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German Pages 741 [742] Year 2007
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 126
Jürgen Stamm
Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts Ein Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene
Mohr Siebeck
Jürgen Stamm, geboren 1968; Studium der Rechtswissenschaften in Münster; 2000 Promotion; 2006 Habilitation; Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht an der Universität Tübingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-151203-2 ISBN 978-3-16-149246-4 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/06 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Habilitationsschrift angenommen. Sie ist mit der Prinzipienbildung in der Zwangsvollstreckung einem Thema gewidmet, das national wie international erst allmählich Beachtung findet. Diese Entwicklung zu fördern war daher mein besonderes Anliegen. Dabei war es zugleich von Interesse, die Schnittstellen zum öffentlichen Recht zu beleuchten und denkbare Wege für eine Rechtsvereinheitlichung aufzuzeigen. Diese übergreifende Betrachtung ermöglicht es, die tradierten Prinzipienkataloge aus beiden Rechtsgebieten wechselseitig fruchtbar zu machen. Angesichts der zunehmenden Europäisierung erscheint es zudem auch auf internationaler Ebene an der Zeit für eine prinzipielle Rechtsvereinheitlichung zu sein; und so will die vorliegende Arbeit im Blick auf die europäischen Nachbarn zugleich das Leistungsvermögen der deutschen Vollstreckungsrechtsdogmatik unter Beweis stellen. Diese könnte Wegweiser für eine mehr als wünschenswerte Zusammenführung der europäischen Rechtsordnungen sein. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann, der die Betreuung der vorliegenden Arbeit übernommen hat. Er hat mir sämtliche Freiräume gewährt, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Herrn Prof. Dr. Grupp danke ich für die Annahme der Habilitationsschrift aus öffentlichrechtlicher Sicht. Tübingen, 4. August 2007
Jürgen Stamm
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V IX
Einleitung § 1 Vorbemerkungen
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1
Erster Teil Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung § 2 Das staatliche Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . § 3 Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung . . . § 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge von privatem und öffentlichem Recht . . . . . . . . § 5 Das Formalisierungsprinzip . . . . . . . . . . . . .
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5 15
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19 45
Zweiter Teil Prinzipien in der Zwangsvollstreckung § 6 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Materiell-rechtliche Prinzipien aus dem Zivilrecht . . . . . . . § 10 Exkurs: Die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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63
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71
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98 150
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190
Dritter Teil Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung § 11 § 12 § 13 § 14 § 15
Das Titelerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung Die Vollstreckungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . .
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211 244 302 309 313
VIII
Inhaltsübersicht
Vierter Teil Die eigentliche Zwangsvollstreckung § 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung . § 17 Die Mobiliarvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Analyse der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . § 19 Die Zwangsvollstreckung in Forderungen . . . . . . § 20 Die Zwangsvollstreckung in Immobilien . . . . . . . § 21 Die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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335 348
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376 429 449
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464
§ 22 Die Organisationsmodelle im In- und Ausland . . . . . . . . . . . § 23 Abwägung der Organisationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . .
481 485
Fünfter Teil Die Organisation der Zwangsvollstreckung
Sechster Teil Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung § 24 § 25 § 26 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32 § 33
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Blick zu den europäischen Nachbarn . . . . . . Die Grundstrukturen eines Rechtsbehelfssystems . . Die Vollstreckungserinnerung . . . . . . . . . . . . . Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO . . . . Die sofortige Beschwerde gemäß § 11 Abs. 1 RPflG Die Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . Die Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Absonderungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO
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507 510 515 523 534 543 552 586 623 639
§ 34 Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
653 675
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
677 697 699
Schluss
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V VII
Einleitung 1 § 1 Vorbemerkungen . . . . . . I. Problemstellung . . . II. Zielsetzung . . . . . . III. Gang der Darstellung
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1 1 2 3
Erster Teil
Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung 5 § 2 Das staatliche Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Erzwingbarkeit von Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . II. Das staatliche Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeiten zur zwangsweisen Durchsetzung des Gläubigeranspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung des Gewaltmonopols auf die Willensbrechung beim Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spannungsverhältnis zum Vollstreckungsanspruch . . . . . III. Definition der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung der Vollstreckung auf privatrechtliche Ansprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwangsvollstreckung als „Verwirklichung“ des Gläubigerrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausklammerung des Schuldnerinteresses . . . . . . . . . .
5 5 6
13 14 14
§ 3 Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . I. Die Interessen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interessen des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 16
7 10 11 12 12
X
Inhaltsverzeichnis
III. Die Interessen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interessen weiterer an der Zwangsvollstreckung Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge von privatem und öffentlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das verworrene Bild der Zwangsvollstreckung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Blick zu den europäischen Nachbarn . . . . . . . . . . . . . . IV. Aufgabenfeld im Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Zwangsvollstreckung als öffentliches Recht . . . . . . . . VI. Zwangsvollstreckung als Ausprägung eines Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Differenzierung zwischen Rechtspflege und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare gesetzliche Regelungen zur Einordnung . . 3. Bewertung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflege? . . 4. Die unberechtigte Angst vor der Einordnung als Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Bezüge zum Erkenntnisverfahren . . . . . . b) Zwangsvollstreckung als kontradiktorisches Verfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vorteile der Einordnung als Verwaltungstätigkeit . . . . . a) Verfassungsrechtliche Zuordnung . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsvereinheitlichung mit der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die zivilrechtlichen Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtliche Qualifizierung der Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . § 5 Das Formalisierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problematik der Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeiten zur Gestaltung der Schnittstellen . . III. Dualismus zwischen originär öffentlich-rechtlichen und formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen . IV. Zivilrechtliche Fragestellungen . . . . . . . . . . . . V. Ausgestaltung der Formalisierung in drei Stufen . . . 1. Die freiwillige Einigung zwischen den Betroffenen 2. Die gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . 3. Die formalisierten Vermutungstatbestände . . . . VI. Abgleich mit den zivilrechtlichen Beweisregeln . . .
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19 19 19 20 22 22 23 24 27 28 36 37 39 40 41 41 42 44
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XI
Inhaltsverzeichnis
VII. Zuordnung einzelner formalisierter Vollstreckungstatbestände . . . . . . . . . . . VIII. Abschließende Rechtfertigung des dreistufigen Formalisierungsmodells . . . . . . . . . . . . . IX. Ein klärendes Wort zur Qualifikation des Gerichtsvollziehers . . . . . . . . . . . . . X. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zweiter Teil
Prinzipien in der Zwangsvollstreckung 63 § 6 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Methodische Notwendigkeit einer Prinzipienbildung . . III. Entwicklung eines vermittelnden Lösungsansatzes . . . IV. Ordnungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formalisierung als vollstreckungsspezifisches Prinzip 2. Reduktion auf bekannte Prinzipienkataloge . . . . . .
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§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durch die Begriffsbestimmung vorgegebene Prinzipien . . 1. Die Nähe zu den Eingriffstatbeständen aus dem Polizeiund Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lücken im Bereich der Zwangsvollstreckung . . . . . . III. Schutz des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verfassungsrechtliche Komponente . . . . . . . . . 2. Das Dominat des Gläubigerinteresses . . . . . . . . . . 3. Verbleibender Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des Gläubigers vor der staatlichen Sozialhilfeverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versagung jeglicher Zwangsvollstreckung unterhalb des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkung des Schuldnerschutzes auf die Geldvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergänzung Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schuldnerschutz durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes? . . . . . . . . . . . .
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XII
Inhaltsverzeichnis
1. Der Streit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . 2. Zuordnung der Argumente von Befürwortern und Gegnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Eignung der Gewaltanwendung . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit der Vollstreckungsmaßnahme . . . c) Angemessenheit der Vollstreckungsmaßnahme . . . V. Einführung eines gradus executionis? . . . . . . . . . . . . 1. Der gradus executionis als materiell-rechtliches Prinzip 2. Blick zu den europäischen Nachbarn . . . . . . . . . . a) Eingeschränkte Vollstreckungsreihenfolge in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Österreich: Gehaltsexekution vor Fahrnisund Immobiliarexekution . . . . . . . . . . . . . . . c) Frankreich: Begrenzte Subsidiarität der Sachgegenüber der Forderungspfändung . . . . . . . . . 3. Einfluss der Vollstreckungsorganisation auf die Durchführbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedenken gegen eine starre Vollstreckungsreihenfolge . a) Die mangelnde Sachaufklärung . . . . . . . . . . . . b) Unzureichender Kriterienkatalog . . . . . . . . . . . 5. Verbleibender Wert eines eingeschränkten gradus executionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Abgrenzung des Verfahrensrechts vom materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die unterschiedlichen Adressatenkreise . . . . . . . . . 2. Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Maximen . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Differenzierung auch im Vollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ursachen für die bisher verabsäumte Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die unzureichende begriffliche Fixierung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . bb) Die enge Verzahnung von Verwaltungsverfahren, materiell-rechtlicher Entscheidung und deren Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interessenkonflikt des Vollstreckungsorgans? . . . . d) Der materiell-rechtliche Sektor der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XIII
Inhaltsverzeichnis
e) Der zweigleisige Bereich des Vollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorteile eines differenzierenden Vollstreckungsrechtsmodells . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gebot der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zwei Seiten der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . 2. Effektivität als Ausdruck der Angemessenheit des staatlichen Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die einseitige Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Schuldnersicht . . . . . . . . . . . . . . 4. Gebot der Effektivität aus Gläubigersicht . . . . . . . . 5. Ein Wort zur sogenannten Beschleunigungsmaxime . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beginn der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Reichweite der Dispositions- und Offizialmaxime . 2. Das österreichische und schweizerische Modell der Gläubigerdisposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkung der Dispositionsmaxime auf Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . 4. Bestätigender Blick in die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . IV. Verhandlungsmaxime versus Untersuchungsgrundsatz . . 1. Die Nähe zur Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . 2. Die Sachaufklärung als ein Aspekt des Zwangsvollstreckungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . 3. Untersuchungsgrundsatz als maius gegenüber dem Verhandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Aspekt der Aufklärungskompetenzen . . . . . . . . 5. Ausländische Modelle einer modernen Sachaufklärung . 6. Rückbesinnung auf den Entwurf einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 . . . . . . . . . a) Die viel kritisierte Verstaatlichungstendenz . . . . . b) Das Gläubigerinteresse am staatlichen Aufklärungsapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bandbreite des Untersuchungsgrundsatzes . . . 7. Verhältnis der Sachaufklärung zum Gebot der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einsichten aus der bisherigen Reformdiskussion . . . . a) Auskunftsverpflichtung von Dritten und Behörden . b) Vollstreckung des öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die ungeklärte Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung
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XIV
Inhaltsverzeichnis
d) Der unnötige Streit um die Rechtsnatur der Drittschuldnererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Frage des Verfahrensfortgangs: Parteioder Amtsbetrieb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nähe der Untersuchungsmaxime zum Amtsbetrieb . . 2. Bestehende Dispositionsrechte des Gläubigers . . . . . . . 3. Einwirkungsrechte des Gläubigers versus staatliches Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praktische Nachteile der weitreichenden Gläubigerdisposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Begrenzung der Gläubigerdisposition auf Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Nähe der derzeitigen Vollstreckungspraxis zum Amtsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorteile der Anlehnung an das allgemeine Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Grundsatz des (nachträglichen) rechtlichen Gehörs . . . . . . 1. Zahlungsaufforderung vor Beginn der Vollstreckung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Italien: Leistungsaufforderung und Androhung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Wartefrist vor der Verwertung in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die deutschen Regelungen zum rechtlichen Gehör . . . . a) §§ 834, 891 S. 2 ZPO als spezielle Anwendungsfälle des § 28 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überlegungen aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Materiell-rechtliche Prinzipien aus dem Zivilrecht . . . . . . . . I. Notwendiger Rückbezug des Vollstreckungsrechts zum materiellen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Umfang zivilrechtlicher Prinzipien in der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prinzipien im Bereich der (formalisierten) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom numerus clausus im Sachenrecht bis zum Bestand der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fälle der Drittbetroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Palette der Lösungsmodelle in Europa . . . . . aa) Abwicklung von Dreiecksverhältnissen nach deutschem Muster . . . . . . . . . . . . .
129 131 131 132 133 135 138 139 140 142 143 144 145 146 146 147 148 149
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XV
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bb) Uneingeschränkte Zwangsvollstreckung gegenüber Dritten in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der italienische Mittelweg . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haltlosigkeit des französischen Lösungsmodells . bb) Fehlen zivilrechtlicher Mitwirkungspflichten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Hemmnisse der Herausgabevollstreckung . . . . . c) Abschließendes Plädoyer für die Beibehaltung zivilrechtlicher Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prinzipien im Bereich der Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . 1. Streifzug von Gefahrtragung und Erfüllung bis hin zum gutgläubigen Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrierende Gläubiger: Priorität versus Verlustgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spektrum der bestehenden Lösungsmuster in Europa . aa) Zeitliche Priorität in Österreich, abgeschwächt in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Verlustgemeinschaft in Italien . . . . . . . . . cc) Der schweizerische Mittelweg . . . . . . . . . . . . dd) Differenzierung nach der Vollstreckungsart in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die grundsätzliche Frage nach Ob und Wie einer Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kanon denkbarer Differenzierungskriterien . . . . . . d) Exkurs zur Rechtsnatur der Gesamtvollstreckung . . . e) Die sogenannte Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zivilrechtliche Vorgaben im Vorfeld der Insolvenz bb) Der Prioritätsgedanke im materiellen Zivilrecht und in der Einzelvollstreckung . . . . . . . . . . .
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(1) Zwingende Ableitbarkeit aus sachenrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorrang der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . (3) Öffentlich-rechtlicher Teilhabeanspruch des nachrangigen Gläubigers? . . . . . . . . . . . (4) Die Gefahr der voreiligen Zerschlagung des Schuldnervermögens . . . . . . . . . . . . . . . (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Prioritätsgedanke in der Insolvenz? . . . . . . . . . f) Die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs als Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . aa) Privilegierte Gläubigerklassen als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des konkurrierenden Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 174 175 176 178 179 180
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XVI
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bb) Beschränkung des sozialen Moments auf die Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Schnittstellenbildung zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Privatautonomie und Dispositionsmaxime bei Einleitung des Insolvenzverfahrens . . . bb) Das Korrektiv der Gläubigeranfechtung . . . cc) Verhältnis zwischen zeitlich bevorrechtigten Gläubigern aus der Einzelvollstreckung und den Gläubigerklassen in der Insolvenz . . . . h) Die Zwangsvollstreckungsart als Differenzierungskriterium zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . i) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Blick zu den europäischen Nachbarn . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 10 Exkurs: Die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die unterschiedlichen Vollstreckungssysteme im Bereich der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ursachen und Auswüchse der speziellen Vollstreckungssysteme der öffentlichen Hand . . . . . . . . . 1. Gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privilegien des Staates in der Verwaltungsvollstreckung . . a) Verwaltungsakt als Titelersatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere vollstreckungsrechtliche Privilegien des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Suche nach einer Existenzberechtigung für die Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigung der Selbstvollstreckung aufgrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung? . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung aufgrund der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entbehrlichkeit der Formalisierung in der Verwaltungsvollstreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Unabhängigkeit von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs . . . . . . . . . . . . bb) Verifizierung anhand des dreistufigen Formalisierungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichender Prinzipienkatalog in Anbetracht der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Europäische Modelle einer einheitlichen Vollstreckung . . . .
XVII 207 207
Dritter Teil
Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 211 § 11 Das Titelerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausländische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zweck des Titelerfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzlicher Ausgangsfall: Das Urteil als Titel . . . . . . . . . 1. Einordnung des rechtskräftigen Urteils im Formalisierungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorläufige Vollstreckbarkeit und einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ausgeklügelten Vermutungsregeln zur vorläufigen Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstweiliger Rechtsschutz als zeitlich abgestufter Vermutungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Charakterisierung des Leistungsurteils . . . . . . . . . . . . a) Französisches Erklärungsmodell der astreinte . . . . . . b) Das judikative Entscheidungsmoment und der exekutive Leistungsbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchbrechung der Gewaltenteilung aus Gründen der Sachnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die „Verurteilung“ als Grundverwaltungsakt . . . . . . e) Rückschlüsse für die zivilrechtlichen Klagearten . . . . . 4. Parallelen zum Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung als bloßer Auswuchs der VA-Befugnis . . . . . . . . . . . . aa) Die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage . . . . . bb) Die Verpflichtungsklage als Leistungsklage . . . . . b) Parallelen in der verwaltungsgerichtlichen und -behördlichen Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Grundverwaltungsakt als Dreh- und Angelpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Titulierung von Befristungen, Bedingungen und Zug-um-Zug-Einreden . . . . . . . . . . . . . . cc) Parallele zwischen sofortiger Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und vorläufiger Vollstreckbarkeit des Leistungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XVIII
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dd) § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO als Pendant zum einstweiligen Vollstreckungs- und Rechtsschutz nach der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Prozessvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Doppelnatur als Konsequenz der Formalisierung . . . 2. Zwangsvollstreckung ohne Grundverwaltungsakt? . . . . . a) Die Protokollierung; Ausdruck der Unterwerfung . . . b) Der Dualismus von materiell-rechtlichem Vergleich und verwaltungsrechtlichem Verwaltungsakt . . . . . . c) Ergänzung der §§ 704, 794 ZPO um die Dogmatik zum Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Protokollierung als Bezugspunkt für den Grundverwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die schriftliche Niederlegung im Lichte des § 37 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kostenfestsetzungsbeschluss und Vollstreckungsbescheid . . VII. Die vollstreckbare Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Doppelnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterwerfungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erklärungsmodell des § 800 ZPO als dinglicher Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Die Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Vollstreckungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . II. Blick auf abweichende Modelle in anderen Länder . . . . . . 1. Entbehrlichkeit der Vollstreckungsklausel in Spanien . . . 2. Das österreichische Modell von Exekutionsbewilligung und Exekutionsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Einleitungsverfahren der Geldvollstreckung in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vollstreckungsklausel als Nachweis der Vollstreckungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schattierungen der Vollstreckungsreife . . . . . . . . . . . a) Die Formgültigkeit des Titels . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fragwürdigkeit der Prüfung durch ein untergeordnetes Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die etwaige Nichtigkeit des dem Titel immanenten Grundverwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die vermeintliche Entlastungsfunktion . . . . . . . . . .
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c) Der vollstreckungsfähige Inhalt und seine Bedeutung . 2. Die Praxis der Klauselerteilung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schließung der Kluft zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formungültigkeit des Titels als primär vom Prozessgericht zu beachtender Nichtigkeitsgrund . . . . . . . b) Vollstreckbarkeit als Problem der Vorschriften der §§ 704 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verantwortung des Prozessgerichts für den vollstreckungsfähigen Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzlich geregelte Fälle der Entbehrlichkeit der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzicht in der Verwaltungsvollstreckung . . . . . . . b) Gesetzliche Bestimmungen in der Zivilprozessordnung 5. Vorteile eines Verzichts auf das Klauselverfahren . . . . . IV. Vollstreckungsklausel zur Verhinderung einer Mehrfachvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gefahr der Doppelvollstreckung . . . . . . . . . . . . 2. Die Nähe zu den Fällen der entbehrlichen Klausel . . . . 3. Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die qualifizierten Vollstreckungsklauseln . . . . . . . . . . . 1. Die funktionale Zuständigkeit des Rechtspflegers . . . . 2. Perpetuierung des Formalisierungsmodells . . . . . . . . 3. Die Nähe zur Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . a) § 726 Abs. 1 ZPO: Die Verflechtung mit § 751 ZPO . b) Das halbherzige Regelungswerk der §§ 726 Abs. 2, 756, 765 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 727 ZPO: Entmündigung der Vollstreckungsorgane . 4. Die Frage nach dem Sinn der Verlagerung in das Klauselverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vehikel für ein zentrales Vollstreckungswesen . . . . . b) Das Fehlen sachlicher Kriterien für die Auslagerung . . c) Die Skepsis gegenüber dem Gerichtsvollzieher . . . . 5. Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das unüberschaubare Rechtsbehelfssystem . . . . . . . . . . 1. Rechtsbehelfe des Gläubigers gegen die Versagung der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erinnerung gemäß § 573 ZPO . . . . . . . . . . . b) Die sofortige Beschwerde als begrüßenswertes Relikt aus der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . c) Rückführung der Klauselklage . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Die Grenzen der Leistungsfähigkeit der formalisierten Vermutungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsnatur der Klauselklage . . . . . . . . . . . . . cc) Entbehrlichkeit im Blickfeld des § 256 ZPO . . . . dd) Rückführung der Konkurrenz von Klauselklage und neuer Klage auf die Abgrenzung von Leistungsund Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Plädoyer für die Feststellungsklage als maßgeblicher „Rechtsbehelf“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsbehelfe des Schuldners gegen die Erteilung der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rückführung der Klauselerinnerung . . . . . . . . . . . b) Die Klauselgegenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rückführung auf eine (negative) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerlegung der angeblichen Beweislastumkehr . . c) Der Dualismus von Klauselerinnerung und Klauselgegenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Rechtsbehelfssystem als Abbild der Formalisierung . . 4. Das Rechtsschutzinteresse als Schnittstelle im zweispurigen Rechtsbehelfssystem . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Abschließendes Plädoyer für einen Verzicht auf das Klauselverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Die Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die dreifache Bedeutung der Zustellung . . . . . . . . . II. Die Zustellung als Ausdruck der notwendigen Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überschneidung mit dem Zustellungserfordernis des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit der Bekanntgabe gemäß § 41 VwVfG 3. Die Möglichkeit der Parteizustellung gemäß § 750 Abs. 1 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Zustellung gemäß § 750 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . 1. Die Nähe zu den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bekanntgabe feststellender Verwaltungsakte zu Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Zustellung gemäß § 750 Abs. 3 ZPO . . . . . . . . . 1. Vorrang der freiwilligen Erfüllung und der Stellung von Sicherheitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Denkbare Ausgestaltungen unter dem Primat der Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rückführung der Trias „Titel, Klausel, Zustellung“ auf die Bekanntgabe eines hinreichend bestimmten Grundverwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Die besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung I. Vorbemerkung zur Funktion . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vollstreckung künftiger Ansprüche . . . . . . . . III. Der Nachweis von Sicherheitsleistungen . . . . . . . IV. Parallele der §§ 756, 765 ZPO zum qualifizierten Klauselverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 15 Die Vollstreckungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Konglomerat der §§ 775, 776 ZPO . . . . . . . . . . . . . 1. Unterteilung der Katalogtatbestände entsprechend den drei Stufen der Formalisierung . . . . . . . . . . . . . . 2. Differenzierung zwischen Aufhebung und Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen gemäß §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schnittstelle für materiell-rechtliche Einwendungen . . a) Die Aufhebung des Urteils im Rechtsmittelverfahren . . aa) Die Vollstreckungsmaßnahme als Gegenstand der §§ 775, 776 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die formalisierte Trennlinie zwischen Schuldund Vollstreckungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . cc) Die zeitliche Dynamik der §§ 775, 776 ZPO . . . . dd) §§ 775, 776 ZPO als leges speciales zu § 49 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) §§ 775, 776 ZPO als subjektives öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Erledigung im Falle der Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiede zu den Fällen der Aufhebung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausdehnung des § 775 Nr. 1 ZPO auf die Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO als Anknüpfungspunkt für formelle Einwendungen? . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Vergleich mit der Anfechtungssituation im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die bedenkliche Verlagerung der Kassation auf das Vollstreckungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die einstweilige Einstellung gemäß §§ 775 Nr. 2, 776 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermutungsregeln für den Nichtbestand der titulierten Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gerichtliche Anordnung und die vollstreckungsrechtliche Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsfolge des § 776 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . 2. Fortsetzung der Zwangsvollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Sicherheitsleistung des Schuldners gemäß §§ 775 Nr. 3, 776 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die formalisierten Vermutungstatbestände des § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die analoge Anwendung der §§ 775, 776 ZPO im Fall der Freigabeerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vierter Teil
Die eigentliche Zwangsvollstreckung 335 § 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung . . . . . . I. Denkbare Differenzierungskriterien . . . . . . . . . . . 1. Vorgaben aus dem materiellen Recht . . . . . . . . . 2. Das Objekt der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . 3. Unmittelbarer oder mittelbarer Zwang . . . . . . . . 4. Die Art des Vollstreckungstitels . . . . . . . . . . . . II. Lösungsansätze im Bereich der Geldvollstreckung . . . 1. Der dogmatisch geprägte Streit in Deutschland . . . 2. Das französische Modell einer effektivitätsorientierten Vollstreckungsrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fragestellungen im Vorfeld der Geldvollstreckung . . . 1. Die Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kardinalfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das bisherige Manko . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erste Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 17 Die Mobiliarvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückbesinnung auf das Faustpfandrecht . . . . . . . . . . 1. Das Modell der §§ 1204 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . 2. Parallelen zur Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . 3. Der Dualismus von Pfändung und Verwertung im einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . II. Der Pfändungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Pfändungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Differenzierung zwischen zu beachtenden und zu erwirkenden Pfändungsmerkmalen . . . . . . . . b) Fiktion der Verpfändungserklärung und gewaltsame Erzwingung der Übergabe . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modifikation des Übergabeerfordernisses . . . . . . . . a) Die Schwäche der §§ 1204 ff. BGB . . . . . . . . . . b) Reformanstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versagung eines gutgläubigen Erwerbs . . . . . . . . . . a) Das Fehlen einer freiwilligen Verpfändungserklärung b) Gleichstellung mit dem gesetzlichen Pfandrecht . . . 4. Modifizierung der privaten Pfandrechtstheorie im Bereich der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivilrechtliche Bewertung von Mängeln des Vollstreckungsverfahrens? . . . . . . . . . . . . . b) Besinnung auf die verwaltungsrechtliche Fehlerfolgenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Schnittstelle zwischen Pfändung und Verwertung . . 1. Plädoyer für ein einheitliches Verwertungsverfahren . . 2. Die verbleibende Schnittstelle innerhalb des Verwertungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Verwertungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verwertungstatbestände der §§ 1228 ff. BGB . . . . a) Die Tätigkeit des Versteigerungsorgans als Vertreter des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versteigerung als staatliche Leistungsverwaltung . . . 2. Die Suche nach einer Existenzberechtigung für die §§ 814 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das schweizerische Vorbild einheitlicher Verwertungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das zivilrechtlich geprägte Verständnis der §§ 814 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die mangelnde Koordinierung der Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Verkehrsschutz in der Versteigerung . . . . . . . .
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a) Erstreckung auf den gutgläubigen Erwerber im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versagung des Verkehrsschutzes oder § 1244 BGB analog in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verkehrsschutzbedürfnis selbst bei Bösgläubigkeit des Erwerbers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Fälle der nichtigen Vollstreckungsmaßnahmen . . . aa) Die Schutzbedürftigkeit des gutgläubigen Erwerbers bb) Der Regelfall der Gutgläubigkeit . . . . . . . . . . . e) Analoge Anwendung von § 142 Abs. 2 BGB bei anfechtbaren Vollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Analyse der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verstrickung als Grundlage der Verwertung . . . . . . . II. Erklärungsansätze für die Verstrickung . . . . . . . . . . . . . 1. Auswuchs des staatlichen Gewaltmonopols? . . . . . . . . a) Beschränkung des Gewaltmonopols auf den Akt der gewaltsamen Willensbeugung . . . . . . . . . . . . . b) Das Fehlen einer Gewaltanwendung im Rahmen der Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die zivilrechtliche Ausgestaltung des Versteigerungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verstrickung als Ausdruck eines gesteigerten Verkehrsschutzbedürfnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der gesteigerte Schutz des öffentlichen Versteigerungswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 935 Abs. 2 BGB als Indiz für einen gesteigerten Verkehrsschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Fehlen sachlicher Erwägungen zum Schutz des bösgläubigen Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der irrige Schluss von der Formalisierung auf eine erweiterte Verfügungsbefugnis des Gerichtsvollziehers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Fehlen abweichender öffentlich-rechtlicher Prinzipien zum Eigentumserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der sogenannte originäre Eigentumserwerb kraft Hoheitsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Fehlen vergleichbarer Konstruktionen im öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unzulässige Ausblendung des derivativen Eigentumserwerbs in der Versteigerung . . . . . . .
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dd) Konsequenz bei öffentlich-rechtlicher Konstruktion des Eigentumserwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rangproblematik als Existenzberechtigung für die Verstrickung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgestaltung des Prioritätsprinzips bei Heilung von Mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rangfragen bei Einwendungen gegen die titulierte Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pfändung einer schuldnerfremden Sache, die der Schuldner später erwirbt . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das berechtigte Anliegen im Bereich der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Widersprüche und Folgeprobleme der öffentlich-rechtlichen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstoß gegen Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Fehlen eines ausreichenden Rechtsschutzsystems . . 2. Prinzipienwidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfachgesetzliche Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Privilegierung des vollstreckungsrechtlichen Versteigerungswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unzureichender Verkehrsschutz bei Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Komplexität der Erwerbsvorgänge und Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vervielfältigung der Erwerbsvorgänge . . . . . . . . b) Folgeprobleme der Versagung von Ansprüchen jenseits der Versteigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mangelnde Existenzberechtigung der Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die bedenkliche Begründung eines Erlösherausgabeanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Erlangung eines Vermögensvorteils „auf Kosten“ des Eigentümers . . . . . . . . . . . . (1) Fehlen eines Eingriffs des Gläubigers . . . . . . . . . (2) Künstliche Begründung eines fremden Zuweisungsgehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Die künstliche Differenzierung zwischen formellem und materiellem Befriedigungsrecht . . . . . . . . . cc) Spannungsverhältnis zur Versagung jeglicher Ansprüche gegen den Erwerber . . . . . . . . . . . . e) Private Schadensersatzverpflichtung des Gläubigers aus hoheitlicher Eigentumszuweisung? . . . . . . . . . .
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f) Reduktion der Erwerbsvorgänge im Wege der privaten Pfandrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ablehnung der Mandatstheorie bei privatrechtlicher Bewertung der Besitzverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 8. Widersprüche im Rahmen der Straftatbestände . . . . . . . IV. Verzicht auf das öffentliche Pfändungspfandrecht? . . . . . . V. Abschließende Bewertung der öffentlich-rechtlichen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die missglückte Schnittstellenbildung der gemischten Pfandrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Abschließendes Plädoyer für die private Pfandrechtstheorie in modifizierter Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19 Die Zwangsvollstreckung in Forderungen . . . . . . . . . . . . I. Das französische Modell eines gesetzlichen Forderungsübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pfändung und Verwertung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlehnung des Pfändungstatbestandes an die Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungsverwertung: Ersetzungsbefugnis des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rückführung auf die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Pfändungsbeschluss: Fiktion der fehlenden Verpfändungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Arrestatorium als Synonym für die Verpfändungsanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Inhibitorium als Ausdruck der Bekanntgabe des belastenden Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . 2. Der Überweisungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schwäche des § 836 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . b) Die Schwäche des § 835 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . c) Die Alternative zwischen Pfändung oder Überweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verständnis des Überweisungsbeschlusses als Ersetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschränkung der Vollstreckung im Arrestverfahren f) § 836 Abs. 2 ZPO als Umschreibung der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entbehrlichkeit der öffentlich-rechtlichen Verstrickung . 1. Rechtfertigung als gerichtliches Verfügungsverbot? . .
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2. Die Verpfändungsanzeige als eigentlicher Schutzmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgeprobleme der öffentlich-rechtlichen Theorie a) Die Unwirksamkeit der sogenannten „Pfändung ins Leere“ . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Nichtigkeit“ der Pfändung bei Fehlen des Arrestatoriums . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 20 Die Zwangsvollstreckung in Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . 449 I. Die abweichenden Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 II. Rückführung auf das zivilrechtliche Grundpfandrecht . . . . 451 1. Die Zwangshypothek als Grundpfändungspfandrecht . . . 451 a) Die Doppelnatur der Zwangshypothek . . . . . . . . . . 451 b) Entbehrlichkeit der Duldungsklage gemäß § 1147 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 aa) Das Fehlen einer vergleichbaren Regelung in der Mobiliar- und Forderungsvollstreckung . . . 454 bb) Weiterer Vergleich mit dem Faustund Forderungspfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . 454 cc) § 1147 BGB als Verweisungsnorm auf das Zwangsversteigerungsgesetz . . . . . . . . . . . . 455 2. Die Zwangsversteigerung als Verwertung des Grundpfändungspfandrechts . . . . . . . . . . . . . . . 456 a) Die Rechtseinheit bei der Verwertung von Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 b) Die Beschlagnahme des Grundstücks . . . . . . . . . . . 456 aa) Die Parallele zur zivilrechtlichen Zwangshypothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 bb) Nähe des Veräußerungsverbots zur Verfügungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . 457 cc) Das Befriedigungsrecht als Pendant zum Verwertungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 c) Die Versteigerung des Grundstücks . . . . . . . . . . . . 458 aa) Die öffentlich-rechtliche Konzeption der Grundstücksversteigerung . . . . . . . . . . . . . . 459 bb) Rückführung auf die zivilrechtlichen Vorschriften zur Grundstücksveräußerung . . . . . . . . . . . . . 460 3. Die Zwangsverwaltung als gesetzlicher Typus der anderweitigen Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . 461 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 III. Effektivitätserwägungen im Sinne der europäischen Nachbarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
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§ 21 Die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgaben durch die materiell-rechtlichen Anspruchsziele 1. Abgabe einer Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vollstreckung vertretbarer Handlungen . . . . . . a) Rückführung der vollstreckungsrechtlichen auf die zivilrechtliche Ersatzvornahme . . . . . . . . . . b) Entbehrlichkeit des § 887 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . c) Der zivilrechtliche Anspruch auf Kostenvorschuss . d) Verbleibender Regelungsgehalt des § 887 ZPO . . . 4. Die Vollstreckung wegen persönlicher Ansprüche . . . II. Denkbare Lösungen bei der Zwangsvollstreckung wegen persönlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung auf Schadensersatzansprüche in Italien . 2. Bedenken gegen die Versagung der Vollstreckung . . . 3. Der mittelbare Zwang als Königsweg . . . . . . . . . . III. Die Ausgestaltung des mittelbaren Zwangs . . . . . . . . . 1. Die französische astreinte: Ausprägung einer „Privatstrafe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arten der astreinte und Verfahrensablauf . . . . . . c) Zur Rechtsnatur der astreinte . . . . . . . . . . . . . d) Rechtfertigung der dogmatischen Verwerfungen durch gesteigerte Effektivität? . . . . . . . . . . . . . 2. Strafrechtliche Bewehrung in Spanien . . . . . . . . . . 3. Öffentlich-rechtliche Ordnungsmittel . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fünfter Teil
Die Organisation der Zwangsvollstreckung 481 § 22 Die Organisationsmodelle im In- und Ausland . . . . . . . . I. Die Organisationsfrage als Strukturprinzip . . . . . . . II. Europäische Organisationsmodelle . . . . . . . . . . . . 1. Das französische Modell des allzuständigen huissiers 2. Die abgeschwächte Stellung des Gerichtsvollziehers in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das österreichische Modell eines zentralen Vollstreckungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zentrale Betreibungsämter in der Schweiz . . . . . .
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XXIX
§ 23 Abwägung der Organisationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung zu den Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . II. Die Frage nach der Existenzberechtigung von vier Vollstreckungsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Prozessgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Tätigkeit als erkennendes Gericht . . . . . . . . . . b) Die fehlende Sachnähe zur Vollstreckung . . . . . . . . 2. Das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan? . . . . . . . . 3. Das Vollstreckungsgericht als Zwitter zwischen Exekutive und Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verwaltungstätigkeit des Rechtspflegers . . . . . . . b) Die rechtsprechende Tätigkeit des Vollstreckungsrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die vermeintliche Doppelfunktion bei Maßnahmen des Rechtspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die gerichtliche Tätigkeit bei Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers . . . . . . . . . c) Trennung zwischen gerichtlicher Tätigkeit des Vollstreckungsrichters und verwaltungsbehördlicher Tätigkeit von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher . . . 4. Die umstrittene Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers . . . a) Vermittelnde Lösung zwischen Amtsund Mandatstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichstellung mit dem Rechtspfleger . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Zusammenspiel von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder im Innenund Außendienst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identität des Anforderungsprofils . . . . . . . . . . . . . b) Austauschbarkeit der Tätigkeitsfelder . . . . . . . . . . . 2. Auftretende Reibungsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überspannung der Dispositionsmaxime und Aushöhlung des Prioritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besinnung auf ein zentrales Vollstreckungsorgan . . . . . . . 1. Rückbezug zum zentralen Klauselverfahren . . . . . . . . . 2. Rückschluss von der Rechtsnatur der Vollstreckung auf ihre Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsvereinheitlichung durch Zentralisierung . . . . . . . 4. Trennung zwischen Exekutive und Judikative . . . . . . . V. Gefahren der zögerlichen Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sechster Teil
Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung 507 § 24 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Spiegelbild der Prinzipien und Strukturen der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . II. Der Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fragwürdige Vielfalt der Rechtsbehelfe 2. Die Frage nach der Legitimation . . . . . . 3. Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 25 Der Blick zu den europäischen Nachbarn . . . . . . . . . . . . . I. Das französische Modell: Reduzierung auf einen einheitlichen Rechtsbehelf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die bunte Vielfalt in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einheitliches Beschwerdeverfahren und materiell-rechtliche Klagen in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 26 Die Grundstrukturen eines Rechtsbehelfssystems . . . . . . . . I. Der Trugschluss vom einheitlichen „Rechtsbehelfssystem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die prinzipielle Zweispurigkeit . . . . . . . . . . . . . . . III. Entbehrlichkeit weiterer Differenzierungen auf öffentlich-rechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verwaltungsakt als einheitliches Kennzeichen . . . 2. Unterschiede zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entbehrlichkeit einer Differenzierung in Abhängigkeit vom Vollstreckungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die privatrechtlichen Klagekonstellationen . . . . . . . . 1. Denkbare Gegenstände gerichtlicher Überprüfung . . . a) Korrekturen auf der ersten Stufe der Formalisierung b) Die gerichtliche Entscheidung auf der zweiten Stufe der Formalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entbehrlichkeit einer Differenzierung in Abhängigkeit von den Klageparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27 Die Vollstreckungserinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parallelen zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage 1. Gegenstand der Vollstreckungserinnerung . . . .
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2. Identische Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . a) Die Erinnerungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz über Beginn und Ende der Vollstreckung hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Entscheidungstenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anfechtungssituation im Lichte des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Verpflichtungstenor im Lichte des § 113 Abs. 5 S. 1 und S. 2 VwGO . . . . . . . . . . . III. Sachlich gebotene Unterschiede zur Anfechtungsund Verpflichtungsklage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtswegeröffnung zum Zivilgericht . . . . . . . . . . . . 2. Die Suche nach der Berechtigung für ein kontradiktorisches Erinnerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung der Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlussverfahren versus Widerspruchsund Urteilsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsbehelfsbelehrung und Befristung . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung und Abgrenzung zur Vollstreckungserinnerung 1. Das Kriterium der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Frage nach dem Sinn der Differenzierung . . . . . . 3. Die sinnfällige Abhängigkeit von der Gewährung rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das eigentliche Problem: Die mangelnde Befristung der Vollstreckungserinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Differenzierung zwischen rechtsprechender und exekutiver Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Hauptanwendungsfall der sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unterschiedlichen Streitgegenstände von § 766 ZPO und § 793 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unzulänglichkeit der „Entscheidung“ als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkretisierung der „Entscheidung“ in § 793 ZPO . . II. Konsequenzen der vorgenommenen Abgrenzung . . . . . . 1. Die Vollstreckungserinnerung im Rahmen der §§ 888 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die bisherige Verkürzung des Rechtswegs bei der sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forderung nach einer Ausgrenzung des Prozessgerichts aus der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rückführung des § 793 ZPO auf die allgemeinen Beschwerdevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 29 Die sofortige Beschwerde gemäß § 11 Abs. 1 RPflG . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck des § 11 RPflG . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schwäche des § 11 Abs. 1 RPflG . . . . . . . . . . . . . . III. Das mangelnde Bedürfnis für einen spezifischen Rechtsbehelf gegen die Tätigkeit des Rechtspflegers . . . . . . . . . . . . . 1. Unstreitige Anwendung der Vollstreckungserinnerung bei „Maßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unsägliche Abgrenzung zwischen „Entscheidungen“ und „Maßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die bisherige Differenzierung zwischen Vollstreckungserinnerung und sofortiger Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unberechtigte Anknüpfung der „Entscheidungen“ an § 793 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen der bisherigen Unterscheidung . . . . . . . a) Verkürzung des Rechtsweges gegen „Entscheidungen“ des Rechtspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzungsprobleme beim Rechtsbehelf des Drittschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bereinigung durch Konzentration auf § 766 ZPO als lex specialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsequenzen für die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließendes Plädoyer für einen einheitlichen Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die irreführende Bezeichnung . . . . . . . . . . . III. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft . . . . . 1. Die Brückenfunktion des § 767 ZPO . . . . . 2. Folgerungen für das weitere Verständnis des § 767 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rückführung der Vollstreckungsabwehrklage auf die allgemeine Feststellungsklage . . . . . . . . .
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1. Die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss einer unmittelbaren Vollstreckungsabwehr gegenüber dem Vollstreckungsorgan . . . . . . . . . . . b) Die eigentliche Vollstreckungsabwehr im Rahmen des § 766 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss einer „prozessualen Gestaltung“ zwischen Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das besondere Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . . . . a) Die vermeintliche Begrenzung des Rechtsschutzinteresses auf Beginn und Ende der Vollstreckung . . . . . . . . . b) Das Feststellungsinteresse als maßgebliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Parallelen zu anderen Feststellungsklagen . . . . . . . . . . a) Die negative Feststellungsklage im Vorfeld der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die einseitige Erledigung im Klageverfahren . . . . . . . c) Unnötige Abgrenzung zwischen anfänglichen und nachträglichen Einwendungen beim Prozessvergleich . . d) Die allgemeine Feststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Folgerungen für den Urteilstenor . . . . . . . . . . . . . . . a) Die missglückte prozessuale Prägung im Parallelfall der einseitigen Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unzulässigkeitserklärung als Relikt des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses . . . . . . . . . . c) Hinwendung zu einem materiell-rechtlichen Feststellungstenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Bedeutung der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO . . . . . . . 7. Widerspruch zwischen „prozessualer Gestaltungsklage“ und Rechtskraft des Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entmystifizierung der „Vollstreckbarkeit“ des Titels . . b) Parallele zwischen Rechtskraft und Bestandskraft . . . . 8. Erkenntnisse der Verwaltungsrechtslehre zur statthaften Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verpflichtungsklage auf Aufhebung des Grundverwaltungsaktes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die allgemeine Feststellungsklage als Königsweg . . . . . c) Der vorbeugende Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . d) Harmonisierung der Vollstreckungsabwehrklage mit der Verwaltungsrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . 9. Vollstreckungsabwehrklage als Unterlassungsund Störungsbeseitigungsklage? . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Ausschluss eines zivilrechtlichen Anspruchs auf Untätigkeit des Vollstreckungsorgans . . . . . . . b) Störungsbeseitigungsanspruch gegen den Gläubiger? . c) Mangelnde Einklagbarkeit einer verfahrensbeendenden Prozesshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbleibende Parallelen zur Unterlassungsklage . . . . 10. Das Konkurrenzverhältnis zur Klage auf Erteilung einer Quittung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen tatsächlichem Erfüllungsvorgang und rechtlicher Bewertung . . . . . . . . . . . b) Die Zuordnung der Klage aus § 368 BGB in das Formalisierungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Das Konkurrenzverhältnis zur Klage auf Rückgabe des Titels aus § 371 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Regelungen des § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO . . . . . . 1. Rückbezug auf die §§ 322 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsvereinheitlichung mit den Klauselklagen . . . . . . 3. Die Indizwirkung des § 767 Abs. 3 ZPO für den Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Vorteile einer Deutung als Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31 Die Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Ziel der Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . II. Die zivilrechtliche Bewertung der Interventionsklage . . . 1. Die Notwendigkeit zur Differenzierung im Dreieck Gläubiger – Schuldner – Dritter . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ansprüche bei Pfändung einer schuldnerfremden Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwehransprüche des Schuldners gegen den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche des Dritten gegen den Schuldner . . . . . c) Ansprüche des Dritten gegen den Gläubiger . . . . . III. Der Einfluss des staatlichen Gewaltmonopols . . . . . . . 1. Reduzierung der Unterlassungsansprüche auf die bloße Feststellung der dinglichen Rechtsbeeinträchtigung . . 2. Ausschluss einer weitergehenden Gestaltungs- oder Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unberührtheit des Unterlassungsanspruchs des Dritten gegen den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die unzulässige Reduzierung des Dreiecksverhältnisses auf die Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Klägerseite der Interventionsklage . . . . . . . . .
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2. Die Beklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 a) Aussparung des Schuldners entgegen § 771 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 b) Die dingliche Interventionsklage als kleiner Ausschnitt der Anspruchspalette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 V. Rückführung der Interventionsklage auf die nach materiellem Recht gebotenen Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 1. Negative Feststellungsklage des Schuldners gegen den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 2. Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsklage des Dritten gegen den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 3. Positive Feststellungsklage des Dritten gegen den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 VI. Entflechtung des „Interventionsrechts“ . . . . . . . . . . . . . 600 1. Die vergebliche Suche nach einer einheitlichen Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 2. Das „Interventionsrecht“ als oberflächlicher Sammelbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 3. Begriffliche Konkretisierung des „Interventionsrechts“ . . 603 a) Verlagerung der „obligatorischen Interventionsrechte“ auf die Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 b) Konturierung des „Interventionsrechts“ als Spiegelbild der fehlenden Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . 603 4. Der „obligatorisch Berechtigte“ bei Besitzmittlungsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 a) Abwicklung des „obligatorischen Interventionsrechts“ nach Maßgabe der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . 606 b) Mittelbarer Besitz des Dritten als dingliches Interventionsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 VII. Rückführung der Kasuistik zu den „Duldungspflichten“ des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 1. Erste Fallgruppe: Vorrangiges Recht des Gläubigers . . . . 609 a) Bejahung des Interventionsrechts bezüglich des zu begründenden Pfändungspfandrechts . . . . . . . . . 609 b) Verneinung des Interventionsrechts bezüglich des bereits bestehenden Vorrechts . . . . . . . . . . . . . . . 610 2. Zweite Fallgruppe: Schuldrechtliche Rückgewährverpflichtung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 a) Die unzulässige Vorwegnahme der Erfüllung . . . . . . 610 b) Die Vernachlässigung der Vorschriften in Rückgewähransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 c) Differenzierung zwischen Sachpfändung und der Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 612
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aa) Gewährung der Intervention bezüglich der ursprünglichen Sachpfändung . . . . . . . . . . . . bb) Versagung der Intervention gegen die eintretende Sachpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorteile der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . e) Der scheinbare Formalismus einer Widerklage . . . . . 3. Dritte Fallgruppe: Mithaftung des Dritten . . . . . . . . . . a) Unzulängliche Kompensation der fehlenden Berechtigung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . b) Hinwendung zur Herausgabevollstreckung . . . . . . . c) Lösung anhand der §§ 846 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . d) Differenzierung zwischen Sachpfändung und Herausgabevollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die §§ 846 ff. ZPO als Ausdruck der materiell-rechtlichen Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Feststellungsklagen zur Korrektur der formalisierten Pfändungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbleibende Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 32 Die Absonderungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 I. Derzeitiges Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 II. Ansprüche im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1. Versagung von Abwehransprüchen gegen die Pfändung . . 624 2. Versagung von Abwehransprüchen gegen die Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 3. Hinterlegungssituation für das Versteigerungsorgan . . . . 625 4. Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger auf Einwilligung in die Erlösauskehr . . . . 626 5. Der Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger auf Einwilligung in die Erlösauskehr an den Pfandrechtsgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 6. Ansprüche im Verhältnis zwischen Pfandrechtsgläubiger und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 a) Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers auf Einschreiten gegenüber dem Gläubiger . . . . . . . 628 b) Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers auf Einwilligung in die Auskehr des Erlöses . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 c) Der Schutz des Schuldners gegenüber einem unberechtigten Absonderungsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
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III. Die Absonderungsklage als allgemeine Leistungsklage . . . . . 1. Intervention gegen die Pfändung versus Absonderung bei der Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „prozessuale Gestaltung“ als Synonym für die fingierte Einwilligungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die fehlende Ausschließlichkeit der Absonderungsklage . . IV. Erklärung für das fehlende Titelerfordernis auf Seiten des Pfandrechtsgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Absonderungsansprüche des nachberechtigten Pfandrechtsgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Konglomerat von Interventionsklage, Absonderungsklage und verlängerter Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Erlösherausgabeanspruch des Eigentümers gegen das Versteigerungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärung für das „Wahlrecht“ zur Interventionsklage . . . 3. Die Nähe der verlängerten Interventionsklage zur Absonderungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die „verlängerte Absonderungsklage“ . . . . . . . . . . . . 5. Die Absonderung als Brücke zwischen Intervention und Bereicherungsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Besitzpfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkt dingliche Eigentumskomponente: Absonderungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besitzkomponente: Vollstreckungserinnerung anstelle Interventionsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33 Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO . . . . . . . I. Das Zerrbild des § 765 a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Ebene . . . . . . . III. Der öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsbeziehung zum Vollstreckungsorgan . . . . . . 1. Die unbegründete Angst vor einer Aufweichung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das zweifelhafte Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . 3. Rückführung auf die Vollstreckungserinnerung . . . . . . IV. Der privatrechtliche „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ . . . . 1. Einordnung als materiell-rechtliche Einrede gemäß § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung der Einrede auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Versagung der Einrede gegenüber der Erzwingbarkeit des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Die Vollstreckungsabwehrklage als maßgeblicher „Rechtsbehelf“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verneinung einer zivilrechtlichen Komponente des § 765 a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kritische Anmerkungen zur funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließendes Plädoyer für einen Verzicht auf § 765 a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 34 Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 35 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schluss 653
Einleitung § 1 Vorbemerkungen I. Problemstellung Der Prozess der europäischen Einigung hat dazu geführt, dass im Bereich des materiellen Rechts eine Vielzahl von rechtsvergleichenden Studien vorliegt, deren gemeinsames Anliegen die Schaffung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts ist. Ähnliche Bestrebungen finden sich mittlerweile auch im Zivilprozessrecht,1 während das Zwangsvollstreckungsrecht eher als ein Stiefkind der europäischen Rechtsvergleichung zu bezeichnen ist.2 Die Schwierigkeiten liegen hauptsächlich darin begründet, dass es bislang in den meisten europäischen Ländern an einer dogmatischen Aufarbeitung der Prinzipien und der Grundstrukturen der Zwangsvollstreckung mangelt.3 Von einer europäischen Rechtsangleichung im Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts kann bislang keine Rede sein.4 1 Gilles, S. 132, bringt dies auf folgenden Nenner: „Schließlich darf man sicherlich auch noch darauf verweisen, daß es sich bei der Prozeßrechtsvergleichung um eine verhältnismäßig junge Wissenschaft oder Wissenschaftssparte handelt, der sich eine wenn nicht ebenfalls junge, so doch wissenschaftlich jedenfalls relativ jung gebliebene Wissenschaftsgeneration widmet, weshalb in ihr unverkennbar auch der Schwung und die noch unverbrauchte Kraft der Jugend steckt.“ Ähnlich in seiner Bewertung Olzen, DNotZ 1993, 211 (222): „Insofern wäre der Ruf nach Vereinfachung heute mindestens so dringlich wie vor zwanzig Jahren.“ 2 Gaul, ZZP 1972, 251 (267), hat diesen Zustand – bezogen auf das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung – schon im Jahre 1972 bemängelt und festgestellt, dass es für die Schaffung einer optimalen Lösung an den dazu erforderlichen rechtsvergleichenden Vorarbeiten fehle. An diesem Mangel hat sich in der Zwischenzeit nichts Wesentliches geändert, da bis heute nur vereinzelte Untersuchungen und Beiträge zu diesem Thema erschienen sind. Tarzia, ZEuP 1996, 231 (242), gelangt daher zu folgender Feststellung: „Aber wir befinden uns lediglich am Anfang des Prozesses der Schaffung einer gemeinsamen Zivilgerichtsbarkeit und, soweit es uns heute betrifft, eines europäischen Zwangsvollstreckungsrechts: ein Prozeß, der sich mit Sicherheit nicht in unserem Jahrhundert abschließen läßt.“ 3 Ebenso Raum/Lindner, NJW 1999, 465 (470): „Die größten Probleme schaffen die fehlende Kompatibilität der Verfahrensordnungen sowie die unterschiedlichen Rechtsmittelsysteme. Hier liegt eine wesentliche Aufgabe für die Zukunft, deren Erfüllung notwendig ist, um effektive und transparente Rahmenbedingungen innerhalb der Europäischen Union zu schaffen.“ In der derzeitigen Situation ist ein reibungsloser Rechtsschutz durch Vollstreckung innerhalb Europas kaum zu gewährleisten. Stürner, in: Festschrift für Henckel, S. 863 (875), spricht sich daher vehement dafür aus, die Kooperation der nationalen Systeme voranzutreiben, über sonst gepflogene internationale Zusammenarbeit hinaus. Unentschlossen hingegen Schilken, ZZP 1996, 315 (316): „Bei der Zwangsvollstreckung ist eine Vereinheitlichung derzeit allenfalls – je nach Einstellung – ein Wunsch- oder Alptraum.“ 4 Dies gilt insbesondere für die Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch. Die für die Zwangsvollstreckung maßgeblichen Art. 12 und Art. 13 finden sich abge-
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Einleitung
Es stellt sich daher die Frage, ob nicht die Vorarbeiten der deutschen Rechtswissenschaft eine geeignete Plattform für eine Rechtsvereinheitlichung bilden könnten, auf der dann auch die teilweise recht pragmatischen Lösungsansätze der europäischen Nachbarn zum Tragen kämen. Eine dogmatische Aufarbeitung wird derzeit jedoch dadurch erschwert, dass auch in Deutschland bislang noch keine abschließende Klärung der Frage nach der Rechtsnatur der Vollstreckung erzielt werden konnte. In der weiteren Folge steckt auch die Prinzipienbildung noch in den Kinderschuhen. Stürner hat diesen Entwicklungsprozess im Jahre 1986 durch einen Vortrag vor den deutschen Zivilprozessrechtslehrern neu belebt.5 Bislang besteht aber kein tradierter Kanon von Vollstreckungsprinzipien, so dass die Bemühungen darum unter Berufung auf die vermeintlichen Eigenarten der Zwangsvollstreckung mitunter auch gänzlich in Frage gestellt werden. Das Problem der mangelnden dogmatischen Aufarbeitung des deutschen Vollstreckungsrechts zeigt sich nicht zuletzt auch in dem großen Reformeifer. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist ein markanter Beleg dafür, dass die Schwächen bestehender Gesetze nicht etwa allein auf eine mangelnde Reformfreudigkeit des Gesetzgebers zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf eine mangelnde Klärung der Grundsatzfragen in Wissenschaft und Lehre. Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit beständig Reformvorschläge aus Theorie und Praxis aufgegriffen, ohne dass die Zwangsvollstreckung dadurch aber an Durchschlagskraft gewonnen hätte. Das liegt darin begründet, dass sich diese Reformvorschläge zumeist auf das Kurieren einzelner Symptome konzentriert haben. Es besteht bislang weitgehende Einigkeit, die Grundlagen der Zwangsvollstreckung nicht anzutasten. Diese Prämisse soll im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Frage gestellt werden. Es scheint an der Zeit zu sein, nach einem Jahrhundert der inneren Konsolidierung die Grundstrukturen des deutschen Vollstreckungsrechts zu überdenken und sie unter Einbeziehung der Erfahrungen der europäischen Nachbarn einer gemeinsamen Vollstreckungsordnung zuzuführen.
II. Zielsetzung Das Anliegen der nachfolgenden Untersuchung besteht darin, die bestehenden Unsicherheiten über die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstrekkungsrechts auszuräumen. Das Bemühen geht in die Richtung, das Vollstrekkungsrecht mit seinen vermeintlichen Eigenarten auf die bekannten Strukturen druckt in ZZP 1996, 363 ff., und kommentiert bei Storme, S. 109 ff. Schilken, ZZP 1996, 315 (336), äußert sich zu diesen Regelungen vernichtend: „Die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung sind extrem allgemein und insgesamt bis auf einige interessante Einzelvorschläge wenig brauchbar. Wenn die Kommission bewußt nur annäherungsfähige Bereiche regeln wollte, so hätte sie die Zwangsvollstreckung ganz beiseite lassen sollen. … Im übrigen bleibt in tatsächlicher Hinsicht für alle Bereiche zu prüfen, ob wirklich das behauptete Rechtsschutzgefälle innerhalb der Staaten der europäischen Gemeinschaft besteht – sonst sollten wir unsere Energie für nationale Reformen verwenden.“ 5 Stürner, ZZP 1986, 291 (291 ff.).
§ 1 Vorbemerkungen
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des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts zurückzuführen. Es soll gezeigt werden, dass das eigentliche Problem bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung in der Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht liegt. Letzteres, das aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols zur Anwendung kommt, ist konsequent auf diesen Bereich zu begrenzen. In dem verbleibenden Bereich des Vollstreckungsrechts ermöglicht die Rückbesinnung auf das materielle Zivilrecht die Anknüpfung an bekannte Prinzipien und Strukturen. Eine angemessene Schnittstellenbildung zwischen privatem und öffentlichem Recht eröffnet zugleich die Chance, die tradierten Prinzipienkataloge dieser beiden Rechtsgebiete für das Vollstreckungsrecht fruchtbar zu machen. Dadurch wird die Bildung eines Kanons von spezifischen Vollstreckungsprinzipien entbehrlich, ohne dass aber die Prinzipienbildung in Frage gestellt würde. Im Gegenteil ermöglicht eine saubere Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht eine weitgehende Rechtsvereinheitlichung mit den aus der Zivil- und der Verwaltungsrechtslehre bekannten Prinzipien. Parallel zu der dogmatischen Aufarbeitung des deutschen Vollstreckungsrechts soll das weitergehende Ziel der Schaffung eines einheitlichen europäischen Vollstreckungsrechts nicht vernachlässigt werden. Die Betrachtung der Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn ermöglicht eine beständige Erweiterung des Blickwinkels. Dieser Wechsel in der Perspektive regt dazu an, auch vermeintliche Selbstverständlichkeiten des deutschen Vollstreckungsrechts in Frage zu stellen. Daraus ergeben sich mitunter wertvolle Impulse für eine Modernisierung des deutschen Vollstreckungsrechts in Richtung auf eine europäische Rechtsvereinheitlichung. Dort, wo es angebracht erscheint, finden sich daher Bezüge zu den Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn. Die abschließende Zielsetzung der Arbeit liegt damit sowohl in der dogmatischen Aufarbeitung der Prinzipien und Grundstrukturen des deutschen Vollstreckungsrechts als auch zugleich in der Schaffung eines einheitlichen Verständnismodells für ein künftiges europäisches Vollstreckungsrecht. Die grundsätzlichen Fragestellungen, mit denen sich der bundesdeutsche wie der europäische Gesetzgeber konfrontiert sehen, sind identisch.
III. Gang der Darstellung Dreh- und Angelpunkt bei einer Analyse der Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts ist die Beantwortung der Frage nach ihrer Rechtsnatur. Mit dieser vorrangigen Frage beschäftigt sich demzufolge der erste Teil der Untersuchung. Hier ist insbesondere eine Einordnung der Zwangsvollstreckung in das System von privatem und öffentlichem Recht sowie in das Gefüge von Verfahrensrecht und materiellem Recht vorzunehmen. Ausgangspunkt dafür ist das staatliche Gewaltmonopol. Die Klärung der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung ermöglicht eine Rückbesinnung auf die bekannten Strukturen des Zivilrechts und des öffentlichen
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Einleitung
Rechts. Der Weg wird frei für einen Rückgriff auf die bekannten Prinzipienkataloge aus dem materiellen Zivilrecht und dem Verwaltungsrecht (Zweiter Teil). Dabei ist im Bereich der öffentlich-rechtlichen Prinzipien sorgfältig zwischen den materiell-rechtlichen und den verfahrensrechtlichen Maximen zu unterscheiden. Im Anschluss besteht Gelegenheit, die allgemeinen und besonderen Vollstrekkungsvoraussetzungen im Einzelnen auf ihre Existenzberechtigung und ihre dogmatische Ableitung zu untersuchen (Dritter Teil). Der vierte Teil der Untersuchung hat die verschiedenen Vollstreckungsarten zum Gegenstand. Der Schwerpunkt der Überlegungen konzentriert sich dabei auf die Mobiliarvollstreckung. Hier soll insbesondere der Streit um die viel erörterten Pfandrechtstheorien auf die Rahmenbedingungen der Zwangsvollstrekkung zurückgeführt werden. Gegenstand des fünften Teils der Untersuchung ist die Frage der Organisation der Zwangsvollstreckung. Gerade hier erweist sich ein Vergleich mit den Organisationsmodellen der europäischen Nachbarn als sehr fruchtbar, da sich dort nahezu sämtliche Gedankenmodelle vom zentralen Vollstreckungsgericht in Österreich bis hin zu verwaltungsbehördlichen Betreibungsämtern in der Schweiz wiederfinden. Ähnlich wie die Frage der Organisation erweist sich auch das Rechtsbehelfssystem der verschiedenen europäischen Vollstreckungsordnungen als ein Spiegelbild ihrer jeweiligen Rechtsnatur. Die Forderung nach einer Vereinfachung der unüberschaubaren Vielzahl vollstreckungsrechtlicher Rechtsbehelfe bildet daher den Ausgangspunkt für den abschließenden sechsten Teil der Arbeit.
Erster Teil
Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung § 2 Das staatliche Gewaltmonopol I. Die Erzwingbarkeit von Ansprüchen Die Zwangsvollstreckung hat den leistungsunwilligen Schuldner vor Augen. Dessen Leistungsverpflichtung ist zuvor durch die Beteiligung staatlicher Organe in Form eines Vollstreckungstitels festgestellt worden. Spiegelbildlich steht dem Gläubiger ein Leistungsanspruch zu, der sich aus dem materiellen Zivilrecht ergibt.1 Wie kommt der Gläubiger nun zu seinem Anspruch? Gewährt die Rechtsordnung einen solchen, so sollte auch dessen Erfüllung sichergestellt sein.2 Die Rechtsordnung muss also eine Möglichkeit zur Erzwingung eines Anspruchs vorsehen.3 Dieses grundlegende Prinzip sollte eigentlich selbstverständlich sein, denn ohne die Möglichkeit der Erzwingbarkeit stellt der Anspruch eine leere Hülle dar.4 Trotzdem gibt es in vielen Rechtsordnungen Ausnahmeregelungen. In Deutschland sieht beispielsweise die Regelung des § 888 Abs. 3 ZPO vor, dass im Falle der Verurteilung zur Eingehung einer Ehe, im Falle der Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens und im Falle der Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag die Anordnung von Zwangsgeld und Zwangshaft ausgeschlossen ist. Es gibt daher keine Möglichkeit der Vollstrekkung. Noch krasser ist die Situation beispielsweise in Frankreich5 und in Italien, 1 Öffentlich-rechtliche Ansprüche sollen zunächst außer Betracht bleiben. Dazu im Einzelnen unter § 10. 2 So etwa schon Gaul, ZZP 1999, 135 (135). Ebenso Gerhardt, Grundbegriffe, Rdnr. 3; Werner, DGVZ 1986, 49 (49): „Zum Wesen des Rechts gehört seine Durchsetzbarkeit auch gegen den Willen des Verpflichteten.“ 3 Zur historischen Entwicklung dieses Primats ausführlich Gaul, ZZP 1999, 135 (136 ff.). 4 In diesem Sinne äußerte sich schon Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 6: „Es mag nun richtig sein, dass vom Standpunkte des Privatrechts aus nur der Anspruch ein vollberechtigter und vollwertiger ist, bei dem die Aussicht auf die Erzwingbarkeit durch Klage und Vollstrekkung besteht.“ Die weitergehende Einschränkung, dass die Erzwingbarkeit jedoch noch nicht eine dem Anspruch kraft materiellen Rechts immanente Eigenschaft sei, berücksichtigt die nachfolgend noch anzusprechenden Einschränkungen im geltenden Recht, ohne diese allerdings rechtfertigen zu können. 5 Auch nach der Reform des französischen Vollstreckungsrechts im Jahre 1993 kennt das französische Recht keine Verurteilung zur Naturalerfüllung. Die Regelungen der Art. 1142–1144 CC
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
wo die gesamte Palette von Ansprüchen auf Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen von der Vollstreckung ausgenommen ist.6 Es gibt einfach keine gesetzliche Regelung zur Vollstreckung. Dies stimmt bedenklich, da sich eine derartige Rechtsordnung fragen lassen muss, wie ernst sie es mit ihrer Umsetzung meint.7 Das Erkenntnisverfahren wird zur Farce, da die Erzwingbarkeit des ergehenden Titels nicht gegeben ist mit der weiteren Folge, dass derartige Prozesse im Angesicht des frohlockenden Schuldners überhaupt nicht mehr geführt werden.8 Von dem Prinzip, dass sich Anspruch und Vollstreckbarkeit gegenseitig bedingen, sollte daher nicht ohne Not abgewichen werden.9 Die Vorstellung, der Schuldner werde freiwillig seiner Verpflichtung nachkommen, grenzt an Naivität.10 Geht man von der Erzwingbarkeit materiell-rechtlicher Ansprüche aus, so schließen sich zwei Fragen an. Wer soll den Zwang ausüben und wie soll er ausgestaltet sein? An dieser Stelle kommen zwangsläufig staatliche Interessen ins Spiel.
II. Das staatliche Gewaltmonopol Im Folgenden wird es darum gehen, die staatlichen Interessen im Bereich der Zwangsvollstreckung im Sinne eines weiteren Prinzips neben der Erzwingbarkeit von Ansprüchen zu konkretisieren. Bevor dabei auf das staatliche Gewaltmonopol einzugehen ist, stellt sich zunächst die Frage nach den denkbaren Möglichkeiten zur zwangsweisen Durchsetzung eines Anspruchs. Die dabei auftretenden Alternativen geben Aufschluss sowohl über die Rechtfertigung des Gewaltmonopols als auch über seine Grenzen.
sind unberührt geblieben, Traichel, S. 60. Einzige Möglichkeit, den Schuldner zur Erfüllung zu bewegen, ist die gegen das Vermögen des Schuldners gerichtete astreinte. Dazu näher unter § 21 III 1. 6 Anders als in Frankreich kennt das italienische Vollstreckungsrecht nicht einmal gegen das Vermögen des Schuldners gerichtete Zwangsmittel zur Erzwingung nicht vertretbarer Handlungen oder Unterlassungen. Der Gläubiger ist darauf beschränkt, auf sekundärer Ebene Schadensersatzansprüche geltend zu machen, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.66. 7 Besonders deutlich wird die Unentbehrlichkeit des Rechtszwangs für die Funktionsfähigkeit einer Rechtsordnung anhand des vielzitierten Beispiels des Völkerrechts, s. dazu nur Gaul, ZZP 1999, 135 (139 m.w.N.). 8 Das Recht verkommt damit zur bloßen Sitte, die nur freiwillig erfüllbar ist. Kritisch zu dieser Abgrenzung von Recht und Sitte Radbruch, S. 106, 136 ff. 9 Ebenso wohl Gaul, ZZP 1999, 135 (139): „Will eine Rechtsordnung für ihre Bürger den Rechtsschutz gewährleisten, muss sie mit Notwendigkeit auch mit dem dazu erforderlichen Rechtszwang ausgestattet sein.“ 10 Von Jhering, S. 250 f., bringt dies auf folgende markante Formel: „Der vom Staate in Vollzug gesetzte Zwang bildet das absolute Kriterium des Rechts, ein Rechtssatz ohne Rechtszwang ist ein Widerspruch in sich selbst, ein Feuer, das nicht brennt, ein Licht, das nicht leuchtet.“
§ 2 Das staatliche Gewaltmonopol
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1. Möglichkeiten zur zwangsweisen Durchsetzung des Gläubigeranspruchs Bei der Frage nach dem maßgeblichen Akteur in der Vollstreckung sind prinzipiell drei Wege denkbar. Der Staat steht vor der Entscheidung, ob er sich durch eigenes Personal an der Vollstreckung beteiligen möchte oder aber die Vollstrekkung in privaten Händen belässt. Im letzteren Fall besteht die Wahl zwischen einer Selbsthilfe durch den Gläubiger oder aber der Einschaltung von eigens hierzu qualifizierten Berufsgruppen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Vollstreckung hängt die Weichenstellung zunächst wiederum davon ab, ob der Staat selbst die Initiative ergreift und das Verfahren gesetzlich normiert oder aber den Beteiligten Entscheidungsfreiheiten einräumt. Dabei ist die letztere Möglichkeit wohl weitgehend auszuschließen, da sie im Falle der Selbsthilfe auf ein freies steinzeitliches Faustrecht und bei staatlicher Tätigkeit auf Willkür hinauslaufen würde. Dass die Zwangsvollstreckung daher im Einzelnen gesetzlich normiert sein muss, dürfte eine Selbstverständlichkeit sein. Auf die Einzelheiten wird an späterer Stelle einzugehen sein.11 Die Frage konzentriert sich hier zunächst darauf, wer den Zwang ausüben soll. Es wäre zunächst denkbar, dass der Staat sich weitestgehend zurückhält, dem Gläubiger die Vollstreckung überlässt und allein das Verfahren gesetzlich normiert, vergleichbar der bisher sehr eingeschränkten Selbsthilfe. Darin liegt aber zugleich die Krux der Selbsthilfe, denn welcher private Gläubiger kennt sich schon mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Selbsthilfe aus? Zudem sieht sich der Gläubiger einem Interessenzwiespalt ausgesetzt, da er in eigener Angelegenheit agiert. Die Ablehnung eines derartigen Vollstreckungsmodells im europäischen Rechtsraum ist daher nur verständlich. Das Rad der Geschichte sollte nicht zurückgedreht werden.12 Es bleiben damit nur die beiden folgenden Lösungsalternativen: Entweder wird der Staat durch eigene Organe tätig oder aber er „privatisiert“ die Vollstrekkung und vertraut sie einer hierzu besonders ausgebildeten Berufsgruppe an.13 Diese grundlegende Weichenstellung spiegelt sich in dem Streit zwischen der sogenannten Amts- und der Mandatstheorie wider,14 wenngleich dieser Streit sich heute allein auf die Problematik der Leistungsaufforderung durch den Gerichtsvollzieher vor Beginn der Vollstreckung konzentriert.15 Es geht allein um die Frage, wer im Falle der freiwillig bewirkten Leistung des Schuldners an den Ge11
S.u. im dritten und vierten Teil der Untersuchung. Schon vor einem knappen Jahrhundert hat daher Stein, Grundfragen der Zwangsvollstrekkung, S. 5, das Wort von Karl Binding zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung über die Grundfragen der Zwangsvollstreckung gewählt: „Im geltenden Recht hat das Recht zum Zwange nur noch der Staat; der Gläubiger hat nur das Recht auf den Zwang.“ 13 Generell ablehnend Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 7: „Eine Verleihung der Zwangsgewalt an eine nicht staatliche Instanz wäre schlechthin nichtig und wirkungslos.“ 14 Die historischen Anhänger der Mandatstheorie verstanden das Vollstreckungsorgan als Vertreter des Gläubigers oder gar nur als Ausübungswerkzeug des materiellen Rechts, so etwa Otto Geib, S. 74. 15 Ausführlich zu diesem Problem Wieser, Begriff der Zwangsvollstreckung, S. 11 ff. 12
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
richtsvollzieher bis zu der sich anschließenden Weiterleitung des Erlöses an den Gläubiger das Verlustrisiko zu tragen hat. Dahinter verbirgt sich die grundlegende und an sich vom Gesetzgeber zu treffende Entscheidung, ob der Staat in der Vollstreckung durch eigene Organe, also hoheitlich, tätig werden will oder diese „Organe“ eben nur zivilrechtliche Beauftragte des Gläubigers darstellen. Der Wortlaut des § 753 ZPO, der von einem „Auftrag des Gläubigers“ spricht, deutet in die letztgenannte Richtung und so wollte der Gesetzgeber die Vollstreckung auch ursprünglich verstanden wissen.16 Hingegen ist diese gesetzliche Regelung von der Verfassungsgeschichte überholt worden. Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG schreiben vor, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und diese Gewalt durch besondere Organe der drei Staatsgewalten ausgeübt wird. Dieses staatliche Gewaltmonopol gilt insbesondere in dem äußerst sensiblen Bereich der körperlichen Gewaltanwendung. Es führt zu der Konsequenz, dass der Staat in der Vollstreckung durch eigene Beamte tätig wird.17 Soll es bei dieser Weichenstellung verbleiben oder wäre eine Privatisierung der Vollstreckung, sei es in Deutschland de lege ferenda, sei es auf europäischer Ebene im Rahmen einer noch gänzlich ausstehenden Vollstreckungsordnung, denkbar, ja vielleicht wünschenswert? Es gilt, sich die Wertung der Eltern des Grundgesetzes vor Augen zu führen. Die körperliche Gewaltanwendung berührt einen der sensibelsten Bereiche einer demokratischen Rechtsordnung. Sie bedarf daher neben der gesetzlichen Legitimation auch einer äußerst behutsamen Umsetzung. Lässt sich dieses Ziel ohne eine unmittelbare Beteiligung staatlicher Organe im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner realisieren? Genügt die qualifizierte Ausbildung spezieller Berufsgruppen? Der neuralgische Punkt ist wohl darin zu sehen, dass eine private Mandatierung durch den Gläubiger zugleich eine Auswahlmöglichkeit für den Gläubiger beinhalten würde; denn eine staatliche Zuständigkeitsregelung widerspräche dem Modell eines freiberuflichen Vollstreckungsberufes. Der Staat hätte sich im Rücken des Gläubigers auf eine reine Berufsaufsicht zu beschränken, anstatt sich noch direkt in das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner einmischen zu können. Insoweit kann aber auf die Erfahrungen des früheren französischen Vollstreckungssystems wie auch auf das anfängliche Gerichtsvollziehermodell unter der Zivilprozessordnung zurückgegriffen werden, die beide eine derartige Auswahlmöglichkeit für den Gläubiger vorsahen.18 Dies führte – wie unschwer vorstellbar – in der Praxis zu dem Ergebnis, dass die eher robuster zu Werke gehenden Gerichtsvollzieher – in
16 Nach der privatrechtlichen Konzeption des Gesetzgebers nahm der Gerichtsvollzieher etwa als Mandatar des Gläubigers die Pfändung und anschließende Verwertung zur Gläubigerbefriedigung vor, Hahn, Materialien, S. 448. 17 Werner, DGVZ 1986, 49 (50); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 35; Stöber, in: Zöller, Vor § 704, Rdnr. 1. 18 Das maßgebende Landesrecht überließ zunächst die Auswahl des Gerichtsvollziehers dem Gläubiger, um die Vollstreckung möglichst effektiv zu gestalten, Gaul, Rpfleger 1971, 81 (82).
§ 2 Das staatliche Gewaltmonopol
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Frankreich die huissiers – sich größter Beliebtheit erfreuten,19 während die eher auf Schuldnerschutz bedachten Gerichtsvollzieher und huissiers der Armut verfielen. Mit diesen Überlegungen ist zugleich ein zweiter Schwachpunkt angesprochen. Unter dem Druck des vom Gläubiger zu erzielenden Honorars wird der freiberuflich tätige Gerichtsvollzieher zwangsweise eher für den Gläubiger Partei ergreifen und daher keine neutrale Stellung einnehmen können, wie sie die Vollstreckung verlangt.20 Ein derart marktwirtschaftlich orientiertes Vollstreckungssystem scheint daher wenig sinnvoll zu sein. Ein effektiver Grundrechtsschutz des Schuldners – darum geht es der Sache nach – lässt sich daher im Ergebnis nur dadurch gewährleisten, dass der Staat nicht allein das Vollstreckungsverfahren gesetzlich ausgestaltet, sondern auch selbst durch eigene Bedienstete tätig wird. Dies gewährleistet die unmittelbare Grundrechtsbindung und damit die Beachtung der auf Schuldnerseite berührten Grundrechte. Wollte der Gesetzgeber hingegen ein freiberuflich tätiges Vollstreckungspersonal der unmittelbaren Grundrechtsbindung unterwerfen, käme dies im Ergebnis einer Beleihung gleich. Der Beliehene nimmt aber hoheitliche Aufgaben wahr und wird nicht etwa privatrechtlich tätig,21 so dass im Ergebnis auch mit dem Modell einer staatlichen Beleihung nichts gewonnen wäre. Handelt der Staat in der Zwangsvollstreckung durch eigene Organe und behält sich die Gewaltausübung vor, so hat dies folgende Konsequenz: Infolge der Beschränkung des Gläubigers steht ihm ein öffentlich-rechtlicher Vollstreckungsanspruch gegen den Staat zu.22 Verweigert der Staat unberechtigt die Vollstrekkung, so kann der Gläubiger den Staat gerichtlich in Anspruch nehmen. Diese Verpflichtung des Staates ist die notwendige Kehrseite seines Gewaltmonopols. Nimmt der Staat dem Gläubiger das Recht, seinen Anspruch zwangsweise beizutreiben, so muss er umgekehrt die Beitreibung gewährleisten. Anderenfalls handelte es sich um einen staatlichen Eingriff in das Eigentum des Gläubigers,23 der von keiner Schranke gedeckt wäre. In dem Falle, dass der Gläubiger durch die Verweigerung der Vollstreckung einen Schaden erleidet, trifft daher den Staat die Haftung.24 19
Laut Gaul, Rpfleger 1971, 81 (82), suchten sich die Gerichtsvollzieher gegenseitig an Schneidigkeit und Robustheit zu übertreffen. 20 Diese Kritik richtet sich in gewisser Hinsicht auch gegen das bestehende Besoldungssystem der Gerichtsvollzieher, das ein Mischsystem darstellt. 21 Der Beliehene ist Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG. So auch Maurer, § 23, Rdnr. 59. 22 Der Vollstreckungsanspruch ist Ausfluss des sogenannten Justizgewährungsanspruchs und ergibt sich einfachgesetzlich bereits aus §§ 750 Abs. 1, 754 ZPO, so BVerfGE 61, 126 (133, 136); Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 16. Bevor der Justizgewährungsanspruch unter dem Grundgesetz mit Art. 19 Abs. 4 GG seine verfassungsrechtliche Verankerung erfuhr, war er also schon in der Zwangsvollstreckung gesetzlich legitimiert. Ebenso Gaul, ZZP 1999, 135 (143). 23 Unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG fällt auch die Inhaberschaft eines Anspruchs, Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 14, Rdnrn. 11 ff.; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 46. 24 Näher zu den Gefahren der zögerlichen Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen und denkbaren Möglichkeiten zur Vorbeugung unter § 23 V.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
2. Beschränkung des Gewaltmonopols auf die Willensbrechung beim Schuldner Die bisherigen Überlegungen scheinen allein das bestehende Vollstreckungssystem zu bestätigen. Der geneigte Leser mag sie daher für überflüssig erachten. Die Überlegungen gewinnen aber an Bedeutung, wenn man sich in einem zweiten Schritt mit der Reichweite des Gewaltmonopols gemäß seinem zuvor abgesteckten Zweck auseinander setzt. Die derzeitige Diskussion konzentriert sich hier bislang allein auf die oben angesprochene Frage, ob der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Leistungsaufforderung vor Beginn der Vollstreckung als Vertreter des Gläubigers oder als Hoheitsträger tätig wird.25 Diese Fragestellung ist vor dem soeben geschilderten Hintergrund ungenau, denn genau genommen geht es um die Frage nach dem Beginn der Vollstreckung als demjenigen Zeitpunkt, ab dem das Gewaltmonopol zum Tragen kommt. Erst das Gewaltmonopol rechtfertigt das staatliche Einschreiten. Das Gewaltmonopol ist aber noch nicht berührt, soweit der Schuldner lediglich zur Leistungserbringung aufgefordert wird. Es muss also nach einer gesonderten Berechtigung für ein staatliches Handeln gesucht werden. So könnten hier allenfalls allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen eine „Gesamtbetrachtung“ rechtfertigen. Diesbezüglich ist aber nicht ersichtlich, weshalb der Gerichtsvollzieher nicht zunächst rein privatrechtlich tätig werden sollte. Allein seine beamtenrechtliche Dienststellung schließt nicht aus, dass er in Teilbereichen nicht auch zivilrechtlich tätig werden könnte. Es handelt sich um ein schlichtes Verwaltungshandeln, wie es auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung hinlänglich bekannt ist. Dem steht auch die öffentliche Besoldung des Bediensteten nicht entgegen.26 Während die Frage nach dem Umfang des Gewaltmonopols am Anfang der Vollstreckung noch im Rahmen des angesprochenen Meinungsstreits – wenn auch nur mittelbar – diskutiert wird, kommt sie am Ende der Vollstreckung überhaupt nicht mehr zum Tragen. Konkret stellt sich das Problem, ob die Vollstrekkung und damit das Gewaltmonopol notwendig erst mit der Auskehr des Erlöses an den Gläubiger sein Ende erreicht. Weshalb endet beispielsweise die Geldvollstreckung nicht bereits mit der Pfändung in Form der gewaltsamen Wegnahme des Pfandgegenstandes? Die sich anschließende Verwertung berührt nicht mehr das eingangs beschriebene Gewaltmonopol des Staates, das nur die gewaltsame Willensbeugung des Schuldners zum Gegenstand hat. Dessen Mitwirkung ist in der Verwertung nicht mehr gefragt. Der Frage nach der rechtlichen Bewertung des Verwertungsvorgangs wird später noch nachzugehen sein.27 An dieser Stelle geht es vordringlich um die Grenzen des Gewaltmonopols. Dies rechtfertigt jedenfalls über den eigentlichen Gewalteinsatz hinaus keine weitergehende Ausdehnung der Vollstreckung durch Organe des Staates. Die Gläubigerbefriedigung ist nicht notwendig deckungs25
Zur Amts- und Mandatstheorie s. bereits oben unter 1. Bei der Besoldung der Gerichtsvollzieher handelt es sich ohnehin um ein Mischsystem, da die Gerichtsvollzieher an den zu entrichtenden Gebühren partizipieren. 27 S.u. § 17 IV 1. 26
§ 2 Das staatliche Gewaltmonopol
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gleich mit dem staatlichen Gewalteinsatz. Man spricht daher zutreffend von einem Gewaltmonopol und nicht von einem Befriedigungsmonopol. Will man daher unter einem einheitlichen Begriff der (hoheitlichen) Vollstreckung auch den Befriedigungsvorgang des Gläubigers verstehen, so bedarf es hierzu einer gesonderten Rechtfertigung, die jedenfalls das staatliche Gewaltmonopol nicht zu geben vermag. Dies gilt es im Auge zu behalten. Ausgangspunkt der Vollstreckung ist allein der leistungsunwillige Schuldner, dessen Willen es mit Gewalt zu brechen gilt. In der weiteren Folge ist beispielsweise sorgfältig abzuwägen, inwieweit eine Unterscheidung zwischen dem Inhaber eines Faustpfandrechts und dem Inhaber eines Pfändungspfandrechts gerechtfertigt ist. Das Gewaltmonopol rechtfertigt hier keine weitergehende Differenzierung. Das staatliche Einschreiten in das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ist vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen allein im Bereich der Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Soweit es darüber hinaus nötig erscheint, staatliche Interessen zu gewährleisten, stellt sich erneut die Frage, ob der Staat durch eigene Bedienstete intervenieren muss oder ob nicht das Tätigwerden einer qualifizierten Berufsgruppe genügt. 3. Spannungsverhältnis zum Vollstreckungsanspruch Gegenstand der bisherigen Untersuchung sind zwei Prinzipien gewesen. Zum einen bedingt die Gewährung eines Anspruchs zugleich dessen Erzwingbarkeit zugunsten des Gläubigers. Zum anderen ist die Erzwingbarkeit in Form der Gewaltanwendung staatlichen Organen vorbehalten. Wie verhält es sich nun aber in dem Fall, in dem diese beiden Prinzipien miteinander kollidieren, sich also nur ein Prinzip durchsetzen lässt? Angesprochen sind die Konstellationen, bei denen die Einschaltung staatlicher Organe infolge des damit verbundenen Zeitaufwandes zur Vereitelung des Anspruchs führen würde. Veranschaulicht man sich die hinter den beiden kollidierenden Prinzipien stehenden Interessen, so leuchtet unmittelbar ein, weshalb in der geschilderten Fallkonstellation die Erzwingbarkeit des Anspruchs Vorrang haben muss. Da der Schuldner durch seine unberechtigte Leistungsverweigerung Anlass zur Vollstreckung gibt, muss sein Interesse bzw. das der Allgemeinheit an einer ordnungsgemäßen Vollstreckung hinter dem Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seines Anspruchs zurückstehen. Da neben dem Staat auch keine dritten Personen zur Gewaltanwendung bereitstehen, ist dem Gläubiger daher in diesem Bereich die Selbsthilfe gestattet. Es bleibt nur noch diese der drei denkbaren Möglichkeiten, um eine Durchsetzung des Anspruchs sicherzustellen. Dies ändert aber nichts an dem Verfahren der Vollstreckung. Der Gläubiger ist denselben gesetzlichen Beschränkungen unterworfen wie das Vollstreckungsorgan. Für eine weitergehende Privilegierung des Gläubigers besteht kein Anlass. Es wird gleichsam nur das Vollstreckungsorgan ausgetauscht durch den Gläubiger. Dieser Austausch erfolgt zudem nur subsidiär, d.h. er ist zeitlich begrenzt bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein staatliches Vollstreckungsorgan wieder verfügbar ist.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
Den soeben beschriebenen Grundsätzen entsprechen im geltenden Recht die Bestimmungen der §§ 229 ff. BGB. Aus der Kollision der beiden angesprochenen Prinzipien erklären sich die Voraussetzungen und Grenzen der Selbsthilfe. In verfahrensrechtlicher Hinsicht orientieren sich die daraus resultierenden Vorschriften an den Bestimmungen der Zwangsvollstreckung. Die Subsidiarität28 bzw. die Grenzen der Selbsthilfe29 kommen deutlich zum Ausdruck. Zusammenfassend ist daher das Prinzip, das die gewaltsame Brechung des Schuldnerwillens staatlichen Organen vorbehält, dahingehend einzuschränken, dass im Falle der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Anspruchsverwirklichung ausnahmsweise der Gläubiger anstelle des Staates Gewalt ausüben darf. Er muss aber dieselben gesetzlichen Vorschriften beachten wie die staatlichen Organe. Ferner ist der Gläubiger gezwungen, die Vollstreckung schnellstmöglich den dafür vorgesehenen staatlichen Organen zu überantworten.
III. Definition der Zwangsvollstreckung Bei dem Bemühen um eine Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung muss man sich darüber im Klaren sein, dass eine innere Abhängigkeit zwischen der mit der Begriffsbestimmung beabsichtigten und der zu formulierenden Aufgabenstellung einerseits und der Ermittlung der die Aufgabe ausfüllenden Prinzipien andererseits besteht. Mit zunehmender Konkretisierung der Aufgabenstellung werden einzelne Prinzipien bereits festgeschrieben. Hier geht es nun darum, nur die Ausgangslage und die damit einhergehenden zwingenden Prinzipien begrifflich zu fixieren, um auf dieser Plattform ein Gesamtsystem von Prinzipien zu entwickeln. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Blick für die Lösung bereits frühzeitig verengt würde und einzelne Komponenten der Vollstreckung durch eine Übernahme in ihre Begriffsdefinition nicht mehr in Frage gestellt würden. 1. Beschränkung der Vollstreckung auf privatrechtliche Ansprüche? Herkömmlicherweise wird die Zwangsvollstreckung als das Verfahren zur Verwirklichung von Gläubigeransprüchen im Wege staatlichen Zwangs definiert.30 28
§ 229 BGB verlangt, dass obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Gemäß § 230 Abs. 1 BGB darf die Selbsthilfe nicht weiter gehen, als es zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist. § 230 Abs. 2 BGB schreibt die Beantragung des dinglichen Arrests vor, „sofern nicht Zwangsvollstreckung erwirkt wird.“ 30 Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1; Hoffmann, S. 8; Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 1; Brox/Walker, Rdnr. 1; Lüke, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 300; Paulus, in: Wiezcorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 13; Gaul, Rpfleger 1971, 1 (1); Bruns/Peters, § 1 I 1; Jauernig, § 1; Richard Schmidt, § 138 I. Näher zu einzelnen Nuancen Wieser, Begriff der Zwangsvollstreckung, S. 4 ff. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 I, nimmt darüber hinaus als begriffsbestimmendes Merkmal hinzu, dass das Gläubigerrecht gerichtlich festgestellt oder förmlich dokumentiert sein müsse. Dieser Punkt betrifft aber bei genauerer Betrachtung bereits die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, nicht ihre Definition im Sinne einer Aufgabenbestimmung. Genauso gut könnte man sonst andere Voraussetzungen der Zwangsvollstrekkung in ihre Definition aufnehmen, ohne aber ihre Aufgabenstellung zu konkretisieren. Letzteres 29
§ 2 Das staatliche Gewaltmonopol
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Dabei sind zwei Elemente dieser Definition genauer zu betrachten. Zunächst ist klarzustellen, dass gemeinhin mit dem Begriff „Gläubigerrechte“ allein das privatrechtliche Schuldverhältnis angesprochen sein soll. Dies geht allerdings aus dem achten Buch der Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich hervor, auch wenn der Gesetzgeber wohl diese Situation vor Augen gehabt haben mag. So hat sich später mit der Entwicklung des öffentlichen Rechts und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche eine eigene Verwaltungsvollstreckung etabliert. Das heißt aber noch nicht zwingend, dass die Aufspaltung der Vollstreckung auf die unterschiedlichen Gerichtszweige eine Notwendigkeit darstellen würde. Es zeigt sich vielmehr bereits an dieser Stelle die eingangs angesprochene Gefahr, dass durch eine zu enge Definition der Aufgabenstellung unnötige Differenzierungen hervorgerufen werden und der Blick für eine weitgreifende Lösung versperrt wird. So wird an späterer Stelle zu zeigen sein, dass für eine derartige Differenzierung und die damit verbundenen Privilegien kein sachlicher Grund besteht.31 Zumindest ist die Ausgangslage und damit die hier zu definierende Aufgabenstellung identisch. Es handelt sich um das Problem des leistungsunwilligen Schuldners, sei es, dass dieser gegenüber einer Behörde zur Leistung verpflichtet ist, sei es, dass ein privater Gläubiger Ansprüche geltend macht. Umgekehrt kann der Schuldner ein privates Rechtssubjekt sein genauso gut wie eine staatliche Institution. Es geht bei der Vollstreckung immer um die gewaltsame Brechung des Schuldnerwillens. Die Begriffe „Gläubiger“ und „Schuldner“ beinhalten daher noch keine Aussage über die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs. Einzelne Besonderheiten mögen bei der Lösung zu berücksichtigen sein, sie rechtfertigen indes keine voneinander abweichende Aufgabenstellung. Die „Zwangsvollstreckung“ betrifft nicht notwendig und ausschließlich privatrechtliche Ansprüche. 2. Zwangsvollstreckung als „Verwirklichung“ des Gläubigerrechts? Das Definitionsmerkmal „Verwirklichung durch staatlichen Zwang“ beinhaltet zunächst das Prinzip der Erzwingbarkeit von Ansprüchen, ohne welches sich eine Rechtsordnung unglaubwürdig machen würde. Im Weiteren erweist sich durch die Einschränkung des Zwangs auf staatliche Mittel das Gewaltmonopol als unabdingbares Prinzip der Zwangsvollstreckung. Problematisch ist hingegen der allgemein übliche Passus, in diesem Zusammenhang von der „Verwirklichung“ der Gläubigerrechte zu sprechen. Denn die Ausführungen zum Umfang des Gewaltmonopols32 haben gezeigt, dass das Gewaltmonopol lediglich im Beist aber Sinn der hier zu ermittelnden Definition, die den Geltungsbereich für die allein noch zu bildenden Prinzipien abstecken soll. Zu diesem Arbeitsfeld gehört nicht die Dokumentation des Gläubigerrechts in Form des sogenannten Vollstreckungstitels. Auch wenn dieser der Vollstrekkung in der Regel zeitlich vorgelagert ist, ändert dies nichts daran, dass es sich um eine Voraussetzung der Vollstreckung handelt, die auf das Prinzip der Formalisierung zurückzuführen ist und damit auf ein denkbares Lösungsmodell zu der hier vorrangig zu definierenden Aufgabenstellung. 31 S. dazu ausführlich unter § 10. 32 S.o. II 2.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
reich der Gewaltanwendung unverzichtbar ist, nicht aber darüber hinaus ein Eingreifen durch staatlich Bedienstete bedingt.33 Der Begriff „Verwirklichung“ des Gläubigerrechts ist daher nicht deckungsgleich mit dem Prinzip des Gewaltmonopols. Beispielsweise führt allein die gewaltsame Wegnahme eines Gegenstandes beim Schuldner im Rahmen der Geldvollstreckung noch nicht zur Befriedigung des Gläubigers. Der Gegenstand muss erst noch versteigert und der Erlös an den Gläubiger ausgekehrt werden. Dies setzt aber keine weitergehende staatliche Gewaltanwendung voraus. Die gebräuchliche Definition der Zwangsvollstreckung gerät daher in diesem Bereich in eine gefährliche Schieflage. Die in der Definition enthaltenen Merkmale decken sich nicht mehr mit der eigentlichen Aufgabenstellung. Dies hat zur weiteren Folge, dass die Tätigkeit der staatlichen Vollstreckungsorgane in dem Bereich, der über die staatliche Gewaltanwendung hinausgeht, überhaupt nicht mehr in Frage gestellt wird.34 3. Eigene Definition Konzentriert man sich bei der Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung allein auf die Ausgangslage und die beiden unabdingbaren Prinzipien Erzwingbarkeit des Gläubigerrechts und staatliches Gewaltmonopol, so ergibt sich folgende Definition: Die Zwangsvollstreckung ist das Verfahren, das im Falle der (unberechtigten) Leistungsverweigerung die Brechung des Schuldnerwillens unter dem Vorbehalt staatlicher Gewaltanwendung gewährleistet. Dabei besagen die Begriffe „Gläubiger“ und „Schuldner“ nichts über die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs. 4. Ausklammerung des Schuldnerinteresses Bei der vorstehenden Definition der Zwangsvollstreckung fällt ebenso wie bei der gebräuchlichen Definition auf, dass sie lediglich das Gläubigerinteresse und das Interesse des Staates in diesem Bereich zu artikulieren scheint, nicht aber die Interessen des Schuldners. Man muss jedoch in Rechnung stellen, dass das Gewaltmonopol mittelbar auch die Wahrung der Schuldnerinteressen zum Gegenstand hat, indem dessen Grundrechte gewahrt bleiben. Zudem erklärt sich die 33 Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 7, deutet dieses Problem wie folgt an: „Man kann vielleicht bei einzelnen Akten der Zwangsvollstreckung mit dem Zweifel ringen, ob diese Veränderungen der privatrechtlichen Rechtslage in das Privatrecht einzuordnen sind, aber die Zwangsvollstreckung als Ganzes zu einem privatrechtlichen Vorgang zu stempeln, zeugt von einer bedauerlichen Verkennung der hohen und ernsten staatsrechtlichen Stellung und Aufgabe des Prozesses und der Vollstreckung.“ Die letztgenannte Kritik richtet sich gegen frühere Tendenzen, die Vollstreckung gänzlich als privatrechtlichen Vorgang einzustufen. 34 Andeutungsweise thematisiert wird das angesprochene Problem noch bei Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 6: „Ausgangspunkt und Endpunkt der Zwangsvollstreckung liegen sonach auf dem Gebiete des Privatrechts und es mag vom Standpunkt des Prozessrechts dahingestellt bleiben, ob das, was der Staat gewährt, wirklich die Befriedigung ist oder nur der Ersatz der Befriedigung.“ Zustimmend Lüke, JuS 1996, 185 (185).
§ 3 Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung
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Schräglage zugunsten des Gläubigerinteresses allein aus der Ausgangssituation, in der der Schuldner die Erfüllung des Gläubigeranspruchs grundlos verweigert. Es macht daher keinen Sinn, einzelne Interessen des Schuldners, beispielsweise die Wahrung seines Existenzminimums, bereits in die Definition der Zwangsvollstreckung aufzunehmen. Die Formulierung dieser Interessen bleibt der Ausgestaltung des Zwangsvollstreckungsverfahrens vorbehalten. Im Ergebnis stellt sich die Zwangsvollstreckung als bloßes Substitut der verbotenen Gewaltanwendung durch den Gläubiger dar. Im Anschluss an diese Begriffsbestimmung gilt es nunmehr, die grundlegenden Prinzipien zur inhaltlichen Ausgestaltung der Vollstreckung zu entwickeln. Dazu sind zunächst die betroffenen Interessen namhaft zu machen.
§ 3 Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung Bevor Aussagen über die Rechtsnatur des Vollstreckungsrechts getroffen werden können, müssen zunächst einmal die Interessen der Beteiligten abgesteckt werden.35 Denn die Unterteilung in Kategorien wie zum Beispiel öffentliches und privates Recht ist bedingt durch die unterschiedlichen Interessenlagen. Ist daher die Interessenlage in der Vollstreckung erschöpfend beleuchtet, gelingt es vielleicht, Parallelen zu anderen bekannten Rechtsgebieten zu ziehen. Es bedarf dann nicht eines Rechts sui generis, um den Anforderungen der Beteiligten in der Vollstreckung gerecht zu werden. Im Folgenden sollen zunächst die berührten Interessen sämtlicher Beteiligten benannt werden, ohne dass damit bereits etwas über deren Schutzwürdigkeit ausgesagt wäre. Diese Wertung bleibt der anschließenden Prinzipienbildung vorbehalten.
I. Die Interessen des Staates Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung ist wesentlich beeinflusst durch das staatliche Eingreifen. Der Staat behält sich die Anwendung körperlicher Gewalt selbst vor. Nur dadurch wird aus dem privaten Schuldverhältnis ein Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner36 mit der weiteren Konsequenz, dass die Vollstreckungsorgane der vollen Grundrechtsbindung unterliegen.37 35
So auch schon Richard Schmidt, § 138 I. Dieses Dreiecksverhältnis wird häufig als Vollstreckungsverhältnis bezeichnet, so etwa Paulus, in: Wieczorek, Vor § 704, Rdnr. 5; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 8 II. Unglücklich an dieser Bezeichnung ist, dass die drei heterogenen Rechtsverhältnisse mit einem Begriff zusammengefasst werden. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 8 III, kommt daher zu dem zutreffenden Ergebnis, dass die Bedeutung des Vollstreckungsverhältnisses beschränkt ist. 37 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 I, spricht von dem Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff. Zu der sich daran anschließenden Frage, ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der Zwangsvollstreckung Geltung beanspruchen kann näher unter § 7 IV. 36
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
Dies gilt nicht nur gegenüber dem Schuldner, sondern auch gegenüber dem Gläubiger, dessen Leistungsrecht der Staat reglementiert. Diese mit dem Stichwort Gewaltmonopol gekennzeichneten Interessen des Staates sind bereits in der Aufgabenstellung berücksichtigt.38 Daneben stellt sich die Frage, ob der Staat auch pekuniäre Interessen in der Vollstreckung verfolgt bzw. verfolgen darf. Wenn der Staat dem Schuldner sein Existenzminimum sichert, tut er dies nicht uneigennützig. Ihm bleiben erhebliche Sozialleistungen erspart.39 Umgekehrt kommt damit zum Ausdruck, dass dem Schuldner die Lebensgrundlage auch ohne Vollstreckungsschutz erhalten werden könnte, indem dann der Sozialstaatsgedanke zum Tragen käme.40 Pekuniäre Interessen des Staates sind also in jedem Fall in der Vollstreckung berührt.41 Zu untersuchen bleibt, ob diese in der Ausgestaltung der Vollstreckung zum Zuge kommen dürfen.42
II. Interessen des Gläubigers Das Interesse des Gläubigers liegt auf der Hand und ist bereits in der Aufgabenstellung enthalten. Es geht um die Durchsetzung seines Leistungsrechts, das dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfällt.43 In diesen Schutzbereich wird von staatlicher Seite eingegriffen, indem dem Gläubiger das Recht abgesprochen wird, sein Leistungsrecht selbst durchsetzen zu können. Das Interesse des Gläubigers konzentriert sich daher auf eine möglichst effiziente Vollstreckung44 durch 38 Götte, ZZP 1987, 412 (414 ff.), will dem Staat hingegen weitgehend die Wahrnehmung eigener Interessen in der Zwangsvollstreckung absprechen. Zu dem daraus resultierenden Streit um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausführlich unter § 7 IV. 39 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.68. 40 Dagegen wird eingewandt, dass es nicht Aufgabe der Allgemeinheit sei, für die Verbindlichkeiten des Schuldners aufzukommen, so etwa Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 (7); Schneider/Becher, DGVZ 1980, 177 (179); Mohrbutter, § 12 III. 41 Nichts anderes verbirgt sich hinter der Formulierung vom „öffentlichen Interesse am Schutz vor Sozialhilfefälligkeit einzelner Bürger“, so etwa Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.68; Stürner, ZZP 1986, 291 (321 f.). 42 Ablehnend äußern sich Pawlowski, ZZP 1977, 345 (350 m.w.N. in Fn. 27, 363), sowie Werner, DGVZ 1986, 49 (55): „Das Vollstreckungsrecht darf nicht dazu missbraucht werden, dem Gläubiger die sozialen Aufgaben der Gemeinschaft zu überbürden, indem der Schuldner zu Lasten bzw. auf Kosten des Gläubigers seinen angemessenen Lebensstandard behält, der Allgemeinheit die Gewährung von Sozialhilfe und Notunterkunft erspart bleibt. … Vollstreckungsschutz dient nicht dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der öffentlichen Fürsorge.“ Zu der Gegenauffassung s. die Anmerkung in Fn. 45. Zur Lösung des Konflikts näher unter § 7 III 4. 43 Unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG fällt auch die Inhaberschaft eines Anspruchs, Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 14, Rdnrn. 11 ff.; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 46. 44 So schon die einleitenden Bemerkungen des Staatsministers der Justiz von Fäustle zu dem ersten Entwurf der Zivilprozessordnung, Hahn, Materialien, S. 509: „Ueber das Zwangsvollstrekkungsverfahren, meine Herren, werde ich mich kaum weiter zu äußern brauchen. Ein flüchtiger Blick wird Ihnen zeigen, dass das Zwangsvollstreckungsverfahren so einfach, als es möglich war, organisiert ist, und dass das Bestreben obwaltet, dem Berechtigten so rasch als möglich zum Ziel zu verhelfen, dagegen auch den Beklagten vor ungerechtfertigtem Zugriff zu schützen.“ Zu dem zuletzt angesprochenen Schutzinteresse des Schuldners sogleich unter III.
§ 3 Die Interessenlage in der Zwangsvollstreckung
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schnellstmögliches Handeln der Vollstreckungsorgane45 unter Ausnutzung eines etwaigen Überraschungseffekts46 und durch eine möglichst weitgehende Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Schuldners.47 Kommt der Staat diesem Interesse nicht nach, so stellt sich für den Gläubiger die Frage nach einer Entschädigungsregelung. Der Gläubiger hat ferner ein Interesse an einer möglichst weitgehenden Mitsprache im Rahmen der Vollstreckung. Er will sich das Recht vorbehalten, Anfang und Ende der Vollstreckung zu bestimmen und Einfluss auf die konkreten Vollstreckungsmaßnahmen zu nehmen. Nicht anders als bei einer gütlichen Einigung mit dem Schuldner hat der Gläubiger ebenso in der Vollstreckung ein Interesse daran, bei Bedarf Leistungsrechte zu stunden oder teilweise zu erlassen, um den Schuldner so zur Erbringung der ansonsten nicht zu erzielenden Leistung zu motivieren.
