kapitel, konzentriert auf die Frage, wie sich der Rollentypus der Prostituierten im Spannungsfeld von Genre und class verortet. In »Kino und Bordell. Filmwissenschaft
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IV: Feministische Filmtheorie« kommen exemplarisch feministische Filmtheoretikerinnen zu Wort, Heide Schlüpmann und Gertrud Koch. Beide haben auf die Beziehung des Bordells zum Kino und des Kinos zum Bordell reflektiert, implizit oder explizit. Das Kapitel »Kino und Bordell« schließt den ersten Teil ab mit einer Darstellung der Prämissen und der Methodologie bestimmter Interpretations- und Analyseformen deutschsprachiger Feministischer Filmtheorie. In den Kapiteln A.1. bis A.4. wird – und dies nicht nur aus darstellungsökonomischen Gründen – jeweils nur ein, für den Untersuchungsgegenstand besonders relevanter Themenkomplex behandelt, bezogen auf ein Jahrzehnt und auf einen wissenschaftsdisziplinären Zugang. Dieser Teil der Arbeit ist bestimmt durch drei Determinanten: Zeitachse, Wissenschaftsdisziplin und Themenkomplex.
Teil B Ich beziehe mich hier auf prominente Positionen des Gender StudiesProstitutionsdiskurses. Belinda Carpenter und Drucilla Cornell haben das Verhältnis von sex und gender neu bestimmt und den Weg frei gemacht für das Neudenken der Prostitution. Carpenter (Kapitel B.1.) und Cornell (Kapitel B.2.) setzen sich explizit mit Prostitution auseinander, thematisieren Prostitution sowohl als gesellschaftlich wie gendertheoretisch neue Geschlechterkonzeption. In Abkehr von der feministischen Tradition wird die Prostituierte nicht mehr moralisch oder weltanschaulich thematisiert, sondern in der Perspektive der Gender Studies werden Ansichten zur Prostitution einer grundlegenden Revision unterzogen. Ausgangspunkt dieser Revision ist der Bezug zwischen Gender Studies, Sexualität und Selbst.
Teil C Die Filme, die ich für den dritten Teil dieser Arbeit ausgewählt habe, folgen Schwerpunkten des Sujets Prostitution, die zugleich Kernpunkte in der theoretischen Erörterung von Prostitution sind. Dass Filme mit unterschiedlichsten theoretischen Ansätzen, seien sie nun systemtheoretischer (Kapitel C.1.), klassisch feministischer (Kapitel C.2.) oder psychoanalytischer, kulturtheoretischer (Kapitel C.3.) oder genuin medientheoretischer Provenienz (Kapitel C.4.), besprochen werden, spiegelt zum einen die Heterogenität des Prostitutionsdiskurses wider, in dem unter16
EINLEITUNG
schiedlichste ideologisch-programmatische wie theoretische Sichtweisen sich kreuzen. Zum anderen ist der Impakt von Prostitution, gerade in ihrer diskurstheoretischen Erfassung, nur in diesem weiten Spektrum von Denkansätzen zu begreifen. Vor allen Dingen folgt es meinem Forschungsinteresse, die Prostituierten-Aspektierung unter dem jeweiligen wissenschaftsdisziplinären Zugang aufzuweisen. Im Kapitel »Körper und Bewusstsein. Systemtheorie: Robert van Ackerens DIE FLAMBIERTE FRAU« wende ich mich dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann zu, seiner Analyse des Stellenwerts von Sexualität im Liebesdiskurs. Der Code ›Liebe‹ wird zur Thematisierung der Liebe in ›Prostitutionsfilmen‹ ins Verhältnis gesetzt, eine neue Leitdifferenz entwickelt. Meine Interpretation des Films DIE FLAMBIERTE FRAU von Robert van Ackeren hebt ab auf den Modus, in dem im Liebesdiskurs und in der prostitutiven Sexualität der Körper als Selbstbeobachtungsinstanz gedacht wird bzw. gedacht werden kann. Die theoretische Diskussion um die Sphären der Öffentlichkeit und Privatheit in der feministischen Wissenschaft ist im Kapitel »Öffentlichkeit und Privatheit. Feministische Theorie: Lina Wertmüllers LIEBE UND ANARCHIE« für meine Filmanalyse leitend. Wertmüllers Film betreibt ästhetisch-diskursiv die Infragestellung der vordefinierten Sphärentrennung von öffentlich und privat. Mit der Interpretation des Films ANNA CHRISTIE von Jacques Feyder im Kapitel »Ödipus und AntiÖdipus. Psychoanalytische Kulturwissenschaft: Jacques Feyders ANNA CHRISTIE« verbinde ich eine Analyse der kulturwissenschaftlich bedeutsam gewordenen Interpretationsmuster des Ödipuskomplexes, wobei der klassischen, psychoanalysebasierten Filmanalyse der Feministischen Filmtheorie weitere Ödipus–Interpretationen an die Seite gestellt werden. Im Kapitel »Medium und Sexualität. Kulturwissenschaftliche Medientheorie: Ryu Murakamis TOKIO DEKADENZ« geht es um den Nexus von Medialität und Sexualität. Die filmische Inszenierung von Sexualität beschreibe ich über das Motiv der Bildmedien in Ryu Murakamis TOKIO DEKADENZ, die die mediale Vermitteltheit von Sexualitätsformen, emotionalen Erlebnissen und psychischen Zuständen strukturieren. Im Schlusskapitel »Ausblick. Medienwissenschaftliche Geschlechterstudien: Gender und Medien« skizziere ich einige der derzeit wichtigsten Diskurse um Medien und vergeschlechtlichte Körper, frage dabei nach der geschlechterdifferenten Wahrnehmung von Medien und der geschlechterdifferenten Wahrnehmung durch Medien, reflektiere dabei auf den Körper in seiner Bedingtheit durch apparatetechnische oder medienhistorische Dispositive.
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Z i e l d e r S tu d i e : G e n d e r a l s M e d i u m Medien konstruieren Identitäten, auch geschlechtliche Identitäten. Die traditionelle Film-Hermeneutik, Narrations-Analyse, auch die feministische Kritik, sie alle haben sich, oftmals sehr ausführlich, dem Gegenstandsbereich gender gewidmet, gender als besonderes Sujet, als Motiv behandelt. Geschlechter-Stereotypen, Geschlechter-Binaritäten werden dabei herausgearbeitet, beschrieben im Verhältnis zu sozialen, nichtmedialen Realitäten, häufig zu politischen, kulturellen Gesamtzusammenhängen. Was ich, die traditionelle Theorie ergänzend und in einem entscheidenden Punkt über ihr Erkenntnisinteresse hinausgehend, in meinen Theorie- und Analysekonzeptionen zu leisten versuche, ist der Nachweis, dass Mediendiskurs-Aussagen und film- bzw. medienwissenschaftliche Theoreme für die Auffassung vom Geschlecht mitkonstituierend sein können: dass Geschlechtlichkeit als Medialität gedacht werden kann. Gender wird also von mir nicht allein als Motiv oder Sujet – und nicht nur auf der Ebene der visuellen (Re-)Präsentanz – von Medienprodukten und Medienformaten untersucht, sondern als Medialität reflektiert. Die theoretische Konzeption von ›gender als Medium‹ fragt danach, wie unser Denken, das durch Medien strukturiert ist, unsere Auffassung von Geschlecht strukturiert und auch generiert, wenn man die Generierung der Auffassung vom Geschlecht durch Medien mitbedenkt. Gender als Medium ist mithin eine Denkrichtung quer zu den medialen Untersuchungsgegenständen wie den Filmen selbst und ihrer Ästhetik, quer auch zu verschiedenartigen Film- und Medienbegriffen, wissenschaftsdisziplinären Zugängen. Diese Denkrichtung kann in den Gegenständen und Zugangsweisen aufscheinen und ist doch nicht an sie gebunden oder durch sie determiniert. In meiner Arbeit versuche ich also einen Weg zu finden, der vermittelt zwischen einerseits film- bzw. medientheoretischen Positionen, die Medien – insbesondere den Film – in ihren Grundbedingungen erfassen, dabei aber nicht auf spezifische Inhalte eingehen, und andererseits traditionell-filmwissenschaftlichen Positionen, die sich auf die Analyse der Narration, der filminternen ästhetischen Strukturen und ihrer Semantik beschränken. Ich frage deshalb nach den film- bzw. medientheoretischen Axiomen, die – stets in Bezug auf gender – in einem Film, seiner Narration/Konstruktion sichtbar werden. Nicht das Medium selbst oder einer seiner Inhalte als Inhalt, sondern das Aufscheinen des Mediums als Inhalt in einer spezifischen Erzählung ist meine erkenntnisleitende Idee und Voraussetzung dazu, dass film- bzw. medienwissenschaftliche Theoreme derart auf den gender-Begriff angewandt werden können. Meine Untersuchungsgegenstände finde ich deshalb in verschie-
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EINLEITUNG
denen Gegenstandsbereichen des Medialen; es geht um Medien im Sinne von technischen Apparaten, um Medien in Hinsicht auf ihren sozialen Gebrauch, um Medien und Psyche (Psychoanalyse), Medien als Verbund von Individuum/Psyche, Gesellschaft/Institution und technischem Apparat und, nicht zuletzt, um Medien im Sinne medialer Dispositive. Die theoretische Annahme, dass Medientechnologie ein Teil der menschlichen Selbsttechnologie ist bzw. dazu wird, die Wirkung von Medien nicht nur auf, sondern in den Individuen von Bedeutung ist, schärft das Verständnis für die diskursiven Kräfte, die geschlechtliche Identität und Identität jeweils historisch konstituieren. Die in der Feministischen Filmtheorie sehr elaborierte Integration der Psychoanalyse in die Analyse medialer Texte werde ich in meiner Arbeit in Grundzügen nachskizzieren und ergänzen um Analysen kulturwissenschaftlicher und/oder medientheoretischer Standpunkte, wobei ich jedes Mal nach der Medialisierung von Körpern fragen bzw. die Inkorporierung vom Medienwirken im Körper untersuchen werde. Keine Theorieformation für sich, erst die Schnittstelle dieser beiden Theorieformationen bezeichnet den Ort der medialen Präfiguration in der filmspezifischen Narration. Filme sind also für mich niemals Anschauungsobjekte, um Theorie zu explizieren – gewissermaßen deren Illustration. Der springende Punkt meiner Theorie- und Analysekonzeption: dass der ästhetische Text selbst den Status einer Theorieposition erlangt. Sie ist nicht buchstäblich und nicht auf Papier, sondern audiovisuell formuliert. ›Gender als Medium‹ fragt also nach der produktiv zu nutzenden Entfaltung und Ausbreitung film- bzw. medientheoretischer Erkenntnisse für die Konzeption von Geschlecht. Im Gegenzug können gendertheoretische Positionen in der Kunst- und Medientheorie entwickelt und als affirmative oder subversive Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität verwendet werden. Die erste interesseleitende Fragestellung – im Sinne einer methodischen Annäherung und ersten Erschließung des Themas in Hinsicht auf ›gender als Medium‹ – ist die nach der unterschiedlichen Provenienz und Bedeutung von Film- bzw. Medienbegriffen im Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht. Die mediale Bedingtheit der Geschlechtszuschreibung ist hierfür Prämisse. So wie medientheoretisches Denken genutzt werden kann, um neue Fragen an Filme zu stellen (indem man zum Beispiel die technisch-apparativen und andere Dispositiv-Bedingungen des Mediums in der filmischen Diegese selbst ausmacht), so kann medientheoretisches Denken auch auf die Auffassung von Geschlecht angewendet werden. Der mediale Impakt von Medien in der Auffassung von Ge-
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schlecht meint dabei ein inkorporiertes Medienwirken in gender. Nicht allein in einer spezifischen geschlechtlich festgelegten Person, nicht in der sexuellen Differenz, die sich als Grundparadigma in Verbindung bringt mit anderen Differenzen (und somit auch auf sie angewendet werden kann), ist dies fassbar, sondern in gender als kultureller Konstruktion von Geschlecht. Gender ist in dieser Aspektierung losgelöst von einem speziellen Geschlechtskörper und angebunden an zeitgeschichtliche kulturelle Bedingtheiten. Das kann die psychoanalytische Wirkung von Medien in geschlechtsspezifischen Körpern umfassen, es kann aber ebenso einen nicht-essentialistischen Weiblichkeitsbegriff bezeichnen, der Weiblichkeit als inszenierten Darstellungsmodus begreift und insofern Weiblichkeit als grundlegend medial vermittelt denkt. Weiblichkeit wird hier ebenso als Medium gefasst wie Männlichkeit; eine Auffassung, die von vornherein geschlechteressentialistische Festschreibungen ausschließt. Eine Parallele, in meinem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, fällt ins Auge: Gender als konstruiertes kulturelles Versatzstück hat mit Medialität die konstruierte Vermittlung gemein, die sich selbst zum Verschwinden bringt. Die soziale Konstruktion des Geschlechts soll in meiner Arbeit also nicht einfach additiv erweitert werden durch die mediale Konstruktion des sozialen Geschlechts, indem etwa ein geschlechtsspezifischer Mediengebrauch untersucht wird – wenngleich auch dies ein wichtiger Untersuchungsgegenstand ist, der Aufschluss über die Basis dessen bringen kann, was imaginär werdende Zuschreibungen an den Nexus von gender und Medium abgeben können. Geschlechtlichkeit verstehe ich also in ihrer grundlegend medialen Verfasstheit als mediales Apriori. Ähnlich dem Foucault’schen historischen Apriori legt das mediale Apriori nicht in ontologischer Perspektive Grundprämissen fest, sondern es legt diese offen.
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A.1. M O T I V
U N D I D E O L O G I EK R I T I K .
F I L M W I S S E N S C H A F T I: P O P U L Ä R K U L T U R CULTURAL STUDIES
UND
A . 1 . 1 . F i l m i s c he D a r s t e l l u n g von Prostitution: Populärkultur und Ideologiekritik Die Geschichte der filmischen Darstellung von Prostitution erscheint Georg Seeßlen1 als äußerst heterogen. Nicht nur tauche Prostitution als Sujet in verschiedensten Genres und stilgeschichtlichen Epochen auf (im Expressionismus, in der Postmoderne, als Farce, als Gesellschaftssatire, als Melodram), es sei zudem, je nach Jahrzehnt, von unterschiedlichsten Diskursen und populärkulturellen Strömungen durchwirkt. Diese Diskurse sortiert Seeßlen nun nach ihrem ideologischen Gehalt, nach Realismustendenzen, nach Darstellungsschwerpunkten, nach Motiven. Die Verbindung von Motiven und interpretatorischer Bewertungen realisiert er im Rahmen einer dekadengeleiteten Erörterung der filmischen Darstellung von Prostitution entlang der Achsen Genre, Klischee, dramaturgisches Grundmuster und Funktion. In dieser Gemengegelage, in der ein bestimmtes Motiv als Ausdruck falschen Bewusstseins figuriert, macht Seeßlen in Bezug auf die ›Hurenbilder‹2 mehrere dominante Darstellungsstränge aus. Der populäre Film halte sich an das melodramatische Klischee der ›Hure mit Herz‹, der Western warte mit den tapferen good bad girls des Saloons auf, während der Kriminalfilm der bevorzugte Ort der romantisch-unwirklichen Huren sei. Geheimnisvolle Huren tauchten in mehr oder weniger poetischen Filmen auf, während 1 2
Vgl. Seeßlen, Georg: Erotik. Ästhetik des erotischen Films, Marburg: Schüren 1996. Die Wortwahl ›Hure‹ als Synonym für Prostituierte wird von Seeßlen nicht begründet. Möglicherweise färbt das Populärkulturelle des Untersuchungsgegenstands auf seine Bezeichnung ab; der Begriff ›Hure‹ könnte aber auch aus dem Jargon der Filme selbst gezogen, die anspruchsvollere Version der ›Nutte‹ sein. Eine Abwertung ist damit sicherlich nicht verbunden.
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die Komödie ein eigenes, komödiantisches Hurenbild entwerfe. Der gesellschaftskritische Film dagegen bringe eine realitätsnahe Hurendarstellung zustande – und sie präferiert der Autor. Als wichtigsten Darstellungsmodus der filmischen ›Hurenbilder‹ bzw. Filmprostituierten, gleich welchen Genres, hebt Seeßlen die Zeichnung der Hurengestalt als paradoxe Vereinigung von Hure und Heiliger hervor. »In ihnen [den ›Huren‹, Anm. H.W.] absolutiert sich die (männliche) Gesellschaft, und den Bild- und Sprechverboten ist Genüge getan. Doch im Grunde entsteht eine von einem Vorbild in der Wirklichkeit fast unabhängige, virtuelle und magische Gestalt, die sündig und unschuldig zugleich ist, und die es nur so in den Träumen des Kinos gibt. […] Die Leinwand-Hure blieb auf eine merkwürdige Weise unberührt, und ganz und gar hat sie diesen seltsamen Heiligenschein nie verloren. Aber in den sechziger Jahren arbeitete das Kino daran, diesen Traum zu dekonstruieren.« (Seeßlen 1996, S. 254)3
Die funktionale Bestimmung der Prostitutionsthematik, von der Seeßlen ausgeht, hebt ab auf Formen sexueller Ausbeutung, das der Prostitution innewohnende Unterdrückungspotential. Die Prostituierte fungiere als Projektion bürgerlicher Ängste, die Prostitution sei selbst eine soziale Metapher4. Für Seeßlen bildet der Spielfilm die ideologische Verfasstheit seiner Produzent/-innen ab, die auf die Rezipient/-innen übergehe. Seeßlen stellt genregeschichtliche Prägungen der Prostituiertendarstellung heraus, deutet Grunddramaturgien an und weiß filmgeschichtliche Epochen kurz und knapp auf ein Profil zu bringen: Die 60er Jahre seien durch die Zurücknahme von Klischee, Kitsch und Romantisierung gekennzeichnet, die 70er und 80er Jahre sind für ihn Jahre des Autorenfilmgenres, der künstlerisch-ambitionierten Filme. Diese künstlerische Ambitioniertheit, verbunden mit einer Entmythisierung der Prostitution, nehme in den 80er Jahren Einfluss auf die klassische Hollywooddarstellung – bis zu PRETTY WOMAN: »ein durchaus reaktionärer Gegenschlag gegen Aufklärung und Verunsicherung« (ebd.). Filme mit sozial-
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Zum Hure-Heiligen-Antagonismus siehe Kapitel A.2. u. B. 2. »Hurengeschichten sind ein Schnittpunkt voyeuristischer Lust und sozialer Metaphern, und manchmal ist das Bordell ein Ort schrecklicher männlicher Demontage.« (Seeßlen 1996, S. 258) Des Weiteren führt er an: »Das Bild der Prostitution ist immer wieder auch als historische Metapher für eine allgemeine Abhängigkeit und Unterdrückung benutzt worden.« (Ebd., S. 259) Filmen dieser Prägung gilt Seeßlens analytische Sympathie.
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MOTIV UND IDEOLOGIEKRITIK
kritischer Darstellung von Prostitution beginnen, Seeßlen zufolge, in den 80er Jahren, wobei ein besonderer Strang auszumachen sei: Spielfilme, die durch Recherche im ›authentischen Milieu‹ entwickelt worden seien. Eine andere Linie verlaufe über die im Film entwickelten kritischen Sichtweisen – die kritische Aspektierung von Männlichkeit oder des Kreislaufs von Unterdrückung, Revolte und Scheitern der Bürgerlichkeit und Abstieg. Eine weitere Gruppe bildeten Filme, die die Prostitution als Metapher für Abhängigkeit und Unterdrückung nutzten. Ende der achtziger Jahre dann macht Seeßlen Versuche realistischer Schilderung aus. Neben den Genrefilmen, die ihren eigenen Gesetzen unterliegen, gibt es nun eine Gruppe der spielfilmartigen ›wahren Begebenheiten‹.5 In diesem Zusammenhang urteilt Seeßlen: »Wie in den meisten Filmen des Themas geht es auch in MADAME CLAUDE6 um ein merkwürdiges Ineinander zweier Diskurse: Prostitution sei etwas akzeptables, wenn sie in die Hände von Frauen gelegt sei, die – wie auch die echte Madame Claude, die zur Premiere des Films in Paris aus Los Angeles angereist war, betonte, – ihre Mädchen weder mit Gewalt bedrohen noch ausbeuten (was einem gesunden Profit indes nicht im Wege zu stehen scheint), und sie sei akzeptabel im ›bürgerlichen‹ Raum. Was oben als leichte Komödie erscheint, ist unten das fatalistische Melodram; mit dem sozialen Aufstieg verschieben sich auch die Verhältnisse von Ausbeuten und Ausgebeutet-Werden. Madame Claude verkauft schon nicht mehr bloß die Körper ihrer Mädchen, sie verkauft, was sie selber ›Träume‹ nennt, und was sich im Film wie in der Gesellschaft als Ideologie vermittelt: die Prostituierte bietet ihre makellose Schönheit als Begleitung für den Mann, beherrscht die
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Für diese Gruppe beansprucht Seeßlen die Kategorie ›Subgenre‹: »Bordellund Callgirl-Skandale aus dem ›richtigen Leben‹ bilden eine beständiges Subgenre aus Komödie, Zeitkritik und Neugier. Beinahe alle Skandale aus dem Bereich Luxus, Politik, Prostitution, die in der Nachkriegszeit die westlichen Gesellschaften hervorbrachten, fanden früher oder später ihre filmische Bearbeitung.« (Seeßlen 1996, S. 261f.) MADAME CLAUDE [MADAME CLAUDE UND IHRE GAZELLEN], F 1976, Regie: Just Jaeckin). Auf diesen Film folgte INTIMATE MOMENTS [DIE INTIMEN MOMENTE DER MADAME CLAUDE], F 1980, Regie: Franςois Mimet (bisweilen findet sich auch der Verleihtitel: MADAME CLAUDE/DIE PLAYGIRLS, wofür als originalsprachige Entsprechung der Titel IMTIMATE MOMENTS/MADAME CLAUDE II angegeben wird). Dieses Beispiel entstammt der Seeßlen’schen Rubrik »Sex Scandals & Personal Services«, Filmen, die auf »wahre Begebenheiten« zurückgeführt werden und ein Subgenre des Erotischen Kinos bildeten (vgl. Seeßlen 1996, S. 261).
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Kunst, ›zuzuhören, ohne zu widersprechen‹, eine vollendete Imitation verlorener patriarchaler Phantasien.« (Seeßlen 1996, S. 263f.)
Seeßlens ideologiekritische Sicht ist klar und eindeutig formuliert. In ihr gibt es z.B. keinerlei Hoffnung auf das subversive Potenzial von Imitation, die immer auch eine Verschiebung der herrschenden machtvollen Diskurse ist. Evident ist für Seeßlen die gesteigerte, zusätzlich zur bestehenden materiellen Ausbeutung entstandene immaterialisierte Form der kapitalistischen Ausbeutung. Das Zitat könnte man freilich auch anders lesen: in der Betonung auf den Schlusssatz, auf die in ihm enthaltene Unmöglichkeit, ›Imitation‹ und ›verloren‹ als Scheitern der patriarchalen Ideologie zu verstehen. Für einen weiteren Film7 weist Seeßlen die »seltsame Verbindung von Prostitution, Geschäftssinn und Feminismus, die ganz dem Geist der Zeit entsprach« (ebd.) aus und dies sowohl auf innerdiegetischer Filmebene als auch auf produktionsgeschichtlichem Hintergrund – womit, so könnte man ironisch weiter schlussfolgern, in der Realität wenigstens das gewährleistet ist, was in der filmischen Darstellung zerstört wurde. Unverkennbar setzt sich Seeßlens Erwartungshaltung durch, wonach sich Feminismus, wie viele Artikulationen des Feminismus selbst betonen, mit Gesellschafts- und Kapitalismuskritik verbinden müsse. Anschließend urteilt er über die filmische Darstellung von Prostitution: »Die Diskurse zur Prostitution bleiben vollkommen inkompatibel. Neben dem Mythos der erretteten Hure, der Phantasie von der Prostitution mit menschlichem Gesicht[...], dem düsteren Huren-Melodram und der sozialen Anklage steht immer wieder auch die mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Denunziation der bürgerlichen Frau, die die Hure in sich nicht wirklich überwunden hat. Immer wieder phantasiert der erotische Film von der frustrierten Ehefrau, die von einem ›erfüllten‹ Dasein als Prostituierte träumt.« (Seeßlen 1996, S. 265)
Die Feststellung der Inkompatibilität und die von Seeßlen vorgenommene Reihung ergeben sich aus der Erwartungshaltung einer feministischaufgeklärten, gesellschaftskritischen Sichtweise. Homogen erscheint diese Reihung durch die Annahme, Prostitution sei ein anti-feministisches Vorkommnis. Ich will dies an dieser Stelle weder dementieren noch bestätigen, doch die Verflochtenheit der Diskurse kann so nicht adäquat erfasst werden. Seeßlens Diskurs-Kategorisierung hebt stattdessen immer 7
MAYFLOWER MADAM [MAYFLOWER MADAM], USA 1987, Regie: Lou Antonio.
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wieder ab auf die ideologische Heterogenität und argumentationslogische Inkonsequenz: »Der klassische Diskurs der Prostitution, der sie als Ausdruck sozialer und kultureller Ordnung und in der Hure nur das dienstleistende Objekt sieht, der romantische Diskurs, der den Blick spaltet in das Begehren und das Mitleid, Lust und Schwärmerei, der moderne Diskurs, der die Bedingungen von Ausbeutung und Unterdrückung beschreibt, und der postmoderne Diskurs, der von der Prostitution als kalter Kunst, als nostalgischer Imitation und als weibliches Karrieremittel zugleich träumt, ohne von den romantischen Phantasien und von der modernen Kritik vollkommen Abstand zu nehmen, findet sich in den Filmen der achtziger und neunziger Jahre, ohne eine einheitliche Linie zu bilden. So wie es in den achtziger und neunziger Jahren den Dialog der MainstreamKultur mit den homosexuellen Bildwelten, mit der Inszenierung des cross dressing und mit unterschiedlichen Formen der Prostitution gab, so kam es auch zu einem Dialog mit der sadomasochistischen Inszenierung, der sich nicht mehr in der Mythologie von Genres verbergen mußte. Die Obsession von Sexualität und Gewalt beherrschte den erotischen Thriller und bezeichnete dabei oft schon einen Umkehrpunkt: Die ›Befreiung‹ der Lust, vor allem der weiblichen Lust, führte zu Quälereien und Blutbädern, und einmal mehr bot sich die bürgerliche Kleinfamilie als einzig möglicher Fluchtpunkt an.« (Seeßlen 1996, S. 266)
Georg Seeßlen beendet sein Buch über den erotischen Film mit einem Fazit, in dem er seine Bewertungs- und Interpretationsgrundlage auch für Filme des Sujets ›Prostitution‹ noch einmal konturiert. Der großen Aufmerksamkeit für das Sujet, für die dramaturgische und ästhetische Gestaltung steht eine ausgeprägte ideologiekritische Sicht gegenüber, der die Ursachen für die Uneinheitlichkeit und Heterogenität dieser Filme, gerade der diskursiven, verborgen bleiben muss. Sie stellt sich immer mehr als Kritik am falschen Bewusstsein heraus. »An diesem vorläufigen Ende seiner Geschichte kann der erotische Film nicht anders, als in einem makabren sexuellen Reigen die Körper zu feiern und die Seelen zu verdammen. Die Liebe und die Lust werden in der Welt, die zum universalen Markt und Kriegsschauplatz geworden ist, zu tödlichen Gefahren. Und bleiben doch die einzig denkbaren Utopien.« (Seeßlen 1996, S. 269)
A . 1 . 2 . P r o s ti t u t i o n i m H o l l yw o o d f i l m . P RE T T Y W O M A N : C u l t u r a l S t u d i e s Eine wissenschaftliche Fundierung des Verhältnisses von Alltagswelt, medialer Verfasstheit und Filminterpretation legt Lothar Mikos in seinem Aufsatz Liebe und Sexualität in PRETTY WOMAN. Intertextuelle Bezüge 25
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und alltägliche Erfahrungsmuster in einem Text der Populärkultur8 dar. Er entwickelt das wissenschaftliche Konzept der Intertextualität weiter und bietet eine Filminterpretation von PRETTY WOMAN9 an, die Medialität als konstitutives Moment mitberücksichtigt und die sich keines Kurzschlusses von Motiv auf Ideologiekritik verdächtig macht. Bemerkenswert ist dabei das Aufgreifen filmwissenschaftlich problematischer Begriffe wie: Stoff, Mythos und Motiv.10 Mikos stellt einen Genrebezug her zur romantischen Komödie und zum romantischen Melodrama, aber auch zum Docu-Drama und zur screwball comedy. Er begreift das reflexive Verhältnis als der Popkultur inhärent und identifiziert den »Pygmalion«-Stoff mit seinem Charakteristikum, dem pädagogischen Prozess, und dem Motiv der ›selbstlosen Kurtisane‹. 8
Mikos, Lothar: »Liebe und Sexualität in PRETTY WOMAN. Intertextuelle Bezüge und alltägliche Erfahrungsmuster in einem Text der Populärkultur«, in: montage/av 2,1, 1993, S. 67-86. 9 PRETTY WOMAN, USA 1989, Regie: Garry Marshall, Produktion: Arnon Milchan, Steven Reuther, Buch: J.F. Lawton, Kamera: Charles Minsky, Musik: James Newton Howard, Schnitt: Priscilla Nedd, Darsteller/innen: Richard Gere (Edward Lewis), Julia Roberts (Vivian), Ralph Bellamy (James Morse), Laura San Giacomo (Kit De Luca), Hector Elizondo (Hotelmanager), Jason Alexander (Philip Stuckey), Alex Hyde-White (David Morse), Amy Yasbeck (Elizabeth Stuckey), Patrick Richwood (Liftboy); aus: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=17960, letzter Abruf September 2004. »Das bekannte ›Pygmalion‹-Thema in einer unterhaltsamen Neuauflage, angesiedelt vor der schicken Hollywood-Kulisse des Rodeo Drive und des Luxushotels Beverly Willshire. Ein eleganter, aber vereinsamter und in seinen Geschäftsmethoden rücksichtsloser Finanzmagnat mietet sich für 3.000 Dollar die Woche eine Begleiterin, die sich bald von der Prostituierten zur verliebten Frau wandelt. Eine elegant von der Komödie zum märchenhaften Melodram wechselnde Fabel, die im spielerischen Umgang mit den Klischees Zeit und Lust findet, der menschlichen Seite des Stoffes etwas näherzukommen, und das Happy-End in eine Kino-Illusion par excellence verwandelt.« Aus: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php? filmnr=17960, letzter Abruf September 2004. 10 Karl Juhnke geht der Frage nach, ob Motiv bzw. Stoff eine epistemologische Funktion in der Filmwissenschaft habe. Vgl. Karl Juhnke: »Filmwissenschaft und/oder/als Motivforschung«, in: Medienbilder. Dokumentation des 13. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums an der GeorgAugust-Universität Göttingen, hg. v. Jörg Türschmann und Annette Paatz; Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2001, S. 65-78. Und Karl Juhnke: Das Motiv des Serienmörders im Spielfilm, 2001.
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Dieses Motiv drücke sich, so Mikos, in der Veredelung der Prostituierten, in ihrer Bekehrung zur Liebe aus. Vom Stereotyp des distanzierten Verhältnisses zwischen ›Hure‹ und Freier, das formal, geschäftlich, enterotisiert und kalt gezeichnet wird, führe der Weg über die Gefährdung der Prostituierten durch eine persönliche, intime Beziehung. Die Erotisierung der Hurenbeziehung wiederum führe zur Ablösung des Tauschverhältnisses durch ein Liebesverhältnis, in dem die Bezahlung als Beleidigung der bekehrten Hure gewertet wird. Diese Liebesbeziehung habe jedoch ›dramatische‹ Folgen – den Tod der bekehrten, weil verliebten Prostituierten. Hier bildet sich ein narratives Stereotyp ab, in dem sich auch die Konfiguration ›durchschnittlicher Mann/attraktive Frau‹ findet: »[…] der glückliche Bürger, der in ein erotisches Abenteuer hineingerät; das Abenteuer wird lustvoll erlebt, am Ende kehrt der Alltag wieder ein; durch das Mädchen provoziert, werden männliche Tugenden der ›Brautwerbung‹ – Charme, Schlagfertigkeit, Improvisationsfähigkeit etc. – reaktiviert, die im bürgerlichen Alltag keine zentrale Bedeutung haben und eher verkümmern« (Mikos 1993, S. 80)
Mikos bewertet das Verhältnis von Liebe und Sexualität im ideologischen Komplex ›bürgerliche Liebesbeziehung‹, der Liebe und Sexualität einander gegenüberstellt. Diese ideologische Überformung setzt die sexualisierte Prostituierte und die ›ent-erotisierte Hurenbeziehung‹ bei zunehmender Intimisierung der Beziehung der Entsexualisierung und Erotisierung der Prostituierten gegenüber. Mikos sieht die Sexualität durch populärkulturelle Texte repräsentiert und kritisiert die feministische Lesart als Missachtung von Medialität und Populärkultur. In welcher interpretatorischen Perspektive stehen nun Stoff, Mythen, Motive und Genres? Mikos ist dem wissenschaftlichen Zugang der Cultural Studies und der Populärkultur verpflichtet. Mit Rückgriff auf John Fiske11, mit Referenzen auf Roland Barthes12 und Umberto Eco13 stellt er das Konzept der Intertextualität dar. 11 Mikos bezieht sich insbesondere auf Fiske, John: Television culture, London/New York: Methuen 1987. 12 Barthes, Roland: Das semiologische Abenteuer, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988. 13 In Mikos’ Bibliographie werden die Eco-Werke: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München: Hanser 1987; Der Streit der Interpretationen. Konstanz: Universitätsverlag und Über Spiegel und andere Phänomene. München/Wien: Hanser 1988 aufgeführt.
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Die Begriffe Mythen, Genres, Stoffe und Motive werden definitorisch dargelegt und in ihrer Anwendbarkeit bzw. funktionalen Bestimmung erläutert. Was begrifflich derart fein differenziert wird, unterliegt jedoch einem funktionalen Interpretationsmechanismus: Dem Credo der Cultural Studies gemäß ist der zu behandelnde Text stets Überkreuzungspunkt verschiedenster Diskurse, hier – unter Referenz auf Fiske – ausgewiesen als horizontale und vertikale Intertextualität, Schnittpunkt von Produktions- wie Rezeptionsästhetik. Ich werde im Folgenden aus der begrifflichen Anlage und ihrer interpretatorischen Umsetzung die indirekt gesetzten Aussagen zur Prostitution bei Mikos herausarbeiten, ihre Sinnzuschreibung im Kosmos der Populärkultur herausstellen. Mich interessiert also der Einigungspunkt von Medialität, Realität und Ideologie (einen Nachvollzug der einzelnen Begriffe werde ich nicht leisten). Bei Mikos fungiert Intertextualität als spezifisch populärkultureller Mechanismus der Sinngenerierung. Intertextualität ist der produktionswie rezeptionsästhetische Einigungspunkt, der die als vertikal bezeichnete Verbindung von Lebenswelt, Erfahrung, Gesellschaft bzw. Individuum – und bei diesem Kognition, womit Weltwissen und Genre umfasst sind, und Emotion – an die horizontal bezeichnete Intertextualität koppelt, die auf Texte, Mythen, Stoffe, Motive und Genres populärer Kultur verweist. Intertextualität ist ein Aneignungsprozess, der den Zusammenhang von horizontaler und vertikaler Intertextualität herstellt, Mythos, Genre und Lebenswelt zusammenbringt. In der Intertextualität sind populäre Mythen die Gestalt für das, was als Gehalt die Alltagsrealität hat. Mythen sind Form gewordene Verhandlungen von Gesellschaft und Individuum. Der Sinn, den Mikos stets im Sozialen und Gesellschaftlichen ausmacht, lagert sich ab in extrem wandelbaren Genres und Mythen. Im Film z.B. verbindet sich das Horizontale, das auf die soziale Fundierung verweist, mit dem Kulturellen, das als vertikale Linie aufscheint. Genres sind, so könnte man in einer anderen Terminologie sagen, Aktualisierungsformen von medial vermittelten, jedoch nicht an ein spezifisches Medium gebundenen Narrationsmustern, die mit Stoff und Motiv gegeben sind und die Potentialität kultureller Erzähltraditionen in sich bergen. Sie fungieren als Sinnausdruck von Erfahrung und Lebenswelt. So sind Stoffe und Motive weder direkt auf die Lebenswelt zuzurechnen, noch auf die Wunschphantasie. Umgekehrt sind Stoffe und Motive nicht zwingend als sedimentierte Erfahrungen anzusehen. Es sind mögliche Bedeutungsangebote, die ex negativo bestätigt werden können oder durch die strukturGleichwohl Mikos auf Ecos ›offenen Text‹ eingeht, findet Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, Ersterscheinung: 1962, keine Erwähnung.
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und narrationsbildende Form (Genre)14 verwandelt auftreten können. Lebensweltliche Erfahrungen können dabei als subversive Lesarten der Darstellung des Motivs auftreten, die damit von der dominanten Lesart bzw. der genreüblichen Stoffdarstellung abweicht. Lust und Vergnügen sind nicht Ausdruck ideologischer Verbiegungen, sondern Momente des Verbiegens und Verschiebens von Ideologie. Wie sieht nun der Aneignungsprozess der horizontalen Intertextualitätsmomente »Pygmalion«-Stoff und das Motiv der ›selbstlosen Kurtisane‹ aus? Oder anders gefragt: Welcher Sinn wird der Darstellung von Prostitution in PRETTY WOMAN gegeben? In PRETTY WOMAN werden Erfahrungsmuster und topische Konzeptionen von Sexualität und Liebe als individuelle Geschichte dargestellt. Es ist allerdings, so Mikos, die bürgerliche Ideologie in Bezug auf Liebe, die sich hier Bahn bricht und nicht die außerbürgerliche Auffassung von Prostitution. Mikos zufolge ist im Motiv der ›selbstlosen Kurtisane‹, das den Motivhintergrund für PRETTY WOMAN bildet, ein spezifischer Zusammenhang impliziert: »Sexualität und Intimität erscheinen als einander mindernde oder sogar einander gegenüberstehende bzw. ausschließende Beziehungsmodalitäten. […] Man könnte dies aber auch als eine Charakterisierung des ideologischen Komplexes ›bürgerliche Liebesbeziehung‹ ansehen, die der Sexualität keinen Ort zu bieten hat und sie in eine gesellschaftliche Realität außerhalb des bürgerlichen Lebens verweist.« (Mikos 1993, S. 79)
Dies sei ein gesellschaftlich anerkannter Interaktionsmodus. Der Film ist also eine Entwicklungsgeschichte, das Endresultat die pädagogische Umerziehung der Protagonistin Vivian. Mikos schreibt der Bürgerlichkeit, deren Liebesheirat-Ideal gesellschaftsprägend geworden ist und die die Sexualität innerhalb der Liebesbeziehung realisiert sehen will, Lustfeindlichkeit und Repression von Sexualität zu, weist also die Selbstbehauptung des Bürgertums, das romantische Liebeskonzept, die Liebe als Passion, das Zusammengehen von Liebe und Sinnlichkeit als höchste Erfüllung, als pure Behauptung zurück. Die Rhetorik der Repressionshypothetiker/-innen, die Michel Foucault in Sexualität und Wahrheit so überzeugend kritisiert hat, kommt ins Spiel und die utopischen Momente der Befreiung von Lust und Sexualität lassen nicht lange auf sich warten:
14 Mikos zeigt einige genrekonstitutive Grundelemente auf und hebt ihren narrationsbildenden Einfluss auf PRETTY WOMAN hervor.
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»Sexualität und Bewegungslust, intensive Teilhabe am Augenblick, starke motorische und haptische Arten, sich auszudrücken bzw. Umwelt zu erfahren – dagegen nimmt sich das kontrollierte und distanzierte Verhaltenssystem des bürgerlichen Lebens eher arm aus, denn dort ist die Sublimierung die gängige Praxis.« (Mikos 1993, S. 77)
Der Film erzähle also, wie die romantische Liebe das sexuelle Begehren ›überforme‹ und somit unterdrücke. Die bürgerliche Ideologisierung der romantischen Liebe als Kompensation von nicht vorhandenem Sex wird in einer Fußnotenreferenz als eine Lacan-Interpretation ausgewiesen. Mikos verwechselt dabei die psychoanalytische Erklärung von Begehren, die mit Mangel und Abwesenheit als psychischen Mechanismen operiert, mit der gelebten Sexualität, um sie als Sinngebung an die Realität anschließen zu können. Lustmomente werden als ›Gegenpraxis‹ und ›unbürgerlich‹ bezeichnet und sowohl in der Diegese als auch in der Rezeption ausgemacht. Die Zuschreibung von Sexualität an untere, nichtbürgerliche Gesellschaftsschichten folgt hier und geht konform mit den stereotypen Visualisierungsstrategien des Hollywood-Kinos15. Nur werden diese von Mikos ebenfalls als widerständige Lektüreelemente in der Rezeption etabliert. Widerstandsmomente kommen mithin von außerhalb der Bürgerlichkeit. In der Rezeption wird das eigene Vergnügen an der Filmlektüre an die sexuell sublimierte Lust der Protagonistin geknüpft. Somit werden die ideologischen Aussagen von Mikos als durch die Populärkultur legitimiert ausgewiesen und dem Bürgertum zugeschrieben. Die Lustfeindlichkeit, die hier der Bürgerlichkeitsanklage dient, und die Positivierung des Triebhaften, sie sind als Subversionselemente die widerständigen Momente in der Textlektüre. Die unterdrückte Lust als Widerstandselement ist aber direkt dem Interpretationsmuster der Cultural Studies inhärent. Und hierin liegt auch der Grund für den fundamentalen Unterschied zur, als Falschlektüre ausgemachten, feministischen Lesart, die weder Medialität berücksichtige noch Vergnügen und Lust als positive Subversionspraktiken zu verstehen vermöge. Die Objekthaftigkeit der Frau und die Dominanz des Mannes, die aus dem »Pygmalion«- Stoff herausgelesen wird, sowie das Motiv der ›selbstlosen Kurtisane‹ und die Identitätsabhängigkeit Vivians, die den Besitzverhältnissen entsprechend der Geschlechterhierarchie etabliert wird, unterschlügen Vergnügen und Lust als Widerstandsmomente gegen die Ratifizierung eines ideologisch fi-
15 Vgl. Tasker, Yvonne: Working Girls. Gender and sexuality in popular cinema, London et al.: Routledge 1998.
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xierten Ziels, eben des Aufweisens der Objekthaftigkeit und Identitätsabhängigkeit der Frau. Mikos urteilt über Caputi16: »In dieser Sichtweise werden dann auch andere Elemente zentral, die von außen an den Film herangetragen werden, ohne seinen dramaturgischen Aufbau, seinen Plot und seine Genrekonventionen zu beachten.« (Mikos 1993, S. 82)
Die Dominanz der ideologischen Voreinstellung bewirke, »daß der Geltungsanspruch des Urteils über Prostitution, das die Grundlage der Kritik an der Darstellung im Film bildet, so groß ist, daß der Märchencharakter der Geschichte dabei außer Geltung gesetzt wird« (Mikos 1993, S. 83). Reflektiere ich auf diesen von Mikos vertretenen, Ideologiekritik kritisierenden filmwissenschaftlichen Zugang, so zeigen sich in der Verbindung von Motiv und Ideologiekritik problematische Verschränkungen. Mit dem »Pygmalion«-Stoff, insbesondere mit der männlichen Phantasie, die auf die zu formende Frau projiziert wird – ob sie nun aus Stein gemeißelt, in mechanischer Feinkunst erbaut oder aus Fleisch und Blut besteht –, wird von Mikos in Anlehnung an die Stoffgestaltung durch Bernard Shaw17 erstaunlicherweise die Uminterpretation in einen pädagogischen Prozess hervorgehoben. Diese Umlenkung, die zentrale Aspekte des antiken Mythos beiseite setzt, wie etwa das tragische Ende einer der beiden Figuren18, die unglückliche Liebe, das Fehlgeleitetsein und das Scheitern der Projektion, Stoff-Momente, die bei Mikos noch nicht einmal Erwähnung finden, sie ist im Film auf zwei Figuren aufgespalten: den Liebhaber und den Erzieher. Diese Figurenaufspaltung wird nun aber nicht mit der Unvereinbarkeit von erzieherischer Umformung und Liebe bzw. sexuellem Interesse begründet, sondern mit dem Beziehungsbeginn als Warenverhältnis. Kapitalismus und Pädagogik stehen sich gegenüber, nicht etwa Liebe und Kapitalismus. Der pädagogische Einfluss bestünde in einer Transformation des Warenverhältnisses. Bürgerlichkeit und Pädagogik gehören hier also zusammen. Die mit der Fokussierung auf Pädagogik gegebene starke Aspektierung, die sich kaum noch an den Stoff hält, setzt das Ideal, dass eine wahre Liebesbeziehung 16 Caputi, Jane: »Sleeping with the enemy as PRETTY WOMAN, Part II?«,in: Journal of Popular Film and Television; Jahrgang 19, Heft 1, S. 28; bibliographiert nach Mikos 1993. 17 Vgl. Shaw, Bernard: Pygmalion: a romance in five acts; München: Langenscheidt 2007. 18 Vgl. Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Die mechanische Olimpia zerschellt und der verliebte Studenten Nathanael wird wahnsinnig und stürzt sich in den Tod.
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einer Gesellschaftsrevolution gleich käme (Überwindung von Klassenschranken). Doch dies geschieht hier nicht. Mikos sieht deshalb als Störelement der Beziehungs- und Gesellschaftstransformation den Kapitalismus wirken, der sich mit der Bürgerlichkeitsideologie verbinde. Mit Mikos’ Diktum der »Triebbefriedigung mit dem Warenfetisch der Konsumwelt« (Mikos 1993, S. 77) wird der Kapitalismus als sublimierte Triebbefriedigung bürgerlich und ist Resultat des pädagogischen Prozesses: Kapitalismus als pädagogisch umerzogene Sublimierung der Lust. Der Konsum ist somit bürgerlich und die Lust unbürgerlich, die Ideologie des Konsums ist als sublimierte Triebbefriedigung getragen von einer Kapitalismuskritik aus dem Geiste der Repressionshypothetiker/-innen. Die Identifikation der Zuschauer/-innen soll nach diesem Mechanismus funktionieren können, wobei die Prostituierte – wenn sie nicht in die Kategorie der romantisch Liebenden wechselt – zu einer kapitalismuskritischen Figur wird. Es gibt bei Mikos auch direkt zugeschriebene ideologische Motivwirkungen. Von der Hochzeit der romantischen Komödie zur Zeit der Wirtschaftsdepression in den USA ausgehend, konstatiert er eine Hochblüte des romantischen Ideals als Kompensation der materiellen Krisensituation und folgert rückschließend: »Wollte man dieses ideologische Wirkungs-Paradox auf PRETTY WOMAN übertragen, ließe sich der Erfolg des Films auch als Reflex auf die amerikanische Rezession in den späten achtziger Jahren sehen.« (Mikos 1993, S. 72)
Das ideologische Wirkungsparadox offenbart bei Mikos die Beziehung zwischen Populärkultur und Alltagserfahrung als dialektisch angelegtes Kompensationsverhältnis. Zumeist wird jedoch dieses Verhältnis als symbolisierter Erfahrungsausdruck genommen, also nicht als Verkehrung der Realität, sondern als ihr Ausdruck. Die wechselnden Verhältnisse bzw. die Uneindeutigkeit ihrer Bezugnahme, sie werden im besten Falle als Interpretationsoffenheit thematisiert, im schlechtesten Falle dienen sie dazu, beliebige Annahmen zu begründen.
Fazit Überzeugend an Mikos’ Ansatz ist die wissenschaftliche Fundierung der Analyse populärkultureller Texte, fraglich dagegen sind die Bezugnahme auf und die Behauptung von kulturgeschichtlicher Tradition, so etwa die Darstellung des romantischen Liebesdiskurses und seines Nexus mit der Bürgerlichkeit. Der in den Cultural Studies selbst angelegte dualistische 32
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Begriffsbezug von Subversion und Affirmation wird in den populärkulturellen Filmtext reimplantiert. Die These der Offenheit des Textes und der Möglichkeit widerständiger Lektüren bildet das Grundmanifest dieses wissenschaftsdisziplinären Zugangs, der problematische methodologische Folgen zeitigt. Vergnügen und Lust als Subversionsmomente auszuweisen und sie an die Diegese rückzubinden, erweist sich für die Erfassung des Motivs ›selbstlose Kurtisane‹ als folgenschwer und reich an ideologischen Prämissen. Diese Methodik, die für sich genommen produktiv sein kann und eine beachtliche Forschungsrichtung hervorgebracht hat, ich möchte sie für meinen eigenen wissenschaftlichen Zugang ausschließen, denn die Verbindung von Motiv und Ideologiekritik führt – je nach theoretischer Anlage – zu problematischen Fallstricken. Filmwissenschaftlich reflektierter und filmästhetisch nachvollziehbarer ist der Zugang zur Darstellung der Prostituierten über den Genrebezug und das Startum.
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A.2. S E X
W I T Z . F I L M W I S S E N S C H A F T II: S T A R D O M -F O R SC H U N G
UND
Das Verhältnis von Starimage, gender-Bild und Schauspielerinnenkörper wird im Folgenden theoretisiert unter dem Aspekt seiner gendertheoretischen Relevanz. Ich frage nach den Auswirkungen, die dieses Verhältnis für filmische Prostitutionsdarstellungen hat. Zunächst geht es am Beispiel von Richard Dyer1 um die Gegenstandskonstitution von gender durch die Stardom-Forschung – um das »sex-role-typing« (Dyer). Besonders wichtig ist in dieser Hinsicht, wie die stardom-Forschung ein Phänomen erschließt, dem gender-Theorie große Bedeutung zumisst: der Umgang mit Widersprüchen und Ambivalenzen. Richard Dyer2 hat die Sexualitätsdiskurse der 50er Jahre untersucht und exemplarisch auf Marilyn Monroe bezogen. Seiner Methodik zunächst folgend, werde ich eine bestimmte Prostituiertendarstellung von Marilyn Monroe, die der weiblichen Flaneuse in FÜNF PERLEN, analysieren und einen ersten Ausblick geben auf einander widerstreitende Lesarten und das Phänomen des Geschlechterklischees der ›dumb blonde‹. Daran schließt sich die Reflexion eines weiteren Geschlechterklischees an, des Hure-Heiligen-Antagonismus bzw. ›nice girl versus hot blonde‹; er ist mit dem Starimage von Kim Novak eng verbunden. Zunächst werde ich einige charakteristische Widersprüche des Novak’schen Starimages herausarbeiten. In diesem Zusammenhang spielt der Hure-Heilige-Antagonismus eine Rolle als Widerspruch im Starwesen bzw., auf das Genre bezogen, für die Verbindung von Sex und Witz in der Sex-Farce; KÜSS MICH, DUMMKOPF von Billy Wilder ist mein Beispiel. Beide Geschlechterklischees sind spezifisch für ›Prostituiertenfilme‹ der 50er und 60er Jahre, aber auch für den damaligen Geschlechterdiskurs.
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Dyer, Richard: Stars; London: British Film Institute 1979 [Reprint: 1992.] Dyer, Richard: »Monroe and Sexuality«, in: Women and Film, edited by Janet Todd; New York et al.: Holmes & Meier 1988, S. 69-97.
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Ambivalenzen In Schriften der Cultural Studies3 wird dem Star die Verkörperung von Ambivalenzen als Leistung gutgeschrieben und damit eine kritischreflexive Funktion populärkultureller Texte behauptet. Der Star stelle bisweilen explizit Ambivalenzen für Rezipient/-innen aus.4 Diese Deutung der Diskurswidersprüche und Diskursüberschneidungen findet ihre Korrespondenz in der Genretheoretisierung: Grundsätzlich komme dem Genre Hybridfunktion zu.5 Widersprüchliche Diskursüberschneidungen bringen sowohl subversive wie affirmative Lesarten hervor, sind im Film absichtsvoll von den Autor/-innen angelegt. Diese Deutung widerspricht also dezidiert allen jenen älteren Beiträgen zum Starwesen, die den Star als Agenten der Affirmation ins Visier nahmen, als den Spezialisten für das Stillstellen antagonistischer Widersprüche6. »Erst mit den wichtigen Arbeiten von Dyer gab es den Versuch, die verschiedenen Aspekte des Stars analytisch zu differenzieren und zugleich synthetisch in Beziehung zueinander zu setzen. Methodisch wegweisend ist auch sein Ansatz, Stars sowohl strukturell (als hochverdichtete, mehrdeutige Zeichen und 3
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Hier hatten, neben Stuart Halls Encoding/decoding, insbesondere die Schriften John Fiskes eine Vorreiterfunktion für die deutschsprachige Film- und TV-Wissenschaft. Fiskes Reading Television und Television Culture bildeten Schwerpunkte der deutschsprachigen Auseinandersetzung mit den sich schon in den 50er Jahren formierenden Cultural Studies. Die Wissenschaftler/-innengruppe um montage av widmete 1997 bzw. 1998 dem Thema ›Stars‹ zwei Schwerpunkthefte. Neben den dort vertretenen Autor/-innen (u.a. Stephen Lowry: »Stars und Images. Theoretische Perspektiven auf Filmstars«) tendieren auch Lothar Mikos (vgl. Kapitel A.1.), Hans-Jürgen Wulff, Eggo Müller, Johannes von Moltke und selbst Knut Hickethier zu dieser Position. Neale, Steve: Genre and Hollywood; New York/London: Routledge 2000 [2. Aufl. 2001] und Neale, Steve and Krutnik, Frank: Popular film and television comedy; London/New York: Routledge 1990 [2. Aufl. 1994, 3. Aufl. 1995] . Vgl. die Ausführungen zum Star von Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente; Frankfurt a.M.: Fischer 2003 [14. Aufl.]; Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft; Neuwied/Berlin: Luchterhand 1967; Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993. Georg Seeßlen (vgl. Kapitel A.1.) kann ebenfalls dazu gezählt werden.
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Images), auch auch funktional (für die Narration, Bedeutung und Ästhetik des Films, für die Filmindustrie, für Zuschauer, Fans und Publika sowie für die die Gesellschaft insgesamt) zu analysieren.« (Lowry 1997, S. 11, Hervorhebung im Original)
In der Perspektive der Integration des Oppositionellen, selbst des sich einander diametral Ausschließenden, ist Richard Dyers Hauptaxiom des Stars platziert. In seiner Darstellung ist der Star Inbegriff gesellschaftlicher Wertekämpfe, Verkörperung von Ambivalenz und Zerrissenheit. Der tragisch-pathetische Aspekt von Stars, ihr Scheitern, sei Ausdruck eines unlösbaren Antagonismus, der nicht intellektuell überwunden, sondern nur emotional erlitten werden könne (– und damit wiederholt der Star einen bestimmten Heldentypus der klassischen Antike). Eine intellektuelle, wenn nicht Überwindung, so doch Erfassung des emotionalen Leidens weist Lorenz Engell mit dem »Zug ins Reflexive« (Engell 1992, S. 212) auf: »Auch im public image, dem Pseudo-Privatleben der Stars, gab es Veränderungen. Das reichhaltige Angebot an Stars verringert den Rang des einzelnen im öffentlichen Erscheinungsraum. Außerdem ist hier ein Zug ins Reflexive nicht zu übersehen. Der Konflikt zwischen Rollenimage, public image und Persönlichkeit, auf dem das Starsystem der dreißiger Jahre unter anderen gründete, wird nun seinerseits zum Bestandteil des public image. Es mehren sich die Fälle, in denen Stars als unglücklich und ausgebeutet hingestellt werden, als neurotisch, schwierig, krank. Das gilt insbesondere für die Frauen – wieder ist das Paradebeispiel Marilyn Monroe –, aber im Einzelfall, etwa bei James Dean, auch für die männlichen Darsteller. Der Mythos Monroe ist ein Mythos im negativen Selbstbezug, der Mythos eines vom Mythos zerstörten Menschen.« (Ebd.)
Hebt Engell die Integration von Widersprüchen in die Produktion des Starimages hervor, so betont Dyer deren widersprüchliche Lesarten. Dyer führt aus, dass ein Antagonismus sich z.B. aus der Rollenrückständigkeit der Filmfigur im Verhältnis zur Rolle, die der Star im ›Privatleben‹ spielt (z.B. Romy Schneider), ergeben kann oder aus der Traditionsfixiertheit der gesellschaftlich Etablierten einerseits und andererseits dem Lifestyle des Stars (z.B. Jane Fonda). Starimages tragen dennoch immer Komplexität und Widersprüchlichkeit in sich. Die salomonische Lösung der Grundfigur rebellischer Opposition und/oder Affirmation ist die Zurückweisung der ideologiekritischen Deutung bei gleichzeitiger Beibehaltung des dichotomischen Oppositionsschemas. Bei Dyer kann man sie studieren. Es werden andere Prämissen
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gesetzt und damit die Widersprüche ins Spezifische des Starimages integriert, als notwendige Konstituenten verstanden. Der Star ist das Produkt kultureller Kommunikation, d.h. von zwei kommunizierenden Seiten generiert. Er ist nicht nur Projektionsfläche für das Publikum, auf die es seine Wünsche und Bilder projiziert, der Star ist aber auch nicht, was er sich selber zu sein scheint: ein autonom sich bestimmendes Subjekt, das das Publikum gerade wegen dieser angenommenen Autonomie verehrt. Die Authentifizierung des Stars erfolgt erstlich und letztlich durch das Publikum, das stets bemüht ist, hinter dem Starimage die reale bzw. authentische Person zu erfassen. Nach Dyer ist das Image ein Zeichenagglomerat, das sich zusammensetzt aus der nie erfassbaren, aber phantasierten realen Person, aus der öffentlichen Erscheinung und der Filmfigur als Gesamtheit der gespielten Rollen. Das Starimage bildet sich aus den beiden letztgenannten und wird vom Fan mit der phantasierten realen Person in eine imaginäre Einheit gebracht, in korrelierende Bezüge gesetzt. Das sinngenerierende Moment, das durch den Fan ins Starwesen kommt, bringt die Schauspieler/-innenpersönlichkeit neu ins Spiel7, denn die Filmrolle wird als Teilrealität der Biographie gelesen. Nichtmediale Persönlichkeit und Rollenausdruck sieht man zusammen und das heißt: miteinander konkurrieren. Das Auseinanderklaffen von Rolle und Schauspieler/in kann als Widerspruch im Filmtext zwischen der entworfenen Rolle und dem Starimage gedeutet oder als eine Frage von Starautorschaft aufgefasst werden. Die Auktorialität des Stars als angeblich nichtmediale Persönlichkeit wird gegen FilmAuktorialitäten, wie z.B. die Regie, ausgespielt – im übertragenen wie wörtlichen Sinne – und gewinnt die Oberhand. Billy Wilder hat dies für Dean Martin, der die Rolle des »Dino« in KISS ME, STUPID spielt, hervorgehoben: »Oder bei Some Like It Hot der Joe E. Brown und der George Raft – das sind so Fälle, wo ein Film allein durch die Besetzung bestimmter Rollen schon authentisch wird, wo es echt wirkt. Dean Martin als ›Dino‹ in Kiss Me, Stupid ist ja auch so ein Fall. Dean Martin ist ein Charakter. Ob er einen Soldaten spielt oder einen Detektiv oder einen Cowboy, Dean Martin spielt immer Dean Martin. Da gibt es keinen Unterscheid mehr zwischen dem Mann und der Rolle.
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Vgl. Dyer, Richard: »A Star is Born and the construction of authenticity«, in: Gledhill, Christine (Hg.): Stardom. Industry of Desire; London und New York: Routledge 1991; S. 132-141.
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Spielt er die Dino-Rolle in Ihrem Film bewusst mit einem Schuß Selbstironie? Er hat es versucht.«8 (Sinyard/Turner 1980, S. 34)
Der Einsatz von Stars kann die Konstruiertheit der im Film produzierten Handlungsfiktionalität kaschieren, den Darstellungsaspekt des Dargestellten vergessen machen, und die Werte, die der Star verkörpert, lassen sich entsprechend schwer als falsch oder unwirklich zurückweisen. Die faktische, lebensweltlich-konkrete Existenz von Stars garantiert diesen Glaubwürdigkeitseffekt. »In the first place then the question of the star authenticity can be referred back to his/her existence in the real world.« (Dyer 1991, S. 135)
Die Rollen und/oder die Darstellungskunst des Stars können also als Entäußerung der Persönlichkeit des Stars gelesen werden. Der Star authentifiziert durch die Art, in der er als Schauspieler oder Schauspielerin einen Zusammenhang herstellt zwischen der gespielten Rolle und den Sozialnormen der Zeit – oder durch die Art und Weise, in der er oder sie einen sozialen Typus verkörpert. »Authenticity is both a quality necessary to the star phenomenon to make it work, and also the quality that guarantuees the authenticity of the other particular values a star embodies (such as a girl-next-door-ness etc.).« (Dyer 1991, S. 133)
Es kollabiert also die Unterscheidung zwischen der Authentizität des Schauspielens und der Authentifizierung der Rolle, die von ihm gespielt wird.9 Dyer schreibt heutigen Stars, im Gegensatz zu Stummfilmstars, die das Verhältnis von Ideal und Status Quo verhandelten, die Funktion zu, den Prozess der Verkörperung zu verkörpern. Sein Interesse gilt den da-
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Kursiv gesetzt ist die Frage der Interviewer Neil Sinyard und Adrian Turner, nicht kursiv die Aussagen Billy Wilders. Auf den häufig gemachten Vergleich bzw. die Entgegensetzung der sex comedy SOME LIKE IT HOT von Billy Wilder mit seiner Sex-Farce KISS ME, STUPID werde ich im Laufe des Kapitels noch näher eingehen. Ein typisches Beispiel dafür findet sich in der Kim Novak-Biographie von Rolf Aurich: »Alfred Hitchcock, der sie [Kim Novak, Anm. d. Verfasserin] für seinen Film VERTIGO (1958) von der Columbia ausleiht, berührt darin mit der Idee der ›idealen‹ Frau auch eine biographische Ebene Novaks.« (Aurich 1997, S. 69)
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bei möglichen subversiven Aspekten, dem Ausdruck von Werten in der Krise. So wird Judy Garland mit Camp in Verbindung gebracht, Jane Fonda mit der 68er Studentenrevolte10. Und Dean Martin, wie für KÜSS MICH, DUMMKOPF präzisiert werden müsste, mit der für Männer geltenden Sexualmoral der 50er Jahre. »Dean Martin parodiert in Küß mich, Dummkopf (1964) sein eigenes Image als trunksüchtiger Sexprotz. Küß mich, Dummkopf behandelt darüber hinaus in einer seinerzeit äußerst provokanten Weise das Thema der Prostitution und der außerehelichen Sexualität und entfärbt den spießig-bonbonrosa gefärbten Doris-Day-Komödientouch der sechziger Jahre zu schwarzweißer Öde. Wilders Blick auf das puritanische Amerika ist in Küß mich, Dummkopf bitterböser denn je.« (Marshall 2001, o.S.)
Ein wichtiger Grund, warum Stars wie z.B. Bette Davis, Marilyn Monroe und Jane Fonda zu Stars werden, sei, so Dyer, die Fähigkeit dieser weiblichen Stars gegen die gender-Stereotypisierung anzuspielen, ein neuartiges ›sex-role typing‹ zu verkörpern. Sex-role-typing ist die Spielweise geschlechtsspezifischer Rollen, die geschlechterstereotyp sein oder der geschlechterstereotypischen Interpretation widerstehen kann. Ich ziehe aus dem Dyer’schen stardom-Ansatz drei für meine Argumentation wichtige Aspekte. Zum einen, dass das Starimage die Rolle dominiert, diese in der Rezeption überformt; zum anderen, dass der Star, authentifiziert durch seine physische Präsenz und seine Biographie, als autonomes Subjekt ›geglaubt‹ wird, sodass er in seiner Darstellung Heterogenes, auch Widersprüchliches amalgamieren, als glaubhaftes Gefühl zum Ausdruck bringen kann – etwa als Lifestyle-Revolte. Zum Dritten beziehe ich mich auf das sex-role-typing in der Perspektive widerständiger gender-Bilder, des Aufbrechens von gender-Klischees. »[O]r else it may be that the star effects a ›magic‹ reconciliation of the apparently incompatible terms. Thus if it is true to say that American society has seen sexuality, especially for women, as wrong and, in effect, ›extraordinary‹, and yet has required women to be both sexy and pure and ordinary, than one can see Lana Turner’s combination of sexuality and ordinariness, or Marilyn Monroe’s combination of sexiness and innocence, as effecting a magical synthesis of these opposites.« (Dyer 1979, S. 30)
10 Vgl. Dyer, Richard: »A Specific Image: Jane Fonda (1978)«, in: Ders.: Stars; London: British Film Institute (1979) 1992, S. 72-98.
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Die ›magische Synthese‹ von Widersprüchen, die Marilyn Monroe gelingt, ist bedingt durch die Überlagerung zweier grundlegender Diskurse. Dabei sind affirmative Rezeptionseffekte möglich, ebenso aber auch subversive. Auf einen Punkt zusammengezogen, könnte man Dyers stardom-Konstruktion verstehen als Nachweis nicht nur der intentionalen Konstruiertheit des Starimages durch das Studiosystem (d.h.: die Produktionsseite), sondern auch als Nachweis eines Rezeptionsmechanismus, der ohne den Glauben an die Authentizität des Stars und seines Lebens nicht funktionieren könnte.
Sex in den 50er Jahren Richard Dyer macht exemplarisch am Image und der filmischen Darstellungsweise Marilyn Monroes das in den 50er Jahren in den USA virulent gewordene Interesse an Sexualität fest11. »It is not surprising that Monroe became a household word for sex. What is equally clear is that sex was seen as perhaps the most important thing in fifties America.« (Dyer 1988, S. 71)
Warum Marilyn Monroe zum Inbegriff einer bis zu diesem Zeitpunkt im Alltagsdiskurs der USA nicht gekannten Sex-Faszination werden konnte, geradezu zum Synonym für Sex, warum das Pin-up-Girl es zum Starlet brachte und dann – durch die Verkörperung namenloser ›nice-girl-nextdoor‹ – zur renommierten Schauspielerin werden konnte, diskutiert Dyer über zwei miteinander verwandte, in Bezug auf das Sex-Thema die Medienöffentlichkeit der 50er Jahre prägende Diskurse: den PlayboyDiskurs und den Diskurs über das ›Wesen‹ der weiblichen Sexualität. Überkreuzungs- und Einigungspunkt beider Diskurse ist die ›desirability‹, das Begehrenswert-Sein. Der Diskurs über das ›Wesen‹ der weiblichen Sexualität brachte Beobachtungen und Enthüllungen über weibliche Sexualität. So fand die Rede über den Vaginalorgasmus unter ›wissenschaftlich-medizinischem‹ Aspekt im ›sexual response‹ ihr zentrales Theorem. Die Sexualitätsverkörperung Marylin Monroes nun korreliert nicht nur mit der Idealvorstellung weiblicher Sexualität, die die beiden von
11 Vgl. ebenfalls: Dyer, Richard: »Monroe and Sexuality«, in: Heavenly Bodies. Film Stars and Society; London: Macmillan Press und New York: St. Martin’s Press 1986, S. 19-67.
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Dyer referierten Diskurse vorantreiben, was Marilyn12 in der Sicht ihrer Verehrer, aber auch ihrer Verehrer/-innen programmatisch verwirklicht – und was im Folgenden Perspektive meiner Überlegungen ist –, das ist eine bis zu diesem Augenblick unbekannte, ›direkte‹ Sinnlichkeit, SexAppeal, gleichweit entfernt von pornographischer wie moralistischer Sexualitäts-Thematisierung. Der Playboy-Diskurs verkündete, dass Sex ›schuldlos‹ sei, d.h. nicht mit Schamgefühlen verbunden werden müsse, und ›natürlich‹ sei, und er fand seine Auffassung in der Marilyn Monroe zugeschriebenen Äußerung bestätigt, Sex sei ›natürlich, spontan und gut‹. Die Zeitschrift Playboy stellte sich bewusst gegen die Unterdrückung der Sexualität, suchte nach dem Argument, das sich der gängigen repressiven Einstellung zur Sexualität konfrontieren ließ, und fand es in der Natürlichkeit des Sexualtriebes. Evident und unumgänglich sei das biologische Mandat des Sexualtriebes – für Männer: »This is the nub of the Playboy discourse. It is a demand for sexual liberation for men. Women are set up as the embodiment of sexuality itself. […] Women are to be sexuality, yet this really means as a vehicle for male sexuality. Monroe refers to her own sexualness […]. But read through the eyes of Playboy discourse, she is not referring to a body she experiences, but rather to a body that is experienced by others, that is, by men. By emboding the desired sexual playmate, she, a woman, becomes the vehicle for securing a male sexuality free of guilt.« (Dyer 1988, S. 80)
Der Sex-Diskurs in den fünfziger Jahren in Amerika diente offenkundig der Stabilisierung der herrschenden geschlechterasymmetrischen Gesellschaftsordnung. Betty Friedan beschreibt diese in The Feminine Mystique13, einer protofeministischen Darstellung, zeigt in verschiedener Hinsicht, dass Sex im Diskurs der 50er Jahre eine auftrumpfende Antwort war auf eine falsch gestellte Frage. Der Playboy-Diskurs steht stellvertretend für die männliche Lesart, die Dyer ausmacht – Marilyn Monroe war eine Projektionsfläche für männliche Sexualphantasien. Die Medienfigur Marilyn wurde aufgefasst 12 Populärkultur hat Marilyn Monroe in den Rang jener mythischen Figuren erhoben, deren Vornamensnennung genügt, um intime Vertrautheit und Aura zu erwecken. Marilyn Monroe wird, der Logik der Populärkultur folgend, inzwischen auch in vielen wissenschaftlichen Erörterungen bei ihrem Vornamen genannt – ohne dass damit Distanzlosigkeit verbunden wäre. 13 Friedan, Betty: The Feminine Mystique; New York: W.W. Norton 1963.
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als perfekte Frauendarstellung, eine Darstellung, in der die Frau ganz Natur ist – antithetisch zu Kultur, Karriere, Gesellschaft und Geschichte. Die Propagierung der Kausalrelation von sex und gender, ihrer harmonischen Identität, erschien vielen Zeitgenossen in der Darstellung der Monroe evident. Sie wurde zu der Verkörperung von Sex. Monroe aber, so Dyer, setzte dieser Lesart ihre eigene sexuelle Bedeutung entgegen, brachte ihre Geschlechtlichkeit im literalen wie im übertragenem Sinn ins Spiel, habe stets – absichtsvoll und bewusst – auf ihren Körper referiert. Durch ihre Spielweise habe sie die Dominanz der männlichen Lesart bestritten (vgl. Dyer 1986, S. 76 ff.).
Marilyn Monroes Spiel Gemäß der stardom-Forschung, die dem Star die Amalgamierung widerstreitender Diskurse zuweist14, entwirft Richard Dyer eine Dichotomie von Spiel (Inszenierung) und Gegenspiel (Monroes Rolleninterpretation). Er weist Marilyn Monroe die authentifizierende Verkörperung dieser Diskurse zu, und zugleich lässt ihr Spiel aufscheinen, dass diese zu verkörpern problematisch geworden ist. Dyer macht in Marilyns Schauspielkunst damit eine Konterkarierung der filmischen, insbesondere der kameratechnischen Inszenierung aus, setzt Marilyns Spiel(weise) gegen den Pin-up-kodierten männlichen Kamerablick des ›a side-on tits and arse positioning‹ (Dyer 1986, S. 71). Die kinospezifische Körperinszenierung kann als eine Gegenreaktion auf das Fernsehen, genauer gesagt auf die Winzigkeit des Fernsehschirmes15, gedeutet werden: »Wuchtiger als je zuvor wird in den fünfziger Jahren der weibliche Star als Sex-Symbol inszeniert; es wird der Typ des Pin Up-Girls geschaffen. […] Das Pin Up wurde vom Film ohne weitere Veränderungen übernommen. […] Das Pin Up-Girl hat keine besonderen Charaktereigenschaften oder repräsentiert keinen besonderen Handlungstyp, es sieht einfach nur aus. Daher ist es auch mehr oder weniger leicht quer zu den Genres verwendbar.« (Engell 1992, S. 211f.)
Die Annahme einer bestimmten Filminszenierungsintention und einer konterkarierenden schauspielerischen Interpretation ermöglicht es Dyer,
14 Vgl. Dyer, Richard: Stars; London: British Film Institute 1979. 15 Vgl. Engell 1992, S. 211f. u. vgl. Fußnote 316 bzw. meine Ausführungen im Schlusskapitel.
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eine doppelte Lesart von Filmen anzunehmen, eine männliche und eine kryptofeministische16: »The first remains caught within the fifties equal-but-different view of gender identities; the second can be seen as part of that general, beneath-the-surface, not yet articulable expression of discontent that Brandon French takes as an indication that in the fifties women were, as in the title of her book, ›on the verge of revolt‹.«17 (Dyer 1988, S. 86)
Die erste, die männliche, Lesart stützt sich einerseits auf die filmische Narration, das Drehbuch, die Motivik, die Regie, andererseits auf die Kadrierung. Denn die Kamera übernimmt den Blickwinkel der männlichen Figuren im Film, man könnte auch sagen: Sie unterwirft sich dem männlich-sexuellen Blick. Dyers Dichotomisierung verläuft scheinbar entlang der Linie der Mulvey’schen Dualität von ›Mann-als-Blick‹ und ›Frau-als-Bild‹18 und der daraus resultierenden Kritik. Im Film gibt es aber eine männliche Rahmung (Bild- und Narrationsrahmung) und eine konterkarierende Blickstörung durch die spielende Frau, die sich einen Subjekt-Status erspielt. Eben in dieser handlungsmächtigen Subjektzuschreibung an die Frau liegt der Hauptunterschied zu Laura Mulvey. Nicht als Objekt wird die Frau vom Hollywoodkino vereinnahmt, wie Mulvey meinte, sondern sie hat den interessanteren Part, die Thematisierung der Erniedrigung des problematischen Subjekt-Status – so die kryptofeministische Lesart. Beziehe ich Richard Dyers Entwurf der Gleichzeitigkeit von männlicher und kryptofeministischer Lesart auf den einzigen Film, in dem Marilyn Monroe eine Prostituierte darstellt, kann ich versuchen, die Unterschiedlichkeit der Rezeptionszuschreibungen auszubuchstabieren. Dyers Studie über die Sex-Diskurse in den 50er Jahren in Amerika und das Image Marilyn Monroes aufgreifend, lese ich die Kurzfilmepisode THE COP AND THE ANTHEM [DER VAGABUND UND DIE
16 Richard Dyer verwendet den Begriff kryptofeministisch, um die noch nicht erfolgte Artikulation feministischen Denkens und Urteilens zum Ausdruck zu bringen. 17 French, Brandon: On the Verge of Revolt; New York: Frederick Ungar 1978. 18 Vgl. Mulvey, Laura: »Visual Pleasure and Narrative Cinema« (1975), in: The Feminism and Visual Culture Reader, hg. v. Amelia Jones; London et al.: Routledge 2003, S. 44-53.
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GERECHTIGKEIT]19 entsprechend als ein Spiel mit ihrem Image, bei dem Komik durch Vertauschung von Geschlechterzuschreibungen entsteht. Wie der Widerstreit von Sex und Unschuld realisiert werden kann, wie Marilyn Monroe durch ihr Spiel die männliche Les- und Produktionsart konterkariert und widersprüchliche Diskurse auf sich vereinigt, zeigt eben jene Kurzfilmepisode.
A . 2 . 1 . M a r i l y n M o n r o e i n F Ü N F P E RL E N : t h e du m b b lo n d e In der Episode THE COP AND THE ANTHEM [DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT] des Omnibusfilms O. HENRY’S FULL HOUSE [FÜNF PERLEN]20 ist das narrative Grundmuster das der verkehrten Welt. Der Gentleman-Landstreicher Horace will sich, um den Winter nicht im Freien verbringen zu müssen, durch sexuelle Belästigung einer Dame von der Polizei verhaften lassen. So spricht er die flanierende Lady, gespielt von Marilyn Monroe, provokativ als Prostituierte an. Die vermeintliche Lady ist aber, wiewohl in ihrem Benehmen und 19 THE COP AND THE ANTHEM [DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT], USA 1952, Regie: Henry Koster. »Five O. Henry stories, each separate. The primary one from the critic’s acclaim was ›The Cop and the Anthem‹.« Darsteller/innen der zweiten Episode: Charles Laughton (Soapy), David Wayne (Horace), Marilyn Monroe (Streetwalker). Erstaufführung: 22.4.1953, 12.12.1971 ZDF/Kinofassung, 24.12.1986, 3sat komplett, in: http://german.imdb.com/title/tt0044981/ plotsummary. 20 O. HENRY’S FULL HOUSE [FÜNF PERLEN], USA 1952, Regie: Henry Koster, Henry Hathaway, Jean Negulesco, Howard Hawks, Henry King. Dieser Film entstand nach Kurzgeschichten von O. Henry William Sidney Porter. »Fünf verschiedenartige Kurzgeschichten des amerikanischen Autors O. Henry, von fünf Regisseuren auf beträchtlichem künstlerischem Niveau inszeniert und vor allem durch feinsinnigen Humor und herzliche Menschlichkeit ansprechend. In den deutschsprachigen Kinos hieß der Film ›Vier Perlen‹, wodurch der Originaltitel ad absurdum geführt wurde; die Episode von Howard Hawks fehlte. Der komplette Film war erstmals im Fernsehen zu sehen. Titel der Episoden: 1. ›The Cop and the Anthem‹ (›Der Vagabund und die Gerechtigkeit‹); 2. ›The Clarion Call‹ (›Die alte Schuld‹); 3. ›The Last Leaf‹ (›Das letzte Blatt‹); 4. ›The Ransom of Red Chief‹; 5. ›The Gift of the Magi‹ (›Das Geschenk der Liebe‹).«; aus: www.kabel1.de/ film/filmlexikon/ergebnis.php?filmnr=4734, letzter Abruf April 2004.
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Outfit eine Lady, ein streetwalker. Horace spricht also eine Prostituierte als vermeintliche Lady an. Die Prostituierte als Prostituierte anzusprechen, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen und sie anschließend um ihr Geld zu betrügen (als Parallele zur vorherigen Szene, in der Horace versuchte, in einem Nobelrestaurant die Zeche zu prellen, aber diskret, ohne Polizeiintervention vor die Tür gesetzt wurde), würde ihn nicht ins Gefängnis bringen. Denn die Rechtmäßigkeit der Prostitution war zur erzählten Zeit, also irgendwann im Amerika der Jahrhundertwende, ausgeschlossen. Vor allem entspräche es nicht dem narrativen Grundmuster der Verkehrung von Moral und Bürgerlichkeit. Die Zuschauer/-innen-Sympathie ist ganz bei dem vogelfreien Outlaw, und das im Film gezeigte Bürgertum ist ebenso etabliert wie durch gesetzesmäßig verankerte Amoralität bezeichnet. Wenn der Obdachlose, ein sehr gebildeter Gentleman, versucht, sich durch Gesetzesübertretung selbst ins Gefängnis zu bringen und am Gentleman-Understatement scheitert, so ist die Konstellation von Amoralität und Moralität sinnfällig verkehrt. Das Narrationsmuster ›verkehrte Welt‹ setzt auf das Wissen um naive Erwartung und zieht seinen Witz aus der Differenz von naiver Erwartung und filmimmanent deutlich gemachter falscher Erwartung. Dass Erwartungshaltungen unterlaufen werden, ist für den Zuschauer erwartbar, erfahrbar und bildet entsprechend neue Erwartungshaltungen aus, zuallererst die der Verkehrung. Die Geschichte ist als Plan eines Landstreichers so konstruiert, dass die Zuschauer/-innen zu ihrem Schauereignis kommen: War es bisher Marilyns Part, durch Unschulds- und Natürlichkeitsgesten sexuelle Anspielungen zu machen, es aber bei den Anspielungen und Gesten zu belassen, womit Sex verhindert und das Obszöne ausgeschlossen war, so befördert nun ausgerechnet Horace, der männliche Protagonist, durch den Gentleman-Diskurs das sexuelle Angebot in die Wohlanständigkeit zurück. Die Komik entsteht aus einer Geschlechtervertauschung, in der die flanierende weibliche Filmfigur zunächst einmal nicht die Wahrung der Moral, also die traditionelle Weiblichkeitsfestschreibung, übernimmt, sondern nur die Wahrung des Scheins von Anständigkeit – die traditionelle bürgerliche Herrenposition also. In dem Moment aber, in welchem dem Gentleman-Landstreicher klar wird, dass seine Provokation keinen Skandal verursacht, spricht er die Prostituierte wieder als Lady an. Es liegt nun an ihm, Sex zu verhindern, durch das gekünstelte Verhalten des Höflichkeitsdiskurses Unschuld zu gewährleisten. Er verabschiedet sich deshalb von seiner Begleiterin wie von einer
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Lady. Die Episode endet mit dem Ausspruch der streetwalker: »Er hat mich Lady genannt!« Das Lachen über diesen Gag ist ein Lachen über die Naivität der Prostituierten, respektive Marilyn Monroe, deren Image mit der Zuschreibung von Naivität spielt. Sigmund Freud hat in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) erklärt, warum das Naive lachen macht: »Die Wirkung des Naiven ist unwiderstehlich und scheint dem Verständnis einfach. Ein von uns gewohnheitsgemäß gemachter Hemmungsaufwand wird durch das Anhören der naiven Rede plötzlich unverwendbar und durch Lachen abgeführt; […] Nach den Einblicken in die Genese der Hemmungen, welche wir bei der Verfolgung der Entwicklung vom Spiel zum Witz gewonnen haben, wird es uns nicht verwundern, daß das Naive zu allermeist am Kind gefunden wird, in weiterer Übertragung dann beim ungebildeten Erwachsenen, den wir als kindlich betreffs seiner intellektuellen Ausbildung auffassen können.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 170)
Ob kindliche Erwachsene oder Kinder, Freud betont, dass man sich auch naiv stellen kann, um sich die Freiheit herauszunehmen, die sonst nicht zugestanden würde. Die Frage ist also im Fall von DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT, wer der Dumme bei diesem Spiel ist, die dumb blonde Marilyn oder der Edel-Landstreicher Horace.
Das Image der dumb blonde und das Spiel um Sex und Witz Mit Marilyns Image werde zunächst, so Dyer, das Bild der dumb blonde, der dummen Blondine, assoziiert. Die dumb blonde ist eine Frau, die einem vorzivilisatorischen Stadium verhaftet scheint, fern ab der Rationalität und Korrumpiertheit der Welt, ganz unberührte Natur – ein gender-Klischee. Das Verhalten von Rollenfiguren, die Monroe interpretierte, waren gekennzeichnet von Unschuld, vor allen Dingen von sexueller Unschuld. Die Darstellung von Marilyn nun aber, so Dyer, habe einen grundlegenden Wechsel, und damit eine neue Bedeutungsdimension in die Komikgleichung eingeführt. Denn ihre Witze ziehen ihre Komik nicht mehr aus dem Kontrast von Sex und Unschuld – schließlich hat sie eine Gleichsetzung von beiden erreicht –, sie entstehen aus dem Wissen um die eigene sexuelle Bedeutung. Marilyn Monroe weiß um die Wirkung ihres SexAppeals, kennt als Star wie als Filmfigur die sexuelle Bedeutung der
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Witze, kennt aber weder Schuld noch Unschuld. Dies erreicht sie durch ihr sex-role-typing, durch ihre Referenz auf ihren Körper. Auch in der Episode DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT wird das Klischee der dummen Blondine evoziert, kommt ihre Naivität und Weltfremdheit dadurch zum Ausdruck, dass die Monroe die Komik, die durch die Erhebung zur ›Dame‹ am Ende der Kurzfilmepisode entsteht, nicht zu bemerken scheint. Mit Freud könnte man fragen: »Was stellt aber hier den Unterschied zwischen dem Witz und dem Naiven her? [...] Es handelt sich nur darum, ob wir annehmen, daß der Sprecher einen Witz beabsichtigt habe oder daß er – das Kind – im guten Glauben auf Grund seiner unkorrigierten Unwissenheit einen ernsthaften Schluß habe ziehen wollen. Nur der letztere Fall ist einer der Naivität. Auf ein solches Sichhineinversetzen der anderen Person in den psychischen Vorgang bei der produzierenden Person werden wir hier zuerst aufmerksam gemacht.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 171)
Das Spiel der Monroe lässt offen, ob sie Horace Verkehrung nicht bemerkt und folglich die dumme Blondine ist – dies wäre die von Drehbuch und Regie intendierte männliche Lesart –, oder ob Horace der Dumme ist, da er sich aus der Situation stehlen musste – dies wäre die kryptofeministische Lesart. Damit ist das Klischee der dumb blonde evoziert, aber zugleich von Marilyn Monroe konterkariert. Denn in der Kurzfilmepisode dreht die Schauspielerin Monroe das Spiel um. Sie ist nicht fernab der Welt wie die dumme Blondine – schließlich durchschaut sie Horaces Verkehrungsvolten –, sie ist als Prostituiertenfigur fernab der Sexualität. Das sichere Wissen, dass es nicht zu ihrer Berufsausübung kommt, die Unmöglichkeit eines sexuellen Aktes, macht in der männlichen Lesart die Prostituierte lächerlich und in der kryptofeministischen den männlichen Protagonisten zur komischen Figur. Das Publikum lacht über einen Witz, der die Unmöglichkeit einer sexuellen Handlung zum Inhalt hat. Dieses Lächerlichmachen der Sexualität gelingt aber nur auf Kosten der Prostituierten, denn die Komik besteht ja darin, dass Marilyns eigene sexuelle Bedeutung nicht realisiert wird – so die männliche Lesart. Die kryptofeministische sieht sehr wohl, dass Marilyns eigene sexuelle Bedeutung von ihr realisiert wird, aber von ihm irrealisiert werden muss. Hier geht das Lächerlichmachen des sexuellen Angebots auf Kosten des männlichen Protagonisten. Die Grundvoraussetzung aber für das Funktionieren des filmischen Witzes ist so oder so Marilyns Image als sexuell verfügbare Frau. Und es scheint, als sei es wiederum Marilyn selbst zuzuschreiben, dass sie sich über ihr Image als eine Frau, die für jedermann sexuell verfügbar ist, erhebt und selbstironisch über sich lacht und andere mit ihrem Lachen ansteckt bzw. den Mann, der das abwenden muss, lächerlich macht. 48
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Marilyn Monroe hat so durch ihr sex-role-typing in das Geschlechterklischee der dummen Blondine eine Ambivalenz eingebracht. Ohne das Wissen um ihr Image hätte die Kurzfilmepisode ihren Witz verloren, ihren Reiz eingebüßt, denn auch das ist für Marilyn Monroes Image prägend und entscheidend wichtig: das Naive. In Freud’schen Termini: Sie entbehrt der Hemmungen, die andere besitzen. So kommt ausschließlich bei anderen der Lustgewinn des Witzes zustande. »Mit dem Witz stimmt das Naive (der Rede) im Wortlaut und im Inhalt überein, es bringt einen Wortmissbrauch, einen Unsinn oder eine Zote hervor.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 172, Hervorhebung H.W.) Das Naive ist eine maskierte Zote.21 Billy Wilder wird mit Kim Novak diese Zote demaskieren. Die Prostituierte verkörpert exemplarisch das Wissen über Sexualität – ihre Sexualitätserfahrungen sind so instrumentalisiert wie unbestreitbar. Dem steht die den Witz produzierende Prostituierte entgegen, sie macht sich unschuldig, da sie weiß, wie sie sich verhalten muss, damit es nicht zum Sex kommt. In der männlichen Lesart ist es die komifizierte Prostituierte, die sich lächerlich macht. Wird diese Komifizierung im Spiel von Rollen- und Erwartungsverkehrungen eingesetzt, wird die Prostituierte wie im Fall der Marilyn Monroe-Darstellung zur uneigentlichen Prostituierten, gar zur Lady, oder eben zur (Konterkarierung der) unschuldigen dummen Blondine. Marilyn Monroe, das begehrenswerte playmate, das seine ›desirability‹, sein Begehrtsein ausstellte, es stellt für Männer die Verkörperung der weiblichen Sexualität dar. Das Spannungsverhältnis zwischen Monroes Starimage von Sex und Unschuld zugleich und der Rollenanforderung ›Prostituierte‹ – des ›schuldigen, unmoralischen Sex‹ – kann deshalb nur durch eine komische Verfehlung gelöst werden. DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT, die zweite Episode im Omnibusfilm der Starregisseure, gibt Marilyn Monroe Gelegenheit, das dumb blonde-Image auszuspielen und durch die Referenz auf ihr Image zu unterlaufen. Der Endgag »Er hat mich Lady genannt« ist genau solch ein Moment. Marilyns Starimage wird hierbei zum Sujet des Rollenspiels im Film. Die Marilyn-Figur als Schnittpunkt von Rolle und Star bringt ein Spiel hervor, das die Rollenanforderung ›Prostituierte‹ zusammenspannt mit dem Marilyn-Starimage und dabei Komik produziert.
21 Ich werde im Laufe des Kapitels noch näher auf Zote, obszönen Witz und das Komische eingehen.
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Die kryptofeministische und die männliche Lesart, obwohl sie sich überkreuzen, behindern einander in keiner Weise. Die Rollenanforderung Prostituierte mit der Offenkundigkeit von sexueller Verfügbarkeit und Marilyns spezifisches Image, ihre Verkörperung als unschuldige Sexualitätsgarantin, treffen hier aufeinander. Die kryptofeministische Lesart, die das Aufbegehren gegen das gender-Klischee der dumb blonde herausstreicht, kommt ebenso zur Geltung wie das spezifische Monroe-Image, die Verfügbarkeit für Männer. Einerseits ist die Prostituiertenfigur, andererseits Marilyn Garantin für eine unkomplizierte und schuldfreie Sexualitätsimagination für Männer.
Von der sex comedy zur Sex-Farce Von Marilyn Monroe zu Kim Novak vollziehen sich Wechsel auf mehreren Ebenen. Vom funktionierenden Hollywood-Studiosystem und einer ausgeprägten Starproduktion bis zur Krise des Hollywood-Studiosystems und der letzten großen Diva in der Genealogie weiblicher Stars geht die eine Linie. Eine andere liegt im mentalitätsgeschichtlichen Wandel von den 50er zu den 60er Jahren, insbesondere bezogen auf den Umgang mit bzw. die Darstellung von Sexualität und den Brüchen in weiblichen gender-Bildern. Eine dritte Linie zeigt sich in den Veränderungen in der Genre-Entwicklung der romantic comedies bzw. der sex comedies und den Sex-Farces. Neben Richard Dyer konzedieren auch Betty Friedan und Brandon French – wenn auch mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen – antagonistische Strömungen in den Geschlechterrollen. »Some Like It Hot and Psycho represent in microcosm the opposing poles of cultural feeling about the revolution in sex roles that was fomenting throughout the 50s and which erupted in the 60s.« (French, zit.n. Sikov 1994, S. 149)
Von einer Marilyn Monroe-Inszenierung durch Billy Wilder im Stile der sex comedies der 50er (SOME LIKE IT HOT)22 bis hin zu Hitchcocks Thriller (PSYCHO)23 reicht dabei der gespannte Bogen, der hier nicht in der Unterschiedlichkeit von Genres reflektiert wird, sondern in der Gegensätzlichkeit von kulturellen Geschlechterkonzeptionen. Neil Siny22 SOME LIKE IT HOT [MANCHE MÖGEN’S HEISS], USA 1959, Regie: Billy Wilder. 23 PSYCHO, USA 1960, Regie: Alfred Hitchcock.
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ard und Adrian Turner nun sehen Billy Wilders Sex-Farce der 60er Jahre KÜSS MICH, DUMMKOPF als eine Durchkreuzung der romantic comedy der 50er Jahre mit dem Hitchcock’schen Psycho-Thriller. Ihr Eingangsstatement zur Analyse des Films: »Es ist schwierig, Grundstimmung und Atmosphäre von Kiss Me, Stupid in einem Satz zu erfassen, aber wir möchten sie als Pillow Talk24, verheerend durchkreuzt von Psycho bezeichnen.« (Sinyard/Turner 1980, S. 291) Um diese überraschende Eröffnung der Analyse der Wilder-Komödie (genau genommen müsste man von einer Satire sprechen, doch dies ist kein genuines Filmgenre) zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick zu werfen auf den mentalitätsgeschichtlichen Wandel von den 50er zu den 60er Jahren, wie er nach Steve Neale und Frank Krutnik in der Filmgeschichte seinen Niederschlag gefunden hat: »When the romantic comedy makes an explicit comeback in the 1950s – with a number of the key ›screwball‹ comedies remodelled to fit both the ideological climate and the new parameters of Hollywood film style – one finds that romance and courtship become increasingly displaced by an emphasis upon sex and seduction. Increasingly during the 1950s and 1960s – and under pressure from the cultural impact of post-Kinsey sexology, with its mechanistic detailing of sexual response, sexual frequency, and so forth – the comedy becomes broader as the emphasis upon physical sexuality intensifies. This results in an increased level of innuendo, often with the males as bearers of sexualized jokes at the expense of women (and especially those women who seek to define themselves in non-sexual terms, like the professional heroines of PillowTalk (1959), Sex and the single Girl (1964), and A Very Special Favour [1965]).« (Neale/Krutnik 1990, S. 169f.)