III. Die Interessen des Schuldners Das weitestgehende, aber von vornherein zu verwerfende Interesse des Schuldners liegt in der Leistungsverweigerung. Dieses Interesse ist nur dann schutzwürdig, wenn keine Leistungsverpflichtung besteht. Insoweit hat der Schuldner ein elementares Interesse an einem effektiven Rechtsschutzsystem,48 das seinen berechtigten Einwänden Rechnung trägt und ihn vor einer voreiligen Zerschlagung einzelner Vermögenswerte schützt.49 Dies beinhaltet auch sein Interesse an rechtlichem Gehör. Was die Durchführung der Vollstreckung anbelangt, so machen die Grundrechte, die aufgrund der staatlichen Einmischung zum Tragen kommen, zugleich die Interessen des Schuldners namhaft.50 Die Palette der im Einzelfall in Betracht kommenden Interessen reicht von der Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), dem Recht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), über die Wohnung (Art. 13 GG) bis hin zum Eigentum des Schuldners (Art. 14 GG).51 Darin kommt letztlich das Interesse an einer Vollstreckung zum Ausdruck, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt.52 45 Dabei ist insbesondere an verbindliche Fristen zur Bearbeitung zu denken, deren Missachtung ggf. Entschädigungsansprüche begründen; s. dazu näher unter § 23 V. 46 Dies betrifft die Frage des rechtlichen Gehörs des Schuldners, s.u. § 8 VI. 47 Dieser Aspekt berührt das Problem der Aufklärungsbefugnisse in der Vollstreckung, die unter § 8 IV im Einzelnen Gegenstand der Untersuchung sein werden. 48 S. dazu im Einzelnen im siebten Teil. 49 S. dazu bereits die Ausführungen des Staatsministers der Justiz von Fäustle zu dem ersten Entwurf einer Zivilprozessordnung in Fn. 49. 50 Näher zu den einzelnen betroffenen Grundrechten Weyland, S. 38 ff., und Baur/Stürner/ Bruns, Rdnrn. 7.2 ff. 51 Ausführlich zu den einzelnen Grundrechten des Schuldners, die in der Zwangsvollstreckung berührt werden, Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 (2 ff.). 52 Dazu im Einzelnen unter § 7 IV.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
Zum besseren Verständnis sei nochmals darauf hingewiesen, dass hier zunächst nur die in Betracht kommenden Interessen des Schuldners angesprochen worden sind. Damit ist noch nichts darüber gesagt, dass diese Interessen in der Vollstrekkung auch zum Zuge kommen. Das wird gar nicht möglich sein, da sie den Interessen des Gläubigers diametral entgegenstehen. Diese resultieren aus Art. 14 GG, so dass eine Grundrechtskollision unausweichlich ist.53 Dabei wird stets zu fragen sein, ob der Schuldner seine Interessen nicht aufgrund seiner Leistungsverweigerung zurückstellen muss.
IV. Interessen weiterer an der Zwangsvollstreckung Beteiligter Die Vollstreckung findet nicht im luftleeren Raum statt. Und so bleibt es nicht aus, dass über das Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner hinaus im Einzelfall auch weitere Personen in die Vollstreckung verwickelt werden. Da in der Vollstreckung auf Rechte des Schuldners zugegriffen wird, handelt es sich dabei regelmäßig um Personen, die mit dem Schuldner in Verbindung stehen. Dabei ist an konkurrierende Gläubiger, Drittschuldner und sonstige Dritte zu denken. Die Interessen konkurrierender Gläubiger entsprechen einander. Hier stellt sich allein das Problem, ob der schnellere Gläubiger sich einen Vorrang sichern kann oder aber alle Gläubiger eine Verlustgemeinschaft bilden.54 Drittschuldner haben ein Interesse daran, dass sich ihre Rechtsposition nicht verändert, da sie keinen Einfluss auf eine Übertragung der Schuldnerrechte auf den Gläubiger haben. Sie wollen insbesondere ihre Einreden und Einwendungen behalten. In ähnlicher Weise haben andere Dritte, deren Rechte von der Vollstreckung berührt werden, ein verständliches Interesse daran, ihre Rechte in Form von Eigentum, Pfandrechten usw. im Rahmen der Vollstreckung rechtzeitig und möglichst weitgehend gegenüber den Gläubigern des Schuldners durchsetzen zu können.55 Zuletzt ist an die möglichen Erwerber zu denken, die im Rahmen der Geldvollstreckung Gegenstände aus dem Vermögen des Schuldners ersteigern. Sie sind daran interessiert, unbelastetes Eigentum zu erwerben, um nicht der Gefahr etwaiger Regressansprüche ausgesetzt zu sein.56 Damit sind die in der Vollstreckung betroffenen Interessen artikuliert. Es stellt sich nunmehr nachfolgend die Frage, ob die bekannten Strukturen des privaten und öffentlichen Rechts bekannte Denkmuster liefern, die zu sachgerechten Lösungen im Sinne einer ausgewogenen Abwägung der teilweise entgegenstehenden Interessen führen. 53 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 4; Gerhardt, ZZP 95, 467 (487); Lippross, Vollstreckungsschutz, S. 137. 54 Zu der Abgrenzung von Prioritätsgrundsatz und Verlustgemeinschaft näher unter § 9 IV 2. 55 Zur Problematik der Drittbeteiligung, die in einigen europäischen Nachbarländern wesentlich großzügiger gehandhabt wird, s. näher unter § 9 III 2. 56 Angesprochen ist damit die Frage nach dem Verkehrsschutz in der Versteigerung, s.u. § 17 IV 3.
§ 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge privates/öffentliches Recht
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§ 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge von privatem und öffentlichem Recht I. Vorbemerkung Nachdem eine Begriffsbestimmung der Vollstreckung vorgenommen, damit die Aufgabenstellung geklärt und auch die Interessenlage in der Vollstreckung beleuchtet worden ist, stellt sich die Frage, ob nicht vergleichbare Problemkonstellationen bereits in den Kerngebieten des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts, in den Feldern von Rechtspflege und Verwaltung geregelt sind. Dies könnte den Rückgriff auf bewährte Prinzipien erleichtern. Mit anderen Worten stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung. Bei der Beantwortung dieser Frage gibt es zunächst nur zwei Möglichkeiten. Entweder die Vollstreckung weist Gemeinsamkeiten mit anderen Rechtsgebieten auf und ist folgerichtig parallel zu bewerten oder aber es bleibt keine andere Wahl, als die Vollstreckung als Rechtsgebiet sui generis einzustufen57 und eigenen Prinzipien zu unterwerfen. Als dritte Variante käme gleichsam als Mittelweg nur eine Einordnung der Zwangsvollstreckung im Grenzbereich zweier bekannter Rechtsgebiete, dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht, in Betracht. Als Recht sui generis erwiesen sich dann lediglich die erforderlichen Schnittstellen.
II. Das verworrene Bild der Zwangsvollstreckung in Rechtsprechung und Literatur In dem Bestreben nach einem weitestgehenden Reduktionismus bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung wirkt eine Bestandsaufnahme im deutschen Recht zunächst wenig ermutigend.58 Es besteht absolute Uneinigkeit darüber, ob die Zwangsvollstreckung dem öffentlichen oder dem privaten Recht und in der weiteren Folge der Verwaltung oder der Rechtspflege zuzuordnen ist. Verfolgt man die Linie der h. M., so bewegt man sich im Bereich der Vollstreckung in noch nicht erschlossenem Grenzgebiet. Während sich im Rahmen der Pfandrechtstheorien beispielsweise eine öffentlich-rechtliche Betrachtung zunehmend durchsetzt,59 überwiegen im Bereich der Rechtsbehelfe die ablehnenden Haltungen gegenüber einer öffentlich-rechtlichen Betrachtungsweise.60 Ten57
So etwa schon Stein, Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung, S. 59. Gaul, ZZP 1999, 135 (136), bezeichnet den derzeitigen Zustand etwa wie folgt: „Bis zum heutigen Tage bringt man dem Zwangsvollstreckungsrecht eine Reserve entgegen und seine wissenschaftliche Durchdringung von der Prozessrechtswissenschaft ist lange vernachlässigt worden. … Das auf den Richterspruch als Wahr- und Rechtsspruch ausgerichtete Urteilsverfahren übt unwillkürlich eine größere juristische Anziehungskraft aus als das im bloßen Ausfluss seines Machtspruchs sich äußernde Vollstreckungsverfahren.“ 59 S. dazu noch unter § 16 II 1 und § 18. 60 S. dazu insbesondere die Ausführungen zur Vollstreckungserinnerung unter § 27, die ebenso wie die nachfolgenden prinzipiellen Überlegungen zeigen, dass exakt eine umgekehrte Betrachtung den Gegebenheiten eher entsprechen dürfte. 58
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
denzen, die Vollstreckung als Rechtsgebiet „sui generis“ abzutun,61 sind daher nur allzu verständlich. Angesichts dieser Unklarheiten im deutschen Recht stellt sich die Frage, ob nicht eine rechtsvergleichende Betrachtung weitergehenden Aufschluss geben kann, bevor auf die Einzelheiten in der deutschen Literatur einzugehen ist.
III. Blick zu den europäischen Nachbarn Gemäß den gemeinsamen historischen Wurzeln scheint in den meisten europäischen Nachbarländern Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Zwangsvollstrekkung privatrechtlicher Forderungen begriffsnotwendig bei den ordentlichen Gerichten anzusiedeln ist und es sich demzufolge um eine originär rechtsprechende Tätigkeit handelt.62 Dass dies nicht unbedingt selbstverständlich ist, zeigt ein Blick zu den Schweizer Eidgenossen.63 Sie haben ein Vollstreckungssystem entwickelt, das als Hauptwesenszug eine Eigenart aufweist, die den übrigen Vollstreckungssystemen fremd ist. Die Vollstreckung ist den Gerichten entzogen und eigens hierzu geschaffenen Betreibungsämtern übertragen, Art. 2 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG). Diese Betreibungsämter sind wohlgemerkt nicht nur für die Betreibung von privaten, sondern in gleicher Weise auch für die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen zuständig.64 Das Schuldbetreibungsgesetz sieht keinerlei Einschränkungen auf eine bestimmte Art von Ansprüchen vor und es wird auch nicht durch Spezialgesetze verdrängt. Das Bild der zentralen Vollstreckungsorganisation in der Schweiz wird ferner dadurch geprägt, dass die Betreibungsämter für die gesamte Geldvollstreckung zuständig sind, sei es die Mobiliar-, Immobiliar- oder auch Forderungsvollstrekkung, Art. 2, 122 ff., 133 ff. SchKG. Das Recht der Natural- und Personalvollstreckung ist hingegen wegen der Kantonshoheit in den kantonalen Prozessordnungen individuell normiert.65 Den Betreibungsämtern unterstellt sind im Außendienst die sogenannten Betreibungsweibel, die schweizerischen Gerichtsvollzieher.66 Im Gegensatz zu den deutschen Gerichtsvollziehern haben die schweizerischen Betreibungsweibel keine eigene Prüfungs- und Entscheidungskompetenz. Sie unterliegen den Weisungen des Betreibungsamtes und sind allein 61
So schon Stein, Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung, S. 59. Ein Überblick zu den europäischen Nachbarn findet sich bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.1 ff. Zum Verständnis der europäischen Nachbarn von der Zwangsvollstreckung auch Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnrn. 24 ff. 63 Darauf hat in besonderer Weise schon Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 24, hingewiesen, der beim Zusammenspiel von Zwangsvollstreckung und Verwaltung ebenfalls auf das Schweizer Vorbild abstellt. 64 Burghardt, DGVZ 1977, 177 (177). 65 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.126. 66 Die Bezeichnung hat ihre Herkunft vom „Feldwebel“, der in der Schweiz „Feldweibel“ genannt wird, Eickmann, DGVZ 1980, 129 (130). 62
§ 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge privates/öffentliches Recht
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für den Vollzug der Pfändung im Außendienst tätig.67 Die Sicherung und weitere Verwertung geschieht allein durch die Betreibungsämter, denen für die öffentliche Versteigerung eigene Bedienstete zur Verfügung stehen. Im Ergebnis besteht damit in der Schweiz die Besonderheit, dass die Aufgaben der Betreibung von der Gerichtsbarkeit und mithin vom Prozessrecht gelöst sind und stattdessen einer gesonderten Behörde übertragen sind.68 Die schweizerischen Betreibungsweibel ähneln ihrer Stellung nach eher dem Vollstreckungsbeamten in der deutschen Verwaltungsvollstreckung als dem deutschen Gerichtsvollzieher.69 Gleichwohl sind sie auch für die Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche zuständig, Art. 2, 122 ff. SchKG. Es verwundert daher nicht, dass selbst in der Schweiz Uneinigkeit über die rechtliche Qualifizierung der Betreibungsämter besteht. Naheliegend wäre es, die Betreibungsämter aufgrund ihrer Trennung von den Gerichten als öffentliche Verwaltungsbehörde anzusehen.70 Dafür spricht auch die Parallele zu den skandinavischen Ländern, in denen die Vollstreckungsorgane ebenfalls der Verwaltung zugeordnet werden.71 Hingegen wird aber auch die Ansicht vertreten, dass es sich nicht um Verwaltung, sondern um einen Teil der Zivilgerichtsbarkeit handeln soll.72 Der Gesetzgeber hat es in der Schweiz versäumt, sich Gedanken über die Rechtsnatur des Betreibungsrechts zu machen, geschweige denn, diese klar im Gesetz zu formulieren. So muss das Pferd von hinten aufgezäumt werden. Nicht das Gesetz trifft klare Vorgaben für die Rechtspraxis, sondern aus der Rechtspraxis müssen die Lehren für klare gesetzliche Vorgaben gezogen werden. Dass dies bislang wohl auch in der Schweiz nicht gelungen ist, belegt der soeben angesprochene Disput in der schweizerischen Lehre. Für die deutsche Literatur kann es nur ein schwacher Trost sein, dass die übrigen europäischen Länder in ihrer Diskussion um die Bewertung der Rechtsnatur der Vollstreckung bislang nicht weiter vorangeschritten sind. Denn damit ist eine fortschreitende Auseinandersetzung unausweichlich. Bevor dabei auf die bislang vertretenen Ansichten näher eingegangen wird, ist es ratsam, den Wirkungsbereich der Zwangsvollstreckung im Verhältnis der beteiligten Personen klarzustellen.
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Eickmann, DGVZ 1980, 129 (130). Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 24, folgert daraus zutreffend, dass die Zwangsvollstreckung von Zivilurteilen durch Verwaltungsbehörden kein bloßes Gedankenspiel ist. 69 So schon Eickmann, DGVZ 1980, 129 (131). 70 Götte, ZZP 1987, 412 (425), spricht demzufolge im Zusammenhang mit dem schweizerischen Vollstreckungssystem von einem reinen Verwaltungsverfahren. Ebenso Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 24. Bei dieser Meinungsströmung handelt es sich jedoch laut Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 IV, Fn. 45, nur um eine in der Schweiz vertretene Mindermeinung. 71 Darauf weist Baburger, DGVZ 1973, 133, hin. 72 So wohl nach Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 IV, Fn. 45, die h. M. in der Schweiz. 68
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
IV. Aufgabenfeld im Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner Die Zwangsvollstreckung ist als das Verfahren definiert worden, das im Falle der Leistungsverweigerung die Brechung des Schuldnerwillens unter dem Vorbehalt staatlicher Gewaltanwendung gewährleistet. Diese Definition beinhaltet eine strikte Unterteilung des Dreiecksverhältnisses zwischen Gläubiger, Staat und Schuldner in die jeweiligen Rechtsverhältnisse.73 Das Verhältnis Gläubiger – Staat ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Gläubiger ein öffentlich-rechtlicher Anspruch gegen den Staat auf die Durchführung der Vollstreckung zusteht.74 Letztere stellt sich als Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum des Gläubigers dar. Da nun auch die Selbsthilfe von der Initiative des Gläubigers abhängen würde, ist es sachgerecht, auch den Beginn der Zwangsvollstreckung von einem Antrag des Gläubigers abhängig zu machen.75 Im Anschluss daran wird der Staat gegenüber dem Schuldner tätig. Auf dieser Ebene spielt sich die eigentliche Vollstreckung ab. Allein hier kommt das staatliche Gewaltmonopol und damit die Vollstreckung zum Tragen. Im Übrigen bleibt das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner unberührt, soweit nicht neben dem staatlichen Gewaltmonopol weitere staatliche Interessen ein Einschreiten rechtfertigen.76 Geht es daher im Folgenden um die rechtliche Qualifizierung der Vollstreckung, so hat sich diese auf das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Schuldner zu konzentrieren. Bereits diese Überlegung legt es nahe, die Vollstreckung dem öffentlichen Recht zuzuordnen.
V. Die Zwangsvollstreckung als öffentliches Recht Bevor eine Zuordnung des Vollstreckungsrechts zum öffentlichen oder privaten Recht vorgenommen wird, stellt sich die Frage nach dem Sinn einer derartigen Zuordnung, die bei allen Abgrenzungsbemühungen all zu sehr in den Hintergrund tritt. Der Sinn ergibt sich aus dem Umstand der staatlichen Beteiligung 73 In diese Richtung, die Tätigkeit des Staates und die des Gläubigers schärfer als bisher auseinander zu halten, geht bereits die Untersuchung von Otto Geib zum Rechtsschutzbegehren und zur Anspruchsbetätigung. Otto Geib, S. 67 ff., trennt mit Recht zwischen dem Vollstreckungsrecht des Gläubigers gegenüber dem Staat und dem materiellen Anspruch gegenüber dem Schuldner. Ablehnend äußert sich demgegenüber Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 2. Der Annahme Otto Geibs stehe entgegen, dass die Erzwingbarkeit des Anspruchs keine Eigenschaft des materiellen Anspruchs sei und der Vollstreckungsantrag reine Prozesshandlung sei. Demzufolge könne dem Vollstreckungsantrag keine doppelte Funktion zugemessen werden. Dieser Kritik ist insofern zuzustimmen, als Otto Geib dem Vollstreckungsantrag selbst eine doppelte Funktion im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Vollstreckungsorgan zumisst. Der Vollstreckungsantrag betrifft allein das Verhältnis von Gläubiger und Vollstreckungsorgan. Dieser Umstand hindert jedoch nicht eine strikte Trennung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverhältnis und dem privatrechtlichen Schuldverhältnis. Dies wird im Folgenden noch zu zeigen sein. 74 Man spricht in diesem Zusammenhang von dem sogenannten Vollstreckungsanspruch, s.o. § 2 II 1. 75 Zur Dispositionsmaxime und ihrer Begrenzung auf Anfang und Ende des Zwangsvollstrekkungsverfahrens noch im Einzelnen unter § 8 III und V. 76 S.o. § 2 II 2.
§ 4 Einordnung der Zwangsvollstreckung in das Gefüge privates/öffentliches Recht
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und der damit einhergehenden unmittelbaren Grundrechtsbindung. Das staatliche Gewaltmonopol gibt allein dem Staat das Recht, ohne Zustimmung des Betroffenen in dessen Grundrechte einzugreifen, unterwirft ihn aber zugleich einer verfassungsrechtlich abgesicherten Bindung an elementare Rechtsgrundsätze. Verbunden mit dem staatlichen Behördenapparat führt dies zu einem Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Hoheitsträger und Bürger, was im weiteren Geleit die Bildung eigener Prinzipien erforderlich macht. Von einer Waffengleichheit, wie sie das privatrechtliche Verhältnis zwischen den Bürgern kennzeichnet, kann nicht mehr die Rede sein. Auswuchs dieser verfassungsrechtlichen Entwicklung ist die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, mit der sogenannten Subjekts- bzw. Sonderrechtstheorie dem öffentlichen Recht den Bereich zuzuordnen, bei denen Berechtigter oder Verpflichteter zwingend ein Träger hoheitlicher Gewalt sein muss.77 Die „zwingende Beteiligung eines Hoheitsträgers“ lässt sich dahingehend konkretisieren, dass es sich um Grundrechtseingriffe handelt und eben nicht um Bereiche der reinen Fiskal- oder Leistungsverwaltung. Wird in Grundrechte eingegriffen, so ist hierfür nur der Staat legitimiert. Zugleich verlangt der Schutz der Betroffenen eine besondere Grundrechtsbindung des Staates. Allein schon diese Überlegungen rechtfertigen es, die Zwangsvollstreckung dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Es handelt sich hier um einen Kernbereich des staatlichen Gewaltmonopols, insbesondere dort, wo es um den Einsatz körperlicher Gewalt gegen den leistungsunwilligen Schuldner geht. Auch wenn damit im Ergebnis die Zwangsvollstreckung von der h. M. zu Recht dem öffentlichen Recht zugeordnet wird,78 muss noch einmal betont werden, dass sich dieses auf die staatliche Gewaltanwendung im Verhältnis zwischen Staat und Schuldner beschränkt. Für das Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner besteht kein Anlass, öffentlich-rechtliche Betrachtungen anzustellen. Die eigentliche Schwierigkeit wird mithin darin bestehen, die Nahtstellen zwischen öffentlichem und privatem Recht, die sich aus dieser Feststellung ergeben, zu bestimmen und einer sachgerechten Regelung zuzuführen.79
VI. Zwangsvollstreckung als Ausprägung eines Verwaltungsverfahrens Während die Zuordnung der Vollstreckung zum öffentlichen Recht wenig Probleme bereitet, ist die weitere Einordnung in die Kategorien Rechtspflege oder Verwaltung sehr umstritten.80 Bei unbefangener Betrachtung ist man geneigt, die 77
BVerwG DÖV 1981, 678 (679); BGHZ 41, 264 (266 f.); Kopp/Ramsauer, § 1, Rdnr. 15. So schon RGZ 128, 81 (85). Ebenso in der Literatur statt vieler Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 7; Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 1. 79 Dazu sogleich unter § 5. 80 Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 10, versteht die Zwangsvollstreckung als eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit selbständiger und eigner Art gegenüber dem Erkenntnisverfahren. Ähnlich Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1. 78
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
Vollstreckung im Anschluss an ihre Charakterisierung als öffentliches Recht dem Bereich der Verwaltung zuzuordnen.81 Unter Rechtspflege wird hingegen zumeist nur die Tätigkeit der Verwaltungsgerichte verstanden, während auch die „Verwaltungsvollstreckung“ – wie sich bereits aus der Bezeichnung ergibt – unstreitig der Verwaltung angehört. Gleichwohl fasst die herrschende Meinung die klassische Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung als Rechtspflegetätigkeit auf.82 Angesichts dieser konträren Ansichten bleibt eine vermittelnde Meinung nicht aus. Sie nimmt eine Spaltung zwischen den sogenannten Vollstreckungsentscheidungen im Sinne von § 793 ZPO und den sogenannten Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 766 ZPO vor. Im letzteren Fall soll es sich um Verwaltung, im ersteren um Rechtspflege handeln.83 1. Differenzierung zwischen Rechtspflege und Verwaltung Nicht anders als bei den Kategorien öffentliches und privates Recht stellt sich auch bei einer weitergehenden Zuordnung der Zwangsvollstreckung zunächst die Frage nach dem Sinn der Unterscheidung zwischen Rechtspflege und Verwaltung. Nach der h. M. ist die Abgrenzung für drei Punkte von Bedeutung: die Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs bei rechtswidrigen Vollstreckungsmaßnahmen, die Behandlung des fehlerhaften Vollstreckungsaktes und die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.84 Die für diese drei Punkte aus dem öffentlichen Recht bekannten Lösungsstrukturen sind nach h. M. nicht auf das Vollstreckungsrecht übertragbar, da es sich eben um Rechtspflege handeln soll.85 Dies führt umgekehrt zu der Konsequenz, dass der Richtervorbehalt des Art. 92 GG zu beachten ist, soweit in der Vollstreckung „rechtsprechende Gewalt“ ausgeübt wird.86 Dieser einschränkende Zusatz lässt bereits die Bredouille erkennen, in die die h. M. gerät, indem sie die Tätigkeit der nicht dem Richterberuf zuzuordnenden Vollstreckungsorgane einerseits mit dem Begriff Rechtspflege bezeichnet und sie andererseits im selben Atemzuge mit einem einschränkenden Zusatz versieht. Im Zusammenhang mit der hier angesprochenen Differenzierung scheint also nicht einmal Klarheit über den Begriff der 81 So ganz entschieden Bruns, AcP 1971, 358 (362). In diese Richtung gehen auch die Äußerungen von Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 29: „Zwangsvollstreckung ist also nicht Rechtsprechung, sondern etwas, das in seinen äußeren Erscheinungsformen viel Gemeinsamkeit mit Verwaltung hat.“ Ähnlich zumindest für die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers Dütz, S. 23 ff.; ders., DGVZ 1975, 49 (55 ff., 65 ff., 81 ff.), der das Verhältnis von Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht mit dem Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit vergleicht, und Pawlowski, ZZP 1977, 345 (363 f.), der von der Exekutivfunktion des Gerichtsvollziehers spricht. 82 Gaul, Rpfleger 1971, 41 (41 ff.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 70. 83 So Jürgen Blomeyer, JR 1969, 289 (290 ff.). 84 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 IV 1. 85 Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 1; Gaul, Rpfleger 1971, 41 (41 ff.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 70. 86 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 IV 2.
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„Rechtspflege“ zu bestehen. Ohne die Klärung dieses Begriffs erübrigt sich aber jede weitere Diskussion. Der Begriff „Rechtspflege“ taucht in der Verfassung nicht auf. Das Grundgesetz kennt nur die Unterteilung in die drei Staatsgewalten Gesetzgebung, vollziehende und rechtsprechende Gewalt, Art. 20 Abs. 2 GG. Die zuletzt genannte rechtsprechende Gewalt ist gem. Art. 92 GG den Richtern anvertraut. Um sie zu präzisieren, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an.87 Unter der Rechtsprechung im formellen Sinne wird allein die gesetzliche Zuweisung von Aufgaben an die Gerichte verstanden.88 Eine derartige Interpretation wäre schon deshalb bedenklich, weil dann der verfassungsrechtliche Begriff durch einfachgesetzliche Zuweisungen bestimmt würde. Zudem ist allgemein anerkannt, dass die Gewaltenteilung nicht ausnahmslos durchgreift. Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte führen zu einzelnen Durchbrechungen dieses Systems. Die Gerichte üben beispielsweise im Rahmen der Justizverwaltung gemäß §§ 23 ff. EGGVG unstreitig eine Verwaltungstätigkeit aus. Als sinnvoll erweist sich daher nur ein materieller Rechtsprechungsbegriff, der sich aus dem Grundgesetz erschließen muss. Systematisch ist er in Abgrenzung zu den beiden anderen Staatsgewalten, insbesondere zur Verwaltung, zu entwickeln. Aus Art. 83 GG, der einleitend die Aufgaben der Exekutive umschreibt, ergibt sich, dass die Verwaltung die „Ausführung von Gesetzen“ zum Gegenstand hat. Hingegen regeln die Art. 92 ff. GG die Entscheidung bei „Streitigkeiten“ und „Meinungsverschiedenheiten“ über die „Auslegung“ der Gesetze.89 Es ist also die Streitentscheidung zwischen zwei Parteien durch einen unbeteiligten Dritten mit obrigkeitlicher Gewalt von dem Gesetzesvollzug abzugrenzen.90 Der Rechtsprechung obliegt allein die Streitentscheidung,91 während der Verwaltung der Vollzug der Gesetze obliegt, deren Anwendung durch die Entscheidung der Gerichte konkretisiert werden kann. Daraus folgt die wichtige Feststellung, dass die erstmalige Anwendung des Gesetzes der Verwaltung und nicht der Rechtsprechung obliegt.92 Erst wenn über die Anwendung ein Streit zwischen den Beteiligten entbrennt, wird die Rechtsprechung tätig,93 unabhängig von der Frage, ob es sich um 87
Jürgen Blomeyer, JR 1969, 289 (291), hat diese schon angesprochen. So Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43). Ähnlich zählt Lüke, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 313, die Zwangsvollstreckung zur Rechtspflege im formellen Sinn, obwohl er im gleichen Atemzug die große Ähnlichkeit mit Verwaltungsakten hervorhebt. 89 So Art. 93 GG. 90 So schon Bötticher, ZZP 1926, 201 (207). Ebenso in neuerer Zeit Smid, S. 153 ff., und Brehm, ZZP 1991, 495 (496). 91 Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 27, stellt demzufolge auf das Definitionselement der Letztverbindlichkeit der Entscheidung als Wesensmerkmal der Rechtsprechung im Gegensatz zur Verwaltung ab. 92 In dieser Konsequenz stellt Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 27, treffend fest: „Die ,Entscheidung‘ eines Vollstreckungsorgans, eine Vollstreckungsmaßnahme vorzunehmen oder abzulehnen, beansprucht aber genauso wenig Letztverbindlichkeit wie die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, einen Verwaltungsakt zu erlassen oder seinen Erlass zu verweigern.“ 93 Ebenso wie hier hat auch Bettermann, in: Festschrift für Lent, S. 17 (24 ff.), die Streitentscheidung als das Essentiale der Rechtsprechung charakterisiert. 88
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
private oder öffentliche Rechtssubjekte handelt. Die Frage der Zuordnung des Rechtssubjekts ist allein für die Zuständigkeit der Gerichte von Bedeutung, wie sich aus Art. 95 GG ergibt, der die Gerichtszweige aufzählt. Die Abgrenzung zwischen Gesetzesvollzug und Streitentscheidung wird systematisch durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG belegt. Diese Regelung garantiert die Eröffnung des Rechtsweges, soweit „jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird.“ Mit der öffentlichen Gewalt ist im Einklang mit der Rechtsprechung und Literatur nicht die rechtsprechende, sondern die vollziehende Gewalt gemeint. Art. 19 Abs. 4 GG bezweckt den Schutz durch den Richter, nicht vor demselben.94 Diese Regelung ist nur so zu verstehen, dass der Gesetzesvollzug durch die Verwaltung und damit der Eingriff der öffentlichen Gewalt in die Rechte des Betroffenen der Überprüfung der dritten Staatsgewalt unterliegt und diese Kontrolle verfassungsrechtlich gewährleistet sein soll. Anders formuliert obliegt der Rechtsprechung allein die Streitschlichtung im Sinne einer Feststellung des geltenden Rechts, nicht aber der Gesetzesvollzug. Dies gilt ohne zeitliche Differenzierung, d.h. dass die Verwaltung auch für den Vollzug der Entscheidung der rechtsprechenden Gewalt zuständig ist. Denn die ergangene Entscheidung stellt ja nur wiederum eine Konkretisierung des geltenden Gesetzes dar und bedarf zu ihrer Vollstreckung der Anwendung der maßgeblichen Gesetze. Wie verhält sich nun der Begriff der Rechtspflege zu den drei Staatsgewalten? Es erscheint allein sinnvoll, diesen Begriff synonym mit dem Begriff der Rechtsprechung zu benutzen.95 Die begriffliche Unterscheidung in die drei Staatsgewalten ist aufgrund der Funktionsteilung und der unterschiedlichen Prinzipien sachgerecht. Für eine weitere Unterteilung des Begriffs der Rechtsprechung sind hingegen keine Argumente ersichtlich.96 Und so scheinen auch diejenigen, die die Vollstreckung als Rechtspflege verstehen, von dem hier entwickelten Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne auszugehen.97 Allein im Bereich des Art. 92 GG soll dieser Begriff im Sinne des verfassungsrechtlich verankerten Richterberufs enger zu fassen sein.98 Lenkt man den Blick auf die staatliche Gewaltenteilung, so gewinnt die Abgrenzung zwischen Verwaltung und Rechtspflege nicht allein Bedeutung für die von der h. M. angeführten Aspekte. Es geht vielmehr um die grundlegende Frage, nach welchen Prinzipien sich die Vollstreckung zu richten hat. Handelt es sich 94
BVerfGE 15, 275 (280); Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 19, Rdnr. 44. Abweichend davon bezeichnet auf einfachgesetzlicher Ebene § 1 BRAO auch den Rechtsanwalt als ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Die Betonung liegt dabei jedoch eher auf der Unabhängigkeit der Rechtsstellung des Rechtsanwalts als auf dessen Zugehörigkeit zur sogenannten Rechtspflege. Gesetzliche Schlussfolgerungen zieht die Bundesrechtsanwaltsordnung nämlich nicht daraus, weshalb die Zuordnung zur sogenannten Rechtspflege eine leere Worthülse bleibt. 96 Smid, S. 238, kommt daher hinsichtlich des Begriffs der sogenannten Rechtspflege zu der treffenden Feststellung: „Nichts anderes als diese Ambivalenz, die in der Zuweisung von Verwaltungsaufgaben an Richter liegt, wird in dem Begriff der ,Rechtspflege‘ ausgedrückt.“ 97 So ausdrücklich Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43). Ebenso Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1. 98 S. dazu sogleich unter 3. 95
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um Verwaltungstätigkeit mit der Folge, dass die Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts zum Tragen kommen (Untersuchungsgrundsatz etc.), oder kommen die verfassungsrechtlichen Regelungen der Art. 92 ff. (strenger Richtervorbehalt, Unabhängigkeit der Richter, rechtliches Gehör vor Gericht usw.) zum Tragen? Allein die verfassungsrechtliche Bewertung und die dazu angestellten Überlegungen legen es nahe, bei der Vollstreckung von einer Verwaltungstätigkeit auszugehen. Es geht nicht um eine Streitentscheidung, sondern um die erstmalige Anwendung von Gesetzen und deren Vollzug. Dieser Bewertung könnten allenfalls konkrete gesetzliche Bestimmungen entgegenstehen. 2. Unmittelbare gesetzliche Regelungen zur Einordnung Zwei Normen werden angeführt, die belegen sollen, dass es sich bei der Zwangsvollstreckung um Rechtspflege handelt. Zunächst ist dies die Regelung des § 801 Abs. 1 ZPO.99 Nach dieser Vorschrift ist die Landesgesetzgebung nicht gehindert, auf Grund anderer als der in den §§ 704, 794 ZPO bezeichneten Schuldtitel die „gerichtliche Zwangsvollstreckung“ zuzulassen und insoweit von der Zivilprozessordnung abweichende Vorschriften über die Zwangsvollstreckung zu treffen. Der Zusatz „gerichtlich“ lässt sich aber in diesem Zusammenhang allenfalls dem Begriff der formellen Rechtsprechung zuordnen in dem Sinne, dass die Zwangsvollstreckung organisatorisch den Vollstreckungsgerichten zugewiesen ist. Die Regelung des § 801 Abs. 1 ZPO trifft keine Aussage über die Qualität der Vollstreckung als rechtsprechende Tätigkeit, sondern behält lediglich den Landesgesetzgebern die ergänzende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Vollstreckungstitel vor, ohne dass diese dafür eine eigene Behördenstruktur aufbauen müssten. Ihnen wird vielmehr das Recht eingeräumt, die Kompetenzen der bei den Gerichten angesiedelten Zwangsvollstreckungsorgane zu erweitern. Als zweites Indiz für die Einordnung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflege wird die Regelung des § 4 S. 2 EGGVG herangezogen.100 Sie besagt, dass andere Gegenstände der Verwaltung als der Justizverwaltung nicht den ordentlichen Gerichten übertragen werden dürfen. Daraus wird gefolgert, dass es sich bei der Zwangsvollstreckung nicht um Verwaltung handeln könne, da sie sonst nicht entgegen § 4 S. 2 EGGVG der ordentlichen Gerichtsbarkeit hätte übertragen werden können.101 Es handele sich bei ihr auch nicht um einen Spezialfall der Justizverwaltung,102 weil die Vollstreckungsorgane nicht als „Justizbehörde“ handeln würden.103 Bei dem zuletzt genannten Argument handelt es sich um einen Zirkelschluss, da die Behördeneigenschaft gemäß § 1 Abs. 4 VwVfG gerade dadurch gekenn99
Gaul, Rpfleger 1971, 41 (51). Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 70. Die Vorschrift des § 4 EGGVG ist allerdings durch Art. 14 des Gesetzes vom 19.04.2006 (BGBl. I S. 866) aufgehoben worden. 101 Gaul, Rpfleger 1971, 41 (51); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 1. 102 Henckel, S. 317; Huber, S. 102. 103 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 1 i.V.m. Fn. 4. 100
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
zeichnet ist, dass eine Stelle Aufgaben der „öffentlichen Verwaltung“ wahrnimmt. Der Begriff der Behörde kann daher nicht zur Widerlegung der Verwaltungsqualität herangezogen werden. Darüber hinaus spricht für ein Verständnis der Zwangsvollstreckung als Justizverwaltung der Umstand, dass es sich bei der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung um ein typisches Annex der Justiz handelt. Die Zuständigkeit der gerichtlichen Vollstrekkungsorgane erklärt sich aus der Sachnähe zum Erkenntnisverfahren. Die soeben angesprochenen Überlegungen mögen im Ergebnis dahinstehen, da aus der Regelung des § 4 S. 2 EGGVG jedenfalls kein Rückschluss auf die Rechtsnatur der Vollstreckung gezogen werden kann. Nicht anders als die Regelung des § 801 Abs. 1 ZPO trifft § 4 S. 2 EGGVG keine Aussage über die Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung, sondern regelt allein die Gesetzgebungskompetenzen der Länder in Ergänzung zu den Zuständigkeitsregelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bereits durch die Regelungen der §§ 764, 802 ZPO abschließend geregelt ist. Die Amtsgerichte trifft die ausschließliche Zuständigkeit als Vollstreckungsgericht, so dass für eine diesbezügliche Regelung in § 4 S. 2 EGGVG überhaupt kein Raum mehr bleibt. Dies gilt umso mehr, als beide Gesetze nahezu zeitgleich im Rahmen der Reichsjustizgesetze im Jahre 1877 in Kraft getreten sind und demzufolge von vornherein inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Eine weitere Überlegung mag belegen, dass allein aus der Zuordnung der Zwangsvollstreckung bei den ordentlichen Gerichten noch kein Rückschluss auf ihre Rechtsnatur gezogen werden kann. Das schweizerische Vollstreckungssystem ordnet die Zwangsvollstreckung bei eigens hierfür geschaffenen Betreibungsämtern an. Könnte nun allein aus der organisatorischen Trennung von den Gerichten ein Rückschluss gezogen werden, so müsste sich die schweizerische Betreibung als Verwaltungstätigkeit kennzeichnen lassen. Die Frage nach der Rechtsnatur der Vollstreckung ist aber in der Schweiz nicht anders als in Deutschland heftig umstritten.104 Dies belegt nur erneut, dass die formelle Zuweisung der Vollstreckung an ein Gericht oder an eine Behörde noch nicht genügt, um die Vollstreckung materiell-rechtlich einer der drei Staatsgewalten zuordnen zu können. Da es sich bei den §§ 801 Abs. 1 ZPO, 4 S. 2 EGGVG zudem lediglich um marginale Kompetenzregelungen handelt, kann die verfassungsrechtliche Bewertung der Zwangsvollstreckung als Verwaltung auf diesem einfachgesetzlichen Weg nicht ausgehebelt werden. 3. Bewertung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflege? Für die Einordnung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflege wird das Argument vorgebracht, der Staat handele in der Vollstreckung nicht in eigener, sondern in fremder Angelegenheit.105 Er werde als unbeteiligter Dritter tätig. Die Si104 105
S.o. § 4 III. Gaul, Rpfleger 1971, 41 (50); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 3.
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tuation des Vollstreckungsorgans sei daher durch seine Neutralität bestimmt, vergleichbar der Stellung des Richters im Erkenntnisverfahren. Rechtstechnisch könne man demzufolge die Akte des Vollstreckungsorgans nicht als Verwaltungsakte einstufen.106 Dem widerspricht bereits die Legaldefinition des Verwaltungsaktes. Gemäß § 35 S. 1 VwVfG ist der Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ob die Maßnahme in einer eigenen oder in einer fremden Angelegenheit erfolgt, spielt also keine Rolle. Es bestehen keine dogmatischen Bedenken, die Vollstreckungsmaßnahmen unter den Begriff des Verwaltungsaktes zu subsumieren.107 Der Zwangsvollstreckungsantrag entspricht dann dem Anspruch des Gläubigers gegen den Staat auf Erlass eines drittbelastenden Verwaltungsaktes.108 Ähnliche Konstellationen sind aus anderen Bereichen des Verwaltungsrechts, beispielsweise aus dem öffentlichen Baurecht, hinlänglich bekannt.109 Hier ist es dem in seinen Rechten berührten Nachbarn ebenfalls verwehrt, Selbsthilfe zu üben. Er muss sich an die staatlichen Ordnungsbehörden wenden, die dann ihrerseits gegenüber dem Störer tätig werden. Etwaige Bedenken, dass die Baubehörde etwa in einer fremden Angelegenheit tätig werden könnte, werden hier nicht artikuliert und sind auch nicht ersichtlich. Niemand käme auf die Idee, die Tätigkeit der Bauordnungsbehörde als Rechtspflege einzuordnen. Die Baubehörde nimmt zwar eine „neutrale“ Stellung in dem Sinne ein, dass sie im Verhältnis der widerstreitenden Interessen der benachbarten Bauherren zu vermitteln hat. Sie verfolgt aber vorrangig ureigene staatliche Interessen, indem sie die Einhaltung der staatlichen Bauvorschriften überwacht und bei Bedarf durch staatlichen Zwang sicherstellt. Dies ist ebenfalls Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. In der Zwangsvollstreckung ist die Situation aber nicht anders. Auch hier hat der Staat die Einhaltung und den Vollzug der Vollstreckungsvorschriften an sich 106 Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1, gesteht offen ein, dass in der Zwangsvollstreckung manche Hoheitsakte in einem materiellen und funktionellen Sinne eher Verwaltungsakten ähneln, hält aber trotzdem an der Charakterisierung der Zwangsvollstreckung als Rechtsprechung „zumindest in einem weiteren Sinn“ fest. Eine Begründung dafür bleibt Münzberg schuldig. Gleiches gilt für die Ausführungen von Lüke, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 313, der ebenfalls die große Ähnlichkeit hoheitlicher Vollstreckungsmaßnahmen mit Verwaltungsakten betont, ohne aber daraus die Konsequenz zu ziehen, die Zwangsvollstreckung der Verwaltung zuzuordnen. 107 Ebenso Huber, S. 30, und ähnlich auch Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 27. Ausführlich zum Kriterium der Streitentscheidung als Merkmal der materiellen Rechtsprechung Smid, S. 153 ff. 108 So Baur/Stürner, 11. Aufl., § 1, Rdnr. 8, allerdings unter Ablehnung der Einordnung der Zwangsvollstreckung als Verwaltungstätigkeit. 109 Sie haben sogar dazu geführt, dass der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 80 a, 80 b VwGO eigenständige Vorschriften zur Lösung der damit in Zusammenhang stehenden Probleme geschaffen hat. Die Verwaltungsrechtslehre spricht hier aufgrund des Dreiecksverhältnisses Begünstigter – Staat – Dritter von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung.
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gezogen. Gegen eine etwaige Neutralität ist daher einzuwenden, dass die staatliche Gewaltanwendung in der Vollstreckung nicht etwa altruistisch erfolgt, sondern auf vorrangige staatliche Interessen zurückzuführen ist. Von einer Neutralität des Vollstreckungsgerichts kann zudem nicht die Rede sein, soweit etwa das Vollstreckungsgericht im Rahmen der Vollstreckungserinnerung über die Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme zu befinden hat, die es selbst zuvor erlassen hat. Auch die funktionelle Aufgabenunterteilung zwischen Rechtspfleger und Richter vermag an diesem Ergebnis nichts Wesentliches zu ändern. Aufgrund der engen personellen Verbindung und der in der Regel weit höheren Qualifizierung des Rechtspflegers in Angelegenheiten der Vollstreckung ist der Richter erfahrungsgemäß eher geneigt, die Vollstreckungserinnerung eines Beteiligten zurückzuweisen. Das Verfahren erinnert daher allzu sehr an das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren in Form des Widerspruchsverfahrens.110 Während dort jedoch zumindest verschiedene Behörden tätig werden, handelt es sich hier um ein und dasselbe Gericht, das über die Erinnerung gegen seine eigene Maßnahme zu entscheiden hat. Diejenigen, die die Vollstreckung als Rechtspflege verstanden wissen wollen und auf eine Neutralität des Vollstreckungsorgans vergleichbar mit der Position des Richters verweisen, müssen sich fragen lassen, worin denn bei einer solchen Betrachtung des Vollstreckungsorgans noch die wesentlichen Unterschiede zur Tätigkeit des Richters liegen sollen, die es rechtfertigen, die Vollstreckung nichtrichterlichen Organen zu überantworten. Kernpunkt der richterlichen Neutralität ist seine verfassungsrechtlich durch Art. 97 GG gewährleistete Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit kommt weder den Gerichtsvollziehern noch den Rechtspflegern zu. Will man die Vollstreckung daher als Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG verstanden wissen, dann muss man hieraus auch die verfassungsrechtlichen Konsequenzen ziehen. Art. 92 GG verlangt, dass die Rechtsprechung den Richtern überantwortet wird, nicht etwa anderen Organen. An dieser Stelle zeigt sich das Dilemma der h. M., die den Anforderungen des Art. 92 GG nicht entsprechen kann. Der Ausweg wird in einer gekünstelt anmutenden Begriffsunterscheidung gesucht. Die Zwangsvollstreckung wird schlicht dem Anwendungsbereich des Art. 92 GG entzogen mit der Behauptung, sie sei lediglich Rechtsprechung im formellen Sinne, jedoch nicht mehr Rechtsprechung im materiellen Sinne des Art. 92 GG.111 Es gehe nicht mehr primär um Streitentscheidung, um die Erkenntnis dessen, was rechtens sei, sondern um die Art und Weise der Durchsetzung des gefundenen Rechts, um den „Vollzug“ des Richterspruchs und gleichgestellter Vollstreckungstitel.112 An dieser Stelle wird der geneigte Leser ausrufen, dass doch der „Vollzug“ gerichtlicher Entscheidungen allzu augenscheinlich demjenigen Bereich ähnele, den 110 Näher zur Vollstreckungserinnerung und zu Parallelen wie Unterschieden gegenüber der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage unter § 27. 111 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 1; Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 71. 112 Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 1.
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man verfassungsrechtlich als „vollziehende Gewalt“ zu kennzeichnen pflegt.113 Wenn man schon mit Art. 92 GG die Verfassung bemühen will, so sind es die Art. 83 ff. GG, die die Verwaltung betreffen und ausdrücklich von der „Ausführung der Gesetze“ sprechen, nicht hingegen die Art. 92 ff. GG, die lediglich die „Streitentscheidungen“ der Gerichte behandeln.114 Was ist nun die Zwangsvollstreckung anderes als die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen des achten Buches der Zivilprozessordnung? Dass dabei im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens die Gerichte tätig werden und Streitigkeiten zwischen den Beteiligten verbindlich entscheiden, dürfte eine verfassungsrechtlich gebotene Selbstverständlichkeit sein, ohne dass dieser Umstand aber das gesamte Vollstreckungsverfahren zur Rechtsprechung erheben würde. Die Gerichte konkretisieren im Rahmen ihrer Entscheidung lediglich die Auslegung und Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung. Im Weiteren geht es um den Vollzug des Gesetzes, nicht um den Vollzug des Richterspruchs. Anders lässt sich auch nicht der Vollzug von Titeln erklären, die in § 794 ZPO dem gerichtlichen Urteil gleichgestellt werden, ohne aber auf einer gerichtlichen Entscheidung zu beruhen. Die Gleichstellung ist nur so zu erklären, dass im Rahmen der Formalisierung gesetzliche Vermutungstatbestände für den Bestand des zu vollstreckenden Gläubigeranspruchs geschaffen werden, die von dem Vollstreckungsorgan zu „vollziehen“ sind.115 Eine rechtsprechende Tätigkeit ist damit nicht verbunden. Während mithin die Einordnung der Vollstreckung als Verwaltungstätigkeit keinen grundlegenden Bedenken begegnet, steht die Gegenmeinung vor einem schweren verfassungsrechtlichen Dilemma. Sie gesteht ein, dass Art. 92 GG keine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtsprechung vorsieht, sondern vielmehr allein die Rechtsprechung im materiellen Sinne meint.116 Ferner räumt sie ein, dass dieser Rechtsprechungsbegriff die Entscheidung einer Streitigkeit zwischen den Beteiligten voraussetzt, die in der Vollstreckung typischerweise zunächst gar nicht vorliegt.117 Demzufolge soll es sich bei der Vollstreckung nur um Rechtsprechung im formellen Sinne handeln, die mit dem Begriff der „Rechtspflege“ als Oberbegriff beider Arten von Rechtsprechung versehen wird. Begrifflich scheint damit ein Ausweg aus dem verfassungsrechtlichen Dilemma gewonnen zu sein. Inhaltlich stellt sich aber die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer formellen Rechtsprechung, die weder der vollziehenden Gewalt noch der rechtsprechenden Gewalt zuzuordnen ist. Tertium non datur, wird der Verfassungsrechtler ausrufen, denn dass die Vollstrekkung nicht der gesetzgebenden Gewalt zuzuordnen ist, dürfte wohl unstreitig sein. 113 114 115 116 117
So schon mit Recht Wertenbruch, RPflBl 1965, 57 (61). Zur Differenzierung zwischen Rechtspflege und Verwaltung s. bereits oben unter 1. Auf das Prinzip der Formalisierung wird sogleich im Anschluss unter § 5 einzugehen sein. Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 1.
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Das Bemühen der h. M. mutet in der Tat paradox an. Zunächst wird die Zwangsvollstreckung mit fragwürdigen Argumenten als Rechtsprechung charakterisiert, um sodann im Anblick des Art. 92 GG mit großem Begründungsaufwand den Rückzug anzutreten. Dieses gedankliche Spagat kommt unter anderem in der Formulierung zum Ausdruck, man komme nicht umhin, innerhalb des Gesamtbereichs der Gerichtsbarkeit, der Rechtspflege, nach materiellen Kriterien den Bereich einzugrenzen, der seinem sachlichen Gehalt nach den Richtern vorbehaltene Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG darstelle.118 Dabei wird erwogen, den Rechtsprechungsbegriff am Richterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB zu orientieren und einzuschränken.119 Sodann wird auch das Kriterium der materiellen Rechtskraftfähigkeit in Betracht gezogen,120 um nach vielen Klimmzügen zu der Erkenntnis zu gelangen, dass es einer abschließenden Klärung nicht bedürfe, da man nicht an der grundsätzlichen Frage vorbeigehen könne, dass der einfache Gesetzgeber schon jetzt „rechtsprechende Gewalt“ im Sinne des Art. 92 GG dem Rechtspfleger anvertraut habe.121 Als einzig gangbarer Ausweg aus dieser verfassungsrechtlichen Sackgasse, nämlich entweder die gesetzlichen Regelungen für den Rechtspfleger für verfassungswidrig erklären oder aber den Rechtspfleger als Richter verstehen zu müssen, wird die Lösung vorgeschlagen, die Entscheidung des Rechtspflegers als Vorschaltung eines nichtrichterlichen Rechtspflegeorgans vor den Richter zu verstehen.122 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer solchen Lösung im Wege steht. Denn danach ist im Bereich des Art. 92 GG ein Vorverfahren auch dann unzulässig, wenn es auf Antrag in ein gerichtliches Verfahren übergeleitet werden kann.123 Dahinter steht die berechtigte Überlegung, dass ein Vorschaltverfahren allzu leicht zu einem Ausschaltverfahren wird.124 Diesem Einwand wird entgegengehalten, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den Kernbereich des Strafrechts beziehe. Im Übrigen bestünden zwischen der Vorschaltung eines Verwaltungsverfahrens vor das Gericht und der Vorschaltung eines nichtrichterlichen Rechtpflegeorgans vor den Richter innerhalb der Gerichtsbarkeit wesentliche Unterschiede. Die Situation sei eine völlig andere, da der Richter innerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens formfrei und ohne Kostenrisiko angerufen werden könne, während im Rahmen der förmlichen Anfechtungsklage die Scheu vor den Mühen und Risiken wesentlich höher sei.125 Ob die aufgezeigten Unterschiede hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung die wesentliche Gemeinsamkeit beider „Vorverfahren“, nämlich die Ausschal118 119 120 121 122 123 124 125
Gaul, Rpfleger 1971, 41 (45). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (45). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (46 f.). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (48 f.). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (49). BVerfGE 22, 49 (81). Habscheid, Rpfleger 1968, 237 (240). Gaul, Rpfleger 1971, 41 (49).
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tung des direkten Zugangs zum Richter, aufzuheben vermögen, erscheint äußerst fraglich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren die Überleitung in das gerichtliche Verfahren durch die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung wesentlich erleichtert wird, während der juristisch ungeschulte Schuldner in der Vollstreckung wohl kaum um die Möglichkeit einer Vollstreckungserinnerung wissen wird. Die Frage mag aber dahinstehen, denn die von der h. M. selbst gezogene Parallele zum verwaltungsbehördlichen Vorverfahren macht doch nur ein weiteres Mal die Nähe der Zwangsvollstreckung zum Verwaltungsverfahren deutlich. Die gegenteilige Ansicht führt zu einem Drahtseilakt der juristischen Argumentation, indem zunächst der Begriff der Rechtsprechung im materiellen Sinne bemüht wird, um ihn danach in dem entscheidenden Bereich, dem Richtervorbehalt, mit fragwürdigen Argumenten auszudünnen. Die h. M. kommt daher nicht umhin festzustellen, dass die Einordnung der Zwangsvollstreckung als Verwaltung die Übertragung der Vollstreckung auf nichtrichterliche Justizorgane im Hinblick auf Art. 92 GG von vornherein unbedenklich erscheinen lässt.126 Dieses unbedenkliche Erscheinungsbild zu erschüttern, ist die weitere Argumentation der h. M. kaum geeignet. Die verfassungsrechtlichen Probleme bei einer Einordnung der Vollstreckung als Rechtspflege erschöpfen sich nicht in Art. 92 GG. Im weiteren Gefolge bereitet auch die Regelung des Art. 103 Abs. 1 GG, die vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör einräumt, größte Probleme. Die Vollstreckungsmaßnahmen zeichnen sich nämlich gerade – im Gegensatz zu den Vollstrekkungsentscheidungen – durch das Fehlen des vorherigen rechtlichen Gehörs aus.127 Die Regelungen der §§ 808 Abs. 3, 834 ZPO, die das rechtliche Gehör entbehrlich machen, müssten vor diesem Hintergrund als verfassungswidrig eingestuft werden. Eine Antwort auf dieses Problem bleibt die h. M. schuldig, die sich anscheinend auch hier auf den formellen Rechtsprechungsbegriff zurückzieht. Vergleichbare Probleme lassen sich vermeiden, wenn man die Zwangsvollstreckung als Verwaltung versteht. Die Verfassung sieht für diesen Bereich kein Grundrecht auf rechtliches Gehör vor. Den Art. 83 ff. GG ist eine Regelung vergleichbar den Justizgrundrechten der Art. 101 ff. GG fremd. Als einfachgesetzliche Regelung zum rechtlichen Gehör findet sich hingegen die allgemeine Verwaltungsvorschrift des § 28 VwVfG. Für den Fall der Zwangsvollstreckung sieht diese Regelung in Abs. 2 Nr. 5 die Möglichkeit vor, auf eine vorherige Anhörung zu verzichten, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist. Die Nähe zu den §§ 808 Abs. 3, 834 ZPO ist an sich unübersehbar und die Zweckmäßigkeit dieser Regelungen wohl kaum zu bestreiten, was nur wiederum für die Ansicht spricht, die Vollstreckung als Verwaltungstätigkeit aufzufassen. 126 127
Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43). Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 1.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
Die h. M. hält dem entgegen, dass eine Streitentscheidung im Sinne der Rechtsprechung zumindest aber bei den Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren im Sinne von § 793 ZPO und § 11 RPflG vorliege, die auf einem rechtlichen Gehör der Gegenseite basierten.128 Dabei wird aber übersehen, dass allein die Gewährung des rechtlichen Gehörs noch nicht genügt, um eine staatliche Tätigkeit als Rechtsprechung zu kennzeichnen.129 Schließlich gilt auch in der Verwaltung gem. § 28 Abs. 1 VwVfG der Grundsatz des rechtlichen Gehörs.130 In diesem Zusammenhang ist sich die h. M. wohl ihrer Begründungsschwäche bewusst, indem sie sich in einem weiteren Schritt auf Entscheidungen in der Zwangsvollstreckung mit „echtem“ Rechtsprechungscharakter im engeren Sinne beruft, die zudem das typische Merkmal der materiellen Rechtskraftfähigkeit aufwiesen.131 Es werden hier genannt die Beschlüsse des Prozessgerichts im Rahmen der Vollstreckung von Handlungen und Unterlassungen, §§ 887 ff. ZPO, die Erinnerungsentscheidung gemäß § 766 ZPO und insbesondere auch der vom Rechtspfleger zu erlassende Beschluss gemäß § 765 a ZPO.132 Dabei fällt zunächst auf, dass es sich bei den beiden zuletzt genannten Beschlüssen gar nicht um Vollstreckungsmaßnahmen handelt, sondern bereits um Rechtsbehelfe. Deren Rechtsnatur besagt daher nichts über die Rechtsnatur der Vollstreckungsmaßnahmen und -entscheidungen in „erster Instanz“. Im Übrigen ist auch der Verwaltung ein eigener Rechtsbehelf in Form des Widerspruchs nicht fremd, so dass selbst die Eigenart als Rechtsbehelf noch nicht notwendig zur Einordnung als Rechtsprechung führt. Ferner fällt auf, dass die Zuständigkeit des Prozessgerichts im Rahmen der §§ 887 ff. ZPO allein auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, nämlich der Sachnähe des Prozessgerichts zum Erkenntnisverfahren. Ohne dieses Argument zunächst in Zweifel ziehen zu wollen,133 ist darauf hinzuweisen, dass auch im Bereich der Justizverwaltung die Sachnähe als Argument für die richterliche Zu128
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 2. Diesen Aspekt vernachlässigt insbesondere Jürgen Blomeyer, JR 1969, 289 (290 ff.), der eine vermittelnde Ansicht vertritt und nur die Vollstreckungsentscheidungen der Rechtspflege zuordnen will, während es sich bei den Vollstreckungsmaßnahmen um Verwaltungstätigkeit handeln soll. 130 Aus diesem Grundsatz lässt sich eine weitere wichtige Feststellung ableiten. Der Umstand, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG ausnahmsweise von der Anhörung abgesehen werden kann, rechtfertigt es noch nicht, darauf aufbauend eine generelle Differenzierung zwischen sogenannten „Entscheidungen“ und sogenannten „Maßnahmen“ vorzunehmen. Bei der Frage des rechtlichen Gehörs handelt es sich lediglich um einen verfahrensrechtlichen Aspekt der Umsetzung eines Verwaltungsaktes. Nicht umsonst unterfällt daher die „Entscheidung“ ebenso wie die „Maßnahme“ dem Begriff des Verwaltungsaktes, wie er in § 35 S. 1 VwVfG legal definiert ist. Mit der Differenzierung zwischen „Maßnahmen“ und „Entscheidungen“ in der Vollstreckung ist daher nichts gewonnen. Schon gar nicht lässt sich diese Differenzierung aus der Verfassung ableiten (zu den Auswüchsen dieser unsäglichen Differenzierung in Form der unterschiedlichen Rechtsbehelfe s. noch näher die Ausführungen im siebten Teil unter § 28 I 5 und § 29 III 2). 131 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 3. 132 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 3. 133 Zur Tätigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsgericht im Detail unter § 23 II 1. 129
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ständigkeit herangezogen wird. Hingegen wird damit die Verwaltungstätigkeit nicht zur Rechtsprechung.134 Angesichts der zahlreichen Durchbrechungen des Prinzips der Gewaltenteilung genügt eben nicht eine formelle Begriffsbezeichnung, um die drei Gewalten zu kennzeichnen. Maßgebend ist allein die materiellrechtliche Begriffsbezeichnung der drei Gewalten. Genauso verfehlt wie die begriffliche Unterscheidung zwischen Rechtsprechung und Rechtspflege ist daher die in diesem Bereich vorgenommene Unterscheidung zwischen Rechtsprechung im engeren und im weiteren Sinne.135 Die Häufung dieser Begriffspaare macht nur das Dilemma der h. M. deutlich, die sich trotz der klaren verfassungsrechtlichen Vorgaben der Einsicht versperrt, die Vollstreckung als Verwaltungstätigkeit einzuordnen. An dieser Zuordnung vermag auch der Umstand der rechtskraftfähigen Entscheidung nichts zu ändern. Zum einen wird überhaupt nicht bestritten, dass es sich, soweit in diesem Zusammenhang von Rechtsbehelfen die Rede ist, selbstverständlich um Aufgaben handelt, die den Gerichten anvertraut sind und bei denen es sich um Rechtsprechung handelt. Zum anderen aber knüpft die formelle Rechtskraft allein an die Befristung des Rechtsbehelfs an. Insoweit unterliegt aber auch der Verwaltungsakt einer befristeten Anfechtung. Die sich daran anschließende materielle Tatbestandswirkung ist der Rechtskraft vergleichbar. Die Gegner räumen daher zutreffend ein, dass von der Wirkung eines Aktes nicht notwendig auf seine Rechtsqualität geschlossen werden kann.136 Selbst wenn man aber mit der h. M. unterstellen wollte, dass es in der Vollstreckung neben den Rechtsbehelfen vereinzelte Entscheidungen gibt, die der Rechtsprechung übertragen sind, so würde dies doch nur deren Ausnahmecharakter in der Zwangsvollstreckung belegen. Der Richter wird hier eben nur noch vereinzelt tätig. Nicht anders formulieren es diejenigen, die die Zwangsvollstrekkung als Rechtspflege verstanden wissen wollen, indem sie davon sprechen, dass die Vollstreckung förmlich mit Streitentscheidungen bis hin zu echten Rechtsprechungsakten „durchsetzt“ sei und jederzeit durch Anrufung der richterlichen Kontrolle in ein Verfahren mit kontradiktorischen Zügen „überführt“ werden könne.137 Eine „Durchsetzung“ bzw. „Überführung“ ist nur dort denkbar, wo man sich nicht auf dem Terrain der Rechtsprechung bewegt, sondern auf dem Arbeitsfeld der Verwaltung. Es mutet daher als Euphemismus an, wenn davon gesprochen wird, dass die Zwangsvollstreckung mit Rücksicht auf den gebotenen Rechtsschutz dem Prinzip „strenger Justizförmlichkeit“ unterliege, im Grunde nicht anders als das zugrunde liegende Erkenntnisverfahren.138 Es wird hier 134 Im Bereich des § 765 a ZPO ist diese Argumentation ohnehin zweifelhaft, da hier nach geltendem Recht der Rechtspfleger und nicht der Richter funktionell zuständig ist. Zu den sich daraus ableitenden verfassungsrechtlichen Bedenken näher unter § 33 V. 135 So etwa Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 70, und Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1. 136 Gaul, Rpfleger 1971, 41 (45). 137 Gaul, Rpfleger 1971, 41 (44); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 II 3. 138 Niese, S. 118 f. Zustimmend Gaul, Rpfleger 1971, 41 (51).
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
nichts anderes umschrieben als das Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung, das durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet werden soll. Die Rechtsschutzgarantie und die Unterwerfung unter die Justiz macht die Verwaltung aber noch nicht selbst zur Rechtsprechung. Abschließend ist festzustellen, dass die Argumente für eine Einordnung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflege einer ernsten Auseinandersetzung nicht standhalten. Sie belegen nicht etwa die Unterschiede zwischen der Vollstreckung und der Verwaltung, sondern unterstreichen im Gegenteil die wechselseitigen Gemeinsamkeiten. Während das allgemeine Verwaltungsrecht hier zu sachgerechten Ergebnissen führt, setzt sich die gegenteilige Ansicht unüberbrückbaren verfassungsrechtlichen Widersprüchen aus. Sie verwirft die drei anerkannten staatlichen Gewalten in Form von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung und sucht eine vierte Form der Staatsgewalt, für die es keine verfassungsrechtliche Legitimation gibt. 4. Die unberechtigte Angst vor der Einordnung als Verwaltung Die vorangegangene Diskussion hat gezeigt, dass die Argumente für eine Einordnung der Zwangsvollstreckung als irgendwie geartete „Rechtspflege“ in die Sackgasse führen. Die Befürworter eines derartigen Verständnismodells ziehen sich daher auf bloße Behauptungen zurück, wenn sie etwa Aussagen der folgenden Art treffen: Die Zwangsvollstreckung verfolge denselben Rechtsschutzzweck wie die Rechtsprechung, sie sei Justizgewährung in einem besonderen Verfahrensstadium.139 Die Tätigkeit nichtrichterlicher Organe bedeute noch nicht, dass damit die Zwangsvollstreckung der Verwaltung anstelle der Rechtspflege zugeschlagen werden müsse.140 Die Übernahme verwaltungsrechtlicher Vorstellungen sei unangemessen.141 Hält man sich die Argumente vor Augen, die sich mit diesen Behauptungen verbinden und die zuvor diskutiert worden sind, so gewinnt man den Eindruck, dass weniger sachliche Bedenken gegen eine Einordnung der Zwangsvollstrekkung als Verwaltung bestehen als vielmehr eine subtile Angst vor etwaigen Nachteilen. Die Behauptungen, die Zwangsvollstreckung dürfe nicht der Verwaltung zugeschlagen werden, deren Vorstellungen unangemessen seien, lassen die Befürchtung erkennen, eine derartige Zuordnung bewirke einen Verlust an effektivem Rechtsschutz und eine Minderung in der Rechtsqualität der Zwangsvollstreckung. Darin kommt zugleich ein tiefes Misstrauen gegenüber der Verwaltung zum Ausdruck. Ob dieses Misstrauen gerechtfertigt ist, wird sich erst anhand der einzelnen Prinzipien, die sich aus einem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverständnis der Zwangsvollstreckung ergeben, klären lassen.142 Hingegen lässt sich an dieser Stelle bereits festhalten, dass an einem derartigen Bild der 139 140 141 142
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 1. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 2. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 I 3. S. dazu näher unter § 8 und § 23 V.
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Zwangsvollstreckung nach dem heutigen verfassungsrechtlichen Stand und unter Berücksichtigung der heutigen Organisation der Zwangsvollstreckung kein Weg vorbeiführt. Dieses Ergebnis ergibt sich zwangsläufig aus den historischen Weichenstellungen, die im vorletzten Jahrhundert bei der Abfassung des Zwangsvollstreckungsrechts getroffen worden sind, namentlich der Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren. Da das Verwaltungsverfahren zum damaligen Zeitpunkt noch kaum ausgebildet war, resultieren die heutigen Ängste gegenüber einer verwaltungsrechtlich ausgestalteten Zwangsvollstreckung offensichtlich aus der rechtshistorischen Verbindung zum richterlichen Erkenntnisverfahren. a) Historische Bezüge zum Erkenntnisverfahren Das Zwangsvollstreckungsverfahren hat sich erst in einem langen historischen Prozess von dem Erkenntnisverfahren gelöst. Noch im gemeinen Prozess handelte es sich um ein richterliches Verfahren, das durch einen Vollziehungsantrag beim Prozessgericht eingeleitet wurde (Imploration).143 Infolge dieser Anknüpfung wurde im Rechtsbehelfsverfahren nicht zwischen formellen und materiellen Einwendungen des Schuldners unterschieden, so dass es entweder zu einer sofortigen Entscheidung oder zu einer Verhandlung mit Beweisaufnahme kam. Die Fortsetzung des Verfahrens mussten die Parteien durch weitere Anträge bei Gericht betreiben.144 Die damit verbundene Schwerfälligkeit des Verfahrens145 veranlasste die Franzosen, in dem Code de procédure civile von 1806 die Vollstrekkung allein den Parteien zu überantworten und den Gerichtsvollzieher nicht als Hilfsorgan des Gerichts, sondern als Beauftragten des Gläubigers einzusetzen.146 Damit war erstmals die Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, andere sprechen von der organisatorischen Isolierung des Vollstreckungsverfahrens,147 vollzogen. Der Gesetzgeber des 1871 gegründeten Deutschen Reiches sah sich nunmehr vor die Alternative gestellt, an dem gemeinrechtlichen Vollstreckungsmodell festzuhalten oder in Anlehnung an die Prozessordnungen einzelner Länder wie insbesondere Hannover das französische System zu übernehmen. Die entscheidende Abstimmung fiel denkbar knapp aus. Bei einem Stimmenverhältnis von fünf zu fünf gab die Stimme des Präsidenten den Ausschlag für die Trennung.148 Bezweckt wurde damit die „Reinhaltung des Richteramtes“, das sich auf die Streitentscheidung beschränken sollte.149 Gleichwohl konnte sich der Gesetzgeber nicht zu einer völligen Neuordnung der Zwangsvollstreckung durchrin143 144 145 146 147 148 149
Einzelheiten bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 3.16 ff. Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 3.16 ff. So auch Hoffmann, S. 1. Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 3.20 f. Richard Schmidt, § 138 II. Hannoversche Protokolle, Band XI, S. 4139, 4153. Hoffmann, S. 1; Gaul, Rpfleger 1971, 81 (81 m.w.N.).
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
gen.150 Gleichsam im Wege einer Symbiose aus dem gemeinrechtlichen System der Leitung der Exekution durch das Prozessgericht und dem französischen System, das die Leitung des Vollstreckungsverfahrens allein dem Gerichtsvollzieher anvertraute, wurde das heutige System von Innen- und Außendienst, von Vollstreckungsgericht und von Gerichtsvollzieher entwickelt. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass sich zwar das gemeinrechtliche Prinzip der Prozessleitung als zu umständlich erwiesen hatte,151 man aber umgekehrt nicht so weit gehen wollte wie die Franzosen und das Gericht gänzlich von der Vollstreckung ausnehmen wollte. So erklärt sich der heutige Dualismus zwischen der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers und der Beteiligung des Vollstreckungsgerichts. Der Verbleib der richterlichen Tätigkeit in der Vollstreckung führte jedoch nicht zu einer bleibenden Anknüpfung an das Erkenntnisverfahren. Die Trennung beider Systeme wurde durch ein weiteres Prinzip festgeschrieben. Eng verbunden mit der Abspaltung des Vollstreckungsverfahrens vom Erkenntnisverfahren und der Übertragung von weiten Teilen des Verfahrens auf den Gerichtsvollzieher wurde das Prinzip der Formalisierung152, d.h. der Verzicht auf materiell-rechtliche Prüfungen in der Vollstreckung, eingeführt.153 Damit sollte das schwerfällige richterliche Erkenntnisverfahren aus der Zwangsvollstreckung verbannt werden und eine weitere Beschleunigung und Vereinfachung der Vollstreckung bewirkt werden.154 Die Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren und die damit einhergehende Formalisierung wird aller Orten als große Errungenschaft empfunden,155 insbesondere wegen der damit verbundenen erhöhten Durchschlagskraft der Vollstreckung.156 Es mutet daher als Rückschritt an, wenn nunmehr unter Berufung auf den Richtervorbehalt des Art. 92 GG verlangt wird, auch für das künftige Recht die Zwangsvollstreckung in den Händen der Justiz zu belassen.157 Dabei sind mit den „Händen der Justiz“ wohl diejenigen der Richterschaft gemeint, denn in anderem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Zwangsvollstreckung historisch weitgehend in den Händen des Richters lag und 150 Die Aufgabe einer festen Verfahrensordnung hatte der Gesetzgeber gleichwohl vor Augen: „Es leuchtet ein, dass bei Aufgabe der einheitlichen Leitung der Vollstreckung von einem Mittelpunkt aus andere Garantien nötig werden, durch welche eine feste Ordnung des Verfahrens erzielt und Verwirrungen vorgebeugt werden“, Hahn, Materialien, S. 424. 151 Gaul, Rpfleger 1971, 81 (82). 152 Erstmals geprägt wurde dieser Begriff von Richard Schmidt, § 139 III. Das Formalisierungsprinzip wurde mit dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung aus dem französischen Recht übernommen. 153 So ausdrücklich BGH NJW 1957, 1877 (1878); Stürner, ZZP 1986, 291 (315). Im Einzelnen dazu sogleich unter § 5. 154 Hahn, Materialien, S. 436: „… damit nicht nutzlose Schikanen und Verzögerungen zur Kraftlosigkeit des Exekutionsverfahrens führen.“ 155 Gaul, Rpfleger 1971, 81 (90); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 IV; Hoffmann, S. 3; Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 28 ff. 156 So insbesondere Hoffmann, S. 20 f. 157 Gaul, JZ 1973, 473 (478); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 2 IV 2; Stürner, ZZP 1986, 291 (311 ff.).
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dass die organisatorische „Isolierung“ des Zwangsvollstreckungsverfahrens vom Erkenntnisverfahren nicht überbewertet werden dürfe.158 Dieselben Autoren räumen jedoch an anderer Stelle freimütig ein, dass das Vollstreckungsverfahren infolge der Formalisierung gar nicht mehr als Erkenntnisverfahren ausgestaltet ist.159 Und so bleibt unklar, wie das gedankliche Spagat zwischen der Abspaltung des Vollstreckungswesens vom Erkenntnisverfahren durch die Einschaltung nichtrichterlicher Vollstreckungsorgane einerseits und das Belassen der Vollstreckung in den Händen der Richterschaft andererseits vollzogen werden soll. Historisch mag diese Vorstellung auf die vermittelnde Lösung des Reichsgesetzgebers zwischen dem gemeinrechtlichen Exekutionsverfahren durch den Richter und dem französischen Gerichtsvollziehersystem zurückzuführen sein. Indes ist sie durch die zwischenzeitliche Substitution des Richters durch den Rechtspfleger und parallel durch die Entwicklung des Verfassungs- und Verwaltungsrechts überholt. Die Instrumentarien der allgemeinen Verwaltungsrechtsdogmatik standen im letzten Jahrhundert noch nicht zur Verfügung, um die Rechtsnatur des formalisierten Vollstreckungsverfahrens zu erklären. Noch viel weniger stand ein damit korrespondierendes Behördensystem bereit, so dass dem Gesetzgeber gar keine andere Möglichkeit blieb, als ein Gerichtsvollziehersystem zu entwickeln, dessen Rechtsnatur bis heute ungeklärt ist,160 und die Vollstreckung organisatorisch bei den Gerichten zu belassen. Aus heutiger Sicht indes lässt sich die Zwangsvollstreckung problemlos der Verwaltung zuordnen. Im Ergebnis bleibt daher unklar, weshalb die Übernahme verwaltungsrechtlicher Vorstellungen in die Zwangsvollstreckung unangemessen sein soll. Unangemessen erscheint vielmehr eine gedankliche Rückanknüpfung an das mittelalterliche Exekutionsverfahren durch den Richter, dessen Schwerfälligkeit hinreichend belegt ist. b) Zwangsvollstreckung als kontradiktorisches Verfahren? Den Anhängern, die die Zwangsvollstreckung als Rechtspflege verstanden wissen wollen, verbleibt ein Argument, das gerne gegen eine Vergleichbarkeit mit der Verwaltung ins Feld geführt wird. Will man die Maßnahmen der Vollstrekkungsorgane als staatliche Verwaltungsakte auffassen, so müsste sich deren Anfechtung gegen das Vollstreckungsorgan, d.h. gegen den Staat, richten. Damit ließe sich jedoch nicht vereinbaren, dass die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO gegen den betreibenden Gläubiger zu richten ist.161 Diesem Argument ist zunächst mit der Feststellung die Schärfe zu nehmen, dass es sich bei § 766 ZPO nicht um eine Vorschrift des Vollstreckungsverfahrens selbst, sondern um eine Regelung zur Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens handelt. Zudem sind auch hier rechtshistorische Überlegungen zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung hat sich nicht etwa in bewusster 158 159 160 161
Gaul, Rpfleger 1971, 41 (50). Gaul, Rpfleger 1971, 81 (90). Näher zu diesem Problem unter § 27 III 2. Gaul, Rpfleger 1971, 41 (42).
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Abkehr vom verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren für ein kontradiktorisches Rechtsbehelfsverfahren entschieden, sondern diese Problematik mangels Alternative überhaupt nicht gesehen. Es gab bei Inkrafttreten der Zivilprozessordnung keine verwaltungsgerichtliche Prozessordnung, an der sich der Reichsgesetzgeber hätte orientieren können. Umgekehrt hat später der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung die Parallele zum Vollstreckungsverfahren nicht gesehen. Die Versäumnisse der Vergangenheit können daher nicht als Argument dafür herhalten, sich der Möglichkeit zur Rechtsvereinheitlichung und Harmonisierung zu berauben. An dieser Stelle ist den Kritikern an einem verwaltungsrechtlichen Vollstrekkungsmodell zwanglos einzugestehen, dass im Bereich der Vollstreckungserinnerung nach ihrem derzeitigen Verständnis eine Rechtsvereinheitlichung zur Zeit nur eingeschränkt möglich erscheint. Ein gesetzlicher Wertungswiderspruch besteht hingegen nicht, da die Regelung des § 766 ZPO ein kontradiktorisches Erinnerungsverfahren nicht zwingend vorgibt.162 Zudem wiegen die Bedenken, denen sich die Kritiker ihrerseits aussetzen müssen, weitaus schwerer, da sie sich auf verfassungsrechtlicher Ebene artikulieren. Die gegenteilige Ansicht kann sich hingegen mit der Feststellung begnügen, dass die Zwangsvollstreckung verfassungsrechtlich als Verwaltung einzuordnen ist, die jedoch nach ihrer derzeitigen Ausprägung im Bereich der Rechtsbehelfe mit modifizierten Regelungen gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsrecht aufwartet. Dass auch diese Feststellung nicht dauerhaft zu befriedigen vermag, dürfte einleuchtend sein, zumal noch an späterer Stelle zu zeigen sein wird, dass ein kontradiktorisches Verfahren im Rahmen der Vollstreckungserinnerung kaum zu rechtfertigen ist.163 Was hindert es aber Rechtsprechung und Literatur oder gar den Gesetzgeber selbst, nach einem Jahrhundert der Konsolidierung einzelne Verständnismodelle der Zwangsvollstreckung der Rechtsentwicklung anzupassen? Da der Gesetzgeber es bislang verabsäumt hat, sich Gedanken über die verfassungsrechtliche Qualifizierung des Vollstreckungsrechts zu machen, ist dieses Versäumnis schnellstmöglich nachzuholen. Ansonsten bleibt nur der leidige Ausweg, die Vollstreckungserinnerung als Rechtsbehelf sui generis zu bezeichnen, ohne dass damit aber etwas gewonnen wäre. 5. Vorteile der Einordnung als Verwaltungstätigkeit Die bisherige Untersuchung konzentrierte sich darauf, die Argumente für eine Subsumtion der Zwangsvollstreckung unter den Begriff der Rechtsprechung aufzugreifen und zu widerlegen. Im Anschluss stellt sich die Frage nach den Argumenten für eine verwaltungsrechtliche Interpretation der Zwangsvollstreckung. Die dabei anzusprechenden Aspekte entsprechen weitgehend den bisherigen Überlegungen, da es sich jeweils nur um die Kehrseite ein und derselben Medaille 162 163
S. dazu noch ausführlich unter § 27 III 2. S.u. § 27 III 2.
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handelt. Nachfolgend sollen daher nur zwei wesentliche Argumente angesprochen werden. a) Verfassungsrechtliche Zuordnung Die Einordnung der Zwangsvollstreckung als Verwaltung erlaubt eine klare Konturierung der verfassungsrechtlich gebotenen Gewaltenteilung. Es bedarf nicht des nebulösen Begriffs der Rechtspflege, um die Vorgänge in der Vollstrekkung rechtlich zu qualifizieren. Verfassungsrechtliche Probleme im Zusammenhang mit dem Katalog der Art. 92 ff. GG stellen sich gar nicht erst, da es sich bei der Tätigkeit der Vollstreckungsorgane nicht um Rechtsprechung handelt, sondern um den erstmaligen Gesetzesvollzug durch staatliche Organe, d.h. um Verwaltung. Soweit hingegen Streitigkeiten bei der Gesetzesanwendung entstehen, hat die Rechtsprechung verbindliche Entscheidungen zu treffen, die den Vollzug des Zwangsvollstreckungsrechts dann konkretisieren. Damit im Einklang steht die anfänglich entwickelte Definition der Zwangsvollstreckung als ein Verfahren, das die Brechung des Schuldnerwillens unter dem Vorbehalt staatlicher Gewaltanwendung gewährleistet. Die staatliche Gewaltanwendung kann schlechterdings nicht eine Aufgabe der Rechtsprechung sein, der doch nur die Streitentscheidung, d.h. die Gesetzesauslegung obliegt, nicht aber der Vollzug der Gesetze. Um letzteren geht es aber, wenn nach den Vorschriften des achten Buches der Zivilprozessordnung die Vollstreckungsorgane gegenüber dem Schuldner Gewalt ausüben. b) Rechtsvereinheitlichung mit der Verwaltungsvollstreckung Vielfach ist bereits beklagt worden, dass es im Bereich der Vollstreckung zu einer kaum mehr überschaubaren Zersplitterung gekommen ist.164 Aufgrund mancher gesetzlicher Defizite im herkömmlichen Zwangsvollstreckungsrecht sind in benachbarten Rechtsgebieten abweichende Vollstreckungsordnungen wie Pilze aus dem Boden geschossen.165 Es sei hier nur die Verwaltungsvollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz und die Finanzvollstreckung nach der Abgabenordnung angesprochen. Ohne insoweit an dieser Stelle einzelne Ergebnisse vorwegzunehmen, sei im Bereich der rechtlichen Qualifizierung der Zwangsvollstreckung nur darauf hingewiesen, dass die Einordnung der Zwangsvollstrekkung als Rechtspflege und das Festhalten an dem Richtervorbehalt in der Vollstreckung zu der fragwürdigen Konsequenz führen müsste, die gesamte Verwaltungsvollstreckung für verfassungswidrig zu erklären. Denn die Argumente, die für ein derartiges Verständnis der Zwangsvollstreckung herangezogen werden, nehmen keine Differenzierung nach der Rechtsnatur des zu vollstreckenden An164 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 IV, kommt zu folgender Feststellung: „Das zersplitterte Vollstreckungswesen der öffentlichen Hand ist dringend reformbedürftig. Dass neben der Justiz jede Verwaltungsbehörde mit eigenen Vollstreckungsbeamten nach eigenen Regeln neben- und gegeneinander tätig wird, ist ein untragbarer Zustand.“ 165 Dazu näher der Exkurs unter § 10.
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spruchs vor. Im Gegenteil wird gerade unter Hinweis auf die vergleichbare Interessenlage eine Privilegierung der Verwaltungs- oder Finanzbehörden durch eigene Vollstreckungsbehörden abgelehnt. Wie soll es dann aber verfassungsrechtlich zu legitimieren sein, dass die Verwaltungs- und Finanzvollstreckung von Vollstreckungsorganen durchgeführt wird, die sich bei bestem Willen nicht mehr unter den Begriff der Rechtsprechung subsumieren lassen? In letzter Konsequenz bietet die Einordnung der Vollstreckung als Rechtspflege daher nur die Möglichkeit, die Verwaltungs- und Finanzvollstreckung der Zwangsvollstreckung gleichzustellen und sie in die Hände der Justiz zu legen. Eine Rechtsvereinheitlichung muss sich dann darauf beschränken, die Brüche des bestehenden Vollstreckungsrechts festzuschreiben. Dagegen führt eine verwaltungsrechtlich orientierte Vereinheitlichung des Vollstreckungswesens dazu, dass das Vollstreckungsrecht mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht in Einklang gebracht werden kann und seine Eigenarten verliert. Wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, können bekannte und bewährte Prinzipien aus dem öffentlichen Recht fruchtbar gemacht werden, ohne dass das Vollstreckungsrecht dadurch seiner Funktion beraubt würde. Im Gegenteil führt die Rechtsvereinheitlichung zu einer Bereinigung und damit im Ergebnis zu einer erhöhten Schlagkraft der Vollstreckung. Umgekehrt verlöre die Verwaltungsvollstreckung ihre Daseinsberechtigung.166 In jedem Fall würde sich eine Bündelung der in beiden Bereichen unternommenen Reformbestrebungen nur positiv auswirken und wechselseitig eine befruchtende Wirkung ausüben. Es gilt, nicht so sehr die vermeintlichen Eigenarten der beiden Rechtsgebiete zu betonen, sondern vielmehr die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, um auf dieser Basis tragfähige Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Gerade dort, wo zurzeit die Unterschiede betont werden, stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen.167 6. Die zivilrechtlichen Rechtsfolgen Handelt es sich bei der Zwangsvollstreckung um eine Verwaltungstätigkeit, so ist man leicht geneigt, die Rechtsfolgen am öffentlichen Recht zu messen. Indes beschränkt sich die Zwangsvollstreckung gemäß der hier vorgenommenen Aufgabenstellung auf die Brechung des Schuldnerwillens vermittels staatlicher Gewalt. Für eine weitergehende staatliche Einmischung gibt das staatliche Gewaltmonopol keine Rechtfertigung.168 Demzufolge haben sich die Rechtsfolgen der Gewaltanwendung allein nach dem Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und 166
Dazu im Einzelnen unter § 10. Das gilt zum Beispiel für die Frage der Rechtsnatur des Vollstreckungsaktes. Während einerseits die Eigenschaft als Verwaltungsakt zumeist verneint wird, besteht doch andererseits im Ergebnis kein spürbarer Unterschied. Das Problem des nichtigen bzw. anfechtbaren Vollstreckungsaktes wird in der Zwangsvollstreckung nicht anders bewältigt als im allgemeinen Verwaltungsrecht, s. dazu ausführlich unter § 17 II 4. 168 S.o. § 2 II 2. 167
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Schuldner und der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs zu bemessen. Die Gewaltanwendung im Verhältnis zwischen Staat und Schuldner ist strikt von dem Anspruchsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner zu trennen. Die staatliche Gewaltanwendung ersetzt lediglich die fehlende freiwillige Leistungshandlung des Schuldners. Im Anschluss daran vollzieht sich das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Vorschriften. Im Bereich des klassischen Zwangsvollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung sind das zumeist die materiell-rechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dass an einen öffentlich-rechtlichen Entstehungstatbestand privatrechtliche Rechtsfolgen geknüpft werden, ist nicht ungewöhnlich.169 Die Rechtsfigur des privatrechtsgestaltenden Staatsakts ist allgemein anerkannt.170 Schon die Motive zur Zivilprozessordnung messen dem staatlichen Vollstreckungsakt eine rein privatrechtliche Rechtswirkung zu.171 Dies kommt im Gesetz in der Regelung des § 804 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck, die das Pfändungspfandrecht in der Rechtsfolge dem Faustpfandrecht gleichstellt. Es ist daher sehr verwunderlich, dass diese konkret im Gesetz ausgesprochene Rechtsfolge gerade von denjenigen Anhängern bestritten wird, die die Zwangsvollstreckung als Rechtspflege verstanden wissen wollen. So sehr sie sich gegen ein Verwaltungsrechtsverständnis der Zwangsvollstreckung zur Wehr setzen, bemühen sie sich in diesem Zusammenhang um ein öffentlich-rechtliches Verständnis des Pfändungspfandrechts.172 Da hinsichtlich der übrigen Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung173 aber Einigkeit darüber besteht, dass sie sich an der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs zu orientieren haben, kann der Meinungsstreit um die Rechtsnatur des Pfändungspfandrechts und seine Verwertung an dieser Stelle einstweilen dahinstehen.174 Allgemein kann festgehalten werden, dass die Zwangsvollstreckung ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren zur Herbeiführung einer zivilrechtlichen Rechtsfolge darstellt.
169 170
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 IV. So schon Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 30. Ebenso Gaul, § 1 IV; Huber,
S. 31. 171
Mugdan, Band III, S. 444: „… dass ein Akt öffentlich-rechtlicher Natur nach Maßgabe der Vorschriften der Verfahrensgesetze das Pfandrecht begründet.“ 172 Auf den eigentlichen Fehler in der Betrachtung hat schon Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 3, hingewiesen: „Dabei muss zunächst ein Fehler vermieden werden, an dem die fast überreiche Literatur über diese Fragen krankt, nämlich die zu enge Problemstellung. Wer nur über die Vollstreckung bei fehlendem Anspruch handelt oder nur das vielbeliebte Thema des Verkaufes von gepfändeten beweglichen Sachen, die nicht dem Schuldner gehören, erörtert, ist der Gefahr einseitiger und für das Ganze unbrauchbarer Ergebnisse nur allzu sehr ausgesetzt.“ An dieser berechtigten Kritik hat sich im weiteren Verlauf des letzten Jahrhunderts kaum etwas geändert. Zu den Kardinalfragen im Vorfeld jeglicher Diskussion s. noch ausführlich unter § 16 III. 173 Zu denken ist insbesondere an die Erfüllungswirkung. 174 Er ist im Mobiliarvollstreckungsrecht wieder aufzugreifen, s.u. §§ 16 ff.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
VII. Rechtliche Qualifizierung der Selbsthilfe Im Anschluss an die Charakterisierung des Zwangsvollstreckungsrechts stellt sich abschließend die Frage nach der Rechtsnatur der Selbsthilfe. Diese resultiert aus dem Vorrang des Vollstreckungsanspruchs des Gläubigers gegenüber dem staatlichen Gewaltmonopol mit der Folge, dass bei mangelnder Verfügbarkeit der staatlichen Vollstreckungsorgane der Gläubiger selbst Gewalt anwenden darf.175 Wie ist dieser Vorgang rechtlich zu bewerten? Da im Rahmen der Selbsthilfe quasi nur eine Substitution des Vollstreckungsorgans durch den Gläubiger eintritt und der Gläubiger dieselben Vorschriften zu beachten hat, die für das Vollstreckungsorgan gelten, könnte man geneigt sein, auch diesen Vorgang dem öffentlichen Verwaltungsrecht zuzuordnen. Das hätte zudem den Vorteil, dass auch der Gläubiger der vollen Grundrechtsbindung unterliegen würde. Um jedoch staatliche Hoheitsrechte ausüben zu dürfen, müsste der Gläubiger, der regelmäßig eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts sein wird, hierzu ermächtigt sein. Das wäre der Fall, wenn er Beliehener wäre. Darunter sind natürliche oder juristische Personen des Privatrechts zu verstehen, die durch oder aufgrund Gesetzes einzelne hoheitliche Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen wahrnehmen.176 Ein derartiges Gesetz könnten die Vorschriften über die Selbsthilfe darstellen. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, dass diese Vorschriften denknotwendig keine Individualisierung im Sinne einer namentlichen Benennung des Gläubigers vornehmen können. Unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters einer staatlichen Beleihung und angesichts des sensiblen Bereichs der staatlichen Gewaltausübung kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorschriften über die Selbsthilfe einen derartigen Zweck verfolgen, zumal sie dann im öffentlichen Recht und nicht im materiellen Zivilrecht anzusiedeln wären.177 Im Rahmen der bekannten Rechtsfiguren bliebe damit die Möglichkeit, die Tätigkeit des Gläubigers als öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag zu interpretieren mit der Konsequenz, dass dem Gläubiger gegenüber dem Staat ein Aufwendungsersatzanspruch zustünde. Die Anwendbarkeit der Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht wird jedoch dort abgelehnt, wo es um die Ausübung spezifischer hoheitlicher Befugnisse geht und nicht mehr allein um die Vornahme eines bloßen Realaktes.178 Als solcher kann die Gewaltanwendung gegenüber dem Schuldner nicht mehr bezeichnet werden, da sie einen Verwaltungsakt in Form eines Duldungsgebotes voraussetzt und mithin die Wahrnehmung spezifischer hoheitlicher Befugnisse.
175
S.o. § 2 II 3. Statt vieler Maurer, § 23, Rdnr. 56. 177 Dieses letzte Argument vermag allerdings für sich genommen kaum zu überzeugen, da das öffentlich-rechtliche Beleihungswesen – nicht anders als das übrige öffentliche Recht – bei Erlass des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht in der heutigen Form ausgebildet war. 178 Maurer, § 28, Rdnr. 11 m.w.N. 176
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Ist eine Zuordnung der Selbsthilfe zum öffentlichen Recht nicht möglich, so bleibt nur die Erkenntnis, dass es sich um materielles Zivilrecht handelt.179 Dafür spricht bereits, dass es sich im Bereich der Selbsthilfe eben nicht um Vorschriften handelt, die auf einer Seite des Rechtsverhältnisses eine staatliche Beteiligung zwingend vorschreiben. Zudem lassen die bisherigen Überlegungen zum öffentlichen Recht unberücksichtigt, dass im Bereich der Selbsthilfe der Vollstrekkungsanspruch des Gläubigers Vorrang vor dem staatlichen Gewaltmonopol haben soll. Die Selbsthilfe kennzeichnet daher ein anderes Vollstreckungssystem, in dem sich der Staat (gezwungenermaßen) darauf beschränkt, gesetzlich verbindliche Regelungen aufzustellen,180 ohne eigene Organe einschalten zu können. Diese Notlage berechtigt ihn nicht, den Gläubiger als staatliches Hilfsorgan in Form einer Beleihung oder einer Unterwerfung unter die Vorschriften der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag heranzuziehen. So erklärt sich letztendlich auch, dass der Gläubiger nach § 230 Abs. 2 BGB gehalten ist, alsbald die Zwangsvollstreckung zu erwirken. Die Selbsthilfehandlungen des Gläubigers sind also nicht etwa geeignet, die staatlichen Vollstreckungshandlungen zu ersetzen. Die Zwangsvollstreckung wird im Anschluss nicht durch die staatlichen Organe fortgesetzt, sondern erst aufgenommen.
§ 5 Das Formalisierungsprinzip I. Problematik der Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Recht Die Zuordnung der Zwangsvollstreckung zum öffentlichen Recht bringt schwerwiegende Überleitungsprobleme mit sich. Die zivilrechtlich zu beurteilende Ausgangslage zwischen Gläubiger und Schuldner muss im Falle der Leistungsverweigerung durch den Schuldner in ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren übergeleitet werden, das nach Anwendung der staatlichen Gewaltanwendung wiederum auf die privatrechtliche Ebene zwischen Gläubiger und Schuldner zurückzuführen ist. Diese lineare Betrachtung lässt zudem noch außer Betracht, dass auch während des öffentlich-rechtlichen Zwangsvollstreckungsverfahrens beständig zivilrechtliche Besonderheiten im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner auftreten können, die das Vollstreckungsorgan nicht aus den Augen verlieren darf. Genau genommen wird das öffentlich-rechtliche Zwangsvollstreckungsverfahren von dem zivilrechtlichen Schuldverhältnis nicht nur umrahmt, sondern überlagert. Die Ebenen von öffentlichem und privatem Recht sind miteinander verwoben. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn es bislang kaum gelungen ist, diese beiden Ebenen sauber voneinander zu trennen und 179
Die Selbsthilfevorschriften sind daher sachgerecht im Bürgerlichen Gesetzbuch angesiedelt. Die §§ 229 ff. BGB stellen zwingendes Recht dar; RGZ 131, 213 (222); 146, 182 (185 f.); Heinrichs, in: Palandt, § 229, Rdnr. 1. 180
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
klare Schnittstellen zu ermitteln,181 die eine rechtliche Zuordnung der Zwangsvollstreckung in die Kategorien öffentliches und privates Recht ermöglichen.182 Anders ist auch nicht zu erklären, dass eine Prinzipienbildung in der Zwangsvollstreckung bislang kaum unternommen worden ist.183 Soweit hingegen allgemeine Prinzipien benannt werden, verschwimmen die Konturen zwischen öffentlichem und privatem Recht, da gleichsam eine Grundmenge aus beiden Rechtsgebieten gebildet wird. Das deutet darauf hin, dass die Prinzipien beider Rechtsgebiete von Bedeutung sind, eine Zuordnung in die jeweiligen Rechtsverhältnisse und die Verfahrensabschnitte in der Zwangsvollstreckung aber bislang unterblieben ist. Die Bestimmung klarer Schnittstellen ist daher unverzichtbar, um auf die Prinzipien aus den verschiedenen Rechtsgebieten zurückgreifen zu können und eine Vermischung zu verhindern. Bei der Bildung von Schnittstellen ist zunächst an die subjektive Komponente im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Staat und Schuldner zu denken. Die personelle Abgrenzung bereitet keine Probleme, wenn man das staatliche Gewaltmonopol ernst nimmt und dem Gläubiger im Rahmen der Gewaltanwendung jegliche Mitspracherechte verwehrt. Denn von einem Monopol kann nur dort die Rede sein, wo der Staat eigenverantwortlich entscheiden kann. Das Dispositionsrecht des Gläubigers muss hier ein Ende haben.184 Mit dem Antrag auf Durchführung der Zwangsvollstreckung übergibt der Gläubiger gleichsam den Staffelstab an das staatliche Vollstreckungsorgan, ehe er ihn nach Vollzug der staatlichen Gewaltmittel zurückerhält. Weitaus schwieriger gestaltet sich die Ausgestaltung der objektiven Schnittstellen, will sagen der Grenzen zwischen öffentlich-rechtlichem Verwaltungsverfahren und zivilrechtlichem Schuldverhältnis. Hier bestehen drei denkbare Lösungsmöglichkeiten.
181 Das mag insbesondere auch damit zusammenhängen, dass man sich bislang dem Problem der Schnittstellenbildung in der Regel rein einseitig, d.h. nur aus zivilrechtlicher Sicht, angenähert hat. Es fehlen weitgehend vollstreckungsrechtliche Bewertungen aus öffentlich-rechtlicher Sicht, was im Wesentlichen auf die Eigenarten der öffentlich-rechtlichen Vollstreckung zurückzuführen sein dürfte, s. dazu noch ausführlich unter § 10. Stein, Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung, formuliert dieses Problem in seinem Vorwort wie folgt: „Wer die Grenzen und Beziehungen zwischen Justiz und Verwaltung behandeln will, der müsste eigentlich, um voll legitimiert zu sein, auf beiden Gebieten gleiche Sachkunde besitzen.“ 182 Bezeichnend für diese bisherigen Bemühungen sind die Ausführungen Steins, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 2: „So sehr ich selbst bestrebt bin, und gerade auf den folgenden Seiten bemüht sein werde, die öffentlich-rechtliche und die privatrechtliche Seite der Zwangsvollstreckung zu trennen, so muss doch, von etwaigen Entgleisungen der Augenblicksgesetzgebung abgesehen, daran festgehalten werden, dass unser Recht eine Einheit ist, die die Rechtsprechung nicht zugleich bejahen und verneinen kann.“ An diesem Einheitsverständnis des Zwangsvollstrekkungsrechts hat sich bis heute nichts geändert. Bis heute wird die Zwangsvollstreckung daher als Rechtsgebiet sui generis aufgefasst. 183 Zu den bisherigen Bestrebungen sogleich unter § 6 I. 184 Dieser Frage wird noch im Rahmen der verfahrensrechtlichen Prinzipien in der Zwangsvollstreckung detailliert nachzugehen sein, s.u. § 8 III, V.
§ 5 Das Formalisierungsprinzip
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II. Möglichkeiten zur Gestaltung der Schnittstellen Wie so oft im Bereich der juristischen Argumentation gibt es auch bei der Frage der Grenzziehung zwischen öffentlichem Vollstreckungsrecht und dem zugrunde liegenden privatrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner drei denkbare Möglichkeiten, von denen die dritte Variante eine vermittelnde Lösung zwischen zwei einander diametral entgegenstehenden Lösungsmodellen bildet. Eine erste Möglichkeit besteht darin, Fragen des materiellen Zivilrechts in der Vollstreckung völlig auszuklammern.185 Im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen der Vollstreckung und ihre zivilrechtliche Rechtsfolge wäre diese strikte Trennung nur konsequent. Allein unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten wäre eine derartige Vollstreckung, die den Anspruch des Gläubigers blindwütig mit staatlichen Gewaltmitteln durchsetzen würde, ohne auf zwischenzeitliche Impulse im Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner Rücksicht zu nehmen, äußerst fragwürdig; bedarf der Eingriff in die Grundrechte des Schuldners doch einer besonderen gesetzlichen Legitimation, die der Bedeutung des jeweiligen Grundrechts Rechnung trägt. Es ist zu berücksichtigen, dass sich der zugrunde liegende Lebenssachverhalt in tatsächlicher Hinsicht in Abhängigkeit von den jeweiligen Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis kaum in zeitlich aufeinander folgende Abschnitte unterteilen lässt. Die öffentlich-rechtliche Vollstreckung wird von privatrechtlich relevanten Aspekten überlagert, so dass eine lineare Schnittstellenbildung nicht möglich ist. Ist die Berücksichtigung zivilrechtlicher Streitfragen in der Vollstreckung unvermeidbar, so wäre es umgekehrt konsequent, eine rein subjektive Grenze zu ziehen und die Prüfung derartiger Fragen mit Beginn der Vollstreckung an das Vollstreckungsorgan zu delegieren. Sämtliche Rechtsfragen lägen dann in einer Hand.186 Eine derartige Lösung würde aber zu einer Vermengung von einander widersprechenden Prinzipien führen, so dass man sich bei dem Bemühen um eine klare Grenzziehung einen Bärendienst erweisen würde. Zivilrechtliche Eigentumsfragen sind gemäß der Dispositionsmaxime nur auf entsprechendes Begehren der Parteien zu überprüfen. Hingegen müsste das Vollstreckungsorgan bei entsprechender Prüfungskompetenz derartige Fragen von Amts wegen ermitteln. Weitere Wertungswidersprüche treten unmittelbar in Erscheinung. Was geschieht, wenn eine vom Vollstreckungsorgan vorgenommene zivilrechtliche Prü185 Es würden sich dann die bildhaften Worte von Stein, Grundfragen der Zwangsvollstrekkung, S. 7, zum Wesen der Zwangsvollstreckung bewahrheiten: „Der Weg aber, der von dem zivilrechtlichen Ausgangspunkt zum zivilrechtlichen Erfolgt führt, erhebt sich aus den Niederungen des Privatrechts in die hohe Sphäre staatlicher Rechtsausübung, wenngleich er sich am Schlusse wieder zum Privatrecht hinabsenkt.“ 186 So liegen etwa in Frankreich sämtliche Entscheidungen über Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung in der Hand des Vollstreckungsrichters, des juge de l’exécution. Eine Kompetenzverteilung auf das Vollstreckungsgericht und das Prozessgericht – wie in Deutschland in den §§ 766, 767, 771 ZPO geregelt – ist den Franzosen fremd, Traichel, S. 32 f.
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
fung im Ergebnis von einer Partei in Frage gestellt und der gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden soll? Aufgrund der Beteiligung des staatlichen Vollstreckungsorgans müsste eine derartige Streitigkeit als öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor dem Verwaltungsgericht ausgefochten werden, während dieselbe Frage bei freiwilliger Leistung des Schuldners von einem Zivilgericht zu entscheiden wäre. Diese Überlegung veranschaulicht, dass das Vollstreckungsorgan nur mit Rücksicht auf das staatliche Gewaltmonopol eingeschaltet worden ist und daher auch nur die insoweit relevanten öffentlich-rechtlichen Prüfungen vornehmen kann und darf. Die Beurteilung zivilrechtlicher Streitfragen bleibt der privaten Initiative der Parteien und im Streitfalle der Entscheidung der Zivilgerichte überlassen. Mit der Überantwortung zivilrechtlicher Prüfungen an das Vollstreckungsorgan wären daher keine klaren Schnittstellen gewonnen, im Gegenteil würde dies zu einer Prinzipienverwirrung führen. Die Trennung zwischen öffentlichem Vollstreckungsrecht und zivilrechtlichem Schuldverhältnis kann aber auch nicht dadurch vollzogen werden, dass die Entscheidung streitiger zivilrechtlicher Fragen allein den Zivilgerichten überlassen bleibt. Dies würde zurückführen zu der Schwerfälligkeit des gemeinrechtlichen Exekutionsverfahrens, in dem eben die Gerichte im Anschluss an das Erkenntnisverfahren auch für die Vollstreckung zuständig waren, ohne dass sich die Verfahrensgrundsätze geändert hätten. Gegen ein derartiges Verfahren sprechen im Übrigen auch die zuvor angesprochenen Prinzipienverwerfungen, die der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung bei ihrem Erlass infolge der damals noch mangelnden Ausprägung des Verwaltungsrechts nicht im Blick haben konnte. An dieser Stelle ist mithin folgender Gedanke zu berücksichtigen: Die Ausgangslage in der Vollstreckung beurteilt sich aufgrund der Leistungsverweigerung des Schuldners gänzlich anders als im Erkenntnisverfahren. Die Leistungsverweigerung durch den Schuldner macht eine forcierte Gewaltanwendung erforderlich. Der Schuldner kann aufgrund seiner Verweigerung nicht mehr auf ein aufwendiges Erkenntnisverfahren vertrauen, das beiden Parteien eine Waffengleichheit gewährleisten will. Dieses Recht hat der Schuldner verwirkt. Der Gläubiger hat mit der gerichtlichen Feststellung des zu vollstreckenden Anspruchs quasi das Recht des ersten Zugriffs erwirkt. Um dieses Recht zu verwirklichen und die Handlungsfähigkeit des Vollstreckungsorgans zu gewährleisten, bedarf das Vollstrekkungsorgan bereits im Vorfeld einer abschließenden zivilgerichtlichen Klärung einer vorläufigen Legitimationsgrundlage, die in gewissem Umfang den zivilrechtlichen Gegebenheiten Rechnung trägt. Ein Mittelweg zwischen den beiden extremen Lösungsvarianten ist also unausweichlich.187 Die zu bildenden Schnittstellen müssen demnach gewährleisten, dass auch während des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens die zivilrechtlich relevanten Tatsachen im Schuldverhältnis zwischen dem Gläubiger und Schuldner entsprechend den zivilrechtlichen Prinzipien berücksichtigt und nicht etwa mit öffentlich-rechtlichen Prinzipien vermengt werden. Das umgekehrte Pro187
So auch Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 2.
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blem, etwaige vollstreckungsrechtlich relevante Aspekte angemessen im Zivilrecht berücksichtigen zu müssen, stellt sich nicht, da mit Abschluss des Vollstreckungsverfahrens und der Rückübertragung des „Verfahrens“ auf das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner die Gewaltanwendung abgeschlossen ist.188 Überschneidungen ergeben sich nur während des Vollstrekkungsverfahrens. Zum anderen müssen die Schnittstellen aber auch die Effektivität der Vollstreckung gewährleisten, indem nicht erst eine zivilgerichtliche Entscheidung abzuwarten ist, sondern dem Vollstreckungsorgan Prüfungstatbestände zur Verfügung gestellt werden, die eine einstweilige Vorabentscheidung ermöglichen. Zur Schnittstellenbildung bietet es sich daher an, auf das Prinzip der Formalisierung der Zwangsvollstreckung zurückzugreifen. Darunter wird der Entzug materiellrechtlicher Prüfungen aus dem Vollstreckungsverfahren verstanden.189 Dieses Prinzip ermöglicht die Bildung von sauberen Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Recht. Die verschiedentlich in der Zivilprozessordnung zum Ausdruck gekommenen Regelungen zur Formalisierung lassen sich im Folgenden auf ein dreistufiges Regelungsmodell zurückführen, das eine klare Trennung des Vollstreckungsverfahrens von dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis ermöglicht.
III. Dualismus zwischen originär öffentlich-rechtlichen und formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen Eine wesentliche Aufgabe des Vollstreckungsrechts besteht nach den vorangegangenen Ausführungen darin, die Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Recht zur Verfügung zu stellen. Dies bedingt eine Zweiteilung der Vollstreckungsvoraussetzungen. Zum einen handelt es sich im Bereich der staatlichen Gewaltanwendung um ein originäres Verwaltungsverfahren mit rein öffentlichrechtlichen Voraussetzungen. Die Prüfungskompetenz der Vollstreckungsorgane unterliegt demzufolge keinerlei Einschränkungen, so dass es verfehlt wäre, in diesem Bereich von einer Durchbrechung der Formalisierung zu sprechen.190 Der Grundsatz der Formalisierung erstreckt sich allein auf den privatrechtlichen Bereich, den es durch gesonderte Tatbestandsmerkmale in die Vollstreckungsvoraussetzungen zu integrieren gilt. Es müssen Schnittstellen geschaffen werden, die einerseits die Vollstreckung nicht unnötig lähmen, aber andererseits trotzdem eine Rückkopplung mit dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis ermöglichen, aus dem der zu vollstreckende Anspruch resultiert. Allein auf diesen Bereich konzentriert sich das Formalisierungsprinzip.
188
Zu den Besonderheiten im Zusammenhang mit der Frage des gutgläubigen Erwerbs s.u. § 17
IV 3. 189 190
S.o. § 4 VI 4 a. So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 IV 3.
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Die soeben angestellten Überlegungen lassen sich an dem zivilrechtlichen Pfändungstatbestand wie folgt erläutern: Da der Schuldner in der Geldvollstrekkung die freiwillige Abgabe einer Verpfändungserklärung und die Übergabe des Pfandgegenstandes verweigert, bedarf es insoweit der staatlichen Gewaltanwendung. Das Tatbestandsmerkmal der Verpfändungserklärung wird daher durch ein originär öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren ersetzt, das die Herbeiführung dieser privatrechtlichen Rechtsfolge, der Abgabe einer Willenserklärung und den Realakt in Form der Übergabe, bezweckt. Soweit hingegen die übrigen Voraussetzungen des Pfandrechts betroffen sind, das Bestehen der zu sichernden Forderung des Gläubigers und die Berechtigung des Schuldners hinsichtlich des Pfandgegenstandes, handelt es sich um privatrechtliche Voraussetzungen, die durch die Zwangsvollstreckung nicht berührt werden. In diesem Bereich bedarf es daher einer Formalisierung des Tatbestandes, die es dem Vollstreckungsorgan ermöglicht, auch ohne eine vorangegangene zivilgerichtliche Entscheidung, die das Vollstreckungsorgan allein schon aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht ersetzen kann, den zivilrechtlichen Rahmenbedingungen in eingeschränktem Umfang Rechnung tragen zu können. Zu diesem Zweck gilt es nunmehr ein abstraktes Lösungsmodell zu entwickeln.
IV. Zivilrechtliche Fragestellungen Bevor ein Formalisierungsmodell für die Zwangsvollstreckung entwickelt werden soll, ist es hilfreich, sich zunächst einmal einige formalisierte Tatbestände im Zwangsvollstreckungsrecht und damit zugleich die im Vollstreckungsrecht relevanten zivilrechtlichen Aspekte zu vergegenwärtigen. Die Reihe der bekannten Tatbestände beginnt in chronologischer Abfolge bereits mit den Regelungen der §§ 704 ff. ZPO. Diese Vorschriften begründen bei Vorliegen eines Titels in Form eines Endurteils die Vermutung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung, den das Vollstreckungsorgan selbst nicht prüfen kann. Diese Vermutung kann nur durch Vorlage einer anderweitigen gerichtlichen Entscheidung widerlegt werden, § 775 ZPO. In der weiteren Folge haben Fragen der Bedingungslehre und der Rechtsnachfolge Bedeutung für die Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel. Die formalisierten Tatbestände der §§ 726, 727 ZPO verlangen entweder eine Offenkundigkeit oder den Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden. Dieses Nachweises bedarf es dann nicht, wenn der Schuldner im Rahmen der vorherigen Anhörung, § 730 ZPO, den Eintritt der Bedingung oder die Rechtsnachfolge zugesteht. Eine weitergehende materiell-rechtliche Prüfungskompetenz ist dem Rechtspfleger verwehrt. Ähnliches gilt für den Problemkreis der Zug-um-Zug-Einreden. Auch hier bedarf es des Nachweises durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden, §§ 756, 765 ZPO. Dies führt dazu, dass zumeist bereits im Erkenntnisverfahren ein gesonderter Klageantrag auf gerichtliche Feststellung des Annahmeverzugs gestellt wird.
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Ein weiterer zivilrechtlicher Aspekt, der in der Zwangsvollstreckung von Bedeutung sein kann, ist die mögliche Erfüllung durch den Schuldner, die gemäß § 775 ZPO des besonderen Nachweises durch eine freiwillig erteilte Quittung oder durch eine gerichtliche Feststellung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage bedarf. Im Bereich der Zugriffsobjekte unterliegen die im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Gegenstände der Vollstreckung, bei Gewahrsam eines Dritten muss dieser der Vollstreckung zustimmen, §§ 808, 809 ZPO. Bei der Forderungspfändung hingegen genügt die bloße Behauptung des Gläubigers, der Schuldner sei Inhaber der zu pfändenden Forderung, §§ 828, 829 ZPO. Im Ergebnis ist festzustellen, dass diese formalisierten Tatbestände auf den ersten Blick kein einheitliches Regelungsmodell erkennen lassen. Zwar ist allen Tatbeständen das gemeinsame Ziel immanent, das Vollstreckungsorgan von der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen zu befreien.191 Hingegen ist keine gemeinsame Struktur erkennbar, da teilweise eine freiwillige Erklärung des Betroffenen genügt, teilweise die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung verlangt wird und teilweise auch nur Prüfungsanforderungen an das Vollstreckungsorgan vereinfacht werden. Die Formalisierung scheint daher nur im Wege eines Stufenmodells erklärbar zu sein.
V. Ausgestaltung der Formalisierung in drei Stufen Nach den bisherigen Feststellungen dient die Formalisierung allein der Rückanknüpfung des Vollstreckungsverfahrens an die privatrechtlichen Voraussetzungen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis. Was heißt das nun konkret? Wie sieht ein abstraktes Modell der Formalisierung aus? Bislang sind solche Bemühungen an der Feststellung gescheitert, dass viele spezielle und völlig verschiedenartige Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien.192 Der Nebel lichtet sich jedoch, wenn man drei Stufen der Formalisierung unterscheidet. Zunächst ist zu fragen, ob sich die Betroffenen nicht vielleicht in ihrer Bewertung des jeweiligen zivilrechtlichen Problems einig sind. Ist das nicht der Fall, stellt sich die Frage nach dem Vorliegen einer bereits ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidung. Liegt diese nicht vor, bedarf es eines Vermutungstatbestandes in der Vollstrek191 Die Regelung des § 865 ZPO, die dem Vollstreckungsorgan komplizierte zivilrechtliche Prüfungen aus dem Recht des Hypothekenhaftungsverbandes auferlegt, scheint dem nur auf den ersten Blick zu widersprechen. Denn nicht die Komplexität der Regelungsmaterie ist maßgeblich für die Formalisierung, sondern das Fehlen der gerichtlichen Aufklärungsbefugnisse und -möglichkeiten (s. dazu noch unter V 3 und VIII ausführlich). 192 Hoffmann, S. 3, stellt im Rahmen seiner Untersuchung zur Aufgabenverteilung zwischen Vollstreckungsorgan und erkennendem Gericht fest: „Erstrebtes Ziel meiner Arbeit war zunächst, ein allgemeines dogmatisches Prinzip aufzuspüren, das den entscheidenden Ansatz zur Lösung aller auftauchenden Probleme enthält. Ich musste jedoch feststellen, dass ein derartiges Prinzip nicht existiert, es vielmehr viele spezielle, und völlig verschiedenartige Gesichtspunkte sind, die bei der Entscheidung Bedeutung gewinnen.“
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Erster Teil: Begriffsbestimmung und Einordnung der Zwangsvollstreckung
kung, der dem Vollstreckungsorgan eine vorläufige Bewertung der zivilrechtlichen Streitfrage ermöglicht.193 1. Die freiwillige Einigung zwischen den Betroffenen Das Privatrecht ist gekennzeichnet durch den Grundsatz der Privatautonomie. Jedermann steht es frei, über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsgüter frei zu verfügen. Demzufolge besteht auch in der Zwangsvollstreckung kein staatliches Interesse an einer Überprüfung materiell-rechtlicher Fragen, sofern diese von sämtlichen Betroffenen einheitlich bewertet werden. Verfahrensrechtlich stellt sich allein die Frage, wie derartige Erklärungen der Betroffenen rechtlich zu bewerten sind. Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Entsprechen die Erklärungen der Betroffenen der materiellen Rechtslage, so handelt es sich um rein deklaratorische Verfahrenshandlungen. Ist dies hingegen nicht der Fall, so werden diese Verfahrenshandlungen zugleich von materiellrechtlichen Willenserklärungen überlagert. Man spricht dann auch von einer Prozesshandlung mit doppelter Rechtsnatur.194 Das setzt aber voraus, dass sich die Erklärenden überhaupt darüber bewusst sind, dass ihre Erklärungen von der materiellen Rechtslage abweichen und sie auch die Rechtslage materiell-rechtlich im Sinne der Herbeiführung einer Rechtsfolge beeinflussen wollen. Befinden sich die Parteien bei der Bewertung der tatsächlichen Ausgangslage oder ihrer rechtlichen Bewertung in einem Irrtum, so können sie ihre Willenserklärung anfechten. All diese materiell-rechtlichen Fragen, die sich auf der Ebene des zu vollstrekkenden Anspruchs abspielen, kann aber das Vollstreckungsorgan nicht prüfen. In der Vollstreckung ist daher allein die erstgenannte Komponente, die Verfahrenserklärung, die stets gegeben ist und die sich auf der vollstreckungsrechtlichen Ebene zwischen dem staatlichen Vollstreckungsorgan und den Betroffenen abspielt, maßgeblich. Diese Erklärung kann daher auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen angefochten werden.195 Kommt es vielmehr im Nachhinein auf materiell-rechtlicher Ebene zwischen den Betroffenen zu Streitigkeiten, so bleibt nur der Ausweg über eine gerichtliche Klärung.196 Bis dahin kann sich das Vollstreckungsorgan nur an die freiwillig abgegebenen Verfahrenserklärungen halten, deren Adressat – im Gegensatz zu etwaigen materiell-rechtlichen Willenserklärungen – das Vollstreckungsorgan und nicht ein Beteiligter des zu vollstreckenden Schuldverhältnisses ist. Da zudem das Vollstreckungsverfahren nur einem 193 Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 16, hat zwei dieser drei Stufen bereits angesprochen, wenn auch in völlig anderem Kontext. Im Zusammenhang mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung führt er aus: „Dieses ,einstweilen‘ kann aber nur bedeuten: bis entweder der Gläubiger erklärt, von der Vollstreckung zurückzutreten oder bis von den dazu berufenen Instanzen und Organen eine endgültige Entscheidung getroffen ist.“ 194 Zum Paradebeispiel des Prozessvergleichs ausführlich unter § 11 V. 195 So auch Gaul, in: Gedächtnisschrift für Arens, S. 89 (121 ff.); ders., in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 5 III a.E., der die Zwangsvollstreckung als Prozess versteht und demzufolge jegliche Verfahrenshandlung, namentlich das Gebot in der Zwangsversteigerung, für unanfechtbar hält. 196 Dazu sogleich unter 2.
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sich anschließenden gerichtlichen Verfahren vorgelagert ist, werden – anders etwa als bei einem Prozessvergleich oder einer im Prozess erklärten Aufrechnung – keine unumkehrbaren Rechtsfolgen geschaffen, die gemäß der Lehre von der Doppelnatur der Verfahrenserklärung auszuschließen wären. Vergleichbare Probleme stellen sich in der Vollstreckung nicht, weswegen es verfehlt wäre, hier von einer Prozesshandlung mit doppelter Rechtsnatur zu sprechen.197 Wichtig ist, dass Verfahrenserklärungen sämtlicher Betroffenen vorliegen. Unter Betroffenen sind diejenigen zu verstehen, in deren Rechte eingegriffen wird. Das wird entweder der Schuldner sein, der beispielsweise seine Berechtigung an einem Vollstreckungsobjekt einräumt, oder der Gläubiger, der beispielsweise die Erfüllung der zu vollstreckenden Forderung eingesteht. Dort, wo erkennbar in Rechte Dritter eingegriffen wird, bedarf es zusätzlich einer Erklärung des Dritten, da ansonsten die Gefahr des kollusiven Zusammenwirkens der übrigen Beteiligten besteht. Ist der Eingriff in Rechte Dritter nicht erkennbar, weil sich zum Beispiel ein Gegenstand eines Dritten im Besitz des Schuldners befindet und dieser das Dritteigentum nicht offen legt, bleibt für den Dritten nur die Möglichkeit der gerichtlichen Intervention.198 Wie kann nun eine derartige Verfahrenserklärung aussehen? Sie muss ihrerseits formalisiert sein, da das Vollstreckungsorgan nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung zu prüfen imstande ist. Dabei sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Es genügt eine Erklärung, die die übereinstimmende Bewertung aller Betroffenen zum Ausdruck bringt. Allerdings sollte diese Erklärung aus Beweiszwecken schriftlich erfolgen oder vom Vollstrekkungsorgan protokolliert werden. Es kann sich dabei um eine Freigabeerklärung oder Quittung des Gläubigers ebenso gut handeln wie um eine Erklärung des Schuldners zu seiner Berechtigung an Vollstreckungsobjekten. 2. Die gerichtliche Entscheidung Mangelt es an übereinstimmenden Verfahrenserklärungen der Beteiligten hinsichtlich einer in der Vollstreckung maßgeblichen Rechtsfrage, so kann dem Vollstreckungsorgan eine zivilgerichtliche Entscheidung weiterhelfen. Paradebeispiel hierfür ist der Titel, der Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist. Mit ihm liegt eine verbindliche Entscheidung über das Bestehen des zu vollstreckenden Anspruchs vor. Zugleich zeigt sich aber auch im Verhältnis zu der ersten Stufe der Formalisierung, dass diese gerichtliche Entscheidung kein gleichwertiges Substitut für die fehlende freiwillige Verfahrenserklärung der Beteiligten darstellt. Das Gericht kann nämlich nur eine Entscheidung über die bestehende materielle Rechtslage fällen. Weitergehende Befugnisse stehen ihm nicht zu. Es kann insbesondere nicht rechtsgestaltend tätig werden. Das Urteil ist rein deklarato197 Diese stellt ohnehin eine Ausnahmeerscheinung dar und beschränkt sich im Wesentlichen auf den sogenannten Prozessvergleich. 198 S. dazu noch im Einzelnen unter § 31.
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risch zu verstehen. Es spiegelt den status quo wider. Das hat zur Folge, dass den Beteiligten nach wie vor das Recht vorbehalten bleibt, von dem Titel abweichende Verfahrenserklärungen im Sinne der ersten Stufe der Formalisierung abzugeben. Die zweite Stufe gilt also nur subsidiär. 3. Die formalisierten Vermutungstatbestände Die Problematik der ersten beiden Stufen der Formalisierung liegt darin, dass eine freiwillige übereinstimmende Erklärung der Beteiligten zumeist nicht zu erlangen ist und eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Um die Zwangsvollstreckung daher nicht in ihrem Erfolg zu gefährden, muss dem Vollstreckungsorgan eine dritte Möglichkeit an die Hand gegeben werden, zivilrechtliche Fragen im Sinne einer Vorabentscheidung berücksichtigen zu können. Diesem Zweck dienen Tatbestände im Vollstreckungsrecht, die sich abstrakt als Vermutungstatbestände definieren lassen. Nicht anders etwa als die Vermutungstatbestände des Bürgerlichen Gesetzbuchs – man denke an § 1006 BGB – knüpfen diese Tatbestände an leicht nachprüfbare Voraussetzungen an, die den Rechtsschein einer bestimmten Rechtsfolge begründen. Die Prüfung dieser Voraussetzungen setzt kein gerichtliches Verfahren mit wechselseitiger Anhörung und Aufklärung voraus, so dass diese Aufgabe auch von den Vollstreckungsorganen geleistet werden kann. Bei den Voraussetzungen handelt es sich mithin nicht mehr um die ursprünglichen privatrechtlichen Tatbestandsmerkmale, sondern um vereinfachte Gesetzesregelungen, die aber eine gewisse Rückkopplung mit den materiell-rechtlichen Bestimmungen des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ermöglichen. Die privatrechtlichen Kategorien werden quasi auf eine vereinfachte Beurteilungsebene transformiert, um eine provisorische Bewertung durch das Vollstreckungsorgan zu ermöglichen. In der Parallele zu den bekannten Vermutungsregeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs stellt sich sogleich die Frage nach der Widerlegbarkeit derartiger Vermutungstatbestände. In der Vollstreckung ist dies schlechterdings nicht möglich, da die Widerlegung nur im Wege eines Verfahrens mit wechselseitiger Anhörung möglich ist. Die Widerlegung bleibt daher einer gerichtlichen Entscheidung auf der zweiten Stufe der Formalisierung vorbehalten. Darin kommt zugleich die Subsidiarität der formalisierten Vermutungstatbestände zum Ausdruck, die lediglich dazu bestimmt sind, dem Vollstreckungsorgan eine rasche Entscheidung bei dem Zugriff auf das Vermögen des Schuldners zu ermöglichen. Diese Entscheidung steht unter dem Vorbehalt einer späteren Widerlegung durch eine gerichtliche Entscheidung. Die materiell-rechtliche Überprüfung der streitigen Rechtsfragen wird allein aus Gründen der Effektivität vom Vollstreckungsverfahren in das sich anschließende Rechtsbehelfsverfahren verlagert. Wird hingegen eine derartige gerichtliche Entscheidung von keinem der Beteiligten herbeigeführt, so liegt in diesem Verzicht zugleich die konkludente Verfahrenserklärung im Sinne der ersten Stufe der Formalisierung, dass die Betroffenen mit einer derartigen Bewertung der Rechtslage einverstanden sind. Der formalisierte Ver-
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mutungstatbestand erweist sich dann als zutreffend. Er stimmt mit der materiellen Rechtslage bzw. der Bewertung der Betroffenen überein. Zugleich ist sichergestellt, dass nicht etwa eine Überprüfung zivilrechtlicher Fragen von Amts wegen erfolgt, sondern gemäß der Dispositionsmaxime nur auf Antrag eines Beteiligten. Im Ergebnis zollt damit das vorliegende Modell der Formalisierung sowohl den Eigenarten des öffentlichen als auch des privaten Rechts Tribut, indem vorrangig die Erklärungen der Beteiligten berücksichtigt werden (erste Stufe) und im Übrigen die abschließende Entscheidung durch die Gerichte (zweite Stufe) Vorrang vor der verwaltungsrechtlich zu beurteilenden Vorabentscheidung des Vollstreckungsorgans (dritte Stufe) behält. Mit dieser Abstufung lässt sich auch der Kritik begegnen, angesichts der vielen speziellen und völlig verschiedenartigen Gesichtspunkte könne von einem Formalisierungsprinzip nicht die Rede sein.199 Die hier vorgenommene Dreiteilung ermöglicht vielmehr auch in diesem Bereich eine klare Maximenbildung.200 Zuletzt bleibt die klare Trennung zwischen dem nach öffentlichem Recht zu beurteilenden staatlichen Vollstreckungsvorgang und dem zivilrechtlich zu bewertenden Rechtsverhältnis bewahrt. Die eigentliche Schnittstelle bilden auf der dritten Stufe die formalisierten Vermutungstatbestände.
VI. Abgleich mit den zivilrechtlichen Beweisregeln Die Eilbedürftigkeit und der Vorbehalt der gerichtlichen Entscheidung im Falle einer streitigen zivilrechtlichen Auseinandersetzung machen es erforderlich, dem Vollstreckungsorgan anhand eines formalisierten gesetzlichen Tatbestandes eine Vorabentscheidung zu ermöglichen. Es stellt sich damit unweigerlich die Frage nach der Rechtsnatur dieser Vermutungstatbestände. Dabei lassen sich weitgehende Parallelen zu den bekannten Vermutungstatbeständen des Bürgerlichen Gesetzbuches herstellen, die ihre Rechtsnatur jeweils mit der zugrunde liegenden zivilrechtlichen Rechtsnorm teilen. Die Vermutungstatbestände sind weitestgehend wesensgleich, was in der identischen Ausgangslage begründet liegt. Im Prozess wie in der Vollstreckung findet sich dasselbe Problem. Da der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann, bedarf es zwingend einer Regelung, die eine Entscheidung auch ohne den zu ermittelnden Sachverhalt ermöglicht. Unterschiedlich sind allein die Gründe für die mangelnde Sachaufklärung. Während diese aus zeitlichen Gründen in der Vollstreckung nicht möglich ist (Vorabentscheidung), 199
S. dazu insbesondere die Feststellungen von Hoffmann, S. 3 (abgedruckt unter Fn. 197). Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.62, vertreten eher eine vermittelnde Meinung: „Die Diskussion um den Formalisierungsgrundsatz zeigt die Stärken und Schwächen des Maximendenkens besonders deutlich auf: Der Verfahrensgrundsatz ist die Leitlinie für die Lösung des Interessenkonflikts, die Ausnahme bedarf der besonderen Begründung. Gäbe es keine Ausnahme, wäre die Maxime zu Tode geritten; allzu wuchernde Ausnahmekasuistik ist indessen das sichtbare Zeichen eines Regelzerfalls, der willkürlich anmutende und unvorhersehbare Ergebnisse zeitigt.“ 200
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zeigt sich im Prozess, dass dauerhaft keine Beweismittel zur Verfügung stehen (Abschlussentscheidung). Da dieser Unterschied aber allein durch das zeitliche Moment gekennzeichnet ist, wirkt er sich nicht auf die Rechtsnatur der Vermutungstatbestände aus. Es handelt sich damit im Kern bei den formalisierten Vollstreckungstatbeständen um Beweis- und Vermutungsregeln.201 Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich diese Regeln im Prozess an das Gericht als Organ der Rechtsprechung richten, während in der Vollstreckung ein Organ der Verwaltung tätig wird. Denn die Prüfung des Rechtsscheintatbestandes beinhaltet nicht eine für die Rechtsprechung markante abschließende Streitentscheidung mit den prozessualen Mitteln der Anhörung voneinander abweichender Tatsachenvorträge und einer sich anschließenden Beweisaufnahme, sondern die erstmalige Entscheidung anhand eines feststehenden äußeren Rechtsscheins. Das eigentliche gerichtliche Verfahren hat sich hier als erfolglos erwiesen, während es in der Vollstreckung noch aussteht. Sollten sich hingegen im Nachhinein auch die Tatsachen für den Rechtsschein als umstritten herausstellen bzw. der Rechtschein, die Vermutung, zu widerlegen sein, so steht hiergegen der Rechtsweg offen.
VII. Zuordnung einzelner formalisierter Vollstreckungstatbestände Vor dem Hintergrund des dreistufigen Formalisierungsmodells gewinnen die vermeintlich uneinheitlichen Vollstreckungstatbestände klarere Konturen. Der Titel als Ausgang jeglicher Zwangsvollstreckung stellt nichts anderes dar als einen Typus der zweiten Stufe der Formalisierung. Durch das zwingende Titelerfordernis schreibt der Gesetzgeber fest, dass in diesem Bereich eine Formalisierung im Sinne einer Vorabentscheidung des Vollstreckungsorgans ausgeschlossen ist.202 Es bleibt nur der Weg des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Titel begründet zugleich, was den Bereich der Erfüllung anbelangt, die Vermutung des Fehlens nachträglicher Einwendungen. Diese können daher nur auf eine freiwillige Erklärung des Gläubigers oder auf eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung im Sinne der Vollstreckungsabwehrklage gestützt werden.
201 So stellte schon Jürgen Blomeyer, Rpfleger 1969, 279 (286), fest, dass der Titel als Vollstrekkungsgrundlage ausreiche, weil er eine Vermutung für die anfängliche Existenz der Forderung begründe. Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 21, und Hoffmann, S. 13, Fn. 18, halten dem entgegen, dass eine solche bloße Vermutung voraussetzen würde, dass das anfängliche Bestehen des Anspruchs an sich Voraussetzung der Zwangsvollstreckung sei. Dieser Voraussetzung ist jedoch uneingeschränkt zuzustimmen, weshalb die Feststellung von Jürgen Blomeyer durchaus berechtigt ist. Münzberg und Hoffmann bleiben hingegen eine Antwort auf die Frage schuldig, weshalb der (vermutete) Bestand des Anspruchs nicht Voraussetzung der Zwangsvollstreckung sein soll. 202 Besonderheiten ergeben sich bei den Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und den einstweiligen Rechtsschutz, wobei die Entscheidungskompetenz aber ebenfalls beim Gericht verbleibt. Die (vorläufige) Entscheidung des Gerichts begründet im Ergebnis einen prima facie Beweis. Ähnlich schon Otto Geib, S. 108. Ausführlich dazu unter § 11 IV 2.
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Die Parallele zu den prozessualen Beweis- und Vermutungsregeln zeigt sich am besten an der Vorschrift des § 808 ZPO, die die Mobiliarvollstreckung in Gegenstände zulässt, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Dahinter steckt die Vermutungsregel, dass der Schuldner auch Eigentümer dieser Gegenstände ist. Das wiederum entspricht der Regelung des § 1006 BGB, die dieselbe Vermutung aufstellt.203 Entsprechendes gilt für die Immobiliarvollstreckung, bei der das zuständige Vollstreckungsorgan, das Grundbuchamt, ebenfalls nur eine formalisierte Prüfung des Eigentums vornimmt, § 891 BGB. Dies gilt im Übrigen für das gesamte Grundbuchrecht. Hier bestätigt sich, dass die Prüfung derartiger Vermutungstatbestände nicht etwa der zivilgerichtlichen Rechtsprechung vorbehalten ist, sondern dass es sich vielmehr um Normen handelt, deren Prüfung auch durch Verwaltungsbehörden vorgenommen werden kann. Es handelt sich mithin um materielles Zivilrecht, nicht etwa um Prozessrecht. Die Regelung des § 809 ZPO, die die Mobiliarvollstreckung in Gegenstände im Gewahrsam eines Dritten zulässt, wenn dieser seine Zustimmung erklärt, entspricht der ersten Stufe der Formalisierung. Hier liegt eine zustimmende Verfahrenserklärung des Betroffenen vor, die eine weitere Überprüfung gemäß der Dispositionsmaxime entbehrlich macht, ja sogar verbietet. In diesen Zusammenhang fügt sich auch die Rechtsprechung zum sogenannten evidenten Dritteigentum ein, die es dem Vollstreckungsorgan entgegen der Regelung des § 808 ZPO verbietet, in Gegenstände, die sich zwar im Gewahrsam des Schuldners befinden, aber evident im Eigentum eines Dritten stehen, zu vollstrecken.204 Zieht man die Parallele zu den bekannten Beweis- und Vermutungsregeln, so handelt es sich hier um einen prima facie Beweis. Die gesetzliche Vermutungsregel des § 808 ZPO wird durch eine Regelung des Anscheinsbeweises überlappt, der der Vorrang eingeräumt wird. Insoweit kann man auch von einer teleologischen Reduktion des § 808 ZPO bzw. § 1006 BGB sprechen. Dabei bleibt die grundsätzliche Vorrangstellung des gesetzlichen Vermutungstatbestandes unberührt. Denn sofern das Vollstreckungsorgan den Gläubiger über das evidente Dritteigentum informiert hat und der Gläubiger auf der Vollstreckung beharrt, soll das Vollstreckungsorgan zur Fortsetzung der Vollstreckung verpflichtet sein.205 In diesem Kontext wird auch das Spannungsverhältnis zwischen § 1362 BGB und § 739 ZPO erklärlich. Die zuletzt genannte Vorschrift lässt in der Vollstrekkung eine Widerlegung der Eigentumsvermutung für den der Vollstreckung ausgesetzten Ehegatten nicht zu, während § 1362 BGB diese Möglichkeit eröffnet. Dieser Unterschied ist nicht verwunderlich, da dem Vollstreckungsorgan die ge203 Auf diese Parallele hat bereits Werner, JA 1983, 617 (619); ders., DGVZ 1986, 49 (52), hingewiesen. 204 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.59. 205 § 119 Nr. 2 GVGA gestattet dem Gerichtsvollzieher, die Pfändung evident fremder Sachen zu unterlassen; die gegenteilige Weisung des Gläubigers muss er aber befolgen. Zustimmend Baur/ Stürner/Bruns, Rdnr. 6.59, Fn. 90.
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richtlichen Mittel zur Sachverhaltsaufklärung und Streitentscheidung nicht zur Verfügung stehen. Diese der Rechtsprechung vorbehaltene Aufgabe der Streitentscheidung verbleibt bei den Gerichten, während eine Vorabentscheidung durch das Vollstreckungsorgan zulässig und geboten ist, um die Effektivität der Vollstreckung zu sichern. § 739 ZPO ist daher enger zu verstehen als § 1362 BGB. Die Parallele zwischen den beiden genannten Vorschriften bezeugt einerseits, dass es sich bei der Anwendung der Vermutungsregeln nicht um originäre Aufgaben der Rechtsprechung, sprich Prozessrecht, handelt. Andererseits muss die Streitentscheidung, die im Falle der Widerlegung der Vermutung unausweichlich wird, einer gerichtlichen Beweisaufnahme vorbehalten bleiben. Was die Zug-um-Zug-Regelungen der §§ 756, 765 ZPO anbelangt, so wecken diese Bestimmungen ebenfalls bekannte Assoziationen. Es ergeben sich interessante Parallelen zu den Vorschriften über öffentliche Urkunden, §§ 415 ff. ZPO. In entsprechender Weise knüpfen die Regelungen zu den qualifizierten Klauseln, §§ 726, 727 ZPO, an diese Vorschriften an. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Regelung des § 727 Abs. 1 ZPO, die zusätzlich einen Offenkundigkeitsbeweis zulässt. Dieser entspricht vor dem Hintergrund des hier entwickelten Modells dem Anscheinsbeweis beim evidenten Dritteigentum. Es besteht allein ein gradueller Unterschied hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Anscheins. Zugleich erklärt sich, weshalb Rechtsprechung und Literatur mit Recht auch im Rahmen des § 726 ZPO den Offenkundigkeitsbeweis zulassen, selbst wenn er hier nicht ausdrücklich normiert ist.206 Es handelt sich um einen auf der dritten Stufe der Formalisierung generell zulässigen Anscheinsbeweis. Hinsichtlich des Eingriffs in Rechte Dritter schließt die Zivilprozessordnung einen bloßen Vermutungstatbestand als Legitimation für staatliche Eingriffe aus, §§ 809, 846 ff., 886 ZPO. Da ein solcher Eingriff einen zugrunde liegenden Anspruch des Schuldners gegen den Dritten voraussetzt, gilt hier – nicht anders als bei der Vollstreckung des Gläubigers gegen den Schuldner – der Grundsatz des § 750 Abs. 1 ZPO. Demzufolge ist die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung in Form eines Titels auf der zweiten Stufe der Formalisierung unentbehrlich, sofern der Dritte den Anspruch des Schuldners leugnet.207
VIII. Abschließende Rechtfertigung des dreistufigen Formalisierungsmodells Fasst man die wesentlichen Argumente für ein dreistufiges Modell der Formalisierung zusammen, so zeigt sich, dass anhand dieses Modells gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können. Es wird eine klare Trennung zwischen der Ebene des zu vollstreckenden Anspruchs und dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverhältnis ermöglicht. In 206 207
Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 726, Rdnrn. 49 ff. Näher zu dem Problem der Drittbeteiligung unter § 9 III 2.
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der Folge wird eine Überlagerung divergierender Prinzipien vermieden. Eine personelle Überlappung wird ohnehin durch die Einschaltung staatlicher Vollstreckungsorgane verhindert. Es bedarf daher keines gesonderten Vollstrekkungsrechts sui generis, sondern es kann vielmehr auf die bekannten Rechtsgebiete und deren Prinzipien zurückgegriffen werden. Das Vollstreckungsrecht regelt lediglich die Schnittstellen. Dieses Modell ermöglicht zugleich eine Beschränkung des Gewaltmonopols auf das unabdingbare Mindestmaß, die staatliche Gewaltanwendung. Soweit hingegen über die Verweigerung der Erfüllung hinaus andere zivilrechtliche Fragen berührt werden, ändert sich für deren Bewertung nichts. Damit ist zugleich gewährleistet, dass das Modell der Zwangsvollstreckung sich in die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Gewaltenteilung einfügt. Indem auf der zweiten Stufe der Formalisierung die Vorlage eines gerichtlichen Urteils verlangt wird, wird eine Verschiebung der Aufgaben der Rechtsprechung auf die Vollstreckungsorgane vermieden. Die Prüfung der originär öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen im Rahmen der Gewaltanwendung obliegen hingegen den Verwaltungsbehörden in Form der Vollstreckungsorgane. Die Vermutungstatbestände auf der dritten Ebene der Formalisierung tragen dem Gedanken der Effektivität der Zwangsvollstreckung Rechnung. Die damit verbundene anfängliche Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass der Schuldner die Erfüllung eines titulierten, d.h. gerichtlich bereits festgestellten Anspruchs verweigert. Die Vereitelungsgefahr aus Sicht des Gläubigers rechtfertigt hier ein rasches staatliches Eingreifen unter erleichterten Voraussetzungen. Die Situation ist dem einstweiligen Rechtsschutz insoweit vergleichbar, als eine Abwägung der wechselseitigen Risiken eindeutig zugunsten des Gläubigers ausfällt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Schuldner die Möglichkeit behält, durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und durch die Beibringung von Sicherheiten einen für beide Seiten tragbaren Sicherungszustand herbeizuführen.208
IX. Ein klärendes Wort zur Qualifikation des Gerichtsvollziehers Abschließend lässt sich ein Missverständnis ausräumen, das bislang mit dem Prinzip der Formalisierung einhergeht. Gemeinhin wird dieses Prinzip dahingehend verstanden, dass dem Vollstreckungsorgan aufgrund seiner ungenügenden Qualifikation die Prüfung materieller Rechtsfragen entzogen werden müsse.209 Die Entscheidung dieser Rechtsfragen bleibe dem Zivilgericht vorbehalten. Die208 Hoffmann, S. 14, weist daher mit Recht darauf hin, dass das Formalisierungsprinzip letztlich auch den Interessen des Schuldners dient, da es ihm eine gerichtliche Überprüfung der Vollstrekkungsakte garantiert. Schließlich dient das erleichterte Verfahren auch den staatlichen Interessen an einem rechtmäßigen und zugleich effektiven Vollstreckungsbetrieb. 209 Henckel, S. 254, und Gaul, Rpfleger 1971, 81 (91, Fn. 394), sprechen etwa davon, das Vollstreckungsorgan sei mit der Prüfung des Wegfalls der titulierten Forderung überfordert.
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ser Vorbehalt resultiert bei näherer Betrachtung jedoch allein aus dem Prinzip der Gewaltenteilung, da es sich bei der Bewertung streitiger Zivilrechtsfragen zwischen Gläubiger und Schuldner um eine rechtsprechende Tätigkeit handelt. Das besagt aber nichts über die Qualifikation des Vollstreckungsorgans zur Prüfung materieller Rechtsfragen.210 Im Gegenteil beherrschen Gerichtsvollzieher, Rechtspfleger und Geschäftsstellenbeamte das Vollstreckungsverfahren perfekt, weshalb gelegentlich auch von der sozialen Unsichtbarkeit des Verfahrens als geräuschlosem Routinevorgang gesprochen wird.211 Dem Vollstreckungsorgan fehlt allein das der Rechtsprechung eigene, gerichtlich ausgeprägte Verfahren zur wechselseitigen Anhörung der Parteien und zur Beweisaufnahme zwecks Bildung einer abschließenden Entscheidung. Diese Streitentscheidung zwischen den Parteien bleibt dem Gericht vorbehalten. Nicht also die materiellen Rechtsfragen machen das Verfahren zur Rechtsprechung, sondern die Streitentscheidung. Das Gericht wird immer erst im zweiten Schritt tätig, sofern sich die Beteiligten nicht einigen können. Die Bewertung der maßgeblichen Rechtsfragen ist also nicht etwa allein dem Gericht vorbehalten. Es trifft vielmehr nur im Streitfall eine abschließende und verbindliche Entscheidung, indem es die zuvor abgegebenen Bewertungen der Parteien überprüft. Anders wäre es beispielsweise auch nicht zu erklären, dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen des § 865 ZPO komplizierteste Rechtsfragen aus dem Bereich des Hypothekenhaftungsverbandes zu beantworten hat.212 Wollte man bei der Formalisierung auf die Prüfung des materiellen Rechts als Kriterium für die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung abstellen, so dürfte der Gerichtsvollzieher diese Prüfungen im Rahmen des § 865 ZPO i.V.m. §§ 1120 ff. BGB nicht vornehmen.213 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass mit der Verbeamtung des Gerichtsvollziehers dessen Ausbildung vertieft und verbessert worden ist.214 So unterstreicht 210 Kritisch zu derartigen Tendenzen im Sinne der hier vertretenen Meinung auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 31, der im Zusammenhang mit dem Formalisierungsprinzip auf die Unhaltbarkeit der früher vorherrschenden Vorstellung spricht, dass der Gerichtsvollzieher nichts weiter als ein mehr oder minder unreflektiert, den gegebenen Auftrag ausführender Amtmann sein könne. 211 So Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 46. 212 Darauf hat auch schon Hoffmann, KTS 1973, 149 (154), hingewiesen. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit von Gläubiger und Schuldner macht Hoffmann mit Recht darauf aufmerksam, dass die Prüfung materiellen Rechts für sich genommen kein Hinderungsgrund für die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans ist. Ebenso auch Schilken, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 426 (428), und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 31 f., der als weitere Beispiele für die Prüfungskompetenz des Gerichtsvollziehers die Zug-um-Zug Vollstreckung und die Unterscheidung zwischen Gewahrsamsinhaber und bloßem Besitzdiener nennt. Zur Prüfungskompetenz in Bezug auf die Prozessvoraussetzungen ausführlich Arens, in: Festschrift für Schiedermair, S. 1 (12 ff.). 213 Umgekehrt wäre im Anschluss an Hoffmann, S. 17, nicht zu erklären, weshalb das Prozessgericht im Falle der Vollstreckung nach §§ 887 ff. ZPO als Vollstreckungsorgan die Kompetenz zur Prüfung eines Wegfalls der titulierten Forderung abgesprochen werden sollte. 214 Auf diesen Aspekt hat schon Pawlowski, ZZP 1977, 345 (365), hingewiesen. Er bewertet im Blick auf die Zukunft die weitere Ausbildung und Fortbildung als „Visitenkarte“ des Rechtsstaats,
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die Parallele zum Polizei- und Ordnungsrecht, dass dort die Verwaltungsbehörde im Rahmen der Störerhaftung mitunter aufwendige zivilrechtliche Prüfungen vornehmen muss, um den verantwortlichen Eigentümer einer Störungsquelle zu ermitteln. Ein weiterer Beleg dafür, dass nicht die Prüfung materiellen Zivilrechts eine gerichtliche Intervention der Zivilgerichte notwendig macht, sondern erst der Streit unter den Beteiligten.215 Die Zivilgerichte sind zudem für die Streitentscheidung nur dann zuständig, wenn es sich bei den Beteiligten um Privatrechtssubjekte handelt. Denn im Rahmen der Störerhaftung wird der Streit um zivilrechtliche Fragen nicht von den ordentlichen Zivilgerichten, sondern von den Verwaltungsgerichten entschieden. Ein zusätzliches Indiz dafür, dass nicht die Regelungsmaterie maßgeblich ist für die Einschaltung der Zivilgerichte, sondern vielmehr der vorangehende Streit zwischen zwei Privatrechtssubjekten. Hingegen gewinnt bei zwingender Beteiligung eines Hoheitsträgers der Streit um zivilrechtliche Fragen einen öffentlich-rechtlichen Charakter, was den maßgeblichen Rechtsweg anbelangt.
X. Ergebnis Das Zwangsvollstreckungsrecht setzt sich aus den originär öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für die staatliche Gewaltanwendung einerseits und andererseits aus denjenigen Voraussetzungen zusammen, die einen Abgleich mit dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis ermöglichen. Diesen zuletzt genannten Bereich kennzeichnet das Prinzip der Formalisierung, das dem zivilrechtlichen Rahmen der Zwangsvollstreckung Rechnung trägt. Das Formalisierungsprinzip löst das Problem, das durch das Zusammenspiel von behördlichem Verwaltungsverfahren und dem zugrunde liegenden zivilrechtlichen Schuldverhältnis entsteht. Der Staat muss im Rahmen der Gewaltanwendung die zivilrechtliche Rückkopplung des zu vollstreckenden Anspruchs berücksichtigen, will er sich nicht dem Vorwurf einer blindwütigen Vollstreckung aussetzen.
die in den wachsenden Verteilungskämpfen zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, so Pawlowski, ZZP 1977, 345 (380). 215 Hoffmann, S. 17, weist auf einen weiteren Umstand hin, der die Bedenken an einer ausreichenden Qualifizierung der Vollstreckungsorgane ausräumt. Danach ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber erst die wahrzunehmenden Aufgaben festlegt und danach unter Berücksichtigung dieser Aufgaben die dafür geeigneten Organe.
Zweiter Teil
Prinzipien in der Zwangsvollstreckung § 6 Vorbemerkung Nachdem im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung eine Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung vorgenommen worden ist, liegt es nahe, darauf aufbauend eine Prinzipienbildung in Angriff zu nehmen. Dies ist bislang im Zwangsvollstreckungsrecht – im Unterschied etwa zum Zivilprozessrecht – kaum versucht worden.
I. Streitstand In der Literatur gibt es starke Stimmen, die eine Prinzipienbildung in der Zwangsvollstreckung für wenig sinnvoll oder gar für nicht realisierbar halten.1 Das Maximendenken führe zur Verkrustung und Unbeweglichkeit, es verfehle die Verfahrenswirklichkeit und sei zur Lösung konkreter Probleme nur eingeschränkt nützlich.2 Die Vielgestaltigkeit der Verfahrensziele (Erlass des Vollstreckungsaktes – Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungsaktes – Angriff auf den Bestand des vollstreckbaren Anspruchs – Kampf um die Freigabe des Vollstreckungsobjektes) mache es unmöglich, einheitliche Grundsätze aufzustellen.3 Andere Autoren sprechen mit ähnlicher Zielrichtung von der besonderen Struktur der Zwangsvollstreckung. Ihre Eigenart als nicht kontradiktorisches, nicht einheitliches und nicht koordiniertes und namentlich vom Grundsatz der Formalisierung beherrschtes Verfahren widerstrebe einer Prinzipienbildung und erlaube nur in begrenztem Umfang ein Maximendenken.4 Soweit der Prinzipienbildung noch etwas Positives abgewonnen werden kann, reduziert sich der Zweck einer Besinnung auf vollstreckungsrechtliche Verfahrensprinzipien darauf, zu weitgehende verfassungs- und verwaltungsrechtliche
1 Baur/Stürner, 11. Aufl., § 5, Rdnr. 101, sprachen noch davon, dass die Struktur der Zwangsvollstreckung einer Prinzipienbildung widerstrebe. 2 So mit Bezug auf das Erkenntnisverfahren Bomsdorf, S. 278 ff. Von einem beschränkten Aussagewert sprechen Baumann/Brehm, Vor § 5. 3 Baur/Stürner, 11. Aufl., § 5, Rdnr. 101. 4 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 1; ders., ZZP 1999, 135 (148). Es fällt auf, dass Gaul in diesem Kontext die Unterschiede zum richterlichen Erkenntnisverfahren betont, während er in anderem Zusammenhang die Gemeinsamkeiten hervorhebt, die die einheitliche Bewertung als Rechtspflege rechtfertigen sollen, s. dazu schon im Einzelnen oben unter § 4 VI 3.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Einwirkungen zurückzudrängen.5 Die Prinzipienbildung wird damit, soweit sie überhaupt unternommen wird, zum reinen Besitzstandsdenken degradiert.
II. Methodische Notwendigkeit einer Prinzipienbildung Der Wert einer Prinzipienbildung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.6 Nur eine Offenlegung der maßgeblichen Wertungen des Gesetzgebers und ihre klare Abstufung ermöglicht im Einzelfall eine vorhersehbare Entscheidung. Mit Recht ziehen daher neuerdings Autoren, die sich bislang gegen eine Prinzipienbildung ausgesprochen haben, ihre ablehnende Haltung in Zweifel,7 und kommen zu dem Ergebnis, dass jedes Recht ohne Prinzipien zum Unrecht degeneriert.8 Dabei darf insbesondere nicht übersehen werden, dass auch das case law von „fundamental principles“ lebt.9 Einen tradierten Kanon von Vollstreckungsprinzipien gibt es hingegen bislang nicht.10 Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass sich das derzeitige Vollstreckungsrecht nicht in bester Verfassung befindet.11 Es mangelt dabei nicht etwa an der erforderlichen Reformfreudigkeit, diese konzentriert sich jedoch – sieht man einmal von dem beachtlichen Entwurf einer Zivilprozessordnung von 193112 ab – allein auf ein Kurieren an den Symptomen,13 anstatt die bisherigen Probleme bis an die Wurzel zurückzuverfolgen und 5
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 6. Stürner, ZZP 1986, 291 (292), sieht mit Recht in einer Geringschätzung von Grundprinzipien und Maximen eine gewichtige Fehlentwicklung. Dies gilt im Übrigen auch für den Bereich der Rechtsvergleichung. „Auch eine europäische Rechtsvergleichung darf nicht das Detail als Basis wählen, sondern muss sich dem Gesamtbild eines Rechtsgebietes widmen, um fruchtbare Ergebnisse zu zeitigen“, so Stürner, in: Festschrift für Hanisch, S. 257 (265). 7 Stürner, ZZP 1986, 291 (291 f.), in kritischer Auseinandersetzung mit der bis dahin vertretenen Lehrbuchansicht in Baur/Stürner, 11. Aufl., § 5, Rdnr. 101. Ähnlich offen äußert sich zuletzt Gaul, ZZP 1999, 135 (147 f.), gegenüber einer Prinzipienbildung. Die Zwangsvollstreckung sei gerade wegen ihrer strukturellen Eigenart der Prinzipien- und Systembildung in besonderem Maße bedürftig. 8 Stürner, ZZP 1986, 291 (293). 9 Stürner, ZZP 1986, 291 (292). 10 Stürner, ZZP 1986, 291 (291). 11 Stürner, ZZP 1986, 291 (293). 12 Auf den Entwurf, der neben der Zentralisierung der Vollstreckung auch eine Stärkung der Sachaufklärung durch Rückbesinnung auf die Offizialmaxime und eine Vereinfachung des Rechtsbehelfssystems vorsah, wird im Rahmen der Untersuchung noch verschiedentlich zurückzukommen sein (s. insbesondere zur Sachaufklärung unter § 8 IV 6). Behr, Rpfleger 1981, 417 (419), stellt im Anschluss an Eickmann, DGVZ 1977, 103 (109), zu dem Entwurf treffend fest: „Aber der Entwurf von 1931 war seiner Zeit und ist – wie die Tatsachen zeigen – auch unserer Zeit noch weit voraus. Das in ihm enthaltene Streben nach gerechtem Interessenausgleich, das Bemühen um ein Mehr an Rechtsschutz und vor allem um eine sinnvollere Verfahrensgestaltung, das ist eine Vorahnung dessen, was wir heute sozialer Rechtsstaat nennen. Es ist ein Phänomen, dass die kraftvollen Gedanken des E 31 in über 50 Jahren nie wieder ernsthaft aufgegriffen wurden.“ 13 Behr, Rpfleger 1981, 417 (418), stellt fest: „Die bisherigen Teilreformen haben die überholten Strukturen nicht verändert. Im Gegenteil! Sie haben sie verfestigt und zudem der Praxis weitere Verunsicherungen gebracht.“ Im Anschluss daran bezeichnet Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 43, die vereinzelten Reformen als systemwidriges Flickwerk. Stürner, 6
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daran anzusetzen, die Prinzipien der Vollstreckung klarer herauszuarbeiten.14 Der „reformerische Jahrhundertschlaf im Bereich der Zwangsvollstreckung“15 – manche sprechen auch von einer Geschichte der unterbliebenen Reformen16 – hat daher dazu geführt, dass das Vollstreckungsrecht in seiner Funktionstüchtigkeit „auf dem Entwicklungsstand des 19. Jahrhunderts stehen geblieben ist.“17 Dafür verantwortlich zu machen sind u.a. der Dschungel von Zuständigkeiten, die Unüberschaubarkeit der Rechtsbehelfe und der durch die Parteiherrschaft bedingte Informationsmangel.18 Zuletzt hat auch der Gesetzgeber eingeräumt, dass „die Vollstreckungsvorschriften der ZPO wenig geeignet erscheinen, eine nachdrückliche Vollstreckung sicherzustellen.“19 Eine nähere Auseinandersetzung mit den Gründen und Schwierigkeiten einer grundlegenden Reform des Zwangsvollstreckungsrechts tut daher Not, um die partikularen Reformvorhaben in den Gesamtkontext des Vollstreckungsrechts einbetten zu können.20 Es ist an der Zeit, ZZP 1986, 291 (292), spricht von einer Ansammlung von Einzelproblemen. S. dazu etwa nur die von Markwardt, DRiZ 1993, 229 (229 ff.); ders., DGVZ 1993, 17 (17 ff.), aufgeführten Vorschläge der Arbeitsgruppe zur Überarbeitung des Zwangsvollstreckungsrechts, die sich auf die Lösung von Detailproblemen beschränken. Ebenso äußert sich Gaul, ZZP 1995, 3 (3 f.), zu den Einzelregelungen der ersten und zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle. Im Detail zur zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle äußert sich Goebel, KTS 1995, 143 (147 ff.). Unter Verweis auf den Bericht von Stadlhofer-Wissinger, ZZP 105, 393 ff., kommt Stürner, Rpfleger 1994, 138 (138), zu der Feststellung, dass trotz mancherlei Handlungsbedarfs derzeit der politische Wille zur Einleitung einer Reform nicht zu erkennen sei. 14 Die Befürchtung von Gaul, ZZP 1995, 3 (6), dass das Gesamtsystem der Zwangsvollstrekkung durch pragmatische Einzeleingriffe an Struktur verlieren könnte, ist daher unbegründet, jedenfalls im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, die sich vornehmlich den Strukturen der Zwangsvollstreckung widmet. 15 So Behr, Rpfleger 1981, 417 (419). 16 Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (307). Ähnlich Leipold, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 394 (395): „Es gibt wenige Rechtsgebiete, auf denen so zahlreiche Reformvorschläge gemacht wurden, auf denen über nun schon Jahrzehnte hinweg von so vielen Stimmen eine tiefgreifende Reform gefordert wurde, wie auf dem Gebiet des Zwangsvollstreckungsrechts. Gleichwohl ist es – trotz nicht weniger Einzeländerungen – zu einer grundlegenden Reform nie gekommen.“ Leipold erklärt diesen Missstand mit der fehlenden Lobby. 17 So schon Bruns, § 12 IV. Zustimmend Behr, Rpfleger 1981, 417 (418). 18 So insbesondere Behr, Rpfleger 1981, 417 (418). Auch Münzberg, in: Tradition und Fortschritt im Recht, S. 223 (223 f.), beklagt die Komplizierung unseres Vollstreckungssystems, das in einer Weise Unstimmigkeiten, Unklarheiten und Auslegungsschwierigkeiten produziere, dass selbst der Fachmann im Dunkel des Gesetzeswerkes das Licht erst mühsam suchen müsse. 19 Diese Begründung in BR-Drucks. 11/73, S. 385, für die Übertragung der Geldstrafenvollstreckung auf die Justizkassen mutet fast schon peinlich an, so mit Recht Behr, Rpfleger 1981, 417 (418). Ähnlich jedoch in der inhaltlichen Bewertung der Zivilprozessordnung Millack, DGVZ 1965, 146 (146): „Insbesondere die ZPO erweckte in ihren Jugendjahren bei den Rechtsgelehrten mehr Begeisterung als bei den Rechtsschutzsuchenden.“ Ebenso kritisch Bruckmann, ZRP 1994, 129 (132): „Gerade dann, wenn die Zwangsvollstreckung nicht funktioniert, wenn also die Verwirklichung des dem Bürger am nächsten stehenden Rechts stark erschwert wird, droht die Gefahr, dass das Vertrauen in die Verbindlichkeit des Rechts erschüttert wird. Wie soll einem Gläubiger zugemutet werden, die rechtlich vorgeschriebenen Wege zu gehen, wenn diese in der Praxis nicht zur Befriedigung der titulierten Ansprüche führen?“. 20 So nachdrücklich Goebel, KTS 1995, 143 (188), und in ähnlicher Form Behr, Rpfleger 1981, 417 (417 f.). Skeptisch äußert sich hingegen Brehm, DGVZ 1986, 97 (97): „Es mehren sich die Stim-
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
die bestehende rechtspolitische Reformdebatte aus dem Blickwinkel rechtsdogmatischer Denkstrukturen zu untersuchen.21 Ohne eine derart grundlegende Reform führt das gegenwärtige Recht zu einem Geschicklichkeitsspiel zwischen Gläubiger und Schuldner mit unverhältnismäßig hohem Kostenaufwand.22
III. Entwicklung eines vermittelnden Lösungsansatzes Die bisherigen Überlegungen belegen, dass es an der Zeit ist, sich Gedanken über eine Prinzipienbildung in der Vollstreckung zu machen. Vereinzelt sind bereits derartige Bemühungen unternommen worden, indem ein allgemeiner Kanon von Prinzipien aufgestellt wurde.23 Ähnliche Bestrebungen lassen sich auch in anderen europäischen Nachbarländern nachweisen.24 Den derzeitigen Bemühungen um eine Prinzipienbildung ist eine sehr heterogene und oft auch zufällig wirkende Reihung von Prinzipien eigen.25 Daran scheint auch der Umstand, dass der Prinzipienkanon zwischenzeitlich in allgemeine und vollstreckungsspezifische Verfahrensgrundsätze unterteilt worden ist, um der Eigenart der Vollstreckung Rechnung zu tragen,26 wenig geändert zu haben. Denn nach wie vor werden materiell-rechtliche Prinzipien wie beispielsweise der Prioritätsgrundsatz in einem Atemzug mit Verfahrensmaximen wie etwa der Dispositionsmaxime genannt.27 Das daraus erwachsende Konglomerat men, die eine Reform des Vollstreckungsrechts … aus prinzipiellen Gründen fordern. … Eine Reform an Haupt und Gliedern, die einen Eingriff in bewährte Grundprinzipien des geltenden Vollstreckungsrechts brächte, ist m.E. nicht geboten.“ Ebenso zurückhaltend Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (35); Seip, Rpfleger 1982, 257 (262), und im Anschluss Münzberg, Rpfleger 1987, 269 (269). 21 So schon Goebel, KTS 1995, 143 (145 f.): „Rechtsdogmatische Prinzipien können der Gesetzgebung klare, rationale und erwartungssichernde Strukturen vorgeben.“ Den Bedarf für eine grundlegende Reform des Zwangsvollstreckungsrechts leugnen hingegen Otto, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 416 (418), und Münzberg, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 423 (423). 22 So eindringlich Behr, Rpfleger 1981, 417 (418), und im Anschluss Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 43. Neben den oben bereits angeführten Aspekten der Zuständigkeitszersplitterung, der Unüberschaubarkeit der Rechtsbehelfe und des durch die Parteiherrschaft bedingten Informationsmangels ließe auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip die tradierten vollstreckungsrechtlichen Regelungen der Zivilprozessordnung nicht unbedenklich erscheinen. Auf sämtliche dieser genannten Aspekte wird im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung noch im Detail einzugehen sein. 23 Allen voran ist Stürner, ZZP 1986, 291 (291 ff.), zu nennen, der diese Bewegung ausgelöst hat. 24 Dieser Tendenz gegenüber zeigt sich beispielsweise die österreichische Literatur zum dortigen Exekutionsrecht aufgeschlossen, Holzhammer, S. 26 ff. 25 Stürner, ZZP 1986, 291 (291). 26 So zuletzt Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.1 ff., 6.5 ff. und 6.37 ff. 27 Zufällig wirkende Reihungen von Prinzipien finden sich etwa bei Putzo, in: Thomas/Putzo, Vor § 704, Rdnrn. 30 ff., der im Anschluss an Stürner generell von Verfahrensprinzipien spricht; ebenso Lüke, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnrn. 359 ff. Paulus, in: Wieczorek/ Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 16 ff., spricht generell von Maximen des Vollstreckungsrechts. Einheitliche Kataloge von Vollstreckungsprinzipien finden sich ferner bei Lüke, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnrn. 501 ff.; Baumann/Brehm, Vor § 5; Bruns/Peters, § 13; Jauernig, § 1; Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnrn. 29 ff.; Stöber, in: Zöller, Vor § 704, Rdnrn. 19 ff. Münzberg, in:
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von Prinzipien scheint eher den Skeptikern eines Maximendenkens Recht zu geben als den Wert der Prinzipienbildung zu unterstreichen.28 Es stellt sich die Frage nach den Ursachen für die bisherigen Schwierigkeiten bei einer Prinzipienbildung und damit zugleich nach den Gründen für die bisherige Zurückhaltung der Literatur, die sich ansonsten einer Prinzipienbildung generell aufgeschlossen zeigt. Letzteres belegen die im Bereich der sonstigen Verfahrensordnungen fest etablierten und von der Literatur herauskristallisierten Prinzipienkataloge.29 Eine Lösung des Problems muss an den vermeintlichen Eigenarten der Zwangsvollstreckung ansetzen, die einer Prinzipienbildung im Wege zu stehen scheinen. Wird diesen Eigenarten nicht Rechnung getragen, ist jede Prinzipienbildung zum Scheitern verurteilt. Dabei ist von vornherein klarzustellen, dass das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren selbstverständlich den Maximen des Erkenntnisverfahrens unterliegt und von den nachfolgenden Überlegungen auszunehmen ist.30 Da insoweit aber keinerlei Unterschied zu anderen Verfahrensordnungen besteht, gibt allein diese Unterscheidung den Skeptikern gegenüber einer Prinzipienbildung noch kein Recht, diese in Frage zu stellen. Die Bedenken sind wohl auch tiefer gehend. In ihnen spiegelt sich die allgemeine Unsicherheit über die Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung wider. Im Spannungsfeld zwischen Verwaltung und Rechtspflege, privatem und öffentlichem Recht, scheint eine Charakterisierung der Zwangsvollstreckung als Recht sui generis unausweichlich.31 Demzufolge muss es nicht verwundern, wenn die bisherigen Bemühungen um eine Prinzipienbildung kaum Fortschritte erzielt haben bzw. in einen Kanon sui generis münden.32 Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zur Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung besteht nunmehr Gelegenheit, zu einem neuen Versuch bei der Prinzipienbildung auszuholen. Da sich die Zwangsvollstreckung nach der hier vertretenen Ansicht als öffentliches Verwaltungsverfahren zur Herbeiführung einer privatrechtlichen Rechtsfolge entpuppt, besteht die Möglichkeit, weitgehend auf bekannte Prinzipien zurückzugreifen. Im Bereich des VollstrekStein/Jonas, Vor § 704, Rdnrn. 74 ff., beschränkt sich auf die Benennung von Verfahrensmaximen. Äußerst zurückhaltend gegenüber einem Prinzipienkatalog äußert sich Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 37. 28 Auch wenn Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.1 ff., 6.5 ff. und 6.37 ff., zwischen allgemeinen und vollstreckungsspezifischen Verfahrensgrundsätzen differenzieren, fehlt es bislang an einer Unterscheidung zwischen Verfahrensmaximen und materiell-rechtlichen Prinzipien. So stufen Baur/ Stürner/Bruns unterschiedslos den Prioritätsgrundsatz wie das Formalisierungsprinzip als Verfahrensmaximen ein, Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.37 ff; 6.53 ff. 29 Zu dem Prinzipienkatalog im Zivilprozess statt vieler nur Reichold, in: Thomas/Putzo, Einl I, Rdnrn. 1 ff. 30 Ebenso Stürner, ZZP 1986, 291 (294). 31 S.o. § 4 II. 32 Anders noch die Prinzipieneinheit im gemeinrechtlichen Exekutionsprozess. Das Dogma der Untrennbarkeit von Kognition und Zwang im richterlichen Offizium brachte es mit sich, dass die Prinzipien aus dem Erkenntnisverfahren in gleicher Weise im Vollstreckungsverfahren zur Anwendung kamen, so Gaul, ZZP 1999, 135 (144 f.).
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kungsverfahrens kann an das öffentliche Recht angeknüpft werden, im Bereich der Rechtsfolgen an das materielle Zivilrecht. Es bleibt kaum ein eigener Gestaltungsspielraum für vollstreckungsspezifische Prinzipien, so dass sich die nachfolgend zu entwickelnde Prinzipienbildung als vermittelnde Lösung zwischen den bisher vertretenen Ansichten darstellt. Einerseits trägt sie zu einer klaren Prinzipienbildung bei, andererseits gibt sie in ihrer Anknüpfung an bekannte Denkmuster den bisherigen Skeptikern gegenüber einer spezifischen Prinzipienbildung in der Zwangsvollstreckung Recht. Die bisherige Zurückhaltung der h. M. ist insoweit als wohltuend zu bezeichnen, als sie durch die Verhinderung eines voreiligen Aktionismus den Weg für eine Rückkopplung an bewährte Strukturen des öffentlichen und des privaten Rechts frei gehalten hat.
IV. Ordnungsstrukturen Nach den bisherigen Überlegungen besteht die folgende Aufgabe nicht etwa darin, neue Prinzipien in der Zwangsvollstreckung zu entwickeln, sondern die Strukturen der Zwangsvollstreckung auf bekannte Maximen abzubilden. Dies entspricht der methodischen Neigung der Untersuchung zum Reduktionismus. Zugleich kommt darin die rein dienende Funktion des Zwangsvollstreckungsrechts zum Ausdruck.33 1. Formalisierung als vollstreckungsspezifisches Prinzip Die maßgebliche Aufgabe des Vollstreckungsrechts besteht darin, die notwendigen Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem, zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, zu schaffen. Als originäre Maxime der Zwangsvollstrekkung bleibt damit nur das Prinzip der Formalisierung. Seine Funktion besteht darin, durch die Einführung formalisierter zivilrechtlicher Tatbestände eine klare Unterteilung des Zwangsvollstreckungsrechts in ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren mit sich anschließenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen zu ermöglichen, ohne dass etwa der zivilrechtliche Rahmen während des Zwangsvollstreckungsverfahrens gänzlich vernachlässigt werden würde.34 Dieser findet während des Vollstreckungsverfahrens eine angemessene Berücksichtigung in den formalisierten zivilrechtlichen Tatbestandsmerkmalen. Die vollständige zivilrechtliche Überprüfung wird hingegen durch den Gedanken der Formalisierung in ein sich anschließendes zivilgerichtliches Verfahren verlagert. Allein diese zeitliche Abschichtung ermöglicht es, an bekannte Prinzipienkataloge aus dem öffentlichen und dem privaten Recht anzuknüpfen.
33 Ebenso in ihrer Bewertung des Vollstreckungsrechts äußern sich etwa Kerwer, S. 1; Baumann/Brehm, § 3 III 1 c; Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 1; Stöber, in: Zöller, Vor § 704, Rdnr. 1; Werner, DGVZ 1986, 49 (50). 34 S. dazu ausführlich oben unter § 5 I bis III.
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2. Reduktion auf bekannte Prinzipienkataloge Sind die Schnittstellen im Sinne der Formalisierung bestimmt, so ist im zweiten Schritt der Versuch zu unternehmen, die einzelnen Abschnitte der Zwangsvollstreckung bekannten Rechtsgebieten zuzuordnen. Wenn von einzelnen Abschnitten die Rede ist, so liegt darin bereits eine grundlegende Weichenstellung im Bereich der Prinzipienbildung. Das Zwangsvollstreckungsrecht lässt sich nicht etwa gänzlich auf das öffentliche oder das private Recht abbilden, weil beide Aspekte im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Staat und Schuldner zwingend zum Tragen kommen. Eine saubere Trennung in die bekannten Denkmuster privates und öffentliches Recht ist unausweichlich und damit auch eine Unterteilung des Rechts der Zwangsvollstreckung. Diese Weichenstellung ist bislang vernachlässigt worden, indem versucht worden ist, einen einheitlichen Kanon von Vollstreckungsprinzipien aufzustellen. Mit Recht sind daher in der Literatur Stimmen laut geworden, die darauf hinweisen, dass dem Zwangsvollstreckungsrecht die das Erkenntnisverfahren kennzeichnende Einheitlichkeit des Verfahrens fehle, die Voraussetzung für die Entwicklung eines geschlossenen Systems gemeinsamer Prinzipien ist.35 Dank des Formalisierungsgedankens bietet sich im Rahmen der folgenden Überlegungen eine chronologische Betrachtungsweise an, die automatisch den Zugang in die Kategorien privates und öffentliches Recht eröffnet. Ausgangslage der Vollstreckung ist die Situation des die Leistung verweigernden Schuldners. Diese Situation ist in Abhängigkeit von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs zu bemessen. Im Bereich des achten Buches der Zivilprozessordnung handelt es sich um die klassische Situation eines privatrechtlichen Anspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner. Durch die Leistungsverweigerung des Schuldners kommen die staatlichen Interessen ins Spiel, die eine privatrechtliche Selbsthilfe untersagen. Das nun beginnende Zwangsvollstreckungsverfahren ist daher dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Sobald jedoch der Zweck des staatlichen Gewaltmonopols erreicht ist und der Schuldnerwille durch staatlichen Zwang gebeugt worden ist, reduziert sich die Betrachtung wieder auf das ursprüngliche Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner.36 Dessen Rechtsnatur entscheidet über die weiteren Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung. Demzufolge markiert das Ende der Zwangsvollstreckung zugleich den Übergang vom öffentlichen zum privaten Recht, soweit der Zwangsvollstreckung ein privatrechtliches Schuldverhältnis zugrunde liegt, wovon hier zunächst ausgegangen wird.37
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Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 6. Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 7, drückt dies wie folgt aus: „Der Weg aber, der von dem zivilrechtlichen Ausgangspunkt zum zivilrechtlichen Erfolg führt, erhebt sich aus den Niederungen des Privatrechts in die hohe Sphäre staatlicher Rechtsausübung, wenngleich er sich am Schlusse wieder zum Privatrecht hinabsenkt.“ 37 Zur Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Ansprüche näher unter § 10. 36
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Innerhalb der beiden soeben ermittelten Abschnitte ist eine weitere, bislang verabsäumte Unterteilung vorzunehmen, die Differenzierung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht. Dies leuchtet im Bereich der eigentlichen Zwangsvollstreckung unmittelbar ein. Da hier ein staatliches Vollstreckungsorgan tätig werden soll, müssen zunächst einmal die inhaltlichen Kriterien normiert werden, die ein Tätigwerden des Vollstreckungsorgans legitimieren. Damit das Vollstreckungsorgan im zweiten Schritt tätig werden kann, müssen ihm in verfahrensrechtlicher Sicht Handlungsmechanismen an die Hand gegeben werden. Dieser Dualismus entspricht dem Ansatz des Verwaltungsrechts, das zwischen dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht und dem besonderen materiellen Verwaltungsrecht unterscheidet.38 Letzteres regelt insbesondere die Voraussetzungen für einen staatlichen Eingriffsakt, der nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht regelmäßig in der Form eines Verwaltungsaktes zu erlassen und zu vollziehen ist. Der Dualismus zwischen materiellen und prozessualen Bestimmungen scheint im Anschluss an das Zwangsvollstreckungsverfahren entbehrlich zu sein, da mangels staatlicher Beteiligung eine weitere Verfahrensregelung überflüssig erscheint. Dies trifft auch zu, soweit die Zwangsvollstreckung mit der Erfüllung des Gläubigeranspruchs endet. Im Rahmen der mittelbaren Geldvollstreckung, die erst durch Pfändung und Verwertung der Vermögensgegenstände des Schuldners zur Befriedigung des Gläubigers führt, stellt sich hingegen das Problem, dass die Zwangsvollstreckung dem Gläubiger zunächst nur ein Pfändungspfandrecht zuführt. Das sich anschließende Verwertungsverfahren bedarf ebenfalls einer verfahrensrechtlichen Regelung.39 Ob dieses Verwertungsverfahren entsprechend der allgemeinen Meinung noch dem Zwangsvollstreckungsrecht zuzuordnen ist, erscheint fraglich. Denn dieses hat nach seiner Aufgabenstellung lediglich die staatliche Gewaltanwendung zum Gegenstand, die aber bereits mit der Begründung des Pfändungspfandrechts beendet ist.40 Es erscheint daher wesentlich wahrscheinlicher, dass es sich hier schlicht um ein Verwertungsverfahren handelt, wie es bereits im Bürgerlichen Gesetzbuch im Rahmen der Vorschriften zum Faustpfandrecht geregelt ist. Immerhin handelt es sich aber auch bei diesen Vorschriften um Verfahrensrecht, so dass jedenfalls an dieser Stelle bereits festgehalten werden kann, dass auch im Bereich der nach Zivilrecht zu beurteilenden Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung eine Unterteilung in materielles Recht und Verfahrensrecht angebracht erscheint. Da die verfahrensrechtliche Problematik jedoch lediglich im Bereich der mittelbaren Geldvollstreckung auftritt, sind die weiteren Einzelheiten an späterer Stelle zu erörtern.41
38 Durchbrechungen sind unausweichlich, soweit sich im besonderen Verwaltungsrecht zugleich Sonderregelungen gegenüber den allgemeinen Verfahrensbestimmungen finden. Dies ist hier aber ohne Bedeutung. 39 So auch Stürner, ZZP 1986, 291 (294). 40 Im Einzelnen dazu unter § 17 IV 1. 41 S.u. § 17 IV.
§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht
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Bei der Prinzipienbildung sind demnach drei Bereiche der Zwangsvollstrekkung zu unterscheiden. Zunächst gilt es, in Übereinstimmung mit dem besonderen Verwaltungsrecht die Prinzipien herauszuarbeiten, die die Voraussetzungen für die staatliche Gewaltanwendung reglementieren.42 Sodann ist zu untersuchen, ob und inwiefern die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts auf das Verfahren der Zwangsvollstreckung zu übertragen sind.43 Diese beiden zuerst genannten Bereiche sind dem öffentlich-rechtlichen Zwangsvollstreckungsverfahren zugeordnet und markieren den Bereich zwischen Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung. Als dritter Sektor für die Bildung von Prinzipien schließt sich der zivilrechtliche Bereich an.44 Er umfasst nicht allein die nach Zivilrecht zu beurteilenden Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung, sondern auch den Bereich der zivilrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Vollstreckung, deren Prüfung aufgrund der Formalisierung in ein etwaiges Rechtsbehelfsverfahren verlagert ist. In diesem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren gelten selbstverständlich allein die aus dem Zivilrecht bekannten Prinzipien. Nichts anderes bezweckt die Formalisierung, die die zivilrechtlichen Fragen nicht den Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens unterwerfen will. Innerhalb der drei genannten Bereiche sind jeweils die Interessen der Beteiligten im Auge zu behalten, deren Gewichtung notwendiger Ausgangspunkt eines jeden Prinzips ist. Die Maximen spiegeln lediglich die Wertungen des Gesetzgebers bei der Abwägung der betroffenen Interessen wider. Auf die dabei auftretenden Unterschiede ist schließlich auch die grundlegende Differenzierung zwischen privatem und öffentlichem Recht zurückzuführen. Sollten die bekannten Prinzipien daher keine sachgerechte Interessenabwägung gewährleisten, so wäre entweder die hier vorgenommene strukturelle Unterteilung der Zwangsvollstreckung in Frage zu stellen oder die bislang bekannten Prinzipien erwiesen sich als nicht interessengerecht.
§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht I. Vorbemerkung Nach den bisherigen Überlegungen besteht die begründete Hoffnung, dass im Bereich der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die staatliche Gewaltanwendung ein Rückgriff auf bekannte Prinzipien aus dem öffentlichen Recht möglich ist. Dieser Rückgriff ist als solcher nicht neu45 und er bestätigt im Ergeb42
S.u. § 7. S.u. § 8. 44 S.u. § 9. 45 Meist wird allerdings nur der Rückgriff auf die bekannten Verfahrensmaximen vorgenommen und das zumeist unter Fokussierung auf die zivilrechtlichen Prinzipien. So spricht etwa Stür43
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
nis nur, dass es sich bei der Zwangsvollstreckung um öffentliches Verwaltungsrecht handelt. Wie sonst wäre es zu rechtfertigen, dass so elementare Grundsätze des öffentlichen Verwaltungsrechts wie zum Beispiel das Verhältnismäßigkeitsprinzip Eingang in die vollstreckungsrechtliche Diskussion gefunden haben?46 Bevor aber auf diese Diskussion näher einzugehen ist, sind zunächst die spezifischen Prinzipien zugunsten der an der Vollstreckung Beteiligten zu erörtern. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewährleistet lediglich eine vermittelnde Komponente zwischen den kollidierenden Interessen bzw. Prinzipien. Demzufolge orientieren sich die nachfolgenden Gruppierungen vorrangig an den berührten Interessen. Diese artikulieren sich in den betroffenen Grundrechten und ihrer einfachgesetzlichen Ausgestaltung.
II. Durch die Begriffsbestimmung vorgegebene Prinzipien Die Zwangsvollstreckung ist als das Verfahren definiert worden, das die Brechung des der freiwilligen Erfüllung entgegenstehenden Schuldnerwillens unter dem Vorbehalt staatlicher Gewaltanwendung gewährleistet. In dieser Definition kommen zwei grundlegende Prinzipien zum Ausdruck, die am Anfang der materiell-rechtlichen Interessengewichtung stehen. Es handelt sich um das staatliche Gewaltmonopol und um den Anspruch des Gläubigers auf die Durchsetzung seines Anspruchs. Dieses zuletzt genannte Interesse geht im Kollisionsfall dem staatlichen Gewaltmonopol vor, was in den Vorschriften über die Selbsthilfe zum Ausdruck kommt.47 Wie verhalten sich nun hierzu die Interessen des Schuldners? Es wäre wünschenswert, wenn sich eine Antwort auf diese Frage bereits aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen des materiellen Verwaltungsrechts ableiten ließe. 1. Die Nähe zu den Eingriffstatbeständen aus dem Polizeiund Ordnungsrecht Die Zuordnung des Zwangsvollstreckungsrechts zum Verwaltungsrecht legt es nahe, bei der Suche nach einer einfachgesetzlichen Ausprägung einen Blick auf die bekannten Regelungen zur staatlichen Gewaltanwendung in anderen Bereichen der Verwaltung zu werfen. Ins Blickfeld rücken dabei insbesondere die Eingriffstatbestände des Polizei- und Ordnungsrechts.48 Die gesetzlich geregelner, ZZP 1986, 291 (294), von einer Anleihe aus dem Erkenntnisverfahren, indem er die dort geläufigen Gegensatzpaare aufgreift. 46 Gegen diese Tendenz zur Einbeziehung verfassungsrechtlicher Wertungen stemmt sich Stürner, ZZP 1986, 291 (296), der sich vorrangig an den einfachgesetzlichen Regelungen orientieren will. Stürner ist darin zuzustimmen, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht einseitig aus Sicht des Schuldners betrachtet werden kann, s.u. § 7 IV. 47 S.o. § 2 II 3. 48 Stürner, ZZP 1986, 291 (300 f.), spricht im Zusammenhang mit der Dispositionsmaxime davon, dass es unlogisch sei, im Erkenntnisverfahren die Parteidisposition zu tolerieren, hingegen im Vollstreckungsverfahren von einem staatlichen Eingriffsverhältnis auszugehen, das den verfassungs-
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ten Standardmaßnahmen tragen in hohem Maße den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die mit der Gewaltanwendung verbundenen intensiven Grundrechtseingriffe Rechnung. Demgegenüber sind die Eingriffstatbestände der Zwangsvollstreckung teilweise noch auf einem vorkonstitutionellen Stand anzusiedeln. Man denke nur an die im Zusammenhang mit der Hausdurchsuchung aufgetretenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 758 ZPO, die entgegen Art. 13 GG keine richterliche Anordnung für eine Hausdurchsuchung vorschrieb. Die Rechtsprechung behalf sich hier bis zum Inkrafttreten des § 758 a ZPO mit einer verfassungskonformen Auslegung, um das zwingende Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu umgehen.49 Wäre im Rahmen vergleichbarer Reformen nicht ein einfacher Rückgriff auf die bekannten und modernen Eingriffstatbestände aus dem Polizei- und Ordnungsrecht denkbar? In materiell-rechtlicher Sicht lässt sich die mangelnde Erfüllungsbereitschaft des Schuldners als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung subsumieren. Unter der öffentlichen Sicherheit wird die Unversehrtheit der subjektiven Rechte und Individualrechtsgüter des Bürgers einerseits sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen andererseits verstanden.50 Da die Leistungsverweigerung durch den Schuldner die subjektiven Rechte des Gläubigers verletzt, die dem Begriff der öffentlichen Sicherheit unterfallen, liegt demzufolge eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, nämlich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens für den Gläubiger, wenn sein Anspruch dauerhaft oder nur vorübergehend nicht erfüllt wird. Bedenken gegen ein Einschreiten der Ordnungsbehörden werden an dieser Stelle regelmäßig aus verfahrensrechtlicher Sicht laut, da die Ordnungsbehörden nicht zum Schutz ausschließlich privater Rechte zuständig seien.51 Ihre Tätigkeit in diesem Bereich verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, da die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte durch das Einschreiten der Ordnungsbehörden umgangen werde.52 Ein Tätigwerden sei daher nur im Falle der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung des zivilrechtlichen Anspruchs zulässig.53 Diese Problematik stellt sich jedoch nicht im Bereich der Zwangsvollstreckung, da hier ein von der ordentlichen Gerichtsbarkeit erlassener Zwangsvollstrekrechtlichem Maßstab eines staatlichen Eingriffs im öffentlichen Interesse, wie zum Beispiel im Ordnungsrecht, standhalten müsste. Gerade der zuletzt von Stürner angesprochene Aspekt des staatlichen Eingriffs veranschaulicht aber, dass im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Staat und Schuldner strikt zwischen den einzelnen Rechtsbeziehungen zu unterscheiden ist. Nichts anderes geschieht im Rahmen des Ordnungsrechts, weshalb sich der Rückgriff auf dessen Regelungen geradezu anbietet. 49 Näher dazu Münzberg, in: Stein/Jonas, § 758, Rdnrn. 2 ff. 50 BVerwG DÖV 1974, 207 (208 f.); OVG Münster DVBl 1979, 733 (733); BVerfG NJW 1980, 2572 (2572). 51 Teilweise finden sich diesbezüglich ausdrückliche Regelungen in den Polizeigesetzen der Länder, zum Beispiel § 1 Abs. 3 SPolG; § 1 Abs. 2 PolG NW. 52 So OVG Münster DVBl 1968, 759 (759). 53 So OVG Münster DVBl 1968, 759 (759).
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
kungstitel vorliegt,54 dessen gewaltsame Durchsetzung dem Gläubiger selbst versagt ist. Das staatliche Gewaltmonopol bedingt hier notwendigerweise das Tätigwerden staatlicher Organe, die mithin nicht allein das private Forderungsinteresse des Gläubigers verfolgen, sondern auch das staatliche Interesse an einem schonenden Gewalteinsatz. Bedenken gegen eine Tätigkeit der Polizei- und Ordnungsbehörden können sich allenfalls aus einer vorrangigen Zuständigkeit der Zwangsvollstreckungsorgane als Sonderordnungsbehörden ergeben. Diese etwaige Aufgabenverteilung innerhalb der Verwaltung würde aber noch keine gesonderten Eingriffstatbestände rechtfertigen, da ja – wie aufgezeigt – das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Sicherheit den beiden bislang erörterten Prinzipien des Gewaltmonopols und des Durchsetzungsanspruchs des Gläubigers hinreichend Rechnung trägt. 2. Lücken im Bereich der Zwangsvollstreckung Wären die allgemeinen Eingriffstatbestände aus dem Polizei- und Ordnungsrecht ohne weiteres auch für die Zwangsvollstreckung geeignet, so hätte es zumindest in der Verwaltungsvollstreckung nicht der Begründung gesonderter Vollstreckungsgesetze bedurft. Zumindest wäre eine Verweisung und weitgehende Bezugnahme auf das Ordnungsrecht denkbar gewesen. Da die Verwaltungsvollstreckungsgesetze jedoch in weitaus größerem Umfang auf das achte Buch der Zivilprozessordnung Bezug nehmen, liegt die Vermutung nahe, dass gewisse Eigenarten der Vollstreckung keine Berücksichtigung im allgemeinen Ordnungsrecht finden. Dabei handelt es sich um zwei bedeutende Aspekte, die im Folgenden zu erörtern sind. Bislang völlig unberücksichtigt geblieben ist der Aspekt des Schuldnerschutzes, der aufgrund des intensiven Eingriffs in das Schuldnervermögen nach einer einfachgesetzlichen Ausprägung verlangt.55 Eine verfassungskonforme Auslegung der bekannten Eingriffstatbestände aus dem allgemeinen Ordnungsrecht würde nicht mehr den Schrankenanforderungen der betroffenen Grundrechte genügen. Zudem sind die Tatbestände des allgemeinen Ordnungsrechts auf die Durchsetzung staatlicher Rechtspositionen fixiert, nicht so sehr auf die Durchsetzung von Gläubigeransprüchen. Es mangelt hier insbesondere eine formalisierte Schnittstelle zum Privatrecht sowie eine Anknüpfung an die vorrangig nach Zivilrecht zu beurteilenden Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung. Auch unter diesem zuletzt genannten Gesichtspunkt, der gesondert im Rahmen der materiell-rechtlichen Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung zu erörtern sein wird,56 zeigt sich, dass ein Abgleich mit den bekannten Eingriffstatbeständen aus dem allgemeinen Ordnungsrecht sinnvoll ist, aber nicht ausreicht, um sämtliche in der Zwangsvollstreckung berührten Interessen sachgerecht zu 54 Später wird noch zu zeigen sein, dass es sich hier um einen staatlichen Verwaltungsakt handelt (s.u. § 11 IV 3). Dessen Vollziehung steht daher im öffentlichen Interesse und dient nicht ausschließlich dem Schutz privater Rechte. 55 Zum Schuldnerschutz sogleich unter III. 56 S.u. § 9 IV.
§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht
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erfassen. Im Folgenden sind daher zunächst die berührten Schuldnerinteressen auf eine mögliche Prinzipienbildung hin zu untersuchen.
III. Schutz des Existenzminimums Die Zwangsvollstreckung zeichnet sich durch ihre besondere Eingriffsintensität aus, die bis hin zur körperlichen Gewaltanwendung gegenüber dem Schuldner reicht. Die berührten Interessen des Schuldners bedürfen daher bei der Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung einer besonderen Berücksichtigung. 1. Die verfassungsrechtliche Komponente Die einzelnen Facetten der Zwangsvollstreckung sind dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Grundrechten des Schuldners berührt werden kann. Dass es überhaupt zu einem Grundrechtseingriff kommt, ist letztlich Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Indem der Staat dem Gläubiger die privatrechtliche Selbsthilfe untersagt und die Vollstreckung an sich zieht, unterwirft er die Vollstreckung zugleich den verfassungsrechtlichen Schranken der Grundrechte. Diese gelten nunmehr unmittelbar im Verhältnis zwischen dem staatlichen Vollstreckungsorgan auf der einen Seite und dem Schuldner sowie auch dem Gläubiger auf der anderen Seite.57 Die mit Art. 14 GG betroffene Grundrechtsposition des Gläubigers findet dabei Berücksichtigung in dem Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegenüber dem staatlichen Vollstreckungsorgan.58 Fraglich ist, wie sich hierzu die betroffenen Grundrechte des Schuldners verhalten. Dabei ist zunächst ebenfalls an Art. 14 GG zu denken, denn indem dem Schuldner ein Vermögensgegenstand entzogen wird, liegt auf den ersten Blick der Fall einer klassischen Enteignung mit Entschädigungspflicht vor. 2. Das Dominat des Gläubigerinteresses Unter dem klassischen Enteignungsbegriff wird im Gegensatz zur bloßen Inhalts- und Schrankenbestimmung jede final konkrete Entziehung eigentumsrechtlicher Positionen zur Inanspruchnahme für öffentliche Zwecke verstanden.59 Diese Voraussetzungen sind in der Zwangsvollstreckung erfüllt, so dass die 57 Der Vollstreckungsschutz ist also als Ausfluss der Grundrechte materiell-öffentlich-rechtlicher Natur. Anders Henckel, S. 350 ff., und Stürner, ZZP 1984, 501 (501), die dem Vollstreckungsschutz privatrechtlichen Charakter zuschreiben. Dagegen wendet sich mit Recht Lippross, Vollstreckungsschutz, S. 112 ff., 115 f., der den Vollstreckungsschutz dem öffentlichen Recht zuweist, dabei allerdings von einer prozessrechtlichen Natur ausgeht. Gegen diese Annahme spricht der Vergleich mit anderen Gebieten des Verwaltungsrechts, bei denen die grundrechtsrelevanten Fragen aus guten Gründen (ebenfalls) im materiellen Recht angeordnet sind. Den Anwendungsbereich der Grundrechte auf das dienende Verfahrensrecht beschränken zu wollen, stünde im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich verankerten Vorrang der Grundrechte. 58 S.o. § 2 II 1. 59 BVerfG DVBl 1991, 376 (377); BVerfGE 42, 263 (299), und zum klassischen Enteignungsbegriff insbesondere BVerfGE 58, 300 (330 ff.).
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 GG den Staat an sich zu einer Entschädigung verpflichten würde. Dabei bliebe jedoch die in der Zwangsvollstreckung auftretende Kollision mit dem gleichfalls betroffenen Grundrecht des Gläubigers aus Art. 14 GG unberücksichtigt.60 Will man nicht bereits die Eingriffsqualität der Zwangsvollstreckung mit Rücksicht darauf verneinen, dass dem Gläubiger ein Anspruch auf den Vermögensgegenstand des Schuldners zusteht und der staatliche Eingriff lediglich die zivilrechtlich legitimierte Vermögensverschiebung bezweckt, so bildet das konkurrierende Grundrecht des Gläubigers aus Art. 14 GG zumindest eine verfassungsimmanente Schranke, die die „entschädigungslose Enteignung“ des Schuldners rechtfertigt. Gesetzliche Ausprägung dieses Schrankenvorbehalts sind die Eingriffstatbestände im Zwangsvollstreckungsrecht. Im Ergebnis kann der Schuldner daher keine Verletzung des Art. 14 GG rügen. Seine diesbezüglichen Interessen sind nicht schutzwürdig und bedürfen mithin auch keiner einfachgesetzlichen Ausprägung im Recht der Zwangsvollstreckung.61 Das Gläubigerinteresse hat Vorrang.62 3. Verbleibender Schutz Lassen sich die im Bereich der Gewaltanwendung zu beachtenden Grundrechte, insbesondere Art. 2 Abs. 2 und Art. 13 GG, bereits in einer Parallele zu den bekannten Eingriffstatbeständen aus dem Ordnungsrecht berücksichtigen und ist dem Schuldner eine Berufung auf Art. 14 GG verwehrt, so verbleibt als Spezifikum der Zwangsvollstreckung der Eingriff in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG, die dem Schuldner in ihrer Gesamtschau den Bestand seines Existenzminimums gewährleisten sollen. Hier mangelt es an einer Parallele zu einfachgesetzlichen Bestimmungen des Verwaltungsrechts. Es kann auch nicht etwa auf das zu vollstreckende Schuldverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner und damit auf das Zivilrecht zurückgegriffen werden, da das Problem der Sicherung des Existenzminimums erst durch die staatliche Intervention auftritt. Verpflichteter dieses Prinzips ist der Staat, nicht der Gläubiger. Das Sozialstaatsprinzip gilt nicht, auch nicht etwa im Wege einer mittelbaren Grundrechtswirkung, im Privatrecht in der Form, dass dem Schuldner die freiwillige Verfügung über seine Vermögensgegenstände 60 Mit Nachdruck weist Stürner, ZZP 1986, 291 (322), daher darauf hin, dass es keine Vollstrekkungsverweigerung gibt, die nicht Grundrechte des Gläubigers berühren würde. Ebenso weisen Weyland, S. 36 ff., und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 8 III 4, auf die Grundrechtskollision zwischen Gläubiger und Schuldner hin. 61 Im Hinblick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG ist allenfalls an eine Benennung des betroffenen Grundrechts zu denken, sofern man einen Eingriff bejahen will. 62 Ebenso Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 8 III 5 a. Gerhardt, ZZP 1982, 467 (489), spricht davon, dass das Gläubigerrecht prävaliert. Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 20, 65, spricht von einer Gläubigerlastigkeit bzw. einem institutionellen Übergewicht des Gläubigers, das sich aus dem Zweck des Vollstreckungsrechts ableite. Das Interesse des Gläubigers stehe notwendigerweise im Mittelpunkt dieser Rechtsmaterie. Ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfahren diese Überlegungen durch die oben ausgeführten Bezüge.
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im Falle der Beeinträchtigung seines Existenzminimums untersagt wäre.63 Eine derartige Einschränkung der Privatautonomie durch das Sozialstaatsprinzip lässt sich über eine mittelbare Grundrechtswirkung nicht begründen. Es bedürfte einer gesetzlichen Intervention, die aber aufgrund der damit verbundenen Vermengung von zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Prinzipien nicht wünschenswert erscheint. Es handelt sich demzufolge nicht etwa um ein privatrechtliches Problem, dessen Lösung beispielsweise in Form von zivilrechtlichen Pfändungsschutzbestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch angesiedelt sein könnte, sondern um ein rein öffentlich-rechtliches Problem der Zwangsvollstreckung. 4. Lösungsmöglichkeiten Dass dem Schuldner sein Existenzminimum erhalten bleiben muss, daran führt aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Weg vorbei. Damit ist aber noch nicht entschieden, wer dieses Risiko im Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner zu tragen hat. Drei Lösungen sind denkbar: Entweder der Staat oder der Gläubiger tragen dieses Risiko allein oder es wird eine vermittelnde Lösung gewählt, die anhand bestimmter Kriterien das Risiko sachgerecht aufteilt.64 a) Vorrang des Gläubigers vor der staatlichen Sozialhilfeverpflichtung Geht man von dem Grundsatz aus, dass der Gläubiger gegen den Staat einen Anspruch auf Beitreibung des ihm gegen den Schuldner zustehenden Anspruchs hat, so lässt sich dieses Prinzip ohne Einschränkung nur dann bewahren, wenn allein dem Staat die Aufgabe zugewiesen wird, für das Existenzminimum des Schuldners Sorge zu tragen.65 Dem Gläubiger stünde dann de facto das Recht zu, das gesamte Vermögen des Schuldners zu zerschlagen, um seine Forderung zu befriedigen. Dieses Ergebnis veranschaulicht zugleich die wirtschaftliche Sinnlosigkeit einer derartig weitreichenden Zwangsvollstreckung. Sie würde in letzter Konsequenz in eine endlose Vollstreckungsschleife führen, die den Staat zum 63 Davon zu unterscheiden ist die Frage der Zulässigkeit vollstreckungsbeschränkender oder vollstreckungserweiternder Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner im Verhältnis gegenüber dem staatlichen Vollstreckungsorgan. Da hier das öffentlich-rechtliche Vollstreckungsverhältnis berührt ist, ist den Parteien eine Disposition über Art und Umfang der Vollstreckungsmaßnahmen verwehrt (s. dazu näher unter § 8 V 5 b). 64 Sehr illustrativ sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Schreiber, JR 1979, 236 (237), zum Verschleuderungsverbot des § 817 a ZPO. Aufgrund des Vorrangs des Gläubigerinteresses gelangt Schreiber zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Formvorschrift des § 817 a ZPO nicht zur Nichtigkeit der Versteigerung führt, sondern lediglich ihre Anfechtbarkeit bedingt. 65 In diese Richtung gehen die Äußerungen von Pawlowski, ZZP 1977, 345 (350 m.w.N. in Fn. 27, 363), sowie Werner, DGVZ 1986, 49 (55): „Das Vollstreckungsrecht darf nicht dazu missbraucht werden, dem Gläubiger die sozialen Aufgaben der Gemeinschaft zu überbürden, indem der Schuldner zu Lasten bzw. auf Kosten des Gläubigers seinen angemessenen Lebensstandard behält, der Allgemeinheit die Gewährung von Sozialhilfe und Notunterkunft erspart bleibt. … Vollstreckungsschutz dient nicht dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der öffentlichen Fürsorge.“
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Subventionär der privaten Zwangsvollstreckung degradieren würde.66 Der Staat kann nicht mit der einen Hand dem Schuldner zugunsten des Gläubigers nehmen, was er mit der anderen Hand wieder zurückgewähren müsste.67 Der Staat könnte dann genauso gut seine Sozialleistungen auf direktem Wege an den Gläubiger weiterleiten, um die mit der Zwangsvollstreckung einhergehende Wertminderung zu verhindern. Eine Überlegung, die die Sinnlosigkeit eines derartigen Modells nur untermauert. Aber auch unter dogmatischen Gesichtspunkten treten schwerwiegende Bedenken auf, die sich aus einem ehernen Grundsatz des Privatrechts ableiten, der in gleicher Weise auch im öffentlichen Recht Geltung beansprucht. Den vertraglichen Regelungen der §§ 331, 401, 404 BGB ist ebenso wie dem Bereicherungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Grundsatz zu entnehmen, dass im DreiPersonen-Verhältnis jeder Beteiligte nur das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners zu tragen hat und niemandem ein fremdes Insolvenzrisiko aufgebürdet werden darf.68 Dieses Prinzip ist auf den Gedanken zurückzuführen, dass es letztlich in der Hand des Gläubigers liegt, wen er sich zum Vertragspartner wählt. Er muss dann auch dessen Insolvenzrisiko tragen. Die Überlegungen sind im Bereich der vertraglichen und bereicherungsrechtlichen Ansprüche unmittelbar auf die Zwangsvollstreckung übertragbar. Gegen eine weitergehende Erstreckung auf gesetzliche Ansprüche könnten Fallszenarien eingewandt werden, in denen der Gläubiger letztlich keine Einflussmöglichkeit auf die Person seines Schuldners hat.69 Man denke nur an den Bereich der deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche. Selbst hier steht der Gläubiger dem Schuldner aber näher als der unbeteiligte Staat, da sich der Gläubiger zumeist in irgendeiner Form selbst in die Gefahr begeben hat. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Staat in diesen Bereichen, in denen die Tragung des Insolvenzrisikos seitens des Gläubigers zu unzumutbaren Härten führen würde, den Gläubiger durch gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherungen absichert. Wenn auch wirtschaftlich gesehen damit das Insolvenzrisiko auf die Allgemeinheit abgewälzt wird, bleibt rechtstechnisch der Schuldner das haftende Subjekt. Es besteht daher auch in der Zwangsvollstreckung keine Veranlassung, von der grundsätzlichen Verteilung des Insolvenzrisikos im Dreiecksverhältnis abzuweichen. b) Versagung jeglicher Zwangsvollstreckung unterhalb des Existenzminimums Nach den bisherigen Überlegungen läge es auf der Hand, dem Gläubiger jegliche Zwangsvollstreckung unterhalb der Schwelle des Existenzminimums zu versa66 Mit Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe der Allgemeinheit sei, für die Schulden des Vollstreckungsschuldners aufzukommen, so etwa Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 (7); Schneider/Becher, DGVZ 1980, 177 (179); Mohrbutter, § 12 III. 67 So mit Recht Behr, Rpfleger 1981, 417 (423). 68 Diese Wertungskriterien hat Canaris, in: Festschrift für Larenz, S. 799 (802 f.), entwickelt; ebenso Medicus, Rdnrn. 666 f.; Stadler, in: Jauernig, § 812, Rdnr. 22. 69 Das hier angesprochene Problem der Vorhersehbarkeit wirkt sich in ähnlicher Weise auch bei der Diskussion um das Prioritätsprinzip und die Verlustgemeinschaft aus, s.u. § 9 IV 2.
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gen. Die Frage ist nur, wie diese Schwelle zu ermitteln ist. Konsequent wäre es, diese Schwelle in Anknüpfung an die Insolvenz durch Gegenüberstellung sämtlicher Aktiva und Passiva zu bestimmen und bei Unterschreitung eines zahlenmäßig zu bestimmenden Limits jegliche Zwangsvollstreckung zu versagen. Damit wäre zugleich der Übergang von der Einzelvollstreckung zur Insolvenz markiert. Allein eine solche Lösung wäre nicht praktikabel. Denn es fehlen in der Einzelvollstreckung die Mittel, die Vermögenssituation des Schuldners bilanziell zu erfassen.70 Im Ergebnis bleibt daher nur die Alternative, jeweils anhand der konkreten Vermögensgegenstände eine Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Dass damit die öffentliche Hand in geringem Umfang zum Sponsor der Einzelvollstreckung wird, ist unausweichlich. Fehlen dem Schuldner beispielsweise Gegenstände, auf die er gegenüber dem Sozialamt einen zwingenden Anspruch hat, so lässt sich deren Wert nicht an anderer Stelle, beispielsweise bei pfändbaren Luxusgegenständen, in Abzug bringen. c) Beschränkung des Schuldnerschutzes auf die Geldvollstreckung Es wäre wünschenswert, wenn die Nahtstelle zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung parallel zu der Grenze zwischen dem Anspruch des Gläubigers auf Beitreibung seines Anspruchs und der Verpflichtung des Staates zur Gewährung von Sozialleistungen vorgenommen werden könnte. Da die Praxis eine solche Lösung hingegen nicht zulässt, stellt sich die Frage, wie zumindest näherungsweise eine Schnittstelle gebildet werden kann. Der Gesetzgeber hat diese Frage bereits beantwortet. In nahezu jeder zivilisierten Rechtsordnung finden sich Kataloge von Pfändungsschutzvorschriften, wie sie auch der Zivilprozessordnung bekannt sind.71 Das achte Buch der Zivilprozessordnung normiert eine ganze Phalanx von Unpfändbarkeiten.72 Markant ist daran, dass sich diese Vorschriften auf den Bereich der mittelbaren Geldvollstreckung beschränken. Lediglich für diesen Bereich werden Aussagen über die Pfändbarkeit von Vermögensgegenständen getroffen. So werden bewegliche Gegenstände, die dem Existenzminimum unterfallen, insbesondere in § 811 ZPO namhaft gemacht. Die Vorschriften der §§ 850 ff. ZPO regeln die Grenzen des pfändbaren Arbeitseinkommens und anderer für den Erhalt des Existenzminimums maßgeblicher Einnahmequellen.73 70 Den Aspekt der hohen Kosten und des hohen Aufwands der Vermögenserfassung des Schuldners stuft Brehm, DGVZ 1986, 97 (100), als maßgebliches Argument für die Entscheidung gegen das Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger in der Einzelvollstreckung ein. 71 Stürner, ZZP 1986, 291 (320), mit weiteren Nachweisen. In Frankreich findet sich beispielsweise eine den §§ 811 ff., 850 ff. ZPO sehr ähnliche Regelung in L.Art. 14, D.Art 38, 39. Ausführlich dazu Traichel, S. 77 ff. 72 Näher dazu Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 18. 73 Interessant ist, dass eine Pfändungsschutzbestimmung für Immobilien in Europa nicht besteht, wohl aber in den Vereinigten Staaten in Form der „homestead exemption“ eine gesetzliche Grundlage findet, die das private Wohngebäude bis zu einem einzelstaatlich sehr verschiedenen Höchstwert vor Pfändung schützt (weitere Nachweise dazu finden sich bei Stürner, ZZP 1986, 291 (320)).
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Von prinzipiellem Interesse ist dabei der Umstand, dass sich diese Pfändungsschutzvorschriften auf die mittelbare Geldvollstreckung beschränken. So unterliegen etwa die Vorschriften über die Herausgabevollstreckung keinem Pfändungsschutz zugunsten den Schuldners.74 Ist diese Lösung sachgerecht? Die sich an den konkreten Vollstreckungsobjekten orientierenden Pfändungsschutzvorschriften gewährleisten die erforderliche Praktikabilität in der Einzelvollstreckung. Es kann jeweils nur an die Eigenarten des zu pfändenden Vermögensgegenstandes angeknüpft werden, um eine etwaige Unpfändbarkeit für das Vollstreckungsorgan prüfbar zu machen. Warum aber sind die Pfändungsschutzvorschriften auf die Geldvollstreckung beschränkt und lassen andere Vollstreckungsarten unberührt? Die Antwort ist darin zu sehen, dass die Eingriffsintensität in das Grundrecht des Gläubigers aus Art. 14 GG im zuletzt genannten Bereich nicht mehr durch Schranken gedeckt wäre. Am besten lässt sich dies anhand der Herausgabevollstreckung der §§ 883 ff. ZPO erläutern, welcher sowohl die dinglichen Herausgabeansprüche als auch die schuldrechtlichen Herausgabeansprüche unterfallen. Dass der Gläubiger bei der Vollstrekkung in ihm gehörende Gegenstände, die ohne weiteres zulässig ist,75 nicht auf eine Unpfändbarkeit verwiesen werden kann, liegt auf der Hand. Wollte man den Pfändungsschutz auch auf die Erfüllung dinglicher Herausgabeansprüche erstrecken, so käme dies einer entschädigungslosen Enteignung gleich. Nicht anders verhält es sich aber bei schuldrechtlichen Ansprüchen, die im Falle von Pfändungsbeschränkungen ebenfalls vereitelt würden. Dies ließe sich allenfalls aufgrund einer drohenden Insolvenz des Schuldners rechtfertigen, die aber in der Einzelvollstreckung nicht nachweisbar ist. Demzufolge lässt sich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung in Form der Unpfändbarkeit einzelner Vermögensgegenstände außerhalb der Geldvollstreckung verfassungsrechtlich nicht absichern. Selbst wenn man im Rahmen schuldrechtlicher Herausgabeansprüche eine andere Gewichtung vornehmen wollte als bei Herausgabeansprüchen aus dem Eigentum, würde es erneut an der Praktikabilität mangeln, da dem Herausgabetitel nicht ohne weiteres die Rechtsnatur des Anspruchs anzusehen ist. 74 Davon zu unterscheiden ist das umgekehrte Problem, ob im Falle einer Pfändung des dem Gläubiger selbst gehörenden Gegenstandes die Pfändungsschutzbestimmungen des § 811 ZPO zu vernachlässigen sind. Zum Teil wird im Hinblick auf die Möglichkeit der Herausgabevollstrekkung gemäß § 883 ZPO der Arglisteinwand zugelassen und ein Schuldnerschutz verneint, so OLG München, MDR 1971, 580; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 811, Rdnr. 6; Geißler, DGVZ 1990, 81 (85). Nach der h. M. steht dem hingegen der Grundsatz der Formalisierung im Wege, weswegen der Gläubiger auf die Herausgabevollstreckung zu verweisen ist, so OLG Hamm, MDR 1984, 855 (855 f. m.w.N.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 811, Rdnr. 15; ders./Brehm/Alisch, DGVZ 1980, 72 (72), mit Überlegungen de lege ferenda nach französischem Vorbild, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 811, Rdnr. 4. Für diese zuletzt genannte Meinung sprechen auch die nachfolgenden verfassungsrechtlichen Überlegungen zur unterschiedlichen Eingriffsintensität (s. dazu auch die Anmerkung in der nachfolgenden Fußnote 76). 75 BGH NJW 1955, 64 (64); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 804, Rdnr. 7; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 808, Rdnr. 10.