Billy Wilder vertritt exemplarisch mit KISS ME, STUPID diese Komödienerweiterung, macht »the emphasis upon physical sexuality« schon zum Sujet des Films, mokiert sich mit seinen Filmfiguren Dino (Dean Martin) und Orville J. Spooner (Ray Waltson) darüber. Aus filmgeschichtlicher Entwicklungslogik heraus erklärt Engell Wilders Filme und Filmfiguren: »Intensivierung25 bedeutet bei Wilder vor allem eine enorme Steigerung der Geschwindigkeit und der Boshaftigkeit des Wortwitzes sowie eine neue Typi24 PILLOW TALK [BETTGEFLÜSTER], USA 1959, Regie: Michael Gordon, Darsteller/innen: Doris Day, Rock Hudson. BETTGEFLÜSTER [Fußnote im Original]. 25 Nach Engell ist die Fortentwicklung der Filmgeschichte vor allem durch zwei Mechanismen bestimmt: durch Steigerung bzw. Intensivierung und
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sierung. Wilder schuf neue komische Klischees, für die vor allem Walter Matthau und Jack Lemmon stehen, und es ist kein Zufall, daß Wilder auch das Pin Up-Image Marilyn Monroes in seine Komödien einzubauen verstand. […] Wilders Filme sind nicht, wie diejenigen Lubitschs es gewesen waren, leicht, sondern eben schnell, und sie gehen in mehr als einer Hinsicht bis an die Grenzen des Vertretbaren […].« (Engell 1992, S. 209)
Wilder scheint schon auf die verstärkt auftretenden sexuellen Anspielungen zu reagieren, doch seine Sex-Witze gehen zu Lasten der Männer und der konservativen Moral, nicht der Frauen. Eben darin besteht seine Durchkreuzung der Filmkomödie PILLOW TALK. Gegen Betty Friedan und Brandon French argumentiert Ed Sikov, dass diese Filme nicht widerstreitende Geschlechterrollen zum Ausdruck brächten, sondern das Wissen um unterdrückte Sexualität, und somit seien sie getragen von einer gewissen antirepressiven Dynamik: »It isn’t so much that Some Like It Hot and Psycho represent opposite poles of the culture. Rather they elucidate, each in its own hysterical fashion, the irrepressible knowledge of an otherwise clamped sexuality. It’s not just conflicting feelings about ›sex roles‹ that these films tap into. It is sexual desire itself – not the tailored adult form, but the remains of an unruly, precodified drive which psychic maturation always serves to civilize at great mental cost and which the excessive constraints of the 1950s – Marcuse’s surplus repression – served to repress and enrage to the point of delirium: liberating glee in Wilder’s film, murderous psychosis in Hitchcock’s.« (Sikov 1994, S. 149, Hervorhebung im Original)
Die Repression von Sexualität, die sich in den Filmen der 50er und 60er Jahren zeige, sei in Wilders Filmen einem »liberating glee«, einem befreienden Lachen, gewichen. Was wäre das Befreiende? Ist es das schallende Gelächter über den tendenziösen, obszönen Witz oder das Schmunzeln über das Komische des Sexuellen und Öbszönen, den harmlosen Witz?26 Der lachende Befreiungsschlag gegen die Repression von Sexualität in Wilders Filmen wurde von vielen als zynisch bzw. sarkastisch empfunden. Wilders Film ist keine sex comedy, sondern eine Sex-Farce.
durch Inversion. Weitere Mechanismen im Hollywood der 50er Jahre sind Expansion und Reflexion. 26 Vgl. Freud, Sigmund: »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« (1905), in: Freud 1972, Bd. IV, S. 9-221.
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»In many of the sex comedies of the 1950s and 1960s the hero’s prime aim is to break down the woman’s sexual resistance and take her to bed.« (Neale/Krutnik 1990, S. 170)
Bei Wilder hingegen verführen eher die Frauen die Männer und agieren strategisch, um die Hindernisse auf dem Weg dahin zu überwinden. Wilder hat eine ›bedroom farce‹ geschaffen, doch am Ende stehen zwei Ehebrüche, was dem Film polemische Denunziationen eingebracht hat27. Man sah im Film die Darstellung von unrechtmäßigem Sex und nicht die Irrealisierung von Sex – eine Lesart, die die Komödienform berücksichtigt. »Many of the films conclude with either broad bedroom farce (as in It Started With a Kiss) or manic, extended chase sequences (as in That Touch of Mink (1962), Sex and the Single Girl, and What’s New Pussycat? [1965]), often at the expense of the patterned, witty dialogue of the ›screwball‹ comedies. In such cases, indeed, the union seems more blatantly forced than ›developed‹ through mutual play, and as a corollary the element of sexual conflict is intensified.« (Neale/Krutnik 1980, S. 170)
A.2.2. Kim Novak in K Ü S S M I C H , D U M M K O P F : n i c e g i r l /h o t b lo n de Wilder stellt in KISS ME, STUPID28 die forcierte Paarkonstellation heraus, führt vor, wie zwanghaft getrieben ein Paar zusammenkommen soll, damit ein anderes nicht zusammenkommt – was sich so natürlich genau nicht erfüllt. Er intensiviert den sexuellen Konflikt – bis hin zum tatsächlich vollzogenen unakzeptablen Rollentausch von Ehefrau und Prostituierter. 27 Vgl. u.a. Sinyard/Turner 1980, S. 291. 28 KISS ME, STUPID [KÜSS MICH, DUMMKOPF] , USA 1964, Komödie, Literaturverfilmung, Produktionsfirma: Phalanx/The Mirisch Corporation of Delaware/Claude Prod., Länge: 124 Minuten, FSK: ab 18; nf, Erstaufführung: 25.12.1964/5.12.1973 BR/18.10.1980 DFF 1, Produzent: Billy Wilder, I.A.L. Diamond, Doane Harrison, Regie: Billy Wilder, Buch: Billy Wilder, I.A.L. Diamond, Kamera: Joseph LaShelle, Musik: George Gershwin, André Previn, Schnitt: Daniel Mandell, Darsteller/innen: Dean Martin, Felicia Farr, Barbara Pepper, Ray Walston, Cliff Osmond, Kim Novak; in: Lexikon des Internationalen Films: http://www.filmevonaz.de/filmsuche.cfm?wert =11523&sucheNach=titel, letzter Abruf März 2004.
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»Ein mickriger Musiklehrer und ein Tankstellenwart schreiben in einem Provinznest in Nevada erfolglos Schlager. Als ein berühmter Sänger und Schürzenjäger durchreist, halten sie ihn auf, um ihm einen ihrer Schlager zu verkaufen, wobei sie zu einem makabren Trick greifen: Sie geben eine attraktive ›leichte Dame‹ als Ehefrau des Musiklehrers aus und tun alles, damit es zu einem ›Schäferstündchen‹ zwischen ihr und dem Sänger kommt. Billy Wilders Komödie ist eine bis zum Zynismus perfekt kalkulierte Mischung aus Slapstick, Turbulenz und Starkult-Parodie, die eiskalt mit dem (falschen) Mitleid und der Sympathie des Zuschauers für die Personen jongliert. Die Verwechslungen, der doppelte Ehebruch und die scheinbare Läuterung zum Ende sind lediglich Versatzstücke in einem bitterbös-moralischen Spiel mit der Unmoral der Menschen, die aufrichtige Gefühle und humane Werte an Erfolg und Ruhm verkaufen. Einer der kältesten Filme Wilders, dem in seiner höhnischen Bloßstellung jede Wärme und ›Barmherzigkeit‹ fehlen.«29
Steht Wilders »bitterbös-moralische[s] Spiel« dafür, dass das Spiel der Evozierung von Sexualität ausgespielt ist, sich der Typus der hot blonde, der im Nachkriegs-Amerika mit Marilyn Monroe seinen Ausgang nahm, mit Kim Novak überlebt hat? Das Spiel im Spiel, zugleich die Ausstellung des Spiels als mediale Realität (thematisch ist das der Prostituiertenrolle fast immer inhärent), steht nicht zufällig am Ende des HollywoodStudiosystems. Die gender-Bilder dieser Produktionsphase, nicht nur die von ›Prostituiertenfilmen‹, sind durch Autoreferentialität geprägt.
Der Hure-Heilige-Antagonismus Blickt man zurück auf die Glanzzeit des Hollywood-Studiosystems, fallen die Ambivalenzen, Widersprüche und polaren Gegensätze in Kim Novaks Starimage30 und in ihren Rollen31 auf. Erosverkörperung und 29 Aus dem Filmlexikon von Kabel 1: www.kabel1.de/film/filmlexikon/ ergebnis.php?filmnr=11523, letzter Abruf März 2004. 30 Härte wie Verletzlichkeit, Vamp-Fassade und aufrichtiges Gefühl, Humanität, Eigenwilligkeit, Ausdruckslosigkeit, Maskenhaftigkeit, Rätselhaftigkeit, Verlorenheit und Beseelung, Ignoranz und Selbstvergessenheit, Eisigkeit und Hochmütigkeit, all das sind gängige Zuschreibungen an das Starimage von Kim Novak. Vgl. Aurich, Rolf (Red.): Kim Novak: Hommage [Stiftung Deutsche Kinemathek und Internationale Filmfestspiele Berlin, Retrospektive 1997], Berlin: Jovis 1997. 31 Die Melancholie, die Verletzlichkeit, die Unsicherheit, die weit über ihre ersten Filme immer wieder betont wird (auch oder gerade in der großen Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele Berlin), ist kongruent mit
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Sexbombenstyling kontrastieren mit der zugeschriebenen Eisigkeit, Distanziertheit. Die sensible, herzensgute ›Heilige‹ steht der ›Hure‹ in ihr gegenüber, so jedenfalls wollen viele zeitgenössische Kritiker und Regisseure das Spiel der Novak verstehen.32 Die Entwicklung von Novaks gender-Zuschreibung, der Wechsel vom eiskaltem »Fleisch gewordenem Eros«33 direkt zum Hure-Heiligen-Antagonismus ist nicht zufällig: »Als Selbstdarstellerin ist sie spezialisiert auf passive Weiblichkeit, bis hin zur masochistisch getönten Opferrolle. […] Vor allem in ihren frühen Filmen geht die so präsente Körperlichkeit der Novak einher mit dem Appell, lieber Wachs sein zu wollen in den Händen der Männer. Sie sollen sie erlösen aus der Festung ihres Körpers. […] Bei Kim Novak hatte man das Gefühl, diese Frau könne nie, auch in der Liebe nicht, in Schweiß ausbrechen. Unerlöstes Fleisch. Miss Deep Freeze forever.« (Desalm 1997, S. 17, Hervorhebung im Original)
Brigitte Desalms Wortspiel ›Miss Deep Freeze – Miss Deep Freeze forever‹ bezieht sich auf den Karrierebeginn von Kim Novak34 und ist weit mehr als ein Bonmot. Die gängige Kolportage:
Figurenrollen wie Barmädchen, Prostituierte, die Herzensgute, (vielleicht auch Dumme), die vom Leben immer wieder Betrogene, die Kim Novak immer wieder darstellt. Als ›bieder gutes‹, ›seelenstarkes‹ und ›merkwürdig blasses Nachtclubmädchen‹ bezeichneten zeitgenössische Kritiker die Rolle Kim Novaks in Otto Premingers Film THE MAN WITH THE GOLDEN ARM [Der MANN MIT DEM GOLDENEN ARM]. Vgl. Aurich 1997, S. 42. 32 Z.B. Richard Quine und George Sidney. Auf ihre Äußerungen werde ich im Laufe des Kapitels noch näher eingehen. 33 »Sie ist kein Star für die Großaufnahme – trotz dieser Augen, bronzegrün wie die einer Raubkatze. Sie hat keines jener außerordentlichen Gesichter, an denen sich die Kamera festsaugt, das sich offenbart und hingibt auf der Leinwand. Vor allem ist das Gesicht undenkbar ohne den Körper. Kim Novak ist der fleischgewordene Eros von Umriß, Linienschwung und Proportion. Sie ist das Rätsel, das die unendlichen, artifiziellen Bögen ihrer Augenbrauen beschreiben, über Zügen, die geübt sind in ausdrucksloser Vagheit.« (Desalm 1997, S. 9) 34 »Als junges Fotomodell spielte Kim Novak Miss Tiefgekühlt und hatte gierigen Käufern Kühlschränke zu demonstrieren. War das bloßer Zufall? Dieser Titel scheint irgendwie zu dem blonden Mädchen mit den traurigen Augen zu passen […]. Man ist versucht zu behaupten, daß sie gerade diese Kühle und Ausdruckslosigkeit so populär gemacht haben – wenn auch nur für kurze Zeit.« (Macpherson 1989, S. 173)
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»Dieses Mädchen löst alle Besetzungsprobleme. Wenn man den Charakter einer Frau braucht, die ihren Liebhaber verliert, an einer unheilbaren Krankheit stirbt, ins Gefängnis geht oder gerade um die Ersparnisse ihres Lebens beschwindelt wurde, dann braucht man Novak. Sie braucht noch nicht einmal zu spielen. Sie hält sich nur an ihre eigenen Ängste und Frustrationen.«35
Die von Ängsten verfolgte, frustrierte Darstellerin empfiehlt sich auf den ersten Blick kaum für die Darstellung von Prostituierten. Doch das »unerlöste Fleisch« wird zu Zeiten des production code36 zur Idealbesetzung des Verkaufs von Sex (zugleich der Irrealisierung von Sex)37, denn sie verwirklicht das Gegen- und Ergänzungsbild zur Behandlung von Sex in den Sex-Farces38 oder Filmkomödien, die aus der ewigen Verhinderung von Sex ihr Witzpotential ziehen. Unter der Makellosigkeit perfekter Schönheit enthüllt sich nach und nach Verletzlichkeit und tief aufrichtiges Gefühl. »Sie hat die Fassade und die Ausstattung einer Sirene, von weitem betrachtet. Wenn man aber in Kims Augen blickt in Großaufnahme, ist sie wie ein Baby.
35 Zitiert nach Desalm 1997, S. 16f. Zuerst erschienen in: Glamour Girls, New Rochelle 1975, S. 516. 36 Vgl. Parish, James Robert: »A Brief History of Regulatory Codes in the American Film Industry«; in: Parish, James Robert: Prostitution in Hollywood Films. Plots, Critiques, Casts and Credits for 389 Theatrical and Made-for-Television Releases; Jefferson N.C.: McFarland 1992, S. xviiff. 37 Von 1955 bis 1964, der Hochzeit ihrer Karriere, die mit 35 Jahren im Wesentlichen beendet war, spielte sie in fünf Filmen Frauen, deren Berufskapital ihr Körper ist. Der Körpereinsatz ist also Filmsujet. 1955, in THE MAN WITH THE GOLDEN ARM [DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM] spielt sie unter der Regie von Otto Preminger an der Seite von Frank Sinatra die Animierdame/Prostituierte Molly. 1962, in BOY’S NIGHT OUT. SEXY! SEXY! [MÄNNER GEHÖREN AN DIE LEINE] von Michael Gordon spielt sie eine Soziologiestudentin, die sich als Prostituierte ausgibt. 1964, in OF HUMAN BONDAGE [DES MENSCHEN HÖRIGKEIT] von Ken Hughes tritt sie als Prostituierte Mildred auf. 1964, in KISS ME, STUPID [KÜSS MICH, DUMMKOPF] von Billy Wilder ist sie als Bardame und Prostituierte ›Polly the Pistol‹ zu sehen. 1965, in THE AMOROUS ADVENTURE OF MOLL FLANDERS [DIE AMOURÖSEN ABENTEUER DER MOLL FLANDERS] von Terence Young gibt sie eine Unschuldige, Geliebte, eine Figur zwischen Flittchen und Prostituierter. 38 Desalm äußerte, Kim Novak sei zur Parodie der sexy Blonden nicht fähig gewesen.
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Sie ist eine gespaltene Persönlichkeit. Es läßt sich nicht sagen, ob sie ein Engel oder eine Hure ist.«39
Warum aus dem Schisma einer perfekten, glatten Außenfassade und einem verletzlichen Innenleben die Hure-Heilige-Dichotomie wird, ist auf den ersten Blick unverständlich. Doch das Männerverhängnis ›Sirene‹ bzw. ›Hure‹ einerseits und andererseits die kindliche Unschuld, gesteigert in der Figur des ›Babys‹ oder des ›geschlechtslosen Engels‹, das ist in den 50er/60er Jahren ein weitverbreiteter Männertraum. ›Hure‹ und ›Heilige‹ in einer Person zu erleben, das wünschen sich Männer zuallererst von blonden Hollywoodstars wie Jayne Mansfield oder eben Kim Novak. Der Kick der Gegensätzlichkeit lässt sich nicht zuletzt publizistisch als Anekdote, sentenziöse Pointierung auswerten. Novak besitze »die sprichwörtliche Qualität der Dame im Salon und der Hure im Schlafzimmer«40. Typisch für das Amerika der 50er/60er Jahre war die Erwartungshaltung des Kinopublikums, dass Sexualität zwar evoziert werden, man vor ihr aber bewahrt sein müsse. Die Produktionsseite war zu dieser Zeit eigentümlich gespalten in die gesetzgeberische/gesetzsprechende Seite einerseits, die den production code mit Zensurauflagen und Gerichtsverhandlungen verfocht, und in die Geld beschaffende und Bedeutung produzierende Seite andererseits, die Seite der Produzenten und Regisseure, die sich in permanenter Auseinandersetzung mit den Gesetzes- und Moralhütern befanden.41
39 Dies äußerte der Regisseur George Sidney, mit dem Kim Novak THE EDDY DUCHIN STORY [GELIEBT IN ALLE EWIGKEIT] 1956 realisierte, 1957 JEANNE EAGELS [EIN HERZSCHLAG BIS ZUR EWIGKEIT] drehte und ebenfalls 1957 unter seiner Regie in PAL JOEL [PAL JOEL], sowie 1960 PEPE [PEPE-WAS KANN DIE WELT SCHON KOSTEN?] spielte; zit. n. Desalm 1997, S. 126. 40 Zitiert nach Aurich 1997, S. 69. Anmerkung der Verfasserin: Der NovakRegisseur Richard Quine soll dies geäußert haben. Richard Quine realisierte mit Kim Novak PUSHOVER [SCHACHMATT] 1954; BELL, BOOK AND CANDLE [MEINE BRAUT IST ÜBERSINNLICH] 1958; STRANGERS WHEN WE MEET [FREMDE, WENN WIR UNS BEGEGNEN], THE NOTORIOUS LANDLADY [NOCH ZIMMER FREI] 1961/1962. 41 Anmerkung der Verfasserin: Der production code wurde im Oktober 1961 stark modifiziert. Durch die Produktion vieler verbotener Szenen nahmen Regisseure die Auflösung des production code vorweg. Vgl. Parish 1992.
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Das Spiel von Kim Novak, die Aura der Ambivalenz, Doppelbödigkeit, ist also auch über die medien- und moralhistorische Situation aufzuschlüsseln. Der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Norbert Grob hat sich 2000, anders als der Regisseur George Sidney zur Mitte des 20. Jahrhunderts, nicht zwischen Hure und Heiliger entscheiden wollen, sondern interpretiert nun den Dualismus als Einheit: »Das Spektrum ihrer Figuren war nicht sonderlich breit angelegt – zumal sie gerne durchschimmern ließ, daß hinter jeder ehrbaren Frau ungezügelte Phantasien und hinter der käuflichen Geliebten biedere Sehnsüchte lauern. So spielte sie die Brave immer ein bisschen verrucht (am abenteuerlichsten in Alfred Hitchcocks VERTIGO42) und die Böse immer ein bißchen rührig (am wagemutigsten in Billy Wilders KISS ME, STUPID43). Diese Vorliebe für alles Doppelbödige war es auch, die ihr einen besonderen Status verlieh: ein ganz eigenes Image. In den späten fünfziger, frühen sechziger Jahren war sie noch einmal das good bad girl: eine jener starken Frauen, die – wenn auch frivol und lasterhaft nach außen – im Grunde ihres Herzens lauter, ehrlich, anständig sind. […] Danach44 lebte sie immer stärker von der Aura ihrer Ambivalenz.« (Grob 2000, S. 92)
Gerade der Widerspruch einige die beiden Extrempole, die konstitutiv aufeinander bezogen seien. Dass Rezeptionsgeschichte, gerade auch Diskursgeschichte, an der Filmgeschichte unaufhörlich mitschreibt, zeigt sich im Fall der gender-Reflexion auf Kim Novak. Sie wird 2000 nicht mehr unter dem Antagonismus Hure-Heilige beschrieben, der die Basis ihrer Karriere war, ihres Aufstiegs zur großen Diva – der letzten Diva dieser Art. Der alte gender-Antagonismus zieht nicht mehr, die einstmals gespaltene Männerprojektion, die er verkörperte, ist nichts als ein abgelebter lächerlicher gender-Topos, ein moralisch wie erotisch antiquiertes Widerspruchspaar. »Der alte Hure-Heilige-Antagonismus, zeitgemäß modifiziert als nice girl versus hot blonde, wird in ihren Rollen immer wieder aufgehoben, was durchaus eine Qualität ihrer Darstellung ist, oder sagen wir lieber, Naturgegebenheit. Für eine Sexgöttin der Ära des Busenfetischismus besaß sie das Aussehen, nicht 42 Anmerkung der Verfasserin: VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN; USA 1958, Regie: Alfred Hitchcock. 43 Anmerkung der Verfasserin: KÜSS MICH, DUMMKOPF; USA 1964, Regie: Billy Wilder. 44 Anmerkung der Verfasserin: Nach PUSHOVER, Kim Novaks erster Film von 1954. PUSHOVER [SCHACHMATT]; USA 1954; Regie: Richard Quine.
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das Temperament, aber auch nicht, wie Marilyn Monroe, die Bereitschaft zur Satirenummer der dummen Blondine […].« (Desalm 1997, S. 12)
Die Aufhebung des Antagonismus sieht Brigitte Desalm also nicht primär als schauspielerische Leistung, sondern als einen Effekt der ›Naturgegebenheit‹ des Körpers der Novak. Sexistisch könnte man es nennen, aber dann übersähe man den zutiefst ironischen Gestus dieses Textes, der die weiblichen Stars aus der Perspektive der Männlichkeitsprojektionen beschreibt. (Zur Satirenummer der dummen Blondine war Kim Novak im Genre der Sex-Farce bzw. der sex comedy allerdings durchaus fähig.) Statt die prinzipielle Unangemessenheit sexistischer Geschlechterklischees zu kritisieren, referiert Desalm polemisch auf einen Biologismus und stellt damit die männliche Rezeptionshaltung bloß, mokiert sich so über die in den 50er Jahren gängigen gender-Bilder. Desalm legt über die gender-Reflexion die sexistische Grundlage des Novak’schen Starimages offen, die Inkongruenz der Bezugnahme von sex auf gender. In Anbetracht der gender-Bilder, die jedem weiblichen Hollywoodstar im Zusammenhang des Rollenrepertoires auferlegt wurden, und in Anbetracht der Authentifizierungsleistung durch den Star, der den Widerspruch zu den herrschenden Sozialnormen der Zeit darstellte, sowie der Fähigkeit großer weiblicher Stars zum sex-role-typing, der Gegenstrategie zum Geschlechterklischee, muss man die Performanz von gender, die soziale Rollenfunktion von Geschlechterbildern zu Grunde legen. Performanz von gender bedeutet einerseits den Ausschluss von essentialistischen Geschlechterbildern, andererseits lässt sich so reflektieren, dass und auf welche Weise Geschlechterrollen sozial und/oder medial generiert werden, dass sie willentlich und bewusst inszeniert werden können und sich unter anderem so ständig weiterentwickeln. Die Performanz bricht, gerade in Bezug auf die Rolle der Prostituierten, mit der Naturalisierung von gender als sex, etabliert sex und Sexualität in gender. Die Konstruktion von Sexualität wird also als Sexuierung auf der Grundlage sozialer Rollenbilder verstehbar.
Sex und Witz: Lesarten von KISS ME, STUPID »Martin is convincingly yet entertainingly repulsive. […] Kim Novak is only slightly his inferior in the less obviously promising role of the dumb, goodhearted whore with a yearning for married respectability.« (Monthly Film Bulletin, zit.n. Parish 1992, S. 231)
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Billy Wilders Sex-Farce KISS ME, STUPID soll von Publikum und Kritik als geschmacklos verteufelt und zudem von der katholischen Legion of Decency mit einem Bann belegt worden sein. Time Magazine, Times, Variety, Monthly Film Bulletin verreißen den Film aus unterschiedlichen Gründen: Dem Regisseur wie dem Drehbuch wird von der Kritik wenig Subtilität attestiert.45 Die Rolle sei so klischeehaft, dass Kim Novaks schauspielerische Leistung gar nicht beurteilt werden könne. Wird der Darstellerin bei einer gelungenen filmischen Realisierung der Schwierigkeitsgrad der Rollenanforderung besonders gutgeschrieben, als individuelle, bravouröse Leistung46, so kippt die Argumentation im Falle einer misslungenen filmischen Realisierung. Jetzt soll die Rollenfigur Prostituierte die Protagonistin daran gehindert haben, ihre Darstellungskunst zu entfalten, ihre Persönlichkeit, unvergleichliche Individualität zur Geltung zu bringen.47 Die konventionelle Auffassung der Filmkritik von Rollenspiel und Selbstverwirklichung des Stars lässt, so sehen wir es heute, das Beste der Regiekonzeption Billy Wilders außer Acht. »Billy Wilder, wer sonst, hat schließlich die Ambivalenz ihrer Leinwandpersönlichkeit für die Komödie auszubeuten verstanden, dreist und treffsicher wie immer. […] Der bittere Sarkasmus hat heute noch nichts von seiner Schärfe verloren.« (Desalm 1997, S. 13)
Desalms Urteil über die ›passende‹ Imageverwendung Novaks in KISS ME, STUPID wiederholt, wenngleich in ganz anderer Perspektive, ein 45 Vgl. Parish 1992, S. 230ff. und Sinyard/Turner 1980, S. 291f. 46 So wurde Béla Balázs angesichts der Stummfilmdiva Asta Nielsen nicht müde, ihre Schauspielerleistung dadurch hervorzuheben, dass er voller Verachtung von Buch und Regie sprach. In welchem Film die Nielsen spiele, welche Handlung der Film habe, sei gleichgültig, die Nielsen spiele immer ihren ›Film‹ und spiele ihn jedes Mal überwältigend gut – die anderen Figuren, die Handlungen seien wenig mehr als Staffage, qualité négligeable. Vgl. Balázs 1982. Balázs bejubelt Großaufnahmen von Asta Nielsen und entwickelt u.a. über die Virtuosität ihrer Mimik und Gestik, ihres Gebärdenspiels das Argument der Eigenständigkeit des Films als neuer Kunstform. 47 In den 50er Jahren kann man selbst das schlechteste Drehbuch nicht so übergehen bzw. zum schwarzen Horizont machen, vor dem der Star umso eindrucksvoller strahlt, seine Schauspielkunst verwirklicht. Die Rolle ist im klassischen Hollywoodkino die Basis der Argumentation. Man mag die Selbständigkeit der Darstellung noch so sehr herausstreichen, die Rolle ist die Voraussetzung und die Perspektive, in der die Darstellungsleistung gedeutet werden kann.
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naiv-populäres ex post-Urteil über den geliebten Star. Don Macpherson zufolge war für Kim Novak Billy Wilders Satire »ihr größter Triumph«, Novak sei hier »entspannt und trotz allem Starimage lässig und liebenswert« (Macpherson 1985, S. 173). Die Ablehnung des Films zur Zeit seiner Premiere und noch mehr die Argumente der Ablehnung sind vergessen, die Zerrissenheit der Rollenfigur geht im Starruhm ex post unter.
Allgemeiner Sex-Witz und Wilders Sex-Farce Die von Kim Novak gespielte Prostituiertenfigur Polly gibt sich gleich zu Beginn des Films, als sie noch als Kellnerin mit Bauchnabel-Piercing, Minirock und Bustier im »Belly Button« arbeitet, berufsmäßig lasziv; ein Bild von Laszivität, das im Bierpreis inbegriffen ist, der genreübliche Auftritt der ›Filmprostituierten‹. Kim Novaks outriertes Hüftgewackel als »Polly the Pistol« ist eine Rollenpflicht, kaum anders als das Hinstellen von Bierflaschen. Ihre Schlagfertigkeit aber ist ein Spiel mit dem Image der dummen Blondine. Sigmund Freud, um noch einmal seine Schrift Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) zu bemühen, hat die psychische Natur und soziale Entstehung der Zote bzw. des obszönen Witzes dargelegt und dabei den Übergangspunkt von nicht-medialer Kommunikation zu medialer Kommunikation in Hinsicht auf gender sehr genau bezeichnet: »Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes kann man beobachten, daß erst das Hinzutreten der Kellnerin oder der Wirtin die Zote zum Vorschein bringt; auf höherer sozialer Stufe erst tritt das Gegenteil ein, macht die Anwesenheit eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende; die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein ›unter sich‹ sind. So wird allmählich anstatt des Weibes der Zuschauer, jetzt Zuhörer, die Instanz, für welche die Zote bestimmt ist, und dies nähert sich durch solche Wandlung bereits dem Charakter des Witzes.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 95)
»Polly the Pistol«, die Kellnerin im »Belly Button«, muss sich berufsmäßig Zoten anhören, als Ersatzehefrau des Kirchenchorleiters Spooner wird sie zur zweiten Person, auf deren Kosten der Witz gehen soll, und der Zuschauer wird jetzt die Instanz, an die sich die Zote richtet – als obszöner Witz. Die Adressierung des Aggressiv-Sexuellen wandelt sich mit der Schichtzugehörigkeit, die Lustquelle des obszönen Witzes aber bleibt über verschiedene Schichten hinweg die gleiche: die Libido. Dass der Zuschauer/Zuhörer »anstatt des Weibes« zur Instanz wird bzw. zum Adressaten der Zote, beschreibt – als Miniatur – den Übergang von 61
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nicht-medialer zu medialer Kommunikation – aber auch ihre gegenseitige Bedingtheit. Eine »Tendenz«48 des Witzes – neben der des feindseligen Witzes, der zur »Aggression, Satire, Abwehr« dient (Freud 1972, Bd. IV, S. 92) – ist die des obszönen Witzes, »welche der Entblößung dient« (ebd.) und in der Zote seinen Ursprung hat: »Man weiß, was unter der ›Zote‹ verstanden wird: Die beabsichtigte Hervorhebung sexueller Tatsachen und Verhältnisse durch die Rede. […] es gehört noch dazu, daß die Zote an eine bestimmte Person gerichtet werde, von der man sexuell erregt wird und die durch das Anhören der Zote von der Erregung des Redenden Kenntnis bekommen und dadurch selbst sexuell erregt werden soll. Anstatt dieser Erregung mag sie auch in Scham oder Verlegenheit gebracht werden, was nur eine Reaktion gegen ihre Erregung und auf diesem Umwege ein Eingeständnis derselben bedeutet. Die Zote ist also ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 92f.)
In den Köpfen der Zuhörenden und Zuschauenden stehen Sex-Witz, ob als obszöner Witz oder als Zote, und Komödien-Witz im Dialog. Einen typischen Sex-Witz macht in Billy Wilders Komödie KÜSS MICH, DUMMKOPF Barney, der Freund Spooners, der sich über den sexhungrigen Songstar und die angeheuerte Polly als vermeintliche Ehefrau Spooners so äußert: »Dann kann er doch handgreiflich werden, wie er will. Er kann sie kitzeln, kneifen, mit ihr ringen und sie auch aufs Kreuz legen.« Was die Zuschauer/-innen bei diesem Witz zum Lachen bringt, hat Freud mit dem Mechanismus der Zote umschrieben: »Die Zote ist wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist. Durch das Aussprechen der obszönen Worte zwingt sie die angegriffene Person zur Vorstellung des betreffenden Körperteiles oder der Verrichtung und zeigt ihr, daß der Angreifer selbst sich solches vorstellt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Lust, das Sexuelle entblößt zu sehen, das ursprüngliche Motiv der Zote ist.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 93)
Doch Barneys Äußerung ist nicht im direkten Wortsinn eine Zote, sondern ein obszöner Witz. Wie funktioniert er im Unterschied zur Zote, ihrer direkten aggressiven Adressierung an die anwesende Frau? »Der tendenziöse Witz braucht im allgemeinen drei Personen, außer der, die den Witz macht, eine zweite, die zum Objekt der feindseligen oder sexuellen 48 Vgl. Freud (1905) 1972, S. 91ff.
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Aggression genommen wird, und eine dritte, an der sich die Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen, erfüllt. […] Der libidinöse Impuls des Ersten entfaltet, sowie er die Befriedigung durch das Weib gehemmt findet, eine gegen diese zweite Person feindselige Tendenz und ruft die ursprünglich störende dritte Person zum Bundesgenossen auf. Durch die zotige Rede des Ersten wird das Weib vor diesem Dritten entblößt, der nun als Zuhörer – durch die mühelose Befriedigung seiner eigenen Libido – bestochen wird.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 95)
Im Gegensatz zur Zote ist der obszöne Witz also diskursiv und medial verfasst, braucht die Instanz des zuhörenden Dritten, der als ›Bundesgenosse‹ an die Stelle der nun abwesenden Frau getreten ist. Barney evoziert mit seinem Witz die Vorstellung dieser Handlungen, ›entblößt‹ also Polly. Doch was er sagt, ist keine Zote, er bedient sich der sublimierteren Form des obszönen Witzes. Damit zieht er die Filmzuschauer/-innen, die er zum Lachen gebracht hat, auf seine Seite. Bei den Freunden Orville J. Spooner und Barney Millsap (Cliff Osmond), die das Komplott gegen Dino aushecken und ihre Witze auf Kosten von Polly reißen, gelingt die Adressierung des obszönen Witzes: die Abwesenheit der Frau, das Vergnügen des Ersten und das Lachen des Dritten. Die Witzadressierung findet innerhalb der Diegese statt und hat so für Zuschauer/-innen keinen bedrohlichen Charakter; d.h. sie werden nicht unfreiwillig zu Komplizen des verletzenden Witzes oder der Zote. Im Verlauf des Filmes, insbesondere in der Szene der arrangierten Anbahnung mit der Dreierkonstellation der anwesenden Ersatzehefrau Polly, des schon durch Übertreibung absurd erscheinenden »libidinösen Impuls des Ersten«, des Sexprotzes Dino, und des in der Funktion des ›Bundesgenossen‹ stehenden Orville J. Spooner gelingt der Mechanismus des obszönen Witzes nicht mehr. Erstens, weil er »die Befriedigung durch das Weib« eben gerade nicht »gehemmt findet« (Freud 1972, Bd. IV, S. 95) und somit die feindselige Tendenz bzw. die sexuelle Aggression nicht auftreten kann. Zweitens, weil die »ursprünglich störende dritte Person« gar nicht als Störer auftritt, sondern in der Funktion des Ermöglichers in Erscheinung tritt. Somit kann er nicht wider Willen bestochen und zum ›Bundesgenossen‹ gemacht werden. Durch diese Konstellation wird der nicht gelingende obszöne Witz aber nicht zur Zote. Auf der innerdiegetischen Ebene schlägt die Intention »von der Erregung des Redenden Kenntnis [zu] bekommen und dadurch selbst sexuell erregt [zu] werden«, (Freud 1972, Bd. IV, S. 92) fehl. Es bleibt bei harmloser Plänkelei, die das Komische – als Freud’sches Gegenkonzept zu den tendenziösen Witzen – hervorruft. Wenn Orville J. Spooner entgegen seinem ursprünglichen Plan dann doch Dino, der sich Polly anzunähern versucht, angreift und ihn vor die 63
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Wohnungstür setzt, um selbst mit Polly hinter der Schlafzimmertür zu verschwinden, so findet ein nicht vorgesehener Rollenwechsel von der ersten zur dritten Person statt. Denn nun ist es Orville J. Spooner, der, mit Freud zu reden, »den libidinösen Impuls des Ersten entfaltet« (Freud 1972, Bd. IV, S. 95). Er muss wie bei jeder »libidinöse[n] Regung, der sich ein Hindernis entgegenstellt« (Freud 1972, Bd. IV, S. 94) diese erst überwinden und die überrumpelte Polly ins Schlafzimmer zitieren. Er macht Dino, der sich nun in der Position der »ursprünglich störende[n] dritte[n] Person« befindet, nicht zum ›Bundesgenossen‹, sondern entfaltet gegen ihn direkte, ungehemmte Aggressionen. Wilders Komödie, das ist damit klar geworden, spielt auf mehreren Ebenen des Witzes, der des tendenziösen, obszönen Witzes, des Zynismus und der des ›harmlosen Witzes‹ bzw. des ›Komischen‹.
Der Zynismus Wenn Freud schreibt: »Die Unnachgiebigkeit des Weibes ist also die nächste Bedingung für die Ausbildung der Zote« (Freud 1972, Bd. IV, S. 94), so ist in der Wilder’schen Filmkonstruktion, die die Nachgiebigkeit der Ersatzehefrau und letztlich auch die der Ehefrau zeigt, ein Hinweis zu sehen, dass es sich hier nicht um eine Zote handelt, aber auch nicht um einen obszönen Witz, denn genau an diesem Punkt sträubten sich die Filmzuschauer/-innen, die kommunikative Rolle von ›Bundesgenossen/-innen‹ zu übernehmen und zu lachen. Sie antworteten mit moralischer Entrüstung und Entsetzen – ein Zeichen für Zynismus, so Freud. Billy Wilder zielt treffsicher auf die Angriffsfläche des zynischen Witzes: »[…] es sind zynische Witze, was sie verhüllen sind Zynismen. Unter den Institutionen, die der zynische Witz anzugreifen pflegt, ist keine wichtiger, eindringlicher durch Moralvorschriften geschützt, aber dennoch zum Angriff einladender als das Institut der Ehe, dem also auch die meisten zynischen Witze gelten.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 105)
Freud erklärt dies kulturgeschichtlich, beschreibt es in geschlechtsspezifisch männlicher Perspektive: »Kein Anspruch ist ja persönlicher als der auf sexuelle Freiheit, und nirgends hat die Kultur eine stärkere Unterdrückung zu üben versucht als auf dem Gebiete der Sexualität. […] Man heiratet, um sich gegen die Anfechtungen der Sinnlichkeit zu sichern, und dann stellt sich doch heraus, daß die Ehe keine Befriedigung eines etwas stärkeren Bedürfnisses gestattet, geradeso wie man einen 64
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Regenschirm mitnimmt, um sich gegen den Regen zu schützen, und dann im Regen doch naß wird49. In beiden Fällen muß man sich um stärkeren Schutz umsehen, hier öffentliches Fuhrwerk, dort für Geld zugängliche Frauen nehmen.50 Jetzt ist der Witz fast völlig durch Zynismus ersetzt. Daß die Ehe nicht die Veranstaltung ist, die Sexualität des Mannes zu befriedigen, getraut man sich nicht laut und öffentlich zu sagen […]. Die Stärke dieses Witzes liegt nun darin, daß er es doch – auf allerlei Umwegen – gesagt hat.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 105f., Hervorhebung H.W.)
Der Zynismus hebt also den Witzcharakter auf und verkündet eine Wahrheit: die Wahrheit des Sexes, könnte man mit Foucault sagen. Die Lustquelle des Witzes ist die Libido, und dies wird bei einem zynischen Witz offengelegt. Er referiert weniger als der obszöne Witz, bei dem ein Anteil der Lust aus den Quellen der Technik des Witzes, ein anderer aus der ›Tendenz‹ des Witzes kommt, auf die ›Quellen‹ der Witztechnik. Freud bleibt bei seiner aktiv/passiven bzw. männlich/weiblichen Zuschreibung von sex und gender und macht die »Schamhaftigkeit des Weibes« zum gewichtigen Argument. Dass der Mechanismus umgekehrt werden könnte und es dann die Frau wäre, die als Aggressorin auf Kosten des Mannes einen Witz machte, d.h. die Position des Ersten einnähme, kommt Freud nicht in den Sinn, obwohl er die gesellschaftliche Bedingtheit der Witzausprägung in den Vordergrund stellt.
Das Komische des Sexuellen Eine weitere Spielart des Witzes, die in der Inszenierung oder in der Rezeption ausgemacht werden kann, lässt sich als Art des Komischen beschreiben. Auf der innerdiegetischen Ebene greift Wilder »Techniken des Witzes« und »Arten des Komischen« (vgl. Freud 1905) auf, die eher dem allgemeinen harmlosen Witz eignen. In der arrangierten Annäherungsszene zwischen Polly und Dino kommt, so könnte man den Film auch lesen, nichts direkt Sexuelles oder Obszönes zum Vorschein, lediglich
49 Freud nimmt hier Bezug auf den Witz: »›Eine Frau ist wie ein Regenschirm – man nimmt sich dann doch einen Komfortabel‹.« (Freud 1972, S. 105) Die Witzebene, auf die Freud hier offenbar nicht Bezug nimmt, ist die Gleichsetzung von Prostituierter und öffentlichem Fuhrwerk. 50 Freud steht damit in der kulturellen Deutung seiner Zeit: die Rechtfertigung der Prostitution durch die ›natürliche‹ männliche Promiskuität. Über Jahrhunderte wurde dies in der Metapher des Dampfkessels (der männliche Trieb) und des Ventils (die Prostitution) geführt.
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»das Komische des Sexuellen und Obszönen« (Freud 1972, Bd. IV, S. 206). Nicht die gelungene Verführung sieht man, gesuchte heimliche Körperkontakte, sondern ein nervöses Körpergezappele, Körpergrotesken wie beim Slapstick. »Eine zufällige Entblößung wirkt auf uns komisch, weil wir die Leichtigkeit, mit welcher wir den Anblick genießen, mit dem großen Aufwand vergleichen, der sonst zur Erreichung dieses Zieles erforderlich wäre. […] Hingegen ist das Belauschen einer Entblößung für den Lauschenden kein Fall von Komik, weil die eigene Anstrengung dabei die Bedingung der komischen Lust aufhebt; es bleibt hier nur die sexuelle Lust am Erschauten übrig.« (Freud 1972, Bd. IV, S. 206, Hervorhebung H.W.)
Der Witz, der den Aufwand der Hemmnisüberwindung für die Zuhörenden/Zuschauenden übernehmen könnte, er bleibt also aus. Die Filmzuschauer/-innen sind brüskiert, nennen den Filmautor zynisch, weil er es dahin gebracht hat, dass sie sich als Voyeure ertappen, als interessierte Zuschauer einer Entblößung. Der ›Skandal‹, das ist diese Entblößung des Schauinteresses der Zuschauer/-innen durch den Film.
Sex-Witz und Komödien-Witz Kim Novak kommt als »Polly the Pistol« im »Belly Button« blond, hüftwackelnd und vulgär daher, doch diese Anspielung auf Sexualität und Vulgarität ist von vornherein gebrochen. Die Erwartung an die SexFarce der 50er und 60er Jahre hängt an der Erzählfigur der steten Verfehlung von Erotik und Obszönität, nimmt ihren Ausgang von, und findet immer wieder zurück zu heilloser Naivität, Harmlosigkeit, Harmonie. Wird geküsst, so nur als lächerliches Täuschungsmanöver. Der Witz der Sexualitätskomödie zieht seine Pointe aus dem entgegengesetzten Anspielungspotential des Sex-Witzes. Der Sex-Witz lässt in Metaphern und Bildern Nicht-Sexuelles zu Obszönem werden, konnotiert um, sexualisiert. Das geht stets auf Kosten des anders Konnotierten. Die Filmkomödie hingegen meint offenkundig Sex, ihre Gegenstandsebene ist Sexualität, die aber spielt sie so aus, dass das Obszöne nur im Subtext präsent ist, nicht verwirklicht bzw. verfehlt wird. Anders gesagt: Was in der Komödie durchscheint, ist nicht Obszönität, sondern die Lächerlichkeit einer versuchten und gescheiterten Obszönität. In KÜSS MICH, DUMMKOPF lachen die Zuschauer/-innen über Dummheit und Lächerlichkeit, Naivität und Harmlosigkeit, denn die Protagonist/-innen sind schlichtweg zu trottelig, um wirklich verderbt sein zu können. 66
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Das Verfahren hat etwas vom Charme von Kinderwitzen, bei denen die Kinder den ›Witz‹ ihrer Aussagen nicht überblicken. Die Erwachsenen lachen nicht über das Gesagte, dessen problematische, peinliche, obszöne Bedeutung, die sie im Ohr haben. Es ist das Unvermögen der Kinder, das sie anrührt. Körperphantasien und Körperkontakte anderer Art – wie in Barneys Witz evoziert – sind vom Publikum als erkennbare Ausweichmanöver, Ersatzhandlungen lesbar, das eigentlich Gemeinte ist die Sexualität. Ist der Sexualitätsbezug zwar nur metaphorisch, aber doch eindeutig zur Sprache gebracht, so nimmt ihn die Komödie geschickt zurück, indem sie die Metaphorik und Symbolik re-literalisiert durch Körper-Grotesken oder Körperkontakte. Dino ist offen erkennbar der Mann, der immer wollen muss und nie können darf. Der Plot wird durch seine Inszenierungen, Listen und deren Sabotage durch die Gegenseite, »Polly the Pistol«, vorangetrieben. Insgesamt ist es eine Konstellation, bei der die Antwort auf die durch das Genre initiierte rezeptionsleitende Frage ›Wie gelingt die Verfehlung?‹ stets verweigert wird. Die dann doch gemeinsam verbrachte Nacht von Zelda und Dino, ihr tatsächlicher Sex, er wird vom Publikum entsprechend der Genre-Erwartung und der zuvor aufgebauten Verfehlungen nicht geglaubt. Die Behauptung von etwas, von dem wir immer wissen, dass es nie statt gefunden hat, hat sich so festgesetzt, dass nur der Witz der Auflösung, der Verwechselung und Verwirrung zählt. Die unerwartete Konstellationsvariante bringt es mit sich, dass – auch dies wird vom Publikum stets durchschaut – sich verwirklichen muss, was zuvor vom Protagonisten stets verhindert wurde. Die für das Publikum offenkundige Konstruktion der Figuren und der Konfiguration ist ein Vehikel für die Komik von Verfehlungssituationen – so die Lesart des Films, die die Komödienform berücksichtigt. Doch der damaligen Ablehnung des Films muss eine andere Lesart des Films vorausgegangen sein. Durch die Filmkonstruktion gelingt es nämlich Wilder, den obszönen Witz zur ursprünglichen Zote werden zu lassen. Und es ist vor allen Dingen die Instanz des Zuschauenden/Zuhörenden, die dies ratifiziert. Wilder kehrt das Freud’sche Szenarium des obszönen Witzes um. Das Explizit-Machen der Funktion der Zote, die dem Zuhörer unbewusst bleibt, die Bestechung »durch die mühelose Befriedigung seiner eigenen Libido« wird dem Zuschauer bewusst. Dass das Publikum nun die Instanz ist, die, ein letztes Mal in der Terminologie Freuds, als »ursprünglich störende dritte Person zum Bundesgenossen« aufgerufen wird, verursachte den eigentlichen Skandal des Filmes. Wilder bedient sich des von Freud beschriebenen Mechanismus der Ausdifferenzierung der Zote zum obszönen Witz durch die Sublimie-
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rungsleistung der höheren Gesellschaftsschicht und hebt diese Differenzierung wieder auf, macht den obszönen Witz in der und durch die Rezeption zur Zote.
Wilder und der Hure-Heilige-Antagonismus Wilders Sex-Farce demontiert ebenso drastisch wie subtil den HureHeiligen-Antagonismus, drei Aspekte durchkreuzen ihn: Erstens kommt es in Wilders Film zu einem Rollentausch zwischen ›Hure‹ und ›Heiliger‹. Die Verkehrung der Erwartungshaltung ist der Komödie eingeschrieben, und Wilders Sex-Farce verkehrt die Erwartungshaltung von ›Hure‹ und ›Heiliger‹. Polly, die Animierdame, zieht den Ehering auf und Zelda, Orvilles Ehefrau, bekommt für Ihre Nacht mit Dino Geld. Zweitens ist es der obszöne Witz selbst, der die Antinomie von ›Hure‹ und ›Heiliger‹ unterläuft, da die beabsichtigte Entblößung, die dem obszönem Witz inhärent ist, auf Kosten der ›Heiligen‹ geht. Und drittens liegt es im Mechanismus des Zynismus begründet, dass die HureHeiligen-Antinomie unterlaufen wird. Wilders Filme wurden immer wieder ihres Zynismus wegen geschätzt oder gefürchtet. Kim Novak kann kein neues Äquivalent in die Komikgleichung einbringen, der obszöne Witz erfordert es strukturell, dass eine Schieflage vorliegt. Eigentlich will der libidinöse Impuls des Ersten die geschlechtlich differente Person der Zweiten entblößen, doch die Hemmnis der Frau oder ein anderswie geartetes Hindernis (die Anwesenheit eines zweiten Mannes) nimmt eine Verschiebung, eine Umadressierung (beim Witz an die Instanz des Zuhörers) vor. Kim Novak zeigt in der Inszenierung von Billy Wilder dieses Gegeneinanderlaufen der Tendenzen (des Witzes) auf und zeigt das Publikum (denunziativ) an.
Fazit Der Stardom-Forschung geht es um den Überschneidungspunkt heterogener Diskurse. Diese Heterogenität verortet sie im Konzept des Populären. Der grundlegende Auffassungswandel des Stars, der sich von Herbert Marcuse51 und Orrin Edgar Klapp52 zu Richard Dyer vollzieht, be51 Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft; Neuwied/Berlin: Luchterhand 1967. 52 Klapp, Orrin Edgar: Collective Search for Identity; New York: Holt, Rinehart & Winston 1969.
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steht darin, dass die erkenntnisleitende Affirmationshypothese der Ideologiekritik verkehrt wird in die Vermutung, dass Subversion im Spiel sei, ein innovatives, die geschichtliche Entwicklung voranbringendes Prinzip. Dyer integriert mit der kryptofeministischen Lesart Positionen der 60er/70er Jahre-Frauenbewegung in seine Filmgeschichtsschreibung, hebt dabei insbesondere auf soziale Konstruktionen von Geschlechtlichkeit ab. Der so theoretisierte Star kann nun so subtil und individuell wie nie zuvor gesellschaftliche Widersprüche in sich vereinen, und damit ist auch die Polarisierung von ›Hure‹ und ›Heiliger‹ aufgehoben, der Widerspruch von ›Hure‹ und ›Heiliger‹ Herausforderung zu neuer ausdifferenzierender Interpretation. Die Herausforderung anzunehmen heißt, einen neuen Blick auf die medialen und sozialen Konstruktionen von Geschlechtlichkeit in den Filmen zu werfen, einzugehen auf die filmisch hergestellte Sexualitätskomödie. Mit Marilyn Monroe, ›der Sexbombe‹ des amerikanischen Films der 50er Jahre, der das Image des dumb blonde anhaftete, und Kim Novak, der letzten Diva des amerikanischen Studiosystems, die wie keine andere das Schisma des Hure-Heiligen-Antagonismus traf, habe ich zwei ausgeprägt sexistische gender-Klischees ausgewählt und kommentiert. 2000, nach fünf bzw. vier Jahrzehnten, sind diese Geschlechterklischees obsolet geworden, und ein neuer Blick auf gender vermag in den Filminszenierungen und den Darstellungen der Schauspielerinnen Komik auszumachen und in der Analyse das Vergnügen daran zu erklären. Richard Dyers Zielperspektive übernehmend, die auf ein neues Äquivalent in der Komikgleichung gerichtet ist, zeigt sich in der Analyse der Kurzfilmepisode DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT nicht nur, dass Monroe – aus heutiger Sicht – die Inszenierung der Filme dadurch unterlief, dass sie auf ihren Körper referierte. Die eigentliche Pointe der Prostituiertendarstellung besteht darin, dass die Komik der Episode durch die Referenz auf ihr Image zustande kommt. In Marilyn Monroe- wie in Kim Novak-Filmen, also in den 50er und 60er Jahren, war die Anspielung auf Sexualität gewünscht, deren Ausspielung aber (noch) unterbunden. In den fünfziger Jahren hat dieses Film-Spiel um Sexualität Marilyn Monroe groß gemacht, in den 60er Jahren hat die Studiokrise und die Krise dieses gender-Bildes eben dieses Film-Spiel beendet. Kim Novak ist die Repräsentantin dieser Schlussphase. Das komplizierte filmische Gleichgewicht von Sexualitäts-Evozierung und Repression der Sexuali-
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tät, die Formen der Umlenkung und Verharmlosung, sie sind nun aus dem Lot geraten. Die Verbindung von Sex und Witz in der Sex-Farce bei Wilder geht über die Komifizierungsstruktur der ehemaligen Hure-Heiligen-Opposition hinaus, weil nun auf mediale Erwartungen und deren systematische Fehlleitungen, Medienverfehlungen, gesetzt wird. Gendertheoretisch gelesen ist bereits der in den 50er Jahren verhandelte Hure-HeiligeAntagonismus, erst recht aber seine Überbietung und Ausdifferenzierung in den 60er Jahren und seine Rezeption in den 90er Jahren, ein differenziertes Spiel mit den Konstruktionen des sozialen Geschlechts. Es gab in den 50er/60er Jahren noch keinen gendertheoretisch ausformulierten Ansatz, aber es gab eine sehr elaborierte Film-Ästhetik, die diese genderAspekte variantenreich und publikumswirksam ausformulierte. Billy Wilders KISS ME, STUPID spielt auf der Demarkationslinie des Hure-Heiligen-Antagonismus. Der Film bringt den Antagonismus zur Geltung, konterkariert ihn aber auch. Auf die eine wie auf die andere Weise wird der Widerspruch von sex und gender verhandelt. Dass dies in den 50er Jahren geschieht, im Auf- und Abstieg von weiblichen Stars sinnfällig wird, evoziert die Krise, aber eben auch das Raffinement der gender-Bilder. Kim Novak hat also nicht, um Richard Dyer weiterzudenken, ein neues Äquivalent in der Komikgleichung eingeführt, sie hat vielmehr in KISS ME, STUPID die Schieflage und das Gegeneinanderlaufen von Geschlechterbildern (respektive von Sexualitätskonnotationen) aufgezeigt.
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A.3. G E N D E R U N D G E N R E . F I L M W I S S E N S C H A F T III: G E N R E F O R S C H U N G Wie werden die Figur der Prostituierten in der Narration und das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis in Verbindung gesetzt? Thematisiert man die Beziehung Freier – Prostituierte als eine ganz andere oder als eine, der gesellschaftlichen Norm-Beziehung Mann – Frau strukturell gleiche? Oder wird Prostitution im wissenschaftlichen Diskurs als extremer Kulminationspunkt eines Geschlechterverhältnisses gedacht, das auch in der lebensweltlichen Realität existiert? Es wird also die Frage sein, wie Prostitution zum herrschenden Geschlechterverhältnis gerückt wird: als dessen spiegelgleiches Abbild, als dessen analoge Entsprechung, als dessen fiktive Umkehrung oder als dialektisches Verhältnis. Die methodischen Fragen richten sich darauf, wie Kulturwissenschaftler/-innen die gender-Konstruktion der Figur der Prostituierten in den Blick bekommen und wie in der Kulturwissenschaft gender konstruiert wird. Die Figur der Prostituierten, das geht aus meinem Fragenkatalog implizit hervor, ist nicht als konkrete soziale Figur zu verstehen, sondern als theoretische Erkenntnisfigur.
A . 3 . 1 A l a n P a k u l a s K L UT E : G e n r e Ich führe Jane Fonda als Verführerin vor, lasse sie als Bree Daniels im new film noir KLUTE von Alan Pakula aus dem Jahr 1971 in thematischer Absicht auftreten. Zunächst und vordergründig geht es um die Frage, ob die Prostituierte als Remake der Femme fatale des film noir oder als ihr Widerpart in Erscheinung tritt. Dazu kommentiere ich die Positionen von Christine Gledhill, Diane Giddis, Tessa Perkins1 und Yvonne Tasker2. 1
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Perkins, Tessa: »The Politics of ›Jane Fonda‹« [1981], in: Gledhill, Christine (Hg.): Stardom: Industry of Desire; London: Routledge 1991, S. 237250. Tasker, Yvonne: Working Girls. Gender and Sexuality in Popular Cinema; London/New York: Routledge 1998.
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Gledhills3 und Giddis’4 Filmanalysen nutzen den Film KLUTE zur Bestätigung spezifischer Prämissen. Anhand ihrer Interpretationen stelle ich die Frage, wie Interpretationen und Analysen dieser Art dazu beitragen können, die Darstellung der Prostituierten im Film unter dem genderAspekt zu thematisieren. Lässt sich für die Prostituierte im Film eine ähnliche Darstellungskonvention festschreiben wie für die Femme fatale im film noir? Dabei ginge es nicht um eine genrebedingte Konvention, wenngleich der Einfluss der Genrekonventionen auf den einzelnen Film berücksichtigt werden muss. Die Konvention ist vielmehr eine aus dem Motiv generierte, die in ihrer ideologischen Verortung identifizierbar ist, in der filmästhetische und diskurstheoretische Faktoren aufeinanderstoßen und vielschichtige Deutungsunsicherheiten und Verkomplizierungen provozieren. Zunächst zu KLUTE: John Klute (Donald Sutherland), ein Ex-Cop aus dem kleinen Provinznest Tuscorora, wird von Polizeichef Peter Cable (Charles Cioffi) beauftragt, Cables Mitarbeiter und Klutes Freund Tom Gruneman in New York zu suchen. Der einzige Hinweis ist ein perverser Brief Grunemans, adressiert an das Callgirl Bree Daniels (Jane Fonda). Daniels kooperiert jedoch erst mit Klute, als sie durch den psychopathischen Killer, der Gruneman ermordete, bedroht wird. Später stellt sich heraus, dass dieser Killer niemand anderes ist als Klutes Auftraggeber, der Polizeichef Peter Cable. Parallel zur Ermittlungsarbeit Klutes erfahren die Zuschauer/-innen von Bree Daniels in psychotherapeutischen Sitzungen, warum sie Prostituierte ist. Die Rezipient/-innen werden Zeugen bzw. Zeuginnen ihrer durch John Klute motivierten Veränderung. Nachdem Bree gerettet und der Fall geklärt ist, verlassen beide gemeinsam New York. Aus dem Off ist Brees letzte Selbsteinschätzung aus dem Therapiegespräch zu hören: Sie zweifelt, ob es ihr gelingen wird, in Tuscorora ein Leben als kleinbürgerliche Hausfrau zu führen. KLUTE ist also zunächst eine suspense story, es geht um die Aufklärung eines Verschwindens, um Mord und um das Aufdecken der objektiven Wahrheit. Das vordergründig Kriminalistische des Films drängt die 3
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Gledhill, Christine: »Klute 1: a contemporary film noir and feminist criticism«, in: Kaplan, E. Ann (Hg.): Women in film noir; London: British Film Institute 1978, S. 6-22. Gledhill, Christine: »Klute 2: feminism and Klute«, in: Kaplan, E. Ann (Hg.): Women in film noir; London: British Film Institute 1978, S. 112-129. Giddis, Diane: »The Divided Woman: Bree Daniels in KLUTE [1973]«, in: Nichols, Bill (Hg.): Movies and Methods: an Anthology. Vol. I, Berkeley/Los Angelos: University of California Press 1976, S. 194-201.
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Wertung von Prostitution in den Hintergrund. Das moralische Urteil verliert an Bedeutung. Prostitution erscheint wertfrei bzw. die Wertung weicht der Verinnerlichung. Nicht moralische Verurteilung, sondern emotionale Erlebnisse vermitteln den Gehalt von Prostitution. So ist Prostitution eine Existenz voller Benachteiligungen, gekennzeichnet durch gesellschaftlichen Ausschluss und erhöhtes Lebensrisiko. Die Sensible, die in psychoanalytischen Sitzungen ihr Leben reflektiert, ist Opfer der perversen urbanen Realität. Schuldlos verletzt von Demütigungen, beobachtet sie sich; diese Denkende ist eine andere als die Handelnde. Doch die Schuldzuweisung an die Perversen, die kapitalistisch Potenten, weist Brüche auf, auch wenn der Schuldige am Ende mit dem Tod bezahlen muss. Die Frage von Schuld und Schuldlosigkeit verliert ihre Bedeutung angesichts der Liebe zwischen Klute und Bree, deren Entwicklung sich am Schluss des Films in der Handlungskongruenz beider Figuren zeigt. Die Selbstreflexion Brees, innerdiegetisch an die nicht zu sehende Psychiaterin gerichtet, eröffnet den Zuschauenden einen Ausblick auf den Fortgang der Geschichte. Durch die visuelle Absenz der Psychiaterin rücken die Zuschauenden an ihre Stelle, sie wird zur exemplarischen Vertreterfigur für die Rezipient/-innen. Brees Selbstreflexion, die sich direkt auch an das Publikum wendet, zieht das Geschehen auf die Ebene der Liebesgeschichte. Und die auf die Gesellschaft bezogene Interpretation wird unwichtig, individualisiert zugunsten der Liebesgeschichte: Verinnerlichung als Ablösung vom Geschehen. Die Verschlossenheit John Klutes steht im Kontrast zur Präsentation der Gedanken und Gefühle Bree Daniels. Seine verborgene Gedankenwelt, seine detektivische Kombinationsgabe – die letztendlich die Rettung bringt – stehen in Analogie zur Zurückhaltung in der Wertung, machen ihn zum Zentrum. Klutes zentrale Position wurde in vielen Filmkritiken hervorgehoben, sein Schweigen aber wird zum selbsttätigen Wissen des Zuschauenden. Brees psychoanalytische Sitzungen reflektieren die anderen Handlungsstränge, bewerten und revidieren sie. Sie erklären, was sich selbst nicht erklärt. So liefern sie eine Interpretation von Brees Handeln, als diese, noch nicht in Klute verliebt, ihn verführt und anschließend kalt abserviert, um ihre Macht zu demonstrieren. Das Verhältnis der Zuschauenden zur Protagonistin ist in der ersten psychoanalytischen Sitzung durch einen Wissensvorsprung der Protagonistin vor den Zuschauer/-innen und in der zweiten durch Wissens-Gleichheit bestimmt. In der letzten Sitzung, in der Bree ihre Liebe offenbart, weiß der Zuschauende mehr als die Protagonistin. Die Authentizität der Liebe vermittelt sich hier durch indirekte Anzeichen. Die Protagonistin beschreibt und authentifiziert ihre Gefühle mit wenig gebräuchlichen Synonymen für wahre Liebe – zum Beispiel mit der Echtheit des körperlichen Empfindens.
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Es geht also in KLUTE, so ein erstes – auf das Sujet bezogene – Fazit, nicht nur um die Entschuldung der Prostitution durch die Idealität der Liebe, um die Individualisierung von Gesellschaftlichem, um die Zurücknahme von Perversion und Schuld durch die Liebesgeschichte, um Pragmatisierung statt Moraldiskurs. Es geht vor allen Dingen – auf die Darstellungskonvention des Genres bezogen – um Schweigen (Wissen oder Nicht-Wissen) und um Nicht-Reden (Wissen, aber nicht Reden) im Zusammenhang des Wissens(vorsprungs) der Filmfiguren untereinander. Es geht im Zusammenhang der Figuren und der Rezipient/-innen um psychoanalytische Selbstreflexionen als ein Mehr und ein Weniger des Figuren- und Rezipient/-innenwissens, um die Direktinvolvierung des Zuschauenden als Deutungsinstanz. Pakulas Interpretation und Modifikation der Genrekonvention ermöglicht einen paradigmatischen Umbruch der Darstellungskonventionen, einen Wechsel von der Femme fatale zum Mittelklasse-Callgirl. Pakula, film noir-cinephil und Filmgeschichtskenner par excellence, hat KLUTE nicht nur an den film noir der 40er/50er Jahre angelehnt, er hat das Genre paradigmatisch umgestaltet. Ihm ist weit mehr gelungen als ein eklektischer Umgang mit dem damals beliebt werdenden noirish style. Wenngleich die Regiepraxis dramaturgisch-ästhetisch orientiert ist, sind dennoch ideologische Verschiebungen bzw. – je nach Standpunkt – Verbiegungen auszumachen in einer Zeit, in der sich der Wandel von frauenbewegter Filmkritik zur Feministischen Filmtheorie vollzieht. Auch die sich damals formierende akademische Disziplin Filmwissenschaft nimmt mit ihren methodologischen Überlegungen Einfluss auf gesellschafts- und kulturkritisch ausgerichtete Filmkritiken, die durch unterschiedliche weltanschauliche Standpunkte streitbare Positionen zu den Filmen liefern. In meiner Analyse geht es um die Frage, an welchen Stellen in Rezensionen und filmwissenschaftlichen Genre-Erörterungen ideologische Verortungen der Prostituierten identifizierbar sind, wie sie in Erscheinung treten und wie sie die filmwissenschaftliche Diskussion beeinflussen. Die Figur der Prostituierten in KLUTE lässt sich aus zwei Blickwinkeln interpretieren: einerseits als Personifizierung des Kampfes um Emanzipation, andererseits als Protagonistin einer antifeministischen Pseudo-Emanzipation. Die Interpretation entscheidet sich nach der Auffassung der grundsätzlichen Genrebestimmung des film noir, seines feministischen oder antifeministischen Gehalts und der spezifischen Interpretation von Klute, die den Film als exemplarische Verkörperung des film noir sieht – oder
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aber die Abweichungen vom Genre als Emanzipationsstreben oder -verfehlung ausweist. Während die film noir-Klassiker mit der in Rückblenden beleuchteten Vergangenheit ihres Helden dessen Aufgabe einleiten, bleibt John Klutes Vergangenheit im Dunkeln. So kann er, der ledige Ex-Bulle aus der Provinz und im Grunde die personifizierte Unschuld, agieren, ohne Gefahr zu laufen, von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Die Vergangenheit spiegelt sich nicht einmal in der Psychologie der Figur. Gerade die Simplizität des Charakters verleiht dem Plot große Wichtigkeit, denn unbelastet von Schuld und Prägungen der Vergangenheit ist der Handlungsspielraum Klutes unbegrenzt. Weder er noch andere reflektieren sein Tun. Die kriminalistische Handlung steht im Unterschied zur film noir-Konvention im Mittelpunkt und prägt die Erwartungshaltung der Zuschauer/-innen. Das Interesse des Helden für die Zukunft lenkt den Blick der Zuschauer/-innen. Das Hinsteuern der emotionalen Verflechtungen auf ein Happyend ist möglich. Der lineare Verlauf der Erzählung gestattet eine sichere Figur- und Erzählkontrolle; der Protagonist klärt den Fall und wird so zum Sieger, das Böse, der Feind ist überwunden. Damit kontrastiert die Figur Klute das Zirkuläre, von Umschwüngen Gekennzeichnete und letztendlich die Geschichte Destruierende des film noir. Gledhill begreift die Abweichungen von der Genrekonvention in KLUTE als Defizit. Der Film ist in ihrer Sicht eine schwächere, misslungene Interpretation des film noir. Sie unterstellt Pakula jedoch eine andere, zeitgemäßere Zielsetzung, ohne inhaltlich näher darauf einzugehen. Daher lässt sie, aus Rücksicht auf Pekula, den Genrekritikansatz versanden. Gledhills Gedanken weiterführend, könnte man die Rückblende zu Filmbeginn, die als solche zu diesem Zeitpunkt für die Zuschauer/in noch nicht erkennbar ist, durchaus als Radikalisierung der Genrekonventionen verstehen. Die Bandaufnahme der Freieranmache Brees verweist auf den verschwundenen Tom Gruneman. Eine weitere Radikalisierung ist in der psychologischen Figurenkonstellation auszumachen. Als zentrale Figur, die trotz oder gerade wegen ihrer Abwesenheit als treibende Kraft der Geschichte fungiert, ist Gruneman der eigentliche Heroe. Er verkörpert den idealen Widerpart der Protagonistin, eine männliche Femme fatale. Seine Figur vereinigt typische Rollen-Ambiguitäten der Femme fatale: geheimnisumwitterte Sexualität, Opfer und Vehikel der Macht, potentieller Quell von Gewalttaten und Morden. Er ist verschwunden und gerade deshalb gegenwärtig. So repräsentiert der gesuchte Tom Gruneman in dieser Interpretation der Figur einen gender-switch. Bree Daniels aber übernimmt den üblicher-
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weise von der männlichen Nebenfigur verkörperten Part: Sie unterstützt die Hauptfigur durch investigative Mitarbeit und intensive Beziehungsarbeit. Im Unterschied zur klassischen Femme fatale, ihrer sex category5, ist Bree Daniels weder Tom Grunemans Schicksal noch John Klutes fremdbestimmte Fügung. In der kriminalistischen Handlung erfüllt Bree Daniels eine Schlüsselfunktion, ansonsten ist sie ein Fingerzeig in lebensentscheidenden Wendungen anderer, Katalysator für selbstgewählte Veränderungen. Entscheidend ist jedoch der Unterschied zum film noir im Hinblick auf die Beziehungsstruktur zwischen Detektiv und Heldin. Selbstgewählt und psychologisch plausibel setzt das Verhältnis von Klute und Daniels das Fatalistische der Beziehung im film noir außer Kraft und folgt stattdessen dem klassischen Liebesdiskurs. Vor der sich entwickelnden Liebesbeziehung tritt die kriminalistische Investigation in den Hintergrund, zumal die Identität des Mörders frühzeitig aufgedeckt wird. Der film noir-typische Subtext ›Erforschung der weiblichen Sexualität‹ erfährt eine Intensivierung. Er wird – dramaturgisch geschickt gemacht durch das für die Fallaufklärung notwendige Erforschen perverser Sexualität – inhaltlich durch den Liebesdiskurs ersetzt. In der Bedeutungsverschiebung der Beziehung vollzieht der Film einen radikalen Diskurs- und Genrewechsel. Die sexuelle Beziehung im klassischen film noir dient dazu, von der kriminalistischen Arbeit abzulenken, sie zu unterlaufen und zu sabotieren. Sie verweigert sich eigenwillig der Einordnung in die patriarchale Logik.6 In KLUTE hingegen dient die kriminalistische Untersuchung nicht der Aufklärung des Verbrechens, sondern der Ehrenrettung von Tom Gruneman. Es gilt, ihn vom Makel perverser sexueller Neigungen reinzuwaschen. Die Rehabilitierung von Grunemans Männlichkeit und seiner gesellschaftskonformen, ›politisch korrekten‹ Sexualität wirft Licht auch auf die Figur des John Klute, macht sie makellos. Je größer John Klutes Einsicht in die Dekadenz der Großstadtsexualität wird, desto mehr offenbart sich ihm – als Kontrast – die Persönlichkeit von Bree Daniels, die wiederum in therapeutischen Sitzungen Einblick in ihre Seele gewinnt. Klute folgt zunehmend seinem Beschützerinstinkt und ›rettet‹ Bree, die ihrerseits ihre Seele rettet; fast rührend wirkt das auf die Zuschauer/-innen. Die sexuelle Beziehung zwischen Klute und Bree bleibt merkwürdig konturlos und wird gerade dadurch dramaturgisch relevant. Pakula kann so die Beziehung psychologisch 5 6
Sex category: vermutete, durch kulturelle/semiotische Vereinbarung getroffene Geschlechtsidentitätszuschreibung. Vgl. Doane, Mary Ann: Femmes fatales: feminism, film theory, psychoanalysis; New York: Routledge 1991.
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nutzen, wie Gledhill schreibt: »[…] in the tradition of the European art movie, [Pakula] is able to use it as a means of exploring the serious contemporary issues he wants to accommodate within the thriller« (Gledhill 1978, S. 117). Die Darstellung der ungezeichneten sexuellen Beziehung vermittelt Zeitgeist und soziale Relevanz und verweist auf einen radikalen Umbruch der gender-Rollen, eine Modernität, die im klassischen film noir der 40er Jahre undenkbar ist. Im 40er-Jahre-Thriller dominiert die Frage nach dem Grad der Treue oder des Verrats der weiblichen Sexualität. KLUTE dagegen untergräbt den Mythos der Frau als sexuelle Anstifterin oder Verräterin. Am nachhaltigsten wird jedoch die von Frauen ausgehende Bedrohung des Patriarchats durch die Darstellung der psychotherapeutischen Sitzungen relativiert. Bree Daniels selbst moralisiert ihre Arbeit als Prostituierte, klagt sich selbst an, schwächt so die Kontur der Femme fatale. Der Fokus verschiebt sich vom scheiternden männlichen Helden des film noir zur professionellen – für die Prostituierte obligaten – Selbsterforschung der Frau. Das psychotherapeutisch vermittelte Innerlichkeitsbekenntnis erschließt die anderen Erzählstränge und psychologisiert die kriminalistische Arbeit. Die Macht der Metaphern der film noir-Konventionen aber wird rationalistisch unterminiert. Die Darstellung der Femme fatale als Prostituierte hat also schwerwiegende Konsequenzen für die Subtextebene ›investigation of female sexuality‹ des film noir. Gledhill charakterisiert die Veränderung der film noir-Heldin als Harmonisierung mit dem Patriarchat. Der Wunsch nach einer psychologisch-realistischen Charakterisierung entstehe, so Gledhill, aus der Notwendigkeit, ein zeitgemäßes wiedererkennbares Stereotyp zu liefern. Die Heldin als Prostituierte darzustellen, zieht zwei Konsequenzen nach sich: Einerseits kann die archetypische Ebene als Frage von Moral, persönlicher Beziehung und Intimität psychologisiert und individualisiert werden. Andererseits lässt die Figur auf der gesellschaftspolitischen Ebene eine Diskussion von Politik, Öffentlichkeitsbewusstsein und in diesem Zusammenhang auch Prostitution (Anfang der 70er Jahre in Amerika Modethema) zu. Entfremdete Sexualität wird dabei als Symptom für die Entfremdung der Gesellschaft interpretiert. »For all this, however, what Klute exposes in its exploration of contemporary times is not the socio-economic and related ideological structures that define women in terms of their sexual and reproductive role and create a marginal place for them within the labour market, but rather a moral, existential alienation of the psyche which is to be resolved in personal relationships, if at all.« (Gledhill 1978, S. 122)
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Gledhill meint, dass die Definition der Prostituierten eine unabhängige und manipulierende Sexualität impliziere. Dennoch bedeute dieser Film keinen tatsächlichen feministischen Befreiungsakt, sei vielmehr Reflex eines harmlosen Freiheitsgeplänkels von akademisch gebildeten Singles, das zu Beginn der 70er Jahre angesagt war. Dem Zuschauer werde sich nie eröffnen, woher die Femme fatale ihre Macht bezieht, »whereas the role of prostitute represents a more defined sexual role, amenable to social control, and shorn of the earlier stereotype’s fatality« (Gledhill 1978). Die Stärke der Femme fatale versiegt im Innerlichkeitsdiskurs, wird durch Selbstzweifel und Reflexion gebrochen. Die präsentierte Sexualität, so meine Lesart von KLUTE, repräsentiert nicht mehr die Macht der Heroin, bietet keine bedeutungsoffene Projektionsfläche, kein Identifikationspotential mehr. In eine selbstreflexive Figurendeutung eingebettet, wird dem Zuschauer von KLUTE nur der Handlungsnachvollzug bzw. seine Vorausahnung erlaubt, nicht aber eine Deutungsperspektive, die in der Differenz von der Figur der Femme fatale bzw. der Prostituierten und der Erzählperspektive der Geschichte die filmimmanent behauptete Erklärung als ideologische Konstruktion offen legte. Es geht mir nicht um die wertende Beurteilung, um die ›richtige‹ Einsicht, sondern um eine Erörterung der Offenheit oder Nicht-Offenheit der Rezeptionsperspektive. Sexuelle Attraktivität gegen moralische Integrität zu tauschen, ist ein schlechtes Geschäft für einen film noir-Protagonisten. Doch Gledhill übersieht, dass John Klute seine Männlichkeit nicht durch die Abwendung von Gefahr und Bedrohung beweisen muss. Seine männliche Persönlichkeit muss nicht durch seinen Beschützerinstinkt geadelt werden, John Klutes sexuelle Potenz begründet sich in der von ihm bewirkten Transformation des gefühllos-routinierten Sex der Prostituierten zu Sex mit emotionalen und sexuellen Empfindungen. Klute übt offenkundig große erotische Anziehungskraft auf Bree aus. Die Szene auf dem Wochenmarkt bringt die sensible Sinnlichkeit zum Ausdruck. Die Verliebtheit der beiden ist evident. Bree Daniels, deren Verhältnis zu Sexualität und Begehren als Prostituierte professionell und damit distanziert und abgebrüht war, wird zur scheu und keusch Bewundernden; metaphorisiert wird das in der Darstellung des sorgfältigen, liebevollen Umgangs mit den Marktfrüchten. Wichtig ist mir hier, dass das indirekt Erotische im Film nicht gegenüber dem offenkundig Sexuellen als Surrogat zurückgesetzt wird, denn das Besondere der Erotik geht verloren, wird sie als mindere Sexualität diskreditiert. Als dünner Abklatsch der Sexualität verstanden, gehen inhaltliche und qualitative Differenzen verloren, wird für beide, nivellie-
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rend, die gleiche Perspektivierung festgelegt. Die erotische Empfindungs-, Darstellungs- und Bedeutungsebene kann sich jedoch, dramaturgisch wie ideologisch, sehr wohl gegen die sexuelle behaupten. KLUTE stellt mit dem Prostituiertenmotiv die Thematik Sex unmissverständlich aus, die voyeuristische Erwartung aber wird durch die Motivwahl auf das Erotische umgelenkt und weicht letztendlich aus auf etwas, das man Seelen-Voyeurismus nennen könnte. Die feministisch-tendenziöse Frage, ob die enigmatische Sexualität der Femme fatale nicht die größere Verweigerung gegenüber dem Patriarchat darstelle, ob der Konflikt durch den heterosexuellen Liebesdiskurs nicht domestiziert werde, erweist sich als Festlegung. Gledhills Gleichsetzung von enigmatischer Sexualität mit machtvoller Sexualität, die gleichbedeutend ist mit Patriarchatswiderstand, greift zu kurz und verstellt den Blick für die Genre- und gender-Qualität von KLUTE.7 »The film mobilises the conventions of film noir, involving a complex investigative structure centred around women as enigma. It may come as no surprise that the attempt to characterise an independent, working women heroine in the early 1970s, and perhaps to refuse the femme fatale associated with noir, produces her as prostitute (however ›high‹ class).« (Tasker 1998, S. 5)
Für Tasker erweckt der Film KLUTE den Anschein, als stehe er in der Tradition des film noir, er verweigere jedoch das Wesentliche, die Figur der Femme fatale. Damit verwirft sie Gledhills Theorie (ohne dies besonders anzumerken), weicht der Konfrontation aus, indem sie sich auf ihre Perspektive konzentriert: den Gegensatz von Femme fatale und Prostituierter. Die Prostituierte ist, so Tasker, die Antwort auf die Frage nach der ›independent, working women heroine in the early 1970s‹. Tasker begreift das working girl als gesellschaftlich produzierten, un-
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Eine Kritik der feministisch ausgelegten film noir-Interpretation, speziell der Gleichsetzung von enigmatischer Sexualität mit machtvoller Sexualität, ergibt sich durch Slavoj Žižeks Ein Triumph des Blicks über das Auge und Lacan in Hollywood. Die lacanianisch inspirierten Filmlektüren von Hollywood-Filmen, insbesondere aber die Interpretationen zu Filmen Alfred Hitchcocks entwickeln den Gedanken der Blickumkehr, des erwiderten Blicks des Objekts. (Ich danke Jörn Glasenapp für diesen Hinweis auf Žižek.) Beate Hofstadler kritisiert in ihrer Rezension dagegen die Geschlechtsneutralität und setzt ihr die feministische Filmtheoriearbeit entgegen. Vgl. Beate Hofstadler: ›Rezensionen‹, auf: www.univie.ac.at/ Theaterwissenschaft/rezensionen/zizek.htm#rezensent, letzter Abruf Oktober 2004.
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trennbaren Nexus von sexueller Ausstrahlung und Arbeit (Arbeitsmarktwert, Arbeitsvermögen). Sie argumentiert: »Klute’s call-girl is herself a would-be actress, constructing the prostitute as aspirational, frustrated career-girl« (Tasker 1998, S. 5). Der Gegensatz zwischen Femme fatale und Prostituierter manifestiert sich im Grad der Autonomie bzw. Abhängigkeit. Die Femme fatale zeichnet sich durch eine selbstverständliche und unhinterfragte, wenngleich unerklärliche sexuelle und finanzielle Autonomie aus, die sich der Banalität kleinbürgerlichen Schaffens und Strebens entzieht. Die Prostituierte definiert sich hingegen durch ihre soziale Abhängigkeit, die untrennbar mit der Selbst- und Fremdausbeutung verknüpft ist. Die Autonomie, ja selbst der Kampf um sie, ist stets durch gesetzliches Verbot, Zuhälter, kriminelle Bedrohung, psychopathische Krankhaftigkeit der Freier etc. bedroht und allenfalls vorübergehend stabil. Die ›Arbeit‹ Brees, in der Logik patriarchaler Ideologie mit Müßiggang oder Vergnügen gleichgesetzt oder als genetische oder psychische Disposition der Heldin ins Private oder Psychopathologische abgeschoben, bewertet Tasker als berufliche Tätigkeit einer ehrgeizigen, aber scheiternden Karrierefrau. Mit dieser Beurteilung greift sie die Typologie der 90er Jahre-Filme auf – in denen die erfolgreiche Karrierefrau von Schicksalsschlägen ereilt wird. Durch die retrospektive Aktualisierung wird die investigative Struktur des Films KLUTE nicht nur verstärkt, sondern zudem mit Bedeutung aufgeladen: in außerfilmischer Konnotierung. Zum einen spielt Fondas Starimage, das durch politischen Radikalismus geprägt ist, eine wichtige Rolle. Man könnte fast annehmen, damit solle das mit der Thematik Prostitution eingeforderte, aber im Film nicht ausagierte gesellschaftlichpolitische Problembewusstsein abgedeckt werden. In diese Richtung verwertet die Interpretation auch Fondas wachsenden Ruf als ernstzunehmende Schauspielerin, das ihr zögernd zugestandene Rollen- und Problembewusstsein. Zum anderen unterstellt diese KLUTE-Interpretation ein scheinbares Wissen um die soziale ›Feldforschung‹ Jane Fondas als Rollenvorbereitung. Ihre ›Erforschung‹ von ›echten‹ Prostituierten schafft bei den Zuschauer/-innen außerfilmisches Wissen um den Film, einen Subtext, der sich im Text seine Referenz sucht. Die Prostitution repräsentiert in KLUTE, sagt Tasker, sowohl sexuelle Befreiung als auch Ausbeutung. Der Film zeigt jedoch keine moralisch konnotierte Ausbeutung, deren Unmoral in der Ungerechtigkeit des Gesellschafts- und Ökonomiesystems zu suchen ist; auch nicht in der Idealisierung der Einheit von Sex und Gefühl. Das Problem Brees mit der Prostitution ist, das sagt sie selbst, seelischer, nicht sittlicher Natur. Prostitution stellt sich als legitimes Leistungs-Waren-Verhältnis dar. Diese rein ökonomische Betrachtung von Prostitution begründet den Erfolg des
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Innerlichkeitsdiskurses als Alternative und ethische Überbietung des Warenverhältnisses. Taskers Interpretation verleugnet nicht ihre Verwurzelung in der feministischen Programmatik der 90er Jahre: »In various examples of new film noir and in later films which, whilst sharing elements, cannot be said precisely to fit the category, the types of the independent women and femme fatale have complexly informed each other, transmuting into a new version of the femme fatale which comes to situate her as a powerful woman whose threat quite overtly lies in the context of work.« (Tasker 1998, S. 121)
Die Figur der Bree Daniels in KLUTE verweist auf das für Jane Fonda signifikante Schisma: die Unvereinbarkeit von Rollen- und Starimage. Das Image des Stars Jane Fonda als politisch-radikale Feministin steht im Gegensatz zur Spezifik ihrer Rollen, die einem Massenpublikum gerecht werden mussten. Fondas Rollen zeichneten sich durch die Ambivalenz der Charaktere aus, durch ihr Interesse, die Widersprüche einer Person mit dem ›gesellschaftlichem System‹ darzustellen.8 In Hollywood, so Tasker, schließen sich physische Schönheit und Schauspielkunst tendenziell immer noch aus. So habe bei der Rezeption von KLUTE ein Widerspruch zwischen Stereotyp und Star vorgeherrscht.9 Jane Fonda überwinde diesen Gegensatz von Geschlecht und Schauspielkunst durch die Darstellung einer komplexen bad girl role10. Fonda veränderte die Darstellung von Prostituierten nachhaltig, indem sie der Figur die Fähigkeit zu Selbstreflexivität und Identitätszweifel 8
Vgl. Dyer, Richard: »A specific image: Jane Fonda [1978]«, in: Ders.: Stars. London: BFI Publ. 1992, S. 72-98. 9 Die Prostituierte ist sicherlich als gesellschaftliche Referenzgröße ein Stereotyp. Die Bekanntheit filmischer Darstellungskonventionen oder gar Muster schließt dieses jedoch nicht mit ein. Erst in der konkreten Ausformung des abstrakt bekannten Phänomens im jeweiligen Film füllt sich das Stereotyp für die Zuschauer/-innen mit Leben. Zur Diskussion um Erscheinen und Bewertung von Stereotypen siehe Dyer, Richard: The Matter of Images. Essays on Representations; London und New York: Routledge 1993 und zum Gegensatz von Schönheit und Schauspielen vgl. Klapp 1969. 10 Diese Polarisierung ist problematisch und widerspricht Erkenntnissen der stardom-Forschung. Vgl. Dyer, Richard: Stars; London: British Film Institute 1979 und Dyer, Richard: Heavenly Bodies. Film Stars and Society; London: Macmillan Press 1986. Schauspielerisches Können und Arbeit an der Rolle waren und sind immer auch Beurteilungskriterien.
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verlieh. Diese Erweiterung der Prostituiertenfigur korrespondiert mit dem Starimage Jane Fondas, die von der Presse scharf attackiert wurde, weil sie mit ihrem Image als ehemaligem Sex-Symbol brach und Politik betrieb. Eine weitere Parallele findet sich darin, dass Jane Fonda durch Roger Vadim geformt wurde, wie auch der Film KLUTE als Formung Brees durch Klute gelesen werden kann: »›The basic engine for change in her life is men.‹« (Thomas Kiernan, Sunday Telegraph, 31.3.1974, zit.n. Dyer 1992, S. 81) Ein weiteres Novum ist die Darstellung der Prostituierten als emanzipiert-feministische Frau – durch eine emanzipiertfeministische Frau. Der Widerspruch zwischen Rollen- und Starimage Fondas wurde vom Publikum offenbar nie bewusst wahrgenommen. Dennoch erzeugte er bei den Fans ambivalente Wahrnehmungsmuster und antagonistische Bewertungen, Fragen danach, wer bzw. was die ›wahre‹ Jane Fonda sei. Versucht man nach mehr als zwanzig Jahren die Kontroverse um den Film KLUTE nachzuvollziehen, so stellt man fest, dass es das grundlegende Rezeptionsdispositiv der 90er Jahre war – also das der sexuell aufgeladenen Karrierefrau mit fatalen Schicksalsschlägen –, das die Figur Bree Daniels zur ambivalenten Figur machte: als eine Figur, die der Frage nach Emanzipation oder Konformismus Gestalt verlieh. Tessa Perkins hat zum einen herausgearbeitet, welche Identifikationsangebote Feministinnen gemacht wurden, damit sie Jane Fonda als eine der ihren anerkennen konnten. Zum anderen hat sie jene Punkte aufgezeigt, die dazu führten, Jane Fonda, den populären Star, als vorbildliche Verkörperung des ideologisch verbogenen Massenpublikums zu sehen. Diese Diskussion war eingespielt auf Termini der psychologischen Einfühlung, des emotionalen Engagements und der Glaubwürdigkeit von gender-Rollen. Diana Giddis11 z.B. offerierte dem weiblichen Publikum eine Lesart von Bree Daniels Verhalten, indem sie sich auf ihre eigene Erfahrung im Kampf um Autonomie und Selbstwertgefühl beim Eingehen einer (neuen) Beziehung berief. »Yet in her tormented journey she succeeds in embodying one of the greatest of contemporary female concerns: the conflict between the claims of love and the claims of autonomy. For the emotional tug-of-war that Bree acts out – between the urge to give and love on the one hand and the fear of loss of self on the other – is a very common female conflict, and one that, while it has probably always existed, seems particularly appropriate to our time.« (Giddis 1976, S. 195) 11 Die englische Filmkritikerin schrieb für die Zeitschrift »woman and film«.
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Giddis’ klassisch-hermeneutische Interpretation begreift, ausgehend vom Genreschema des Psychothrillers, die beiden Kontrahenten Klute und Cable als Personifikationen gegensätzlicher psychischer Dispositionen der Protagonistin. Gledhill schrieb ihre filmwissenschaftliche Analyse über den Wandel des film noir zum noirish style und die Bedeutungsveränderungen, die mit der Veränderung der Figurenkonstruktion einhergehen, 1978, fünf Jahre nach Giddis’ KLUTE-Rezension. Letztlich interessiert Gledhill, ohne dass sie sich dies auch nur einen Moment eingesteht, lediglich, ob Giddis’ Rezension sich in ihre eigene filmwissenschaftliche Genre-Erörterung einpassen lässt. Dass dies nicht funktioniert, bewertet Gledhill als ideologische Kontroverse, obwohl sowohl Gledhill als auch Giddis prinzipiell feministische Anliegen haben. Aus der Distanz betrachtet scheint es, als habe Tessa Perkins die Giddis-Gledhill-Kontroverse aufgelöst, indem sie die unterschiedlichen Interpretationsansätze offen legte, die Lesarten als ideologische Diskrepanz zwischen zwei feministischen Filmwissenschaftlerinnen identifizierte und sie als zwei komplementäre Kategorien miteinander in Beziehung setzte. Im ›Streitpunkt Jane Fonda‹ treffen sich das vermeintlich private Starimage von Jane Fonda und ihr Rollenrepertoire-Image. Die Figur der Bree Daniels repräsentiert mit ihrem zwiespältigen Charakter und ihrer gelebten Widersprüchlichkeit die schauspielerische Idealvorstellung von Jane Fonda – wenn man aus der Perspektive Giddis’ argumentiert. Auf den Film KLUTE bezogen, aktualisiert sich die kontroverse Genreperspektivierung als vom Motiv schon vorgegebener und als Zuschauer/innenerwartung bekannter Zwiespalt zwischen der Prostituierten als Berufsausübender und der Prostituierten als Privatperson, als Zwiespalt zwischen der Verschleierung des gesellschaftlichen Widerspruchs und der Vertretung des Innerlichkeitsdiskurses. Dies kann also nicht nur ein Starambivalenz-Potential sein, es ist eine mit der Figur der Prostituierten verbundene Rückverlagerung von unvereinbarer Diskursheterogenität in die Figur der Prostituierten. Antagonismen spielen in KLUTE eine bedeutende Rolle. Sie finden sich zum einen in den Figuren von John Klute und Peter Cable, aber auch in der Person von Bree. Die private, die häusliche Bree steht sowohl der Prostituierten Bree als auch der Arbeitsuchenden, der sich in der Öffentlichkeit bewegenden Bree gegenüber. Die Erste trägt Angst, Unsicherheit und ein Regressionsbedürfnis zur Schau, während die Prostituierte Selbstsicherheit und Distanz präsentiert. Die Arbeitssuchende wiederum durchlebt ein Wechselbad der Gefühle, ist mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Ideologien konfrontiert, zerrissen zwischen
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ihrem Wunsch nach Liebe und dem Streben nach Selbstkontrolle. Sie schwankt zwischen Bedrohung und Geborgenheit, ist sowohl Ausbeuterin, Intrigantin und Verweigerin als auch Opfer und Gestrafte. Giddis sieht den guten, bürgerlichen Klute als Bedrohung von Brees Selbst. Das Zusammentreffen Brees mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen und Personen versinnbildlicht eine Auseinandersetzung mit heterogenen Diskursen. Sie begegnet während ihrer Suche nach dem Mörder, die letztlich auch eine Suche nach sich selbst ist, dem Dandy-Fotografen Frank Ligourin, zwei Puffmüttern verschiedener gesellschaftlicher Schichten, einer drogenabhängigen Prostituierten, besucht eine DiscoParty und erlebt sich selbst als Arbeitsuchende, Nicht-Prostituierte. Perkins’ Interpretation der Gledhill-Giddis-Kontroverse gegenüber zu stellen, erlaubt eine Einordnung und Relativierung des Konflikts; aber das ist keine glückliche Lösung. Tasker beleuchtet die Problematik ebenfalls aus einer neuen Perspektive, kann dem Grunddilemma aber auch nicht entkommen. Die Lösung liegt in der Ausweglosigkeit des Problems: Auf der einen Seite ist die Moralisierung der Prostituierten verboten, auf der anderen Seite ist eine Gesellschafts- und Ideologiekritik im oder am Film aber erwünscht. So bewegt sich jede filmkritische oder filmwissenschaftliche Arbeit auf einem schmalen Grat, immer Gefahr laufend, auf der einen oder anderen Seite abzustürzen. Auch Gledhill und Giddis sind genötigt, die Prostituierte feministisch oder patriarchal zu verorten, versuchen deshalb das Dilemma mit einer plausiblen filmwissenschaftlichen Argumentation zu umschiffen. Festzuhalten ist: Trotz aller weltanschaulichen Konsequenz, diskurstheoretischen Exaktheit und intellektuellen Schärfe gelingt es den von mir referierten Kritikerinnen nicht, die Figur der Prostituierten im Film adäquat zu erfassen. Lediglich der eigene Standpunkt, als Verhältnis zu dieser Figur, kann bestimmt werden. Für die Dramaturgie der ›Prostituiertenfilme‹ ist das kein Nachteil, im Gegenteil, sie lebt durch die Widersprüche der Diskurse, die sich in der Prostitutionsdarstellung treffen. Nur wenn das Motiv Prostitution in den Fokus der diskursiven Betrachtung rückt, können die Widersprüche als ›Kern‹ dieser Filme ausgemacht werden. Vielleicht ließen sich Gledhills und Giddis’ Positionen mit dem Verweis auf das ›notwendig falsche Bewusstsein‹ (das sie entlarven wollen) rechtfertigen: Eine Position außerhalb ist für sie nicht möglich. Wichtig scheint mir, dass nur, wenn die Motivimplikationen und die thematischen Assoziationen berücksichtigt werden, die Diskursheterogenität erfasst werden kann. Prostitution trägt Diskursheterogenität in sich, analog verkörpert die Prostituierte Paradoxien.