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Soweit mithilfe der Pfändungsschutzbestimmungen die Vollstreckbarkeit von Zahlungsansprüchen vereitelt wird, liegt hingegen nur ein mittelbarer Grundrechtseingriff vor.76 Nicht das unmittelbare Objekt der Vollstreckung in Form von Zahlungsmitteln wird dem Zugriff des Gläubigers entzogen, sondern anderweitige Vermögensgegenstände des Schuldners, auf die der Gläubiger keinen direkten Zugriffsanspruch hat. Mit anderen Worten wird nicht ein primärer Erfüllungsanspruch vereitelt, sondern lediglich der Umfang des subsidiär haftenden Vermögens eingeschränkt. Es handelt sich mithin nicht mehr um eine klassische Enteignung, sondern allenfalls noch um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, die jedoch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums entspricht, Art. 14 Abs. 3 GG. Eine weitergehende Überlegung untermauert, dass die derzeitige Beschränkung der Pfändungsschutzbestimmungen auf die Geldvollstreckung sachgerecht ist. Die Eigenart der Geldvollstreckung gegenüber der Vollstreckung wegen anderer Ansprüche liegt darin begründet, dass das gesamte Vermögen dem Zugriff des Vollstreckungsorgans unterliegt. Es besteht daher die erhöhte Gefahr, dass dem Schuldner seine Lebensgrundlage entzogen wird. Hielte man eine vergleichbare Gefahr auch bei der gezielten Vollstreckung in einzelne Vermögensgegenstände des Schuldners für gegeben, so müsste man unter Berücksichtigung des sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatzes den Pfändungsschutz auf jegliche staatlichen Eingriffe ausdehnen. Denn dabei handelt es sich ebenfalls um die Vollstreckung von Leistungsansprüchen, wenn auch der Staat hier als Gläubiger in Erscheinung tritt. Derartige Überlegungen sind aber bislang auch im öffentlichen Recht nicht angestrengt worden, so dass im Bereich der anderweitigen Vollstreckung selbst aus Sicht des Vollstreckungsschuldners sein Interesse am Erhalt des Existenzminimums nicht ernsthaft berührt zu sein scheint. Ein Pfändungsschutz zu Lasten des Gläubigers ist daher außerhalb der Geldvollstreckung nicht geboten. 5. Ergänzung Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung? An dieser Stelle ist noch einmal auf die Überlegungen im ersten Teil der Arbeit zur Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung zurückzukommen. Dort wurde eine Erweiterung der Begriffsbestimmung um das Element des Schuldnerschutzes mit Rücksicht auf das Dominat des Gläubigerinteresses abgelehnt.77 Diese Überlegung hat sich hier bewahrheitet. Die Gewährleistung des Existenz76 Diese Überlegung rechtfertigt es zugleich, dass die h. M. dem Schuldner den Pfändungsschutz des § 811 ZPO auch dann gewährt, wenn die Zwangsvollstreckung in einen dem Gläubiger selbst gehörenden Gegenstand betrieben wird (zum Streitstand s. bereits die Anmerkungen in Fn. 74). Ist dem Gläubiger nicht allein an der Befriedigung seines Zahlungsanspruchs gelegen und begehrt er die Herausgabe eines ihm gehörenden Gegenstandes, muss er den Weg der Herausgabevollstreckung gemäß § 883 ZPO beschreiten. Ein Pfändungsschutz kommt hier gemäß den obigen Überlegungen nicht zur Anwendung. 77 S.o. § 2 III 4.
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minimums markiert allein das den Gläubiger ohnehin treffende Insolvenzrisiko des Schuldners. Eine begriffliche Erweiterung des Zwangsvollstreckungsrechts um den Schuldnerschutz ist daher nicht geboten; es handelt sich lediglich um ein materiell-rechtliches Prinzip.78 Zugleich ist damit dem Argument zu begegnen, der Fiskus werde in der Zwangsvollstreckung durch die Pfändungsschutzbestimmungen unzulässig privilegiert, indem der Gläubiger für das Existenzminimum des Schuldners aufzukommen habe.79 Dieses Risiko spiegelt allein das allgemeine Insolvenzrisiko wieder, das der Gläubiger zu tragen hat80 und das für ihn vorhersehbar ist.81 Die staatliche Fürsorgeverpflichtung tritt erst unterhalb dieser Schwelle ein, sobald der Schuldner nicht einmal mehr in der Lage ist, für sein Existenzminimum Sorge zu tragen.82 Soweit hingegen der Schuldnerschutz in umgekehrter Stoßrichtung überbetont und der grundsätzliche Vorrang des Gläubigerinteresses vernachlässigt wird, droht ein Zustand, in dem der Schuldner sich wegen weitgehender Unpfändbarkeit des Urlaubsgeldes und der Weihnachtsgratifikation auf Teneriffa sonnt, während der Gläubiger in Schwierigkeiten gerät, wegen dieser Außenstände seinen Darlehensverpflichtungen nachzukommen.83 6. Ergebnis Als Quintessenz findet das Schuldnerinteresse in der Zwangsvollstreckung seine Berücksichtigung in dem allgemeinen Grundsatz, das Existenzminimum dem Zugriff des staatlichen Vollstreckungsorgans und damit dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen. Dieser Grundsatz entspringt dem materiellen Recht und entspricht dem Prinzip, dass jedermann das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners zu tragen hat. Dieses Prinzip markiert zugleich die Schnittstelle zwischen der Einzel- und der Gesamtvollstreckung. In der Praxis der Einzelvollstreckung lässt sich jedoch nur eine annähernde Schnittstellenbestimmung vornehmen, die auf den jeweiligen Vollstreckungsgegenstand fixiert ist. Bei dem daraus resultieren78 Selbst die Benennung als Prinzip mag verwundern. Doch hat diesbezüglich bereits Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 16 ff., darauf hingewiesen, dass hier insbesondere die sozialstaatlichen Erwägungen zu berücksichtigen sind. Diese leiten sich ihrerseits aus dem staatlichen Gewaltmonopol ab. 79 In diese Richtung gehen die Äußerungen von Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 18: Die Pfändungsschutzbestimmungen „stellen aber auch insofern einen Störfaktor dar, als sie den Gläubigern einen Sozialschutz auferlegen, der primär in den Aufgabenbereich des Staates fällt.“ S. dazu auch die Anmerkung in der nachfolgenden Fußnote. 80 So auch Behr, Rpfleger 1981, 417 (423): „Diese zwingend öffentlich-rechtlichen Schranken stellen deshalb auch keine Überbürdung von staatlichen Aufgaben auf den Gläubiger dar.“ 81 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 19, betont den Aspekt der Vorhersehbarkeit als Rechtfertigung für die vermeintliche Auferlegung des Sozialschutzes gegenüber den Gläubigern (s. dazu auch schon die Anmerkung in der vorstehenden Fußnote). 82 Bedenklich ist demgegenüber die ausufernde Anwendung des § 765 a ZPO. Diesbezüglich hat schon Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 19, von einer „Erosion des Vollstrekkungsrechts“ gesprochen. Näher zum Vollstreckungsschutz gemäß § 765 a ZPO im sechsten Teil unter § 33. 83 So anschaulich Werner, DGVZ 1986, 49 (55).
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den Katalog von Pfändungsschutzbestimmungen handelt es sich quasi um eine typenfixierte Insolvenz. Sind außerhalb des Pfändungsschutzkataloges keine Vermögensgegenstände vorhanden, indiziert dies die Insolvenz. Es erweist sich als sachgerecht, den Schuldnerschutz auf die Geldvollstreckung zu beschränken, da nur hier aus Sicht des Schuldners eine begründete Gefährdung des Existenzminimums anzunehmen ist. Umgekehrt ist der Eingriff in das zu Gunsten des Gläubigers streitende Prinzip der Vollstreckbarkeit seines Anspruchs verfassungsrechtlich abgesichert. Der Schuldnerschutz findet daher seine Konkretisierung in dem Begriff des Pfändungsschutzes, der den Bereich der mittelbaren Geldvollstreckung kennzeichnet. Zugleich ist mit dem Pfändungsschutz die Grenze des dem Gläubiger gegen den Staat zustehenden Vollstreckungsanspruchs erreicht. Dieses letztgenannte Prinzip wird also auf der einen Seite durch ein eingeschränktes Selbsthilferecht zugunsten des Gläubigers flankiert und auf der anderen Seite durch den Pfändungsschutz zugunsten des Schuldners begrenzt.
IV. Schuldnerschutz durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes? Die Interessen im Dreiecksverhältnis Gläubiger – Staat – Schuldner sind durch die bislang gewonnenen Prinzipien in Form des Vollstreckungsanspruchs des Gläubigers, des staatlichen Gewaltmonopols und des Pfändungsschutzes zugunsten des Schuldners abgesteckt. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob und inwieweit die Interessen der Beteiligten durch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlagert sein können. 1. Der Streit in Rechtsprechung und Literatur In der Literatur besteht weitgehende Zurückhaltung bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,84 der die Rechtssicherheit und Durchschlagskraft des Vollstreckungsrechts stark in Frage stelle.85 Es wird die Ansicht vertreten, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlange eine völlig andere Bewertung in der Zwangsvollstreckung, da hier das staatliche Handeln gegenläufige private Rechtsgüter schützen solle – anders als beim bloßen Gegenüber von öffentli84 Jauernig, Vorwort, 15. Aufl., prophezeit trübe Aussichten für eine effiziente Zwangsvollstreckung, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (auch) hier zum Maßstab werde. Zustimmend Schumann, NJW 1981, 1031 (1031), und Peters, in: Festschrift für Baur, S. 549 (552 ff.). Differenzierend äußert sich Gerhardt, ZZP 1982, 467 (484): „Damit rechtfertigt sich auch hier der Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – allerdings nur insoweit, als die Rechtsdurchsetzung selbst gewährleistet erscheint.“ 85 In diesem Sinne äußert sich Werner, DGVZ 1986, 49 (50), der weiter ausführt: „Einem allgemeinen Zeitgeist – eher Zeitungsgeist – entsprechend wird der Schuldner als das arme Opfer eines gierigen Gläubigers gesehen, ersterer muss gegen letzteren geschützt werden.“ Ebenso kritisch Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (36).
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
chen und privaten Interessen.86 Es seien daher vorrangig die traditionellen Prinzipien des Vollstreckungsrechts heranzuziehen und erst dann in vorsichtigem Umfang verfassungsrechtliche Maßstäbe.87 Mit ähnlichen Argumenten wird die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch gänzlich verneint.88 Dieser Grundsatz finde seinen Platz im klassischen Verwaltungsrecht, nicht aber in dem stärker horizontal geprägten Vollstreckungsverhältnis.89 Da es sich zudem nur um eine „Willkürschranke“ handele, müsse dies erst recht im Vollstreckungsrecht gelten, in dem dem Gläubigerrecht naturgemäß der Vorrang gebühre.90 Das Bundesverfassungsgericht äußert sich ähnlich vorsichtig und führt u.a. aus, dass ein milderes Mittel der Vollstreckung nicht erkennbar sei und der Schuldner die Vollstreckung durch die freiwillige Erfüllung jederzeit selbst abwenden könne.91 Abweichend hiervon tendiert der Verfassungsrichter Böhmer in seinem bekannten Sondervotum dazu, dem Vollstreckungsorgan im Bereich der Immobiliarvollstreckung bei geringen Forderungsbeträgen eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit aufzuerlegen.92 Ähnlich weitgehend äußern sich auch einzelne Stimmen in der Literatur.93 Wer hat nun Recht? Die folgende Untersuchung wird zeigen, dass die Lösung – wie so oft – in der Mitte anzusiedeln ist und das eigentliche Problem nicht die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, sondern die vorrangige Sachverhaltsaufklärung. Es handelt sich mithin nicht so sehr um ein materiell-rechtliches, sondern eher um ein verfahrensrechtliches Problem.
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Stürner, ZZP 1986, 291 (296). Stürner, ZZP 1986, 291 (296). Ähnlich zurückhaltend Götte, S. 286 ff. 88 So etwa von Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 66. Soweit Henckel, S. 350 ff., die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem von ihm entwickelten privatrechtlichen Verständnis der Zwangsvollstreckung ablehnt, kann dem schon nach dem hier entwikkelten öffentlich-rechtlichen Verständnis der Zwangsvollstreckung nicht gefolgt werden. Ebenso ablehnend bereits Weyland, S. 29 ff. 89 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 5 a; Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (309). Ähnlich Götte, ZZP 1987, 412 (414 ff.), und unter Bezugnahme auf die grundsätzlichen Ausführungen von Bethge, NJW 1982, 1 (3), auch Gerhardt, ZZP 1982, 467 (490): „Es geht hier insoweit mit den Worten Bethges um das staatsdistanzierte horizontale Zusammenwirken der einzelnen Rechtsgenossen, nicht um die vertikale Komponente zwischen Staat und Grundrechtsträger, die u.a. auch unter dem Postulat der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit steht.“ Ebenso zuletzt auch Keip, S. 276 f. 90 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 5 a und b. 91 BVerfGE 61, 126 (135). 92 Böhmer, BVerfGE 49, 220 (233 f.), führt aus: „Die Reichsverfassung des Jahres 1871 … kannte keine Grundrechte. Zweifel können insbesondere hinsichtlich der Frage bestehen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den für die Zwangsvollstreckung maßgeblichen Vorschriften einen ausreichenden Ausdruck gefunden hat.“ Ablehnend Weyland, S. 124 ff., der mit Recht einwendet, dass dem Vollstreckungsorgan in der Regel die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen fehlen, um das jeweils mildeste Mittel zu erforschen. 93 Schlosser, ZZP 1984, 121 (121 ff.), und Wieser, ZZP 1985, 50 ff., 84 ff. Für die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit plädiert auch Stöber, in: Zöller, Vor § 704, Rdnr. 29. 87
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2. Zuordnung der Argumente von Befürwortern und Gegnern An dieser Stelle zeigt sich, dass die entscheidende Weichenstellung für die Beantwortung grundlegender Fragen der Zwangsvollstreckung bereits mit ihrer rechtlichen Qualifizierung vorgenommen wird. Die größten Bedenken gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes werden von denjenigen geäußert, die die Zwangsvollstreckung um jeden Preis der Zivilrechtspflege zuordnen wollen und vor einer vermeintlichen Herabstufung als bloßes Verwaltungsrecht zurückschrecken.94 Dass die in diesem Zusammenhang geäußerten Bedenken jedoch nicht stichhaltig sind, darauf ist bereits an früherer Stelle hingewiesen worden.95 Versteht man die Zwangsvollstreckung mithin als Verwaltungsrecht, so ist damit auch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorprogrammiert. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundrechtskataloges, der den Staat im Bereich der Eingriffsverwaltung zu größtmöglicher Zurückhaltung zwingt. Gerade diese Eingriffsverwaltung ist im Bereich der Zwangsvollstreckung betroffen, wenn man berücksichtigt, dass die körperliche Gewaltanwendung seitens des Gerichtsvollziehers die schärfste Form des staatlichen Eingriffs darstellt.96 Aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols kann hier keine Rede mehr davon sein, dass das Vollstreckungsverhältnis stärker horizontal geprägt wäre.97 Dem Gläubiger ist im Bereich der Gewaltanwendung jede „horizontale“ Einflussnahme verwehrt, so dass zivilrechtliche Fragen hier nicht relevant sind.98 In der Vertikale zwischen Staat und Schuldner kommen die Grundrechte unmittelbar zur Geltung und damit zwangsweise auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Damit ist aber noch keine Aussage über das Ergebnis der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ge94 So insbesondere Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 5: „Der mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat seinen angestammten Platz im klassischen Verwaltungsrecht, im vertikalen Eingriffsverhältnis Staat – Bürger und kann deshalb nur mit größter Zurückhaltung auf das stärker horizontal geprägte Vollstreckungsverhältnis des Gläubigers zum Schuldner übertragen werden.“ Ebenso schon Gaul, JZ 1974, 279 (282, 284 f.). 95 S.o. § 4 VI 3 und 4. 96 Dies übersieht insbesondere Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 66 f., der befürchtet, dass sich das Vollstreckungsrecht mit der mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einhergehenden Aufhebung des Wahlrechts des Gläubigers des wohl wirksamsten Druckmittels begeben würde. Dem Gläubiger dürfe als Privatperson nicht eine für das Verhalten des Staates reservierte Maxime aufoktroyiert werden, bloß weil er gezwungen sei, sich des staatlichen Instrumentariums zu bedienen. Diese Überlegungen stehen im krassen Widerspruch zum staatlichen Gewaltmonopol. Im Übrigen führt die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur in den seltensten Fällen zur Unangemessenheit einer Vollstreckungsmaßnahme, was nachfolgend zu zeigen sein wird. 97 So aber insbesondere Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 5 (s. dazu schon das Zitat in Fn. 94), und Götte, ZZP 1987, 412 (414). Ähnlich auch Gerhardt, ZZP 1982, 467 (485, 489): „Soweit es konkret um das Verhältnis Gläubiger – Schuldner geht, muss zunächst eine Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausscheiden, was die Relation Forderungshöhe und Eingriff bzw. beim Schuldner zu erwartender Schaden anlangt.“ 98 Dies übersieht Götte, ZZP 1987, 412 (414 ff.), der dem Staat die Verfolgung eigener Interessen in der Zwangsvollstreckung abspricht.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
macht. Es sind vielmehr sorgfältig die Abstufungen der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Kerninhalt der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Abwägung der betroffenen Interessen bzw. Rechtsgüter. Man spricht von der Mittel-Zweck-Relation. Der Zweck im Bereich der Zwangsvollstreckung liegt in der Erfüllung der Gläubigeransprüche. Das Mittel dazu, die staatliche Gewaltanwendung, beinhaltet eine Beeinträchtigung der betroffenen Grundrechte des Schuldners. In diesem Zusammenhang ist bereits darauf hingewiesen worden, dass dem Gläubiger im Rahmen des Art. 14 GG der Vorrang gebührt, da die bezweckte Vermögensverschiebung lediglich der Durchsetzung der zivilen Rechtslage dient.99 Die Vermögensentziehung als solche, der beabsichtigte Zweck, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Das Mittel, die Gewaltanwendung und der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte des Schuldners, muss aber geeignet, erforderlich und angemessen sein. a) Die Eignung der Gewaltanwendung Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie den erstrebten Erfolg in irgendeiner Weise zu erreichen vermag.100 Demzufolge sind zwei bekannte Schranken einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme zu beachten. Ihr fehlt bereits jegliche Eignung, wenn sich von der Verwertung des zu pfändenden Gegenstands ein Überschuss über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht erwarten lässt. Gemäß § 803 Abs. 2 ZPO hat die Pfändung daher in diesem Falle zu unterbleiben. Entsprechendes gilt, wenn das Existenzminimum des Schuldners unterschritten wird und keine Liquidität mehr gegeben ist. Diese Schranke wird durch die Pfändungsschutzbestimmungen und die Regelungen zur Insolvenz gewährleistet. Im Übrigen kann einer Vollstreckungsmaßnahme die Eignung zur Beitreibung kaum abgesprochen werden,101 da es an dieser Stelle auf das Ausmaß der Förderung und die Effektivität des Mittels nicht ankommt.102 b) Erforderlichkeit der Vollstreckungsmaßnahme Die Erforderlichkeit setzt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit voraus, dass kein weniger einschneidendes, aber gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht.103 Dieses Problem wird zumeist unter dem Stichwort des gradus executionis, der bestimmten Reihenfolge der Vollstreckungsmaßnahmen, erörtert. Dieser Punkt berührt damit nicht das Ob der Zwangsvollstreckung, sondern nur die Frage 99
S.o. III 2. Maurer, § 10, Rdnr. 17; von Münch, Rdnr. 255. 101 Eine Ausnahme bilden hier nur die in § 803 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 ZPO geregelten Fälle der Überpfändung und der nutzlosen Pfändung. Der Vollstreckungsmaßnahme fehlt hier schon die Eignung, den Gläubiger zu befriedigen. Ähnliche Regelungen finden sich in der französischen Vollstreckungsordnung in L. Art. 22 I 2. Dazu Traichel, S. 73. 102 Näher dazu von Münch, Rdnr. 255. 103 Maurer, § 10, Rdnr. 17. 100
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nach dem Wie, nach der konkreten Vollstreckungsmaßnahme. Dieses Problem ist daher Gegenstand einer gesonderten Analyse sogleich im Anschluss an die Problematik des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. c) Angemessenheit der Vollstreckungsmaßnahme Ist die Vollstreckungsmaßnahme geeignet und erforderlich, so ist im letzten Schritt zu untersuchen, ob sie auch angemessen ist. D.h., dass der verfolgte Zweck nicht außer Verhältnis zu dem Mittel, der Grundrechtsbeeinträchtigung des Schuldners, stehen darf.104 Im Rahmen dieser Güterabwägung kommen die zivilrechtlichen Besonderheiten, wegen derer in der Literatur mitunter die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verneint wird, zum Tragen. Da der Staat mit der Zwangsvollstreckung einen zivilrechtlichen Zweck verfolgt, muss er bei der Güterabwägung dieser tatsächlichen Ausgangslage Rechnung tragen. Eine zivilrechtliche Prüfung unter Durchbrechung des Formalisierungsprinzips ist damit hingegen nicht verbunden. Von Bedeutung ist allein der Umstand, dass dem Gläubiger aufgrund des titulierten Anspruchs der Vorrang gebührt.105 Die auf der Waagschale des Gläubigers liegende Grundrechtsposition in Form von Art. 14 GG wird nicht immer hinreichend berücksichtigt.106 Der Schuldner ist demgegenüber kaum schutzwürdig, da er die Zwangsvollstreckung durch seine unberechtigte Leistungsverweigerung selbst herbeigeführt hat und sie jederzeit durch eine freiwillige Leistung abwenden kann.107 Der Schuldner verhält sich daher widersprüchlich, wenn er einerseits die Leistung verweigert, andererseits aber die Beeinträchtigung seiner Grundrechte rügt. Ist er hingegen nicht zu der Leistung imstande, so fehlt der Zwangsvollstreckungsmaßnahme bereits ihre Eignung. An der mangelnden Angemessenheit kann es der Zwangsvollstreckungsmaßnahme daher nur dann mangeln, wenn das beeinträchtigte Rechtsgut trotz der Vorrangstellung des Gläubigers höher zu gewichten ist als der Gläubigeranspruch. In diesem Zusammenhang sind die Fälle einer konkreten Lebensgefahr für den Schuldner108 anzusprechen, da nur eine derart schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung der Vollstreckungsmaßnahme ihre Angemessenheit nehmen kann. Die Schwierigkeiten sind dann aber regelmäßig weni104
Maurer, § 10, Rdnr. 17. Weyland, S. 53 ff., spricht daher von der Nichtübertragbarkeit des Prinzips der praktischen Konkordanz auf das Vollstreckungsrecht. Der verfassungsrechtliche Anspruch des Gläubigers gegen den Staat auf Rechtsdurchsetzung verbürge dem Gläubiger die Aufopferung von Grundrechten des Schuldners zu seinen Gunsten. 106 So mit Recht Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 65. 107 Darauf weisen zutreffend Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.18, hin. Wieser, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 96, 101, hat daher seinen Gesetzesvorschlag zur Kodifizierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Form eines § 765 b ZPO dahingehend abgeschwächt, dass eine etwaige Unverhältnismäßigkeit nicht zu berücksichtigen sei, sofern der Schuldner den Vollstreckungsakt ohne Schwierigkeiten abwenden könne. 108 Zu den einzelnen Fallkonstellationen statt vieler nur Münzberg, in: Stein/Jonas, § 765 a, Rdnr. 6. Näher zur dogmatischen Einordnung dieser Fallgruppen die Ausführungen unter § 33 zum Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO. 105
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
ger auf rechtlicher Ebene anzusiedeln als vielmehr auf der tatsächlichen Ebene, bei der Frage nach der tatsächlichen Risikobewertung. Diese wenigen Gedanken mögen genügen, um zu veranschaulichen, dass die Debatte um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung im Ergebnis wenig ergiebig ist. Der Diskussion fehlt die nötige Präzision. Den Befürwortern ist darin zuzustimmen, dass der Verhältnismäßigkeitsgedanke im Bereich der staatlichen Gewaltanwendung zwingend zu beachten ist.109 Umgekehrt ist den Gegnern darin Recht zu geben, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgrund des Gläubigerdominats und der Möglichkeit des Schuldners zur freiwilligen Leistung nur in den seltensten Fällen zu dem Ergebnis führen kann, die Zwangsvollstreckung als unverhältnismäßig und damit als rechtswidrig einzustufen. Es wäre hingegen falsch, deshalb die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gänzlich zu verneinen.110 Die Anwendung belegt vielmehr, dass die Zwangsvollstreckung in der Vielzahl der Fälle verhältnismäßig ist,111 jedenfalls insoweit, als ihre Einstellung nicht verlangt werden kann.
V. Einführung eines gradus executionis? Die materiell-rechtlichen Überlegungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haben ergeben, dass dessen Anwendung kaum zur Bewertung der Vollstreckung als unangemessen führen kann. Allein die Auswahl der konkreten Vollstreckungsmaßnahme mag im Einzelfall dem Verdikt der mangelnden Erforderlichkeit unterfallen, sofern eine gleich geeignete, aber für den Schuldner weniger einschneidende Vollstreckungsmaßnahme möglich ist. Insbesondere im Bereich der mittelbaren Geldvollstreckung legt das Postulat der Erforderlichkeit es deshalb nahe, eine Vollstreckungsreihenfolge hinsichtlich der in Betracht kommenden
109 Dies entspricht im Übrigen auch dem Ansatz des französischen Vollstreckungsrechts. Zu dessen Regelungen im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Gedankens eines Rechtsmissbrauchs ausführlich Traichel, S. 73 ff. 110 Als unnötig erweist sich daher auch der Ansatz von Götte, ZZP 1987, 412 (417 ff.), das öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip zu verneinen und durch die Hintertür des § 242 BGB gleichwohl ein privatrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip einzuführen. Götte bezeichnet dieses Vorgehen selbst als einen Umweg, der aber zu der wichtigen Konsequenz führe, dass nunmehr – aus privatrechtlicher Sicht des § 242 BGB – eine Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d.h. ein Abwägungsprozess zu Lasten der Gläubigerforderung, nicht mehr in Betracht komme. Die obigen Ausführungen zur Grundrechtskollision zwischen Gläubiger und Schuldner und zu dem daraus resultierenden Dominat des Gläubigerinteresses belegen jedoch, dass die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu keinen anderen Ergebnissen führt. Die Konstruktion eines zivilrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips erweist sich daher als unnötig (zur Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Verhältnismäßigkeitsprinzip s. auch noch die Ausführungen im Rahmen des § 765 a ZPO unter § 33 II). 111 Aus diesem Grund ist auch die Befürchtung von Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 67, unbegründet, der eine Lähmung des Vollstreckungsbetriebes befürchtet und in der weiteren Folge eine Benachteiligung des rechtstreuen Schuldners.
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Vollstreckungsobjekte aufzustellen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob es sich dabei um eine materiell-rechtliche oder eine verfahrensrechtliche Vorgabe handelt. 1. Der gradus executionis als materiell-rechtliches Prinzip Die Diskussion um einen gradus executionis ist dadurch geprägt, dass eine eindeutige Standortbestimmung fehlt.112 Zumeist wird die Frage nach einer Reihenfolge der Vollstreckungsmaßnahmen im Bereich der allgemeinen Verfahrensgrundsätze im Zusammenhang mit der Diskussion um die Dispositions- und Offizialmaxime erörtert.113 Begründet wird dieser Zusammenhang hingegen nicht. Der Gedanke, dass es sich um ein das Verfahren berührendes Prinzip handele, mag darauf zurückzuführen sein, dass dem Vollstreckungsorgan die Art und Weise des Vorgehens gesetzlich vorgeschrieben und ihm eine eigene Ermessensentscheidung genommen wird. Indes wäre auch eine solche Argumentation aus mehreren Gründen nicht tragfähig. Ein Zusammenhang mit der Dispositionsmaxime besteht schon deswegen nicht, weil diese die Frage der Verfahrensherrschaft zum Gegenstand hat, d.h. eine subjektive Komponente der Vollstreckung. Der gradus executionis betrifft hingegen die objektive Komponente der zu treffenden Maßnahme. Diese setzt eine materiell-rechtliche Ermächtigungsgrundlage voraus. Demzufolge ist die im Vorfeld anzusiedelnde Entscheidung über die Auswahl der zutreffenden Ermächtigungsgrundlage erst recht im materiellen Recht anzusiedeln. Die Entscheidung unterliegt notwendig dem Postulat der Verhältnismäßigkeit, das seinerseits durch den gradus executionis lediglich in einer Form zum Ausdruck kommen soll, die eine gesetzliche Konkretisierung möglich macht. Es wird eine Verlagerung von einer reinen Einzelfallentscheidung hin zu einer allgemein verbindlichen Vorgabe durch den Gesetzgeber angestrebt, sei es in statischer Form oder aber zumindest in Form einer Art Ermessensrichtlinie. Durch eine derartige Verlagerung verliert das materielle Recht jedoch nicht seinen Bedeutungsgehalt und wird zum Verfahrensrecht degradiert. Der dienende Gehalt des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht114 erschöpft sich vielmehr in der bereits angesprochenen Tatsachenermittlung zum Zwecke der Feststellung der denkbaren Entscheidungsalternativen. Dass das materielle Recht insoweit eine weitestmögliche Konkretisierung des Verfassungsrechts und mithin auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anstrebt, ist allein Ausfluss des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die Rechtsnatur des materiellen Rechts wird dadurch nicht beeinträchtigt.
112 Zu dem allgemeinen Problem der mangelnden Differenzierung zwischen formellen und materiellen sowie zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Prinzipien s. bereits oben unter § 6 IV. 113 Stürner, ZZP 1986, 291 (298 ff., 303 ff.); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.14. 114 Zum dienenden Charakter des Verfahrensrechts statt vieler etwa Kerwer, S. 1.
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2. Blick zu den europäischen Nachbarn Im Anschluss an die Standortbestimmung des gradus executionis als denkbares Prinzip der Zwangsvollstreckung stellt sich die Frage nach seiner möglichen Ausgestaltung. Ein gradus executionis war bereits im gemeinen Recht in der Form „mobilia, immobilia, nomina“ bekannt.115 Er hat sich in zahlreichen europäischen Nachbarländern in unterschiedlicher Ausprägung erhalten. So ist noch heute ein zumindest eingeschränkter gradus executionis in der Form, dass das Gesetz für den Regelfall eine Vollstreckungsreihenfolge vorgibt, durchaus geläufig. Im Einzelnen ergibt sich im Wege der Rechtsvergleichung das folgende Bild.116 a) Eingeschränkte Vollstreckungsreihenfolge in der Schweiz Art. 95 des schweizerischen Gesetzes zur Schuldbetreibung und zum Konkurs (SchKG) schreibt vor, dass in erster Linie das bewegliche Vermögen mit Einschluss der Forderungen gepfändet wird. Dabei fallen zunächst die Gegenstände des täglichen Verkehrs in die Pfändung; entbehrlichere Vermögensstücke werden vor den weniger entbehrlichen gepfändet. Das unbewegliche Vermögen wird nur gepfändet, soweit das bewegliche zur Deckung der Forderungen nicht ausreicht. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine starr vorgegebene Vollstreckungsreihenfolge, wie sich aus Absatz 4 und 5 des Art. 95 SchKG ergibt. Das Vollstrekkungsorgan kann von der gesetzlich vorgegebenen Reihenfolge abweichen, soweit es die Verhältnisse rechtfertigen oder Gläubiger und Schuldner es gemeinsam verlangen. Im Übrigen soll der Beamte, soweit tunlich, die Interessen des Gläubigers und des Schuldners berücksichtigen. b) Österreich: Gehaltsexekution vor Fahrnis- und Immobiliarexekution In Österreich existiert ein gesetzlich sowie richterrechtlich ausgeprägter gradus executionis. Die Gehaltsexekution als die wichtigste Form der Forderungsexekution hat grundsätzlich Vorrang vor der Fahrnisexekution, da diese häufig nur einen geringen Erlös zeitigt und andererseits den Schuldner mit der Wiederanschaffung gleicher Güter erheblich belastet.117 Die Fahrnisexekution geht ihrerseits bei Kumulation der Immobiliarexekution vor.118 Im Bereich der Immobiliarexekution geht die Zwangsverwaltung der Zwangsversteigerung vor. Das Bewilligungs- bzw. Exekutionsgericht kann auf Antrag des Verpflichteten die Zwangsversteigerung aufschieben und zugleich die Zwangsverwaltung einleiten, wenn die gesamte Forderung des betreibenden 115
Wetzell, § 50 I 1, S. 635. Generell ist zur Rechtsvergleichung im Rahmen der Prinzipienbildung anzumerken, dass das Gesamtbild der ausländischen Regelung immer im Auge behalten werden muss, Stürner, ZZP 1986, 291 (297). So hat etwa die Organisation der Vollstreckungsorgane zwangsläufig Einfluss auf die Durchführbarkeit eines gradus executionis. 117 Holzhammer, S. 240 f. 118 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.145. 116
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Gläubigers aus dem voraussichtlichen Ertragsüberschuss eines Jahres getilgt werden kann oder die jährlichen Überschüsse die zwischen den Parteien vereinbarten Annuitäten abdecken, § 201 Exekutionsordnung (EO). Diese Subsidiarität der Zwangsversteigerung beruht auf sozialpolitischen Erwägungen.119 Die Befriedigung aus vertraglichen Pfandrechten geht schließlich der anderweitigen Exekution vor. c) Frankreich: Begrenzte Subsidiarität der Sach- gegenüber der Forderungspfändung Unsere französischen Nachbarn bemühen sich seit einigen Jahren darum, einen selbständigen und einheitlichen „code de l’exécution forcée“ zu bilden. Bis 1992 galt in Frankreich nahezu unverändert der code de procédure civile von 1806. Noch die letzte Prozessrechtsreform aus dem Jahre 1976 ließ den Kernbereich des Vollstreckungsrechts unberührt, obwohl der Reformbedarf unabweisbar bestand. Mit dem Loi vom 9. Juli 1991 und dem Décret vom 31. Juli 1992 ist der Bereich der Mobiliar- und Forderungsvollstreckung grundlegend reformiert worden,120 die Reform der Immobiliarvollstreckung steht noch aus. Auf die Besonderheiten der französischen Vollstreckungsrechtsreform wird in den nachfolgenden Kapiteln jeweils gesondert einzugehen sein. An dieser Stelle interessiert insbesondere die Ausgestaltung der Mobiliarvollstreckung, der saisie-vente. Im Rahmen der Gesetzesreform hat der französische Gesetzgeber in eingeschränktem Maße einen gradus executionis angeordnet. Die private Sachpfändung in der Wohnung ist einer Wertgrenze von ursprünglich 3.500 FF unterworfen.121 Bewegt sich die zu vollstreckende Forderung unterhalb dieser Schwelle, so ist die Sachpfändung gegenüber der Forderungspfändung subsidiär, L.Art. 51, D.Art. 82. Sie darf nur mit richterlicher Genehmigung oder für den Fall, dass die Lohn- und Kontenpfändung erfolglos ausgeht, betrieben werden. Darüber hinaus gibt es keine weitere Ausnahmeregelung.122 Die angesprochenen Regelungen entsprechen dem Ziel der französischen Vollstreckungsrechtsreform, dem Interesse des Schuldners an einem schonungsvollen Umgang mit seinem Vermögen Rechnung zu tragen. Begründet wurde die Regelung insbesondere auch mit dem Verlust der Reputation des Schuldners im Falle einer Wohnungspfändung.123 Dessen ungeachtet kann die Rufschädigung im Falle der Lohnpfändung im Einzelfall wesentlich gravierender sein, zumal wenn 119
Holzhammer, S. 172. Hierzu sehr instruktiv ist die rechtsvergleichende Dissertation von Traichel sowie der kurze Überblick von Recq/Wilske, DGVZ 1994, 81 (81 ff.). Ein Überblick über die Grundzüge des französischen Zwangsvollstreckungsrechts vor der Reform findet sich bei Pirrung, DGVZ 1976, 1 (2 ff.). 121 Ausführlich dazu Traichel, S. 76, 106 ff. 122 Im Bereich der Immobiliarvollstreckung ist die Zwangsversteigerung – ähnlich wie in Österreich – ausgeschlossen, sofern der Jahresertrag des Grundstücks zur Gläubigerbefriedigung ausreicht, Art. 2212 CC. 123 Traichel, S. 107. 120
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
sie zu einer Entlassung führt. Die diesbezügliche Kritik124 leitet zu den Regelungen der deutschen Einzelvollstreckung über, die einen gradus executionis nicht kennt. 3. Einfluss der Vollstreckungsorganisation auf die Durchführbarkeit Eine gesetzlich vorgeschriebene Vollstreckungsreihenfolge ist dem deutschen Recht fremd,125 sie lässt sich auch nicht etwa im Wege der Analogie- oder eines Erst-recht-Schlusses aus den bestehenden Vorschriften der Zivilprozessordnung ableiten.126 Das hängt insbesondere mit der organisatorischen Eigenart der deutschen Vollstreckung zusammen, die insgesamt vier verschiedene Vollstreckungsorgane kennt.127 Aufgrund dieser Trennung käme zwischen den einzelnen Vollstreckungsorganen nur ein starrer gradus executionis ohne Ermessensspielraum in Betracht.128 Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die Vollstreckungsorgane bei unterschiedlicher Einschätzung wechselseitig in Untätigkeit verfielen. Demzufolge hat die deutsche Zivilprozessordnung bewusst von dem gemeinrechtlichen gradus executionis Abschied genommen; die Vollstreckung sollte für den Gläubiger effektiver gestaltet werden.129 Auf den ersten Blick erinnert daher nur noch die Vorschrift des § 866 Abs. 3 ZPO an den früheren Rechtszustand. Danach darf eine Zwangshypothek nur für eine Forderung von mehr als 750 Euro eingetragen werden.130 Mit dieser Regelung bezweckte der Gesetzgeber jedoch gerade nicht die Anordnung einer festen Vollstreckungsreihenfolge, sondern lediglich die Vermeidung einer Überlastung der Grundbücher.131 Ob dieser for124 Traichel, S. 107, schlägt daher ein Wahlrecht des Schuldners vor, lässt aber offen, wie dieses realisiert werden soll. 125 Zu nennen ist hier allenfalls § 131 Nr. 2 GVGA, nach dem der Gerichtsvollzieher zunächst Sachen pfänden soll, die der Schuldner am ehesten entbehren kann. 126 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 22, Fn. 44, weist im Gegenteil darauf hin, dass die Vorschriften der Zivilprozessordnung lediglich einen Umkehrschluss rechtfertigen, nach dem ein starrer gradus executionis gesetzlich ausgeschlossen ist. 127 Hätte sich der Gesetzgeber hingegen gemäß dem Entwurf einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 für eine Zentralisierung entschieden, wäre eine gradus executionis wohl eher denkbar gewesen. Auf diesen Zusammenhang von Organisation und Vollstreckungsreihenfolge hat auch schon Stürner, ZZP 1986, 291 (306), hingewiesen. An der Rechtsnatur der Zwangsvollstrekkung ändert die Entscheidung über einen gradus executionis hingegen nichts, weswegen die weiteren kritischen Ausführungen Stürners zur gesellschaftspolitischen Wahl zwischen Parteidisposition einerseits und verwaltetem Menschen andererseits unberechtigt erscheinen. 128 So auch Jauernig, §§ 1 X, 9 II, und Rimmelspacher, ZZP 1984, 355 (359), die den Zusammenhang zwischen einer konkreten Reihenfolge der Vollstreckungsobjekte und einer zentralen Vollstreckungsleitung hervorheben und die Frage aufwerfen, wer die konkrete Reihenfolge festlegen soll. 129 Gaul, Rpfleger 1971, 81 (86); ders., JZ 1973, 473, 481; Stürner, ZZP 1986, 291 (303). Nachweise zum Gesetzgebungsverfahren finden sich bei Hahn, Materialien, S. 422. 130 Vor der Währungsumstellung waren es nur 500 Deutsche Mark. 131 Stürner, ZZP 1986, 291 (302). Relativierend hingegen Putzo, in: Thomas/Putzo, § 866, Rdnr. 3: „Daneben kommt in Betracht, dass der Schuldner in seinem meist wichtigsten Vermögensteil vor einem Zugriff wegen Kleinforderungen geschützt werden soll.“
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melle Aspekt geeignet ist, das Sicherungsinteresse von Kleingläubigern auszuschließen, erscheint mehr als fragwürdig. Diese Frage mag aber hier dahinstehen, da ein gradus executionis dem deutschen Vollstreckungsrecht jedenfalls gänzlich fremd ist. 4. Bedenken gegen eine starre Vollstreckungsreihenfolge Die Motive des deutschen Gesetzgebers, der dem gradus executionis das Prinzip der Effektivität der Zwangsvollstreckung entgegenhält,132 deuten ein Spannungsverhältnis an. Ein starrer gradus executionis scheint bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen unzweckmäßig133 und rechtspolitisch nicht geboten zu sein.134 Im Folgenden soll daher das Pferd zunächst von hinten aufgezäumt und das Problem der Vollstreckungsreihenfolge unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Auswirkungen erörtert werden. a) Die mangelnde Sachaufklärung Es tut sich ein merkwürdiger Zwiespalt auf. Einerseits hat sich herausgestellt, dass die Diskussion um einen gradus executionis zumeist in dem Bereich verfahrensrechtlicher Prinzipien geführt wird, obwohl es sich um eine materiell-rechtliche Frage der Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme handelt.135 Andererseits ist mit Verwunderung festzustellen, dass im Rahmen der Diskussion die Probleme des Verfahrensrechts, insbesondere der Bereich der Sachaufklärung, keine wesentliche Rolle mehr spielen.136 Das ist deswegen verwunderlich, weil selbst vom Standpunkt der hier vertretenen Ansicht das Problem der Vollstreckungsreihenfolge nicht isoliert von verfahrensrechtlichen Problemen erörtert werden kann. Will man eine bestimmte Vollstreckungsreihenfolge materiell-rechtlich festschreiben, so hat dies zwangsweise auch Auswirkungen auf die 132
Hahn, Materialien, S. 422. Ähnlich in der Stoßrichtung auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 22: „Doch muss bei einem entsprechenden Vorschlag mehreres bedacht werden: Erstens, dass jede Regel im Einzelfall wiederum zu Härten führen kann; zum zweiten, dass die Befolgung einer solchen Regel erfahrungsgemäß häufig zur zeitlichen Streckung des Verfahrens führt …; drittens, dass ein solcher Vorschlag immer im Kontext mit den bereits vorhandenen Schuldnerschutzvorschriften zu sehen ist.“ 134 So deutlich Gerhardt, ZZP 1982, 467 (486): „Vielmehr ist … eine bestimmte – starre – Vollstreckungsreihenfolge unserem Vollstreckungsrecht fremd und hier sogar systemwidrig. Sie einzuführen erscheint auch rechtspolitisch nicht geboten. Schon gar nicht besteht verfassungsrechtlich vorgegeben eine derartige Vollstreckungsreihenfolge oder auch nur ein Postulat zur Einführung eines gradus executionis.“ 135 S.o. unter 1. 136 Anders hingegen im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 (9): „Die Einschränkung der freien Zugriffswahl des Gläubigers über das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt eine am Beginn des Vollstreckungsverfahrens stehende amtswegige Sachaufklärung über das Schuldnervermögen und eine Koordination der verschiedenen Vollstrekkungsarten voraus, die nur von einem zentralen Vollstreckungsgericht bei einer entsprechenden Mitwirkungspflicht des Schuldners geleistet werden kann.“ 133
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Sachverhaltsaufklärung und in der weiteren Folge auf die Effektivität der Zwangsvollstreckung.137 So ist der Bereich der Sachverhaltsaufklärung zeitlich der Entscheidung über die zu treffende Vollstreckungsmaßnahme notwendig vorgelagert. Denn ohne tatsächlichen Anknüpfungspunkt erübrigt sich jede Vollstreckung. Man kann daraus jedoch nicht folgern, dass die Sachverhaltsaufklärung mit in den gradus executionis einzubeziehen wäre und die bisherige Diskussion bereits insoweit verfehlt wäre. Allenfalls wäre die Sachverhaltsaufklärung als erste Maßnahme zu benennen. Aber immerhin verbietet das Postulat der Effektivität eine umfangreiche Sachverhaltsaufklärung vergleichbar dem normalen Verwaltungsverfahren. Das Vollstreckungsorgan ist vielmehr gezwungen, bei genügenden Anhaltspunkten unmittelbar mit der Vollstreckung anzusetzen. Ansonsten droht eine Vereitelung des Gläubigeranspruchs durch den zahlungsunwilligen Schuldner. An dieser Stelle des Verfahrens bereitet ein gradus executionis – unabhängig von seiner konkreten Ausgestaltung – erhebliche Probleme. Seine Anwendung ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nur auf zwei Wegen denkbar. Entweder es erfolgt zuvor eine umfangreiche Sachaufklärung über die Vermögensverhältnisse des Schuldners, aufgrund derer eine Reihenfolge bestimmt werden kann, oder aber die Sachaufklärung müsste ihrerseits in einer bestimmten Reihenfolge vorgenommen werden, um einen schnellstmöglichen Zugriff zu ermöglichen. Beide Alternativen erweisen sich aber kaum als zweckmäßig, da sie in der Vielzahl der Fälle zu einer Verzögerung des Vollstreckungszugriffs führen. Unabhängig von der inhaltlichen Auseinandersetzung um einen gradus executionis kann aus verfahrensrechtlicher Sicht festgestellt werden, dass die Diskussion recht akademischer Natur ist und den Erfordernissen einer effektiven Vollstreckung nicht gerecht wird. Mit Recht wird daher an dem Sondervotum des Verfassungsrichters Böhmer, der sich auch ohne gesetzliche Regelung für eine Vollstreckungsreihenfolge ausspricht,138 kritisiert, dass dem Vollstreckungsorgan regelmäßig jedwede Kenntnis über anderweitige Zugriffsobjekte beim Schuldner
137 Ausführlich zum Verhältnis der Sachaufklärung zum unmittelbaren Vollstreckungszugriff vor dem Hintergrund des Gebots der Effektivität unter § 8 IV 7. 138 Die Ausführungen Böhmers beziehen sich vornehmlich auf die Subsidiarität der Immobiliarvollstreckung. Böhmer, BVerfGE, 49, 220 (234), führt in diesem Zusammenhang aus: „Abweichend von anderen Rechtsordnungen ist keine bestimmte Reihenfolge der Vollstreckungsarten angeordnet. Eine Koordination der verschiedenen Vollstreckungssysteme findet nicht statt. … Nach meiner Überzeugung ist ein derartiges System im Blick auf die Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht unbedenklich, weil es die Art und Intensität des Einsatzes staatlichen Zwangs weitgehend vom Belieben des Gläubigers abhängig macht. Das staatliche Zwangsmonopol untersteht in gewissem Umfange seiner Disposition.“ Diese Kritik ist berechtigt, soweit sie sich gegen die Dispositionsbefugnis des Gläubigers über die Art und Weise des Verfahrensablaufs der Zwangsvollstreckung richtet. Insofern ist dem Gläubiger in der Tat eine Einflussnahme zu versagen (s. dazu noch ausführlich unter § 8 V 3 bis 5). Die damit verbundene Betonung des Amtsbetriebs macht aber zugleich einen gesetzlich vorgeschriebenen gradus executionis entbehrlich, da das nunmehr allein entscheidungsbefugte Vollstreckungsorgan ohnehin an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist (zu dessen Anwendung s.o. IV).
§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht
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fehlen.139 Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne eines gradus executionis scheitert daher bereits aus verfahrensrechtlicher Sicht an einer ausreichenden Tatsachenkenntnis des Vollstreckungsorgans.140 b) Unzureichender Kriterienkatalog Blendet man das Problem der unzureichenden Tatsachenkenntnis des Vollstrekkungsorgans einmal aus und zieht die Parallele zum allgemeinen Verwaltungsrecht, so ist zu konstatieren, dass ähnliche Diskussionen hier unbekannt sind. Soweit das Gesetz verschiedene Maßnahmen der Eingriffsverwaltung zulässt, hängt deren Auswahl im Einzelfall von einer Ermessensentscheidung der Verwaltung ab, ohne dass eine verbindliche Reihenfolge vorgegeben wäre. Insbesondere im Bereich der Gefahrenabwehr scheint eine Entscheidung unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unausweichlich. Ein abschließender, gesetzlich kodifizierter Kriterienkatalog für derartige Entscheidungen ist bislang nicht gesucht, geschweige denn gefunden worden. Es muss daher nicht überraschen, dass ähnliche Bemühungen im Vollstreckungsrecht ebenfalls bislang gescheitert sind141 und der Güterabwägung im Einzelfall der Vorrang gegeben wird.142
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Stürner, ZZP 1986, 291 (305), weist in diesem Zusammenhang treffend darauf hin, dass es der Schuldner immer in der Hand hat, freiwillig den geringeren Eingriff zu wählen, indem er beispielsweise aus eigenem Antrieb anstelle seiner Immobilie eine Forderung oder bewegliche Sache preisgibt. 140 Dazu hat auch schon Götte, ZZP 1987, 412 (422 f.), zutreffend angemerkt: „Das Vollstrekkungsorgan muss sich Kenntnis über das Vermögen des Schuldners verschaffen, um überhaupt entscheiden zu können, in welches Vermögensstück konkret vollstreckt werden soll. In die Hände des Vollstreckungsorgans werden somit am Anfang des Zwangsvollstreckungsverfahrens umfangreiche Ermittlungsbefugnisse gelegt.“ 141 Wieser, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 96 ff., hat sich bemüht, verbindliche Kriterien für die Verhältnismäßigkeit aufzustellen und eine Regelung in Form eines § 765 b ZPO vorgeschlagen. Dieser Vorschlag ist jedoch auf berechtigte Kritik gestoßen. So bemängelt Peters, ZZP 1990, 518 (519 ff.), dass den Gesetzesvorschlag ein „Schuss merkwürdiger Praxisferne“ kennzeichne. In der Tat wird das Vollstreckungsorgan angesichts des Gebots der Effektivität der Vollstreckung selten in der Lage sein, vor Erlass einer Vollstreckungsmaßnahme sämtliche für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit erforderlichen Sachverhaltsfragen zu klären. Auch unter diesem Aspekt erscheint die Aufstellung eines verbindlichen Kriterienkatalogs wenig praxisgerecht (näher zu dem Problem der Verflechtung von Sachverhaltsaufklärung und Vollstreckungszugriff unter § 8 IV 7). Kritisch zu den Vorschlägen Wiesers äußern sich ebenfalls Weyland, S. 138 ff., und Stürner, ZZP 1986, 291 (330 f.). Die Einwände Stürners richten sich insbesondere gegen die Regelung des § 765 b Abs. 1 S. 1 ZPO, nach der ein Vollstreckungsakt unverhältnismäßig ist, wenn der angerichtete Schaden nicht geringer ist als der Wert der beigetriebenen Leistung. Kleingläubiger würden hier unangemessen benachteiligt nicht anders als umgekehrt der freiwillig leistende Schuldner. Wieser, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 100, räumt ein, dass diese Bedenken „nicht leicht zu entkräften sind“. 142 So insbesondere Weyland, S. 143 ff., der zwischen den Fällen der geminderten Schutzwürdigkeit des Gläubigers und denjenigen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Schuldners unterscheidet. Auch diese Typifizierung vermag jedoch keine Verbindlichkeit zu beanspruchen, da sie nur ein grobes Entscheidungsraster zu liefern vermag.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Das gemeinrechtliche Raster „mobilia, immobilia, nomina“ trägt also im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ausreichend Rechnung. Das muss an sich nicht verwundern, da eine derartige Abstufung lediglich dem objektiven Wert der Vollstreckungsobjekte Rechnung trägt, nicht deren subjektiver Werthaltigkeit für den Schuldner.143 Dies kann durch die folgenden Überlegungen belegt werden. Bezugnehmend auf die europäischen Nachbarländer müsste die Vollstreckungsreihenfolge im Rahmen der Geldvollstreckung bei der Forderungspfändung beginnen und über die Fahrnisvollstreckung bis hin zur Immobiliarvollstreckung reichen. Innerhalb der letzteren hätte die Zwangsverwaltung Vorrang vor der Zwangsversteigerung. Dieses Modell verfängt jedoch im Einzelfall bereits aus Schuldnersicht nicht. Für ihn wird eine Fahrnisvollstreckung in der privaten Wohnung weniger einschneidend sein, als die Pfändung seines Arbeitseinkommens, die zu seiner Entlassung führt.144 Zudem müsste der Schuldner mit einer weiteren Kostenbelastung durch aussichtslose Zwangsvollstreckungsversuche rechnen.145 Umgekehrt kann aus Gläubigersicht nicht festgestellt werden, dass die verschiedenen Vollstreckungsarten prinzipiell gleich geeignet wären. Denn die Vollstreckung in ein Hausgrundstück bietet für den Gläubiger zumeist eine wesentlich höhere Sicherheit als die zweifelhafte Fahrnisvollstreckung.146 Sind beide Vollstreckungsarten aber – insbesondere unter dem Aspekt der Vollstreckungsvereitelung – nicht gleich geeignet, so können sie nicht als Ausprägung der Erforderlichkeit der Vollstreckungsmaßnahme in ein abgestuftes Verhältnis gebracht werden. Es stellt sich vielmehr umgekehrt die Frage, ob nicht das Vollstreckungsorgan aus Sicht des Gläubigers gezwungen ist, die geeignetere Maßnahme zu ergreifen, anstatt den Schuldner zu schonen.147 Im Ergebnis lässt sich ein starrer gradus executionis in der bislang diskutierten Form kaum begründen. Der Kanon „mobilia, immobilia, nomina“ trägt nur annäherungsweise dem Interesse des Schuldners an der Werthaltigkeit seiner Vermögensgegenstände Rechnung. Zudem bleibt das Interesse des Gläubigers und damit der Gedanke der Effektivität der Zwangsvollstreckung völlig unberücksichtigt.148 Will man einen gradus executionis entwickeln, so kann man sich nicht 143 Als weitere denkbare Kriterien bei der Güterabwägung benennt Peters, ZZP 1990, 518 (524), beispielsweise die Frage nach der Entstehung der Schuld, den Bemühungen des Schuldners um einen Ausgleich, dessen Schutzbedürftigkeit und der Zumutbarkeit auf Seiten des Gläubigers. 144 So die Kritik an dem Modell der französischen Mobiliarvollstreckung, die unterhalb der Schwelle von 3.500 FF der Forderungsvollstreckung den Vorzug gibt, s.o. 2 c. 145 Aus diesem Grunde hält Schiffhauer, ZIP 1981, 832 (837), die Einführung eines gradus executionis für praxisfremd. 146 Götte, ZZP 1987, 412 (424 f.), führt zutreffend aus, dass eine abstrakte Rangordnung zwangsweise nutzlose Vollstreckungsmaßnahmen mit sich bringt, soweit die Mobiliarvollstrekkung nicht geeignet ist, die Forderung des Gläubigers abzudecken. 147 Ein starrer gradus executionis steht mithin im Widerspruch zu dem Grundsatz der Effektivität der Zwangsvollstreckung. S. dazu auch noch die Ausführungen unter § 8 IV 7. 148 Aus diesem Grunde hat auch der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung eine gesetzliche Regelung des gradus executionis verworfen, Hahn, Materialien, S. 422.
§ 7 Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht
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allein auf das Kriterium des Sachwerts des Vollstreckungsobjekts zurückziehen.149 5. Verbleibender Wert eines eingeschränkten gradus executionis Nach den bisherigen Überlegungen bliebe allenfalls Raum für einen abgeschwächten gradus executionis, wie er sich in einigen europäischen Nachbarländern bis heute erhalten hat. Dieser könnte dahingehend formuliert werden, dass das Vollstreckungsorgan bei gleichzeitiger Kenntniserlangung verschiedenartiger Vollstreckungsobjekte und bei gleicher Eignung der in Betracht kommenden Vollstreckungsmaßnahmen in einer Reihenfolge umgekehrt zur Werthaltigkeit der Gegenstände vorzugehen hätte und dabei zudem das subjektive Interesse des Schuldners zu berücksichtigen hätte, sofern dieses bekannt ist. Der Wert einer solchen Gesetzesaussage dürfte jedoch nicht allzu hoch anzusiedeln sein, da die Voraussetzungen nur selten vorliegen werden und das wirtschaftliche Kriterium der Werthaltigkeit dem Vollstreckungsorgan ohnehin plausibel sein wird.150
VI. Quintessenz Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung zu den materiell-rechtlichen Prinzipien im Bereich der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen ist leicht zusammengefasst. Die Charakterisierung der Zwangsvollstreckung als Verwaltungsrecht ermöglicht die Anknüpfung an bekannte Denkstrukturen aus dem materiellen Verwaltungsrecht. Spezifische Besonderheiten ergeben sich allein aus dem Anspruch des Gläubigers gegen den Staat auf Beitreibung des ihm, dem Gläubiger, zustehenden Anspruchs sowie dem zu gewährleistenden Pfändungsschutz seitens des Schuldners. Diese Bereiche erfordern eine gesonderte Regelung im Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts, das sich insoweit als besonderes Verwaltungsrecht entpuppt. Im Übrigen kann im Bereich der Voraussetzungen auf die bekannten Ermächtigungsgrundlagen aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht zurückgegriffen werden, die dem staatlichen Gewaltmonopol ebenso Rechnung tragen wie den betroffenen Grundrechten des Schuldners. Besonderheiten ergeben sich allein im Bereich der Rechtsfolgen der 149 Dies erklärt zugleich die breite Palette an Lösungsmustern in den europäischen Nachbarländern. Stürner, ZZP 1986, 291 (303), bezeichnet die Bandbreite als ein zu buntes Bild, als dass daraus zwingende Schlüsse abzuleiten wären. 150 Unter diesem Gesichtspunkt erübrigt sich auch ein gesetzlich angeordneter gradus executionis im Bereich der Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung (so auch Stürner, ZZP 1986, 291 (305). Der Vorrang des Ordnungsgeldes vor der Ordnungshaft ergibt sich bereits zwingend aus einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung (Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.14, sprechen von der Verhältnismäßigkeit) und wird daher auch von denjenigen anerkannt, die einem gradus executionis ansonsten skeptisch gegenüberstehen. So etwa Jauernig, § 27 III 1 und IV, und Weyland, S. 114 ff., der allerdings bei der Vollstreckung von Unterlassungs- und Duldungsansprüchen wegen der anderweitigen Situation Ausnahmen zulassen will.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Eingriffstatbestände, die sich an der Rechtsnatur des beizutreibenden Anspruchs zu orientieren haben. Die insoweit zu berücksichtigenden Prinzipien sind an späterer Stelle zu erörtern.151
§ 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht I. Zur Abgrenzung des Verfahrensrechts vom materiellen Recht Die Untersuchung der materiell-rechtlichen Prinzipien in der Zwangsvollstrekkung hat ergeben, dass die Abwägung der Interessen der Beteiligten in Übereinstimmung mit den bekannten Maximen aus dem materiellen Verwaltungsrecht sachgerecht vorgenommen werden kann. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob nicht auch das Vollstreckungsverfahren in Anlehnung an die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrens normiert werden kann bzw. schon identisch geregelt ist, ohne dass diese Parallele hinreichend aufgedeckt worden wäre. Die Folge wäre, dass durch einen Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsrecht gesonderte Regelungen im Zwangsvollstreckungsrecht entbehrlich würden. Dieser Einsicht scheint bislang der Umstand im Wege zu stehen, dass das Zwangsvollstreckungsrecht eine Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht nicht kennt.152 Gleichwohl werden in der Zwangsvollstreckung beide Aspekte angesprochen. Dies belegt der Umstand, dass die bislang erörterten materiell-rechtlichen Prinzipien nicht neu sind und umgekehrt an dem verfahrensrechtlichen Charakter der Zwangsvollstreckung angesichts ihrer Normierung in der Zivilprozessordnung kein Zweifel besteht. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht eine klarere Abgrenzung wünschenswert wäre. Die Beantwortung dieser Frage verlangt zunächst eine Klärung von Sinn und Zweck einer derartigen Abgrenzung, die zunächst einmal zu einer Verkomplizierung des Rechts führt. 1. Die unterschiedlichen Adressatenkreise Orientiert man sich am Erkenntnisverfahren, so leuchtet es unmittelbar ein, weshalb es im Verfahrensrecht einer gesonderten Regelung neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch bedarf. Die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozessordnung richten sich an unterschiedliche Adressaten. Während das materielle Zivilrecht eine Verhaltensordnung für das staatsbürgerliche Nebeneinander 151
S.u. § 9 IV. Das ist nicht unbedingt verwunderlich, da mitunter auch im besonderen Verwaltungsrecht die Grenzen zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht aufgrund der wechselseitigen Bezüge fließend sind (s. dazu auch noch gesondert unter 2 b). Der Gesetzgeber nimmt dies allzu oft zum Anlass, auf eine Trennung zu verzichten und beide Regelungsmaterien in einem Gesetz zusammenzufassen. 152
§ 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht
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zur Verfügung stellt und dem einzelnen Bürger Rechte gewährt und Pflichten auferlegt, richtet sich die Zivilprozessordnung vornehmlich an die Gerichte und regelt das von ihnen zu beachtende Verfahren bei der gerichtlichen Feststellung der aus dem materiellen Recht abzuleitenden Rechte und Pflichten. Gegenstand des Prozessrechts ist mithin allein die Rechtsgewinnung durch das Gericht. Mit anderen Worten hat das Verfahrensrecht nur eine dienende Funktion,153 indem es allein der Feststellung und Bewertung von materiellen Interessen der Beteiligten dient. Die unterschiedlichen Adressatenkreise kommen auch darin zum Ausdruck, dass das Bürgerliche Gesetzbuch dem Zivilrecht, die Zivilprozessordnung hingegen dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.154 Die Absonderung des Prozessrechts vom materiellen Zivilrecht ist daher sachgerecht und wird nicht in Frage gestellt. Ganz anders verhält es sich hingegen im Bereich des Vollstreckungsrechts, dem ein materiell-rechtliches Pendant, vergleichbar dem Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Erkenntnisverfahren, absolut fremd ist. Auch hier wäre aber eine Unterscheidung sinnvoll, wie nunmehr zu zeigen sein wird. 2. Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Maximen Auf den ersten Blick scheint es sich bei der Zwangsvollstreckung um reines Verfahrensrecht zu handeln, da es um die bloße Durchsetzung des im Erkenntnisverfahren festgestellten materiellen Rechts geht. Der Formalisierungsgedanke scheint diese These zu untermauern. Zudem hat die bisherige Untersuchung ergeben, dass es sich im Bereich der Zwangsvollstreckung nicht mehr um eine gerichtliche Tätigkeit, sondern um eine Verwaltungsangelegenheit handelt. Es scheinen also genügend Unterschiede zum Erkenntnisverfahren zu bestehen, die einen ausreichenden Spielraum für materiell-rechtliche Erwägungen im Zwangsvollstreckungsrecht ausschließen. Diese Überlegungen greifen jedoch zu kurz; die Rechtslage gestaltet sich komplizierter. a) Notwendigkeit der Differenzierung auch im Vollstreckungsrecht Was den Formalisierungsgedanken und die bloße Durchsetzung des titulierten Anspruchs anbelangt, so ist es zutreffend, dass sich in diesem Bereich weitergehende materiell-rechtliche Überlegungen verbieten. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist kaum geeignet, ergänzende Bestimmungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu treffen. Diese Überlegung würde jedoch zu kurz greifen, wenn sie nicht auch das materielle Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Schuldner sowie dem Gläubiger berücksichtigen würde. Die in diesem Über-/Unterordnungsverhältnis geltenden materiell-rechtlichen Prinzipien, die in Rechtsprechung und Literatur erörtert werden, würden ansonsten ihre Existenzberechti153 154
S. dazu schon oben unter § 7 V 1. S. dazu schon die obigen Ausführungen unter § 4 V.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
gung verlieren. Diese Prinzipien werden nicht durch das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner abgedeckt und sind demzufolge auch nicht dem Formalisierungsprinzip unterworfen. In diesem Bereich ist eine originäre Prüfung der sich aus dem Hoheitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten vorzunehmen. Diese sind nicht notwendig deckungsgleich mit dem zu vollstrekkenden Anspruch, da sich unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes Einschränkungen ergeben. Eine Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht erscheint daher auch in der Zwangsvollstreckung sinnvoll. Diese Überlegung wird bestätigt durch einen Blick auf das Verwaltungsrecht. Auch hier wird klar zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht unterschieden.155 Selbst wenn beide Regelungsbereiche im besonderen Verwaltungsrecht teilweise in einem Gesetz verschmelzen, so wird doch zumindest innerhalb dieser Gesetze klar zwischen materiellen und verfahrensrechtlichen Normen unterschieden. Auch hier dient das Verfahrensrecht lediglich der Umsetzung des materiellen Rechts. Gesetzesadressat des Verfahrensrechts bleibt allein die Behörde, wohingegen die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Beteiligten sich aus dem materiellen Recht ergeben. Die Differenzierung erweist sich daher auch im Vollstreckungsrecht als sinnvoll. Verfahrensrecht und materielles Recht lassen sich nicht etwa wegen ihrer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur fusionieren. b) Ursachen für die bisher verabsäumte Unterscheidung Trotz der bisherigen Überlegungen, die eine Differenzierung zwischen materiellem Recht und verfahrensrechtlichem Vollstreckungsrecht nahe legen, verzichtet das achte Buch der Zivilprozessordnung auf eine solche Unterscheidung. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die unterschiedlichen Prinzipien bislang nicht artikuliert worden sind.156 Womit hängt dies zusammen? aa) Die unzureichende begriffliche Fixierung der Zwangsvollstreckung Mehrere Aspekte sind anzuführen. Zum einen führt die bisher vorgenommene Qualifizierung der Zwangsvollstreckung als Rechtspflegetätigkeit in eine dogmatische Sackgasse. Zum anderen besteht auch nach der hier vorgenommenen 155 Anderenfalls wäre die Existenz des Verwaltungsverfahrensgesetzes kaum denkbar, das in § 9 den Begriff des Verwaltungsverfahrens gesondert definiert: „Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes … gerichtet ist.“ Die in der Legaldefinition angesprochenen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes sind wiederum dem materiellen Verwaltungsrecht zu entnehmen. 156 Einzige Ausnahme dürfte die begrüßenswerte Äußerung von Zöllner, AcP 1990, 471 (477 f.), zum Pfändungsschutz in der Zwangsvollstreckung sein: „Soweit das Zwangsvollstreckungsrecht den Zwangsvollstreckungsschuldner … schützt, verfolgt es unmittelbar Anliegen – nun kommt das entscheidende Wort – materieller Gerechtigkeit. Dass das Arbeitseinkommen des Zwangsvollstreckungsschuldners bis zur Pfändungsgrenze nicht zur Vollstreckung steht, dass bestimmte Gegenstände wie Fernsehapparat, Hund und Milchkuh vom Gerichtsvollzieher nicht gepfändet werden dürfen, ist dem Wesen nach materielles Recht.“
§ 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht
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Zuordnung der Zwangsvollstreckung die Besonderheit, dass es sich sowohl bei den materiell-rechtlichen als auch bei den verfahrensrechtlichen Bestimmungen um den Bereich des öffentlichen Rechts handelt. Die Tendenz liegt daher auf der Hand, beide Bereiche in einem Gesetz zu vermengen, wie es im achten Buch der Zivilprozessordnung geschehen ist. Dabei darf zudem der gesetzeshistorische Aspekt nicht vernachlässigt werden. Bei Erlass der Zivilprozessordnung hinkte die dogmatische Aufarbeitung des öffentlichen Rechts noch weit hinter der Zivilrechtslehre zurück,157 zumal die Grundrechtsdogmatik erst mehr als ein halbes Jahrhundert später durch das Grundgesetz in Gang gesetzt wurde. Dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung ist daher kein Vorwurf zu machen, wenn er entgegen der heutigen Gesetzgebungslehre im Bereich des Verwaltungsrechts auf eine Differenzierung zwischen verfahrensregelnden und materiell-rechtlichen Normen verzichtet hat. bb) Die enge Verzahnung von Verwaltungsverfahren, materiell-rechtlicher Entscheidung und deren Umsetzung Eine weitere Eigenart des Vollstreckungsverfahrens, die eine gedankliche Trennung des Zwangsvollstreckungsrechts in einen Verfahrensteil und einen materiell-rechtlichen Teil erschwert, besteht darin, dass das Verwaltungsverfahren im Vorfeld der Vollstreckungsmaßnahme zeitlich und inhaltlich sehr eingegrenzt ist. Dies hängt mit dem Gebot der Effektivität der Vollstreckung zusammen. Sobald ein ausreichender Sachverhalt ermittelt ist, muss das Vollstreckungsorgan unverzüglich eine Entscheidung über die zu treffende Vollstreckungsmaßnahme treffen.158 Diese Gegebenheiten rechtfertigen es jedoch nicht, Verfahrensrecht und materielles Recht miteinander zu verschmelzen. Noch viel weniger kann auf ein Verwaltungsverfahren im Vorfeld der Vollstreckungsmaßnahme gänzlich verzichtet werden und allein deren Durchsetzung zum Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens erhoben werden. Die unterschiedlichen Regelungsbereiche von formellem und materiellem Recht bleiben im Gegenteil auch in der Vollstreckung unberührt, wie im Folgenden zu zeigen ist. Allein diese Trennung ermöglicht eine Anknüpfung an bekannte Prinzipien. c) Interessenkonflikt des Vollstreckungsorgans? Die Differenzierung zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht scheint einen Interessenkonflikt offen zu legen. Denn das Vollstreckungsorgan entpuppt sich nicht allein als unmittelbarer Adressat einer Verfahrensregelung, sondern zugleich als materiell-rechtlicher Entscheidungsträger und Vollstrecker. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass Ausgangslage der Vollstreckung das 157 Der Verwaltungsakt als Kern der Verwaltungsrechtslehre ist eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Als einheitlicher und umfassender Begriff taucht er erst nach 1945 auf. Die erste bundesdeutsche Kodifizierung erfolgte im Jahre 1960 mit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung. 158 Der Gedanke der Effektivität und der Sachverhaltsaufklärung sowie die weiteren Aspekte des „verkürzten“ Vollstreckungsverfahrens werden noch im Einzelnen darzustellen sein, s.u. II ff.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner bleibt. Das materielle Vollstreckungsrecht modifiziert lediglich in geringem Umfang die Verpflichtung des Schuldners zur Erfüllung des Gläubigeranspruchs.159 Die sich daraus ergebenden Hoheitsrechte des Vollstreckungsorgans sind diesem also nicht originär im eigenen Interesse zugewiesen. Das Vollstreckungsorgan bildet, was die Durchsetzung des Gläubigeranspruchs als solchen anbelangt, lediglich den verlängerten Arm des Gläubigers als Anspruchsinhaber. Trotzdem bleiben gewisse Bedenken, da das Vollstreckungsorgan in Personalunion als Herr des Verfahrens und zugleich als materiell beteiligter Rechtsträger in Erscheinung tritt. Es vollstreckt seine eigene Entscheidung. Diese Bedenken richten sich jedoch nicht gegen die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht, sondern betreffen vielmehr die Organisation der Vollstrekkung, die hier keine personelle Unterteilung vornimmt. Der Interessenkonflikt, dem das Vollstreckungsorgan ausgesetzt ist, eskaliert im Bereich des öffentlichrechtlichen Vollstreckungswesens, in dem das Vollstreckungsorgan zugleich auch als Gläubiger auftritt.160 Der angesprochene Interessenkonflikt lässt sich organisationsrechtlich kaum aus der Welt schaffen. Es handelt sich um konkrete Entscheidungen, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme vor Ort getroffen werden müssen. Eine organisatorische Trennung im Sinne einer Vorabentscheidung durch eine gesonderte Instanz ist daher kaum vorstellbar. Sie wäre auch nicht sachgerecht, da die Interessenkollision sich allein auf das staatliche Interesse am Gewaltmonopol beschränkt und in gleicher Form auch in anderen Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts auftritt, ohne dass etwa im Polizei- und Ordnungsrecht eine gesonderte Instanz vorab über die Zulässigkeit einer Standardmaßnahme zu befinden hätte. Eine derartige organisatorische Unterteilung müsste die staatliche Gewalt lähmen und der Vollstreckung jegliche Effektivität nehmen. Die enge Verknüpfung von Entscheidung und deren Vollstreckung – die Bekanntgabe der Entscheidung kann mit der Gewaltanwendung zusammenfallen – lässt eine organisatorische Trennung nicht zu. Die Schnittstelle bei der Interessenkollision ist nicht bei der Gewaltanwendung, sondern in ihrer Zielsetzung, dem zu vollstreckenden Anspruch, zu suchen. Soweit es sich dabei um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt, agiert das Vollstreckungsorgan ausschließlich altruistisch. Wesentlich anders verhält es sich in dem Bereich der Verwaltungsvollstreckung, in dem das Vollstreckungsorgan den Grundverwaltungsakt selbst erlässt und mithin Gläubiger und Vollstreckungsorgan in einer Person ist.161
159 Angesprochen ist damit der Aspekt des Pfändungsschutzes, s. dazu ausführlich oben unter § 7 III. 160 Dieser zuletzt genannte Aspekt wird noch Gegenstand einer gesonderten Untersuchung sein, s.u. § 10. 161 S. dazu ausführlich unter § 10.
§ 8 Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahrensrecht
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d) Der materiell-rechtliche Sektor der Zwangsvollstreckung Nach den bisherigen Überlegungen ist die Grenze zwischen dem materiellen und dem formellen Recht in Abhängigkeit von den Normadressaten zu ziehen. Der materiell-rechtliche Sektor ist demzufolge dadurch gekennzeichnet, dass er die Rechte und Pflichten zwischen den an der Vollstreckung Beteiligten konkretisiert. Diesem Bereich ist zu entnehmen, zu welchen Handlungen der Schuldner verpflichtet ist bzw. welche Handlungen des Vollstreckungsorgans er zu dulden hat. Dazu zählen mithin die Eingriffstatbestände, die die kollidierenden Grundrechte auf einfachgesetzlicher Ebene konkretisieren. Sind ihre Voraussetzungen erfüllt, bedeutet dies eine entsprechende Duldungsverpflichtung des Schuldners. Des Weiteren sind zum materiellen Vollstreckungsrecht die Pfändungsschutzbestimmungen, die bei einzelnen Objekten eine Vollstreckung ausschließen, sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der eine abschließende Güterabwägung garantiert, zu zählen. Zusammenfassend ergibt sich ein ähnliches Bild wie in anderen Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts.162 Bislang unberücksichtigt geblieben sind allein die einzelnen Eingriffstatbestände, deren Ausprägung in Abhängigkeit von den jeweiligen Vollstreckungsobjekten vorzunehmen ist.163 e) Der zweigleisige Bereich des Vollstreckungsverfahrens Soweit das Vollstreckungsorgan als Herr des Verfahrens Adressat des Vollstrekkungsrechts ist, handelt es sich um den verfahrensrechtlichen Bereich. Hierzu zählt die vorrangige Frage, ob und wann das Vollstreckungsorgan tätig zu werden hat. Sodann ergibt sich eine verfahrensrechtliche Abstufung, da das Vollstreckungsorgan einerseits – wie dargestellt – den nach materiellem Vollstrekkungsrecht gesondert zu bewertenden Sachverhalt ermitteln muss und andererseits zugleich die Durchführung der auf der Grundlage des ermittelten Sachverhalts als geeignet erscheinenden Maßnahmen gewährleisten muss. Das Vollstreckungsrecht ist demzufolge nicht allein auf die Durchsetzung des zu vollstreckenden Anspruchs fixiert, wie gemeinhin angenommen wird, sondern beinhaltet zugleich eine Komponente der Sachverhaltsaufklärung, deren Vernachlässigung im deutschen Vollstreckungsrecht – das sei bereits an dieser Stelle angemerkt – zu zahlreichen Fehlentwicklungen Anlass gegeben hat.164 Mit der Einbeziehung der Sachverhaltsaufklärung als eigenständigem Bereich der Vollstreckung ist nicht etwa eine vermeintliche Nähe zum Erkenntnisverfahren hergestellt. Denn in der Vollstreckung handelt es sich um die erstmalige Sachverhaltsermittlung durch das Vollstreckungsorgan und nicht um die Tatsachenermittlung vor Gericht. Erst im Anschluss an die Sachverhaltsermittlung stellt sich die Frage nach der Durchsetzung der als geeignet bewerteten Vollstreckungsmaßnahme. 162 163 164
S.o. § 7. S. dazu näher im vierten Teil unter §§ 16 ff. Näher zu dem Problem der Sachverhaltsaufklärung unter IV.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
3. Vorteile eines differenzierenden Vollstreckungsrechtsmodells Das zuvor entwickelte Verständnismodell des Vollstreckungsrechts ermöglicht nicht nur eine Bezugnahme auf bekannte Prinzipien aus dem materiellen Verwaltungsrecht, sondern trägt auch zur Erschließung der Verfahrensmaximen bei. Dazu ist zunächst, was den Beginn der Vollstreckung anbelangt, das Begriffspaar Dispositionsmaxime – Offizialmaxime anzusprechen. Sodann schließt sich an die bekannte Zweiteilung zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz. Hier liegt aufgrund der bisherigen Überlegungen ein Zusammenhang mit dem Problem der Sachverhaltsaufklärung auf der Hand, der diesen Problembereich in einem neuen Licht erscheinen lässt. Weitere aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht sowie aus dem Prozessrecht bekannte Verfahrensmaximen wie etwa der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und die Beschleunigungsmaxime lassen sich benennen. Sie sind im Verwaltungsrecht unter dem bekannten Dreiklang Zuständigkeit, Verfahren, Form zusammengefasst,165 wobei die Zuständigkeit Gegenstand einer gesonderten Betrachtung im Zusammenhang mit der Organisation der Zwangsvollstreckung sein wird.166 Zuletzt wird sich zeigen, dass das allgemeine Verwaltungsrecht zahlreiche Problemfelder, für die das Vollstreckungsrecht keine befriedigende Antwort liefert, in erfrischender Kürze sachgerecht zu lösen vermag.
II. Das Gebot der Effektivität Das Verfahrensrecht übt lediglich eine dienende Funktion aus, da es allein die Realisierung des materiellen Rechts bezweckt.167 Die Bildung von Verfahrensmaximen darf daher nicht isoliert vorgenommen werden, sondern bedarf einer ständigen Rückkopplung an die materiell-rechtlichen Eigenarten des jeweiligen Rechtsgebiets. So dürfte es unumstritten sein, dass beispielsweise der Dualismus zwischen Dispositions- und Offizialmaxime schlicht auf die Grundsätze der Privatautonomie einerseits und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits zurückzuführen ist. Es stellt sich demzufolge auch im Zwangsvollstreckungsrecht die Frage, welche materiell-rechtlichen Prinzipien sich zwingend auf das Verfahrensrecht auswirken. Sind Schuldner- und Gläubigerschutz einheitlich zu gewichten oder gebührt einer Seite der Vorrang? 1. Die zwei Seiten der Effektivität Bei der Aufstellung verfahrensrechtlicher Maximen für das Zwangsvollstrekkungsrecht sieht man sich gedanklich dem Spagat zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteresse ausgesetzt. Beide Interessen gilt es möglichst effektiv umzu165 Dieser Dreiklang entspricht der systematischen Aufteilung der ersten drei Teile des Verwaltungsverfahrensgesetzes. 166 S. dazu ausführlich im fünften Teil der Untersuchung unter §§ 22 ff. 167 S. dazu schon oben unter § 7 V 1.
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setzen. Die Art der Umsetzung ist ein Gradmesser der Effektivität, an der sich letztlich jede Verfahrensordnung messen lassen muss,168 ohne dass dies allein auf den Verwertungsvorgang zu beschränken wäre.169 Das Interesse des Schuldners äußert sich in einem angemessenen Schutz vor der sinnlosen Zerschlagung seines Vermögens. Demgegenüber hat der Gläubiger ein nachvollziehbares Interesse daran, dass die Zwangsvollstreckung nicht durch Schutzmaßnahmen zugunsten des Schuldners vereitelt wird. Diese gegenläufigen Interessen sind Ausdruck der jeweils berührten Grundrechtsposition. Dabei hat sich gezeigt, dass das Interesse des Schuldners durch die beiden Komponenten Pfändungsschutz und Verhältnismäßigkeit angemessen berücksichtigt wird.170 Der Pfändungsschutz gewährleistet dem Schuldner den Erhalt seines Existenzminimums. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip schützt ihn vor einer ungeeigneten oder in Anbetracht anderer gleich geeigneter, aber weniger einschneidender Vollstreckungsmöglichkeiten, nicht erforderlichen Zwangsvollstreckung. Wie lässt sich demgegenüber der Gläubiger angemessen vor einer Vereitelung der Zwangsvollstreckung schützen? Dieses schützenswerte Interesse hat sich bislang nur in dem Vollstreckungsanspruch gegenüber dem Vollstreckungsorgan niedergeschlagen,171 aber keine weitergehende Beachtung gefunden. Dieses Versäumnis kann nunmehr sachgerecht im Zusammenhang mit den Verfahrensmaximen nachgeholt werden, denn hier wirkt sich das Gläubigerinteresse maßgeblich aus. 2. Effektivität als Ausdruck der Angemessenheit des staatlichen Eingriffs Im Zusammenhang mit den kollidierenden Grundrechten von Gläubiger und Schuldner aus Art. 14 GG ist auf das Dominat des Gläubigerinteresses hingewiesen worden.172 Da die Zwangsvollstreckung lediglich der Realisierung einer privatrechtlich verankerten Vermögensverschiebung dient, gebührt dem Gläubigerinteresse der eindeutige Vorrang. Dies gilt umso mehr, als der Schuldner die Zwangsvollstreckung jederzeit durch die freiwillige Leistung abwenden kann. Verfassungsrechtlich lässt sich dieses Ergebnis im Zusammenhang mit den Verfahrensmaximen weitergehend untermauern. Das staatliche Gewaltmonopol stellt einen Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum des Gläubigers dar, da ihm dessen zwangsweise Geltendmachung verwehrt wird. Dieser Eingriff ist geeignet, um das Ziel, das staatliche Gewaltmonopol, zu realisieren. Es gibt auch kein gleich geeignetes, aber 168 Die Erläuterungen zum Entwurf 1931, S. 398, bringen dies auf die folgende prägnante Formel: „Der Vorwurf, der Gläubiger finde keinen ausreichenden Schutz gegen den zahlungssäumigen und insbesondere den böswilligen Schuldner, ist der schwerste, der gegen eine Vollstreckungsordnung erhoben werden kann.“ 169 Es ist nicht einsichtig, weshalb Stürner, ZZP 1986, 291 (329 ff.), das Prinzip der Effektivität allein auf den Verwertungsvorgang bezieht. 170 S.o. § 7 III und IV. 171 S.o. § 2 II 1. 172 S.o. § 7 III 2.
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weniger einschneidendes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, weil die Einführung privater Berufszweige zur Gewaltanwendung nicht in gleicher Weise ein rechtsstaatliches Vorgehen zu garantieren vermag. Es besteht die begründete Gefahr, dass private Berufsgruppen in Anbetracht des Konkurrenzdrucks danach trachten, einander an Schärfe zu überbieten.173 Der staatliche Eingriff in das Eigentum des Gläubigers ist demzufolge auch erforderlich. Auf der entscheidenden Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, der Angemessenheit des staatlichen Eingriffs, schlägt nunmehr die Stunde des Gläubigers. Von einer Angemessenheit kann nur dann die Rede sein, wenn dem Gläubiger aufgrund des staatlichen Eingriffs nicht etwa die Vereitelung der Anspruchsrealisierung droht, sondern vielmehr die Effektivität der Zwangsvollstreckung die Realisierung des Gläubigeranspruchs gewährleistet. Mit dieser Garantie verbindet sich die vorrangige Aufgabenstellung der Zwangsvollstreckung. Die Effektivität der Zwangsvollstreckung entpuppt sich als verfassungsrechtliches Postulat der Angemessenheit des staatlichen Eingriffs in das Grundrecht des Gläubigers aus Art. 14 GG. Die effektive Zwangsvollstreckung stellt gleichsam die Entschädigung des staatlichen Eigentumseingriffs dar, so dass der Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 GG Rechnung getragen ist.174 Anhand dieser Überlegungen besteht Gelegenheit, einen bislang geläufigen Irrtum im Schrifttum aufzuklären. 3. Die einseitige Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Schuldnersicht Es entspricht einer weit verbreiteten Praxis, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip allein zugunsten des Schuldners Eingang in die vollstreckungsrechtliche Debatte findet, um dessen Sphäre dem geringst möglichen Eingriff auszusetzen.175 Soweit diese Praxis kritisiert wird, beruft man sich auf eine Vernachlässigung des Rechtsschutzgrundrechts des Gläubigers bis hin zur faktischen Rechtsverweigerung und Korrektur des materiell-rechtlichen Anspruchs.176 Stürner bringt dies pointiert auf folgende Formel: „Die Verfassungsrechtler besitzen den Schlauch des Äol, die klarsten zivilrechtlichen Ansprüche im Winde von Übermaßverbot und Güterabwägung schwanken und zerknicken zu lassen.“177
173 Zu der vergleichbaren Problematik bei freier Auswahlmöglichkeit des zuständigen Gerichtsvollziehers s. bereits oben unter § 2 II 1. 174 Will man den staatlichen Eingriff hingegen lediglich als Ausdruck einer Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums verstehen, so ist auch insoweit der erforderliche Ausgleich garantiert. 175 Dies gilt insbesondere für das bekannte Sondervotum des Bundesverfassungsrichters Böhmer, BVerfGE 49, 220 (232 ff.), ebenso aber auch für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wohnungsdurchsuchung bei Bagatellforderungen, BVerfGE 51, 97 (113); 57, 346 (356 f.). 176 So im Ansatz Baur/Stürner/Bruns, § 7.41 ff. 177 Stürner, NJW 1981, 1757 (1760).
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Diese Kritik ist im Ergebnis durchaus berechtigt. Die Berufung auf das Grundrecht des Gläubigers aus Art. 19 Abs. 4 GG vermag jedoch nicht recht zu überzeugen. Geht es doch zunächst in der Zwangsvollstreckung nicht um einen effektiven Rechtsschutz, d.h. eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen des Vollstreckungsorgans, sondern um das dem Rechtsschutz gänzlich vorgelagerte Vollstreckungsverfahren selbst. An dieser Stelle bewahrheitet sich, welche eminent wichtige Bedeutung der rechtlichen Qualifizierung der Zwangsvollstreckung zukommt. Solange man die Zwangsvollstreckung als eine Form der Rechtspflege interpretiert, liegt die Versuchung nahe, bereits im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens auf Art. 19 Abs. 4 GG zurückzugreifen, um einen Anspruch des Gläubigers auf ein effektives Vollstreckungsverfahren zu begründen. Das Zwangsvollstreckungsverfahren wird dann bereits selbst als ein Rechtsschutzverfahren eingestuft, das sich an Art. 19 Abs. 4 GG und damit an dem Grundsatz der Effektivität zu messen hat. Dabei wird aber übersehen, dass Art. 19 Abs. 4 GG eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt voraussetzt, durch die der Betroffene in seinen Rechten verletzt worden ist.178 Erst der sich dagegen richtende Rechtsschutz unterliegt gemäß Art. 19 Abs. 4 GG dem Gebot der Effektivität.179 Hingegen lässt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht das Postulat ableiten, bereits die Maßnahme der öffentlichen Gewalt unterliege dem Erfordernis der Effektivität. Dieses Postulat ist vorrangig aus den berührten Grundrechtspositionen abzuleiten. Übertragen auf die Zwangsvollstreckung bedeutet dies, dass Gegenstand des Art. 19 Abs. 4 GG allein das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung sein kann, nicht aber die Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, die im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchgeführt werden. Soweit hier eine Effektivität des Verfahrens verlangt wird, leitet sich dieses Erfordernis schlicht aus Art. 14 GG ab. Es wird deutlich, dass es sich bei der Zwangsvollstreckung nicht um ein Rechtsschutzverfahren, sondern um ein Verwaltungsverfahren handelt.180 Die dogmatische Korrektur in der Herleitung des Effektivitätsgrundsatzes ändert nichts an der berechtigten Kritik gegenüber der einseitigen Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten des Schuldners. Eine derartige Betrachtung lässt den vorrangig zu berücksichtigenden staatlichen Eingriff in das Grundrecht des Gläubigers völlig außer Betracht. Dies ist umso weniger verständlich, als der Schuldner diesen Eingriff selbst durch seine Leistungsverweigerung auslöst und daher kaum als schutzbedürftig angesehen werden kann. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist vielmehr zugunsten des Gläubigers heranzu178 Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Zugang zu einem Gericht zur Überprüfung von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, wobei der Zugang in den Prozessordnungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf, BVerfGE 10, 264 (268). 179 Dies lässt sich nicht unmittelbar dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht, JZ 1988, 606 (607), hat aber ausdrücklich festgestellt, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur gewährleistet, dass überhaupt Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann, sondern dass dieser auch effektiv sein muss. 180 S. dazu schon ausführlich unter § 4 VI.
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ziehen, um die Angemessenheit des staatlichen Eingriffs in sein Eigentum rechtfertigen zu können.181 Diese doppelte Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dürfte zugleich solchen Autoren entgegenkommen, die der Heranziehung öffentlich-rechtlicher Erwägungen äußerst skeptisch gegenüberstehen. Denn diese Skepsis rührt zumeist aus einem gesunden Misstrauen vor einem übertriebenen Schuldnerschutz her. 4. Gebot der Effektivität aus Gläubigersicht Sinn und Zweck des staatlichen Gewaltmonopols ist es, den Schuldner vor einer unkontrollierten Gewaltanwendung durch den Gläubiger zu schützen. Umgekehrt beinhaltet das staatliche Gewaltmonopol für den Gläubiger den Vorteil, dass er sich den staatlichen Machtapparat quasi zu Nutze machen kann. Der Staat ist verpflichtet, diesen Apparat einzusetzen, um den Gläubiger nicht unangemessen zu benachteiligen. Insoweit bestehen über den Pfändungsschutz und das Gebot der Verhältnismäßigkeit hinaus gegenüber dem Schuldner keine weiteren Reglementierungen, denen sich das Vollstreckungsorgan aussetzen müsste. Der Schuldner wird angemessen geschützt, so dass sich das Vollstreckungsorgan im Übrigen ganz dem Gebot der Effektivität der Zwangsvollstreckung zu unterwerfen hat. Es ist demzufolge verpflichtet, stets die bestgeeignete Vollstreckungsmaßnahme zu ergreifen. Nur so kann eine Vereitelung der Zwangsvollstreckung und damit ein unangemessener Eingriff in das Grundrecht des Gläubigers aus Art. 14 GG vermieden werden. Die Gefahr der Anspruchsvereitelung wird gleichsam bereits durch die Leistungsverweigerung des Schuldners indiziert. Der Effektivitätsgrundsatz ist nicht nur vom Vollstreckungsorgan zu beachten, sondern richtet sich gleichermaßen an den Gesetzgeber, der die Grundlage für eine effektive Zwangsvollstreckung und damit für eine verfassungskonforme Schranke des Art. 14 GG zu legen hat. Die verfahrensrechtlichen Maximen haben sich daher am Gebot der Effektivität zu orientieren. 5. Ein Wort zur sogenannten Beschleunigungsmaxime Im Erkenntnisverfahren hat sich die sogenannte Beschleunigungsmaxime als eigener Verfahrensgrundsatz entwickelt, der zumeist in einem Atemzug mit anderen Verfahrensmaximen genannt wird.182 Dieses Prinzip umschreibt die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren durch die Setzung von Einlassungsfristen und die rechtzeitige Anberaumung von Terminen sowie durch rechtliche Hinweise zu einem raschen Ende zu führen.183 181
S.o. § 7 IV 2. Statt vieler nur Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Übers § 253, Rdnr. 6, der vom Zusammenfassungsgrundsatz und der Konzentrationsmaxime spricht: „Er ist der in §§ 272, 273, 279, 349, 525 klar ausgeprochene Grundsatz, das Gericht solle den Prozeß so beschleunigt behandeln, daß das Gericht ihn möglichst in einer einzigen mündlichen Verhandlung beenden kann.“ 183 S. dazu nur die Vorschriften der §§ 139, 272, 273, 278, 349 ZPO. 182
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Der Begriff der Beschleunigungsmaxime umschreibt an sich eine Selbstverständlichkeit, denn es ist der ureigene Zweck jeder Verfahrensordnung, zu einer möglichst effektiven, d.h. auch zu einer möglichst zügigen Tatsachenaufklärung beizutragen. Dass dieses Gebot im Zivilverfahren seine Ausprägung in einem eigens hierfür aufgestellten Verfahrensgrundsatz gefunden hat, mag daher für sich sprechen.184 Der Beschleunigungsgrundsatz ist ein Spezifikum des Erkenntnisverfahrens. Er findet hingegen in der Zwangsvollstreckung kaum Beachtung.185 Das ist zunächst wenig verwunderlich, da es sich hier nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt, in dem dem Vollstreckungsorgan die Funktion zukäme, Gläubiger und Schuldner durch prozessfördernde Maßnahmen zu einer raschen Tatsachenbeibringung zu veranlassen. Hier stehen vielmehr einseitig die Interessen des Gläubigers im Vordergrund. Diese mit dem Begriff des Gläubigerdominats umschriebene Schräglage der Interessen beherrscht das gesamte Vollstreckungsverfahren und ist daher unter dem Aspekt der Effektivität der Vollstreckung den Verfahrensprinzipien vorangestellt worden. Auch dabei handelt es sich um eine Banalität, die an sich keiner Erwähnung bedürfte. Die Vollstreckungsgegenwart ist jedoch eine andere,186 so dass dieses Prinzip der besonderen Betonung bedarf.187 6. Ergebnis Es ist zu konstatieren, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sich in zweifacher Art und Weise in der Zwangsvollstreckung auswirkt. Ist das Vollstreckungsorgan im Rahmen der materiell-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet, zugunsten des Schuldners bei mehreren gleich geeigneten Maßnahmen die am wenigsten einschneidende Maßnahme zu ergreifen, so verlangt umgekehrt das Gebot des verhältnismäßigen Grundrechtseingriffs aus Gläubigersicht, dass durch die Ausgestaltung des Verfahrensrechts bei ungleicher Eignung die Aus184 In Anbetracht der gerichtlichen Bearbeitungspraxis drängt sich der Verdacht auf, dass dem Begriff eine bloße Alibifunktion zukommt. 185 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 2. Ähnlich Putzo, in: Thomas/Putzo, Vor § 704, Rdnr. 34, der von einer schwachen Ausprägung der Beschleunigungsmaxime spricht. 186 In diesem Sinne äußert sich auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 37, der von der Klage der Praktiker über den sich allzu schleppend dahinziehenden Vollstreckungsvollzug spricht. 187 Ebenso Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 37, und Stürner, ZZP 1986, 291 (317 f.). Letzterer spricht sich insbesondere für die Einführung von Bearbeitungsfristen aus, um die Effektivität der Zwangsvollstreckung sicherzustellen. Ebenso Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.35 f. Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 38, sieht hingegen in dem Fehlen von Bearbeitungsfristen eine Parallele zum materiellen Recht, das lediglich die Bindung an Verjährungsvorschriften kenne. Diese Parallele ist jedoch unangebracht, da es sich bei der Beschleunigungsmaxime allein um eine verfahrensrechtliche Frage handelt, die das hoheitliche Verhältnis des Vollstrekkungsorgans zu den Beteiligten berührt. Der Aspekt betrifft in der weiteren Konsequenz die Frage der Organisation der Zwangsvollstreckung und ist daher an späterer Stelle noch gesondert zu erörtern, s.u. § 23 V.
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wahl der bestgeeigneten Vollstreckungsmaßnahme sichergestellt ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entfaltet damit notwendigerweise zwei Kehrseiten derselben Medaille. Schließlich handelt es sich um zwei Grundrechtseingriffe. Dabei soll der zuletzt herausgearbeitete Aspekt des Gläubigerschutzes im Folgenden mit dem Begriff des Effektivitätsgrundsatzes bezeichnet werden. Diesen gilt es anhand der bekannten verfahrensrechtlichen Maximen zu konkretisieren. Dort, wo hingegen das verfassungsrechtliche Postulat der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs zu Lasten des Gläubigers vernachlässigt wird und das Verhältnismäßigkeitsprinzip allein zugunsten des Schuldners beherzigt wird, bewahrheitet sich eine Feststellung, die bereits der Gesetzgeber des Entwurfs einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 getroffen hat: „Der Vorwurf, der Gläubiger finde keinen ausreichenden Schutz gegen den zahlungssäumigen und insbesondere den böswilligen Schuldner, ist der schwerste, der gegen eine Vollstreckungsordnung erhoben werden kann.“188 Dieser Vorwurf umschreibt unter Berücksichtigung der vorangegangenen Überlegungen das verfassungsrechtliche Verbot einer entschädigungslosen Enteignung. Um diesem Verdikt zu entgehen, gilt es nachfolgend Maximen für eine effektive verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung herauszuarbeiten.
III. Beginn der Zwangsvollstreckung Bevor man sich Gedanken über die Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens macht, ist zunächst die Frage nach dem Beginn der Zwangsvollstreckung zu stellen. Antwort auf diese Frage geben die Dispositionsmaxime und die Offizialmaxime. 1. Die Reichweite der Dispositions- und Offizialmaxime Die Verfahrensmaximen spiegeln lediglich die Prinzipien des zugrunde liegenden materiellen Rechts wider.189 Dass demzufolge in der privaten Zwangsvollstrekkung nur die Dispositionsmaxime zum Zuge kommen kann, dürfte unumstritten sein. Sie entspricht dem materiell-rechtlichen Prinzip der Privatautonomie und steht in engem Zusammenhang mit der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis.190 Die Herrschaft über das Verfahren liegt mithin in den Händen des betreibenden Gläubigers. Das eigentliche Problem liegt demzufolge in diesem Bereich nicht so sehr in der Abgrenzung zur Offizialmaxime, sondern vielmehr in der Frage nach der Reichweite beider Maximen. Wenn von der Gläubigerdisposition 188
Erläuterungen zum Entwurf 1931, S. 400. S.o. § 8 I. 190 So auch Wieser, NJW 1988, 665 (668), der die Dispositionsmaxime als Tochter der Privatautonomie bezeichnet, und Stürner, ZZP 1986, 291 (298), der auf vergleichbare Regelungen der europäischen Nachbarn verweist. Zu letzteren sogleich unter 2. 189
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in der Zwangsvollstreckung die Rede ist, wird hierunter nicht nur die Entscheidung über den Beginn der Vollstreckung verstanden, sondern auch die Herrschaft über die Auswahl der einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen.191 Der daraus resultierende Zwiespalt verfestigt sich durch einen Blick zu den europäischen Nachbarn. Vergleicht man das österreichische Modell der Gläubigerdisposition mit dem schweizerischen, tun sich ähnliche Diskrepanzen auf. 2. Das österreichische und schweizerische Modell der Gläubigerdisposition In Österreich ist die Herrschaft über die Exekution, d.h. die Zwangsvollstrekkung, derart verteilt, dass für deren Einleitung die Dispositionsmaxime gilt, während sich die Prozessabwicklung und auch das Prozessende an der Offizialmaxime orientieren.192 Ohne Exekutionsantrag ist eine Vollstreckung nicht denkbar. Zugleich bestimmt der Gläubiger anfänglich bei der Vermögensexekution die Gegenstände, die verwertet werden sollen, bei der Immobiliarexekution auch die Exekutionsmittel (Zwangsverwaltung oder Zwangsversteigerung). Im Anschluss ist ihm hingegen weitestgehend jede Herrschaft über das Verfahren entzogen.193 Das Exekutionsgericht ist von Amts wegen für die Durchführung der Vollstrekkung verantwortlich, § 16 Abs. 1 EO. Das Ende kann der Gläubiger nur insoweit beeinflussen, als er den Exekutionsantrag zurückzieht, einen Exekutionsverzicht oder eine Exekutionsstundung erklärt oder sonst von der Exekution absieht. Die österreichische Regelung ist insofern inkonsequent, als sie dem Gläubiger die Wahl der Exekutionsobjekte sowie auch im Bereich der Immobiliarvollstrekkung die Wahl der Exekutionsmittel überlässt. Im Ergebnis nimmt der Gläubiger damit Einfluss auf den Ablauf der Exekution, obwohl dieser doch gerade vom Exekutionsgericht im Sinne der Offizialmaxime bestimmt werden soll. Die soeben beschriebene Schwäche weist die schweizerische Schuldbetreibung nicht auf, da die Vollstreckung hier bereits organisatorisch einer Verwaltungsbehörde, dem Betreibungsamt übertragen ist.194 Die Betreibungsämter werden nach dem einleitenden Gläubigerantrag von Amts wegen weiter tätig und entscheiden selbständig über die erfolgversprechendste Art des Vollstreckungszugriffs.195 Sie sind diesbezüglich nicht an einen Gläubigerantrag gebunden, sondern unterliegen allein einem eingeschränkten, gesetzlich vorgeschriebenen gradus executionis, Art. 95 SchKG.196
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S. dazu noch ausführlich unter V. Holzhammer, S. 28 ff. 193 Zu dieser Rechtstradition schon Schönke, ZAkDR 1936, 821 (822). 194 Auf die dadurch sich ergebende Parallele zu den Grundsätzen eines Verwaltungsverfahrens in der Schweiz wie auch in Deutschland, namentlich in Form des Offizialprinzips, hat bereits Götte, ZZP 1987, 412 (426), hingewiesen. Götte lehnt jedoch eine verwaltungsrechtliche Deutung des deutschen Zwangsvollstreckungssystems ab und hält demzufolge das Offizialprinzip in diesem Bereich für einen Fremdkörper. 195 Eickmann, DGVZ, 1980, 129 (130). 196 S. dazu bereits oben unter § 7 V 2 a. 192
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3. Beschränkung der Dispositionsmaxime auf Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung Die Widersprüche beim halbherzigen österreichischen Modell der Gläubigerdisposition deuten darauf hin, dass die Gläubigerdisposition sich nur auf den Anfang und das Ende der Zwangsvollstreckung (Ob), nicht aber auf den Ablauf des Verfahrens (Wie) erstrecken kann. Die in der Schweiz klar vorgenommene Beschränkung der Gläubigerdisposition spiegelt den Umfang der Privatautonomie wider, wie er dem materiellen Recht entspricht. Das Ob der Vollstreckung, nämlich der Erlass oder die Stundung der Forderung, sei es in voller Höhe oder auch nur in eingeschränktem Umfang, liegt in der Hand des Gläubigers. Er kann seinen Vollstreckungsantrag jederzeit zurücknehmen und sei es nur in einer gewissen Höhe.197 Hingegen besagt der Grundsatz der Privatautonomie nichts über die Auswahl der konkreten Vollstreckungsmaßnahmen, da diese Auswahl dem Gläubiger aufgrund des Verbots der privaten Selbsthilfe entzogen ist.198 Hier greift das staatliche Gewaltmonopol und in seiner konkreten Ausgestaltung das originär öffentlich-rechtliche Verfahrensrecht ein. Eine Gläubigerdisposition ist diesbezüglich ausgeschlossen.199 Es kann damit bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Privatautonomie nur für die Bestimmung von Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung als Legitimation für eine Gläubigerdisposition herangezogen werden kann.200 Ein weitergehendes Verständnis der Dispositionsmaxime lässt sich mit dem Grundsatz der Privatautonomie nicht rechtfertigen.201 4. Bestätigender Blick in die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts Da es sich nach der hier vertretenen Ansicht bei der Zwangsvollstreckung um ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren handelt, müsste das Verwaltungsverfahrensgesetz eine angemessene Regelung zur Abgrenzung der Dispositionsmaxime von der Offizialmaxime enthalten. Und in der Tat findet sich mit § 22 197 Insoweit dürfte die Geltung der Dispositionsmaxime unumstritten sein, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 3 m.w.N. 198 Näher dazu noch unter V, wo es um den Ablauf der Zwangsvollstreckung und die Abgrenzung von Amts- und Parteibetrieb geht. 199 Zutreffend stellt Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 31, daher fest, dass der in der Zivilprozessordnung angelegte Dispositionsgrundsatz in seiner Absolutheit nicht zu halten ist. „Zwangsvollstreckung ist Ausübung öffentlicher Gewalt, die bei Eingriffen in Eigentum und andere Grundrechte dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und vor allem dem Übermaßverbot unterliegt.“ 200 Die Feststellung Wiesers, NJW 1988, 665 (665), „der Gläubiger sei der Herr des Vollstrekkungsverfahrens, aber der Gerichtsvollzieher nicht sein Knecht“ stellt daher keinen Widerspruch dar. Es ist vielmehr zwischen dem Ob und dem Wie des Vollstreckungsverfahrens zu unterscheiden. Das erstere wird vom Gläubiger, das letztere vom Vollstreckungsorgan bestimmt. Dieser Unterscheidung verschließt sich Wieser, NJW 1988, 665 (669, 672), jedoch, indem er das Vollstrekkungsorgan auch im Ablauf der Vollstreckung den Weisungen des Gläubigers unterwirft, soweit dem nicht zwingendes Gesetzesrecht entgegensteht. Näher zu dieser h. M. unter V 2 und 3. 201 Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass sich diesbezügliche Tendenzen in der Literatur und Rechtsprechung einer gesonderten Begründung enthalten.
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VwVfG eine nahezu salomonische Regelung über den „Beginn des Verfahrens“. Die Behörde entscheidet grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Behörde auf Grund von Rechtsvorschriften 1. von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss oder 2. nur auf Antrag tätig werden darf und ein Antrag nicht vorliegt. Übertragen auf die private Zwangsvollstreckung heißt dies, dass das Vollstrekkungsorgan nur auf Antrag tätig werden darf, aber dann auch tätig werden muss. Die diesbezügliche Rechtsvorschrift ergibt sich aus § 753 ZPO, der den Gläubigerantrag voraussetzt. § 22 VwVfG lässt insoweit genügenden Raum für die Anwendung der Dispositionsmaxime in der Zwangsvollstreckung. Zugleich bietet die Vorschrift des § 22 VwVfG auch sachgerechte Regelungen für die Verwaltungsvollstreckung, auf die im Einzelnen noch gesondert einzugehen sein wird.202 In diesem Bereich ist die Verwaltung aufgrund des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehalten, die der öffentlichen Hand zustehenden Ansprüche von Amts wegen beizutreiben. Ist die öffentliche Hand als Gläubiger daher zugleich das zuständige Vollstreckungsorgan, so gilt nicht mehr die Dispositionsmaxime, sondern die Offizialmaxime. Zugleich bietet § 22 VwVfG eine Öffnungsklausel, um die sich in der Folge ergebende Personalunion von Gläubiger und Vollstrecker sachgerecht aufzulösen. Würde nämlich ein einheitliches Vollstreckungsorgan geschaffen, das sowohl für private wie für hoheitlich agierende Gläubiger zuständig wäre, so würde für dieses Vollstreckungsorgan einheitlich die Dispositionsmaxime gelten, während die öffentliche Hand als Gläubiger ihrerseits dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unterworfen wäre.203 Abschließend zeigt sich, dass in Übereinstimmung mit der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung als Verwaltungsverfahren die Regelung des § 22 VwVfG ein abgestuftes Modell zwischen Dispositions- und Offizialmaxime bereit hält, das schon de lege lata die Tür für eine Vereinheitlichung der Verwaltungsvollstreckung mit der herkömmlichen Zwangsvollstreckung eröffnet.204 Innerhalb dieses Modells ermöglicht die Regelung des § 22 VwVfG hinsichtlich der Frage nach dem Beginn des Vollstreckungsverfahrens eine sachgerechte Differenzierung in Abhängigkeit von der Rechtsnatur des beizutreibenden Anspruchs.
IV. Verhandlungsmaxime versus Untersuchungsgrundsatz Nachdem die Frage des Beginns der Zwangsvollstreckung (Ob) systematisch geklärt ist, liegt es auf der Hand, den Ablauf des Verfahrens (Wie) in Form von Prinzipien zu strukturieren. Nach den einleitenden Bemerkungen zählt hierzu 202 203 204
S.u. § 10. Dazu noch ausführlich unter § 10 III 1. Ausführlich zur Verwaltungsvollstreckung unter § 10.
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auch das Problemfeld der Sachverhaltsaufklärung, das sich mit den bekannten Kategorien Verhandlungsmaxime versus Untersuchungsgrundsatz sachgerecht erfassen lässt. 1. Die Nähe zur Sachverhaltsaufklärung Der Bereich der Sachaufklärung ist in der Zwangsvollstreckung zumeist als eigenständiges Problem erörtert worden, getrennt von der aus dem Prozessrecht bekannten Terminologie.205 Erst nachdem die Prinzipienbildung in jüngerer Zeit auch Einzug in das Zwangsvollstreckungsrecht gehalten hat, ist ein Zusammenhang mit dem Beibringungs- und Untersuchungsgrundsatz hergestellt worden.206 Danach soll auch in der Zwangsvollstreckung der Beibringungsgrundsatz herrschen mit Ausnahme des Pfändungsverfahrens durch den Gerichtsvollzieher, in dem ähnlich wie im Verwaltungsprozess und im Verwaltungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz gelten soll.207 Der Gerichtsvollzieher suche auch ohne Gläubigerantrag nach pfändbaren Gegenständen.208 Ansonsten sei nur der Beibringungsgrundsatz praktikabel. Dass die Prinzipien der Tatsachenermittlung in der Zwangsvollstreckung bislang kaum erörtert werden, wird auf den Grundsatz der beschränkten und summarischen Kognition zurückgeführt. Die eigentliche Sachaufklärung erfolge erst im Rechtsbehelfsverfahren, so dass die Aufklärungsmaximen in der Zwangsvollstreckung nur von geringem Interesse seien.209 Mit denselben Argumenten wird aber gleichzeitig die Anwendbarkeit der Inquisitionsmaxime auf das Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers geleugnet.210 Sein der Auffindung von Voll205 Stürner, ZZP 1986, 291 (307), spricht von der vergeblichen Suche in Kommentaren und Lehrbüchern nach Grundsätzen, die die Tatsachenermittlung durch das Vollstreckungsorgan beherrschen. Nach Ansicht von Gaul, ZZP 1999, 135 (149), macht es für das Zugriffshandeln des Gerichtsvollziehers im formalen Pfändungsverfahren keinen Sinn, nach der Geltung der Verhandlungs- oder Untersuchungsmaxime zu fragen. Zustimmend Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 76, Fn. 359. Ebenso zurückhaltend im Bereich des griechischen Rechts Yessiou-Faltsi, in: Festschrift für Gaul, S. 815 (820). Vermittelnd äußert sich Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 35, der das antagonistische Begriffspaar „Verhandlungsmaxime, Inquisitionsmaxime“ im Bereich des Vollstreckungsrechts nur für eingeschränkt anwendbar hält. 206 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 2; ders., ZZP 1999, 135 (146), lehnt diese Entwicklung hingegen kategorisch ab: „Die Frage nach der Geltung des Verhandlungs- oder Untersuchungsgrundsatzes stellt sich für die Zwangsvollstreckung, die vom Handeln statt Verhandeln geprägt ist, nicht.“ Ähnlich Bruns/Peters, § 13, Anm. 2. 207 So im Anschluss an Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnrn. 32 f.; Stürner, ZZP 1986, 291 (308 f.), und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 36. 208 Diese im Ergebnis durchaus zutreffende Feststellung Stürners steht im Spannungsverhältnis zur angeblichen Dispositionsbefugnis des Gläubigers über den zu pfändenden Gegenstand, Stürner, ZZP 1986, 291 (301 f.). In der Praxis wird dieses Spannungsverhältnis dadurch aufgelöst, dass der Gläubiger gegenüber dem Gerichtsvollzieher einen alles umfassenden Kanon von Vollstrekkungsanträgen abgibt. Die angebliche Dispositionsbefugnis wird damit jedoch vollends zur Farce, s. dazu auch noch unter V 4. 209 Stürner, ZZP 1986, 291 (307 f.). 210 Gaul, ZZP 1995, 3 (8).
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streckungsobjekten dienendes Durchsuchungs- und Vollstreckungshandeln könne nicht mit der umfassenden richterlichen Tatsachenermittlung und Beweiserhebung zur Gewinnung der Entscheidungsgrundlage im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gleichgestellt werden.211 An dieser Stelle deutet sich ein Konflikt unterschiedlicher Verfahrensmaximen an. Das eingangs vorangestellte Postulat der Effektivität scheint insbesondere auch den Bereich der Sachaufklärung zu beherrschen. Das heißt aber noch keineswegs, dass die in diesem Bereich im Prozessrecht entwickelten Maximen unanwendbar wären. Es wird vielmehr eine sorgfältige Grenzziehung vorzunehmen sein. Die bisherige jahrzehntelange Diskussion legt dies ebenfalls nahe, da sie außerhalb der bislang bekannten Grundsätze der Tatsachenermittlung kein tragfähiges Konzept der Sachaufklärung entwickelt hat.212 Die bisherigen Gesetzesreformen kurieren eher an den Symptomen, als nach den allgemeinen Ursachen der mitunter ineffektiven Geldvollstreckung zu fragen.213 Bisweilen wird daher sogar von einem kläglichen Torso gesprochen, der einen armseligen Notbehelf darstelle und wie ein Epilog des Prozessverfahrens erscheine,214 in dem die Parteiherrschaft an Anarchie grenze.215 Diese Kritik reicht hin bis zur der Feststellung, dass das Offenbarungsverfahren als „Bankrott unserer Zwangsvollstreckung“ bezeichnet wird.216 Bevor auf dieses Verdikt näher einzugehen ist, gilt es daher, gedanklich eine sorgfältige Abstufung vorzunehmen. Zunächst ist der Bereich der Sachaufklärung in das Spektrum der Verfahrensgrundsätze einzuordnen und der Regelungsinhalt der Verhandlungs- bzw. Untersuchungsmaxime zu klären. Sodann lohnt sich ein Blick auf die Lösungsvorschläge einiger europäischer Nachbarn, bevor in Anknüpfung an das Verwaltungsverfahrensrecht eine eigene Konzeption der Sachverhaltsaufklärung in Kongruenz mit dem Gebot der Effektivität der Zwangsvollstreckung zu entwickeln ist, die sich im letzten Schritt der bekannten Diskussion zu stellen hat. 211 Anders äußert sich Gaul, ZZP 1995, 3 (12), hingegen zur Situation im Rahmen des Offenbarungsverfahrens: „In der Beseitigung der Haftkostenvorschusspflicht des Gläubigers ist ein wichtiger legislatorischer Schritt zur Umstrukturierung des Offenbarungsverfahrens von einem reinen Parteiverfahren zu einem unter stärkere gerichtliche Verantwortung gestellten Verfahren zu erblikken.“ Mit anderen Worten wendet sich Gaul in diesem Bereich dem Untersuchungsgrundsatz zu, weshalb er an späterer Stelle dann auch die „Beweiserhebung von Amts wegen im Rahmen der Untersuchungsmaxime“ als Beleg dafür anführt, dass den Gläubiger keine Darlegungslast treffe, Gaul, ZZP 1995, 3 (15). Ähnlich auch die Äußerungen Gauls, ZZP 1995, 3 (14), zur weiteren Tätigkeit des Gerichtsvollziehers. 212 Stürner, ZZP 1986, 291 (310), spricht daher davon, dass eine verbesserte Sachaufklärung zu den deutschen Reformwünschen zählt, wie sie sich im Entwurf 1931, §§ 772 ff., und noch heute fortlaufend artikulieren. 213 So Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (318). Hess, NJW 2004, 2350 (2351), spricht von strukturellen Defiziten des deutschen Zwangsvollstreckungsrechts. 214 So Fraeb, S. 162, 198. Ders., ZZP 1927, 457 (461), bezeichnet das Offenbarungsverfahren auch als Aschenbrödel der Zivilprozessordnung. Ähnlich kritisch Gaul, ZZP 1995, 3 (25). 215 So Levin, Gruchot 66, 251 (252). 216 So das Zitat von Berner bei Gaul, JZ 1973, 473 (481, Fn. 116). Zustimmend Behr, Rpfleger 1981, 417 (421).
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2. Die Sachaufklärung als ein Aspekt des Zwangsvollstreckungsverfahrens Einleitend ist auf die Zweigleisigkeit des Zwangsvollstreckungsverfahrens hingewiesen worden. Dieses kann sich nicht allein auf die Verwertung des Schuldnervermögens beschränken, sondern bedarf auch in gewissem Umfang der Tatsachenermittlung, um eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zu schaffen.217 Diese Tatsachenaufklärung mag eingeschränkt sein, soweit sich beispielsweise der Aspekt des Pfändungsschutzes sachnah zu dem jeweiligen Vollstreckungsobjekt erschließt. Bedeutsamer wird die Sachaufklärung jedoch spätestens dann, wenn das Vollstreckungsorgan überhaupt keine Kenntnis von Vermögensgegenständen des Schuldners hat. Eine Aufklärung ist hier – nicht anders als im Prozess – unumgänglich. Dabei stellt sich notwendig die Frage, ob das Vollstrekkungsorgan von Amts wegen oder aber nur auf Vortrag des Gläubigers tätig zu werden hat. Diese Frage ist Inhalt der Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime, so dass deren Heranziehung unausweichlich ist. Dem Vollstreckungsorgan ist wenig gedient mit einer Argumentation, die allein die Unterschiede zur gerichtlichen Tatsachenerforschung betont,218 aber kein Gegenkonzept zur Verfügung stellt. 3. Untersuchungsgrundsatz als maius gegenüber dem Verhandlungsgrundsatz Die Differenzierung zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime darf nicht überbewertet werden. Diese Prinzipien zeigen allein die denkbaren Alternativen für die Initiativrichtung zur Tatsachenermittlung und Beweiserhebung auf. Sie beinhalten nur einen Aspekt des Verfahrensrechts neben Fragen des weiteren Verfahrensfortganges, des rechtlichen Gehörs, der Reihenfolge der Vollstreckungsmaßnahmen usw. Für diese weiteren Fragen kommt ihnen allerdings eine gewisse Indizwirkung zu, da die Prinzipien in einem einheitlich ausgerichteten Verfahren nicht beliebig kombinierbar sind.219 Die Debatte um die Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime erweckt allzu oft den Eindruck, als ob es sich um gegenläufige Prinzipien im Sinne eines aliud handeln würde.220 Die Bedeutung der Abgrenzung wird schon insoweit überschätzt, als die Untersuchungsmaxime ohne Beibringung seitens der Parteien 217
S.o. I 2 e. So namentlich Gaul, ZZP 1995, 3 (8). 219 Dieser letzte Punkt wird bisweilen in der Diskussion vernachlässigt, wenn beispielsweise dem Gerichtsvollzieher einerseits die Möglichkeit der eigenständigen Untersuchung und Auswahl der Vollstreckungsobjekte eingeräumt wird, er aber andererseits auf konkrete Vollstreckungsanträge des Gläubigers angewiesen sein soll, so insbesondere Stürner, ZZP 1986, 291 (301 f., 308 f.). Auf die daraus resultierende Vollstreckungspraxis wird noch gesondert zu sprechen zu kommen sein, s.u. V 4. Hier sei lediglich vorab betont, dass sich das Verfahrensrecht nicht etwa auf den Disput zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime beschränken lässt. 220 Stürner, ZZP 1986, 291 (309), führt zur Tätigkeit des Gerichtsvollziehers aus, dass nur die Inquisitionsmaxime diese Tätigkeit zutreffend charakterisieren könne. 218
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kaum denkbar ist.221 Eine Tatsachenermittlung von Amts wegen setzt voraus, dass überhaupt tatsächliche Anhaltspunkte für eine Ermittlungstätigkeit vorliegen. Diese Ansatzpunkte können aber nur die in den Vorgang involvierten Parteien liefern. Das amtliche Untersuchungsorgan würde sonst im Dunkeln tappen.222 Dies gilt insbesondere auch für den Aspekt des Schuldnerschutzes.223 Liefern die Parteien zudem einen übereinstimmenden Tatsachenvortrag, so besteht angesichts der widerstreitenden Interessen der Parteien auch nach der Untersuchungsmaxime zumeist keine Veranlassung für weitergehende amtliche Ermittlungen. Eine Ausnahme ist nur im Falle des kollusiven Zusammenwirkens zu Lasten eines Dritten gegeben. Der Untersuchungsgrundsatz sollte damit nicht als aliud verstanden werden, sondern als maius gegenüber der Verhandlungsmaxime. Die Behörden stehen den Parteien in dem Sinne bei, dass sie ihnen bei der weitergehenden Tatsachenermittlung ihren behördlichen Untersuchungsapparat zur Verfügung stellen. Mit dieser Einsicht verliert der Streit um die Abgrenzung der beiden Maximen an Schärfe, da es bei der Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung nicht um eine Versagung des Beibringungsgrundsatzes geht, sondern um dessen Erweiterung. Dem Gläubiger wird nichts genommen, sondern vielmehr der staatliche Untersuchungsapparat zur Verfügung gestellt. Dieser Gedanke leitet zu einem weiteren Aspekt über, der bislang in der Diskussion zumeist in den Hintergrund gedrängt wird. 4. Der Aspekt der Aufklärungskompetenzen Der überspitzte Streit um staatliche Inquisition einerseits und Beibringung seitens der Parteien andererseits führt nicht nur zu einer dogmatischen Übersteigerung, sondern auch zu einer Vernachlässigung der relevanten Kernfragen für die praktische Umsetzung. Ist die Frage der Initiativrichtung für die Tatsachenermittlung geklärt, so stellt sich das Problem der diesbezüglichen Aufklärungskompetenzen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgrund-
221 Dazu zutreffend Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 33, und auch Stürner, ZZP 1986, 291 (309), der darauf hinweist, dass die Untersuchungsmaxime – ähnlich wie im Verwaltungsprozess und Verwaltungsverfahren – ihre Grenze an der Mitwirkungsbereitschaft der Parteien findet. Ebenso im Anschluss Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.23 f. 222 Darauf hat nachdrücklich Götte, ZZP 1987, 412 (430 ff.), hingewiesen. Da nicht das Vollstreckungsorgan die vorrangige Aufklärung übernehmen kann, sondern vielmehr der Schuldner, schlägt Götte im Zusammenhang mit der Debatte um einen gradus executionis eine gesetzliche Regelung in Form eines Gegenvorschlags des Schuldners vor. Dieser Gedanke vernachlässigt allerdings, dass das Vollstreckungsorgan auch ohne gesonderten Antrag des Schuldners auf die Verhältnismäßigkeit seiner Vollstreckungsmaßnahme Acht zu geben hat. 223 Gaul, JZ 1973, 473 (481), und im Anschluss Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 67 IX, bezeichnen deshalb die mangelhaften Mitwirkungspflichten des Schuldners im Zwangsvollstreckungsverfahren als Achillesverse unseres Vollstreckungssystems. Insbesondere der Schuldnerschutz lässt sich in der Regel nur bei ausreichender Sachaufklärung erreichen, so auch Götte, ZZP 1987, 412 (431).
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satz. Die Verhandlungsmaxime bezweckt die Unterbindung der staatlichen Einmischung in die den Parteien vorbehaltene Unterbreitung des Sachverhalts. Die Aufklärungskompetenzen der Parteien sind demzufolge auf die Ausschöpfung der privatrechtlich zulässigen Informationsquellen beschränkt. Die Inquisitionsmaxime bringt hingegen das staatliche Interesse an einer wahrheitsgetreuen Sachverhaltsermittlung ins Spiel. Im Verwaltungsprozess soll die zwischen den Parteien fehlende Waffengleichheit, was die Aufklärungskompetenzen anbelangt, wieder hergestellt werden. Die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Entscheidung, die maßgeblich von der ordnungsgemäßen und zutreffenden Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen abhängt,224 ist sicherzustellen. Die staatliche Beteiligung begründet hier, kaum anders als im Strafprozess, ein öffentliches Interesse an einer wahrheitsgetreuen Sachverhaltsaufklärung. Die in der Literatur immer wieder betonte Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Zivilprozess tritt in der Praxis jedoch kaum in Erscheinung und damit ist das eigentliche Problem in der Debatte angesprochen. Die Untersuchungsmaxime ist ohne entsprechende Aufklärungskompetenzen eine leere Hülle. Und so hilft die gemäß § 86 VwGO angeordnete Geltung des Untersuchungsgrundsatzes den Verwaltungsgerichten wenig, solange sich nicht entsprechend weitgehende Aufklärungskompetenzen, vergleichbar den Kompetenzen der Strafgerichte, anschließen. Nicht anders ist auch die Problematik der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung einzustufen. Die Beispiele einiger europäischer Nachbarländer zeigen, wie weit der Untersuchungsgrundsatz und in der weiteren Folge die Aufklärungskompetenzen der Vollstreckungsorgane gehen können. 5. Ausländische Modelle einer modernen Sachaufklärung Parallel zur Beschränkung der Dispositionsmaxime auf die Einleitung der Exekution beschränkt die österreichische Exekutionsordnung auch den Beibringungsgrundsatz auf den Exekutionsantrag, § 55 Abs. 2 S. 2 EO. Der betreibende Gläubiger muss alle Tatsachen und Beweismittel für die Zulässigkeit der Vollstreckung vorbringen.225 Im Übrigen trifft man auf eine Terminologie, die dem deutschen Juristen aus der Verwaltungsgerichtsordnung bestens bekannt ist.226 Wie im zivilgerichtlichen Verfahren obliegt dem Antragsteller die Behauptungsund Beweislast, dagegen gibt es keine Beweisführungslast.227 Denn das Gericht kann alle geeigneten Tatsachen von Amts wegen ermitteln. Es herrscht also die Untersuchungsmaxime, § 55 EO. Das schweizerische Betreibungsrecht verhält sich ähnlich. Es zeichnet sich durch weitgehende Aufklärungsbefugnisse der Betreibungsämter sowie dadurch aus, dass die gesetzlich vorgeschriebene Offenbarungsverpflichtung des Schuld224 225 226 227
So Maurer, § 19, Rdnr. 18. Holzhammer, S. 30. Statt vieler Kopp/Schenke, § 86, Rdnrn. 14 ff.; § 108, Rdnrn. 11 ff. Holzhammer, S. 30.
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ners schon zu Beginn der Vollstreckung eingreift, Art. 91 SchKG. Gerade wegen dieser Eigenart wird das schweizerische System als in Europa vorbildlich eingestuft.228 In Frankreich sind im Rahmen der Reform des Vollstreckungsrechts im Jahre 1992 gesonderte Vorschriften zur recherche des informations (Sachverhaltsaufklärung) eingeführt worden.229 Ausdrückliches Ziel dieser Neuregelung war der Wunsch, die Durchschlagskraft der Forderungsvollstreckung (saisie attribution) als modernes Mittel einer effektiven Vollstreckungsordnung zu stärken und die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung konkret im Gesetz festzulegen.230 Dem tragen die Regelungen L.Art. 25, 39–41 und D.Art. 54 jetzt Rechnung. Die recherche des informations kann danach in jedem Stadium der Vollstreckung eingeleitet werden. Sie ist unabhängig von darüber hinausgehenden Informationspflichten Dritter.231 Daneben ist in Frankreich auch die Staatsanwaltschaft in die Zwangsvollstrekkung eingebunden worden. Ihr kommt die Aufgabe zu, die Zwangsvollstreckung zu überwachen, L.Art. 11, und auf Antrag des huissiers die nötigen Informationen zu beschaffen. Hierzu zählen u.a. Wohnort,232 Arbeitgeber und Kontoverbindungen des Schuldners. Voraussetzung für die Einschaltung der Staatsanwaltschaft ist das Vorliegen eines Vollstreckungstitels sowie einer beurkundeten Erklärung des huissiers über sein bisher erfolgloses Vorgehen, L.Art. 39 I. Die Staatsanwaltschaft ist daraufhin gehalten, spätestens innerhalb von drei Monaten die erforderlichen Informationen zu beschaffen, da sie sich anderenfalls im Wege der Staatshaftung ersatzpflichtig macht.233 Gegenüber der Staatsanwaltschaft sind nahezu alle öffentlichen Behörden gemäß L.Art. 40 zur Auskunft verpflichtet. Die Geldinstitute dürfen jedoch nur die Kontoverbindungen als solche, nicht die Salden, bekannt geben, L.Art. 40 II. 6. Rückbesinnung auf den Entwurf einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 Nicht umsonst wird bis heute im Rahmen der Debatte um die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung auf das Modell des Entwurfs einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 zurückgegriffen.234 Die §§ 772 ff. des Entwurfs sahen
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Burghardt, DGVZ 1977, 177 (179). Ergänzt wird die recherche des informations durch die rigorosen Regelungen zur Auskunftsverpflichtung des Drittschuldners im Rahmen der saisie-attribution. Zu dem damit angesprochenen Problem der Drittbeteiligung noch später unter § 9 III 2. 230 Traichel, S. 85. 231 Näher dazu Traichel, S. 85. 232 In Frankreich gibt es kein Einwohnermeldeamt. 233 Näher zu den Einzelheiten Traichel, S. 86 ff. 234 So etwa Gaul, JZ 1973, 473 (475, 479 ff.). Generell für eine Rückbesinnung auf den Entwurf von 1931 plädiert Behr, Rpfleger 1981, 417 (419 f.). 229
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u.a. die Möglichkeit vor, das Offenbarungsverfahren – ähnlich wie in der Schweiz – auf den Beginn der Zwangsvollstreckung vorzuverlagern. Daneben gab der Entwurf dem Vollstreckungsgericht als zentralem Vollstreckungsorgan umfassende amtswegige Ermittlungsmöglichkeiten mit allen Beweismitteln inklusive der schuldnerischen Offenbarungsversicherung an die Hand. Die Dispositionsbefugnis des Gläubigers wurde auf Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung beschränkt. Kurz gesagt entspricht dieses Modell aus dem Jahre 1931 dem Gedanken der Inquisitionsmaxime und damit zugleich dem Aufklärungssystem des Verwaltungsverfahrensgesetzes. § 24 Abs. 1 VwVfG bestimmt nämlich, dass die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt. Sie bestimmt danach selbständig Art und Umfang der Ermittlungen. Beweismittel werden nach pflichtgemäßem Ermessen erhoben, § 26 Abs. 1 VwVfG. Diese Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes kämen nach dem hier entwickelten Verständnis des Vollstreckungsverfahrens als Verwaltungsverfahren direkt zur Anwendung, soweit man die Regelungen der Zivilprozessordnung ausblenden würde. Das Modell des Entwurfs einer Zivilprozessordnung entspräche daher dem hier entwickelten dogmatischen Lösungsansatz. a) Die viel kritisierte Verstaatlichungstendenz Die Bedenken gegen eine Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes und eine Rückbesinnung auf den Entwurf einer Zivilprozessordnung aus dem Jahre 1931 richten sich gegen die damit einhergehende Verstaatlichungstendenz unter Zurücksetzung der Gläubigerinitiative.235 Der Gedanke der Vorverlegung der Sachaufklärung sei zwar richtig, die Vorschaltung einer zentralen Vollstreckungsinstanz vor jede Handlungsinitiative berge aber die Gefahr, dass sich die Effektivität der Zwangsvollstreckung in den Maschen der Bürokratie verfange.236 Die Kritik an der Zurücksetzung der Gläubigerinitiative beinhaltet im Kern den Vorwurf, man verlasse mit der Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung die zivilrechtliche Plattform der Privatautonomie, das freie Bestimmungsrecht des Gläubigers über die Beitreibung seiner Forderung. Kann der Untersuchungsgrundsatz in der Zwangsvollstreckung gelten, die 235 So etwa Gaul, ZZP 1995, 3 (5), und Götte, ZZP 1987, 412 (423): „Die Einführung des Amtsbetriebs führt zu einer verstärkten Verstaatlichung der Zwangsvollstreckung, die die Verbindung zum Zivilrecht vollends vergessen lässt.“ Diese Angst ist jedoch unbegründet. Das Formalisierungsprinzip ermöglicht vielmehr eine exakte Schnittstellenbildung zwischen dem verwaltungsrechtlichen Vollstreckungsverfahren und dem nach Zivilrecht zu bewertenden Schuldverhältnis von Gläubiger und Schuldner (s.o. § 5). 236 So Gaul, ZZP 1995, 3 (27). Die Kritik, auf die im Folgenden näher einzugehen ist, ist berechtigt, soweit sie sich gegen die Vorschaltung einer zentralen Vollstreckungsinstanz vor die eigentliche Vollstreckungshandlung zur Wehr setzt. Ein solches Modell wird jedoch auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erwogen (s. näher zur Organisation im fünften Teil unter § 23). Anders hingegen der Vorschlag von Bruckmann, ZRP 1994, 129 (130 ff.), der für einen gerichtlichen Vollstreckungstermin im Vorfeld der Vollstreckung plädiert. Dieser Vorschlag weckt bedenkliche Erinnerungen an den gemeinrechtlichen Exekutionsprozess und dessen Schwerfälligkeit.
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doch nur eine bloße Ersatzfunktion für die fehlende Selbsthilfe darstellen soll? Diese Zweifel lösen sich auf, wenn man berücksichtigt, dass der Untersuchungsgrundsatz das staatliche Gewaltmonopol in keiner Weise in Frage stellt, sondern es vielmehr bestätigt.237 Nimmt man das staatliche Gewaltmonopol ernst, so verbietet die Monopolstellung des Staates jegliche Einflussnahme des Gläubigers auf die Art und Weise der Gewaltanwendung.238 Gerade im Bereich der Sachaufklärung, die in der Regel nur unter gewaltsamer Willensbeugung des Schuldners möglich ist, zeigt sich, dass der Untersuchungsgrundsatz letztlich nur Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols ist.239 Die viel kritisierte Verstaatlichungstendenz der Sachaufklärung spiegelt nichts anderes wider als das staatliche Gewaltmonopol und in seinem Gefolge den Verwaltungsrechtscharakter der Zwangsvollstreckung. Will man hingegen dem Gläubiger Mitspracherechte einräumen, so führt dies zu einer Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols. Zugleich wird die klare Grenzziehung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstrekkungsrecht und dem Zivilrecht aufgegeben, was in der weiteren Konsequenz zu den bereits erörterten Verwerfungen bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung führt. Die Ausschließung der Einflussnahme seitens des Gläubigers gewährleistet hingegen, dass sich die Gläubigerdisposition allein auf die Bestimmung von Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung erstreckt (Ob), nicht hingegen auf die Ausgestaltung des Verfahrens (Wie). Mit dem Begriff der Gläubigerdisposition im Sinne einer Einflussnahme auf den Ablauf des Vollstreckungsverfahrens ist ohnehin der hier zu erörternde Bereich der Tatsachenermittlung deutlich überschritten. Soweit die Kritiker nämlich von einer Einschränkung der Mitspracherechte des Gläubigers sprechen, richtet sich dieser Vorwurf nicht so sehr gegen den Aspekt der Tatsachenermittlung. Er berührt vielmehr die Frage des Verfahrensfortgangs und der Vollstrekkungsreihenfolge. Auf diese Bereiche ist daher noch gesondert einzugehen.240 Sie sind nicht mehr Gegenstand der Verhandlungs- bzw. Untersuchungsmaxime. Was den Bereich der Tatsachenermittlung anbelangt, hat sich zudem gezeigt, dass eine Gläubigerdisposition durch den Untersuchungsgrundsatz überhaupt nicht in Frage gestellt wird, sondern vielmehr unterstützt werden soll. Es handelt sich nicht um ein aliud gegenüber dem Verhandlungsgrundsatz, da eine Beibringung von Ansatzpunkten für eine Tatsachenermittlung auch im Rahmen der staatlichen Untersuchungsmaßnahmen unverzichtbar ist.241 Diese Überlegung eröffnet 237
So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 II. Dazu noch näher unter V. 239 Ganz deutlich in diesem Sinne hat sich das Bundesverfassungsgericht zum Offenbarungsverfahren geäußert, indem es die Verpflichtung des Schuldners zur Offenbarungsversicherung geradezu als Ausfluss des staatlichen Zwangsmonopols zur Durchsetzung privater Geldforderungen gedeutet hat, BVerfGE 61, 126 (136). Den Informationsanspruch des Gläubigers hat das Bundesverfassungsgericht damit zum Bestandteil des Vollstreckungsanspruchs des Gläubigers gegen den Staat erklärt, so Gaul, ZZP 1995, 3 (22). 240 S.u. V. 241 S.o. 3. 238
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gerade für den Gläubiger eine durchaus positive Sehensweise des Untersuchungsgrundsatzes. Dem Gläubiger sollen keine Rechte genommen werden, sondern vielmehr der staatliche Aufklärungsapparat zur Verfügung gestellt werden. b) Das Gläubigerinteresse am staatlichen Aufklärungsapparat Was die Kritik an der drohenden Bürokratisierung der Zwangsvollstreckung anbelangt,242 so ist diese Kritik durchaus ernst zu nehmen. Ansatzpunkt der Kritik sollten jedoch nicht dogmatische Bedenken gegen die Einordnung der Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren sein, sondern vielmehr praktische Erwägungen zur Organisation der Vollstreckung. Den Gefahren der Bürokratisierung darf nicht über den Umweg einer dogmatischen Verzerrung der Zwangsvollstreckung aus dem Wege gegangen werden, zumal dem Gläubiger auf diesem Umweg erheblicher Schaden droht. Denn die sogenannte Verstaatlichungstendenz der Zwangsvollstreckung verfolgt zunächst einmal den begrüßenswerten Zweck, den Gläubiger in den Genuss des staatlichen Aufklärungsapparates zu bringen.243 Dass dieser Genuss bei dem Gedanken an den derzeitigen Zustand der staatlichen Verwaltung gelegentlich zur Qual werden mag, darf kein Grund zur vorzeitigen Resignation sein. Denn es wird zu zeigen sein, dass die derzeitige Organisation der Zwangsvollstreckung nicht von Grund auf in eine Behördenstruktur umstrukturiert werden muss, sondern im Kern vielmehr bereits im derzeitigen Zustand einer Behördenstruktur entspricht, ohne dass dies so wahrgenommen wird.244 Zudem sind in dieser Behördenstruktur die derzeit dem Gläubiger gewährten Mitbestimmungsrechte eher hinderlich als förderlich für die Vollstreckung. Auch dies wird noch zu zeigen sein.245 Soweit hingegen zu befürchten wäre, dass die Vollstreckung lahmt, ließe sich dem durch die Einführung von Bearbeitungsfristen, Provisionen und ähnliche Mittel vorbeugen.246 c) Die Bandbreite des Untersuchungsgrundsatzes Die bisherigen Überlegungen demonstrieren, dass die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung prinzipiell sachgerecht ist. Die diesbezügliche Kritik hat ihre Wurzeln weniger in dogmatischen Erwägungen. Bedenken bestehen vielmehr gegen die Funktionsfähigkeit einer behördlich strukturierten Zwangsvollstreckung. Dieser Kritik ist insoweit Recht zu geben, als der Untersuchungsgrundsatz nicht uneingeschränkt gelten kann. Die vorzu242
So Gaul, ZZP 1972, 251 (278); ders., ZZP 1995, 3 (27). Zugleich wird damit aber auch den Interessen des Schuldners an einer schonenden Vollstreckung gedient. Denn eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Zwangsvollstreckung ist nur bei entsprechender Sachverhaltskenntnis des Vollstreckungsorgans möglich (s.o. § 7 V 4 a). Darauf hat auch schon Götte, ZZP 1987, 412 (422 f.), hingewiesen. 244 Näher dazu im fünften Teil unter § 23 III 4. Hier sei nur angemerkt, dass die Legaldefinition des § 1 Abs. 4 VwVfG, die die Behördeneigenschaft umschreibt, auch die Vollstreckungsorgane erfasst. 245 S.u. V 4. 246 S. dazu noch im Einzelnen unter § 23 V. 243
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nehmende Einschränkung bezieht sich jedoch – entgegen der bislang geübten Kritik – nicht auf eine generelle Hinwendung zum Beibringungsgrundsatz und damit auf eine Aufweichung des Untersuchungsgrundsatzes als solchen, sondern vielmehr auf eine Differenzierung des Anwendungsbereichs hinsichtlich der unterschiedlichen Ebenen der Formalisierung. Diesbezüglich ist bereits an früherer Stelle aufgezeigt worden, dass die Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen aufgrund des Dreiecksverhältnisses Gläubiger – Staat – Schuldner in originär öffentlich-rechtliche und formalisierte zivilrechtliche Tatbestandsmerkmale zu unterteilen sind. Letztere stellen den Bezug zu dem nach Privatrecht zu beurteilenden Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner her, das während der Zwangsvollstreckung nicht gänzlich ausgeblendet werden kann. Dass die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes im Bereich der originär öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen, wie beispielsweise der Frage des Pfändungsschutzes, uneingeschränkt zur Anwendung kommt, leuchtet ein, da hier unmittelbar staatliche Interessen berührt sind. Eine differenziertere Betrachtung ist im Bereich der formalisierten zivilrechtlichen Tatbestandsmerkmale erforderlich. Soweit auf der ersten und zweite Stufe des hier entwickelten Modells übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten abgegeben werden oder aber die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung eine verbindliche Antwort auf eine zivilrechtliche Fragestellung gibt, gilt nicht der Untersuchungsgrundsatz, sondern die Verhandlungs- und Dispositionsmaxime.247 Hier handelt es sich nicht mehr um öffentlich-rechtliche Tatbestandsmerkmale, sondern um die direkte Einspielung zivilrechtlicher Weichenstellungen in das Vollstreckungsrecht. Es widerspräche dem Grundsatz der Privatautonomie, wenn der Staat hier das Vorliegen derartiger Erklärungen oder Urkunden von Amts wegen ermitteln würde. Gläubiger und Schuldner können insoweit über die Geltendmachung des Anspruchs und entgegenstehender Einwendungen frei disponieren, ohne dass das staatliche Gewaltmonopol tangiert wird. Die Anwendung staatlichen Zwangs würde hier über das Ziel der Zwangsvollstreckung hinausschießen. Ohnehin würden dem Vollstreckungsorgan ohne eine Beibringung seitens der Parteien keine Anhaltspunkte für eine amtliche Untersuchung zur Verfügung stehen. Auf der dritten Stufe der Formalisierung kommt hingegen der Untersuchungsgrundsatz uneingeschränkt zur Anwendung, da es sich hier um Anscheins- und Beweisregeln handelt, die das Vollstreckungsorgan in vollem Umfang zu prüfen hat und die nur annäherungsweise den zivilrechtlichen Status wiedergeben sollen.248 Diese eigens für die Vollstreckung geschaffenen Vermutungstatbestände 247 Ebenso das französische Vollstreckungsrecht. L.Art. 27 führt das Prinzip der contradiction, das grundsätzlich nur im Erkenntnisverfahren Anwendung findet, in die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen ein. Danach sind die Beteiligten in der Zwangsvollstreckung gehalten, im Falle der Pfändung stets die Dokumente, auf die sie ihr Recht stützen, vorzulegen. Ausführlich dazu Traichel, S. 94 ff. 248 Die Abgrenzung zur Verhandlungsmaxime spielt hier jedoch ohnehin keine große Rolle, da die Anscheins- und Beweisregeln auf der dritten Stufe der Formalisierung gerade bezwecken, eine
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richten sich nicht mehr an die Parteien, sondern ganz gezielt an den Hoheitsträger, das Vollstreckungsorgan. Sie sind konzipiert, um dessen schnelle Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Zugleich wird zwar im Wege der Vermutung eine Schnittstelle zum Zivilrecht geschaffen, die sich aber auf eine unverbindliche Vermutung im Sinne einer bloßen Annäherung beschränkt. Die Unverbindlichkeit liegt darin begründet, dass den Parteien die abschließende gerichtliche Klärung unbenommen bleibt. Die Vermutungstatbestände gelten daher nur subsidiär. In ihrer Rechtsnatur sind sie eindeutig dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weshalb die Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Prinzipien sachgerecht ist. Die Überlegungen zum Vorbehalt der abschließenden zivilgerichtlichen Überprüfung zeigen auf, dass der Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht bezüglich seiner Schnittstelle nicht bei den formalisierten Vollstreckungstatbeständen anzusiedeln ist, sondern erst bei einer sich anschließenden zivilgerichtlichen Auseinandersetzung. Im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewaltenteilung ist eine personelle Unterscheidung zwischen Vollstreckungsorgan als Verwaltungsbehörde und Vollstreckungsgericht als Judikative unausweichlich. Zudem bietet erst die von der formalisierten Entscheidung des Vollstreckungsorgans abweichende Rechtsansicht einer Partei die Grundlage für eine Streitentscheidung der Gerichte im Sinne einer rechtsprechenden Tätigkeit. Umgekehrt ist eine vorherige Anhörung des Schuldners und eine Verhandlung vor dem Hintergrund der damit verbundenen Vereitelungsgefahr und dem Gebot der Effektivität der Vollstreckung nicht opportun. Die Abstufung im Bereich der Formalisierung erweist sich mithin unter mehreren Gesichtspunkten als sachgerecht. Das vorstehende Modell zur Abgrenzung von Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime nähert sich dem österreichischen Vollstreckungsmodell an. Dort wird die Beibringungsverpflichtung des Gläubigers auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Zwangsvollstreckung beschränkt. Bei diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen handelt es sich typischerweise um die hier auf der zweiten Stufe der Formalisierung angesiedelten gerichtlichen Entscheidungen, klassischerweise um den Vollstreckungstitel. Diesen beizubringen ist Sache des Gläubigers. Eine Disposition über den Ablauf des Vollstreckungsverfahrens ist ihm hingegen untersagt. 7. Verhältnis der Sachaufklärung zum Gebot der Effektivität Die Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung wird in der Zwangsvollstreckung durch das alles beherrschende Postulat der Effektivität erheblich eingeschränkt. Darin mag auch der Grund für die vernachlässigte dogmatische Erörterung des umfangreiche Tatsachenermittlung zu vermeiden und damit die Effektivität der Zwangsvollstrekkung sicherzustellen. Fragen der Besitzverhältnisse im Rahmen der §§ 808 f. ZPO erschließen sich zumeist unmittelbar ohne weitere Sachaufklärung, so dass die Abgrenzung zwischen Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime hier keine praktische Bedeutung hat.
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Problems der Tatsachenermittlung in der Zwangsvollstreckung liegen.249 Das Gebot der Effektivität zwingt eben nicht nur dazu, die staatliche Sachverhaltsaufklärung effektiv zu gestalten, sondern gibt auch dem unmittelbaren Vollstrekkungszugriff den Vorrang vor einer umfassenden Sachaufklärung. Das Problem der Abgrenzung zwischen Untersuchungsmaxime und Verhandlungsmaxime stellt sich dann gar nicht mehr. Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang das Offenbarungsverfahren der Zivilprozessordnung,250 das die Verpflichtung des Schuldners zur Aufklärung seiner Vermögensverhältnisse von der Erfolglosigkeit eines vorangegangenen Vollstreckungsversuchs abhängig macht,251 § 807 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO,252 zumal dem Schuldner immer noch gemäß § 900 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO die Möglichkeit der Vertagung oder des Widerspruchs bleibt, um die Offenbarung aufzuschieben.253 Noch stärker richtet sich die Kritik gegen das Befragungsrecht des Gerichtsvollziehers gemäß § 806 a ZPO, das zwar uneingeschränkt zu Beginn der Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden kann, dem aber eine korrespondierende Auskunftsverpflichtung des Schuldners oder des Dritten fehlt, § 806 Abs. 2 S. 2 ZPO.254 Hilfreich wäre hier eine Annäherung an das schweize249
S.o. 1. Bruckmann, ZRP 1994, 129 (129 ff.), und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 80, bezeichnen das derzeitige Offenbarungsverfahren zu Recht als ineffizient. 251 Auf den bedenklichen Einsatz des Offenbarungsverfahrens als archaisches Druckmittel zur Schuldenbereinigung hat schon Gaul, ZZP 1995, 3 (37), aufmerksam gemacht. Die weiteren Bedenken Gauls gegen die Abnahme der Offenbarung durch den Gerichtsvollzieher sind hingegen unbegründet. Soweit Gaul, ZZP 1995, 3 (40), in diesem Zusammenhang von dem Novum einer Beweisaufnahme vor dem Gerichtsvollzieher spricht, die das Gesetz bisher dem Gericht vorbehalten habe, vernachlässigt Gaul die Nähe zu den Aufklärungsmitteln im allgemeinen Verwaltungsverfahren. Es geht hier nicht um eine gerichtliche Beweisaufnahme mit den Mitteln des gerichtlichen Strengbeweises, sondern schlicht um eine gemäß § 22 VwVfG geläufige verwaltungsbehördliche Untersuchung. An der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers ist daher nichts auszusetzen. 252 Verfassungsrechtliche Bedenken in umgekehrter Stoßrichtung äußern hingegen Schilken, Rpfleger 1994, 138 (143); ders., in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 426 (429 f.), sowie Goebel, KTS 1995, 143 (177), an den Regelungen des § 807 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO. Diese Vorschriften eröffnen im Falle der vergeblichen oder vom Schuldner verweigerten Durchsuchung den Weg für das Offenbarungsverfahren. Hierzu Goebel, KTS 1995, 143 (177): „Dass hiermit die Ausübung des Grundrechts faktisch beeinträchtigt und die Rechtsprechung des BVerfG konterkarriert wird, dürfte auf der Hand liegen.“ Entgegen diesen Befürchtungen stellt sich das Offenbarungsverfahren jedoch in dieser Situation schlicht als der gegenüber einer erzwungenen Durchsuchung weniger einschneidende Eingriff in die Rechtssphäre des Schuldners dar. In der weiteren Folge verfangen auch die von Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (37), geäußerten Bedenken im Hinblick auf die Eintragung in die Schuldnerkartei nicht. Sofern diesbezüglich verfassungsrechtliche Bedenken nicht auszuräumen wären, sollte man sich Gedanken darüber machen, ob eine Reform des Offenbarungsverfahrens nicht zugleich die Schuldnerkartei in ihrer jetzigen Form entbehrlich machen könnte. 253 Gaul, ZZP 1995, 3 (44), plädiert daher mit Recht für eine Streichung dieses Rechtsbehelfs. Der Schuldner ist hinreichend durch die Möglichkeit zur Einlegung der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO geschützt. 254 Ebenso kritisch Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (318). Gaul, ZZP 1995, 3 (33 f.), plädiert daher für eine Verstärkung des Befragungsrechts zu einer Auskunftspflicht des Schuldners. Unklar bleibt dabei jedoch, weshalb Gaul dabei an der Koexistenz von Auskunftspflicht 250
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rische Modell des Art. 91 SchKG, der den Schuldner bereits zu Beginn der Vollstreckung zur Offenbarung verpflichtet.255 Die Verletzung dieser Verpflichtung ist zudem strafrechtlich sanktioniert. Es fehlt allerdings ein dem österreichischdeutschen Offenbarungsverfahren eigenes Mittel zur Erzwingung der Vermögensauskunft in Form der Beugehaft. Insoweit empfinden die Schweizer das hiesige System als vorbildhaft.256 Es zeigt sich, was sich schon an früherer Stelle unter dem Aspekt der Vollstrekkungsreihenfolge erwiesen hat,257 dass nämlich eine statische Abstufung zwischen Sachverhaltsaufklärung und erstem Vollstreckungszugriff kaum sinnvoll erscheint.258 Die Auswahl der geeignetsten Maßnahme, zu deren Ergreifung das Vollstreckungsorgan unter dem Aspekt der Effektivität verpflichtet ist,259 muss das Vollstreckungsorgan im Einzelfall in Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten vornehmen.260 Fehlen jegliche Anhaltspunkte für verwertbare Vermögensgegenstände, hat die Sachaufklärung notwendig Priorität, ohne dass hiergegen rechtspolitische oder rechtssystematische Bedenken bestünden.261 Sind gemäß § 806 a ZPO und Offenbarungsverpflichtung gemäß § 807 ZPO festhalten will. Die durch eine Verkopplung der beiden Institute auftretenden Schwierigkeiten lassen sich am besten lösen, indem man das Offenbarungsverfahren unmittelbar, d.h. ohne Vorbedingungen, an den Beginn der Vollstreckung verlagert und damit die Auskunftspflicht in Form des bisherigen Befragungsrechts des Gerichtsvollziehers gänzlich entbehrlich macht. 255 In diesem Sinne hat bereits vor über 20 Jahren Gaul, JZ 1973, 473 (482), für eine Kombination im Sinne eines Wahlrechts beim ersten Zugriff zwischen Sachpfändung und Offenbarungsversicherung plädiert. Ebenso Behr, Rpfleger 1981, 417 (421); Lüke, in: Reform des Zwangsvollstrekkungsrechts, ZZP 1992, 432 (435); Zeiss, JZ 1974, 564 (566 f.); Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 67 IX, und Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (324 f.). Bis zuletzt stellt Gaul, ZZP 1995, 3 (27), auf ein Wahlrecht des Gläubigers anstatt des Gerichtsvollziehers ab. Er überschätzt damit nach den hier entwickelten Vorstellungen die Reichweite der Dispositionsmaxime (s.o. III 3). 256 So Gaul, ZZP 1995, 3 (27), m.w.N. 257 S.o. § 7 V. 258 Ebenso kritisch gegenüber der geltenden Gesetzeslage äußert sich zuletzt Gaul, ZZP 1995, 3 (42): „Auch im künftigen Recht sollte dem Gläubiger die freie Wahl bleiben zwischen der unangekündigten Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher im Wege des ,ersten Zugriffs‘ und der vorgeschalteten Sachaufklärung.“ 259 Zum Dominat des Gläubigerinteresses s. bereits oben unter § 7 III 2. Gaul, ZZP 1995, 3 (42), führt in diesem Zusammenhang insbesondere den „Überraschungszugriff“ an, der dem Gläubiger nicht versagt werden darf. 260 Insoweit abweichend Gaul, ZZP 1995, 3 (27, 42), der für ein Wahlrecht des Gläubigers plädiert. S. dazu bereits die Anmerkung in Fn. 255. 261 Dies hat im Einzelnen Gaul, ZZP 1995, 3 (30 ff.), nachgewiesen. Das Informationsbedürfnis des Gläubigers hat absoluten Vorrang vor den Belangen des Schuldners. Von „vermögensrechtlichen Nachteilen“ kann kaum die Rede sein, da es um die Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit des Schuldners geht. Das gesetzgeberische Argument für die Einführung des Offenbarungsverfahrens, nach dem der Schuldner keine Rücksicht verdient, weil „er sich von der Haft zu befreien jeden Augenblick im Stande“ ist (Hahn, Materialien, S. 468), kommt daher auch in diesem Zusammenhang zum Tragen. Dieser Konsequenz hat sich der Gesetzgeber jedoch merkwürdigerweise bis zuletzt versperrt, obwohl bereits in der amtlichen Begründung des Entwurfs einer Zivilprozessordnung von 1931 der wiederholte Satz zu lesen war: „Wer seine Gläubiger nicht befriedigt, ist verpflichtet, wenigstens seine Verhältnisse offenzulegen, und zwar ohne jede Vorbedingung,“
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hingegen pfändbare Vermögensgegenstände bereits bekannt, sei es dem Vollstreckungsorgan selbst oder von Seiten des Gläubigers, so hat der rasche Vollstreckungszugriff Vorrang vor einer weitergehenden Sachaufklärung. Nur so kann eine Vereitelung der Vollstreckung durch den informierten Schuldner verhindert werden.262 8. Einsichten aus der bisherigen Reformdiskussion Der abschließende Lösungsvorschlag zu der bisherigen Reformdiskussion mag banal erscheinen, aber hinter dieser Banalität steckt die Möglichkeit zu einer erheblichen Rechtsvereinheitlichung und damit zu einer Rechtsvereinfachung. Die Orientierung an der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung als Verwaltungsverfahren ermöglicht die direkte Anknüpfung an die §§ 24, 26 VwVfG und damit an die Untersuchungsmaxime. Eine Ausnahme bilden allein die direkten Schnittstellen zum Privatrecht in Form der ersten und zweiten Stufe der Formalisierung, die sich wegen des unmittelbar zivilrechtlichen Charakters an der Verhandlungsund Dispositionsmaxime zu orientieren haben. a) Auskunftsverpflichtung von Dritten und Behörden Die Anknüpfung an das Verwaltungsverfahrensrecht erlaubt es, das eigentliche Kernproblem, die mangelnden Aufklärungskompetenzen der Vollstreckungsorgane, in Angriff zu nehmen. In Anlehnung an Art. 91 Abs. 4 und 5 SchKG erscheint es dabei sinnvoll, Dritte und auch sämtliche Behörden zur Auskunft gegenüber dem Vollstreckungsorgan in demselben Umfang zu verpflichten, in dem der Schuldner zur Auskunft verpflichtet ist.263 Dritte und Behörden werden durch diese Verpflichtung kaum belastet, da sie lediglich Informationen weiterzugeben haben. Umgekehrt macht die Eröffnung dieser Informationsquellen eine Zwangseinwirkung gegenüber dem Schuldner entbehrlich und fördert das Gläubigerinteresse an einem raschen Vollstreckungszugriff. Eine derartige Auskunftsverpflichtung erscheint daher kaum bedenklich, zumal eine vergleichbare Entwurf 1931, S. 433 ff. Zustimmend Gaul, ZZP 1995, 3 (26), und Lüke, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 432 (435). Ablehnend gegenüber einer Verlagerung der Offenbarungsversicherung an den Beginn der Vollstreckung äußert sich hingegen Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 50, der darin einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sieht. 262 Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung sah allein dieses Risiko und entschied sich daher für einen generellen Vorrang der Sachpfändung vor der Sachaufklärung. Danach sollte möglichst rasches Handeln statt Verhandeln zum Vollstreckungserfolg führen, so Gaul, ZZP 1995, 3 (7 m.w.N.). 263 Vor diesem Hintergrund scheint die französische Regelung zur Sachaufklärung, die die Staatsanwaltschaft zur fristgerechten Mithilfe und Bereitstellung verpflichtet (s.o. 5), überzogen zu sein. Ein wesentlich einfacherer Weg besteht darin, sämtliche Behörden zur direkten Auskunftserteilung gegenüber dem Vollstreckungsorgan zu verpflichten und dessen eigene Aufklärungskompetenzen zu erweitern. Auf diesem Weg wird auch die unausweichliche Verzögerung durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft vermieden.
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Regelung in dem wichtigsten Bereich der Forderungsvollstreckung ohnehin bereits auch im deutschen Recht vorgesehen ist.264 b) Vollstreckung des öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruchs In dem Fall, dass ein Dritter die Auskunft verweigert, stellt sich die Frage nach der Effektivität des hier unterbreiteten Vorschlags zur Reform der Sachaufklärung. Die Vollstreckung des öffentlich-rechtlich zu bewertenden Auskunftsanspruchs des Vollstreckungsorgans vollzieht sich jedoch auf demselben Wege wie gegenüber dem Schuldner. Dazu bedarf es nicht einmal eines gesonderten Offenbarungsverfahrens, wie es derzeit im Bereich der Schuldnerauskunft vorgesehen ist. Denn es handelt sich um einen Auskunftsanspruch, wie er aus anderen Rechtsbereichen bekannt ist. Dieser Anspruch ist auf eine unvertretbare Handlung, bei Bedarf in der besonderen Form der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, gerichtet und wird bei zivilrechtlicher Rechtsnatur gemäß den §§ 888, 889 ZPO vollstreckt, bei öffentlich-rechtlicher Rechtsnatur gemäß den §§ 6 ff. VwVG bzw. dem nahezu inhaltsgleichen Polizei- und Ordnungsrecht auf Landesebene. Hier deutet sich eine Fülle von Möglichkeiten zur Rechtsvereinheitlichung an. Die Gemeinsamkeiten der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsvollstreckung mit der privaten Zwangsvollstreckung werden daher noch Gegenstand eines eigenen Abschnitts sein.265 Dabei darf aber bereits an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass sich die Unterschiede auf die Besonderheit beschränken, dass in der Verwaltungsvollstreckung der Katalog des § 794 ZPO um den gesonderten Titel in Form des Verwaltungsaktes ergänzt wird.266 Demzufolge wäre auch der öffentlich-rechtliche Auskunftsanspruch des Vollstreckungsorgans in der Form eines an den Schuldner, einen Dritten oder an eine Behörde gerichteten Verwaltungsaktes gemäß den §§ 888, 889 ZPO vollstreckbar, ohne dass es eines eigenständigen Offenbarungsverfahrens bedürfte.267 Soweit Sondervorschriften unausweichlich wären, ließen
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Näher zur Drittschuldnererklärung und ihrer rechtlichen Bewertung unter c. S.u. § 10. 266 Dieser erklärt zugleich, weshalb es im Rahmen der sogenannten „prozessualen Offenbarungspflicht“ des Schuldners keines gesonderten Titels bedarf. Der Verwaltungsakt selbst, d.h. die Aufforderung zur Offenbarung durch den Gerichtsvollzieher, stellt den erforderlichen Titel dar. Auf die sich dadurch ergebende Unterscheidung von dem rein zivilrechtlichen Auskunftsanspruch hat bereits Gaul, ZZP 1995, 3 (24), hingewiesen. Die Differenzierung erklärt auch, weshalb die Konzeption Wolfgang Lükes, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 432 (434 f.), von der Offenbarungsversicherung als materiell-rechtlichem Auskunftsanspruch abzulehnen ist. Gaul, ZZP 1995, 3 (29), merkt zutreffend an, dass materiell-rechtliche Pflichten per se niemals mit Mitteln der Zwangsvollstreckung durchsetzbar sind. Gaul bezeichnet den Vorschlag von Lüke daher als Rückfall in die Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. 267 Schon der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung sah die Offenbarungspflicht des Schuldners als Sonderfall einer unvertretbaren Handlung im Sinne des § 888 ZPO an, Hahn, Materialien, S. 468. Gaul, ZZP 1995, 3 (9), leitet daraus den systematischen Zusammenhang zwischen dem Offenbarungsverfahren, §§ 899 ff. ZPO, und den Vorschriften der §§ 888 ff. ZPO ab. 265
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sich diese im dritten Abschnitt des achten Buches der Zivilprozessordnung integrieren.268 Sollte die Auskunft nicht verweigert werden, aber unrichtig erteilt sein, so greift in gleicher Weise die Möglichkeit der Vollstreckung gemäß den §§ 888, 889 ZPO ein, da der Auskunftsanspruch nicht erfüllt worden ist. Parallel dazu muss der Auskunftserteilende in diesem Bereich mit strafrechtlichen Repressionen rechnen, da er sich zumindest dem Vorwurf des versuchten Betruges, sei es eigenoder fremdnützig, aussetzt. c) Die ungeklärte Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung Das Dilemma der derzeitigen Reformdiskussion im Bereich der Sachaufklärung dürfte darin zu sehen sein, dass es bislang nicht gelungen ist, die Zwangsvollstreckung in die bekannten Kategorien von öffentlichem und privatem Recht, von Rechtspflege und Verwaltung einzuordnen. Es fehlt daher bislang eine Bezugnahme auf bekannte Modelle einer modernen Sachaufklärung. Dies führt dazu, dass teilweise versucht wird, die Mängel der Sachaufklärung durch ergänzende Regelungen auf materiell-rechtlicher Ebene zu kompensieren. Dazu zählen insbesondere Überlegungen, das Pfändungspfandrecht im Bereich des Arbeitseinkommens bei einem Arbeitgeberwechsel automatisch auf das neue Arbeitseinkommen zu erstrecken. Dieser Vorschlag lässt sich dogmatisch kaum rechtfertigen, da es sich um eine neue Forderung gegenüber einem anderen Drittschuldner handelt, die demzufolge eines gesonderten Pfändungsaktes gegenüber dem neuen Arbeitgeber bedarf. Die Lösung der Probleme sollte daher nicht über dogmatisch fragwürdige Umwege gesucht werden. Es gilt vielmehr, das Problem an der Wurzel zu packen und zu lösen. Dass dies eine dogmatische Aufarbeitung voraussetzt, zeigt die bisherige Untersuchung. d) Der unnötige Streit um die Rechtsnatur der Drittschuldnererklärung Bestes Beispiel für die bisherigen Versäumnisse bei der dogmatischen Durchdringung der Sachaufklärung ist der Streit um die Drittschuldnererklärung, der sich bereits an der fragwürdigen Rechtsnatur der Auskunft entzündet. In der zivilrechtlich orientierten Diskussion besteht Uneinigkeit darüber, ob den Drittschuldner eine einklagbare Auskunftsverpflichtung269 oder lediglich eine Aus268 Unter Hinzuziehung der allgemeinen Verwaltungsrechtslehre, namentlich des Verwaltungsaktes, würde sich damit auch die jahrzehntelange Debatte um die Rechtsnatur der Offenbarungsverpflichtung des Schuldners erledigen. Ausführlich zum Streitstand Gaul, ZZP 1995, 3 (17 ff.), der in Anlehnung an die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (s.o. Fn. 239) ebenfalls für eine Einbettung der Offenbarungspflicht in das öffentlich-rechtliche Vollstreckungsverhältnis plädiert, so Gaul, ZZP 1995, 3 (22). 269 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 30.20; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3 b, sowie Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 321. Von einer Auskunftslast spricht das LG Nürnberg-Fürth, ZZP 1983, 118 (118).
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kunftsobliegenheit270 trifft. Gegen die letztere Annahme, bei der es sich um die h. M. handelt, wird mit Recht eingewandt, dass die gesetzlich angeordnete Schadensersatzverpflichtung hierzu im Widerspruch stünde.271 Zudem ist nicht plausibel, wie die h. M. bei Annahme einer bloßen Obliegenheit einen Auskunftsanspruch des Gläubigers begründen will, der eine diesbezügliche Verpflichtung des Drittschuldners voraussetzen würde. Ohne Auskunftsanspruch verkommt die Drittschuldnererklärung aber zur Farce. Andererseits steht dem Gläubiger gemäß § 836 Abs. 3 S. 1 ZPO bereits ein einklagbarer Auskunftsanspruch gegen den Schuldner zu, so dass er hinreichend geschützt erscheint.272 Als Außenstehender soll der Drittschuldner zudem nur einer geringst möglichen Belastung ausgesetzt sein. Die Argumente beider Seiten sind demzufolge stichhaltig und führen zu unüberbrückbaren Widersprüchen, solange man die zivilrechtliche Ebene nicht verlässt. Versteht man den Auskunftsanspruch als öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Drittschuldners gegenüber dem Vollstreckungsorgan, so lösen sich die aus zivilrechtlicher Sicht bestehenden Widersprüche in Wohlgefallen auf. Es handelt sich dann um einen öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruch des Staates.273 Grundlage hierfür ist die Aufforderung des Vollstreckungsorgans zur Offenbarung. Diese Aufforderung ist als Grundverwaltungsakt zwangsweise durchsetzbar. Spiegelbildlich trifft den Drittschuldner eine Auskunftsverpflichtung, nicht bloß eine Obliegenheit. Die hiergegen gerichteten Argumente, dass der Drittschuldner als Außenstehender nur in geringstmöglichem Umfang belastet werden dürfe, finden darin ihre Beachtung, dass auf eine gesonderte Schadensersatzhaftung in Form des § 840 Abs. 2 S. 2 ZPO verzichtet werden könnte. Diese Schadensersatzregelung steht im Widerspruch zu dem Umstand, dass zwischen dem Gläubiger und dem Drittschuldner kein Vertragsverhältnis besteht, das zum Schadensersatz verpflichten könnte. Ein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch lässt sich nur aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. aus § 826 BGB ableiten. Hinter dem Argument, der Drittschuldner dürfe nicht unnötig belastet werden, stehen daher durchaus berechtigte Überlegungen. Diese betreffen allerdings nicht die Rechtsnatur der Auskunftsverpflichtung des Drittschuldners, die nach öffentlichem Recht, dem Recht der Sachaufklärung in der Zwangsvoll270 BGHZ 91, 126 (128); Waldner, ZZP 1983, 121 (124); ders., JR 1984, 468, und Smid, in: Münchener Kommentar, § 840, Rdnr. 18. Lüke, JuS 1996, 185 (185), spricht mit Rücksicht auf die Schadensersatzregelung des § 840 Abs. 2 S. 2 ZPO von einer echten Rechtspflicht, die allerdings nicht im Wege der Klage durchgesetzt werden könne. 271 So Brehm, in: Stein/Jonas, § 840, Rdnr. 1, Fn. 6, im Anschluss an Waldner JR 1984, 469. Unverständlich ist jedoch, weshalb Brehm, in: Stein/Jonas, § 840, Rdnr. 19, gleichwohl den Auskunftsanspruch nicht für klagbar hält. 272 So Brehm, in: Stein/Jonas, § 840, Rdnr. 19. 273 Ebenso auch Gaul, JZ 1973, 473 (483); ders., ZZP 1995, 3 (45), der an eine Umstrukturierung der Drittschuldnerauskunft in Anlehnung an die allgemeine Zeugnispflicht denkt. In ähnlicher Weise spricht Linke, ZZP 1974, 284 (287), von einer öffentlich-rechtlichen Komponente der Auskunftspflicht des Drittschuldners. Eine „staatsbürgerliche“ Einordnung nimmt Smid, in: Münchener Kommentar, § 840, Rdnr. 2, vor.
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streckung, zu bestimmen ist, sondern die Frage einer etwaigen Schadensersatzverpflichtung des Drittschuldners, die nach Privatrecht zu beurteilen ist. Die öffentlich-rechtliche Auskunftsverpflichtung entfaltet hier keine Auswirkungen auf das zugrunde liegende Schuldverhältnis. Die jeweiligen Beziehungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Staat und Drittem sind vielmehr getrennt nach öffentlichem und privatem Recht zu beurteilen. Dass der Gläubiger nicht unangemessen benachteiligt würde, wenn ihm der Schadensersatzanspruch gegen den Drittschuldner genommen würde, belegt ein einfacher Vergleich mit der Situation im Falle der privaten Selbsthilfe. In diesem Falle stünde dem Gläubiger nicht einmal ein Auskunftsanspruch gegen den Drittschuldner zu. Der Gläubiger wird daher im Rahmen der staatlichen Zwangsvollstreckung durch die Einführung einer öffentlich-rechtlichen Auskunftsverpflichtung des Drittschuldners ohnehin schon privilegiert. Eine darüber hinausgehende Schadensersatzverpflichtung des Drittschuldners stünde im Widerspruch zu den bestehenden Ausgleichsmechanismen des Zivilrechts. Das Vertrags- und Deliktsrecht sehen eine Schadensersatzverpflichtung nur im Ausnahmefall vor. Die weitergehende Debatte um einen Titel gegen den Drittschuldner erübrigt sich angesichts des nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Auskunftsanspruchs. Der Titel besteht in einem von dem Vollstreckungsorgan ausgesprochenen Verwaltungsakt, der auf Auskunftserteilung gerichtet ist. 9. Ergebnis Anhand des Beispiels der Drittschuldnererklärung ist abschließend aufgezeigt worden, dass die Einordnung der Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren zugleich den Schlüssel für das Verständnis der Sachaufklärung liefert. Befreit man die Diskussion von zivilrechtlichen Vorstellungen, ergibt sich ein schlüssiges Modell einer modernen Sachaufklärung. Damit eröffnet sich zugleich der Zugang zu den Vollstreckungsordnungen einiger europäischer Nachbarländer.
V. Die Frage des Verfahrensfortgangs: Partei- oder Amtsbetrieb? Nachdem Klarheit darüber besteht, dass das Vollstreckungsverfahren nur auf Antrag des Gläubigers beginnt und die Tatsachenermittlung im Wege der Untersuchungsmaxime betrieben wird, stellt sich die Frage, wer auf der Grundlage des ermittelten Sachverhalts über den weiteren Fortgang des Verfahrens zu entscheiden hat. Hier hat sich als gebräuchliche Terminologie die Unterscheidung zwischen Partei- und Amtsbetrieb eingebürgert.274
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Wieser, NJW 1988, 665 (665).
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1. Die Nähe der Untersuchungsmaxime zum Amtsbetrieb Die Antwort auf die Frage nach der Entscheidungsgewalt über den Fortgang des Verfahrens wird teilweise durch die Überlegungen zur Abgrenzung von Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime vorweggenommen. In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen worden, dass die Frage der Tatsachenermittlung nur einen Aspekt in dem Spektrum der die Art und Weise des Vollstreckungsverfahrens (Wie) bestimmenden Verfahrensmaximen darstellt.275 Dabei entscheiden die Untersuchungs- und die Verhandlungsmaxime im Kern über dieselbe Frage wie das Begriffspaar Partei- oder Amtsbetrieb, nämlich über die Frage des Verfahrensfortgangs. Es liegt daher nahe, schon aufgrund dieser Überlegung parallel zur Untersuchungsmaxime für den Amtsbetrieb in der Zwangsvollstreckung zu plädieren,276 um Wertungswidersprüche und Reibungsverluste zu vermeiden, die bei einer Aufteilung der Entscheidungsgewalt innerhalb des Vollstreckungsverfahrens unausweichlich wären.277 Das Begriffspaar Partei- und Amtsbetrieb hat seine Wurzel in den Zustellungsvorschriften des allgemeinen Teils der Zivilprozessordnung. Dort hatte der Gesetzgeber die Zustellung auf Betreiben der Parteien ursprünglich als den Regelfall normiert, §§ 166 ff. ZPO a.F., die Zustellung von Amts wegen stellte den Ausnahmefall dar, §§ 208 ff. ZPO a.F. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis hat sich jedoch im Laufe des zurückliegenden Jahrhunderts weitgehend umgekehrt, so dass heute in der Praxis der Amtsbetrieb vorherrscht.278 Dies gilt insbesondere auch für die Zwangsvollstreckung, in der nur noch im Falle des § 829 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Zustellung auf Betreiben der Partei vorgesehen ist. Ansonsten wird die Zustellung von Amts wegen veranlasst.279 Diesen Wandel hat der Gesetzgeber zuletzt zum Anlass genommen, die Vorschriften der §§ 166 ff. ZPO grundlegend zu überarbeiten.280 Die Zustellung von Amts wegen ist nunmehr auch der gesetzliche Regelfall. Aufgrund der bisherigen Überlegungen scheint es in terminologischer Hinsicht sinnvoll zu sein, das Begriffspaar des Partei- und Amtsbetriebes nicht auf seinen ursprünglichen Anwendungsbereich, den Zustellungsbetrieb, zu beschränken, sondern vielmehr zu verallgemeinern. Die Zustellung ist nur ein
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S.o. IV 2. So etwa im Ergebnis auch Stöber, in: Zöller, Vor § 704, Rdnr. 20, der allerdings auf einige gesetzliche Ausnahmen hinweist. 277 So begrüßenswert daher die Ausführungen Stürners, ZZP 1986, 291 (306 f.), und ebenso diejenigen von Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.20, zur uneingeschränkten Geltung des Amtsbetriebs sind, müssen sie dennoch in Anbetracht der vorhergehenden Bemerkungen Stürners, ZZP 1986, 291 (301 f.), zur weitgehenden Dispositionsbefugnis des Gläubigers verwundern. Die Prinzipien schließen, was den Ablauf der Zwangsvollstreckung anbelangt, einander aus. 278 Diese Umkehr hat sich in der zuletzt vorgenommenen Reform der Zustellungsvorschriften niedergeschlagen. 279 Zu der Möglichkeit der Parteizustellung gemäß § 750 Abs. 1 S. 2 ZPO s. noch näher im dritten Teil unter § 13 II 3. 280 Zu den Reformbestrebungen im Vorfeld ausführlich Schilken, DGVZ 1995, 161 (161 ff.). 276
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Aspekt des Verfahrensfortgangs und der Frage, wer darüber zu entscheiden hat und tätig werden kann bzw. muss. Da sich das Begriffspaar Parteibetrieb versus Amtsbetrieb stärker an der maßgeblichen Abgrenzung der zuständigen Beteiligten orientiert und – im Gegensatz zu den Begriffen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime – nicht so sehr einzelnen Aspekten des Verfahrens, sei es die Tatsachenermittlung, sei es das Zustellungswesen, verhaftet ist, erscheint es gerechtfertigt, diese Begrifflichkeiten als Oberbegriff zu wählen. Dass man sich auf diesem Wege über die dominierende Terminologie im Prozessrecht hinwegsetzt, die sich vornehmlich auf den Aspekt der Sachverhaltsermittlung konzentriert,281 darüber dürfte Klarheit bestehen. Da jedoch aufgezeigt worden ist, dass die Diskussion nicht einer gewissen Schräglage entbehrt, insofern sie die eigentlichen Probleme der Aufklärungskompetenzen nicht anspricht, erscheint es durchaus gerechtfertigt, den Streit um staatliche Untersuchung und Beibringung durch die Parteien zurückzudrängen und mit dem Begriffspaar des Amts- und Parteibetriebes eine einheitliche den gesamten Ablauf des Verfahrens beherrschende Terminologie und Prinzipienlehre einzuführen.282 2. Bestehende Dispositionsrechte des Gläubigers Die bisherigen Überlegungen zur Parallele zwischen Untersuchungsgrundsatz und Amtsbetrieb legen es nahe, dass nicht anders als bei der Frage nach der Tatsachenermittlung auch im Rahmen der weiteren Verfahrensherrschaft das Vollstreckungsorgan von Amts wegen und nicht etwa allein auf Betreiben der Parteien tätig zu werden hat. Diese in gewisser Hinsicht vorweggenommene Antwort auf die Frage nach der Entscheidungsgewalt über den Verfahrensfortgang gilt es im Folgenden auf unabhängigem Wege zu verifizieren. Losgelöst vom Untersuchungsgrundsatz ist die Frage zu klären, ob es zweckmäßig und dogmatisch unbedenklich ist, dem Gläubiger Dispositionsrechte über den Verfahrensfortgang einzuräumen. Ist eine strikte Trennung zwischen Amts- und Parteibetrieb überhaupt möglich? Im Bereich der Zustellung ist im Vollstreckungsrecht der Amtsbetrieb der Grundsatz, der lediglich durch die Ausnahmeregelung zur Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Drittschuldner, § 829 Abs. 2 S. 1 ZPO, durchbrochen wird. Diese Ausnahmeregelung ist jedoch zugleich 281 Die Begriffskategorien Amts- und Parteibetrieb spielen eine deutlich untergeordnete Rolle in der Prozessrechtsterminologie. Anders hingegen im Sinne der vorstehenden Überlegungen Reichold, in: Thomas/Putzo, Einl I, Rdnrn. 1 ff., der den Begriff der Parteiherrschaft als Oberbegriff für den Verhandlungs- und Dispositionsgrundsatz wählt. 282 Zum besseren Verständnis sei darauf hingewiesen, dass die mit dem Begriffspaar Parteibetrieb versus Amtsbetrieb aufgeworfene Frage des Verfahrensfortgangs von der Frage nach einem gradus executionis in der Zwangsvollstreckung zu trennen ist. Beide Fragen werden gelegentlich miteinander vermengt (so insbesondere die Ausführungen von Stürner, ZZP 1986, 291 (301 ff.)), obwohl die letztgenannte Frage nicht die subjektive Verfahrensherrschaft, sondern die objektiven Entscheidungskriterien auf materiell-rechtlicher Ebene zum Gegenstand hat. Darauf ist bereits im Rahmen der materiell-rechtlichen Prinzipien eingegangen worden, s.o. § 7 V 1.
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Stein des Anstoßes in der Praxis, da der Gläubigerantrag auf Zustellung zur reinen Förmelei wird.283 Liegt die Entscheidungskompetenz über den Pfändungsund Überweisungsbeschluss beim Vollstreckungsorgan, so soll dieses auch im Falle der Pfändung und Überweisung für eine Zustellung von Amts wegen Sorge tragen. Im Widerspruch zu der Zustellung im Amtsbetrieb stehen die übrigen Dispositionsrechte, die dem Gläubiger in der Zwangsvollstreckung zugestanden werden.284 Diese Mitbestimmungsrechte ergeben sich nicht ausdrücklich aus dem geltenden Recht, sondern sind im Wesentlichen Ausdruck der Organisation der Zwangsvollstreckung. Die Dezentralisierung und Verteilung der Kompetenzen auf insgesamt vier Vollstreckungsorgane285 ohne wechselseitige Verknüpfung bringt es mit sich, dass der Gläubiger nicht nur über den Beginn der Zwangsvollstreckung als solcher, sondern auch über die konkret zu ergreifenden Maßnahmen bestimmt. Dies gilt zumindest, soweit unterschiedliche Vollstreckungsorgane zuständig sind. Bedeutungsvoll ist dies für die Geldvollstreckung, die in bewegliche Sachen, Forderungen und Grundstücke erfolgen kann. Da eine horizontale Abstimmung zwischen Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsgericht und Grundbuchamt nicht vorgesehen ist, steht im Ergebnis dem Gläubiger die Dispositionsbefugnis über den Verfahrensfortgang zu. Innerhalb der Tätigkeitsbereiche der Vollstreckungsorgane ergibt sich folgendes Bild: Im Bereich der Forderungsvollstreckung obliegt dem Gläubiger die Individualisierung der zu pfändenden Forderung.286 Entsprechendes gilt für Immobilien. Weniger klar ist die Situation im Mobiliarvollstreckungsrecht, §§ 811 ff. ZPO. Schon aus praktischen Gründen wählt hier zumeist der allein präsente Gerichtsvollzieher die Gegenstände aus, die als aussichtsreiche Vollstreckungsobjekte in Betracht kommen. Gleichwohl will die h. M. auch hier dem Gläubiger ein Wahl- bzw. Weisungsrecht einräumen.287 Für einen Amtsbetrieb, wie er im Zustellungswesen fest etabliert ist, bleiben damit kaum noch Freiräume. Im Bereich der direkten Vollstreckung von Herausgabeansprüchen gibt es beispielsweise eo ipso kein Wahlrecht mehr, da der Vollstreckungsgegenstand unmittelbar feststeht. Lediglich im Bereich der Vollstreckung von unvertretbaren Handlungen, von Duldungs- und Unterlassungsansprüchen bleibt dem Vollstreckungsorgan die Abwägung zwischen Zwangsgeld und Zwangshaft. Ein Mitspracherecht 283 Stürner, ZZP 1986, 291 (307), plädiert daher mit guten Gründen dafür, die „etwas willkürlich und zufällig wirkenden Reste des Parteibetriebes, wie z.B. die Parteizustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, vollends aufzugeben.“ 284 Ausführlich zum gesetzlichen Kanon der Dispositionsrechte Wieser, NJW 1988, 665 (666 ff.). 285 Näher dazu im fünften Teil unter § 23. 286 Stürner, ZZP 1986, 291 (301); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.15. 287 Stürner, ZZP 1986, 291 (301); Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 21, der von einer grundsätzlichen Auswahl- und Kombinationsfreiheit spricht; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.15 i.V.m. Rdnr. 8.5, und Gaul, ZZP 1974, 241 (253). Wieser, NJW 1988, 665 (669) beruft sich auf die Regelung des § 58 Nr. 2 GVGA (s. dazu nachfolgend die Anmerkung in Fn. 311). Zur Gegenauffassung sogleich unter 3 ff.
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wird dem Gläubiger in diesem Bereich verwehrt,288 womit sich die h. M. in Widerspruch zu den angeblichen Dispositionsrechten des Gläubigers begibt. An dieser Stelle treten die dogmatischen Bedenken gegen eine Gläubigerdisposition am deutlichsten zu Tage. Sie werden jedoch nicht klar geäußert und lassen sich zunächst nur aus dem Ergebnis, der Versagung der Gläubigerdisposition über Zwangsgeld und Zwangshaft, ablesen. 3. Einwirkungsrechte des Gläubigers versus staatliches Gewaltmonopol Die Geltung der Dispositionsmaxime fördert die Neigung, dem Gläubiger in der Zwangsvollstreckung weitgehende Dispositionsrechte zu gewähren. Kann der Gläubiger über das Ob der Vollstreckung, d.h. ihren Anfang und ihr Ende bestimmen, so liegt der Gedanke nahe, dass ihm erst recht die Befugnis zustehen muss, auch die Art und Weise der Ausführung zu beeinflussen.289 Bezogen auf die Wahl der Vollstreckungsart und das Vollstreckungsobjekt spricht Stürner daher in Anlehnung an die Terminologie zur zivilrechtlichen Gesamtschuld von der Paschastellung des Gläubigers.290 Bedenklich ist an diesem Modell die mangelnde Konsequenz, dem Gläubiger jegliche Dispositionsrechte einzuräumen. Wie bereits angedeutet, äußert sich diese mangelnde Konsequenz insbesondere im Bereich der Vollstreckung von Ansprüchen auf unvertretbare Handlungen, Duldungen und Unterlassungen. Hier soll als Auswirkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Dispositionsgrundsatz durchbrochen und grundsätzlich vom Vorrang des milderen Zwangsbzw. Ordnungsmittels auszugehen sein.291 Die Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Zusammenhang deutet einen tiefergehenden Wertungswiderspruch an, dem sich die Befürworter einer über Beginn und Ende der Vollstreckung hinausgehenden Gläubigerdisposition ausgesetzt sehen. Es geht um das staatliche Gewaltmonopol, das Ausgangspunkt der gesamten Zwangsvollstreckung ist.292 Danach unterliegt die staatliche Gewaltanwendung ausschließlich den hierzu berufenen staatlichen Stellen.293 Will man nun dem Gläu-
288 So etwa Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.14; Gerhardt, ZZP 1982, 467 (484), und Stürner, ZZP 1986, 291 (305), m.w.N. 289 So etwa Bruns/Peters, § 13, Anm. 1, und Lüke, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 359. Dem stehe allerdings nicht entgegen, dass das Verfahren nach Einleitung vom Vollstrekkungsorgan von Amts wegen fortgeführt werde. Unklar ist allerdings, inwieweit hier noch ein Freiraum für eine Gläubigerdisposition verbleiben soll. 290 Stürner, ZZP 1986, 291 (301); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.14. 291 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.14. 292 Dieser Aspekt findet in der derzeitigen Diskussion nur am Rande Erwähnung. Die Stimmen in der Literatur, die Bedenken an einem Weisungsrecht des Gläubigers äußern, sprechen in nebulöser Form von gleich- oder höherrangigen berechtigten Interessen des Schuldners, dritter Personen oder der Gemeinschaft. So etwa AG Frankfurt a.M., DGVZ 1975, 95 (95), und Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 7. 293 Dies übersieht Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 48, der die These vertritt, dass mit der Anerkennung eines Rechtssatzes noch nichts darüber ausgesagt sei, wie
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biger im Rahmen der Zwangsvollstreckung Dispositionsbefugnisse über den Ablauf der Vollstreckung einräumen, so berührt dies zwangsweise das staatliche Gewaltmonopol und das nicht etwa nur an der Peripherie, sondern in dem empfindlichen Bereich der Entscheidungsfindung.294 Eine der ersten Entscheidungen, die das Vollstreckungsorgan zu treffen hat, ist die Frage nach der Reihenfolge der zu ergreifenden Vollstreckungsmaßnahmen. Diese Entscheidungsbefugnis wird dem Vollstreckungsorgan durch die Dispositionsbefugnis des Gläubigers nahezu gänzlich genommen,295 was auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken stoßen muss.296 Der Konflikt mit dem staatlichen Gewaltmonopol ist es, der sich im Rahmen der §§ 888, 890 ZPO am deutlichsten Luft verschafft. Hier fühlt sich die h. M. veranlasst, unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Gläubigerdisposition auszuschließen.297 Im Kern geht es dabei um das Gewaltmonopol.298 Nimmt man dieses Monopol ernst, so darf es in der Zwangsvollstreckung keinerlei Einmischung der Parer verfahrensrechtlich zur Geltung zu bringen sei. Schmidt-von Rhein sieht sich demzufolge nicht daran gehindert, sich trotz der unmittelbaren Grundrechtsgeltung im Verhältnis zwischen staatlichem Vollstreckungsorgan und den Beteiligten gegen das Offizialprinzip und gegen eine Kürzung der Gläubigerrechte auszusprechen. 294 Böhmer, BVerfGE 49, 220 (234), formuliert diese Bedenken gegen die Gläubigerdisposition in seinem bekannten Sondervotum wie folgt: „Nach meiner Überzeugung ist ein derartiges System im Blick auf die Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht unbedenklich, weil es die Art und Intensität des Einsatzes staatlichen Zwangs weitgehend vom Belieben des Gläubigers abhängig macht. Das staatliche Zwangsmonopol untersteht in gewissem Umfange seiner Disposition. Wenn der Gläubiger auch ein Recht darauf hat, dass der Staat ihm zur Befriedigung seiner Forderung verhilft, bestehen erhebliche Zweifel, ob es mit dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang steht, dass er auch die Mittel bestimmen kann, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll. Da der Staat nicht als ,verlängerter Arm‘ des Gläubigers, sondern kraft der ihm obliegenden Aufgabe tätig wird, das Recht zu wahren und durchzusetzen, muss er den Eingriff in das Grundrecht verantworten. Diese Verantwortung kann nicht ohne weiteres vom Willen des Gläubigers abhängig sein.“ Zu den Konsequenzen, die Böhmer daraus zieht, s. die Anmerkung in der nachfolgenden Fußnote. 295 Insoweit ist auch die Kritik von Böhmer, BVerfGE 49, 220 (234 f.), berechtigt, der bereits auf den bedenklichen Umfang der Dispositionsbefugnis des Gläubigers hingewiesen hat (s. dazu schon das Zitat in der vorstehenden Fußnote). Böhmer zieht daraus jedoch zu Unrecht den Schluss, eine Reihenfolge der Vollstreckungsarten gesetzlich vorschreiben zu wollen (s. dazu schon oben unter § 7 V). Die dadurch bedingten Hemmnisse in der Vollstreckung lassen sich vermeiden, indem man das Problem an der eigentlichen Wurzel zu lösen sucht und dem Gläubiger von vornherein etwaige Dispositionsrechte versagt. Das dann allein verantwortliche Vollstreckungsorgan ist bereits kraft Gesetzes an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden (zu dessen Anwendung s.o. § 7 IV), so dass sich eine weitere gesetzliche Ausgestaltung in Form eines starren gradus executionis als entbehrlich erweist. 296 So im Anschluss an Böhmers Sondervotum (s. vorstehende Fußnote) auch Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). Die oben geäußerten Bedenken richten sich im Übrigen auch gegen die Sachaufklärung, die gemäß den §§ 900 ff. ZPO ebenfalls der Gläubigerdisposition unterworfen ist. S. dazu schon oben unter IV 6 a. 297 Gerhardt, ZZP 1982, 467 (484); Stürner, ZZP 1986, 291 (305 m.w.N.). 298 Gerhardt, ZZP 1982, 467 (486), sieht hingegen in der Hinwendung zum Amtsverfahren die Aufgabe eines Prinzips unseres Vollstreckungsrechts, das insoweit die Privatautonomie und Dispositionsmaxime bis in den Vollstreckungsakt hinein verlängert. Für eine derartige Verlängerung bietet das staatliche Gewaltmonopol jedoch keinen Freiraum.
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teien geben.299 Das staatliche Gewaltmonopol bezweckt nicht etwa eine Abschwächung der privaten Selbsthilfe, sondern deren völlige Ausschaltung, weswegen das derzeitige Geschicklichkeitsspiel zwischen Gläubiger und Schuldner gleich einem Räuber- und Gendarmspiel als überholt gelten sollte.300 Davon unberührt bleibt das Bestimmungsrecht des Gläubigers über Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung,301 da es hier nicht um die Art und Weise der Gewaltausübung geht, sondern allein um das der Privatautonomie des Gläubigers unterliegende Bestimmungsrecht über die Ausübung seines Forderungsrechtes. Die vorstehenden Überlegungen erlauben es, den vermeintlichen Erst-rechtSchluss von der Disposition über Beginn und Ende der Vollstreckung auf das Bestimmungsrecht über den Ablauf des Verfahrens zu entkräften. Es handelt sich nämlich um zwei unterschiedliche Ebenen, sowohl in zeitlicher als auch in rechtlicher Hinsicht. Während das Bestimmungsrecht über den Beginn der Zwangsvollstreckung (Ob) seinen Ursprung in der zivilrechtlichen Privatautonomie hat, wurzelt das Vollstreckungsverfahren (Wie) im öffentlichen Recht, der staatlichen Gewaltausübung durch öffentliche Behörden. Schon aufgrund dieser unterschiedlichen Rechtsmaterien ist ein Erst-recht-Schluss nicht möglich. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Wollte man die Birnen den Äpfeln gleichstellen, so müsste dies in der weiteren Folge zu dem Ergebnis führen, den Gläubiger einer vollen Grundrechtsbindung zu unterwerfen. Dies wiederum würde bedeuten, dass der Gläubiger auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hätte. Diesen Schluss zu ziehen, ist aber auch die h. M. nicht bereit, weshalb sie im Bereich der §§ 888, 890 ZPO unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Gläubigerdisposition ablehnt. Diese Argumentation entspricht den bereits an früherer Stelle angestellten Überlegungen zu denkbaren Modellen des Gewaltmonopols.302 Dabei hat sich herausgestellt, dass es wenig sinnvoll wäre, den Gläubiger allein an die Vorschriften über die Gewaltausübung zu binden und nicht zugleich für eine personelle Trennung Sorge zu tragen. Das staatliche Gewaltmonopol fordert damit auch hinsichtlich der Frage des Amts- oder Parteibetriebes eine klare Schnittstellenbildung in der Form, dass mit dem Beginn der Zwangsvollstreckung die Verfahrensherrschaft ausschließlich auf das Vollstreckungsorgan übergeht und dem Gläubiger jegliche Dispositionsrechte abgeschnitten werden. Biblisch gesprochen bewahrheitet sich die Aussage, dass niemand zugleich zwei Herren dienen kann.303 Die Verfahrensherrschaft ist unteilbar. 299 Stürner, ZZP 1986, 291 (306), führt zutreffend aus, dass eine Parteidisposition über das Vollstreckungsverfahren ausgeschlossen ist, soweit öffentliche Interessen in Gestalt von Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Schuldnerschutz betroffen sind. Er umschreibt damit nichts anderes als die Eckpunkte des staatlichen Gewaltmonopols. Dazu im Gegensatz stehen Stürners Ausführungen zur sogenannten Paschastellung des Schuldners, namentlich in dem gesetzlich nicht geregelten Bereich der Mobiliarvollstreckung, Stürner, ZZP 1986, 291 (301 f.). 300 In diesem Sinne äußert sich auch Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). 301 So auch ausdrücklich Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). 302 S.o. § 2 II 1. 303 Matth. 6, Vers 24.
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4. Praktische Nachteile der weitreichenden Gläubigerdisposition Das derzeit bestehende Modell der Gläubigerdisposition bedingt eine Aufteilung der Verfahrensherrschaft auf den Gläubiger und das Vollstreckungsorgan. Eine derartige Kompetenzverteilung birgt die beständige Gefahr von Reibungsverlusten in sich und erscheint auch angesichts der ungleichen Prinzipien aus dem privaten und dem öffentlichen Recht wenig praktikabel. Diese Einschätzung bestätigt sich durch einen Blick auf die Vollstreckungspraxis. Nimmt man die weitgehenden Dispositionsrechte des Gläubigers ernst, so muss das Vollstreckungsorgan nach jedweder Vollstreckungsmaßnahme, die es ergriffen hat, beständig den Kontakt mit dem Gläubiger suchen und auf weitere Anträge warten, die es in die Lage versetzen, die sich anschließenden Vollstrekkungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Dabei werden die weiteren Anträge in der Regel zu einer unnötigen Förmelei.304 So dürfte es beispielsweise eine Selbstverständlichkeit sein, dass dem Gläubiger im Anschluss an die Auskunft des Schuldners über seine Vermögensgegenstände an einer unverzüglichen Pfändung derselben gelegen ist. Trotzdem bedarf es eines entsprechenden Antrags. Die Gläubigerdisposition wird dort vollends zum Hindernis, wo der Gläubiger selbst überhaupt nicht in der Lage ist, einen sachgerechten Antrag zu stellen. Anstatt dass der Gerichtsvollzieher direkt die Pfändung einleiten kann, muss er dann zunächst einmal den Gläubiger unterrichten und belehren, um ihm den sachgerechten Antrag zu entlocken.305 In der Praxis führen diese Probleme regelmäßig dahin, dass dem Gerichtsvollzieher mit der Erteilung des Vollstreckungsauftrages ein mehrseitiger Kanon von allen nur denkbaren Anträgen überreicht wird, um die mit unnötigen Rückfragen verbundenen Zeitverluste zu vermeiden und die Effektivität der Zwangsvollstreckung zu gewährleisten. Aufgrund seiner Berufserfahrung und seiner Tatsachenkenntnisse ist der Gerichtsvollzieher ohnehin besser in der Lage, die zweckmäßigen Vollstreckungsmaßnahmen zu bestimmen. Die angebliche Gläubigerdisposition wird also spätestens in der Vollstreckungspraxis zur Farce.306 Das Gesetz stärkt im Ergebnis nicht die Gläubigerposition, sondern belastet den Gläubiger mit dem Risiko, einen unvollständigen Auftragskatalog zu erstellen und damit die Effektivität der Zwangsvollstreckung zu ge-
304 So auch Bruckmann, ZRP 1994, 129 (131). Teilweise behilft man sich daher etwa im Bereich der Ratenzahlungsvereinbarungen mit der Annahme eines vermuteten Einverständnisses des Gläubigers, das weitere Rückfragen entbehrlich machen soll, so etwa Putzo, in: Thomas/Putzo, § 813 a, Rdnr. 5, und Seip, DGVZ 1974, 17 (18). Ablehnend äußert sich hingegen Werner, DGVZ 1986, 65 (66). 305 Pawlowski, ZZP 1977, 345 (353 f.), spricht davon, dass der Gerichtsvollzieher den Antrag des Gläubigers auslegen, ergänzen und ggf. berichtigen müsse. 306 Schon Zeiss, JZ 1974, 564 (566, Fn. 25), bemerkt: „Gesetz und Vollstreckungspraxis laufen auseinander.“ Zeiss empfiehlt daher das Eingreifen des Gesetzgebers. Ähnlich schon Pawlowski, ZZP 1977, 345 (345), der in der weiteren Konsequenz die Wirtschaftlichkeit der Zwangsvollstrekkung in Frage stellt. Die Realität der Vollstreckung habe mit dem in der Zivilprozessordnung geregelten Verfahren auf den ersten Blick nur noch wenig gemein.
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fährden.307 Man sollte daher auch auf rechtlicher Ebene dem Vollstreckungsorgan die Verfahrensherrschaft überantworten, die es de facto bereits hat.308 An dieser Stelle zeigt sich die Überlegenheit der normativen Kraft des Faktischen gegenüber den dogmatischen Streitereien um eine Gläubigerdisposition. Die Gläubigerdisposition stellt sich schlicht als Hindernis einer effektiven Vollstreckungsordnung dar. Das Vollstreckungsorgan wird dadurch wesentlich in seiner Arbeit beeinträchtigt. Selbst wenn der Gläubiger einen umfassenden Vollstreckungsantrag erteilt hat, ist der Gerichtsvollzieher – zumindest in der Theorie von Rechtsprechung und Literatur – gezwungen, bei jeglicher Maßnahme, die er ergreift, sicherzustellen, dass sie auch von dem Vollstreckungsantrag erfasst wird. Im Ergebnis ist damit keinem der Beteiligten gedient, allenfalls noch dem Schuldner, der die Verzögerungen als angenehmen Zahlungsaufschub empfinden wird. 5. Begrenzung der Gläubigerdisposition auf Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung Die Untersuchung hat ergeben, dass ein Parteibetrieb in der Zwangsvollstrekkung weder dogmatisch haltbar noch unter praktischen Gesichtspunkten sinnvoll erscheint. Damit schließt sich der Kreis zu den anfänglichen Überlegungen, die ein derartiges Ergebnis schon aufgrund der Parallele zwischen Amtsbetrieb und Untersuchungsgrundsatz vermuten ließen. Ein drittes Argument erhärtet die These, dass das Vollstreckungsverfahren in seiner vollen Bandbreite von der Sachaufklärung bis hin zur Bestimmung der zu ergreifenden Vollstreckungsmaßnahmen vom Grundsatz des Amtsbetriebes beherrscht wird. Es ist der Vergleich mit dem Verwaltungsverfahren, dessen Rechtsnatur das Vollstreckungsverfahren teilt. Auch das allgemeine Verwaltungsrecht wird von dem Grundsatz des Amtsbetriebes beherrscht. Das gilt nicht nur für die Verwaltungszustellung, § 1 Abs. 3 VwZG, sondern auch für alle anderen Aspekte des Verwaltungsverfahrens. Soweit ein Antragserfordernis im Sinne von § 22 VwVfG gegeben ist, beschränkt sich die Dispositionsmaxime auf Beginn und Ende des Verwaltungsverfahrens. Diese zeitliche Zäsur hat sich bewährt und ist bislang auch im öffentlich-rechtlichen Schrifttum nicht Gegenstand der Kritik geworden. Dies ist auch nicht über307 Die praktischen Nachteile der weitreichenden Gläubigerdisposition werden auch von Oerke, S. 275 f., und von Hasenjäger, S. 101 f., nicht geleugnet. Trotz dieser erheblichen Nachteile wollen beide jedoch an der Gläubigerdisposition festhalten. Es fehle an einem überragenden öffentlichen Interesse, das den Untersuchungsgrundsatz und den sich anschließenden Amtsbetrieb rechtfertigen könne. Die Praxis belegt aber genau das Gegenteil und stellt damit das öffentliche Interesse an einer effektiven Zwangsvollstreckung unter Beweis. Hasenjäger, S. 102, schlägt demgegenüber eine Informationspflicht des Vollstreckungsorgans gegenüber beiden Parteien vor; so auch schon Münzberg, DGVZ 1983, 101 (109). Mit einer derartigen Aufklärungsverpflichtung wird das Problem jedoch nur an seinen Symptomen kuriert. Inkonsequent ist schließlich der Lösungsansatz von Oerke, S. 275 f., der einerseits aus dogmatischer Sicht an der Gläubigerdisposition festhalten will, aus Gründen der Praktikabilität jedoch bei unvorhersehbaren Schwierigkeiten Abstriche zulassen will. 308 Eine Gesetzesänderung wäre dazu nicht einmal erforderlich, da die angebliche Dispositionsmaxime dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen ist, s. dazu sogleich unter 5 a.
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raschend, da der Amtsbetrieb schlicht dem staatlichen Gewaltmonopol Rechnung trägt. a) Die Nähe der derzeitigen Vollstreckungspraxis zum Amtsbetrieb De facto wird die Gläubigerdisposition in der Vollstreckungspraxis eher zum Hemmschuh als zum Vorteil für den Gläubiger. Auch in rechtlicher Hinsicht würde demzufolge eine klare Betonung des Amtsbetriebes weniger für eine fundamentale Umwälzung der Verfahrensprinzipien als vielmehr für eine Rechtsbereinigung sorgen.309 So ist auch festzustellen, dass sich die Bestimmungsrechte des Gläubigers dem Gesetz überhaupt nicht entnehmen lassen.310 Es findet sich im Vollstreckungsrecht keine grundsätzliche Regelung, die sich zur Frage der Verfahrensherrschaft verhält.311 Die Gläubigerdisposition hinsichtlich des Wahlrechts zwischen Mobiliar-, Forderung- und Immobiliarvollstreckung ist allein Auswuchs der Dezentralisierung. Selbst hier macht sich die Gläubigerdisposition aber nicht wesentlich bemerkbar, da kein merklicher Unterschied zum Amtsbetrieb besteht, wie er im Falle eines zentralen Vollstreckungsorgans gegeben wäre. Denn auch im Amtsbetrieb eines zentralen Vollstreckungsorgans bleibt dieses maßgeblich auf die von den Parteien beigebrachten Tatsachen und ihre Initiative angewiesen. Nicht anders als der Untersuchungsgrundsatz den Aspekt der Parteibeibringung mit einbezieht und die Parteien nicht etwa ausgrenzen, sondern unterstützen will,312 dient auch der Amtsbetrieb der Förderung des von den Par309 Vollkommer, Rpfleger 1982, 1 (9), stellte daher bereits vor zwanzig Jahren auf der Tagung für Rechtspfleger über „Moderne Zwangsvollstreckung – Effektivität und Rechtsstaatlichkeit“ in seinem Eröffnungsreferat abschließend fest: „Die Stärkung der verfahrensrechtlichen Stellung des Rechtspflegers (,Aktivierung‘) und seine gesteigerte Verantwortung für das Verfahrensergebnis (,Aufklärungspflicht‘; ,Stärkung der Sachaufklärung‘) sind deutliche Tendenzen in Richtung einer Annäherung an die Amts-(Offizial-)maxime im Vollstreckungsrecht. Dem entspricht auf der anderen Seite eine Einschränkung der ,Parteiherrschaft‘ des Gläubigers, dessen – ,freies‘ – Wahlrecht zwischen den Vollstreckungsarten sich Beschränkungen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gefallen lassen muss.“ 310 Dies gilt insbesondere für das vermeintliche Wahlrecht des Gläubigers bei der Pfändung beweglicher Sachen. Stürner, ZZP 1986, 291 (302), stützt sich hingegen auf eine Rechtsanalogie, ohne aber hierfür eine Vorschrift zu benennen. Der weitere Rückgriff auf die Dispositionsmaxime gerät zum Zirkelschluss, da es deren Geltung erst zu begründen gilt. 311 Zum Hemmschuh wird hier allerdings – nicht anders als im Rahmen des Prioritätsprinzips – die Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher. Deren § 58 Nr. 2 besagt ausdrücklich, dass der Gerichtsvollzieher eine Weisung des Gläubigers insoweit zu berücksichtigen hat, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht im Widerspruch steht. Dieses Weisungsrecht spielt in der Praxis vornehmlich dort eine Rolle, wo der Gläubiger die Zwangsvollstreckung als Druckmittel einzusetzen sucht, um Ratenzahlungen des Schuldners zu erzwingen. Zu den daraus resultierenden Fallkonstellationen ausführlich Wieser, NJW 1988, 665 (669 ff.). Nach der hier vertretenen Ansicht ist § 58 Nr. 2 GVGA dahingehend auszulegen, dass die Regelung lediglich bei der Frage nach dem Ob der Vollstreckung eine Weisungsgebundenheit des Gerichtsvollziehers anordnet. Bezüglich der Frage nach dem Wie schließen hingegen die höherrangigen Gesetzesprinzipien, hier der Amtsbetrieb, ein Weisungsrecht aus. Die Weisung des Gläubigers steht hier „im Widerspruch mit den Gesetzen“. 312 S.o. IV 3.