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A . 3 . 2 . H o l l yw o o d s w o r k i n g g i r ls : c l a s s Whoopi Goldberg bemerkte anlässlich der academy awards-Verleihung in Hollywood 1996 angesichts der Rollen, die in diesem Jahr von Hollywood angeboten worden seien, scherzhaft, Frauen kämen entweder als Prostituierte oder als Nonnen vor. Damit bringt sie die filmhistorische Situation auf den Punkt. Yvonne Tasker, die mit dieser Anekdote ihre Studie Working Girls. Gender and Sexuality in Popular Cinema (1998) einleitet, folgert: »First, that the foregrounding of sexuality as exchange remains as central as it has ever been in the popular cinema’s representation of women, with the figure of the female prostitute (whether romanticised or situated as abject) functioning in an archetypical fashion as both symbol and symptom of a gendered, classed and raced hierarchy. Further, that the prostitute is an overdetermined space within Hollywood representations. She exceeds her various incarnations of ›tart with a heart‹, streetwalker, flapper and so on, in the process acquiring a significance that extends beyond a literal sexual/economic exchange. The prostitute’s work involves the sale of sex for cash. Across a variety of popular genres, Hollywood representation is characterised by an insistent equation between working women, women’s work and some form of sexual(ised) performance. Thus the caricature or the stereotype of the prostitute, whose physical labour is manifestly bound up with sex, signifies only one point on a continuum which extends across legal thrillers and crime movies into the paranoid scenarios of office politics.« (Tasker 1998, S. 3)
Das nur angedeutete Verhältnis von sex und gender (»sexuality as exchange«), über das sich sowohl sex als auch gender bestimmen, muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Gleiches gilt für das Verhältnis von Fiktionalität und lebensweltlicher Realität (»representation of women«). Sexualität wird hier als Tauschverhältnis beschrieben, dessen Gegenwert das soziale Geschlecht ist. Ohne das soziale Geschlecht ist das Subjekt nicht vorstellbar, existierte keine Identität. Es ist die spezifische Erscheinungsform der Person, die zählt. Nach Tasker werden sex und gender in Filmen des Sujets Prostitution in einer undifferenzierten harmonischen Einheit präsentiert. Die Prostituierte als Stereotyp fungiert als idealtypischer Kulminationspunkt für gesellschaftliche Verhältnisse, steht als Symbol, als urbildlicher und mustergültiger Ausdruck (»archetypical fashion«) stellvertretend für die jeweilige soziale und ideologische Verfassung der Gesellschaft. Dabei ist die Prostituierte sowohl Symbol als auch Symptom; sinnhafte, wesenhafte Personifizierung ebenso wie äußeres Anzeichen. Gender aber ist, so Rosi Braidotti, der Kno-
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tenpunkt, in dem race, Geschlecht, class und sexuelle Orientierung unentwirrbar verflochten sind12. Die Figur der Prostituierten erlangt ihre Sinnhaftigkeit nicht über das unmittelbare Äquivalent von Sex und Geld, sondern durch ihre Fähigkeit, über diesen Tausch hinaus gesellschaftliche Werte zu verkörpern. Die Arbeit von Frauen, ihre ›Arbeitsfähigkeit‹ und ihre ›Arbeitserlaubnis‹ muss um den Preis von Sex (als Prostituierte) bzw. von Sex-Appeal (als middle-class- und upper-class-women) erkauft werden. Das meint der doppeldeutige Begriff working girls. »The phrase ›working girls‹ provides a starting point for this investigation of gender and sexualities in contemporary popular American cinema. This is not to identify ›Hollywood‹ as bad object, simply as a purveyor of stereotypes, but to consider the complexities that emerge from the intersection of these terms: women, work and sexuality.« (Tasker 1998, S. 6)
Sexismus zeichnet sich dadurch aus, dass Sex-Appeal unmittelbar mit (Gegen-)Wert verknüpft wird. Ist das Verhältnis indirekt, wie bei SexAppeal/Arbeit, handelt es sich um eine gesellschaftliche Normierung. Die Prostituierte, so Tasker, stellt einen Punkt innerhalb eines MotivKontinuums dar, das sowohl die unterschiedlichen Filmgenres umfasst als auch – und darin zeigt sich die Charakteristik ihrer Argumentation – verschiedene gesellschaftliche Schichten. In jeder dieser Schichten sei das Verhältnis von Weiblichkeit und class spezifisch ausgeformt. Die Handlung vieler Filme mit Prostituiertenfiguren folgt einem Grundmuster: Die Idealität der Liebe errettet die Heldin und befreit sie aus den Niederungen der Prostitution. Mit dem Fortschreiten der heterosexuellen, romantischen Liebesaffäre entwickelt sich ihr sozialer Aufstieg. Dabei ist die ideale Weiblichkeit gleichzusetzen mit der der perfekten Ausdrucks- und Erscheinungsform der oberen Klassen. Die crossdressing13-Transformation, und damit die Legitimation zur Integration in eine höhere Gesellschaftsschicht, wird durch Konsum und Stil gekennzeichnet, eine Anpassungsleistung. An diesem Punkt bestätigt sich ein 12 Vgl. Braidotti Rosi: »Gender und Post-Gender: die Zukunft einer Illusion?«, in: SFBF e.V. 1994, S. 7-31. 13 Taskers Verwendung des Begriffs cross-dressing weicht von seiner klassischen Bestimmung ab. Während in der Filmwissenschaft üblicherweise mit diesem Begriff Hosenrollenfilme oder Mann-Frau-Verkleidungs- und Verwechselungskomödien bezeichnet werden, steht der Begriff bei Tasker für das Prinzip ›Kleider machen Leute‹. Cross-dressing bezeichnet OutfitAnleihen bei anderen Gesellschaftsschichten.
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Aspekt meiner Grundthese, dass in ›Prostituiertenfilmen‹ die spezifische Konstruktion von gender der Kristallisationspunkt für die Naturalisierung ist, eine Naturalisierung, die selbst das Heterogenste und gar Paradoxeste zur Einigung bringt. Die Hypostasierung der sozialen Geschlechterrolle durch das biologische Geschlecht, die sich gerade in der Figur der Prostituierten findet, müsste also ergänzt werden um die Naturalisierungstendenz, die sich in der Nivellierung sozialer Widersprüche, in der scheinbaren Auflösung gesellschaftlicher Konfliktpunkte, Klassengegensätze und dramaturgischer Unmöglichkeiten ausdrückt. Beispielhaft für diesen Zusammenhang ist Garry Marshalls Film PRETTY WOMAN14. Vivian (Julia Roberts) entstammt der Unterschicht, und dennoch gelingt ihr der soziale Aufstieg, ein Aufstieg ganz nach oben. Der Film zeichnet diesen Aufstieg nicht einfach nach, sondern suggeriert, Vivian habe ›im Grunde‹ schon immer zur Oberschicht gehört.15 Obwohl sie Sex gegen Geld verkauft, scheint sie moralisch integer, und sie ist es, die Edward (Richard Gere) auf den rechten, den moralisch korrekten Weg führt.16 Edwards Verdienst, soziale Barrieren überwunden und der Prostituierten den sozialen Aufstieg ermöglicht zu haben, wird mit moralischer Besserung und dem Glück erfüllter Sexualität belohnt. In der typischen Erzählfigur ›Klassenaufstieg durch heterosexuelle Romanze‹, die nicht nur durch die Figur der Prostituierten vollzogen wird, zeigt sich die in Hollywood (als Imaginatorium) propagierte Grundkonstitution der Gesellschaft: Zwischen dem bewussten Vollzug von Weiblichkeit, gesellschaftlichem Aufstieg und Berufserfolg besteht eine Interdependenz. Dieses Verhältnis bedeutet aber nicht nur sozialer Aufstieg durch Liebe, sondern es zeigt ebenso – und das kommt besonders in der Figur der Prostituierten zum Ausdruck –, dass Schönheit und Weiblichkeit, fernab von natürlichen (Vor-)Gaben vor allem Resultate von Arbeitsanstrengungen sind.
14 PRETTY WOMAN, USA 1989, Regie: Garry Marshall. 15 Siehe die Rezeptionsprotokolle der Probandinnen, die an der Studie von Brigitte Hipfl und Frigga Haug teilnahmen. Vgl. Hipfl, Brigitte unter Mitarbeit von Elke Ehlers, Michaele Geistler, Rosemarie Lederer, Petra Strohmaier: »Als mich ein Film berührte, den ich schlecht fand. Pretty Women«, in: Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen, hg. v. Frigga Haug und Brigitte Hipfl; Hamburg: Argument Verlag 1995, S. 52-109. 16 Er wird künftig nicht mehr korrupt Firmen aufkaufen, sondern ehrlich Schiffe bauen.
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»At the level of gender, class and race, the routing of aspirational narratives through cross-dressing accepts the very binarisms questioned through the act of crossing over. The conflation of romance, sex and work, and the production of women’s work as sexual performance (through the different configurations of prostitute/career girl/professional woman, in, that is, the image of the ›working girl‹), simultaneously conceals and reveals the complex interdependence of gender and class within popular discourse.« (Tasker, 1998, S. 47)
Tasker bestimmt in ihrer Studie, verstreut über verschiedene Kontexte, die Codierungen und unausgesprochenen Annahmen über sex, gender, Arbeit, Erscheinungsbild und race in Verbindung mit der Schichtzugehörigkeit. Gelingende Weiblichkeit, und darin stimmt sie mit Annette Brauerhoch17, ihrer Analyse des Films STELLA DALLAS18, überein, wird meist der Mittel- und Oberschicht zugeordnet. Die – stets weiße – Upper-class-Angehörige19 trägt mit ihrer zarten Physiognomie, ihrer enigmatischen Sexualität die quasi natürlich gegebene, feine, vornehme Weiblichkeit zur Schau. Ihr Arbeitsfeld ist in Bereichen angesiedelt, die Erfolg, Macht und ein gutes Einkommen versprechen. Sie ist Rechtanwältin, Ermittlungsbeamtin, Privatdetektivin. Sie repräsentiert das career girl. Die Weiblichkeit der Mittelschichtsfrau, die ebenso wie ihre Oberschichtsschwester weiß ist und von zarter Konstitution, wird demgegenüber zwar auch als sozial gegeben verstanden, hat sich ihre Qualitäten jedoch in einem Anpassungsprozess angeeignet. Die Frau aus der Unterschicht aber ist das sexuell Andere – für die anderen Schichten. Weiblichkeit, die in der Unterschicht in Bedeutungslosigkeit versinkt bzw. gar nicht als genuine Weiblichkeit gedeutet wird, die in der arbeitenden Mittelschicht allenfalls zur Schau getragen wird, ist in der Perspektive der oberen Schichten Parodie. Die Konstitution der Frau gilt, entsprechend der aggressiven Sexualität und der expressiven, drama-
17 Vgl. Brauerhoch, Annette: Die gute und die böse Mutter. Kino zwischen Melodrama und Horror; Marburg: Schüren 1996. 18 STELLA DALLAS, USA 1937; Regie: King Vidor. 19 Im Folgenden habe ich bisweilen die englischen Begriffe, die Tasker verwendet, belassen. Die von mir vorgenommenen Begriffsübertragungen ins Deutsche, insbesondere die Ersetzung von class durch Schichtzugehörigkeit (und nicht Klasse) sollen einer Homogenisierung dienen, die die alltagssprachlichen Konnotationen popularisierter soziologischer Begriffe jenseits ihres wissenschaftlichen Gebrauchs ins Spiel bringt. Es darf keine Begriffskonsistenz mit soziologischen Gesellschaftstheorien angenommen oder gefordert werden.
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tisch inszenierten Weiblichkeit, als zäh (Unterschicht) bzw. widerstandsfähig und gesund (Mittelschicht); und zugleich ist sie der Ort für Krankheiten und Infektionen.20 Für die Unterschicht der USA konkretisiert und exemplifiziert Tasker die ethnische Zugehörigkeit: Italienerinnen, Kubanerinnen, Afrikanerinnen und Afro-Amerikanerinnen bildeten sie. Ein Vergleich der Unterschichtsfrau mit der uper-class woman zeigt, dass sie sich über die beiden grundbestimmenden gender-Paradigmen Weiblichkeit und Sexualität in je extremen Kulminationspunkten gegenüberstehen. Die sichtbare Sexualität der unterschichtigen Prostituierten und der working-class woman, in der upper-class existiert sie nicht bzw. nur als Sexualitätsannahme. Die Kopplung von Frau, Arbeit und Sexualität ist in den frühen 70er Jahren im new film noir besonders ausgeprägt. Die Heldin wird als ein working girl entworfen, das sexuell unabhängig ist und einer Arbeit nachgeht. Dieser Prostituierten-Typus verkörpert so zwangsläufig das Arbeit/Sex-Äquivalent. Hatte die Darstellungskonvention früherer Filme die Prostituierte meist in der Unterschicht verortet und damit implizit gesagt, dass die Arbeit der Prostituierten, wie alle Arbeiten, die von Angehörigen der Unterschicht ausgeübt werden, mit körperlicher Anstrengung verbunden sei, so wandelt sich mit dem new film noir, ab den 70er Jahren also, das Bild. Die Prostituierte ist nun ein Mittelklasse-Callgirl, das nicht mehr ›auf der Straße‹ agiert. Ihr professioneller Umgang mit Sex ist es denn auch, der viele Filmzuschauer/-innen schockiert.21 Diese Darstellung der Kopplung von autonomem Sex und autonomer Arbeit wurde erst durch die wachsende sexuelle und finanzielle Unabhängigkeit der Frauen in den 70er Jahren möglich. Und erst in den 90er Jahren erwuchs daraus die Einsicht, dass die Praxis und Darstellung von Heterosexualität für Frauen ›Arbeit‹ bedeutet. Die Figur der middle-class-Prostituierten und die der Femme fatale treffen sich in der Zwiespältigkeit ihres Charakters; sie stehen zwischen Gut und Böse, Macht und Machtlosigkeit, aggressiv-autonomer Sexualität und Opferstatus. Die Figur der Prostituierten ist dabei zwischen den beiden Extremen ›victim/persecuted hero‹ und aggressiver Femme fatale verortet. Aus diesem Genre- und Typenmix entsteht in den 90er Jahren 20 Die Körperlichkeitszuschreibung der Arbeiterin findet ihre historische Entsprechung in der Zuschreibung an die Prostituierte als (Über-)Trägerin ›venerischer Krankheiten‹. 21 Beispielhaft dafür die Szene aus dem Film WORKING GIRLS von Lizzie Borden: Während die Prostituierte sexuelle Erregung und Genuss vertäuscht, sieht sie auf die Armbanduhr. WORKING GIRLS, USA 1986, Regie: Lizzie Borden.
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die Figur der unabhängigen, von Schicksalsschlägen heimgesuchten Karrierefrau. Hier entwickelte sich aus einer Weiterentwicklung der genderKonstruktion ein Genremix; das verweist auf Innovation und Kassenerfolg. »An association between women, criminality and sexuality is evident in two stereotypes explored across different genres […], the femme fatale and the prostitute. These two stereotypes might be said to correspond to a distinction between those narratives in which enigmatic women pose a problem for the hero/heroine and ›realist‹ crime fictions.« (Tasker, 1998, S. 93)
Ein Plot oder eine filmische Figur entwickelt sich entlang verschiedener, miteinander kombinierter Motive (Kriminalität und Sexualität, women, romance, work, body/outfit). Das spezifische Kombinationsmuster dieser Motive lässt sich aus der jeweiligen filmischen Darstellung von gender ableiten. Die Kombinationsmuster sind als Nuancen entlang einer Linie zu lesen, und an den Enden einer Nuance steht je eine ›gendered‹ Extremposition: z.B. Kriminalität: the male cop as investigator – the female victim as object of investigation. Mixt man die Nuancen, entstehen weitere Kombinationen, die einen neuen Blick auf die gender-Bestimmungen gewähren.
Fazit In fiktiven Narrationen, seien sie nun literarischer, bildlicher oder filmischer Natur, wird das gender-Konstrukt ›Prostituierte‹ als symbolische Stellvertreterfigur in den Blick genommen.22 Dabei ist zunächst nebensächlich, wie der symbolische Gehalt erzeugt wird, für welche Abstraktion er steht und wie sein Realitätsgehalt zu beurteilen ist. Entscheidend ist, dass sich die Ausformung von gender, die sonst durch Gewohnheit oder ›Natürlichkeit‹ verborgen bleibt, im Symbol erkennbar konkretisiert, ohne weiter erläutert werden zu müssen. Die unbewusst vollzogene Decodierung suggeriert, der Bedeutungsgehalt des Symbols sei eindeutig bestimmbar, dennoch lässt die Deutung genug Spielraum, um das Symbol als etwas zu begreifen, das nicht endgültig ist, nicht mit mathematischer Exaktheit ausgedeutet werden kann. In der Sprache der Linguistik: Das Verhältnis von Signifikant und Signifikat ist arbiträr. Dem/der Rezipient/in ist diese Arbitrarität sowohl in der unbewussten Decodierung als auch der bewussten Reflexion fiktiver Narration stets gegenwärtig. Texte 22 Das trifft auch auf andere gender-Konkretionen einzelner Figuren zu.
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hingegen, die sich nüchtern und ohne erkennbare rhetorische Besonderheit präsentieren, erwecken den Anschein einer sachlichen Kausalität zwischen Signifikant und Signifikat. Diese Illusion des Wirklichen, Faktischen, Sachlichen zu erzeugen, ist das Ziel eines Typus von Filmästhetik, den man »mittleren Realismus« (A. Kluge)23 nennen kann.
Gender in der Analyse Gender, das soziale Geschlecht, lässt sich, dies hat die bisherige Argumentation klar gemacht, in der ästhetischen Analyse nicht unmittelbar fassen. Sichtbar ist nur das biologische Geschlecht sex in der geschlechtlichen Erscheinungsweise von Männern und Frauen. Zu erkennen gibt sich gender nur mittelbar über seine Auswirkungen auf andere Konkretionen von Abstrakta (z.B. Schichtzugehörigkeit). Diesen Abstrakta steht im Gegensatz zu gender ein gestaltbares und folglich decodierbares Zeichenrepertoire zur Verfügung. Gender ist Kumulationspunkt einander sich überlagernder, heterogener, von anderen Signifikaten getragener Bedeutungszuschreibungen. Gender-Signifikanten stehen in mehreren Referenzverhältnissen gleichzeitig. Sichtbare gender-Signifikanten wie Stimme, Gestik, Kleidung oder zugeschriebene gender-Signifikanten wie Schichtzugehörigkeit, Charakter, Worte, Verwaltensweisen können auf das Signifikat gender oder auf andere mögliche Signifikate verweisen. Und hierin liegt letztendlich die Schwierigkeit gender-Signifikanten zu erfassen, denn Verweise ebenso wie Symbole entziehen sich, als Spuren einer metonymischen Kette, einer konkreten Definition. Die zweite mit gender verbundene Schwierigkeit liegt darin, dass gender sowohl in Verbindung mit24 als auch losgelöst vom Schauspieler/ -innenkörper untersucht werden kann25. Aber gerade diese Schwierigkeit eröffnet auch eine innovative Chance für die ästhetische Analyse. Ein
23 Kluge, Alexander: »Realismus als Prinzip. Die realistische Methode und das sogenannte ›Filmische‹« (1975), in: Ders.: In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg nur den Tod: Texte zu Kino, Film, Politik; Berlin: Vorwerk 8, 1999. 24 Man denke an die Unmengen von soziologischen Rollenuntersuchungen der 70er Jahre. 25 Hierin liegt der Unterschied zwischen den interesseleitenden Fragestellungen der women’s studies und der Gender Studies und der damit verbundenen Methodik.
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gender-Signifikant kann in einer Filmfigur26, einem einzelnen Erzählstrang, einer Montagetechnik, einer dramaturgischen Verdichtung27 nachgewiesen werden. Er ist nicht zwangsläufig an eine Ebene des filmischen Systems gekoppelt – die Regie, die Schauspielkunst, die medientechnische Seite. Gender als Signifikat, auf der Bedeutungsebene angesiedelt und durch die gender-Signifikanten etabliert, ist außerhalb der filmischen Zeichen und des Films als System lokalisiert. Zwischen den genderSignifikanten und gender als Signifikat lässt sich, das ist für den Feminismus nichts Neues, eine Differenz bestimmen. Taskers Analyse, um noch einmal auf diesen Text zurückzukommen, bewegt sich entlang der bewusst gesetzten filmischen Zeichen. Dieses Vorgehen erfordert ein engeres, rückbezogeneres Verhältnis von Signifikant und Signifikat, ein Referenzverhältnis, das so eng bestimmt sein muss, um der medialen Differenz von Film und Sprache gerecht zu werden. Die Medientheorie definiert dieses Referenzverhältnis ebenfalls als radikale Absage an eine scheinbare Kausalität. Der Praxis der Filmanalyse liegt jedoch in den meisten Fällen ein offenes oder verborgenes kausales Verständnis zu Grunde. Eine andere Auffassung dieses Referenzverhältnisses beeinflusst unmittelbar das Verständnis des sozialen Geschlechts der Prostituierten in der szenischen Darstellung. In der Literaturwissenschaft wird häufig ein paradigmatischer Bruch zwischen der Konstruktion von gender in der Figur der Prostituierten und der Konstruktion von gender der Frauen allgemein, also der NichtProstituierten, konstatiert.28 Zudem kann das soziale Geschlecht der Prostituierten rekonstruiert werden als Markierung der Geschlechterdifferenz, 26 Der englischsprachige Filmwissenschaftler Stephen Heath weist auf die Funktion der weiblichen Filmfigur als »narrative closure« hin. Vgl. Heath, Stephen: »Narrative Space«, in: Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader, hg. v. Philip Rosen; New York: Columbia University Press 1986, Ersterscheinung: Screen, Autumn 1976, Heft 17, S. 19-75. 27 Der Nachweis, dass die Narration eines Films einer ödipalen Logik folgt, ist inzwischen zu einem Analyse-Allgemeinplatz verkommen (vgl. de Lauretis 1984). Dem ›lesbischen Subjekt des Sehens‹ hat die amerikanische Cultural Studies/Gender Studies-Wissenschaftlerin Teresa de Lauretis nachgewiesen, dass es als Rezeptionsdispositiv unabhängig von der sexuellen Orientierung der Zuschauerin wirkt (vgl. de Lauretis 1996 und Wagner 1997). 28 Vgl. Schmidt, Dietmar: Geschlecht unter Kontrolle: Geschlecht und Prostitution in der modernen Literatur; Freiburg i.Br.: Rombach 1998.
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als außerhalb von binärer Geschlechtlichkeit stehend. Das verweist auf einen weiteren paradigmatischen Bruch.29 Tasker stellt die Figur der Prostituierten zusammen mit anderen Frauenstereotypen Hollywoods in eine ungebrochene Traditionslinie. Die gender-Konstruktion ›Prostituierte‹ kann als Sinnbild, als extremer Kulminationspunkt für gesellschaftliche Hierarchie und allgemein geltende ›Weiblichkeitsgewährungen‹ gelesen werden. So gesehen geht es bei meinen Untersuchungen von ›Prostituiertenfilmen‹ und gender-Diskursen nicht um irgendeine, irgendwie interessante Schnittstelle: Weiblichkeit als nicht-medial imaginierte, als medialisierte und als medial repräsentierte steht im Zentrum meiner Überlegungen – insbesondere aber: die Medialität der Weiblichkeitsimaginationen. »Monokel wie Kamera zeigen die Tendenz, Menschen in Dinge zu verwandeln, und die Fotografie erweitert und vervielfältigt das Bild des Menschen bis zum Maßstab der Massenartikel. Filmstars und Massenidole werden zu Träumen, die man mit Geld kaufen kann. Man kann sie kaufen, greifen oder an sich drücken wie öffentliche Dirnen. Jean Genets ›Der Balkon‹ ist ein Stück über dieses Thema der Gesellschaft als Bordell, das von Schrecken und Terror umgeben ist. Das gierige Verlangen der Menschheit, sich selbst zu prostituieren, lehnt sich gegen das Chaos der Revolution auf. Das Bordell bleibt fest und standhaft in den Wirren des Umbruchs. Mit einem Wort, die Fotografie brachte Jean Genet auf das Thema der Welt der Fotografie als Bordell ohne Wände.« (McLuhan 1995, S. 289)
29 Vgl. Wagner, Hedwig: »Welche narrative Figur macht die Prostituierte?«, in: Gender Studies in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Einführung und neuere Erkenntnisse aus Forschung und Praxis, hg. v. Sabine Wesely; Bielefeld: Kleine Verlag 2000, S. 318-341.
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A.4. K INO UND B ORDELL . F ILMWISSENSCHAFT IV: FEMINISTISCHE FILMTHEORIE In diesem Kapitel werden zwei feministische Filmtheoretikerinnen, Heide Schlüpmann und Gertrud Koch, zu Wort kommen, die beide über die Beziehung des Bordells zum Kino und des Kinos zum Bordell explizit oder implizit nachgedacht haben. Mit der Verlagerung des Blicks auf institutionelle Verschränkungen vollzieht sich zum einen die Abwendung von konkreten einzelnen feministischen Filmanalysen, auch wenn diese Ausgangspunkt und konkreter Anlass gewesen sein mögen, hin zu universelleren, das mediale Dispositiv betreffenden Erörterungen. Zum anderen kommt die Medialität ins Spiel. Beide Theoretikerinnen tragen – z.T. avant la lettre – medientheoretische Überlegungen vor. Die Verbindungen im medialen Dispositiv untersuchend, die institutionelle Verschränkung von Kino und Bordell berücksichtigend, nehmen sie Zuschreibungen an Medium und Geschlecht(sleben) vor oder decken sie auf. Apparatetechnische Konfiguration und psychische Disposition sind vorgenommene Verknüpfungen, die sich dabei an der Schnittstelle von Medium und Geschlecht platzieren. Der Bogen spannt sich vom Geschlecht des Mediums zu Medien des Geschlechts.
A . 4 . 1 . P o r n o f i lm u n d P r o st i tu t i o n : Kino im Bordell Gertrud Koch hat in ihrer Dissertation über den Geschlechterdiskurs im Film1 unter anderem über die »Geschichte des pornographischen Films: Kino im Bordell, Bordell im Kino, Kino statt Bordell« geschrieben2, also die beiden Topoi Kino und Bordell nicht nur als Orte zueinander in Beziehung gesetzt. Ihre film- und kinohistorischen Recherchen erschlossen 1 2
Koch, Gertrud: Was ich erbeute, sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter im Film; Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1989. Gertrud Koch: »Schattenreich der Körper. Zum pornographischen Kino«; in: Dies.: Was ich erbeute, sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter im Film; Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1989; S 95-125.
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auf neue Weise bereits bekannte Quellen3, die für die frühe Filmgeschichte die ökonomische, institutionelle und personelle Beteiligung der Prostituierten am Vertrieb von Kinokarten für den pornographischen Film ausweisen; ähnliches gab es lange zuvor im Theater. Das Kino im Bordell bereicherte Bordellbesitzer wie Filmpornographieproduzenten, bildete aber nicht nur ökonomisch eine symbiotische Einheit aus. Denn die Filme lockten als attraktive Ereignisse zum Bordellbesuch, waren als Vorprogramm für den eigentlichen – sexuellen – Zweck des Bordellbesuches gedacht. Koch nun reflektiert auf die Rezeption, indem sie die Geschichte des pornographischen Films in der Stummfilmzeit thetisch als ›Sinneswandel‹ darlegt: Der Gesichts- und Sehsinn habe sich grundlegend gewandelt. »Der spezialisierte Gesichtssinn, in den historischen Organisationsformen des pornographischen Films noch partieller Sinn der Vorlust, verselbständigt sich zur reinen, ganz auf sich verwiesenen voyeuristischen Lust. […] Die Rede vom Zeitalter der visuellen Kultur, in der das aktive, unterwerfende Auge vor den passiven, empfangenden Sinnen wie dem Ohr etc. den Sieg über die Welt davonträgt, zeigt sich vielleicht auch in der neuerlichen Abkoppelung von Kino und Bordell, Pornographie und Prostitution als treffende Metapher.« (Koch 1989, S. 99)
Der Institutionentrennung von Kino und Bordell, Pornographie und Prostitution geht also eine Sinnenabgrenzung und -hierarchie voraus als bedingende Ursache. Prämisse ist eine Verselbständigung des Sehsinns in der Funktionale des Begehrens, die Skopophilie, und die Auflösung der synästhetischen, alle fünf Sinne umfassenden Rezeption. Der Mensch wird nicht mehr als Einheit seiner fünf Sinne thematisiert. Der Bezug einzelner Sinne zum Medium hat Marschall McLuhan zu seiner Unterscheidung von heißen und kalten Medien gebracht.4 Festzuhalten bleibt als Ergebnis der Studie von Koch, dass die Medienintervention, die Projektion pornographischer Filme im Bordell, zu einer neuartigen Sinnenorganisation geführt hat. Diese hat dann zusammen mit anderen medienkulturellen Prägungen zu einer – gerade auch für die lebensweltliche Realität – wichtigen Unterscheidung und Trennung der Institutionen geführt, die Sexualität je anders organisieren. Die psychische Organisation von Begehren und Sexualität, die der lebensweltli3 4
So z.B.: Moreck, Curt: Sittengeschichte des Kinos, Dresden 1926, bibliographiert nach Koch 1989. Vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media; Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995.
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chen Realität wie die der medialen Realität, schuldet sich also einem bestimmten Medium, dem Kino bzw. dem Film. Abgegrenzt wird dabei ein Erleben von Sexualität, das vor der spezifischen Medienintervention des pornographischen Films als ganzheitliches Erleben, Zusammenspiel der fünf menschlichen Sinne, gedacht wurde, gegen ein neuartiges Empfinden und Erleben der Sexualität. Nach dem ›medialen Sündenfall‹ ist einer der Sinne, der Gesichts-Sinn, an ein Sexualitäts-Medium bzw. Medienformat, den pornographischen Film, gekoppelt. Der tiefgreifende Einschnitt von Medien in die bisherige menschliche Sexualität wird hier ebenso sichtbar wie die Verschaltung und gegenseitige Beeinflussung von Medium und Sexualität. Der pornographische Film, ein Sexualitätserleben durch und im Medium des Films, führt zu einem medialen, sexuell aufgeladenen Sinnenerleben, verschaltet Medium und Sexualität, indem Sexuelles durch den Medienkonsum in die Sinneswahrnehmung verlagert wird. Abgekoppelt davon wird die erotische Praxis, die als vermeintlich unmediale bleibt, was sie schon immer gewesen zu sein schien. Die erotische Praxis wird zum Gegenentwurf des pornographischen Films. Kochs Argumentation geht von der Feministischen Filmtheorie zur medientheoretischen Intervention. Zu fragen ist aber, ob die Medialisierung von Sexualität, die im 20. Jahrhundert noch viel weiter vorangetrieben wurde, nicht auch die Institutionen Bordell und Prostitution erfasst hat, die hier tendenziell noch eher auf der Seite eines Mehr-Sinnenbezuges stehen. Wenn die menschliche Sexualität als medial durchwirkt begriffen wird, ist auch die Prostituierte nicht mehr nur ein Medium für Sexualität: Sie ist selbst ein Sexualitätsmedium und – was die mediale Bestimmung betrifft – dem pornographischen Film vergleichbar. Pornographie, die sich etymologisch aus den griechischen Wörtern porne ›Hure‹ und graphein ›schreiben‹ ableitet, sie ist in der Neuzeit nicht mehr mit dem ›Hurenwesen‹ (Prostitution) verbunden, sondern sie entwickelte sich durch die Entkoppelung der Darstellung von der personell bestimmbaren Darstellerin zur heutigen Bedeutung von Pornographie. Die »primitive, die geschlechtliche Begierden reizende Darstellung der Geschlechtsteile oder sexueller Vorgänge in Wort und Bild«5, das ist heute die Hauptbedeutung von Pornographie.
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Vgl. Wahrig: Deutsches Wörterbuch, Gütersloh/München: Bertelsmann Verlag 1975.
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Die in der Pornographie übliche Körperfragmentierung, vor allem die Darstellung von, keinen konkreten Personen zuordenbaren Geschlechtsteilen hat in diese Begriffsdefinition Eingang gefunden. Neben der Sinnenanordnung werden von Koch die sozialen Orte und die Sexualitätsorganisation der Adressaten als determinierende Faktoren genannt. Nicht in theoriereflektierende Erwägung gezogen wird von ihr der Doppelbezug der Situation: Die im Bordell sitzenden, von Prostituierten umgebenen Voyeure sehen auf der Leinwand eine ›Szene im Harem‹ und bekommen damit – wenn auch indirekt – ihre eigene Situation gespiegelt, d.h. der Selbstbezug der Medien ist in dieser Situation überdeutlich. Die mediale Selbstreferenz, die die Referenzgrößen und Bezugsobjekte in ein theorieinszeniertes Wanken bringen kann und in vielen Film-im-Film-, Schauspieler-Schauspieler-spielend-Abhandlungen verhandelt wurden6, mag durchaus den Voyeur/Bordellbesucher in den Voyeur und den Bordellbesucher gespalten haben. Der pornographische Film, der sich eher von einer Neuorganisation der Sinne als irgendeinem Ursprungstrieb nährt, er beruht auf der Priviligierung des Auges, der Vorherrschaft des Partialtriebes der Skopophilie. Der Medien-Sinnenbezug ist hier – in der Tradition psychoanalytisch inspirierter Kulturtheorie – mit der psychischen Organisation von Begehren und Sexualität verschaltet. Der ›Wille zum Wissen‹ aktiviere das Auge, das einen Blick auf die Sexualität wirft, Schaulust werde zum Erkenntnisinstrument und Erkenntnis zur Schaulust. In diesem Doppelbezug finde die Pornographie ihren Platz in der Gesellschaft. In Kochs Darlegungen wird der pornographische Film zu einer Art selbstregulierendem System, einem System, in dem der Pornofilm auf den Pornofilm ›antwortet‹: »Die Assimilierung filmischer, pornographischer Phantasien entfernt sich noch einmal von der erotischen Praxis: assimiliert wird nicht die dargestellte Sexualität, sondern die Darstellung der Sexualität, der Pornofilm wird mit einem Pornofilm beantwortet.« (Koch 1989, S. 110)
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Vgl. u.a. Ames, Christopher: Movies about the movies: Hollwood reflected; Lexington, University Press of Kentucky 1997; Stam, Robert: Reflexivity in film and literature: from Don Quixote to Jean-Luc Godard; New York: Columbia Univ. Press 1992; Karpf, Ernst (Hg.): »Im Spiegelkabinett der Illusionen«: Filme über sich selbst; Marburg: Schüren 1996; Steinle Matthias/ Röwekamp, Burkhard: Selbst/Reflexionen: von der Leinwand bis zum Interface; Marburg: Schüren 2004.
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Prostitution als soziales Phänomen hingegen wird gemeinhin thematisiert als Vorherrschaft des (erwachsenen) genitalen Sexualtriebes, was heißt, dass dieser Partialtrieb der Schaulust für die sexuelle Erregung, die eine Objektbestimmung hat, in Dienst genommen wird. Praktizierte Prostitution ist in diesem Sinne eine Leugnung der Ausschließlichkeit der Skopophilie für die Sexualität! Führt nun Prostitution in der filmischen Darstellung demnach zu einem Widerstreit der Sinne? Wie stellt sich das Verhältnis, die Spaltung in Medienkonsum von Sexualität und das Erleben von Sexualität, dar, wenn prostitutive Sexualität im Film zu sehen ist?
Fazit 1 Der ›Prostituiertenfilm‹, so mein Einwand, kann je nach narrativer und ästhetischer Gestaltung von der medialen Selbstbezüglichkeit insofern ablenken bzw. das Referieren der Medien auf sich selbst übersteigen, als er andere Reize darstellt. Der in der filmischen Darstellung offen ausgestellte Verweis auf die Beteiligung anderer Sinne bei der Prostitution durchbricht die Alleinherrschaft der Schaulust (als Inbesitznahme der Welt durch die optische Organisation). In gewisser Weise ließe sich sagen: Der Pornofilm wird mit einem ›Prostituiertenfilm‹ beantwortet. Die Desillusionierung des ErotikVersprechens erfolgt über die Störung und Zerstörung der Schaulust. Die Desintegration filmischer, pornographischer Phantasien und erotischer Praxis wird im ›Prostituiertenfilm‹ deutlich markiert und zerstört die Schaulust durch die aufgezeigte Diskrepanz. Auf der Sujetebene erscheint die dargestellte Sexualität als problematisch, und die Darstellung der Sexualität wird nachgerade zum Anathema der erotischen Imagination und Sexualität des Zuschauers. Die erotische Imagination des Zuschauers wird nicht durch die Schaulust als Selbstzweck zerstört, sondern durch die negativ gespiegelte Alter Ego-Figur des Zuschauers, den Freier. Der Blick auf diese Negativfigur bewirkt eine Blick- und Identifikationsbrechung. Anders gesagt: Die imaginäre Inbesitznahme der Figur der Prostituierten ist durch die dazwischengeschobene Figur des Freiers verstellt, macht diesen zum Bild. In gewisser Weise wird die Situation des Zuschauers gespiegelt, denn Prostitution in der filmischen Darstellung steht ebenfalls für die Entfernung filmischer, pornographischer Phantasien zur erotischen Praxis.
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A . 4 . 2 . G . W. P ab s t s T A G E B U C H E I N E R V E RL O RE N E N : K i n o s t at t B o r d e l l »Thymian, die Tochter des Apothekers Henning, wird vom Provisor verführt und bekommt ein Kind. Die entsetzte Familie nimmt ihr das Kind fort und steckt Thymian in ein Heim, wo die Mädchen vom Heimleiter und der Erzieherin sadistisch gequält werden. Zusammen mit einer Freundin und mit Unterstützung des Grafen Osdorff, der sie liebt, flieht Thymian aus dem Heim. Als sie erfährt, dass ihr Kind tot ist, macht sie in einem zwielichtigen Restaurant als Kokotte Karriere. Nach dem Tod ihres Vaters erbt sie dessen Vermögen. Sie verzichtet jedoch zugunsten ihrer kleinen Stiefschwester, um ihr ein Schicksal wie das ihre zu ersparen. Als Osdorff von diesem Verzicht erfährt, stürzt er sich aus dem Fenster. Thymian lernt den Onkel des Grafen kennen, der sich in sie verliebt und sie heiratet. Als Mitglied eines vornehmen Komitees zur Rettung gefährdeter Mädchen muss sie nun auch das Erziehungsheim inspizieren, in dem sie selbst einst gewesen ist. Sie bekennt sich dort zu ihrer Vergangenheit, um den Mädchen und speziell ihrer wieder eingelieferten Freundin helfen zu können. Der Schlusstitel verheißt: ›Ein wenig mehr Liebe, und niemand kann mehr verloren sein auf dieser Welt!‹ Die Handlung ist reine Kolportage; aber die Wirkung des Films geht darüber hinaus. Die Elemente der Kolportage werden bei Pabst gleichsam zu einem Alptraum der bürgerlichen Welt, die er durch das erstaunlich moderne Spiel seiner Hauptdarstellerin entlarvt. An ihrer natürlichen Gelassenheit misst er die muffige Prüderie des Elternhauses, die sadistische Atmosphäre im Heim, die berechnenden Exaltiertheiten der ›Bohémiens‹ usw.« (Krusche/Labenski 2001, elektronischer Eintrag zu: TAGEBUCH EINER VERLORENEN)
Die der Frankfurter Schule verpflichtete Theoretikerin Heide Schlüpmann kritisiert in einer filmtheoriegeleiteten Rezension7 an Pabsts TAGEBUCH EINER VERLORENEN8, einem Film, dessen literarische
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Schlüpmann, Heide: »Das Bordell als arkadischer Ort? Tagebuch einer Verlorenen von G.W. Papst [sic!]«, in: Frauen und Film, Heft 43 (Sex am Arbeitsplatz); Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1987, S. 7691. TAGEBUCH EINER VERLORENEN, D 1929, Regie: Georg Wilhelm Pabst, Buch: Rudolf Leonhardt, nach einer Romanvorlage von Margarete Böhme, Kamera: Sepp Allgeier, Musik: Hans Jönssen, Darsteller/innen: Louise Brooks (Thymian), Fritz Rasp (Provisor Meinert), Sybille Schmitz (Elisabeth), Josef Rovensky (Apotheker Henning), Vera Pawlowa (Tante Frida), Kurt Gerron (Dr. Vitalis), Valeska Gert, Siegfried Arno. Filmographiert nach: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=36712, letzter Abruf April 2005.
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Vorlage9 sie studiert hat, den sie in seiner sexualreformerischen Position historisch und politisch einzuordnen weiß, »die Mischung aus Aufklärung und Lüsternheit« (Schlüpmann 1987, S. 76) und fragt, warum Bilder der Prostitution gewonnen werden sollten, »die von den naturalistischen Schlacken sozialer Problematik befreit sind« (ebd., S. 77). Ihre Antwort ist Siegfried Kracauers filmkritischem Impetus10 nicht unähnlich, hebt ab auf die kollektive psychische Disposition des Films. Sie geht ein auf die apparatetechnische Konfiguration, die sie als symptomatisch für die politisch-institutionelle Verfassung der Gesellschaft der Weimarer Republik ausweist: »Die teils emanzipatorische, teils sentimentale Anteilnahme des Romans am Leben einer für die bürgerliche Gesellschaft ›Verlorenen‹ ist dem analytisch distanzierten Blick für den sadomasochistischen Charakter gewichen, den die bürgerlichen Institutionen produzieren und reproduzieren, und der letztlich die repressive Gesellschaft auch nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs noch aufrechterhält.« (Ebd., S. 77)
Wird hier ein kritischer Blick freigegeben, oder wird der Anblick des sadomasochistischen Charakters übersehen oder gar zustimmend genossen? Auf dem Fuße folgt für Gesellschaft wie Regisseur die Bestätigung, sie seien patriarchal. Als Bestätigung werden Repressionen und Widerständigkeiten der Protagonistin gefunden. Diese können in einer feministisch-wissenschaftlichen Lesart noch decodiert werden und durch die Selbstausstellung und Sichtbarmachung auf das ansonsten unsichtbare Patriarchat hinweisen. Eine Figur der Argumentation, deren sich Schlüpmann häufig bedient. Schlüpmanns Kritik beruht auf scharfen Analysen der Filmkunst von G.W. Pabst, der Kritik des Pabst-Liebhabers Siegfried Kracauer11, der 9
Böhme, Margarete: Tagebuch einer Verlorenen: Von einer Toten; Berlin: Fontane 1905. 10 Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993; Originalausgabe: From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film; Princeton: Princeton University Press 1947. 11 In der genannten Studie (s. vorherige Anm.) äußert sich Kracauer zu Pabsts TAGEBUCH EINER VERLORENEN. Kracauer selbst verweist auf Wedekind. Schlüpmann zitiert jene Textpassage, in der Pabsts moralische Besserstellung des Bordells karikiert wird. Bemerkenswert für den Fortgang der Schlüpmann’schen Argumentation ist Kracauers Herausstellung der Affinität von Dekadenz und Sadismus. Er bespricht als einzige Szene die der zum Paukenschlag der Erzieherin strafexerzierenden Mädchen. Die
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Erotik-Ideen von Frank Wedekind12. Sie kommentiert sehr eingehend die spezifische Gemengelage aus Befürwortung freier Sexualität, kritischer Sicht auf die bürgerliche Sexualmoral, filmischer bzw. szenischer Sexualitätsdarstellung, Sozialproblematik der Prostitution und geschlechtsspezifischer Perspektive. Hatte Kracauer Pabst eine melodramatische Klischierung der von Louise Brooks dargestellten Prostituiertenprotagonistin Thymian vorgeworfen (»Dirne mit dem goldenen Herzen«, vgl. Kracauer 1993), so weist Schlüpmann auf frühere Ansatzpunkte Pabsts zur Sozialkritik13 hin. Für denjenigen, der Pabsts Hintergrund kenne, sei es weder verwunderlich noch verwerflich, dass dieser das Bordell als die der bürgerlichen Sexualmoral überlegene Institution darstelle. In der Rezeption der späten 20er Jahre, eine der bürgerlichen Sexualmoral, wurde die im Bordell gelebte Sexualität als verwerflich aufgefasst. Dieser Verwerfung stellt Schlüpmann eine Problematik des Films gegenüber – eine auch aus heutiger Zeit noch höchst problematische Sexualität (im Sinne einer Begehrensform): Das inzestuöse Begehren, das in der Begegnung zwischen Vater und Tochter zum Ausdruck kommt. Die Blindheit gegenüber dem inzestuösen Begehren, das auf filmimmanenter Ebene gezeigt wird und dort als nicht-problematisches herausgestellt wird, es gerät bei Schlüpmann als Virulenz des ödipalen Komplexes zu Aussage und Verdikt über Regisseur und psychische Gesellschaftsdisposition der Zeit. In dieser Begehrensform tritt eine erotisch regressive Sehnsucht zu Tage: Der Vater steht für das Patriarchat, die Sehnsucht nach ihm für den Wunsch, die patriarchale Ordnung zu etablieren. Hier gehen Psychoanalyse und Ideologiekritik zusammen. Die naturalistisch-sozialkritische Perspektive (die filmimmanente Ebene)14 und die Frage nach ideologischer Affirmation oder IdeologieVerbindung von Sadismus und orgiastischer Befriedigung wird bereits in Kracauers Szenenbeschreibung evoziert. Kracauer schließt offener und weniger eindeutig als Schlüpmann: »Wie Pudowkin zollt Pabst der Rolle der Sexualität im gegebenen Kontext Tribut.« (Kracauer 1993, S. 190) 12 Hier wird natürlich DIE BÜCHSE DER PANDORA, D 1928/29, R: Georg Wilhelm Pabst, angeführt, der Film, bei dem Frank Wedekind das Drehbuch mitgeschrieben hatte. Ebenfalls Erwähnung finden die Theaterstücke von Frank Wedekind: Das Sonnenspektrum und Totentanz. 13 Schlüpmann verweist auf den sozialkritischen Film: DIE FREUDLOSE GASSE, D 1924, Regie: G.W. Pabst. 14 »Niemand wird Papsts [sic!] Tagebuch einer Verlorenen mit einem sozialkritischen Film über Prostitution verwechseln und auch Kracauer, der in Papst [sic!] einen realistischen Regisseur sehen wollte, […]« (Schlüpmann
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kritik (filmanalytische Bewertung) löst Schlüpmann mit einer psychoanalytisch gedrehten Klassifizierung sexueller Begehrensformen nach dem Kriterium des ideologisch Progressiven oder ideologisch Regressiven. Das Kino ist progressiv, weil es der Regression einen Ort gibt, das inzestuöse Begehren dagegen regressiv.
Prostitution und Sadomasochismus »Wedekind, der mit dem Bund für Mutterschutz und Sexualreform15 sympathisierte, hatte ein Bewußtsein von der patriarchalen Beherrschung des Geschlechtslebens und bei aller männlichen Projektion eröffnet doch sein Werk eine oppositionelle Perspektive, die noch die radikale Frauenbewegung kaum formulieren konnte: nämlich die Prostitution als eine Form weiblicher Sexualität – und nicht nur der männlichen – zu sehen und ihren Anspruch ernst zu nehmen. Er verkehrt nicht nur den verachtenden Blick auf das Bordell in sein Gegenteil, sondern noch die sadomasochistische16 Lust darin erhält eine utopische Bedeutung: die des Aufstands der weiblichen Sexualität gegen ihre gesellschaftliche, männliche Verneinung.« (Ebd., S. 79)
An anderer Stelle hingegen scheint die Sexualität kein utopisches Potential mehr zu haben, steht vielmehr im Repressions-Verdacht: »Dort [im Bordell, Anm. H.W.], wo endlich der Lust ihr Recht wird, trägt sie die Male der repressiven Gesellschaft.« (Ebd., S. 78f.) Ein scheinbarer Wi1987, S. 76), so Schlüpmann gleich zu Beginn ihrer filmwissenschaftlichen Erörterung. In der Konfrontation von Pabst und Wedekind bzw. der Romanvorlage von Margarete Böhme und der filmischen Realisierung durch Pabst werden jedoch damalige sozialkritische Positionen zur Prostitution diskutiert mit dem Hinweis, dass Pabst diese nicht verwirklicht habe. Im Abgleich und im Bemühen, dem Film solche Repressionen und Widerständigkeiten abzugewinnen, scheint die Möglichkeit auf, die filmimmanente Ebene könne eine naturalistisch-sozialkritische Perspektive beinhalten. 15 Im heutigen Sprachgebrauch würde man den Bund für Mutterschutz und Sexualreform konservativ bis reaktionär vermuten. Doch der 1905 gegründete Bund vertrat progressive sexualreformerische Positionen, setzte sich unter anderem für eine Politik sexueller Selbstbestimmung für Frauen ein, und unter dieser Perspektive wurde auch die Prostitution diskutiert. 16 Sadismus und Masochismus sind keine harmonisch-komplementären Sexualformen, wie von der Psychoanalyse klar herausgestellt und auch im Rahmen der Feministischen Filmtheorie so rezipiert wurde. Die psychoanalytische Begriffsdefinition von Sadismus und Masochismus steht hier jedoch nicht zur Debatte.
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derspruch, der sich dadurch löst, dass Sadomasochismus Auswuchs von Repression ist, der eine Rebellion gegen diese Repression möglich macht. Die abgründige Dimension perverser weiblicher Sexualität ist Ausdruck der Repression und damit (Möglichkeit zu) Gesellschaftskritik. Die Positivsetzung des Sadomasochismus als progressive Lust erfolgt über den Bezug Pabsts auf Wedekind. Die Verbindungslinie, die nur in der Pabst-Verfilmung von Wedekinds Stück Die Büchse der Pandora offenkundig wird, soll, so Schlüpmann, weitreichend gewesen sein. So nimmt Schlüpmann Wedekinds Prostitutionsthematisierungen aus Sonnenspektrum und Totentanz, um sie gegen Pabsts, nach einer Vorlage von Margarethe Böhme entstandenen Vision in TAGEBUCH EINER VERLORENEN abzugleichen. Pabst fällt, so verglichen, hinter Wedekind zurück, sein Bordell ist ein arkadischer Ort, wo der Lust ihr Recht verschafft wird und die Male der repressiven Gesellschaft verschwunden sind. Statt des aufbegehrenden progressiven weiblichen Sadomasochismus herrscht der regressive männliche Inzestwunsch. Die sadomasochistische Lust ist bei Schlüpmann positiv aufgefasst, sie ist gegeben, besser und höher als die Verneinung oder Herabsetzung weiblicher Sexualität. Selbst in Filmen, die das Sujet ›Prostitution‹ verhandeln, wird herausgestellt, dass weibliche Lust vorhanden ist.17 Solch eine Positivsetzung weiblicher Sexualität wird auch dann erwartet, wenn Prostitution als männliche Machtbestimmung gedacht wird. Dass diese sadomasochistische Lust dann keine positive, d.h. ›unproblematische‹ Lust ist, sondern eine patriarchal-herrschaftlich durchwirkte, kann dennoch als »Aufstand der weiblichen Sexualität« und nicht als Besiegelung ihrer Unterdrückung gedeutet werden. Denn damit werden die »Male der repressiven Gesellschaft« offen zur Schau gestellt und damit haben sie – gemäß Schlüpmanns Stummfilmthese – einen aufklärerisch-emanzipatorischen Effekt. Grundlegend für Schlüpmanns Lesart des Sadomasochismus, ihrer feministisch-filmwissenschaftlichen Interpretation, sind
17 Vgl. z.B. Feldvoß, Marli: »Prostitution und Mord. Zu Marleen Gorris neuem Film Zerbrochene Spiegel«, in: Frauen und Film. Heft 38 (Maskerade); Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1985, S. 116-119; eine Reflexion auf diese Erwartungshaltung findet sich in: Brauerhoch, Annette: »Auf’s Geld gekommen. Lizzie Bordens Working Girls«, in: Frauen und Film, Heft 43 (Sex am Arbeitsplatz), Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/ Roter Stern 1987, S. 102-106.
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bestimmte, teils zuvor schon dargelegte Thesen.18 So die Sichtbarmachung durch Selbstausstellung des Patriarchats im wilhelminischen Kaiserreich und damit der Ausweis einer heimlichen Komplizenschaft von wilhelminischem Patriarchat und weiblicher Emanzipation. Durch die Selbstausstellung des Patriarchats kann eine rationale Durchdringung des Irrationalen seitens der männlichen Zuschauer erfolgen. Wird der Sadomasochismus hingegen nicht mehr explizit ausgestellt, wird seine Existenz unsichtbar: »Er bildet das latente Element auch dieser bürgerlichen Institution. Dem Ort für die Befriedigung der männlichen Sexualität ist die allgemeine Versagung eingeschrieben.« (Ebd., S. 79, Hervorhebung im Original) Mit dieser Funktionalisierung gerät der Sadomasochismus in die Regression, wird Teil einer legitimierenden bürgerlichen Ideologie. Damit ist das Bordell nicht mehr jener Nicht-Ort, jene Utopie, die das Bordell bei Wedekind noch hatte sein können. Schlüpmann schlussfolgert daraus, dass – bedingt durch den Wegfall der Andersheit – das Bordell zur repressiven Institution wird: für beide Geschlechter. Das Eingeschriebensein der »allgemeinen Versagung« wird von ihr nicht weiter präzisiert, es bleibt unklar, ob es um eine Versagung der sexuellen Lust geht oder ob sich die Versagung auf politische, sexualreformerische Ziele bezieht. Die ganze Anlage der Schlüpmann’schen Argumentation läuft auf letztere hinaus. Der Film, für den eine naturalistische Darstellung der Sozialproblematik ›Prostitution‹ zurückgewiesen wird, verweist auf einen Realitätsstatus und einen Realismusbegriff, der die ›innere Wahrheit‹ des Films bedeutet, ein Realismusbegriff, der den symbolischen Gehalt als Proprium des Films nimmt. Damit werden psychoanalytische Konzepte (Sadomasochismus), die ja immer investigativ in der Psychoanalyse aufgedeckt werden müssen, nicht an der Oberfläche sichtbar sind, zum genuinen Filminhalt19. Zum einen die Prostitution zu denken als eine Form weiblicher Sexualität, die Aufbegehren und sexuelle Lust zugleich bedeutet, und zum anderen das Bordell als einen Ort der allgemeinen Versagung zu etablieren, 18 Vgl. Schlüpmann, Heide: Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos; Basel et al.: Stroemfeld/Roter Stern 1990. 19 »Im Licht der literarischen Phantasie wird im Film die ganze bürgerliche Welt transparent auf ihren sadomasochistischen Zusammenhalt hin. Diese Transformation reflektiert eine historische Erfahrung, die sich aber nicht in der inhaltlichen einer ›realistischen‹ Darstellung der Prostitution ausdrückt.« (Schlüpmann 1987, S. 79)
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sind die pointierten Endpunkte einer dialektisch vorgehenden Interpretation. Im feministischen Themenspektrum sind das ungewöhnliche Bezüge. Denn Schlüpmann gleicht Pabst negativ ab gegen eine Utopie, die in der dialektischen Umwertung der patriarchalen Werte zustande gekommen ist: Die Sexualutopie, die mit einem Bordell verbunden sein könnte, scheitert an der Bürgerlichkeit des Bordells. Das Bordell ist also nicht von vornherein und eo ipso als Ort weiblicher Sexualitäts- wie genderUnterdrückung zu sehen. Es wertneutraler in seiner Funktion als institutionalisiertem Ort der Befriedigung männlicher Sexualität zu untersuchen, es an seinem eigenen Maßstab zu messen und – paradigmatisch – scheitern zu lassen, ist Schlüpmanns Theorieprogramm, das dann am Film bestätigt wird. Diese interpretative und argumentative Vorgehensweise hat den Vorteil, dass die mit der Prostitution verbundene Widersprüchlichkeit, die gerade aus dem Konflikt unterschiedlicher ideologischer Sichtweisen oder thematischer Aspektierungen (z.B. Sozialproblematik der Prostitution versus sexualliberale Einstellung) entsteht, umgangen wird. Die festgefahrene Widersprüchlichkeit der Prostitutionsdebatte wird damit nicht wiederholt, sondern dialektisch weitergetrieben. Utopie und Film-Realität werden als Widersprüche aufeinander bezogen und nicht Filmrealität auf vorfilmische Realität. Schlüpmann oszilliert in ihrer Pabst-Interpretation zwischen dem Nachweis einer expliziten Zurschaustellung (und damit Einsichtigkeit und wirksamem Gesellschaftskritik) und einer Latenz-Regressions-Unsichtbarkeitszuschreibung. Dass eine ideologiekritische Sicht sich in der Rezeption Bahn brechen kann, hängt für Schlüpmann an der Explizitheit, die sich nur in der Gleichzeitigkeit zweier Ebenen realisieren kann: in der Motivanlage/Plotkonstruktion/Übersetzung des symbolischen Gehalts und im Zeigen/Lesen von Sexuellem, von Bildern, die keine Übersetzbarkeit mehr haben, die keine Verweise mehr sind, sondern Ausweis ihrer selbst. Das sexuelle Bild aber muss als gesellschaftspolitisches Dispositiv gelesen werden können, nicht als ›private Lust‹. Der »Blick für’s Sexuelle« (Schlüpmann 1987, S. 80) besteht im Vater-Tochter-Begehren, das aber kein sexuelles Bild bringt, sondern den Blick auf den ›Ort einer Sexualität vor dem Sündenfall‹ in die Apparatur verlegt: »An die Stelle des Bordells ist das Kino getreten.« (Ebd., S. 80) Die Explizitheit der Sichtbarkeit stellt das Sichtbare als Sichtbargemachtes aus, d.h. verlagert es in die Apparatur. In meinen metatheoretischen Diskursüberlegungen nur ein Blick auf Schlüpmanns dialektische Wendungen: Ihre interpretative Arbeit beginnt mit der für Feministische Filmtheorie so basalen Einbeziehung psychoanalytischer Theoreme und Problemfiguren der weiblichen masochisti-
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schen Ästhetik und dem Sadismus: Das inzestuöse Begehren ist regressiv, geht »von der Auflehnung zur Unterwerfung«. Inzest und sadistischer Voyeurismus sind ebenfalls regressiv – wie die Sehnsucht nach männlicher Omnipotenz. Der Masochismus ist eine ideologisch progressive Lust und als gesellschaftliches Dispositiv progressiv. Masochismus als private Lust hingegen ist gesellschaftlich regressiv – so jedenfalls liest sich die Konkretisation von Psychoanalyse in der Feministischen Filmtheorie. Auf Pabst bezogen heißt das: das Offenkundige, Sichtbare des Sadomasochismus als repressive sexuelle Gewalt wird von ihm sehr moderat dargestellt, ins Private zurückgenommen. Die Chance des Politischen, die Abgründe der Gesellschaft herauszustellen, wird so, Schlüpmann zufolge, vertan. Sie sieht im Bordell das Versagen des Bordells als Befriedigungsort männlicher Sexualität, und das Zur-WareWerden der Frau interpretiert sie als Ende der Verfügung über die Frau (!). Der Realismus liegt folglich nicht in der Darstellung der Prostitution, sondern der Sadomasochismus in seinem symbolischen Gehalt macht den Realismus aus. Schlüpmanns Argumentation braucht die »provokativ offene sexuelle Perversion« (ebd.), nicht die Herausstellung der »herrschenden Sozialpsyche« (ebd.). Das Bordell stelle für Wedekind oder Pabst, so Schlüpmann, ›eigentlich‹ Sexualitätsunschuld dar, die verbotene Sexualität im Bordell werde daher gegen die noch ›verbotenere‹ Sexualität des inzestuösen Begehrens positiv gesetzt. Zielpunkt von Schlüpmanns Argumentation ist die Vertauschung von Bordell und Kino. Die ursprüngliche Funktion des Bordells habe das Kino übernommen, das patriarchale Kino schlage die Frauen in seinen Bann. Die Argumentation Schlüpmanns, durch die psychoanalytische Termini ideologischkritisch als entweder gesellschaftlich progressiv oder regressiv in dialektischen Wendungen ausgemacht werden, sie ist das Ergebnis einer programmatischen feministischen Annäherung an Prostitution. Auf keinen Fall soll Prostitution moralisch verurteilt werden, auf keinen Fall soll aus der Prostituierten ein Opfer gemacht werden. Und doch opponiert diese Argumentation gegen die Prostitution.
Sadismus, Masochismus, die Apparatur und das Geschlecht Schlüpmanns Rezension ist zum einen zu verstehen im Horizont dessen, was in der klassischen Feministischen Filmtheorie Rang und Evidenz beansprucht: die Bild-, Blick-, und Zuschauer/-innen-Identifikation, deren geschlechtsspezifische (oder schlimmstenfalls geschlechtssymbolisti107
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sche) Zuschreibungen bzw. deren Negationen. Zum anderen scheinen medientheoretische Interventionen durch, wenn Schlüpmann im kinematographischen Dispositiv Psychoanalyse und Apparatur nicht nur nach Realität bzw. Realitätseindrücken auslotet, sondern von ihr Macht, verbunden mit Geschlecht, mit dem kinematographischen Dispositiv in Beziehung gesetzt wird. Das kinematographische Dispositiv, nach Baudry ein basales medientheoretisches Dispositiv20, das den technischen Kino-Apparat als imaginierten Realitätseindruck des/der Zuschauer/-in reinterpretiert, also die Psyche als einen Apparat auffasst, der der Apparatur der Technik entspricht, dies wird bei Schlüpmann mit deutlicher ideologiekritischer Perspektive vermittelt. Hatte schon Baudry eine Inversion von Platons Höhlengleichnis vorgenommen, so unterzieht Schlüpmann diese Inversion einer weiteren Inversion. Platons Aufklärung und Licht (Wahrheit und Erkenntnis) wird als Macht aufgefasst und Gesellschaftsanalyse wird zur gesellschaftlichen Realität der Psyche, die Technologie des Unbewussten aber wird zum Abbild bewusster wie unbewusster gesellschaftlicher Verhältnisse. Und für Sadismus und Masochismus bedeutet dies, sie sind ideologische Zustände, Gesellschaftsausprägungen. Nicht im Individuellen haben sie ihre Ursache, stellen keine individuelle Devianz dar, sondern sie stehen für tendenziöse subversive und affirmative Lesarten bzw. Analyseergebnisse. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen sind dabei nicht metonymische Überlagerungen mit apparatetechnischen Zuschreibungen (wiewohl sich in ihrer Argumentation häufig solche Verbindungen finden, zum Beispiel wenn vom sadistischen männlichen Kamerablick die Rede ist), sondern sie verbinden sich mit psychischen Devianzzuständen, sodass Partialtriebe und Lüste nach gewünschten bzw. kritisierten gesellschaftlichen Zuständen unterschieden werden. Das kritische Aufdecken von Realismusgehalt durch die apparatetechnische Leistung folgt einer Logik, die in der möglichen Realismusherstellung durch den kinematographischen Apparat Kritikpotenzial entdeckt und anschließend negiert. Man könnte von einer kulturhistorisch und kulturkritisch geerdeten Psychoanalyse sprechen. Denn es gibt nun nicht nur ein unbewusstes Mediales (das der sadistischen männlichen Kamera z.B.), sondern auch ein mediales Unbewusstes (wenn z.B. die Schauspie-
20 Vgl. Baudry, Jean-Louis: »Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks«, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, hg. v. Margarete Mitscherlich, 48. Jahrgang, Heft 11, November 1994, S. 1047-1074.
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lerin zum Medium und die Schauspielerinnenerscheinung naturalisiert wird). Exemplarisch zwei Zitate zur Verschränkung von Geschlecht, Psychoanalyse und Apparatur: »Sie [die Schauspielerin] ermöglicht die lustvolle Einfühlung des Zuschauers in die Apparatur, des Autors ins Überich.« (Ebd., S. 86) »In Tagebuch einer Verlorenen wird die objektive moralische Welt durch die entlarvende Macht der Apparatur transformiert in die subjektive Aktivität eines sadistischen Voyeurismus. Die subjektive Realität der Schauspielerin hingegen wird unter dem reproduzierenden Zugriff objektiviert zum Schein von NaturPotenz. Schön ist dieser Schein, weil die Bedrohung durch das Andere in ihr bewältigt ist, sie nicht mehr zur Beherrschung sondern zum Genuß der Beherrschung reizt.« (Ebd., S. 86)
Die Schauspielerin steht also im Dienste einer als männlich gedachten Apparatur, d.h. die Subjektivität das Weiblichen verschwindet durch die Medialität des Filmischen. Die Apparatur bewirkt die geschlechtsspezifische Aufteilung und Bewertung: in einen männlichen sadistischen Voyeurismus, also eine männliche Subjektivierung von Objektivität, und in eine Auslöschung weiblicher Subjektivität.
Kino statt Bordell Wenn, wie behauptet, an die Stelle des Bordells das Kino getreten ist, wie lässt sich die Institutionenvertauschung von Kino und Bordell beschreiben? Und was bedeutet dies für eine gendertheoretische Positionierung? Angenommen, Kino sei patriarchal nicht im Sinne seiner technischen Apparatur, sondern seiner gesellschaftsdispositiven Anordnung, der sadistische Voyeurismus des Blicks aber der der Kamera. Ist er progressiv? War das Bordell utopisch, insofern als es einen Ort gab für den Sadismus und damit die Ausstellung der Repression, so ist nun die Kamera die explizite, sichtbar machende Ausstellerin eben dieser Repression – so könnte es scheinen. Die apparatetechnische Disposition, auf die Baudry abhebt, Zuschauer, Leinwand, dunkler Kinoraum, alles das vermittelt dem Rezipienten, nicht der Rezipientin, die Allmacht des Filmemachers. Dem widerspricht Schlüpmann und beharrt auf der Möglichkeit bzw. Faktizität einer eigenen Lesart der Apparate – Dispositionen durch das weibliche Publikum. Sie unterteilt dazu den Film in einen radikalen Hauptteil und einen konventionellen Schluss, und für ihn weist sie aus, dass »[…] die Heldin Züge einer bürgerlichen Frauenexistenz annimmt – eine Rettungsphanta109
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sie der sogenannten kleinen Ladenmädchen«21 (ebd., S. 80). Anders der radikale Hauptteil: »Einen viel stringenteren Zusammenhang zwischen Ausgrenzung des weiblichen Publikums und fesselndem Spiel mit ihm fördert jedoch die Analyse des Hauptteils zutage. Seine radikale Ästhetik geht dem Schein des Kinos auf den Grund: als Institution von Männern für Männer, die Frauen in seinen Bann zu schlagen.« (Ebd., S. 80)
In der Theorietradition der Feministischen Filmtheorie spielte die Frage nach der Position der weiblichen Zuschauerin, ihrer Möglichkeit (dennoch) Filme zu genießen, über viele Jahre eine zentrale Rolle. Subversive Blickstrategien und gegengeschlechtliche Identifizierungen waren theoretische Entwürfe, die die Subjektivität des Weiblichen in die Rezeption wieder einschrieben, nachdem der Film der Frau den Objektstatus zugewiesen hatte.22 Schlüpmann legt die Ausstellung als Grundkriterium für Subversion an (ähnlich wie bei ihrer Argumentation, dass der Sadomasochismus dann problematisch werde, wenn er ins Private verlagert werde, weil damit seine gesellschaftskritische Wirkung verloren ginge). Eine gesellschaftskritische Wirkung aufgrund psychischer Devianz anzunehmen, heißt, zu setzen, dass die psychische Disposition gesellschaftlich produziert ist. Schlüpmann durchdringt mit dem ideologischen Kritikrepertoire der Frankfurter Schule den Film als Institution, Disposition und ästhetische Realität und damit indirekt die psychoanalytischen Termini Sadismus und Masochismus. Diese haben jedoch eine andere Logik des Unbewussten und lassen sich schwerlich mit der bewussten Rationalität, aus der heraus Ideologiekritik betrieben wurde, erfassen. Schlüpmann legt stets zumindest die Chance zur kritischen Sicht dar, die wahrgenommen werden kann oder ausgelassen. So erklärt sich auch die eigentümlich ambivalente Konstruktion des Sadomasochismus, der bei Wedekind kritisch gerichtet war, bei Pabst ins Unkritische umschlug. Der den Frauen eigene spezifische Zugang zu Kino und Film ist also höchstens partiell subversiv, und er gelingt weder im konventionellen noch im unkonventionellen Teil. Der männlich-sadistisch voyeuristische Blick der Kamera kann also, obwohl Schlüpmann einen eigenen Frauenzugang annimmt, nicht 21 Heide Schlüpmann spielt hier an auf: Kracauer, Siegfried: »Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino«, in: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays; Frankfurt a.M. 1977, S. 279-294. 22 Mit der Theorietradition Feministischer Filmtheorie werde ich mich im Kapitel B.2. auseinandersetzen.
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durch die Frauen, ihre rezipierenden Blicke gebrochen werden, denn dieser Blick ist der herrschenden bürgerlich-partriarchalen Logik schon untergeordnet. Dass eine »Vergegenwärtigung von Realität« bzw. ein Gefühl diesen historischen Zusammenhang außer Kraft setzen oder durchschlagen möge, ist Schlüpmanns Idee und Hoffnung. Gleich zu Beginn ihrer Darlegung, warum das Kino Bordell sei, also im zweiten Teil der Kritik, in dem die konkrete Filmästhetik und das allgemeingültige Apparatedispositiv mit der filmanalytisch kritischen Bewertung der Autorin zusammengehen muss, stellt Schlüpmann als ihr argumentatives Ziel klar heraus: »Die (Wieder-)Herstellung eines Gefühls (verlorener) Macht – eben die des Patriarchen – über die Realität, in deren Zentrum die Frau steht, setzt die Vergegenwärtigung von Realität voraus. Tagebuch einer Verlorenen nimmt realistische Traditionen des Kinos auf.« (Ebd., S. 82)
Die Dialektiken von geschichtlich Bedingtem und von geschichtlicher Bindung Befreiendem prägen sich aus in Schlüpmanns Rekonstruktion von Filmgeschichte. Ihr erscheint die Frühphase des Kinos als Locus amoenus, als der glückliche Augenblick des weiblichen Sehens. Die explizite Ausstellung der weiblichen Erfahrung der Unterdrückung und somit der weiblichen Identifikation mit dem Dargestellten, die Tendenz zur ungestellten Realität, die sich der Neuheit und der spezifischen Technik des Kinematographen schuldet, alles dies findet Schlüpmann zufolge in der frühen Kinogeschichte bis 1914 statt. Dieser große historische ›Augenblick‹, Augenblick der gelingenden Selbst-Vergegenwärtigung durch weibliche Filmrezeption, man ist versucht vom ›Goldenen Zeitalter‹ zu sprechen, wird im Lauf der weiteren Filmgeschichte geschmälert, ja ruiniert. Psychologisierendes Spiel, Unterwerfung des Kinos durch kommerzielle und politische Machtinteressen machen ihn vergessen. Pabsts Film nun, entstehend in einer Zeit, in der sich die Melodramatisierung des Kinos schon fortentwickelt hat, greift auf diese realistischen Momente zurück, und so wird er zu Schlüpmanns Demonstrationsfall der Differenz. Was sich in der Frühphase des Kinos allerdings in der Kinotechnik selbst eignete, es erscheint nun als filmästhetische und stilgeschichtliche Eigenheit, als Neue Sachlichkeit. Die Differenz von apparativer Technik und ästhetischer Epochendarstellung ist mit einer deutlichen Bewertung bzw. Abwertung verbunden: »[…] das ohnmächtige Festhalten an der fotografischen Eröffnung des Blicks für die Wirklichkeit droht umzuschlagen in die abstrakte Behauptung von Macht in der Präsentation des Apparats.« (Ebd., S. 82) 111
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Dass sich die Macht im Apparat einlagert, ist eine abstrakte Behauptung und kaum Resultat filmgeschichtlicher Reflexion oder von Filmanalyse. Die Dialektik, die die Argumentation vorantreibt, verheddert sie zugleich. Filmwahrnehmung und Wirklichkeitskonstitution, zumindest als Realitätseindruck, seien folgendermaßen zu verstehen: Die Zerstückelung des Körpers und des Raumes in der filmischen Oberflächenwahrnehmung sei keine Wirklichkeitsverbergung mehr. Die dem Psychologisierenden entgegenwirkende Zerstückelung schaffe einen neuen Realismus. In eleganter negativer dialektischer Wendung: Es trete »in gewisser Hinsicht […] noch die Zerstückelung für die Rettung der äußeren Realität ein.« (Ebd., S. 83) Nicht nur der heilstheologische Terminus der ›Rettung‹ verweist hier auf Kracauer. Die Kamera ordne sich nun Dinge und Personen unter, sodass das Sichtbare zum Sichtbargemachten werde, das Sichtbare also eine Realität der Apparatur werde. Der Realismus bestehe nun darin, dass das filmische Medium seine Macht mitteile.
Fazit 2 Was wie eine Darlegung der Realismusillusion des Kinos wirkt, verbindet sich mit dem Sadomasochismus, den Pabst, Schlüpmann zufolge, als Kern der Bürgerlichkeit ausgemacht habe. Da der Realismus nun auf der Filmoberfläche liege, so werde auch der Sadismus durch den kinematographischen Apparat, durch Kamera und Montage konstituiert. Bleibt hier noch in der Schwebe, ob sich dies nur auf den Film bezieht, oder ob der Sadismus zur generellen männlichen Kamerablickeigenschaft wird, so legt Letzteres die spätere Synonymisierung nahe. Die Verbindung von Sadismus und Bürgerlichkeit, ihr Wesenskern sei »quasi transzendentale, nämlich ihr Dasein für uns konstituierende Kraft« (ebd., S. 83). Zwar wird der Sadismus durch die filmtechnischen Möglichkeiten konstituiert, die sadistische Blickkontrolle aber wird in der Analyse einzelner Sequenzen an Filmfiguren festgemacht. Der patriarchalen sadistischen Blickkontrolle stehe eine weibliche masochistische Blindheit gegenüber – oder vielmehr zur Seite. Nach Schlüpmann können das Dispositiv des Kinos und das Dispositiv des Bordells eines leisten, ein Positives: den sadistischen Blick des Voyeurismus.
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B.1. W I S S E N S C H A F T U N D P R O ST I T U T I O N . EINE TRANSDISZIPLINÄRE UNTERSUCHUNG: WISSENSCHAFTLICHE PROSTITUTIONSDISKURSE B.1.1. Schisma der Prostitutionsdebatte: W i s s e n s c h af t u n d P o l i t i k Im Folgenden werde ich Hauptströmungen des wissenschaftlichen Prostitutionsdiskurses nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 90er Jahre hinein darstellen, vor allem unter einem Aspekt, der Art der Devianzzuschreibung und Asymmetriekonstruktion, die diesen Diskurs geprägt haben. Fast immer ergibt sich aus der Konfrontation der unterschiedlichen, ideologisch ausgerichteten Thematisierung von Prostituierter und Freier die Crux der Argumentationen. Am Beispiel der Gesetzgebung Deutschlands und Schwedens stelle ich zwei Umgangsweisen mit dem Inkriminierungsproblem in der Prostitution gegenüber: In der BRD wurde Prostitution legalisiert, in Schweden verboten. In diesen beiden, polar entgegengesetzten Regelungen spiegelt sich der von Belinda Carpenter1 herausgestellte strukturelle Dualismus der Prostitutionsdebatte im politischen Bereich. Mit Carpenter werfe ich zunächst einen Blick auf den wissenschaftlichen, feministisch orientierten Prostitutionsdiskurs, stelle dann unter Berücksichtigung gendertheoretischer Kategorien die Grundzüge des feministischen Prostitutionsdiskurses dar. Das Missverhältnis zwischen der Verfasstheit moderner, liberaler Demokratien einerseits und der wissenschaftlichen Prostitutionsdiskurse andererseits sowie eine noch ausstehende Neukonzeption der gesellschaftlich-politischen Auffassung von Prostitution glaubt Carpenter überwinden zu können mit einer gesellschaftlich neu positionierten gendertheoretisch-philosophischen Konzeption der Geschlechter. Vorab eine Klärung, Erklärung meiner Terminologie. Ich stelle dem in der internationalen Literatur des sozialwissenschaftlichen Prostitu1
Vgl. Carpenter, Belinda J.: Re-Thinking Prostitution. Feminsism, Sex and the Self; New York/Frankfurt a.M.: Lang 2000.
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tionsdiskurses gebräuchlichen Begriff der Prostituierten das deutsche Wort ›Freier‹ an die Seite bzw. gegenüber. Das angloamerikanische, aus dem Prostitutionsjargon übernommene Wort ›john‹2, eine analog zu vielen populären Synonymen für Prostituierte abschätzige Bezeichnung für den Freier, hat in fiktionalen Narrationen der Prostitutionsrealität seine Berechtigung. Damit die Referenz auf diese Narrationen nicht in den Registern wissenschaftlicher Neutralität verschwindet, sondern zur Sprache kommen kann, greift man im Wissenschaftsdiskurs die Jargonbegriffe für Prostituierte und Freier auf. Nicht selten aber impliziert ein wertneutral gewählter Begriff dennoch eine Wertung. Wird zum Beispiel der Freier neutral als ›Kunde‹ bezeichnet, so führt dies zu einer Asymmetrie gegenüber der Bezeichnung ›Prostituierte‹, mit der unweigerlich die Sexarbeit mitkonnotiert ist – eingeschlossen deren pejorative Konnotationen. Wählt man den Begriff ›Kunde‹ als wertneutrales Pendant zum ›Freier‹, so ist der Kunde nicht nur frei von der Assoziation Sex, sondern damit ist die Rechtmäßigkeit des Kaufaktes von Sexualität schon mitbehauptet, überwiesen ins Register bindender Gesellschaftsverträge. Aus allen genannten Gründen spreche ich – in pragmatischer Abwägung aller möglichen Missdeutungen – vom ›Freier‹, wissend, dass auch dieser Begriff in einem traditionell belasteten Bedeutungszusammenhang steht, seine Tücken hat.
Inkriminierung, Regulierung und Deregulierung von Prostitution In der deutschen Diskussion wurde von Selbstorganisationen Prostituierter darauf hingewiesen, dass Prostituierte zwar Steuern zu entrichten hätten, ihnen jedoch Renten- und sonstige Sozialleistungen wie Krankenversicherung etc. verweigert würden – worauf sie den deutschen Staat ›einen Zuhälter‹ schalten3. Mit der offiziellen richterlichen Aufhebung der Sit2
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In englischen Übersetzungen wird aus dem deutschen, um Distanz, Neutralität bemühten Wort ›Freier‹ meist ›john‹. Die Nähe dieses Begriffs zur Umgangssprache, zu deren abwertenden Konnotationen, kann, je nach Kontext, als besonders gegenstandsnah verstanden werden oder als Zeichen von wissenschaftliche Gegenstandskonstitution unterminierender Distanzlosigkeit. taz-Artikel vom 16.11.96: »Zuhälter Staat. Interview mit Irmingard Schewe-Geringk, die Ende des Monats für die grüne Partei einen Gesetzentwurf zur Anerkennung der Prostitution als Beruf in den Bundestag einbringen wird.« Vgl. ebenfalls: Deutsche Hurenbewegung (Hg.): Prostitution, Job,
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tenwidrigkeit von Prostitution am 1.12.20004 ist die auf der Prostitution lastende Inkriminierung aufgehoben, Prostitution mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten als Beruf anerkannt worden5. Deutsche Prostituierte haben seither ein Recht auf Sozialversicherungen und Arbeitsverträge6.
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Arbeit, Beruf – Broschüre zum Gesetzentwurf zur rechtlichen und sozialen Gleichstellung von Prostituierten mit anderen Erwerbstätigen, Januar 1996. Siehe: www.gleichberechtigung-goes-online.de, Rubrik: Archivübersicht; letzter Abruf August 2004. Artikel und Broschüre erschienen vor dem Grundsatz-Richterspruch, der die bis dahin bestehende Sittenwidrigkeit der Prostitution aufhob. Vgl. Baer, Susanne: »Prostitution nicht sittenwidrig (Café P.). Urteil des VG Berlin mit Anmerkungen von Susanne Baer«; in: STREIT – Feministische Rechtszeitschrift; Frankfurt a.M., Heft 1, 2001, S. 11-20 bzw. www.gleichberechtigung-goes-online.de/pdf/pro_4.pdf, letzter Abruf August 2004. Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, Drucksache 14/5958 v. 08.05.2001, abrufbar auf der Seite des Deutschen Bundestages, www.bundestag.de, letzter Abruf August 2004. Der Klage der Berliner Prostituierten und Bordellbetreiberin Felicitas Freimann auf Aufhebung der Sittenwidrigkeit von Prostitution wurde stattgegeben mit der Begründung, Prostitution als sittenwidrig anzusehen, sei eine unzeitgemäße moralische Ansicht. Diesem Urteilsspruch ging eine jahrzehntelange Diskussion voraus, die mit den Bestrebungen der Abolitionistinnen der ersten historischen Frauenbewegung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen hatte. Lida Gustava Heymann schreibt in ihren Memoiren über den »4. Hamburger Zweigverein der Internationalen Abolitionistischen Föderation«: »Anita Augspurg berichtete mir 1897 eingehend über den letzten internationalen abolitionistischen Kongreß in London, wo sie Josephine Butler das Versprechen gegeben hatte, auf diesem düsteren Gebiete erneut den Kampf in Deutschland aufzunehmen. Unter der Devise: es gibt nur eine Moral, sie gilt für Mann und Frau, und wir fordern die Abschaffung der staatlichen Reglementierung der Prostitution – die unter dem Vorwande der Hygiene eine durch die medizinische Wissenschaft längst ad absurdum geführte Sicherheit vortäuscht – zogen wir in den Kampf und gründeten in Hamburg im September 1897 den ersten Zweigverein der Internationalen Abolitionistischen Föderation in Deutschland.« (Heymann 1992, S. 62f. Hervorhebung im Original. Als Beispiel aus jüngerer Zeit sei auf Rita Süßmuth verwiesen, die in ihrer Amtszeit als Bundestagspräsidentin eine parteiübergreifende Kommission leitete, die die Anerkennung von Prostitution als Beruf forderte. Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Bestrebungen
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In Umkehrung der bisherigen Inkriminierungslogik hat Schweden als erstes europäisches Land mit dem Verbot der Prostitution am 1.1.99 ein Gesetz erlassen7, das Freier, nicht die Prostituierten, unter strafrechtliche Verfolgung stellt. Diese werden polizeilich registriert und müssen eine Geldbuße von mehreren Hundert Kronen bezahlen, wenn ihnen – nach dem Grundsatz demokratischer Rechtsstaaten, der Annahme der Unschuld des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils – nachgewiesen werden kann, dass sie die Dienste einer Prostituierten angenommen haben8. In vielen Ländern der Welt, auch der ›westlichen‹, wird die traditionelle juridische Inkriminierung und moralistische Verpönung fortgeschrieben; in vielen Bundesstaaten der USA beispielsweise. Strategien der Umkehrung dieser Inkriminierung bilden die eine Seite des Versuchs, ein neues Verhältnis zur Prostitution zu entwickeln. Die andere Seite kommt nicht intentional, über den politischen Diskurs, juridische oder politische Regelungen zum Zuge, sondern funktional. Der gesellschaftliche Kontext, in dem Prostitution stattfindet, ändert sich und damit verändert sich auch die Bedingung der Möglichkeit von Prostitution, eingeschlossen die ihrer Inkriminierung. Zunehmende Liberalisierung von Sexualität entzieht der Prostitution nicht, wie in mancher früheren Argumentation spekuliert worden war, die ökonomische und soziale Grundlage, macht sie nicht überflüssig, sondern führt zu einer Ausdifferenzierung der Prostitutionspraxis, die nun nicht mehr in klarer ausschließender Opposition zur moralisch sanktionierten nicht-prostitutiven Sexualität steht, sondern eine Sonderform von sexueller Praxis ist. Denn macht man die Einigkeit zweier Erwachsener zum einzigen, minimalistisch legitimierenden Kriterium von (prostitutiver) Sexualität und leitet daraus ab, dass der Staat in
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(Heymann und Augspurg forderten und erreichten schließlich 1923 die Schließung der Hamburger Bordelle), gemein blieb mit Kampf gegen die Staatsführung von Bordellen bzw. Polizeikontrollen unterstellten Bordellen gesetzliche Asymmetrien und Inkriminierungen aufzuheben. Vgl. Boethius, Maria-Pia: »Das Ende der Prostitution in Schweden?«, in: STREIT – Feministische Rechtszeitschrift; Frankfurt a.M., Heft 1, 2001, S. 6-10. Die besondere Schwierigkeit der Ordnungshüter, zweifelsfrei die Möglichkeit promiskuitiv gelebter Sexualität auszuschließen, nimmt nicht nur in der Berichterstattung der Medien komische Züge an. Ein französischer Fernsehsender hat in der Magazinsendung Zone interdite (September/ Oktober 2001) die praktischen Folgen der schwedischen Gesetzesnovelle am Beispiel eines Polizeieinsatzes demonstriert, ›dokumentiert‹, damit die Peinlichkeit des Verfahrens für alle Beteiligten herausgestellt.
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diesem Fall nicht interventieren dürfe, Prostitution gesellschaftlich anerkannt und moralisch rechtmäßig9 sei, so ist mit diesem ›consenting of two adults‹ keine Einigkeit im harmonischen Sinne gemeint. Diese Übereinkunft zweier Erwachsener muss keineswegs über gegenseitiges Begehren zustande kommen, sondern, wie in der Prostitution üblich, über einseitiges Begehren, dem als materielles Äquivalent die Sex-Dienstleistung bzw. ihr Preis gegenübersteht. Damit von ›Einigkeit‹ – Einigkeit im Sinne von Übereinkunft, Einverständnis, Vereinbarung – die Rede sein kann, dürfen lediglich bestimmte Formen der Uneinigkeit nicht vorliegen, zum Beispiel nicht gewünschte physische Gewalt. Physische Gewaltfreiheit als Maßgabe sagt indessen wenig oder nichts aus über strukturelle Gewaltfreiheit. Verkompliziert wird das Verbot der staatlichen Intervention durch die Schlussfolgerung aus dem Urteilsspruch der Nichtsittenwidrigkeit, die prinzipiell die Prostitution (abgesehen von Zwangsprostitution und Prostitution mit Minderjährigen) den Reglementierungen und Mechanismen des wirtschaftlichen Vertragswesens unterstellt. Der feministische Prostitutionsdiskurs in der Bundesrepublik Deutschland sowie in anderen westlichen Demokratien bewegt sich im Dreieck von staatlicher Verfassung (Grundgesetz), Demokratieverständnis und Geschlechterverhältnis. Eine zeitgemäße demokratische Gesellschaftsverfassung müsse, so die Forderung von Gender Studies-Autorinnen10, der Restriktion von Prostitution deregulierend entgegenarbeiten.
Das Schisma der Prostitutionsdebatte Belinda J. Carpenter, Repräsentantin der women’s studies an der Queensland University of Technology, führt in Re-Thinking Prostitution. Feminism, Sex, and the Self die misslingende dualistisch angelegte Prostitutionsdebatte im politischen Bereich auf verfehlte Auffassungen von Denk- und Handlungsweisen in Bezug auf den Kauf und Verkauf von Sex zurück. Prostitutionsgegner/-innen, die darauf aus sind, Prostitution 9
Nicht dass die politische Staatsfreiheit des einen schon die logische Folgerung des anderen nach sich zöge, aber bei einer rückläufigen, positiven, d.h.: sich an Idealen orientierenden Wertebestimmung der Gesellschaft tritt im öffentlichen Diskurs die negative, d.h.: sich am Diskriminierungsverbot orientierende Reflexion. 10 Neben Belinda Carpenter vertreten auch Frédérique Delacoste und Priscilla Alexander (Delacoste/Alexander 1987), Drucilla Cornell (Cornell 1995 u. Cornell 1998), Jill Nagle (Nagle 1997) diese Position.
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abzuschaffen und sich für starke staatliche und gesellschaftliche Reglementierungen von Prostitution einsetzen, stehen ›Prostitutionsbefürworter/-innen‹ gegenüber, die die Dekriminalisierung und Dereglementierung von Prostitution fordern. Die Regulierung von Prostitution stütze sich, so die Befürworter/-innen der Deregulierung, nach mehr als zwanzig Jahren Theoriediskussion um den Status des Subjekts, auf obsolet gewordene fragmentarische Argumentationsweisen; auf unmögliche Entscheidungen und schwierige Kompromisse liefen sie hinaus. So trügen die Dualismen von Opfer und Täter, sex und gender, Körper und Bewusstsein zur Perpetuierung des gängigen, verfahrenen Wissens um Prostitution bei. Die Herausforderung der sexualwissenschaftlichen Auffassung vom Freier sowie die Infragestellung der psychologischen Erfassung von Prostituierten sei so unmöglich gemacht. Verfassung und Zustand moderner, liberaler Demokratien bedingten und stützten diese aufeinander aufruhenden Dualismen, die ihrerseits wiederum moderne, liberale Demokratien stützten. Prostituierte haben, den Befürworter/-innen der Prostitutionsrestriktion zufolge, am meisten unter patriarchaler Unterdrückung zu leiden, stehen, exponiert, ein für die Position aller Frauen in patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaften11. Das – negativ – Verbindende zwischen Weiblichkeit und Prostitution sehen sie in einer hierarchischen Geschlechterasymmetrie, also in nicht verwirklichter Gleichberechtigung, und im Sexismus, der sich in der Ungleichheit von Freier und Prostituierter bezüglich Macht und Ansehen bzw. Kriminalisierung äußere. Darin manifestiere sich eine skandalöse Doppelmoral, und sie schlage auf die wissenschaftlichen Konzeptionierungen von Freier und Prostituierter durch.
Psychoanalytische Studien über Freier und Prostituierte Psychologische und sexualwissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere aber psychoanalytische Theoretisierungen der Handlungsmotive und Erfahrungskontexte von Freiern und Prostituierten orientieren den wissenschaftlichen Prostitutionsdiskurs.12 In psychoanalytischen Studien 11 Hier wird eine Kontinuität zwischen Weiblichkeit und Prostitution zu Grunde gelegt. Dies ist die häufigste Grundannahme. Zum Verhältnis von Weiblichkeit und Prostitution vgl. Kapitel A.3. 12 Darstellung nach Belinda J. Carpenter.
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wird die prostitutive Sexualität als deviante, durch (frühe) Kindheitserfahrungen verursachte, sich im Erwachsenenalter manifestierende Sexualität aufgefasst. Das zentrale Erklärungsmuster bildet dabei – selbst Anfang der 70er Jahre noch – der Ödipuskomplex, genauer gesagt: sein nicht erfolgreicher Untergang.13 Die Fixierung auf das ödipale Szenarium, auf die nicht gelungene Überwindung des Ödipuskomplexes ist das Standardargument, mit dem Existenz und Verhalten von Prostituierten kommentiert resp. erklärt werden. Dieser Erklärungsansatz gilt nun aber nicht analog für alle Freier, sondern lediglich für psychopathologische Männer, die nur mit Prostituierten sexuell potent sein können. Die Pathologisierung dieser Freierspezies hat zur Grundlage emotionale und sexuelle Beziehungsunfähigkeit, den Ausschluss der Möglichkeit einer ›normalen‹, d.h. nicht (ausschließlich) prostitutiven Sexualität. Für Prostituierte dagegen wird die Frage nach der Möglichkeit/Fähigkeit nichtprostitutiver Beziehungen in aller Regel nicht gestellt. Die Asymmetrie der Grundannahmen in Bezug auf Freier und Prostituierte kann essentialistisch begründet, auf eine psychische Wesensverschiedenheit, verursacht durch anatomische Geschlechtsunterschiede, zurückgeführt14, oder anders begründet werden: Der Ausweis devianter Sexualität überzieht die Prostituierten insgesamt mit einem Verurteilungsverdikt. Der psychoanalytische Zug zur Entrationalisierung der Individuen, die Unterstellung, Individuen seien in hohem Maße abhängig oder Opfer ihres Unbewussten, führt zur Grundprämisse, dass Individuen über die in der Prostitution gelebte Sexualität keine rationale, freie Wahl treffen können. Wenn Angehörige des Großbürgertums und Bürgertums zu Zeiten Freuds das Unbewusste als Teil und Movens ihrer Subjektivität entdeckten, entdeckten sie meistens gerade auch das Problematische des Unbewussten als eine dem rationalen Bewusstsein wenn nicht überlegene, so doch zumindest es ergänzende Dimension der Selbsterfahrung. Die Freud’sche Kränkung, wonach der rational handelnde Mensch nicht ›Herr im eigenen Haus‹ sei, mag ursprünglich Kränkung gewesen sein, im Kontext des subjektphilosophisch aufgeladenen Selbst- und Weltverständnisses entzückte sie als Möglichkeit, Subjektivität gesteigert bzw. in neuer Dimension zu denken und zu leben. Die Hochschätzung des Un13 Freud, Sigmund: »Der Untergang des Ödipuskomplexes« (1924); in: Freud 1972, Bd. V, S. 242-253. 14 Freud, Sigmund: »Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds« (1925); in: Freud 1972, Bd. V, S. 253-267.
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bewussten breitet sich in den verschiedensten Diskursen und lebenspraktischen Feldern aus. Im Laufe des 20. Jahrhunderts adaptieren Geistesund Sozialwissenschaften, Künstler, Intellektuelle, aber auch nichtintellektuelle Angehörige der Mittelschicht die – im Faschismus verpönten – Prämissen und Perspektivierungen der Psychoanalyse. Die gleiche Entdeckung, Entfaltung, Vergrößerung des Unbewussten – als Infragestellung des Rationalismus bzw. Erkenntnis- und Erfahrungs-Surplus –, sie bedeutet für die gesellschaftliche Rand- bzw. Devianzfigur Prostituierte die Grundlegung des Opferdiskurses. Jenseits aller Rationalität, rationaler Entscheidungsfähigkeit oder Motivation wird die Prostituierte als nymphomanische oder psychopathologisch motivierte Triebtäterin aufgefasst; ›schicksalhaft‹ ereile sie, erleide sie ihre Bestimmung.