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teien angestrengten Verfahrens und nicht etwa dessen Behinderung. Dies kommt gerade im Vollstreckungsrecht deutlich zum Ausdruck, wo die Frage des Verfahrensfortgangs maßgeblich durch den vom Gläubiger unterbreiteten Sachverhalt bestimmt wird. Das Vollstreckungsorgan unterliegt der Verpflichtung, die bestgeeignete Vollstreckungsmaßnahme zu ergreifen, um eine Vollstreckungsvereitelung zu verhindern.313 Für eine amtliche Sachaufklärung bleibt daher kein Raum mehr, wenn der Gläubiger dem Vollstreckungsorgan genügend Anhaltspunkte zur Einleitung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen liefert. In der weiteren Folge besteht kein merklicher Unterschied mehr zwischen Amtsbetrieb und Parteibetrieb. Denn die vermeintliche Disposition des Gläubigers bei der Auswahl der von ihm beauftragten Vollstreckungsorgane und damit die Auswahl der zu treffenden Vollstreckungsmaßnahme spiegelt lediglich den Erkenntnisstand des Gläubigers über die Vermögensverhältnisse des Schuldners wider. In einem zentralen Vollstreckungsbetrieb würde das zentrale Vollstreckungsorgan kaum anders entscheiden. Dort, wo sich ausnahmsweise Anhaltspunkte für eine abweichende Entscheidung ergeben, werden schon im bestehenden Vollstreckungssystem Korrekturen vorgenommen. Diese artikulieren sich in der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu Lasten der Gläubigerdisposition.314 Verfügt das Vollstreckungsorgan umgekehrt über weiterreichende Kenntnisse bezüglich der Vermögensverhältnisse des Schuldners, so wird die Gläubigerdisposition wiederum zum Hindernis, da das Vollstreckungsorgan zur Rücksprache mit dem Gläubiger gezwungen ist, ehe es die konkret geeigneten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleiten kann.315 Es verfestigt sich daher auch in diesem Bereich der Eindruck, dass ein Parteibetrieb wenig sinnvoll ist. Der Bereich, in dem der Parteibetrieb zu abweichenden Ergebnissen gegenüber dem Amtsbetrieb führt, ist durch Verfahrensverzögerungen gekennzeichnet. Diese sind letztlich darauf zurückzuführen, dass dem Vollstreckungsorgan durch die Betonung des Parteibetriebs die Kompetenz abgesprochen wird, sachgerechte Vollstrekkungsmaßnahmen zu ergreifen.316 Dann hilft es jedoch wenig, das Vollstrekkungsorgan den Weisungen des Gläubigers zu unterwerfen, dem diese Sachkompetenz in der Regel erst recht fehlt.317
313
S.o. II 4. S.o. § 7 IV. 315 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die umfangreiche Untersuchung von Pawlowski, ZZP 1977, 345 (351 ff.), über die Kompetenz des Gerichtsvollziehers zur wirtschaftlichen Gestaltung der Zwangsvollstreckung. Die Überlegungen untermauern eindrucksvoll die tatsächlichen Beeinträchtigungen, denen der Gerichtsvollzieher aufgrund der vermeintlichen Dispositionsrechte des Gläubigers ausgesetzt ist. 316 Zu den unberechtigten Zweifeln an der Kompetenz des Gerichtsvollziehers s. bereits oben unter § 5 IX. 317 So im Ergebnis auch Pawlowski, ZZP 1977, 345 (354): „… der Gerichtsvollzieher wird als Fachmann besonders dann Anlass haben, den Antrag eines Gläubigers ergänzend oder evtl. korrigierend auszulegen, wenn ihm bekannt ist, dass der Gläubiger bei der Antragstellung keine fachliche Beratung in Anspruch genommen hat.“ 314
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b) Vorteile der Anlehnung an das allgemeine Verwaltungsrecht Die zuletzt angestellten Überlegungen zeigen, dass von einem Parteibetrieb im eigentlichen Sinne auch in dem derzeit bestehenden Vollstreckungssystem kaum die Rede sein kann. Auf den Punkt gebracht nehmen die Befürworter eines Parteibetriebs in dem Bereich, in dem Abweichungen zum Amtsbetrieb auftreten, mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gleichsam eine verfassungskonforme Auslegung des geltenden Rechts vor. Sie räumen hier dem Vollstreckungsorgan die Entscheidungshoheit ein bzw. unterwerfen die Partei einer unmittelbaren Grundrechtsbindung, die in letzter Konsequenz nur Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols ist. Es spricht daher alles dafür, das bestehende Vollstreckungsrecht im Sinne des Amtsbetriebes zu bereinigen und zu vereinfachen.318 Schließlich lässt sich auch nur auf diesem Wege das von der h. M. entwikkelte Verständnis zur Stellung des Gerichtsvollziehers als Amtskörper erklären319 und in der weiteren Folge die daraus abgeleitete Neutralitätspflicht gegenüber Gläubiger und Schuldner.320 Das Plädoyer für eine Angleichung des Vollstreckungsrechts an das Verwaltungsrecht wird durch folgende abschließende Überlegung abgerundet. Wird das bestehende System, das durch eine Vermengung von Partei- und Amtsbetrieb gekennzeichnet ist, um die vermeintlich bestehenden Mitbestimmungsrechte des Gläubigers bereinigt, so sorgt dies nicht nur für eine Prinzipienklarheit. Vielmehr ist damit auch ein weiterer Schritt hin zu einer Steigerung der Effektivität der Zwangsvollstreckung vollzogen.321 Es werden nicht nur Verfahrenshemmnisse
318 Zugleich würde damit auch der Weg frei für eine Rechtsvereinheitlichung mit der österreichischen Exekutionsordnung. Derartige Bemühungen sind bereits 1928 auf der Tagung der Zivilprozessrechtslehrer in Wien unternommen worden, aber maßgeblich an den unterschiedlichen Prinzipien gescheitert (dazu Henckel, in: Festschrift für Fasching, S. 213 (222 f.)). Die Ausführungen von Neuner zum Zwangsvollstreckungsrecht zielten darauf ab, die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Rechtssysteme – in Österreich Amtsbetrieb und Amtsuntersuchung (s. dazu schon oben unter III 2), in Deutschland Parteiherrschaft und Beibringungsgrundsatz – durch die Schilderung der praktischen Auswirkungen abzuschwächen und damit Kompromisse anzubahnen. Zu den grundsätzlichen Unterschieden zählt auch die in Österreich bestehende Zentralisierung und Beschränkung auf ein Vollstreckungsorgan (s. dazu noch ausführlich im fünften Teil unter §§ 22 f.). 319 S. dazu noch näher im Rahmen der Organisation der Zwangsvollstreckung unter § 23 II 4. 320 Dazu ausführlich Pawlowski, ZZP 1977, 345 (358 ff.), nach dessen begründeter Ansicht der Gerichtsvollzieher nicht zu einem Laufboten des Gläubigers werden darf. Für eine klare Verantwortlichkeit im Rahmen der Wahl der Vollstreckungsmittel plädiert auch Böhmer, BVerfGE 49, 220 (234), in seinem bekannten Sondervotum: „Diese Verantwortung kann nicht ohne weiteres vom Willen des Gläubigers abhängig sein.“ 321 Anders hingegen Seip, Rpfleger 1982, 257 (258 ff.), der im Falle einer Hinwendung zur Offizialmaxime von einer zunehmenden Bürokratisierung und Verteuerung der Zwangsvollstrekkung ausgeht. Diese Kritik richtet sich jedoch nicht so sehr gegen den Amtsbetrieb als solchen, sondern vielmehr gegen Bestrebungen, das Vollstreckungsgericht als zentrales Vollstreckungsorgan zu institutionalisieren. Auf die Kritik von Seip wird daher im fünften Teil der Untersuchung zurückzukommen sein, der sich mit den Fragen der Organisation der Zwangsvollstreckung auseinander setzt, s.u. § 23.
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abgebaut, sondern auch klare Verantwortlichkeiten geschaffen.322 Das Vollstrekkungsorgan kann sich im Amtsbetrieb nicht mehr auf unzureichende Anträge seitens des Gläubigers zurückziehen, sondern steht seinerseits in der vollen Verantwortung.323 Dies beseitigt die derzeitigen Rechtsunsicherheiten in einem Bereich, in dem man dem Gläubiger ohne gesetzliche Grundlage Weisungsrechte zuspricht.324 Zugleich wird damit im Falle der Verfahrensverschleppung bzw. der Vollstreckungsvereitelung der Weg frei für Regressansprüche des Gläubigers gegen das Vollstreckungsorgan.325 Umgekehrt erklärt der Amtsbetrieb, weshalb es den Parteien verwehrt ist, Vollstreckungsverträge abzuschließen, die die Vollstreckung zu Lasten des Schuldners gegenständlich erweitern.326 Es handelt sich um einen unzulässigen Eingriff in die Verfahrenshoheit des Vollstreckungsorgans.327
VI. Grundsatz des (nachträglichen) rechtlichen Gehörs Einleitend ist darauf hingewiesen worden, dass das Vollstreckungsverfahren dem Dominat des Gläubigerinteresses unterworfen ist.328 Mit anderen Worten ist es maßgeblich von dem Gedanken der Effektivität bestimmt. Es besteht die begründete Gefahr, dass der vermögende, aber zahlungsunwillige Schuldner die Voll322
Auf die eigene Verantwortung des Gerichtsvollziehers hat bereits Münzberg, in: Stein/Jonas, § 753, Rdnr. 9, hingewiesen, der allerdings ein Weisungsrecht des Gläubigers im Sinne des § 58 Nr. 2 GVGA nur ausschließt, soweit dem die Gesetze im Wege stehen. 323 Der Amtsbetrieb macht insbesondere auch die Diskussion um die Anwendbarkeit des § 139 ZPO in der Zwangsvollstreckung überflüssig (ausführlich dazu Stürner, ZZP 1986, 291 (297 f.), und Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.11 ff., die die Anwendung des § 139 ZPO bejahen; zustimmend Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 3, sowie Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 33). Es bedarf im Vollstreckungsrecht keiner vergleichbaren Einbruchstelle für die Offizialmaxime mehr, um dem Vollstreckungsorgan den erforderlichen Einfluss auf den Ablauf der Zwangsvollstreckung zu ermöglichen. Gerade umgekehrt argumentiert hingegen Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 24, der aufgrund der vermeintlichen Geltung des § 139 ZPO zu einem behutsamen Umgang mit der Offizialmaxime mahnt. 324 Die mangelnde Rechtssicherheit wird bereits derzeit den Befürwortern eines Weisungsrechts des Gläubigers als Argument entgegengehalten. In diesem Sinne äußert sich AG Frankfurt, DGVZ 1975, 95 (95). Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Grundz § 704, Rdnr. 7, spricht von einem geordneten Rechtsgang und der Verhinderung sozialer Missstände. 325 Bedenken äußert hingegen Brehm, DGVZ 1986, 97 (98): „Vor allem sprechen praktische Gründe gegen die Abschaffung der Parteiherrschaft. Das Verfahren würde schwerfällig und bürokratisch. Es wäre zudem zu befürchten, dass Gläubiger, die in der Vollstreckung leer ausgingen, versuchen, den Staat haftbar zu machen, mit der Begründung, die Vollstreckung sei nicht mit der nötigen Energie betrieben worden oder das Vollstreckungsgericht habe ungeeignete Vollstrekkungsmaßnahmen angeordnet.“ Die erstgenannten Bedenken werden aber durch die letztgenannten Befürchtungen ausgeräumt. Denn der Verantwortungsdruck zwingt das Vollstreckungsorgan zu einer effektiven Vollstreckung. Im Einzelnen dazu im fünften Teil unter § 23 V. 326 Stürner, ZZP 1986, 291 (302). 327 Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Vollstreckungsverträge, die die Vollstreckung gegenständlich einschränken, als unzulässig einzustufen. Davon unberührt bleibt das Recht des Gläubigers, die Forderung (teilweise) zu stunden oder zu erlassen. 328 S.o. § 7 III 2.
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streckung vereitelt. Der Gedanke, dass dem Schuldner vor Beginn der Vollstrekkung kein rechtliches Gehör zu schenken ist, ist daher auch dem europäischen Ausland nicht fremd. Gleichwohl ist diese Praxis nicht unumstritten. Dies zeigt das französische Beispiel. 1. Zahlungsaufforderung vor Beginn der Vollstreckung in Frankreich Die Sachpfändung setzt in Frankreich voraus, dass dem Schuldner mindestens acht Tage zuvor eine „signification de commandement de payer“ (letzte Zahlungsaufforderung) übermittelt worden ist.329 Damit ist im Rahmen der französischen Vollstreckungsrechtsreform die Zahlungsfrist im Verhältnis zu der früher geltenden saisie-exécution von einem Tag auf eine Woche verlängert worden. Den Kritikern an einer solchen Regelung, die auf die Gefahr der Vollstreckungsvereitelung durch den Schuldner hinweisen, ist der französische Gesetzgeber entgegengetreten, indem er dem Gläubiger die Möglichkeit einräumt, bereits vor der Zustellung der Zahlungsaufforderung eine saisie-conservatoire zur einstweiligen Sicherung der Zwangsvollstreckung betreiben zu können.330 Angesichts der Möglichkeit der saisie-conservatoire stellt sich die Frage, warum die Franzosen solch einen umständlichen Weg gehen, um den Gläubiger angemessen zu sichern. Es bestehen keine sachlichen Gründe, den Schuldner vor der Pfändung gesondert zu warnen, denn schließlich könnte er ja freiwillig erfüllen. Einwendungen kann er zudem auch noch im Zeitraum zwischen Pfändung und Verwertung geltend machen, ohne dass ein unwiderbringlicher Rechtsverlust drohen würde. Die Initiativrichtung ist daher sachgerecht umzukehren, indem der Schuldner eine vorläufige Sicherung nach erfolgter Pfändung herbeiführen muss, nicht umgekehrt der Gläubiger eine Sicherung vor Beginn der Vollstreckung. Die Zahlungsaufforderung führt zu einer unnötigen Verzögerung und zudem zu der begründeten Gefahr der Vollstreckungsvereitelung durch den böswilligen Schuldner.331
329 Eine ähnliche Regelung findet sich in D.Art. 141 für die Herausgabe- und in L.Art. 61, D.Art. 194, 195 für die Räumungsvollstreckung, die ebenfalls eine vorherige Herausgabe- bzw. Räumungsaufforderung voraussetzen, Traichel, S. 189, 193. Der Zahlungsaufforderung kommt im Übrigen eine merkwürdige Wirkung zu. Gemäß D.Art. 85 unterbricht sie die Verjährung der Forderung des Gläubigers und löst ferner Verzugszinsen aus. Dabei handelt es sich um materielle Wirkungen, die an sich dem Privatrecht zuzuordnen wären. Zudem werden beide Wirkungen bereits im Erkenntnisverfahren ausgelöst. Die Rechtshängigkeit führt zur Verjährungsunterbrechung und zum Verzug. 330 D.Art. 86 regelt daher, dass eine saisie-vente auch in diejenigen beweglichen Sachen möglicht ist, die zeitlich vorher von einer saisie conservatoire erfasst worden sind. Näher zu den Einzelheiten Traichel, S. 108 f. 331 Ebenso kritisch Traichel, S. 208. Diese Bedenken hat der französische Gesetzgeber durchaus gesehen, sie aber im Hinblick auf die oben angesprochene Möglichkeit der saisie-conservatoire zurückgestellt, Traichel, S. 108.
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2. Italien: Leistungsaufforderung und Androhung der Zwangsvollstreckung Besondere Ausprägung hat der Grundsatz des rechtlichen Gehörs in Italien gefunden. Die italienische Zivilprozessordnung (Codice di Procedura Civile (c.p.c.))332 schreibt ähnlich wie in Frankreich neben der Zustellung des Titels die gesonderte Zustellung einer Leistungsaufforderung vor, art. 4791 c.p.c. Die Leistungsaufforderung besteht in der Aufforderung, die aus dem Vollstreckungstitel hervorgehende Verbindlichkeit innerhalb einer Frist zu erfüllen, die nicht weniger als zehn Tage betragen darf, sowie in der Ankündigung, dass in Ermangelung der Erfüllung die Zwangsvollstreckung vorgenommen wird, art. 4801 c.p.c. Die Leistungsaufforderung wird unwirksam, wenn die Vollstreckung nicht innerhalb einer Frist von neunzig Tagen ab ihrer Zustellung begonnen wurde, art. 4811 c.p.c. Um die Gefahr der Vollstreckungsvereitelung abzumildern, kann der Leiter der für die Vollstreckung zuständigen Behörde, wenn Gefahr im Verzug ist, die sofortige Vollstreckung mit oder ohne Auflage einer Kaution einleiten, art. 482 c.p.c. Die Ermächtigung hierzu wird mit Dekret erteilt, das am Ende der Leistungsaufforderung abgefasst wird, art. 482 c.p.c. Ähnlich wie in Frankreich stellt sich auch hier in Anbetracht der Ausnahmeregelung die Frage nach dem verbleibenden Sinn der Zahlungsaufforderung. Gefahr im Verzug wird bei einem zahlungsunwilligen Schuldner regelmäßig anzunehmen sein. Dieser ist nicht schutzwürdig; kann er doch jederzeit die Schuld begleichen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext eine Eigenart der italienischen Vollstreckungsordnung, die in anderen Ländern keine Entsprechung gefunden hat. Und zwar ordnet art. 501 c.p.c. eine erneute Mindestfrist zwischen Pfändung und Verwertung von zehn Tagen an. Gemäß art. 497 c.p.c. erlischt die Pfändung, wenn nicht innerhalb von 90 Tagen der Antrag auf Verwertung gestellt wird. Diese Regelungen gelten für sämtliche Vollstreckungsarten. Im Bereich der Mobiliarvollstreckung ordnet art. 5301 c.p.c. fernerhin an, dass nach Beantragung der Verwertung der Bezirksrichter zunächst eine Verhandlung zur Anhörung der Parteien anzuberaumen hat. Zu dieser Verhandlung sind neben den Parteien auch die beigetretenen Gläubiger und erforderlichenfalls auch die anderen Betroffenen zu laden, art. 5301 i.V.m. art. 485 c.p.c. Im Rahmen der Verhandlung können insbesondere auch Beschwerden erhoben werden, art. 617, 618 c.p.c. Sieht man von einer Zahlungsaufforderung ab, so erscheint die gesetzliche Mindestfrist zwischen Pfändung und Verwertung durchaus sinnvoll, um dem Schuldner die Geltendmachung von Rechtsbehelfen zu ermöglichen und ihn seinerseits vor einer Rechtsvereitelung zu schützen. Eine vergleichbare Regelung findet sich im deutschen Recht. § 816 Abs. 1 ZPO ordnet eine Wochenfrist an. Diese gesetzliche Wartefrist spielt jedoch in der Praxis keine große Rolle, da es 332 Eine Übersetzung der italienischen Prozessordnung findet sich bei Bauer/König/Zanon. Die Übersetzung ist aufgrund ihrer synoptischen Konzeption äußerst hilfreich. Ebenso positiv in seiner Bewertung Grunsky, ZZP 1984, 498 (499 f.).
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ohnehin nicht unmittelbar im Anschluss an die Pfändung zur Verwertung kommt. Dem stehen allein die im Rahmen der Verwertung zu berücksichtigenden Verfahrensvorschriften über die Bekanntgabe der Verwertung im Wege. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass dem Schuldner auch ohne vorangehende Zahlungsaufforderung in der Vollstreckung keine Nachteile drohen. 3. Gesetzliche Wartefrist vor der Verwertung in der Schweiz Das schweizerische Schuldbetreibungsgesetz schreibt in ähnlicher Weise wie die französische Vollstreckungsordnung in Art. 90 SchKG vor, dass die Pfändung spätestens einen Tag zuvor unter Hinweis auf die Bestimmung des Art. 91 SchKG anzukündigen ist. Art. 91 SchKG verpflichtet den Schuldner unter Strafbewehrung (Art. 163 Nr. 1 und 323 Nr. 2 StGB), der Pfändung beizuwohnen und seine Vermögensgegenstände anzugeben, soweit dies zu einer genügenden Pfändung nötig ist. Diese Regelung bezweckt zuvörderst eine erleichterte Vermögensaufnahme.333 Im Gegensatz zur deutschen Vollstreckungsordnung ist der Schuldner bereits zu Beginn der Vollstreckung zur Offenbarung seiner Vermögensverhältnisse verpflichtet. Aufgrund dieser Angaben besteht dann für das Betreibungsamt die Möglichkeit, unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Vollstreckungsreihenfolge (Art. 95 SchKG) den erfolgversprechendsten Betreibungsweg zu beschreiten. Die anfängliche Anwesenheits- und Offenbarungspflicht hat den angenehmen Nebeneffekt, dass dem Schuldner zugleich sein Recht auf rechtliches Gehör erhalten bleibt. Fraglich ist allein, ob dies nicht zu Lasten der Effektivität der Zwangsvollstreckung geht. Angesichts der vorherigen Benachrichtigung dürfte die Neigung beim Schuldner groß sein, wertvolle Vermögensgegenstände noch rechtzeitig „in Sicherheit“ zu bringen. Der Schuldner ist durch den Erlass und die Zustellung des zuvor ergangenen Vollstreckungstitels ohnehin genügend gewarnt. Man sollte daher zumindest von einer statisch vorgegebenen Zahlungsaufforderung absehen und letztlich die Auswahl der geeigneten Zwangsvollstrekkungsmaßnahme allein dem Vollstreckungsorgan überlassen, das aufgrund seiner Kenntnisse über die Verhältnisse des Schuldners den effektivsten Weg wählen kann. Starre gesetzliche Vorgaben wirken hier eher hemmend. Diese Überlegung leitet zu einer bekannten Regelung aus dem deutschen Verwaltungsrecht über, die zu sachgerechten Ergebnissen führt. 4. Die deutschen Regelungen zum rechtlichen Gehör Im Gefolge von Art. 103 Abs. 1 GG, der vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör einräumt, bestimmt § 28 Abs. 1 VwVfG für das Verwaltungsverfahren einen grundsätzlichen Anspruch auf rechtliches Gehör.334 Dieser 333
Amonn/Gasser, § 22, Rdnr. 30. Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 34, formuliert dies wie folgt: „Heute ist man sich aber selbst für das Verwaltungsverfahren darin einig, dass die Anhörung der Betroffenen keine 334
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Grundsatz wird allerdings gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG im Bereich der Verwaltungsvollstreckung durchbrochen. Um die Vollstreckung nicht zu vereiteln, steht die Anhörung hier im Ermessen der Verwaltungsbehörde. Vorrang vor dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs hat also das Gebot der Effektivität der Vollstreckung.335 a) §§ 834, 891 S. 2 ZPO als spezielle Anwendungsfälle des § 28 VwVfG Nicht wesentlich anders als im Verwaltungsverfahrensrecht sieht die gesetzliche Regelung im achten Buch der Zivilprozessordnung aus. Eine ausdrückliche Regelung findet sich hier für die Forderungsvollstreckung. § 834 ZPO untersagt jede vorherige Anhörung. In den übrigen Bereichen soll sich aus dem Schweigen des Gesetzes ableiten lassen, dass ein vorheriges Schuldnergehör nicht zu erfolgen hat.336 Diese Schlussfolgerung erscheint allerdings äußerst gewagt, da mangels abweichender gesetzlicher Regelung eher auf den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs abzustellen ist. Zu diesem Ergebnis müsste auch ein Umkehrschluss aus § 834 ZPO führen. Zudem ist auffällig, mit welchem Begründungsaufwand die h. M. die Einseitigkeit des Vollstreckungsverfahrens herleiten muss, um so im Gegensatz zum kontradiktorischen Gerichtsverfahren den Verzicht auf das rechtliche Gehör begründen zu können.337 Es wird erkennbar, in welch unnötige Schwierigkeiten sich die h. M. hineinmanövriert, indem sie mit größtem Beharrungsvermögen an der These festhält, es handele sich bei der Zwangsvollstreckung um ein gerichtliches Rechtspflegeverfahren.338 Wenn dem so wäre, müsste auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gelten. Der Begründungsaufwand der h. M. erübrigt sich, wenn man berücksichtigt, dass es sich bei der Vollstreckung um ein Verwaltungsverfahren handelt. Es gilt dann die allgemeine Regelung des § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG auch für das achte Buch der Zivilprozessordnung, soweit dieses keine abweichenden Regelungen trifft. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 834 ZPO nicht über ihr Ziel hinausschießt, indem sie eine Anhörung gänzlich untersagt. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG belässt dem Vollstreckungsorgan immerhin einen Ermessensspielraum. Die Regelung des § 834 ZPO mag aber mit einer gesteigerten Vereitelungsgefahr in der Forderungsvollstreckung zu rechtfertigen sein. Anders als der Gerichtsvollzieher in der Mobiliarvollstreckung ist das Vollstreckungsgericht im Rahmen der Forderungspfändung nicht präsent, um den Schuldner an der AbtreGnade des Gesetzgebers (§ 28 VwVfG) oder gar der Verwaltung selbst ist, vielmehr ein allgemeines, aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen fließendes rechtsstaatliches Erfordernis eines Verfahrens. Daher besteht dieser Anspruch grundsätzlich auch gegenüber dem Vollstreckungsorgan.“ 335 So auch für die Wohnungsdurchsuchung im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens BVerfG, NJW 1981, 2111 (2112), ohne aber auf § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG abzustellen. 336 So Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.28, und wohl auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 42, der allerdings auch auf die Regelung des § 891 ZPO hinweist. S. dazu sogleich im Folgenden. 337 So Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.26 f. 338 Zu dieser Strömung in der Literatur s. bereits oben unter § 4 II, VI 3.
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tung oder Einziehung der Forderung hindern zu können. Insoweit kann die Vorschrift des § 834 ZPO als ein gesetzlich geregelter Fall der Ermessensreduzierung auf Null verstanden werden. Vor dem Hintergrund des § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG lässt sich auch die Regelung des § 891 S. 2 ZPO als Spezialregelung für den Bereich der Erwirkung von unvertretbaren Handlungen, Duldungen und Unterlassungen verstehen. Die Vorschrift schreibt eine Anhörung zwingend vor. Im Verhältnis zu § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG handelt es sich gleichsam um eine Ermessensreduzierung auf Null mit umgekehrtem Vorzeichen. Aufgrund des persönlichen Charakters der betroffenen Ansprüche bedingt die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht die Gefahr der Anspruchsvereitelung. Ohne die Mitwirkung des Schuldners ist dessen Erfüllung ohnehin nicht möglich. Es besteht daher keine Veranlassung, dem Schuldner das rechtliche Gehör zu entziehen. Im Ergebnis fügen sich die vereinzelten Regelungen des Vollstreckungsrechts zu der Frage des rechtlichen Gehörs lückenlos in die allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschrift des § 28 VwVfG ein. Zugleich liefern diese Überlegungen der h. M. eine überzeugende Begründung für die verbleibenden Bereiche der Vollstreckung. Das Schweigen der Zivilprozessordnung ermöglicht den Rückgriff auf das Verwaltungsverfahrensgesetz. Es handelt sich also bei der Gewährung des rechtlichen Gehörs um eine Ermessensentscheidung des Vollstrekkungsorgans. Die Tendenz, vom rechtlichen Gehör abzusehen, erklärt sich aus der Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG. b) Überlegungen aus der Praxis Obwohl die Zivilprozessordnung das Vollstreckungsorgan nicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs verpflichtet und auch keine Zahlungsaufforderung vorschreibt, hat es sich in der anwaltlichen Praxis eingebürgert, den Schuldner vor Beginn der Vollstreckung unter letztmaliger Fristsetzung zur Leistungserfüllung aufzufordern. Eine zeitliche Verzögerung ist damit nicht verbunden, wenn man den Zeitaufwand berücksichtigt, der allein vonnöten ist, um bei Gericht eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels zu erlangen. Und so entspricht die letztmalige Zahlungsaufforderung in der anwaltlichen Praxis eher einem Akt der kollegialen Höflichkeit als der Gewährung rechtlichen Gehörs. Gräbt man tiefer, so verbirgt sich hinter der Zahlungsaufforderung letztlich die Kapitulation vor den Mühlen der Justiz, die bekanntlich langsam mahlen. Hat der Schuldner ernstlich vor, die Vollstreckung zu vereiteln, so gibt ihm Justitia hierzu ausreichend Gelegenheit.339 Vom Erlass der gerichtlichen Entscheidung bis zu deren schriftlicher Niederlegung – und sei es nur in der Form der verkürzten Ausfertigung – vergehen oft Wochen. Dasselbe gilt für den Erlass der vollstreckbaren Ausfertigung. Wird sodann der Gerichtsvollzieher beauftragt, so be339 Ähnlich kritisch auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 37, der von der Klage der Praktiker über den sich allzu schleppend dahinziehenden Vollstreckungsvollzug spricht.
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ansprucht dieser in der Regel erneut eine Bearbeitungszeit von mehreren Monaten. Welchen Sinn hat vor diesem Hintergrund noch eine gesonderte Zahlungsaufforderung? Die Realität zwingt hier zum Galgenhumor. Denn angesichts der Vollstreckungshemmnisse kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Zahlungsaufforderung in der Hoffnung, der Schuldner werde vielleicht doch noch freiwillig leisten, eher zur Beschleunigung als zur Verzögerung der Vollstreckung beiträgt. Diese Überlegung gleicht freilich der Kapitulation vor den Unzulänglichkeiten der Vollstreckung, die einen Überraschungseffekt kaum mehr zu gewährleisten vermag.340 Im Ergebnis hat daher der Streit um die Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Zwangsvollstreckung keine praktischen Auswirkungen.
VII. Resümee Die Analyse der Verfahrensmaximen lehrt, dass die Entscheidung, die Zwangsvollstreckung als Verwaltungsverfahren zu verstehen, die Chance zu einer weitgehenden Rechtsvereinheitlichung eröffnet. Greift man die sich aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht ergebenden Verfahrensmaximen auf, erschließt sich unmittelbar auch der Zugang zum Vollstreckungsverfahren.341 Dies gilt auch für diejenigen Prinzipien, die angesichts ihrer elementaren Bedeutung für das Erkenntnisverfahren zugleich Eingang in das Zwangsvollstreckungsrecht gefunden haben, dort aber ein merkwürdiges Schattendasein fristen. Beispielsweise scheint eine marginale Erwähnung der Grundsätze der Mündlichkeit und der Öffentlichkeit auch in der Vollstreckung unumgänglich zu sein. Um so größer erscheint dann jedoch der Begründungsaufwand, um diese Grundsätze wieder abzutun.342 Wählt man demgegenüber von vornherein den Lösungsansatz im allgemeinen Verwaltungsverfahren, so verlieren diese Grundsätze ihre Bedeutung, da sie allein auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren zugeschnitten sind. Ihre Diskussion im Bereich der Zwangsvollstreckung ist daher fehl am Platze. Es bewahrheitet sich die elementare Bedeutung, die der Frage nach der Rechtsnatur des Vollstreckungsrechts zukommt. Wählt man das Verwaltungsrecht zum Dreh- und Angelpunkt der dogmatischen Betrachtung, so bedarf es keiner spezifischen Verfahrensmaximen für das Vollstreckungsrecht mehr.
340 Die Feststellung von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 4, das aufgeschobene rechtliche Gehör bezwecke die Nutzung der Überraschungschance des Gläubigers, dürfte daher derzeit reine Theorie sein. 341 In diese Richtung gehen auch die vorsichtigen Äußerungen von Schlosser, Zwangsvollstrekkungsrecht, Rdnr. 29: „Immerhin zeigt die Existenz des Verwaltungs-,Verfahrensgesetzes‘, dass es Grundanforderungen an Verfahrensgerechtigkeit gibt, die unabhängig von der Natur eines Verfahrens als eines ,gerichtlichen‘ sind.“ Nicht umsonst versteht Schlosser daher auch die Zwangsvollstreckung nicht als Rechtspflege, sondern weist auf die vielen Gemeinsamkeiten mit der Verwaltung hin. 342 So Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 6.31 ff.
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§ 9 Materiell-rechtliche Prinzipien aus dem Zivilrecht I. Notwendiger Rückbezug des Vollstreckungsrechts zum materiellen Privatrecht Die bislang angesprochenen Maximen in der Zwangsvollstreckung hatten das öffentliche Recht zum Gegenstand in den beiden bekannten Kategorien von materiellem Recht und Verfahrensrecht. Es schließt sich nunmehr der Bereich des materiellen Zivilrechts an. Dank der Formalisierung lässt sich dieser Bereich zeitlich von der eigentlichen Zwangsvollstreckung loslösen. Markiert wird die Schnittstelle durch das Ende der Zwangsvollstreckung. Während der Zwangsvollstrekkung auftretende zivilrechtliche Probleme sind lediglich in formalisierter Weise berücksichtigt. Die uneingeschränkte zivilrechtliche Überprüfung dieser formalisierten Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung bleibt im Streitfalle der Entscheidung der Zivilgerichte überlassen. Hier gilt ausschließlich das materielle Zivilrecht. Das gerichtliche Verfahren ist seinerseits den Regeln des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens unterworfen.343 Umstritten ist die Frage, wie die Rechtsfolgen des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu bewerten sind. Teilweise wird das Zwangsvollstreckungsrecht ohne Bezugspunkt als Recht sui generis verstanden.344 Ein derartiges Verständnis lässt sich mit dem methodischen Anspruch zum Reduktionismus jedoch kaum vereinbaren, es kann nur der letzte Ausweg sein. Ein Rückbezug zum materiellen Zivilrecht erscheint daher unter methodischen Gesichtspunkten dringend geboten. Der Zweck der Zwangsvollstreckung erschöpft sich in der Substitution der privaten Selbsthilfe.345 Jede weitergehende Ausdehnung des Zwangsvollstrekkungsrechts bedürfte einer gesonderten Legitimation. Vor diesem Hintergrund kann nur festgestellt werden, dass mit Abschluss der staatlichen Gewaltanwendung die Zwangsvollstreckung beendet ist und der Staat aus dem Dreiecksverhältnis mit dem Gläubiger und dem Schuldner ausscheidet.346 Jede weitere staat343 Insoweit dürfte Einvernehmen bestehen. Stellvertretend für viele daher Stürner, ZZP 1986, 291 (294): „Während im Verfahren der Zwangsanordnung und seiner Verwirklichung der Vollstreckungszugriff im Vordergrund steht, handelt es sich bei den Rechtsbehelfsverfahren um richterliche Erkenntnisverfahren. Diese Rechtsbehelfsverfahren lassen sich denn auch mit Grundprinzipien und Maximen erfassen, wie sie für das gewöhnliche Erkenntnisverfahren gelten.“ Näher zu den Rechtsbehelfen der Zwangsvollstreckung im sechsten Teil der Untersuchung, s.u. §§ 24 ff. Dort wird die Nähe der Rechtsbehelfe zum ordentlichen Erkenntnisverfahren noch näher aufzuzeigen sein. 344 S. dazu bereits oben unter § 4 II und später noch im Detail unter IV sowie auch ausführlich im Rahmen der Pfandrechtstheorien unter §§ 17 f. 345 S.o. § 2 II 2. 346 Unter diesem Aspekt erweisen sich insbesondere die Befürchtungen von Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 78, gegenüber einer grundlegenden Reform des Zwangsvollstreckungsrechts als unbegründet. Paulus äußert diese wie folgt: „Doch wenn darüber die Dispositionsbefugnis des Gläubigers reduziert würde, käme man schnell zu einem anders gearteten Vollstreckungsrecht, das mit dem bestehenden nicht mehr viel zu tun hat. Vor allem würde allzu leicht die Komplementarität von materiellem und Vollstreckungsrecht zerstört und durch ein obrigkeit-
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liche Aktivität und damit jede weitere Ausdehnung des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens bedürfte einer gesonderten sachlichen Begründung.
II. Der Umfang zivilrechtlicher Prinzipien in der Zwangsvollstreckung Die Prinzipien des Zivilrechts lassen sich während des Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht ausblenden und auf die Rechtsfolgenseite verdrängen.347 Aufgrund der Formalisierung nehmen die zivilrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen allerdings innerhalb der Zwangsvollstreckung nur eine Annäherung im Sinne einer Vermutungsregel vor, die unter dem Vorbehalt einer sich anschließenden gerichtlichen Überprüfung steht. Diese durch die Formalisierung bewirkte zeitliche Verlagerung bezweckt zum einen eine effektive Vollstreckung.348 Zum anderen liegt ihr Ziel aber auch darin, die uneingeschränkte Geltung der Prinzipien des materiellen Zivilrechts zu gewährleisten.349 Die zivilrechtlich geltenden Maximen erstrecken sich demzufolge nicht allein auf das Ende der Zwangsvollstreckung, d.h. ihre Rechtsfolgen, sondern erfassen auch die (formalisierten) zivilrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Zwangsvollstreckung einschließlich der einzelnen Zugriffstatbestände.
III. Prinzipien im Bereich der (formalisierten) Voraussetzungen Um die Prinzipien des materiellen Rechts, die im Folgenden anzusprechen sind, zu ordnen, bietet sich eine Anknüpfung an den Verpfändungstatbestand des Faustpfandrechtes an. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine chronologische Ordnung derjenigen Prinzipien des Zivilrechts, die in der Zwangsvollstreckung von Bedeutung sind. 1. Vom numerus clausus im Sachenrecht bis zum Bestand der Forderung Das Gros der anzusprechenden materiell-rechtlichen Prinzipien bereitet in der Zwangsvollstreckung keinerlei Probleme und findet daher in der Literatur zumeist auch keine Erwähnung. Es beginnt bei der Auswahl des Vollstreckungsobjekts, die sich ipso iure an den Gegebenheiten des materiellen Rechts zu orientieren hat. Der numerus clausus des Sachenrechts lässt auch in der Zwangsvollstrekkung keine Spielräume für die verschiedenen Vollstreckungsarten.350 Die in liches Verfahren ersetzt.“ Genau dieser zuletzt genannte Trennungsaspekt wird durch die hier propagierte enge Begrenzung des Vollstreckungsrechts auf das staatliche Gewaltmonopol vermieden. 347 S.o. § 5 II. 348 S.o. § 5 VIII. 349 S.o. § 5 V, VIII. 350 So schon Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.63. Im Vollstreckungsrecht wie im Sachenrecht besteht dort wie hier Typenzwang und Typenfixierung. Nach Gaul, ZZP 1999, 135 (151), soll der Typenzwang in der Zwangsvollstreckung noch strikter durchgeführt sein, ohne dass Gaul dies allerdings näher ausführt.
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diesem Zusammenhang auftretenden Rechtsunsicherheiten im materiellen Recht – man denke nur an die bis heute umstrittene Figur des Anwartschaftsrechts – spiegelt sich in der Regelung des § 857 ZPO wider, die die Vollstreckung in „andere Vermögensrechte“ regelt. Es handelt sich hier quasi um ein Auffangbecken für diejenigen Vermögensrechte, die auch im materiellen Recht bis heute einer abschließenden dogmatischen Durchdringung harren.351 Der numerus clausus der Sachenrechte findet sich unmittelbar im Vollstrekkungsrecht wieder. Dies muss auf den ersten Blick verwundern, scheint es doch im Widerspruch zum Grundsatz der Formalisierung zu stehen. Ein derartiger Widerspruch entstünde aber nur dann, wenn man unter dem Begriff der Formalisierung gleichsam die Entmündigung des Vollstreckungsorgans verstehen wollte. Nach der bisherigen Lesart wird diesem tatsächlich die ausreichende Qualifikation zur Prüfung zivilrechtlicher Rechtsfragen abgesprochen.352 Legt man hingegen das hier entworfene Bild der Formalisierung zugrunde, so ist Anknüpfungspunkt nicht eine mangelnde Qualifikation des Vollstreckungsorgans, sondern seine mangelnde Kompetenz zur Sachverhaltsaufklärung. Die Prüfung eines widerstreitenden Sachvortrags zwischen den Parteien ist der gerichtlichen Streitentscheidung vorbehalten, weil sie eine umfassende Aufarbeitung des Sachverhaltes verlangt, die in der auf Effektivität abzielenden Vollstreckung nicht geleistet werden kann.353 In diesem Bereich tut daher eine Formalisierung not. Steht der Sachverhalt hingegen nicht in Streit und handelt es sich allein um die Entscheidung von Rechtsfragen, so kann diese Rechtsfragen auch das Vollstrekkungsorgan entscheiden, nicht anders als jede andere Verwaltungsbehörde, die mitunter auch zivilrechtliche Rechtsfragen zu lösen hat. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ohne weiteres ein, dass der numerus clausus seinen ungetrübten Niederschlag im Vollstreckungsrecht findet. Das Formalisierungsprinzip wird dadurch nicht etwa durchbrochen, sondern findet vielmehr seine Bestätigung, denn es verlagert lediglich tatsächliche Streitfragen, nicht etwa bloße Rechtsfragen, in ein sich anschließendes zivilgerichtliches Verfahren. Nur so ist zu erklären, dass das Vollstreckungsorgan im Bereich des § 865 ZPO äußerst komplexe Rechtsfragen zum Problemkreis des Hypothekenhaftungsverbandes zu klären hat,354 während es im Bereich der Mobiliarvollstreckung einer Prüfung der Eigentumsverhältnisse durch den Vermutungstatbestand der §§ 808, 809 ZPO enthoben wird. Die Probleme im Mobiliarsachenrecht liegen zumeist auf tatsächlicher Ebene, nicht so sehr in einer rechtlichen Bewertung der §§ 929 ff. BGB. Ebenso wie im Bereich des numerus clausus finden auch die materiell-rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Bestand der zu vollstreckenden Forderung im Vollstreckungsrecht unmittelbare Berücksichtigung. Während eine Auf351 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 81 ff., spricht von einem notwendigen Ventil, um den durch faktische Neuerungen zwangsläufig entstehenden Druck auf das Leistungsvermögen des Vollstreckungsrechts auszugleichen. 352 S. dazu schon ausführlich oben unter § 5 IX. 353 S.o. § 5 VIII. 354 Zur Qualifikation des Gerichtsvollziehers s. schon oben unter § 5 IX.
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weichung materiell-rechtlicher Prinzipien im Bereich des numerus clausus schon dadurch vermieden wird, dass dieser unmittelbaren Eingang im Vollstreckungsrecht gefunden hat, schließt umgekehrt bei der Frage des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung das zwingende Titelerfordernis jegliche Grauzone im Bereich zwischen materiellem Recht und Vollstreckungsrecht aus.355 Es bleibt allein den Zivilgerichten vorbehalten, in Form des Titels einen „Vermutungstatbestand“ für den Bestand der zu vollstreckenden Forderung zu schaffen. Eine bessere Gewähr für die unmittelbare Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Gegebenheiten als durch eine gerichtliche Entscheidung ist nicht zu erzielen, sieht man davon ab, dass im Einzelfall auch die richterliche Entscheidung den Tücken der materiellen Rechtsfindung ausgesetzt ist. Die Entstehung des Faustpfandrechts setzt den Bestand der zu sichernden Forderung voraus. In der Zwangsvollstreckung kommt hinzu, dass die Forderung auch fällig sein muss, da Pfändung und Verwertung gleichsam Hand in Hand gehen.356 Die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen der Rechtsnachfolge, von Bedingungen und Zug-um-Zug-Einreden finden ihre Berücksichtigung im Klauselverfahren. Auch hier treten keine Probleme auf, da ein durch Urkundsbeweis formalisierter Tatbestand erfüllt sein muss und im verbleibenden Bereich eine unmittelbare gerichtliche Klärung unausweichlich bleibt. Die sich aus dem materiellen Recht ergebenden Vorgaben finden daher unmittelbare Berücksichtigung mit der Folge, dass diese Prinzipien im Vollstreckungsrecht keine gesonderte Erwähnung finden. Mit anderen Worten wird ihre Geltung hier in keiner Weise beeinträchtigt.357 2. Fälle der Drittbetroffenheit Bislang hat sich gezeigt, dass die im Bereich des Faustpfandrechts auftretenden Tatbestandsmerkmale sich in der Zwangsvollstreckung ohne Einschränkung wiederfinden. Nimmt man hinzu, dass die freiwillige Übergabe des Pfandgutes in der Vollstreckung durch Einsatz staatlicher Gewalt erzwungen wird, so bleibt zuletzt die Berechtigung des Schuldners anzusprechen. Er muss entweder Eigentümer des Pfandobjekts sein oder verfügungsberechtigter Dritter. Das Formalisierungsprinzip bedingt hier in der Mobiliarvollstreckung eine Anlehnung an die leichter nachprüfbaren Gewahrsamsverhältnisse, §§ 808, 809 ZPO. Die dabei auftretenden Abweichungen von der tatsächlichen Eigentumslage und die damit verbundenen Fehlerfolgen sind Gegenstand der Pfandrechtstheorien.358 Von prinzipiellem Interesse ist dabei die Frage, wie im Zwangsvollstreckungsrecht im Falle einer Drittbeteiligung verfahren wird. Probleme bereitet dieser Aspekt re355
S. dazu noch ausführlich unter § 11 IV 1 und 2. Vgl. nur § 1228 Abs. 2 BGB, wonach die durch das Pfandrecht gesicherte Forderung im Falle der Verwertung des Pfandes fällig sein muss. 357 Näher noch zum Klauselverfahren und den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen unter §§ 12 ff. 358 Dazu unter §§ 16 ff. 356
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gelmäßig, wenn sich Dritte im Besitz der Sache befinden und diese nicht freiwillig herausgeben, weil sie sich beispielsweise eigener Rechte, seien sie dinglicher oder schuldrechtlicher Art, berühmen. a) Die Palette der Lösungsmodelle in Europa Dass der deutsche Weg der Herausgabevollstreckung gemäß den §§ 846 ff. ZPO nicht das einzig denkbare Lösungsmodell darstellt, zeigt ein Vergleich mit anderen europäischen Lösungsmodellen. aa) Abwicklung von Dreiecksverhältnissen nach deutschem Muster Ist im deutschen Recht der Dritte nicht zur Herausgabe des Pfandgegenstandes bereit, so bleibt dem Gläubiger nur der Weg, einen Herausgabeanspruch des Schuldners pfänden und sich überweisen zu lassen, §§ 846 ff. i.V.m. §§ 829 ff. ZPO. Verweigert der Dritte im Anschluss daran auch die Herausgabe an den Gläubiger, so bleibt diesem nur der dornige Weg der Herausgabeklage aus überwiesenem Recht des Schuldners. Entsprechendes gilt für die Vollstreckung in Zahlungsforderungen des Schuldners. Die §§ 829 ff. ZPO kommen hier direkt zur Anwendung und bedingen im Verweigerungsfall die Drittschuldnerklage. Die praktischen Schwächen dieser Lösung liegen auf der Hand, insbesondere im Bereich der Herausgabevollstreckung. Dem Dritten ist es ein Leichtes, die Vollstreckung durch bloße Weitergabe der in seinem Gewahrsam befindlichen Sache zu vereiteln, bevor der Gläubiger vor Gericht zu einem Herausgabetitel gelangt.359 Aufgrund dieser praktischen Probleme sind die Franzosen zu einer gänzlich anderen Lösung gelangt. bb) Uneingeschränkte Zwangsvollstreckung gegenüber Dritten in Frankreich Auch wenn sich die Sache im Gewahrsam eines nicht zur Herausgabe bereiten Dritten befindet, hindert dies in Frankreich die Vollstreckung nicht, L.Art. 13 II. Die Franzosen kennen daher auch keine den §§ 846 ff. ZPO vergleichbare Regelung zur Pfändung und Überweisung von Herausgabeansprüchen gegen Dritte. Entgegen der deutschen Regelung des § 809 ZPO kommt es in Frankreich auch nicht auf eine freiwillige Bereitschaft des Dritten zur Herausgabe von Gegenständen aus dem Eigentum des Schuldners an.360 Der Dritte darf sich Vollstrekkungsmaßnahmen nicht widersetzen und hat vielmehr aktiv zu deren Umsetzung beizutragen, wenn dies von ihm rechtmäßig verlangt werden kann, L.Art. 24. Widersetzt sich der Dritte einer Vollstreckungsmaßnahme, so kann er für die Vollstreckungskosten haftbar gemacht werden. Ja er wird sogar zum per359 Schon vor über 60 Jahren hat Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (332), in anderem Zusammenhang vom Bedürfnis nach neuen Anstalten des Gläubigerschutzes gesprochen und für eine verstärkte Zugriffsmacht des Gerichtsvollziehers auf die Sachen des Schuldners im Gewahrsam eines Dritten plädiert. 360 Traichel, S. 190, begrüßt diese Regelung: „Es ist insofern nicht der umständliche deutsche Weg der Pfändung der Herausgabeansprüche des Schuldners gegen den Dritten und die anschließende Klage gegen diesen erforderlich.“
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sönlichen Schuldner für den vom Gläubiger geforderten Betrag ohne Rückgriffsmöglichkeit gegen den Vollstreckungsschuldner. Rechtliches Konstrukt hierzu ist eine gleichsam gesetzlich angeordnete Bürgenstellung, L.Art. 24 III, D.Art. 101–103.361 In Frankreich bedarf es mithin bei Weigerung des Dritten keines gesonderten Titels, um die Zwangsvollstreckung einleiten zu können. Dies gilt in gleicher Weise im Bereich der Forderungsvollstreckung für den Drittschuldner, so dass eine Drittschuldnerklage ebenfalls entbehrlich wird, D.Art. 64. cc) Der italienische Mittelweg Einen Mittelweg verfolgt die italienische Vollstreckungsordnung. Interessanterweise werden dort die Forderungsvollstreckung und die Mobiliarvollstreckung in Sachen, die sich bei einem nicht herausgabewilligen Dritten befinden, zusammengefasst unter dem Titel „Zwangsvollstreckung bei Dritten“, art. 543 ss. c.p.c. Dass diese Vorschriften nicht für die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen bei einem herausgabewilligen Dritten gelten, ergibt sich aus art. 5134 c.p.c. Diese Regelung bestimmt, dass der Gerichtsvollzieher nach Maßgabe der Vorschriften für die Mobiliarvollstreckung vorgehen kann, soweit ein Drittbesitzer ihm die Gegenstände freiwillig herausgibt. Die Pfändung „bei Dritten“ erfolgt gem. art. 5431 c.p.c. und wird mittels eines Schriftstücks vorgenommen, das dem Dritten und dem Schuldner persönlich zuzustellen ist. Der Dritte unterliegt von dem Zeitpunkt der Zustellung an bezüglich der von ihm geschuldeten Sachen oder Beträge den Verpflichtungen, die das Gesetz dem Verwahrer auferlegt, art. 520 ss. c.p.c. Insoweit, als diese Vorschriften von einem Titelerfordernis gegenüber dem Dritten absehen, ähneln sie dem französischen Vorbild. Im Übrigen erinnern die Regelungen des Codice di Procedura Civile hingegen an das Zusammenspiel der §§ 829 ff. und der §§ 846 ff. ZPO. Ist der Dritte nicht herausgabewillig, muss der Gläubiger sich den Herausgabeanspruch des Schuldners pfänden und überweisen lassen, um aus diesem Recht gegen den Dritten vorgehen zu können. Parallel hierzu ordnet art. 5481 c.p.c. an, dass für den Fall, dass der Dritte keine Auskünfte macht oder die Zahlung verweigert, der Weg der allgemeinen Klage vor dem Zivilgericht zu beschreiten ist. b) Dogmatische Überlegungen Vergleicht man die verschiedenen Modelle der Drittbeteiligung in der Vollstrekkung, so bewegt man sich insbesondere mit dem italienischen Modell in einer Grauzone zwischen dem nach öffentlichem Recht zu beurteilenden staatlichen Gewaltmonopol und den zivilrechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen. Denn einerseits soll der Dritte unabhängig von seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Schuldner zur Mitwirkung bei der Vollstreckung verpflichtet sein, während er andererseits nach Maßgabe der zivil361
So die dogmatische Deutung von Traichel, S. 96, 111, 135.
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rechtlichen Vorschriften auf gerichtlichem Wege vom Gläubiger zur Herausgabe bzw. Zahlung in Anspruch genommen werden muss. Die grundlegende Fragestellung, die im Bereich der Drittbeteiligung zu beantworten ist, lautet daher wie folgt: Haben sich die Regelungen in der Zwangsvollstreckung im Bereich der Drittbeteiligung an den zivilrechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen zu orientieren oder handelt es sich bei der Ausgestaltung der Mitwirkungspflichten des Dritten in der Zwangsvollstreckung um eine Ausprägung des staatlichen Gewaltmonopols im Verhältnis zum staatlichen Vollstreckungsorgan? aa) Haltlosigkeit des französischen Lösungsmodells Betrachtet man das französische Modell der Drittbeteiligung in der Vollstrekkung, so lässt sich dieses Modell weder zivilrechtlich noch vollstreckungsrechtlich begründen. Ein eherner Grundsatz des Zivilrechts besagt, dass sich die Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis an den jeweiligen Vertragsbeziehungen zu orientieren haben.362 Das bedeutet, dass der Dritte gegenüber dem Gläubiger, mit dem ihn regelmäßig kein Vertragsverhältnis verbinden wird, nicht zur Mitwirkung bei der Vollstreckung verpflichtet sein kann. Herausgabe- oder Mitwirkungspflichten des Dritten können sich nur aus seinem Vertragsverhältnis mit dem Schuldner ergeben. Diese zivilrechtlichen Vorgaben würde man leugnen, wollte man den Dritten unmittelbar gegenüber dem die Vollstreckung betreibenden Gläubiger zu einer Mitwirkung verpflichten. § 809 ZPO stellt daher prinzipiengerecht auf die Freiwilligkeit des Dritten zur Herausgabe des Vollstrekkungsobjektes ab.363 Mit anderen Worten führt aus zivilrechtlicher Sicht kein Weg daran vorbei, dass der Gläubiger Ansprüche des Schuldners gegen den Dritten pfänden und an sich überweisen lassen muss, um aus diesen Rechten gegen den Dritten vorgehen zu können. Verweigert der Dritte gleichwohl seine Mitwirkung, so setzt dieser Weg im Weiteren voraus, dass der Gläubiger vor Beginn der Zwangsvollstrekkung gegen den Dritten einen Titel erstreiten muss. Anderenfalls müsste man auf das Titelerfordernis verzichten. Für einen Anscheinstatbestand auf der dritten Stufe der Formalisierung bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte, da die Besitzverhältnisse in den hier problematisierten Fällen des § 809 ZPO gerade den Dritten als Eigentümer der Pfandsache erscheinen lassen. Weitergehende Anhaltspunkte, die dem staatlichen Vollstreckungsorgan eine überschlägige Bewertung der zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse erlauben würden, sind nicht ersichtlich. Zudem spricht auch folgende Überlegung gegen eine Aufweichung des Titelerfordernisses: Ist ein Titel schon gegenüber dem Vertragspartner des Gläubigers, dem Schuldner, zwingend erforderlich, so muss dies erst recht gegenüber einem außenstehenden Dritten gelten. Schließlich dürfte die Gefahr der Voll362 Diese Wertungskriterien hat Canaris, in: Festschrift für Larenz, S. 799 (802 f.), entwickelt; ebenso Medicus, Rdnrn. 666 f.; Stadler, in: Jauernig, § 812, Rdnr. 22. 363 Ähnlich Münzberg, in: Stein/Jonas, § 809, Rdnr. 5.
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streckungsvereitelung bei dem Dritten eher schwächer ausgeprägt sein, in keinem Fall jedenfalls stärker als beim Schuldner mit der Folge, dass auf ein Titelerfordernis gegenüber dem Dritten verzichtet werden könnte. Im Ergebnis setzt sich das französische Lösungsmodell zur Drittbeteiligung zweierlei Bedenken aus. Zum einen werden die zivilrechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen missachtet. Zum anderen liegt ein Verstoß gegen das Titelerfordernis vor. Beide Durchbrechungen lassen sich aus Sicht der Zivilrechtsdogmatik nicht rechtfertigen. bb) Fehlen zivilrechtlicher Mitwirkungspflichten Dritter Lässt sich das französische Modell der Vollstreckung gegen Dritte zivilrechtlich nicht erklären, bleibt die Möglichkeit, die öffentlich-rechtliche Komponente der Zwangsvollstreckung zu bemühen. Eine Mitwirkungs- bzw. Herausgabeverpflichtung des Dritten ließe sich dogmatisch auch als Ausprägung des staatlichen Gewaltmonopols und der damit verbundenen Kompetenzen des Vollstreckungsorgans interpretieren. Mit einer solchen öffentlich-rechtlichen Bewertung wäre aber in jedem Fall bereits ein abschließendes Urteil über die in Frankreich vorgesehene Bürgschaftssanktion sowie die in Italien angeordnete Verwahrungspflicht des Dritten ausgesprochen. Von zivilrechtlichen Sanktionen könnte im öffentlich-rechtlichen Bereich nicht mehr die Rede sein. In ihrer pragmatisch sehr wünschenswerten Orientierung vermengen Franzosen und Italiener mithin die Kategorien von Zivilrecht und öffentlichem Recht.364 Denkbare Sanktionen im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols könnten allenfalls solche in Form eines Ordnungs- oder Zwangsmittels bis hin zu einer strafrechtlichen Sanktion sein, nicht hingegen zivilrechtliche Verpflichtungen des Dritten gegenüber dem Gläubiger. Die Parallele zu strafrechtlichen Sanktionen lässt indes auch grundlegende Zweifel an einer öffentlich-rechtlichen Mitwirkungsverpflichtung des Dritten aufkommen. Eine dem Dritten auferlegte Herausgabeverpflichtung käme der Situation einer Beschlagnahme gleich. Diese setzt aber die vorherige Begehung einer Straftat voraus. In der Vollstreckung geht es jedoch nicht um die Pönalisierung einer Straftat, sondern allein um die Ausgleichung einer zivilrechtlichen Verpflichtung des Schuldners. Es kann daher in diesem Bereich kaum angehen, dem Dritten Mitwirkungsverpflichtungen vergleichbar denjenigen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufzuerlegen. Die Überlegungen veranschaulichen den eingeschränkten Wirkungskreis des staatlichen Gewaltmonopols in der Zwangsvollstreckung. Zugleich ist ein weiteres entscheidendes Argument gegen eine Mitwirkungspflicht des Dritten in der Zwangsvollstreckung gewonnen. Denn das staatliche Gewaltmonopol spiegelt in der Zwangsvollstreckung lediglich das Verbot der privaten Selbsthilfe wider. Es verfolgt hingegen nicht den Zweck, dem Gläubiger im Verhältnis zu Dritten weitergehende Rechte einzuräumen als ihm nach Zivilrecht zustehen würden. Diese 364
S. dazu auch noch die Ausführungen zur astreinte unter § 21 III 1.
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Koppelung zwischen Zivilrecht und staatlichem Gewaltmonopol würde vernachlässigt, wenn man den Dritten ohne vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger zur Mitwirkung in der Zwangsvollstreckung verpflichten wollte. Derartige Verpflichtungen würden auch dann nicht bestehen, wenn dem Gläubiger die private Selbsthilfe gestattet wäre. Denn auch die Selbsthilfe findet ihre Grenzen in den nach Zivilrecht zu bewertenden Rechten und Pflichten der Beteiligten. Das Zivilrecht kennt keine allgemeine Herausgabe- oder Mitwirkungspflicht Dritter im Falle der Zwangsvollstreckung. Derartige Verpflichtungen bestehen allenfalls gegenüber dem Schuldner, so dass sich der Gläubiger dessen Rechte abtreten oder zwangsweise überweisen lassen muss. Ihre Durchsetzung unterliegt dann wiederum dem Titelerfordernis. Damit schließt sich der Kreis zu den anfänglichen zivilrechtlichen Überlegungen. Der öffentlich-rechtliche Aspekt der Zwangsvollstreckung in Form des staatlichen Gewaltmonopols führt zu keinen abweichenden Ergebnissen. cc) Hemmnisse der Herausgabevollstreckung Die französische Vollstreckung gegen Dritte fördert in hohem Maße die Effektivität der Zwangsvollstreckung. In dogmatischer Hinsicht gleicht sie jedoch einem Kahlschlag. In Deutschland scheint die Situation hingegen umgekehrt zu sein. Die deutsche Vollstreckungsordnung muss sich daher unter praktischen Gesichtspunkten fragen lassen, ob sie nicht die Herausgabevollstreckung gegenüber dem Dritten zum Scheitern verurteilt. Die praktischen Hemmnisse spiegeln hingegen die Anforderungen des Titelerfordernisses wider. Muss der Gläubiger gegenüber seinem Schuldner einen Titel erwirken, bevor er die Zwangsvollstrekkung einleiten will, so muss dies erst recht gegenüber dem Dritten gelten. Wollte man die damit verbundene zeitliche Verzögerung nicht tolerieren, so müsste man das Titelerfordernis generell überdenken. Zuletzt bleibt anzumerken, dass der Gläubiger im Falle der Vollstreckungsvereitelung durch den Dritten nicht schutzlos gestellt ist. Die Herausgabeansprüche des Schuldners gegen den Dritten, die der Gläubiger sich hat überweisen lassen, wandeln sich in diesem Falle regelmäßig in Schadensersatzansprüche um. Der Gläubiger gewinnt also im Falle der Vollstreckungsvereitelung einen weiteren Zahlungsschuldner. Denn auch die titulierte Forderung gegenüber dem Schuldner erlischt erst mit der erfolgreichen Vollstreckung. c) Abschließendes Plädoyer für die Beibehaltung zivilrechtlicher Prinzipien Die pragmatischen Überlegungen des französischen Gesetzgebers schießen über ihr Ziel hinaus. Das deutsche Modell der Herausgabevollstreckung hat seine dogmatische Berechtigung. Es trägt den zivilrechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen sowie dem Titelerfordernis Rechnung. Kehrseite der Medaille sind die praktischen Hemmnisse der Herausgabevollstreckung. Ein Ausweg aus der vermeintlichen Misere würde ein Überdenken des Titelerfordernisses bedingen. Dessen Verzicht würde jedoch der Willkür in der Zwangsvoll-
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streckung Tür und Tor öffnen.365 Ohne gerichtliche Klärung fehlten dem Vollstreckungsorgan jegliche Anhaltspunkte zur Entscheidung über eine Herausgabeverpflichtung des Dritten. Allein die Behauptung des Gläubigers oder des Schuldners, der Dritte sei zur Herausgabe der Sache verpflichtet, macht diesen noch nicht zum Vollstreckungsschuldner. Schließlich wird auch im Bereich der §§ 883 ff. ZPO das Titelerfordernis nicht in Frage gestellt. Es besteht daher in der Geldvollstreckung keine Veranlassung, das deutsche Modell der Drittbeteiligung zu ändern.
IV. Prinzipien im Bereich der Rechtsfolge Ähnlich wie im Bereich der Voraussetzungen ist es auch bei den Prinzipien, die die Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung betreffen, ratsam, sich an den Regelungen zum Faustpfandrecht zu orientieren. Dabei tritt eine Reihe bekannter Grundsätze in Erscheinung. 1. Streifzug von Gefahrtragung und Erfüllung bis hin zum gutgläubigen Erwerb Berücksichtigt man, dass die Zwangsvollstreckung lediglich die zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung bzw. die zur Begründung eines vertraglichen Pfandrechts fehlenden freiwilligen Mitwirkungshandlungen des Schuldners erzwingen soll, so bleibt im Bereich der Rechtsfolge an sich überhaupt kein Freiraum für vollstreckungsspezifische Prinzipien. Dies scheint für den Bereich der Gefahrtragung und der Erfüllung366 – von Ausnahmen abgesehen367 – unumstritten zu sein, so dass in diesem Spektrum die Anwendung der zivilrechtlichen Regelungen nicht problematisiert wird. Was hingegen die Wirkungen des Pfändungspfandrechts anbelangt, wird in Rechtsprechung und Literatur unermüdlich um den Einfluss der öffentlich-rechtlichen Komponente der Zwangsvollstreckung gerungen.368 Dies muss verwundern, da ansonsten die Tendenz besteht, einen verwaltungsrechtlichen Einschlag der Zwangsvollstreckung zu leugnen und diese vielmehr als Rechtspflegetätigkeit einzustufen.369 Ohne Details dieses Meinungsstreits vorwegzunehmen, ist an dieser Stelle bereits darauf hinzuweisen, dass das materielle Recht für sämtliche Fragen, die im Bereich der Rechtsfolgen des Pfandrechts auftreten, Antworten bereit hält. Diese Antworten sind im materiel365 Dieses Ergebnis der noch folgenden Analyse sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen. Ausführlich zum Titelerfordernis und seiner Berechtigung unter § 11 III. 366 Ausführlich zur Erfüllung in der Zwangsvollstreckung Kerwer, S. 9 ff., der im Sinne der vorliegenden Untersuchung ebenfalls zunächst die zivilrechtlichen Tatbestandsmerkmale der Erfüllung beleuchtet, um sie sodann – soweit möglich – auf die Zwangsvollstreckung zu übertragen. 367 Zu den Besonderheiten bei der Erfüllung durch Leistung an den Gerichtsvollzieher, insbesondere im Zusammenhang mit der Leistungsaufforderung durch den Gerichtsvollzieher vor Beginn der Zwangsvollstreckung näher unter § 23 II 4 a. 368 S. dazu im Einzelnen unter §§ 16 ff. 369 S.o. § 4 VI.
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len Recht fest verwurzelt. Sie finden im Kanon der materiell-rechtlichen Prinzipien ihre unumstrittene Daseinsberechtigung. Nach den bisherigen Überlegungen gibt es daher keinen Anlass, in der Zwangsvollstreckung von diesen Prinzipien abzuweichen.370 Als Prinzip zu benennen ist insbesondere der Grundsatz der dinglichen Surrogation, der sich im Wege der analogen Anwendung der §§ 1247 S. 2, 1287 BGB auch in der Zwangsvollstreckung etabliert hat.371 Merkwürdigerweise kann diese Aussage hingegen nicht für den Bereich des gutgläubigen Erwerbs getroffen werden. Abweichend von den Vorgaben des materiellen Rechts, deren Geltung für den Bereich des Faustpfandrechts in keiner Weise bezweifelt wird, soll in der Zwangsvollstreckung auch der bösgläubige Erwerber schützenswert sein. Hier tun sich tiefgehende Wertungswidersprüche auf, auf die im Rahmen der Geldvollstreckung detailliert einzugehen sein wird.372 An dieser Stelle kann zunächst nur festgehalten werden, dass sich derartige Eigenarten der Zwangsvollstreckung nach ihrem hier entwickelten Verständnis nicht begründen lassen. Es ist vielmehr ein enger Schulterschluss mit den übrigen Bereichen des materiellen Zivilrechts zu vollziehen und auf dessen bewährte Prinzipien zurückzugreifen. 2. Konkurrierende Gläubiger: Priorität versus Verlustgemeinschaft Auffallend ist, dass die Intensität, mit der der Streit um die Pfandrechtstheorien ausgetragen wird, in keinem Verhältnis zu seinen praktischen Auswirkungen steht.373 Das mag damit zusammenhängen, dass die Regelung des § 804 Abs. 2 und 3 ZPO im Bereich der Rechtsfolge, d.h. der Frage nach den praktischen Auswirkungen des Pfändungspfandrechts, de lege lata keine großen Spielräume mehr bietet. Das Pfändungspfandrecht wird gemäß § 804 Abs. 2 ZPO, was die Rechtsfolge anbelangt, dem Faustpfandrecht gleichgestellt. Für die wichtigste Frage der Gläubigerkonkurrenz ordnet darüber hinaus § 804 Abs. 3 ZPO ausdrücklich eine zeitliche Priorität an. Der Streit um die Pfändungspfandrechtstheorien konzentriert sich daher in seiner praktischen Konsequenz allein an den seltenen Fällen der fehlerhaften Begründung eines Pfändungspfandrechts. Da dieser Aspekt den Bereich der Voraussetzungen des Pfändungspfandrechts berührt, die von denjenigen des Faustpfandrechts insoweit divergieren, als die freiwillige Mitwirkung des Schuldners erzwungen wird, öffnet dieser Ansatz zugleich das Tor für öffentlich-rechtliche Besonderheiten, die sich auch auf die Rechtsfolge des Pfändungspfandrechts auswirken. In der Konsequenz geht es dann aber bei der Frage der Heilung von öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsmängeln374 allein um die 370 Im Rahmen des Meinungsstreits um die Pfandrechtstheorien wird sich ebenfalls kein Grund zu einer Abweichung ergeben, s.u. §§ 17 f. 371 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 804, Rdnr. 5. 372 Ausführlich dazu unter § 17 IV 3. 373 Zu den eigentlichen Kardinalfragen bei der Ausgestaltung der Geldvollstreckung ausführlich unter § 16 III. 374 S.u. § 17 II 4 und § 18 II 3.
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Entscheidung und Abwägung zwischen Gleichrang oder Vor- und Nachrang. Angesprochen ist damit das eigentliche Problem bei der Konkurrenz mehrerer Gläubiger in Form der Entscheidung zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft. Die Nähe der Diskussion um die Pfändungspfandrechtstheorien zu dem nunmehr im Detail zu erörternden Streit um Verlustgemeinschaft und Prioritätsgrundsatz erklärt, weshalb sich ähnliche Argumente im Rahmen beider Diskussionen wiederfinden lassen. Dass hingegen ein derartiger Bezug bislang nicht hergestellt wurde, mag damit zusammenhängen, dass die Regelung des § 804 Abs. 3 ZPO de lege lata für den Streit um die Pfändungspfandrechtstheorien kaum mehr Raum lässt. Der grundsätzliche Streit zwischen Verlustgemeinschaft und Priorität bricht sich daher Bahn auf dem Forum der Rechtsvergleichung.375 Die Argumente, die sich hier aus praktischer Sicht gegenüberstehen (Ausgleichende Gerechtigkeit versus Gläubigerinitiative), korrespondieren jedoch in letzter Konsequenz – das darf nicht übersehen werden – mit denjenigen im Bereich der Pfandrechtstheorien. Im Hinblick auf die Pfandrechtstheorien bleibt daher schon an dieser Stelle festzuhalten, dass das öffentliche Recht im Streit zwischen Prioritätsgrundsatz und Verlustgemeinschaft letztlich nur als Vehikel benutzt wird.376 Die Frage dreht sich im Kern stets um die Abgrenzung desjenigen Bereichs, auf den der Gläubiger Einfluss nehmen kann (Priorität), von demjenigen der staatlichen Einfluss- und Verantwortungssphäre (Verlustgemeinschaft). a) Spektrum der bestehenden Lösungsmuster in Europa Die europäischen Vollstreckungsordnungen bieten ein breites Spektrum an Differenzierungskriterien bei der Herausbildung von bevorrechtigten Gläubigern einerseits sowie einer verbleibenden Verlustgemeinschaft andererseits.377 Im Einzelnen ergibt sich das folgende Bild. aa) Zeitliche Priorität in Österreich, abgeschwächt in Deutschland Der Prioritätsgrundsatz findet sich nicht nur im deutschen Vollstreckungsrecht wieder,378 er prägt in gleicher Weise auch die österreichische Exekutionsord375 So etwa Schlosser, ZZP 1984, 121 (122 ff.), zu den europäischen Nachbarn oder Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (109 ff.), zum schweizerischen, deutschen und türkischen System. Welbers, S. 47, behauptet, dass die Rechtsvergleichung hier nur Probleme aufwerfen könne, aber keine Lösungsansätze biete. Demgegenüber weist Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (119), mit Recht darauf hin, dass die Rechtsnormen Lösungsversuche eines juristischen Problems sind. Der Rechtsvergleichung kommt daher keine andere Aufgabe zu als der auf ein Land beschränkten Rechtswissenschaft. 376 Näher dazu unter § 18 II 3. 377 Ein ausführlicher Überblick über die unterschiedlichen Systeme findet sich bei Siebert, S. 32 ff., und Welbers, S. 10 ff., der sich zugleich auch mit der rechtsgeschichtlichen Entwicklung auseinander gesetzt hat, Welbers, S. 48 ff. 378 Seine historischen Wurzeln findet die Formel „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ im römischen Recht in Form des Exekutionspfandes, Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (109). Näher zur gewohnheitsrechtlichen Entstehung der Prioritätsregel und der aus dem Mühlenwesen abgeleiteten Faustformel Wacke, JA 1981, 94 (94 f.). Ausführlich zur rechtsgeschichtlichen Entwick-
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nung.379 De facto wird dieser Grundsatz jedoch in Deutschland durch eine Regelung in der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) untergraben. Die Vorschrift des § 168 Nr. 1 GVGA trifft für den Tätigkeitsbereich folgende für den Gerichtsvollzieher verbindliche Regelung: „Ein Gerichtsvollzieher, der vor Ausführung einer ihm aufgetragenen Pfändung von den anderen Gläubigern mit der Pfändung gegen denselben Schuldner beauftragt wird, muss alle Aufträge als gleichzeitig behandeln und deshalb die Pfändung für alle Beteiligten zugleich bewirken. Auf die Reihenfolge, in der die Vollstreckungsaufträge an den Gerichtsvollzieher gelangt sind, kommt es nicht an, sofern nicht die Pfändung aufgrund eines früheren Auftrags schon vollzogen ist; denn der Eingang des Vollstreckungsauftrags für sich allein begründet kein Vorzugsrecht des Gläubigers vor anderen Gläubigern. …“ Mit dieser Regelung, deren Rechtmäßigkeit im Blickfeld des § 804 Abs. 3 ZPO äußerst fragwürdig erscheint, wird der Prioritätsgrundsatz konterkariert380 und im Bereich der Mobiliarvollstreckung in sein Gegenteil verkehrt.381 Auch wenn es sich nur um eine Verwaltungsvorschrift handelt,382 ist sie doch gegenüber dem Vollstreckungsorgan bindend.383 Die Regelung führt in der Praxis angesichts der langen Bearbeitungszeiten durch die Gerichtsvollzieher zu einem Sammeln der Aufträge und damit zu einer empfindlichen Beschränkung des Prioritätsprinzips
lung des Prioritätsprinzips und zur deutschen Rechtstradition Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (322 ff.), und Stürner, ZZP 1986, 291 (323 f.). Richard Schmidt, S. 331, kommt zu folgender Feststellung: „Zusammenfassend lässt sich urteilen: national-deutsche Tradition und rationale Abwägung wirken zugunsten des Prioritätsprinzips im Verhältnis der Gläubiger zusammen, und so ist es verständlich, dass eine nennenswerte Opposition sich die vierzig ruhigen Jahre des neuen Reichs hindurch nicht dagegen gerührt hat.“ 379 Schlosser, ZZP 1984, 121 (127), weist darauf hin, dass das Prioritätsprinzip auch in England und in den USA Geltung beansprucht. Gleichwohl handele es sich nur um eine Minorität. Für die angebliche Mehrheit benennt Schlosser jedoch nur Frankreich und die Schweiz. 380 Besonders deutlich wird das durch den letzten Halbsatz des oben zitierten § 168 Nr. 1 GVGA. Danach soll der Eingang des Vollstreckungsauftrages kein Vorzugsrecht für den Gläubiger begründen. Wenn aber nicht der Vollstreckungsantrag für die gemäß § 804 Abs. 3 ZPO angeordnete Priorität maßgeblich sein soll, an welchem Element will man dann die Priorität festmachen? Es bliebe dann nur noch die Entscheidung bzw. Maßnahme des Gerichtsvollziehers, was auf eine freie Willkür hinauslaufen würde. Ähnlich kritisch zuletzt Knoche/Biersack, NJW 2003, 476 (481), die das Vollstreckungsorgan verpflichten wollen, bei zeitlich differierenden Gläubigeranträgen zeitlich versetzt vollstreckungsrechtliche Positionen zu begründen. 381 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 IV 5, und Stürner, ZZP 1986, 291 (322 f.), halten die Regelung daher für gesetzeswidrig. Ebenso kritisch Wacke, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 436 (441). 382 OLG Hamm, DGVZ 1977, 40 (41); Wieser, NJW 1988, 665 (666). 383 Nach zutreffender Ansicht von Gaul, ZZP 1974, 241 (271), ist die Geschäftsanweisung nur bei erkennbar strafbarem Handeln unverbindlich. Demgegenüber will Dütz, DGVZ 1975, 65 (65 f.), und in der weiteren Folge auch Wieser, NJW 1988, 665 (666), für eine abweichende Tätigkeit des Gerichtsvollziehers jeglichen wichtigen Grund ausreichen lassen. Diese Ansicht führt jedoch beim vorliegenden Problem der Rangfolge zu keiner abweichenden Bewertung, da der wichtige Grund nur im Ausnahmefall gegeben sein kann. Zudem widerspricht die Auffassung von Dütz der allgemeinen Verwaltungsrechtslehre, Maurer, § 24, Rdnrn. 16 f.
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im Sinne eines Gruppenprinzips.384 Dies wird allzu oft in der Diskussion übersehen. bb) Die Verlustgemeinschaft in Italien Während in Deutschland und Österreich die Einzelvollstreckung im Falle der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Schuldners in das Insolvenzverfahren übergeleitet wird, ist die private Insolvenz vielen Rechtsordnungen der europäischen Nachbarländer unbekannt.385 So beschränkt sich beispielsweise das Insolvenzverfahren in Italien auf Kaufleute.386 Demzufolge verfechten die Italiener im Bereich der Einzelvollstreckung nicht das Prioritätsprinzip, sondern von vornherein das Prinzip der gleichmäßigen Befriedigung.387 Um sämtlichen Gläubigern den Zutritt zum Verteilungsverfahren zu eröffnen und zu gewährleisten, sieht die italienische Vollstreckungsordnung für alle Vollstreckungsarten weitreichende Vorschriften zum Gläubigerbeitritt sowie zur Erlösverteilung vor. Berechtigt zum Beitritt sind danach insbesondere auch Gläubiger ohne Titel, art. 525 c.p.c. Diese dürfen jedoch ihrerseits die Zwangsvollstreckung nicht betreiben, art. 526, 567 c.p.c. Die genannten Regelungen erinnern in starkem Maße an das in Deutschland geläufige Insolvenzverfahren. Der maßgebliche Unterschied besteht dabei darin, dass die Italiener keine der Verlustgemeinschaft vorangehende Einzelvollstreckung mit Prioritätsgrundsatz kennen. Gleichwohl greifen auch sie – anders etwa als die Franzosen – auf die Figur des Pfandrechts zurück und lassen auch eine Nachpfändung zu, art. 493 c.p.c. Das Pfandrecht ist dabei allerdings gegenüber dem deutschen Modell insoweit modifiziert, als es keinen Vorrang gewährt.388 Dies zeigt die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem dogmatischen Konstrukt und der damit verbundenen Rechtsfolge.389 Allein die beiden Kriterien Verlustgemeinschaft und Priorität kennzeichnen mithin die beiden Gegenpole der zugrunde liegenden Entscheidungspalette. Die Frage, welche Rechtsfigur zur Realisierung dieser Entscheidung herangezogen wird, ist zweitrangiger Natur.390 Nur so ist auch zu 384
Ebenso kritisch Stürner, ZZP 1986, 291 (322 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5
IV 5. 385
Ein ausführlicher Überblick findet sich bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.1 ff. Ein kurzer Überblick über das italienische Vollstreckungsrecht findet sich bei Baur/Stürner/ Bruns, Rdnrn. 59.57 ff. 387 Dabei sind jedoch gewisse Gläubigergruppen zu berücksichtigen, die ihrerseits privilegiert sind, art. 2741 c.p.c. 388 Hier bewahrheitet sich die Feststellung Richard Schmidts, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (341), dass der Begriff des Pfändungspfandrechts nicht als etwas wirklich geschichtlich Gewordenes angesehen werden kann. 389 So schon Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (340), der mit Recht darauf hinweist, dass der Vorrang des früher pfändenden Gläubigers vor den bloßen Anschlussgläubigern es noch nicht notwendig macht, diesen Vorgang in die juristische Form eines Pfändungspfandrechts zu kleiden, wie es § 804 ZPO vorsieht. 390 Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (340), äußerte vor über 60 Jahren im Anschluss an ein dem Ausschuss für Rechtspflege vom Ministerialrat Jonas vorgelegtes Gutachten zur „Pfandrechtskonstruktion in der Mobiliarvollstreckung“ Bedenken an der Konstruktion des Pfändungspfandrechts in Anlehnung an die Denkformen des Privatrechts als komplizierend und 386
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erklären, dass sich in der Insolvenz Privilegierungen einzelner Gläubigergruppen finden und umgekehrt beim Pfandrecht der Gleichrang keine unbekannte Größe ist. § 804 Abs. 3 ZPO ordnet daher für das Pfändungspfandrecht ausdrücklich eine zeitliche Priorität an, die nicht zwingend mit dem Konstrukt des Pfandrechts verbunden ist, auch wenn das materielle Zivilrecht hier auf deutscher Ebene klare Vorgaben trifft. Diese zwingenden Vorgaben haben jedoch auch de lege lata zu keiner Rechtssicherheit geführt. Unter dem dogmatischen Deckmantel der Pfandrechtstheorien wird, was die dahinter stehende materiell-rechtliche Interessenabwägung anbelangt, die Diskussion zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft in einem schmalen Bereich vermeintlicher Gesetzeslücken fortgesetzt.391 cc) Der schweizerische Mittelweg Das schweizerische Schuldbetreibungsgesetz verfolgt einen Mittelweg zwischen dem deutschen Prioritätsgedanken und der französischen Verlustgemeinschaft, Art. 110 SchKG. Es sieht eine Gruppenbildung vor, innerhalb derer das Verlustprinzip gilt, während zwischen den einzelnen Gruppen das Prioritätsprinzip zur Geltung kommt.392 Die Gruppen zeichnen sich dadurch aus, dass jedem Gläubiger das Recht zusteht, innerhalb von 30 Tagen der ersten Pfändung durch eine Anschlusspfändung beizutreten.393 Weiter modifiziert wird diese Regelung dadurch, dass innerhalb der Pfändungsgruppen bevorrechtigte Gläubiger vorgesehen sind, die konkursähnliche Privilegien haben. In den hierzu gebildeten ersten drei Klassen der privilegierten Gläubiger galt bis zur Revision des Schweizer Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs wiederum das Prioritätsprinzip nach dem Zeitpunkt des Pfändungsbegehrens, Art. 146 Abs. 2 SchKG.394 Der Zuwachs an Privilegien entwickelte sich jedoch in der Praxis zu einem zunehmenden Ärgernis, weshalb der schweizerische Gesetzgeber mit seiner jüngsten Gesetzesreform mit zahlreichen Privilegien aufräumte. Das neue Recht sieht in Art. 146 Abs. 2, 219 Abs. 4 SchKG nur noch zwei privilegierte Klassen vor.395 entbehrlich. Der bis heute fortdauernde Streit um die Pfandrechtstheorien (s. dazu noch ausführlich unter §§ 16 ff.) ist insofern leider wenig angetan, diese Bedenken zu zerstreuen. In diesem Sinne äußert sich auch Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (112). 391 S. dazu schon die einleitenden Bemerkungen. Ausführlich zu den Pfandrechtstheorien unter §§ 16 ff. 392 In ähnlicher Weise ist auch das griechische Vollstreckungsrecht vom Grundsatz der Verlustgemeinschaft geprägt, der allerdings durch zahlreiche allgemeine und spezielle Vorrechte durchbrochen wird. Yessiou-Faltsi, ZZP 1993, 215 (232), kommt daher zu folgendem Ergebnis: „Ein allgemeiner Schluß, den man aus der griechischen Erfahrung ziehen kann, ist, daß das Ausgleichsprinzip bei seiner Anwendung in der Praxis der Einzelvollstreckung ernstliche Schwierigkeiten aufweist. Wenn diese nicht erfolgreich ausgeräumt werden, können sie die ideologische Basis des Systems für die Gleichberechtigung der Gläubiger umstürzen.“ 393 Brehm, DGVZ 1986, 97 (100), spricht in diesem Zusammenhang von Trittbrettfahrern und hält es deshalb für sehr zweifelhaft, ob das Ausgleichsprinzip insgesamt zu mehr Gerechtigkeit führt. Ebenso Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (39). 394 Näher zur Gesetzgebungsgeschichte Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (109 ff.). 395 Näher zu der Gesetzesreform Brönnimann, ZZPInt 1997, 199 (212).
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Dogmatisch erklärt das schweizerische Schuldbetreibungsgesetz den grundsätzlichen Gleichrang dadurch, dass es die Begründung eines Pfändungspfandrechts leugnet.396 Offen bleibt damit allerdings, wie dogmatisch der zeitliche Vorrang innerhalb der ersten drei privilegierten Gläubigerklassen begründet werden soll. Hier zeigt sich einmal mehr, dass das dogmatische Konstrukt nur von zweitrangiger Bedeutung ist. Die Schweizer scheinen ohne jede dogmatische Rechtsfigur und ohne Bezug zum materiellen Recht ihre Gläubigergruppen begründen zu können. Im Gesamtergebnis handelt es sich quasi um einen Kleinkonkurs des Privatmannes, den das Konkursgesetz nicht zulässt. Der Konkurs als Gesamtvollstreckung ist grundsätzlich auf den Kaufmann beschränkt, Art. 39 SchKG.397 dd) Differenzierung nach der Vollstreckungsart in Frankreich Der Streit um eine Rückbeziehung der Zwangsvollstreckung an die materiellen Vorgaben des Privatrechts entzündet sich insbesondere im Bereich der Abgrenzung von Prioritätsprinzip und Verlustgemeinschaft. Interessant ist in diesem Kontext ein Blick zu unseren französischen Nachbarn. Man gewinnt den Eindruck, dass es in Frankreich weitgehend an einer wissenschaftlichen Dogmatik mangelt, so dass der Gesetzgeber im Rahmen der Reform des Vollstreckungsrechts398 gleichsam unbeschwert an die Arbeit gegangen ist. Im Ergebnis hat sich dabei der französische Gesetzgeber dem in Deutschland geltenden Prioritätsprinzip angenähert, obwohl eine solche Annäherung gerade dem erklärten Willen in der Reformdiskussion widersprach, einen Rückgriff auf die deutsche Zivilprozessordnung zu vermeiden.399 Indem man weitgehend auf das Vollstreckungsrecht in Elsass-Lothringen rekurrierte, wo die Reichszivilprozessordnung als örtliches Recht (droit local) fortgalt, kam das deutsche Recht auf Umwegen gleichwohl zur Geltung. Zwar gilt in Frankreich grundsätzlich im Falle der Gläubigermehrheit weiterhin das Prinzip der Verlustgemeinschaft, jedoch ist es in dem in der Praxis maßgeblichen Bereich der saisie-attribution (Forderungsvollstreckung) aufgegeben worden. Dies steht im Widerspruch zu Art. 2093 CC, der im materiellen Recht im Falle der Gläubigermehrheit von einer Verlustgemeinschaft ausgeht. Die Abweichung lässt sich daher allein unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Praktikabilität erklären.400 Unerklärlich bleibt dabei, weshalb wiederum im Bereich der Lohn- und Gehaltspfändung sich das Prioritätsprinzip nicht durchgesetzt hat. Hier mag den Franzosen der Grundsatz der Verlustgemeinschaft sachgerechter erschienen sein, um eine Benachteiligung nachrangiger Gläubiger zu vermeiden. Das Arbeitseinkommen stellt oft die einzige Einkommensquelle für den Schuldner dar. Der Gesetzgeber wollte daher 396
Amonn/Gasser, § 22, Rdnr. 72. Für den Privatmann besteht seit 1997 die Möglichkeit der einvernehmlichen privaten Schuldenbereinigung, die aber – wie der Name bereits ausdrückt – ein Einvernehmen mit den Gläubigern voraussetzt, das im konkreten Einzelfall nur schwer zu erzielen sein dürfte. 398 Zur französischen Vollstreckungsrechtsreform s. bereits die Anmerkungen unter § 7 V 2 c. 399 Näher zu den Hintergründen der französischen Vollstreckungsrechtsreform Traichel, S. 2 ff. 400 So Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.7. 397
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vermeiden, dass im Rahmen der Einzelvollstreckung allein ein Gläubiger zum Zuge kommt.401 Das französische Recht kennt eben keinen Konkurs des Privatmannes. Gleichwohl fehlt es an einer fundierten wissenschaftlichen Aufbereitung der Gründe für die bestehende Differenzierung. Die Figur des Pfändungspfandrechts, die zumindest im Rahmen der saisie attribution als dogmatische Stütze für das Prioritätsprinzip dienen könnte, ist dem französischen Vollstreckungsrecht völlig fremd. Im Ergebnis beschreiten die Franzosen einen Mittelweg zwischen den beiden Prinzipien Verlustgemeinschaft oder Priorität, indem sie abweichend von dem Prinzip der Verlustgemeinschaft nunmehr im Bereich der saisie attribution (Forderungsvollstreckung) – mit Ausnahme der Lohn- und Gehaltspfändung – eine strenge Priorität anordnen. b) Die grundsätzliche Frage nach Ob und Wie einer Differenzierung Das breite Lösungsspektrum zu dem Themenbereich „Gläubigerkonkurrenz in der Zwangsvollstreckung“ macht es notwendig, die verschiedenen Unterscheidungskriterien zu ordnen. Es ist ein Grundmodell zu entwickeln, das sämtliche maßgeblichen Aspekte berücksichtigt und zugleich eine Auslese ermöglicht, um abschließend die maßgeblichen Puzzleteile zu einem einheitlichen und harmonischen Bild zusammenzufügen.402 Eckstein für dieses Modell ist die Frage nach dem Ob und dem Wie einer Differenzierung im Falle der Gläubigerkonkurrenz. Im Folgenden erschließen sich die denkbaren Differenzierungskriterien sowie deren Rechtfertigung. Die bislang bekannten Argumentationsmuster erfahren auf diesem Wege eine neue Ordnung. Was die betroffenen Interessen anbelangt, die es bei der Frage der Gläubigerkonkurrenz abzuwägen gilt, sind zwei Schwerpunkte zu bilden. Zum einen – das liegt auf der Hand – geht es um die Zuweisung des Risikos der Schuldnerinsolvenz unter den konkurrierenden Gläubigern. Zum anderen ist aber auch das Interesse des Schuldners an der Verhinderung einer voreiligen Zerschlagung seines Vermögens zu berücksichtigen. Damit einher geht das Interesse aller Beteiligten an einer möglichst praktikablen und effektiven Vollstreckung, insbesondere im Vorfeld einer drohenden Insolvenz. Die staatliche Einmischung muss sich auf das willensbeugende Element beschränken und im Übrigen der Privatautonomie Tribut zollen. Ohne hierbei bereits zu weit in die nachfolgende Diskussion einzusteigen, zeigt sich, dass zeitliche Differenzierungen in irgendeiner Form unausweichlich erscheinen, sei es die zeitliche Unterscheidung in der Vermögensentwicklung des Schuldners (Einzel- und Gesamtvollstreckung), sei es der zeitliche Aspekt der Abfolge der Gläubiger. Das Ob einer Differenzierung bei der Abwägung der kollidierenden Interessen dürfte mithin unumstritten sein. Hingegen 401
Traichel, S. 130, Fn. 475 m.w.N. Fuchs-Wissemann, DRiZ 1982, 373 (383), hält die Gründe, die für eine rechtliche Bevorzugung des Prioritätsmodells sprechen, hingegen für so vielfältig, dass sie sich nicht auf einen Nenner bringen ließen. 402
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mangelt es hinsichtlich der Auswahl der Differenzierungskriterien bislang an ausreichender Klarheit. Die europäischen Lösungsmodelle erweisen sich hier mitunter nur als ein Torso. Die Unsicherheiten ein wenig zu erhellen, ist daher Anliegen der folgenden Überlegungen. c) Kanon denkbarer Differenzierungskriterien Die bisherigen Schwierigkeiten bei der Diskussion um die Lösung des Problems der Gläubigerkonkurrenz liegen darin begründet, dass eine Polarisierung zwischen den Begriffen Prioritätsprinzip versus Verlustgemeinschaft vorgenommen wird. Dieses Begriffspaar stellt jedoch nur eine stark vereinfachende Betrachtung des Problems dar. Die eigentlichen Konturen der gesamten Problematik erscheinen nur nebulös. Das hängt einerseits damit zusammen, dass allein eine zeitliche Differenzierung der Problemstellung nicht ausreichend Rechnung trägt. Andererseits ist auch die Kehrseite einer zeitlichen Unterscheidung zu beachten. So muss auch das zeitliche Moment auf der Schuldnerseite in Rechnung gestellt werden. Es stellt sich hier vorab die Frage, inwieweit der Übergang vom bloßen Insolvenzrisiko zum Eintritt der Insolvenz Einfluss auf die Ausgestaltung der Vollstreckung haben muss. Mit anderen Worten kann der Streit um Priorität und Verlustgemeinschaft nicht auf die Einzelvollstreckung beschränkt werden. Es muss vielmehr ein gesamtheitliches Lösungsmodell entwickelt werden. Mit Recht haben daher auch in der bestehenden Diskussion entsprechende Argumente Eingang gefunden.403 Allein es mangelt an einer konsequenten Zuordnung. Das zeitliche Moment muss sowohl auf Gläubigerseite als auch auf Seiten des Schuldners berücksichtigt werden. Diese doppelte Betrachtungsweise kann nicht isoliert voneinander vorgenommen werden, da sich zwingende Wechselwirkungen ergeben, wie nachfolgend zu zeigen sein wird. Aus diesem Grunde bietet sich folgende Vorgehensweise an: Zunächst sind bei der Untersuchung die denkbaren Differenzierungskriterien herauszuarbeiten. Die europäischen Lösungsmodelle offerieren hier drei Kriterien: die zeitliche Abfolge der Gläubiger, die Rechtsnatur des Gläubigeranspruchs im Sinne von Gläubigerklassen und die Art des Vollstreckungsobjektes.404 Bei der Prüfung der Existenzberechtigung dieser drei Kriterien ist jeweils gesondert das zeitliche Moment auf der Schuldnerseite in Rechnung zu stellen. Es ist zu untersuchen, ob die Existenzberechtigung der Differenzierungskriterien auf den Zeitraum vor oder nach Eintritt der Insolvenz begrenzt ist. Konkret gesprochen wird sich dabei zeigen, dass die Beschränkung des Prioritätsgedankens auf die Einzelvollstreckung durchaus sinnvoll erscheint, ebenso wie die Beschränkung des Kriteriums der Gläubigerklassen auf die Gesamtvollstreckung. 403 So beispielsweise Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5. Diese Argumente beziehen sich insbesondere auf den rechtsvergleichenden Aspekt in der Diskussion, s. dazu gesondert unter j. 404 Schlosser, ZZP 1984, 121 (124), spricht anstelle der Vollstreckungsart die Art des Titels als weiteres denkbares Kriterium an. Zu den sich daraus ergebenden Unterschieden in der Zwangsvollstreckung s. im Einzelnen unter § 11.
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Die sachliche Rechtfertigung dieses im Ergebnis nicht neuen Modells kommt aber erst vor dem Hintergrund einer stringenten Differenzierung zum Tragen. Es wird sich zeigen, dass unter Berücksichtigung des zeitlichen Moments auf der Schuldnerseite die bisherige Diskussion an Schärfe verliert. Es handelt sich nicht so sehr um eine Polarisierung zwischen Prioritätsprinzip und Verlustgemeinschaft, sondern vielmehr um eine Frage der zeitlichen Abfolge dieser beiden Prinzipien. Diese Abfolge ermöglicht eine sachgerechte Abwägung der betroffenen Interessen. Das eigentliche Problem in Form der Zuweisung des Insolvenzrisikos findet seine abschließende Lösung erst im Insolvenzfall, der staatlich reguliert wird, während die Einzelvollstreckung im Vorfeld einer praktikablen und schuldnerschonenden Gläubigerbefriedigung und Gläubigersicherung dient, die von dem Gedanken der Privatautonomie getragen wird. d) Exkurs zur Rechtsnatur der Gesamtvollstreckung Da die Wertungsfragen, die in der Einzelvollstreckung im Zusammenhang mit dem Insolvenzrisiko auftreten, nicht isoliert von der Gesamtvollstreckung beantwortet werden können, stellt sich zwangsweise die Frage nach dem Wesen und dem Ziel der Gesamtvollstreckung.405 Ausgehend von der Rechtsnatur der Einzelvollstreckung ergeben sich nach deutschem Recht drei wesentliche Unterschiede, deren einer just Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist, nämlich die Abgrenzung von Prioritätsprinzip (Einzelvollstreckung) und Verlustgemeinschaft (Gesamtvollstreckung). Abgesehen davon unterscheidet sich die Gesamtvollstreckung, wie der Name bereits sagt, von der Einzelvollstreckung dadurch, dass sie der Befriedigung nicht nur eines, sondern sämtlicher Gläubiger dient. Dies geschieht im Wege der Verwertung des gesamten Schuldnervermögens, nicht nur einzelner Vermögensgegenstände. Dieser weitere Unterschied rechtfertigt aber keine abweichende Bewertung der Gesamtvollstreckung. Es handelt sich gleichsam nur um eine Summierung sämtlicher in Frage kommender Einzelvollstreckungsverfahren. Ob diese Summierung eigene Prinzipien rechtfertigt, im Kern nämlich das Prinzip der Verlustgemeinschaft, ist Gegenstand der vorliegenden Diskussion. Mit dieser Überlegung erschließt sich unmittelbar eine dritte Besonderheit der Gesamtvollstreckung. Das Titelerfordernis als zwingende Voraussetzung der Einzelvollstreckung wird aufgeweicht, indem an seine Stelle ein gesondertes Anmeldeverfahren tritt. Diese Abweichung ist aber wiederum bloße Folge und nicht etwa Ursprung der Summierung der Einzelverfahren. Will man eine Ansammlung aller Einzelverfahren herbeiführen und daneben eine gesonderte Einzelvollstreckung untersagen, so bedarf es hierzu eines Verfahrens, in dem die noch nicht titulierten Forderungen gesondert festzustellen sind. Das daraus re405 Beides wird zumeist kaum anders definiert als in der Einzelzwangsvollstreckung. Statt vieler nur Kießner, in: Braun, § 1, Rdnr. 3: „Das Insolvenzverfahren dient der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger eines insolventen Schuldners (,par conditio creditorum‘).“ Ebenso Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 1, Rdnr. 23.
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sultierende Anmeldeverfahren genügt dem Gedanken der Formalisierung, indem es bei unstreitigen Forderungen eine Titulierung entbehrlich macht. Im Streitfall ist hingegen die Existenz der Forderungen gerichtlich zu klären.406 Es ist daher nicht verwunderlich, dass beispielsweise die italienische Vollstreckungsordnung, die den privaten Kleinkonkurs nicht kennt, bereits in der Einzelvollstreckung Regelungen zur Einbeziehung von Gläubigern nicht titulierter Forderungen vorsieht.407 Die Einzelvollstreckung wird unter diesem Aspekt gleichsam zur Gesamtvollstreckung. Im Ergebnis ist festzustellen, dass es sich auch beim Insolvenzverfahren um ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren zur Herbeiführung einer zivilrechtlichen Rechtsfolge handelt.408 Im Rahmen dieser zivilrechtlichen Rechtsfolge ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass es sich quasi um eine Summierung einer Vielzahl von Einzelvollstreckungsverfahren handelt. Anstelle der Bestellung einer Vielzahl von Pfändungspfandrechten erscheint es daher sachgerecht, dem Schuldner gänzlich die Verfügungsmacht zu entziehen und sie dem Insolvenzverwalter zu übertragen. Für ein Verfügungsrecht des Schuldners bleibt kein Raum mehr, da mit dem Eintritt der Insolvenz zwangsläufig das gesamte Schuldnervermögen der Verwertung unterfällt. Nicht nur unter pragmatischen Gesichtspunkt ist daher die Einschaltung des Insolvenzverwalters sinnvoll. In der rechtlichen Bewertung besteht kein Unterschied zu einer Anhäufung gleichrangiger bzw. gemäß der Gläubigerklassen vorrangig ausgebrachter Pfändungspfandrechte an sämtlichen pfändbaren Vermögensgegenständen des Schuldners zugunsten sämtlicher Gläubiger. Das Insolvenzverfahren beschränkt sich in seiner öffentlich-rechtlichen Komponente ebenfalls auf den Aspekt der Willensbeugung des Schuldners. Es ersetzt eine rein zivilrechtliche Vergleichsvereinbarung zwischen sämtlichen Beteiligten über die Verteilung des zur Verfügung stehenden Vermögens des Schuldners. Aufgrund der Mehrheit von Gläubigern ergibt sich eine Erweiterung gegenüber der Einzelvollstreckung insoweit, als auch die Interessen der Gläubiger im Insolvenzverfahren durch staatlichen Zwang miteinander in Einklang gebracht werden. Eine weitergehende öffentlich-rechtliche Bewertung des Insolvenzverfahrens vermag das staatliche Gewaltmonopol jedoch nicht zu rechtfertigen. Alle weiteren Fragen der Erfüllung und der Verwertung des Schuldnervermögens beurteilen sich nach Zivilrecht. Mit Recht ist daher eine den Pfandrechtstheorien 406 Dabei handelt es sich im Bereich des Insolvenzrechts nach wohl unumstrittener Ansicht um Feststellungsklagen. Im Bereich der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe tun sich Rechtsprechung und Literatur mit einer vergleichbaren Bewertung hingegen äußerst schwer. Dazu ausführlich im sechsten Teil der Untersuchung unter §§ 30 ff. 407 S.o. a bb. 408 Ebenso wie in der Einzelvollstreckung führt dies zu der Konsequenz, dass die Gläubigerdisposition über die Art und Weise des Verfahrensablaufs auf schwerwiegende dogmatische Bedenken stößt. Vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols ist eine derartige Einflussnahme kaum zu rechtfertigen. Demgegenüber haben die Regelungen der Insolvenzordnung noch zu einer „Stärkung der Gläubigerautonomie“ geführt, so Kießner, in: Braun, Einf., Rdnr. 24.
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vergleichbare öffentlich-rechtliche Diskussion dem Insolvenzrecht fremd. Das mag auch damit zusammenhängen, dass das öffentliche Recht im Rahmen der in der Insolvenz geltenden Verlustgemeinschaft keine Besonderheiten aufweist. Die Einräumung des Gleichrangs für alle Gläubiger ist unumstritten. Öffentlichrechtliche Besonderheiten bei der Heilung eines fehlerhaft begründeten Pfändungspfandrechts können nicht in Erscheinung treten. Dass es sich bei den Fragen der Verlustgemeinschaft im Kern um Fragen des materiellen Zivilrechts handelt, macht in Italien besonders der Umstand deutlich, dass sich die Regelungen zur Verlustgemeinschaft im codice civile wiederfinden. art. 2741 c.c. nennt zum Beispiel die privilegierten Gläubigergruppen. Dies veranschaulicht, dass es sich beim Recht der Verlustgemeinschaft um eine dem materiellen Zivilrecht zuzuordnende Frage handelt.409 Das Insolvenzrecht bildet in gleicher Weise das Pendant zum materiell-rechtlichen Vergleich wie das achte Buch der Zivilprozessordnung das Gegenstück zu den Vorschriften über das Faustpfandrecht bildet.410 Dass die freiwillige Verlustgemeinschaft im Vergleich zum Faustpfandrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht detaillierter geregelt ist, dürfte sicherlich darauf zurückzuführen sein, dass sie dogmatisch der Vertragsfreiheit unterliegt, womit sich ein einheitliches Lösungsmuster verbietet, und in praxi die Willensfreiheit sämtlicher Beteiligten eine einvernehmliche Lösung erfahrungsgemäß nahezu ausschließt. Auf dogmatischer Ebene spiegelt sich damit die Unterscheidung zwischen rein dinglicher Ebene (Prioritätsprinzip) und vorrangig schuldrechtlicher Ebene (Verlustgemeinschaft) wider. Auf praktischer Ebene zieht diese schuldrechtliche Ebene der Verlustgemeinschaft einen unbegrenzten Gestaltungsspielraum nach sich. Die Besonderheit des Insolvenzrechts besteht insofern darin, dass es im Gegensatz zum Zivilrecht verbindliche Kriterien bei der zwangsweisen Verteilung des Schuldnervermögens aufzustellen vermag. Es ist hier nicht der Raum, um die soeben angerissene Nähe des Insolvenzverfahrens zur Einzelvollstreckung näher zu untermauern. Die Überlegungen mögen aber genügen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen. Offen geblieben ist dabei die Frage, ob das Insolvenzverfahren eine andere Bewertung der Frage der Gläubigerkonkurrenz erfordert als die Einzelvollstreckung. Dieser für beide Verfahrensabschnitte maßgeblichen Frage soll nunmehr anhand des bereits aufgezeigten Kanons denkbarer Differenzierungskriterien nachgegangen werden.
409 Der Vorteil der Insolvenzordnung liegt darin, dass sie eine klarere Trennung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht vornimmt. Insbesondere die Wirkungen der Insolvenz sind im dritten Teil der Insolvenzordnung eigenständig geregelt. 410 Im Prinzip hätte die deutsche Insolvenzordnung als neuntes Buch der Zivilprozessordnung beigefügt werden können. Dies hätte den Vorteil gehabt, dass die sachliche Nähe zur Einzelvollstreckung und die Parallele zum materiellen Zivilrecht in Form des Faustpfandrechts bzw. eines freiwilligen Vergleichsabschlusses auch systematisch zum Ausdruck gekommen wäre.
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e) Die sogenannte Priorität Gegenstand der Diskussion im Bereich der Gläubigerkonkurrenz ist zumeist allein das zeitliche Kriterium. Wenn dabei von dem Begriff des Prioritätsprinzips die Rede ist, so bedarf dieser Begriff insbesondere vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen zunächst einer Präzisierung. Unter dem Begriff Priorität ist gemäß seinem lateinischen Ursprung ein zeitlicher Vorrang in der Abfolge der Gläubiger zu verstehen. Insoweit dürfte noch Einigkeit in der Diskussion bestehen.411 Unklar ist jedoch, ob der Begriff der Priorität auch dem zeitlichen Element aus der Schuldnersphäre, sprich der zeitlich bedingten Veränderung in der Vermögenssituation des Schuldners, Rechnung tragen soll. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob die Priorität nur auf die Einzelvollstreckung bezogen wird oder auch auf die Insolvenz erstreckt werden kann. Gemeinhin beschränkt sich die Diskussion insoweit allein auf die Einzelvollstreckung, so dass im Folgenden zunächst nur dieser zeitliche Abschnitt untersucht werden soll. aa) Zivilrechtliche Vorgaben im Vorfeld der Insolvenz Ausgehend von der hier vorgenommenen Definition der Zwangsvollstreckung und ihrer Beschränkung auf den Aspekt der Willensbeugung haben sich die Rechtsfolgen der Vollstreckung an den Vorgaben des materiellen Zivilrechts, insbesondere dem Faustpfandrecht, zu orientieren. Von der verfassungsrechtlichen Warte aus verlangt Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichbehandlung von Faust- und Pfändungspfandrecht, soweit nicht sachliche Eigenarten der Einzelvollstreckung eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Derartige Aspekte sind jedoch, was den Rang des Pfandrechts anbelangt, nicht ersichtlich.412 Bedenkenswert ist allenfalls die Frage, auf welchen Zeitpunkt beim Pfändungspfandrecht abzustellen ist, den Vollstrekkungsantrag des Gläubigers oder die Bestellung des Pfändungspfandrechts? Für ersteres spricht der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 878, 892 Abs. 2 BGB. Danach ist dem Gläubiger eine Verzögerung im staatlichen Verwaltungsverfahren nicht anzulasten. Diese soll auch dem Schuldner nicht zugute kommen. Andererseits besteht im Zeitpunkt des Vollstreckungsantrags definitiv noch kein Pfändungspfandrecht. Dem zeitlichen Vorrang gegenüber später eingehenden Vollstreckungsanträgen kann zudem durch eine vorrangige Ausbringung der Pfändung Rechnung getragen werden. Für eine Vorverlagerung der Rechtsfolgen des Pfändungspfandrechts besteht keine Veranlassung.413 Zutreffend übt daher auch die Literatur in Anknüpfung an das Prioritätsprinzip den engen Schulterschluss zum materiellen Recht und verlangt eine übereinstimmende Lösung.414 Demzufolge ist also auch beim Pfändungspfandrecht, was seine Entstehung anbelangt, auf die Bestellung des Pfandrechts und nicht etwa auf den 411
Statt vieler nur Putzo, in: Thomas/Putzo, § 805, Rdnrn. 8 ff. Einzelheiten dazu noch unter § 17 II im Rahmen der Pfandrechtstheorien. 413 Allein die unglückliche Regelung des § 168 GVGA bedarf insoweit einer Anpassung an die gesetzlichen Vorgaben des § 804 Abs. 3 ZPO, s.o. a aa. 414 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5. 412
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Vollstreckungsantrag abzustellen. Es ist nur konsequent, dass § 804 Abs. 2 ZPO das notwendige Bindeglied zum materiellen Recht begründet.415 Der weiteren Regelung des § 804 Abs. 3 ZPO, die das Prioritätsprinzip noch einmal ausdrücklich postuliert, hätte es hingegen nicht mehr bedurft. Historisch mag aber zu berücksichtigen sein, dass die Zivilprozessordnung als Teil der Reichsjustizgesetze bereits drei Jahrzehnte vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs verabschiedet worden ist. Die erst mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft getretene Regelung des § 1209 BGB, die das Prioritätsprinzip ausdrücklich normiert, war dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung noch fremd. Das verfassungsrechtliche Argument der Gleichbehandlung, zivilrechtlich zumeist mit dem Deckmantel der „Einheit der Rechtsordnung“ belegt, wird in der vorliegenden Debatte überschätzt, soweit ihm eine sachliche Aussagekraft über die Existenzberechtigung des Prioritätsgedankens eingeräumt wird. Es ermöglicht im ersten Schritt lediglich eine Gleichschaltung von materiellem Zivilrecht und Vollstreckungsrecht. Die Frage nach der Daseinsberechtigung des Prioritätsprinzips bedarf im zweiten Schritt einer gesonderten Untersuchung, wobei der Gedanke des Art. 3 Abs. 1 GG wiederum zum Tragen kommt, allerdings mit anderem Vorzeichen. Für das Faustpfandrecht wie für das Pfändungspfandrecht ist gemeinsam zu untersuchen, ob entweder eine Gleichbehandlung konkurrierender Gläubiger oder deren zeitliche Abstufung den Interessen der Beteiligten eher gerecht wird. Verfassungsrechtlich gilt, dass grundsätzlich von einer Gleichbehandlung im Sinne einer Verlustgemeinschaft auszugehen ist, sofern nicht das zeitliche Moment ein sachlich gerechtfertigtes und vielleicht sogar gebotenes Unterscheidungskriterium liefert. bb) Der Prioritätsgedanke im materiellen Zivilrecht und in der Einzelvollstreckung Die eigentliche Kernfrage, die allein Gegenstand der Diskussion „Prioritätsprinzip versus Verlustgemeinschaft“ ist, lautet nach den bisherigen Überlegungen wie folgt: Sind die Wertungen des § 1209 BGB und des § 804 Abs. 3 ZPO sachgerecht, die im Vorfeld einer Insolvenz den zeitlich früheren Gläubiger vor dem später hinzutretenden Gläubiger privilegieren? In der Auseinandersetzung mit dieser Frage spiegeln sich zumeist bekannte Argumentationsmuster wider. Diejenigen, die diese Frage – zumeist nur auf das Vollstreckungsrecht bezogen – verneinen, bemühen in der Regel das verfassungs415 Hier setzt die Kritik von Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (112), an: „Dem Ausgleichsprinzip wird zwar vorgeworfen, es erschwere die Erlösverteilung, aber ein Rechtssystem, das dem erstpfändenden Gläubiger ein Vorzugsrecht gewährt, hat Schwierigkeiten, die rechtliche Natur dieses Rechts zu definieren und die Resultate daraus zu ziehen.“ Diese Kritik ist durchaus ernst zu nehmen. Gelingt es in der Parallele zum materiellen Recht nicht, dem Pfändungspfandrecht klare dogmatische Strukturen zu verleihen, so verfehlt der Brückenschlag zum materiellen Recht seine Wirkung. Später wird aber noch zu zeigen sein, dass der Rückbezug zum materiellen Recht auch im Rahmen der Pfandrechtstheorien geeignet ist, die bestehenden Unklarheiten zu erhellen (s. dazu im Detail unter § 17).
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rechtliche Gleichbehandlungsgebot.416 Drei Schlagwörter werden dabei in die Debatte eingeführt. Das Prioritätsprinzip verstoße gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit,417 den Teilhabeanspruch des zeitlich nachrangig bewerteten Gläubigers und das Willkürverbot.418 Diese drei Argumente halten jedoch der näheren Betrachtung nicht stand, so dass ihr terminologisches Spektrum im Detail dahinstehen mag. Dieses erscheint schon deshalb als fraglich, weil es sich nur um unterschiedliche Schattierungen des Willkürverbots als solchem handelt. Es geht allein um die Zuweisung des schuldnerischen Insolvenzrisikos und damit um die sachgerechte Abwägung der konkurrierenden Gläubigerinteressen, wobei der Aspekt des Schuldnerschutzes vor einer voreiligen Zerschlagung seines Vermögens nicht außer Betracht bleiben darf. Bevor insoweit auf die bekannten Argumente einzugehen ist, ist es hilfreich, einige vertiefende dogmatische Überlegungen anzustellen. (1) Zwingende Ableitbarkeit aus sachenrechtlicher Sicht Im Vorfeld jeglicher Diskussion muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Einführung einer Verlustgemeinschaft in der Einzelvollstreckung wie auch im materiellen Zivilrecht nur mit der Preisgabe elementarer zivilrechtlicher Rechtsprinzipien zu erzielen wäre.419 Zu diesen Prinzipien zählt insbesondere der Grundsatz, dass dingliche Verfügungen im Gegensatz zu rein schuldrechtlichen Vereinbarungen nicht nur relativ, d.h. inter partes wirken, sondern einen absoluten Wirkungsgrad entfalten, d.h. inter omnes wirken. Als weiterer Grundsatz ist in diesem Zusammenhang die Privatautonomie zu benennen,420 in deren weiterer Konsequenz Verträge zu Lasten Dritter, insbesondere auch Verfügungen zu Lasten Dritter, unzulässig sind.421 Gegen diese genannten Grundsätze würde die Einführung einer Verlustgemeinschaft in der Einzelvollstreckung wie auch im materiellen Recht verstoßen.422 Denn die Einbeziehung zeitlich nachrangiger 416 Schlosser, ZZP 1984, 121 (121 ff.), beruft sich dabei insbesondere auf das Sondervotum von Böhmer, BVerfGE 49, 220 (234 f.): „Es bestehen aber ganz erhebliche Bedenken, ob das System mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht, da der Gläubiger gegenüber dem Schuldner in einer Weise bevorzugt wird, die nicht in jeder Hinsicht als gerechtfertigt angesehen werden kann.“ Diese Ausführungen beziehen sich aber, was auch Schlosser nicht übersieht, auf das Rechtsverhältnis von Gläubiger und Schuldner und nicht auf dasjenige konkurrierender Gläubiger. 417 Dieser von Schlosser, ZZP 1984, 121 (127), angesprochene Aspekt verfängt nach der hier vertretenen Meinung schon deshalb nicht, weil es sich bei der Zwangsvollstreckung nicht etwa in Anlehnung an das Erkenntnisverfahren um einen gerichtlichen „Prozess“, sondern vielmehr um ein verwaltungsbehördliches Verfahren handelt. 418 Schlosser, ZZP 1984, 121 (121 ff.). 419 Stürner, ZZP 1986, 291 (323), weist zutreffend darauf hin, dass das Prioritätsprinzip im materiellen Zivilrecht verankert ist. Ebenso Gaul, ZZP 1999, 135 (151 ff.). Den Zusammenhang zum materiellen Recht betont ebenso Jauernig, § 16 IV. 420 So auch Stürner, DGVZ 1985, 6 (11). 421 Grüneberg, in: Palandt, Einf vor § 328, Rdnr. 10. 422 Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (113), spricht hingegen von der Emanzipation des Zwangsvollstreckungsrechts, von der man nicht sprechen könne, wenn man alles nach den Grundsätzen des materiellen Rechts bestimme. Eine derartige Emanzipation schießt jedoch über
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Gläubiger in eine einheitliche Verlustgemeinschaft führt zwangsweise zur Beeinträchtigung bereits bestehender dinglicher Sicherheiten in Form von (Pfändungs)Pfandrechten, ohne dass deren Rechtsinhaber dieser dinglichen Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition zugestimmt hätten. Es wird also die dingliche Wirkung der vorrangigen Pfandrechtsbestellung geleugnet ebenso wie die allein dem zeitlich vorgehenden Gläubiger zustehende Verfügungsmacht, über sein (Pfändungs-)Pfandrecht zugunsten anderer Gläubiger zu verfügen. Das Wesen der Verlustgemeinschaft ist also bereits aus dogmatischer Sicht mit den Vorgaben des materiellen Zivilrechts nicht in Übereinstimmung zu bringen.423 (2) Vorrang der Privatautonomie Vor dem bislang geschilderten dogmatischen Hintergrund erklären sich die Argumente, die von den Befürwortern des Prioritätsprinzips gegen die sich an Art. 3 Abs. 1 GG orientierenden Kritiker ins Feld geführt werden. Was den Aspekt der Waffengleichheit anbelangt, so wird zutreffend darauf hingewiesen, dass jeder Gläubiger die Chance zur größeren Schnelligkeit bei der Einleitung der Vollstreckung hat.424 In ihrer Ausgangssituation werden daher alle Gläubiger gleich behandelt.425 Der Prioritätsgedanke prämiert lediglich den aufmerksamen Gläubiger, der für gesunde Kreditverhältnisse sorgt, indem er sich frühzeitig um eine Sicherung seiner Ansprüche sorgt und damit verhindert, dass der Schuldner über Wirtschaftsgüter verfügt, die ihm wirtschaftlich gesehen gar nicht mehr zustehen.426 Letztlich spiegelt sich in dieser Privilegierung der Gläubigerinitiative allein das Prinzip der Privatautonomie wider, das es dem einzelnen überlässt, für eine Sicherung seiner Ansprüche Sorge zu tragen.427 Dieser Aspekt, der in der Gläubigersphäre anzusiedeln ist, entspringt daher einem elementaren Prinzip des materiellen Zivilrechts.428 Öffentlich-rechtliche Erwägungen sind hier fehl am Platz.429 Von einer Ungleichbehandlung von staatlicher Seite kann nicht die Rede den Zweck der Einzelzwangsvollstreckung hinaus, die lediglich der Willensbeugung des Schuldners zu dienen bestimmt ist (s.o. § 2 II 2), und führt damit zu unnötigen Differenzierungen. 423 Kritiker mögen dem die Regelung des § 168 Nr. 1 GVGA entgegenhalten, nach der der Gerichtsvollzieher Vollstreckungsaufträge gemeinsam zu bearbeiten hat. Die Vorschrift verstößt aber gegen § 804 Abs. 3 ZPO (s.o. a aa). Zudem bleibt das Problem bei Stellung eines späteren Vollstreckungsantrages ungelöst. Anders stellt sich hier die Lösung im Rahmen der Insolvenz dar, innerhalb derer bestehende Absonderungsrechte ihren Vorrang behalten. 424 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 IV 5; Stürner, ZZP 1986, 291 (326). 425 So auch Gaul, ZZP 1999, 135 (157). 426 Stürner, ZZP 1986, 291 (324). 427 Schlosser, ZZP 1984, 121 (123), will das Prioritätsprinzip hingegen auf folgende Formel bringen: „Haben mehrere ein Anrecht auf einen knappen Vorrat, so gehen alle diejenigen leer aus, die erst zugreifen können, nachdem der Vorrat erschöpft ist, weil zeitlich vorangehende Prätendenten sich voll befriedigt haben.“ Das sogenannte „Zugreifenkönnen“ liegt jedoch in der Hand der jeweiligen Gläubiger selbst, deren Disposition u.a. auch der Zwangsvollstreckungsantrag unterliegt. 428 Wacke, JA 1981, 94 (94), gelangt zu folgender Feststellung: „Der Vorzug des Zuerstkommenden ist ein evident gerechtes Ordnungsprinzip, das jedem Kind einleuchtet.“ 429 Dies gilt auch für die Äußerungen Behrs, Rpfleger 1981, 417 (422), der davon ausgeht, dass das Wettrennen zwischen den Gläubigern nicht den Anforderungen an ein sozialstaatlich geregeltes Verfahren entspreche. Damit vernachlässigt Behr den in diesem Zusammenhang zum Zuge kom-
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sein, da die gesetzlichen Ausgangsbedingungen für die konkurrierenden Gläubiger einheitlich geregelt sind.430 Die Konsequenzen, die die Gläubiger daraus im Rahmen ihrer Privatautonomie ziehen, unterliegen nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, sondern der Entscheidungsfreiheit der Gläubiger.431 Vergleichbar der im materiellen Recht geltenden Maxime „trau, schau wem“ geht das Vollstreckungsrecht von einem eigenverantwortlich handelnden Gläubiger aus.432 (3) Öffentlich-rechtlicher Teilhabeanspruch des nachrangigen Gläubigers? Im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG bemühen die Befürworter einer Verlustgemeinschaft den Gedanken eines Teilhabeanspruchs des nachrangigen Gläubigers an dem Vermögen des Schuldners.433 Sie bewerten das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, das an sich nur ein Abwehrrecht begründet, in der Zwangsvollstreckung als einen Leistungsanspruch des konkurrierenden Gläubigers. Teilhamenden Grundsatz der Privatautonomie. In diesem Sinne hat auch schon Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (40), die Frage aufgeworfen, ob es grundsätzlich Aufgabe des Staates sein könne, generelle Schuldnersanierungen von Amts wegen durchzuführen. Zur Verneinung dieser Frage beruft sich Gottschalk auf das Prinzip der Parteiherrschaft und meint damit wohl zutreffend die Privatautonomie. 430 Soweit die Kritiker einwenden, mit dem zeitlichen Rang bestimme weitgehend der Zufall über die Gläubigerbefriedigung (so etwa Schlosser, ZZP 1984, 121 (123)), lässt sich dieses Argument auch gegen das Ausgleichsprinzip ins Feld führen. Gaul, ZZP 1999, 135 (159), weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Zeitmoment im Rahmen der Verlustgemeinschaft nicht am Anfang, wohl aber am Ende des Verfahrens maßgebliche Bedeutung gewinnt. Denn je nach zeitlicher Dauer des Verfahrens kommt die anteilige Befriedigung einem größeren oder kleineren Gläubigerkreis zugute. Und so kommt auch Schlosser, ZZP 1984, 121 (130), an späterer Stelle zu folgender Feststellung: „Auch eine gleichheitssatzkonforme Lösung könnte im Gegenteil nicht umhin, Fristen vorzusehen, nach deren Ablauf der gleichberechtigte Beitritt konkurrierender Gläubiger zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht mehr möglich ist.“ Damit bleibt aber dann dem angeblichen Zufallselement weiterhin Tür und Tor geöffnet. 431 Dies wird von Schlosser, ZZP 1986, 121 (123), übersehen, der in diesem Zusammenhang Folgendes ausführt: „Die Verteilung eines knappen Fonds dem ,Zufall‘ zu überlassen, ist nach dem allgemeinen Gleichheitssatz der Verfassung sicherlich nicht möglich, sofern der Staat für die Verteilung verantwortlich ist – und das ist der die Selbsthilfe verbietende Staat als Träger der Zwangsvollstreckung gewiss.“ Diese Feststellung ist als solche durchaus zutreffend, übersieht aber, dass hinsichtlich des für die Priorität zunächst allein maßgeblichen Vollstreckungsantrags die alleinige Disposition beim Gläubiger und nicht beim Staat liegt. Letztgenannter bestimmt lediglich den Ablauf der Vollstreckungsmaßnahme, nicht aber deren zeitlichen Beginn. 432 So auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 41, der allerdings Bedenken dahingehend äußert, dass dieses Prinzip zu Benachteiligungen unfreiwilliger Gläubiger führen könne. Die Situation der vornehmlich damit angesprochenen Deliktsgläubiger ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass ihr Anspruch unmittelbar im Zusammenhang mit dem Delikt entsteht und damit – im Gegensatz zu vertraglich begründeten Verbindlichkeiten – sofort fällig wird. Unter Berücksichtigung des zudem in der Regel bestehenden Versicherungsschutzes besteht daher kein Anlass zur Abkehr vom Prioritätsprinzip. So auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 41, der in diesem Zusammenhang auf die Verwobenheit von materiellem Recht und Vollstreckungsrecht hinweist. 433 In diese Richtung interpretiert Stürner, ZZP 1986, 291 (326), die Äußerungen von Schlosser, ZZP 1984, 121 (127 ff.), auch wenn Schlosser nicht ausdrücklich von einem Teilhabeanspruch spricht.
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beansprüche lassen sich jedoch nur in Härtefällen unmittelbar aus der Verfassung ableiten, da nur in einem engen Spielraum der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers vorgegriffen werden darf und kann.434 Voraussetzung ist eine existenzielle Benachteiligung. Nur diese kann eine Übergehung des parlamentarischen Gesetzgebers rechtfertigen. Eine derartige existenzielle Benachteiligung eines Gläubigers ist aber in dem zeitlichem Stadium der Einzelvollstreckung nicht feststellbar. Sie tritt erst mit der Realisierung des Insolvenzrisikos ein und findet insoweit angemessene Berücksichtung in der Insolvenzordnung.435 Solange die Insolvenz des Schuldners dagegen noch nicht eingetreten ist und vielleicht nicht einmal droht, spielt das Prioritätsprinzip für die Abwägung der Gläubigerinteressen wirtschaftlich keine Rolle. Es gilt festzuhalten, dass die Verlustgemeinschaft in diesem Zeitraum dem nachrangigen Gläubiger nicht mehr Rechte einräumt. Ob die Gläubiger nacheinander aus verschiedenen Schuldnergegenständen oder zeitgleich aus den Schuldnergegenständen anteilig befriedigt werden, macht für die Gläubiger keinen praktischen Unterschied. Erst bei Eintritt der Insolvenz treten Unterschiede auf, da hier dem vorrangigen Gläubiger aus seinem Pfändungspfandrecht ein Absonderungsrecht zusteht. Dessen Werthaltigkeit bestimmt jedoch abschließend nicht das materielle Zivilrecht, sondern das Insolvenzrecht, indem es dessen dinglichen Vorrang in Rechnung stellt oder unberücksichtigt lässt. An dieser Stelle bestätigt sich, dass die Debatte nicht ohne Bezug zu den Regelungen zur Insolvenz geführt werden kann.436 Sie ist in ihrer entscheidenden Konsequenz für die konkurrierenden Gläubiger in dem zeitlichen Stadium der Insolvenz anzusiedeln. Im Vorfeld der Einzelvollstreckung, in dem es um die vorbeugende Bestellung von Sicherheiten geht, führt eine staatliche Einmischung zu weit. Von einer existentiellen Bedrohung kann hier noch nicht die Rede sein, weshalb die Berufung auf ein Teilhaberecht des nachrangigen Gläubigers verfehlt ist. Eine weitere Überlegung zeigt, dass die öffentlich-rechtliche Ableitung eines Teilhabeanspruchs des nachrangigen Gläubigers nicht haltbar ist. Es geht in der Zwangsvollstreckung nicht etwa um die Verteilung staatlicher Ressourcen,437 sondern allein um die Befriedigung der den Gläubigern zustehenden zivilrechtlichen Forderungen aus dem Vermögen des Schuldners. In der weiteren Folge können sich die Kriterien für die Verteilung nicht an öffentlich-rechtlichen Bestimmungen orientieren, sondern allein an den Vorgaben des Zivilrechts. Dieses lässt aber eine nachträgliche Beeinträchtigung dinglich bestellter Sicherheiten ohne Zustimmung des betroffenen Gläubigers nicht zu. (4) Die Gefahr der voreiligen Zerschlagung des Schuldnervermögens Neben dem Gedanken, den umsichtigen Gläubiger zu fördern, erweist sich das Prioritätsprinzip auch für den Schuldner als sinnvoll. Es wird dessen Interesse an 434
BVerwG DÖV 1988, 1057 (1057). Stürner, ZZP 1986, 291 (327). 436 S.o. c und d. 437 S. dazu auch schon die Ausführungen zum Verhältnis der staatlichen Sozialhilfe und dem schuldnerischen Pfändungsschutz unter § 7 III. 435
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einer möglichst schonenden Belastung seines Vermögens gerecht.438 Das Ausgleichsprinzip würde die Gefahr der vorzeitigen Überstrapazierung des Schuldnervermögens in sich bergen.439 Der vorsichtige Gläubiger sähe sich nur allzu schnell veranlasst, rein vorsorglich ein frühes „Insolvenzverfahren“ herbeizuführen. Zumindest bestünde die beständige Gefahr einer Überpfändung.440 Denn im Falle des Gleichranges wäre es selbst für den umsichtigen Gläubiger nie absehbar, ob die gepfändeten Gegenstände im Ernstfall zum Ausgleich der zu sichernden Forderung ausreichen würden. Mit jedem hinzutretenden Gläubiger würde der Wert des jeweiligen Pfändungspfandrechts anteilig geschmälert. Hier erweist sich hingegen der Prioritätsgedanke als vorteilhaft für den umsichtigen Gläubiger.441 Er verschafft ihm eine klare Kalkulationsgrundlage und hilft damit, eine voreilige Zerschlagung des gesamten Schuldnervermögens zu vermeiden. Mit Recht ist daraufhingewiesen worden, dass das Prioritätsprinzip der Rechtssicherheit442 und der Bildung klarer Verhältnisse443 deutlich eher Vorschub leistet als das Ausgleichsprinzip. Die verwendeten Begriffe umschreiben nichts anderes als das im Sachenrecht verankerte Absolutheitsprinzip, ohne das eine verlässliche und funktionierende Wirtschaftsordnung kaum vorstellbar wäre. Letzteres belegen die vorwiegend wirtschaftlich orientierten Argumente in der Debatte, die aufgrund ihrer dogmatischen Ableitung an zusätzlicher Schlagkraft gewinnen. Eine zweite, rein verfahrenstechnische Komponente ist zu berücksichtigen. Die gesetzliche Vorverlagerung des Prinzips der Verlustgemeinschaft in die Einzelvollstreckung machte bereits in diesem frühen Stadium eine aufwendige und kostspielige Kleininsolvenz vor dem Amtsgericht erforderlich,444 das sämtliche
438 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5; Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 12. 439 Gaul, ZZP 1999, 135 (165), spricht von der Gefahr, dass der Schuldner vorzeitig in den Sog der Insolvenz gerät. Ebenso Fragistas, S. 73 ff., 75. 440 So schon Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (334 f.). Ebenso Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5; ders., ZZP 1999, 135 (165); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.42. Schlosser, ZZP 1984, 121 (129), hält dem folgende Überlegung entgegen: „Beschränkt man den Anwendungsbereich seiner rechtspolitischen Alternative, des Ausgleichsprinzips, auf titulierte Forderungen im herkömmlichen Sinne, wird man im allgemeinen der Auskunft des Schuldners, weitere Vollstreckungstitel existierten nicht, ihr Zustandekommen sei kurzfristig auch nicht zu erwarten, Glauben schenken und schon deshalb überflüssige Überpfändungen vermeiden können.“ Diese Ausführungen dürften den Gläubiger im gegenteiligen Fall jedoch kaum zufrieden stellen, zumal in der Praxis an der Auskunftsfreudigkeit und Wahrheitsliebe des zahlungsunwilligen Schuldners doch erhebliche Zweifel bestehen dürften. 441 Die amtliche Begründung zum Entwurf der Zivilprozessordnung, S. 449, spricht von einer Art Erfolgsprämie für den um die Realisierung seiner Forderung bemühten Gläubiger. 442 Stürner, ZZP 1986, 291 (328). 443 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5. 444 Dieses Argument hält Brehm, DGVZ 1986, 97 (99 f.), für maßgeblich. Nach seiner Ansicht vermag der Gedanke, dass dem schnellen und findigen Gläubiger eine Art Erfolgsprämie gebühre, das Prioritätsprinzip nicht zu begründen. Maßgeblich für die Abwägung mit dem Gleichbehandlungsprinzip sei daher allein die pragmatische Frage nach dem Aufwand und den Kosten. Da zu-
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Vollstreckungsarten, insbesondere auch die Immobiliarvollstreckung, erfassen müsste und damit auch eine zentrale Vollstreckungsbehörde voraussetzen würde.445 Allein dieser praktische Hemmschuh bekräftigt das Plädoyer für den Prioritätsgedanken in der Einzelvollstreckung. Nur auf diesem Wege lässt sich ein rechtzeitiger und zugleich maßvoller Vollstreckungseingriff gewährleisten.446 (5) Ergebnis Abschließend ist für den Zeitraum vor Eintritt der Insolvenz, d.h. für die Einzelvollstreckung, festzustellen, dass auch im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG kein Anlass besteht, von dem Prioritätsprinzip abzuweichen. Von einer willkürlichen Privilegierung des zeitlich vorangehenden Gläubigers kann keine Rede sein.447 Die zeitliche Abfolge hat sich als sachgerechtes Kriterium für eine effiziente Einzelvollstreckung erwiesen.448 Anders wäre es auch nicht zu erklären, weshalb der Prioritätsgedanke im materiellen Zivilrecht bisher – soweit ersichtlich – nicht in Frage gestellt worden ist. Dass insoweit aber eine Gleichbehandlung mit der Einzelvollstreckung geboten ist, haben die anfänglichen Überlegungen demonstriert. Die Debatte um eine Verlustgemeinschaft ist mithin hier genauso unangebracht, wie es eine vergleichbare Diskussion im materiellen Zivilrecht wäre.
dem auch durch ein abgeschwächtes Prioritätsprinzip in Form von Gruppenbildungen nicht zu verhindern sei, dass ein Gläubiger leer ausgehe, sei dem Prioritätsprinzip letztlich uneingeschränkt zu folgen. 445 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5, der allerdings vernachlässigt, dass die Einführung einer zentralen Vollstreckungsinstanz für sich genommen nicht nachteilig ist, s.u. § 23 IV. 446 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 6.42. 447 Schlosser, ZZP 1994, 121 (128), räumt selbst ein, dass die von den Befürwortern der Priorität angeführten Gesichtspunkte für sich genommen gewiss nicht willkürlich sind. Soweit er im Anschluss die Rechtfertigung des „Ausmaßes der Ungleichbehandlung“ in Frage stellt, handelt es sich hier um bloße Zweckmäßigkeitsüberlegungen, deren abschließende Bewertung dem Gesetzgeber obliegt. Dies kommt auch in folgender Äußerung Schlossers, ZZP 1994, 121 (126), zum Ausdruck: „Auch eine im Prinzip akzeptable Verschiedenbehandlung darf nicht außer Verhältnis zu dem sie rechtfertigenden Grund stehen.“ Ähnlich wie Schlosser äußerte sich bereits Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (336), im Jahre 1937: „Die Möglichkeit ist vorhanden, dass die formale Bindung des Gerichtsvollziehers an den Prioritätsgedanken eine so auffallende Unbilligkeit für den beteiligten Anwärter auf den Erlös mit sich bringen würde, dass sich eine Beiseitesetzung des Prinzips geradezu aufdrängt.“ Für eine derartige Unverhältnismäßigkeit bzw. Unbilligkeit haben jedoch weder Richard Schmidt noch Schlosser entsprechende Argumente vorgetragen. Richard Schmidt vertritt demzufolge auch konsequent das Prioritätsprinzips und versteht seine Äußerungen lediglich als Vorbehalt für die bereits zu seiner Zeit schwieriger und konfliktreicher gewordenen Bedingungen des Wirtschaftslebens. 448 Ebenso im Ergebnis Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5. Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (333 ff.), spricht umgekehrt von der Schwerfälligkeit und Verzögerung des Vollstreckungsbetriebes bei Verfolgung des Prinzips der Verlustgemeinschaft. Schlosser, ZZP 1984, 121 (127), beansprucht umgekehrt den Grundsatz der Effektivität des staatlichen Rechtsschutzes für das Prinzip der Verlustgemeinschaft, ohne die Effektivitätssteigerung aber näher darzulegen.
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cc) Prioritätsgedanke in der Insolvenz? An der Schnittstelle zwischen Einzelvollstreckung und Insolvenz enden die materiellen Vorgaben des Zivilrechts. Verbindliche dingliche Regelungen zur Besicherung und Verwertung eines gesamten Vermögens und zum Ausgleich einer Verlustgemeinschaft sind dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremd. Es ist hier allenfalls an freiwillige Regelungen im Vergleichswege zu denken. Im Insolvenzverfahren scheinen andere Kriterien an Bedeutung zu gewinnen. Während bei der Verteilung des Insolvenzrisikos im Vorfeld der Insolvenz existenzielle Nachteile der Gläubiger eine zu vernachlässigende Größe darstellen, scheint deren Berücksichtigung im Insolvenzverfahren unausweichlich. Parallel dazu scheint das zeitliche Moment, das hier zunächst nur Gegenstand der Untersuchung ist, seine in der Einzelvollstreckung dominierende Rolle zu verlieren. Theoretisch wäre es gleichwohl denkbar, die Einzelvollstreckung unabhängig vom Eintritt der Insolvenz bis zur Verwertung des letzten im Schuldnervermögen befindlichen Vermögensgegenstandes fortzuführen. Gewährleistet doch gerade der Prioritätsgedanke ein effizientes und für den Schuldner schonendes Verfahren. Eine gewisse Annäherung an diesen Gedanken stellt das schweizerische Beitreibungsrecht mit seiner zeitlichen Abstufung auch im Insolvenzverfahren dar. Bei näherer Betrachtung wenden sich die Argumente aus der Einzelvollstreckung aber nunmehr in ihr Gegenteil. War das bloße Insolvenzrisiko noch eine zu vernachlässigende Größe, so galt dies eben nur im Hinblick auf die in der Insolvenz unausweichlich zu treffende Abwägung. Das zeitliche Differenzierungskriterium erscheint hier nicht mehr als sinnvoll, da angesichts der eingetretenen Insolvenz die greifbare Gefahr der Gläubigerbenachteiligung besteht. Die Regelungen zur Gläubigeranfechtung sind hierfür handfester Beleg. Auch der Gedanke des schonenden Umgangs mit dem Schuldnervermögen verliert seine Bedeutung, da eine Verwertung des gesamten Vermögens angesichts der Überschuldung unausweichlich wird. In dieser Situation erscheint eine Gesamtverwertung eher geeignet, die sinnlose Zerschlagung von Vermögenswerten durch Einzelvollstreckungsakte zu vermeiden und eine bestmögliche Wertausschöpfung zu realisieren. In gleichem Maße kehren sich die vormaligen Praktikabilitätserwägungen zu Gunsten der Einzelvollstreckung in ihr Gegenteil. Die Einzelverwertung verliert ihren praktischen Sinn, wo die Gesamtverwertung unausweichlich wird. Es drängt sich der Eindruck auf, dass mit dem Übergang von der Einzelvollstreckung in die Insolvenz eine wesentliche Verschiebung in der Gewichtung der beiden eingangs genannten Interessen eintritt. Der Schuldnerschutz tritt in den Hintergrund, das Bedürfnis, die konkurrierenden Gläubigerinteressen abzuwägen, gewinnt an Bedeutung. Übertragen auf die möglichen Differenzierungskriterien bei der Abwägung der Gläubigerinteressen bedeutet dies, dass das zeitliche Moment der Abfolge der Gläubiger seine Existenzberechtigung mit dem Übergang von der Einzelvollstreckung in das Insolvenzverfahren verliert. Inwieweit hingegen die vor der Insolvenz durch das Prioritätsprinzip berücksichtigte zeitliche Abfolge auch Bestand für das Insolvenzverfahren hat, hängt maßgeblich da-
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von ab, ob und inwieweit hier andere Differenzierungskriterien in den Vordergrund treten.449 Deren Bedeutung und Wechselwirkung mit dem Zeitmoment in Einzel- und Gesamtvollstreckung ist Gegenstand der weiteren Betrachtung. f) Die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs als Differenzierungskriterium Die verschiedenen Vollstreckungsordnungen in Europa haben gemein, dass sie zumindest in der Insolvenz der Herkunft des Gläubigeranspruchs Rechnung tragen und existenziell wichtigen Ansprüchen den Vorrang einräumen. Dabei ist insbesondere an Ansprüche auf Arbeitseinkommen zu denken. Von einer Verlustgemeinschaft kann daher im eigentlichen Sinne auch in der Insolvenz nicht die Rede sein. Auch hier wird zwischen den konkurrierenden Gläubigern differenziert. Das Kriterium ist aber in diesem Bereich nicht ein zeitliches, sondern eher ein soziales.450 Dessen dogmatische Ableitung bleibt in der Regel nebulös.451 aa) Privilegierte Gläubigerklassen als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des konkurrierenden Eigentums Das zeitliche Moment der Priorität hat seinen Ursprung im materiellen Zivilrecht.452 Fraglich ist, ob vergleichbare Vorgaben auch für ein soziales Differenzierungskriterium bestehen. Dass es ein solches Kriterium geben muss, scheint angesichts seiner allgemeinen Verbreitung unumstritten zu sein. Im Zivilrecht finden sich jedoch keine vergleichbaren Regelungen, die im Falle mehrerer konkurrierender Gläubigeransprüche eine soziale Abstufung in Abhängigkeit von der Rechtsnatur der Ansprüche vornehmen, auch nicht im Wege einer mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten. Verwundern muss dies aber nicht, da das Zivilrecht vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt wird und es insoweit keine allgemein verbindlichen Vorgaben treffen kann. Damit bleibt nur der Blick auf das öffentliche Recht. Hier erweist sich die Gläubigerkonkurrenz zugleich als Fall einer Grundrechtskollision. Die Gläubigerforderungen unterfallen jeweils dem Schutzbereich des Art. 14 GG. Soweit also die Rechtsposition des einen Gläubigers zugunsten des anderen Gläubigers beeinträchtigt wird, handelt es sich zugleich um einen Grundrechtseingriff. Dieser führt bis hin zur faktischen Enteignung, wenn das Schuldnervermögen nach 449 Es wird sich zeigen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Insolvenz in den Vordergrund tritt und das Kriterium der Gläubigerinitiative verdrängt, s.u. g und i. 450 Die Insolvenzordnung hat jedoch in den §§ 54, 55 InsO den Kanon der früheren Konkursvorrechte der §§ 58, 59 KO stark eingeschränkt. 451 Dies gilt insbesondere für den Unterhalt des Schuldners, der gemäß § 100 InsO von der Bewilligung der Gläubiger abhängt. Eine derartige Gläubigerdisposition lässt sich mit dem staatlichen Gewaltmonopol kaum in Übereinstimmung bringen. Es muss daher auch nicht verwundern, dass in der Literatur heftig darum gestritten wird, ob der Schuldner einen Anspruch auf Unterhaltsgewährung aus der Insolvenzmasse hat (zum Streitstand Kroth, in: Braun, § 100, Rdnrn. 7 ff.). 452 S.o. e bb (1).
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Befriedigung des bevorrechtigten Gläubigers nicht mehr ausreicht, um auch die Forderung des benachteiligten Gläubigers auszugleichen; faktisch nur deshalb, weil der Gläubiger in rechtlicher Hinsicht Forderungsinhaber bleibt. Was kann unter diesem Blickwinkel eine faktische Enteignung anstelle einer anteiligen Verlustgemeinschaft rechtfertigen? Wohl nur ein kollidierendes Grundrecht auf Seiten des bevorrechtigten Gläubigers. Es handelt sich im Kern um das verfassungsrechtlich über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgesicherte Existenzminimum. Ist dieses berührt, was bei den bevorrechtigten Gläubigerklassen regelmäßig der Fall ist, rechtfertigt dies eine entsprechende Privilegierung. Auf Seiten des benachteiligten Gläubigers korrespondiert dies mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Der Begriff der existenziellen Bedrohung, der verschiedentlich Eingang in die Diskussion um Priorität und Verlustgemeinschaft gefunden hat, kennzeichnet mithin die Situation einer Grundrechtskollision. Was rechtfertigt es nun, in diesem Zusammenhang die öffentlich-rechtliche Komponente des Vollstreckungsrechts zu betonen und zum Dreh- und Angelpunkt der dogmatischen Ableitung zu machen? Nach dem bisherigen Stand der Überlegungen kann dies nur auf den öffentlich-rechtlichen Aspekt der gewaltsamen Willensbeugung durch staatliche Vollstreckungsorgane zurückzuführen sein. Dabei fällt allerdings auf, dass sich diese Willensbeugung im Rahmen der Insolvenz nicht allein gegen den Schuldner, sondern auch gegen den benachteiligten Gläubiger richtet. Im Zusammenhang mit den Betrachtungen zur Rechtsnatur des Insolvenzrechts ist darauf hingewiesen worden, dass ein gewaltsamer Eingriff auch in einzelne Gläubigerrechte erfolgen muss, sofern eine freiwillige vergleichsweise Einigung zwischen sämtlichen Beteiligten nicht zu erzielen ist.453 Das staatliche Gewaltmonopol wirkt sich also auch zu Gunsten und zu Lasten einzelner Gläubiger aus. Die staatlichen Vollstreckungsorgane unterliegen hier unmittelbar der Bindung an die Grundrechte. In gleichem Maße gewinnt die öffentlich-rechtliche Komponente des Vollstreckungsrechts an Bedeutung. Im Falle der Existenzbedrohung rechtfertigt sie aufgrund der auftretenden Grundrechtskollision eine Bevorrechtigung einzelner Gläubiger. Was das soziale Kriterium bei der Differenzierung zwischen den konkurrierenden Gläubigern anbelangt, ist also zutreffend auf die öffentlich-rechtliche Komponente der Vollstrekkung abzustellen. Anhand dieses Resultats lässt sich veranschaulichen, dass bei der Diskussion um die zeitliche Priorität in der Einzelvollstreckung von einem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Teilhaberecht des Gläubigers keine Rede sein kann. Dieses Argument wird gegen das zeitliche Prioritätsprinzip eingewandt.454 Es handelt sich jedoch in der Vollstreckung nicht um die Auskehr staatlicher Leistungen, die unter dem Gebot der Gleichbehandlung zu erfolgen hätte, sondern um den staatlichen Eingriff in bestehende Rechtspositionen der beteiligten Gläubiger. Auch dieser staatliche Eingriff hat sich selbstverständlich an dem Gebot der 453 454
S.o. d. S. dazu schon oben e bb (3).
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Gleichbehandlung zu orientieren.455 Es geht hier aber nicht um eine Teilhabesituation im Sinne eines Leistungsanspruchs gegen den Staat, sondern um die Abwehr eines Grundrechtseingriffs. Zugleich erklärt sich das oben angeführte Argument, nach dem der Teilhabeaspekt erst bei existenzieller Bedrohung zum Tragen kommen kann.456 Es handelt sich dabei um nichts anderes, als die zuvor beleuchtete Situation einer Grundrechtskollision. Dass es sich dabei um jeweils identische Grundrechte in Form des Art. 14 GG handelt, mag die Heranziehung des Art. 3 GG nahe legen. Im Kern handelt es sich aber nicht um die Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes, sondern um die Abwägung der betroffenen Grundrechte, die ihrerseits natürlich grundsätzlich gleich zu behandeln sind. Tritt jedoch – wie im vorliegenden Fall – in Form der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein weiteres Grundrecht hinzu, rechtfertigt dies eine Privilegierung. Die Überlegungen bestätigen im Umkehrschluss, dass eine öffentlich-rechtliche Diskussion im Zusammenhang mit dem Aspekt der Priorität verfehlt wäre. Den gesetzlichen Regelungen zur Priorität im Bürgerlichen Gesetzbuch und in der Einzelvollstreckung mangelt es an der erforderlichen Finalität und Intensität, um bereits in diesem Stadium einen Grundrechtseingriff begründen zu können. Es werden lediglich die Rahmenbedingungen für die Privatautonomie der Beteiligten geschaffen. Bei Eintritt der Insolvenz ist hingegen ein Eingreifen der staatlichen Vollstreckungsbehörden in die Rangfolge der Gläubiger unausweichlich. Vollends verdeutlicht wird diese These bei der nunmehr auch für das soziale Kriterium vorzunehmenden zeitlichen Differenzierung zwischen Einzelvollstreckung und Insolvenz. Nach den bisherigen Überlegungen ist es nicht mehr verwunderlich, dass sich der zeitliche Aspekt der Priorität, der aus dem Zivilrecht herrührt, auf die Einzelvollstreckung beschränkt, während sich das soziale Moment aus dem öffentlichen Recht allein auf die Insolvenz bezieht. bb) Beschränkung des sozialen Moments auf die Insolvenz Spiegelbildlich zu den Überlegungen zur Priorität in der Einzelzwangsvollstrekkung treten ähnliche Argumente bei der Frage in Erscheinung, ob das soziale Moment der privilegierten Gläubigerklassen bereits in der Einzelvollstreckung zur Anwendung kommen soll.457 Die zeitliche Priorität rechtfertigt sich hier unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und Effektivität sowie des schonenden Umgangs mit dem Schuldnervermögen. Demgegenüber werden existenzielle Nachteile einzelner Gläubiger erst im Falle der Insolvenz virulent.458 455 Bei existenzieller Bedrohung ist aber wohl auch gerade eine Ungleichbehandlung von wesentlich Ungleichem geboten, was aber nur Ausdruck der Kollision identischer Grundrechte, jeweils Art. 14 GG, und ihrer Abwägung ist. 456 S.o. e bb (3). 457 Dafür plädiert Schlosser, ZZP 1984, 121 (130), der von einer grundrechtskonformen Neuregelung der §§ 804 ZPO; 11 Abs. 2 ZVG spricht. 458 S.o. e bb (3).
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Dieses Ergebnis wird auch der Diskussion um eine Grundrechtskollision gerecht. Von einem Eingriff in die Grundrechte des benachteiligten Gläubigers kann erst dann die Rede sein, wenn dessen Forderung berührt wird. Das ist aber erst bei Insolvenz des Schuldners der Fall. Hier kommt es zu der beschriebenen Grundrechtskollision, die eine Abwägung der Gläubigerinteressen durch die staatlichen Vollstreckungsorgane unausweichlich macht und umgekehrt das zeitliche Moment der Priorität in den Hintergrund treten lässt. Es tritt eine existenzielle Bedrohung in Erscheinung, die zwingend zu berücksichtigen ist durch die Bildung von privilegierten Gläubigerklassen. Die staatliche Gewalt äußert sich gegenüber sämtlichen Beteiligten an der Zwangsvollstreckung, indem jegliche Einzelvollstreckung untersagt bzw. eingestellt wird und das gesamte Schuldnervermögen der Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters unterworfen wird. Zugleich ist die Schnittstelle zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung markiert. g) Die Schnittstellenbildung zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung Die bisherigen Überlegungen lassen ein kombiniertes Vollstreckungsmodell, das sowohl dem Prioritätsgedanken als auch dem Gedanken der Verlustgemeinschaft Rechnung trägt, sinnvoll erscheinen.459 Krux einer jeden Differenzierung sind jedoch die Reibungsverluste, die durch die Bildung von Abgrenzungskriterien bzw. von Schnittstellen entstehen.460 In diesem systematischen Zusammenhang ist das Argument der Gegner jeglichen Prioritätsdenkens anzusiedeln: Die Einleitung des Insolvenzverfahrens erfolge oft zu spät, im Ergebnis werde damit das Prinzip der Verlustgemeinschaft untergraben.461 Aus Gläubigersicht ist die Wahl zwischen Einzelvollstreckung und Insolvenzantrag nur schwer zu treffen; letzterer kommt oft gar so spät, dass keine Masse mehr da ist.462 Nur so sind schließlich auch die geringen Erlösquoten der nicht bevorrechtigten Gläubiger zu erklären, 459 In diese Einsicht fügt sich die Äußerung von Richard Schmidt, in: Festschrift für Lehmann, S. 319 (341): „Aber eine gewisse Neigung hängt uns von alters her an, die Systematik allzu eifrig um ihrer selbst willen zu pflegen, derart, dass sie die Rechtsanwendung manchmal ohne Not mit der Prüfung der generellen Elemente des Gesetzestatbestandes belastet.“ Die notwendige „Elastizität“, von der Richard Schmidt in der weiteren Folge spricht, ist jedoch nicht durch eine Hinwendung zum Fallrecht, sondern durch eine angemessene Schnittstellenbildung zwischen Prioritätsprinzip und Verlustgemeinschaft herzustellen. Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 12, bringt dies auf folgende Formel: „Stellt man sich die Frage, warum es überhaupt die Zweispurigkeit der Vollstreckungsverfahren gibt, wird man als pauschalierende Antwort folgendes festhalten können: Das Insolvenzrecht ist ein Verfahren vornehmlich zum Schutze des Gläubigers, das jenseits der vom allgemeinen Vermögensrecht vorausgesetzten Gesetze, der Vermögensinsuffizienz, eingreift. Dagegen zeigt die rechtshistorisch zu beobachtende Abspaltung der Einzelvollstreckung, dass sie innerhalb der besagten Grenzen dem Schutze des schuldnerischen Vermögens dient, indem sie sich auf den Zugriff auf nur einzelne Gegenstände beschränkt.“ 460 Hier sieht auch Stürner, ZZP 1986, 291 (328 f.), den entscheidenden Ansatzpunkt für etwaige Reformen. 461 Schlosser, ZZP 1984, 121 (128), formuliert diese Kritik wie folgt: „Die später kommenden Gläubiger auf den Konkurs zu verweisen, wirkt in den vielen Fällen, wo dessen Eröffnung mangels Masse nicht oder nur gegen Vollstreckung enormer Kosten zulässig ist, wie Hohn.“ 462 Stürner ZZP 1986, 291 (327).
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die nur selten über einen einstelligen Bereich hinausgehen.463 In drei von vier Fällen wird gar das Verfahren mangels Masse gar nicht mehr eröffnet.464 aa) Privatautonomie und Dispositionsmaxime bei Einleitung des Insolvenzverfahrens Die praktischen Probleme scheinen eine dogmatisch wünschenswerte Lösung zunichte zu machen. Theoretisch ist die Schwelle zur Insolvenz in dem Zeitpunkt überschritten, in dem die Verbindlichkeiten des Schuldners dessen Vermögenswerte übersteigen, wobei zukünftige Erwerbsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind. Die Begriffe der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit treffen diesbezüglich klare Vorgaben. Das eigentliche Problem liegt dabei jedoch wohl weniger in der rechtlichen Bestimmung der Schnittstelle als in der praktischen Auslösung des Insolvenzverfahrens. Da aber auch hier als Ausfluss der Privatautonomie die Dispositionsmaxime Geltung beansprucht, ist es sachgerecht, dass die Initiative zur Einleitung des Verfahrens bei den Beteiligten liegt. Jeder Gläubiger hat es in der Hand, das Insolvenzverfahren rechtzeitig durch seinen Antrag einzuleiten.465 Fehlen ihm dafür die notwendigen Erkenntnisse, muss er im Vorfeld darauf achten, dass er entsprechende Sicherheiten erhält. Ansonsten bleibt ihm nur das Vertrauen, dass der Schuldner seinerseits der gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, rechtzeitig das Insolvenzverfahren einzuleiten. Dieselben Argumente, die das Prioritätsprinzip begründen, rechtfertigen mithin auch an dieser Stelle die Eigenverantwortung der Beteiligten. bb) Das Korrektiv der Gläubigeranfechtung In gewissem Umfang wird eine Verschleppung des Insolvenzantrages dadurch abgefedert, dass die Möglichkeit zur Anfechtung von Rechtshandlungen des Gemeinschuldners eröffnet wird. Wollte man eine Verspätung des Insolvenzantrages auf diesem Wege neutralisieren, so könnte man jegliche Rechtshandlungen zwischen Eintritt des Insolvenzgrundes und Stellung des Insolvenzantrages für anfechtbar erklären.466 An dieser Stelle gilt es einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der konkurrierenden Gläubiger zu treffen. Dieser kann nach Auffassung des Gesetzgebers nur anhand einer subjektiven Komponente erfolgen, 463 Kießner, in: Braun, Einf., Rdnr. 8, führt dies auf die starke Verbreitung von besitzlosen Mobiliarsicherheiten zurück. 464 So Kießner, in: Braun, Einf., Rdnr. 18. 465 Auf Schuldnerseite sieht die Insolvenzordnung weitere Anreize für eine rechtzeitige Antragstellung vor. Kießner, in: Braun, Einf., Rdnr. 19 f., verweist auf den neuen Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, der die Möglichkeit zur Insolvenzanmeldung vorverlagert, die Inaussichtstellung der Restschuldbefreiung für natürliche Personen, §§ 286 ff. InsO, sowie die subsidiäre Verfahrenskostenhaftung zur Antragstellung verpflichteter Organmitglieder, § 26 Abs. 3 InsO. 466 In diese Richtung gehen die Äußerungen von Marotzke, in: Reform des Zwangsvollstrekkungsrechts, ZZP 1992, 393 (455), der dafür plädiert, die Anfechtungstatbestände „nicht nur für innerhalb, sondern auch für außerhalb des Insolvenzverfahrens nötig werdende Anfechtungen in Betracht zu ziehen.“
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der Benachteiligungsabsicht.467 Denn nur das Wissen oder Wissenmüssen um den Eintritt der Insolvenz scheint es zu rechtfertigen, abweichend von den die Priorität tragenden Aspekten schon vorzeitig eine Verlustgemeinschaft zu statuieren. Mit Recht betonen hier die §§ 129 ff. InsO die Benachteiligungsabsicht auf Seiten der Gläubiger. Unmöglich kann es richtig sein, die Anfechtung daran scheitern zu lassen, dass die Absicht der Gläubigerbenachteiligung statt beim Schuldner „nur“ beim Anfechtungsgegner vorlag.468 Die im Rahmen der Insolvenzreform neu gefassten Anfechtungstatbestände wirken hingegen unverändert zu eng, soweit sie an dem Erfordernis einer Rechtshandlung des Schuldners festhalten und damit die gegen den Schuldner erwirkten Vollstreckungshandlungen ausklammern.469 Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob die subjektive Komponente der Benachteiligungsabsicht als Schnittstelle zwischen Einzel- und Gesamtvollstrekkung überhaupt erforderlich ist. Dagegen sprechen sämtliche Argumente der Verfechter eines strengen Verlustprinzips. Verschärft doch die mit den Anfechtungstatbeständen einhergehende zeitliche Verschiebung der Insolvenz die Gefahr, dass die Insolvenzgläubiger mangels ausreichender Masse gänzlich leer ausgehen oder mit einer verschwindend geringen Quote vorlieb nehmen müssen. Andererseits vermag wohl nur diese subjektive Komponente die befürchteten Nachteile des Verlustprinzips, namentlich das Risiko einer vorzeitigen Überpfändung, zu verhindern. Denn anderenfalls müsste der Gläubiger in Unkenntnis eines drohenden Vermögensverfalls beim Schuldner ständig befürchten, in den Sumpf einer Insolvenz hineingezogen zu werden. Das Prinzip der Rechtssicherheit scheint demzufolge die Anfechtungstatbestände unentbehrlich zu machen. Umgekehrt gewährleistet die im Rahmen der jüngsten Insolvenzreform vorgenommene inhaltliche und zeitliche Erweiterung der Anfechtungstatbestände, dass den seit Jahrzehnten vorgebrachten Einwänden gegen das Prioritätsprinzip die Spitze genommen worden ist.470 cc) Verhältnis zwischen zeitlich bevorrechtigten Gläubigern aus der Einzelvollstreckung und den Gläubigerklassen in der Insolvenz Die Gläubigeranfechtung bietet die Möglichkeit, in gewissem Umfang das Insolvenzverfahren zeitlich zurückzuverlagern. Davon unberührt stellt sich die Frage, wie die bei Insolvenz bestehenden Rechtsverhältnisse des Schuldners mit seinen Gläubigern zu beurteilen sind. Hier tritt insbesondere ein Konkurrenzverhältnis zwischen den zeitlich bevorrechtigten Gläubigern aus der Einzelvollstreckung, 467
S. dazu die einzelnen Anfechtungstatbestände der §§ 129 ff. InsO. So die berechtigte Kritik von Marotzke, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 451 (453), zu dem früheren § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG. 469 So schon die Kritik von Marotzke, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 451 (451 f.), an den Anfechtungstatbeständen des Anfechtungsgesetzes in seiner alten Fassung. 470 Ähnlich optimistisch äußert sich Gaul, ZZP 1999, 135 (164), der im Zusammenhang mit § 131 InsO davon spricht, dass künftig das Prioritätsprinzip schon in einem erweiterten Vorfeld der Insolvenz zu weichen habe. 468
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die noch nicht befriedigt sind, und den Gläubigern in der Insolvenz auf. Die Insolvenzordnung löst das Problem dahingehend, dass die Gläubiger aus der Einzelvollstreckung ihre Vorrechte uneingeschränkt behalten, sei es im Wege der Aussonderung oder der Absonderung.471 Diese Regelung ist sachgerecht, da die Überlegungen zur Priorität sonst konterkariert würden. Die Umsicht des Gläubigers vor Eintritt der Insolvenz würde keinen Sinn machen und der Gläubiger in seinem diesbezüglichen Vertrauensschutz enttäuscht, wenn seine Sicherheiten bei Eintritt der Insolvenz beeinträchtigt würden. Das Recht der Sicherheiten verlöre seine Basis. Dogmatisch formuliert würde das sachenrechtliche Absolutheitsprinzip gerade in dem Bereich der Insolvenz, in dem es zum Tragen kommt, untergraben und damit letztlich zunichte gemacht. Seine Berücksichtigung ist daher auch in der Insolvenz nahezu zwingend. Aussonderung und Absonderung haben Vorrang vor der Befriedigung der privilegierten Gläubigerklassen. Wie verhält sich dieser Vorrang zu den dogmatischen Überlegungen zur Grundrechtskollision bei Insolvenz? Auch hier wird deutlich, dass die dingliche Rechtsebene unantastbar bleibt. Die Sozialpflichtigkeit bzw. das konkurrierende Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums erstreckt sich weder auf die Inhaberschaft der schuldrechtlichen Forderungen, wegen derer die Zwangsvollstreckung betrieben wird, noch auf die dinglichen Rechtsverhältnisse. Diese unterliegen dem Eigentumsbegriff des Art. 14 GG und können dem Gläubiger nicht im Wege der Enteignung entzogen werden. Jene unterfallen ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 14 GG und werden den Gläubigern nicht entzogen, sondern lediglich in ihrer Erfüllbarkeit vereitelt, indem dem Schuldner das verbleibende Vermögen entzogen wird. Während die dingliche Rechtsebene also auch in der Insolvenz zwingende Beachtung findet, gilt dies nicht mehr für schuldrechtliche Vereinbarungen. Anderenfalls wäre die vom Insolvenzverwalter vorzunehmende Abwicklung zum Scheitern verurteil. Sie stellt ja gerade das Pendant zu der freiwilligen Vergleichsvereinbarung zwischen den Beteiligten dar, ebenso wie das Pfändungspfandrecht das Gegenstück zum Faustpfandrecht. Die Parallele liegt jeweils darin, dass in der Vollstreckung der entgegenstehende Wille der Beteiligten gebrochen wird. Zu den Beteiligten sind dabei in der Insolvenz auch die Gläubiger zu zählen. Es ist daher nur sachgerecht, dass dem Insolvenzverwalter auf schuldrechtlicher Ebene bei noch nicht abgewickelten Verträgen ein Wahlrecht eingeräumt wird, §§ 103 ff. InsO. h) Die Zwangsvollstreckungsart als Differenzierungskriterium zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft? Als Argument für das Prioritätsprinzip wird in der Diskussion um eine Verlustgemeinschaft in der Einzelvollstreckung der Gedanke bemüht, dass es keine Ungleichbehandlung zwischen der Geld- und der Naturalvollstreckung geben
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S. dazu im Einzelnen die Regelungen zur Aussonderung, §§ 47 f. InsO, und Absonderung, §§ 49 ff. InsO.
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dürfe. Bei letzterer sei die Erfüllung eo ipso nur einmal möglich.472 Dies entspreche dem Gedanken der Priorität. Beleuchtet man diese Argumentation etwas genauer, so muss man zwei Feststellungen treffen. Zutreffend ist, dass die Lösungsalternative der Verlustgemeinschaft dort an ihre Grenzen stößt, wo eine solche de facto unmöglich ist bzw. keinen Sinn machen würde. Dies ist gerade in der Naturalvollstreckung der Fall. Es entspräche hier kaum salomonischer Weisheit, eine Teilung des geschuldeten Gegenstandes vorzunehmen oder konkurrierende Gläubiger auf eine Sekundärhaftung zu verweisen. Beide Lösungen wären wirtschaftlich sinnlos. Daraus ergibt sich eine zweite Feststellung, die in der Argumentation vernachlässigt wird. Ist eine Verlustgemeinschaft in den Fällen der Naturalvollstreckung eo ipso ausgeschlossen, so lässt sich aus diesem Argument, das gerade in der Geldvollstrekkung nicht greift, nicht der Rückschluss ziehen, es müsse hier in gleicher Art und Weise von vornherein eine Verlustgemeinschaft abgelehnt werden.473 Es werden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Anders formuliert fehlt es in dem entscheidenden Punkt an der Vergleichbarkeit. Das französische Modell, das innerhalb der Geldvollstreckung eine weitergehende Differenzierung zwischen Prioritäts- und Ausgleichsprinzip trifft, kann demzufolge nicht von vornherein mit dem eingangs genannten Argument abgetan werden. Umgekehrt fragt sich aber, ob innerhalb der Geldvollstreckung die Art des Vollstreckungsobjektes noch eine Rolle spielen kann bei der Unterscheidung zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft. Es sind keine sachlichen Kriterien ersichtlich, die eine Differenzierung in eine der beiden Richtungen rechtfertigen würden. Dies hängt damit zusammen, dass mit der Art des Vollstreckungsgegenstandes die Sphäre des Schuldners tangiert ist. Während bei dem sozialen Kriterium und dem Aspekt der Naturalvollstreckung noch die Art des Gläubigeranspruchs angesprochen war, handelt es sich hier einheitlich um Zahlungsansprüche der Gläubiger. Für deren Abstufung kann ein aus der Sphäre des Schuldners herrührender Umstand, die Art des Vollstreckungsgegenstandes, kaum maßgeblich sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gläubiger nach der hier vertretenen Ansicht überhaupt keinen Einfluss auf die Auswahl der Vollstreckungsgegenstände hat. Die Entscheidung hierüber liegt beim Vollstreckungsorgan. i) Quintessenz Die Untersuchung belegt, das das deutsche Modell der Abstufung von Einzelund Gesamtvollstreckung eine ausgewogene und sachgerechte Regelung darstellt. Die Sinnhaltigkeit der einzelnen Regelungen kommt in der bisherigen Diskussion zu kurz, da sich diese zu sehr auf die Einzelvollstreckung beschränkt. Die weitere Konzentration auf das Begriffspaar Prioritätsprinzip versus Verlustgemeinschaft führt zu einer unnötigen Polarisierung. Erst durch eine Unterscheidung zwischen den beiden Differenzierungskriterien, zeitliche Priorität und so472 473
Stürner, ZZP 1986, 291 (328). So aber Stürner, ZZP 1986, 291 (328).
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ziales Existenzminimum, sowie eine weitere Differenzierung auf Schuldnerseite in Abhängigkeit von der Veränderung der Vermögenssituation macht die Sinnhaltigkeit eines abgestuften Modells der Vollstreckung deutlich.474 Zugleich wird eine dogmatische Zuordnung der wechselseitigen Argumente und ihre inhaltliche Bewertung ermöglicht. Nimmt man eine derart umfassende Betrachtung von Einzel- und Gesamtvollstreckung vor, so verliert der bisherige Meinungsstreit seine eigentliche Schärfe. Es handelt sich dann nicht mehr um zwei einander ausschließende Lösungswege, sondern allein um ein Problem ihrer zeitlichen Abfolge.475 Diese Perspektive macht es möglich, sowohl dem zeitlichen und dem sozialen Kriterium Rechnung zu Tragen als auch eine saubere Trennung von öffentlichen und privatrechtlichen Vorgaben durchzuführen. Zugleich wird damit der Verlagerung der betroffenen Interessen mit Eintritt der Insolvenz Rechnung getragen. Im Ergebnis liegt eine vermittelnde Lösung zwischen Priorität und Verlustgemeinschaft vor.476 j) Blick zu den europäischen Nachbarn Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass Priorität und Verlustgemeinschaft einander bedingen und nicht ausschließen. Die Vorteile beider Lösungsalternativen lassen sich nur in einem kombinierten Modell verknüpfen. Die Frage der Auswahl zwischen beiden Prinzipien ist daher keine solche der Weltanschauung.477 Auch das Maß der Verstaatlichung und Zentralisierung der Vollstreckung spielt in diesem Zusammenhang allenfalls eine untergeordnete Rolle.478 Mit Recht ist verschiedentlich bereits darauf hingewiesen worden, dass das maßgebliche 474 Stürner, ZZP 1986, 291 (329), plädiert daher für eine Erleichterung der Kleininsolvenzen, die den Gläubigern die Wahl des Insolvenzverfahrens als nutzbringende Vollstreckungsform gestatten. Die Schwächen des Prioritätsprinzips in der Einzelvollstreckung wären so besser ausbalanciert, weil der Übergang auf das Ausgleichsprinzip der Insolvenz sich als sinnvolle Alternative anböte. 475 Nicht umsonst bezeichnet Gaul, ZZP 1999, 135 (157 f.; 164 ff.), das Prioritätsprinzip als Ausdruck gestufter Verteilungsgerechtigkeit. 476 In diesem Sinne äußert sich auch Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 41, gegen eine Abschaffung des Prioritätsprinzips: „… denn Einzel- und Gesamtvollstreckung wieder in ein gemeinsames Verfahren überleiten zu wollen, hieße hinter mühsam erworbenen Schuldnerschutz zurückzufallen.“ Angesprochen ist damit der Schutz des Schuldners vor einer voreiligen Zerschlagung seines Vermögens im Wege der Insolvenz. 477 So auch Gaul, ZZP 1999, 135 (156). Anders hingegen Fragistas, S. 78, und Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (120): „Deswegen ist es sicherlich kein Zufall, dass die liberalistische deutsche ZPO sich für das Präventionsprinzip entschieden hat.“ 478 So wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung an späterer Stelle einer Zentralisierung der Zwangsvollstreckung im Sinne einer Konzentration auf den Gerichtsvollzieher das Wort geredet, ohne dass dies im Widerspruch zum Prioritätsprinzip stehen würde. Im gleichen Sinne führt Gaul, ZZP 1999, 135 (156), die gegensätzlichen Regelungen in der Schweiz (Verlustgemeinschaft) und in Österreich (Priorität) an, die beide über ein zentrales Vollstreckungssystem verfügen. In die umgekehrte Richtung geht der Hinweis von Deren-Yildirim, in: Festschrift für Gaul, S. 109 (120): „In den Rechtsordnungen, wo man Zwangsvollstreckungsrecht mit dem Verwaltungsrecht parallelisiert und wo das Vollstreckungswesen zentralisiert bzw. verstaatlicht ist, tritt der Gedanke der Solidarität unter den Gläubigern in den Vordergrund; so entscheidet man sich eher für das System der Verlustgemeinschaft.“
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Manko in den europäischen Nachbarländern vielmehr darin besteht, dass deren Vollstreckungsordnungen eine private Insolvenz unbekannt ist.479 Das führt dazu, dass über den Umweg der Einzelvollstreckung ein vergleichbares Ergebnis gesucht wird, indem bereits in dieser Phase der Vollstreckung eine Verlustgemeinschaft gesetzlich angeordnet wird. Dieses Vorgehen indiziert das zwingende Bedürfnis für eine Regelung zur privaten Insolvenz. Es läge daher näher, entsprechende Regelungen zu schaffen, als bereits die Einzelvollstreckung mit einem derart schwerfälligen und insbesondere für den Schuldner äußerst belastenden Verfahren zu belegen. De facto fehlt den Nachbarländern daher nicht nur das Prioritätsprinzip, sondern auch eine effektive Einzelvollstreckung, was den Aspekt der Gläubigerkonkurrenz anbelangt.
V. Resümee Für den Bereich der (formalisierten) zivilrechtlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung ist festzustellen, dass sich die aus dem materiellen Zivilrecht ergebenden Prinzipien problemlos auf die Vollstreckung übertragen lassen und auch hier zu sachgerechten Ergebnissen führen. Dies gilt im Bereich der formalisierten Voraussetzungen insbesondere für die Frage der Drittbeteiligung. Im Bereich der Rechtsfolgen der Vollstreckung kommt für die Frage der konkurrierenden Gläubiger das aus dem materiellen Zivilrecht geläufige Prioritätsprinzip zur Anwendung. Mit dem Übergang in die Gesamtvollstreckung entfällt dessen Existenzberechtigung, weil öffentlich-rechtliche Aspekte in den Vordergrund treten und eine Verlustgemeinschaft erforderlich machen. Die Untersuchung zu den Prinzipien in der Zwangsvollstreckung führt damit zu dem Ergebnis, dass eine Unterteilung der Zwangsvollstreckung in die Kategorien materielles Verwaltungsrecht, Verwaltungsverfahrensrecht und materielles Zivilrecht die Zuordnung in bekannte Prinzipienmuster ermöglicht. Es bestätigt sich die These, der zufolge sich die eigentliche Aufgabe des Zwangsvollstrekkungsrechts auf die Bildung tauglicher Schnittstellen in den Grenzbereichen von öffentlichem und privatem Recht reduziert.480 Diese angemessene Grenzziehung ist es, die den Rückgriff auf bekannte Rechtsgrundsätze ermöglicht. Freiräume für eine vollstreckungsrechtliche Prinzipienbildung bleiben damit nur im Bereich der Schnittstellen. Hier erweist sich das dreistufige Formalisierungsmodell als sachgerecht. Die verbleibenden Eigenarten der Zwangsvollstreckung äußern sich nicht etwa in vollstreckungsspezifischen Prinzipien, sondern allenfalls in Nuancen bislang bekannter Prinzipien, die durch die Ausgangslage des zahlungsunwilligen Schuldners bedingt sind.481 479 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 5; ders., ZZP 1999, 135 (157 f.); Stürner, ZZP 1986, 291 (324 f.). 480 S.o. § 5 I. 481 Man denke insbesondere an den Grundsatz des (nachträglichen) rechtlichen Gehörs, s.o. § 8 VI.
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Zweiter Teil: Prinzipien in der Zwangsvollstreckung
Abschließend bestätigt sich der Eindruck, dass bei einer Prinzipienbildung in der Zwangsvollstreckung das Rad nicht neu erfunden zu werden braucht. Lediglich die Bereifung – um bei dem Bild zu bleiben – weist geringfügige Besonderheiten auf.482
§ 10 Exkurs: Die Zwangsvollstreckung wegen öffentlich-rechtlicher Ansprüche I. Die unterschiedlichen Vollstreckungssysteme im Bereich der Verwaltung Der status quo in der Vollstreckung der öffentlichen Hand ist gekennzeichnet durch eine weitgehende Rechtszersplitterung.483 Die Zivilprozessordnung selbst sieht Sonderregeln für die Vollstreckung von privatrechtlichen Forderungen gegen die öffentliche Hand vor. Beispielsweise ordnet die Regelung des § 882 a ZPO eine vierwöchige Wartefrist bei der Vollstreckung gegen den Fiskus an. Dieser soll vor einer Beeinträchtigung seiner im Gemeinwohlinteresse liegenden Tätigkeit geschützt werden.484 Dieser Zweck kommt jedoch in der Vorschrift des § 882 a ZPO nicht zum Ausdruck, die die Wartefrist uneingeschränkt für sämtliche Geldforderungen anordnet. Zudem ist nicht ersichtlich, worin eine Beeinträchtigung des Gemeinwohlinteresses liegen soll, wenn der Staat im Wege der Vollstreckung gezwungen wird, seine Verbindlichkeiten auszugleichen. Der einzige Trost für den Gläubiger mag darin liegen, dass die durch § 882 a ZPO bedingte Verzögerung zumindest nicht mit dem Nachteil einer drohenden Insolvenz verbunden ist und daher hinnehmbar erscheinen mag. Die einzelnen Verwerfungen innerhalb des Vollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung wären nicht so gravierend, wenn sie nicht zugleich das Einfallstor für eine gänzlich eigene Vollstreckung der öffentlichen Hand darstellen würden. Während in der Arbeitsgerichtsbarkeit noch pauschal auf die Vorschriften des achten Buches der Zivilprozessordnung verwiesen wird, § 62 Abs. 2 ArbGG, treffen die Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits spürbare Einschränkungen. Nur noch vereinzelt verweist § 33 FGG auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung und regelt stattdessen selbst die Vollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe und der Erwirkung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen. Auch dieser Sonderstatus mag noch hinnehmbar sein, weil sich die Zivilprozessordnung insbesondere nicht zu dem sensiblen Bereich der Herausgabe von Personen äußert. 482 Ähnlich der Tenor in der Untersuchung von Stürner, ZZP 1986, 291 (332): „Wer sich mit Vollstreckungsmaximen befasst, wird feststellen dürfen, dass sich das deutsche Vollstreckungsrecht nicht im Zustand grundsätzlicher Reformbedürftigkeit befindet; gefragt ist weniger der Frontalangriff gegen herrschende Maximen als die Korrektur der Details.“ 483 Gaul, JZ 1979, 496 (503), spricht von einem undurchsichtigen Dschungel. 484 BVerfG, NJW 1982, 2859 (2860); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 I 2.
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Bedenklicher erscheint es schon, wenn § 66 Abs. 4 SGB X der öffentlichen Hand die Wahlmöglichkeit zwischen der Vollstreckung nach der Zivilprozessordnung und dem eigenständigen Verwaltungszwangsverfahren einräumt. Hier deutet sich eine Zweispurigkeit der Vollstreckung an, die sich durch einen Blick auf die Eigenarten der Vollstreckung der Verwaltungsgerichte und der einfachen Verwaltung bestätigt.485 Für diese Eigenarten scheint angesichts der Wahlmöglichkeit des § 66 Abs. 4 SGB X so recht kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich zu sein. Bevor jedoch auf diese Frage der gesetzgeberischen Motive weiter einzugehen ist, sei zunächst das zersplitterte System der öffentlichen Vollstreckung in Kürze skizziert.486 Bei der Vollstreckung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zwischen den einzelnen Gerichtszweigen zu unterscheiden.487 Die Gerichtsordnungen der Sozial-, Finanz- und allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit differenzieren sodann ihrerseits zwischen der Vollstreckung für und gegen die öffentliche Hand. Dabei bereitet die Vollstreckung gegen den Fiskus nur wenig Probleme,488 da in diesem Bereich zumeist auf die Regelungen der Zivilprozessordnung Bezug genommen wird.489 Hingegen gestaltet sich die Vollstreckung zugunsten des Fiskus nach eigenen Regeln. Die Vorschrift des § 169 Abs. 1 S. 1 VwGO verweist auf § 5 Abs. 1 VwVG, der seinerseits auf die Abgabenordnung Bezug nimmt. Dies gilt aber wiederum nur für die Vollstreckung des Bundes, da die Länder eigenständige Verwaltungsvollstreckungsgesetze erlassen haben, die teilweise moderne Vollstreckungssysteme vorsehen, teilweise aber auch auf uralten landesrechtlichen Bestimmungen beruhen.490 § 5 Abs. 2 VwVG zollt insoweit der Hoheit der Landesgesetzgeber Tribut und lässt derartige Regelungen ausdrücklich zu. Im öffentlichen Recht kommt es zu der weiteren Besonderheit, dass neben den verwaltungsgerichtlichen Urteilen auch die von der Verwaltung erlassenen Verwaltungsakte einen vollstreckbaren Titel darstellen. Für diesen Bereich ordnet § 5 Abs. 1 VwVG an, dass die Regelungen der Abgabenordnung im Rahmen der Vollstreckung zur Anwendung kommen. Dies führt zu dem Problem, dass die Abgabenordnung keinen Rechtsbehelf für die Geltendmachung des Erfüllungseinwandes sowie für formelle Einwendungen vorsieht.491 Dieses Problem lässt sich im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch einen Rückgriff auf § 167 485
Dazu sogleich im Folgenden. Eine ausführliche Darstellung erübrigt sich an dieser Stelle, da Gaul, JZ 1979, 496 (496 ff.), mit kaum zu übertreffender Akribie die Winkelzüge der öffentlichen Vollstreckung aufgezeigt hat. 487 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 II 1. 488 Mit Recht weist Gaul, JZ 1979, 496 (497), darauf hin, dass im Rechtsstaat die Befolgung gerichtlicher Urteile durch Behörden eigentlich selbstverständlich sein müsste und es keiner Vollstreckung bedürfte. Die Realität ist hingegen bisweilen eine andere. 489 Gemäß § 170 Abs. 1 S. 2 und S. 3 VwGO ersucht das Gericht des ersten Rechtszuges die „zuständige Stelle“ um die Vornahme der Vollstreckungsmaßnahmen. 490 Im Anschluss an Gaul, JZ 1979, 496 (496 ff.), spricht Behr, Rpfleger 1981, 417 (421), von den diffusen Zuständigkeiten für die Vollstreckung von Verwaltungsakten und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. 491 Gaul, JZ 1979, 496 (498). 486
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VwGO lösen, der auf das achte Buch der Zivilprozessordnung verweist. Die Regelungen der §§ 766, 767 ZPO finden entsprechende Anwendung. Anders verhält es sich hingegen im Bereich der Verwaltungsvollstreckung. Hier mangelt es an einer Verweisungsnorm. Demzufolge ist die Frage nach dem statthaften Rechtsbehelf heillos umstritten. Allein fünf Meinungen werden hier vertreten, deren Darstellung die Zersplitterung des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungswesens offenbart492 und mithin einem Offenbarungseid gleichkommt. Naheliegend ist auch hier ein Rückgriff auf die Regelung des § 767 ZPO, ggf. über die Verweisungsnorm des § 167 VwGO.493 Eine derartige Analogie wird jedoch mit dem Hinweis auf angebliche Unterschiede zwischen der Vollstreckung eines Urteils und derjenigen eines Verwaltungsaktes abgelehnt. Da die Vollstrekkungsakte ihrerseits Verwaltungsakte darstellten, sei ein eigenständiges Instrumentarium erforderlich.494 Die verwaltungsrechtlichen Regelungen hätten hier Vorrang.495 Bei der sich anschließenden Frage nach dem einschlägigen öffentlichrechtlichen Rechtsbehelf scheiden sich jedoch die Geister. Vorgeschlagen wird eine allgemeine Feststellungsklage gerichtet auf die Feststellung, dass der titulierte Anspruch nicht mehr besteht.496 Dieser Ansicht wird mit dem Argument begegnet, dass keine Abänderung des ursprünglich erlassenen Verwaltungsaktes beabsichtigt sei, sondern lediglich die Beseitigung der Vollstreckbarkeit.497 Diese 492
S. dazu noch ausführlich im sechsten Teil unter § 30 IV 8. Für eine analoge Anwendung des § 767 ZPO plädieren Renck, NJW 1964, 848 (850 f.); ders. NJW 1966, 1247 (1248 ff.); Menger, JZ 1965, 720 (720 f.), und Gaul, JZ 1979, 496 (499 f.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 III 2. Danach stimmt die Vollstreckungsabwehrklage hinsichtlich der Voraussetzungen und Interessenlage mit der nicht geregelten, aber regelungsbedürftigen Vollstreckungsabwehrklage gegen den bestandskräftigen Verwaltungsakt überein. 494 Diese Anhänger übersehen, dass nicht anders auch in der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung den Vollstreckungstiteln Verwaltungsakte zugrunde liegen. S. dazu noch ausführlich im dritten Teil unter § 11 IV 3, V 2, VI, VII 2. 495 BVerwG, NJW 1967, 1976 (1977); VGH Mannheim, NVwZ 1993, 72 (73); OVG Münster NVwZ 1993, 74 (74); OVG Koblenz NJW 1982, 2276 (2276 f.); Kopp/Schenke, § 167, Rdnr. 18; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9); Schenke, Rdnr. 367. Nach dieser Ansicht gewähren die Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung auch bei einem Begehren auf Einstellung der Verwaltungsvollstreckung ausreichenden Rechtsschutz. Die Ungleichheit der Ausgangslage rechtfertige es, unterschiedliche Instrumentarien zur Geltendmachung vermeintlicher Gegenrechte gegen vollziehbare Verwaltungsakte einerseits und Urteile und Prozessvergleiche andererseits zur Verfügung zu stellen. 496 OVG Münster, DÖV 1976, 673 (675); Kopp/Schenke, § 167, Rdnr. 19; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9 f.). Begründet wird diese Ansicht damit, dass durch die Feststellung, dass die in dem fortbestehenden Verwaltungsakt genannte Verpflichtung nicht mehr vorhanden sei, für die Behörde bindend feststehe, dass eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vornahme von Vollstreckungshandlungen nicht vorliege, eine gleichwohl vorgenommene Vollstreckung somit unzulässig wäre. 497 OVG Koblenz, NJW 1982, 2276 (2277); Kopp/Schenke, § 167, Rdnr. 19. Eine Feststellungsklage gegen den titulierten Anspruch ist danach nicht zulässig. Denn die Vollstreckbarkeit des Verwaltungsaktes ist als ein von der Behörde geschaffener Titel unabhängig von dem Bestehen des materiell rechtlichen Anspruchs. Es geht nämlich nicht um eine Abänderung der dem Titel zugrunde liegenden Sachentscheidung, wozu das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG dient, sondern lediglich um die Beseitigung der sogenannten Vollstreckbarkeit des Verwaltungsaktes. 493
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an der Terminologie des § 767 ZPO orientierte Einsicht leitet aber nicht etwa zurück zur Vollstreckungsgegenklage, sondern führt zur Flucht in die Verpflichtungsklage, gerichtet auf Aufhebung des Verwaltungsaktes wegen Fortfalls seiner Voraussetzungen.498 Dieser Ansicht wird mit Recht entgegengehalten, dass insoweit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eine abschließende Spezialregelung vorsehe.499 In der weiteren Folge wird auf den vorbeugenden Rechtsschutz rekurriert und vorgeschlagen, dem Schuldner eine vorbeugende Verpflichtungsklage zu gewähren. Diese soll auf einen feststellenden Verwaltungsakt, der die weitere Vollstreckung entsprechend § 767 ZPO als unzulässig erkläre, gerichtet sein.500 Alternativ wird als fünfte Lösung auch eine vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklage in Erwägung gezogen,501 deren Prüfung sich aber ebenfalls an der Regelung des § 767 ZPO orientiert. Auch hier stellt sich angesichts der Parallele zu § 767 ZPO die Frage, weshalb nicht direkt auf diese Vorschrift zurückgegriffen wird.502 Die in diesem Bereich auftretenden Rechtsunsicherheiten sind auch dem Bundesverwaltungsgericht nicht verborgen geblieben und so hat es in seiner Not dem Schuldner zwischen den drei zuletzt genannten Lösungsmöglichkeiten ein freies Wahlrecht eingeräumt.503 Zutreffend ist daran, dass die Unsicherheiten in Rechtsprechung und Literatur nicht zu Lasten des Schuldners gehen dürfen. Daneben ist der Streit von keinerlei praktischer Bedeutung, da die Prüfung sich stets an § 767 ZPO orientiert. Die zuerst genannte Lösung, die eine analoge Anwendung dieser Vorschrift befürwortet, ist daher vorzugswürdig.504 Der weitere Streit um angebliche Besonderheiten der Verwaltungsvollstreckung ist hingegen unverständlich, zumal auch im Bereich der formellen Einwendungen analog auf die Regelung des § 766 ZPO zurückgegriffen wird505 mit dem Hinweis, dass die Anfechtungsklage hier überdimensioniert wirke.506 Einen weiteren Rückbezug weist die Abgabenordnung im Bereich der Immobiliarvollstreckung auf. Die Regelung des § 322 Abs. 1 S. 2 AO verweist auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Zwangsversteigerungsgesetzes. 498 Das OVG Koblenz, NJW 1982, 2276 (2277), spricht von einer Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Beseitigung der Vollstreckbarkeit, lässt aber offen, wie der zu erlassende Verwaltungsakt inhaltlich ausgestaltet sein soll. 499 S. dazu noch ausführlich im sechsten Teil unter § 30 IV 8 a. 500 In einzelnen Bundesländern finden sich hierzu ausdrückliche landesgesetzliche Bestimmungen. Nachweise bei Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9). 501 BVerwG NVwZ 1984, 168 (168 f.); VGH Mannheim, NVwZ 1993, 72 (73). 502 Dies gilt insbesondere auch für die Entscheidung des OVG Koblenz, NJW 1982, 2276 (2277), die einerseits eine Vollstreckungsabwehrklage ablehnt, andererseits aber von der Beseitigung der Vollstreckbarkeit als Ziel der nach Ansicht des Gerichts statthaften Verpflichtungsklage ausgeht. 503 BVerwG NVwZ 1984, 168 (168), nimmt bei Bedarf eine Umdeutung des Klageantrags vor. 504 Dabei wird sich allerdings im sechsten Teil der Untersuchung zeigen, dass es sich bei der sogenannten Vollstreckungsabwehrklage im Kern schlicht um eine allgemeine Feststellungsklage handelt, s.u. § 30 IV. 505 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 II 2 b. 506 Im sechsten Teil wird aber noch zu zeigen sein, dass die Vollstreckungserinnerung nicht anders zu bewerten ist als die Anfechtungsklage, s.u. § 27 II bis IV.
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Diese Aufspaltung der Vollstreckung in Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung führt zwangsläufig zu der Frage, ob die Vollstreckung im Bereich der unbeweglichen Sachen in ein zivilgerichtliches Verfahren durch das Vollstreckungsgericht übergeht.507 Die Tendenz geht dahin, der ersuchenden Behörde ihre Doppelrolle als Gläubiger und Vollstrecker zu erhalten und damit auch im Bereich der Immobiliarvollstreckung von einem Verwaltungszwangsverfahren auszugehen. Konsequenz ist eine noch wenig geklärte Doppelspurigkeit im Rechtsschutz.508 Die Verwaltungsvollstreckung gleicht bei abschließender Betrachtung aus Sicht des betroffenen Schuldners einem Torso. Man stelle sich vor, der Schuldner sei sowohl dem Zugriff eines privaten Gläubigers als auch demjenigen des Finanzamtes ausgesetzt. Ist der Schuldner zudem die Ausgleichung eines behördlichen Zahlungsbescheides schuldig geblieben, so muss er damit rechnen, dass sich die verschiedenen Vollstreckungsorgane bei ihm die Klinke in die Hand geben.509 Dieser Eindruck mag seine Zahlungsmoral fördern, die Effektivität der Vollstreckung kann ein derartig zersplittertes und aufwendiges System indes nicht steigern. Im Gegenteil ergeben sich unnötige Abgrenzungsprobleme und Unübersichtlichkeiten bezüglich der Kompetenzen und des Rechtsschutzes.510 Es besteht die Gefahr, dass die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung und die Verwaltungsvollstreckung an derselben körperlichen Sache stattfinden,511 ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten, die durch das Tätigwerden verschiedener Vollstreckungsorgane entstehen.512
II. Ursachen und Auswüchse der speziellen Vollstreckungssysteme der öffentlichen Hand Das breite Spektrum der Verwaltungsvollstreckung lässt die Frage nach seiner Existenzberechtigung laut werden.513 Auf den ersten Blick ist kaum einsichtig, weshalb es überhaupt in der Verwaltung gesonderter Vollstreckungsregelungen 507
Ausführlich zu diesem Problem Gaul, JZ 1979, 496 (505 f.). Im Einzelnen hierzu Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 I 3 a m.w.N. 509 Ebenso kritisch Mager, DRiZ 1960, 53 (53), und Zeiss, JZ 1974, 564 (568). Bei Kern, ZZP 1967, 325 (340), findet sich eine denkbare Fallkonstellation, bei der sieben (!) verschiedene Vollstreckungsbeamte tätig werden, so dass die Vollstreckung zu einem Wettrennen der Beamten im Geschäft und in der Wohnung des Schuldners entartet. 510 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 II 2 g. 511 So schon Stein, Grenzen zwischen Justiz und Verwaltung, S. 65. 512 Darauf hat schon Mager, DRiZ 1960, 53 (54), hingewiesen. Gaul, JZ 1973, 473 (478), spricht hingegen aus Sicht der Verwaltung davon, dass der behördeneigene Beamte billiger sei als der Gebührenbeamte der Justiz, weshalb Zeiss, JZ 1974, 564 (568), die Kostenfrage dahinstehen lässt. Die Auffassung von Gaul vernachlässigt jedoch eine Gesamtbetrachtung der Kosten des Gerichtsvollziehers und des behördeneigenen Beamten, dessen Stellung durch die Konzentration auf ein Vollstreckungsorgan entbehrlich würde. Die dadurch ersparten Kosten dürften wohl kaum durch die Mehrbelastung des Gerichtsvollziehers aufgezehrt werden, der ja ohnehin bereits für konkurrierende private Gläubiger tätig wird. 513 So etwa Behr, Rpfleger 1981, 417 (421); Mager, DRiZ 1960, 53 (53 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 II 2 g. 508
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bedarf. Dem Gesetz ist jedenfalls keine Begründung zu entnehmen, so dass sich die weitere Betrachtung auf die Motive des Gesetzgebers zu konzentrieren hat. 1. Gesetzgeberische Motive Die Darstellung des in sich zersplitterten Vollstreckungswesens hat mit der Regelung des § 882 a ZPO begonnen. Diese Vorschrift wird mit dem Begriff der Fiskusprivilegien belegt514 und mit dieser Feststellung ist bereits viel über die gesetzgeberischen Motive gesagt. Der Eindruck verfestigt sich anhand der Regelung des § 66 Abs. 4 SGB X, der die Vollstreckung erleichtern soll, indem er den zuständigen Behörden ein Wahlrecht zwischen der herkömmlichen und der Verwaltungsvollstreckung einräumt.515 Bei dem Begriff der „Erleichterung“ handelt es sich um nichts anderes als einen Euphemismus für die vom Gesetzgeber gewünschten Privilegien des Fiskus. Zugleich weist der Begriff darauf hin, dass nach Ansicht des Gesetzgebers die bestehenden Regelungen der Zwangsvollstreckung offensichtlich nicht genügen, um eine effektive Vollstreckung zu gewährleisten. Dass der Gesetzgeber besondere Energie allein auf die Vollstreckung zugunsten des Fiskus, nicht aber auf diejenige gegen den Fiskus verwendet, belegt, dass es ihm im Ergebnis um eine Privilegierung der öffentlichen Verwaltung geht. Es muss daher nicht verwundern, wenn sich kaum einmal in den Gesetzesmotiven klare Aussagen über den Zweck der Verwaltungsvollstreckung finden lassen. Nur ausnahmsweise sind in den Gesetzesmotiven Aussagen anzutreffen, die die eigentliche Intention des Gesetzgebers entlarven. So betont der Gesetzgeber beispielsweise in den Motiven zur Justizbeitreibungsordnung die Notwendigkeit einer „nachdrücklichen Beitreibung“ und der Ausnutzung „moderner Methoden des Kassenwesens“.516 Diese Offenheit mag darauf zurückzuführen sein, dass die Justizbeitreibungsordnung zunächst nur als Provisorium gedacht war. Bekannterweise ist aber nichts beständiger als ein derartiges Provisorium, wie der seit ungefähr 30 Jahren unveränderte Rechtszustand belegt. Es handelt sich also nicht um tiefergehende Prinzipienwidersprüche, die den Gesetzgeber zu einer gesonderten Verwaltungsvollstreckung bewogen hätten. Beweggrund ist vielmehr die Absicht, dem Staat effektivere Vollstreckungsregeln an die Hand geben zu können. Dies veranschaulicht ein abschließender Blick auf die Insolvenzordnung,517 die von dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger beherrscht ist. Da sich der Gesetzgeber hier jeglicher Sondervorschriften für den Bereich der Verwaltungsvollstreckung enthalten hat, lässt dies nur den Schluss zu, dass es ihm bei den Regelungen der Verwaltungsvollstreckung um die Privilegierung staatlicher Ansprüche ging, die im Rahmen der Insolvenz aus prinzipiellen Erwägungen von vornherein ausgeschlossen ist. 514 515 516 517
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 I 2. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 I 2 c m.w.N. BR-Drucks. 111/73, S. 310, 385. Auf diese Parallele hat Gaul, JZ 1979, 496 (511), zutreffend hingewiesen.
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Dass die Tendenzen zu einer Privilegierung des Fiskus in der Verwaltungsvollstreckung nicht zu einer grundlegenden Reform der Zivilprozessordnung geführt haben, mag damit zu entschuldigen sein, dass unterschiedliche Gesetzgebungskommissionen an der Arbeit gewesen sind und die jüngeren Gesetzgebungsvorhaben im öffentlichen Recht keine Durchschlagskraft auf die Zivilprozessordnung entwickelt haben.518 Immerhin ist es aber verwunderlich, dass sich die modernen Vollstreckungsordnungen aus dem öffentlichen Recht auf die Vollstreckung zugunsten des Fiskus beschränken. Wenn auch die umgekehrten Fälle der Vollstreckung gegen den Fiskus in der Praxis eine geringere Bedeutung haben mögen, rechtfertigt dies nicht die bestehende Ungleichbehandlung. Auf deren konkrete Auswirkungen ist im Folgenden näher einzugehen. 2. Privilegien des Staates in der Verwaltungsvollstreckung Neben einer Vielzahl von einfachen Gesetzeswiederholungen aus der Zivilprozessordnung finden sich in den Regelungen zur Verwaltungsvollstreckung einige Vorschriften, die den Fiskus eindeutig bevorzugen. Die in diesem Zusammenhang markanteste Regelung dürfte die Vorschrift des § 3 Abs. 1 VwVG sein, die der Verwaltung die Geldvollstreckung ohne vollstreckbaren Titel erlaubt. a) Verwaltungsakt als Titelersatz Die Regelung des § 3 Abs. 1 VwVG erklärt für die Geldvollstreckung, dass es eines vollstreckbaren Titels nicht bedarf, es genügt ein Leistungsbescheid. In Verbindung mit § 6 VwVG, der die Vollstreckung aus einem Verwaltungsakt zur Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen zulässt, lässt sich diese Gesetzesaussage dahingehend präzisieren und verallgemeinern, dass der Verwaltungsakt – einen solchen stellt auch der Leistungsbescheid dar – als Grundlage der Vollstreckung genügt und mithin neben dem verwaltungsgerichtlichen Urteil einen gleichwertigen Vollstreckungstitel darstellt.519 Die staatlichen Behörden sind also in der Lage, sich selbst ohne die Einschaltung des Verwaltungsgerichts einen Titel zu verschaffen. Dieser Titel unterliegt allerdings im Falle der fristgerechten Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Damit wird im Ergebnis die Initiativrichtung bei der Anrufung des Verwaltungsgerichts zu Lasten des Bürgers umgedreht.520 Das eigentliche Vollstreckungsverfahren wird also nicht berührt. Unterlässt der Bürger die Anfechtung, so wird damit sein Einverständnis zu dem von der Behörde ausgesprochenem Anspruch in Form eines Verwaltungsaktes unterstellt. Der Kata518 Der Vorwurf, der Gläubiger finde durch die staatlichen Zwangsmittel nicht die ihm gebührende Befriedigung, ist und bleibt der schwerste Vorwurf, der gegen eine Vollstreckungsordnung erhoben werden kann. So auch zuletzt Gaul, ZZP 1999, 135 (150), unter Berufung auf den Entwurf der Zivilprozessordnung aus dem Jahr 1931. S. dazu auch schon die entsprechenden Ausführungen oben unter § 8 II 1. 519 Kopp/Ramsauer, § 35, Rdnr. 7. Zu den Unterschieden Maurer, § 9, Rdnr. 42. 520 Maurer, § 9, Rdnr. 40.
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log des § 794 ZPO wird quasi um einen weiteren Tatbestand ergänzt. Was die Formalisierung anbelangt, so ist dieser Tatbestand nicht wie das Urteil als gerichtliche Entscheidung einzustufen, sondern es wird gleichsam ein gesonderter Vermutungstatbestand für das Bestehen des zu vollstreckenden Anspruchs geschaffen. Diese Vermutung wird mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist unwiderlegbar. Zugleich liegt, wenn man so will, ein Wechsel zur ersten Stufe der Formalisierung vor, da der Bürger durch das Unterlassen der Einlegung eines Rechtsbehelfs konkludent seine Zustimmung erklärt hat. Diese Überlegungen belegen zunächst nur, dass sich der Verwaltungsakt in seiner Titelfunktion durchaus in das bestehende Vollstreckungssystem der Zivilprozessordnung einfügen lässt. Er stellt eine Ergänzung des § 794 ZPO dar. Eine Durchbrechung der Gewaltenteilung ist damit nicht verbunden, da der Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung steht. Damit ist jedoch noch keine Aussage über die Rechtfertigung einer derartigen Privilegierung getroffen. Die Umkehr der Rechtsschutzinitiative ist nicht unbedenklich, da der Bürger eine Anfechtung oftmals aus anderen Gründen als seinem mutmaßlichen Einverständnis mit dem belastenden Verwaltungsakt unterlassen wird. Oftmals mangelt es ihm selbst an hinreichenden rechtlichen Kenntnissen, um den Verwaltungsakt überprüfen zu können. Zudem wird der Bürger in der Regel die Kosten und das Risiko einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung scheuen, sofern er nicht rechtsschutzversichert ist. Das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren erweist sich insoweit als stumpfes Schwert, da die Widerspruchsbehörde erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen geneigt ist, dem Widerspruch stattzugeben, zumal wenn der Bürger rechtlich nicht beraten ist. Umgekehrt soll das gesetzgeberische Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Verwaltung an dieser Stelle nicht weiter in Frage gestellt werden. Der Umstand, dass es sich bei den Verwaltungsbediensteten um qualifiziertes Personal handelt, das nicht unmittelbar im eigenen persönlichen Interesse, sondern nur im Interesse des Dienstherrn tätig wird, mag die Entscheidung des Gesetzgebers rechtfertigen, der Entscheidung der Behörde im Überunterordnungsverhältnis zum Bürger ein stärkeres Gewicht zu verleihen und die Gerichte zu entlasten. Diese Wertentscheidung stellt zumal nicht das Vollstreckungssystem der Zivilprozessordnung in Frage, sondern rechtfertigt allein eine Ergänzung des § 794 ZPO.521 b) Weitere vollstreckungsrechtliche Privilegien des Staates Die Verwaltungsvollstreckung wird von dem Prinzip der Selbstvollstreckung beherrscht;522 eine Mitwirkung der Zivilgerichte ist prinzipiell nicht vorgesehen.523 521 An späterer Stelle wird noch zu zeigen sein, dass auch der Leistungsbefehl im gerichtlichen Urteil letztlich nichts anderes darstellt als einen Verwaltungsakt, s.u. § 11 IV 3. Allerdings wird dieser Verwaltungsakt von einer neutralen Stelle, dem Gericht, erlassen. 522 Behr, Rpfleger 1981, 417 (421), und Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 43. 523 Gaul, JZ 1979, 496 (496).
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Demzufolge ist auch die Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren nicht sauber durchgeführt. Gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO ist im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Vorsitzende des Verwaltungsgerichts das maßgebliche Vollstreckungsorgan, das im Wege der Amtshilfe eine andere Vollstreckungsbehörde oder einen Gerichtsvollzieher um Mithilfe ersuchen kann. Für die Finanzgerichtsbarkeit ordnet die Abgabenordnung an, dass die Finanzämter zugleich Vollstreckungsorgan sind.524 Dem entspricht in der Verwaltungsvollstreckung im Bereich der Geldvollstreckung die Regelung des § 5 Abs. 1 VwVG, die auf die Abgabenordnung verweist. Für die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen ordnet § 7 Abs. 1 VwVG ausdrücklich an, dass der Verwaltungsakt von der Behörde vollzogen wird, die ihn erlassen hat. Die gesetzlichen Verweisungen auf die Abgabenordnung führen zu weiteren einschneidenden Konsequenzen. Gemäß §§ 258, 297 AO entscheidet die Vollstreckungsbehörde selbst über einen Vollstreckungsschutzantrag und sie ordnet gemäß § 289 AO selbst die Vollstreckung zur Nachtzeit an. Im Rahmen der Sachaufklärung sieht § 316 Abs. 2 S. 3 AO die äußerst effektive Möglichkeit vor, den Schuldner bei der Forderungspfändung durch die Anordnung von Zwangsgeld zur Sachaufklärung zu veranlassen.525 Daneben ergeben sich Unterschiede bei den Grenzen der Pfändbarkeit.526 Eine weitere maßgebliche Privilegierung ergibt sich etwa in dem Fall, dass die Vollstreckung aus einem nur vorläufig vollstreckbaren Titel betrieben wird. Während den privaten Gläubiger bei späterer Aufhebung des Titels gemäß § 717 Abs. 2 ZPO eine verschuldensunabhängige Haftung trifft, haftet die Verwaltungsbehörde nur nach Bereicherungsrecht.527 Wie soll der betroffene Schuldner diese Ungleichbehandlung verstehen?528
III. Suche nach einer Existenzberechtigung für die Verwaltungsvollstreckung Angesichts der vollstreckungsrechtlichen Privilegien des Staates stellen sich zwei Fragen. Zunächst ist der Frage nach einer Rechtfertigung für die derzeit beste524 In § 252 AO kommt die Rollenidentität von Vollstreckungsbehörde und Gläubiger besonders deutlich zum Ausdruck: „Im Vollstreckungsverfahren gilt die Körperschaft als Gläubigerin des zu vollstreckenden Anspruchs, der die Vollstreckungsbehörde angehört.“ Ebenso kritisch Gaul, JZ 1979, 496 (502). 525 Auf die Einschränkung des Rechtsschutzes im Rahmen der Abgabenordnung, die weder für die Einwendung der Erfüllung noch für formelle Einwendungen einen Rechtsbehelf zur Verfügung stellt, und die Unterschiede im Verhältnis zu den Rechtsbehelfen nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung hat bereits Kern, ZZP 1967, 325 (341), kritisch hingewiesen. 526 So schon Kern, ZZP 1967, 325 (341). 527 Auf diesen Unterschied hat bereits Kern, ZZP 1967, 325 (342), mit einem anschaulichen Beispielsfall aufmerksam gemacht. 528 Mit Recht weist Zeiss, JZ 1974, 564 (568), darauf hin, dass der Schuldner am geltenden Recht verzweifeln muss.
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henden Privilegien nachzugehen.529 Erfolgt diese Suche ergebnislos, so stellt sich im Anschluss die Frage, ob anderweitige bislang unberücksichtigt gebliebene Aspekte einer Rechtsvereinheitlichung im Wege stehen. 1. Rechtfertigung der Selbstvollstreckung aufgrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung? Die markanteste Eigenart der Verwaltungsvollstreckung liegt in dem Prinzip der Selbstvollstreckung begründet.530 Auf der Suche nach einer Existenzberechtigung für dieses Privileg ist es hilfreich, sich auf den Sinn und Zweck der Zwangsvollstreckung zurückzubesinnen. Durch die dem Staat vorbehaltene Gewaltanwendung soll die private Selbsthilfe vermieden werden.531 Dieses Gewaltmonopol scheint auf den ersten Blick im Rahmen der Selbstvollstreckung der Verwaltung auf elegante Weise gewährleistet zu sein. Da der Gläubiger nicht nur Anspruchsinhaber ist, sondern zugleich Träger der staatlichen Gewalt, scheint eine private Selbsthilfe von vornherein ausgeschlossen zu sein. Da wir uns zudem bei der Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs ebenso im Verwaltungsrecht bewegen wie im Verwaltungsvollstreckungsrecht liegt eine Selbstvollstrekkung nahe.532 Die vorstehende Betrachtung greift indes zu kurz. Zutreffend ist, dass der Gläubiger in der Verwaltungsvollstreckung typischerweise als Hoheitsträger auftritt und demzufolge der vollen Grundrechtsbindung unterliegt. Anderenfalls stünde ihm keine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes zu, den er selbst vollstrecken könnte. Gegen das bestehende Modell der Verwaltungsvollstrekkung ist jedoch mit Recht eingewandt worden, dass es die Zwangsvollstreckung allein auf der primitiven Entwicklungsstufe der Überwindung der privaten Selbsthilfe begreift und die Zwangsvollstreckung nicht zugleich als Rechtsschutzaufgabe versteht.533 Dieser Kritik ist darin zuzustimmen, dass die staatliche Selbstvollstreckung äußerst bedenklich erscheint. Diese Bedenken fußen aber nicht auf einer vernachlässigten Rechtsschutzaufgabe der Zwangsvollstreckung, sondern auf einem falsch bzw. zu eng gefassten Verständnis der staatlich missbilligten Selbsthilfe. Eine enge Fixierung an diesen eigentlichen Sinn und Zweck der staatlichen Zwangsvollstreckung ist durchaus angemessen, um Fehlentwicklun529 Anders hingegen Kern, ZZP 1967, 325 (345), der von den Vorzügen der Verwendung eigener Beitreibungsorgane spricht, ohne diese in Frage zu stellen. 530 Behr, Rpfleger 1981, 417 (421), und Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 704, Rdnr. 43. S. dazu auch schon oben unter II 2 b. 531 S.o. § 2 II. 532 Der Verwaltungsrechtscharakter der Selbstvollstreckung wird nicht in Frage gestellt, obwohl die h. M. der zivilrechtlichen Vollstreckung diesen Charakter versagt, s.o. § 4 VI. Insofern bleiben diejenigen, die das Prinzip der Selbstvollstreckung kritisieren, eine Antwort auf die Frage schuldig, wie angesichts der angeblich unterschiedlichen Rechtsnatur eine Rechtsvereinheitlichung erfolgen soll. Demgegenüber belegt die hier entwickelte Lösung, dass es sich in beiden Fällen um Verwaltungsrecht handelt. Eine Rechtsvereinheitlichung liegt daher auf der Hand. 533 Zeiss, JZ 1974, 564 (567); Mager, DRiZ 1960, 53 (54), und Gaul, JZ 1979, 496 (510 f.).