Psychologische Studien Von psychologischen Studien glaubt man erwarten zu können, dass sie gegenüber dem psychoanalytischen Diskurs den instrumentellen Körpereinsatz als eine bewusst gewählte Entscheidung und Sexualpraxis denken können. Tatsächlich orientieren sich psychologische Studien stärker an sozial-empirischen Fakten als psychoanalytische, sie legitimieren sich meist aber nicht primär über ihren Erkenntnisgewinn als Erkenntnisgewinn, sondern über dessen kurativen Nutzen. Die 1964 erschienene Studie Prostitution and Morality von Harry Benjamin und Robert E.L. Masters war die Grundlegung einer Prostituierten-Typisierung und zugleich eine folgenreiche Kategorisierung von Verursachungsfaktoren. Voluntary Prostitutes wählen dieser Studie zufolge auf rationaler Entscheidungsgrundlage und entsprechend ihrem freien Willen den Eintritt in die Prostitution, Compulsive Prostitutes hingegen seien von psychoneurotischen Bedürfnissen getrieben. Die Freiwilligen/die Zwanghaften, eine einfache, gerade deshalb auch angreifbare Gegenüberstellung, Binarisierung. Dennoch bedeutete diese Unterscheidung einen großen Fortschritt für die Beschreibung von Verursachungs-, Einfluss- und Auslösefaktoren für den Eintritt in die Prostitution. Ausgehend von dieser Unterscheidung benannte die Sozialstudie das Phänomen Prostitution erstmals so konkret wie möglich, analysierte, kategorisierte und löste es damit aus dem negativen Nimbus des Abstiegs und Elendigen, des Unterschichtigen, Schäbigen. Lange stand die ›käufliche Liebe‹ in motivischer Einheit mit dem ›dunklen Kontinent‹, und es drängt sich die Frage auf, ob sich erst mit und nach Freud eine theoretische Kontinuitätslinie von der Weiblichkeit zur Prostitution etablierte. In psychoanalytischer Hinsicht waren Be-
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stimmungsmomente für die weibliche Prostitution – ebenso wie für die weibliche Sexualität15 – der noch nicht untergegangene Ödipuskomplex, verbunden mit der die präödipale Phase bestimmenden Vorherrschaft der Partialtriebe; also die Phase vor der Ausprägung des Über-Ichs und der genitalen Sexualität. Weibliche Sexualität wie Prostitution waren damit negativ stigmatisiert, bestimmt als Inferiorität, ihre verfehlte Orientierung auf eine (phallisch-)genitale Sexualität hin war ihre Verfehlung. Mit Benjamin/Masters entkommt der Prostitutionsdiskurs der Unerklärlichkeit und Unlokalisierbarkeit der Prostitution, überwindet die monokausalen Erklärungen-Mythenliquidation durch Empirie, so scheint es. Doch wissenschaftliche Studien, auch feministisch perspektivierte, folgen weiter der Annahme der sozialen oder mentalen Vorfabrikation der Prostitution, bestätigen – in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit von Verursachungsfaktoren – die fatalisierende Annahme, der zufolge manche Frauen dazu bestimmt seien (oder sozial dazu bestimmt wurden), Prostituierte zu werden16. Bei Freiern, die zunächst ebenso den Kategorien Voluntary und Compulsive zugeordnet wurden, zog man keinen Rückschluss von den gelebten Praktiken auf die psychische Disposition, die Prostituierten dagegen unterlagen – selbst unter Bedingungen empirischer Objektivation – mythenhafter Interpretation und Bewertung. Mit der Masters/Benjamin-Annahme, die Entscheidung zum Sexualverkehr werde nicht auf rationaler Ebene getroffen, sondern sei die Konsequenz neurotischer Bedürfnisse, wurden nicht nur die Prostituierten in die Kategorie der zwanghaft Getriebenen eingeordnet, dieser Erklärungsansatz bedeutete zugleich die Entpathologisierung der Freier. Eigentümlicherweise haben die grundlegenden gesellschaftlichen, ökonomischen und medialen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg der psychoanalytischen wie der empirisch-psychologischen Thematisierung der Prostituierten als einer zwanghaft Getriebenen lange Zeit keinen Abbruch getan. Die zunehmende Kommerzialisierung und Industrialisierung von Pornographie, ihre mediale, genrespezifische Ausdifferenzierung und juridische Institutionalisierung (z.B. ex negativo durch die freiwillige Selbstkontrolle der Medienproduzenten) führten nicht zur 15 Freud begann in seinen Vorlesungen eine Theorie zur weiblichen Sexualität zu entwickeln, die er jedoch bis zu seinem Tod nicht abschließen konnte. Vgl. Freud, Sigmund: »Über die weibliche Sexualität« (1931); in: Freud 1972, Bd. V, S. 273-295. 16 »But common among the analysis is an almost fatalistic assumption that some women are destinated to become prostitutes.« (Carpenter 2000, S. 17)
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sichtbaren Entmachtung des psychoanalytischen Persönlichkeitsmodells. Lediglich der Freier wurde aus dem Devianzdiskurs, der ihn ohnehin meist verständnisvoll als Figur in einer Ausnahmesituation reflektiert hatte, herausgenommen; nach 1975 ist er kein Thema mehr.
Der sexualwissenschaftliche und soziobiologische Diskurs über den Freier »Men go to prostitutes because they have insufficient sexual outlets in other directions; to provide types of sexual activity which are not so readily available elsewhere; because it is simpler to secure a sexual partner commercially than it is to secure a sexual partner by courting; because intercourse with a prostitute is cheaper than intercourse with any other girl; because they can pay for sexual relations and forget other responsibilities, or because they are more or less ineffective in securing sexual relations with other girls.« (Kinsey, zit.n. Carpenter 2000, S. 19)
Benjamin/Masters wie Kinsey17 vor ihnen und Simpson/Schill18 nach ihnen informieren, referieren, spekulieren und fabulieren über das Freierverhalten. Sie geben als Beweggründe von Freiern an: »they are shy«, »they need variety«, »they have deviated sex urges« und »they want to avoid obligations«19. Die Erklärungsmomente für das Verhalten der Freier werden gezogen aus ihren Selbstangaben als ›Kunden‹. Nebeneinandergestellt findet man neben Verweisen auf die charakterliche Veranlagung den Wunsch nach einem spielerischen Abwechselungsbedürfnis, einem Surplus der ehelichen Beziehung, einer Sexualitätserfahrung jenseits biologischer oder sozialer Bedürftigkeit. Die vollkommene Durchsetzung des Normalitätsdiskurses zeigt sich darin, dass selbst abseitige Sexualtriebe nicht kommentiert werden, geschweige denn als psychisch deviant erklärt werden. Weder wird dies auf den Freier psychologistisch zurückgespiegelt als psychische Abnormalität, noch kommt der leiseste Zweifel an der Normalität und Rechtmäßigkeit des Verlangens auf. Die Selbstangaben von Freiern, die in diesen 17 Kinsey, A.: Sexual Behavior in the Human Male; Philadelphia: W.B. Sauders Co. 1948. 18 Simpson, M. and Schill, T.: »Patrons of Massage Parlours: Some Facts and Figures«; in: Archives of Sexual Behaviour, Vol. 6, Number 6, S. 521-525. 19 Benjamin, H. and Masters, R.: Prostitution and Morality; New York: Julien Press 1964, zit. n. Carpenter 2000, S. 17.
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Studien zitiert werden, werden der wissenschaftlichen Objektivierung entzogen und fungieren als Reflexion für das eigene Verlangen bzw. Verhalten. Ist man sich der Gefahr der moralischen Verurteilung bewusst, verbietet man sich auf der Reflexionsebene die Bewertung. Freier, auf der sicheren Seite der Normalität, treiben praktische Gründe zu den Prostituierten. Ihr Bedürfnis nach Sexualität sei normal und jedermann vollkommen verständlich, und der angemessenste Weg ihn zu verstehen sei, ihn über seine Biologie zu begreifen. Alle Gründe scheinen rein pragmatischer Natur zu sein und lassen keinen Unterschied erkennen zwischen leichterer Realisierbarkeit des erkauften Sexes, verglichen mit dem sozial erworbenen/geworbenen Sex, und unabdingbarer Notwendigkeit (von Spezialkategorien wie Behinderung und Alter einmal abgesehen). Prüft man Benjamin/Masters Theoriekonsistenz und ordnet man die Art der Argumente bzw. ihre Gewichtung, kommt man zu dem Schluss, dass alle genannten Argumente nur attracting factors sein können. Denn eine wesenhafte Verankerung, Verankerung im Verursacherzusammenhang, den predisposing factors, hat eine Auffassung der männlichen Sexualität verhindert, derzufolge männliche Promiskuität ein Naturphänomen sei.
B . 1 . 2 A u f b r e c he n d e r P r o s ti tu t i o n sd e b a t t e : Gender Studies Carpenter zufolge besteht der Hauptmangel westlich-feministischer Theoretisierung der Prostitution in der uneingestandenen Kontinuität sexualwissenschaftlicher Ansichten über die männliche Sexualität, und sie kennzeichnet sie als den fortdauernden Gebrauch der sex/genderDichotomie in Begriffsüberlagerung mit Männlichkeit und männlicher Sexualität; gemeint ist die Nicht-Differenz von sex und gender bzw. die synonymische Gleichsetzung von Männlichkeit mit männlicher Sexualität. Um die Differenz zu verdeutlichen, schlägt Carpenter die Zerschlagung des sex-gender-Verhältnisses vor: durch den radikalen Rausschmiss der biologischen Determinismen, die für das theoretische Dilemma verantwortlich seien. In diesem Fall muss die Lösung in einem neu entworfenen Selbst- und Weltverhältnis liegen, in dem die körperliche Bedingtheit und die körperlichen Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt werden, diese jedoch nicht als begründende oder legitimierende Argumente für die soziale Ordnung – die Geschlechterordnung eingeschlossen – genommen werden.
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Ziel sei, so Carpenter, die politische Redefinition des Begriffs der Prostitution durch ein Überdenken des Kaufs und Verkaufs von Sex. Auf den Plan gerufen werden müsse eine Rekonfiguration der Dichotomie Opfer/Handlungsmächtige(r). Im Moment habe es den Anschein, die sexuelle und soziale Position der Prostituierten habe sich auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. Sieht man die Veröffentlichungslisten zur Prostitution durch, so findet sich nicht ein Autor, eine Autorin, die das Phänomen Prostitution ins Verhältnis setzte zu einer gesellschaftlich neu definierten gendertheoretisch-philosophischen Konzeption der Geschlechter. Anders gesagt: Die liberale Forderung nach Gleichstellung mit anderen Berufen in moralischer, philosophischer und legaler Hinsicht korreliert nicht mit einer Neukonzeption der gesellschaftlich-politischen Auffassung von Prostitution.
Dualismen Die festgefahrene Prostitutionsdebatte positioniert auf der einen Seite die ›Prostitutionsbefürworterinnen‹, die für Dekriminalisierung und staatliche Deregulierung eintreten. Ihnen wird eine radikal-liberale politische Gesinnung zugesprochen und eine ›pro-sex‹-Agitation nachgerühmt. Der Pro-Prostitution-Bewegung steht die Anti-Prostitution-Fraktion gegenüber, die für eine starke staatliche Kontrolle eintritt und für ›anti-sex‹Strategien plädiert. In diese grundlegenden Dualismen, die ineinandergeführt werden, sind – und das macht die theoretische Herausforderung des Untersuchungsgegenstandes Prostitution aus – weitere Dichotomien eingelassen: die Kategorien sex und gender, der Split in Körper und Geist, wobei die Gesellschaft mit Männlichkeit und Geist konnotiert wird. Passiv und aktiv stehen sich als Gegensatzpaar gegenüber, wie Natur und Kultur entgegengesetzte Pole einnehmen. Die Trennung in Öffentlichkeit und Privatheit assoziiere gerade in der liberal contract theory mit Männlichkeit entkörperlichte, geschlechtslose Individuen, die die öffentliche Sphäre bevölkerten. Auf der Privatheitsseite stehen die weiblichen körperlichen Wesen, die mit dem Irrationalen verbunden werden und die eine Gleichsetzung von Geschlecht und Selbst vornehmen. Diese Dichotomien verketten jeweils die eine Seite ihrer Unterscheidung untereinander und überlagern so die Bedeutungen. So ist mit der Position des Weiblichen nicht nur das biologische Geschlecht bezeichnet, sondern auch die Körperlichkeit zugewiesen, deren Passivität assoziiert Naturverbundenheit oder Privatheit.
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Mit der Position des Männlichen werden hingegen gender, das Geistige, das Aktive, die Kultur und die öffentliche Sphäre assoziiert. Frauen betreten die Öffentlichkeit als sexuierte und sexuelle Körper, als sexualisierte Wesen – in weitaus geringerem Maße gilt das auch für Männer. So ist die Wahl der Prostitution nicht nur ökonomisch verständlich für Frauen, die generell für die Aufrechterhaltung der Privatsphäre stehen. Prostitution scheint auch eine logische Folge der Sexualisierung zu sein, denn die Sexualisierung ist, Carpenter zufolge, zentral für das Selbst- und Weltverhältnis – sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Sphäre.
Das Aufbrechen der Dualismen Die ubiquitäre Natur der Dualismen, Opfer/sex für die Prostituierte, Handlungsmächtigkeit/gender für den Freier, führe zu ihrem Verständnis und zu ihrer Rekonfigurierung durch die Organisation moderner, liberaler Demokratien. Die Dualismen seien bestimmt durch die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit: »gender and agency are positioned with the mind and masculinity, whereas sex and victim are acknowledged as more appropriate to the body and feminity.« (Carpenter 2000, S. 101)
Selbst die feministische Intervention, die Behauptung einer Handlungsmächtigkeit von Frauen, vermag die Organisation von öffentlicher und privater Sphäre nicht so einfach herauszufordern. Der Prostituierten kann Handlungsmächtigkeit zugestanden werden, sie steht aber weiterhin auf der Dichotomienseite des Weiblichen, Körperlichen und Sexuellen.
Der Körper, das Natürliche und die öffentliche Sphäre Carpenter greift die gesellschaftliche Sedimentierung essentialistischer Geschlechtsannahmen auf und weist aus, dass diese das Fundament für Philosophie, Politik (Verfassung) und die Verfasstheit moderner, liberaler Demokratien sind. So sei es insbesondere die Ansicht über Körperbedürfnisse, die die Institution der Familie als ›natürlich‹ und privat bestimme und die den Zugang zu den demokratischen Grundrechten ›Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‹ regele. Die Organisation sexueller Beziehungen dient als Erklärung für den öffentlichen Verkauf von Sexualität – und hier liefert Carpenter nicht
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einen Verweis auf die institutionellen heterosexuellen Beziehungsorganisationen, sondern situiert das Prostituierten-Freier-Verhältnis in Analogie zum gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnis, sieht geschlechtskonforme Verhaltensnormen (– Er, aktiv und begehrend, Sie, passiv und begehrt –) als Grundlage für eine perfekte Naturalisierung und, damit verbunden, der Unsichtbarmachung der Konstruktion politisch kanalisierter heterosexueller Geschlechterbeziehungen. Die Vorherrschaft des Geistes und der Vernunft über Körper und Gefühl sei Grundlage des Staatsgedankens und habe die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit hervorgebracht. Die Dominanz der rationalen, politischen Öffentlichkeit über die Privatheit habe die Geschlechterbeziehung in das apolitische Reich der Privatheit verbannt. Die emotionale und körperliche Bedürfnisverwaltung sei der modern body politic überantwortet worden – in der bewusst assoziativen Offenheit einer modernen Körperpolitik und der Moderne, gekennzeichnet durch einen politischen Körper im Sinne politischer Körperschaften (Institutionen). Carpenter geht es, und hierin erweist sie sich als (post-)dekonstruktivistische Epistemologin, um das Aufkündigen der stillschweigenden Verkettung grundlegender Dichotomien. Die altbekannte und immer wieder kritisierte Zuordnung von weiblicher Privatheit und männlicher Öffentlichkeit muss in ihrer Relevanz für die Auffassung von Prostitution nachgezeichnet werden. Die für Frauen ›natürlich gemachte‹ Verknüpfung ihrer Verkörperlichung (embodiment) mit der Privatsphäre verweist die Frauen auf ewig in den – erdachten – mythischen Naturstatus. Die weibliche Körperzentriertheit, Resultat einer geschlechtssymbolistischen Attribuierung, wurde zur kausalen Begründung der Zuordnung. Mitgedacht wurde hierbei die Unregierbarkeit des weiblichen Körpers durch den weiblichen Geist. (Der unregierbare Körper ist die Quelle ihres Subjekt-Seins.) Als rationale Individuen könnten Frauen demnach niemals den öffentlichen Raum betreten. Die im Patriarchat übliche geschlechtssymbolistische Verknüpfung in ihrer wechselseitigen Kausalitätsbehauptung, die den Körper als Authenticum setzen muss, läuft über die Kette: Frauen, Verkörperung, Privatheit, Irrationalität, Subjektbegründung; wohingegen Männer als entkörperlichte, rationale Wesen ihre Subjektivität in ihrem Geist begründen. Die Transzendenz des Körpers und der Privatsphäre, ein Phänomen kultureller Männlichkeit, ist grundlegend für die Fähigkeit, ein selbstbestimmt Handelnder in modernen liberalen Demokratien zu sein. Diese Position ist Frauen (tendenziell) verwehrt. »Women are excluded from the public sphere as rational beings because they are associated with, and embody, natural relations. They come to embody what is to be transcended.« (Carpenter 2000, S. 104) 126
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Die Untersuchung der Dichotomiengenealogie führt Carpenter aufklärerisch-ideologiekritisch zur neuen Leitdifferenz »embodiment/ disembodiment« bzw. »transcendence«. Im Konflikt mit der Forderung politischer Partizipation der Frauen kam mit dem Ideal der Kontrollierbarkeit des Körpers, des Natürlichen, des Emotionalen die Idee des Erlernens solcher Kontrolle auf. Und hier platziert Carpenter nun in diese patriarchale Dominanzstrategie ganz unmittelbar und unumwunden die These: Feministinnen hätten mit ihrem Glauben an die Vorherrschaft von gender über sex, des Geistes über den Körper, die Ansicht weiterverfestigt, dass der Erwerb des Selbst (sense of self) ein Bewusstseinsprozess sei, den einzig der Geist ausführe und der einzig für ihn relevant sei. Interessant ist Carpenters Selbstverortung im Feld abgesteckter Positionen. Es ist ein strategisch zu bezeichnender Essentialismus, der sonst nur aus frauenbewegten politischen Aktionen bekannt ist und oft mit nachgereichten Theorieschlagworten wie Kontingentierung, projektbezogenes, beschränktes Prozessieren garniert wird. Hier schwelt untergründig – und doch alles entscheidend für Carpenters theoretische Positionierung – der 80er Jahre Streit um Gleichheit oder Differenz20. Die Differenztheoretikerinnen, allen voran die französischen Essentialistinnen21, glaubten Emanzipation nur möglich durch die Anerkennung des radikalen Andersseins der Frauen, wogegen die Gleichheitsforderung des liberalen oder humanistischen Feminismus von der Gleichwertigkeit ausging und, daraus abgeleitet, die Gleichbehandlung der Geschlechter anvisierte.
Fazit Die moderne, liberale Demokratisierung lässt in ihrer patriarchalen Dualismenverkettung im politischen Diskurs das Gleichheitspostulat durchschlagen. Dies hat die Dominanz der patriarchal-unbewussten Position zur Folge, die sich, populär gesprochen, als Vermännlichung von Frauen auswirkt. Entkörperlichung wird für Frauen zur logischen Unmöglichkeit und für Männer zum Mythos. Ganz zentral wirkt sich dieser 20 Vgl. Benhabib, Seyla/Butler, Judith/Cornell, Drucilla/Fraser, Nancy: Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart; Frankfurt a.M.: Fischer 1993. 21 Die 80er Jahre waren in den USA geprägt von der Auseinandersetzung mit den Theoretikerinnen der sexuellen Differenz, den ›französischen Essentialistinnen‹: Luce Irigary und Hélène Cixous, in ihrem Fahrwasser Adrienne Rich und Carol Gilligan.
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Zusammenhang in der Verfügungsgewalt über den Körper aus. Es gibt einen spezifischen Unterschied in der Selbstauffassung, begründet im Körperverhältnis, das aus dem ›Strichjungen‹ nicht eine geschlechtliche Spiegelverkehrung der jungen Prostituierten macht. Ein nie ganz gelingender Dressurakt ist für Frauen die eingeübte Entkörperlichung, der die Verfehlung wie ihre Eigentlichkeitsbestimmung immer noch anhaftet.
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B.2. G E N D E R UN D P R O S T I T U T I O N . NEUERE GESCHLECHTERSTUDIEN: G E N D E R S T U D I ES -P R O S T I T U T I O N S D I S K U R S E Mit dem Konzept der imaginary domain, das von Drucilla Cornell entwickelt wurde, will ich eine Theorie präsentieren, die aus der Problematik der Prostitution heraus eine ethische Legitimierung von Prostitution konstruiert. Cornells Reflexion auf die Sexuierung des Menschen stellt implizit die Frage nach imaginärer Selbstrepräsentation und imaginativen, d.h. narrativen Fremdpräsentationen. Ich mache diese Fragestellung im Folgenden explizit und passe sie ein in die Fragestellung nach dem Medialen, seiner psychischen (Re-)Präsentation. Ich werde also in diesem Kapitel Cornells Theorie und die wissenschaftliche Reflexion von Medium und Psyche, des medial Unbewussten und des unbewussten Medialen engführen. Die Schnittstelle von Gender Studies und Medienwissenschaft, wie ich sie thematisiere, der Anschluss der Gender Studies an die medienwissenschaftliche Reflexion, führt zu einem Denken, das die im weiteren Teil meiner Arbeit analysierten Filme als Beitrag zur Sexuierung des Menschen verstehen lässt. Der bisherige Prostitutionsdiskurs ist bestimmt durch ein Schisma, Belinda Carpenter1 stellt das ebenso fest wie Drucilla Cornell2. In der ausweglosen Debatte des sich Positionierens von ›pro-sex‹ und ›anti-sex‹ ist dieses Schisma endlos zu verfolgen.3 Zunächst stelle ich Drucilla Cornells ethisch-politisch legitimierte Kategorie des imaginary domain 1 2
3
Vgl. Carpenter, Belinda: Re-Thinking Prostitution. Feminism, Sex, and the Self; New York u.a.: Lang 2000. Vgl. Cornell, Drucilla: »The Case of Prostitution«, in: Dies.: At the Heart of Freedom. Feminism, Sex, And Equality; New Jersey: Princeton 1998, S. 45-58. Zum Konzept der imaginary domain und zum Problem der Prostitution hat sich Cornell ebenfalls geäußert in: Dies.: The Imaginary Domain. Abortion, Pornography and Sexual Harassment; London et al.: Routledge 1995. So Cornell: »Within what has now come to be called the second wave of feminism, the sides have been drawn: one is either for or against the continuation of legal prohibition of prostitution.« (Cornell 1998, S. 47)
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vor, wende mich ihrer Subjektneukonzeption im Feld von Feminismus, Selbst und Sexualität zu. Danach nehme ich diese Programmatik der Gender Studies-Vertreterin Cornell daraufhin in Augenschein, wie ihre gendertheoretische Fundierung das Verhältnis von medial Unbewussstem und unbewusstem Medialem anlegt. Meine theoretische Zielperspektive ist eine Fundierung des Medialen in gender. Der Cornell’sche Begriff ist sexuate being, bezöge man sich auf andere Theoretikerinnen, stünde die Medialität von gender in Rede. Drucilla Cornells gesellschaftsutopischer Entwurf, den sie mit At the Heart of Freedom. Feminism, Sex and Equality darlegt, zielt ab auf die imaginary domain und zeichnet sich aus durch den Versuch, von gesellschaftsdeterminierenden Bestimmungen wie class, caste, race, gender wegzukommen. Cornell geht es um die Theoretisierung der Freiheit – die Freiheit der emotionalen und psychischen Selbstbestimmung, die die imaginary domain gewährleistet. Cornells Anliegen ist die Verteidigung des Imaginären im Selbstentwurf als schützenswertes Grundrecht, ein projektiver, imaginärer Selbstentwurf als Grundrecht des Menschen. Es geht ihr um Innovation und Intervention im juridisch-politischen Diskurs, um die sexuelle Selbstbestimmung des Menschen und die daraus ableitbaren Rechte und Forderungen4. Die Grenzen der Beschränkung der individuellen Sexualität, und damit die ethisch-politische Rechtfertigung für und gegen die Staatsintervention im Bereich der Prostitution, ergeben sich aus dem von Cornell entwickelten und stark gemachten Konzept des imaginären Bereichs (imaginary domain), einer politischen und ethischen Rechtfertigung, das normativ diese Richtlinien nach sich ziehe. Das von Cornell als Grundproblem erkannte Schisma der Prostitutionsdebatte, die ›pro‹- und ›antisex‹-Positionen, soll durch den imaginären Bereich überwunden werden. Es ist die Forderung nach einem moralischen und psychischen Freiraum, der benötigt wird, um unser Selbst zu orientieren. Kathi Weeks5 stellt Cornells Fähigkeit, zwischen philosophischer Theoriediskussion und konkreten Versicherungsdebatten zu vermitteln und 4 5
Es geht u.a. um Gesetze zur Prostitution, Vaterschaftsrechte, Abtreibungsbestimmungen. In Kathi Weeks Buchkritik werden die wichtigsten Hauptschlagworte, wie imaginary domain etc. genannt, jedoch nicht erläutert oder hinterfragt. Vgl. den Artikel: Weeks, Kathi: Books Reviews – At the Heart of Freedom: Feminism, Sex, and Equality. By Drucilla Cornell, Princeton, N.J.: Prince-
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den utopischen Entwurf mit einer praktischen Ausrichtung zu koppeln, heraus. Der kritischen Gegenwartsanalyse folgen Alternativvorschläge, wie der der Legalisierung von Prostitution. Weeks betont, dass Cornells Schlussfolgerungen nicht auf der Basis metaphysischer Ideale, fundamentalistischer Ansprüche oder essentialistischer Kategorien gegründet seien, sondern dass die Genealogien der philosophischen Annahmen dargelegt, die politischen Ziele als politische offen gelegt würden. Als grundlegend für Cornells Denken wird die Ablehnung der formalen Gleichstellung von Mann und Frau und die Befürwortung der Forderung nach Freiheit angesehen, nach der sich die Art der Gleichheitsforderung ausrichten müsse. Die Forderung nach dem Freisein von erzwungenen Identitäten und auferlegten sexuellen Wahlen geschehe dabei nicht im Namen der Privatheit oder einer Ontologie der individuellen Autonomie, sondern liege im Ideal der imaginary domain begründet. »The equal protection of ›the sanctuary of the imaginary domain‹ includes the corresponding right to represent and exercise what she [D. Cornell, Anm. d. Verfasserin] calls our ›sexuate being‹: the right not to be men or women according to some predefined conception of those identities but, rather, to represent our own identities as sexual beings and to determine the course of our intimate lives. Women and men, equivalently evaluated as free persons with maximum equal liberty, must then be afforded access to opportunities, resources, and capabilities consistent with the recognition of their personhood.« (Weeks 2002, S. 1174; Hervorhebung H.W.)
Weeks hebt mit »not to be men or women« die extremste Form des sexuate being6 heraus, um die politische Dimension Cornells deutlich hervorzuheben und urteilt abschließend, dass Cornells Werk dazu beitrage, die populärsten Argumente zur Prostitution zu überdenken und eine neue Grundlage für eine produktive Diskussion bereitzustellen. »Both7 authors succeed in moving us beyond the old terms of the equality/difference debate in feminism, albeit in different directions. Each manages
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ton University Press 1998; Justice Interruptus: Critical Reflections on the »Postsocialist« Condition. By Nancy Fraser. New York and London: Routledge 1997, in: Signs: journal of women in culture and society, Chicago, III. et al.; University of Chicago Press, Summer 2002; S. 1173-1176. Der allgemeine Begriff sexuate being bezeichnet in der Regel das vergeschlechtlichte Wesen, das den Prozess der Sexuierung bereits durchlaufen hat. Zur näheren Begriffsbestimmung beider Begriffe s. weiter unten. In dieser Kritik wird ebenfalls Nancy Frasers Justice Interruptus besprochen und nur in einem Punkt, dem kleinsten gemeinsamen Nenner, in Ver-
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to avoid either naturalizing or discounting sexual difference, refusing the terms of both essentialist and androcentric lines of argument. And the both undercut the old equality/difference debate even further: Cornell, by rejecting the standards of comparision that typically sustained it […].« (Weeks 2002, S. 1176)
Diese neue Grundlage für eine produktive Diskussion legt Drucilla Cornell mit den Begriffen sexuate being und imaginary domain. Der Rückgriff auf Vordiskursives, gar auf ein anthropologisch gedachtes Vorbewusstes, auf sich selbst determinierende Konzepte, das alles hat sich im neueren gendertheoretischen Diskurs8 diskreditiert. Der vergeschlechtlichte Körper ist für Cornell der Kreuzungspunkt von Diskursivem und Vordiskursivem, Unbewusstem und Bewusstem. Psychische, emotionale Prozesse sind Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zum sexuate being und damit Ausgangspunkte der theoretischen Konstruktion.
Die feministische Auffassung zu Sexualität bzw. Prostitution Menschliche Sexualität ist ein wesentliches Merkmal des Menschseins, sexuelle Selbstbestimmung ein Grundrecht des Menschen. Das projektive Entwerfen eines Bildes von sich selbst als einem Selbst ruht auf einem Selbstentwurf der Sexualität auf. Die Betonung der Körpergebundenheit des Selbst wie die Verteidigung des Imaginären im Selbstentwurf als schützenswertes Grundrecht ist Cornells Perspektive. Im Rekurs auf Sigmund Freuds ›Sinnentheorie‹9, der Betonung des körperlichen Ichs für die Selbstkonstitution, ergänzt um die Ausführungen Jacques Lacans
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bindung gebracht: der Antinaturalisierungshaltung des postmodernen Feminismus. Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991) und Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts (Berlin: Berlin Verlag 1995) markieren den Umbruch im Denken der Gender Studies. Der im deutschsprachigen Raum erst in Folge von Butler üblich gewordene Begriff Gender Studies ordnet sich im angloamerikanischen Raum in eine viel längere Tradition ein. Vgl. Wagner, Hedwig: Theoretische Verkörperungen. Judith Butlers feministische Subversion der Theorie; Frankfurt a.M. et al.: Lang 1998. Cornell referiert auf: Freud, Sigmund: The Ego and the Id, übersetzt v. Joan Riviere; London: Hogarth Press 1962.
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zum Spiegelstadium10, entwickelt Cornell das Argument des Rechts auf körperliche Integrität, die sich erst im Imaginären konstituiert, gegenläufig zur menschlichen Entwicklung, die ein körperliches Ich nur als Versehrtheit erfährt. Die körperlich nicht gegebene, sondern nur geistig antizipierte Idealität der körperlichen Integrität setzt sich aus einem Körperbild (body image) und einem sexuellen imago11 zusammen. Die körperliche Unversehrtheit als Grundrecht ist bei Cornell das Leitideal. Auf der anderen Seite trifft man im feministischen Prostitutionsdiskurs das Argument an, in der Prostitution herrsche ein partieller ›Körperverkauf‹ bzw. eine ›Körpervermietung‹ vor. Die Argumente scheinen sich zu widersprechen. Ebenso scheint auf den ersten Blick die Leitkategorie der körperlichen Integrität für Cornells Anliegen, das in den USA in einigen Bundesstaaten noch geltende Verbot der Prostitution, aufzuheben, denkbar ungeeignet. Der extrem partielle Körperbezug in der Prostitution scheint eher von einer körperlichen Versehrtheit denn von einer körperlichen Integrität zu zeugen. Die projektiv imaginär erworbene körperliche Integrität, und dies wird in ihrer Bezugnahme auf die Prostituierte Ona Zee Wiggers12 deutlich, kann jedoch im konkreten Einzelfall bedeuten, dass eine Körper-Psyche-Einheit nur in der Prostitution erreicht werden kann. Prostitution wird hierbei zwar nicht als Therapie, aber doch als ein mögliches Ausagieren der in der Kindheit erfahrenen sexuellen Übergrif10 Vgl. Lacan, Jacques: »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint«, in: Schriften Bd. I, 1973, S. 61-70. 11 Nach Cornell wird der vergeschlechtlichte Körper symbolisch konstruiert durch einen Raum der Verhandlung und ein imago. Dies begreift Cornell als ein vorgängiges Bild der Art, wie Menschen zusammenstimmen und voneinander abhängen. (Vgl. Cornell 1998, S. 6) Der Begriff imago wurde von C.G. Jung in seiner Schrift Wandlungen und Symbole der Libido von 1911 geprägt. Cornell zieht aus der Jung’schen Theorie die Bestimmung der Vorherrschaft des Unbewussten und seiner Handlungsmächtigkeit. Anders als im strengen psychoanalytischen Sinne bezieht sich dies nicht nur auf die Fremdwahrnehmung, sondern auch auf die Selbstwahrnehmung und die Bestimmung des Selbst. Cornell rückt die unbewusste und bewusste Selbstwahrnehmung des vergeschlechtlichten Körpers in den Mittelpunkt. 12 Ona Zee Wiggers, eine frühere Prostituierte, wird von Drucilla Cornell interviewt. Cornell präsentiert Wiggers folgendermaßen: »For example, Ona Zee Wiggers, who tried to create a union for porn workers in the 1990s, pointed out that many prostitutes and porn workers have endured sexual traumas at an early age that disrupt the development of an integrated sense of self, leading them to experience a kind of splitting off from the body instead.« (Cornell 1998, S. 54)
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fe und der dadurch bedingten psychischen Verfassung gesehen. Prostitution fungiert als eine Art kompensativer Lebenspraxis, die es möglich macht, sich als ganzheitlicher und ganzwertiger Mensch zu erfahren. Dies ist das Ideal der körperlichen Integrität, und somit ist Prostitution ethisch und politisch gerechtfertigt. Cornell plädiert mit einer empathischen Selbstoffenbarung13 für die Legalisierung von Prostitution, von der ausgehend Fragen der Regulierung von Pornographie geklärt werden müssten14. Damit geht die Dekriminalisierung von Sexarbeiter/-innen einher. Cornell strebt die grundsätzliche Straffreiheit von Prostitution und Pornographie an, fordert die staatliche Nicht-Intervention in die Prostitution, die Abschaffung Prostitution behindernder Gesetze. Aus dieser Perspektive fragt sie nach der argumentativen Rechtfertigung der Regulierung von Prostitution. Die Selbstbehauptung der Frauen, ihre Fähigkeit, in der Prostitution ihr sexuate being selbst zu repräsentieren, mache staatliche Eingriffe überflüssig. Mit der Frage »Are Prostitutes Persons?« (Cornell 1998, S. 47) stellt sich Cornell provokativ gegen das feministische Argument, Prostitution sei sexuelle Sklaverei bzw. vertragliche Knechtschaft. Während Feministinnen im problembehafteten Fall der Prostitution den Schutz des Staates fordern, auch den staatlichen Schutz von Prostituierten vor sich selbst (durch Abschaffung der Prostitution), setzt Cornell auf die Selbstbestimmung von Prostituierten.
13 Cornell, Professorin für Politische Theorie und Women’s Studies, berichtet – in der Tradition feministischer Wissenschaftskritik wie sie u.a. von Sandra Harding in Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und sozialem Geschlecht (Hamburg: Argument 1991) entwickelt wurde – von ihrer persönlichen Involvierung und artikuliert – als Basis ihrer wissenschaftlichen Reflexion – ihren partikularen Standpunkt, der sich gegen die der männlichen Position zugeschriebene Universalitätsbehauptung in der Wissenschaft wendet: »I attended the conference with my consciousness-raising group, all Latina and African American except for me. Our program called for decriminalization and self-organization into a union-type organization.« (Cornell 1998, S. 52) 14 Ebenso wie Carpenter schlägt Cornell eine Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses vor. Die Prostitutionsthematisierung wird üblicherweise der Pornographie nachgestellt.
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B.2.1. Die imaginary domain: K u l tu r e l l e S e l b s t r e p r ä se n t a ti o n Cornell versteht es, in der Darlegung ihrer Position sowohl die konkrete soziale (politisch-gesellschaftliche) Realität als auch die genderspezifischen, psychisch-libidinösen Bedingungen für das Individuum in ein Außen-Innenverhältnis zu bringen, das nicht das eine als Determinante des anderen begreift, sondern vielmehr deren unlösbare Verschränkung aufweist. »I am using conscience in the sense of the freedom given a person in a politically liberal society to claim herself as the ›self-authenticating source‹ of what the good life is for her. Conscience is the ›sanctuary‹ of personality, in that who we are as unique beings is inseparable from how we mark out a life with its commitments, fundamental values, and responsibilities as ours.‹ (Cornell 1998, S. 37f., Hervorhebung im Original)
Die Repräsentation des Außen im Innen, der Gesellschaft im eigenen Bewusstsein, die Selbstauthentifizierung als prozessuale Legitimierung läuft über die Selbstannahme von Werten, Pflichten etc., über die Selbstverantwortlichkeit für das eigene Leben, ihre ›Innenwendung‹, Inkorporierung. Drucilla Cornells zukunftsgerichtetes, an Idealen ausgerichtetes Konzept der imaginary domain ist ein Versuch, von sozial determinierenden Kategorien wie der der Ethnie, der sozialen Schicht etc. wegzukommen. Ihr liegt an der Freiheit der emotionalen und psychischen Selbstbestimmung, vor allen Dingen an der Freiheit, die sexuelle Differenz (Geschlechteraufteilung) neu zu imaginieren, jenseits traditioneller Geschlechtsspezifik. Diese positive Besetzung der imaginary domain basiert auf der Selbstrepräsentation des sexuierten Wesens. Es wird als Erzähl- und Resymbolisierungsinstanz dessen gesetzt, was sexuelle Differenz für es selbst darstellt. Ist gender der Fremd(wahrnehmungs) zwang, so ist sex die unbewusste Selbstdeterminierung und die Fremdwahrnehmung der Sexualität. Cornell gebraucht den Begriff gender alltagssprachlich. Gender ist nichts anderes als die geschlechtsspezifische Unterteilung der Menschheit in Männer und Frauen. Das heißt, sie legt für ihren theoretischen Entwurf jene Begriffsdifferenzierung beiseite, die in der Begrifflichkeit von sex und gender die biologische Geschlechtsbestimmung des Körpers unterschied von der sozial konstruierten und kulturell auferlegten Bedeutung der Geschlechter bzw. ihrer Differenz (vgl. Cornell 1998, S. 6). Es ist also nicht die kulturelle Prägung von gender, die der Leitkategorie des sexuellen imagos zu Grunde liegt. 135
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Hier wird ein Denken des Zusammenhangs von ›sozialem Geschlecht‹ (dt. Begriffsumschreibung von gender) und Körper sichtbar, das signifikant anders als bei Judith Butler angelegt ist.15 Das Scheitern des rein diskursiven Ansatzes, der Verweis auf die Materialität des Körpers, des Vordiskursivem als Durchkreuzungspunkt, war in der feministischen Theorie in den letzten Jahren das vorherrschende Theorem.16 Für Cornell ist sex der Begriff und zugleich die Sache, die, weitaus mehr als gender, prägend ist für die Sexuierung.17 Cornell begreift sex als unbewusste Identifizierung, die sich auf vorausliegende Identifizierungen durch andere bezieht. Die unbewussten Identifizierungen, die Selbstformung, auf die Cornell abhebt, gehen der Vergeschlechtlichung durch die Anderen nach, und die Formung geht der Selbstwahrnehmung mittels eines sexuellen imagos voraus. Dies ist ein Aspekt der Kausalzirkularität in der Sexuierung selbst, die ja aus Selbstentwurf und Fremdbestimmung besteht. Die Fremdsexuierung ist also das Primäre. Erst danach erfolgen die unbewussten Identifizierungen. Der Mensch wurde geformt, sagt Cornell, und er kann sich selbst nur durch ein sexuelles imago wahrnehmen. Die unbewusste Identifizierung bzw. das sexuelle imago sind dabei kulturell bzw. medial durchdrungen. Cornells Auffassung von sex erweist sex als medial konstituiert. Das sexuierte Wesen braucht und bedient sich des imaginären Raums als eines Ideals, nach dem sich der Mensch, das sexuierte Wesen, formen kann.
15 »Die Geschlechtsidentität (gender) etabliere durch diskursive bzw. kulturelle Mittel eine geschlechtliche Natur oder ein natürliches Geschlecht, und dieses werde als der Kultur vorgelagert angenommen. Die Konstruktion von sex als naturgegebene Basis und unhinterfragbare Voraussetzung von Geschlechtlichkeit sei nur als Projektionsfläche, als kulturelles Produkt entstanden, womit auch und gerade das subjektiv ehrlichste Interesse an einer bestimmten gender-Vorstellung zu Unrecht sex als Grundlage des gender-Diskurses erscheinen lasse.« (Wagner 1998, S. 92) 16 Vgl. hierzu die Kritik an Judith Butler von Barbara Duden und Hilge Landweer. Duden, Barbara: »Die Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung. Ein Zeitdokument«, in: Feministische Studien 1993, S. 2434 und Landweer, Hilge: »Kritik und Verteidigung der Kategorie Geschlecht. Wahrnehmungs- und symboltheoretische Überlegungen zur sex/ gender-Unterscheidung«; in: Feministische Studien 1993, S. 44-55. 17 Vgl. Cornell 1998, S. 7.
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»Sexuate being is meant to be a concept abstract enough to be consistent with the ideal of the free person. […] This place of free exploration of sexual representations, and personas, is the imaginary domain.« (Cornell 1998, S. 8)
Die herkömmliche Annahme zu sexuate being ist die der traditionellen Geschlechtsrollenannahme; Annahme im doppelten Sinne: von unterstellt und von angenommen haben. Demgegenüber betont Cornell – und genau hier liegt die Neuheit im Vergleich zu anderen sex-genderVerhältnisannahmen, etwa der von Judith Butler – die Gebundenheit durch die unbewussten Identifizierungen und die Freiheit im Sinne einer ethischen Legitimierung eines Freiraums sowie eine zumindest in Grenzen frei wählbare Selbstorientierung. Der Terminus sexuiertes Wesen (sexuate being) bezeichnet den vergeschlechtlichten Körper des menschlichen Wesens, das eingebunden ist in ein Bezugssystem, in dem es sich orientiert. Cornell hat eine Begriffsdifferenzierung gewählt, in der sie die bewusste Wahl dem sexuate being zuschlägt. Mit den Begriffen sex und sexuelles imago rechnet sie dem Unbewussten Bedeutung in der Sexuierung zu. Weil das Unbewusste bereits in diesen zwei Instanzen der Sexuierung enthalten ist, geraten das Unbewusste und das kulturell Unbewusste an- und ineinander. Das sexuelle imago ist kulturdurchwirkt. Die Sexuierung umschließt also mit sex, sexuate being und imaginary domain die unbewussten, aufs Imaginäre zielenden Identifizierungen und die determinierenden gesellschaftlichen Gegebenheiten. Und sie umschließt unsere bewusste, frei wählbare Identifizierung. Die wechselseitige Durchdringung von sex, sexuate being und imaginary domain hält den Prozess der Sexuierung offen und bringt Bewegung, Neuorientierung durch die imaginary domain in den Prozess der Freiheit, sich in seiner Sexuierung neu zu orientieren – im weitesten, die Phantasie mit einschließenden Sinne. Die Sexuierung bedeutet also, denkt man Cornell weiter, stets ein neu Sexuiert-Werden. Diese Betonung des Prozessualen kann wertneutral sein im zeitlichen Sinne von Nicht-Abschluss, es kann aber auch im kausalen Sinn als Nicht-Eindeutigkeit verstanden werden. Der eigentliche Zielbegriff nun, die imaginary domain, ist ein utopischer Freiheitsbegriff, eine Möglichkeitsform unseres Selbst, ein geträumter Selbstentwurf. Der ist z.B. inspiriert von Texten der szenischen Künste, von Phantasien aus dem Reich des Narrativen, ist erfüllt von verschiedensten kulturellen Imaginationen. Der imaginäre Selbstentwurf unseres Selbst, die ethische Legitimation zur ausschließlichen Selbstrepräsentation dieses Entwurfs lässt – für Cornell – das Imaginäre wie das Reale zu Repräsentiertem in der Instanz der imaginary domain werden, stellt der Selbstpräsentation die Repräsentation als gleich wichtig an die Seite. In diesem Moment werden die ima137
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ginären (im Sinne der Phantasie) wie die imaginativen (im Sinne von narrativ) Annahmen nicht nur selbstidentifizierend, sondern determinierend. Körper und Sexualität sind dann Kreuzungspunkte von Vordiskursivem und Diskursivem. Das sexuate being ist durch sex wie durch kulturelle Narrationen gleichermaßen geprägt. Im sexuate being geraten sex und Narrationen in eine Ununterscheidbarkeitszone. So erfolgt eine tiefstmögliche Einlassung von Medien, z.B. von Film, in das sexuate being. Der Film zeigt stets aufs Neue die Möglichkeit des SexuiertWerdens, seine Narration wiederholt gewissermaßen das Sexuiert-Werden. Sex, gender, Libido sind Grundorientierungen des Menschen, jedoch stehen sie nicht in einem direktem Kausalverhältnis, sondern sie wirken im Menschen über den psychischen (Frei)Raum, den die (sexuelle) Selbstrepräsentation anderer Menschen diesem Individuum gibt. Die Spiegelung des Fremdbildes durch andere und der dem Menschen ermöglichte oder verwehrte Erfahrungsraum werden neben dem libidinös bestimmten Selbstentwurf zu Determinanten der Sexuierung. »Instead, we see ourselves so deeply from the ›inside‹ as ›sexed‹ that we cannot easily, if at all, re-envision our sexuate being. This inner ›sexed‹ sense is the sexual imago that is the basis of the unconscious assumed persona through which we represent ourselves. Sexual orientation cannot be called a choice since it implicates a sexual imago that is inseparable from the bodily ego.« (Cornell 1998, S. 37)
Die Sexuierung, die sowohl unsere gender-Fundierung als auch unsere sexuelle Orientierung umfasst, wird so verinnerlicht, dass sie die unbewusst angenommene persona ausbildet, mittels derer wir uns repräsentieren, also in der Öffentlichkeit agieren. Der Rückblick auf die theoretische Konstruktion der Cornell’schen Erklärung der Sexuierung, der Vergeschlechtlichung, zeigt, dass dieser utopische Entwurf zweierlei braucht: ein Befreiungspotenzial und eine gesellschaftliche Bindung, eine ethische und politische Legitimierung. Nun könnte man gegen das Konzept (als ein auf Freiheit gerichtetes) einwenden, dass der dem Individuum gewährte Erfahrungsraum an der Sexuierung durch andere hängt. Wendet man es positiv, zielt man auf das Prozessuale, auf den Nicht-Abschluss, so kommt das Mediale, etwa der Film, als eine Möglichkeit der Sexuierung ins Spiel. Er ist dann ein gewährender Erfahrungsraum wie einer durch andere Menschen gewährter. Wenn man Cornells Konstruktion konsequent zu Ende denkt, erkennt man den gleichen Status für mediale wie für soziale Realität in Bezug auf
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die Sexuierung – möglich ist das durch das stark gemachte Konzept der Repräsentation. Beides, Mediales wie Soziales, sind Repräsentationen in der imaginary domain, für beides gilt in gleicher Weise, dass Unbewusstes und Kulturelles sie geprägt haben.
Kulturelle Selbstrepräsentation Cornell betont die ästhetische Dimension der feministischen Freiheitspraxis – als deren Bedingung. Feminismus sei unvermeidbar ein symbolisches Projekt, Selbstrepräsentation immer nur möglich als kulturelle, als symbolische und ästhetische Präsentation18. Um Selbstrepräsentation zu verändern, müssten die imaginären Selbstentwürfe im Feld der allgemeinen kulturellen Repräsentationen justiert werden. Andererseits seien die kulturellen Repräsentationen kritisch zu hinterfragen und an die imaginären Selbstentwürfe anzunähern. »We need to sink ourselves into our dreams. We need to play with metaphor to undercut the rigidity of engendered meanings that embed themselves in the images and symbols by which we can represent ourselves. The question of who we are as sexed beings takes us into the deepest recesses of what lies buried under civilization.« (Cornell 1998, S. 24)
Es klingt wie das Echo der altbekannten feministischen Forderung – eine andere Sprache des Begehrens sei zu entwickeln. Es hat Ähnlichkeit zu Claire Johnstons Feminist Cinema as a Counter-Cinema?19, einem Gründungstext der Feministischen Filmtheorie. Ist es also nach wie vor aktuell und sinnvoll, das unter patriarchalem Schutt vergangener Jahrhunderte vermutete ›wahre Selbst‹ auszugraben? Es wurde versucht. Es entstanden feministische Experimental- und Avantgardefilme, denen die Entwicklung einer weiblichen Ästhetik zugeschrieben wurde bzw. die dieses für sich beanspruchten.20 War die Re18 Die hier so synonymisch anmutende Ineinssetzung von symbolisch und ästhetisch bzw. imaginär und repräsentativ kommt von Cornell selbst. 19 Johnston, Claire: »Women’s Cinema as Counter Cinema«, in: Notes on Women’s Cinema, London: SEFT, 1973; Wiederabdruck in: Feminism and Film, ed. by E. Ann Kaplan: Oxford University Press 2000, S. 22-34. 20 Einer der frühen Filme – und stets als das Paradebeispiel zitiert – ist der von Laura Mulvey und Peter Wollen realisierte Film: RIDDLES OF THE SPHINX, GB 1977, Regie: Laura Mulvey und Peter Wollen. Valie Export
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de vom weiblichen Begehren bzw. der weiblichen (bisweilen auch feministisch genannten) Filmsprache für die Diskurse der 70er und frühen 80er Jahre bestimmend21, so beschäftigte sich Feministische Filmtheorie in den 80er Jahren immer wieder mit der Frage22, wie Frauen im patriarchalen Kino genießen23, Vergnügen an Filmen haben könnten, die ›eigentlich‹ den männlichen Zuschauer adressieren24. Es wurden Identifikationstheorien entwickelt, die die Unmöglichkeit einer weiblichen Position im männlichen Kino zu erklären versuchten, Modelle der gleichgeschlechtlichen und gegengeschlechtlichen Identifizierung25, aber auch ästhetische Maskerade-, Verstellungs- und Parodiekonzepte26. Doch die Geschichte der Feministischen Filmtheorie förderte auch die entgegengesetzte Position, die Einsicht in die Unmöglichkeit dieses Unterfangens zu Tage, und eine Antwort auf diese Unmöglichkeit war ein ›dialektischer‹ Vorschlag: Künftighin hätten wir mit Ödipus gegen Ödipus zu arbeiten27, patriarchale Imaginationen im Kino durch kritische Filmsichtung und -
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und Yvonne Rainer gelten als die prominentesten Vertreterinnen dieser Richtung. Vgl. z.B. das frühe Filmschaffen der Künstlerin Yvonne Rainer (u.a.: JOURNEYS FROM BERLIN/1971; USA 1980, Regie: Yvonne Rainer) und die theoretischen Äußerungen der Wissenschaftlerin Yvonne Rainer. Rainer, Yvonne: Talking Pictures: Filme, Feminismus, Psychoanalyse, Avantgarde, Wien: Passagen-Verlag 1994. Vgl. Gottgetreu, Sabine: Der bewegliche Blick. Zum Paradigmawechsel in der feministischen Filmtheorie, Frankfurt a.M.: Lang et al.: 1992 und The Sexual Subject: a Screen Reader in Sexuality, hg. v. Screen; London et al.: Routledge 1992. Auch hier möchte ich nur eine exemplarische bibliographische Referenz unter zahllosen möglichen nennen: Doane, Mary Ann: »Film and the Masquerade: Theorizing the Female Spectator«, in: The Feminism and Visual Culture Reader, hg. v. Amelia Jones; London et al.: Routledge 2003, S. 6072. Vgl. Studlar, Gaylyn: »Schaulust und masochistische Ästhetik«, in: Frauen und Film, Heft 39, 1985, S. 15-35. Vgl. De Lauretis: Die andere Szene. Psychoanalyse und lesbische Sexualität; Berlin: Berlin-Verlag 1999. Vgl. Riviere, Joan: »Womanliness as a Masquerade«, in: The International Journal of Psychoanalysis, Heft 10, 1929, S. 127-137 und Weiblichkeit als Maskerade, hg. v. Liliane Weissberg; Frankfurt a.M.: Fischer 1994. Vgl. ebenfalls: Robertson, Pamela: Guilty Pleasures: Feminist Camp from Mae West to Madonna, Durham: Duke University Press 1996. Vgl. de Lauretis, Teresa: »Ödipus Interruptus«, in: Frauen und Film, Heft 48, 1990, S. 5-29.
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analyse auf das Patriarchat zurückzuspiegeln28. Eine Relektüre der frühen Texte der Feministischen Filmtheorie könnte mit einigem Recht den Johnston-Text als Ursprung der Jahrzehnte später en vogue gekommenen Forderung parodistischer Verschiebung herausstellen. Werden also die feministischen Maskeradekonzepte, Subversionsentwürfe29, parodistischen Iterationen30 einmal mehr, diesmal in der Terminologie von sex und gender, wiederholt? Sind emanzipatorische Befreiungsprogrammatiken immer zum gleichen Schicksal verurteilt? Wie ist Cornell in dieser Traditionslinie zu positionieren? Cornells Utopie ist die Befreiung durch die Imagination, ihr unterläuft kein theoretischer Lapsus, wenn sie ihren Text offen hält für die Verwischung von imaginärer Selbstrepräsentation und imaginativen Fremdrepräsentationen.
B . 2 . 2 . E x k u r s: D a s m e d i al e Un b e w u s s te u n d d a s u n b e w u s s te M e d i al e Zunächst einige Überlegungen zur Bestimmung, dass das Kulturelle vom Unbewussten durchdrungen ist wie das Unbewusste vom Kulturellen. Die vorschnelle Überführung des einen in das andere relativierte ja beider Medialität, die Implosion der Differenz führte zu einem nivellierenden Relativismus. Die vorschnelle Überführung ist nur durch eine Kommentierung zu markieren, die auf die Crux der Medialität des Unbewussten hinweist, wie sie am augenfälligsten in der Auseinandersetzung mit Freuds psychischem Apparat31 zu Tage tritt. 28 Heide Schlüpmann tut dies in: Schlüpmann, Heide: Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos, Basel et al.: Stroemfeld/ Roter Stern 1990. 29 Vgl. Die Subversive Kraft des Lachens; hg. v. femme totale; Dortmund 1993. Katalog des 4. Internationalen Frauenfilmfesitvals femme totale 1993 in Dortmund. 30 Vgl. Butler, Judith: »Gender Is Burning: Fragen der Aneignung und der Subversion«, in: Dies.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts; Berlin: Berlin-Verlag 1995, S. 163-189. Diese Lektüre des Films PARIS IS BURNING, USA 1990, Regie: Jennie Livingston, ist vom Gedanken des Geschlechts als performativem Akt getragen. Im Film werden parodistische Iterationen ausgemacht, die Geschlecht als Zitation vorangegangener performativer Akte ausweist. 31 Freud, Sigmund: »Notiz über den ›Wunderblock‹« (1925 [1924]), in: Freud, Sigmund: Studienausgabe, Bd. III, Psychologie des Unbewussten;
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Wenn sich das Unbewusste dem abstrakt-rationalen Problem- und Begriffsdenken entzieht, zum Beispiel in Träumen oder Versprechern artikuliert, in irrationalen Handlungsweisen, dann in Vermittlungsinstanzen, das heißt: Die Artikulation des Unbewussten geschieht als Mediatisierung. Das Unbewusste äußert sich sprachlich und bildlich, muss aber, um als Äußerung des Unbewussten erkannt und analysiert zu werden, von einem Bewussten, dem Bewusstsein des Analytikers oder eben der Analytikerin, erfasst werden. Damit ist die Grundschwierigkeit offengelegt, die das zeitliche und das zugeschriebene ontologische Prä des Unbewussten vor dem Bewussten kennzeichnet. Dieses vermeintliche Prä des Unbewussten kann nur durch das auf ihn aufbauende Bewusstsein als ihm vorgängig und grundlegend erkannt werden. Die UnbewusstheitsÄußerung ist zudem an das Medium des Bildes oder der Sprache gebunden. Zum Medienaspekt des psychischen Apparats äußert Friedrich Kittler: »Derartig auf ein Informationsmanagement zugespitzt, verliert der Ort des Seelischen sein erhabenes Pathos. Als psychischer Apparat, der zuvorderst Vermittlungsaufgaben übernimmt, erweist er sich vielmehr als ein Medium, welches zudem und hinsichtlich Freuds naturwissenschaftlicher Intention in seiner prinzipiellen Funktion als Technologie des Unbewussten, als Arbeitsspeicher oder Gedächtnismaschine aufgefasst werden kann« (Kittler, zit.n. Schanze 2001, S. 102)
Bei der Engführung von technischen und psychischen Sachverhalten ist der Überschneidungspunkt von Medientechnik und Psychoanalyse zu berücksichtigen. Mediengeschichtliche Innovationen dienten und dienen als exemplarische Beispiele zur Fundierung wissenschaftlicher Erklärung – unter anderem der Psychoanalyse. Sie fordern neue interesseleitende Fragestellungen heraus, bewirken neue Forschungsmethoden und hypothesen und damit neue Forschungsergebnisse. In diesem Sinne generieren neue Medien neues Wissen, neuartige Welterklärungen, eingeschlossen veränderte psychische Dispositionen. Und diese veränderten, von Medien beeinflussten psychischen Dispositionen kann man als mediales Unbewusstes fassen. Das ist nicht freudianisch perspektiviert, sondern kulturwissenschaftlich. Mit Joseph Vogl könnte man sagen:
Frankfurt a.M.: Fischer 1975, S. 363-371. Vgl. hierzu ebenfalls: Handbuch der Mediengeschichte; hg. v. Helmut Schanze; Stuttgart: Kröner 2001 und Rieger, Stefan: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001.
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»Wird eine Geschichte der Psychoanalyse also immer wieder auf die Bedeutung medientechnischer Aprioris stoßen, so wird umgekehrt – und das ist ein zweiter Aspekt – eine Geschichte von Medien stets auch eine Geschichte unbewusster Medien-Effekte sein.« (Vogl 1999, S. 273)
Und Vogl fährt fort: »Allgemeiner ließe sich vielleicht sagen: Wann immer man Apparate, Technologien oder Symbolzusammenhänge in ihren medialen Dimensionen analysiert, wird es zugleich um den historischen Stand und die Reichweite eines medialen Unbewußten gehen – das gilt für die Geschichte der Elektrizität oder des Kinos ebenso wie etwa für das Verhältnis von Massenliteratur und Lesesucht […].« (Vogl 1999, S. 273)
Fazit Medienwissenschaftliches Denken hebt mit der Gender Studies- Perspektive, die die Sexuierung als Prozess kritisch durchleuchtet, die kulturelle Prägung hervor, stellt deren mediale Ausgerichtetheit in den Vordergrund. Psychische Vorformung – des sexuellen imagos zum Beispiel – oder gesellschaftliche Formierungen kreieren dabei projektive Medienphantasien, die die Medien-Effekte der Psyche zum Zuge kommen lassen. Diese Medien-Effekte können immer wieder als Fundierungen von z.B. Filmen freigelegt werden. Diese projektiven Medienphantasien können unter anderem ihren Ausdruck in sexuellen Medienphantasien finden, deren analytische Betrachtung, ergänzend zur Erörterung psychischer Identifizierungen und psychoanalytischer Mechanismen im medialen Dispositiv, abhebt auf medienkulturelle Dispositionen als begründende Fundierung der Sexuierung. Ein Denken der Psychoanalyse im Horizont von Medienwissenschaft ist hingegen auch – ein Strang der doppelgleisigen und doppelt gerichteten Denkrichtung – grundsätzlich eine Reflexion auf das Medium, meist verbunden mit einer Rückführung auf historische oder technische Bedingtheiten. Medienwissenschaftliches Denken der Psychoanalyse ist eine die psychoanalytische Filmtheorie ergänzende Denkrichtung. Gender Studies-Theorien denken zur Erklärung der Sexuierung diese in Momenten einer möglichen – zum Beispiel parodistisch verschiebenden
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oder zwanghaft wiederholten32 – Selbstsexuierung und einer vorgenommenen Fremdsexuierung. Wurden bisher in medialen Dispositiven mittels Analyse die bewusst gemachten Unbewusstheitsmomente hervorgekehrt33, so wird mit dem neuen Dispositiv die Überkreuzung von medial Unbewusstem und unbewusstem Medialem gesehen. Es sind Bewusstheits- und Unbewusstheitsmomente, die im imaginary domain repräsentiert sind und die im sexuierten Wesen wirken. Gewichtiger jedoch als die Inklusion von kultureller Prägung im Unbewussten ist die Tatsache, dass sowohl sex als auch sexuelles imago durch die – auch mediale – Vorformung, die sie erfahren haben, für jene voneinander abhängenden bzw. aufeinander aufbauenden Sexuierungen – und durch die Repräsentation im imaginary domain – gar keine Unterscheidung von imaginär und imaginativ bereithalten. Die Ununterscheidbarkeitszone – und das ist die imaginary domain – entsteht als Verschränkung von medial Unbewusstem und unbewusstem Medialem. In der bisherigen feministisch orientierten Film- und Fernsehwissenschaft waren Analysen überwiegend perspektiviert auf den Beitrag, den das Unbewusste zu den Kultur- und Technikleistungen beisteuerte. In diesem Erwartungshorizont sah man das Film-Werden psychoanalytischer Wesenheiten. So wurde zum Beispiel im Film das phallische Prinzip ausgemacht34, oder es wurde Filmsprache mit geschlechtlicher Zuweisung konnotiert35. Mit der Weiterentwicklung von Feministischer Filmtheorie zu medienwissenschaftlichen Gender Studies richtet sich der Analysefokus nicht mehr ausschließlich auf das unbewusst Mediale, son-
32 Dies ist die Position Judith Butlers. Vgl. Butler 1991 u. Butler 1995. 33 Die psychoanalysegestützten Interpretationen Feministischer Filmtheorie, wie sie z.B. Barbara Creed in The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis (London et al.: Routledge 1993) entwickelt, zielen ab auf die Aufdeckung psychischer Gesetzmäßigkeiten in Narration und Ikonographie der besprochenen Filme. 34 Vgl. Creed, Barbara: »Alien and the monstrous-feminine«, in: The Gendered Cyborg. A Reader; hg. v. Gill Kirkup, Linda Janes, Kathryn Woodward und Fiona Hovenden; London et al.: 2000, S. 122-136. 35 Vgl. Mulvey, Laura: »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: The Feminism and Visual Culture Reader, hg. v. Amelia Jones; London et al.: 2003, S. 44-53. Die Kamera als männliche Blickposition ist eines der einflussreichsten Theoreme in der Feministischen Filmtheorie geworden.
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GENDER UND PROSTITUTION
dern ebenso auf das medial Unbewusste, also auf die Frage, wie Kultur und Medien das Unbewusste formen36. Psychoanalytische Erklärungen von Filmen sind zum einen davon bestimmt, dass Medien, ihr Erscheinen, ihre Zuschreibungen, an ihre geschichtliche Epoche gebunden sind und sich durch die Zeit verändern, wohingegen Psychoanalyse ahistorisch und mit universalistischem Gültigkeitsanspruch auftritt und argumentiert37. Zum anderen stellen Medien, so die implizite Prämissensetzung, psychische Sachverhalte aus. An ihnen können menschliche psychische Strukturen analysiert werden. Medien reproduzieren aber nicht nur psychische Strukturen, sondern stellen diese auch her. Was als Reproduziertes genommen wird, wird von den Medien konstituiert. Drittens ist die Psychoanalyse selbst von Medien durchwirkt, sie ist medial geprägt. Diesem Punkt widmet Medienwissenschaft ihre besondere Aufmerksamkeit. Bei alldem wird die Psychoanalyse nicht mehr als wahrheitsstiftende Instanz verstanden, sondern als etwas medial Bedingtes. Der Phallus ist deshalb Film geworden38, weil die Psychoanalyse eine Kulturleistung ist, eine Kulturleistung zudem, bei der die Psyche als Speichermedium gedacht wurde. Weiß man um diese Bedingtheit der Filmanalyse, fällt einem die Logik der Zuschreibung ins Auge. Es ist eine Logik der Naturalisierung. Naturalisierung gilt nicht nur für das angenommene Kausalverhältnis von sex und gender, sondern auch für das von Unbewusstem und Medialität. Löst man die Zuschreibungsverkehrung, entnaturalisiert man das Naturalisierte, dann stellt man das Wechselverhältnis von Selbst- und Fremdrepräsentation, von imaginativ und imaginär, von medial Unbewusstem und unbewusstem Medialen heraus. Die Reflexion auf die Medienimplikation im imaginary domain erfasst diesen Überkreu36 Vgl. z.B. Handbuch der Mediengeschichte; hg. v. Helmut Schanze; Stuttgart: Kröner 2001 und Rieger, Stefan: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001. 37 Sigmund Freud zum Beispiel kannte die Interpretation des sophokleischen Dramas König Ödipus, die sich aus dem Horizont der antiken Mantik ergab. Ungeachtet dieser Deutungen entwickelte er in der Darlegung des Ödipuskomplexes einen psychoanalytischen Komplex, der mit ahistorischem und universalistischem Gültigkeitsanspruch behauptet wurde. Vgl. die Ausführungen zum Ödipuskomplex in Kapitel C.4. 38 Meine Anspielung auf die Filme Cronenbergs bzw. die Veröffentlichung Und das Wort ist Fleisch geworden: Texte über Filme von David Cronenberg (hg. v. Robnik, Drehli u. Palm, Michael, Wien: PVS-Verleger 1992).
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zungspunkt. Medien sexuieren Menschen. An der Schnittstelle von Medienwissenschaft und Gender Studies kann die Sexuierung durch Medien erfasst werden.
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C.1. K Ö R P E R UN D B E W U S S T S E I N . SYSTEMTHEORIE: ROBERT VAN ACKERENS DIE FLAMBIERTE FRAU C.1.1. Liebe und Sex I: L u hm a n n s C o d i e r u n g v o n I n ti m i tä t i m F i l m m i l i e u d e r P r o st i t u i e r te n Niklas Luhmann hat in Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität die Liebe als historischen, unter historisch besonderen Bedingungen entstandenen Code herausgearbeitet. Weder historisch noch theoretisch hat er auf den – oder einen – Code der Prostitution reflektiert. Ich werde den ›Prostitutionscode‹ in spezifischer Differenz zum Liebescode herausarbeiten, um mir systemisch die Voraussetzungen zu schaffen für das Verständnis vieler ›Prostitutionsfilme‹ heute. Der Grund liegt auf der Hand: In vielen Prostitution thematisierenden Filmen spielt der Liebescode eine zentrale Rolle, wahre Liebe und Sex als Ware bilden eine paradoxe Einheit. Das ist erstaunlich, eigenartig und widersinnig, denn traditionell schließen Liebescode und Prostitutionscode einander programmatisch aus – und wenn ein Bordellbesucher in der Vergangenheit, wie die Romane es schilderten, sentimental an einem ›gefallenen Mädchen‹ Gefallen fand im Sinne des Liebescodes, dann errettete er diese Frau aus den Niederungen der käuflichen Liebe, indem er und sie den Code wechselten. Das war dann die Ausnahme von der Regel, die Regel bestätigend, dass wahre Liebe und Sex als Ware einander binär ausschließen. In der heutigen Prostitutionsdarstellung im Film dagegen schließt der eine Code an den anderen an (oder schließt ihn paradoxerweise ein), steigert ihn, entwickelt ihn zu etwas Neuem. Bei aller Vielgestaltigkeit des Sujets, der Handlungsmotivation der Figuren, der Milieuschilderung, des realistischen oder nostalgischen Rotlicht-Milieus: Es hält sich eine Motiv-Konstante durch, die man im Kontext von Prostitution eigentlich nicht erwartet. Prostitution wird heute in vielen Filmen reflektiert und bewertet im Horizont von Liebessemantik, und da hat es wenig Sinn, an einen notorischen, konzeptuellen Kunstfehler zu glauben, auch nicht daran, dass die Darstellung der Prostitution im Horizont des Liebescodes nur ein technisch-dramaturgischer Kunstgriff 147
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sei. Es verhält sich anders, der traditionelle Liebescode und die traditionelle Prostitution schließen einander nicht mehr diametral aus, sondern befinden sich eigentümlicherweise in einem Nachbarschaftsverhältnis. Und diesem Verhältnis gilt mein Interesse.
Die filmische Darstellung von Prostitution als ästhetische Reflexion der Liebessemantik Prostitution im kulturellen Zusammenhang allein als materiell-sexuelles Verhältnis zu denken, also unter Ausschluss psychischer Prozesse, die, wie man weiß oder zu wissen glaubt, zur Nicht-Prostitution gehören, ist zwar theoretisch möglich, doch Spielfilme, in denen Prostitution thematisch wird, sind offenkundig nicht an Prostitution als Prostitution interessiert (und selbst im Zusammenhang des Dokumentarfilmgenres findet sich schwerlich ein solches Interesse). Prostitution ist weniger das andere des Liebesdiskurses als vielmehr dessen Erweiterung. Mein Augenmerk gilt deshalb zunächst der erstaunlichen Häufigkeit, mit der die Filmfigur der Prostituierten zur Figuration des Prinzips Liebe herangezogen wird. Diese Figuration ist zugleich Verkörperung und programmatische Verschränkung/Verkörperung von wahrer Liebe mit der Ware Liebe – eine signifikante Paradoxie. Die Themen und Leitgedanken der mythisierenden Liebesdarstellungen im Film sind offenbar nicht zufällig mit der Figur der Prostituierten besetzt. Die filmische Darstellung reagiert auf die Liebessemantik der Gesellschaft und deren Veränderungstrends. Auch wenn die mythisierenden Liebesdarstellungen in deskriptiver Form gehalten sind und nicht unbedingt Realsachverhalte des Liebens wiedergeben, sie lösen, um es in der Terminologie von Luhmann zum Ausdruck zu bringen, angebbare Probleme. Die mythisierenden Liebesdarstellungen geben, wie gesagt, nicht unbedingt die Realsachverhalte wieder, aber sie bringen funktionale Notwendigkeiten des Gesellschaftssystems in eine spezifische symbolische Form. Die jeweilige Semantik der Liebe kann uns daher einen Zugang eröffnen zum Verständnis des Verhältnisses von Kommunikationsmedium und Gesellschaftsstruktur. Die angebbaren Probleme, das ist in diesem Fall die evident gewordene Virulenz von Sexualitätsfragen – eine neue, sich verändernde Diskursivierung von Sex. Die funktionale Notwendigkeit des Gesellschaftssystems, um die es hier geht, das ist die Ausdifferenzierung eines eigenen Teilsystems, eine Funktionsveränderung des symbiotischen Mechanismus der Liebe, des Sex.
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Oder bildet die Ausdifferenzierung eines eigenen Teilsystems gar ein neues symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium aus: den Sex? Dieses müsste unter anderem Anschlusskommunikation ermöglichen. Auf das Problem von Kommunikation und Sexualität werde ich in der anschließenden Diskussion von Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen1 von Niklas Luhmann eingehen. Auch in der Prostitution ist, so Peter Fuchs2, Sex symbiotischer Mechanismus.
Zur Codierung von Liebessemantik Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien wie Liebe machen nach Luhmann den verbindenden und erklärenden Kern einer Gesellschaftstheorie aus, die zwei verschiedene Erklärungsansätze zu verbinden vermag: Der eine ist der theoretische Ansatz einer Systembildung und Systemdifferenzierung der Gesellschaft, fundiert auf der Annahme einer sich stets weiter differenzierenden und komplexer werdenden Gesellschaft. Die Gesellschaft transformiert sich zunehmend von einer Schichtungsgesellschaft in eine funktional moderne Gesellschaft. Der andere Erklärungsansatz ist geleitet von Evolutionsannahmen einer geschichtlichen bzw. sozio-kulturellen Entwicklung. In Luhmanns Worten: »Die Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen – das ist die Formel, die Gesellschaftstheorie, Evolutionstheorie und Theorie der Kommunikationsmedien verbindet. Die Normalisierung unwahrscheinlicherer Gesellschaftsstrukturen stellt höhere Ansprüche an die Kommunikationsmedien, sie spiegelt sich in ihrer Semantik, und Evolution ist das Konzept, das erklären soll, wie so etwas zustande kommt.« (Luhmann 1998, S. 10)
Entsprechend wird »Liebe hier nicht, oder nur abglanzweise, als Gefühl behandelt, sondern als symbolischer Code, der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann« (Luhmann 1998, S. 9). Die Theorie zeige, »daß 1
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Luhmann, Niklas: »Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen«, in: Ders.: Soziologische Aufklärung; Bd. 6, Die Soziologie und der Mensch; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995, S. 189-204. Ich danke Peter Fuchs, Autor von Liebe, Sex und solche Sachen, einer systemtheoretischen Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, für die Diskussion dieses Gedankens im Rahmen des Graduiertenkollegs Authentizität als Darstellung der Universität Hildesheim.
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Liebe nicht nur eine Anomalie ist, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit« (Luhmann 1998, S. 10). Luhmann fasst den Liebescode als eine von zwei möglichen Ausprägungen von Intimität. Die eine ist Freundschaft, die andere das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Liebe. Der symbolische Code ist eine binäre Leitdifferenz zur Erzeugung weiterer binärer Differenzen. Codes sind also immer zweiwertig, haben einen positiven und einen negativen Wert, wobei der positive Wert Anschlussfähigkeit vermittelt, der negative Kontingenzreflexion. Kontingenz distanziert vom Wirklichen als nur bestimmt Möglichem. Der Kontingenzbegriff ist also nicht pejorativ gefärbt, die Kontingenz ist vielmehr der Ort der Reflexion auf all die Möglichkeiten, die durch die bisherigen binären Konstruktionen nicht in den Blick gekommen sind. Mit einem Satz: Es ist der Kontingenzbegriff, durch den eine gesellschaftliche Entwicklung, Evolution unterstellt wird. Beim symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium Liebe ist der binäre Code ›geliebt werden/nicht geliebt werden‹, der Negativwert der binären Liebescodesemantik, während ›nicht geliebt werden‹ der Kontingenzreflexion dienen soll. Was heißt das in diesem Fall? Zum Negativwert gehört die unmögliche Möglichkeit, das heißt die nicht denkbare Imagination und kommunikative Praxis, dass Sexualität selbständige Bedeutung hat. Anders gesagt: Sexualität darf im Liebescode immer nur dann möglich sein, wenn sie, wie die Luhmann’sche Formel lautet, der »Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen« dient. Sexualität im Zusammenhang des Liebescodes darf also nur in der DuRelation stattfinden. Zurück zur Muster-Binarität Liebe/Nicht-Liebe. Der Positivwert Liebe bzw. ›geliebt werden‹ ist verbunden mit Anschlusskommunikation. Dies in den zwei Formen Handeln und Erleben. Intimbeziehungen sind nach Luhmann – horribile dictu – zwischenmenschliche Interpenetrationen, ein System von Aktions- und Reaktionsverhalten, Handeln und Erleben zwischen Ego, dem Liebenden, und Alter, dem Geliebten. Luhmann erklärt das so: »Durch die Problemschwelle und Unwahrscheinlichkeit höchstpersönlicher Kommunikation wird die Verteilung der Zurechnung als asymmetrisch geordnet: Der Liebende, der idiosynkratische Selektionen bestätigen soll, muß handeln, weil er sich mit einer Wahl konfrontiert findet; der Geliebte dagegen hatte nur erlebt und Identifikation mit seinem Erleben erwartet. Der eine muß sich engagieren, der andere (der an seinen Weltentwurf immer schon gebunden ist) hatte nur projektiert. Der Informationsfluß, die Selektivitätsübertragung von Alter (Geliebter) auf Ego (Liebender) überträgt mithin Erleben auf Handeln. Das Besondere (und wenn man will: das Tragische) der Liebe liegt in der 150
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Asymmetrie, in der Notwendigkeit, auf Erleben mit Handeln zu antworten und auf Schongebundensein mit Sichbinden.« (Luhmann 1998, S. 26, Hervorhebung im Original)
Bei binärer Codierung von Kommunikationen, und nur sie ist bei Luhmann vorgesehen, geht es darum, und das ist der ganz zentrale Punkt, keine wie auch immer geartete Einheit der Kommunikation zum Ausgangspunkt der Reflexion zu machen. Immer ist es die Einheit einer Differenz von Kommunikation, an der Luhmann ansetzt. Wenn man das für den Gegenstand Liebe, Liebe als Kommunikationsmedium, durchspielt, bedeutet das, dass Lieben kein Eigenwert ist, keine einfache Positivbestimmung, sondern Lieben ist zunächst nichts anderes als die Einheit der Differenz von Lieben und Nicht-Lieben. Es ist diese Reflexion auf die Differenz einer Bestimmung, die die Theorie davor bewahrt, sich durch Selbstsetzung steril zu machen. Luhmann geht es stets um Selbstsetzungen, die in seinem Modell der Binarisierung evolutionär veränderbar sind. Ohne diese systemische Reflexion auf Differenz – man könnte auch sagen, Negativität – ist Systembildung und insbesondere die Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme nicht möglich. Codes sind also zunächst Binaritäten, ausschließende Unterscheidungen. Das Eine oder das Andere, und ein Drittes ist nicht möglich. Doch in der ausschließenden Unterscheidung ist eben durch den Ausschluss des Dritten noch der Verweis auf dieses Ausgeschlossene enthalten. Abgekürzt, wieder auf den Liebescode bezogen, heißt das, dass die durch die Binarität des Liebescodes ausgeschlossene Möglichkeit einer verselbständigten Sexualität zu einem historisch späteren Zeitpunkt, als neue kommunikative Praxis, möglich werden kann. Und dieses Ausgeschlossene, in einer späteren Entwicklungsphase verwirklichte Dritte, es bildet dann seinerseits wiederum eine binäre Konstruktion aus. So kann sich, bleibt man in der Luhmann’schen Erklärung von Gesellschaftsevolution, der Liebescode auflösen bzw. ausdifferenzieren. Die neue Stufe des Ausdifferenzierungsprozesses heißt Verselbständigung der Sexualität, also das ursprünglich in der Liebeskommunikation Ausgeschlossene, und es ist diese Autonomisierung von Sexualität, die in einem Großteil der Prostitution thematisierenden Filme zum zentralen Motiv wird. Ursprünglich also schloss der Liebescode den Prostitutionscode aus – und natürlich tut er das heute noch. Prostitution ist Nicht-Liebe, ist bestimmte Negation des Liebescodes insofern, als sie einseitig bestimmte Kommunikation ist. Bestimmt durch die Käuflichkeit, berechnet auf kurze Zeit und vor allem auf soziale Folgenlosigkeit. In der wahren Liebe dagegen, also in der Idealität des kommunikativen Du, sollte die Liebe in
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Körperlichkeit aufgehen und diese in jener; die Liebenden verlieren sich so aneinander. Solche Bestimmung von Körperlichkeit ist für die Prostitution unpraktisch, undenkbar, ein Widerspruch in sich. Im Kommunikationsmedium Liebe dagegen war Sexualität ein Korrelat, eine Möglichkeitsgarantie der Funktionalität, ein – wie es bei Luhmann auch heißt – symbiotischer Mechanismus: »Man kann bei Liebe nicht nicht an Sinnlichkeit denken, so wie umgekehrt Avancen auf sexuelle Beziehungen Fragen der wahren oder nur vorgetäuschten Liebe aufwerfen.« (Luhmann 1998, S. 35) Für Luhmanns Liebescode, dessen Entstehung er aufs 17. Jahrhundert bezieht, der in der Kulturgeschichte sonst eher mit dem 18. Jahrhundert assoziiert wird, verbinden sich also Avancen in Richtung auf sexuelle Beziehungen unweigerlich mit der Liebessemantik. Für meine Reflexion auf die Luhmann’schen Reflexionen heißt das: Wer liebt und sich geliebt weiß, verfällt nicht jener Handeln/Erlebenszurechnung, wie sie für Bedürfnisbefriedigungen gilt. Einfacher, weniger terminologisch gesagt: Der Liebende wie der Geliebte verfällt nicht dem Glauben, dass nur Sex von ihm gewollt oder erwartet wird. Alles dies also schließt die Möglichkeit autonomisierter Sinnlichkeit, verselbständigter Sex-Praxis aus. Sie war traditionell der Prostitution vorbehalten, und erst in den letzten Jahrzehnten wird eine neue Codierung möglich und gesellschaftlich dominant. Wenn man angesichts der autonomisierten Sexualität, einer neuen Funktion des symbiotischen Mechanismus Sex, das Verhältnis zum Kommunikationsmedium Liebe überzeugend diskutieren will, man also die neue spezifische Differenz aufmachen will, kann man das nicht besser tun, als wenn man inmitten der alten Domäne der Nicht-Liebe, also gewissermaßen im Bordell, die Möglichkeit von Liebe neu diskursiviert. Der neue binäre Code, der vom gleichen symbiotischen Mechanismus, nämlich Sexualität, getragen ist und der den Liebescode ersetzt bzw. weiterentwickelt, muss deshalb heißen: autonomisierte Sexualität/nicht-autonomisierte Sexualität. Auf der Seite des ausgeschlossenen Dritten, den Negativwerten, findet man jetzt sowohl die traditionelle Liebe, in der die Sexualität nicht autonom, sondern in die Pflicht genommen war, als auch die Prostitution, die als Sexualität nie autonom war und es auch jetzt noch nicht ist. Denn die Einseitigkeit, die das Prostitutionsverhältnis bestimmt, das Geldverhältnis, führt immer nur dazu, dass die eine Seite des Dienstleistungsverhältnisses, der Freier, auf Zeit Autonomie zu erkaufen sucht. Die verschwiegene Hoffnung im Hintergrund, dass diese Praxis mehr sein könnte als die »Begeisterung der Schleimhäute« (Hei-
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ner Müller), dass also die Dienstleistende, die Prostituierte, den Freier zugleich liebt, ihn als Nicht-Kunden meint, diese verschwiegene Hoffnung, sich aus der Fessel des Kaufverhältnisses zu lösen, ist in der Prostitution nicht einlösbar. Genau diese eigentlich unmögliche Möglichkeit wird dem Film zum Motiv. Der traditionelle Liebescode, der gleichsam die Seiten gewechselt hat, nicht mehr positiver Wert ist sondern negativer Wert, er ist unter dem Regime des neuen Codes: autonomisierte Sexualität. Und jetzt gerät er in Gesellschaft zu einem anderen Ausgeschlossenen, nämlich der Prostitution. In dieser Kontingenzzone unfreiwillig nebeneinander geraten, geraten unfreier Freier und Prostituierte in Liebe aneinander.
C . 1 . 2 . L i e b e u n d S ex I I : Z u m V er hä l tn i s v o n K ö r p e r u n d B e w u s s ts e i n Sowohl für die Sexualität als auch für ihre Theoretisierung ist die Eigenbeobachtung des Körpers zentral, wenngleich man – folgt man dem Faden der Systemtheorie, Luhmanns Sexualitätsdiskurs, der die Betrachtung von Körpern zum Inhalt hat – den Eindruck hat, gelegentlich sowohl das eine als auch das andere aus den Augen zu verlieren. Für Filme mit erotischen oder sexuellen Sujets scheint es zentral zu sein, und so ist es wohl auch gewollt, dass man den Eindruck gewinnt, man beobachte sich selbst, indem man beobachtet. Bringt man diesen Umstand mit dem Sexualitätsdiskurs zusammen, verknüpft man sehr Heterogenes. Im Folgenden stelle ich Luhmanns Text dem filmischen Text DIE FLAMBIERTE FRAU von Robert van Ackeren3 gegenüber und hoffe auf einen Erkenntnisgewinn für beide Texte.
3
DIE FLAMBIERTE FRAU; BRD 1983, Regie: Robert van Ackeren, Buch: Robert van Ackeren, Catharina Zwerenz, Kamera: Jürgen Jürges, Musik: Peer Raben, Schnitt: Tanja Schmidbauer, Produktion: Robert van Ackeren, Darsteller/innen: Gudrun Landgrebe (Eva/Carmen), Matthieu Carrière (Chris), Gabriele Lafari (Yvonne/Karen). Aus: www.imdb.com/title/ tt0083949/, letzter Abruf November 2004, und http://cinomat.kim-info.de/ filmdb/filme.php?filmnr=24903, letzter Abruf November 2004.
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Der Sexualitätsdiskurs Luhmanns In Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen gilt das wissenschaftliche Interesse der Eigenbeobachtung des Körpers in der Sexualität als Kommunikationsreferenz Liebender. Mein Anliegen erfordert eine spezifische Perspektive, die den Körper als Selbstbeobachtungsinstanz in der prostitutiven Sexualität begreift. Ich will Prostitution als System ausweisen, das, entsprechend Luhmanns Theorie, von bestimmten Differenzierungen getragen ist, Anschlusshandlungen erzwingt und Kommunikation ermöglicht. Für seine Theorie der Sexualität verabschiedet Luhmann, wie er es für alle Theoretisierung tut, die ontologische Annahme eines eindeutig vorhandenen, irreflexiven Seins. Die interdisziplinäre Sexualforschung ist, Luhmann zufolge, ein autopoietisches Wissenschaftssystem. Das Gleiche gilt für die Reflexion eines Individuums über Sexualität. Die Analyse basiert damit auf dem Einzelbewusstsein als Systemreferenz. Entsprechend ist das Einzelbewusstsein des Anderen (des Sexualpartners/der Sexualpartnerin) nur systemintern kontrollierbare Umwelt für das System ›Einzelbewusstsein der Person A‹. Der eigene Körper als autonomes System wird ebenso wie der fremde vom autopoietischen Bewusstsein als different wahrgenommen. Das psychische System nutzt die Operationsweise des Bewusstseins, die sich von der der Kommunikation unterscheidet. Daher ist Körper das, was das Bewusstsein als Körper beobachtet. »Damit verliert nicht zuletzt auch Sexualität die Charakteristik eines eindeutig vorliegenden Tatbestandes, mit dem sich dann verschiedene Disziplinen auf verschiedene Weise beschäftigen können. Sexualität bedeutet für die Vielzahl lebender Systeme, für psychische Systeme und für soziale Systeme jeweils sehr verschiedenes, […] Auch die Differenz der Geschlechter könnte von hier aus auf allen Ebenen der biologischen, der psychischen und der sozialen Systeme mit einer bisher ungewohnten Radikalität in Anschlag gebracht werden – etwa mit der Folge, daß es relativ unwahrscheinlich ist, daß Mann und Frau im Sexualbereich gleichsinnig erleben – es sei denn, daß kulturelle Programme ihre Erlebnisweisen deformieren.« (Luhmann 1995, S. 191)
Den sexuellen Gleichklang in der Liebe als Deformation zu bezeichnen, heißt nicht, dass eine unüberwindbare Wesens- oder Systemverschiedenheit von Mann und Frau zu Grunde gelegt ist. Das, was Luhmann »relativ unwahrscheinlich« nennt, verweist auf stattfindende und Sinn hervorbringende Kommunikation; und dies macht die kulturelle Deformation sehr wahrscheinlich. Die Gesamtheit von Gedanken, also das Bewusstsein, zeichnet sich aus durch ihre Selbstgenerierungsfähigkeit und den Reproduktions154
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zwang, der nicht biologisch ist, sondern von Gedanken durch Gedanken vollzogen wird. Sowohl die Wahrnehmung physischer Vorgänge als auch die Reflexion der kulturellen, deformierenden Imperative werden als Gedanken neben- und aneinander gesetzt. Dass Wahrnehmung und Kommunikation zwei divergente Seiten einer Differenz sind, bleibt dabei unberücksichtigt.4 Luhmann vertritt die Ansicht, dass »das Bewußtsein mit Notwendigkeit und mit einer gewissen Präferenz im Vergleich zu anderen Objekten den eigenen Körper beobachtet (aber bemerkenswerterweise gerade nicht: das eigene Gehirn!)« (Luhmann 1995, S. 192; Hervorhebung im Original). Die Selbstreferenz des Bewusstseins vollzieht sich zwangsläufig über den eigenen Körper, nur durch Körperbeobachtung erwirbt das Bewusstsein eine eigene Identität. Auf welche Weise aber stellt das Bewusstsein durch sein Systemreferenzobjekt, den eigenen Körper, eine Verbindung mit anderen Körpern und damit auch mit dem Bewusstsein Anderer her? Es bleiben dem Individuum nur Wahrnehmung und Kommunikation – und damit ist die Leitdifferenz benannt. Ohne diese verlöre sich das Individuum unweigerlich im Solipsismus. Dem Bewusstsein eröffnet sich die Möglichkeit der einfachen, nichtinterpretierenden Wahrnehmung als Nicht-Kommunikation. Das nonverbale Agieren kann, muss aber nicht Kommunikation sein. So ist im Falle der Sexualität das nicht-sprachliche Verhalten, laut Luhmann, einfache, nicht-interpretierende Wahrnehmung. Wahrnehmung und Kommunikation ist also die Leitdifferenz, wobei der kommunikationsfreien Wahrnehmung der Vorzug gegeben wird. Sie ist evident und hat eine eigene Berechtigung. Akzeptiert man das Primat der Wahrnehmung, schlössen sich normatives Denken und die Verschiedenheit der Perspektiven im Erleben der Sexualität aus. Damit wäre die Sexualität frei von Kommunikation, die das Bewusstsein manipuliert, sie wäre ein Bereich, der sich einzig durch Wahrnehmung bestimmt, im Idealfall gekennzeichnet durch die Kongruenz von Eigen- und Fremdverständnis. Gemeint ist letztendlich die Akzeptanz des anderen Selbst durch die Unmittelbarkeit des Beobachtens. Luhmann bezieht deutlich Position: »Man müßte zugestehen, daß die verbreitete Präferenz für kommunikative Verständigung wichtige Aspekte des Sexualkontakts unterbelichtet, ja gefährdet« (Luhmann 1995, S. 202). Er kritisiert die normativen Kulturprogramme,
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So unterscheiden sich bereits verbale und non-verbale Kommunikation hinsichtlich Information, Mitteilung und Verstehen.
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»die in der traditionellen Unterschätzung der Eigenleistung des Wahrnehmens angelegt waren und der Korrektur bedürfen. Und dann wäre es vielleicht angebracht, im Körper-zu-Körper-Verhalten der Unmittelbarkeit des Beobachtens wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und, stärker als üblich, das Risiko der Kommunikation zu betonen.« (Ebd.)
Betrachtet man Körper und Bewusstsein als zwei autonome Systeme, verlangt Luhmann, wenn er für die einfache Wahrnehmung in der Sexualität votiert, nicht weniger als eine vom Bewusstsein vorgenommene Eliminierung der aufs Bewusstsein abzielenden Kommunikation: »Selbstverständlich ist diese Wahrnehmung immer interpretierende Wahrnehmung und insofern sowohl gedächtnis- als auch kulturabhängig. […] Für die folgenden Überlegungen ist nur wichtig, daß auf Grund dieser interpretierenden Wahrnehmung sich einfache Wahrnehmung und Wahrnehmung von Mitteilungsverhalten, also Teilnahme an Kommunikation, unterscheiden lassen. […] Es geht nur um eine Unterscheidung, die das Bewußtsein der Beteiligten macht, und um Schwerpunkte der Inanspruchnahme von Aufmerksamkeit.« (Luhmann 1995, S. 195, Hervorhebung H.W.)
Die Differenz zwischen einfacher Wahrnehmung von Verhalten und Kommunikation liegt zum einen in der Einheit von Beobachter und Beobachtetem in einer Entität (das Bewusstsein ist im Körper). Zum anderen lässt sich das Bewusstsein durch den Glauben, der eigene Körper als selbstgewähltes Systemreferenzobjekt entziehe sich seiner interpretierenden Wahrnehmung, irreleiten. Es hält die einfache Wahrnehmung des Körpers für evident. Die einfache Wahrnehmung schließt Denktätigkeit aus, wirkt auf der Grundlage des medizinischen Bewusstseins (physiologisch: Hirnströme etc.) auf das psychische System und kennt nur automatisches, intuitives Handeln. Luhmann definiert die interpretierende Wahrnehmung als die primäre. Aus ihr differenzieren sich die einfache, sekundäre Wahrnehmung und die Kommunikation. Werden nun diese Aussagen durch die Prämisse, dass Wahrnehmung immer interpretierende Wahrnehmung ist, ergänzt, scheint Luhmann gegen jeden Ontologieverdacht gefeit. Die einfache Wahrnehmung wird nicht auf das intellektuelle Bewusstsein zugerechnet, sondern auf ihre Systemreferenz, den Körper. Dadurch ergibt sich ein Widerspruch in der Zuordnung der einfachen Wahrnehmung. Sie scheint dem Bewusstsein wie dem Körper zugerechnet werden zu können. Es ist ein Spiel mit den beiden Bewusstseinsauffassungen, dem denkenden und dem physiologischen Bewusstsein.
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Véronique Zanetti setzt sich mit dem Verhältnis von Leib und Bewusstsein bei Luhmann und Kant5 auseinander und weist Luhmann formallogische Setzungsfehler nach, widerspricht insbesondere Luhmanns Position der Kopplung der Bewusstseinstätigkeit an den Körper. Dabei bezieht sie sich auf den 1987 erschienenen Text Die Autopoiesis des Bewusstseins6. Luhmanns Aussage, das Bewusstsein entwickle seine Individualität über den Körper, stellt Zanetti das logische Primat des Bewusstseins vor dem Körper gegenüber. Das körperlose Denken, dem Luhmann scheinbar gerade nicht anhängt, und das ja auch aus feministischer Perspektive äußerst zweifelhaft geworden ist, bestimmt Zanetti als die einzige Theoriemöglichkeit, ein körperliches Denken einzuschließen: »Nun muß die Annahme, daß das unmittelbare Selbstbewußtsein es sei, welches den Körperzuständen ihren Sinn und ihre Einheit verleiht, nicht zu dem Schluß führen, es sei mithin unkörperlich.« (Zanetti 1995, S. 281)
Welches Verhältnis hat bei Luhmann das Bewusstsein zum Körper? Durch das leibliche Leben, das heißt durch Zuordnung der Gedanken zum Körper7, wird die Totalität der Gedanken »als Einheit aggregiert« (vgl. Zanetti 1995). Das Bewusstsein wird also vom Körper als autonomem System geschaffen. »Als ein vom Bewußtsein getrenntes und unabhängiges System schränkt der Leib dessen Ausdehnung ein […]; der Leib bestimmt so die Einheit des Systems.« (Zanetti 1995, S. 282, Luhmann-Paraphrase Zanettis) Ebenso wie der Körper ist auch das Bewusstsein ein autonomes System, das sich selbsttätig (re)produziert: »Die Individualität setzt die Einheit des Systems voraus (z.B. Bewußtsein), die wiederum nur durch den Bezug auf ein anderes System (z.B. Körper) sichergestellt werden kann, von dem das erste sich abheben kann.« (Ebd., S. 283) 5
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Zanetti, Véronique: »Kann man ohne Körper denken? Über das Verhältnis von Leib und Bewußtsein bei Luhmann und Kant«, in: Materialität der Kommunikation, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht u. K. Ludwig Pfeiffer; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995; S. 280-295 [Erste Aufl. 1988]. Luhmann, Niklas: »Die Autopoiesis des Bewusstseins«, in: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Gedächtnis; hg. v. Alois Hahn, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987, S. 25-94. Zanetti differenziert inhaltlich nicht zwischen ›Leib‹ und ›Körper‹. In dem Aufsatz von 1987 »Die Autopoiesis des Bewußtseins« verwendet Luhmann durchgängig den Begriff ›Leib‹, in »Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen« von 1995 spricht er ausschließlich von ›Körper‹. Zanetti verwendet ›Leib‹ für Luhmann- und Kant-Konzeptionen, mit dem Begriff ›Körper‹ kennzeichnet sie ihre Reflexion darauf.
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Wie soll denn der Körper denken können, wenn nicht über das Bewusstsein? Aus systemtheoretischer Perspektive lautete der Einwand: Ist es nicht das Bewusstsein, das zwischen Wahrnehmung und Kommunikation differenziert? Zanetti meint, nur dann eine angemessene Antwort zu finden, wenn »das Körperbewußtsein in den Rang eines Erkenntnisprinzips erhoben wird« (ebd., S. 291) – wie in Kants Opus postumum8. Nur so lässt sich die notwendige wechselseitige Durchdrungenheit erfassen. Die ›Anheftung‹ des Sinnlich-Materiellen an das Gedanklich-Immaterielle »unterstellt eine unmittelbare Materialität der gedanklichen Elemente, eine unlösbare Einheit des Denkens und der Sinnlichkeit, so daß das Sinnliche schon Gedanke und der Gedanke schon materialisiert ist« (ebd., S. 292). Dann erst könne man, so Zanetti, körperlich denken. Luhmanns Vision der ›Anheftung‹ ist jedoch eine andere: »In der nicht auf Kommunikation spezialisierten Wahrnehmung ist dagegen die Simultaneität von Erleben und Erlebnisinhalt unmittelbar evident. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß diese Simultaneität des Moments, die Gleichzeitigkeit der Ereignisse im System und in der Umwelt, die einzige Form ist, in der ein geschlossenes autopoietisches System die eigene ›Konstruktion‹ seiner Realität überschreiten und sich selbst mit Kontaktgewißheit und damit mit Einschränkungen versorgen kann.« (Luhmann 1995, S. 202)
Sexualität ist nur dann keine Selbstkommunikation, wenn sie an einfache Wahrnehmung gekoppelt ist. Nur durch die Umwelt, konkret: durch eine andere Person, das Andere, dessen Wahrnehmung dem Individuum und dem Anderen unmittelbar evident ist, kann die unlösbare Einheit des Bewusstseins und des Körpers entstehen. Der Geschlechterdifferenz aber scheint dabei keinerlei Bedeutung zuzukommen. Sie führe, so Luhmann in seinem Artikel Frauen, Männer und George Spencer Brown9, ins systemtheoretische Aus und in gesellschaftsevolutionäre Verfehlung. Luhmanns Haltung zu frauenbewegter Politik wurde kaum kritisiert, weder
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»Im Opus postumum dagegen fällt dem Leib geradezu die Aufgabe zu, die Möglichkeit der Erkenntnis äußerer Gegenstände zu fundieren.« (Zanetti 1995, S. 290) Luhmann, Niklas: »Frauen, Männer und George Spencer Brown«, in: Ders.: Protest. Systemtheorie und soziale Bewegungen; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 107-156.
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von Seiten der Gender Studies noch der Feministischen Theorie.10 Die Stimmen, die sich erhoben, attackierten ihn aber umso heftiger: »Auf der kommunikativen Ebene der Geschlechtersemantik bleibt die Geschlechterdifferenz als ›Unterscheidung‹ trotz ihrer Asymmetrisierung dem Modell einer metaphysischen Opposition verhaftet. Ferner erfaßt die Systemtheorie weder systematisch noch historisch die Wechselbeziehungen zwischen Geschlechtlichkeit, Sexualität und Fortpflanzung. Dieser Komplex wird auf eine Reproduktionsangelegenheit verkürzt und damit unterschwellig biologisiert.« (Runte 1994, S. 297)11
Annette Runte trifft Luhmann an seiner empfindlichsten Stelle: Binarität, Ontologie, Hypostasierung des biologischen Geschlechts durch das soziale: »Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Luhmanns Geschlechterkonzeption eine doppelte ist: Als semantischer Code reduziert sie symbolische Differentialität auf die imaginäre Ebene eines Gefüges diskurshistorisch variabler Binär-Oppositionen. Zum Anthropologicum verkommen, trägt sie zur Naturalisierung einer impliziten Reproduktionsfinalität bei. Wie am transsexuellen Extrembeispiel gezeigt wurde, läßt sich geschlechtliche Normabweichung innerhalb des systemtheoretischen Rahmens nicht plausibel machen, und zwar weder hinsichtlich ihrer sozialgeschichtlichen Emergenz noch hinsichtlich ihrer individualgeschichtlichen Kontingenz, weshalb die sozial- bzw. psychosystemische Dys/Funktionalität der in diesem Jahrhundert inaugurierten Praxis der ›Geschlechtsangleichung‹ also mit dem systemtheoretischen Instrumentarium nicht zu bestimmen ist.« (Runte 1994, S. 315, Hervorhebung im Original)
Der Körper in der Selbstbeobachtung Aus systemtheoretischer Perspektive generiert das Bewusstsein durch die Beobachtung des eigenen Körpers eine Identität. Die Körperbeobachtung ist für das Bewusstsein also notwendig und vorrangig, der Selbstbezug 10 Neben Runte und Zanetti äußerte sich auch Ursula Pasero zu der schwierigen Frage des Anschlusses der Systemtheorie an die Gender Studies. Vgl. Pasero 1994. 11 Runte, Annette: »Die ›Frau ohne Eigenschaften‹ oder Niklas Luhmanns systemtheoretische Beobachtung der Geschlechter-Differenz«, in: Denkachsen. Zur theoretischen und institutionellen Rede vom Geschlecht, hg. v. Theresa Wobbe u. Gesa Lindemann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994, S. 297-326.
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des Bewusstseins läuft über den eigenen Körper. Unter diesen Voraussetzungen eröffnet ein Film über – professionelle – Prostitution die Möglichkeit, den Selbstbezug des Bewusstseins in einer extremen Situation bei der Arbeit zu beobachten. Dazu, grundlegend, noch einmal Luhmann: »Sexualität kommt über eine Beobachtung des eigenen bzw. fremden Körpers durch ein Bewußtsein zustande und setzt entsprechende Undurchschaubarkeiten auf beiden Seiten voraus. Die Differenz von Beobachter (der für sich selbst undurchsichtig ist) und Beobachtetem (das für ihn undurchsichtig ist) läßt sich nie wieder eliminieren.« (Luhmann 1995, S. 194)
Der Selbstbeobachtung des Körpers in der Sexualität wohnt die Gefahr der Täuschung inne. Das gilt für Prostituierte und Freier wie auch für Liebende. Das Bewusstsein wird durch den Körper getäuscht und täuscht sich selbst. Aus der Differenz von Körper und Bewusstsein generiert sich die Differenz von Beobachterstandpunkt und Beobachtungsobjekt, auch wenn ihre Ausprägung in der Prostitution eine andere ist als in der Liebe.
Die Täuschung »Eva bricht eines Abends scheinbar spontan aus ihrer Ehe und ihrer bürgerlichen Existenz aus und etabliert sich als Edelprostituierte. Vermutlich als Reaktion auf jahrelange Unterdrückung in der Ehe spezialisiert sie sich als ›Domina‹, als eine, die Männern Lust verschafft, indem sie sie quält und erniedrigt. Bald lernt Eva den Kollegen Chris kennen, der seine Liebesdienste wahlweise an Frauen und Männer verkauft. Für kurze Zeit funktioniert eine seltsame Beziehung: Tagsüber ›arbeiten‹ Eva und Chris in gemeinsamen ›Geschäftsräumen‹, abends genießen sie ein privates Liebesglück. Doch dann entwickelt Chris bürgerliche Neigungen. Er will ein Luxusrestaurant eröffnen, denkt an eine Ehe mit Eva. Die verweigert sich diesen Plänen und provoziert damit den Hass des Mannes, der sie eines Tages mit hochprozentigem Alkohol übergießt und anzündet, gleichsam ›flambiert‹. Eva übersteht diese Attacke auf wundersame Weise und lacht im Schlussbild gemeinsam mit einer Freundin in die Kamera.« (Krusche/Labenski 2001, elektronischer Eintrag zu DIE FLAMBIERTE FRAU)
Der Film DIE FLAMBIERTE FRAU macht die Täuschung des Bewusstseins durch den Körper zu seinem Thema. Die Protagonistin Eva (Gudrun Landgrebe) arbeitet unter dem Pseudonym Carmen, ist eine Domina. Sie hat ein Liebesverhältnis mit dem Callboy Chris (Mathieu Carrière), der sowohl Frauen als auch Männern seine sexuellen Dienste anbietet. Die beiden Prostituierten lieben sich als Nichtprostituierte. Dem Zu-
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schauer wird damit ein Blick auf das Verhältnis von privatem und professionellem Sex gewährt. Der ästhetische Gehalt des Films ist in meinem Zusammenhang fast ohne Bedeutung. Wichtig ist an dieser Stelle, dass der Film das traditionelle Prostitutionsklischee verlässt. Das Motiv für die Prostitution ist einzig in ihrer Konstruiertheit zu suchen. Weder Not, Milieubedingungen noch nymphomanische oder psychopathische Begierde führen, wie in traditionellen settings, in die Prostitution.12 Während sich traditionell nur der Freier frei für die professionell betriebene Sexualität entscheiden kann, hat in van Ackerens Film auch die Protagonistin diese Wahl. Die Freier, die zu Eva gehen, ahnen allerdings nicht, dass Eva ihre Freier auswählt, sie also zu Unfreien macht. Der Film authentifiziert in seinem Verlauf Evas Verhalten hin zu immer wahrhaftigeren Inszenierungen. Dies, obwohl die selbstgewählte Maskerade deutlich ist, das Spiel-imSpiel einmal als das der Prostituierten, Berufsausübenden verstehbar ist, einmal als das der privaten Persönlichkeit. Aus der gender-Perspektive zeigt die Analyse der Konfiguration des Films, dass die Geschlechterrollen gegenbesetzt sind. Denn Eva zieht direkten Nutzen aus ihrer Gesellschafts- und GeschlechterordnungsAnalyse. Sie verkehrt ihre Einsichten in die patriarchale Lebensauffassung ins Gegenteil: das prostitutive gender-Bild, das sie für sich und gegen ihre Freier entwirft, ist das der Domina. Sie personifiziert damit das Antipatriarchale, verkehrt das traditionelle Geschlechterrollenbild. Die Paradoxie: Sie darf, muss beruflich die harte, strafende, fordernde, kalte Frau sein. Sie weiß geplante Demütigungen abzuwehren und in einen Rollenwechsel zu überführen.13 Die gender-Konstitution der beiden Filmfiguren zusammengefasst: Chris ist von Berufs wegen die kulturelle Weiblichkeit, Eva die kulturelle Männlichkeit. Als bei ihm das Berufsgender-Bild durchschlägt auf die Selbstauffassung, entsteht die äußere und innere Dramatik des Beziehungskonflikts. Denn das bei der Arbeit geforderte gender-Bild der kulturellen Weiblichkeit wird von Chris internalisiert, wirkt sich auf seine soziale Verankerung aus. Er sucht Sicherheit, möchte ein Kind, will Eva heiraten, will den Prostitutionsausstieg, will sich eine gesicherte bürgerliche Existenz als Restaurantbetreiber und Koch aufbauen. Bei ihm besteht also eine Kongruenz zwischen 12 So in den sogenannten ›Straßenfilmen‹, bisweilen auch als ›Dirnenfilme‹ bezeichnet, die in den 1910er und 1920er Jahren dieses Bild von Prostitution entwarfen. 13 Ein Freier, der von Eva verlangt, unter harschem Kommando im sex-dress Hausarbeit zu spielen, wird selbst in diese Rolle versetzt.
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dem im Sex erworbenen gender-Bild und der psychischen Identität, die der gender-Prägung den Vorrang gibt. Sie hingegen balanciert das in der Sex-Arbeit geforderte gender-Bild der kulturellen Männlichkeit, das die sexuelle Erregung der Freier hervorruft, aus, indem sie zugleich eine andere gender-Prägung realisiert: die der kulturellen Weiblichkeit. Die kann sie privat in ihren Frauenfreundschaften und in ihrer privaten geistigen und sexuellen Beziehung mit Chris leben. Aufschlussreich (und natürlich die Achse der Filmdramaturgie) ist die modellhafte Trennung von Arbeits- und Privat-Sex. Bei Chris stimmt die in der Arbeit praktizierte Sexualität überein mit dem privat praktizierten Sex – er verschafft Frauen sexuelle Befriedigung und dabei möglicherweise auch sich selbst. Bei ihr hingegen gilt das Gegenteil. Sie ist zu Arbeitszwecken Domina, privat aber ist sie die genießende femme.14
Abbildung 1: Eva (Gudrun Landgrebe) beim Liebesakt mit Chris (Mathieu Carrière) Die filmimmanente Behauptung ist demnach: Die Art, in der Eva (bzw. Carmen) Prostitution ausübt, ist für sie ein Befreiungsschlag gegen das Patriarchat, wohingegen er immer stärker in die Widersprüche des Patriarchats hineingerät, unter ihnen leidet, an ihnen scheitert. Denn er ist gezwungen, über die männliche Sexualität als eine problematische Praxis, eine problematische Identität nachzudenken. Vor allem ist für ihn der 14 Femme wird hier als Gegenbegriff zu butch gebraucht. Butch bezeichnet in lesbischen Beziehungen die maskulinisierte Lesbe, wohingegen die femme mit femininer Weiblichkeit assoziiert wird.
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Masochismus der Freier, die Eva befriedigt, die Entwürdigung der männlichen Sexualität. Diese Erfahrung löst bei ihm Potenzprobleme und eine Identitätskrise aus. Mit Unfassbarkeit zunächst, dann einem BegreifenWollen, schließlich mit Ekel und Abscheu reagiert er auf den in der Sexpraxis seiner Geliebten implizierten gender-Bruch. Eva dagegen muss nicht über die weibliche Sexualität nachdenken – die Filmkonstruktion erspart es ihr und den Zuschauern. Für sie ist die Sex-Arbeit, sagt, zeigt, behauptet der Film, eine gender-Performance15. Der Film gönnt dem Zuschauer nur wenige Sequenzen, die den offenkundig absichtlich überzogenen Dialogdiskurs unterbrechen und sexuelle Praxis zeigen bzw. imaginieren lassen. In einer stummen, nur mit Musik unterlegten Szene bereitet sich der Callboy Chris auf die Befriedigung zweier Kunden vor. Er nimmt die souveräne, überlegene Haltung ein, die er sowohl gegenüber Eva als auch Kurt, der Chris’ Sex-Kunde ist (und gleichzeitig sein Geliebter und zukünftiger Geschäftspartner), präsentiert. Der Film blendet dann von der Darstellung, Ausstellung des Arbeitsablaufs als rituellem Ablauf, von Chris zu Eva über. Eva schlägt, in der klassisch-strengen Arbeitskleidung einer Domina, ausgestattet mit Peitsche und Latexkorsett, den Insignien ihrer Macht, einen Masochisten. Der Kunde ist über einen Barhocker gebeugt, sodass der Blick des Zuschauers/der Zuschauerin frei ist für die Sicht auf die Domina-Figur, gespielt von Gudrun Landgrebe. Mit dem Klischee-Gestus der Herrscherin schlägt sie auf den Körper des Masochisten ein. Und bevor sie erneut zuschlägt, weiten sich ihre Augen, und sie atmet tief ein. Obgleich sie um (Rollen-)Beherrschung kämpft, verrät das Zucken ihrer Gesichtsmuskulatur den Zuschauer/-innen, dass diese Sexpraxis für sie nicht nur mechanische Praxis ist.
15 Performance wird hier im Sinne eines theatralisierten Rollenspiels gebraucht.
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Abbildung 2: Die Domina Carmen (Gudrun Landgrebe) schlägt mit der Peitsche einen Masochisten. Der Film macht durch diese und andere Szenen deutlich, dass die Figur der Prostituierten Eva, in Abgrenzung zur Figur des Callboy Chris, über ein erweitertes Verhaltens- und Motivationsrepertoire verfügt. Das Zucken ihrer Gesichtsmuskulatur scheint für einen kurzen Augenblick ihren Kontrollverlust zu zeigen; und manche Männer könnten hier der Illusion eines ›sex-flash‹, dem psycho-physischen Ausdruck höchster Erregung, erliegen. In einer Szene des Films, die den Beginn von Evas Karriere zeigt, wird bereits ihre Fähigkeit, die eigenen Körperempfindungen als Arbeitsleistungen zu beobachten, betont. Yvonne, eine erfahrene Prostituierte, die sie ins Geschäft einführt, rattert die Preisliste analog zum Dienstleistungsangebot herunter und klärt Eva darüber auf, dass Prostitution nicht mehr sei als routinierte Freierabwicklung. Yvonne warnt Eva vor den psychischen Gefahren der Prostitution, vor allem vor der Selbsttäuschung durch den eigenen Körper: »Am schlimmsten ergeht es Dir«, sagt Yvonne, »wenn du mal was empfindest bei einem Kunden. Dann geht es dir richtig dreckig.« Dieser Satz ist nicht nur Drehbuchtext. Dass das eigentlich Anstrengende und Schwierige an der Prostitution die permanente Korrektur der Körperempfindung ist, wird in zahlreichen Selbstdarstellungstexten von Prostituierten betont. Bei der gewerblich betriebenen Sexualität wird die Körperbeobachtung durch das Bewusstsein bewusst eingesetzt. Das Bewusstsein ist die einzige Instanz, die zählt. Das Bewusstsein interpretiert in seiner nicht-einfachen Wahrnehmung den Körper als das ausführende Arbeitsinstrument und schafft so in der Referenz von Körper auf Bewusstsein die (Teil-)Identität Prostituierte. 164
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In der privat gelebten Sexualität lassen sich die Berufs-Sexpraktiker Eva und Chris von ihrer einfachen Wahrnehmung leiten, sind ganz eins in ihrem Fühlen, in ihren gegenseitigen Empfindungen. Wenn Evas Prostituierten-Identität bricht, sie die Kontrolle verliert und nicht das Schlagen spielt, sondern unmittelbar schlägt, wechselt sie von der interpretierenden Wahrnehmung des Bewusstseins zur einfachen Wahrnehmung durch den Körper. Sie, die diesmal den Körper auf ihr Bewusstsein ohne Abzüge zurechnet, gerät sowohl dramaturgisch als auch theoretisch durcheinander. In ihrem, an einen Streit anschließenden zweiten inneren Bekennermonolog betont Eva diesen Moment des möglichen Kontrollverlustes als ihr innerstes Interesse: als Ausloten ihrer Psyche – schon durch die Form des inneren Monologs ist das herausgehoben – als Identität. Die Figur, so argumentiert der Film, findet in der Prostitution nicht unbedingt die Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche, wohl aber eine Identitätsverstärkung. Dies bewirkt auf der gender-Ebene Dominanz und Kontrolle über Chris. Der Filmschluss, Evas Trennung von Chris, soll offenbar signalisieren, dass die durch die Prostitution verstärkte Identität auf das soziale Verhalten durchschlägt. Zwischen Carmen, dem Prostituiertenpseudonym der Protagonistin, und Eva, der Filmfigur, besteht – das wird durch die Filmhandlung und die Dialoge hervorgehoben – eine größere Diskontinuität als zwischen Chris und dem Callboy, dem kein crossdressing, kein besonderes Outfit, keine Maskerade gelingen kann, der zu keinerlei Rollenspiel fähig ist, sondern genau die Rolle erfüllt, die man üblicherweise der wirklichen Prostituierten zuschreibt. Im Ehe- und Kollegenstreit wird seine Berufsauffassung gerade durch das implizite Bekenntnis zur Ethik der Prostitution als strikter Intimitäts- und Gefühlsverweigerung authentifiziert. Tatsächlich ist sein Verhalten durch Eifersucht bestimmt. Er verdeutlicht als Enttäuschter, rachsüchtig Liebender umso eindrucksvoller die Prostitutionskonnotationen. Denn seine Eifersucht erklärt sich nicht allein aus den Zumutungen, die er erfährt, den Erfahrungen des Verlustes von Schutz und Intimität, sie erklärt sich aus dem Entsetzen über das Einverständnis in den SadoMasochismus als Rollenspiel. Chris ist eine Figur des Liebesdiskurses – was immer er als sexuelle Dienstleistung betreibt. Der plötzlich vollzogene Diskurswechsel von Arbeitssexualität zu Liebessexualität, von Kommunikation zu Intimkommunikation, zeigt die Vereinbarkeit und Brüchigkeit nicht nur sexueller Rollenspiele. Die Verwechselung der Ebenen signalisiert, dass es keine festgeschriebenen Identitäten oder auch (nur) Begehrensformen gibt. Diese andere Nuance zwischenmenschlicher Kommunikation, die Intimität der Kommunikation, war bis dato die
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Grundvereinbarung der Liebesbeziehung zwischen Chris und Eva gewesen. Der Intimitätsverlust ist für Chris mehr als eine Zumutung, er will den Zusammenhang von Psyche und Arbeitsform (im Fall der Prostitution) bzw. von Psyche und Begehren (im Fall des Freiers) nicht akzeptieren – obwohl oder weil er ihn vor Augen hat. Sex als gender-performance braucht eine gender-Identität, die sich auf einen distanzierten Körperbezug gründen kann.
Prostitutive Sexualität in der Unterscheidung von einfacher Wahrnehmung und Kommunikation Zum Zusammenhang von gender, Sexualität, prostitutiver Sexualität und der Luhmann’schen Unterscheidung von einfacher, nicht-interpretierender Wahrnehmung und Kommunikation durch das Bewusstsein – ein letzter Blick auf diesen Film (der der Analyse entgegenkommt, aber auch zeigt, dass die Figuren und Konfigurationen des Films sehr ›ausgedacht‹ konzipiert sind). Eva, stellvertretend für ein weibliches gender-Modell, vermag in der Sexualität beide Formen zu verfolgen. In ihrer privaten Sexualität ist sie die genießende femme, steht also im Einklang mit heterosexueller weiblicher gender-Identität, in der Arbeits-Sexualität dagegen nimmt sie die traditionell männliche gender-Position ein. Die klassisch männliche gender-Position ist verknüpft mit der Behauptung, männliche Sexualität könne sich, wie es sich im Falle der Freier ja auch bestätigt, von der psychischen und gender-Identität ablösen. Das männliche Bewusstsein könne also in der Sexualität die Form der Kommunikation wählen, die die Körperempfindungen nicht auf das Bewusstsein zurechnet. Zu dieser Position sind sowohl die männlichen Masochisten als auch die weibliche Sadistin Eva fähig. Der Unterschied nun von sadomasochistischer Sexualitätsform und Sadomasochismus in der Prostitution ist in den unterschiedlichen Grundannahmen von Sexualität und prostitutiver Sexualität zu suchen. Die klassisch männliche gender-Position in Bezug auf Sexualität und die weibliche Prostituierte haben gemeinsam, dass ihnen solch eine Körper-Bewusstsein-Dislozierung zugesprochen wird. Chris hingegen, der hier die männliche Prostitution und gleichzeitig die klassisch weibliche gender-Position in Bezug auf Sexualität vertritt, wird diese Fähigkeit nicht zugestanden. Bezeichnenderweise ist er in seinem zweiten privaten Liebesverhältnis ein Homosexueller. Die gender-Position Homosexueller, so die stereotype Konnotierung des Mainstream-Films, hat eine Affinität zur klassisch weiblichen gender-Position. Im Szenario van Ackerens gilt für die weibliche Position nicht gender in der Sexuali166
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tät, wie es die traditionell geißelnde Zuschreibung in der Prostitution war, sondern anhand der Filmfigur Eva wird gender durch Sexualität proklamiert. Die Unterscheidung von Carmen und Eva, nur in der Überperspektive der Zuschauenden ist sie so klar, so übersichtlich, zeugt von einer vom Bewusstsein instrumentell eingesetzten Unterscheidung von Kommunikation und einfacher, nicht interpretierender Wahrnehmung. Es gibt die prostitutive Sexualität (bzw. sadistische Sexualität) und es gibt die einfache Wahrnehmung im Falle der Liebessexualität. Prinzipiell ist Eva/Carmen zur Diskontinuität fähig. Ihre psychische Identität und Intensität – und dies zeigt sich darin, dass ihre in der Prostitution erworbene gender-Identität zum Schluss in ihrem sozialen Verhalten durchschlägt – entsteht durch ihr Bewusstsein, das in der Körperbeobachtung interpretierende Wahrnehmungserfahrungen macht. Solche Instrumentalität mag gegen Luhmanns Votum laufen, ist jedoch gerade durch seine Darlegung der Unterscheidung von einfacher, nicht-interpretierender Wahrnehmung und Kommunikation verständlich, aus ihr heraus erklärbar. Diese Unterscheidung führt in DIE FLAMBIERTE FRAU entlang bereits etablierter oder neu zu etablierender gender-Positionen. Die prostitutive sadomasochistische Sexualpraxis benutzt in vielfacher Weise die »Undurchschaubarkeit von Körper und Bewusstsein«. Diese Form von Körperbeobachtung und Bewusstsein ist gegenüber der traditionellen gewerblichen Sexualität expliziter – von den Akteuren gewusst, gewollt. Sadomasochistische Erotik ist deshalb, wenn sie gelingen soll, auf Kommunikation angewiesen, das macht der Film deutlich (und so ist wohl der beste Teil des De Sade-Sadismus die den Sexualakt kommunizierende Literatur). Mit Kommunikation ist also nicht die verbale sexuelle Stimulierung gemeint, die, wie Luhmann schreibt, »uns, so wichtig es gerade für den Bereich der sexuellen Stimulation ist, zunächst nicht weiter zu interessieren braucht« (Luhmann 1995, S. 195). Denn in der verbal stimulierenden sexuellen Kommunikation wird von einem Bewusstsein auf ein anderes referiert, es geht nicht um eine Referenz von Bewusstsein auf den Körper. In der sadomasochistischen Erotik hingegen erfolgt zwangsläufig der Wechsel von einfacher Wahrnehmung zu Kommunikation, in die das Bewusstsein eingebunden ist. Man kann auch von einem Wechsel zwischen reflektierter und nicht-reflektierter Körperreferenz sprechen. Prostitution, besonders die Form des Sadomasochismus, ist auf Kommunikation angewiesen. Das ›Medium‹ Liebe kann der Wahrnehmung wie
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der Kommunikation dienen. Um das zitierte Luhmann-Diktum16 noch einmal aufzugreifen und mit ihm die spezifische Differenz von Liebessexualität und prostitutiver Sexualität zu verdeutlichen: »Die Differenz von Beobachter (der für sich selbst undurchsichtig ist) und Beobachtetem (das für ihn undurchsichtig ist)«, diese Differenz, die sich für die LiebesSexualität nie eliminieren lässt, ist in der prostitutiven Sexualität auf der Bewusstseinsebene schon reflektiert. Diese Differenz wird durch die sprachliche Äußerung der Freier (die vom Bewusstsein kommt) scheinbar geschlossen. In der Liebe hingegen, so Luhmann, sorgt diese Differenz für Spannung, ist sie Vorraussetzung dafür, dass Liebe und sogar sexuelle Erregung ohne die Anwesenheit des Partners/der Partnerin empfunden werden kann. Eva kommuniziert als Domina mit einem psychischen Freier-Bewusstseinssystem. Ein spezifischer Körperselbstbezug der Freier macht ihre sexuelle Identität aus. Die Figur Eva führt, wie ich den Film lese, praktisch vor, was Luhmann in der Theorie festhält: Es gibt keinen substantialisierten Körperbegriff. Allerdings drängt sich der Verdacht auf, Luhmann sei mit seiner Idee, die »einfache Wahrnehmung« als Ideal von Sexualität zu beschreiben, ein Liebhaber von Gründungslegenden.
Form und Medium Setzt man als Leitdifferenz Form und Medium an die Stelle von Wahrnehmung und Kommunikation, könnte man Luhmanns Sexualitätsdiskurs neu fassen. Die Unterscheidung von Medium und Form wird auch schon bei nicht-interpretierender Wahrnehmung vom Bewusstsein vorgenommen. Kommunikation, und damit auch sexuelle Kommunikation, ließe sich dann als Prozessieren der Differenz von medialem Substrat und Form verstehen: »So wird der menschliche Körper, gerade weil er Form ist, als Medium für die Darstellung unterschiedlicher Haltungen und Bewegungen verwendbar.« (Luhmann 1995, S. 176, Hervorhebung im Original) Mit diesem Zitat aus Die Kunst der Gesellschaft werden essentialistisch-authentische Formulierungen (wie die unmittelbare Evidenz, die Simultanität von Erleben und Erlebnisinhalt etc.) auf die radikale Abhängigkeit vom Bewusstsein als alleiniger Instanz zurückgeworfen. Nicht auf den Körper als autonomes System wird verwiesen, Begriffs-
16 Luhmann 1995, S. 194.
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paare wie Substanz/Akzidenz, Ding/Eigenschaft, Subjekt/Objekt werden vielmehr aufgegeben und essentialistische Unterscheidungen an ihren historischen Platz (die ontologischen Zeiten) verwiesen. Die Differenz von Form und Medium nimmt sowohl auf Kommunikation als auch auf Wahrnehmung Bezug. Sie präferiert unmissverständlich die Kommunikation, auch die sexuelle, mit all ihren Täuschungsmanövern und Trugbildern. An die Stelle von ontologischen Differenzierungen treten nun Medium und Form. Die Unterscheidung von Medium und Form scheint Luhmanns Idealvorstellung von der Wahrnehmung in der Sexualität und nicht Kommunikation über Sexualität zu kontrastieren. Diese Unterscheidung von Medium und Form ist jedoch als Elementarunterscheidung nicht nur für Kommunikation(ssysteme), sondern auch für Wahrnehmungsprozesse der Organismen wirksam. Zurück zu Zanetti als Luhmann-Kritikerin: Für Luhmann kann nonverbales Verhalten Kommunikation sein, sollte es aber nicht, für Zanetti muss nonverbales Verhalten Kommunikation sein, denn der Körper konstituiert das Bewusstsein, wie Zanetti zeigt. Für Luhmann jedoch ist der Körper das, was das Bewusstsein als Körper beobachtet. Und damit konstituiert das Bewusstsein den Körper. Es geht hier um eine widersprüchliche Ursache-Folge-Etablierung, um ein Paradoxon, dass nicht über ein mögliches re-entry erklärbar ist. Denn wenn der Körper die Instanz ist, die das Bewusstsein schafft, bricht die Systemreferenz von Bewusstsein auf Körper zusammen. Die Vorherrschaft des Bewusstseins schließt die Koexistenz der Wahrnehmung körperlicher, sexueller Vorgänge und ihre Reflexion aus. Die Sexualität wird vielmehr als Reflexion der Wahrnehmung körperlicher, sexueller Vorgänge der Kommunikation zugerechnet. Damit ist Sexualität an die Trias von Information, Mitteilung und Verstehen gebunden, immer Kommunikation, niemals einfache Wahrnehmung. Bios (Leib/Körper), eukos (soziales System, Gesellschaft) und Bewusstsein (das psychische System) werden in der Systemtheorie als drei unterschiedliche autopoietische Systeme betrachtet. Sie werden nicht von der Umwelt konstituiert und sind systemintern steuerbar. Die Wahrnehmung wird dem psychischen und Kommunikation dem sozialen System zugeordnet. Im Gegensatz dazu schaffen einfache Wahrnehmung und Kommunikation bei der Wahrnehmung und Kommunikation von Sexualität eine Differenz, die dem Bewusstsein zuzuordnen ist. Die Kommunikation ist in diesem Falle größtenteils nonverbal, geschieht in einem Intimitätsverhältnis. Dieses Intimitätsverhältnis wird von Luhmann als psychi-
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sches System und seine Umwelt begriffen und ist nicht im sozialen System verankert, bei dem Kommunikationsakte aneinander anschließen und die Gesellschaft steuern. Für die Frage nach Medium und Form ist es unerheblich, ob Sexualität in ihrer »kulturellen Deformation« (vgl. Luhmann 1995, S. 190) von Kommunikation, also einer Semantik des Systems Gesellschaft, produziert ist. Ebenso bedeutungslos ist für die Formbildung und das Prozessieren der Differenz, ob Sexualität als Kommunikation dem psychischen oder dem sozialen System zuzuordnen ist. Sexuelle Handlungen bestehen aus dem ›medialen Substrat‹ Blicke, Worte, Selbst- und Fremdberührungen. Sie können als lose gekoppelte Elemente angesehen werden, und dennoch erweisen sie sich in ihren strikten Koppelungsmöglichkeiten von Liebessexualität und prostitutiver Sexualität von der »offenen Mehrheit möglicher Verbindungen« (Luhmann 1995, S. 168) bestimmt, bei der die Aktualität des Einen als die Potentialität des Anderen aufscheint. Beide Formen der Sexualität weisen potentiell, gelegentlich auch tatsächlich, die gleiche ›Elementenkopplung‹ auf. Ihre jeweils distinkte Ausprägung ist dabei wieder veränderbar. Für Luhmann ist diese »nicht festgelegte Möglichkeit des Übergangs« (Luhmann 1995, S. 204) von loser zu strikter Koppelung et vice versa grundlegend. Vor diesem Hintergrund wird der theoretische und dramaturgische Zusammenbruch Evas, der Moment, in dem sie nicht mehr schlagend schlagen spielt, sondern tatsächlich schlägt, als Wechsel von der professionellen in die private Sexualität verständlich. Kommunikation prozessiert die Differenz von medialem Substrat und Form, unabhängig davon, ob es sich um Kommunikation des psychischen Systems oder der Gesellschaft handelt. Medium und Form kennen keine Umweltkorrespondenzen, sie sind systeminterne Vorgänge und liegen schon den Wahrnehmungsprozessen der Organismen zu Grunde. Unter dieser Voraussetzung wird die Frage, ob der Körper die Systemreferenz des Bewusstseins ist oder umgekehrt, für die Sexualität irrelevant. Medium/Form ist kein autopoietisches System. Daher verhält sich die Differenz von Medium und Form nicht wie die Festlegung eines Systems und seiner Umwelt.
Fazit Die Luhmann-Zanetti-Debatte hat eine Körper-Bewusstseins-Paradoxie ausgewiesen, die systemtheoretische Bestimmung der paradoxen Konstruktion, dass die Form die Form enthält, ist jedoch bereits im system-
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theoretischen Prinzip von Medium/Form enthalten, und somit ist darin auch die Körper-Bewusstseins-Paradoxie enthalten. Damit wird die Annahme einsichtig, dass Liebessexualität in der Sexualität der Prostitution als Potential vorhanden ist – und dies ist für meine Argumentation von zentraler Bedeutung. Form und Medium schaffen über eine ganz andere Differenzprozessierung eine Deontologisierung. Die Differenz von Medium und Form ist selbst Form, sie trägt somit ihre eigene Dekonstruktionsmöglichkeit in sich. »Sinn ist als Medium eine Form, die Formen konstituiert, damit sie Form sein kann. Die Form Sinn ist mithin Medium und Form zugleich. Das Medium ist das Prozessieren von Formen.« (Luhmann 1995, S. 174)
Sexualität kann durch die Differenz von Medium und Form als Formwerdung jenseits einfacher Wahrnehmung und Kommunikation verstanden werden. So verweigert sie die Zuordnung zur Gesellschaft oder zum Bewusstsein und überwindet die Divergenz der Systeme.
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C.2. Ö F F E N T L I C H K E I T U N D P R I V A T H E I T . FEMINISTISCHE THEORIE: LINA WERTMÜLLERS LIEBE UND ANARCHIE »Zu Beginn der dreißiger Jahre geht Antonio Soffiantini, genannt Tunin, nach Rom. Er ist ein junger Bauer aus der Po-Ebene, der eine Zeitlang unter italienischen Emigranten in Paris gelebt hat, nachdem die Carabinieri seinen Freund, einen Anarchisten, erschossen hatten. Tunin will Mussolini umbringen und damit den Freund rächen, der eben diesen Plan verfolgt hatte. Er gerät an eine blonde Prostituierte, Salomè, ehemals Freundin Anteos, eines Anarchisten, der von den Faschisten niedergemetzelt wurde. Sie gibt ihn als ihren Cousin aus und bringt ihn in dem Freudenhaus unter, in dem sie arbeitet. Um das Attentat vorzubereiten, versuchen die beiden, Giancinto Spatoletti, einem plumpen Parteifunktionär der ersten Stunde, der den Sicherheitsdienst des Duce leitet, nützliche Informationen zu entlocken. In Erwartung des großen Tages verliebt sich Tunin in eine andere Prostituierte des Bordells, die seine Liebe erwidert. Er verrät der schönen Tripolina den Grund seines Aufenthalts in Rom. Nach zwei unverhofften Tagen zärtlichen Beisammenseins wecken Tripolina und Salomè Tunin am Morgen des Attentats nicht rechtzeitig. In einer Mischung aus Zorn und Panik schießt er auf eine Gruppe Carabinieri, die zufällig gerade eine Inspektion des Freudenhauses vornehmen. Er versucht zu fliehen, wird aber gefangengenommen und fällt in die Hände Spatolettis. Tunin wird im Gefängnis umgebracht. Sein Tod wird auf Wunsch des Duce als Selbstmord ausgegeben.«1 (Spagnoletti 1988, S. 117f.)
Nach Angaben des Lexikon des internationalen Films ist Lina Wertmüllers Film FILM D’AMORE E D’ANARCHIA, OVVERO ›STAMATTINA ALLE 10 IN VIA DEI FIORI NELLA NOTA CASA DI TOLLERANZA…‹ [LIEBE UND ANARCHIE]2 schlicht die Geschichte »eines 1
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Spagnoletti, Giovanni: »Kommentierte Filmographie«, in: Lina Wertmüller; mit Beiträgen von Wolfgang Jacobsen; München: Hanser 1988; Reihe Film Bd. 40, hg. v. Peter W. Jansen u. Wolfram Schütte. FILM D’AMORE E D’ANARCHIA, OVVERO ›STAMATTINA ALLE 10 IN VIA DEI FIORI NELLA NOTA CASA DI TOLLERANZA…‹ [LIEBE UND ANARCHIE]; I/F 1973, Regie: Lina Wertmüller, Produktion: Euro International/Labrador, Verleih: prokino, Regie und Buch: Lina
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naiven Bauernburschen, der Mussolini ermorden will, seine Gelegenheit aber verpaßt und zuletzt dennoch der Rache der Faschisten zum Opfer fällt«. Es sei ein »[t]ragikomisches und melodramatisches Lehrstück über die Unvereinbarkeit von Menschlichkeit und Unschuld mit den gnadenlosen Mechanismen der Politik«.3 LIEBE UND ANARCHIE gerät in dieser Darstellung zum Lehrstück über die behauptete Unvereinbarkeit von Privatheit und Öffentlichkeit. Es ist ein in seiner Konstellation seltsam anmutendes Figuren- und Institutionenrepertoire, über das sich die Sphären der Öffentlichkeit und Privatheit konstituieren: von staatspolitisch-institutioneller Öffentlichkeit (Mussolinis Mannen) über eine illegale politische Opposition (der anarchistische Attentäter), weiter über eine institutionell-illegitime Öffentlichkeit (das Bordell) und funktionierende Sozialgemeinschaften (die berufsausübenden Prostituierten) bis hin zur privaten Sphäre der Intimität (die liebenden Prostituierten). Im Spiel mit dem im Film repräsentierten Innen und Außen (den Orten der Verkörperung von gesellschaftlichen Sphärenrepräsentanten) etabliert sich ein nicht-sichtbares Innen und Außen, nämlich die nicht-sichtbare bürgerliche Öffentlichkeit und die Freundschaft, ja sogar die Intimität, die den Privat/Öffentlich-Binarismus in ein, zwischen den beiden Extrempolen oszillierendes Spiel bringt. Wertmüller subvertiert die traditionelle Grenzziehung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, seit jeher Herrschaftsinstrument patriarchaler Gesellschaften, und betreibt eine diskursive Infragestellung der vordefinierten Sphärentrennung von öffentlich und privat. Scheint auf den ersten Blick das staatspolitisch höchst bedeutsame Attentat auf Mussolini an der ›Privatisierung‹, dem Privatmachen von Interessen durch die Prostituierten, zu scheitern, so vollzieht sich im Film eine durch Sexualität und Ästhetik getragene Privatisierung des Politisch-Institutionellen wie der illegalen politischen Opposition. Das Öf-
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Wertmüller, Kamera: Guiseppe Rotunno, Musik: Carlo Savina, Nino Rota, Darsteller/innen: Giancarlo Giannini (Antonio Soffiantini ›Tunin‹), Mariangela Melato (Salomè), Lina Polito (Tripolina), Eros Pagni (Spatoletti), Pina Cei (Madame Aida), Elena Fiore (Donna Carmela), aus: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=79, letzter Abruf April 2005. Aus: Lexikon des Internationalen Films: das komplette Angebot in Kino, Fernsehen und auf Video; hg. vom Katholischen Institut für Medieninformation e.V. und der Katholischen Filmkommission für Deutschland. Red.: Klaus Brüne; Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1991 [24.-32.Tausend], S. 2267.
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fentliche und das Politische werden zum scheinbar Privaten, aber nicht als Privatisierung, also einer »Überlagerung der öffentlichen Sphäre durch die private Vorstellungswelt« im Sinne einer Verfallsgeschichte der öffentlichen Sphäre, wie sie Richard Sennett konzipiert hat4, sondern als Verwirrung der Dichotomie öffentlich/privat. Wertmüllers extreme Figurenkonstellation, hypervirile faschistische Freier, ein ängstlicher, keineswegs politisch argumentierender bäuerlicher Anarchist, zwei liebende Prostituierte, die aus Fürsorglichkeit und Verantwortungsbewusstsein, aus privatem Glück und moralischen Raisonnement, ja vielleicht aus einem politisch-utopischem Verständnis heraus das Attentat des Terroristen daran scheitern lassen, dass sie ihn nicht rechtzeitig wecken, diese Figuren-Widersprüche holen die ins Private naturalisierten Werte aus dem Status des Vorreflexiven heraus und machen sie für die diskursive (politische) Analyse zugänglich. Geleitet von Seyla Benhabibs Kritik an Hannah Arendt und Jürgen Habermas5, dessen diskursives Modell von Öffentlichkeit sie für revidierbar und tragfähig hält, gleichwohl sie seine prädiskursive Trennung der Sphären in Öffentlichkeit und Privatheit und seine gender-Blindheit kritisiert, lese ich Wertmüllers Film – gerade in seiner einzigartigen Neuverhandlung der Grenzen zwischen privat und öffentlich – als ein Spiel um die von Hannah Arendt entworfenen Konzepte des ›agonalen und des narrativen Handelns‹. Was Benhabib zufolge Feministinnen zur Pflichtübung werden soll, lässt sich mit Gewinn auf den Film LIEBE UND ANARCHIE beziehen. Besondere Aufmerksamkeit werde ich dem
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Vgl. Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a.M.: Fischer (1983) 1993; am.Original: The Fall of Public Man; New York: Alfred A. Knopf 1974. Benhabib, Seyla: »Models of Public Space: Hannah Arendt, the Liberal Tradition, and Jürgen Habermas«; in: Feminism, the Public and the Private; ed. By Joan B. Landes; Oxford/New York: Oxford University Press 1998, S. 65-99, im Folgenden mit Benhabib 1998a ausgewiesen. Vgl. ebenfalls: Benhabib, Seyla: »Vom öffentlichen Raum zur Öffentlichkeit: Hannah Arendt und Jürgen Habermas«; in: Dies., Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne; Hamburg Rotbuch Verlag 1998; S. 310316, im Folgenden mit Benhabib 1998b ausgewiesen. Favorisiert Benhabib im erstgenannten Artikel eindeutig Jürgen Habermas’ Modell des kommunikativen Handelns zu Lasten der Arendt’schen Ausführungen zum öffentlichen Raum und zum Verlust des Politischen, so ist ihre Monographie zu Hannah Arendt von einer kritischen Würdigung, einem Weiterdenken von Arendt geleitet. Mit diesem Buch kommen die Arendt’schen Konzepte für ihr eigenes Denken zum Tragen.
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Zusammenhang von Verfallsgeschichte und Raum und Öffentlichkeit widmen. Doch zunächst möchte ich der Frage nachgehen, inwieweit der Film bzw. einzelne Filmfiguren als Repräsentanten des Politischen verstanden werden können bzw., ob, oder inwieweit sich mit der ästhetischen Gestaltung durch Wertmüller solch eine Fragestellung etablieren lässt.
Wertmüllers Subversion Lina Wertmüllers Protagonistinnen sind von forciert südländischem Temperament, erfüllt von einem ungeheuerlichen Elan vital. Sie sind archaisch, urwüchsig und scheinen sich jedweden Thematisierungsversuchen des Politischen – im weitesten Sinne – zu entziehen. Ihre Emotionalität, Irrationalität, Vitalität unterläuft jedenfalls jedwede Kohärenzversuche. Sie lassen keine Homogenität einer Weltanschauung erkennen, oder überhaupt nur deren Vorhandensein erahnen, geschweige, dass sie als handlungsleitend angenommen werden könnte. Festzustellen, dass die Absenz des Politischen oder der Diskursivierung von Ideologie den Film prägt, hieße aber die Auffassung vom Politischen der Zweiten Frauenbewegung zu ›vergessen‹: ›Das Private ist politisch.‹ Hingegen das Leben als Lifestyle aufzufassen, es als Revolution und Subversion zu setzen, die individuelle Opposition gegen das Establishment, wie es die stardom-Forschung als politischen Akt herausstellt, zu denken, hieße den Zusammenhang von Gesellschaftspolitik und etablierter Politik – Verfassung, Regierungsform und rechtlichen Bestimmungen – nicht adäquat zu fassen. Beide möglichen Herangehensweisen forderten die binäre Trennung von privat und öffentlich nicht heraus. Die Prostituierte schien die Negation von Politik zu sein; Salomès Liebesdienste am brüllendprolligen Spatoletti als Spionageakt einer bewusst-politischen Handlung zu verstehen, fordert feministisches Denken. Die auf der filmimmanenten Ebene offenkundig werdende Instrumentalisierung des Sexes von Salomè kann gedeutet werden als taktisch gewählte Männlichkeit, eine Art Kampfmaschineneinsatz. Und den Anarchisten als sympathischen, unschuldigen Tollpatsch zu erleben, spricht dies einem politischen Verstehenshorizont Hohn? Ist das Ende des Films zu lesen als Absage, dass der Faschismus überhaupt zu stoppen sei? Jedenfalls kommt vom radikalen, nicht-bürgerlichen Außerhalb keine Rettungsmöglichkeit. Oder soll man glauben, dass nur die bürgerliche Öffentlichkeit die politischen Verhältnisse ändern könne, diesmal aber versagt habe? Wertmüller verweigert sich solcher Übersetzbarkeit, ihre verqueere Binarismenverkettung stellt sich einer Analyse in den Weg, die Handlungsagenten und Stringenz se-
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hen will. Dennoch vermag eine Analyse mehr als der Tragik-Komik begrifflich ihren Platz einzuräumen und die Inkompatibilität von Narration und Ideologiekritik herauszustellen. Die Irrationalität von Handlungsweisen, die Poetik von Bildern, die Überhöhung in die Kunst, all dies sind Zeichen für falsche Liaisons in der uns vertrauten Welt, für die Rissigkeit legitimierender Ablagerungsschichten. Der Film ist in seiner oftmals drastischen Tragik-Komik ernst zu nehmen. Es durchziehen ihn zwar ›unmögliche‹ Verbindungen, doch diese weisen weit über die notwendige Dramaturgie- und Narrationskonstruktion hinaus auf ›unmögliche‹ Verbindungen und Paradoxien in der Gesellschaft. Die Schieflage der Liaisons ist auf personeller Ebene vorhanden, und sie ist eine quere, unlogische Binarismenverbindung. Tunins Attentatsmotivation ist idiosynkratisch, entzieht sich radikal einem politischen, im weitesten Sinne öffentlichen Diskurs. Faschismus, Diktaturen, repressive Staaten machen jedoch die individuelle Revolte zum Politikum. Nur wer Tunin als Menschen annimmt, sein charakterliches Wesen, seine Gefühle emphatisch versteht, versteht das Attentatsansinnen und könnte es für gerechtfertigt halten, wäre da nicht das völlige Scheitern des Attentats, der irrationale, rein destruktive Amoklauf, der den Anarchisten in den sicheren Foltertod reißt und seine beiden liebgewonnenen Vertrauten im Bordell gefährdet. Doch in dieser Filmkonstruktion offenbart sich nicht ein radikales Plädoyer für die extremste Form des Menschlichen; es ist kein Plädoyer, das die Privatheit, ja eigentlich die Intimität des Individuums zur Utopie erhebt und einzig in dieser seine Berechtigung finden lässt. Es handelt sich auch nicht um eine geradezu neutestamentarische Kompromisslosigkeit, die die Annahme des Menschen als ›Nächsten‹ als einzige Daseinsberechtigung gelten lässt. Die Gefühlsstärke der Liebe von Salomè und Tripolina ist nicht ein Plädoyer für den pazifistisch-versöhnenden Humanismus, der aus buchstäblicher, aus figural gewordener Nächstenliebe die faschistische Politik des Landes nicht durch einen Gewaltakt, das anarchistischmotivierte Attentat beendet. Und bei Tunin ist es nicht eine ins Private naturalisierte anarchistische Weltanschauung. Wertmüller erhebt diese Grundeinstellung nicht ins Pathetische, Mystische, sondern in die Komik, in die Tragik-Komik. Damit verweigert sie eine ideologiekritische Lesart, die die Figuren als Sphärenrepräsentanten einer Öffentlichkeit, als Vertreter einer politischen Diskursivierbarkeit nimmt. Es scheint, als handele es sich hier um eine Anschlussverweigerung an das öffentlichdiskursiv Verhandelbare. Hier scheint sich eher die Senett’sche Verfallsgeschichte Bahn zu brechen:
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»Das Selbst wurde zum Grundprinzip der Gesellschaft. Der Verfall der öffentlichen Sphäre, in der es nichtpersonale Bedeutung und ein nichtpersonales Handeln gab, setzte an diesem Punkt ein. An den Folgen dieser Geschichte, der Verdrängung der res publica durch die Annahme, gesellschaftlicher Sinn erwachse aus dem Gefühlsleben der Individuen, hat die Gesellschaft, in der wir heute leben, schwer zu tragen. Diese Veränderung hat uns den Blick für zwei wesentliche Bereiche der gesellschaftlichen Realität verstellt, für den Bereich von Macht und Herrschaft und für den architektonischen Raum, in dem sich unser Leben abspielt.« (Sennett 1983, S. 426)
In LIEBE UND ANARCHIE wird weder der gesellschaftliche Sinn von Anarchie noch der des Faschismus begreifbar, aber gerade durch das Gefühlsleben der Protagonisten/-innen wird der Blick frei auf Macht und Herrschaft; insbesondere auch auf die römische Architektur, die in zwei Szenen, gerade in ihrer Isolation, eine exponierte Stellung einnimmt. Nicht die Argumente der Protagonisten/-innen zu Faschismus und Anarchie, zur Prävalenz des Privaten vor dem Politischem, sind in diesem Film erhellend. Die Unreflektiertheit der Äußerungen verweist uns eher in die Banalität – es ist die radikal veränderte ästhetische Dimension der gezeigten Architektur, die den gesellschaftlichen Sinn sinnlich werden lässt.
C.2.1. Orte und Räume I: Innen und Außen Kunst-Orte Lina Wertmüller extrapoliert, isoliert einzelne Szenen, die in ihrer Ästhetik, in ihrem musikalischen Rhythmus, in ihrer bildkompositorischen Strenge narrationsstillstellend wirken. In der Rezeption wirken sie faszinierend, überwältigend, bleiben in der Erinnerung als starke Einzelmomente haften. Die handlungsvorantreibende Funktion ist in solchen Szenen, in ganzen Sequenzen, so gut wie aufgehoben, es dominiert die intermediale Inszenierung. Nicht bildkompositorische oder narrationsgebende Anleihen bei anderen Künsten sind hierbei als formgebend zu erkennen, sondern die Szenen und Sequenzen erscheinen wie der Auftritt einer anderen Kunst6. Auf den ersten Blick, das heißt in der unreflektier6
Dieser Rezeptionseindruck findet sich in vielen Kritiken bestätigt. So etwa Spagnoletti: »In dieser klassischen, auf das Wesentliche beschränkten Erzählweise kommt ein neues Element hinzu, das Malerische (herausgehoben
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ten Rezeption, sind sie dramaturgisch funktionsfrei; in der erwarteten Szenenlänge überdehnt, wirken sie zeit-frei, heben die Zeitökonomie des chronologischen (Handlungs)ablaufs auf. In der Rezeption könnte man sich in solche Szenen versenken, aber Kontemplation wäre eine zu pathetische Haltung gegenüber der vulgär-fluchenden, saloppen Redeweise der prolligen Machos und ewig-schnatternden Prostituierten. Diesen Szenen, die in die Kunst überhöht sind, stellen sich jeweils andere Szenen des Films an die Seite, die entweder die gleichen elementaren, lebensnotwendigen Dinge zum Ausdruck bringen, oder ebenfalls Ausdruck der menschlichen Kreativität sind. Die narrativen Korrespondenzen sind dabei jeweils von einer anderen Bestimmung des Innen und des Außen, der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, des Evidenten und des Naturalisierenden geprägt.
Innen: Das Bordell In der Frage des Zusammenhangs von öffentlichem Raum und Gesellschaftsverfassung referiere ich auf Richard Sennett7 und Hannah Arendt8, besser gesagt auf etwas, das beide miteinander verbindet. Beide schrieben bzw. schreiben eine Verfallsgeschichte des Politischen, die ihren
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durch die Kameraarbeit Guiseppe Rotunnos mit Bühnenbild und Kostümen Jobs), das im Kino der Wertmüller bisher so noch nicht zu sehen war. Die Bezüge reichen von De Chirico (seine metaphysischen Plätze, hier zitiert im neoklassizistischen Stil der faschistischen Architektur Sabaudias) oder Rosai über die Bühnenmalerei von Fattori (der das Modell für die Figur des Tunins abgibt) bis zur Rekonstruktion eines Roms, das fast noch im Fin de siècle erscheint und an die Bilder Bettrames im Domenica des Corriere erinnert. Die Aufmerksamkeit für das Figürliche, die Bildästhetik, erweist sich auch in der sorgfältigen Auswahl der Details im Inneren des Etablissements.« (Spagnoletti 1988, S. 123f.) Vgl. Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a.M.: Fischer (1983) 1993; am. Original: The Fall of Public Man; New York: Alfred A. Knopf 1974 und Sennett, Richard: Fleisch und Stein: der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Berlin: Berlin-Verlag 1996. Vgl. Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben; München/ Zürich: Piper 1994 (8. Aufl.); Dt. Erstausgabe: München: Piper 1967; am. Originalausgabe: The Human Condition: University of Chicago Press 1958 und Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft; München: Piper 1995; am. Originalausgabe: The Origins of Totalitarism; New York: Harcourt, Brace & Jovanovich, 1968.
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Ausgangspunkt nimmt in der historischen Betrachtung der Antike, der öffentlichen Räume, die Öffentlichkeit konstituierten. Beide verfolgen die Entwicklung von öffentlichen Räumen und Öffentlichkeiten über mehrere Epochen und Gesellschaftsverfassungen9, und beide verbindet die Analyse, dass das Politische in eine ernsthafte Krise geraten bzw. verschwunden sei durch die Privatisierung von Interessen. Im bedingenden Gegenzug seien auch Intimität und Liebe gefährdet.
Das Bordell als Ort des Politischen Der Faschismus als Scheitern der Moderne, als Versagen einer demokratischen Öffentlichkeit, als Absenz einer stabilen politischen Ordnung, er wird in LIEBE UND ANARCHIE politisch kenntlich gemacht durch die moralisch nicht legitimierte Gegenöffentlichkeit eines vom Bürgertum geduldeten Bordells, eines Orts außerhalb der öffentlichen Sphäre. Das Bordell wird zum Schauplatz einer politischen Auseinandersetzung und zeigt eine Gegenöffentlichkeit, die politisch nicht etabliert, institutionell nicht verankert und kein in Verhandlung tretender, handlungsmächtiger – oder zumindest diskursmächtiger – Agent ist. In der Schlusssequenz zeigt sich dies auf eindringliche Weise. Die Prostituierten drängen am helllichten Tage in ihrer Arbeitskleidung – schon das allein ist ein Kontrast, der das Verwiesensein des Bordells in die Sphäre des Untergrunds und der Unterwelt auf krasse Weise zum Bewusstsein bringt – aus dem Bordell und werden von den Carabinieri mit quer gehaltenen Maschinenpistolen wie eine Schafherde zusammengepfercht und zurückgedrängt.
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Interessant hierbei ist Sennetts Missachtung der Öffentlichkeit, die sich in virtuellen Räumen konstituiert hat. Sein Medienpessimismus tritt besonders deutlich in Hinblick auf das Fernsehen zu Tage. Sennett vertritt die These, dass Fernsehen zu einem generellen Substanzverlust der Politik führe. Es fokussiere (auf) Vorgänge, Personen und Resultate, nicht (auf) sachliche Zusammenhänge. Es gebe einen Visualisierungszwang, der das Fernsehen zu einem »dramatischen Medium« mache. Politiker nun verstärkten diese Tendenz, in dem sie sich in diese Strukturen einfügen. Diese medientheoretische Betrachtung von Sennett, der das moderne Leben und die moderne Kultur durch eine paradoxe Entwicklung gekennzeichnet sieht, durch das »Paradoxon von Sichtbarkeit und Isolation«, das das öffentliche Leben heute bestimme, verführt zu einer Rahmenerörterung, die vom Filmbezug wegführt. Vgl. insbesondere Ders.: Fleisch und Stein: der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation; Berlin: Berlin-Verlag 1996.
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Abbildung 3: Nach dem Amoklauf Tunins stürmen die Prostituierten auf die Straße. Dieses in Bezug auf Realismus völlig inkommensurable Bild ist von poetisch tiefgreifender, absurder Eindringlichkeit, eine emotionale Überwältigung des Verstandes durch die Ästhetik. Der Ort des politischen Geschehens und seine Figuren (die liebenden Prostituierten) werden mit der politischen Tat inkommensurabel: »Ganz naiv und durchaus innerhalb der Genrekonventionen des Melodrams (der Titel darf ganz wörtlich genommen werden) prallen Politik und Liebe, Heldentum und Familienidyll, ja im klassischen Sinn Pflicht und Neigung aufeinander. Aber der unsichere, naive und den Anachronismus wie ein leeres Glaubensbekenntnis verbalisierende Bauer Tunin einerseits, der eher von persönlichen Rachegefühlen und der Faszination öffentlicher Bekanntheit getrieben wird, und andererseits die Bordellmädchen, vorlaut und vulgär, auf sympathische Weise desillusioniert und auf ihren materiellen Vorteil bedacht, sind kaum geeignete Figuren, als Handelnde einen politisch-moralischen Konflikt zu personifizieren. Tunin gelingt zwar der heroische Abgang, aber auf fast lächerliche Weise im berserkerhaften Ausbrechen. Erst die Schergen des Faschismus sorgen für die Weihe des Martyriums.« (Giesenfeld 2001, elektronischer Eintrag zu LIEBE UND ANARCHIE, Hervorhebung H.W.)
Was in dieser Filmkritik zum Ausdruck kommt, ist die allgemeine Zuschreibung an das Bordell als apolitische Sphäre und an die Prostituierten als unpolitische Akteurinnen. In dieser Bewertung kommen nicht nachzuvollziehende Motivationszuschreibungen an die Figuren zum Tragen, die den Protagonisten/-innen die Unfähigkeit zum Politischen durch
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Egoismus attestiert.10 In Giesenfelds Figurenklischees bestätigt sich, was bei Wertmüller als poetisches Bild Inkommensurabilität in sich trägt: Das Querliegen des Bordells zum Politischen, das Querliegen der Prostituierten zur politischen Handlung. Dabei erweist sich in Wertmüllers Film das Bordell sehr wohl als ein Ort der Gegenöffentlichkeit. Der Schluss, die Ermordung Tunins und die Gefährdung der Prostituierten, relativiert diesen Eigendiskurs der Gegenöffentlichkeit, in der Anarchie, Bürgertum und Faschismus in Verhandlung treten. Die Prostituierten agieren in jedem Augenblick als Aufständige gegen Dezenz und Moral, eine Gruppe ohne Privatheit, Intimität. Das Bordell ist der Ort der subversiven Privatheit des Staates. Anders gesagt: Eine staatsregulierte öffentliche Sexualitätsstätte wird zum Ort der öffentlichen Intimität. Trotz der Öffentlichkeitsdimension des Bordells wird das Bordell, die in ihm gelebte Sexualität, ganz dem Privatem zugerechnet und nicht als öffentliche Angelegenheit im liberalen Staat behandelt. Das Bordell wird im liberalen wie im faschistischen Staat staatsreguliert, ist insofern öffentliche Angelegenheit, doch es wird von einer öffentlichen Diskursivierung ausgenommen. Staatsdiener und Faschisten sind die besten Bordellkunden, wobei diese Verbindung nicht öffentlich werden darf. Sie liefe auf ein Ableugnen der bestehenden engen Verbindung hinaus.11 Die Unterscheidung Öffentlich/Privat hat eine seltsame Allianz, eine verschobene Verbindungsdichotomie: die von heimlich und abwesend. Die bürgerliche Öffentlichkeit ist abwesend, als zuschauende Randgruppe irrelevant für die politischen Vorgänge des Landes; das Bordell ist teilöffentlich (›men only‹), aber heimlich. Das Bordell ist die geduldete, notwendige Sub-Öffentlichkeit; die Anarchie die illegale nicht-öffentliche Öffentlichkeit. Die bürgerliche Öffentlichkeit, soweit 10 Vgl. Hübner, Irene: Protest in Spitzenhöschen: Huren wehren sich; von der klassischen Hetäre zum postmodernen Bodygirl; Frankfurt a.M.: Brandes und Apsel 1988. Der ›Protest in Spitzenhöschen‹ wurde meist als ein Scheinaufstand aufgefasst, der das individuelle Machtgefühl der Prostituierten, die situative Dominanz in der Freierabwicklung, geringer wertete als die strukturelle Unterlegenheit dieser Sex-Professionellen, die früher einmal juridisch auszumachen war und in der Gesellschaftsanalyse immer mit dem Verweis auf das Patriarchat verbunden wird. Dieser Terminus findet sich in der Abschlussbewertung der Studie, die die Machtfrage zugunsten des Freiers und gegen das Ansinnen der Prostituierten entscheidet. 11 Im Film gibt es mehrere Szenen, die dies deutlich machen. So äußert sich die Puffmutter angesichts des an Herzinfarkt Gestorbenen, der heimlich aus dem Bordell geschafft werden muss, dass zwar die besten Verbindungen zu den oberen Kreisen bestehen, doch diese dürften nicht ruchbar werden.
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vorhanden, wahrt die freundliche Fassade, schweigt zu den Ungerechtigkeiten, Widersprüchen. Die scharfe Trennung der Geschlechter, ihrer Orte, ihrer Handlungsräume und -möglichkeiten zeigt, dass sich keine diskursive bürgerliche Ordnung herausbilden kann. Die Sphären berühren sich nicht, die Geschlechter mischen sich nicht, es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Nimmt der Filmschluss den Verhandlungsort Bordell zurück, diskreditiert er seine Diskursmächtigkeit und gibt den Blick frei auf die Bürger Roms, die passiv dem Treiben der Faschisten zusehen? Beugt sich hier die Geschichte (die Narration) der Geschichte (den historischen Ereignissen, dem Sieg der Faschisten in Italien)? War der offene Verhandlungsraum des Bordells nur eine leere Fiktion?
Der Tanz der Prostituierten »[E]ine Musicalnummer nach Art des pariser Varietés leitet in die Szene ein, in der die Mädchen den Kunden vorgestellt werden; die Filmmusik, ein effektvolles Sammelsurium aus anarchistischen Balladen, zeitgenössischen Schlagern und Originalton-Aufnahmen, unterstreicht die Handlung ironisch.« (Spagnoletti 1988, S. 124)
Abbildung 4: Salomè (Mariangela Melato) Tanzend kommt ein ›Mädchen‹ nach dem anderen die Treppe herunter, vollführt ausgewählte posierende Gesten und Drehungen. Jede repräsentiert einen anderen Frauentyp: die Garçonne, die sportliche Frau – ein Novum im Erscheinungsbild der 20er Jahre –, Salomè als Mae WestVamp, die Schlampe, eine Klimt’sche Sinnlichkeitsfigur und viele andere medial inspirierte, identifizierbare Frauentypen aus vergangenen Jahrzehnten. Die medialen gender-Bilder, die der anachronistische Frauen183
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aufmarsch als einen Überblick über die neue Frau der Roaring Twenties gibt, können gelesen werden als eine Repräsentation des Außen im Innen, als Reflex des Öffentlich-Werdens der Frau, der Besetzung der Öffentlichkeit durch die Frau. Im eingeschlossenen Innen des Bordells wirkt dies wie eine Rahmung der neuen Freiheiten, die aber dennoch eine Unterordnung beinhalten, auch wenn sie ultramodern erscheinen mögen. Es sind relationale Bilder, überlagert durch die erotischen Männlichkeitsprojektionen, denen sie dienen. Sie sind nicht nur, aber eben auch, der Selbstausdruck eines neuen Frauenverständnisses.
Essen, Trinken, Reden, Lachen Eine große Tischgemeinschaft von fünfzehn Prostituierten, der abgetakelten, sich bisweilen etwas indigniert zeigenden Puffmutter, dem unbeholfenen, ungelenken Tunin hat sich versammelt, um gemeinsam das Mittagsmahl einzunehmen.
Abbildung 5: Salomè (Mariangela Melato) und ihre Gefährtinnen im Bordell Die Tischgemeinschaft konstituiert sich über das Mahl als Gemeinschaft, d.h. die sich vergemeinschaftende Gesellschaft verbindet die Teilnehmenden über das Menschlichste: Essen, Trinken, Reden, Lachen. Wertmüller hat ihre ganz eigene Version dieser Union von Kommunion und Kommunikation: Ein ausgelassener, gackernder Weiberhaufen, ungepflegte, in Unterwäsche herumsitzende Schlampen, die albernd, kreischend übereinander herziehen, während sie essen. Die Schlagfertigkeit der großen Klappen amüsiert, die Sticheleien sind komisch. Als sie über die Qualität des Essens frotzeln, wird der ganz mit dem Essen beschäftig-
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te Tunin aufgefordert, sich dazu zu äußern, d.h. der Puffmutter, seiner Gastgeberin, Recht zu geben und das Essen angemessen zu loben; oder aber sich den sympathischen Lästermäulern anzuschließen und noch einen Witz draufzusetzen. Der Bauer, dem Sprachspiel nicht gewachsen, reagiert zu spät und zu unentschlossen, macht eine neutral konstatierende Aussage, die beide Erwartungshaltungen verfehlt. Die Schieflage, dass er noch nicht einmal den Prostituierten verbal gewachsen ist, aber den Duce ermorden, ein politischer Held sein will, wird früh klar. Er, der töten soll, hat Angst, einen Toten zu sehen.12 Er verpasst bei Tisch seinen Einsatz, wie er später seinen Einsatz für das Attentat verpasst. Befreit lacht man über den Trottel, wie man später über den von den Faschisten zu Tode Geprügelten trauert. Die ganze Sympathie der Zuschauenden gehört ihm, gerade weil er seine politische Überzeugung nicht artikulieren kann, sein Widerstand ohnmächtig ist, d.h. Gefühlsqualität hat. Salomès spitze Zunge beherrscht die Szenerie im Bordell wie in einer korrespondieren Szene Spatolettis anekdotenreicher Humor. »Im Alltagsleben ist das Gerede die typische Erzählung vom Handeln.« (Benhabib 1998b, S. 209), wie Benhabib in Bezug auf Arendt klarstellt Spatolettis Selbstpräsentation durch und in seinem Humor bei der nächsten größeren Tischrunde auf dem Lande, zu der sich Spatoletti, Tunin, Salomè und Tripolina aufmachen, parallelisiert Salomè und Spatoletti durch ihre führenden Rollen in der Gruppe. Beide sind von der gleichen Vitalität beherrscht. Es macht die beiden zu einem Paar, wiewohl man um die Bedingungen dieser Paarkonstellation weiß: erkauft, ideologisch diametral entgegengesetzt, von Seiten Salomès geheuchelte Sympathie. Gilt bei dem Paar Spatoletti und Salomè die gleiche Sympathie? Durch seine Komik wird auch Spatoletti zur plausiblen Filmfigur, d.h. Wertmüller durchkreuzt mit dieser Sympathiezuschreibung den simplen Dualismus von Gut und Böse. Das Agieren der Faschisten in der Öffentlichkeit, das der Film nicht zeigt, von dem lediglich durch die Erzählung Spatolettis die Rede ist, lässt keinen Zweifel an der Brutalität der paramilitärischen Schlägertrupps. Und doch schlägt diese Grausamkeit nicht durch in dem Witz, über den Spatoletti und der massakrierte Wirt gemeinsam lachen13.
12 So erklärt sich Tunin bereit, den toten Freier aus dem Bordell zu schaffen und auf dem Forum zu deponieren. Er tut dies, wie er selbst erklärt, um dem Tod ins Angesicht zu blicken. 13 Dem Wirt wurden, da er die Schlägertrupps nicht schnell und devot genug bediente, zwei Finger abgeschnitten. Er erlaubt sich nun lachend darauf
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Die Entgegensetzung von Innen und Außen, die Prinzipiensymbolisierung durch die Orte, die Durchkreuzung ihrer bedeutungstragenden Dichotomien, ist von Giesenfeld deutlich herausgestellt worden: »Das Bordell erscheint als menschliche Alternative (schon räumlich mit seiner verwinkelten, ein wenig staubigen Gemütlichkeit) zur Architektur des Faschismus (die auffällig ins Spiel gebracht wird bei einem Ausflug zu dem Ort, den Mussolini besuchen soll). In diesen Gegensatz sind eingeschlossen auf der einen Seite ländliche dörfliche Natur und, auf der anderen Seite, beispielhaft die Piazza del Campidoglio als Hinweis auf Renaissance-Rationalität und Imponierarchitektur. Aber das Bordell ist auch – wie in Erweiterung die Stadt Rom – als Metapher für die Koexistenz beider Tendenzen gesehen: sowohl idyllisches Refugium und Nest des Widerstandes als auch Ort der autoritären Unterdrückung durch die Chefin und der Ausbeutung durch die (faschistischen) Kunden. Parallel dazu lässt sich in dem Film ein Wechsel zwischen ›romantischem‹ und ›anarchistischem‹ Erzählmodus unterscheiden, der eine antimimetisch und eskapistisch, der andere realistisch und historisch (Marcus).« (Giesenfeld, elektronischer Eintrag zu LIEBE UND ANARCHIE)
Im Innern des Bordells, wenn es für den Publikumsverkehr geschlossen ist, lebt eine Frauengemeinschaft, die eine Gegenöffentlichkeit zur bürgerlichen Öffentlichkeit darstellt. Würfe man in der Auseinandersetzung um das Politische nur einen Blick auf die bürgerliche Öffentlichkeit, so sähe man nicht diese vermeintlich im Privaten geführte, ethische Auseinandersetzung um das Gute, um Ideale. Gestritten um Lebensideale, politische Strategien wird nur im privatesten, intimsten Bereich der Beziehungen, im Bordell.
Außen: Das ländliche Italien und das nächtliche Rom »Im Wechsel mit diesen Innenräumen – als ob sie dem typischen Aufnahmestil der Wertmüller, der Halb- und Ganztotalen mit Nahaufnahmen (besonders der Augen) variiert, folgen wollten – stehen die Ausfahrten ins Freie: der Ausflug nach Sabaudia (Salomè, Spatoletti, Tunin und Tripolina), die fellineske Spritztour des Parteibonzen Spatoletti und Tunins durch das nächtliche, verlassene Rom.« (Spagnoletti 1988, S. 123)
Die mit Vivaldi-Musik unterlegte Sequenz der Motorradfahrt, die als erste Einstellung die vom Wind umflatterten Köpfe der beiden Männer hinzuweisen, dass, wenn er nun den Duce grüßt, es so aussähe, als wolle er ihm Hörner aufsetzen.
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zeigt, führt die vier Ausflügler Spatoletti, Tunin, Salomè und Tripolina zu einer von Spatoletti mit Stolz vorgeführten neugebauten Kirche. In der Perspektive der Kamera, die den Blick der vier übernimmt, gleiten die Zwischenbilder als nicht-lokalisierbare Orte, die einfach die Fortbewegung der vier durch den Raum und die Zeit bedeuten, zu einer Passage, einem Übergang, einer Transformation des Landes Italien. Später kehrt Tunin allein an diesen Ort zurück, und Bilder von dieser Architektur in der Reinheit von Gemälden von De Chirico sind zu sehen. Die veränderte ästhetische Dimension der Bilder aus Tunins Subjektive14 lässt Spatolettis Paradebeispiele der modernen Architektur und Kunst nicht als moderne Kunst erscheinen, sondern als surreale Inszenierung.
Abbildung 6: Salomè, Spatoletti, Tunin und Tripolina beim Ausflug nach Sabaudia Menschenleer verrät dieser Ort nicht Größe, sondern Leere, nicht das Pathos greift Platz, sondern die Kulissenhaftigkeit, nicht die Funktionalität wird wahrgenommen, sondern die Abgerücktheit drängt sich auf, nicht das Leben, sondern der unwirkliche Schein herrschen vor. Es sind äußere Orte als Widerspiegelung des (von Tunin empfundenen) Nichts, und es ist die Negation von realen Außen-Orten. Dies ist jedoch nicht die Sennett’sche Weitertreibung der totalen Repersonalisierung, die selbst in der objektiv vorhandenen Architektur Gefühlsbilder sieht, sondern eine Blickschärfung, die den gesellschaftlichen Sinn freigibt; die erahnen lässt, dass die übergestülpte hierarchische Ordnung am Leben der Men-
14 Die Subjektive bezeichnet den Kamerablick aus der Perspektive einer Filmfigur.
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schen vorbei geht und die erfühlbar werden lässt, dass der Faschismus etwas fassadenhaft Aufoktroiertes ist. Eine nicht minder bildkompositorisch durchgestaltete Szene ist die nächtliche Fahrt Tunins und Spatolettis über die Piazza del Campidoglio, die durch die Hell/Dunkel-Pflasterung Form und Muster einer Rosette hat, in deren Zentrum eine Statue Marc Aurels steht.
Abbildung 7: Tunin und Spatoletti auf der Piazza del Campidoglio Der menschenleere Platz wird in einer Totalen und in der Aufsicht gezeigt – als Herrschaftsemblem. Die Statue Marc Aurels, des Repräsentanten des römischen Imperiums, umfährt der Anführer von Mussollinis Sicherheitstruppe mit seinem Motorrad in Begleitung Tunins. Marc Aurel seine Referenz erweisend, nimmt Spatoletti ihn als Referenz für seinen eigenen Herrschaftsanspruch, der sich in der antiken Historie verankern soll, bis der Duce selbst zum historischen Gründungsmythos wird. Tunin begegnet dieser Herrschaftslegitimation mit einer umgekehrten, nahezu brechtisch anmutenden Hundeparabel, deren Grundaussage die ist, dass nicht immer zuerst das Fressen und dann die Moral kommt. Der verlauste Köter, der getreten und geschunden sich eines Tages nicht mehr seinem Fresstrieb unterordnet, sondern aus Verzweiflung seinen Peiniger zu Tode beißt, wird Tunin zum Bild für seine anarchistische Tat. Bei seinem späteren Peiniger weckt das keinerlei Verständnis; er prügelt ihn zu Tode. Die aufrechte, mutig kämpfende Opposition im Sinne einer politischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus, so der Bauer, entspricht der Moral der Reichen, den Armen bleibt nur die Überraschungstat aus Verzweiflung. Der Größe und Weite römisch-imperialer Repräsentativbauten wird die Enge und Beschränktheit eines subproletarischen Szenariums imaginär gegenübergestellt.
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Hier wird die Stadt »das Instrument nichtpersonalen Lebens, die Gußform, in der Menschen, Interessen, Geschmacksrichtungen in ihrer ganzen Komplexität und Vielfalt zusammenfließen und gesellschaftlich erfahrbar werden« (Sennett 1983, S. 427). Der Film mit seiner örtlichen und thematischen Etablierung von Innen und Außen verkörpert einerseits exemplarisch die Sennett’sche Thematik, widerspricht andererseits diametral seinen Grundannahmen und Schlussfolgerungen. »Der Lokalismus und die lokale Autonomie werden zum politischen Credo, als nähmen Machtverhältnisse umso menschlichere Züge an, je intimer der Raum ist, in dem sie wahrgenommen werden.« (Sennett 1983, S. 427)
Die Machtverhältnisse in diesem Film sind in höchstem Maße personalisiert, sie werden auf intimstem Raum wahrgenommen, jedoch können gerade die menschlichen Züge von einer nicht zu übertreffenden Grausamkeit sein. Das politische Credo wirkt in die persönlichen Beziehungen hinein, bestimmt sie, es besteht jedoch vor und unabhängig von ihnen. Der Amoklauf, der politisch gescheiterte, persönlich-verzweifelte Ausbruch ist solch ein Durchschlag des politischen Credos – gerade in seiner momentanen Sprengung der Trennung von öffentlich und privat. Doch nicht die Sennett’sche Aufweichung und Ununterscheidbarkeit von öffentlich und privat ist hier das Movens, die irrationale Verzweiflungstat stellt eine Fehlleitung des unabhängig bestehenden politischen Credos dar. »Kurzum, der Glaube an den Wert direkter zwischenmenschlicher Beziehungen auf der Ebene der Intimität hat uns davon abgehalten, unser Wissen von der Realität von Machtverhältnissen zur Leitlinie unseres politischen Handelns zu machen. Auf diese Weise haben wir es versäumt, die Mächte der Unterdrückung und Ungleichheit in Frage zu stellen.« (Sennett 1983, S. 427)
Der Film kann als Gegenprogramm zu dieser zentralen Aussage Sennetts verstanden werden. Könnte man in diesem Film die Erwartungshaltung an Prostitution als Falschheit der Intimität eventuell noch ausmachen, so ist doch den Prostituierten Salomè und Tripolina die ideale Intimität, wie sie Sennett und Arendt einklagen, nicht abzusprechen. Die richtige Liebesintimität erweist sich zwar zunächst als Verhinderung der politischen Tat, des Attentats, aber dennoch wurde das Wissen um die Realität der Machtverhältnisse zur Leitlinie politischen Handelns: Salomè und Tunin waren im Widerstand und würden – wenn es ihnen möglich wäre – es auch weiterhin sein. In der Attentatsvorbereitung und im Scheitern des Attentats als Amoklauf bestätigt sich – ex negativo – die Intention zum 189
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politischen Attentat. Der Amoklauf zeigt, dass Tunin sich nicht mit dem privaten Liebes- und Lebensglück begnügen kann. Die Begegnung Tunins und Spatolettis findet jeweils an Nicht-Orten statt. Auf dem Motorrad unterwegs, sind es Passagen von dem Nicht-Ort des Bordells zu einer Trattoria auf dem Lande, im Nirgendwo des ländlichen Italiens. Orte wie das Bordell haben kein Außen, oder sie sind menschenleer. Leere repräsentative Architekturen fungieren als Anschauungsstücke für selbstgewählte Referenzen auf die Vergangenheit oder die Gegenwart. Zwar kennt Spatoletti den Besitzer des Landgasthofes, doch die tanzenden Gasthofbesucher kennen weder die Außerbürgerlichkeit der Prostituierten noch haben sie Vorstellungen vom politischen Terror und der Gewaltherrschaft des Faschisten Spatoletti. Die zwei ungleichen Paare Salomè-Spatoletti und Tripolina-Tunin spielen Unschuld, das Theater gehört nicht zu ihrem Leben. Es ist eine Ausnahmesituation, sie bedienen sich einer Kulisse, die die Menschen der bürgerlichen Öffentlichkeit des ländlichen Italiens zu Statisten macht, Statisten, die nicht wissen, welches Spiel gespielt wird. An diesem Ort, der keine Kontinuität zu dem Leben der Protagonisten kennt, beginnt die Liebe Tripolinas zu Tunin. Argumentiert Sennett mit dem Begriff der Intimitätstyrannei, mit dem Verfall der Öffentlichkeit einerseits und mit der Schwächung der Gefühle durch die Aufgabe der Sozialgebundenheit in Beziehungen (die ›asoziale Liebe‹) andererseits, so ist die Liebe von Salomè und Tripolina für Tunin in ihrem Verantwortungsbewusstsein, ihrer Fürsorglichkeit eine soziale Liebe, die Garant sein kann für eine Sphäre der Öffentlichkeit. Mit Lina Wertmüller wäre Richard Sennett zu entgegnen: Das Bordell gibt es im Faschismus und im Kapitalismus, ein Aufbegehren gegen die Trennung von privat und öffentlich aber nur in der Liebe und der Anarchie.
Innen und Außen Das Bordell wiederholt in sich noch einmal die Trennung des Privaten vom Öffentlichen, auch räumlich gesehen. Neben dem Kontakthof, in dem die Prostituierten für die Freier/Zuschauer auftreten, sich an sie adressieren, und den Räumen, in denen die Freier und Prostituierten zusammenkommen, gibt es noch private Räume. Zu Beginn versucht man Tunins Eindringen in das Zimmer Salomès zu verhindern, der Zugang kann nur durch die Aufnahme in den Familienverband Salomès – sie gibt ihn als ihren Cousin aus – gerechtfertigt werden. Die Blutsverwandt-
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schaft ist im Bordell, dem teilöffentlichen Privatheitsraum, der wahre Privatheitsgarant. Die so ins Spiel kommenden Familienbande, oft als Kern der Gesellschaft oder als Gesellschaft in nuce bezeichnet, verdeutlichen exemplarisch die Negativkonnotation des Sozialen von Hannah Arendt, der Orientierung der Gesellschaft an der Familie, die als Leitinstitution zum Verlust des Politischen wie des Intimen gleichermaßen führe. Die Gesellschaft wird von Arendt nicht als kontrollierende Regulierungsinstanz des Politischen, zur Verhinderung der Ausbreitung des Politischen in den Bereich des Privaten gedacht, sondern konzipiert als Absenz des Politischen, als einen durch eine Ausweitung des Familienkonzepts auf die Gesellschaft entstehenden Interessenkonformismus: »Die Gleichheit zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft hat infolgedessen nichts mit der Gleichheit der Ebenbürtigkeit, dem Sich-unter-seinesgleichenBefinden, zu tun, […] sie erinnert eher an die Gleichheit aller Glieder einer Familie unter der despotischen Macht des Familienoberhaupts; nur daß es einer solchen Herrschaft, ausgeübt durch den Einzelnen, der das gemeinsame Interesse und die einstimmige Meinung repräsentierte, innerhalb der Gesellschaft nicht bedurfte, da hier ja die natürlich gewachsene Kraft von Familieninteressen durch die schiere Addierung vieler Familien in eine Gruppe ungeheuer verstärkt wurde. Man bedurfte hier in der Tat der Herrschaft durch Einen nicht mehr, weil die Stoßkraft des Interesses selbst an ihre Stelle getreten war. Konformismus, wie wir ihn kennen, wo völlige Einstimmigkeit in voller Freiwilligkeit erreicht wird, ist nur das letzte Stadium dieser Entwicklung.« (Arendt 1994, S. 40f.)
Da die Öffentlichkeit diese Privatheitskonnotierung übernommen hat, ist das Politische in der Öffentlichkeit abwesend. Diese Absenz und das Fehlen oder Ausgehöhltsein des Gesellschaftlichen ist in LIEBE UND ANARCHIE offenkundig. Im Totalitarismus wandere die Öffentlichkeit, so Benhabib, sehr oft in die Privatsphäre ab15, bilde dort eine gemeinsame Welt im Zeichen von Freundschaft und Alltagssolidarität: »Wenn diese anderswo geschaffene gemeinsame Welt auf die Straßen, den Marktplatz, die städtischen Plätze überspringt und somit eine alternative öffentliche Sphäre ausbildet, kommen diese Regime ins Wanken.« (Benhabib 1998b, S. 207)
15 Vgl. Benhabib 1998b, S. 206.
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Tunins Sprung über die Gemüsekarren der Markthändler und das Hinausdrängen der Prostituierten auf die Straße zeugt gerade nicht von einem Überspringen der »anderswo geschaffenen gemeinsamen Welt« auf die Öffentlichkeit. Tunin begeht vielmehr eine Übersprungshandlung, deren Irrationalität fataler nicht sein könnte. Der zappelnde, sich windende, seine Körpermotorik nicht beherrschende, sich selbst unbewusste Tunin sowie die ihn verfolgenden Polizisten ignorieren die zum ersten Mal – als Störfaktor – anwesenden Bürger/-innen Roms. Die Verfolgungsjagd findet in der Öffentlichkeit statt und geht doch an ihr vorbei. Die römischen Straßen, die Wertmüllers Figuren nachts aufsuchen, sind menschenleer, architektonische Kulisse für ein Helden- und ein AntiHeldenepos. Das römische Forum zur Mittagzeit, ein Ort für Touristen, Katzen und Tote, die Tanzgesellschaft in der ländlichen Trattoria wird von unbestimmten Statisten gebildet, und die Markthändler, die Tunin während seines Amoklaufs niederreißt, sind nichts als verschreckte Randfiguren. Keine gesellschaftliche Öffentlichkeit tritt in Erscheinung, kein Ort verweist auf eine Sphäre der Bürgerlichkeit. Die Orte in LIEBE UND ANARCHIE erfüllen nicht zugleich die »phänomenologischen Dimensionen des öffentlichen Bereichs, [welche] sind (a) dessen Qualität als Raum des Erscheinens und (b) dessen Qualität, eine gemeinsame Welt zu sein« (Benhabib 1998b, S. 206). Das Bordell ist per se kein Raum des Erscheinens; es kann diese Dimension aber annehmen, gerade unter den Bedingungen der Gewaltherrschaft und des Widerstandes. Während der Attentatsvorbereitung mag das Bordell noch beide Dimensionen besitzen, mit dem Amoklauf und der anschließenden Verhaftung Tunins aber bricht es als gemeinsamer Handlungsort einer gemeinsamen Welt auseinander, ist es ein Raum des Erscheinens, aber keiner der gemeinsamen Welt. Das Capitol, die Piazza del Campidoglio, die nächtlichen römischen Straßen sind potentielle Räume des Erscheinens, aber es fehlt ihnen selbst die Andeutung einer gemeinsam geteilten Welt. Dadurch wird klar, dass die Lebenswelt der Protagonisten geteilt, ja unwiderruflich getrennt ist. »Unter den Bedingungen extremer Schreckensherrschaft, Isolierung, Beherrschung und Gewalt kann die Öffentlichkeit als gemeinsame Welt schweren Schaden nehmen. Den Einzelnen kann es in zunehmenden Maße schwer fallen, eine Reihe von Alltagsbezügen, Hintergrundannahmen und Überzeugungen zu teilen. Totalitäre Regime zielen deshalb darauf ab, die Öffentlichkeit als eine gemeinsame Welt der Werthaltungen, Überzeugungen und Orientierungen zu zerstören, obwohl sie den öffentlichen Bereich als einen Erscheinungsraum niemals beseitigen können, ohne dem Leben der Menschen selbst ein Ende zu bereiten.« (Benhabib 1998b, S. 206) 192
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Der deutsche wie der italienische Faschismus hat die Werte des traditionellen öffentlichen Raums, des architektonischen Raums wie der gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht nur zerstört, sondern ideologisch überinstalliert. Zerstört wurde propagandistisch die ›Systemzeit‹, die Zeit der öffentlich um Interessen streitenden Demokratie. Neue Ortserfahrungen und Werte, die die Gesellschaft konstituieren sollten, Aufmarschinszenierungen auf historischen Plätzen oder auf freiem Feld, nationalsozialistische Prachtbauten (›Feldherrenhallen‹) wie neoklassizistische italienische Repräsentativbauten entstanden, um die gesellschaftliche Wertegemeinschaft symbolisch zu schaffen. Der Versuch, eine neue Öffentlichkeit zu etablieren, setzte auch auf neue Orte und hatte den Effekt, die ontologische und die institutionelle Dimension des öffentlichen Raums zu trennen. Mussolinis großer Volksauftritt in Wertmüllers Film soll sich nicht an einem der öffentlichen Plätze Roms vollziehen, die schon ganz von den »hohlen Zeichen der Macht des Regimes« (Benhabib 1998b, S. 207) besetzt sind, sondern auf einem exemplarischen Platz des ›neuen‹, des ›modernen‹ Italiens: ein Parade-Neubau, dessen zentraler Platz, menschenleer und funktionslos und dadurch in gewisser Weise auch zentrumslos, von Tunin in Augenschein genommen wird. Er inspiziert diesen Platz als Ort des Attentats. Weder in der ersten Anfahrt dieses Ortes durch Spatoletti noch in der späteren Rückkehr Tunins an diesen Ort gibt es einen establishing shot und kein master shot lässt eine genaue Vorstellung von der Gebäude- und Platzanordnung entstehen. Perspektivische Gegenschüsse auf den Platz fragmentieren ihn eher in separierten Einzelansichten. So kommt die Perspektivität dem Zuschauer vor Augen und zum Bewusstsein: der aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommene Platz ergibt je unterschiedliche Bilder, die in der Vorstellung nicht zu einem Ganzen zusammengesetzt werden können. Zugleich macht diese Sequenz auf der Figurenebene klar, dass der Anarchist Tunin den Ort nicht versteht, d.h. es nicht versteht, geistig das Attentat zu antizipieren. Die Vorwegnahme des Scheiterns zeigt sich bereits in dieser NichtBeherrschung des Ortes.
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Abbildung 8: Tunin (Giancarlo Giannini) in Sabaudia Auch dem Zuschauer erschließt sich dieser Ort nicht als Gebäudeensemble. Die Anlehnung an surreale Bilder der Bildenden Kunst (De Chirico) verstärkt die Nicht-Lokalisierbarkeit. Der archimedische Punkt, von dem aus die Umgebung erschlossen werden könnte, fehlt, der Platz ist gespenstisch leer. Faschistische Imaginationen vom Ornament der Masse, Menschenmassen- und Politikerpersönlichkeiten-Anordnungen sollen vor dem geistigen Auge des/der Zuschauer/-in entstehen. Im Film eine politische Antizipation, die leer und unerfüllt bleibt, geschichtlich eine erfüllte Imagination.
Der Binarismus Öffentlichkeit und Privatheit Seyla Benhabib fordert in der Perspektive der Gender Studies den Binarismus Öffentlichkeit und Privatheit heraus. Im liberalen Staat diente die Unterscheidung von öffentlicher und privater Sphäre dazu, Frauen und typisch weibliche Aktivitäten dem privaten Bereich zuzuordnen bzw. sie aus der Öffentlichkeit auszuschließen. So finden sich auf der Privatheitsseite – Haushalt, Reproduktion, die Sorge um andere Menschen, die Stillung von Lebensbedürfnissen – Bereiche, die ausgeschlossen wurden aus der von Männern getragenen Öffentlichkeit und deren Rechtsverfassung. Der Bereich der Privatheit dagegen wird mit Normen, Werten, nichtgeneralisierbaren Interessen gleichgesetzt (Fragen nach dem guten Leben, der Moral), die man für natürlich und unabänderbar erklärte und von einer rechtlichen Verhandlung ausschloss. Damit privatisieren moralische und politische Diskurse derartige Angelegenheiten, schlagen dem Privaten zu, was durchaus öffentlich verhandelbar wäre. Die Frauenbe-
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wegung nun sucht der Privatheitssphäre das angeblich Private wieder zu entziehen, es neu zu veröffentlichen. Die Privatheit in der modernen Tradition politischen Denkens umschließt, nach Benhabib, drei große Bereiche. Zum einen die Sphäre des moralischen und religiösen Gewissens. Der Sinn des Lebens, die Frage nach dem Höchsten Gut, Lebensgrundsätze, all dies wurde der Sphäre des Privaten als Angelegenheit des eigenen Gewissens und der eigenen Weltanschauung überwiesen. Zum Zweiten wurde die ökonomische Freiheit der Privatheit zugerechnet; bei Hannah Arendt, einer Vordenkerin Benhabibs, wird dies mit »the rise of the social« bezeichnet. Benhabib diskutiert Arendts Begriff des Politischen mit Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit16, um die Unterscheidung von privat und öffentlich aufzubrechen. Mit dem Aufkommen nationaler Märkte und zunehmender Kapitalisierung wird aus dieser Zuordnung zur Privatheit die Doktrin der Nicht-Einmischung des Staates in die freie Marktwirtschaft. Der dritte Bereich des Privaten, den Benhabib unterscheidet, ist die Intimsphäre; im allgemeinen Sprachgebrauch verengt auf Schlafzimmer bzw. Boudoir. Die Intimsphäre umschließt, Benhabib zufolge, den Bereich des Haushaltes, die existentiellen Lebensbedürfnisse, die Sexualität bzw. biologische Selbstreproduktion. Hannah Arendt sieht in der neuzeitlichen Entwicklung eine Beschränkung des Privaten, das in der Antike noch den Haushalt, den Handel und die Familie umfasste, auf die Sphäre der Intimität. Dieser Begriff ›Intimität‹ bezeichnet für Arendt negativ die Beschränkung auf eine diktierte Interessenseinheit unter ungleichen Mitgliedern (die von einem Patriarchen repräsentierte Familie), und positiv umfasst dieser Begriff, der exemplarisch für die Absenz des Politischen, die Absenz der diskursiven Verhandlung von Meinung steht, eine umfassende Persönlichkeitsbildung. In großen historischen Zügen skizziert: Mit der Abschaffung des absolutistischen Staates und dem Aufkommen des männlich orientierten Bürgertums, geht es um die Autonomie des Religiösen und des Ökonomischen. Mit der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert dann, ihrer Fortsetzung im 20. Jahrhundert, mit dem Wahlrecht für Frauen, dem massiven Eintritt von Frauen in den Arbeitsmarkt, verändert sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Dennoch wird, so Benhabib, diese objektive Veränderung von der zeitgenössischen Moral und politischen Theorie unterschlagen. Die Binarität von Recht und Moral werde auf16 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990.
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rechterhalten und laufe parallel zu der sozialen Unterscheidung von öffentlich und privat. Die Staatsdoktrin des Intimsphärenschutzes habe Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern verhindert, weil die geschlechtsspezifische Teilung im Arbeits- und Familienleben nie einer öffentlichrechtlichen Verhandlung unterzogen worden sei. Auch heute noch könnten unter dem Deckmantel der geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung Frauen unterdrückt und ausgegrenzt werden. »[C]ontemporary normative moral and political theory, Habermas’s discourse ethics not excluded, has been ›gender-blind‹, that is, these theories have ignored the issue of ›difference‹, the difference in the experiences of male versus female subjects in all domains of life. Second, power relations in the ›intimate sphere‹ have been treated as though they did not even exist. The idealizing lens of concepts like ›intimacy‹ does not allow one to see that women’s work in the private sphere, like care for the young and the running of the household, has been unremunerated. Consequently, the rules governing the sexual division of labour in the family have been placed beyond the scope of justice.« (Benhabib 1998a, S. 87)
Einen Ausweg aus diesem Dilemma sieht Benhabib, obwohl sie an Habermas sowohl seine gender-Blindheit als auch seine strikte vordiskursive Aufteilung in öffentlich und privat kritisiert, in Habermas’ diskursivem Modell. Es eröffne die Möglichkeit als »democratic-socialist restructuring of late-capitalist societies« (ebd.) eine Geschlechtergerechtigkeit im Bereich des Öffentlichen wie des Privaten zu erzielen. Habermas’ »discursive public space« (ebd.) könne aufgrund des ihm inhärenten fundamentalen Rechts reziproker Freiheit und der Demokratisierung aller sozialen Normen die Demokratisierung von Familiennormen und Normen, die die Geschlechteraufteilung in Arbeit und Familie außer acht lassen, leisten. Dazu muss allerdings die Habermas’sche Voreinteilung wegfallen, alles muss als öffentliche Angelegenheit diskutiert werden können. Benhabib möchte Habermas insofern erweitern, »to the extent that the normative conditions of discourses are, like basic rights and liberties, rules of the game which can be contested within the game but only insofar as one first accepts to abide by them and play the game at all.« (Benhabib 1998a, S. 85)
Weitere Begründungen der Vorzüge des Habermas’schen diskursiven Modells: »In principle, the discourse model is based upon a strong assumption of individual autonomy and consent; thus even in discourses which renegotiate the
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boundaries between the privat and the public, the respect for the individuals’ consent and the necessity of their voluntarily gained insight into the validity of general norms guarantees that this distinction cannot be redrawn in ways that jeopardize, damage, and restrict this autonomy of choice and insight.« (Benhabib 1998a, S. 89)
Fragen der Moral und des guten Lebens sind nachfolgend, zeitlich und logisch nachrangig, da sie Resultat der öffentlichen Diskursivierung sind. In dieser Perspektive müsse sich die Frauenbewegung situieren: »In many ways, the contemporary women’s movement is the culmination of the logic of modernity which projects the discursive negotiation of societal norms, the flexible appropriation of tradition, and the formation of fluid and reflexive self-identities and life-histories.« (Benhabib 1998a, S. 89)
Indem sich die Frauenbewegung in der Moderne situiert, auf eine diskursive Verhandlung aus ist, nicht auf moralisches Kalkül, trägt sie bei zur Demokratisierung des öffentlichen Bereichs. Da das Habermas’sche Diskursmodell auf individueller Autonomie und Zustimmung beruht, könne es nicht missbraucht werden, und eine Falschverschiebung der Grenze von öffentlich und privat, zum Beispiel in Richtung von Staatsintervention, sei damit ausgeschlossen. Wenn damit das zuvor dem Privaten Zugeordnete öffentlich wird, sei, so die Kritik von Feministinnen, eine »patriarchal-capitalist-disciplinary bureaucracy«17 zu befürchten. Benhabib plädiert deshalb für eine dialektische Allianz mit Habermas – das ist die Entwicklung eines eigenständigen, feministisch-kritischen Modells von Öffentlichkeit. Das Gegenstück zu Habermas’ diskursivem Modell ist für Benhabib Hannah Arendts Theorie. Sieht Habermas im Strukturwandel der Öffentlichkeit die Entwicklung moderner Gesellschaften mit tiefgreifenden Veränderungen vor sich gehen, sodass im institutionellen Bereich die im Konsens erreichte Schaffung genereller Handlungsnormen durch praktische Diskurse in den Vordergrund tritt, bedeute dies eine Chance für die Persönlichkeitsbildung. Die individuelle Identitätsausbildung werde mehr und mehr von einer reflexiven und kritischen Weltanschauung der Individuen bestimmt. An dieser Stelle wird die unterschiedliche Bewertung des Sozialen und des kritischen Potentials der bürgerlichen Öffentlichkeit durch Arendt und Habermas am deutlichsten sichtbar. Arendts »rise of the social« ist mit Vorstellungen von einem Untergang des Poli17 Benhabib führt diese Äußerung als alltagssprachliche Redeweise aus, nicht als belegtes Zitat.
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tischen verbunden. Da die von Benhabib als phänomenologische Essentialistin bezeichnete jüdische Philosophin der »erweiterten Denkungsart« (Benhabib 1998b, S. 232) nicht in der Tradition der Moderne stünde, ihr Denken aber dennoch richtungsweisend sein könnte, schlägt Benhabib eine revidierte Lesart, eine anti-essentialistische Lektüre von Arendt vor. Ich widme meine Aufmerksamkeit in der Folge der Konzeption von Hannah Arendt selbst und der Art der dekonstruktiven Verschiebung durch Seyla Benhabib. Arendt hat, im Gegensatz zu Jürgen Habermas, explizit über den Totalitarismus nachgedacht und die Veränderung des öffentlichen Raumes in totalitären Regimen untersucht. Dies kann für mich nicht nur anregend sein in Bezug auf die Analyse von LIEBE UND ANARCHIE, die architektonischen und imaginativen Räume dieses Films, deren Besonderheit sich nicht allein der historischen Epoche, die zu ihrer Sujetebene gehört, schuldet, sondern ein Teil der Mentalitäts-, Ideologie- und medialen Imaginationsgeschichte ist. Ich bewege mich also zwischen der Arendt’schen Konzeption und ihrer Lesart durch Benhabib, um die verschiedenen Bezüge des Orts im Film zu erschließen. Die Vorstellung von Öffentlichkeit, ihrer Ermöglichung und Verhinderung, die Handlungstypen, die sie hervorzubringen vermag, leitet auf der Interpretationsebene meine Filmanalyse. Dem Benhabib’schen Ideal des narrativen Handelns, das – malgré elle – dekonstruktiv aus Arendts Schriften gewonnen werden kann, stelle ich eine Interpretation des Films gegenüber, die Benhabibs wie Arendts Handlungsmodelle in ihm wirken sieht. Damit weise ich nicht nur eine Gleichzeitigkeit der Lesarten von Arendt – der Arendt’schen und der Benhabib’schen – aus, sondern sehe, anders als Benhabib, beide als gleich gültig an. Ich widersetze mich – in der Konsequenz der Filminterpretation – also der Benhabib’schen Kritik an Arendt, formuliere meine Version aber nicht als metatheoretische Kritik an Benhabib.
C.2.2. Orte und Räume II: Raum und Handeln Seyla Benhabib, Hannah Arendt und der Raum Im Öffentlichkeitsdiskurs lassen sich, so Seyla Benhabib, drei Hauptströmungen unterscheiden. Zum einen die Verfallsgeschichte der Öffentlichkeit. Benhabib schreibt in dieser Hinsicht über Hannah Arendt and the Agonistic Concept of Public Space, schreibt damit Hannah Arendt zu,
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eine »melancholische Denkerin der Moderne«18 zu sein. Ich habe Richard Sennett ebenfalls in das agonale Öffentlichkeitskonzept (agonistic concept of public space) platziert. Zum Zweiten gibt es die liberale Tradition, die das legalistische Modell von Öffentlichkeit hervorgebracht hat, das Ideal der gerechten und stabilen öffentlichen Ordnung. Zum Dritten soll diese stabile öffentliche Ordnung mit Jürgen Habermas bezeichnet werden als diskursive öffentliche Sphäre. Meine Aufmerksamkeit für Hannah Arendt ist konzentriert auf die Art, wie sie Öffentlichkeit und Privatheit im Totalitarismus denkt. In totalitären Regimen kann die Form von Öffentlichkeit, die Jürgen Habermas in Strukturwandel der Öffentlichkeit herausstellte, nicht existieren – oder nur sehr eingeschränkt. Die mit der Aufklärung entstandene neue Form der Öffentlichkeit, die sich mittels neuer Medien der Schriftspeicherung und Schriftverbreitung (Druckerpresse, wissenschaftliche und literarische Zeitschriften) weiter ausdifferenziert, sie wird im Faschismus zensiert oder ausgelöscht. Seyla Benhabib entwickelt in ihrer Kritik an Hannah Arendt und Jürgen Habermas eine Kritik an deren politischer Theorie, die genderblind oder anti-modern sei. Legt Hannah Arendt in Vita activa oder Vom tätigen Leben19 den Verlust des öffentlichen Raumes in Zeiten der Moderne dar, so rekonstruiert Benhabib diesen Befund als Folge des agonalen Konzepts des öffentlichen Raums; als Konsequenz republikanischer oder ziviler Tugend. Hannah Arendt, die moderne Gesellschaften durch die institutionelle Differenzierung von politischem Bereich und ökonomischem und familiärem geprägt sieht, argumentiert, dass der ökonomische Prozess sich vom Haushalt emanzipiert habe und zur öffentlichen Angelegenheit geworden sei. Der gleiche historische Prozess, der den Verfassungsstaat hervorbracht habe, bringe auch die ›Gesellschaft‹ zu Wege, den Bereich sozialer Interaktion, jenen Bereich, der sich zwischen den Haushalt auf der einen Seite und den politischen Staat auf der anderen Seite gestellt habe. Das Aufkeimen des Sozialen habe die universale Geltung des Politischen verdrängt. Benhabib nun diskutiert die drei Sphären der Privatheit, insbesondere im Liberalismus, im Zusammenhang mit der Diskursivierung, respektive der Diskursivierbarkeit in politische Theorie. Sie sieht Hannah Arendt bestimmt von den Leitgedanken Verfallsgeschichte, Begriffsgeschichte und 18 So der Buchtitel von Seyla Benhabib. Benhabib, Seyla: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne. Hg. und mit einem Nachwort von Otto Kallscheuer. Hamburg: Rotbuch Verlag 1998. 19 Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München/Zürich: Piper 1994 (8. Aufl.); Dt. Erstausgabe: München: Piper 1967; am. Originalausgabe: The Human Condition: University of Chicago Press 1958.
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Ursprungsphilosophie [im am. Original jeweils deutsch, Anm. d. Verf.] und stellt den Abbruch der politischen Ideengeschichte für die modernen Gesellschaften in den Vordergrund. Benhabib zeigt zunächst einmal eine mögliche, eine wahrscheinliche Lektüre Arendts, weist Arendt nach, dass ihre philosophische Konzeption der Öffentlichkeit als Nachzeichnung der Verfallsgeschichte konzipiert ist. Der Aufstieg des Sozialen und der Niedergang des öffentlichen Bereichs, die Arendt auf die Ausdehnung des ökonomischen Selbstinteresses zurückführt, übersehe, so Benhabibs Kritik, dass das Arendt’sche Ideal, die griechische Polis, auf den Ausschluss ganzer gesellschaftlicher Gruppen gegründet war. Es sei jedoch als eine positive Entwicklung zu verzeichnen und theoretisch in Rechnung zu stellen, dass diese früheren Randgruppen, wie zum Beispiel die Frauen, sich vom politischen Herrschaftsideal emanzipiert hätten und öffentlich geworden seien. Um Arendt theoretisch zu retten, stellt Benhabib sie nicht in die Perspektive der Verfallsgeschichte, sondern schlägt eine andere Interpretation vor. »Arendt’s odd methodology which conceives of political thought as ›storytelling‹ (Benhabib 1998a, S. 67, Hervorhebung H.W.) bildet den Ausgangspunkt dieser Rettung. Diese Auffassung der Theoretikerin als Geschichtenerzählerin20 sei die Vereinigung von politischen mit philosophischen Analysen Arendts. Die Methode des storytelling entlinearisiert und dekontextualisiert Geschichte, um verdeckte Bedeutungen, die in Zukunft orientieren könnten, frei zu legen. Immer wieder führt Benhabib die ›verlorengegangene‹ bzw. verdeckte Unterscheidung von privat und öffentlich an. Dieser spezielle Vergangenheitsbezug führe zu Arendts Auffassung von Begriffsgeschichte und stelle einen positiven Zugang zu ihrem Werk dar. Er stelle zudem ein begriffliches Instrumentarium zur Verfügung, das Bedeutung generieren kann. So müssten durch die Begriffsgeschichte jene Momente des Bruchs, der Verschiebung und Entwurzelung in der Geschichte ausgemacht werden. Ursprungsphilosophie sei in diesem Zusammenhang fragmentarische Geschichte. Und diese zeige sich besonders gut am öffentlichen Raum. Seyla Benhabib, die Arendt als Anti-Modernistin bezeichnet, will mit Arendt gegen Arendt argumentieren, will sich in der dekonstruktivistischen »Kunst, Unterschiede zu machen und aufzuheben«21, üben.
20 Vgl. insbesondere die Ausführungen im Kapitel »Die Theoretikerin als Geschichtenerzählerin«, in Benhabib 1998b, S. 153-169. 21 Vgl. Seyla Benhabib: »Die ontologische und die institutionelle Dimension des öffentlichen Raums«, in: Benhabib 1998b, S. 200-209.
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Die intendierte anti-essentialistische Wendung von Arendt durch Benhabib: Das Arendt’sche Konzept des agonalen Handelns wird gegen das narrative Handeln abgegrenzt, oder vielmehr, die Bestimmungsstücke in Arendts Werken (Vita activa oder Vom tätigen Leben; Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) werden genutzt, um den Nachweis narrativen Handelns zu führen. Benhabib gelingt dies durch die verschiebende Lektüre des agonalen Konzepts von Öffentlichkeit zum »associational view of public space« (Benhabib 1998a). Raum wird also begriffen als Gelegenheit zur politisch bedeutsam werdenden Handlung. Es sind Ermächtigungsorte, bestimmt vom gemeinsamen Handeln durch Reden und Überzeugung. Politisches Handeln kann hier gerade auch von den außerhalb der Gesellschaft Stehenden initiiert werden, auch von Prostituierten, die, so das Stereotyp, außerhalb jedweder Gesellschaftsformen sich mit jeder Macht zu arrangieren bereit sind, die korrupt ohne eigene politische oder ideelle Überzeugung ein lebbares Leben suchen und doch meist die Korrumpierten sind. Das »associational model« (Benhabib 1998a), dies wird aus den Bestimmungen schnell deutlich, sind jene von Benhabib isolierten Arendt’schen Bestimmungsstücke, die sich auf die moderne Demokratie anwenden lassen oder vom modernen Gedanken der Vergemeinschaftung durchdrungen sind.
Der Raum im Totalitarismus Der Raum im Totalitarismus, den Arendt thematisiert, und für den eine veränderte Deutungsperspektive durch das Konzept des narrativen Handelns entsteht, eröffnet für die Interpretation des Films LIEBE UND ANARCHIE verschiedene Bedeutungszuschreibungen. Diese hängen an der Unterscheidung zwischen dem Gesellschaftlichen, dem Politischen und dem Intimen. »Jede Argumentation, mit der wir für Arendts bleibende Relevanz eintreten, muß irgendeine vertretbare Rekonstruktion ihrer stark umstrittenen Unterscheidungen zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Politischen, dem Öffentlichen und dem Privaten anbieten.« (Benhabib 1998b, S. 220)
Zunächst einmal ist man geneigt, da in Rechtsstaaten die demokratische Legitimierung der Politik durch die Gesellschaft selbstverständlich geworden ist, folgende, allgemein zustimmbare Unterscheidung zu treffen: das Gesellschaftliche und das Politische als Dimensionen einer institutionellen Unterscheidung zu begreifen. »Das Gesellschaftliche hätte sich dann auf die Ökonomie und auf die Zivilgesellschaft zu beziehen; wo201
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hingegen das Politische auf die Öffentlichkeit, den Staat und seine Institutionen Bezug nehmen würde.« (Benhabib 1998b, S. 223) Doch sowohl Arendts Bezugnahme auf den Totalitarismus als auch ihr Ausgangspunkt in der griechischen Polis und der römischen res publica fordern ein anderes Denken des Politischen heraus: »Für Arendt beinhaltet das Politische die Umwandlung der parteiischen und beschränkten Perspektive einer einzelnen Klasse, einer Gruppe oder eines Individuums in die umfassende Sicht einer ›erweiterten Denkungsart‹.« (Benhabib 1998b, S. 232) Das Politische zeige sich in einer bestimmten Qualität des gemeinsamen Redens und Handelns mit anderen, die einem gleichgestellt sind. Diese Qualität sei »charakterisiert durch die Bereitschaft, öffentlich Gründe vorzubringen und die Gesichtspunkte und Interessen anderer auch dann in Erwägung zu ziehen, wenn sie den eigenen widersprechen; außerdem ist sie charakterisiert durch den Versuch, die Diktate des Eigeninteresses in ein gemeinsames öffentliches Ziel umzugestalten.« (Benhabib 1998b, S. 233)
Tyrannei dagegen sei wie eine Wüste, kenne keine Räumlichkeit. Deren Erfahrung sei der des Wüstenreisenden vergleichbar: »under conditions of tyranny one moves in an unknown, vast, open space, where the will of the tyrant occasionally befalls one like the sandstorm overtaking the desert traveller. Totalitarism has no spatial topology: it is like an iron band, compressing people increasingly together until they are formed into one.«22 (Benhabib 1998a, S. 69)
Obwohl der Faschismus Raumpräferenzen hat – Antikenbezug, machtrepräsentative Monumentalbauten – sind diese Räume insofern Nicht-Orte, unsichtbar, menschenleer, dysfunktional, irreal, als gesellschaftliche Schichten in ihrer Wertegebundenheit fehlen. Im agonalen Konzept ist Öffentlichkeit an öffentliche Räume gebunden, in dem nicht nur moralische und politische Taten ausgetragen werden können (dies vermochten faschistische Plätze ebenfalls), sondern die belebt sind, im Widerstreit, mit dem Agon erst Bedeutung erlangen. »According to the ›agonistic‹ view, the public realm represents that space of appearances in which moral and political greatness, heroism and preeminence
22 Hier nimmt Benhabib Bezug auf: Hannah Arendt: The Origins of Totalitarism; New York: Harcourt, Brace & Jovanovich, 1968, S. 466; Dt: Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft; München: Piper 1995.
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are revealed, displayed, shared with others. This is a competitive space, in which one competes for recognition, precedence and acclaim; ultimately it is the space in which one seeks a guarantee against the futility and the passage of all things human« (Benhabib 1998a, S. 69).
Bezieht man die Überlegungen auf Wertmüllers Film, seine Ortskonzeption, so wäre das Bordell folgerichtig als Ort des pervertierten Öffentlichkeitsgedankens gewählt. Hier gibt es Menschen, lebendiges Leben; eine Garantie gegen die ›Flüchtigkeit alles Menschlichen‹ ist dieser Ort schwerlich, vielmehr wird er für Tunin zum letzten tödlichen ›Zufluchtsort‹. Die Flüchtigkeit und Nichtigkeit des individuellen Lebens wird dort besiegelt. Die Retro-Ästhetik der Frauentypen in ihrem tanzenden ›Hurenauftritt‹ verwiese also nicht nur auf eine Fin de Siècle- Dekadenz, ein stereotypisiertes Bild von Großstadtprostitution, sondern trüge die Ästhetik des Morbiden in sich. Dieser Eindruck ist sehr deutlich, überdeutlich betont durch historische Kostüme, Gesten, antiquierte Musik. Sagte da nicht ein Habitué »buongiorno prostituti«, schimpfte nicht die Bordellwirtin so drastisch, glaubte man die Filmhandlung manchmal vollends in der Kulisse der Musealität versunken. »Violence can occur in private and in public, but its language is essentially private because it is the language of pain. Force, like violence, can be located in both realms. In a way, it has no language, and nature remains its quintessential source. It moves without having to persuade or to hurt. Power, however, is the only force that emanates from action, and it comes from the mutual action of a group of human beings; once in action, one can make things happen, thus becoming a source of a different kind of ›force‹.« (Benhabib 1998a, S. 70)
Gewalt und Stärke, als privat aufgefasst, unterliegen Naturalisierungen ins Private. In der Macht hingegen erscheint die Ambivalenz von feststehendem (staatlichem) Zustand und menschlicher Handlungsermächtigung.
Erscheinungsraum und öffentlicher Raum Es entspricht dem agonalen Konzept, den öffentlichen Bereich als einen Erscheinungsraum zu konzipieren, der an Orte gebunden ist, auf denen Moral, politische Größe etc. sich zeigen können, wodurch sich Öffentlichkeit erst herstellt. Im Gegensatz dazu wird in Arendts Werk, so Benhabib, zusätzlich ein Handlungsraum gedacht, der an keinen Ort gebunden ist – gemeint ist der klassische Demokratie-Topos der zusammentreffenden, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Sache ausdiskutierenden 203
DIE PROSTITUIERTE IM FILM
(Männer-)Gruppe. Sie kommt gleichsam in ihrer guten Absicht als Ort der Diskussion zusammen – nicht an einem konkreten Ort. »By contrast, the ›associational‹ view of public space suggests that such a space emerges whenever and whereever, in Arendt’s words, ›men act together in concert‹. On this model, public space is the space ›where freedom can appear‹. It is not a space in any topographical or institutional sense« (Benhabib 1998a, S. 69).23
Benhabibs kritischer Rettungsversuch der ›Antimodernistin‹24 Arendt besteht zunächst in einer Aufsplittung des von Arendt undifferenziert gelassenen Raumbegriffs, genauer gesagt in der Differenzierung von Erscheinungsraum und öffentlichem Raum, um beide Raumtypen jeweils einem Handlungstyp zuzuordnen und dem von Benhabib favorisierten narrativen Handlungstyp durch die Zuordnung zu dem weniger diskreditierten und weiter gefassten Erscheinungsraum Geltung zu verschaffen. »Es ist bislang kaum beachtet worden, daß Arendt den phänomenologischen Begriff des ›Erscheinungsraums‹ und den institutionellen Begriff des ›öffentlichen Raums‹ ineinander fließen lässt. Die zwei oben erörterten Handlungsmodelle entsprechen dieser zusätzlichen Dichotomie, insoweit der agonale Handlungstyp einen öffentlichen Raum voraussetzt, in dem er anderen erscheinen kann und mit anderen geteilt werden kann; das narrative Handeln benötigt zwar ebenfalls einen ›Erscheinungsraum‹, aber dies muß kein öffentlicher Raum sein, der allen zugänglich ist. Ein Handeln, das ins alltägliche Gewebe der Erzählungen eingesponnen ist, kann im vertraulich-privaten Bereich ebenso erfolgen.« (Benhabib 1998b, S. 204)
Benhabib ergänzt Arendt um die Begrifflichkeit des »narrativen Handlungsmodells«. Dazu erläutert sie:
23 Benhabib merkt hierzu an: »Hannah Arendt’s persistent denial of the ›women’s issue‹, and her inability to link together the exclusion of women from politics and this agonistic and male-dominated conception of public space, is astounding. The ›absence‹ of women as collective political actors in Arendt’s theory – individuals like Rosa Luxemburg are present – is a difficult question, but to begin thinking about this means first challenging the private/public split in her thought as this coresspondens to the traditional separation of spheres between the sexes (men = public life; women = private sphere).« (Benhabib 1998a, S. 93) 24 Dies ist ein Rezeptionsstrang Arendts unter anderen. Vgl. »Nachwort von Otto Kallscheuer«, in: Benhabib 1998b, S. 343-350.
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ÖFFENTLICHKEIT UND PRIVATHEIT
»narratives Handeln [ist] in Arendts Theorie ein Handeln, das in ein ›Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten und in ihm dargestellter Geschichten‹ eingebettet ist. Dieses ›Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten und in ihm dargestellter Geschichten‹ vereint die konstative und die expressive Dimension von Sprechakten.« (Benhabib 1998b, S. 202)
In LIEBE UND ANARCHIE sind sowohl ein agonales, als auch ein narratives Handlungsmodell erkennbar. Die Feststellung gilt, wenn man nicht die Narrativität des Films als Grundlage für die Zuweisung eines narrativen Handlungsmodells setzt, sondern figurenbezogen die Handlungsdimensionen als agonal intendiert oder narrativ geleitet ausweist. Handeln und seine Interpretation unterliegen narrativen Codes, die kulturell ausgehandelt und ästhetisch neu formuliert werden, und insofern ist die Frage durch die im Film etablierten narrativen Codes kulturhistorisch zu beantworten. Wenn Günter Giesenfeld behauptet, Salomé und Tunin seien »kaum geeignete Figuren, als Handelnde einen politisch-moralischen Konflikt zu personifizieren«25, so kann man entgegnen, dass die Konstruktion der Filmfigur Tunin einerseits bestimmt ist durch die Erzählung, die immanent kohärente Handlungsgeschichte, andererseits durch die Rezeption und Interpretation des Films. »Das Was unserer Handlungen und das Wer des Täters werden stets vermittels einer Erzählung bestimmt, dadurch nämlich, dass erzählt wird, was jemand tut und wer jemand ist.« (Benhabib 1998b, S. 208) Arendt zuspitzend formuliert Benhabib: »Die Narrativität ist für unsere Identität konstitutiv.« (Benhabib 1998b, S. 154)
Fazit: Agonales und narratives Handeln »Jegliches Handeln ist narrativ verfasst, und so manches Handeln kann eine agonale Dimension erreichen. Handeln ist dann agonal, wenn es ein Prinzip oder eine Tugend wie Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Weisheit und Freundlichkeit verkörpert oder ›aufscheinen‹ läßt oder wenn es eine Leidenschaft, ein Gefühl, in seiner wesentlichen Form ausdrückt, wie den Zorn des Achill, die Verzweiflung des König Lear, Hamlets Unentschlossenheit, Billy Budds stumme Wut oder das anonyme Böse des Holocaust.« (Benhabib 1998b, S. 208)
25 Vgl. Giesenfeld 2001, elektronischer Eintrag zu LIEBE UND ANARCHIE.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
Ist Tunins Amoklauf ein agonales Handeln, vergleichbar dem Zorn des Achill, der Verzweiflung des greisen Lear? Dass agonales Handeln sich nicht nur auf die ›große, gute, edle‹ Tat beziehen kann, ist offenkundig. Doch eine Tat, die wesentlich Verfehlungsleistung ist, die den Zustand der Bewusstheit verlässt, hat sie überhaupt eine, wenn auch in die Emotion verlagerte, politische Dimension?
Exkurs: Amok und Öffentlichkeit Dass Tunins Scheitern sich in einem Amok-Lauf kanalisiert, entspricht der ›Logik‹ des Amoks26, die eine Logik des Unlogischen, eine »anormale Normalität«27 ist. Vogl, der die irrationale Tat eines rationalen Täters in einer Linie aufsteigender Grundlosigkeit erörtert, sieht im Amok einen Beweggrund ohne Motiv, ein Motiv ohne Motivation und macht in eben jener Grundlosigkeit die Motivation aus. An zwei von Vogl präsentierte Aspekte möchte ich in der Diskussion des Films LIEBE UND ANARCHIE anknüpfen: erstens an die Frage, ob der Amok ein akutes Selbstverhältnis westlicher Kulturen geworden ist, zweitens an die Überlegung des Verhältnisses von Amokläufer und Masse. Der Import des südostasiatischen Phänomens Amok in die westliche Zivilisation fand zu einer Zeit statt, in der Feindschaft und soziale Unwirklichkeit zur sozialen Realität wurden. Das Entstehen des Amoks als »Zerrspiegel der westlichen Zivilisation« zeugt von einer »Figur der sozialen und politischen Einbildungskraft, einer dramatischen Auflösung des sozialen Bandes«. Der Amokläufer, so Vogl, verweise auf eine »Extimität intensiver Beziehungslosigkeit«. Tunins Tat entspricht dem Phänomen des Amoklaufs insofern, als die Grundlosigkeit, die Nichtigkeit des Anlasses auch für ihn zutrifft, auch bei ihm Reizauslösung und Reaktionsstärke in keiner linearen Beziehung stehen und Vernunft und Wahnsinn ebenso ununterscheidbar werden wie bewusst und unbewusst. Doch durch die emphatische Einfühlung in die Filmfigur Tunin erkennt der Zuschauende in dieser Verzweiflungstat sehr wohl einen Grund, eine Leidenschaft und eine Interessenslogik. Just 26 Vgl. Vogl, Joseph: »Alb der Perversionen: Amok und soziale Unwirklichkeit«; Vortrag, dokumentiert auf der Homepage des Institut für Theorie der Gestaltung und der Kunst; www.ith-z.ch/ith/publikationen/audioarchiv/; letzter Abruf September 2004. 27 Diese und alle folgenden Zitate erfolgen auf der Grundlage einer Vortragsmitschrift. Nicht wortidentische Übernahmen und Ungenauigkeiten bitte ich zu entschuldigen.
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ÖFFENTLICHKEIT UND PRIVATHEIT
in dem Moment, in dem Tunin die Figuren der Staatsöffentlichkeit, die Polizisten, in den Räumen des Intimen, des Bordells sieht, es also zu einer durch äußere Umstände initiierten Grenzüberschreitung von privat und öffentlich kommt, begeht er die Tat des Umlenkens des Attentats vom Despoten Mussolini auf die Träger faschistischer Staatsgewalt, die Polizisten. Für die Filmzuschauer/-innen entsteht keine »Lücke der Erklärbarkeit«. Das Wissen über den Täter (und vor allen Dingen der zuvor schon erfolgte Zusammenbruch der Differenz öffentlich/privat) macht die Tat dramaturgisch plausibel und psychologisch erklärbar. Tunin ist nicht vom »Geist der Perversion« beherrscht, er hat ein Motiv sozialer Art. Die Unsicherheit über den Raum des Öffentlichen und des Privaten verweist unweigerlich auf das im Amoklauf stets virulent werdende Verhältnis von Individuum und Masse. Hannah Arendt hat auf den Konformismus der Masse hingewiesen, hat über das Verhältnis von Individuum und Masse nachgedacht und genau jene Voraussetzung für den Amoklauf, »die symbolische und soziale Entortung«, analysiert. Amok, ein Phänomen, das mit dem Auftauchen von Massenerscheinungen entsteht, ist eine Aktualisierung von Massenphänomenen und ein Reflex auf diese. Der Amokläufer und die undifferenzierte Masse ist, so Vogl, ein »Spiegel für die entstehende Massenzivilisation«, weist auf eine Verkehrung des Einzelnen und der Masse hin. Der Faschismus strebte die Auflösung des Individuums in der Masse an – Mechanismen, auf die Hannah Arendt hinweist. Weil der Faschismus in der ›Vermassung‹ der Gesellschaft die Vorherrschaft der »Gesetze der Individualpsychologie« aufgehoben hat, könnte man den Faschismus, der auf »primitive Vergesellschaftungen« und die »Virulenz unbewusster Mechanismen« setzte, als eben jene Pervertierung des Sozialen ansehen, die sich, so Vogl, im Amok offenbare: Das Soziale ist das Irrationale, die Verkörperung des Sozialen die Primitivität und die Suggestion. Die Masse werde zur verbrecherischen Entität, sie habe keinen Grund, keine Vernunft und Plausibilität mehr. Tunins Scheitern, sein tragischer Tod in tragikomischem Handlungsbezug, ist ein Scheitern durch den Widerstreit des agonalen und narrativen Handlungsmodells. Denn seine Absicht ist ja zunächst, Mussolini im Alleingang – als persönlichen Racheakt für seinen Freund – zu ermorden, ohne irgendeine weltanschauliche Verankerung in der Widerstandsbewegung, im politischen Oppositionsdenken; und insofern entspricht seine Motivation der des zornigen Achill und widerspricht der von Salomè. Tunin ist nicht nur ideologisch ungebunden, er ist auch ohne Anbindung an das Netzwerk der resistenza. Zwar führt ihn eine hinterlassene Adres-
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
se zu Salomè ins Bordell, doch er hat keinerlei Unterstützung, nicht die geringste logistische Hilfestellung oder personelle Unterstützung durch weitere Attentäter, die den Anschlag vorbereiteten. Tunins Attentatsplanung ist ein expressives Handeln – oder in den Termini von Benhabib – ein agonales Handeln (freilich ein sehr naives agonales Handlen). »Das expressive Handeln […] berücksichtigt die Selbstverwirklichung der Person, und die entsprechenden Normen sind Anerkennung und Bestätigung der Einzigartigkeit des Selbst und seiner Fähigkeiten durch andere.« (Benhabib 1998b, S. 201)
Dieses agonale oder heroische Modell von Politik wird von Benhabib weiter präzisiert: »Trifft die Akzentuierung das expressive Handlungsmodell, wird Politik als das Vollbringen edler Taten durch herausragende Einzelne betrachtet« (Benhabib 1998b, S. 201). In seiner Grundanlage ist Tunins Handeln expressives Handeln, eine »Enthüllung dessen, wer einer ist« (Benhabib 1998b, S. 202), und das »Manifestwerden des Inneren« (ebd.) wird besonders nach seiner Identifizierung mit dem verlausten gepeinigten Köter in seiner Parabel gegen Spatolettis Geschichtsmythos offenbar. Doch Tunin ist kein Heroe, der eine edle Tat vollbringt, er ist vielmehr ein trauriger Held, dem schon vor dem Attentat die Anerkennung und Bestätigung der Einzigartigkeit des Selbst und seiner Fähigkeiten durch die Anderen, von Tripolina und Salomè, verweigert wird. Sie erkennen ihn zwar als Menschen an, als Liebenden, schließen aus seiner vorurteilsfreien Menschlichkeit, die ihn dazu bringt, eine Prostituierte zu lieben, weil ihm die unterdrückende und ausschließende Klassifikation von Prostituierten nicht einfiele, die Einzigartigkeit seines Selbst. Sie sehen, dass er sie selbstverständlich in seine ›Privatheit‹, seine soziale Umgebung integriert, aber sie erkennen seine individuelle Revolte, d.h. ihre politische Dimension, nicht an, vermögen sein unartikuliertes Gerechtigkeitsempfinden nicht wahrzunehmen. Die Erwartungshaltung der Prostituierten ist bezogen aus einem Heroismusbild klassischer Art, aus einem eindeutigen agonalen Handlungsmodell – und das kann Tunin nicht erfüllen. Die Expressivität des Selbst liegt nicht in Tunins Mordkalkül, wie es erwartet wird, sondern in seiner Gefühl gewordenen Rebellion. Diese Expressivität des Selbst wird nicht anerkannt, und nicht zuletzt deshalb scheitert das Attentat. Eine Verkennung des inneren Wesens Tunins ist damit bezeichnet, fast kommt es einem Vorwurf fehlender Menschenkenntnis gleich, eines mangelnden Humanismus. Die Selbstverwirklichung der Person ist folglich nicht der wütende Befreiungsschlag, sondern der Amoklauf.
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ÖFFENTLICHKEIT UND PRIVATHEIT
Tripolina folgt den Vorstellungen des narrativen Handlungsmodells, Salomè steht im Zwiespalt zwischen dem agonalen und dem narrativen Handlungsmodell und sie entscheidet sich in einem Dialog, das heißt in einer Situation, in der Geltungsansprüche in Sprechakten erhoben und verhandelt werden (deren Gültigkeit von Tripolina in Abrede gestellt wird) für das narrative Handlungsmodell und gegen das agonale. Tunin, Wertmüllers Protagonist, lebt in beiden Arendt’schen Politikmodellen und scheitert an seiner Unentschlossenheit. Spatolettis Version dagegen ist das agonale Handeln, für ihn gibt es keine Irritation durch Kommunikation. Im Dialog der Folterszene kommt zum Ausdruck, dass er dieses agonale Handlungsmodell im klassischen Sinne, die heroische Tat, auch Tunin unterstellt; er foltert ihn, um seine klar benennbare politische Motivation zu erfahren, um an die Namen möglicher Hintermänner zu kommen. Tunins Tod ist besiegelt, als sich herausstellt, dass das narrative Handlungsmodell zum Attentatsplan führte. Die Verhinderung der Tat durch Tripolina und Salomè wird im Akt kommunikativen Handelns – nach der Habermas’schen Idealvorstellung, die von Rationalität durchwirkt ist – beschlossen, wobei die Figur Tripolina exemplarisch durch ein narratives Handlungsmodell gekennzeichnet ist. Die Figur von Salomè ist durch ein kommunikatives Handeln im Habermas’schen Sinne bestimmt – im Arendt’schen Sinne bezeichnete man es ebenfalls als narratives Handeln. Der nervös stotternde, meist sprachlose Bauer befindet sich also im Zwiespalt, unterliegt einem unartikulierten agonalen Handlungskonzept und, uneingestanden, einem narrativen. Unterscheidungskriterium zwischen den Figuren ist dabei nicht Eloquenz und Verbalisierungsgrad, auch wenn dies die Dramaturgie des Films am meisten bestimmt. Der Unterschied, der hervortritt, ist der zwischen der schlichten Äußerung eines Selbstbildes und der Habermas’schen Bestimmung einer gelingenden Verständigung unter Konversationspartnern, dies auf der Grundlage von Geltungsansprüchen, die in Sprechakten erhoben werden. Eine Äußerung des Selbstbildes scheint auf, wenn Tunin darlegt, warum er sich bereit erklärt, den Toten auf dem Forum abzulegen und, besonders deutlich, in der Auseinandersetzung zwischen Tunin und Salomè zur Begründung des Attentats. Salomè diskursiviert, gibt Attentatsrechtfertigungen vor, die durch persönliches Erleben von Ungerechtigkeit berechtigt, durch soziale und historische Erfahrung legitimiert scheinen, Handlung und Einstellung plausibilisieren sollen. Das Feuerwerk von Rede und Gegenrede in der Auseinandersetzung mit Tunin fördert ihr Bemühen um Rationalisierung
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
ihrer Lebensentscheidung zu Tage. Die Nichtverbalisiertheit Tunins steht im Gegensatz zu Salomès Argumentationskunst; der Amoklauf Tunins ist der dramatische Ausdruck seiner Sprachlosigkeit. Der stotternde, effeminierte Mann vom Lande kanalisiert seine Unartikuliertheit in ein wildes Schreien, als ihn Polizisten jagen. Arendt, die stets größten Wert auf die »sprachliche Struktur menschlichen Handelns« (Benhabib 1998b, S. 202) gelegt hat, macht deutlich, dass menschliches Handeln einer sprachlichen Vermittlung, einer narrativen Darstellung bedarf, um »als das identifiziert, beschrieben, und erkannt werden [zu] könne[n], was es ist. Der Urheber von Taten und der Erzähler von Geschichten müssen imstande sein, sprachlich mitzuteilen, was das ist, was sie da tun« (Benhabib 1998b, S. 311). Die Filmfigur Tunin verfehlt den Imperativ des kommunikativen Handelns, seine Mitteilungslosigkeit stiftet keine gemeinsame Welt, auch keinen Erscheinungsraum. Kommt in Habermas’ Modell die expressive Dimension von Sprechakten zur Geltung, so ist das Arendt’sche Modell des narrativen Handelns von konstativer und expressiver Dimension. Die konstative Dimension liegt in der Anerkenntnis der Lebensumstände, der Verbindungen; NichtIntentionales kommt hier zum Vorschein, etwas Inkommensurables, nicht in Geltungsansprüche Übersetzbares. Das Inkommensurable der persönlichen Bindungen, die Tunin nicht für sich und nicht für andere verbalisieren kann, bricht sich dann in der Inkommensurabilität des Amoklaufs Bahn. Salomè und Tripolina können Tunin buchstäblich nicht mehr halten, er reißt sich aus ihren Armen, bricht aus dem »Bezuggewebe menschlicher Angelegenheiten und in ihm dargestellter Geschichten« (Benhabib 1998b, S. 202) aus, sieht die Lebensgeschichten nicht mehr. »[…] Handeln im ersten Modell [scheint] ein vorgängiges Wesen, nämlich das ›Wer man ist‹, zu manifestieren« (Benhabib 1998b, S. 202). Das vorgängige Wesen Tunins ist nicht der Heroe, sondern der Schüchterne, der Ängstliche, der Unterlegene. Doch gerade in der Benhabib’schen Perspektive, die dem narrativen, konstruktivistischen Modell gegenüber den essentialistischen Aspekten der Identität, wie Arendt sie noch dachte, den Vorrang geben will, ist hier natürlich anzumerken, dass dieses vorgängige Wesen wesentlich Resultat einer Interpretation ist, der von Tripolina und Salomè. Die Effeminisierung des Bauern zeigt sich darin, dass er von Tripolina und Salomè interpretiert wird, Tunin hingegen scheint keine Interpretation von Salomè geben zu können, lediglich von Tripolina, die er liebt. Tunin wird erst durch seinen Tod begreifbar – ex post, post mortem. »Das Wesen einer Person […] kann überhaupt erst entstehen und zu dau-
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ern beginnen, wenn das Leben geschwunden ist und nichts hinterlassen hat als eine Geschichte.« (Arendt, zit. n. Benhabib 1998b, S. 203) Die wechselseitige Konstituierung der Identität des Selbst durch andere und durch das Wechselspiel der Prägung durch andere Menschen, der Gesellschaft und der Sprache einerseits und durch das eigene Handeln und Sprechen andererseits, sie zeigt sehr gut die Arendt’sche Vorstellung vom »Weben eines Gewebes aus Geschichten« (Benhabib 1998b, S. 202). Private Freundschaften und Liebe korrespondieren mit dem narrativen Handeln, können unter Umständen auch agonale Handlungstypen im öffentlichen Raum sein. Doch hier sind insbesondere die Arendt’schen Ausführungen zum Guten Leben und zur Güte interessant. Aus den Lehren Jesu und aus der christlichen Tradition heraus erklärt Arendt den Ausschluss der Güte aus dem öffentlichen Raum, da diese die Verborgenheit brauche. Die Opposition der christlichen Gemeinschaft zum Politischen, zum öffentlichen Bereich, ist über Jahrhunderte gewachsen, hat theologische Wurzeln. Die Güte und die guten Werke kennen nur einen Zeugen: Gott. Die »tätige Güte« zielt gerade nicht auf die Öffentlichkeit, auch nicht auf die Gesellschaft, im Idealfall ist sie den Menschen selbst nicht bewusst28. Wenn Tunins Mordplan nicht aus niederen revanchistischen Rachegefühlen heraus erklärt29 und ihm jedwede politische Reflektiertheit abgesprochen wird, kann das Verständnis der Figur Tunin aus dem tiefsten Humanismus heraus, als eine Tat des Guten Lebens gedeutet werden? Die Dimension des Politischen im öffentlichen Raum, die sich im agonalen Handlungstyp offenbare, sei, so Arendt, durch den Aufstieg der Gesellschaft und des sozialen Lebens, das auf Konformismus hinauslaufe, verloren gegangen. Das Scheitern Tunins deutet sich nicht nur in der Figurenanlage an, der Abwesenheit von Öffentlichkeit, nicht nur in der Abwesenheit des Agons, es verweist im Arendt’schen Denken auf eine strikte Dichotomie, die nur durch die Infragestellung der Grenzen von öffentlich und privat herausgefordert werden kann. Selbst wenn man das Attentat als eine Tat des Guten Lebens interpretierte, wäre diese Tat ohne die politische Dimension nicht verstehbar. Die politische Dimension erschließt sich erst durch den Verweis auf die vordiskursive Trennung, den gegenseitigen Ausschluss von Recht/Gerechtigkeit/Öffentlichkeit und Privatheit als Frage nach dem Guten Leben.
28 Vgl. Arendt 1994, S. 71f. 29 Vgl. Giesenfeld 2001; elektronischer Eintrag zu LIEBE UND ANARCHIE.
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C.3. Ö D I P U S
UND
A N T I -Ö D I P U S .
PSYCHOANALYTISCHE KULTURWISSENSCHAFT: J A C Q U E S F E Y D E R S ANNA CHRISTIE Das Werk von Sigmund Freud ist von kulturtheoretischen Einflüssen im Allgemeinen und Reflexionen auf Literatur und Bildende Kunst im Besonderen durchzogen. Freud prägte sich mit seinen Ausführungen zur attischen Komödie König Ödipus den Kulturwissenschaften ein wie kaum ein anderer Theoretiker. Die Bezugnahme der Feministischen Filmtheorie auf Freud wie auf Lacan ist trotz erlöschendem Phallokratismusverdacht1 zentral. Freuds und Lacans Konzepte wurden in der Feministischen Filmtheorie und -kritik versuchsweise und meist sehr engagiert durchgespielt, um zu einer subversiven filmanalytischen Lesart zu gelangen. Lacan selbst hatte sich der Kinotheorie angedient durch seine Betonung des Blicks als vorrangigem Kastrationsprodukt; als Objekt klein a2. Sigmund Freud hingegen, der als Opponent Karl Abrahams in der Psychoanalytischen Vereinigung die Frage diskutierte, ob die Psychoanalytische Vereinigung einen Film drehen solle, hielt eine graphische, filmische oder sonstwie geartete Visualisierung des Unbewussten für unvorstellbar. Er sprach sich gegen Popularisierungsmoden aus und wollte unter keinen Umständen seinen Namen im Abspann des Films
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Insbesondere die Auseinandersetzung von Luce Irigaray mit Lacan zeugt von einer feministischen Kritik an Lacans Freud-Interpretation und seiner Darlegung des Ödipuskomplexes. Vgl. Lacan, Jacques: »Der Ödipuskomplex« (1966) In: Schriften II; S. 62ff. und Irigaray, Luce: Speculum, Spiegel des anderen Geschlechts; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996 sowie Dies.: Das Geschlecht, das nicht eins ist; Berlin: Merve-Verlag 1979. Jacques Lacan hat neben dem Blick auch die Stimme als Objekt klein a beschrieben. Dies hat durch Kaja Silverman Eingang in die Feministische Filmtheorie gefunden. Vgl.: Silverman, Kaja: The Acoustic Mirror, The Female Voice in Psychoanalysis and Cinema. Bloomington: Indiana University Press, 1988.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
GEHEIMNISSE EINER SEELE3 erwähnt sehen, obwohl das Skript auf einer seiner Fallgeschichten aufbaute.4 Jacques Lacan wurde gleich zu Beginn seiner psychoanalytischen Tätigkeit mit dem Einfluss von Filmschauspielerinnen auf die Psyche einer seiner Patientinnen konfrontiert, als er in seiner Doktorarbeit die Fallgeschichte Aimées darlegte.5 Diese Patientin war von der Vorstellung getrieben, ihr Ideal, eine Filmschauspielerin, mit der sie sich in der Phantasie identifizierte, töten zu müssen. Lacan zufolge erweist sich das Kino – aber nicht nur wegen dieses Falls – als exemplarischer Ort des Symbolischen. Das Subjekt der imaginären Verkennung schien im Kino seinen idealen Ort gefunden zu haben und die Erkenntnis der Großtheoretiker der Psychoanalyse, dass das wahre Subjekt das Subjekt des Unbewussten ist, stellt die Basis der psychoanalytisch inspirierten Filmtheorie dar.6
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GEHEIMNISSE EINER SEELE, D 1926, Regie: G. W. Pabst. Vgl. www.freud-museum.at/freud/themen/film-d.htm; letzter Abruf Mai 2005. Vgl. Schmidgen, Henning: »Das Irrsal hilft: Nach siebzig Jahren erscheint die Doktorarbeit von Jacques Lacan auf Deutsch«; in: Psychoanalyse im Widerspruch, Jg. 14, Heft 28, 2002, S. 55-60. Die Interdependenzen zwischen dem Medium Kino und dem Unbewussten sind als strukturähnlich und das Denken des Kinos als persönlichkeitsstrukturierend beschreibbar. Aber auch Freud hatte schon auf Apparate, Technikanalogien und Apparatemetaphern Bezug genommen in seiner psychoanalytischen Theoriebildung; vgl. dazu die aufschlussreichen Arbeiten von Frank Hartmann: Medienphilosophie, das von Gregor Schanze herausgegebene Handbuch zur Mediengeschichte und auf Stefan Riegers Individualität der Medien. Man könnte andere Argumente anführen, warum psychologische und psychoanalytische Theorien die Reflexion auf das Kino oder den Film nahe legen. Diese Auseinandersetzung werde ich hier ebensowenig leisten wie die Darstellung der Implikation Lacans für die Feministische Filmtheorie. Mein Fokus ist hier die Filminterpretation ANNA CHRISTIE. Fest steht allerdings, dass die Geschichte der Feministischen Filmtheorie, angefangen von Laura Mulveys Visuelle Lust und narratives Kino bis hin zu vielfältigen Lacan-Interpretationen von Hitchcock-Filmen, geprägt ist von Festschreibungen psychischer Vorgänge in Filmfiguren und im Medium Kino insgesamt.
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ÖDIPUS UND ANTI-ÖDIPUS
C.3.1. Ödipus I: Von Sophokles bis Sigmund Freud Nicht anhand der Selbstanalyse wird die Ödipustheorie expliziert – die Selbsterkenntnis Freuds bleibt dem freundschaftlichen Anvertrauen in einem Brief an Fließ vorbehalten –, sondern die griechische Tragödie, die für die theatrale Szene geschrieben wurde, gibt den Analysegrund ab. Der nahe liegende Einwand, dass mit der Analyse des antiken Heldenepos eigentlich das Unbewusste reliteralisiert werde nach dem Muster der symbolischen Ordnung, nach einer Bewusstseinsleistung also, ist für die psychoanalytische Theorie kein Einwand. Zum einen, so die Argumentation aus psychoanalytischer Sicht, lasse sich daran die Universalität des entdeckten Ödipuskomplexes festmachen, und zum anderen sei es ja gerade die symbolische Kastration, die das Unbewusste wie auch das Subjekt konstituiere. Die symbolische Ordnung selbst ist eine Folge der Kastrationsdrohung, die ihre Genese in sich trägt und diese – malgré elle, trotz ihrer offenkundigen Verleugnung – erzählen kann. Das für eine theatrale Festaufführung bestimmte Drama König Ödipus breitete eine Szene vor den Augen und Ohren der Zuschauer/-innen aus (fast möchte man sagen eine Art von Ur-Szene, wäre damit nicht ein anderes psychisches Vorkommnis bezeichnet), die wie der Film zum Bereich der szenischen Künste gehört. Der Film eignet sich ein dem Theater entlehntes narratives Muster an – in der Frühzeit des Films war die Verwandtschaft zum Theater besonders ausgeprägt. Das Abfilmen von Theaterstücken, die dispositionale Nachahmung des beerbten Mediums Theater machten die Übertragung von Ödipus-Narrativen leicht nachvollziehbar. Freud aber verwehrte sich, obwohl seine Erkenntnisse dem Theater und der Literatur entliehen waren, stets gegen ein Bild- und Film-Werden seiner Theorie. Das neue Medium Kino, das McLuhan7 zufolge ein anderes (älteres) beinhaltet, nahm die Theaterszene und ihre Narrative bereitwillig auf, und so schuldet sich Ödipus’ Weiterleben im Kino einer mediengeschichtlichen Bedingtheit. Die Nähe der theatralen und filmischen Szenen zu denen der Psyche, ihre komplexen wechselseitigen Beeinflussungen schrieben kultur- und medienwissenschaftlich Geschichte. ›Prostituiertenfilme‹ sind meist Krisenfilme, Ausdruck des in Bewegung geratenen Geschlechtergegensatzes, einer fundamentalen Verunsicherung der Geschlechtsidentitäten. Sie arbeiten häufig mit Ödipus gegen Ödi-
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Vgl. McLuhan 1995.
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pus8. Der 1930 von Jacques Feyder gedrehte Film ANNA CHRISTIE folgt in idealtypischer Weise der ödipalen Logik (wie sie Teresa de Lauretis in Alice doesen’t9, Kapitel »Desire in Narrative«, herausgearbeitet hat). Ich will eine ganz andere Linie des Arbeitens mit Ödipus gegen Ödipus präsentieren, jenseits der etablierten Spur Feministischer Filmtheorie. Statt Ödipus, das Drama, seine psychoanalytische Deutung, vorauszusetzen bei meiner Filminterpretation, werde ich den Film auf sein ödipales Drama hin befragen und dabei versuchen, ein erkenntnistheoretisches Problem nicht aus dem Kopf zu verlieren: Ödipus (wie andere prominente Texte, Kanonisierungen, Doxa) ist nicht nur ein Analysemodell, sondern ist längst mitgeneriert durch Grundtheoreme, ›Szenen‹ und Termini der Psychoanalyse. Analysen von Hitchcock-Filmen z.B., die sich viel darauf zugute halten, das Freud’sche Modell wiederzufinden in den bild-narrativen und motivischen Erfindungen Hitchcocks, kann man nur mit Skepsis begegnen. Wenn sie denn nicht gleich bloße Tautologien sind oder reine Zirkel, sind sie Verlängerungen des populären Psychoanalyse-Diskurses, auf den die Filmindustrie früh gesetzt hat. »Immer davon reden, nie daran denken. – Seitdem mit Hilfe des Films, der Seifenopern und der Horney10 die Tiefenpsychologie in die letzten Löcher dringt, wird den Menschen auch die letzte Möglichkeit der Erfahrung ihrer selbst von der organisierten Kultur abgeschnitten. Die fertig gelieferte Aufklärung verwandelt nicht nur die spontane Reflexion, sondern auch die analytischen Einsichten, deren Kraft gleich ist der Energie und dem Leiden, womit sie errungen werden, in Massenprodukte und die schmerzlichen Geheimnisse der individuellen Geschichte, die schon die orthodoxe Methode auf Formeln zu reduzieren geneigt ist, in geläufige Konventionen.« (Adorno (1951) 1980, S. 71, Hervorhebung im Original) 8
Mit dem Aufruf, mit Ödipus gegen Ödipus zu arbeiten, endet Teresa de Lauretis’ »Ödipus interruptus«, einer in Frauen und Film erschienenen deutschen Teilübersetzung ihres Werkes Alice Doesn’t (Vgl. De Lauretis 1990). 9 Alice Doesn’t ist ein Beispiel anglo-amerikanischer, feministischer Filmtheorie, die nicht nur die Psychoanalyse einbezieht, sondern auch die Semiotik und den Strukturalismus. 10 Adorno nimmt in seinem Angriff auf die Trivialisierung der Psychoanalyse als Normalisierungsdiskurs, der durch die Medien getragen wird, hier nicht auf die Gründungsväter der Psychoanalyse Bezug, sondern auf Karen Horney, die, wie Elizabeth Grosz herausstellt, kaum bekannt gewesen sein dürfte. (Vgl. Grosz 1998 und vgl. die Ausführungen und die Fußnote zu Melanie Klein und dem ›Weiblichkeitskomplex des Mannes‹ in diesem Kapitel).
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Freud zeigt an der Verfilmung seiner Theorie bzw. Analyse kein Interesse, dennoch stützte sich die Filmproduktion früh auf seine Theorien. Es ist folgerichtig und nicht illegitim, seine Theorien zur Analyse von Filmen heranzuziehen (obwohl die Trivialisierungen der Psychoanalyse durch das Hollywood-Kino Freuds Distanznahme im Nachhinein Recht geben). Meine Interpretation des Films ANNA CHRISTIE ist zunächst geleitet von dem Problem, das Freud in seiner Auffassung des Ödipuskomplexes formulierte. Mich interessiert allein die kulturelle Determination des Ödipuskomplexes. Mit Melanie Kleins Auffassung des Ödipuskomplexes greife ich auf eine psychoanalytische Revision der klassischen Sicht auf den Ödipuskomplex zurück; (bisher hat sie lediglich in der Behandlung des Horrorfilms Eingang in die Feministische Filmtheorie gefunden11). Ich werde mit Klein eine Freud ergänzende und widersprechende Sicht auf ANNA CHRISTIE entwickeln. Nicht der Widerstreit von Filminterpretationen ist hierbei mein Ziel, sondern mein Augenmerk gilt dem exemplarischen Ausweis von psychoanalytischen Interpretationsmustern als kulturellen Mythologemen. Obwohl Melanie Klein als Repräsentantin der ödipalen Ordnung von Deleuze und Guattari verworfen wurde, lässt sich mit ihr eine Verbindung zur Konzeption des Anti-Ödipus ziehen.
Der Ödipuskomplex in der Narration »A single idea of general value dawned on me. I have found, in my own case too, [the phenomenon of] being in love with my mother and jealous of my father, and I now consider it a universal event in early childhood. … How does he [Hamlet] explain his irresolution in avenging his father by murder of his uncle. … How better than through the torment he suffers from the obscure memory that he himself had contemplated the same deed against his father out of passion for his mother, and – ›use every man after his dessert,‹ and who should ›scape whipping?‹ [1985a, pp.272-273]« (Freud, zit.n. Margolis 1996, S. 20)
11 In der psychoanalysegestützten Filmtheorie hat Christian Metz in Der imaginäre Signifikant auf Melanie Klein Bezug genommen. In der Feministischen Filmtheorie war es Melanie Kleins Unterscheidung zwischen paranoider und depressiver Position sowie zwischen gutem und bösem Objekt, auf die referiert wurde. Vgl. insbesondere Barbara Creed: The Monstrous Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis; London: Routledge 1993.
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Diese viel genannte – hier bewusst englisch zitierte – Textstelle aus dem Brief Sigmund Freuds an seinen Freund Wilhelm Fließ, 1897, gilt als ›Urgrund‹ der Entdeckung des Ödipuskomplexes und zeigt, dass Freud selbst in der Interpretation des Shakespeare’schen Theaterstücks Hamlet den Titelhelden nicht mehr streng nach den Vorkommnissen des Dramas ausdeutet, sondern den Ödipuskomplex als allgemein psychischen Mechanismus auffasst. So erklärt er Hamlets Mordgelüste dem Onkel gegenüber als eine Übertragung seiner Feindseligkeit gegen seinen Vater, verschoben auf die Figur des neuen Liebhabers der Mutter. In der wissenschaftlichen Erklärung des Ödipuskomplexes bedient sich Sigmund Freud jedoch des griechisch-antiken Mythos’ König Ödipus, weist die wesentlichen Handlungsgrundzüge des Dramas von Sophokles als psychische Grundmechanismen des Menschen aus. Einmal als Universalie behauptet, wird der Ödipuskomplex als Mechanismus verstanden, der, wie schon von Freud selbst, als Interpretationsmuster auf Literatur wie auf Menschen anwendbar ist. Auf ›Menschen‹, das heißt vor allem auf den Mann, als dessen Abwandlung erscheint die Frau. Drei Haupttexte Freuds haben den Ödipuskomplex prominent gemacht und das kulturelle Interpretationsmuster herausgebildet12. Es finden sich jedoch in Freuds Gesamtwerk immer wieder Bemerkungen zum Ödipuskomplex, die dessen Wirksamkeit in literarischen Texten beschreiben13. Werner Greve und Jeanette Roos14 führen in ihrer Studie, die sich sehr kritisch mit der Wirkungsmächtigkeit des Ödipuskomplexes auseinandersetzt, weitere psychoanalytische Interpretationen des Dramas vor,
12 »Der Untergang des Ödipuskomplexes« (1924), »Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds« (1925) und »Über die weibliche Sexualität« (1931). Erste Andeutungen finden sich schon in »Die Traumdeutung« (1900), »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905), »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« (1916/17), »Das Ich und das Es« (1923, 3. Kapitel). 13 Eine Darstellung der im Gesamtwerk verstreuten Bemerkungen Freuds findet sich in Greve/Roos 1996. Diese kursorischen Randbemerkungen hatten jedoch auf die Theoriekonzeption des Ödipuskomplexes keinen Einfluss. Besonders beachtenswert sind Freuds Auslassungen zu Dostojewskis Schuld und Sühne. Vgl. Freud, Sigmund: »Dostojewski und die Vatertötung« (1928 [1927]), in: Freud, Sigmund: Studienausgabe, Bd. X, Bildende Kunst und Literatur; Frankfurt a.M.: Fischer 1969, S. 267-287. 14 Greve, Werner und Roos, Jeanette: Der Untergang des Ödipuskomplexes. Argumente gegen einen Mythos, Bern: Huber 1996.
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die sich alle auf eine Nicht-Berücksichtigung einzelner Dramenbestandteile durch Freud stützen: »Zwar ist die Beantwortung der Frage, ob Freuds literarische Deutung haltbar ist, in systematischer Hinsicht für die entwicklungspsychologische Hypothese des Ödipuskomplexes ebenso folgenlos wie die Frage, ob Freuds persönliche Biographie bei ihrer ›Entdeckung‹ eine Rolle gespielt hat […]. Es ist dennoch illustrativ und lehrreich, wie eine entschiedene Festlegung auch hier interessante Perspektiven aus dem Blick rückt.« (Greve/Roos 1996, S. 54, Hervorhebungen im Original)
An einer Analogieführung von Drama und seiner vollständigen Übersetzung in psychische Mechanismen nach Freud ist auch mir nicht gelegen, immerhin erwähnt werden muss jedoch die Tatsache, dass Freud – ausgerechnet – die beiden weiblichen Hauptfiguren, Iokaste und die Sphinx, nicht ausdeutete15. Auf den Gründungsmythos der Psychoanalyse, den Ödipus-Komplex, Bezug nehmend, möchte ich auf einige Auslassungen, Umdeutungen und Rückspiegelungen auf Freud hinweisen, die sich aus kulturwissenschaftlicher Sicht ergeben und die kritisch auf die mythische Dimension der Wissenschaft Psychoanalyse verweisen.
Auslassungen »Im Traum hat ein jeder Mann schon den Wunsch gehabt, bei der Mutter zu liegen.« (Sophokles 2000., V. 981)
Iokastes Replik auf Ödipus ist absichtsvoll gerichtet und unterliegt bereits deshalb einer spezifischen Interpretation. Klaus Schlagmann macht in seiner Studie zur Lüge der Iokaste16 daraus das Argument, dass Iokaste diejenige sei, der schon sehr früh, ganz zu Beginn des Dramas, beim ers15 In einer dieser Randbemerkungen über Dostojewskis Schuld und Sühne schreibt Freud, dass die Sphinx den Vater symbolisiere. Vgl. Freud Bd. X, S. 281. Greve und Roos kontrastieren die Freud’sche Deutung der Sphinx mit ihrer antiken Bedeutung: »Die Sphinx, im antiken Griechenland vielfach als ein Synonym des Rätsels des Todes angesehen (und im fünften vorchristlichen Jahrhundert entsprechend oft auf Grabmäler gesetzt), verschwindet folgerichtig, wenn man den Menschen in diesem Licht und ganz prosaisch betrachtet.« (Greve/Roos 1996, S. 65) 16 Schlagmann, Klaus: Zur Rehabilitation der Könige Laios und Ödipus oder: die Lüge der Iokaste, Saarbrücken: Verl. Der Stammbaum und die sieben Zweige 1997.
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ten Auftritt Teiresias die ganze Wahrheit bewusst gewesen sei – im Gegensatz zu Ödipus, der auf eine erste Ahnung abwehrend reagiert. Diese Abwehrreaktion – im psychoanalytischen Sinne – zeige, dass sein Unbewusstes virulent geworden sei, es sein Handeln geleitet habe. Iokaste habe Ödipus bewusst von der Wahrheitssuche abgelenkt. Freud selbst kommentiert diese Textstelle in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse lediglich im Sinne einer allgemeinen Geringschätzung des psychoanalytischen Gehalts von Träumen. »Sie [Iokaste] beruft sich darauf, daß vielen Menschen im Traum zuteil geworden, daß sie der Mutter beiwohnen, aber Träume dürfe man nicht gering achten. Wir achten Träume nicht gering, am wenigsten typische Träume.« (Freud, zit.n. Greve/Roos 1996, S. 58).
Freud schließt kultur- und mentalitätsgeschichtlich an die hohe Bedeutung der Träume in der Antike an – dort waren Träume Weissagungen, Rätsel, die die Wahrheit enthielten, ein Spezialbereich der kommunikativen Zeichen von Menschen und Göttern. In der Antike wurden Träume als Zeichen objektiver Ereignisse außerhalb des Träumenden verstanden. Bei Freud verhält es sich umgekehrt: Für ihn verraten Träume nichts über die objektive Realität, aber sehr viel über das träumende Subjekt. Freud sieht seine Auffassung über die Träume in diesem Vers von Iokaste bestätigt. Er greift auf die Wirkungsmacht der Träume zurück, weist ihnen einen psychoanalytischen Wahrheitsgehalt zu, ohne jedoch ein methodologisches Problematisierungsverhältnis zwischen psychoanalytischinterpretativer Arbeit und innerdiegetischer Ebene zu sehen. In Kapitel V. Das Traummaterial und die Traumquellen (1900) des Bandes Die Traumdeutung schreibt Freud: »Jokaste tröstet den noch nicht aufgeklärten, aber durch die Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten Ödipus durch die Erwähnung eines Traumes, den ja so viele Menschen träumen, ohne daß er, meint sie, etwas bedeute: ›Denn viele Menschen sahen auch in Träumen schon Sich zugesellt der Mutter: doch wer alles dies Für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht.‹ [V.981ff.] Der Traum, mit der Mutter sexuell zu verkehren, wird ebenso wie damals auch heute vielen Menschen zuteil, die ihn empört und verwundert erzählen. Er ist, wie begreiflich, der Schlüssel der Tragödie und das Ergänzungsstück zum Traum vom Tod des Vaters. Die Ödipus-Fabel ist die Reaktion der Phantasie auf diese beiden typischen Träume, und wie die Träume von Erwachsenen mit Ablehnungsgefühlen erlebt werden, so muß die Sage Schreck und Selbstbestrafung in ihrem Inhalt mit aufnehmen.« (Freud 1972, Bd. II, S. 268, Hervorhebung im Original)
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Eine kontextuell-kulturwissenschaftliche Interpretation dieses in der Ödipusforschung viel zitierten Ausspruchs liegt in der Hervorhebung, dass in der griechischen Antike solche, heute psychoanalytisch gedeuteten, aufs Sexuelle zielenden Äußerungen Sprachbilder waren z.B. für kriegerischen Landerwerb oder primär nicht-sexuelle Konnotationen hatten17. Freud wusste um diese im klassischen Altertum übliche Deutung, das auf die Mutter gerichtete Sexuelle als auf die Erde (=Mutter) gerichtete Landnahme (=Besitznahme/Eindringen) zu sehen; aus seinen vielen weitergeführenden Anmerkungen von 1911-1914 geht dies hervor18. Dort aber wendet er es im Sinne einer sozialpsychologischen Deutung. Die von den Müttern bevorzugten ›Muttersöhne‹ – wie Freud selbst einer war und worin er auch in seiner Selbstdeutung die psychische Grundlage für seinen wissenschaftlichen Erfolg sah – sind von einer zugeschriebenen Heldenhaftigkeit getragen, die nicht selten im Leben wahre Heldenhaftigkeit wird.
Umdeutungen Rudolf zur Lippe19 zufolge hat Freud verstanden, was Ödipus nicht verstanden hat: die evolutionäre Dimension eines Menschen, realisiert in den Lebensabschnitten Kindheit, Jugend/Erwachsenenalter und Greisentum. Doch zur Lippe ist keineswegs an der Bestätigung des Freud’schen Ödipuskomplexes gelegen. Aus dem Argument, dass der antike Held sein unbewusstes Begehren realisiert, ja intentional ausführt, Freud jedoch Menschen analysiert, die nur den Wunsch haben und letztlich vom Vater symbolisch kastriert werden und dafür ihre Rekompensation erhalten (was psychoanalytisch ein ganz anderer Vertrag ist als der [Vater-] Mord), macht zur Lippe eine Verkehrung von Narration und psychoanalytischem Gehalt: »Vielmehr siegt der Vater mit der unausgesprochenen Drohung, den Sohn zu kastrieren. Der Wunsch wird unter diesem Druck umgeformt in den tiefen Vorsatz des Sohnes, einst mit einer anderen Frau die Rolle des Vaters selbst zu übernehmen. Es geht bei Freud gerade um diese symbolische Kastration, um die Unterwerfung unter den Vater, und darum daß der symbolisch Kastrierte in 17 Vgl. Girard, René: Das Heilige und die Gewalt; Frankfurt a.M.: Fischer 1994. 18 Vgl. Kapitel VI. »Die Traumarbeit«. Freud (1900) 1972, Bd. II, S. 389. 19 Zur Lippe, Rudolf: Oidipus und die verweigerte Seelenfahrt. Der Mythos vom Ende des mythischen Zeitalters; Wien: Picus Verlag 1990.
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die Früchte dieses Unterwerfungsmodells eintritt. Freud folgte vielleicht damit mehr der alttestamentarischen Geschichte als der griechischen. Sein Vorbild ist eigentlich Isaak, den der Vater opfern wollte und der dann in den Genuß der dafür dem Stamme Abrahams von Gott zugesagten Vergünstigungen eintritt.« (Zur Lippe 1990, S. 15f.)
Und weiter führt zur Lippe aus – die Ödipusszene als Gegenszene im Blick: »Die Wohltaten, die dem Stamme Abrahams für diese Unterwerfung unter den göttlichen Willen versprochen worden sind, werden später Isaak selbst zuteil, nachdem er das Erbe des Stammvaters antritt. Er genießt sie, er nimmt sie an, so daß er nachträglich auch seine eigene Opferung anerkennt. Ödipus hat ganz anders gelebt und getan.«20 (Zur Lippe 1990, S. 16f.)
Es werden also die Freud’schen gedanklichen Grundmanifeste, die den Ödipuskomplex ausmachen, nicht als der griechischen Antike entlehnt ausgewiesen, sondern als im jüdischen Denken verwurzelt. Wie Christina von Braun hervorgehoben hat, wurden die Anfänge der Psychoanalyse und der Sexualwissenschaft von Juden entwickelt, da – obwohl in der jüdischen wie in der christlichen Religion ein ähnliches Verhältnis zur Sexualität entworfen wird – das Judentum eine andere Säkularisierung durchlaufen habe21. Im Gegensatz zu dieser kulturwissenschaftlichen 20 Eine Anerkennung der ›Opferung‹ Ödipus‹ könnte man in dem Sophokles’schen Folgedrama ›Ödipus auf Kolonos‹ sehen. Ödipus heiligt durch seinen Tod den Anhain, auf dem er stirbt und bringt so dem König Athens, Theseus, ein leidloses Regieren. Interessant hierbei zu bemerken ist also, dass zur Lippe der gleichen Beschränkung auf einen Teil des ÖdipusMythos folgt wie Freud. Freuds so prominent gewordene Lesart hat unsere kulturgeschichtliche Wahrnehmung von Ödipus festgeschrieben. 21 Vgl. Braun, Christina von: »Säkularisierung und Sexualwissenschaft«; in: Körper und Geschlecht; Leverkusen: Leske und Budrich 2002 und Dies.: »Gibt es eine ›jüdische‹ und eine ›christliche‹ Sexualität?«; in: KörperKonzepte, hg. v. F. Frei Gerlach, A. Kreis-Schinck, C. Opitz, B. Ziegler, Münster 2003, S. 145-167. Verwiesen sei hier auf ihre weiterführenden Thesen, die sie in Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht; (Zürich/München: Pendo 2001) vertritt. Die ganz eigene medientheoretische Ausrichtung der Studie, die These der Schriftfixiertheit, verbindet mit dem Argument der Unterschiedlichkeit der Schrift des Hebräischen von der vokal- und konsonantengestützten des phonetischen Alphabets die These einer je anderen Leiblichkeit der Religion. Die Nichtabtrennung des (Schrift-)Zeichens vom Körper, die im jüdischen Glauben durch
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Deutung steht Jacques Lacan, der auf die Religion des Christentums und des Judentums – in ihrer Unterschiedlichkeit – eingeht. Im Seminar X (Die Angst [1962/63]) profiliert Lacan das Christentum als masochistische Verleugnung der symbolischen Kastration gegen das Judentum, das die symbolische Kastration anerkenne.22 Geht Lacan auf das Denken des Glaubens selbst ein, so verweist von Braun in diesem Artikel23 nicht auf unterschiedliche Glaubenskonzeptionen, sondern auf unterschiedlich verlaufene Säkularisierungen des Glaubens. Der Sanktionsmechanismus ruht auf der Kastrationsdrohung auf, doch Ödipus’ Blendung ist die vollzogene Kastration24. Diese reale Kastration Ödipus’ im Drama König Ödipus erfolgt nach dem Überschreiten des Inzestverbots. Die Einhaltung des Verbots, das die Kastrationsdrohung bewirkt, verhindere, so der Kastrationsbegriff Freuds, die Kastration. Erst Lacan fasst das Inzestverbot selbst als Kastration auf, als symbolische, nicht reale Kastration. Der Lacan’sche Begriff der symbolischen Kastration, den zur Lippe verwendet, trägt Freud zu, was erst in Lacans Denken stattfindet: Opferlogik mit anschließender großzügiger Rekompensation. Siegfried Gerlich bringt dies in sprachlich drastischer Weise zum Ausdruck: »Phallus gegen Penis – in diesem Tauschopfer konstituiert sich das Gesetz des Vatergeistes vermittels der Kastration des Sohneskörpers, nicht zwar ohne diesem sodann einzuräumen, selber in die Fußstapfen des toten Vatergesetzes zu treten; anfänglich aber fordert die Etablierung des geistkreativen Phallus allemal und gebieterisch das Opfer des fleischlichen Penis, der erst einmal abgetrennt werden muß, bevor er dann gen Himmel fahren kann, wo er, einmal zum Gesetzesimperativ geronnen, alle Spuren seiner niederen Herkunft zu verwischen und die erhabene symbolische Ordnung selber zu organisieren trachtet. Allerdings gelingt diese platonistische Himmelfahrtserektion, die Metamorphose also von der Erscheinung des Penis zur Idee des Phallus nimmer spurlos, hinterläßt auch ihre unwürdigen Reste hienieden, deren somit unvermeidliche Nachopferungen dann schließlich in den grausamen Inszenierungen der eindie Schrift gegeben sei, könnte eine Entsprechung finden in der Tatsache, dass Freud vom Penis spricht und dessen Organgefühle als Movens im Ödipuskomplex hervorhebt, wohingegen (der streng erzogene) Lacan vom Phallus als abstrakter Idee, die nicht auf den realen Penisbesitz zurückzuführen ist, spricht. 22 Ich danke Lars Nowak sehr für die kritische Durchsicht dieses Kapitels. 23 Vgl. von Braun 2002. 24 Vgl. Freud (1900) 1972 (Die Traumdeutung. Studienausgabe Bd. II), S. 389, Anm. von 1911.
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schlägigen Psychopathologien ausgetragen werden müssen, die sich denn auch im Sinne solcher Opferlogik anordnen und interpretieren lassen.« (Gerlich 1992, S. 139)
Die (symbolische) Kastration ohne den spezifischen Anlass, das Begehren nach der Mutter, das in der Abraham-Isaak-Geschichte nicht zum Ausdruck kommt, macht Freuds Hauptgedanken zunichte. Solche Umdeutungen und Auslassungen verdeutlichen vor allem eins: Dass die einstmals mustergültige psychoanalytische Interpretation des antiken Mythos selbst wiederum zum Mythologem geworden ist. Die Psychoanalyse hat sich verselbstständigt, auf sie referieren literarische Werke von Gewicht, aber auch die alltagssprachliche Rede. Es ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwer zu sagen, wer nicht mit den Freud’sche Kategorien hantiert; egal ob der Sprechende weiß, dass sich sein Begriff Freud und seiner Schule verdankt. Der Ödipuskomplex ist Bestandteil des Deutungsspiels der Kulturwissenschaften, eine Variante dieses Deutungsspiels besteht in der Rückspiegelung des Ödipuskomplexes auf Freud selbst. Dies nicht, um den universalen Anspruch zu bestätigen, sondern Freud – entgegen seinen Forschungserkenntnissen – als Legendenerzähler oder individuellen Psychofall zu enthüllen.
Freuds Ödipuskomplex Es gibt nach einem guten Jahrhundert der Freud-Rezeption ein umfangreiches essayistisch-wissenschaftliches Schaffen, das Freuds psychoanalytische Erkenntnisse auf Freud selbst anwendet, die Perspektiven der Deutung immer wieder verschiebend. Ein Photo25 zeigt den alten Sigmund Freud, auf der einen Seite auf einen Stock gestützt, auf der anderen bei seiner Tochter Anna Freud untergehakt. Das Rätsel der Sphinx und Ödipus’ Antwort kommt den Adepten dabei in den Sinn. In dieser Interpretation wird Anna Freud zu Antigone, die ihren geblendeten alten Vater ins Exil begleitet. Sigmund Freud aber, der vor den Nationalsozialisten floh, nach London emigrierte, wird zu Ödipus. Die Geschichte zieht weitere Geschichten und Geschichtskreise nach sich. So könnte die Rückprojektion Freuds auf Ödipus in feministischer Perspektive verstehbar sein, wenn das Foto Freud/Ödipus in seiner Greisenzeit 25 Erschienen in: Lettre International, Nr. 6. Für den Themenschwerpunkt Nach Freud schrieb u.a. Julia Kristeva: »Psychoanalytiker in einer Zeit der Ausweglosigkeit«.
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jenseits des aktiven phallischen Begehrens zeigt. Das Foto verschiebt das Interpretationsmuster, die eingefangene Abwesenheit, das Stillstellen; und es stellt auch die Interpretationen auf Freud selbst still. Die Visualisierung repersonalisiert ein Abstraktum, lässt den aus der Literaturinterpretation gewonnenen Ödipuskomplex wirklich werden. Die psychoanalytische Theorie generiert personale Identitäten. Vom antiken Mythos zur klassischen Literatur, zur Theorie, zum Mythos Freud vollziehen sich Medienablagerungen, die diese Photographie zu fixieren scheint. Eine typische Parallelisierung von Freud und Ödipus lässt sich aus Freuds Autobiographie herauslesen: »Freud erinnert sich, daß sein Vater einem rüpelhaften Christen, der ihn aufforderte, ihm auf der Straße den Vortritt zu lassen, demütig den Vortritt ließ. Ödipus reagiert aggressiv auf die Zumutung, dem unbekannten anderen (Laios) an der Kreuzung den Vortritt zu lassen. Nicht zuletzt dieser Punkt hat Interpreten immer wieder veranlaßt, hier die Wurzeln der ›Entdeckung‹ des Ödipuskomplexes zu sehen.« (Greve/Roos 1996, S. 60f.)
Der Ödipuskomplex auf Freud repersonalisiert, zeigt einmal mehr das Interesse, das Freud selbst schon bekannte: »wie ich in meinem Falle entdeckt habe«. Freuds Selbstanalyse für andere Kontexte extrapoliert, ins Universelle generalisiert, wird, wenn sie verschiebend auf ihn gewandt wird, schnell eine Selffulfilling Prophecy-Fremdanalyse, im besten und schlechtesten Fall eine Reliteralisierung. Das Personale, Autobiographische wird dann literal, das Literale personal. Der Ödipuskomplex als Einsatz im Deutungsspiel der Kulturwissenschaften ist nicht nur jenseits des exakten Nachvollzugs psychoanalytischer Perspektivierung gewendet und verschoben worden, auch innerhalb der Psychoanalyse haben sich verschiedenste Theoretiker/-innen den Freud’schen Ödipuskomplex angeeignet und ihn verschoben. Eine Verschiebung der schon klassisch-orthodoxen Deutung des Ödipuskomplexes kann mit Freud selbst vollzogen werden. Das Abdriften von der psychischen Normalität, des erfolgreichen Untergangs des Ödipuskomplexes, das auf der Androhung von Monstrosität beruht, zur psychischen Anormalität spiegelt sich in ANNA CHRISTIE in einem Abdriften von normalen Paarkonstellationen zu psychisch abzuwehrenden Paarkonstellationen wider. Paare sind hier keine, oder doch sehr verquere Paare. Doch zunächst soll dem Normalkontrakt nachgegangen werden.
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Anna Christie – ödipal »Krank und angeekelt von ihrem Leben als Prostituierte in New York, kehrt eine junge Frau zu ihrem Vater, einem Seemann, zurück, der sich langsam zu Tode trinkt. Sie tut sich schwer auf dem schäbigen Kohlenschlepper des Vaters, bis sie in einem Sturm einen rüden Seemann rettet und sich in ihn verliebt. Die deutschsprachige Exportfassung des noch vom Expressionismus geprägten Melodrams nach Eugene O’Neill; die amerikanische ›Urfassung‹ von Greta Garbos erstem Tonfilm inszenierte Clarence Brown.«26
Der blonde, natürliche, natürlich blonde Engel aus dem Norden, der Naturidylle Schweden, dreht den ersten Tonfilm seines Lebens, lange nachdem der Mythos vom Karrieresturz der Stummfilmdiven durch den Ton populär geworden ist. Mit rauchig-kratziger Stimme spricht Greta Garbo den ersten englischen Satz in ihrem Leinwandleben27: »Gimme a whisky 26 ANNA CHRISTIE, USA/Deutschland 1931, Regie: Jacques Feyder, Buch: Frank Reicher, Walter Hasenclever (deutsche Fassung), Frances Marion (amerikanische Fassung) nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Produktion: MGM/Parufamet, Kamera: William H. Daniels, Darsteller/innen: Greta Garbo (Anna), Theo Shall (Matt Burke), Hans Junkermann (Chris Christopherson), Salka Steuermann (Martha Owen), Hermann Ging, 93 Min., Erstaufführung: 31.13.1930/24.4.1985 DFF 2/21.9.1985 ZDF; aus: http://cinomat.kim-info.de; Cinomat-Filmdatenbank, Eintrag zu Anna Christie letzter Abruf Juni 2004. Die Besprechung des Films legt diese Fassung zu Grunde. Englischsprachige Dialogzitate und user-Kommentare beziehen sich auf die amerikanische »Urfassung«: ANNA CHRISTIE, USA 1930, Regie: Clarence Brown, Buch: Frances Marion, nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Kamera: William H. Daniels, Darsteller/innen: Greta Garbo (Anna), Charles Bickford (Matt Burke), George F. Marion (Chris Christofferson), Marty Owens (Marie Dressler); aus: http://german.imdb.com/title/tt0020641/ fullcredits, Abruf: September 2004. 27 In der Nachsynchronisation sprach Greta Garbo ihre Rolle selbst in deutscher Sprache und begründete damit ihr erotisch aufgeladenes Image über ihre tiefe Stimme und ihre unvergleichliche Sprachmelodie und einmalige Satzstellung. In einem Kommentar der international movie data base bestätigt sich dieser Rezeptionseindruck: »Garbo is as mysterious and charismatic as she was in her silent films, and her entrance is still classic. Her voice is strangely deep, almost boyish, which only enhances her already seductively eccentric persona.« (www.imdb.com, Eintrag zu ANNA CHRISTIE, letzter Abruf Juni 2004.) Die Produktionsfirma hatte für den amerikanischen Kinostart mit Plakaten geworben, auf denen groß »Garbo talks!« zu lesen
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with a ginger ale on the side.« Und herrisch, fast keifig setzt sie nach: »And don’t be stingy, baby!« Der markante Dialog zwischen dem Kellner und ihr ist kurz: Kellner: »Well, shall I serve it in a pail?«, Anna: »Ah, that suits me down to the ground.« (Der Whiskey wird serviert und in einem Zug leergetrunken.) Anna: »Gee, I needed that bad all right, all right.« Da ist der Engel in die Hölle der Prostitution gestürzt. So wie Ödipus, der Sophokles’sche König, die Wahrheit über den verübten Vatermord am Dreiweg ergründen muss, andere quälend und sich in die sichere Selbstzerstörung treibend, so sind in ANNA CHRISTIE unter der Regie von Jacques Feyder28 gleich zwei Figuren, Chris Christopherson und Matt Burke, dazu verdammt, durch ihr Begehren das Geheimnis der Frau, Anna, zu erforschen. Über die Stadt Theben ist das Unglück der Pest hereingebrochen, über Vater/Tochter/Geliebter das Unglück der Ehr- und Eheunwürdigkeit, der versagten Liebe. Ehe nicht der Mord an Laios aufgeklärt und gesühnt ist, nimmt das Unglück seinen Lauf. Und auf diese Situation zielt die Filmdramaturgie ab: Es muss ergründet werden, warum Anna nicht heiraten kann. Hier wie da werden Nachforschungen angestellt, die selbstzerstörerisch enden: Ödipus sticht sich die Augen aus und rennt schreiend aus der Polis, Chris und Matt wollen bei der Londonderry anheuern, die das Kap der guten Hoffnung umrunden muss, d.h. sie wollen sich der alles verschlingenden See hingeben. Martha, die frühere Prostituierte, Partnerin von Chris, dem Vater, verschwindet – wie Iokaste durch Freitod aus dem Leben und Drama entschwindet. An die Stelle von Vatermord und Inzest aber ist in ANNA CHRISTIE die Prostitution getreten. Doch wer ist in Jacques Feyders Werk Ödipus? Anna oder Chris/ Matt? Eine Adaption des mythischen Stoffs in modernem Gewand ist es nicht. Die Anwendung des Ödipuskomplexes in der Filminterpretation bringt eine Vervielfältigung von Ödipus’ mit sich.
war. Diese Werbestrategie wurde für weitere Film mit Greta Garbo imitiert, die dann z.B. mit »Garbo laughs!« angekündigt wurden. 28 Das Theaterstück Anna Christie von Eugene O’Neill wurde bereits 1923 einmal verfilmt. ANNA CHRISTIE, USA (1923), Regie: John Griffith Wray, Thomas H. Ince, Buch: Bradley King, nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Darsteller/innen: Blanche Sweet (Anna Christie), William Russell (I) (Matt Burke), George F. Marion (Chris Christopherson), Eugenie Besserer (Marthy), 96 Min., s/w, Stummfilm.
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Anna in der Situation des Ödipus? Anna Christie, die sich in ihrer Vergangenheit Männern käuflich hingegeben hat29, kommt in eine Stadt. Sie kehrt zu ihrem Vater zurück, wie Ödipus zu seiner Mutter Iokaste zurückkehrt, die er zur Frau nimmt. Anna als Ödipus zu denken ist mit der Schwierigkeit – wenn nicht gar Unmöglichkeit – verbunden, sie einem dem männlichen Geschlecht zugewiesenen psychischen Verhaltensmuster zuzuschreiben30. Die männliche ödipale Situation scheint Anna, der Frau, von vornherein verwehrt, bringt für sie eine andere geschlechtsspezifische Einstellung mit sich31. Unterschiedliche Interpretationsansätze – und gerade Ödipuskomplex, Kastrationsdrohung und das Mütterliche als das Andere haben Ödipus in der Feministischen Filmtheorie in unterschiedlichen Lesarten ins (Interpretations)spiel gebracht32– lassen die Positionen im ödipalen Triangulum rotieren, unabhängig vom tatsächlich gegebenen Geschlecht des/der Protagonisten/in.
29 Zu Beginn des Films, im Eröffnungsdialog von Anna und Martha erfahren wir in Andeutungen von Annas Kindheit: Pflegefamilie, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Verführung, Not. Bezeichnenderweise löste die Verfilmung des Theaterstücks von 1923 diese Szene in flashbacks auf. Das in diesem Jahrzehnt vorherrschende Narrativ des sozialen Elends ist ein Jahrzehnt später einer Psychologisierung der Figur gewichen. 30 Freud selbst hatte, wie ich weiter unten ausführe, in seiner wissenschaftlichen Erklärung des Ödipuskomplexes den positiven und den negativen Ödipuskomplex betont, der – unabhängig vom Geschlecht des Kindes – eine feminine Einstellung dem Vater gegenüber bereitstellen kann. Im negativen Ödipuskomplex gilt die Rivalität nicht dem Vater, sondern der Mutter. Insofern können im Anschluss an Freud psychische Verhaltensweisen geschlechtsunspezifisch gedacht werden. 31 In den folgenden Unterkapiteln werde ich darauf näher eingehen. 32 Um drei in der feministischen Filmtheorie eminent wichtige Positionen zu benennen, sei hier verweisen auf: Laura Mulvey: »Visuelle Lust und narratives Kino« (1975), Teresa de Lauretis: Alice Doesn’t (1982) und Barbara Creed: The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis. (1993). Stevie Schmiedel weist in Contesting the Oedipal Legacy: Deleuzean vs Psychoanalytic Feminist Critical Theory (2004) de Lauretis nach, noch zu sehr der ödipalen Herrschaft verhaftet zu sein und sieht Creeds Denken des Mütterlich-Monströsen, einst als Gegenkonzept in der Feministischen Filmtheorie gehandelt, da das Konzept dem Weiblichen einen machtvollen Ort zuweist, noch immer der ödipalen Analyse verhaftet, die nur durch eine Bezugnahme auf Deleuze gelöst werden könne.
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Anna ist Ödipus, weil sie Schuld auf sich geladen hat und zurückkehrt zu ihren mythischen Ursprüngen, die in Blutsverwandtschaft und Genealogie liegen. Ödipus zieht als Held in die Stadt ein, die er von der Sphinx befreit hat, Anna hat sich aus ihrer Vergangenheit, ihrer Existenz als Prostituierter befreit. Nachdem das Elend überwunden ist, vergisst der antike Held seine Straftat, distanziert sich Anna von ihrer Vergangenheit, die ihr noch allzu bewusst ist, als Männerhass internalisiert hat. Ödipus erforscht andere (Kreon, Teiresias, Iokaste), um am Ende zur bitteren Selbsterkenntnis zu gelangen, Anna wird von den Männern erfolglos beforscht, bis sie am Ende die Wahrheit über sich, die sie schon immer wusste, selbst aufdeckt und die Wahrheit über die anderen, die sie ahnte, erfährt. Sie wusste um die Doppelmoral, ahnte das Unglück: dass für die Männer Chris und Matt (Vater und Geliebter) das Glück des trauten Heims für immer perdu ist, sie meinen, sich auf ewig dem Matrosentum – und damit dem Bordellbesuch – verschreiben zu müssen. Sie weiß aber nicht die Lösung, die Antwort auf die Frage, ob die Liebe obsiegen und sie geheiratet werden wird, oder aber ob sie zurück (in die Prostitution?) gestoßen werden wird. Weder der Film noch seine Protagonistin enden auf die eine oder andere Weise. Aber Anna setzt, wie der Film insgesamt – beide Repräsentanten der investigativen Logik auf je anderer Ebene – die Investigation in Gang. Sie wird Opfer ihres Begehrens, zieht damit den Kreis um sich immer enger, droht sich selbst ins Elend zu bringen bzw. ihren eigenen (sozialen) Tod zu erwirken. Es muss die quälende Last der Vergangenheit ans Licht kommen. Doch zu welchem Ausgang? Der Vater will sich, um für die Tochter zu sorgen, die er auf ewig ehemannlos, unversorgt glaubt, verheuern. Verwirkt scheint seine Zukunft als sorgender Großvater/Vater, sein Wunschbild, umringt zu sein von Enkelkindern. Der Geliebte will sich verheuern, um dem Unglück seiner Situation die richtige Tragik zu geben. Er liebt und leidet, das Glück der (Ehe-)Zukunft scheint ihm verwehrt. Für Ödipus wie für die Männer führt die Investigation zum Unglück, für Anna aber zum männerlosen, zukunftsträchtigen Leben. Die Filmszenerie, die von der ödipalen Szene beherrscht wird, beherbergt verschiedene Paare, reale, symbolische, altersgleiche und altersdifferente, heterosexuelle und gleichgeschlechtliche. Die Filmstruktur ist von Paarkonstellationen getragen, und deren Veränderungen sind es, die den Film vorantreiben. Der romance plot, dem zugeschrieben wird ein Vehikel zu sein, transportiert nicht nur den Kahn und seine Insassen über den Fluss, sondern auch die Protagonisten/-innen über emotionale Hochs und Tiefs in den Strudel psychischer Virulenzen hinein und hinaus in den
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Normalzustand. Der Filmdramaturgie folgend greife ich einige Szenen des Films heraus und beschreibe die Paare in der Reihenfolge ihres Auftretens im Film.
Chris und Martha Im nächtlichen Nebel legt im Hafen ein Kohlenschlepper an. Ein greiser Schiffsführer und eine alte Frau torkeln betrunken vom Kahn – Chris, der Vater Annas, und Martha, seine Gefährtin, eine frühere Prostituierte. Ein heterosexuelles Paar, schon lange vereint, aber dennoch ist es kein festes Paar. Die Prostitution stört die Ewigkeitsillusion der heterosexuellen Paarbildung auch dann noch, als die Prostitutionstätigkeit Marthas längst der Vergangenheit angehört. Prostitution und Paarbildung stellen selbst dann noch einen Ausschluss dar, wenn die alte Frau über die Jahre asexuell geworden ist und der Matrose nie eine feste Partnerschaft eingegangen ist. Paarbildung und Matrosentum bzw. Prostitution erweisen sich als unvereinbar. Dennoch sind die Schicksalsgefährten auf Zeit zu einem Paar geworden. Doch jetzt trennt es sich. Martha, die ältere Frau, räumt ihren Platz auf dem Kohlenschlepper an Chris’ Seite, um Anna, der jüngeren Frau, Platz zu machen. Durch die Prostitution ist das Paar zeitlich, durch das Matrosentum örtlich kontingentiert. Bei dem Paar steht nicht so sehr die frei gewählte Gelegenheitsvereingung im Vordergrund als die Schicksalsgemeinschaft, die die beiden Ausgeschlossenen zueinander führt. Es ist die Dominanz der Bürgerlichkeitsideologie, die bewirkt, dass Martha geht: »für so eine wie mich ist da jetzt kein Platz mehr«. Von der Bürgerlichkeit ausgeschlossen, hält Martha umso mehr an ihr fest – aus Altruismus für Anna, der sie die Ausgeschlossenheit aus der Bürgerlichkeit ersparen will. Die Bürgerlichkeitsmaskerade ist also ein frauensolidarischer Akt – der die Herrschaft der männlichen Bürgerlichkeitsideologie zementiert. So, oder so ähnlich, könnte man feministisch kommentieren. Die Legitimität dieser Kommentare will ich nicht bestreiten, doch mich interessiert die Szene in ihrer Funktionalität als ödipale (De-)Stabilisierung.
Martha und Anna Die schon skizzierte Szene zu Beginn des Films zeigt die Paarkonstellation Chris, der alte Mann, und Martha, die alte Frau. Der greise Matrose und die frühere Prostituierte wollen wegen ihrer problematischen Vergangenheit nicht gemeinsam auf Chris‹ zurückkehrende Tochter warten. 230
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Es kommt aber dennoch in einer Hafenkneipe, die für die Matrosen einen Tresen und im hinteren Raum eine Gaststube mit extra Eingang (›lady entrance‹) hat, zu einem Zusammentreffen von Tochter und (Nicht-)Stiefmutter. Sie erkennen sich gleich als ihresgleichen, erkennen sofort in der anderen eine frühere Prostituierte; Chris, der Vater, ist dazu nicht fähig. Sie erkennen sich als ihresgleichen, ohne zu wissen, dass sie sich als (Nicht-)Stiefmutter und (Nicht-)Stieftochter erkennen sollten. Als Martha dies klar wird, sie begreift, dass ihre Gesprächspartnerin in der Kneipe niemand anderes ist als die Tochter ihres Partners, geht sie für immer aus Chris’ Leben, nicht ohne zuvor Chris zu holen. Doch ihr Wissen über Annas frühere Prostitutionstätigkeit verschweigt sie. Im Verlauf des ersten Gesprächs von Chris und Anna stellt sich heraus, dass der Vater eher Erzeuger denn sozialer Vater war. In der Kneipe öffnen sich die Western-Saloon-Flügeltüren und geben den Blick frei auf eine eher bürgerlich eingerichtete Gaststube. Martha wie Anna haben sie durch den ›lady entrance‹ betreten. Der räumliche wie der gesellschaftliche Durchschlag des einen auf das andere erfolgt, als Anna fachkundig ihren Whiskey bestellt, den Gestus des Ungehobelten, platt Vertraulichen der männlichen Kunden des Vorderraums einnimmt und den Kellner mit ›Baby‹ anredet.
Abbildung 9: Anna (Greta Garbo), die Tochter, mit Martha (Salka Steuermann)
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Der Film eröffnet mit dieser, Weiblichkeit transgredierenden Performance, die als moderne, verruchte Weiblichkeit erotisierenden Zuspruch erfährt, wechselt dann zu einer (gegenüber dem tragenden Starimage der erotischen Ausstrahlung) biederen und hausbackenen Weiblichkeit; sie zeigt Anna als strickende und kochende Versorgerin. Und er endet mit der Weiblichkeitsdarstellung der souveränen, ›erfahrenen‹ Frau, die sich der Liebe der beiden Männer gewiss sein kann. Ihr ist die Bürgerlichkeit nicht verwehrt, und dennoch behält sie etwas von der verruchten Weiblichkeit, die den Filmanfang bestimmte.33 Innerdiegetisch als Authentifizierung der Figur angelegt, könnte man den Wechsel zwischen den sich ergänzenden und bedingenden Weiblichkeitsbildern als harmonische Aufhebung des Hure-Heiligen-Antagonismus bezeichnen. Man könnte darin aber auch eine selbstreferentielle Wendung des Films sehen. In den sogenannten ›Straßen- oder Dirnenfilmen‹ der 20er Jahre, die die Prostituierte als von materieller Not getrieben oder als nymphomanisch zeichneten, die den Blick aufs Sexuelle freigaben, kann man die Sexualmoral und die progressive Moral der Filme als eine Anklage der patriarchal-bürgerlichen Doppelmoral kennzeichnen. In ANNA CHRISTIE hingegen endet die Prostituierte weder als ewiges Ausbeutungsopfer, noch wird sie in den Tod getrieben, vielmehr wird die Doppelmoral, die die Männer in ihrer Krise erfahren und deren Katharsis ihre Überwindung darstellt, aufgehoben. Doch um welchen Preis! Für die Befreiung aus der bürgerlich-repressiven Doppelmoral zahlen die beiden Männer mit dem Verwiesensein aufeinander, mit der Unsicherheit ihrer beiden Positionen, dem Handelnmüssen unter dem Diktat von Ödipus. Auf der Filmoberfläche aber herrscht das Glück des guten Ausgangs, eines Happy Ends, wie es die als sozialkritisch bezeichneten Filme der 20er Jahre nicht kannten.
33 Dieses gemischte Weiblichkeitsbild, das beide Extreme einzuschließen vermag, überzeugt, wie ein user comment der international movie data base zeigt, nicht alle Zuschauer. Hier bricht sich möglicherweise auch die Sujet-Erwartungshaltung Bahn. »It may be sacrilege to claim that Blanche Sweet’s performance [die Darstellerin der Stummfilmfassung von 1923] surpassed Greta Garbo’s (›Garbo talks‹), but it seems so to me. Garbo comes across as mournful and somewhat pitiful, while Sweet conveys the kind of toughness one would expect from an ›experienced‹ woman.« Aus. www.imdb.com, Eintrag zu ANNA CHRISTIE, letzter Abruf Juni 2004.
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Chris und Anna Chris, der Vater, der seine Tochter nicht erzogen hat, empfängt in einer Szene zu Filmbeginn in eben jener Kneipe die nun Erwachsene. Doch in seiner Vorstellung erwartet er die von ihm als Vater verlassene Fünfjährige, die sich damals im Stadium des Ödipuskomplexes befunden haben muss. Dann sieht er die erwachsene Frau und sieht sie nicht. Er will ein Kind vor sich sehen, das er, der Papa, beschützen muss vor dem gefährlichen Hafenmilieu. Er möchte der whiskeytrinkenden Kettenraucherin, die den Kellner jovial mit ›Baby‹ anredet, so gerne eine Limonade spendieren. Die Verkindlichung fällt auf ihn selbst zurück. Während die Tochter die Naiv-Unerfahrene bzw. eine bürgerliche Figur spielt, wird er als Greis infantilisiert. Dramaturgie und Regie tun ein Übriges zur Diskreditierung dieser Filmfigur: Chris ist stereotyp besoffen, mault beleidigt und grimassiert übertrieben. Der komische Alte, debil-infantil im Geiste, kann nicht die autoritäre Vaterposition im Freud’schen Triangulum besetzen. Er ist vielmehr der kleine Junge, der absurderweise im falschen Körper steckt, am ödipalen Gängelbändchen hängt. Und Anna ist die Figur, die ihn daran hängen lässt. Zugleich aber, wählt man einen anderen ödipalen Figuren- bzw. Zeitbezug (zwischen dem kleinen Mädchen und der Mutter besteht kein struktureller, sondern eher ein gradueller Unterschied, die Mutter wird später lediglich substituiert), ist sie in der Position des kleinen Mädchens. Auch Matt, der lächerliche, halbstarke Geliebte, ist ödipal gegängelt. Anna zieht zu ihrem Vater auf den Kohlenschlepper, nimmt den Platz ein, den Martha für sie geräumt hat. In Gesprächen nähern sich Chris und Anna einander an. Zunächst spielen Chris und Anna als einander Fremde das Spiel ›Vater und Tochter in der Bürgerlichkeit‹. Sie spielen es mit allen sich daraus ergebenden Camouflagen, Lügen und Decouvrierungen. Dabei trägt beinahe die Prostitution als Wahrheit gegenüber der Bürgerlichkeit den Sieg davon. In der fünften Sequenz dann wird die Beziehung durch erste, zaghafte Anfänge einer offenen Aussprache beinahe richtiggestellt – als Beziehung von Nicht-Vater und Nicht-Tochter. Chris bittet Anna um Vergebung; die antike Katharsis wird gewissermaßen christlich gebrochen. Nicht die Unausweichlichkeit eines Vergehens, das nicht gesühnt werden kann, wird als schlimmstmöglichstes Ende vorgeführt, sondern es wird die Rücknahme der Schuld eingefordert. Anna überspielt die Situation einfach. Sie reagiert mit Einsicht auf seine Unfähigkeit. Chris wird nicht verziehen, keine Katharsis findet statt, mit einer nichtsklärenden resignativen Geste bleibt die Situation – psychoanalytisch – ungeklärt. Chris bleibt der kleine Junge. Doch so wie Ödipus in Teiresias’ erstem Auftritt die Wahrheit schon
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hätte hören können, so bleibt auch in der Aussprache in der fünften Sequenz der neuralgische Punkt unentdeckt (spricht Anna nicht oder hört Chris nicht?). Diese Nicht-Beziehung eröffnet in der dominanten Lesart zwei mögliche andere Beziehungen, von der sich nur eine realisieren lässt. In der Subtextlektüre aber kann eine ganz eigene/eigenartige Beziehung ausgemacht werden. Doch zunächst zur dominanten Freud’schen interpretativen Lesart: Wird die genealogische Beziehung mit den Generationspositionen Vater und Tochter (innerdiegetische Behauptung) zurückgewiesen, so tritt die Verwirrung ein, in der der Vater sich für den Mann halten möchte (diegetische Ebene) und psychisch in die Sohnposition regrediert. Diese NichtBeziehung provoziert einen plot point: Ein Sturm bricht los, die See gerät in Aufruhr und ein Schiff in Seenot. Matt wird als Schiffbrüchiger an Land gespült. Der Beziehungsbruch Vater/Tochter setzt den Sturm bzw. den Schiffbruch frei, setzt ebenso das Liebesbegehren von Matt frei. Matt tritt nicht botticellihaft, schaumgeboren hervor, sondern er ruft im Nebel, sucht sich zu orientieren. Ein Rüpel wird an Bord geangelt, Matt ist eher der ausgespieene Jonas, aber er dankt nicht Gott, sondern zankt mit Chris, seinem Vater-Retter, und er ergreift Besitz von Anna, von Chris’ Hab und Gut. Er macht sich breit im Kahn und versucht gleich Anna zu küssen, die ihn aber zu Boden wirft.
Abbildung 10: Anna (Greta Garbo) stößt Matt (Theo Shall) zurück.
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Die andere Beziehung, die der Film mit vergangenheitsbedingten Qualen langsam vorwärtsbringt, ist die von Mann und Frau, Matt und Anna. Die im Film sehr offen angelegte Vater-Tochter-Beziehung als Mann-FrauBeziehung (dominante Lesart) erfährt einen ihrer Höhepunkte in der zwölften Sequenz, in der Matt und Chris in Abwesenheit von Anna um ihren Besitz streiten. Die unfreiwillige Komik der Szene erklärt sich daraus, dass die Filmfigur Chris nicht weiß, wie unangemessen seine Position als Geliebter der Tochter ist. Der ›Sohn‹ Matt aber teilt, ohne Anna gefragt zu haben, in trotzigem Ton dem komischen alten Kauz mit, dass er entschlossen sei Anna zu heiraten. Chris, der Vater, hatte in der Sequenz zuvor, wieder einmal, die Liebesfrage gestellt, hatte von Anna wissen wollen, ob sie Matt liebe. Die erste Liebesfrage wird von Chris in der sechsten Sequenz gestellt. Da fragt er, ob sie ihn, Chris, liebe. Das war im tobenden Sturm, als sie, Verliebten gleich, die unbewusst aneinandergeraten, um schon einmal den ersehnten Körperkontakt zu erproben, durch die tobende See in eine unfreiwillig-freiwillige Umarmung geraten.
Abbildung 11: Tochter Anna (Greta Garbo) mit ihrem Vater Chris (Hans Junkermann) Ein langer, tiefer Blick in die Augen, die Körperhaltung zum Kuss bereit – Anna löst sich aus der Umarmung, deutet die eindeutig sexuellbegehrende Umarmung durch ein Armtätscheln, eine fürsorgliche Geste für den Vater, um. In dieser Konstellation hat sich der klassische Ödi-
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puskomplex verschoben. Das Begehren geht nicht von der Kindesposition aus, sondern von der Elternposition, ist also der parentalen Instanz zugeordnet. In der dreizehnten Sequenz kommt es, nachdem Matt und Chris auszuhandeln versucht haben, ob es eine Heirat geben wird und wem Anna gehören wird, für alle zur vernichtenden Wahrheitsverkündung: Anna erzählt ihre Vergangenheit. Chris sinkt in sich zusammen, erfährt seine Niederlage wie einst Ödipus. Wie Ödipus, der mit der Selbstblendung und dem Gang ins Exil eine noch größere Strafe als den Freitod auf sich nimmt, so nimmt Chris, der seine Tochter zur Prostituierten gemacht hatte, die Schuld auf sich, will in die Fremde, ins Ungewisse gehen, will sich verheuern. Das ödipale Programm läuft an: Chris soll die Verantwortung übernehmen, die Selbstbestrafung suchen. Er, der davon geträumt hatte, die verhasste See für immer verlassen zu können, nimmt nicht das stumme Leiden der Einsamkeit auf dem Kohlenkahn als Strafe an, sondern geht in seiner Selbstbestrafung noch weiter, wählt die Knechtschaft auf einem anderen Schiff. Doch dazu kommt es nicht, dramaturgisch nicht, weil das Happy End die Familienzusammenführung bringt, die ihm den Platz des zukünftigen Großvaters zuweist – gerade damit aber das inzestuöse Begehren aufrechterhält. Der Ödipuskomplex darf gar nicht gelöst werden, er muss ewig virulent bleiben, sein gesellschaftsproduzierendes Diktat ausüben. Psychoanalytisch kommt es nicht zur Lösung des Ödipuskomplexes, weil Chris der kleine Junge bleibt.
Abbildung 12: Matt (Theo Shall) und Chris (Hans Junkermann) streiten sich um Anna (Greta Garbo). 236
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Anna und die See Die subversive Lesart, die die ganz eigene/eigenartige Beziehung just nach dem Beziehungsbruch der Nicht-Beziehung Nicht-Vater/NichtTochter eröffnet, ist in der Figur ›Anna und die See‹ verankert. Die See, als visuelle Sexualitätsmetapher schon längst evident, wird von der schmachtenden Anna rrrr-rollend, sprachmelodisch erotisierend angestöhnt: »Ach Vater, ich könnte sie lieben, die See.« Und in diesem Moment fängt die zuvor ruhige See zu toben an. Der repetitiven Begehrensbezeugung Annas entgegengesetzt (als Steigerung) ist im amerikanischen Original das Sprachhybrid: ›dat-olle-devil, the sea‹. Immer wieder kommt es dem Vater über die Lippen.
Matt und Anna In der Verliebtheitsphase von Matt und Anna, als die beiden an Land gehen und sich auf dem Rummel vergnügen, ausgelassen »wie die Kinder«, wie Matt sagt, über den Jahrmarkt ziehen, regrediert Matt zum Halbwüchsigen, der sich am Hau-den-Lukas bewundern lassen will. Und beim Achterbahn Fahren erfährt er geradezu euphorische Momente. An seiner Seite wird Anna zum Mädchen. Der Jahrmarkt mit all seinen erlaubt-verbotenen Spielen führt zu einer eher unschuldigen Freude. Das Glücksgefühl beim Achterbahn Fahren ist weniger ein orgiastisches, es ist vielmehr die jubilatorische Freude des Kleinkindes, das durch die Beschleunigungs- und Kraftmaschinen sich größer und vollkommener erfährt als es ist.34 Die dargebotenen zirzensischen Attraktionen und spektatorischen Ereignisse schaffen eine Erregtheit, bewirkt durch eine Beschäftigung mit sich selbst mittels der Jahrmarktsmaschinen – ein erotisierter Dingbezug. Die Schaulust, das narzisstische Moment der Skopophilie, gehört, so auch der in der Feministischen Filmtheorie etablierte Bezug35, in die prä34 Vgl. Lacan, Jacques: »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint« (1949), in: Schriften Bd. I, 1973, S. 61-70. 35 Laura Mulvey hat das Freudsche Konzept der Skopophilie in Visuelle Lust und narratives Kino verwandt. Die fetischistische Schaulust dient der Abwehr der Kastrationsangst und ist folglich ein von Mulvey verwendeter Begriff, der in die ödipale Phase verweist. Das Konzept mit seiner vielfach kritisierten aktiv-männlich und passiv-weiblich Zuschreibung wurde von
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ödipale Phase. In der Szene kommt nicht so sehr die Verliebtheit zwischen den beiden zum Tragen, eher die kindlich- unschuldige Freude, die glückseuphorischen Momente, in die der Körper durch die Vergnügungsmaschinen (Achterbahn usw.) versetzt wird. Diese glücklichen Momente zeugen nicht so sehr von der Fixierung auf ein Liebesobjekt, sondern von einer Distanz gebietenden Lust am Sehen (die bekanntlich von Freud mit dem Autoerotismus in Verbindung gebracht wird). Die lustvolle Befriedigung kommt eher von einer Ablenkung vom Liebesobjekt. Gerade auf dem Jahrmarkt, dem Ort, der mit den Anfängen des Kinos verbunden ist, den Bloch die »Schiffsstadt, die vor Anker gefahren ist und exotisches Apriori ausladet (dem nichts mehr oder noch nichts entspricht)« (Bloch 1977, S. 157) genannt hat, einem Ort, der den Wunderbarkeiten der Regression Raum gewährt, begegnen die ›Kinder‹ Matt und Anna der alten angetrunkenen Martha. Sie weiß zunächst nicht um die von Anna durchgehaltene, sie peinigende Bürgerlichkeitscamouflage, will mit ihr wie mit ihresgleichen sprechen. Matt, der Andeutungen vernimmt, aber nicht richtig deuten kann, verweist sie in ihre Schranken. Es kommt zur Konfrontation. Matt fragt, was Anna mit »so einer wie dieser da« zu schaffen habe. In diesem Moment besinnt sich Anna, will ihre Biographie nicht mehr leugnen. Doch Martha hat die Situation verstanden und hilft Anna dabei, ihr Glück, ihr Liebes- und Bürgerlichkeitsglück, nicht aufs Spiel zu setzen. Wie in ihrer ersten Entscheidung, als sie ihren Platz auf dem Kahn für Anna räumte, versetzt Martha sich auch jetzt in die Lage der Ausgestoßenen, um der Jüngeren den Platz an der Seite von Matt zu sichern. Matts Erschrecken aber ähnelt dem des kleinen Jungen, der der Kastration des Mädchens gewahr wird. Er benimmt sich, so wie es Freud beschreibt: »unschlüssig, zunächst wenig interessiert; er sieht nichts, oder er verleugnet seine Wahrnehmung, schwächt sie ab, sucht nach Auskünften, um sie mit seiner Erwartung in Einklang zu bringen. Erst später, wenn eine Kastrationsdrohung auf ihn Einfluß gewonnen hat, wird diese Beobachtung für ihn bedeutungsvoll werden; ihre Erinnerung oder Erneuerung regt einen fürchterlichen Affektsturm in ihm an und unterwirft ihn dem Glauben an die Wirklichkeit der vielen anderen Theoretiker/-innen modifiziert u.a. von Gertrud Koch in Was ich erbeute, sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter im Film. So wurde die narzisstische Schaulust zur Metapher für das Kinosehen überhaupt und in ihrer impliziten Zuweisung in die präödipale Phase eher mit Jacques Lacans Spiegelstadium in Verbindung gebracht.
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bisher verlachten Androhung. Zwei Reaktionen werden aus diesem Zusammentreffen hervorgehen, die sich fixieren können und dann jede einzeln oder beide vereint oder zusammen mit anderen Momenten sein Verhältnis zum Weib dauernd bestimmen werden: Abscheu vor dem verstümmelten Geschöpf oder triumphierende Geringschätzung desselben.« (Freud 1972, Bd. V, S. 261)
In der Streitszene, in der sich endlich die lange verdrängte Wahrheit zeigt, treten genau diese beiden Reaktionen zu Tage. Matt verachtet Anna, wendet sich von ihr ab, geht auf ein fremdes Schiff (was für ihn so etwas wie ein Triumph ist über die Bindung an Anna). Anna Christies Reaktion, im psychoanalytischen Sinne Eifersucht, im poetischen Sinne Sehnsucht, richtet sich auf den Gegenpart der mit der Kastrationsdrohung verbundenen Prostitution, die Bürgerlichkeit. Mit Freud müsste man von ihrem Penisneid sprechen. Denn die Phallusposition des im Film abwesenden Bürgertums – eben wegen dieser idealisierten Abwesenheit spreche ich, anders als Freud, vom Phallus und nicht vom Penis – löst bei Anna das »Minderwertigkeitsgefühl beim Weibe, die erste Abfolge des weiblichen Penisneides« (ebd.) aus. Weitere Folgen sind die Eifersucht und eine »Lockerung des zärtlichen Verhältnisses zum Mutterobjekt« (ebd.), der ›See‹. In dem Moment, in dem sich Anna für Matt interessiert und ihre Verliebtheit sich steigert, macht sie der See keine Liebeserklärungen mehr, sondern löst sich von ihrem »Mutterobjekt« – durch einen Landgang mit Matt. Sie wechselt das Element oder, psychoanalytisch gesprochen, das Objekt des Begehrens, wendet sich von der Mutter, der See, ab und dem Vater zu, dem Land – so scheint es zumindest vorübergehend.
Chris und Matt Auf dem Weg in die Kneipe gibt der betrunkene Alte ein Matrosengejaule von sich. Das Alter hat die protzige Männlichkeit des einstmals vor Kraft strotzenden Matrosen lächerlich gemacht. In diesem ›Gesang‹ sind noch Anklänge eines melodischen Liedes zu erkennen und Antworten auf ein Gespräch mit eindeutig sozialer Verortung und Verantwortung. Es ist nicht die Karikatur eines hypervirilen Männlichkeitsideals, wie sie Matt, der Geliebte, in der Jahrmarktsszene darbietet, als er seine Muskelkraft beim Hau-den-Lukas vorführt. Die Besetzung der Filmfigur Chris mit einem Schauspieler, der das Altsein durch Alter darstellt, hat seine Funktion in der Anzeige der formalen Errettung des ödipalen Dreiecks. In ihrer lächerlichen Über- und Unterbietung eines Männlichkeitsbildes stellen Chris und Matt, der Vater und der Geliebte, bei aller formalen 239
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Einhaltung der Rollenzuweisung je auf ihre Weise eine Männlichkeitsdemontage dar. Ein ödipales shifting kommt im weiteren Verlauf in Gang, als Chris wie Matt auf gleiche Weise den Besitz von Anna verhandeln. In ANNA CHRISTIE aber geht der Ödipuskomplex nicht unter, er wird virulent gehalten, das Über-Ich wird nicht ausgebildet, das Symbolische, das Gesetz des Vaters kann nicht greifen. Der Vater, der die Heiratsabsichten torpediert und inzestuös die Tochter begehrt, er kann die symbolische Kastration, die notwendige Unterwerfung unter den Vater, seine Macht, nicht vermitteln. Entsprechend kann der Sohn nicht unter die Regentschaft des Inzestverbots, der symbolischen Kastration, gelangen, nicht in die Unterwerfungsgenealogie eintreten und folglich auch nicht deren Früchte ernten: keine Bürgerlichkeit, keine Heirat, keine Familienbildung. Er wird der ›ewigen See‹ zu eigen sein.
Der Ödipuskomplex »Der Ödipuskomplex bot dem Kinde zwei Möglichkeiten der Befriedigung, eine aktive und eine passive. Es konnte sich in männlicher Weise an die Stelle des Vaters setzen und wie er mit der Mutter verkehren, wobei der Vater bald als Hindernis empfunden wurde, oder es wollte die Mutter ersetzen und sich vom Vater lieben lassen, wobei die Mutter überflüssig wurde. Worin der befriedigende Liebesverkehr bestehe, darüber mochte das Kind nur sehr unbestimmte Vorstellungen haben; gewiß spielte aber der Penis dabei eine Rolle, denn dies bezeugten seine Organgefühle. Zum Zweifel am Penis des Weibes bestand noch kein Anlaß. Die Annahme der Kastrationsmöglichkeit, die Einsicht, daß das Weib kastriert sei, machte nun beiden Möglichkeiten der Befriedigung aus dem Ödipuskomplex ein Ende. Beide brachten ja den Verlust des Penis mit sich, die eine männliche, als Straffolge, die andere weibliche, als Voraussetzung. Wenn die Liebesbefriedigung auf dem Boden des Ödipuskomplexes den Penis kosten soll, so muß es zum Konflikt zwischen dem narzißtischen Interesse an diesem Körperteile und der libidinösen Besetzung der elterlichen Objekte kommen. In diesem Konflikt siegt normalerweise die erstere Macht, das Ich des Kindes wendet sich vom Ödipuskomplex ab.« (Freud 1972, Bd. V, S. 247f.)
Die Relevanz, den Ödipuskomplex stets als vollständigen Ödipuskomplex zu betrachten, also den negativen zugleich mit dem positiven und als dessen Bedingung zu denken, ist zum einen aus der Sicht Freuds in der Bisexualität des Kindes begründet, zum anderen in der – man möchte geradezu sagen: strategischen – Möglichkeit, im negativen Ödipuskomp-
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lex an Triebe (Partialobjekte, polymorph-perverse Sexualität) der präödipal-phallischen Phase anschließen zu können. Das gilt insbesondere beim Mädchen. Zur Vollständigkeit des Ödipuskomplexes36 gehört die feindselige Einstellung des Kindes der Mutter gegenüber. Freud hat sie als Teil des Ödipuskomplexes beschrieben in Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds. »Eine Erschwerung des Verständnisses ergibt sich aus der Komplikation, daß der Ödipuskomplex selbst beim Knaben doppelsinnig angelegt ist, aktiv und passiv, der bisexuellen Anlage entsprechend. Der Knabe will auch als Liebesobjekt des Vaters die Mutter ersetzen, was wir als feminine Einstellung bezeichnen.« (Freud 1972, Bd. V, S. 258)
Der Film ANNA CHRISTIE zeigt den Ödipuskomplex gewissermaßen im Straf-Vollzug. Die dominante Lesart des Films betont den erfolgreichen Untergang des Ödipuskomplexes: Die junge Frau, durch die Reinheit ihrer Gefühle vom Makel der Prostitution reingewaschen, liebt den jungen Mann, der ihr vergibt. Ein Kuss besiegelt die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, die Enkelkinder sind dem Großvater schon angekündigt. Das Verhalten des Vaters, seine Karikierung durch die Parallelsetzung mit dem Verhalten des Geliebten, männliche Geschlechtsstereotypen, alles dies sind Figurenverweise darauf, dass den beiden Männern nur aufgrund des Altersunterschiedes und einer etwas offensichtlicher sexualisierten Liebe die Rollen Vater und Geliebter zugewiesen werden. Psychisch fast zwillingshaft wirkend, werden sie in der Filmhandlung
36 »Insbesondere die Darstellung des ›vollständigen‹ Ödipuskomplexes […] wird in referierenden, insbesondere kritischen Arbeiten häufig kaum benannt und nicht selten ganz unterschlagen; dies gilt oft auch dann, wenn die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des Konzeptes zur Debatte steht […]. Über dies ist auch die Diskussion innerhalb der Profession (im engeren psychoanalytischen Sinne) gerade hierzu anscheinend keineswegs eindeutig. So werden etwa bei Blanck (1984) verschiedene kontroverse Punkte angesprochen, beispielsweise die Verlagerung des Focus von einem interpersonalen zu einem intrapersonalen Konflikt oder die Frage, inwieweit die negative ödipale Position eigentlich präödipal (oder eine Regression auf eine entsprechende Entwicklungsphase) sei. Zudem erscheint es in mancher Hinsicht fraglich, ob der ›vollständige‹ Ödipuskomplex überhaupt noch eine gehaltvolle Hypothese genannt werden kann«. (Greve/Roos 1996, S. 27)
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strukturell gleichgeschaltet. Mit Freud könnte man über Matt37 wie Chris urteilen und sagen, dass das, was sie charakterisiert, Verdrängung ist, also nicht der Untergang des Ödipuskomplexes: »Aber der beschriebene Prozeß ist mehr als eine Verdrängung, er kommt, wenn ideal vollzogen, einer Zerstörung und Aufhebung des Komplexes gleich. Es liegt nahe anzunehmen, daß wir hier auf die niemals ganz scharfe Grenzscheide zwischen Normalem und Pathologischem gestoßen sind. Wenn das Ich wirklich nicht viel mehr als eine Verdrängung des Komplexes erreicht hat, dann bleibt dieser im Es unbewußt bestehen und wird später seine pathogene Wirkung äußern.« (Freud 1972, Bd. V, S. 248)
Zurück zur Filminterpretation, d.h. zurück auf den Kahn, respektive den Ort der Psychoanalyse. Die Dramatik der Geständnissituation in der dreizehnten Sequenz lässt sich verstehen als ein Drama ›von apokalyptischem Ausmaß‹. »Es ergibt sich also der wesentliche Unterschied, daß das Mädchen die Kastration als vollzogene Tatsache akzeptiert, während sich der Knabe vor der Möglichkeit ihrer Vollziehung fürchtet.« (Freud 1972, Bd. V, S. 250)
In ANNA CHRISTIE hat die Prostitution die Funktion der Kastrationsdrohung, während die männliche Position mit dem Bürgertum identifiziert werden kann. Die weibliche Position der Penislosigkeit inne zu haben, heißt, ausgeschlossen, aber doch angeschlossen zu sein an das Bürgertum. Das nach der Lebensbeichte und der Rückkehr der Männer zu Anna neu begründete souveräne Verhalten, das in einer Kreisbewegung an die Souveränität, ja Coolness des berühmten Whiskeybestellens erinnert – was in der dominanten Lesart als ein gelöstes, glücklich entspanntes Verhalten gedeutet werden kann –, eröffnet die Aussicht auf Annas Begehren: »Mit der Ausschaltung der Kastrationsangst entfällt auch ein mächtiges Motiv zur Aufrichtung des Über-Ichs und zum Abbruch der infantilen Genitalorganisation.« (Ebd.) 37 Matts Begehren, das prima vista kein ödipales ist, realisiert sich am Ende – in meiner Lesart – nur scheinbar. Ob Anna nicht der See zu eigen ist, bleibt offen. Matts Begehren entpuppt sich durch seine Infantilisierung als ödipal und – da er zunehmend zu einer Kopie von Chris wird – durch Verhaltensdoppelung. Die Pathologisierung zeigt sich in Matts Abwehrhaltung gegen die Prostitutionsdrohung.
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Die Aussicht auf ein Heim und die ›Liebe zur See‹ (infantile Genitalorganisation) bricht sich Bahn. Als wolle er die Rolle der Prostitution kommentieren, fährt Freud an dieser Stelle fort: »Diese Veränderungen scheinen weit eher als beim Knaben Erfolg der Erziehung, der äußeren Einschüchterung zu sein, die mit dem Verlust des Geliebtwerdens droht.« (Ebd.)
Annas Liebe zur Mutter-See könnte gedeutet werden als Substituierung der Mutter durch die See. Damit stünde sie in der schwachen Weiblichkeitsdeutung Freuds. Diese war wegen ihrer konventionellen Zuschreibung von aktiv=männlich und passiv=weiblich, die sich auch im Zitat verrät, kritisiert worden. Die See ist sexualisiert, der junge Seemann ist aktiv mit ihr verbunden, begehrt sie. Der alte, durch Kraftlosigkeit desexualisiert, fürchtet »den ollen Satan, die See«. Die feminine Einstellung zum Vater bringt ein harmonisches Gleiten vom Vater auf den Geliebten mit sich, obwohl der Mann der Wiederholungstäter ist, der lediglich mit einer anderen Frau vollzieht, was ihm mit der Mutter verwehrt war, und es ihm lediglich darum geht, sich an die Stelle des Vaters zu setzen und als Autorität das Inzestverbot zu perpetuieren. Die aktiv/passiv-Zuschreibung Freuds zeigt sich auch in den Bemerkungen zum Eintritt in den Ödipuskomplex, zu dem er bemerkt, dass der Knabe am gleichen Objekt, der Mutter, festhalten kann, wohingegen das Mädchen durch Triebmotivation einen Liebesobjektwechsel vornehmen muss, von der Mutter zum Vater. Diese einschneidende Begehrensformänderung, ein höchst aktives Moment, kann von Freud nicht als aktives Moment benannt und erkannt werden, da Aktivität bei ihm immer mit der männlichen (Vater-)Position verknüpft ist. Die Substituierung der Mutter und die feminine Einstellung zum Vater werden von Freud beim Mädchen als passiv gekennzeichnet, evozieren Unvollkommenheiten. Beim Jungen hingegen sieht er aktive Begehrensformen: »Der Ödipuskomplex des Mädchens ist weit eindeutiger als der des kleinen Penisträgers, er geht nach meiner Erfahrung nur selten über die Substituierung der Mutter und die feminine Einstellung zum Vater hinaus. Der Verzicht auf den Penis wird nicht ohne einen Versuch der Entschädigung vertragen. Das Mädchen gleitet – man möchte sagen: längs einer symbolischen Gleichung – vom Penis auf das Kind hinüber, sein Ödipuskomplex gipfelt in dem lange festgehaltenen Wunsch, vom Vater ein Kind als Geschenk zu erhalten, ihm ein Kind zu gebären.« (Ebd.)
In ANNA CHRISTIE wird der Kinderwunsch aber nicht »vom Mädchen«, Anna, geäußert, sondern von Matt und Chris. Ihr Kinderwunsch 243
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ist infolgedessen verbunden mit einer Effeminisierung. Die weibliche Geschlechtsrolle wird ihnen zugeschrieben, sie tragen, in den Worten Freuds, die feminine Einstellung in sich, nehmen die passive Position ein. Dass hier der Ödipuskomplex auch gegen die biologische Geschlechterfestlegung, die bei Freud unabdingbar ist, interpretierbar ist, liegt zum einen in der grundsätzlichen Bisexualität des Menschen begründet, zum anderen ist diese Möglichkeit im vollständigen, im positiven wie negativen Ödipuskomplex enthalten. Die »Verwandlung der direkt sexuellen Strebungen in zielgehemmte zärtliche«, die bei der Frau in der »Verkümmerung des Penis« ihre Ursache hat, in ANNA CHRISTIE hat sie die strukturelle Gleichbehandlung von Vater und Schwiegersohn zur Folge. Direkte sexuelle Strebungen liegen bei Anna, mit Freud zu reden, in der phallischen Aktivität der präödipalen Phase; man könnte auch sagen: im klitoralen Begehren der ›See‹. Diese Figuren- und Filminterpretation ist, um das berühmte de LauretisDiktum des »Arbeitens mit Ödipus gegen Ödipus« abzuwandeln, eine Filminterpretationsarbeit mit Freud gegen Freud. Zum einen wird der Ödipuskomplex gegen die biologische Geschlechterfestlegung interpretiert, zum anderen wird die doppelte Deutungsperspektive des positiven wie des negativen Ödipuskomplexes ins Spiel gebracht, womit auch auf die feminine Einstellung beim Knaben als figurenbestimmende und bedeutungskonstituierende eingegangen werden kann. Die Betonung des Mutterbezugs und die Hervorhebung der aktiven phallischen Phase beim Mädchen ist – wenngleich in der Feministischen Filmtheorie nicht unüblich – doch ein über das üblicherweise evozierte ödipale Drama Hinausgehen. Das Denken des Nicht-Untergangs des Ödipuskomplexes als handlungsvorantreibende Gegebenheit, die Betonung der nie sicher geltenden Grenzunterscheidung zwischen Normalem und Pathologischem und der Figurensituierung in genau dieser Grenzlinie ist eine solche Markierung des Arbeitens mit Freud gegen Freud. Der Verweis auf die inkongruente aktiv/passiv-Zuschreibung Freuds sowie die Identifizierung von filmischen Größen mit nicht-personalen Entitäten wie See, Bürgertum und Prostitution sind weitere Hinweise auf eine Demontage der klassischen Ödipuskomplexauffassung. In der Gesamtheit der markierten Abweichungen verschiebt sich mit Freuds Argumenten Freuds Perspektive und trägt somit nicht unerheblich zum Paar-shifting bei (das in der Perspektive Deleuzes/Guattaris noch relevant werden wird). Ich werde im Folgenden nur diejenigen Beiträge zum Ödipuskomplex von Melanie
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Klein darlegen, die als Bestimmungsstücke gegen einen Phallokratismus deutlich werden und zur Filminterpretation hilfreich sein können.
C . 3 . 2 . Ö d i p u s I I : V o n M e l an i e K l e i n z u G i l l e s D e l e u z e u n d F é l i x G u att a r i Als Rivalinnen um die richtige Auslegung der Schriften Sigmund Freuds sind Anna Freud und Melanie Klein in die Annalen der Psychoanalytischen Vereinigung eingegangen. Während Freuds größte Kritikerin Karen Horney durch ihre Infragestellung der männlichen Interessensdominanz in den psychoanalytischen Konzeptionen38 die Geschichte des psychoanalytischen Ödipuskomplexes zwar mitprägen, doch nicht nachhaltig mitgestalten konnte, wurde Melanie Klein immer wieder die Aufmerksamkeit großer Theoretikerinnen und Theoretiker zuteil. Die Deleuze/Guattari-Bezugnahme auf Klein39 ist dabei zum einen als Kritik der relativen Freud- und damit Ödipuskomplextreue40 formuliert, zum anderen richtet sie sich auf Kleins Konzeption des strafenden Über-Ichs und der Genitalität. Drittens machen sie als positiven Anknüpfungspunkt aus: 38 Vgl. Elizabeth Grosz im Lexikonartikel zu Sigmund Freud, in: Feminism and Psychoanalysis: a critical dictionary, ed. by Elizabeth Wright; Oxford: Blackwell 1998, S. 127-134. 39 Deleuze, Gilles und Guattari, Félix: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I; Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974 [zit. n. d. 9. Aufl. v. 2000], S. 57f.: »Weil Melanie Klein aber weiterhin den Bezugsrahmen des Ganzen, der ganzen Person und des Totalobjekts aufrechterhält – und vielleicht auch, weil sie es gegenüber der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung, an deren Pforte groß geschrieben steht ›Eintritt nur für Ödipale(s)‹, nicht zum Äußersten kommen lassen will-, bedient sie sich der Partialobjekte nicht, um die eiserne Halskette von Ödipus zu sprengen, sondern (zumindest tut sie so) um Ödipus noch zu verwässern, zu verkleinern, um ihn zu vervielfachen und ihn derart im zartesten Alter anzusiedeln. […] Sag, daß es Ödipus ist, oder ich knall’ dir eine! Hier fragt der Analytiker gar nicht mehr nach den spezifischen Wunschmaschinen, sondern schreit gleich los: ›Gib Papa-Mama zur Antwort, wenn ich mit dir rede!‹ Selbst Melanie Klein … Damit ist die Wunschproduktion niedergewalzt, erneut in elterliche Imagines gezwängt, auf präödipale Stadien gereiht, in Ödipus totalisiert; kurzum: die Logik der Partialobjekte ist zunichte gemacht.« 40 Klein, Melanie: »Frühstadien des Ödipuskonfliktes« (1927) und dies.: »Der Ödipuskomplex unter dem Aspekt früher Angstsituationen« (1945), in: Melanie Klein. Frühstadien des Ödipuskomplexes: frühe Schriften 1928-1945, hg. v. Jochen Stork; Frankfurt a.M.: Fischer 1996.
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Kleins Entwurf der Partialobjekte, der paranoid-schizoiden Position einerseits, der Vorstellungen zur depressiven Position andererseits.41 Von Sigmund Freud wird die Tochterrivalin Klein am Ende seiner Abhandlung Über die weibliche Sexualität (1931) kritisiert. In einer kritischen Würdigung des Standes der Forschung geht er auf widerstreitende Konzeptionen des Ödipuskomplexes ein, die insbesondere Differenzen in der Sichtweise auf die weibliche Sexualentwicklung erkennbar werden lassen; Auseinandersetzungen, die zwischen den Zeilen – malgré lui – erkennbar werden lassen, dass Freuds Weiblichkeitsvorstellungen schon zu seiner Zeit heftig umstritten waren. Der Gründungsvater Freud legt in Über die weibliche Sexualität einen Grundstein zur Kanonisierung Kleins, die bis heute wirksam ist; alle Abhandlungen werten die Vorverlegung des Ödipuskomplexes als den Forschungsbeitrag Kleins. Als Einspruch Freuds findet die Nichtbeachtung der »langen Andauer der präödipalen Mutterbindung der Mädchen« (Freud 1972, Bd. V) Eingang in die Kritik, jedoch ohne den Forschungsbeitrag zu erwähnen, der den eigentlichen Dissenzpunkt in der Substanz ausmacht, nämlich die Darlegungen zur Weiblichkeitsphase des Knaben. In der Konsequenz bedeutet dies jedoch die Umwälzung der Freud’schen Theoriekonstruktion bzw. seiner Forschungsergebnisse. Denn mit der Vorverlagerung des Ödipuskomplexes werden nun auch Triebregungen der oralen und der analen Phase mitberücksichtigt. Der Horizont öffnet sich auf die kannibalische und die anal-sadistische Stufe. Der größte Unterschied jedoch liegt in der Tatsache begründet, dass die primäre Bezugnahme auf das libido- und damit bedeutungsdeterminierende Geschlechtsorgan eine andere ist. Wird mit Freuds Randbemerkung, dass mit der Abwendung von der Mutterbrust die Objektwahl ihren Ausgang nimmt, ein Initiationspunkt gewählt, der als solcher jedoch keine Rolle mehr spielen wird, so ist bei Melanie Klein die Entwöhnung von der Mutterbrust bereits Bestandteil des Ödipuskomplexes, ja sein Kernproblem. Es wird ein anderer Signifikant gewählt, d.h. nicht der Phallus, sondern die Mutterbrust, respektive der Mutterleib ist als Analysezentrum bedeutungsgenerierend. Wie in ihren ausführlich geschilderten Fallbeispielen, die sehr gut den Nachvollzug ihres Raisonnements erlauben, deutlich wird, spaltet sich der Primärsignifikant, neben dem es noch weitere Signifikanten gibt, in die ›gute‹ und die ›böse‹ Brust. Klein weist ein mütterliches wie ein väterliches 41 Vgl. Klein, Melanie: »Notes on some schizoid mechanisms« (1946) und dies.: »A contribution to the psychogenesis of manic-depressive states« (1935), dt.: »Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände«, in: Psyche, 1960, Bd. 14, S. 256-283.
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Über-Ich aus, setzt an die Stelle des Vater-Kastrators die Mutter als Kastratorin. Die Mutterbrust ist bei ihr ein verweisungsreicher Signifikant, anders als der Phallus in der Lacan’schen Konzeption42. Dass das Über-Ich bei Melanie Klein sowohl ein väterliches als auch ein mütterliches sein kann, dass also die sich vollziehende Introjektion der Ödipusobjekte, die die Über-Ich-Bildung ist, die Mutterbrust ebenfalls als Autoritätsinstanz kennt und diese nicht nur als seligen Regressionszustand entwirft, bedeutet auch, das Über-Ich nicht nur als strafende Gesetzesinstanz, als das Symbolische (und damit Legitimierte und Legitimierende) zu denken, sondern es durch seine anal-sadistische Unbotmäßigkeit zu delegitimieren43. »Es ist aber einleuchtend, daß das z.B. einjährige Kind die durch das Einsetzen des Ödipuskonfliktes ausgelöste Angst in Form von Aufgefressen- und Zerstörtwerden empfindet. Der Wunsch, das Objekt durch Beißen, Fressen, Schneiden zu zerstören, führt, eben weil dieses Objekt zufolge der mit den Ödipusregungen einsetzenden Introjektion des Objektes zu einem strafenden wird, zur Angst, die Strafe in adäquater Weise zu erleiden: Das Über-Ich wird ein beißendes, fressendes, schneidendes.« (Klein 1996, S. 8, Hervorhebungen im Original)
Der eklatanteste Unterschied – das Über-Ich in dem einen Fall, das Es in dem anderen – ist nur dann in der Konzeption des Ödipuskomplexes als Zeichen wissenschaftlicher Inkompatibilität zu werten, wenn die Triangulation von Ich, Über-Ich und Es, die ja am Ausgang der ödipalen Triangulation steht, Freud zufolge durch den Untergang des Ödipuskomplexes und die Schaffung des Über-Ichs unhinterfragt mitgezeichnet wird. Die Klein’sche Konzeption, die Gleichzeitigkeit von Trieben der oralen 42 In der sprachlich radikalen Sichtweise Gerlichs: »So blöde wie ein einsam verweisungsloser Signifikant kann wahrlich nur der Phallus sein. Nicht daß unter seiner Domäne nicht alles irgend denkbare Wissen stünde, gar entstünde, doch das seinerseits mitnichten blöde Nichtwissen realen Genießens entgeht ihm notorisch. Was insofern freilich kein Wunder ist, als die emphatische Bedingung seiner Möglichkeit das Opfer all dessen darstellt, was als Mangelndes seinen reaktiv überkompensatorischen Fetischismus einzig aufrechterhält. Als reinster Fetischinbegriff also firmiert die mortale Dinghülle, in die hineingeopfert werden muß, was an bedrohlich fleischlichem Selbstsubstrat phallische Selbsterhaltung sonst unmöglich machte. Damit ist es um das Genießen auch schon geschehen, das fortan vagiert in Körpern, die weg müssen.« (Gerlich 1992, S. 139) 43 Man könnte ironisch anmerken: ein nachgerade Deleuze/Guattari’scher Gedanke.
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und der analen Stufe, die Brustbezogenheit (die in ihrer Gespaltenheit von Gut und Böse wesentlich ambivalenter ist als die eindeutige Beziehung des kleinen Knaben zum Penis des Vaters), ist verflochtener als eine eindeutige Instanzenanordnung von psychischen Vorgängen. Das hat Folgen für die Auffassung von Penissignifikanz, Kastrationsangst und Destruktionswillen. Zieht man Melanie Kleins Ödipus-Reflexion für die Analyse des Films ANNA CHRISTIE heran und wendet die Überlegungen in der Schrift Der Ödipuskomplex unter dem Aspekt früher Angstsituationen (1945) auf die Konfiguration Matt, Chris, Anna an, so ergeben sich wichtige Differenzierungen. Zunächst ist der Kohlenkahn unübersehbar die Symbolisierung des Mutterleibes, umfängt er doch die Matrosen. Er hat die Eigenschaft des nährenden Primärorgans und des begehrten, mit Abhängigkeit und Hass konnotierten Schutzes/Liebesobjektes, das die ganze Ambivalenz des Weiblichkeitskomplexes des Mannes virulent hält: Matts Auftritt, seine Anspülung im Film – hier ist der Symbolgehalt der Ikonographie überdeutlich – erscheint wie eine Geburt der See, aus der Sexualität (dem Sturm) heraus entstanden. Diese Evidenz auf filmischer Ebene ist im interpretativ-analytischen Zugang zu erkennen als des Knaben Angst vor der Bestrafung für die Zerstörung des mütterlichen Leibes. Sein Schiff, sein embryonaler Mutterschutz, ist im Sturm zerschellt, er muss sich für diese Zerstörung schuldig fühlen. Matts Rettung, seine Aufnahme in einen weiteren Mutterleib=Kohlenkahn, seine Stillung, der Zugang zur milchspendenden Brust (Schiff=Mutter) lässt Matt mit übertriebener und nicht durchzuhaltender Kraftmeierei und sexuellem Aneignungsgebahren Anna gegenüber reagieren. Durch sein auftrumpfendes Männlichkeitsgehabe unmittelbar nach der Rettung – das aber nicht wirkt; er wird von Anna zurückgewiesenen – will er seine Strafandrohung und seine Kastrationsängste abwehren. Er erfährt seinen Körper als beschädigt, fühlt sich kastriert. Hier ist im Sinne der psychischen Realität der Mutterleibs-Kahn die Kastratorin, und diese Position geht im Zuge der von Anna hergestellten See-Kahn-Anna-Einheit auf Anna über. Die zweite Perspektive, die durch den Einbezug der Klein’schen Ödipuskomplex-Kenntnisse in die Analyse hinzukommt, wird durch folgendes Zitat und seine anschließende symbolische Decodierung deutlich: »Die Weiblichkeitsphase ist also charakterisiert durch eine dem Mutterleib und dem Vaterpenis geltende Angst, die den Knaben unter den Druck eines fressenden, zerstückelnden, kastrierenden mütterlichen und väterlichen Über-Ichs setzt.« (Klein 1996, S. 12, Hervorhebung im Original)
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Zur Angst vor dem Freud’schen Vaterpenis, zur Angst des Knaben vor seiner Entmännlichung durch die Verweigerung des sexuellen Zugriffs auf die Mutter-Frau kommt die Mutterleibsangst, die des Zerstörtwerdens durch die See, des Nicht-Beherrschens des Kahns. Es sind Ängste vor Dingen, die die Identität des Matrosen ausmachen, eine permanente Bedrohung, die auch in der genitalen Position keinen Frieden kennt. Matts Misogynie, seine von »Neid und Haß durchsetzte Konkurrenzeinstellung zur Frau« (Klein 1996), die in der Verachtung der Prostituierten ihren Ausdruck findet, ist Resultat seiner überwiegend sadistischen Fixierung. Die besondere Dramatik an Matts Markierung von Männlichkeit hat ihren Grund in seinem Nicht-Wissen, in dem, gerade für ihn, der seine Männlichkeit überbetont, nicht eingelösten Versprechen der Wissensposition durch den Penisbesitz. In seiner Rivalitätsstellung zu Anna bleibt er – im Wissen, in der Souveränität und im Charakter – hinter Anna zurück. Matts Nicht-Erreichen der genitalen Position zeigt sich darin, dass er nicht zu sublimieren vermag, zeigt sich in seiner Überaggression, seinem Hohn und seinem Besserwissenwollen, das er gerade dem Vater (Chris) gegenüber an den Tag legt. Die Melodramatik des Enthüllungsaktes besteht genau darin, dass Matt es nicht schafft, die dahinterliegende Angst und das Nicht-Wissen zu maskieren. Mit Melanie Klein formuliert: Der Ödipuskomplex, dessen restlosen Untergang selbst Freud als ungewiss herausstellt, bleibt ›ewig‹ virulent, denn die Identifizierung mit dem Vater ist kein Garant für eine genitale Position, sondern führt »vorwiegend zur Verdrängung und Überkompensierung der anal-sadistischen Triebregungen und nicht zu deren Überwindung« (Klein 1996, S. 13, Hervorhebung im Original). Anna repräsentiert für Matt die mütterliche Über-Ich-Instanz und löst bei ihm Schuldgefühle aus, wenn er seinen oral-sadistischen Triebregungen nachgibt. Sie wirkt auf Matt domestizierend, ein Effekt, der bei ihm besonders stark anschlägt, ist er doch in Anna verliebt, so dass auch die Figur Matt in zwei Männlichkeitsbilder gespalten scheint: in den rauen, rüpeligen Matrosen mit verbal-aggressiven Ausfällen, oral-sadistischen Triebregungen und in den verliebten Knaben. So wäre der bekannte Domestizierungseffekt von Frauen in rüden Männergesellschaften nicht Ausdruck des aktiven Begehrenswunsches des Knaben, der sich als Liebesobjekt an die Stelle des Vaters setzen will und sich deshalb in seinen Verhaltensnormen seinem eigenen sexuellen Diktat unterwirft, sondern Ausdruck des repressionsbedingten Verhaltens unter das kastrierende, strafende mütterliche Über-Ich. Die Inthronisation des Über-Ichs durch Inkorporation erklärt die sadistische Strenge des Über-Ichs, die im Falle von Chris und Matt die Todeshingabe (die vom tödlichen Ausgang be-
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drohte Umsegelung des ›Kaps der guten Hoffnung‹!) als finalen Strafakt plausibel werden lässt. Die Selbststrafung gehorcht keinem gerechten, autoritärem Vater-Gesetz mehr, sondern ist destruktiver Sadismus. Dass das sich drohend aufrichtende Über-Ich nur durch Verdrängung ertragen werden kann, erklärt die im Freud’schen Sinne ödipale Blindheit von Matt und Chris, die, hätten sie es nur ertragen, schon viel eher von ihrem Zerstörtwerden durch die Prostitution erfahren hätten. Dass ihre frühesten Befürchtungen sich bewahrheiten, ist ihr Schicksal. Im Lichte von Melanie Kleins Ausführungen ist die Rückkehr von Chris und Matt zum Matrosentum (ihr finales Anheuern in der Fremde) Erfüllung ihrer Angst. Alle oralen und analen Versagungen, die die Mutter sie bisher hatte erleiden lassen, die Strafe bedeuteten und Angst verursachten – Melanie Klein lässt sie in dieser prägenitalen Angstposition verharren –, führten sie gerade nicht durch die gelungene Kastrationsangst in die genitale Position. Das Wissenwollen, die Wissbegierde hat Freud zufolge in der sexuellen Wissbegierde ihren Ursprung und geht einher mit dem Nicht-Können des Kindes. Das intellektuelle Zurückbleiben hinter den sexuellen Anstürmen, die Ansätze des (Sprach)Verständnisses, die ein Gefühl des Unvermögens hinterlassen in Bezug auf die intellektuelle Nicht-Klärung von sexuellen Vorkommnissen und die den Wissenstrieb hemmen und das Verstehen blockieren, das sind Gründe dafür, dass Matt und Chris Investigationen anstellen und gleichzeitig blind sind für die Wahrheit. Die ödipale Blindheit rührt also nicht vom Vater-Kastrator her, sondern vom eigenen intellektuellen Unvermögen44. Es ist dieses intellektuelle Unvermögen Chris’ und Matts, das »außerordentliche Haßquantitäten« (Klein 1996) auslöst, den Hass gegen Andersartige (Prostituierte) erklärt. Die Dominanz der Bürgerlichkeit als Norm und ihre Verfehlung durch die Prostituierte, dies trifft auch dann zu, wenn die Normierungsinstanz Bürgerlichkeit auch von den Matrosen selbst nicht erreicht wird. »Auf der früheren anal-sadistischen Stufe geht das Kind durch das zweite schwere Trauma, das seine Abwendung von der Mutter verstärkt. Sie hat sich ihm oral versagt und stört nun die anale Lustbefriedigung. Hier scheint es zu einer Verlötungsstelle der analen mit den sadistischen Triebregungen zu kommen, die durch die analen Entziehungen hergestellt wird. Das Kind will sich 44 Jacques Lacan situiert das Unvermögen, das das Ideal-Ich (nicht Ich– Ideal!) ausbildet, zwischen einer geistig-antizipatorischen Vorwegnahme motorischer Fertigkeiten und Körperganzheits-Erfahrung und der tatsächlichen, fragmentierten Körperwahrnehmung mitsamt der motorischen Unfähigkeiten.
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den Stuhl der Mutter aneignen, indem es in deren Leib eindringt, diesen zerschneidet, frißt, zerstört.« (Klein 1996, S. 10; Hervorhebung im Original)
Die Verachtung, der Hass auf Prostituierte ist für Matt ein Hindernis, aus der ödipalen Virulenz herauszutreten und sich mit Anna nicht mehr als seiner Mutter zu identifizieren. So steht er weiter unter ihrem Über-IchDiktat statt sie als Frau zu lieben; in psychoanalytischen Termini: seine Objektliebe auf der genitalen Stufe zu leben. Mit der Motivwahl Prostitution würde also nur der allgemeine Hass gegen die Mutter exemplarisch zum Ausdruck gebracht, jene oral- und anal-sadistische Fixierung, die das Erreichen der positiven Beziehung zu ihr beeinträchtigt. »Wir sind nun bei der von mir hervorgehobenen, als Weiblichkeitsphase bezeichneten Entwicklungsstufe angelangt. Sie findet ihre Basis in der analsadistischen Stufe und gibt dieser einen neuen Inhalt dadurch, daß der Stuhl nun mit dem gewünschten Kind gleichgesetzt wird und der Beraubungswunsch auch diesem gilt. Dabei sind zwei ineinanderfließende Strömungen feststellbar: Die eine steht im Dienst des Kinderwunsches, um sie sich anzueignen, die andere dient der Eifersucht vor erwarteten Geschwistern und dem Wunsch, sie im Mutterleib zu zerstören.« (Klein 1996, S. 11)
Folgt man der Argumentation, so erklären diese beiden Strömungen den von Männern gehegten Kinderwunsch – der in reiner Freud’scher Theorieanlage für Männer gar nicht erklärbar ist. Am Beispiel der Figuren Matt und Chris wird die unterschiedliche Motivation des Kinderwunsches erkennbar. Chris, der ein possessiv-protegierendes Verhältnis zu Anna hat, will sich mit dem Kind den Mutterleib aneignen, Anna an sich binden. Matt, der kleine Knabe, wird von »der Eifersucht vor erwarteten Geschwistern und dem Wunsch, sie im Mutterleib zu zerstören« getrieben. Seine scheltend-drohende, versprechend-aufschneidende Gebärde des Händeerhebens und seine Worte: »Na warte, Du sollst nicht lange allein bleiben, das verspreche ich Dir«, bringen die Strafmotivation zum Ausdruck und den Versuch, mit dem Kind Anna anderen Männern zu entziehen (aus seiner Position: die erwartbaren Geschwister). Chris’ ambivalente Haltung zur See, die er einerseits hasst, in ihm die Ängste des Zerstört- und Aufgefressenwerdens auslöst, von der er andererseits lebt, repräsentiert eindrucksvoll jene Ambivalenz von oraler Glücksposition (nicht mehr gegenwärtig, aber als Wunsch erinnerbar) und prägenitalem analem Sadismus. Genau in dem Augenblick, in dem er die orale Position aufgibt und der Tendenz des Raubens und Zerstö251
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rens nachgibt, die mit der Angst vor dem Zerstörtwerden einhergeht, ändert Matt seine Einstellung zur See. Stand sie zuvor für Glück und Freiheit, so ist die See nun »ein oller Satan, der an allem Schuld ist«. Diese Angst – der Weiblichkeitskomplex des Mannes – gilt letztlich, und gerade hierin zeigt sich die andere Signifikantenvalenz Kleins, den »der Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt dienenden Organen« (Klein 1996).
Von Ödipus zu Anti-Ödipus? Hat nun Chris, der Anna zur Prostituierten machte45, Einsicht in den Zusammenhang der Kastrationsdrohung, unter deren Handlungsherrschaft er selbst zwanghaft steht? Natürlich nicht. Der unter Kastrationsdrohung handelnde Kastrator, das genealogisch weitergegebene Problem, das Vater und Sohn verbindet zur Vater-Sohn-Einheit, die als autoritäres Gesetz nicht mehr in personale Einheiten aufgesplittet werden kann, alles dies gilt für den Vater wie für den Sohn. Chris, der die »niemals ganz scharfe Grenzscheide zwischen Normalem und Pathologischem« (Freud 1972, Bd. V, S. 248) überschritten, den Ödipuskomplex nur verdrängt, nicht aber besiegt hatte, er trägt die Konsequenz aus den pathogenen Wirkungen, die durch das unbewusste Bestehenbleiben des ewiggültigen familialen Dramas im Es entstanden sind. ›Es‹ ist bewusst geworden, ist ins Bewusstsein gekommen. Die pathogenen Wirkungen, terminologisch präzisiert, haben ihre Sanktion erhalten, die Sanktionsdrohung hat gesellschaftskonstituierend funktioniert. Und die Passage vom Normalen zum Pathologischen hat sich mitkonstituiert. Hatte Freud schon die Implikation des Pathologischen konzediert, das zum Normalfall wird, so ist darin schon jener Wirkungsmechanismus angelegt, den Michel Foucault in Wahnsinn und Gesellschaft kritisch analysiert hat als Einbindung des Wahnsinns in den elterlichen Komplex. Das Schuldgeständnis wird, erbsündenkonstruktionsgleich, unvermeidlich und die Rebellion dagegen, könnte man freudianisch sagen, ist durch die Verdrängung zur ewigen Wiederkehr gezwungen. »Michel Foucault vermochte aufzuzeigen, wie sehr die Beziehung des Wahnsinns zur Familie auf eine die bürgerliche Gesellschaft insgesamt erfassende Entwicklung gegründet war, die der Familie Funktionen übertrug, kraft derer 45 Chris hat Anna in Stich gelassen und sie damit der Prostitution ausgeliefert. Er hatte sie einer Familie anvertraut, die sexuellen Kindesmissbrauch an ihr beging.
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Verantwortlichkeit und (mögliche) Schuldhaftigkeit ihrer Mitglieder sich ermitteln ließen. In dem Maße nun, wie die Psychoanalyse den Wahnsinn in einen ›elterlichen Komplex‹ einbindet und in den Figuren der Selbstbestrafung, die sich aus Ödipus ergeben, das Geständnis der Schuld wiedererkennt, bringt sie auf keinen Fall Neuerungen hervor, sondern vollendet, was die Psychiatrie des 19. Jahrhunderts in Angriff genommen hatte: einen familialen und moralisierenden Diskurs der Geisteskrankheiten anzustrengen, den Wahnsinn an ›die halb reale halb imaginäre Dialektik der Familie‹ zu binden, darin ›den ständigen Anschlag auf den Vater‹, ›das stumme Schlagen der Instinkte gegen die Festigkeit der Institution Familie und gegen die archaischen Symbole‹ zu entziffern.« (Deleuze/Guattari 2000, S. 62f., Hervorhebung im Original)
In welchem psychoanalytisch zu entziffernden Verdrängungs-Shift werden die blutenden (Augen)Höhlen des Mannes, die monströse Blindheit des männlichen Helden46, zur Wahrnehmung der Penislosigkeit der Frau, respektive des Weibes? In der Differenz, die sich aus dem Verlassen der Analogführung Freuds von Sophokles’ Drama und psychischer Grundkonstitution ergibt, ist schon jene Verschiebung angelegt, die sich als Phallokratismus gegen Freud und Lacan bzw. gegen die psychoanalytische Geschichte des Ödipuskomplexes wenden muss. Klein kann als Wegbereiterin und Vorläuferin von Deleuze/Guattari gelesen werden, wenngleich diese Kleins theoretische Phallusherrschaft scharf kritisierten. Schon bei der lexikalischen Beschreibung der paranoid-schizoiden Position, wie sie Klein theoretisch gefasst hat, klingt der Grundgedanke Deleuze/Guattaris an: »The paranoid-schizoid phase is described as dominated by persecutory mechanisms of splitting. Under the impact of anxiety, the primitive ego fragments and disintegrates. Its fear is of annihilation and death. Splitting, PROJECTION and INTROJECTION are the early mechanisms of defence, which organize the internal chaos in a primitive but life-preserving way. Both the ego and its OBJECT may be split into deal and destructive parts. Through PROJECTIVE IDENTIFICATION, the primitive self attempts to get rid of unwanted parts of the self, or to separate off the good parts of the self in order to protect them and avoid internal conflict. The mother’s body is fantasized as being full of, and identified with, the child’s projected parts.« (Whitford 1992, S. 191, Hervorhebungen im Original)
Deleuze/Guattari werden in Whitfords Klein-Würdigung nicht erwähnt, doch die »Leibeinverleibungen, Aufspaltungen, transversalen Anschlüs46 In der Antike waren Gesichtsverstümmelungen die Strafe für sexuelle Vergehen.
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se« (Deleuze/Guattari 2000) kann man mit Gewinn auf dem Hintergrund der Klein’schen Konzeptionen lesen. Das Zerstören, (Leib)penetrieren und Kastrieren sind weitere Zuschreibungen an Aneignungs- und Einverleibungsvorgänge des Kindes47. Wer assoziierte bei der Evozierung der imaginären Fötenzerstörung, der Aneignung des Stuhls der Mutter, des Penis-Abbeißens beim Vaters nicht jene verbal-aggressiv gewendete Radikalität, die den berühmt gewordenen Anfang von Anti-Ödipus hervorgebracht hat: »Es funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es… Überall sind es Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes: Maschinen von Maschinen, mit ihren Kupplungen und Schaltungen. Angeschlossen eine Organmaschine an eine Quellemaschine: der Strom, von dieser hervorgebracht, wird von jener unterbrochen. Die Brust ist eine Maschine zur Herstellung von Milch, und mit ihr verkoppelt, die Mundmaschine. Der Mund des Appetitlosen hält die Schwebe zwischen einer Eßmaschine, einer Analmaschine, einer Sprechmaschine, einer Atmungsmaschine (Asthma-Anfall).« (Deleuze/Guattari 2000, S. 7)
Bezeichnenderweise wird die Relevanz von Klein durch die große Generalität der ersten von Deleuze und Guattari erwähnten Maschine bestätigt: die »Mundmaschine«.
47 Gerlich sieht selbst in der Lacan’schen Konzeption von Gesetz und Begehren ein Verstümmelungsmotiv: »Gesetz und Begehren – das ist, nach Lacan, rein dasselbe. Denn das Gesetz, weit davon entfernt, es etwa verbieten zu wollen, gebietet vielmehr das Begehren, und so weitgehend immer nur dieses, daß Gesetz und Begehren nur im Sadismus übereinkommen können. Zur Sicherung seiner ontologischen Herrschaft aber muß diesem alles daran liegen, die skandalöse genealogische Wesensidentität seiner beiden Funktionen zu verbergen und sie als unversöhnliche Gegensätze auftreten zu lassen. Indessen wird diese Verstellungsstrategie je schon durch Verratssubsistenzen an beiden Enden unterlaufen: Nicht nur ist dem Gesetz bereits in der Normalität sein (moral-)sadistisches Begehren wohl anzumerken, auch umgekehrt eignet dem Begehren im neurotischen Wiederholungszwang die herrschaftliche Unbedingtheit eines Gesetzesimperativs. […] Worin nämlich spricht sich das Gesetz des Begehrens, das Begehren des Gesetzes dem Gegenstand seiner Leidenschaft gegenüber aus? ›Ich liebe Dich, weil aber, unerklärlich, ich in Dir etwas liebe, das mehr als Du – das Objekt klein ›a‹, muß ich Dich verstümmeln.‹« (Gerlich 1992, S. 131, Hervorhebung im Original, sowie: Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 282, zit. n. Gerlich)
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ÖDIPUS UND ANTI-ÖDIPUS
Anna Christie – anti-ödipal Im Sprachduktus von Deleuze/Guattari könnte man sagen: Der Film ANNA CHRISTIE ist eine einzige riesige Wunschmaschine und der Kohlenkahn der Hauptschauplatz der strömenden Partialobjekte, eine Stromeinschnitt- und Entnahmestelle. Die Totalität der Bezugnahmen, die behauptete ödipale Einheit, ist nur noch durch die dominante Lesart gehalten, die auf Subtextebene Blicke auf Ströme und Wunschmaschinen freigibt. Was sind, mit Deleuze/Guattari zu fragen, in der ›filmischen Maschine‹ ANNA CHRISTIE die durchbrochenen Leitungen, die nichtkommunizierenden Röhren, die asymmetrischen Seiten? Ist ANNA CHRISTIE ein schizoides Werk? Mit Deleuze/Guattari lässt sich die dominante Lesart, die bewusst betriebene Ödipalisierung, zurückzuweisen, denn hier produziert sich nicht Unbewusstes, sondern ein kulturelles Schema wird vom Rezipierenden reproduzierend im Film konstruiert. Da die Spielfiguren in diesem filmischen Ödipusdrama auch vom negativen und nicht nur vom positiven Ödipuskomplex geleitet sind, sind sie falsch aufeinander bezogen bzw. verschoben. Nur noch die dominante Auffassung vom positiven Ödipuskomplex (Mama-Papa-Kind) kann die Figurenkonstellation (zwei Männer, eine Frau) ins Lot pressen. Die Korrespondenzen, die die Freud’sche Ödipus-Konstruktion der Filmanalyse herausgibt, sind irreführend. Anna bezieht sich auf die See (ihr aktives Begehren nach der Mutter, Mama-See), und die beiden Männer beziehen sich aufeinander. (Richtet sich Matts Begehren eher auf Chris oder Chris’ Begehren auf Matt?) Für Matt ist – nach Klein – Anna die (eigene) Mutter, Mama-Anna, für Chris ist nach Freud Anna die Frau, die Mutter, die Anna-Mama, und sie ist (nach Freud und Klein) die eigene Mutter, Mama-Anna, weil Chris der kleine Junge geblieben ist. Das Ganze ist, um eine Sprachmetapher von Deleuze und Guattari zu borgen, eine PuzzleSituation: »[…] wie Puzzleteile, die aber nicht zu einem, sondern zu verschiedenen Puzzles gehören: immer lokalisiert, aber nie spezifisch, mit ihren nicht zueinander passenden Rändern, die gewaltsam ineinandergezwängt, ineinander geschachtelt werden und stets Reste übrig lassen. Das schizoide Werk par excellence: man könnte sagen, daß das Schuldgefühl, die Schulderklärung hier allein Anlaß zum Lachen sind (in Begriffen von Melanie Klein gesprochen, hieße das, daß die depressive Position nur den Deckmantel einer tieferliegenden schizoiden Position bildete).« (Deleuze/Guattari 2000, S. 54f.)
Die traditionelle freudianische Triangulation, zu der Deleuze und Guattari die Strömung als Gegenentwurf setzen, wird in festen personalen Entitäten gedacht: Vater – Mutter – Kind. Doch die Triangulation erfährt – 255
DIE PROSTITUIERTE IM FILM
schon bei Freud – erste Ansätze zu strukturaler Formation: Die Autorität des Vaters, mit der sich der Junge im Laufe des erfolgreichen Durchlaufens des Ödipuskomplexes identifiziert, wird internalisiert als das Gesetz des Vaters. Das Über-Ich wird ausgebildet, eine psychische Instanz geschaffen, die funktional bestimmt ist und intrapersonal Gültigkeit hat. Diese strukturale Ausformung ist jedoch noch personengebunden, die funktionale Bestimmung ist festgemacht an der physischen Erscheinung eines Menschen; idealiter: des Mannes. Das Personendreieck ist die fundierende Basis, die erste Instanzenanlagerungen erlaubt. Um von der Triangulation zur Strömung zu kommen bzw. von Ödipus zu Anti-Ödipus bedarf es zunächst einer Strukturtriangulation. Freuds Personendreieckskonstellation von Vater-Mutter-Kind kann als Strukturdreieck gelesen werden, jedoch nur in Deckung mit dem Personendreieck. »Endlich gestattet die Trennung von Imaginärem und Symbolischem, eine ödipale Struktur, ein System von Stellungen und Funktionen aufzudecken, die nicht mit der wechselnden Gestalt derjenigen verschmelzen, die sie in dieser oder jener sozialen oder pathologischen Formation einnehmen: Struktur-Ödipus (3+1), der nicht in einem Dreieck aufgeht, sondern, indem er auf einen festgelegten Bereich den Wunsch, sein Objekt und das Gesetz verteilt, alle möglichen Triangulationen ausführt.« (Deleuze/Guattari 2000, S. 65f.)
Inwiefern sprengt die Dualität Imaginäres/Symbolisches bzw. die Triade Imaginäres/Symbolisches/Reales die feste Triangulation Ödipus (3) zu einem Struktur-Ödipus (3+1) auf? Lacans Freud-Revision bringt die nicht personengebundenen Instanzen des Imaginären und des Symbolischen zur Geltung, schafft, losgelöst von bestimmten Personen, Strukturen- und Instanzendreiecke. Deleuze/Guattaris Konzeption sieht Strömungen am Werke durch das stetige Verschieben des Personen- und Instanzendreiecks, d.h. im Struktur-Ödipus bilden sich verschiedenste Dreiecksformationen aus. Und dies ist, um im Sprachbild von Deleuzeund Guattari zu bleiben, der erste Anfang des Gleitens des traditionellen Ödipus’ zum anti-ödipalen Ödipus. In eben jener Differenz des Struktur-Ödipus’ von Lacan (3) zur Interpretation von Deleuze/Guattari, die darin die instabile Konstellation von (3+1) sehen, ist die Delegitimierung von Ödipus als Herrschaftsform, die in der Gesellschaft Repression mitträgt, auszumachen. Mit der Figur des Struktur-Ödipus ist nicht etwa eine Bestätigung des universellen Geltungsanspruchs des Ödipuskomplexes bezeichnet, es ist vielmehr eine Denunziation eben jenes Lacan’schen Denkens, das mit den Instanzen von Sprache und Gesetz der Familiarisierung eine gesellschaftliche Totalität zuweist. Die Kritik von Deleuze und Guattari an Lacan ist total, 256
ÖDIPUS UND ANTI-ÖDIPUS
lehnt die Gültigkeit des Ödipuskomplexes zu weiten Teilen ab, wenn sie sie nicht sogar ganz in Abrede stellt. Der Ausweis der strukturalen Auffassung des Ödipuskomplexes wird zum Anlass genommen, Ödipus’ Mandat aufzuheben. Kann die Vervielfältigung von Ödipus zum mannigfaltig auffindbaren Struktur-Ödipus einen kritischen Impuls gegen die Herrschaft von Ödipus bedeuten? Die Antwort ist abhängig von der Einschätzung, ob die Objekte und ihre Beziehungen untereinander immer noch Totalobjekte sind. Die Totalität ist der angeprangerte Gegenentwurf zu den ins Spiel gebrachten Partialobjekten, die das Begehren nicht triangulär strömen lassen. Das einengende Diktat Ödipus’ ist durch die Absurdität der Pluralisierung von Ödipus aufgehoben. Befreit die Komik der Filmfigurenkonstellation, das Lachen über die gestiftete Verwirrung in den Beziehungen, von der finalen Determination und von der Rettung des ödipalen Dreiecks? Die dominante Lesart rettet das Diktat Ödipus’, aber eben nur formal.
Fazit 1 Meine verschiedenen Interpretationsansätze des Films ANNA CHRISTIE sind nicht als harmonische Ergänzungen zu verstehen, sondern sie perspektivieren den Ödipuskomplex auf psychoanalysegestützte kulturwissenschaftliche Deutungen. Deren Referenz geht aber nicht auf Wahrheit, sondern auf eine kontingente Interpretation des Ödipuskomplexes. In meiner Interpretation, die Deleuzes und Guattaris scharfe Aburteilung von Melanie Klein nicht mitträgt, versuche ich vielmehr, die drei von Deleuze und Guattari positiv erwähnten Anschlüsse an Klein um einen (von Deleuze und Guattari nicht mitgetragenen) positiven Anschluss zu erweitern: die Partialobjekte. Die Partialobjekte, die bei Klein Spaltung, Zerstörung, Intro- und Projektion bewirken, bei Deleuze/Guattari jedoch für Konnektion, Disjunktion und Konjunktion stehen, laufen dann nicht mehr auf eine Totalisierung unter dem Zeichen Ödipus’ hinaus, wenn sie unter einem anderen als dem Phallus-Signifikanten stehen. Melanie Klein soll nicht aus der Perspektive von Deleuze und Guattari gedacht werden, vielmehr sollen Deleuze und Guattari aus der Perspektive Melanie Kleins angedeutet und vorbereitet werden. Was lässt sich daraus ableiten für die Filmanalyse? Triangulationen bzw. Struktur-Ödipus lassen sich in ANNA CHRISTIE an der Verschiebung der Paarkonstellationen beobachten. Zu Beginn
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
werden eindeutig decodierbare heterosexuelle, altersgleiche Paare vorgeführt. Im Laufe der Filmhandlung werden auf der latenten Ebene des Films immer mehr Ungewissheiten und negierende Terme eingeführt – dies unter Beibehaltung der Normalpaarkonstellation auf der manifesten Ebene! Beziehungen verschieben sich, gleiten von der Dualität einer Beziehung in eine andere duale oder trianguläre Konstellation. Das starre Personendreieck bricht unter verschiedenartigen Instanzenanlagerungen zusammen, es ›strömt‹. Das Ungleichwerden des Paares durch die Integration des störenden, dritten Terms ist Ausgangspunkt des tendenziellen shifting (Chris, der Vater, setzt sich durch sein Verhalten in die Position des Geliebten, ist aber psychisch in der Sohnposition). Treten Chris und Martha in der Exposition auf, so präsentieren sich die Prostituierte und der Matrose als ein symbolisches Paar. Begegnen sich Martha und Anna in der Hafenkneipe, so trifft die alte auf die junge Prostituierte. Doch schon im Laufe des ersten Gesprächs stellt sich die alte Prostituierte als eine durch ihr Alter asexuell gewordene Frau heraus, damit als eine Nicht-Prostituierte. Und Chris erweist sich nicht als Matrose, sondern als ein greiser Kohlentransportschiffer. Das Aufeinandertreffen von Vater und Tochter ist eher eines von Erzeuger und Waisenkind bzw. von Nicht-Vater und Nicht-Tochter. Der Nicht-mehr-Matrose (Chris) und die Nicht-mehr-Prostituierte (Martha) sind kein Paar mehr und, wie die Verleugnungsszene auf dem Jahrmarkt zeigt, Martha und Anna sind auch nicht Nicht-Stiefmutter und Nicht-Stieftochter. Anna aber ist nicht mehr Prostituierte und noch nicht Bürgerliche; in einem anderen Film könnte das der emphatische Augenblick der Utopie sein. Im Seesturm geraten die Nicht-Prostituierte und Nicht-Tochter Anna und der schiffslose Matrose und hypervirile, kraftlose Mann Matt aneinander. Ein hyperviriler Matrose ohne Schiff und Kraft lässt an Lichtenbergs rhetorische Idealadressierung von Komik denken, die sprachliche Hausnummer für den Witz: »ein Messer ohne Schneide, dem der Griff fehlt«. Werden die Protagonisten durch die Paarkonstellationen zu Witzfiguren? Zumindest tendiert die radikale Reduktion ihrer personalen Identität ins Komische. Die Geliebten Matt und Anna, sind sie Mann – Frau oder doch eher Mutter – Sohn bzw. in der Triangulation durch die Anwesenheit des Vaters, Bruder – Schwester? Der Landgang Annas, der Jahrmarktsbesuch von Anna und Matt, so könnte man argumentieren, führt zurück in die präödipale Phase, die nicht-genitale Sexualität, die dennoch von keinen polymorph-perversen Partialtrieben subvertiert wird. So, oder so ähnlich urteilte man, nähme man den nicht erreichten Ödipuskomplex als zu erfüllendes Ideal. Ödipus als Falschkonzeption zu denken, wie Deleuze
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ÖDIPUS UND ANTI-ÖDIPUS
und Guattari dies taten, hieße, darauf hinweisen, dass das Mädchen im ödipalen Dreieck nicht trianguliert, Matt und Anna kein heterosexuelles Beziehungspaar sind und der dritte Term, der Vater, der ›Triangulator‹ zum Garanten der heterosexuellen Beziehung der beiden wird. Handelt es sich bei Chris und Anna um Vater und Tochter oder doch um Mann und Frau? Sind Chris und Matt Schwiegervater – Schwiegersohn oder durch die psychische Position, die sie einnehmen, kleine Knaben, die sich als Geschwister zerstören wollen? Sind sie die buhlenden Konkurrenten, die Arbeitskollegen (Zukunft), die funktional Gleichen, die Doppelmoralisten, die Versorger, die versorgt werden? Und Anna und die See – ein romantisches Liebespaar voller Begehren von Seiten Annas? Der Film ist neben alledem von abwesenden Paaren, erträumten Konstellationen bestimmt, am stärksten zeigt sich das in der Konstellation ›Anna und ihr Heim‹ (die Bürgerlichkeit). Oder obsiegt am Ende doch: Anna und ihre Liebe, die See? Eine in der Vergangenheit zurückgelassene Bindung ist die zwischen Anna und den Männern, die Bindung der Prostitution. Die See und die Prostitution sind zwei Lebenszeit- bzw. zwei Begehrensformen Annas. Ein Teil der genannten Konfiguration besteht also aus ödipalen Paaren im Sinne einer Virulenz des nicht-gelösten Ödipuskomplexes: Vater und Tochter als Mann und Frau. Andere Paare sind deshalb Paare, weil der Ödipuskomplex erfolgreich untergegangen ist bzw. internalisiert wurde: die Liebe des Mannes zur Frau, weil der Mann als Junge sich erfolgreich mit dem Vater identifizierte und sein Begehren für die Mutter nun in seiner genitalen Sexualität auf ein Begehren für Frauen lenken kann. Mann – Frau als (zukünftige) Vater-Mutter sind »Transmissionsund Exekutionsagenten« (Deleuze/Guattari) für Ödipus. Generationen, ganze Geschlechter-Genealogien sind auf Ödipus gegründet. Die Rhetorik meiner Paarpräsentationen macht es schon deutlich: Es sind durchwegs verhinderte, verschobene, verweigerte Paare. Es handelt sich um Schieflagen und Querverhältnisse bei heterosexuellen Paaren, ohne dass sie queer sein wollten. Demontiert sich hier die Norm der Heterosexualität durch die ödipale Doppelung, auf die sie sich gründet? Nach wie vielen Negationen, könnte man fragen, implodiert endlich die Zuschreibung an eine Figur als positives Konzept? Bis zu welchem Punkt wird die behauptete Attribuierung noch geglaubt? Einige Paarkonstellationen sind von einschließenden Disjunktionen bestimmt, sind Ausdruck von verschiedenen Zeit- oder Seinszuständen. Andere Konstellationen stehen unter dem Diktat struktureller Negationen, sind absolute, ausschließende Negationen. Sprache kennt ausschließende Negationen, nicht aber das Bild, das einschließende Disjunktionen
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
in sich tragen kann. Ein Beispiel: Auf der sprachlichen Ebene wird behauptet, Chris sei Annas Vater, doch der dramatische Ausdruck der buhlenden Konkurrenten ist im Bild zu sehen. Chris und Matt, rechts und links von Anna, die erhöht in der Bildmitte platziert ist, hängen an Annas Arm, zerren an ihr, bis sie sich mit einem Ruck losreißt und durch ihre schreckliche Wahrheitsverkündung die beiden zurückweist. Dieses Bild kennt keine Negation, es ›sagt‹: Ödipus entkommt man nicht, es gibt nicht Nicht-Ödipus. Ödipus und Anti-Ödipus bzw. Schizo, Triangulation und Strömung sind widerstreitende Theoriepaare. Anna Christie kann nicht nur als ödipale Verfestigung, sondern auch als ödipale Verflüchtigung gelesen werden. Wird das Vorödipale, Prägenitale stark gemacht, so können mit der aktiven phallischen Phase des Mädchens, mit dem Weiblichkeitskomplex des Mannes auch Partialobjekte und Polymorph-Perverses ins Interpretations-Spiel kommen, kann der Signifikanten-Status aufgehoben werden, geraten Bezüge ins Gleiten, entstehen Ströme, transversale Kommunikationen. Was Deleuze/Guattari über Prousts Sodom und Gomorra urteilten, die Verschiebung der Geschlechterdifferenz, gilt in gleicher Weise für ANNA CHRISTIE: »Aber mehr noch, dieselbe Geschichte wird von der Liebe überhaupt erzählt. Aus dem statistischen Nebelfleck, dem molaren Gefüge der Lieben zwischen Mann und Frau entfalten sich die beiden verfluchten und schuldigen Reihen, deren zwei wiewohl nicht kongruente Ansichten doch von einer Kastration zeugen: die sich wechselseitig ausschließenden Reihen von Sodom und Gomorra. Doch verbleibt es nicht dabei, da das Pflanzenthema, die Unschuld der Blumen, uns eine weitere Botschaft und einen weiteren Code zuträgt: jeder ist bisexuell, besitzt die beiden, aber in sich abgeschlossenen, nicht-kommunizierenden Geschlechter; der Mann ist nur jener, bei dem der männliche Anteil, die Frau jene, bei der der weibliche Anteil statistisch dominiert. So daß auf der Ebene elementarer Verbindungen mindestens zwei Männer und zwei Frauen eingebracht werden müssen, um jene Vielheit zu konstituieren, in der transversale Kommunikationen, Anschlüsse zwischen Partialobjekten und Strömen entstehen: eine Verbindung eingehen kann der männliche Teil eines Mannes mit dem weiblichen einer Frau ebenso wie mit deren männlichem Teil, und mit dem weiblichen Teil eines Mannes nicht minder als mit dessen männlichem Teil usw. Weil diese Blumen sie nicht zu fassen bekommt, findet hier die Schuld ihr Ende. Der ausschließenden Alternative des ›entweder … oder‹ widersetzt sich das ›sei es‹ der Verbindungen und Permutationen, wo die Differenzen aufs gleiche hinauslaufen, ohne doch aufzuhören, Differenzen zu sein. Wir sind, wissentlich oder nicht, unter statistischem oder molarem Gesichtspunkt heterosexuell, unter personalem homosexuell und schließlich unter ele-
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ÖDIPUS UND ANTI-ÖDIPUS
mentarem, molekularem Gesichtspunkt transsexuell.« (Deleuze/Guattari 2000, S. 89, Hervorhebung H.W.)
Welchen Freiheitsgrad erlaubt das Konzept des Anti-Ödipalen? Kann man mit ihm dem Geschlechteressentialismus entkommen? Dazu MarieLuise Angerer: »Auch bei Deleuze und Guattari erfolgt die Reterritorialisierung, die sich über ein polymorphes Begehren, die Wunschmaschine, spannt, durch die Einteilung in männliche und weibliche Körper.«48
Fazit 2 Wendet man Freuds und Kleins Studien in der (Film-)Analyse an, so bedeutet dies immer auch, ihre Theorieprämissen mitzutragen und Kultursymbole in ihrer arbiträren, wenn auch historischen Festlegung als psychischen Mechanismus zu decodieren. So ist die See Symbol für ein Sexualitätsbegehren nach der Mutter und für Anna Symbol der Mutterbindung. Der Kahn symbolisiert den Mutterleib und, in Freud’scher Perspektive, die Rivalität zwischen Chris und Matt die Herrschaft des Ödipus, das Aussprechen der Kastrationsdrohung im Namen der Autorität, des Gesetzes des Vaters und des (künftigen) Über-Ichs. Kritisch zu hinterfragen ist, inwieweit hier ein Geschlechtersymbolismus (weiter)wirkt, der kulturell tradierte Symbole für die Geschlechterdifferenz fortschreibt und dabei u.a. psychoanalytische Positionen anthropologisch essentialisiert. In der Wahl der Theoriereferenz, der Zurückweisung des Phallus als einzig bedeutendem und bedeutungsgenerierendem Signifikanten schreibt man sich selbst ein in das Feld der kulturell kanonisierten Deutung, vermag lediglich die psychoanalytische Wahrheit durch ihre Pluralisierung zu relativieren und folglich die Wirkungsmacht der Psychoanalyse durch den Aufweis, dass sie ein Mythos ist, zu demontieren. Die prinzipielle Geschlechtereinteilung, -opposition, -trennung wird auch mit Deleuze/Guattari nicht aufgehoben. Im Film ANNA CHRISTIE sind nach wie vor männliche und weibliche Körper zu sehen, und die manifeste Ebene des Films, die innerdiegetische, ist bestimmt von der Herrschaft Ödipus’. Auf der außerdiegetischen, latenten Ebene des Films 48 Angerer, Marie-Luise: »Die Haut ist schneller als das Bild: Der Körper – das Reale – der Affekt«, in: Marie-Luise Angerer/Henry P. Krips (Hg.): Der andere Schauplatz: Psychoanalyse – Kultur – Medien, Wien 2001, S. 184.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
aber macht man unter der sichtbaren und scheinbar evidenten Oberfläche des Films Ströme aus, Verschiebungen, ein shifting in Richtung transversale Anschlüsse der partiellen Triebe, die als Maschinen agieren.
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C.4. M E D I U M
S E X U AL I T Ä T . K U L T U R W I S S E N S C H A F T L I C H E M ED I E N T H E O R I E : R Y U M U R A K A M I S TOKIO DEKADENZ UN D
»Eine 22jährige Prostituierte in Tokio läßt sich auf die sado-masochistischen Fantasien ihrer Kunden ein und beobachtet ebenso verstört wie verwundert das, was die Männer ihr und sich selbst zufügen. Eine filmische Odyssee durch ein perverses ›Wunderland‹ geheimer Triebe, die in einer gefühlskalten japanischen Wirklichkeit ihre versteckten Nischen finden. […] Verletzt an Körper und Seele, erniedrigt im sadomasochistischen ›Spiel‹, ist sie dennoch nicht unbedingt Opfer, sondern zugleich stets auch Beobachterin der Männer, die sie kaufen, sowie auch ihrer selbst.«1
Bei Filmen mit erotischen oder sexuellen Darstellungen liegt der Verdacht der Eigenbeobachtung durch Fremdbeobachtung nahe – sei es die Eigenbeobachtung der Protagonistin in Bezug auf andere Filmfiguren, sei es die Eigenbeobachtung des Zuschauenden in Bezug auf den Film. Das Herausstellen der gefühlskalten japanischen Wirklichkeit bestätigt die Legitimation, die in der Diegese von TOKIO DEKADENZ angeboten wird2. Verschiedenste Freier äußern – für Filme des Sujets Prostitution ist das eher ungewöhnlich – in harmonischer Einigkeit mit den Prostituierten, die kapitalistische Entwürdigung Japans habe Prostituierte 1
2
Kroll, Hans-Peter: »Tokio Dekadenz«, in: film-dienst Nr. 15/1993, S. 25, Kritik-Nr: 30351. Rezension von: TOKIO DEKADENZ [TOKYO DECADENCE TOPAZ], J 1991, Regie, Ausstattung, Produktion, Buch (nach seinem Erzählband »Topaz«): Ryu Murakami, Ausführender Produzent: Hidenori Taga, produziert von: Aikoh Suzuki, Tadanobu Hiroa, Yousuke Nagata, Co-Produzent: Chosei Funhara, Kamera: Tadesh Aoki, Schnitt: Kazuki Katashima, Musik: Ryuichi Sakamoto, Ton: Masami Usui, Akihiko Suzuki, Besetzung: Ai: Miho Nikaido; Saki: Sayoko Amano, 35mm, Farbe, 85 Min. Preise: Taormina Filmfestival 1992, Preis für die beste Regie, Internationale Filmfestspiele Berlin 1992, (Aufnahme in die Sektion) Panorama, deutscher Kinostart: 29. Juli 1993. Auch Silvia Hallensleben stellt dies in ihrer Rezension heraus. Vgl. Hallensleben 1993.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
wie Freier in den Sadismus und Masochismus getrieben. Prostitution dient offenkundig als Metapher für Gesellschaftskritik3, als Inbegriff kapitalistischer Perversion. Die Prostituierte wird zu einer Figur der Kritik an der Gesellschaft, wird zur Figuration des Problems Kapitalismus, und indirekt wird sie zu einer Figur, die – ex negativo – ein Plädoyer für Menschlichkeit darstellt. Sie ist dabei zugleich Opfer des ›Systems‹ und dessen Bewahrerin. Kroll hebt die Beobachterposition der Protagonistin hervor. In diesem Film, der Zuschauer/-innen durch die »drastisch ausgespielten Sexszenen« (ebd.) zu Beobachtern, ja zu Voyeuren4 macht, wird Voyeurismus als sexuelle Perversion thematisch. Der Unterschied zwischen Voyeurismus als Metapher des medial bedingten Blickens und Voyeurismus im sexualwissenschaftlichen Sinne besteht darin, dass im letzteren Falle die sexuelle Handlung durch das Blicken ersetzt wird, sexuelle Erregung ausschließlich durch Beobachtung entsteht.5 Der entscheidende Unterschied liegt in der Normalitätsannahme hier, der Devianzannahme dort. Der voyeuristische Filmgenuss ist nicht problematisch, der Voyeurismus der Sexualpraxis dagegen erscheint als deviant, ja empörend. Die mit dem Sujet Prostitution mögliche, ja eigentlich erwartete Position des Ausstellens der Einseitigkeit des sexuellen Genießens wird in Ryu Murakamis Film in die Radikalität getrieben. Bei ihm kennt sexuelles Erleben immer eine/n Ausgeschlossene/n – wie in den dreifach vorhandenen 3er-Nummern. Oder die Einseitigkeit wird, wie in den zweifach inszenierten Zweiernummern, hervorgehoben durch die Art des sexuellen Genusses. So korrespondieren auffällig oft angeordnete Mastur-
3 4
5
Vgl. Seeßlen 1996, S. 258f. Die männliche Form ›Voyeure‹ kann in diesem Falle nicht einfach durch die weibliche Form ›Voyeurinnen‹ ergänzt werden, da die klassisch psychoanalytische Figur des Voyeurs geschlechtsspezifisch auf die männliche Position festgelegt ist. Die sich daraus ergebende Frage nach der weiblichen Zuschauerposition kann hier nicht erörtert werden. Feministische Filmtheorie hat sich eingehend damit auseinandergesetzt. Vgl. z.B.: Doane (1982) 2003, S. 60-72. Haben Filme den Effekt einer Erregungssteigerung bei Rezipienten, so ist – im sexualwissenschaftlichen Sinne – eher die Skopophilie im Spiel. Diesen Terminus legte Laura Mulvey ihrer Erörterung der männlichen Zuschauerposition in »Visuelle Lust und narratives Kino« zu Grunde. Vgl. Mulvey (1975) 1980, S. 30-46.
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bation (Spiegelszene)6 bzw. Befriedigung durch Dritte (›Schildkrötengesicht‹-Szene)7 mit einem voyeuristisch begründeten Genuss. Dies geschieht jedoch nicht in harmonischer Gegenläufigkeit, die jeden bzw. jede nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden ließe, sondern diese Szenen sind – bezeichnenderweise und programmatisch – durch emotionale Erlebnisse oder psychische Zustände gekennzeichnet wie Scham oder Demütigung. Sie machen aus der – aus einer möglichen Libertin-Einstellung heraus gesehen – wertneutralen bzw. angestrebten Einseitigkeit des sexuellen Genießens eine Verletzung, einen menschenverachtenden Akt. TOKIO DEKADENZ ist ein dem japanischen Autorenkino zuzurechnender Film, der in seine Struktur den pornographischen Film reflexiv mit aufnimmt. Die fünf im Film präsentierten Sex-Nummern, die die Prostituierte Ai in wechselnden Konstellationen und Stellungen ausführt, alternieren mit Sequenzen, die eben diese Protagonistin als psychologische Figur in Nicht-Arbeitsphasen, in privaten Momenten zeigt. Der Film zeigt verschiedenste Sexualitätsformen, emotionale Erlebnisse und psychische Zustände. Die Medialisierung von Sex, die der Film überdeutlich herausstellt, entsteht in den einzelnen Sequenzen bzw. Subsequenzen, die durch je ein anderes Arrangement in der Sexualitätsinszenierung bestimmt sind, durch spezifische Bildmedien wie Fenster, Spiegel, Dias. Die interesseleitende Frage ist die nach dem im Film präsentierten Zusammenhang von Bildmedien und Sexualitätsformen. Die Beschreibung und Interpretation von zwei ausgewählten Sex-Szenen soll dieses Verhältnis von Medialität und Sexualität im Film TOKYO DEKADENZ verdeutlichen.
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In einer Sex-Nummer weist der Freier die Prostituierte Ai an, deren Hände und Füße er gefesselt und durch einen Strick, der ihr einen Vibrator in die Scheide drückt, miteinander verbunden hat, sich durch das Abstoßen ihres Pos, das ihr den Vibrator weiter in die Scheide schiebt, am Spiegel selbst zu befriedigen. In dieser Dreier-Nummer verlangt ein Freier (genannt ›Schildkrötengesicht‹), dass Ai durch eine andere Prostituierte klitoral befriedigt wird und er dabei zusieht. Anschließend demütigt die Domina-Prostituierte den Devoten.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
C . 4 . 1 . M e d i a l e S ex u a l i tä t I : S e h e n Erstens: Nicht-sehen-Können Wer beobachtet wen und durch welches Medium? Die Sex-Nummer, die den Film, der als erotisches Drama angekündigt ist, eröffnet, setzt in der Eingangsszene, noch bevor Filmtitel und Stabangaben den Vorspann abschließen, die radikalste Form aller Einseitigkeiten. Ai, die zweiundzwanzigjährige Protagonistin, wird durch Drogen, die man ihr gegen ihren Willen spritzt, in einen anderen Bewusstseinszustand, wenn nicht gar – so suggeriert es ihr Erwachen – in die Bewusstlosigkeit versetzt. Gefesselt, bewegungslos gemacht, liegt sie auf einer Art Gynäkologenstuhl für die Lustpraxis und erfährt einen gewaltsamen Sinnenentzug nach dem anderen. Zuerst werden ihr Hände und Beine gefesselt, eine Augenbinde lässt sie nicht mehr sehen, und ein Mundknebel verhindert nicht nur eine sprachliche, sondern jedwede lautliche Äußerung. Ai, bewegungslos und blind gemacht, hat nur noch den Hörsinn, um sich zu orientieren. Sie hört ein Geräusch, bekommt Angst und vermutet, dass ihr eine Spritze gesetzt wird. Was sie hört, könnte lebensbedrohlich sein. Sie vernimmt die Todesdrohung, und es folgt eine langsame Abblende ins Schwarz. Was wirklich geschieht, wird nicht gezeigt. Die nächste Einstellung ist eine frontale Nahaufnahme von Ais Gesicht, nachdem ihr die Knebel abgenommen wurden. Ai befindet sich in einem Zustand des Schocks.
Abbildung 13: Ai (Miho Nikaido) bei einem Freier Während der ersten – nicht gezeigten – Sex-Nummer des Films, die zu phantasieren den Zuschauer/-innen überlassen wird, kann sich die Prota266
MEDIUM UND SEXUALITÄT
gonistin also nicht bewegen, nichts sehen, nicht sprechen und entweder gar nichts mehr empfinden, oder sie hat eine durch Drogen bewusstseinsverzerrende Wahrnehmung dessen, was sie spürt. Es wird ihr jegliche Empfindungsmöglichkeit – wie in einem medizinisch-sterilen Operationseingriff – genommen. Die Einseitigkeit des Empfangens oder Erleidens von sexuellen Handlungen, die an ihr vollzogen werden, das Spüren von zärtlichen oder gewaltsamen Berührungen, ohne dass sie den Freier durch ihr Handeln empfinden lassen könnte, wird im Falle der Bewusstlosigkeit gesteigert in die einseitige Empfindungsmöglichkeit seitens des Freiers. Nur der Freier kann sie und sich selbst spüren. Im Falle von Wahrnehmung unter Drogen handelte es sich um das Abschneiden aller Möglichkeit, die empfangenen Berührungen auf den Anderen zurechnen zu können. Der Genuss des Freiers muss also in der totalen Objektwerdung der Prostituierten bzw. einer Bewusstseinsausschaltung seines Lustobjekts liegen. Der Zustand der Prostituierten Ai nach ihrer Fesselung und Vergewaltigung bei Sinnen- und Bewusstseinsentzug wird in einem close up des Gesichts verdeutlicht. Es ist die erste Naheinstellung des Gesichts der Protagonistin.
Abbildung 14: Ai (Miho Nikaido) nach der ersten (nicht gezeigten) Sex-Nummer Diese Naheinstellung, die auf Plakaten und in den Werbephotos zum Film als Titelbild verwandt wird, fungiert als film still, als stillgestellte Quintessenz der Narration. Und damit wird zugleich die den Film tragende Konstruktion etabliert: Ai kann die Sexualpraxis des Sadismus bzw. des Masochismus psychisch nicht mittragen – ihr Schockzustand zeigt dies.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
Die Parallelisierung von Protagonistin und Filmzuschauer/in ist evident. Die Protagonistin wird auf der diegetischen Ebene in einen Zustand des Nicht-mehr-sehen-Könnens versetzt, die Filmkonstruktion parallelisiert die diegetische Ebene mit der außerdiegetischen und setzt eine Abblende als Sequenzabschluss, wodurch nun die Zuschauer/-innen, analog zur Protagonistin, in den Zustand des Nicht-mehr-sehen-Könnens versetzt werden. Der Zustand des Im-Kino-Seins wird vom Film auf die Zuschauenden zurückgespiegelt. Der Sinnenentzug der Protagonistin wird thematisiert als mediale Situation – durch die exhaustive Erweiterung des Sehsinns8 in der Filmrezeption, durch das Hören-Können und zugleich durch die eingeschränkte Motilität9 im Kino, die Nicht-Aktivität des Tastens, Schmeckens, Riechens. Der Film ist also von Anfang an durch die Thematisierung des kinematographischen Dispositivs, das er den Zuschauer/innen vor Augen führt, selbstreflexiv. Mit Lorenz Engell und Oliver Fahle könnte man sagen, dass »die kinematographische Maschinerie (technischer Apparat, Wahrnehmungsapparat, Denkapparat) mit dem Film einen Modus produziert, in dem die Welt sich selbst beobachtet und sich selbst denkt. Der Film steht innerhalb der Welt, aber er stellt sie nicht dar, sondern her, und zwar so, daß die filmische Beobachtung und der filmische Gedanke Teil des Beobachteten und Bedachten selbst werden.«10 8
Vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995. 9 Der Begriff Motilität wurde von Paul Virilio in die medientheoretische Diskussion eingebracht. Vgl. Virilio 1978 u. Virilio 1993: »Das Auslöschen des unmittelbar Gegenwärtigen setzt damit notwendig die Beseitigung der Mobilität des Fernsehzuschauers im Raum zugunsten einer schlichten Motilität auf der Stelle voraus, die weniger einen ›Präsenten‹ als einen ›Patienten‹ isoliert: er wird von der aktiven sinnlichen Erfahrung des ihn umgebenden Raums endgültig abgeschottet und stattdessen allein auf die wiederkehrenden Bildwelten verwiesen.« (Virilio 1993, S. 58, Hervorhebung im Original) Die im Folgenden genannten Begriffe bzw. Schlagwörter eröffnen Bezüge des spezifischen Films, hier TOKIO DEKADENZ, zu medientheoretischen Aspektierungen, in denen der Film ebenso gut thematisiert werden könnte. Dieses sehr spannende Forschungsgebiet wird hier nicht behandelt. 10 Engell, Lorenz u. Fahle, Oliver: »Film-Philosophie. Filmanalyse: WINTERSCHLÄFER«, in: Moderne Film Theorie, hg. v. Jürgen Felix; Mainz: Bender-Verlag 2003 [2. Aufl.], S. 222. Engell/Fahle erörtern Gilles Deleuzes Kino-Theorie und schrieben ihr eine filmphilosophische Grundlegung zu.
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Die mediale Verfasstheit des Mediums Kino wird in der Filmnarration thematisch. Dies ist ein Bezug, der in film- und medientheoretischer Erörterung der Ästhetik von TOKIO DEKADENZ auszumachen ist. Im Folgenden liegt mein Fokus auf der filmwissenschaftlichen Erörterung der im Film verwandten Medien, ihres Verhältnisses in und zur Sexualitätsinszenierung.
Zweitens: Sehen-Können Die zweite Sex-Nummer des Films – die erste, die explizit Sexualpraxis zeigt – ist von einer raffinierten Inszenierung des Sexuellen bestimmt. Der Freier, der Ai in einem Tokyoter Hotel empfängt, lässt sie zu seiner Stimulation einen Striptease aufführen. Die in Korsett und Tangaslip gekleidete Sex-Professionelle muss sich, das Gesicht der Fensterscheibe zugewandt, auf eine breite Fensterbank vor eine riesige Fensterfront stellen, den Po dem Freier entgegengestrecken.
Abbildung 15: Ai (Mihi Nikaido) bei einer Striptease-Performance Ai wird auf der erhöhten Fensterbank, die als Podest für ihren Auftritt dient, in grelles Scheinwerferlicht gesetzt. Mit zunehmender Dunkelheit – die Lichtverhältnisse suggerieren, dass diese Striptease-Performance am frühen Nachmittag anfängt und bis in die Abendstunden geht – entsteht ein starker Kontrast zwischen der Dunkelheit außen und dem starken Licht innen. Der Freier setzt sich mit Zigarette, Bier und Sonnenbrille ihr gegenüber in einen Sessel und gibt harsche Anweisungen, wie die Strip-Nummer auszuführen sei. Mit gespreizten Beinen und nach oben erhobenen, am Fenster abgestützten Armen hat sich Ai an die Fenster-
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scheibe zu drücken und langsam und mehrfach wiederholt den Riemen ihres String-Tangas über das sich langsam hin und her bewegende Becken und den Po zu schieben. Der Freier, unzufrieden mit der Performance, zwingt sie den Strip aber- und abermals zu wiederholen, solange bis er den Eindruck hat, Ai biete ihm nicht die Show einer professionellen Prostituierten, die dem Freier Erregung vorspielt, sondern bis sie selbst – Stunden später und vor Schweiß triefend – sexuell erregt ist. In dem Moment drückt er seine Zigarette aus, stellt das Bier zur Seite, nimmt die Sonnenbrille ab und erhebt sich aus seinem Sessel. Er geht auf Ai zu, sagt ihr, dass sie möchte, dass er sie anfasse. Er lässt sie immer wieder den Satz »Ich bin eine dreckige, geile Geschäftsfrau« sagen und greift ihr einmal gezielt und kräftig zwischen die Beine. Ai zuckt zusammen, rutscht die Fensterscheibe herunter, klappt zusammen. Sie scheint zu weinen, und er nimmt sie tröstend in die Arme. In der anschließenden kurzen Unterbrechung bis zur nächsten Sex-Nummer unterhalten sich der Freier und Ai über ihre ›innersten Lebensweisheiten‹. Während Ai offenbart: »Ich habe keinerlei Begabung«, gibt er von sich preis: »Ich bin ein Dreckskerl.« Die Sequenz endet mit einem Wechsel von einer Sex-Nummer zur inneren Lebensweisheit. Er widerspricht der von ihr ausgesprochenen Selbstcharakterisierung und verabschiedet sie mit den Worten: »Hör mal, glaub nicht, dass du keine Begabung hast. Das denkst du nur, um eine Ausrede vor dir selbst zu haben.« In welchem Verhältnis stehen in TOKIO DEKADENZ die Wahrheit über sich selbst und die Wahrheit des Sex? Kann der Sex Wahrheit enthüllen, und, wenn ja, welche Wahrheit enthüllt der Sex?
Sexualität und Wahrheit Sexualität und Wahrheit ist in der Geschichte der Sexualität ein Nexus, den Michel Foucault in Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit herausgestellt hat. Wie stellt sich in Foucaults ›Geschichte der Sexualität‹11 die Prostitution dar, und wie ordnet sich Prostitution heute ein in »die Kreise der Produktion« (Foucault 1991, S. 12)? Der erste Band der Geschichte der Sexualität, jener Band also, der die berühmt gewordene Begründung der Ablehnung der Repressionshypothese 1976 erstmalig darlegte, setzt die Etablierung des Verhältnis11 Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit. Bd. 1: Der Wille zum Wissen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988 [zit. n. d. Aufl. v. 1991]. Im französischen Original heißt die dreibändige Buchreihe Histoire de la sexualité, ins Deutsche wurde die Buchreihe mit Sexualität und Wahrheit übersetzt.
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ses von Geld und wildem Sex als Argument der Repressionshypothetiker an den Beginn einer Ökonomisierung des Sex, verbunden mit einer Diskursivierung des Sex. »Doch wenn man schon den gesetzwidrigen Sexualitäten einen Platz gewähren muß, so sollen sie ihren Lärm dort machen, wo sie, wenn schon nicht in die Kreise der Produktion, so wenigstens in die des Profits wieder eingegliedert sind. Das Bordell und die Klinik werden diese Stätten der Toleranz sein: es scheint, als hätten die Prostituierte, ihr Kunde und der Zuhälter, der Psychiater und seine Hysterische – diese ›anderen Viktorianer‹, wie Steven Marcus sagen würde – die Lust, von der man spricht, verstohlen in die Ordnung jener Dinge überführt, die sich bezahlt machen; erst genehmigt man heimlich die Wörter und Gesten, dann tauscht man sie zu hohen Preisen. Allein auf diesen Inseln, so heißt es, hat der wilde Sex noch ein Recht auf Realisierungen und auf heimliche, eng umschriebene und codierte Typen von Diskursen, während überall sonst der moderne Puritanismus seine dreifache Verfügung von Untersagung, Nicht-Existenz und Schweigen durchgesetzt hat.« (Foucault 1991, S. 12f.)
Heute haben sich die »heimlichen, eng umschriebenen und codierten Typen von Diskursen« tausendfach potenziert, sind laut, öffentlich und weit geworden. Nicht nur Prostitution, auch das Reden über Prostitution macht sich bezahlt. Das Recht aber, wilden Sex zu realisieren, hat die Domäne der Prostitution längst verlassen; nichtsdestotrotz wird die Sichtweise auf das Bordell als Stätte der Toleranz nicht aufgegeben12. Die Verwalter des prostitutiven Sex gerieren sich als mutige Avantgardisten, die gegen die Unterdrückung des Sex im Namen der Macht, der bürgerlichen oder patriarchalen Ideologie kämpfen13. Die Prostitutionslegitimierung, die Konnotation von Prostitution mit Freiheit, Utopie, Revolution, folgt noch immer den Argumenten der Repressionshypothetiker
12 Einexemplarischer Aufweis findet sich – ex negativo – in Kapitel A.4., in Heide Schlüpmanns kritischem Kommentar über den Pabst-Film TAGEBUCH EINER VERLORENEN, (D 1929), in dem sie schreibt, dass das Bordell eine Stätte sei, wo der Lust ihr Recht verschafft wird, die Male der Repression aber geblieben seien. 13 Auch hier nur ein ganz kursorischer Verweis auf den innerfilmischen Legitimationsdiskurs: Die Erwiderung Carmens auf die Vorwürfe ihres Ehemannes in DIE FLAMBIERTE FRAU (BRD 1983), Regie: Robert van Ackeren, zeugen von solch einem utopisch-revolutionären Gestus, der sich auf das Befreiungspotential, das Prostitution in sich trage, stützt. Vgl. Kapitel C.2.
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und inzwischen auch -hypothetikerinnen14. Dies ist ein ganz wesentlicher Bestandteil im dramaturgischen Grundmuster der ›Prostituiertenfilme‹. Lust und Ökonomie gehen heute eine Verbindung ein, die die Überführung des Sex »in die Ordnung jener Dinge, die sich bezahlt machen«, schon längst vom Bordell und der Klinik auf andere Sexualitätsformen und Sexualitätsdiskursivierungen ausgeweitet hat. Produktion und Profit sind keine getrennten Sphären mehr. Wenn früher Sex unvereinbar gewesen sei mit einer Arbeitsordnung, so die Repressionshypothetiker, wird heute der Sex in einer Arbeitsordnung bzw. als ökonomische Tauschwertrelation aufgefasst15. Wie im nicht-prostitutiven Sex ist auch im Falle der Prostitution der Sex nicht durch einen einseitigen Mechanismus von Unterdrückung und Machterhalt bestimmt. Das Zurückweisen der Repressionshypothese läuft den ökonomischen Interessen entgegen; Sex als unterdrückt zu bezeichnen, gehört zum Erhalt des Machtsystems. Prostitution ist vielmehr Teil in einer allgemeinen Ökonomie der Diskurse über den Sex. »Daher kommt es uns (zumindest in erster Linie) nicht so sehr darauf an zu wissen, ob man nun Ja oder Nein zum Sex sagt, ob man Verbote oder Erlaubnisse ausspricht, ob man seine Bedeutung bejaht oder aber seine Wirkungen verleugnet, ob man die Worte, mit denen man ihn bezeichnet, zügelt oder nicht; vielmehr interessiert uns, daß man davon spricht, wer davon spricht, interessieren uns die Orte und Gesichtspunkte, von denen aus man spricht, die Institutionen, die zum Sprechen anreizen und das Gesagte speichern und verbreiten, kurz die globale ›diskursive Tatsache‹, die ›Diskursivierung‹ des Sexes. Daher wird es darauf ankommen zu wissen, in welchen Formen, durch welche Kanäle und entlang welcher Diskurse die Macht es schafft, bis in die winzigsten und individuellsten Verhaltensweisen vorzudringen, welche Wege es ihr erlauben, die seltenen und unscheinbaren Formen der Lust zu erreichen und auf welche Weise sie die alltägliche Lust durchdringt und kontrolliert – und das alles mit Wir14 Vgl. Domentat, Tamara: »Laß dich verwöhnen«. Prostitution in Deutschland; Berlin: Aufbau-Verlag 2003. 15 Am offenkundigsten wird dies in der Arbeit des Verdi-Gewerkschaftsvertreters, der, nachdem nun in der BRD Prostitution als Beruf anerkannt ist, zusammen mit Vertreterinnen von Hurenverbänden (Selbstbezeichnung der darin Zusammengeschlossenen) Arbeitsverträge formuliert, die zwischen BordellbetreiberIn und Prostituierter abgeschlossen werden können. Die Arbeitsverträge sichern den Prostituierten, unabhängig von der tatsächlichen Freierabwicklung, ein Grundsalaire, das die Basis abgibt für die Besteuerung, für Rentenversicherungsbeiträge etc. In diesem Vertragsentwurf werden die sexuellen Handlungen schriftlich fixiert, die die Prostituierte als Dienstleistung anzubieten hat.
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kungen, die als Verweigerung, Absperrung und Disqualifizierung auftreten können, aber auch als Anreizung und Intensivierung; kurz, man muß die ›polymorphen Techniken der Macht‹ erforschen.« (Foucault 1991, S. 21f., Hervorhebung im Original)
Nachdem die Repressionshypothese im Wissenschaftsdiskurs16 obsolet geworden ist, kann das Sprechen über Sexualität keine Überschreitung mehr sein, keine Antizipation künftiger Freiheit, sondern es reiht sich ein in die Verwaltung des Sex – u.a. als Erforschung jener »polymorphen Techniken der Macht«. Foucaults Bezeichnung für Machtstrukturen enthält in ironischer Verkehrung das bekannte Freud-Epitheton für die Strukturen des Es: »polymorph-pervers«. Die Gender Studies selbst stehen im Fokus dessen, was Foucault als ›Wirkungsbereich der Macht‹ erfasst, und sie unterliegen seinen Funktionsmechanismen, sind Teil der ›diskursiven Gärung‹. »Das Wesentliche aber ist die Vermehrung der Diskurse über den Sex, die im Wirkungsbereich der Macht selbst stattfindet: institutioneller Anreiz, über den Sex zu sprechen; von ihm sprechen zu hören und ihn zum Sprechen zu bringen in ausführlicher Erörterung und endloser Detailanhäufung.« (Foucault 1991, S. 28)
Kritisch zu hinterfragen ist hierbei, inwieweit die These der feministischen Theorie, die in der Prostitution ein Herrschaftsverhältnis des männlichen über das weibliche Geschlecht sieht17, die Rhetorik und die Argumente der Repressionshyphothetiker/-innen bedient, dabei den Diskurs des Sex auf den der Geschlechterverhältnisse verschiebt. Die Aneignung des Sex durch Frauen ist evident18, die Verwaltung des Sex in der wissenschaftlichen Diskursivierung durch die feministische Theorie 16 Meine Beobachtung gibt die Tendenz in den Kulturwissenschaften wieder. Man könnte hingegen in den Definitionsversuchen einiger Soziologen/innen, die für die Bezeichnung Prostitution zwei Bedingungen nennen, Kapitalismus und Großstadtbildung, noch heute den Widerhall der Repressionshypothetiker ausmachen, die den Beginn der Sexualitätsrepression in die Anfänge des Kapitalismus verlagern. 17 Dieses Bild zeichnet Drucilla Cornell (vgl. Cornell 1998 u. Kapitel B.2) vom feministischen Prostitutionsdiskurs. 18 Mit dem Hinweis, Frauen hätten ein Recht ihre Sexualität frei zu leben, wird die Präsentation von Sexualität im öffentlichen Diskurs gerechtfertigt. So werden zum Beispiel Erotikmagazine im Fernsehen von Frauen moderiert.
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und die Geschlechterstudien liegt meist in den Händen von Frauen bzw. ist – um es nicht direkt zu personalisieren – vom Gedankengut der kulturellen Weiblichkeit durchdrungen. Im Feminismus wurde die (Fremd-)Bestimmung der Sexualität durch Männerinteressen hervorgehoben. ›Prostitutionsfilme‹ können zum einen der Repressionshypothese Argumente liefern, können aber auch die endgültige Trennung von Revolution und Lust zeigen, den Mythos vom Sex, der die Wahrheit enthülle, demontieren. Enthüllt in TOKIO DEKADENZ der Sex die Wahrheit? In der ersten – nicht gezeigten – Sex-Nummer des Filmes, in der Ai wie in einer naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung19 systematisch ihrer Sinne beraubt wird außer dem Hörsinn, spricht der Freier – mehr zu sich selbst als zu ihr. Indem er von ihr als der »süßen, reinen Jungfrau« spricht, die Studentinnen als Huren beschimpft und die ›Hure‹ zur Unschuldigen macht, also das Verhältnis von good girls und bad girls umdreht, spricht er seine ›Lebensweisheit‹ aus. Die Alltagsdialektik im Kopf eines Freiers: Nur die ›Hure‹ sei die wahrhaft Unschuldige, die Studentinnen dagegen, die erst mit allen Kommilitonen ins Bett gingen und dann im Hafen der Ehe landeten, seien verdorben. Was der Film der Freierfigur als ›Wahrheit‹ in den Mund legt, soll die Prostituiertenfigur, ihr Sex, verkörpern. Ais Sex soll die männliche Projektion von Wahrheit authentifizieren. Diese ›Lebensweisheit‹ ist zugleich ein Text, der den Freier stimuliert, in sexuelle Handlung übergeht, sie nicht nur rationalisiert. Die Rezipierenden verstehen die Äußerungen des Freiers – eine offenkundige Umkehrung der gewohnten Zuschreibung – als Projektion auf Ai. Invertiert, umgekehrt, verdreht ist für den Freier das wahre Sein – und die ›Hure‹ dessen reine Repräsentation. Die Ehefrauen aber erscheinen als die eigentlichen ›Huren‹. Die verschiebende Projektion zeigt den Freier als Psycho-Freak. Die Rezeption kann den schockierenden, problematischen Sex, die gewaltsame Objektwerdung der Prostituierten rationalisieren als Folge einer problematischen Psyche. Auch in der zweiten Sex-Nummer in TOKIO DEKADENZ, die sich an der Fensterfront abspielt, sind für die weibliche Hauptfigur Ai Lebensweisheit und Sex getrennt, für die männliche Hauptfigur dieser Szene 19 Die naturwissenschaftliche Versuchsanordnung im Arrangement des Sex, die mathematischen Kombinationsmöglichkeiten in der Sexualität, sind bei wissenschaftlichen Erörterungen zu de Sades Justine immer wieder hervorgehoben worden.
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hingegen stehen die Wahrheit des Lebens und die Wahrheit des Sex wiederum in einem Inversionsverhältnis zueinander – sind so einander absolut richtig zugeordnet. Auf der Dialogebene korrelieren sexuell stimulierende Sätze und Sätze über Selbsterkenntnis und Lebenswahrheit. Dialogfetzen, die vorgesprochen und nachgesprochen werden (»Ich bin eine dreckige, geile Geschäftsfrau«), agieren die Phantasie aus, erregen, demütigen und werden zum Spielmaterial der Sexualpraxis. Die Sätze, in denen ›die Wahrheit über sich selbst‹ ausgesprochen werden muss, unterteilen die Sequenz in zwei große Subsequenzen, bilden die Zäsur zwischen den zwei großen Sex-Nummern dieses Films. Natürlich enthüllt Ai nicht die ›Wahrheit über sich selbst‹ im Sex, es enthüllen sich in den Sätzen, die ihr diktiert, ›zugedacht‹ werden, die Wahrheiten über das Innerste der Freier. Diese Wahrheiten sollen sich angeblich in Ais Sex offenbaren. Der Sex der Frau, ihr Geschlecht wie ihre Sexualität, ihre körperliche und seelische Anstrengung sind dabei nur Vehikel. Ais Lebensweisheit ist nicht eine Reflexion ihrer sexuellen Praktik. Ihre Sexualität verweist nicht auf ihre Psyche. Ihre Wahrheit des Lebens wird nicht vermittelt durch die Wahrheit, die der Sex enthülle. Die Trennung beider wird ausgestellt und mag zeigen, dass es keine Wahrheit gibt, die durch den Sex enthüllt werden kann. Welche anderen diskursiven Kräfte tragen dann zum Verständnis von Sexualität bei? Um auf diese Frage zu antworten, möchte ich die Wirkung von Medien auf oder vielmehr in den sie Rezipierenden thematisieren und herausstellen, dass Medientechnologien ein Teil der Selbsttechnologie werden20. Medien spielen auch eine zentrale Rolle im Dispositiv der Macht, es gibt keine befriedigende Erklärung der Macht, der sich verschiebenden Kräfteverhältnisse, ohne die Reflexion der Relevanz der Medien. Macht zeigt sich nicht nur in der Verfügungsgewalt über Medien, sie ist vor allem als eine Inkorporierung medialer Funktionsweisen zu denken. Macht im Sinne eines medialen Dispositivs zu begreifen, bedeutet zum einen, in der Filmnarration nach der entfalteten Medien-Macht-Konstruktion zu fragen. Es bedeutet auch, auf den neueren Diskurs über Sexualität, auf Sexualität als ästhetische Repräsentation zu reflektieren. Und auch Geschichte wird auf andere Art und Weise verständlich, ist man sich der 20 Diese Position vertritt Teresa de Lauretis in: De Lauretis, Teresa: Technologies of gender: essays on theory, film, and fiction; Bloomington: Indiana University Press 1987.
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Medien-Effekte als Macht ausübende Effekte auf die Subjekte bewusst. Deshalb möchte ich noch einmal einen Blick werfen auf die eben beschriebene Szene, um sie auf diesem Hintergrund zu reflektieren.
Drittens: Sehen-Lassen In der zweiten Sex-Nummer des Films ist die im durchgestylten Sexdress drapierte Prostituierte wie eine bewegliche Schaufensterpuppe ins Fenster gestellt, ausgestellt, an die begrenzende durchsichtige Außenwand des Appartements dirigiert, in eine Rahmung eingelassen. Diese Inszenierung macht sie zum Bild im Bild. Das nächtlich blaue Tokio, das in der Eingangssequenz gezeigt wurde, bildet die ausgeschlossene Welt, auf die Ai und die Zuschauer/-innen mit ihr blicken. Das Außen ist hier jedoch nicht das ausgeschlossene Andere, die Transparenz des Mediums Fenster, des Mittlers des Sichtbarkeit, bewirkt vielmehr die visuelle Anwesenheit der Außenwelt.
Abbildung 16: Ai (Miho Nikaido) vor der Kulisse Tokios Der Tiefengrund des Bildes, von dem sich Ais Körper abhebt, schafft und verbindet Raumsphären, scheidet und vereinigt das Innen und das Außen. Dieses Außen, ein eingeschlossenes Anderes, bleibt als Bedingung der Szenen innen stets präsent. Die Metropole als stillgestelltes Bild des Menschenameisenhaufens blickt auf die halbnackte Ai, jedenfalls können das die Zuschauer/-innen als Möglichkeit assoziieren – für den Blick von Außen ist sie eine Exhibitionistin, nicht die Spielfigur des Freiers. Die mögliche Wahrnehmung der Sex-Szene durch die Stadtbewohner/-innen draußen ist der Grund für das Raumarrangement, das zur
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Sexualitätsbedingung wird, das Raumarrangement aber ist umgekehrt der Grund für das Sexarrangement. Die im Film konstruierte Raumkonstellation ist die Konstruktion von Medienkonsum. Der Freier ist auf der einen Seite platziert, seine voyeuristischen Blicke werden von der Kamera als Perspektive übernommen, womit auch die Zuschauenden zu Voyeuren werden. Auf der anderen Seite aber stehen, wie die Zuschauenden annehmen müssen, die Tokyoter Passanten – Voyeure wider Willen. Das langsame rhythmische Beckenkreisen, das Ai ausführt, während sie den Riemen ihres Tangaslips über ihre – durch hohe Stöckelschuhe und eine Körperstellung mit starkem Hohlkreuz bewirkt – ausladende Hüfte und ihr weit herausgestrecktes Becken schiebt, kann – wie im Softpornoszenarium üblich – als ihre Masturbationsbewegung, als ihre Erregung gedeutet werden. Gleichzeitig leistet diese Szenerie, was der Freier im Auge hat: männlich-voyeuristische Sexualitätsbefriedigung. Die Ambivalenz dieser Filmhandlung, Ais eigenes Erregt-Sein bedeuten zu können oder in der Szene eine Frau zu sehen, die physisch und psychisch am Ende ihrer Kräfte ist, die Strapazen dieser stundenlangen StripteasePerformance erleidet, ist nicht einmal vereindeutigt, als der Freier Ai seine Finger in die Scheide schiebt und Ai zusammenbricht. Dies kann als Triumph des Freiers gedeutet werden, Triumph über die Demütigung der Prostituierten, die gezwungen wurde, die professionell simulierte Sexualität zu überwinden, Triumph, Ai von ihrer echten Erregung mit einem Handgriff zu erlösen. Sie, die Sex-Professionelle, die üblicherweise Befriedigung verschafft, wird psychisch davon abhängig, vom Freier befriedigt zu werden. Die Authentifizierungsstrategie für diese Sexualitätsdarbietung besteht darin, die in einer Performance21 gespielte Erregung der Prostituierten zu 21 Mit der Kunstform Performance hat diese Filmszene die Länge gemein, die überdehnte Zeit, die bei den Rezipierenden nicht die mentale Decodierungsleistung anspricht, sondern die sinnliche Wahrnehmung, die das Aushalten des Anblicks der Verletzung, das Nichtintervenieren fordert. Diese Konzeption ist den 70er-Jahre-Perfomances von Künstlerinnen ähnlich, die typisch weibliche Schmerzzufügungen zur Darstellung herstellten, so in Marina Abramovics Performance, die durch stundenlanges Bürsten sich die Kopfhaut blutig kratzte, oder in der Valie Export-Performance, in der sich die Künstlerin mit der Nagelschere das Nagelbett zerschnitt: Darstellungen, die das in den Schmerz getriebene weibliche Schönheitsideal zeigten, die die angenehme Körperpflege pervertierten und gerade dadurch den Nexus weiblicher Perversionen im Sinne Kaplans erkennbar machten. Vgl. Kap-
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überwinden und zu einer wahrhaften zu machen (was natürlich wiederum nur von der Schauspielerin, die die Figur Ai interpretiert, dargestellt wird, doch durch die Evozierung von Authentizität vergessen wird). In dieser Szene wird Sexualität als Demütigungsakt und als Rollenannahme ausagiert und dazu ein sexueller und/oder emotionaler Kontrollverlust provoziert. Das ist es, was der Voyeur sehen, erleben will. Die Kontrolle der Prostituiertensexualität durch den Freier und die der Prostituierten gewährte Befriedigung ist eine Provokation sondergleichen, nicht nur, weil das lustvolle Genießen in Demütigung und Scham umkippt, die Pervertierung des sexuellen Genießens als Quälung gezeigt wird. Wenn Ai, und der/die Zuschauer/in mit ihr, in jenes Unbehagen getrieben wird, dessen Ambivalenz von erlebtem Orgasmus und erlittener Demütigung den Kulminationspunkt der Szene ausmacht, so besteht das Prekäre der Szene in der Ambivalenz der Situation, in der Unentscheidbarkeit von Demütigung und sexuellem Höhepunkt. Ais Körper weist deutlich Zeichen der Erregung auf, und obwohl diese ›nur‹ herbeigeführt sind, das Prozessuale, ›Gemachte‹ offen gelegt ist, reißen sie doch als ›echte‹ Körperzeichen die Unterscheidung von geschauspielerter Prostituiertenleistung, Schauspielerleistung und wahrhaft Empfundenem nieder. Gerade durch die Authentifizierung, durch den Echtheitsgaranten Körper, entsteht die Zuschreibung, dass Ai den frauenverachtenden Satz, den sie auszusprechen gezwungen wird (»Ich bin eine dreckige, geile Geschäftsfrau«) psychisch annimmt.22 Das langsame rhythmische Beckenkreisen von Ai ist auch lesbar als sichtbare Bewegung eines Begehrens, das die Prostituierte als Fensterblickfang nach außen zum bewegten erotischen Bild macht, als Blickobjekt für die Tokyoter ausstellt. Die Trennung der physischen Raumsphären innen (die Hotelsuite) und außen (die Großstadt) wird durch die Körperausstellung überschritten. Die von außen dunkle Fensterfront des Hochhauses, das keinen Unterschied zwischen Fenstern und dunkel verglaster Mauerfläche erkennen lässt, hat einen Aus-Schnitt, die ins Licht geflutete Silhouette Ais. Dieses Gegenschussbild ohne Raumtiefe wird in seiner planen Zweidimensionalität zum Sinnbild. Ai, als Bild von Sexualität, steht zwischen der Metropole einer Weltwirtschaftsmacht und deslan, Louise J.: Weibliche Perversionen. Von befleckter Unschuld und verweigerter Unterwerfung; Hamburg: Hoffmann und Campe 1991 [am. Original: Louise J. Kaplan: Female Perversions; New York: Doubleday 1991]. 22 In Jean-Luc Godards PASSION wird eine Schauspielerin in einer sadistisch decodierbaren Szene mit dem Satz gefoltert: »Sag den Satz!«.
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sen negativer Auswirkung, dem Freier, einem drogendealenden Mafioso, einer Figur der Perversion des Kapitalismus. Dieses Bild ratifiziert den auf der Dialogebene geführten Legitimationsdiskurs, der den Kapitalismus als Perversion ausweist, und es stellt zugleich die bedingende Abhängigkeit der Perversionen von der Gesellschaftsform klar. Durch das spezielle Licht-Fenster-Arrangement wird sowohl die psychische Projektion des Freiers, seine Verknüpfung von Kapitalismus und Perversion, gezeigt als auch die technische – wenngleich auch apparatefreie – Projektion der Prostituierten auf die Stadt Tokyo erkennbar, wird die Konstruktion der Erklärung evident. Und: Das Fenster ist zugleich mehr. Es ist die Bedingung für die ausgelebte Sexualität. Das LichtRaumarrangement ist das Setting für die erzwungene exhibitionistische Anprangerung Ais und für den voyeuristischen Genuss des Freiers. Mag der diegetische Legitimationsdiskurs im Arrangement erkennbar werden, das medial Unbewusste des Sexualitätsarrangements bzw. der ausgelebten Sexualität bleibt dem Zuschauer unentdeckt und ist doch die Bedingung seines eigenen medial vermittelten Sexualitätsgenusses, der Erregung! Ein Effekt des Mediums Fenster zeigt sich, als Ai sich selbst im Fenster gespiegelt sieht23. Damit kann ihre (in einer speziellen Lesart angenommene) Erregungssteigerung auch als Auswirkung dieses visuellen Effekts erklärt werden. Durch die Zuschreibung der medial intensivierten Autoerotik aber wird die Machtstellung des Freiers eingeschränkt. Eine weitere medien(selbst)referentielle Erkenntnis ergibt sich, liest man dieses wieder und wieder wiederholte String-Tanga-Hoch-undRunter-Schieben auf dem Hintergrund der Seherfahrungen des pornographischen Films: Serialität, iterative Bewegung, die Sexualität zu eigen ist, kommt in der Sex-Nummernfolge zum Ausdruck. Die Serialität kennzeichnet sowohl Sexualität (Begehren aufbauen, Begehren befriedigen) als auch den pornographischen Film. Sind dies lediglich zufällige Medien-Effekte, durch die Film-Inszenierung geschickt ins Spiel gebracht, oder treten sie zu Tage, weil der medialen Bedingtheit ein Apriori zukommt?
23 Ich danke den Studierenden des Seminars ›Kino und Bordell‹, insbesondere Ingo Landwehr, für ihre wertvollen Diskussionsbeiträge.
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C . 4 . 2 . M e d i a l e S e x u a l i tä t I I : M i c h e l F o u c a u l t Die Archäologie des Wissens Mit Michel Foucaults Archäologie des Wissens, seinen Überlegungen zum historischen Apriori und dem Archiv kann, so meine These, ein dem historischen Apriori funktionsgleiches mediales Apriori ausgewiesen werden, das ebenfalls für TOKIO DEKADENZ konstitutiv ist. Foucaults Sorge um die ›Wissenschaft von der Aussage‹ kann als medienwissenschaftliche Intervention aufgefasst, der Film als ein mögliches Archiv ausgewiesen, und das mediale Apriori kann als ein dem historischen Apriori strukturhomologes und funktionsgleiches erfasst werden. Die Foucault’sche Unterscheidung von Ding und Ereignis zeigt sich in TOKIO DEKADENZ in den Medien der Sexualitätsinszenierung. Friedrich Kittler stellt heraus, dass es in Michel Foucaults Werk außer in Bezug auf die Schrift keine explizite Medienanalyse gebe24: »Andere Leitfäden durch die europäische Geschichte als jenes Alphabet, das ihr zugrunde liegt, scheint Foucault nicht gesichtet zu haben. Weshalb seine Navigationen in die Mediengeschichte Heterotopien im eigenen Werk geblieben sind.« (Kittler 1999, S. 9)
Foucault untersuchte die wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Institutionen, die den Austausch und die Kontrolle von Information regulierten. In diese Untersuchung aber ist Medienanalyse und -kritik involviert.
24 Michel Foucaults Ausführungen zu Velázquez ›Las Meninas‹ (Vgl. Foucault 1974 (1993, 12. Aufl.) S. 31ff.) ist mehr als eine Bildinterpretation und in Wahnsinn und Gesellschaft geht Foucault auf Bilder von Hieronymus Bosch (Vgl. Foucault 1973 (1993, 10. Aufl.) S. 38) ein. Dies stellt jedoch keine Medienanalyse dar – im Kittler’schen Sinne. Eine ganz andere Medienanalyse nach Foucault ist dann gegeben, wenn die Foucault’sche Forderung, die Aussage zu definieren, auf Bilder übertragen wird. Foucault auf Medien zu beziehen kann heißen, das Vorgehen der Wissensarchäologie oder Diskursanalyse auf mediale Texte anzuwenden.
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Das historische Apriori und das mediale Apriori Die Implikation der Medien Spiegel, Fenster u.ä. in TOKIO DEKADENZ erweist sich als »Ausübungsbedingung für die Aussagefunktion« (vgl. Foucault 1994, S. 184). Die mediale Anordnung ist in diesem Film die Grundkonstellation für die prostitutive Performance. Die Anordnung von Fenster und Licht, von Sichtbarkeit von außen und voyeuristischer Position von innen, zwingt die Prostituierte in eine Position (hier ganz literal, also physisch!), die den Voluntarismus der Performance unterbindet. Die mediale Konstellation hat sich bereits in die Begehrensanordnung des Freiers eingeschlichen. Die hier wiederum wörtlich zu nehmende Auslieferung an das Medium, das Dirigieren an die Fensterscheibe, die Transparenz nach außen und der Schutz des Freiers, der hinter dem Licht sitzt, stellt die Sexualität der Prostituierten aus und schützt die des Freiers. Die Kombination von natürlicher Dunkelheit des Außen, starkem Licht von innen an genau jener Schnittstelle, dem Fenster, das ein Außen und Innen zugleich kennt, die gedämpfte Helligkeit des dahinterliegenden Raumes macht das materielle Trägersubstrat, das Kommunikation ermöglicht, den visuellen Kommunikator – so eine mögliche Umschreibung von Fenster als Medium – zu einem semipermeablen. Der Sichtbarkeit ausliefern ist hier eine Machttechnik. Doch auch der Freier ist gefangen in dieser Anordnung, muss der Logik seiner medial unbewussten Sexualität gehorchen und sich in der nächsten Sequenz dem Medium Spiegel ausliefern25. Sich selbst beobachten und beobachtet werden, ist die mit der medialen Konstellation einhergehende Begehrenslogik. Das kinematographische Dispositiv, das in diesem Film aufscheint, ist die Grundmöglichkeit für das spezifische Raumarrangement, und nur dieses ermöglicht die praktizierte Sexualitätsform. Dass ein Spiegel, ein visueller Kommunikator, reflektiert und in gesteigerter Form den Ausdruck von Lust als Lust zurückwirft, ist »die Bedingung des Auftauchens von Aussagen« (ebd.) für einen Autoerotismus. Dieser entsteht durch einen autoreferenziellen visuellen Bezug. Er ist die Selbstbezugnahme, die Einseitigkeit zur Folge hat. Der Spiegel im Hotelzimmer bzw. der Spiegel im Bordell ermöglicht einen Sinnenwechsel vom Taktilen, Haptischen zum Visuellen und ist situiert in der Begehrenslogik, die einen Ichverlust im Allsinnenempfin-
25 In dieser Sex-Nummer positioniert sich der Freier, der seine Ehefrau von hinten nimmt, gegenüber dem Spiegel.
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den, im vollständigen Sinnenerleben sieht. So öffnet sich der Mensch für das Feld des Unerfahrbaren, wird der Kontrollverlust in der Sexualität zur Entgrenzung als Erfahrungsgewinn. Und: Er zeigt den Prostituierten ihr Beobachtetwerden. Der Spiegel ist Zeichen für die in der Prostitution so markante Einseitigkeit, die Spaltung von Betrachter und Betrachtetem, die Gegenseitigkeit zunichte macht. Vom Spiegelbild zum Filmbild findet eine visuelle Kommunikation statt, die den physikalischen Reflex des Ersteren im Bild des Anderen gedanklich reflektiert, durch Vorführung die Grundverfassung des anderen ausführt. Weder Spiegel noch Fenster sind Symbole für etwas feststehend Decodierbares, sondern sie definieren »ein Feld, wo sich möglicherweise formale Identitäten, thematische Kontinuitäten, Begriffsübertragungen und polemische Spiele entfalten können. Daher spielt die Positivität die Rolle dessen, was man ein historisches Apriori nennen könnte« (ebd., Hervorhebung im Original). Das historische Apriori ist ein Wandel, ist ein »transformierbares Ganzes« (ebd., S. 185). Mit diesem handelt es sich darum, »[…] das Gesetz ihrer Koexistenz mit anderen, die spezifische Form ihrer Seinsweise und die Prinzipien freizulegen, nach denen sie fortbestehen, sich transformieren und verschwinden« (ebd., S. 184). Das Gesetz der Koexistenz mit anderen regelt in diesem Falle das Zusammenspiel von medialer Anordnung und der Performanz der Sexualität. Das Gesetz der Koexistenz bestimmt die Performanz entweder als mediale Sexualitätsperformanz, die um die sexualisierende Kraft des Mediums weiß, wie in der Fensterszene, oder aber es lässt die Performance gegen das Medium laufen, wie in der Diaprojektionsszene26. Medien fungieren unterschiedlich. In einem Fall werden Eigenschaften des Mediums in die Sexualität integriert, in dem anderen ist die mediale Inszenierung ein Illustrationsmoment, das die nicht vorhandene Phantasie ersetzten soll – und eben nicht Teil der Phantasie wurde. 26 Herr Umeki, ein Freier Ais, bereitet in dem Hotelzimmer, in dem er Ai empfängt, eine Lichtinszenierung vor. Er wirft Dias vom ›Heiligen Berg‹ auf Bett und Wand und bittet Ai, sich würgen und vergewaltigen zu lassen. Sie soll sterben spielen und sich tot stellen. Das Spiel der Nekrophilie bricht Ai entsetzt ab. Die Dias sind ein störendes Kulissenelement und können nicht – weder bewusst noch unbewusst – in die Sexualphantasie integriert werden.
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Die mediale Anordnung ist »die Bedingung des Auftauchens von Aussagen« (ebd.), die medialen Eigenschaften sind die Form des Gegebenen. Und dies ist genauso wenig essentialistisch zu verstehen wie Foucault es verstand: Es ist die Realitätsbedingung für Aussagen. Zur Präzisierung: Der Unterschied von Medien und medialem Apriori liegt darin begründet, dass Letzteres nicht nur die technische Funktionsweise von Apparaten umfasst, physikalische oder sonstige Eigenschaften von analogen oder digitalen Geräten, sondern ebenso den sozialen Gebrauch von Medien, sie im Sinne von Machtübermittlungsinstanzen denken kann. Nicht nur die Foucault’sche Schrift findet in diesem erweiterten Medienbegriff Berücksichtigung, sondern ebenso der Körper, die Stimme, das kulturell vorgeprägte (Sexualitäts-)Empfinden. Das mediale Apriori ist, nach meiner Begriffsdefinition, das Regelwerk, das Medien im Sinne von technischen Geräten bzw. szenischen Künsten oder tradierten, institutionellen Vermittlungsinstanzen mit ihrem sozialen Gebrauch, ihrer kulturellen Prägung, der gesellschaftlichen, vom Menschen getragenen, Schnittstelle in Gesetzen der Kohärenz regelt.
Archiv »Anstatt zu sehen, wie im großen mythischen Buch der Geschichte sich Wörter aneinanderreihen, die vorher und woanders gebildete Gedanken in sichtbare Zeichen umsetzen, hat man in der Dichte der diskursiven Praktiken Systeme, die die Aussagen als Ereignisse (die ihre Bedingungen und ihr Erscheinungsgebiet haben) und Dinge (die ihre Verwendungsmöglichkeit und ihr Verwendungsfeld umfassen) einzuführen. All diese Aussagensysteme (Ereignisse einerseits und Dinge andererseits) schlage ich vor, Archiv zu nennen.« (Ebd., S. 186f., Hervorhebung im Original)
Das Fenster als Möglichkeit für Exhibitionismus oder Voyeurismus ist eine »Aussage als Ereignis«, die Diaprojektion, im Fall von TOKIO DEKADENZ, ein »Ding«. Zur begrifflichen Klärung: Das mediale Apriori ist wie das historische Apriori als Regelwerk zu verstehen, das aus Positivitätstypen besteht und diskursive Formationen regelt, wohingegen das »Archiv« die Klassifikatorik der Aussagen selbst betrifft, die Unterscheidung von Aussagen als Ereignisse oder Dinge. Medien – als Generalbegriff nicht weiter präzisiert – können sowohl die Stelle von Dingen als auch von Ereignissen als auch die Stelle des Archivs einnehmen; und sie können das mediale Apriori bezeichnen. Der
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Medienbegriff muss jeweils spezifiziert werden, um die epistemologische Funktion klarzustellen27. Ein Archiv kann ein Film sein, der die Gleichzeitigkeit der drei genannten enthält: Ereignisse, Dinge und ein Archiv. Ein Film ist ebenso wie ein Archiv »zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelner Ereignisse beherrscht« (ebd., S. 187). Will man das Archiv verstehen, muss man, »wenn es gesagte Dinge gibt – und nur diese –, nicht die Dinge, die sich darin gesagt finden, oder die Menschen, die sie gesagt haben, sondern das System der Diskursivität und die Aussagemöglichkeiten und -unmöglichkeiten, die es ermöglicht, nach dem unmittelbaren Grund dafür befragen« (ebd.).
Das Archiv ist »das, was an der Wurzel der Aussage selbst als Ereignis und in dem Körper, in dem sie [die Aussage, Anm. H.W.] sich gibt, von Anfang an das System ihrer Aussagbarkeit definiert. […] Es ist das System ihres Funktionierens.« Medien in ihrer Funktion als Archiv sind »das, was die Diskurse in ihrer vielfältigen Existenz differenziert und sie in ihrer genauen Dauer spezifiziert« (ebd., S. 188, Hervorhebungen im Original). Die Szene am Fenster muss so ablaufen, Ai muss zusammenbrechen, weil das Fenster nicht als ein Medium zufälliger Beobachtung, des heimlichen Voyeurismus fungiert, sondern weil es gebraucht wurde als Zwang zum Exhibitionismus, dem unfreiwilligen Fremdvoyeurismus Tokyoter Passanten, der die Bedingung für den Voyeurismus des Freiers ist. In diesem Sinne ist das Fenster für Ai »die Wurzel der Aussage selbst als Ereignis«. Das Fenster-Arrangement ist der Medien-Phantasie inhärent. Diese Präkonfiguration ist das, was »in dem Körper, in dem sie sich gibt« – wie in Ais Körper – »von Anfang an das System ihrer Aussagbarkeit definiert«. Der Film TOKIO DEKADENZ fungiert im Foucault’schen Sinne als Archiv.
27 So ist zum Beispiel ein Telefonapparat ein Ding, ein Telefongespräch ein Ereignis, die face-to-face-Kommunikation ein System, das die Aussagen als Ereignisse regelt; die distinkte diskursive Formation mit ihrem aufgeteiltem Aussagenbereich wäre etwa die Intimkommunikation; das mediale Apriori etwa erklärte das Aufkommen des Telefonsexes in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine spezifische Konstellation von Medienentwicklung, Intimkommunikation und Sexualitätsdiskurs.
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Fazit Die körpertechnologischen Inszenierungen, die die Prostituierte ausführt, betreffen auf einer ersten Ebene die praktizierten sexuellen Techniken, auf einer zweiten Ebene die Reflexion derselben, und letztlich, auf einer dritten Ebene, ist eine Rückkoppelung der Reflexion auf die sexuellen Techniken und sonstigen körpertechnologischen Inszenierungen selbst zu beobachten. Die Filmfigur der Prostituierten erweist sich als eine Reflexion dieses dreifachen Verhältnisses. In dieser Verhältnis-Reflexion offenbart sich sowohl die Selbsttechnologie der Prostituierten als auch die Ästhetik des Films sowie die gendertheoretische Konzeptionalisierung von Prostitution. Die dritte Sequenz ist visuell von Fenstern und Spiegeln beherrscht. Fenster schaffen als transparente Bilder ein spezifisches Innen- und Außenverhältnis, kreieren ein Raumarrangement, das – wie das Sinnenarrangement Ais in der ersten Sequenz – dem Freier zur Sexualitätsbedingung wird. Auch Spiegel, die Doppelungsbilder sind, schaffen Begehren, liegen als Imaginäres den sexuellen Handlungen zu Grunde, konstituieren Sexualität und zeugen vom medialen Unbewussten der Sexualität. Mit dem Fenster in seiner medialen Eigenschaft eines transparenten Bildes verbinden sich die Sexualitätsformen Exhibitionismus und Voyeurismus. Mit dem Spiegel, den damit erzeugten Doppelungsbildern, wird das Objekt des Begehrens vervielfältigt. Nicht allein die Partnerin, sondern das zurückgeworfene Selbstbild werden zu Objekten des Begehrens, und Autoerotik kommt ins Spiel. Der Film präsentiert also konsequent in jeder Sequenz ein je anderes Verhältnis von Visualität bzw. Akustik (sowohl nicht decodierbare Geräusche als auch auf Inhalt entschlüsselbare Dialoge) und Sexualitätsform. Die Filmprostituierte, die aus ihrem biologischen Geschlecht ihre genderIdentität abzuleiten scheint, kann von einer sehr strategischen Performanz ihrer Schein-gender-Identität bestimmt sein. Ihr höchst instrumenteller Körperbezug kann sexuelle Praktiken der Bewusstseinskontrolle unterziehen28, kann den Zwang für die Performativität der Geschlechts-
28 Die Domina-Prostituierte, die den Devoten, genannt ›Schildkrötengesicht‹, befriedigt, stellt klar heraus, dass sie das Spiel inszeniert und beherrscht und dass ihre sexuellen Handlungen an ihm strategisch eingesetzt sind. Sie ist davon weder emotional noch identifikatorisch berührt.
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identität darstellerisch ausstellen29. Auf diesem Hintergrund beruht die Erwartungshaltung des Freiers, der Ais Bewusstseinskontrolle überwinden wollte. Üblicherweise gelingt es der Prostituierten, die zwanghafte Iteration der Geschlechternormen30 mit voluntaristischer, instrumenteller und strategischer Performanz in freie Entfaltung und theatralische Selbstdarstellung zu wandeln. Die theatralische Rollenfungibilität der Prostituierten, die ihre Arbeits-gender-Identität prägt31, kann – gerade im filmischen Spiel mit Erzählebenen, mit verschiedenen Realitätsebenen – dekonstruktive Lektüren anderer ›fiktional-wahrhafter‹ gender-Identitäten ins Spiel bringen. So bringt der unsichere Status der Striptease- Performance und der Sex-Performance, die Ai leistet, den filmischen Realitätsstatus ins Wanken. Die von Kroll im Eingangszitat dieses Kapitels vorgenommene auffallende Betonung der Beobachterposition, die in der Konsequenz der emotional Unbeteiligten – aber dennoch Verletzten – einen Widerspruch ergibt, kann sich aber auch durch die Praktik der Prostituierten zur Selbstdistanzierung erklären. Die spezifische, in der Berufspraxis erworbene Kompetenz der Zurechnung der Körperempfindungen auf den Körper, der instrumentell reagiert und nicht auf das Gefühlsempfinden, bewirkt jene Aufteilung in Handelnde und Beobachtende, die für die einen als performativer Widerspruch auftritt und für die anderen auf die Performance der Sexualität verweist. Die voluntaristische Performance einer Prostituierten ist in ein mediales Dispositiv eingelassen, das der Sexualität ein medial Unbewusstes zuträgt. In TOKIO DEKADENZ ist es die spezifische Medien-Sexualitätsverbindung, die die Prostituierte ihrer voluntaristischen Performance beraubt. Die Rezipierenden-Identifikation ist nicht ausschließlich eine personenfixierte oder auf einen filmtechnischen Stellvertreter gerichtet, wie z.B. der oft angeführte Kamerablick als Zuschauerblick. Die Zuschauer/innen-Identifikation gilt vielmehr der Beobachterposition: nicht der der Protagonistin, nicht der eines Freiers oder der Kamera, sondern dem Beobachten des medialen Dispositivs. Es ist ein Beobachten, das den Rezi29 So in der Szene, in der sich Ai in einem Art déco-Ambiente mit einem Jugendstilkleid ›verkleidet‹. 30 Vgl. Butler 1995, S. 133: »Die ›performative‹ Dimension der Konstruktion [von Geschlecht bzw. von Sexualität] ist genau die erzwungene unentwegte Wiederholung der Normen.« 31 So werden zum Beispiel die Callgirls, die von dem Escort-Service, dem auch Ai angehört, angeboten werden als ›Schulmädchen‹ angepriesen.
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pierenden die Genealogie ihrer sexuellen Identifikation vor Augen führt und das von der medialen Prägung ihrer Sexualität zeugt. Sexualität ist also, so meine These, medial bedingt. Das mediale Prä der Sexualität lässt sich an heterosexuell normativen Praktiken wie an Perversionen (z.B. Sadismus und Masochismus in TOKIO DEKADENZ) aufweisen.
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D.1. A U S B L I C K . M E D I E N W I S S E N S C H A F T L I C H E G E S C H L E C H T E R ST U D I E N : G E N D E R U N D M E D I E N Zum Verhältnis von Medien und gender Christina von Braun zufolge kann man gender nicht ohne Medien denken, und es sei nun an der Zeit zu begreifen, dass man auch Medien nicht ohne gender1 denken kann.2 Daraus ergeben sich ganz verschiedenartige Aspektierungen, z.B. die Fokussierung auf Technologie – in der Doppelvalenz von Selbsttechnologie und apparativer Technologie. Die Materialität der Kultur, insbesondere der Kommunikation, hat nicht nur entscheidende ökonomische Folgen, die sich stets mit Macht und Herrschaft verbinden und somit tief in die bestehende Geschlechterdifferenz eingreifen – man denke z.B. an Donna Haraways Auslassungen zur Frauenarbeit im silicon valley3. Die Materialität der Kultur verbindet sich darüber hinaus mit dem Geschlecht – zum Beispiel in einer apparatetechnischen Anordnung. Sichtbar wird dies bei Druckmaschinen, die den Mann an das Schwungrad und die Frau an die Walze zum Papiereinspannen dirigieren, das Kind an das Ende der Maschine platzieren, um die gedruckten Bögen herauszunehmen. So wäre in Ergänzung zu de Lauretis’ Frage, inwieweit Geschlecht ein Produkt sozialer Technologie
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Vgl. den Klappentext zu Angerer, Marie-Luise: body options: körper.spuren.medien.bilder; Wien: Turia und Kant 1999. Wie Medientheorie in Übereinstimmung mit bzw. in Abweichung von Feministischer Filmtheorie den Körper konzipiert, habe ich dargelegt in: »Der Körper in der Theorie: Zum Verhältnis von Medientheorie und Feministischer Filmtheorie«; in: Screenwise. Film, Fernsehen, Feminismus, hg. v. Monika Bernold, Andrea B. Braidt und Claudia Preschl; Marburg: Schüren 2004, S. 57-68. Vgl. Haraway, Donna: »Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften«, in: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, hg. v. Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 33-73.
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ist4, die Frage zu stellen, inwieweit Geschlecht ein Produkt technischer Technologien ist. Das Verständnis der Sexuierung durch Medien darf nicht von geschlechtssymbolistischen Zuweisungen getragen sein – das versperrt den Zugang, den diese zu eröffnen scheinen. In den seltensten Fällen sind die Maschinen selbst, respektive die Medien, von einer geschlechterhierarchischen Anordnung bestimmt. Auch ihr sozialer Gebrauch ist meist nicht von Geschlechterauffassungen determiniert. Medien im Sinne von Wahrnehmungsbedingungen oder Darstellungsdeterminationen sind ebenfalls nicht männlich oder weiblich, und auch die visuelle Repräsentation ist nicht geschlechterbinär codiert. Die Sexuierung durch Medien nachzuzeichnen, meint mehr als z.B. die Darstellung von gender in audiovisuellen Medien, und eine Konzeption der medialen Sexuierung zu entwickeln, kann sich auch nicht auf die Erklärung der historischen Entwicklung beschränken. Vielmehr muss im Zentrum der Aufmerksamkeit der Zusammenhang von sexueller Orientierung, sozialer/kultureller Konstruktion von Geschlecht und einer legitimierenden Bezugnahme auf das biologische Geschlecht stehen; sein unvermeidlicher Bezugspunkt ist der Körper. Die vermutete Geschlechtszuweisung an einen Menschen (sex category), die oftmals als Reales angenommen wurde, sie kann in der Medientheorie als gesetztes Zeichen verstanden werden. Medientheorie fordert Feministische Filmtheorie dahingehend heraus, dass unter diesem veränderten Verständnis der Körper, seine Zuschreibungen und Zuweisungen, neu konzipiert werden können. Medientheoretische Erkenntnisse über das Denken des Körpers (die angesichts virtueller Realität und Cyberspace – bzw. angesichts der Analyse der Prostituierten in Film und Filmtheorie – gewonnen wurden) können die neuartigen Körperkonzeptionen reflektieren und sie auf Wahrnehmung und Deutung in (Film-) Narrationen zurück beziehen. Zunächst möchte ich einige der derzeit wichtigsten Diskurse um Medien und vergeschlechtlichte Körper kurz skizzieren.
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De Lauretis, Teresa: Technologies of gender: essays on theory, film, and fiction; Bloomington: Indiana University Press 1987. Vgl. insbesondere die Einleitung zu diesem Buch, die auch in deutscher Übersetzung vorliegt. De Lauretis, Teresa: »Die Technologien des Geschlechts«; in: Scheich, Elvira: Vermittelte Weiblichkeit: feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie; Hamburg: Hamburger Ed. 1996, S. 57-93.
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AUSBLICK
D.1.1. Medien und gender I: V e r l u s t u n d V e r sc hw i n d e n Der Verlust der Körperlichkeit »Sowohl die Filmtheorie (ich konzentriere mich hier auf Apparatustheorie und Screen Theory) als auch die Cultural Studies mit ihren jeweils feministischen Schwerpunkten bzw. veränderten Fragestellungen und Zugängen, sind der Frage nach dem Subjekt und seinem Körper im medialen Terrain ausgewichen – implizit oder explizit. Zunächst waren es immer feministische Theoretikerinnen – sowohl innerhalb der Filmtheorie als auch dann später im Kontext der Neuen Medien-Technologien –, die die Stellung des Körpers einklagten, die den/die konkrete/n Zuschauer/in ins Zentrum der Theorie(n) rücken wollten.« (Angerer 1999, S. 13)
Nicht nur Marie-Luise Angerer, die die Körperbezogenheit im Mediendiskurs im weiten Spektrum verschiedener, einzelner Medienwissenschaftszweige in vielen Filiationen untersucht hat, auch Sybille Krämer hebt die Körpervergessenheit der neuesten (technologischen) Medien heraus. Durch einen kritischen Mediendiskurs, so Angerer, soll der vergessene Körper wieder eingeschrieben werden. Auch Krämer referiert auf die Körperthematisierung in der Theorie: »Signifikant ist, was sowohl das textorientierte wie das technikorientierte Medienkonzept aussparen: (a) Der Körper bzw. die Körperlichkeit als Medium kommen gar nicht erst in Betracht.« (Krämer 2000, S. 188)
Aber welcher Körper steht hier in Rede, und auf welchen Körperbegriff verweist dies? Zum einen gibt es den menschlichen Körper, der im medialen Körper durchscheint, als dessen Urbild erscheint, ein Körperbegriff, der, im übertragenen Sinn, Medien auf Körper bezieht (z.B. ›Bildkörper‹). Analogien übertragen – oft metaphernhaft – des Körpers Funktionalität auf die Funktionalität von Medien. Im argumentativen und rhetorischen Changieren zwischen dem literalen Bezug auf den physischen Körper und dem im übertragenen Sinne verstandenen Körper wird die Körperlichkeit von Medialität verhandelt.
Geschlechter- und Medienwandel Auf eine Wahrnehmungsveränderung durch das Medium Film verweist Gertrud Koch, wenn sie beschreibt, dass der frühe pornographische Film einen ›Sinneswandel‹ herbeigeführt habe, vom Gesichtssinn zum Seh291
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sinn, zur Eigenständigkeit der Skopophilie. Skopophilie und Voyeurismus verbinden sich in der Feministischen Filmtheorie mit geschlechtsspezifischen medialen Dispositionen. Zwei Fragerichtungen sind nötig: die nach der geschlechterdifferenten Wahrnehmung von Medien und die nach der geschlechterdifferenten Wahrnehmung durch Medien. In der Intersektion von Geschlechter- und Medienwandel, ihren gegenseitigen Beeinflussungen, spielt die Frage einer veränderten Medienwahrnehmung und Medienwahrnehmungsfähigkeit (im Sinne von: Hören-Können, Sehen-Können etc.) durch veränderte Geschlechtsauffassungen ebenso eine Rolle wie gewisse gender-Erscheinungen. Der Wandel der Femme fatale vom film noir zum noirish style, der Genremix mit dem career girl ist hierfür ebenso ein Beispiel wie genderErscheinungen, die gender exhibitionieren – die ›Sexbombe‹ im amerikanischen Kinofilm der späten 50er/frühen 60er Jahre kann gelesen werden als Versuch, dem Kinofilm angesichts des sich durchsetzenden optischen Fernsehens Taktilität zu verleihen, d.h. eine zusätzliche Qualität, die im Konkurrenzkampf punktet.5
Das Verschwinden des Subjekts im Medialen »Der Körper, eines der wichtigsten Themen im aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs, ist im Verschwinden begriffen. Kann die theoretische Diskussion um artifizielle Substitutionsmöglichkeiten des Leiblichen diesen Verlust symbolisch kompensieren?« (List/Fiala 1997, S. 158)
Unbestreitbar die Faktizität des menschlichen Körpers, doch für Elisabeth List hört er, wie sie argumentiert, zu bedeuten auf, konstituiert weder Seins- noch Welterkenntnis. Diese leisteten, wie Sybille Krämer wiederum an der technikzentrierten Mediendebatte bemängelt, die Medien, die als subjektkonstituierend gedacht werden. List wendet sich damit einem Körper-Denken zu, das den Körper radikal ausschließt. Ihn von 5
Vgl. Engell, Lorenz: Sinn und Industrie. Einführung in die Filmgeschichte, Frankfurt a.M. et al.: Campus 1992. »Im Abwehrkampf gegen das Fernsehen schuf Hollywood aber zur gleichen Zeit auch einen neuen Startypus, und zwar, wie gehabt, durch Steigerung. Es ging darum, etwas zu bringen, was das Fernsehen nicht bringen konnte, und das war Sex. […] Die Pin Up-Pose trat an die Stelle, die die Großaufnahme des Gesichts in den 20er Jahren eingenommen hatte. Großaufnahmen des Gesichts wirkten auch im Fernsehen, aber für eine wirkungsvolle Körperinszenierung war der Fernsehschirm einfach zu klein.« (Engell 1992, S. 211f.)
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AUSBLICK
der Theoretisierung auszuschließen, als »sinnlose Physis« (Angerer) zu behandeln, dagegen interveniert Marie-Luise Angerer. Doch List hat andere Argumentationsziele, sie warnt vor dem Verschwinden des Subjekts durch Apparate, warnt vor Verfahren, »die auf der Ausschaltung des Subjektiven beruhen, mithin auf der Ausschaltung dessen, was die conditio humana noch ausmacht. Das Projekt der Objektivierung führt also mit Folgerichtigkeit zum Verschwinden des im anthropologischen Sinne Realen hinter den Zeichen und Schaltungen der Apparate seiner Erfassung: zum Verschwinden des lebendigen Subjekts.« (List 1997, S. 135, Hervorhebung im Original)
List, noch einmal paraphrasiert: Das Zeichen setzt sich an die Stelle der Realität, verselbständigt sich. Damit wäre der Verweischarakter des Zeichens auf Realität (Repräsentation) bzw. die Subsumierung der Realität unter das Zeichen zwar nicht aufgegeben, aber der Primat ›der Realität‹ wäre unsicher geworden. Es kommt, so Lists Zukunftsvisionen, zu einer vollständigen Ersetzung der Körper durch die Maschinen bzw. durch die Medien.
Das Verschwinden des Medialen im Subjekt In body options. körper.spuren.medien.bilder wie in Die Haut ist schneller als das Bild: der Körper – das Reale – der Affekt6 fragt Marie-Luise Angerer nach spezifischen Bezügen von Medien, Körpern und Bildern. »Anhand oder besser mit einem Begriff des ›Körpers als Bild‹, das in sich ›leer‹ ist, versuche ich jenes Verbindungsmoment zu benennen, wodurch sich mediale Apparaturen, ein immer schon sexuiertes Subjekt und sein Körper ›verfangen‹.« (Angerer 1999, S. 11f.)
Sie geht den Körperkonzeptionen von Philosophen, Medientheoretikern und Psychoanalytikern7 nach, deckt deren Auffassung vom Körper als
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Marie-Luise Angerer: »Die Haut ist schneller als das Bild: Der Körper – das Reale – der Affekt«, in: Marie-Luise Angerer/Henry P.Krips (Hg.): Der andere Schauplatz: Psychoanalyse – Kultur – Medien; Wien: Turia und Kant 2001, S. 181-202. Hier wird ausschließlich die männliche Schreibweise verwendet, weil, wie in einem vorhergehenden Zitat deutlich herausgestellt, die Körperverhandlung in der Theorie Beitrag feministischer Theoretikerinnen war.
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innerhalb oder außerhalb ihrer Theorie situiert auf. Und Angerer deckt auf, dass die Neuen Medien-Technologien eine neue Subjektformation bewirkt haben. Sie betont, dass jene auch der geschlechtlichen Identität eine neue Funktion zugewiesen haben und macht dann zwei verschiedene medientheoretische Standpunkte aus: die Fragerichtung nach dem Technik- und nach dem Psychohistorischen. Angerer plädiert für die (Wieder-)Einholung des Körpers in die Theorie. Viele Forschungsrichtungen hätten die Exklusion des Körpers betrieben, den Körper entweder als uneinholbar außerhalb stehend oder »als unabdingbare Basis/Rahmen« (Angerer) theoretisiert. Marie-Luise Angerer hat sich auf den Nexus von Psychoanalyse und gender/Medium bezogen und Denkfiguren entworfen wie die Leere des Bildes als Ort für den Körper. Geschlecht nicht nur als in den Medien Repräsentiertes zu thematisieren, sondern eine Materialisierung von Geschlecht in den Medien zu beschreiben, ist das Ziel avancierter Mediengender-Theorie. Das Verschwinden des Subjekts im Medialen ist nachvollziehbar mit Konzeptionen der psychotechnischen Matrix8. Mediale Anordnungen sind dann Begehrensräume, Räume, die Begehren schaffen und die Befriedigung verweigern. Dieses Begehren tritt im Bild bzw. als Bild auf, ist jedoch strukturell leer und eben dieses strukturell leere Bild wird dem Körperbild zum Ort. Medien tragen insofern bei zur psychischen Konstitutionsleistung, die sich außerhalb des Sichtbaren vollzieht. Die Hauptthese Angerers: »Ist es in der Filmtheorie und für die Cultural Studies die Gleichschaltung von Spiegel (Lacans Spiegelstadium) und Leinwand (Bilder), ist es bei den Neuen Medien-Technologien die Gleichsetzung von Unbewußtem und elektronisch Produziertem. In diese Schließungen schreibt sich jene von sexueller Differenz und gender ein. Dabei geht jener konstitutive Spalt/jene Lücke/jene Spur, wo sich das Subjekt ›zeigt‹, verloren.« (Angerer 1999, S. 14)
Und weiter: »Mit der Verlagerung jenes notwendig Außerdiskursiven, das immer schon selbst eine ideologische Konstruktion ist, in ein nachträglich ›innerhalb des Subjekts‹, wird die Funktion des Medialen nicht als Gegenüber, sondern integ-
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Angerer, Marie-Luise: body options: körper.spuren.medien.bilder; Wien: Turia und Kant 1999. Und: Angerer, Marie-Luise: »Die Haut ist schneller als das Bild: Der Körper – das Reale – der Affekt«, in: Marie-Luise Angerer/Henry P. Krips (Hg.): Der andere Schauplatz: Psychoanalyse – Kultur – Medien; Wien: Turia und Kant 2001, S. 181-202.
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raler Bestandteil in der Schließung der unsinnigen Leere (des Bildes) des Subjekts bestimmbar. Geschlecht – jene nicht-hintergehbare Markierung der Körper benennt und verdeckt gleichzeitig das ›Unbehagen im Subjekt‹ (Žižek 1998). Er wird damit zur Möglichkeit und gleichzeitigen Limitation jener als Optionen benannten Potentialitäten eines Körpers, der im Bild, vor dem Bild und hinter dem Bild sich ver-ortet.« (Angerer 1999, S. 14)
Das Bild oder die Sprache (als Signifikanten) können als Schließungsund Überwindungsversuch gedeutet werden. Ein scheiternder Schließungsversuch ist die sexuelle Markierung. Sie ist stets durch den Verlust gekennzeichnet, den das Begehren erfolglos zu füllen versucht. »Geschlechtliche Identität verweist also immer auf ein Mehr, das um den Preis einer ›fiktiven Einheit‹ ausgeschlossen werden muss, ein Ausgeschlossenes, das sich allerdings im Körper niederschreibt, eingraviert.« (Angerer 2001, S. 184)
Hier wird sexuelle Differenz als ›Kittungsstörung‹ verstehbar. Dies ist jedoch Bedingung und Gelegenheit, dass »Medien-Bilder« und das »Körperbild als Spur« sich überlagern durch den unabgeschlossenen Körper bzw. die Unabgeschlossenheit. Das Verhältnis von Geschlecht und Bild wird von Angerer anhand des Spiegelbildes erklärt und am Beispiel des Filmbildes medienspezifisch weiterentwickelt. Der theoretischen Körpervergessenheit setzt Angerer eine Theoretisierung des Körpers und des Geschlechts entgegen, die das Medium selbst untersucht und darüber zur Kenntnis der psychischen Formation des Subjekts kommt. Durch das Mediale wird also das Psychische erhellt, ebenso wie die Funktion psychischer Prozesse als Mediendifferenzen verstehbar werden.
D.1.2. Medien und gender II: E r sc he i n e n u n d P e r f o r m a n z Performativität als Medialität und Geschlechtlichkeit als Performativität »Die Suche nach einem dritten Weg zwischen verabsolutiertem Konstruktivismus und strategisch eingesetztem Essentialismus scheint angezeigt, da die Ma-
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terialität des Körpers in die Leerstellen des Diskurses einbricht, um an den Kreuzpunkten von Körper und Text das gender einzuholen.«9
Sybille Krämer hat sich auf die Suche nach solch einem dritten Weg gemacht, hat »Performativität als Medialität« gesucht und gefunden.10 Krämer sieht die Mediendebatte von zwei Schwerpunkten bestimmt: Die Festlegung des Mediums als textuelles Medium stehe der Festlegung des Mediums als technischem Medium diametral entgegen; dies habe Folgen für das Denken der Subjektkonstitution. Einerseits gebe es Medientheorien, die Sprache als Subjektkonstitutivum setzten, andererseits medientechnisch zentrierte Medientheorien, die Medien als Körper- und Geistsubstitute setzten. »Die Rolle des klassischen Subjektdiskurses, welche mit dem Subjekt eine Konstitutionsleistung für unser Selbst- und Weltverhältnis verband, ist damit auf den Mediendiskurs übergegangen: Die apriorische Konstitutionsleistung wird dem Subjekt zwar genommen, jedoch nur, um an die Medien weitergereicht zu werden.« (Krämer 2000, S. 188)
Medien erbringen – so sieht Krämer die Zuschreibungstendenz in der aktuellen Mediendebatte – die Konstitutionsleistungen, die früher dem Subjekt zugeschrieben wurden, und sie führt in diesem Zusammenhang einen Subjektbegriff in die Debatte ein, der sich mit den kulturalistischen Medienkonzepten der ›Verkörperung‹ und der ›Performativität‹ verbin-
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Schuhen, Gregor und Schwan, Tanja: (Post-)Gender – Choreographien/ Schnitte; unveröffentlichter Call for Papers zum Kolloquium des Teilprojekts B2 »Macht- und Körperinszenierungen in der italienischen Medienkultur« im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs 615 »Medienumbrüche – Medienkulturen und Medienästhetik zu Beginn des 20. und im Übergang zum 21. Jahrhundert« am 8. und 9. Dezember 2003 an der Universität Siegen. Vgl. (Post-)Gender – Choreographien/Schnitte, hg. v. Walburga Hülk, Gregor Schuhen und Tanja Schwan, Bielefeld: transcript 2006. 10 Krämer, Sybille: »Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Thesen über Performativität als Medialität«, in: Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Kulturen des Performativen, Sonderband Paragrana, hg. v. Erika Fischer-Lichte und Doris Kolesch, Bd. 7, Heft 1 (1988), S. 33-57. Leicht veränderter Wiederabdruck: Krämer, Sybille: »Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Gedanken über Performativität als Medialität«, in: Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2002, S. 323-346.
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den lässt und eine Alternative zu den beiden dominanten medientheoretischen Subjektkonzeptionen darstellen soll. Krämers These der »Performativität als Medialität« stützt sich zum einen auf sprachphilosophische, die Performativität betreffende Interventionen, zum anderen auf medientheoretische Fundierungen. Den performative turn in den Kulturwissenschaften mit der medientheoretischen Fundierung von Philosophie verbindend, zielt Krämer nicht auf performative Körperstrategien (body politics) ab oder die Behauptung des performativen Geschlechts (doing gender). Sie hebt vielmehr die mediale Bedingtheit des sprachphilosophischen Performativitätsbegriffs heraus, und mit dem Konzept »Performativität als Medialität« denkt sie den Körper mit: »Medien bilden die historische Grammatik des Performativen. Kulturphänomene werden nicht nur realisiert, vielmehr konstituiert durch die Medien, in denen sie auf uns überkommen sind und in denen sie für uns zugänglich werden. Performativität ist daher als Medialität zu rekonstruieren.« (Krämer 1988, S. 48)
Folglich müssen in die kulturwissenschaftlichen Erörterungen stets Medienkenntnisse und Medientheorie einbezogen werden. Denn Medien konstituieren in vielfältiger Weise die Geschlechterausprägung – und damit das Subjekt – mit. Die empirisch nachweisbare Nutzung von Medien kann geschlechtsspezifisch sein, ebenso die psychische Adressierung von Medien – um nur zwei Aspekte zu nennen. Die Positivwendung der Performanz als produktiver Kraft ist Krämers Ziel, und ihre leitende Idee, die heterogenen Sprachpraktiken positiv zu erklären. Sie macht daher drei Interventionen zur Rettung der Performativität aus. Zum einen gibt es poststrukturalistische Ansätze; hier werde das Sprachgeschehen den Intentionen und Vorsätzen bewusstseinsgesteuerter Subjektivität entzogen; (diesen Interventionspunkt hatte Derrida in Anschlag gebracht). Zweitens gibt es die medienkritische Wende, die eine je andere Verfassung bei einer je anderen materialen und kulturgeschichtlichen Lage annimmt. Drittens gibt es die kunst- und kulturwissenschaftliche Performativitätsauffassung, die die Aufführung als Wiederaufführung betont. Denkt man die drei Ansätze zusammen, kommt man zur »verkörperte[n] Sprache« (Krämer 1988, S. 34), in der Performanz eher denkbar und auffindbar ist. Mit ihrem Konzept der »Performativität als Medialität« werden insbesondere die mündliche Kommunikation und die Medien berücksichtigt, wird Medialität unverzichtbarer Bestandteil der Performativität.
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Gender als Zeichen Feministischer Filmtheorie, die sich auf Psychoanalyse stützte, war insbesondere an der Theoretisierung des dargestellten, zumeist weiblichen Körpers gelegen. In psychoanalytischen Begriffen – Fetischisierung, Voyeurismus – wurden filmische Strukturen aufgezeigt, konnten psychische Prozesse unter dem Körperbegriff subsumiert werden, wurden sie als körperliche ausgewiesen. Der metaphernhaft verstandene menschliche Körper wurde auf den medialen übertragen, die Körperlichkeit des Mediums verhandelt im Changieren zwischen einem Begriff vom physischem Körper und einem Begriff vom Körper als Medienbedingung, bisweilen Medienformat. Das Kino in Analogie zum Mutterleib, oder auch das Filmbild in seiner körperbildnerischen Funktion, sind hierfür Beispiele. Medientheorie hat unterschiedliche Optionen, Körperbilder- und Medienspurenoptionen, um in der Theorie die Medialität auch intelligibler Körper aufzuweisen. Das Theoriemodell ist losgelöst von der visuellen Oberfläche, der physischen Evidenz, es kann, wie Angerer zeigt, Wesenhaftes sichtbar machen. Die unterschiedlichen Visionen von Angerer, Krämer und List in der Verhältnisbestimmung von Körper und Medium zeigen eines: dass der Körper fernab seiner faktischen physischen Erscheinung zur theoretischen und/oder zur psychischen Größe geworden ist. Der Körper – und mit ihm das Geschlecht – ist nunmehr zeichenhaft und nicht real, abstrakt und intelligibel statt konkret: Er ist im Medium verschwunden. Die Rede von Cyberspace und virtueller Realität (aber vielleicht ja der Cyberspace und die virtuelle Realität höchst selbst) haben den Körper immateriell werden lassen und neue Körperkonzeptionen hervorgerufen. Dieses neuartige Denken schlägt sich in filmischen Narrationsweisen nieder. Der zum Zeichen gewordene Körper wird weder als authenticum noch als pure Strukturanalogie genommen. Die Zeichenhaftigkeit des Körpers und mit ihm die des Geschlechts zu analysieren, bedeutet, das sichtbar Gemachte – im Sinne des Hervorgehobenen – auf das Sichtbare zurück zu übertragen. Und es bedeutet, die Medienbedingtheit in der Analyse von Filmen hervorzukehren. In dieser Perspektive erweisen sich der zeichenhafte Körper und das als Zeichen genommene Geschlecht als aktualisierte Medienagenten, die auf potentielle Medienbedingungen des Geschlechts verweisen. Wird der Mensch als Maschine gedacht (seit dem 17. Jahrhundert) bzw. als Subjekt verstanden (Höhepunkt 19. Jahrhundert), das durch die Medien bedingt ist und diese Bedingung zur Voraussetzung seiner Wahrnehmung gemacht hat, so ist dies Ausdruck eines Denkens, das die Medien als Wahrnehmungsdispositiv setzt. Der Mensch
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AUSBLICK
ist apparatetechnisch, medienkulturell und kulturhistorisch ein Teil der medial vermittelten Wirklichkeit und der Zugang zu einer medienfreien oder medienunabhängigen Vision versperrt. Weder Empirie noch kognitivistische Erklärungsansätze, sondern die Wahrnehmung über Kultur, ihrer vielfältigen Narrationen, werden herangezogen und Kultur- wie Medienwissenschaft zur Epistemologie. Geschlecht als Zeichen zu interpretieren, die Zeichenhaftigkeit als Analysefokus zu wählen, bedeutet: den Körper in seiner Bedingtheit durch apparatetechnische oder medienhistorische Dispositive zu erfassen. In diese Theorie-Konzeption eingeschlossen sind die Manifestationen von Körper, Geschlecht und Medium, sei es in ihrer narrativen, sei es in ihrer physischen Erscheinungsweise. Die Frage ist also nicht, wann und wie im Film psychoanalytische Theoriefiguren als ideale Konkretisierung ausgemacht werden können, die als Interpretationsziele herausgestellt werden, sondern der Fokus liegt auf der Frage, wann Körper bzw. gender Effekte von medialen Anordnungen sind (dies ohne die Effekte selbst wiederum psychoanalytisch zu deuten). Das Interesse an der Narration und der dahinterliegenden medialen Anordnung gilt der Reflexion des Inhalts als aufzudeckendem Ausdruck der medialen Anordnung. Das Verständnis von gender hat sich von einer Auffassung, die Geschlecht als Reales nimmt, verlagert zur Auffassung von Geschlecht als Zeichenhaftigkeit; zugleich werden die materialen und konkreten Bedingungen, die gender schufen und sich in gender ablagerten, sichtbar.
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FILMOGRAPHIE Die Filmographie unterteilt sich in I. Analysierte Filme und II. Erwähnte Filme. Erstere werden, soweit recherchierbar, mit ausführlichen Stabangaben und filmographischer Quelle ausgewiesen, letztere durch Titel, Produktionsland und -jahr, Regisseur/in. Die Filme sind alphabetisch nach dem Originaltitel angeordnet, der deutsche Verleihtitel steht in Klammern. Titelidentische Filme werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens präsentiert.
I . A n a l y si e r te F i l m e ANNA CHRISTIE, USA 1923, Regie: John Griffith Wray, Thomas H. Ince, Buch: Bradley King, nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Darsteller/innen: Blanche Sweet (Anna Christie), William Russell (I) (Matt Burke), George F. Marion (Chris Christopherson), Eugenie Besserer (Marthy), 96 Min., s/w, Stummfilm; aus: http://german.imdb. com; International Movie Database, letzter Abruf September 2004. ANNA CHRISTIE, USA 1930, Regie: Clarence Brown, Buch: Frances Marion, nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Kamera: William H. Daniels, Darsteller/innen: Greta Garbo (Anna), Charles Bickford (Matt Burke), George F. Marion (Chris Christofferson), Marty Owens (Marie Dressler); aus: http://german.imdb.com/title/tt0020641/fullcredits, letzter Abruf September 2004. ANNA CHRISTIE, USA/Deutschland 1931, Regie: Jacques Feyder, Buch: Frank Reicher, Walter Hasenclever (deutsche Fassung), Frances Marion (amerikanische Fassung), nach einem Theaterstück von Eugene O’Neill, Produktionsfirma: MGM/Parufamet, Kamera: William H. Daniels, Darsteller/innen: Greta Garbo (Anna), Theo Shall (Matt Burke), Hans Junkermann (Chris Christopherson), Salka Steuermann (Martha Owen), Hermann Ging, 93 Min., Erstaufführung: 31.13.1930/24.4.1985 DFF 2/21.9.1985 ZDF; aus: http://cinomat.kim-info.de; Cinomat-Filmdatenbank, Eintrag zu Anna Christie, letzter Abruf Juni 2004.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
DIE FLAMBIERTE FRAU, BRD 1983, Regie: Robert van Ackeren, Buch: Robert van Ackeren, Catharina Zwerenz, Kamera: Jürgen Jürges, Musik: Peer Raben, Schnitt: Tanja Schmidbauer, Produzent: Robert van Ackeren, Darsteller/innen: Gudrun Landgrebe (Eva/Carmen), Matthieu Carrière (Chris), Gabriele Lafari (Yvonne/Karen); aus: www.imdb.com/ title/tt0083949/, letzter Abruf November 2004, und http://cinomat.kiminfo.de/filmdb/filme.php?filmnr=24903, letzter Abruf November 2004. FILM D’AMORE E D’ANARCHIA, OVVERO ›STAMATTINA ALLE 10 IN VIA DEI FIORI NELLA NOTA CASA DI TOLLERANZA…‹ [LIEBE UND ANARCHIE], I/F 1973, Regie: Lina Wertmüller, Produktionsfirma: Euro International/Labrador, Verleih: prokino, Buch: Lina Wertmüller, Kamera: Guiseppe Rotunno, Musik: Carlo Savina, Nino Rota, Darsteller/innen: Giancarlo Giannini (Antonio Soffiantini »Tunin«), Mariangela Melato (Salomè), Lina Polito (Tripolina), Eros Pagni (Spatoletti), Pina Cei (Madame Aida), Elena Fiore (Donna Carmela); aus: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=79, letzter Abruf April 2005. KISS ME, STUPID [KÜSS MICH, DUMMKOPF], USA 1964, Produktionsfirma: Phalanx/The Mirisch Corporation of Delaware/Claude Prod., Länge: 124 Minuten, FSK: ab 18; nf, Erstaufführung: 25.12.1964/5.12.1973 BR/18.10.1980 DFF 1, Produzent: Billy Wilder, I.A.L. Diamond, Doane Harrison, Regie: Billy Wilder, Buch: Billy Wilder, I.A.L. Diamond, Kamera: Joseph LaShelle, Musik: George Gershwin, André Previn, Schnitt: Daniel Mandell, Darsteller/innen: Dean Martin, Felicia Farr, Barbara Pepper, Ray Walston, Cliff Osmond, Kim Novak; in: Lexikon des Internationalen Films; aus: www.filmevonaz.de/filmsuche.cfm?wert=11523&sucheNach=titel, letzter Abruf März 2004. O. HENRY’S FULL HOUSE [FÜNF PERLEN], USA 1952, Regie: Henry Koster – Henry Hathaway – Jean Negulesco – Howard Hawks – Henry King. »Dieser Episodenfilm entstand nach Kurzgeschichten von O. Henry William Sidney Porter. […] Titel der Episoden: 1. ›The Cop and the Anthem‹ [›Der Vagabund und die Gerechtigkeit‹]; 2. ›The Clarion Call‹ [›Die alte Schuld‹]; 3. ›The Last Leaf‹ [›Das letzte Blatt‹]; 4. ›The Ransom of Red Chief‹; 5. ›The Gift of the Magi‹ [›Das Geschenk der Liebe‹]. «; Erstaufführung: 22.4.1953, 12.12.1971 ZDF Kinofassung, 24.12.1986 3sat komplett; aus: www.kabel1.de/film/filmlexikon/ ergebnis.php?filmnr=4734, letzter Abruf April 2004.
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FILMOGRAPHIE
PRETTY WOMAN, USA 1989, Regie: Garry Marshall,Produktion: Arnon Milchan, Steven Reuther, Buch: J.F. Lawton, Kamera: Charles Minsky, Musik: James Newton Howard, Schnitt: Priscilla Nedd, Darsteller/innen: Richard Gere (Edward Lewis), Julia Roberts (Vivian), Ralph Bellamy (James Morse), Laura San Giacomo (Kit De Luca), Hector Elizondo (Hotelmanager), Jason Alexander (Philip Stuckey), Alex Hyde-White (David Morse), Amy Yasbeck (Elizabeth Stuckey), Patrick Richwood (Liftboy); Produktionsfirma: Touchstone/Silver Screen Partners IV, Verleih: ino: Warner Bros., Video: Euro Video, DVD: Buena Vista (1.85:1, DD2.0 engl./dt.), 2. Aufl.: Buena Vista (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.), Länge: 119 Minuten, FSK: ab 12; FBW: bw, Erstaufführung: 5.7.1990/21.3.1991, Video/ 28.2.1992, premiere/2.2.1999, DVD/12.7.2001 DVD (2. Aufl.), fd:28342; aus: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=17960, letzter Abruf September 2004. TAGEBUCH EINER VERLORENEN, D 1929, Regie: Georg Wilhelm Pabst, Buch: Rudolf Leonhardt, nach einer Romanvorlage von Margarete Böhme, Kamera: Sepp Allgeier, Musik: Hans Jönssen, Darsteller/innen: Louise Brooks (Thymian), Fritz Rasp (Provisor Meinert), Sybille Schmitz (Elisabeth), Josef Rovensky (Apotheker Henning), Vera Pawlowa (Tante Frida), Kurt Gerron (Dr. Vitalis), Valeska Gert, Siegfried Arno; filmographiert nach: http://cinomat.kim-info.de/filmdb/filme.php?filmnr=36712, letzter Abruf April 2005.
THE COP AND THE ANTHEM (DER VAGABUND UND DIE GERECHTIGKEIT), USA 1952, R: Henry Koster »Five O‹ Henry stories, each separate. The primary one from the critic’s acclaim was »The Cop and the Anthem«. Darsteller der zweiten Episode: Charles Laughton (Soapy) – David Wayne (Horace) – Marilyn Monroe (Streetwalker). Aus: International Movie Data Base, http:// german.imdb.com/title/tt0044981/plotsummary, letzter Abruf März 2004. TOKYO DECADENCE TOPAZ (TOKIO DEKADENZ), J 1991, Regie, Ausstattung, Produktion, Buch (nach seinem Erzählband »Topaz«): Ryu Murakami, Ausführender Produzent: Hidenori Taga, produziert von: Aikoh Suzuki, Tadanobu Hiroa, Yousuke Nagata, Co-Produzent: Chosei Funhara, Kamera: Tadesh Aoki, Schnitt: Kazuki Katashima, Musik: Ryuichi Sakamoto, Ton: Masami Usui, Akihiko Suzuki, Besetzung: Ai: Miho Nikaido; Saki: Sayoko Amano, 35mm, Farbe, 85 Min. Preise: Taormina Filmfestival 1992, Preis für die beste Regie, Internationale Filmfestspiele Berlin 1992, (Aufnahme in die Sektion) Panorama, deutscher Kinostart: 29. Juli 1993; Quelle: Verleihinformationen.
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DIE PROSTITUIERTE IM FILM
I I . E r w äh n te F i l m e A.A.A. MASSAGGIATRICE BELLA PRESENZA OFFRESI …, I 1972, R: Demofilo Fidani. DIE BÜCHSE DER PANDORA, D 1928/29, Regie: Georg Wilhelm Pabst. DIE FREUDLOSE GASSE, D 1924, Regie: Georg Wilhelm Pabst. GEBROKEN SPIEGELS [DIE GEKAUFTE FRAU], NL 1983, Regie: Marleen Gorris. GEHEIMNISSE EINER SEELE, D 1926, Regie: Georg Wilhelm Pabst. INTIMATE MOMENTS [DIE INTIMEN MOMENTE DER MADAME CLAUDE], F 1980, Regie: Franςois Mimet. JOURNEYS FROM BERLIN/1971, USA 1980, Regie: Yvonne Rainer. MADAME CLAUDE [MADAME CLAUDE UND IHRE GAZELLEN], F 1976, Regie: Just Jaeckin. MAYFLOWER MADAM, USA 1987, Regie: Lou Antonio. PARIS IS BURNING [PARIS BRENNT], USA 1990, Regie: Jennie Livingston. PASSION, F 1982, Regie: Jean-Luc Godard. PILLOW TALK [BETTGEFLÜSTER], USA 1959, Regie: Michael Gordon. PSYCHO, USA 1960, Regie: Alfred Hitchcock. PUSHOVER [SCHACHMATT], USA 1954, Regie: Richard Quine. PROSTITUTE, GB 1980, Regie: Tony Garnett. RIDDLES OF THE SPHINX, GB 1977, Regie: Laura Mulvey und Peter Wollen. SAUVE QUI PEUT (LA VIE) [RETTE SICH, WER KANN (DAS LEBEN)], F/Ö/BRD/CH 1980, Regie: Jean-Luc Godard. SIGMUND FREUDS DORA, USA 1980, Regie: nicht bekannt. SOME LIKE IT HOT [MANCHE MÖGEN’S HEISS], USA 1959, Regie: Billy Wilder. STELLA DALLAS, USA 1937, Regie: King Vidor. VERTIGO [VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN], USA 1958, Regie: Alfred Hitchcock. WORKING GIRLS, USA 1986, Regie: Lizzie Borden.
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FILMOGRAPHIE
Abbildungsverzeichnis Abb. 1 und Abb. 2.: Film stills aus: DIE FLAMBIERTE FRAU, BRD 1983, Regie: Robert van Ackeren. Bildrechte bei Robert van Ackeren Filmproduktion. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Produzenten und Regisseurs Robert van Ackeren. Abb. 3-8: Film stills aus: ANNA CHRISTIE, USA/Deutschland 1931, Regie: Jacques Feyder. Bildrechte bei Turner Entertainment Co. and Warner Bros. Entertainment Inc. Abb. 9-12: Film stills aus: LIEBE UND ANARCHIE, I/F 1973, Regie: Lina Wertmüller. Der aktuelle Rechtsinhaber war zum Zeitpunkt der Publikation trotz intensiver Bemühungen nicht zu ermitteln. Für etwaige Rechtsansprüche wenden Sie sich bitte an die Autorin. Abb. 13-16 und Coverbild: Film stills aus: TOKIO DEKADENZ, J 1991, Regie: Ryu Murakami. Der aktuelle Rechtsinhaber war zum Zeitpunkt der Publikation trotz intensiver Bemühungen nicht zu ermitteln. Für etwaige Rechtsansprüche wenden Sie sich bitte an die Autorin.
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Film Catrin Corell Der Holocaust als Herausforderung für den Film Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie Oktober 2007, ca. 550 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 36,80 €, ISBN: 978-3-89942-719-6
Siegfried Mattl, Elisabeth Timm, Birgit Wagner (Hg.) Zeitschrift für Kulturwissenschaften Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft Oktober 2007, ca. 120 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN: 978-3-89942-749-3
Nadja Sennewald Alien Gender Die Inszenierung von Geschlecht in ScienceFiction-Serien August 2007, ca. 275 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-805-6
Tara Forrest The Politics of Imagination Benjamin, Kracauer, Kluge August 2007, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-681-6
Alexander Böhnke Paratexte des Films Über die Grenzen des filmischen Universums August 2007, 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-607-6
Katrin Oltmann Remake – Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960
Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium
Oktober 2007, ca. 336 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-700-4
Juli 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-563-5
Rainer Leschke, Jochen Venus (Hg.) Spielformen im Spielfilm Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne
Marcus Krause, Nicolas Pethes (Hg.) Mr. Münsterberg und Dr. Hyde Zur Filmgeschichte des Menschenexperiments
August 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-667-0
Juli 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-640-3
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Film Daniel Winkler Transit Marseille Filmgeschichte einer Mittelmeermetropole Juli 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-699-1
Ramón Reichert Im Kino der Humanwissenschaften Studien zur Medialisierung wissenschaftlichen Wissens Juli 2007, 220 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-647-2
Sandra Strigl Traumreisende Eine narratologische Studie der Filme von Ingmar Bergman, André Téchiné und Julio Medem Mai 2007, 236 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-659-5
Klaus Kohlmann Der computeranimierte Spielfilm Forschungen zur Inszenierung und Klassifizierung des 3-D-Computer-Trickfilms Februar 2007, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-635-9
Henry Keazor, Thorsten Wübbena Video thrills the Radio Star Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen (2., überarbeitete Auflage) Februar 2007, 478 Seiten, kart., ca. 250 Abb., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-728-8
Arno Meteling Monster Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm 2006, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-552-9
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Achim Geisenhanslüke, Christian Steltz (Hg.) Unfinished Business Quentin Tarantinos »Kill Bill« und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften 2006, 188 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-437-9
Volker Pantenburg Film als Theorie Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard 2006, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-440-9
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Film Andreas Jahn-Sudmann Der Widerspenstigen Zähmung? Zur Politik der Repräsentation im gegenwärtigen US-amerikanischen Independent-Film 2006, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-401-0
Nicola Glaubitz, Andreas Käuser, Hyunseon Lee (Hg.) Akira Kurosawa und seine Zeit 2005, 314 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-341-9
Joanna Barck, Petra Löffler (u.a.) Gesichter des Films 2005, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-416-4
Horst Fleig Wim Wenders Hermetische Filmsprache und Fortschreiben antiker Mythologie 2005, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-385-3
F.T. Meyer Filme über sich selbst Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film 2005, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-359-4
Trias-Afroditi Kolokitha Im Rahmen Zwischenräume, Übergänge und die Kinematographie Jean-Luc Godards 2005, 254 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-342-6
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