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gen und unnötige Auswüchse der öffentlich-rechtlichen Vollstreckung zu vermeiden und die Vollstreckung als staatliche Intervention auf ihren Kernbereich zu reduzieren. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass das Verbot der Selbsthilfe nicht vor einem rein privatrechtlichen Hintergrund interpretiert werden darf. Ausgangspunkt der verbotenen Selbsthilfe ist nicht allein die Situation des Gläubigers eines privatrechtlichen Anspruchs, auch wenn sie vielleicht der Gesetzgeber des letzten Jahrhunderts so noch allein vor Augen gehabt haben mag, sondern ebenso diejenige des Gläubigers eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs. Auch die öffentliche Selbsthilfe ist zu missbilligen, wie sich aus den im ersten Teil der Untersuchung angestellten Überlegungen zur Selbsthilfe ergibt.534 Die Missbilligung der Gewaltanwendung durch den Gläubiger beruht nicht allein auf seiner fehlenden demokratischen Legitimation und seiner fehlenden Sachkompetenz zur gesetzestreuen Gewaltanwendung, sondern maßgeblich auf der Interessenkollision, der der Gläubiger in seiner Doppelfunktion als Anspruchsinhaber und Vollstreckungsorgan ausgesetzt wäre. Dieser zugleich mit dem Verbot der Selbsthilfe sanktionierte Interessenkonflikt tritt in gleicher Form in der Verwaltungsvollstreckung auf.535 Die öffentliche Selbstvollstreckung ist daher ebenso wie die private Selbsthilfe zu missbilligen. Will man dem Verbot der Selbsthilfe in vollem Umfang Genüge tun, so ist eine Trennung der Personalunion von Gläubiger und Vollstreckungsorgan unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs unausweichlich. Das für die Vollstreckung typische Dreiecksverhältnis Gläubiger – Vollstreckungsorgan – Schuldner lässt sich aufgrund der bereits aufgezeigten Interessengegensätze nicht auf ein Zwei-Personen-Verhältnis reduzieren. Das Vollstreckungsorgan muss eine neutrale Position zwischen Gläubiger und Schuldner einnehmen können. Es stimmt schon bedenklich genug, dass das Vollstreckungsorgan sowohl über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme zu entscheiden hat als auch diese unmittelbar umzusetzen hat.536 Verfassungsrechtlich artikulieren sich die zuvor geäußerten Bedenken dahingehend, dass sich das in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerte staatliche Gewaltmonopol nicht auf die staatliche Instanz als solche beschränkt, sondern gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG seinerseits dem Prinzip der Gewaltenteilung unterliegt. Dieses Prinzip ist unstreitig verletzt, soweit der Fiskus als Gläubiger zugleich
534
S.o. § 2 II. Gaul, JZ 1979, 496 (510 f.), führt hierzu treffend aus: „Wer die Zwangsvollstreckung allein auf der primitiven Entwicklungsstufe der Überwindung der Selbsthilfe begreift, wird daran vielleicht keinen Anstoß nehmen, weil es ja immerhin der Staat ist, der in der Gläubigerrolle vollstreckt. Wer indessen in der heute gebotenen Weise die Zwangsvollstreckung als Rechtsschutzaufgabe begreift, wird sich bei diesem Zustand nicht beruhigen.“ 536 Diese Interessenkollision, die auch bei der Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche auftritt, lässt sich nicht vermeiden, wenn man nicht die Effektivität der Vollstreckung in Frage stellen will. Denn die Entscheidung um die konkret zu treffende Vollstreckungsmaßnahme fällt in der Regel mit deren Durchführung zeitlich zusammen. Eine organisatorische Aufgabentrennung wäre daher kaum zu gewährleisten. 535
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über Rechtsbehelfe des Schuldners entscheiden soll.537 Dieses Privileg, dass die Abgabenordnung den Finanzbehörden gewährt, verstößt gegen das Prinzip der Teilung von Exekutive und Judikative.538 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dem Prinzip der Gewaltenteilung der Gedanke innewohnt, die Wahrnehmung widerstreitender Interessen durch ein und dieselbe Stelle zu verhindern.539 Dieser Gedanke lässt sich mit dem Begriff der Besorgnis der Befangenheit umschreiben, der sich in sämtlichen Verfahrensordnungen und Prozessordnungen wiederfindet.540 Im Falle der Selbstbefassung des zuständigen staatlichen Organs soll dieses durch einen neutralen Vertreter ersetzt werden.541 Damit ist just die Situation der staatlichen Selbstvollstreckung angesprochen. Die Verwaltungsbehörde wäre an sich aufgrund der Selbstbefassung verpflichtet, im Wege der Amtshilfe eine andere staatliche Stelle um die Durchführung der Vollstreckung zu ersuchen, wenn das Gesetz diesen Zustand nicht gerade bezwecken würde. Aus dieser Bredouille vermag allein der Gesetzgeber die Verwaltung zu befreien, weshalb der Ruf nach einer Beseitigung dieses Missstandes542 durchaus berechtigt ist. Sinn und Zweck der staatlichen Vollstreckung vermögen unter dem Blickwinkel der verbotenen Selbsthilfe auch die übrigen Privilegien des Fiskus kaum zu rechtfertigen. Diese Privilegien könnten allenfalls daran anknüpfen, dass der Fiskus im Gegensatz zu einem privaten Gläubiger dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unterliegt.543 Dies mag im Vorfeld der Vollstreckung die Existenz des Verwaltungsaktes als Titelersatz rechtfertigen, nicht aber die Bevorzugung innerhalb der Vollstreckung, da der Ablauf des Vollstreckungsverfahrens gerade der Disposition des Gläubigers entzogen ist.544 Die Rechtfertigung der zuvor beschriebenen Privilegien des Fiskus mit derart sachfremden Erwägungen müsste zwangsläufig gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Einige der beschriebenen Missstände könnten dadurch beseitigt werden, dass die bislang benachteiligten privaten Gläubiger an effektiveren Vollstreckungsregelungen partizipieren. Der Staat ist gehalten, seinen Eingriff in den Schutzbereich des Gläubigergrundrechts aus Art. 14 GG durch effektive Vollstreckungsregeln zu kompensieren.545 Daran scheint es im achten Buch der Zivilprozessordnung 537 In dieselbe Richtung gehen die Äußerungen von Zeiss, JZ 1974, 564 (567); Gaul, JZ 1979, 496 (502), und Behr, Rpfleger 1981, 417 (421): „Es erscheint unter diesem Gesichtspunkt unerträglich, wenn beispielsweise das Finanzamt in der Doppelrolle als Gläubiger und Vollstrecker, sich selbst die Erlaubnis zur Vollstreckung zur Nachtzeit erteilt (§ 289 AO), über Vollstreckungsschutz befindet (§ 258 AO), oder über die Einwendung gegen den selbsterlassenen Haftbefehl entscheidet (§ 284 AO).“ 538 Ebenso Gaul, JZ 1979, 496 (502); Behr, Rpfleger. 1981, 417 (421), und Zeiss, JZ 1974, 564 (567). 539 Ebenso kritisch zu der Doppelrolle der Verwaltung als Gläubiger und Vollstrecker Gaul, JZ 1979, 496 (502). 540 S. nur § 20 VwVfG, §§ 42 ff. ZPO. 541 Den Aspekt der neutralen Entscheidung betont auch Zeiss, JZ 1974, 564 (568). 542 So vehement Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). 543 Ausführlich dazu Maurer, § 6. 544 S.o. § 8 III 3 und V 5. 545 S.o. § 8 II 2 bis 4.
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angesichts der derzeitigen Privilegien des Staates in der Verwaltungsvollstreckung zu mangeln.546 Die derzeitigen Privilegien des Fiskus sind daher Ausdruck einer bedenklichen Tendenz zur Vernachlässigung der privaten Zwangsvollstrekkung.547 2. Rechtfertigung aufgrund der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur? Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass die bestehenden staatlichen Privilegien in der Verwaltungsvollstreckung nicht zu rechtfertigen sind. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob nicht umgekehrt an anderer Stelle der Vollstreckung eine Differenzierung geboten wäre, die bislang nicht vorgenommen wird. Diese Frage knüpft an die identische Rechtsnatur der Vollstreckung und des zugrunde liegenden Anspruchs in der Verwaltungsvollstreckung an. a) Entbehrlichkeit der Formalisierung in der Verwaltungsvollstreckung? Vor dem Hintergrund des entwickelten Prinzipienmodells in der Zwangsvollstreckung stellt sich die Frage, ob nicht angesichts der identischen Rechtsnatur von Vollstreckung und beizutreibendem Anspruch die Verwaltungsvollstrekkung eine Formalisierung überflüssig macht. Genügt nicht eine Überleitung der Vollstreckung an eine neutrale Vollstreckungsbehörde, die aufgrund ihrer Sachkompetenz auch materiell-rechtliche Streitfragen des öffentlichen Rechts berücksichtigen kann, den Anforderungen einer modernen Verwaltungsvollstrekkung? Eine Schnittstellenbildung im Wege der Formalisierung der Vollstreckung wäre dann entbehrlich. aa) Die Unabhängigkeit von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs Die Frage der Qualifikation des Vollstreckungsorgans zur Prüfung materiellrechtlicher Fragen ist entgegen einer weit verbreiteten Ansicht nicht Gegenstand der Formalisierung.548 Dem Vollstreckungsorgan fehlen allein die Mittel zur wechselseitigen Anhörung und Sachverhaltsaufklärung. Damit ist der Gedanke der Effektivität der Vollstreckung ebenso angesprochen wie der Umstand der Gewaltenteilung, der der Rechtsprechung die Entscheidung von juristischen Streitfragen vorbehält, mag es nun eine zivil- oder verwaltungsrechtliche Streitfrage sein. Dass der Zwangsvollstreckung ein öffentlich-rechtlicher Anspruch zugrunde liegt, ändert demzufolge nichts an dem Umstand, dass es sich bei dem Vollstreckungsorgan um ein Glied der Exekutive, nicht etwa der Judikative, han546 Die bestehenden Probleme in der Vollstreckung beruhen nicht etwa auf der personellen Struktur, sondern auf objektiven Missständen der gesetzlichen Regelung. Hier kann die Verwaltungsvollstreckung der Zwangsvollstreckung wertvolle Impulse geben. Die anhand der Abgabenordnung angesprochenen Aspekte der forcierten Sachaufklärung und des verkürzten Rechtsschutzes sind bereits angesprochen worden (zur Sachaufklärung s.o. § 8 IV) oder werden noch an späterer Stelle thematisiert (zum Rechtsschutz s.u. im sechsten Teil unter §§ 24 ff.). 547 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 III. 548 S.o. § 5 IX.
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delt. Demzufolge behält das Prinzip der Formalisierung unabhängig von der Rechtsnatur des beizutreibenden Anspruchs seine Gültigkeit. Gilt das Prinzip der Formalisierung auch im Bereich der Verwaltungsvollstreckung, so stellt sich abschließend das Problem, ob das Verständnismodell der Formalisierung auch in seiner konkreten Ausgestaltung unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs ist. Die bisherige Untersuchung konzentrierte sich allein auf den der Zivilprozessordnung zugrunde liegenden Gedanken, dass es sich um die Vollstreckung eines privatrechtlichen Anspruchs des Gläubigers handelt. Demzufolge ist auch des öfteren der Unterschied zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat und dem sich an den Prinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuchs orientierenden Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner betont worden.549 Dieser Unterschied ist aber in der Verwaltungsvollstreckung nicht mehr gegeben, so dass man das Formalisierungsmodell unter diesem Aspekt in Frage stellen könnte. In der Tat haben die bisherigen Ausführungen sich allein auf die Vollstreckung privatrechtlicher Ansprüche konzentriert. Diese Anknüpfung entspricht aber allein den historischen Bedingtheiten und der geltenden Gesetzeslage. Sie besagt hingegen nichts über die mangelnde Funktionsfähigkeit des Formalisierungsmodells im Bereich der Verwaltungsvollstreckung, zumal dieses Modell bislang ohne Probleme von der Verwaltungsvollstreckung adaptiert worden ist. Und so ist gerade das Gegenteil der Fall. Die bisherigen Überlegungen belegen die Unabhängigkeit der Vollstreckung von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs. Etwaige zivilrechtliche Prinzipien haben nämlich bei der bisherigen Bewertung und Aufgabenbeschreibung der Vollstreckung keine Rolle gespielt. Die Formalisierung verhindert im Gegenteil, dass die Prinzipien aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner in die Vollstrekkung kolportiert werden. Die Klärung der sich in diesem Verhältnis stellenden materiell-rechtlichen Streitfragen bleibt unverändert den zuständigen Gerichten vorbehalten. Zudem könnte das Vollstreckungsorgan die sich aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis ergebenden Prinzipien überhaupt nicht berücksichtigen, da diese dem Vollstreckungstitel kaum zu entnehmen sind. Allein die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts besagt noch nicht, dass die Parteien nicht in einem (Mehr-)Vergleich einen zivilrechtlichen Anspruch abgegolten haben, der nunmehr vollstreckt wird.550 bb) Verifizierung anhand des dreistufigen Formalisierungsmodells Die bisherigen Überlegungen lassen sich abschließend anhand des dreistufigen Formalisierungsmodells untermauern. Vorrangig sind danach im Rahmen materiell-rechtlicher Streitfragen freiwillige übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten zu berücksichtigen. Diese auf die Privatautonomie zurückgreifende 549 550
S.o. §§ 2 bis 4. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 I 1.
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Stufe gilt unverändert im öffentlichen Recht. Zwar gilt hier der Amtsermittlungsgrundsatz. Eine derartige Amtsermittlung führt jedoch weder die Verwaltungsbehörde noch das Verwaltungsgericht durch, wenn der Sachverhalt einvernehmlich vorgetragen wird. Es bestehen dann keinerlei Anhaltspunkte für eine Amtsermittlung.551 Auf der zweiten Stufe der Formalisierung bleibt die verbindliche Entscheidung von Streitfragen den Gerichten vorbehalten. Hier ändert sich allein die Zuständigkeit in der Form, dass nicht mehr die Zivilgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte tätig werden müssen. Was die Vermutungstatbestände auf der dritten Stufe der Formalisierung anbelangt, die den Vollstreckungsorganen eine rasche Vorabentscheidung ermöglichen sollen, stellt sich die Frage nach abweichenden Vermutungs- und Beweisregeln im öffentlichen Recht. Diesbezüglich ist die Titelersatzfunktion des Verwaltungsaktes im Vorfeld der Vollstreckung zu berücksichtigen. Diese steht dem Formalisierungsmodell aber gerade nicht im Wege, sondern fügt sich lükkenlos hierin ein.552 Im Übrigen könnten die teilweise gegenläufigen Prinzipien aus dem privaten und dem öffentlichen Recht einem einheitlichen Formalisierungsmodell im Wege stehen. Diese Unterschiede haben bislang aber nicht zu einer Verschiebung der Vermutungs- und Beweisregeln geführt. Der Untersuchungsgrundsatz im öffentlichen Recht bedingt allein eine terminologische Verschiebung von der subjektiv geprägten zivilistischen Beweislast in Form der Beweisführungspflicht hin zu der objektiven Feststellungslast in Form der Unerweislichkeit.553 Für die Betroffenen ändert dies nichts an der Gültigkeit der allgemeinen Beweisregeln. Berührt wird lediglich die Frage, wer den Sachverhalt aufzuklären hat. Ist diese Aufklärung auch nicht im Wege des Untersuchungsgrundsatzes durch staatliche Mithilfe möglich, so kommen die zivilrechtlich entwickelten Beweisregeln auch im Verwaltungsverfahren bzw. im Verwaltungsprozess zur Anwendung. Es gilt hier unverändert der Grundsatz, dass jeder die Feststellungslast für den Eintritt der ihm günstigen Tatsache zu tragen hat. Abweichungen mögen sich daher allenfalls im Bereich der Anscheins- und Vermutungstatbestände ergeben, die sich naturgemäß an den Eigenarten der jeweiligen Regelungsmaterie orientieren. Die Unabhängigkeit der Vermutungstatbestände von den zugrunde liegenden Verfahrensmaximen wird durch folgende Überlegung bestätigt: Die Verfahrensmaximen haben im Wesentlichen Fragen der Sachverhaltsaufklärung zum Gegenstand. Diese Sachverhaltsaufklärung ist aufgrund der Eilbedürftigkeit in der Zwangsvollstreckung gerade nicht möglich. Die aus diesem Grunde geschaffenen
551 Zum Verhältnis zwischen der Verhandlungsmaxime und dem Amtsermittlungsgrundsatz s. schon oben unter § 8 IV 3. Die Verhandlungsmaxime ist kein aliud, sondern lediglich ein minus. 552 S.o. II 2 a. Umgekehrt wird sich später zeigen, dass den in § 794 ZPO aufgeführten Vollstreckungstiteln ihrerseits ein vollstreckbarer Grundverwaltungsakt zugrunde liegt, s.u. § 11 IV 3, V 2, VI und VII 2. 553 S. dazu nur Kopp/Schenke, § 86, Rdnrn. 14 ff.; § 108, Rdnrn. 11 ff.
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Vermutungstatbestände können daher durch abweichende Verfahrensmaximen nicht beeinflusst werden.554 Abschließend bestätigt sich die These, dass die Vollstreckung unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs erfolgt und auch erfolgen muss, da eine materiell-rechtlich verbindliche Streitentscheidung, sei sie zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur, nicht in dem Verwaltungsvollstrekkungsverfahren getroffen werden kann. Das Prinzip der Formalisierung beansprucht daher unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs Geltung. Ein Rückgriff auf materiell-rechtliche Prinzipien aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis wird bewusst vermieden. b) Abweichender Prinzipienkatalog in Anbetracht der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs? Beansprucht der Grundsatz der Formalisierung auch in der Verwaltungsvollstreckung Geltung, so stellt sich abschließend die Frage, ob nicht die entwickelten Prinzipienkataloge angesichts der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs in der Verwaltungsvollstreckung zu modifizieren sind. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es keinen einheitlichen Kanon von Prinzipien der Zwangsvollstreckung gibt, sondern dass vielmehr unter Beachtung des ambivalenten Charakters des Vollstreckungsrechts in Abhängigkeit von den jeweiligen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung an bekannte Prinzipienkataloge des öffentlichen und privaten Rechts angeknüpft werden kann. Im Bereich der materiell-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen hat sich gezeigt, dass die Prinzipien des öffentlichen Rechts problemlos auf das Vollstrekkungsrecht zu übertragen sind.555 Dies gilt dann erst recht vor dem Hintergrund öffentlich-rechtlicher Ansprüche, die zu vollstrecken sind. Entsprechendes gilt für die Prinzipien des Verwaltungsverfahrensrechts, die sich in der Zwangsvollstreckung ebenfalls als sachgerecht erwiesen haben, auch soweit es um die Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche geht.556 Bedenken könnten sich im Bereich der Verwaltungsvollstreckung nur hinsichtlich der Anwendung der Dispositionsmaxime ergeben. Denn die Beitreibung öffentlich-rechtlicher Ansprüche unterliegt nicht etwa der freien Disposition des Anspruchsinhabers. Die Verwaltungsträger sind vielmehr aufgrund ihrer Gesetzesbindung zur Beitreibung verpflichtet. Dieser vermeintliche Widerspruch ließe sich bereits anhand der Regelung des § 22 VwVfG auflösen, die bei der Abgrenzung zwischen Offizialund Dispositionsmaxime bewusst danach differenziert, ob die Behörde von
554 Wollte man eine gegenteilige Ansicht vertreten, so wären die Vermutungstatbestände in der Verwaltungsvollstreckung ggf. zu modifizieren. Selbst dann bedürfte es aber keines gesonderten Vollstreckungsverfahrens. 555 S.o. § 7. 556 S.o. § 8.
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Amts wegen tätig werden muss.557 Dass für die Vollstreckungsbehörde selbst jedoch auch im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung die Dispositionsmaxime gelten muss, wird klar, wenn man die bereits geäußerten Bedenken an dem Prinzip der Selbstvollstreckung in der Verwaltung in Rechnung stellt. Diese Bedenken lassen sich nur dadurch auflösen, dass die Personalunion von Anspruchssteller und Vollstreckungsorgan aufgegeben und die Aufgabe der Vollstreckung einer gesonderten Vollstreckungsbehörde übertragen wird. Mit dieser Aufteilung sind zugleich die vermeintlichen Widersprüche bei der Anwendung der Dispositionsmaxime beseitigt. Denn das Vollstreckungsorgan unterliegt dann auch im Bereich der Verwaltungsvollstreckung dem Erfordernis eines Vollstreckungsantrages der anspruchsstellenden Verwaltungsbehörde, die ihrerseits zur Antragstellung verpflichtet ist. Als letzter Bereich im Rahmen der Prinzipienbildung sind die formalisierten materiell-rechtlichen Voraussetzungen und die gesamten Rechtsfolgen der Vollstreckung zu beachten. Hier hat sich eine Rückbeziehung auf die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs als notwendig erwiesen, da die öffentlich-rechtliche Komponente der Vollstreckung lediglich im Bereich der staatlichen Gewaltanwendung zum Tragen kommt. Da insoweit bislang von der Vollstreckung eines zivilrechtlichen Anspruchs ausgegangen worden ist, sind die zivilrechtlichen Prinzipien uneingeschränkt zur Anwendung gekommen.558 Dies gilt insbesondere für den Bereich der Drittbeteiligung und die Überlegungen zum Pfändungspfandrecht als Rechtsfolge der Vollstreckung. Würden in diesem Bereich bei einem öffentlich-rechtlichen Anspruch abweichende Prinzipien gelten, so wäre diesbezüglich eine Differenzierung zwischen der Verwaltungsvollstreckung und der Zwangsvollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche gerechtfertigt und sachlich geboten. Das öffentliche Recht kennt aber für den hier maßgeblichen Bereich des materiellen Rechts keine vom Zivilrecht abweichenden Sonderregelungen. Dies gilt für den Bereich der Abwicklung von Dreiecksverhältnissen ebenso wie für den Bereich der Erfüllungslehre. Soweit hingegen das öffentlichen Recht im Bereich des Pfändungspfandrechts abweichende Lösungsmodelle entwickelt hat, sind diese bereits in Form der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorien in das zivile Vollstreckungsrecht kolportiert worden. Hier könnte es Ansatzpunkte für eine Differenzierung zwischen der Verwaltungsvollstreckung und der Vollstrekkung zivilrechtlicher Ansprüche geben, die aber nicht vorgenommen wird. Der Meinungsstreit wird vielmehr unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstrekkenden Anspruchs geführt, was im Ergebnis auch durchaus zutreffend ist, wie sich noch zeigen wird.559 557 Zu der Bedeutung des § 22 VwVfG im Zusammenhang mit der Dispositionsmaxime, namentlich auch bei der Verwaltungsvollstreckung, s. bereits oben unter § 8 III 3 und 4 sowie § 8 V 5. 558 S.o. § 9. 559 Verwunderlich ist nur, dass die sonstigen Bedenken gegen eine öffentlich-rechtliche Bewertung der Zwangsvollstreckung an dieser Stelle nicht zum Tragen kommen, obwohl sie gerade allein hier berechtigt wären. Dies wird noch Gegenstand späterer Überlegungen sein, die für eine Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie sprechen, s.u. § 17.
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3. Ergebnis Es ist zu konstatieren, dass für eine Differenzierung zwischen der Verwaltungsvollstreckung und der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung keine Veranlassung besteht. Besonderheiten ergeben sich allein im Vorfeld der Vollstreckung aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dieser rechtfertigt es, den Kanon der Vollstreckungstitel um den Verwaltungsakt zu erweitern, den die anspruchsstellende Behörde selbst erlassen darf. Diese Ergänzung fügt sich lückenlos in das Formalisierungsmodell ein, welches mit Rücksicht auf die staatliche Gewaltenteilung das Vollstreckungsverfahren unabhängig von der Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs macht. Innerhalb der Vollstreckung bleibt daher für eine Privilegierung des Fiskus kein Raum. Die entgegenstehenden Regelungen zur Verwaltungsvollstrekkung erweisen sich vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes als äußerst bedenklich. Eine Harmonisierung tut daher Not.
IV. Europäische Modelle einer einheitlichen Vollstreckung Das System der schweizerischen Schuldbetreibung durch ein zentrales öffentliches Betreibungsamt, das sowohl für die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher wie privatrechtlicher Ansprüche zuständig ist, kann vor dem Hintergrund der vorstehenden Überlegungen nur als Vorbild für ein zukünftiges deutsches oder auch europäisches Vollstreckungsmodell verstanden werden.560 Dies gilt umso mehr, als es die klar formulierte Absicht des schweizerischen Gesetzgebers war, mit der Institutionalisierung eines allzuständigen Betreibungsamtes dem Staat für die Verwirklichung seiner vermögensrechtlichen Ansprüche jede Privilegierung gegenüber den privaten Gläubigern zu versagen.561 Auch in Frankreich wurde im Rahmen der im Jahre 1992 durchgeführten Vollstreckungsreform der Gedanke verfolgt, Staat und Privatpersonen in ihrer Gläubigerstellung auf die gleiche Ebene zu stellen. Dies betrifft sowohl die Mittel zur recherche des informations (Sachverhaltsaufklärung), die allen Gläubigern gleichermaßen zur Verfügung stehen,562 als auch die unterschiedlichen Vollstrekkungstitel, die einheitlich in L.Art. 3 aufgeführt sind. Unter Ziffer 1 der Regelung fallen jegliche Entscheidungen sämtlicher Gerichtszweige, d.h. unabhängig von der Art der Entscheidung und ihrer besonderen Ausgestaltung.563 Ziffer 6 von L.Art. 3 erfasst ferner alle Titel, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausgestellt sind, sowie Entscheidungen, denen das Gesetz die Wirkung
560 561 562 563
Darauf weisen Zeiss, JZ 1974, 564 (567), und Gaul, JZ 1979, 496 (510), zutreffend hin. So Zeiss, JZ 1974, 564 (567 m.w.N.). Traichel, S. 86 m.w.N. Näher dazu Traichel, S. 15 f.
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von Urteilen zuerkennt. In der weiteren Folge sind die Vollstreckung und die Verwaltungsvollstreckung miteinander vereint.564 Demgegenüber erinnert das deutsche Modell einer Verwaltungsvollstreckung an den alten Obrigkeitsstaat, in dem der Gläubiger zugleich als Vollstrecker auftritt.565 Der Ruf nach einer Rechtsvereinheitlichung ist daher schon vor längerer Zeit in der Literatur erschollen.566 Dieser Ruf bezieht auch die Justiz ein. Sie ist aufgefordert, vor ihrer eigenen Tür zu kehren, da nicht einmal innerhalb der Justiz die Beitreibung von Geldforderungen einheitlich erfolgt.567 Zugleich erstreckt sich die Forderung nach einer Rechtsvereinheitlichung nicht nur auf das gerichtliche Vollstreckungssystem, sondern auch auf die Vollstreckung der behördlichen Verwaltungsakte.568 Das zersplitterte Vollstreckungswesen der öffentlichen Hand ist dringend reformbedürftig; der derzeitige Zustand ist untragbar.569 Trotzdem ist der Ruf nach einer Reform an Rumpf und Gliedern bislang ohne Echo verhallt. Das ist insoweit unverständlich, als keine ernsthaften Argumente gegen derartige Bestrebungen in der Literatur vorgebracht werden. Die kritische Analyse des bestehenden Systems spiegelt im Gegenteil die Vorteile einer einheitlichen Vollstreckung wider. Es treten keinerlei Abgrenzungsprobleme mehr auf, in sämtlichen Zweigen der Vollstreckung wird ein neutrales Vollstrekkungsorgan tätig,570 das Gegeneinander einer Vielzahl von Vollstreckungsorganen wird vermieden,571 es gibt ein einheitliches Rechtsschutzsystem572 und es ist eine einheitliche Rechtsprechung zu erwarten.573 Schließlich spricht auch die bessere fachliche Qualifikation des Gerichtsvollziehers für eine Konzentration auf dieses Vollstreckungsorgan,574 zumal sich die Verwaltung seiner schon heute in
564 Traichel, S. 19, spricht von einer Vermengung, die dem deutschen Recht unbekannt ist. Die eigentliche Gemengelage dürfte aber in dem Dschungel des deutschen „Systems“ der Verwaltungsvollstreckung zu suchen sein, das jegliche Ordnung vermissen lässt. 565 So im Anschluss an Zeiss, JZ 1974, 564 (567), auch Gaul, JZ 1979, 496 (510). 566 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken; § 4 II 2 g. 567 So Kern, ZZP 1967, 325 (339). 568 So insbesondere Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). 569 So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 4 IV. 570 Mager, DRiZ 1960, 53 (53 f.). 571 Gaul, JZ 1979, 496 (511); Mager, DRiZ 1960, 53 (53 f.). 572 Diesen Aspekt betont Behr, Rpfleger 1981, 417 (421). 573 Gaul, JZ 1979, 496 (511). 574 Nachdrücklich dafür plädiert Kern, ZZP 1967, 325 (344): „Die Beautragung des Gerichtsvollziehers hätte folgende Vorzüge: 1. Bei der Justiz ist der Rechtsstaatsgedanke am besten gewahrt. 2. Der Gerichtsvollzieher hat die gründlichste Vorbildung. Der Gerichtsvollzieher besitzt eine umfassende Gesetzeskenntnis und große Lebenserfahrung. 3. Der Gerichtsvollzieher genießt im Volk großen Respekt. Er besitzt Bezirks- und Personenkenntnis. Die Institution des Gerichtsvollziehers ist im Bewusstsein des Volks fest verankert. Schon sein Erscheinen übt auf die meisten Schuldner eine große Wirkung aus. 4. Das Nebeneinander gleichartiger Vollstreckungen wird vermieden. 5. Die Vielzahl der Beitreibungsordnungen könnte durch eine einheitliche Vollzugsordnung ersetzt werden. 6. Die Versteigerungen könnten durch Zusammenlegung rationeller und damit ergiebiger betrieben werden.“ Ebenso im Ergebnis Zeiss, JZ 1974, 564 (567 f.), und Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (40).
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weitem Ausmaß bedient.575 Zuletzt wäre eine einheitliche Zwangsvollstreckung bedeutend kostengünstiger.576 All diese Vorteile, bei deren Beherzigung und Umsetzung die Zwangsvollstreckung aus einem Guss erfolgen könnte,577 lassen sich mit dem Begriff und Gedanken des Reduktionismus’ zusammenfassen. Gegenüber dieser drückenden Argumentationslast erscheint eine an sachlichen Argumenten orientierte Erwiderung kaum denkbar. Der Gesetzgeber sollte sich daher aus seiner Kummerhöhle herauswagen und durch eine beherzte Gesetzesnovellierung das kaum noch überschaubare Vollstreckungssystem der öffentlichen Hand mit der Vollstreckung der Zivilprozessordnung vereinheitlichen. Durch einen solchen Federstrich des Gesetzgebers würde sich eine alte und bekannte Feststellung von Julius von Kirchmann bewahrheiten: „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur.“578
575 576 577 578
So Kern, ZZP 1967, 325 (344 m.w.N.). So auch Mager, DRiZ 1960, 53 (54). So Gottschalk, DGVZ 1988, 35 (40). Von Kirchmann, S. 24 f.
Dritter Teil
Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung § 11 Das Titelerfordernis I. Vorbemerkung „Titel, Klausel, Zustellung“, diese Formel, die der in der Ausbildung befindliche Jurist im Bereich des Vollstreckungsrechts gleichsam mit der Muttermilch aufnimmt, kennzeichnet schlagwortartig die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung. Zugleich ist damit die Systematik der §§ 704 ff., 724 ff., 750 ZPO wiedergegeben. Was fehlt, ist eine Rückführung dieser nahezu mystisch anmutenden Zauberformel auf bekannte Begriffskategorien. Auf den ersten Blick scheinen die drei genannten Vollstreckungsvoraussetzungen die Brücke zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu bilden.1 Diese These lässt sich aber schon durch rein kombinatorische Überlegungen widerlegen. Denn ebenso wie ein Erkenntnisverfahren ohne Vollstreckungsverfahren denkbar ist, gibt es auch ein Vollstreckungsverfahren ohne vorangehendes Erkenntnisverfahren.2 Man denke nur an den in § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO genannten Titel in Form der vollstreckbaren Urkunde. Diese macht ein vorheriges Erkenntnisverfahren entbehrlich, ohne dass aber die Formel „Titel, Klausel, Zustellung“ angetastet würde. Wenn man sich die Palette des § 794 ZPO vor Augen führt, wird zugleich deutlich, dass im Bereich des Titelerfordernisses offensichtlich unterschiedliche Begriffskategorien auftauchen. Eine Differenzierung scheint unausweichlich. Dabei ist das Titelerfordernis als solches nie ernsthaft in Frage gestellt worden.
II. Ausländische Modelle Das grundsätzliche Erfordernis eines Vollstreckungstitels als Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung erscheint wohl in allen europäischen Rechtsordnungen als selbstverständlich.3 So sind vereinzelte Ausnahmeregelungen in den europäischen Vollstreckungsordnungen deutlich auf dem Rückzug. Beispielsweise haben 1 Diese Brückenfunktion wird insbesondere der Klausel zugeschrieben. Dazu ausführlich unter § 12 I. 2 Im Einzelnen zu den denkbaren Kombinationen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 I 2 a – d. 3 S. dazu nur den anschaulichen Überblick bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.1 ff., über die wichtigsten ausländischen Vollstreckungsordnungen.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
die Franzosen die frühere Regelung ihres code de procédure civile, Art. 609, 610 ACPC, ersatzlos aufgehoben. Nach dieser Regelung konnten sich sogar die nicht im Besitz eines Titels befindlichen Gläubiger der Pfändung in bewegliche Sachen wie auch in Forderungen anschließen.4 Sie wurden im Rahmen der Verwertung gleichberechtigt befriedigt. Die saisie-arrêt galt sowohl für Gläubiger mit als auch für Gläubiger ohne Titel. Diese Regelung machte Sinn vor dem Hintergrund der bis dato geltenden Verlustgemeinschaft, welche quasi die Insolvenz zeitlich vorverlagerte und damit eine Einbeziehung sämtlicher Gläubiger erforderlich machte. Gem. L.Art. 50 Abs. 2 und D.Art. 118 muss nunmehr der beitretende Gläubiger im Rahmen der Mobiliarpfändung dieselben Voraussetzungen wie der betreibende Gläubiger erfüllen, sprich: insbesondere im Besitz eines Titels sein.5 Entsprechendes gilt jetzt im Bereich der Forderungspfändung, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich vor Augen führt, dass die Franzosen in diesem Bereich zwischenzeitlich zum Prioritätsprinzip umgeschwenkt sind.6 Seit der Vollstreckungsrechtsreform gilt mithin auch in Frankreich die bekannte Faustregel „Titel, Klausel, Zustellung“.7 In der Schweiz ist nach wie vor das Einleitungsverfahren der Betreibung ohne Vollstreckungstitel möglich, Art. 67 ff. SchKG.8 Der in diesem Stadium ergehende Zahlungsbefehl gleicht stark dem deutschen Mahnbescheid,9 stellt mithin eher einen Akt des Erkenntnisverfahrens denn des Vollstreckungsverfahrens dar. Sofern sich daher der Schuldner durch Rechtsvorschlag zur Wehr setzt, muss der Gläubiger ohne Titel Klage erheben, um einen Titel zu erstreiten, Art. 79 SchKG. In Italien ist wegen des Grundsatzes der Verlustgemeinschaft zwar auch Gläubigern ohne Vollstreckungstitel der Beitritt eröffnet, jedoch wird peinlich genau darauf geachtet, dass diese Gläubiger keine Möglichkeit haben, die Einzelzwangsvollstreckung (fort-)zu betreiben.10
III. Zweck des Titelerfordernisses Die ratio des Titelerfordernisses scheint derart selbstverständlich zu sein, dass sie zumeist gar nicht erst artikuliert wird.11 Die empfindlichen Auswirkungen der Zwangsvollstreckung für den betroffenen Schuldner liegen auf der Hand, so dass ein derartig schwerwiegender Grundrechtseingriff nach einer besonderen Legiti4
Näher dazu Traichel, S. 12 f. Daneben ist auch die Zustellung einer gesonderten Zahlungsaufforderung erforderlich. Zu dieser unnötigen und für den Gläubiger verhängnisvollen Förmelei s. bereits oben unter § 8 VI 1. 6 S. dazu bereits oben unter § 9 IV 2 a dd. 7 Traichel, S. 13. 8 Näher dazu bei der Untersuchung des Klauselverfahrens unter § 12 II 3. 9 Ebenso in ihrer Bewertung Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.130. 10 Näher zur italienischen Vollstreckung Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.57 ff. 11 Die Kommentierungen beschränken sich zumeist auf eine Begriffsbestimmung des Titels, s. dazu die Anmerkungen in den nachfolgenden Fn. 15 und 16. 5
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mation verlangt.12 Da das Vollstreckungsorgan als Teil der Exekutive im Rahmen der Vollstreckung den Bestand der zu vollstreckenden Forderung nicht verbindlich überprüfen kann, erfüllt der Titel als Urkunde diese Legitimationswirkung. Er soll eine blindwütige Vollstreckung auf bloßen Antrag des Gläubigers ohne weitere Prüfung verhindern.13 Das Titelerfordernis wird demzufolge auch im Ausland nur dort durchbrochen, wo die zeitliche Vorverlagerung des Insolvenzverfahrens es notwendig macht.14
IV. Gesetzlicher Ausgangsfall: Das Urteil als Titel Auch wenn Sinn und Zweck des Titelerfordernisses unumstritten und kaum Gegenstand eigener Erörterungen sind, erscheint der Kanon der Vollstreckungstitel eher nebulös und einer dogmatischen Aufarbeitung nicht zugänglich zu sein.15 Zu unterschiedlich sind die in § 794 ZPO genannten Titel, als dass eine abstrakte Definition möglich erscheint.16 Es ist daher zunächst eine differenzierte Betrachtung von Nöten, bevor eine Abstrahierung versucht werden soll. 1. Einordnung des rechtskräftigen Urteils im Formalisierungsmodell Das rechtskräftige Urteil stellt den gesetzlichen Prototyp eines Vollstreckungstitels dar.17 Demzufolge orientieren sich die Vorschriften der §§ 704 ff. ZPO am Urteil. Erst die Regelungen der §§ 794 ff. ZPO treffen Modifizierungen hinsichtlich der sonstigen Vollstreckungstitel. Das achte Buch der Zivilprozessordnung schließt damit direkt an die vorangehenden Bücher zum Erkenntnisverfahren an. Zugleich erschließt sich der Titel in Form des Urteils als bloße Formalisierung des Merkmals „Bestand der zu vollstreckenden Forderung“.18 Vor dem Hintergrund des dreistufigen Formalisierungsmodells bietet sich eine weitere Konkre12 Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich die geläufigen Definitionen der Zwangsvollstreckung (s. nachfolgend Fn. 15 und 16) bringen. 13 Später wird noch zu zeigen sein, dass sich hinter dieser oberflächlichen Umschreibung die Notwendigkeit der Beteiligung staatlicher Stellen am Erlass eines Grundverwaltungsaktes verbirgt, der seinerseits Dreh- und Angelpunkt jeglicher Vollstreckung ist. 14 S. dazu die vorstehenden Ausführungen unter II zu dem früheren Vollstreckungsmodell der saisie-arrêt in Frankreich. 15 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 I 1, definiert den Titel abstrakt als öffentliche Urkunde, die den zu verwirklichenden Anspruch oder eine Haftung als vollstreckbar ergibt. Putzo, in: Thomas/Putzo, Vor § 704, Rdnr. 14, spricht von Entscheidungen und beurkundeten Erklärungen, aus denen durch Gesetz die Zwangsvollstreckung zugelassen ist. 16 Die verschiedenartigen Facetten der Vollstreckungstitel kommen namentlich in der von Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 18, benutzten Definition zum Ausdruck: „Das ist eine gesetzlich vorgesehene Entscheidung oder öffentlich beurkundete Erklärung/Einigung, die einen Anspruch auf Leistung oder die Haftung für einen solchen feststellt oder bezeichnet und vom Gesetz mit der Wirkung der Vollstreckbarkeit ausgestattet ist.“ 17 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 704, Rdnr. 1, spricht vom Grundtypus. 18 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 IV 1, stellt daher fest: „Grundlage der Zwangsvollstreckung ist der in eine öffentliche Urkunde gekleidete Vollstreckungstitel, nicht der zu verwirklichende materielle Anspruch.“
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tisierung an. Das rechtskräftige Urteil ist der zweiten Stufe der Formalisierung zuzuordnen, die die gerichtliche Feststellung zivilrechtlicher Tatbestandsmerkmale zum Gegenstand hat, auf deren Bestand es in der Vollstreckung ankommt. Das Urteil als Vollstreckungstitel steht damit auf einer Ebene und in bester Gesellschaft mit anderen gerichtlichen Urteilen zu zivilrechtlich relevanten Streitfragen in der Vollstreckung. Der einzige Unterschied besteht darin, dass hinsichtlich des Merkmals „Bestand der zu vollstreckenden Forderung“ eine Vollstreckung im Vorfeld nahezu ausgeschlossen ist. Eine rein privatrechtliche Einigung auf der ersten Stufe genügt nicht, um mit der Vollstreckung beginnen zu können. Auch bloße Vermutungstatbestände scheinen nicht ausreichend zu sein. Angesichts der Schärfe des Vollstreckungszugriffs verlangt das Gesetz im Vorfeld die gerichtliche Feststellung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung. Dagegen lässt es beispielsweise für Fragen des Schuldnereigentums, die nur im Rahmen einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme Bedeutung erlangen können, übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten oder den Vermutungstatbestand des § 808 ZPO genügen. Die vorstehenden Überlegungen erlauben es also, den Vollstreckungstitel anhand der dreistufigen Unterteilung innerhalb des Formalisierungsmodells zu entmystifizieren und ihn auf eine Ebene mit den sonstigen gerichtlichen Urteilen in der Zwangsvollstreckung zu stellen. 2. Vorläufige Vollstreckbarkeit und einstweiliger Rechtsschutz Das Formalisierungsmodell ermöglicht die Integration von zwei Rechtsgebieten, die bislang ein Eigenleben in der Vollstreckung führen. Es handelt sich um die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zum einstweiligen Rechtsschutz. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese Rechtsfiguren als Vermutungstatbestände für den Bestand der zu vollstreckenden Forderung. Es zeigt sich, dass ein uneingeschränkt geltendes Titelerfordernis zu Härten führt. Diese machen es unausweichlich, in gewissem Umfang Vermutungstatbestände zuzulassen, die allein die Effektivität der Zwangsvollstreckung gewährleisten können. a) Die ausgeklügelten Vermutungsregeln zur vorläufigen Vollstreckbarkeit Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stellen eine Eigenart des deutschen Vollstreckungsrechts dar. Vergleichbare Regelungen gibt es beispielsweise in der schweizerischen Betreibungsordnung nicht. Die Vorschriften setzen die Rechtskraft des Titels voraus.19 Auch in Frankreich gibt es nur vereinzelte Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit, von denen nur wenig Gebrauch gemacht wird.20 Zur vorläufigen Sicherung bleibt dem Gläubiger in diesen Ländern 19
Burghardt, DGVZ 1977, 177 (179). Gemäß L.Art. 31 ist eine vorläufige Vollstreckung ausschließlich auf Anordnung des Gerichts oder aus gesetzlich für vorläufig vollstreckbar erklärten Titeln zulässig. Die Crux dieser Regelung liegt darin begründet, dass die Urteile in der Regel erst in der Berufungsinstanz und dann auch nur auf gesonderten Antrag für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. Es fehlt ein den §§ 708 ff. 20
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zumeist nur der Weg des einstweiligen Rechtsschutzes. Dieser Weg scheint aber vermeidbar, wenn ein erstinstanzliches Urteil in der Welt ist. Die Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO lohnen daher eine nähere Betrachtung. Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bezwecken vordergründig, den Gläubiger vor einer möglichen Insolvenz des Schuldners zu schützen, indem dem Gläubiger schon vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils die Vollstreckung ermöglicht wird.21 Die Schuldnerinteressen bleiben indes nicht unberücksichtigt. Sie finden auf doppelte Weise ihre angemessene Berücksichtigung. Materiellrechtlich gewährt die Vorschrift des § 717 Abs. 2 ZPO dem Schuldner einen vom Verschulden des Gläubigers unabhängigen Schadensersatzanspruch, aufschiebend bedingt durch die spätere Aufhebung des Urteils.22 Der Schadensersatzanspruch ist sodann vollstreckungsrechtlich dadurch abgesichert, dass der Gläubiger die vorläufige Vollstreckung grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung betreiben darf.23 Der Schuldner wird dadurch seinerseits vor dem Insolvenzrisiko des Gläubigers abgesichert. Allein in den Fällen des § 708 ZPO befreit der Gesetzgeber den Gläubiger von der Verpflichtung zur Stellung einer Sicherheitsleistung. Dem Schuldner bleibt es hier seinerseits unbenommen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, § 711 ZPO. Die Regelungen der §§ 708 ff. ZPO enthalten damit ein ausgeklügeltes System wechselseitiger Absicherungen im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner.24 Wie verhält sich nun dieses System zu dem Grundsatz der Formalisierung? Bislang sind die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht in Zusammenhang mit dem Formalisierungsgedanken gebracht worden; die Vorschriften harren einer dogmatischen Aufarbeitung. Die Nähe zur Formalisierung wird deutlich, wenn man die Regelungen der §§ 708, 709 ZPO zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ohne und mit Sicherheitsleistung einander gegenüber stellt. Es wird dann augenscheinlich, dass die in § 708 ZPO genannten Fälle durch eine weitaus höhere Wahrscheinlichkeit geprägt sind, dass das Urteil nicht aufgehoben wird. Dies ist namentlich für die Regelung des § 708 Nr. 10 ZPO ein wesentlicher Motivgrund.25 Die Regelung hat die zweitinstanzlichen Urteile der Oberlandesgerichte zum Gegenstand. Aufgrund der zweitinstanzlichen Befassung erscheint es ZPO vergleichbares ausgeklügeltes System wechselseitiger Sicherheiten. Näher zu den Einzelheiten der französischen Regelung Traichel, S. 22 f. 21 Ähnlich Münzberg, in: Stein/Jonas, § 708, Rdnr. 1. 22 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 717, Rdnr. 11. 23 So die Grundsatzregel des § 709 ZPO. 24 Kritisch insoweit Münzberg, in: Stein/Jonas, § 708, Rdnr. 2: „Um keine Partei unzumutbaren Risiken auszusetzen, wurde ein bewegliches, nicht leicht zu durchschauendes System entwickelt, das … zwar ein beachtliches Beispiel ausgeklügelter gesetzlicher und richterlicher Interessenabwägung liefert, aber auch die Verwirklichung der eigentlichen Ziele der vorläufigen Vollstreckbarkeit oft wieder vereitelt. Gerade weniger begüterte, auf baldige Befriedigung angewiesene Gläubiger nutzen die vorläufige Vollstreckbarkeit oft nicht aus, weil sie das mit § 717 verbundene Risiko scheuen.“ Ebenso Münzberg, in: Festschrift für Lange, S. 599 (608 ff.). 25 Krüger, in: Münchener Kommentar, § 708, Rdnr. 17, spricht davon, dass die Rechte des Schuldners durch die Überprüfung in zwei Tatsacheninstanzen hinreichend gewahrt erscheinen.
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angemessen, die Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung zuzulassen und allein dem Schuldner eine Abwendungsbefugnis zuzusprechen. Anders formuliert begründen diese Fälle die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die ausgeurteilte Forderung auch tatsächlich besteht. In den Fällen des § 709 ZPO besteht hingegen nur eine einfache Vermutung. Damit nähern wir uns dem dreistufigen Formalisierungsmodell, das auf seiner dritten Stufe einen formalisierten öffentlich-rechtlichen Vermutungstatbestand genügen lässt, um die Effektivität der Vollstreckung zu gewährleisten. Zu berücksichtigen bleibt, dass der Gesetzgeber wegen der einschneidenden Folgen der Feststellung der Gläubigerforderung für sämtliche sich anschließenden Vollstreckungsmaßnahmen eine gerichtliche Vorabentscheidung für unabdingbar hält. Darin kommt letztlich die Erkenntnis zum Ausdruck, dass es für den Bestand einer Forderung keinen Rechtsschein gibt und damit auch keinen formalisierten Vermutungstatbestand.26 Das Gericht muss daher diese Vermutung selbst begründen. Wir bewegen uns mithin unverändert auf der zweiten Stufe der Formalisierung. Das zwingende Titelerfordernis wird nicht aufgegeben, sondern seinerseits durch Vermutungstatbestände abgestuft. Die Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO enthalten folglich nichts anderes, als ein ausgetüfteltes System von Vermutungstatbeständen auf der zweiten Ebene der Formalisierung. Die Vermutungstatbestände werden ergänzt durch Regelungen zur Absicherung des Betroffenen für den Fall, dass er die Vermutung nachträglich widerlegen kann. Auch diese Regelungen lassen sich bekannten Denkmustern zuordnen. Denn soweit es sich hier um Sicherheitsleistungen handelt, umschreibt dieser Oberbegriff u.a. auch die Verpfändung von Immobilien, Mobilien und Forderungen, § 232 Abs. 1 und 2 BGB.27 Damit schließt sich der Kreis zu den sonstigen formalisierten Tatbestandsmerkmalen in der Vollstreckung. Im Rahmen der Vollstreckungsmaßnamen ist nämlich die Pfändung von beweglichen Sachen allein aufgrund des Vermutungstatbestandes des § 808 ZPO zulässig. Die Pfändung dient hier konkret – nicht anders als die vorläufige Vollstreckbarkeit im Allgemeinen – der einstweiligen Sicherung des Gläubigers. Im Anschluss daran bleibt es dem Schuldner oder Dritten unbenommen, das vermutete Tatbestandsmerkmal der gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. In dem Fall der konkreten Vollstreckungsmaßnahme handelt es sich dann um das zivilrechtliche Eigentum, in dem generellen Fall um den Bestand der Forderung des Gläubigers schlechthin. 26 Aus demselben Grund gibt es im materiellen Zivilrecht auch keine Möglichkeit zum gutgläubigen Erwerb einer nicht existenten Forderung, sieht man einmal von dem Spezialfall des § 405 BGB ab. 27 Zwar verweist § 108 ZPO nur auf die §§ 234, 235 BGB, die die Hinterlegung von Wertpapieren regeln; dies lässt aber die vorstehenden Überlegungen zur dogmatischen Wesensverwandtschaft der Vermutungstatbestände im Rahmen der §§ 708 ff. ZPO mit den Pfändungstatbeständen der §§ 808 ff. ZPO unberührt, da die Einschränkung allein aus Gründen der Praktikabilität herrührt. Ein Wertpapier lässt sich im Sicherungsfall bei Weitem besser verwerten als ein Sachgut. In der weiteren Folge wird daher über den Wortlaut des § 108 ZPO hinaus auch die Verpfändung von Sachen, Grundpfandrechten und Hypotheken zugelassen. Die Vorschriften der §§ 232–240 BGB sollen hier analog gelten, LG Frankfurt, MDR 1977, 409.
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In beiden Fällen kann der Schuldner gleichsam durch Sicherheitsleistung die weitere Vollstreckung in Form der Verwertung abwenden. b) Einstweiliger Rechtsschutz als zeitlich abgestufter Vermutungstatbestand Die Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz sind geprägt durch das Gebot eines effektiven Rechtsschutzsystems, das sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ableitet.28 Sie sollen bei Gefahr der Vollstreckungsvereitelung den Gläubiger schon vor der Einleitung bzw. Beendigung des ordentlichen Erkenntnisverfahrens befähigen, die Vollstreckung einzuleiten. An eine vorläufige Vollstreckbarkeit ist in diesem frühen Stadium mangels Titels noch nicht zu denken. Es bleibt damit nur die Möglichkeit des sogenannten summarischen Erkenntnisverfahrens mit anschließender Vollstreckung.29 Das neunte Buch der Zivilprozessordnung beinhaltet mithin beides, Sonderregelungen zum Erkenntnis- und zum Vollstreckungsverfahren.30 Aufgrund der bisherigen Untersuchung liegt es unmittelbar auf der Hand, auch hier die Anlehnung an das Formalisierungsprinzip zu suchen. Die Entscheidung, die am Ende des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ergeht, stellt nichts anderes als eine Vermutung des Bestehens oder Nichtbestehens der Gläubigerforderung dar. Die Besonderheit bei dieser Vermutungsregel liegt – nicht anders als bei den Vorschriften zur vorläufigen Vollstreckbarkeit – darin, dass sie nicht vom Vollstreckungsorgan aufgestellt werden kann, sondern der gerichtlichen Entscheidung vorbehalten bleibt. Darin kommt die besondere Bedeutung zum Ausdruck, die der Gesetzgeber dem Titelerfordernis zumisst. Ein formalisierter Vermutungstatbestand, der vom exekutiven Vollstreckungsorgan zu prüfen wäre, ist vom Gesetzgeber an dieser Stelle ebenso wenig erwünscht wie im Bereich der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Es bleibt nur die Möglichkeit des „summarischen Erkenntnisverfahrens“ durch die Gerichte. Diese sind gezwungen, eine Vermutung für oder gegen den Bestand der Gläubigerforderung auszusprechen, um so dem Vollstreckungsorgan eine Grundlage für die Vollstreckung geben zu können. Der einstweilige Rechtsschutz ist unausweichlich, um im Einzelfall die Effektivität der Vollstreckung nicht gänzlich in Frage stellen zu müssen.31 Gesetzlich konkretisiert wird diese Vereitelungsgefahr durch den Arrest- oder Verfügungsgrund, §§ 917, 935, 936, 940 ZPO. Das verfassungsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes hat Vorrang vor dem Titelerfordernis, muss sich jedoch seinerseits dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung unterordnen. 28 Heinze, in: Münchener Kommentar, Vor § 916, Rdnr. 10, spricht vom Justizgewährungsanspruch. 29 Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 916, Rdnr. 1. 30 Der Gesetzgeber spricht im neunten Buch der Zivilprozessordnung von der Anordnung als Erkenntnisakt und dem Vollzug als dem vollstreckenden Element von Arrest und einstweiliger Verfügung. 31 Näher zu den historischen Hintergründen Heinze, in: Münchener Kommentar, Vor § 916, Rdnr. 3.
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Anders ausgedrückt ist dem Vollstreckungsorgan auch im Eilfall die Aufstellung einer eigenen Vermutung für oder gegen den Bestand der zu vollstreckenden Forderung versagt. Ähnlich wie im Bereich der vorläufigen Vollstreckbarkeit werden die Interessen des Schuldners auch im einstweiligen Rechtsschutz dadurch geschützt, dass die Vollstreckung zunächst nur das Stadium der Anspruchssicherung erreichen darf. Aus einem Titel, der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erwirkt wird, darf grundsätzlich nur die Pfändung, nicht aber bereits die Verwertung von Gegenständen aus dem Vermögen des Schuldners betrieben werden.32 3. Charakterisierung des Leistungsurteils Für die Vollstreckung von Interesse sind naturgemäß nur Leistungstitel. Feststellungsurteile enthalten – mit Ausnahme der Kostenentscheidung – keinen vollstreckbaren Inhalt; Gestaltungsurteile entfalten eo ipso gestaltende Wirkung, ohne dass es einer gesonderten Vollstreckung bedürfte.33 Bemerkenswert bei den Leistungsurteilen ist, dass diese neben der eigentlichen gerichtlichen Entscheidung im Sinne einer verbindlichen Feststellung der materiellen Rechtslage zugleich die unterliegende Partei zu einer Leistung verpflichten. Der Tenor des Urteils begnügt sich demzufolge nicht allein mit der Feststellung, dass der Beklagte an den Kläger eine Leistung zu erbringen hat. Der Beklagte wird vielmehr zur Leistung „verurteilt“. Um diesen gesonderten Aspekt des Leistungsurteils näher beleuchten zu können, ist es hilfreich, einen Blick auf das neuere französische Erklärungsmodell für die astreinte zu werfen. a) Französisches Erklärungsmodell der astreinte Bei der französischen astreinte handelt es sich um ein Zwangsgeld, das vorwiegend der Durchsetzung von Handlungs- und Unterlassungsansprüchen dient. Dabei soll an dieser Stelle nur das dogmatische Verständnis dieser Rechtsfigur interessieren.34 Die Franzosen unterscheiden bei der Befugnis des Richters zum Erlass der astreinte zwischen der eigentlichen Jurisdiktionsgewalt (pouvoir d’injonction), das heißt der Befugnis mittels richterlicher Entscheidung Recht zu sprechen, und der ebenfalls dem Richter zugewiesenen „Imperium“-Gewalt, das heißt der Befugnis, durch quasi hoheitliche Anordnungen und Drohungen 32 Die Rechtsprechung (so etwa OLG Köln, NJW-RR 1995, 546 (546 f.), und OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 123 (124)) lässt über die Sicherung eines Anspruchs und die vorläufige Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses hinaus ausnahmsweise eine teilweise Befriedigung im Wege der sogenannten Leistungsverfügung analog § 940 ZPO zu, wenn der Gläubiger auf die sofortige Erfüllung so dringend angewiesen ist, dass er ein ordentliches Verfahren nicht abwarten kann, ohne unverhältnismäßig großen oder gar irreparablen Schaden zu erleiden, Reichold, in: Thomas/Putzo, § 940, Rdnr. 6. 33 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 I 2. 34 Zur Rechtsfigur der astreinte als solcher später im Rahmen der Vollstreckung wegen sonstiger, nicht auf Zahlung gerichteter Ansprüche, s.u. § 21 III 1.
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der richterlichen Entscheidung die angestrebte Wirkung zu verleihen.35 Als Ordnungsmittel wird die astreinte der letzteren Gewalt zugeordnet. Es findet sich hier also die Gewaltenteilung zwischen rechtsprechender und exekutiver Gewalt wieder. Interessanterweise sind beide Gewalten in der Person des Richters vereint. Vor dem Hintergrund des französischen Erklärungsmodells handelt es sich mithin bei der durch Richterspruch angeordneten astreinte um eine Durchbrechung des Grundsatzes der Gewaltenteilung. Diese Überlegungen lassen sich auf das Leistungsurteil übertragen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. b) Das judikative Entscheidungsmoment und der exekutive Leistungsbefehl Vor dem Hintergrund des französischen Erklärungsmodells für die richterliche astreinte gewinnt auch das Leistungsurteil klarere Konturen. Dass dem Leistungsurteil ein feststellendes Element innewohnt, ist unumstritten. Dies kommt u.a. in der Regelung des § 256 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck, die es ermöglicht, ein streitig gewordenes Rechtsverhältnis im Wege der Zwischenfeststellungsklage gesondert im Urteilstenor feststellen zu lassen. Damit ist sichergestellt, dass auch diese Feststellungen des Urteils in Rechtskraft erwachsen. Umgekehrt schließt eine Leistungsklage die gleichzeitige Widerklage, gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens der Leistungsverpflichtung, wegen des identischen Streitgegenstandes aus.36 Das feststellende Element innerhalb des Leistungsurteils ist mithin nicht umstritten. Unklar ist allein der Leistungsausspruch des Urteils als solcher. Bei näherer Betrachtung lässt sich der Leistungstenor dogmatisch als behördlicher Verwaltungsakt erklären,37 der – in der Zwangsvollstreckung nicht anders als in anderen Verwaltungsverfahren38 – Dreh- und Angelpunkt jeglicher Vollstreckung ist.39 Es handelt sich nicht mehr um eine gerichtliche Streitentscheidung, da mit der über die feststellende Entscheidung des Gerichts hinausgehen35
Gärtner, S. 33, mit ausführlichen Nachweisen. Das stattgebende Leistungsurteil enthält nämlich die rechtsbezeugende Feststellung, dass der Anspruch besteht, Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 253, Rdnr. 3. 37 So andeutungsweise bereits im Zusammenhang mit dem Formalisierungsprinzip Hoffmann, S. 13, Fn. 18 a.E.: „Im Sinne der Zwangsvollstreckung ist nicht mehr der Anspruch durch die Vollstreckung erzwingbar, sondern bei Gerichtsurteilen der staatliche Leistungsbefehl.“ Ähnlich Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 253, Rdnr. 3: „Das stattgebende Leistungsurteil enthält die … Feststellung, dass der Anspruch besteht und den Leistungsbefehl an den Beklagten als Grundlage für die Zwangsvollstreckung.“ 38 Zu dieser Parallele s. nachfolgend noch unter 4 b aa. 39 Vor dem Hintergrund dieser Deutung gewinnen insbesondere die bislang recht nebulösen Ausführungen zum Begriff und zur Bedeutung des Vollstreckungstitels klarere Konturen. Wenn davon die Rede ist, dass der Vollstreckungstitel „schlechthin unerläßliche Voraussetzung (Grundvoraussetzung) jeder Zwangsvollstreckung“ sei (so BGH NJW 1993, 735 (736)) und das eigentliche, die Zwangsvollstreckung begründende Element sei (so Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 1), so ist damit schlicht die grundlegende Bedeutung des Verwaltungsaktes für ein jegliches Verwaltungsverfahren umschrieben. 36
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den Verurteilung bereits der exekutive Bereich der Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung beschritten wird. Es handelt sich bei der Verurteilung um einen staatlichen Befehl an den Schuldner zur Leistung an den Gläubiger. Im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG liegt eine Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen vor. Probleme bereitet dabei lediglich das Merkmal der „Behördeneigenschaft“, das sich auf das erkennende Gericht nicht übertragen lässt. c) Durchbrechung der Gewaltenteilung aus Gründen der Sachnähe Da beim Leistungsurteil der Leistungsbefehl nicht erst durch das Vollstreckungsorgan, sondern bereits durch das Gericht ausgesprochen wird, liegt eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips vor. Dies bedarf einer gesonderten Rechtfertigung. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob nicht auf den Leistungsbefehl gänzlich verzichtet werden könnte. Dies wäre dann möglich, wenn die Vollstreckung allein Sache des Gläubigers wäre. Das staatliche Gewaltmonopol fordert aber auch hier seinen Tribut. Aufgrund der Intervention der staatlichen Vollstreckungsorgane bedarf es nicht nur einer zivilrechtlichen Leistungsverpflichtung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, sondern auch einer öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtung des Schuldners gegenüber dem Staat zur Leistung an den Gläubiger. Die zivilrechtliche Zahlungsverpflichtung resultiert aus dem Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner und besteht mithin auch ohne gesonderten Richterspruch. Die gerichtliche Entscheidung ist insoweit nicht konstitutiv, sondern nur deklaratorisch. Sie spiegelt die richterliche Bewertung der bestehenden zivilrechtlichen Verpflichtungen wider.40 Hingegen lässt sich dies nicht für die öffentlich-rechtliche Ebene und das Verhältnis zwischen staatlichem Vollstreckungsorgan und Schuldner sagen. Da das staatliche Vollstreckungsorgan nicht als bloßer Vertreter des Gläubigers tätig wird, fehlt ihm ohne gesonderten Rechtsakt die Legitimation, vom Schuldner die Leistung verlangen zu können. Diese Lücke wird durch den staatlichen Leistungsbefehl in Form eines Verwaltungsaktes geschlossen. Ist ein Leistungsbefehl unausweichlich, stellt sich die Frage, ob diesen nicht das Vollstreckungsorgan erlassen könnte, um eine Durchbrechung der Gewaltenteilung zu vermeiden. Berücksichtigt man dabei jedoch, dass der Leistungsbefehl bloßer Reflex der gerichtlichen Entscheidung ist und dem Vollstreckungsorgan für eine eigene Entscheidung keinerlei Spielraum mehr verbleibt, so würde der gesonderte Erlass des Leistungsbescheides durch das Vollstreckungsorgan zu einer bloßen Förmelei mit zudem äußerst nachteiligen Folgen für den Gläubiger. Die Kompetenzaufteilung würde neben den zeitlichen Reibungsverlusten auch zu einer unliebsamen Eröffnung eines weiteren Rechtsweges führen, da der Leistungsbescheid nunmehr seinerseits einer gesonderten gerichtlichen Kontrolle unterworfen wäre, die aber schlechterdings nicht anders ausfallen könnte als die 40
Ähnlich Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 253, Rdnr. 3.
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gerichtliche Kontrolle des Leistungsurteils. Die Sachnähe des erkennenden Gerichts spricht daher dafür, dass dieses zugleich mit seiner Feststellung der Zahlungsverpflichtung auch den Leistungsbefehl ausspricht.41 Die Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips ist mithin sachlich gerechtfertigt durch das Gebot einer effektiven Vollstreckung. d) Die „Verurteilung“ als Grundverwaltungsakt Worin liegt nun konkret der Leistungsbefehl des Staates an den Schuldner zur Zahlung an den Gläubiger? Ist es der Urteilstenor, die Klausel oder die Zustellung, die den Leistungsbescheid begründet? Die Zustellung dient – in der Terminologie des Verwaltungsverfahrensrechts gesprochen – allein der Bekanntgabe des Leistungsbescheids.42 Sie beinhaltet mithin keinen eigenständigen Verwaltungsakt. Die Klausel kennzeichnet hingegen die sogenannte Vollstreckungsreife des Titels.43 Ihr kommt folglich eine eigene Aussagekraft, ein eigener Regelungscharakter zu. Da die Vollstreckungsklausel zudem im Vorfeld der Zwangsvollstreckung angesiedelt wird, könnte man hierin den eigentlichen Leistungsbescheid sehen. Dafür würde dann auch der Umstand sprechen, dass auf diesem Wege das Gewaltenteilungsprinzip bewahrt werden könnte. Denn die Klausel wird nicht vom gerichtlichen Spruchkörper erteilt, sondern vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder vom Rechtspfleger. Bedenklich wäre dann nur, dass dem Urkundsbeamten oder dem Rechtspfleger gegenüber dem gerichtlichen Spruchkörper eine eigene Entscheidungsgewalt eingeräumt würde.44 Zudem würde im Falle der einfachen Vollstreckungsklausel gemäß § 750 Abs. 1 ZPO keine gesonderte Zustellung, d.h. Bekanntgabe des Leistungsbescheides, erfolgen. Des Weiteren ist die Klausel beim Vollstreckungsbescheid überhaupt nicht vorgesehen.45
41 Das Kriterium der Sachnähe rechtfertigt auch in anderen Fällen vereinzelte Durchbrechungen des Prinzips der Gewaltenteilung. Diese Durchbrechungen sind teilweise bereits in der Verfassung selbst angelegt. 42 S. dazu noch ausführlicher unter § 13 II. 43 Dazu im Einzelnen unter § 12 III 1. 44 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2, betont daher in anderem Zusammenhang mit Recht die Bedeutung des Titels gegenüber der Klausel. Die Erteilung der letzteren allein durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Rechtspfleger könne nicht den fehlenden Richterspruch ersetzen. 45 Die zuletzt genannten Umstände lassen bereits innere Wertungswidersprüche im Bereich des Klauselwesens erkennen, auf die später gesondert einzugehen sein wird (s.u. § 12 IV). Es wird sich dann zeigen, dass die angesprochenen Widersprüche auf die mangelnde Existenzberechtigung des Klauselverfahrens zurückzuführen sind. Dieselben Gründe, die es geraten erscheinen lassen, den Leistungsbescheid unter Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips mit der gerichtlichen Entscheidung zu bündeln, sprechen zugleich gegen ein gesondertes Klauselverfahren. Man denke nur an den Aspekt der unnötigen Rechtsbehelfserweiterung, die sich mit dem Klauselverfahren verbindet. Es wäre daher verfehlt, den Leistungsbescheid in das Klauselverfahren zu verlagern und diesem damit eine gesonderte Existenzberechtigung zu geben. Die Vollstreckung würde unnötig gelähmt.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Die zuletzt geäußerten Zweifel führen zu der schlichten Feststellung, dass der Leistungsbescheid bereits durch das erkennende Gericht ausgesprochen wird.46 Dass dies in der Praxis durch eine „Verurteilung“ geschieht, ist eine Frage der Formulierung und ändert nichts an dem Charakter des Leistungstenors als Verwaltungsakt.47 Dem steht auch nicht entgegen, dass es bei Erlass des Urteils unter Berücksichtigung der Dispositionsmaxime an einem Antrag auf Erlass des Verwaltungsaktes mangeln würde. Denn der Leistungstenor kann gemäß § 308 ZPO nicht über den Klageantrag hinausgehen. Im Klageantrag ist aber der Antrag auf Erlass eines Leistungsbescheides enthalten. e) Rückschlüsse für die zivilrechtlichen Klagearten Die bisherigen Überlegungen veranschaulichen die Sinnhaltigkeit der verschiedenen zivilrechtlichen Klagearten und zugleich deren Gemeinsamkeiten. Gemeinsame Basis von Feststellungs-, Leistungs- und Gestaltungsurteil ist das feststellende Element im Sinne der rechtsprechenden Gewalt. Soweit Leistungs- und Gestaltungsurteil darüber hinaus einen weiteren Urteilsspruch beinhalten, gewinnt dieses Urteilselement vor dem Hintergrund der verwaltungsrechtlichen Figur des Verwaltungsaktes klarere Konturen. Nimmt nämlich das Gericht mit seinem weitergehenden Ausspruch Aufgaben der Exekutive wahr, so erklärt sich das Leistungsurteil als Gesamtheit von rechtsprechendem Feststellungsurteil und verwaltungsrechtlichem Leistungsbescheid. Entsprechendes gilt für das Gestaltungsurteil. Ohne dass an dieser Stelle tiefergehend auf die juristische Auseinandersetzung eingegangen werden kann, entpuppt sich auch hier der gestaltende Urteilsakt bei näherer Betrachtung als rechtsgestaltender Verwaltungsakt.48 Es gelten die obigen Ausführungen zum Leistungsurteil entsprechend, so dass auch hier eine Durchbrechung der Gewaltenteilung sinnvoll erscheint.
46 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 1, formuliert daher: „Das Vorhandensein des Vollstreckungstitels ist das Wesentliche, nicht die Klausel, von der das Gesetz mitunter ganz absieht.“ 47 In diese Richtung gingen bereits die im Ergebnis allerdings ablehnenden Äußerungen von J. Kohler, AcP 1888, 1 (6): „Anders wäre es freilich, wenn man davon ausginge, daß die Vollstreckung keine Verwirklichung selbstgesetzter Zivilrechte wäre, sondern die Verwirklichung einer publicistischen Pflicht, welche erst durch Richtergebot begründet würde: so daß nicht das Zivilrecht, sondern das Richtergebot, die richterliche Auflage, der richterliche Befehl der legislative Rechtfertigungsgrund für die Vollstreckung wäre; wenn man annehmen würde, daß die Zivilansprüche ohnmächtig wären und nur der richterliche Akt es rechtfertigen würde, daß man dem Schuldner in sein Vermögen tritt und einen Werthbetrag aus seinem Vermögen enthebt.“ 48 Nach h. M. dienen Gestaltungsklagen der Durchsetzung eines vom Kläger behaupteten privatrechtlichen Rechts auf Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses, Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 91 III; Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 253, Rdnr. 5. Demgegenüber geht Schumann, in: Stein/Jonas, Vor § 253, Rdnr. 43 von einem öffentlichen, gegen den Staat gerichteten Anspruch auf Herbeiführung der Rechtsänderung aus. Im Ergebnis haben beide Auffassungen Recht, da die eine das zivilrechtliche Feststellungselement des Urteils zum Ausdruck bringt, während die andere den rechtsgestaltenden Verwaltungsakt anspricht, der zeitgleich mit dem Gestaltungsurteil ergeht.
§ 11 Das Titelerfordernis
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4. Parallelen zum Verwaltungsrecht Die Aufteilung des Leistungsurteils in ein rechtsprechendes und ein exekutives Element legt es nahe, im Prozessrecht Parallelen zwischen dem zivil- und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ziehen. a) Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung als bloßer Auswuchs der VA-Befugnis Es hat sich gezeigt, dass der Leistungsbescheid im Rahmen der Vollstreckung wegen zivilrechtlicher Ansprüche durch das ordentliche Zivilgericht erlassen wird.49 Demgegenüber wird im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung den anspruchstellenden Verwaltungsbehörden das Recht eingeräumt, in eigener Sache noch im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung einen Leistungsbescheid zu erlassen. Der gerichtliche Rechtsschutz bleibt dadurch unangetastet, er wird vielmehr durch ein vorgeschaltetes behördliches Widerspruchsverfahren erweitert. Gleichwohl hat die Befugnis der Verwaltungsbehörden zum Erlass von Verwaltungsakten zwei maßgebliche Auswirkungen auf das System der sich anschließenden Klagearten. Zum einen wird die Initiativrichtung umgekehrt, indem es nunmehr dem Anspruchsgegner obliegt, die Gerichte anzurufen.50 Zum anderen ist der staatliche Leistungsbescheid bereits bei Anrufung der Gerichte existent; er schließt sich nicht an die gerichtliche Entscheidung an, sondern ergeht bereits im Vorfeld. Die beiden Auswirkungen der sogenannten VA-Befugnis auf das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren erklären im Vergleich mit den Klagearten der Zivilprozessordnung die Verschiebungen. Sämtliche Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung lassen sich vor diesem Hintergrund auf die zivilrechtlich bekannten Klagearten zurückführen. Für die Feststellungsklage und die allgemeine Leistungsklage leuchtet dies unmittelbar ein, da sie keine Besonderheiten gegenüber der zivilgerichtlichen Feststellungs- und Leistungsklage aufweisen. Das liegt darin begründet, dass Gegenstand des Rechtstreits hier kein Verwaltungsakt ist, dessen Erlass durch die Behörden erst die Verschiebung bei den Klagearten auslöst. Anders verhält es sich mit der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage. aa) Die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage Die Situation bei der Anfechtungsklage entspricht der zivilrechtlichen Konstellation der Leistungsklage des Gläubigers. Die Abweichungen sind allein dadurch begründet, dass die Verwaltungsbehörde als Gläubigerin den im Zivilprozess erst durch das Gericht ergehenden Leistungsbescheid vorwegnehmen darf. In der weiteren Konsequenz muss der Schuldner gegen diesen Leistungsbescheid gerichtlich vorgehen. Diese Umkehr der Initiativrichtung würde im Zi49 50
S.o. 3 b bis d. S. dazu schon oben unter § 10 II 2 a.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
vilprozess eine negative Feststellungsklage bedingen, gerichtet auf die Feststellung, dass der Anspruch der Gläubigerin nicht besteht. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, dass die Gläubigerin schon im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens den Verwaltungsakt erlassen darf. Um auch diesbezüglich im gerichtlichen Anfechtungsprozess eine Gleichschaltung mit der zivilgerichtlichen Leistungsklage zu gewährleisten, muss bei Feststellung des Nichtbestehens des Gläubigeranspruchs durch das Gericht gewährleistet sein, dass am Ende des Rechtsstreits gleichsam ein klageabweisendes Urteil steht. Dies ist aber nur dann möglich, wenn das Gericht die Möglichkeit hat, den im Vorfeld erlassenen behördlichen Verwaltungsakt zu beseitigen. Dies kann auf zweierlei Wegen geschehen. Entweder stellt das Gericht allein die Verpflichtung der Behörde zur Aufhebung des Verwaltungsaktes fest oder es kassiert den Verwaltungsakt selbst. Nicht anders als bei der zivilgerichtlichen Leistungsklage sprechen auch hier gute Gründe für eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips und für eine unmittelbare gerichtliche Aufhebung des behördlichen Verwaltungsaktes. Daraus resultiert das Anfechtungsurteil in seiner aus § 113 Abs. 1 VwGO bekannten Form. Es handelt sich mithin um ein Gestaltungsurteil.51 bb) Die Verpflichtungsklage als Leistungsklage Bei Lektüre des § 113 Abs. 5 VwGO fällt auf, dass das Gericht im Falle der rechtswidrigen Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes und der Verletzung des Klägers in seinen Rechten nicht zur „Verurteilung“, sondern zur „Verpflichtung“ der Verwaltungsbehörde angehalten ist, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen bzw. den Kläger neu zu bescheiden. Diese begriffliche Abweichung hat im Verwaltungsprozessrecht zur Unterscheidung zwischen der allgemeinen Leistungsklage und der Verpflichtungsklage geführt. Bereits die Bezeichnung „allgemeine“ Leistungsklage signalisiert aber, dass es sich bei der Verpflichtungsklage nicht etwa um einen neuen Klagetypus handelt, sondern lediglich um einen Unterfall der zivilrechtlich bekannten „allgemeinen“ Leistungsklage.52 Die Besonderheit liegt allein darin, dass Gegenstand der Leistung ein Verwaltungsakt ist, der dem Zivilrecht fremd ist. An dieser Stelle kommt mit umgekehrtem Vorzeichen die Besonderheit zum Tragen, dass die Verwaltungsbehörden in der Regel in der Rechtsform des Verwaltungsaktes handeln. Ist der Bürger nicht Anspruchsgegner wie bei der Anfechtungsklage, sondern Anspruchssteller, so ist er zumeist daran gehindert, unmittelbar auf Leistung zu klagen. Im Vorfeld bedarf es zumeist eines begünstigenden Verwaltungsaktes, der damit zum eigentlichen Gegenstand der Leistungsklage wird. Daraus erwächst das Bedürfnis, den Urteilsspruch nicht auf eine bloße Feststellung zu beschränken, sondern zugleich für den Fall der Vollstre51 So wohl auch die allgemeine Meinung in der Verwaltungsrechtslehre Kopp/Schenke, § 42, Rdnr. 2; Vor § 40, Rdnr. 8 b; von Oertzen, in: Redeker/von Oertzen, § 42, Rdnr. 2; Schenke, Rdnr. 178. 52 So stellvertretend für viele Kopp/Schenke, § 42, Rdnr. 6.
§ 11 Das Titelerfordernis
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ckung einen Grundverwaltungsakt zu erlassen, mit dem die Verwaltungsbehörde zum Erlass eines Verwaltungsaktes „verpflichtet“ wird.53 Ein abweichendes Verständnis der Verpflichtungsklage wäre nur in dem Sinne möglich, dass man unter der „Verpflichtung“ im Urteilstenor die bloße Feststellung der Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes verstehen wollte. Der Begriff der „Verpflichtung“ ist hier im Gegensatz zu der zivilrechtlichen Terminologie „Verurteilung“ nicht ganz eindeutig. Dieselben Gründe, die den Typus der allgemeinen Leistungsklage rechtfertigen, sprechen aber auch hier für eine einheitliche Gesetzesinterpretation und damit im Ergebnis für eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips. Der gesonderte Erlass eines Grundverwaltungsaktes im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung würde zur unnötigen Förmelei mit zudem unliebsamen und sachlich nicht gebotenen Rechtswegeröffnungen.54 Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass die Verwaltungsgerichtsordnung mit denselben drei Klagearten zurecht kommt, die aus dem Zivilprozessrecht bekannt sind. Verschiebungen ergeben sich allein in dem konkreten Anwendungsbereich der Klagearten. Diese sind bedingt durch die VA-Befugnis der Verwaltungsbehörden. b) Parallelen in der verwaltungsgerichtlichen und -behördlichen Vollstreckung Bei näherer Betrachtung des Leistungsurteils hat sich herauskristallisiert, dass der Unterschied zum Feststellungsurteil in dem zusätzlichen exekutiven Element des Leistungsbescheides liegt, was sowohl für den Zivil- wie für den Verwaltungsprozess gilt. Diese Überlegung macht die Nähe der Verwaltungsvollstreckung zu der gerichtlichen Vollstreckung augenfällig, wie nunmehr zu zeigen ist.55 aa) Der Grundverwaltungsakt als Dreh- und Angelpunkt Für die derzeit bestehenden Privilegien der Verwaltungsvollstreckung gibt es angesichts der Nähe zum allgemeinen Vollstreckungsrecht keine Rechtfertigung.56 Diese These wird dadurch untermauert, dass sich die Differenzierung zwischen der Vollstreckung aus gerichtlichen Urteilen und derjenigen aus behördlichen Verwaltungsakten erübrigt vor dem Hintergrund, dass Grundlage der Vollstreckung stets ein Verwaltungsakt ist. Auch wenn dieser beim gerichtlichen Leistungsurteil von demselben Spruchkörper erlassen wird, der die gerichtliche Entscheidung trifft, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese beiden Akte strikt zu trennen sind. Dies gilt auch für das schriftlich niedergelegte Urteil. Maß-
53 Die einzige Besonderheit besteht im Gegensatz zum Zivilrecht darin, dass Adressat des Verwaltungsaktes eine öffentlich-rechtliche Institution ist. 54 S.o. 3 c. 55 In die entgegengesetzte Richtung argumentiert Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 18 i.V.m. Fn. 61, indem er das Verwaltungsverfahren als Ausnahme zum Titelerfordernis bezeichnet. Dabei übersieht er die Titelfunktion des Verwaltungsaktes. 56 S.o. § 10 III.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
geblich für die Vollstreckung sind nicht die Urteilsgründe, sondern allein das exekutive Leistungselement des Urteilstenors.57 Für die Vollstreckung ist es mithin völlig unerheblich, ob dem Grundverwaltungsakt eine behördliche oder eine gerichtliche Entscheidung zugrunde liegt. Diese Unterscheidung hat allein Bedeutung für die Frage des gerichtlichen Rechtsschutzes. Dreh- und Angelpunkt jeglicher Vollstreckung bleibt immer ein zugrunde liegender Verwaltungsakt. Der Kreis der Überlegungen schließt sich damit. Denn nicht umsonst hat sich im ersten Teil der Untersuchung herausgestellt, dass es sich beim Vollstreckungsrecht um ein allgemeines Verwaltungsverfahren handelt.58 Es ist also nicht verwunderlich, dass Ausgangspunkt dieses Verwaltungsverfahrens nicht eine gerichtliche Entscheidung, sondern ein Verwaltungsakt ist. bb) Titulierung von Befristungen, Bedingungen und Zug-um-Zug-Einreden Die Vorschriften der §§ 255 ff. ZPO ermöglichen die Titulierung künftiger und bedingter Ansprüche. Zweck dieser prozessualen Bestimmungen ist es, den Gläubigern noch nicht fälliger Ansprüche bei Besorgnis der Leistungsverweigerung durch den Schuldner die rechtzeitige Erwirkung eines Titels zu ermöglichen.59 In der weiteren Folge ist auch die Titulierung von einredebehafteten Ansprüchen möglich, sofern die Einrede keine dauerhafte ist. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus den §§ 726 Abs. 2, 756, 765 ZPO. Parallel hierzu wird die materiell-rechtliche Prüfung dieser Einreden in formalisierter Form in das Klausel- und Vollstreckungsverfahren verlagert.60 Nicht anders ist die Situation im allgemeinen Verwaltungsrecht. Dort ist es ebenfalls möglich, Befristungen, Bedingungen oder sonstige „Einreden“ in den Verwaltungsakt aufzunehmen. Man spricht dann in der verwaltungsrechtlichen Terminologie des § 36 VwVfG von Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt. Diese haben den Zweck, den Inhalt des Verwaltungsaktes den materiell-rechtlichen Gegebenheiten des besonderen Verwaltungsrechts für eine Begünstigung oder Belastung des Adressaten anzupassen.61 Charakterisiert man nun das gerichtliche Leistungsurteil zugleich als Ausspruch eines Grundverwaltungsaktes, so lassen sich diese verwaltungsrechtlichen Überlegungen für das Zwangsvollstreckungsrecht fruchtbar machen. Die Befristungen, Bedingungen und sonstigen Modalitäten des Urteilstenors entsprechen nichts anderem als Nebenbestimmungen zu dem zeitgleich ergehenden Grundverwaltungsakt.
57 Putzo, in: Thomas/Putzo, Vor § 704, Rdnr. 16. Der Umstand, dass der Vollstreckungsinhalt allein aus der Entscheidungsformel des Titels abzuleiten ist, ist letztlich eine Konsequenz des Formalisierungsprinzips, das dem Vollstreckungsorgan eine materiell-rechtliche Prüfung untersagt. 58 S.o. § 4 VI. 59 Diese ratio legis lässt sich insbesondere der Auffangregelung des § 259 ZPO entnehmen. Das Rechtsschutzbedürfnis liegt in der Besorgnis, dass der Schuldner bei Fälligkeit nicht leisten will, Reichold, in: Thomas/Putzo, § 259, Rdnr. 2. 60 S. dazu noch unter § 12 V 2 bis 5. 61 Kopp/Ramsauer, § 36, Rdnr. 2.
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cc) Parallele zwischen sofortiger Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und vorläufiger Vollstreckbarkeit des Leistungsurteils Eine weitere Parallele drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Beinhaltet das Leistungsurteil einen Grundverwaltungsakt für die Vollstreckung, so lässt sich ein Bezug zwischen den verwaltungsgerichtlichen Vorschriften zum sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes, §§ 80, 80 a, 80 b VwGO, und den Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO herstellen. Beide Regelungspakete haben das Problem zum Gegenstand, ob und wie aus einem noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt die Vollstreckung betrieben werden kann. Mit anderen Worten stellt sich die Frage nach dem Suspensiveffekt der Rechtsbehelfe gegen den zu vollstreckenden Grundverwaltungsakt. Dabei besteht in der Zwangsvollstreckung die Besonderheit, dass dem Grundverwaltungsakt bereits eine gerichtliche Entscheidung zugrunde liegt. Demzufolge stellen die §§ 708 ff. ZPO die sofortige Vollstreckbarkeit nicht in Frage. Sie treffen allein eine Entscheidung über die Frage, ob die Vollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung erfolgen darf. Diese Entscheidung erfolgt in der gesetzlich typisierten Form der §§ 708, 709 ZPO.62 Im Ergebnis sind damit die vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zur vorläufigen Vollstreckbarkeit den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung zur aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt einen Schritt voraus. Während nämlich die Zivilprozessordnung von der Vollstreckbarkeit ausgehen darf, besteht in der Verwaltungsgerichtsordnung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO der Grundsatz, dass Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung entfalten. Diese Grundsatznorm wird ihrerseits in gesetzlich typisierter Form durch die Vorschrift des § 80 Abs. 2 VwGO modifiziert, die in Ausnahmefällen den sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes zulässt. Der vorstehende Unterschied ändert nichts an der identischen Regelungsmaterie. Es handelt sich sowohl bei den Bestimmungen zur Vollziehbarkeit als auch bei den Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit um rein verfahrensrechtliche bzw. prozessual bedingte Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt. Es wird nicht der durch den Titel festgestellte Anspruch materiell-rechtlich konkretisiert, sondern allein der daraus resultierende Grundverwaltungsakt für die Vollstreckung verfahrensrechtlich durch eine Nebenbestimmung ergänzt. Wird insoweit eine Sicherheitsleistung angeordnet, so handelt es sich um eine befristete Bedingung. Bis zum Eintritt der Rechtskraft bzw. Bestandskraft steht die Vollstreckung unter der Bedingung des Nachweises einer Sicherheitsleistung.63 Diese Parallele erklärt zuletzt auch, weshalb es im Urteilstenor eines gesonderten Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf. Dieser gesonderte Tenor ist erforderlich, um der rein verfahrensrechtlichen Eigenart der vorläufigen Vollstreckbarkeit gerecht zu werden, die sich nicht auf das materielle Recht des ei62
S. dazu schon ausführlich oben unter 2 a. Näher zu den damit verbundenen besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, namentlich bei § 751 Abs. 2 ZPO, unter § 14 III. 63
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
gentlichen Tenors erstreckt. Auch dies entspricht den Gegebenheiten des Verwaltungsrechts, nach dem ebenfalls ein gesonderter Ausspruch zur vorläufigen Vollziehbarkeit unerlässlich ist. dd) § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO als Pendant zum einstweiligen Vollstreckungs- und Rechtsschutz nach der Zivilprozessordnung Die Aufteilung des Leistungsurteils in eine feststellende Entscheidung des Gerichts und einen exekutiven Verwaltungsakt eröffnet zuletzt im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes den Blick für weitere Parallelen. Das Vollstreckungsrecht kennt eine Vielzahl von Regelungen zum einstweiligen Vollstreckungsschutz. Zu nennen sind hier insbesondere die Vorschriften der §§ 707, 719 ZPO.64 Die im Rahmen dieser Anträge von den Gerichten zu treffenden Entscheidungen sind durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Zum einen handelt es sich angesichts der drohenden Vollstreckung regelmäßig um Eilentscheidungen, d.h. es handelt sich im Kern um Sonderfälle des einstweiligen Rechtsschutzes.65 Materiell-rechtlich hat das angerufene Gericht zum anderen jeweils die Interessen von Gläubiger und Schuldner abzuwägen, indem es eine Risikobewertung vornimmt.66 Ausfluss dieser Abwägung ist die Entscheidung über die Einstellung der Vollstreckung, d.h. den Suspensiveffekt des gegen die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels, sowie die Entscheidung über eine zu erbringende Sicherheitsleistung. Im Vergleich dazu verhält sich die Situation beim Verwaltungsgericht im Rahmen des Antrages gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht anders. Auch hier geht es um eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz.67 Denn das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Interessen der Beteiligten miteinander abzuwägen und sodann über die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu entscheiden.68 Flankiert wird diese Entscheidung durch eine Anordnung über die Stellung von Sicherheitsleistungen. Ebenso wie im Rahmen der §§ 707, 719 ZPO spielt dieser Aspekt auch im Rahmen der §§ 80, 80 a, 80 b VwGO eine gewichtige Rolle. Der Vorschrift des § 80 Abs. 5 VwGO liegt im Ergebnis keine andere Wertung zugrunde als den §§ 707, 719 ZPO. Die Regelungen konkretisieren die im Vorfeld eines rechtskräftigen Titels anzusiedelnde Abwägung zwischen dem be64 Daneben hat der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO große Bedeutung, der wegen der systematischen Nähe zur Vollstreckungserinnerung und zur Vollstreckungsabwehrklage Gegenstand einer gesonderten Betrachtung im sechsten Teil der Arbeit sein wird, s.u. § 33. 65 Die Franzosen gehen daher so weit, dass sie auf eine Differenzierung zwischen dem einstweiligen Vollstreckungsschutz und dem einstweiligen Rechtsschutz gänzlich verzichten. Die Beantragung einstweiliger Sicherungsmaßnahmen wie auch der einstweilige Rechtsschutz des Schuldners im Falle der Rechtsbehelfseinlegung orientieren sich einheitlich anhand der Bestimmungen von D.Art. 32, 33. Näher dazu Traichel, S. 43 f., 54 ff. 66 Herget, in: Zöller, § 707, Rdnrn. 7 ff.: „Die Ermessensentscheidung (,kann‘ in Abs. 1) muss die Parteiinteressen abwägen; formularmäßige Einstellung ist gesetzeswidrig.“ Ebenso Schneider, MDR 1973, 356 (356). 67 Kopp/Schenke, § 80, Rdnr. 120. 68 Zur Interessenabwägung Kopp/Schenke, § 80, Rdnrn. 152 f.
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troffenen Schuldnerinteresse und dem Gläubigerinteresse. Der einzige bereits angesprochene Unterschied resultiert aus dem Umstand, dass dem Grundverwaltungsakt im Rahmen der Zwangsvollstreckung bereits eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache zugrunde liegt. Im Rahmen der §§ 707, 719 ZPO bleibt daher kaum mehr Raum für eine Bewertung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache.69 Eine weitere Parallele drängt sich im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO auf. Interessanterweise behält nämlich im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung das zuständige Gericht das alleinige Wort, soweit es um die Entscheidung über den zu vollstreckenden Anspruch geht. Damit setzt sich auch an dieser Stelle die Wertung des Gesetzgebers durch, der eine Durchbrechung des Titelerfordernisses zwar zulässt, diese Durchbrechung aber dem Erfordernis einer gerichtlichen Vorabentscheidung unterwirft.70 Anders als bei sonstigen materiellen Rechtsproblemen darf das Vollstreckungsorgan über die Frage des Bestandes des zu vollstreckenden Anspruchs keine eigenen Vermutungen anstellen. Diese Bewertung bleibt auf der zweiten Ebene der Formalisierung angesiedelt und damit den Gerichten vorbehalten. Die Nähe zwischen vorläufigem Vollstreckungsschutz und dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erlaubt weitere Rückschlüsse im Bereich der verbleibenden Regelungsmaterien des einstweiligen Rechtsschutzes. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur subsidiär zum Zuge kommen, sofern kein vollstreckbarer Grundverwaltungsakt vorliegt. So ordnet § 123 Abs. 5 VwGO ausdrücklich an, dass einstweilige Anordnungen nur außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 80, 80 a VwGO zur Anwendung kommen. Diese Subsidiarität ist in den Vorschriften der §§ 929 ff. ZPO nicht ausdrücklich angeordnet. Sie ergibt sich aber aus dem allgemeinen Grundsatz, dass die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsrechts abschließend zu verstehen sind bzw. vorrangig zur Anwendung kommen.71 Da nun die Rechtsbehelfe im einstweiligen Vollstreckungsschutz nach der hier vertretenen These die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen einen Grundverwaltungsakt in Form eines Urteils zum Gegenstand haben, erschließt sich die Möglichkeit zur Rechtsvereinheitlichung. Die einstweiligen Vollstreckungsschutzanträge korrespondieren in gleicher Weise mit dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, wie die jeweils in der Zivilprozessordnung und in der Verwaltungsgerichtsordnung systematisch gesondert angeordneten allgemeinen Vorschriften zum einstweiligen Rechtsschutz einander entsprechen.72 Die singuläre Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO lässt daher vermuten, dass sich auch die diversen Vollstreckungsschutztatbestände der Zivilprozessordnung vereinheitlichen lassen, wenn man sich auf 69 Anders verhält es sich bei der Eilentscheidung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, bei der eine Hauptsacheentscheidung gerade noch nicht vorliegt. 70 S.o. 2. 71 Ausführlich dazu im sechsten Teil anhand der jeweiligen Rechtsbehelfe, s.u. §§ 27 ff. 72 Angesprochen sind hier die §§ 916 ff. ZPO und § 123 VwGO.
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die maßgeblichen Entscheidungskriterien konzentriert. Im Kern geht es stets allein um eine Risikoabwägung der kollidierenden Interessen von Gläubiger und Schuldner.73 c) Ergebnis Die Überlegungen bestätigen die Nähe der Verwaltungsvollstreckung zur gerichtlichen Zwangsvollstreckung. Die bereits an früherer Stelle geäußerte These, der zufolge die Rechtsnatur des zu vollstreckenden Anspruchs keinen Einfluss auf die Vollstreckung hat, wird dadurch untermauert, dass Dreh- und Angelpunkt jeglicher Vollstreckung stets ein Verwaltungsakt ist. Dies gilt auch dann, wenn es um die Vollstreckung eines zivilgerichtlich festgestellten Anspruchs geht. Verschiebungen ergeben sich allein aus dem Umstand, dass im Bereich des Verwaltungsrechts den Behörden die Befugnis gewährt wird, vorab einen Grundverwaltungsakt zu erlassen. Die daraus resultierenden Abweichungen werden durch die „besonderen Klagearten“ des Verwaltungsprozesses kompensiert, so dass sie für die Vollstreckung keine Bedeutung mehr gewinnen.
V. Der Prozessvergleich Das (rechtskräftige) Leistungsurteil stellt nach der Systematik des Vollstreckungsrechts den Prototyp eines Vollstreckungstitels dar. Ihm gleichgestellt werden gemäß § 795 ZPO die in § 794 ZPO genannten Titel, soweit sich nicht aus den §§ 796 ff. ZPO Besonderheiten ergeben. Zuvorderst benennt § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO den Prozessvergleich, aus dem ebenfalls die Zwangsvollstreckung stattfindet, ohne dass sich aus den §§ 796 ff. ZPO Besonderheiten ergeben würden. Der Prozessvergleich wird also dem Leistungsurteil gleichgestellt, was angesichts seiner Doppelnatur verwundern mag. Schließlich wird dem Prozessvergleich neben seiner prozessualen Bedeutung auch eine materiell-rechtliche Wirkung im Sinne von § 779 BGB zugesprochen.74 1. Die Doppelnatur als Konsequenz der Formalisierung Anhand des dreistufigen Formalisierungsmodells kann unmittelbar veranschaulicht werden, weshalb die Doppelnatur des Prozessvergleichs nicht etwa im Widerspruch zur Gleichstellung mit dem Leistungsurteil steht, sondern vielmehr eine notwendige Folge der Formalisierung darstellt. Der Prozessvergleich als 73 Die Franzosen gehen daher noch weiter, indem sie auf eine Differenzierung zwischen dem einstweiligen Vollstreckungsschutz und dem einstweiligen Rechtsschutz gänzlich verzichten. S. dazu schon die vorstehende Anmerkung in Fn. 65. 74 BGH NJW 1982, 2072 (2073); Bork, S. 448 f.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 129 III 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 13 III 3; Lüke, NJW 1994, 233 (234); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnrn. 3 ff. Ausführlich zur Doppelnatur des Prozessvergleichs Tempel, in: Festschrift für Schiedermair, S. 517 (519 ff.), sowie zur Doppelnatur des außergerichtlichen Vergleichs Häsemeyer, ZZP 1995, 289 (289 ff.).
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Vollstreckungstitel zollt schlicht dem Prinzip der Privatautonomie Tribut, das in Form der Dispositionsmaxime zugleich das gerichtliche Erkenntnisverfahren prägt.75 Dies macht sich darin bemerkbar, dass das Gericht an die übereinstimmenden Erklärungen der Prozessparteien gebunden ist. Soweit diese übereinstimmenden Erklärungen von der tatsächlichen Rechtslage abweichen, wirken sie rechtsgestaltend und damit konstitutiv.76 Während das Gericht allein die bestehende Rechtslage zu prüfen vermag, haben es die Parteien darüber hinaus in der Hand, die Rechtslage auch noch im Prozess zu gestalten. Diese doppelte Komponente von Rechtsfeststellung und Rechtsgestaltung ist es, die sich hinter der Doppelnatur des Prozessvergleichs verbirgt. Die materiell-rechtliche Komponente des Prozessvergleichs als Vertrag spiegelt die rechtsgestaltenden Freiheiten der Prozessparteien wider. Das verfahrensrechtliche Element in Form der Prozessbeendigung und der Eigenschaft des Prozessvergleichs als Vollstreckungstitel entspricht der richterlichen Entscheidung über die bestehende Rechtslage.77 Mit diesen zwei Ebenen ist zugleich auch die erste Stufe des Formalisierungsmodells gekennzeichnet. Wie bereits im zweiten Teil der Untersuchung dargelegt, haben es die Parteien im Bereich der zivilrechtlich relevanten Umstände in der Hand, diese durch übereinstimmende Erklärungen verbindlich für das Vollstreckungsorgan festzustellen oder auch zu gestalten.78 Dabei spielt die Abgrenzung zwischen der bloßen Feststellung und der Rechtsgestaltung keine Rolle. Die Parteien müssen sich hierüber nicht bewusst sein. In einer Vielzahl von Fällen wird dies angesichts der Fülle von Rechtsfragen auch überhaupt nicht möglich sein. Diese Ungewissheit im Detail entspricht vielmehr dem Wesen des Vergleichs, der bestehende Unsicherheiten beseitigen soll, § 779 BGB. Es genügt mithin die übereinstimmende Erklärung der gewünschten Rechtsfolge. Diese Gestaltungsfreiheit kennzeichnet die erste Stufe der Formalisierung. Die Besonderheit gegenüber anderweitigen zivilrechtlichen Rechtsfragen, die in der Zwangsvollstreckung von Bedeutung sind, besteht bezogen auf das Merkmal des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung allein darin, dass auf der ersten Stufe der Formalisierung nicht jede formlose Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner geeignet ist, das Vollstreckungsorgan in seiner Entscheidung zu binden. Hier macht sich vielmehr das Titelerfordernis bemerkbar in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Feststellung des übereinstimmenden Parteiwillens einem besonderen Formerfordernis unterworfen hat. Wenn er auch nicht auf einer gerichtlichen Feststellung auf der zweiten Stufe der Formalisierung beharrt, so pocht er dennoch auf einer staatlichen Beteiligung bei der Niederlegung des übereinstimmenden Parteiwillens. Sichergestellt wird die Beteiligung durch die 75
S. dazu bereits ausführlich im zweiten Teil der Untersuchung unter § 8 III. Besonders deutlich kommt dies darin zum Ausdruck, dass sich die materiell-rechtliche Regelung des Vergleichs nicht unmittelbar auf den Streitgegenstand beziehen muss, Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 12 m.w.N. 77 Der Rechtsstreit wird daher durch den wirksamen Prozessvergleich ganz oder teilweise beendet, Putzo, in: Thomas/Putzo, § 794, Rdnr. 26; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 34. 78 S.o. § 5 V 1. 76
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Notwendigkeit der vorherigen gerichtlichen Anrufung, die gesetzliche Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung eines Vergleichs79 und die abschließende gerichtliche Protokollierung. Mittelbar wird damit den Anforderungen der zweiten Stufe der Formalisierung genüge getan. Deren Nachrang kommt aber nicht zuletzt in der bereits angesprochenen Verpflichtung zur Herbeiführung einer gütlichen Einigung zum Ausdruck. Maßgeblich für den Abschluss des Prozessvergleichs bleibt also allein der Wille der Prozessbeteiligten, so dass es bei der Einordnung des Prozessvergleichs auf der ersten Stufe der Formalisierung sein Bewenden hat. Was die im ersten Teil der Arbeit angesprochenen Prinzipien anbelangt, zeigt sich damit, dass der Grundsatz der Privatautonomie zwingend Vorrang vor dem Formalisierungsprinzip hat. Denn würde sich das Titelerfordernis allein auf das gerichtliche Leistungsurteil beziehen, so wäre eine privatrechtliche Einigung in diesem Bereich ausgeschlossen. Das ginge jedoch entschieden zu weit, da das Titelerfordernis als Teil des Formalisierungsmodells lediglich dazu dient, die Schnittstelle zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu markieren. 2. Zwangsvollstreckung ohne Grundverwaltungsakt? Die Überlegungen haben gezeigt, dass die Doppelnatur des Prozessvergleichs nicht im Widerspruch zur Gleichstellung dieses Vollstreckungstitels mit dem rechtskräftigen Leistungsurteil steht, sondern vielmehr den Sinn der Abstufung innerhalb des Formalisierungsmodells des achten Buchs der Zivilprozessordnung unterstreicht. Damit verbleibt ein zweites Problem, das sich bei der Gleichstellung von Prozessvergleich und Leistungsurteil ergibt. Anhand des Leistungsurteils ist gezeigt worden, dass Grundlage der Zwangsvollstreckung ein dem Leistungsurteil immanenter Grundverwaltungsakt ist.80 Dieser ist Grundvoraussetzung für jedes Verwaltungshandeln, also auch für die Zwangsvollstreckung. Umgekehrt erklärt dieser im Leistungsurteil enthaltene Verwaltungsakt die Nähe zur Verwaltungsvollstreckung. Worin liegt aber dann der Grundverwaltungsakt für die Vollstreckung aus einem Prozessvergleich? Sofern ein solcher nicht existiert, ließe sich die Vollstreckung in der verwaltungsrechtlichen Terminologie nur als Sofortvollzug rechtfertigen. Dieser Vollzug eines fiktiven Grundverwaltungsaktes ist jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig.81 Es erscheint also angeraten, einen genaueren Blick auf das Wesen des Prozessvergleichs zu werfen.
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Diese leitet sich aus § 278 Abs. 1 ZPO ab. S.o. IV 3 d. 81 § 6 Abs. 2 VwVG bestimmt beispielsweise auf Bundesebene, dass der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt (nur dann) angewendet werden kann, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. 80
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a) Die Protokollierung; Ausdruck der Unterwerfung § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindet die Anerkennung des Vergleichs als Vollstreckungstitel an die Voraussetzung, dass dieser vor einem deutschen Gericht oder vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle abgeschlossen worden ist. Ein Vergleichsschluss ohne staatliche Beteiligung genügt also nicht. Durch die staatliche Beteiligung werden den Vergleichsparteien die nachdrücklichen Folgen des Vergleichs vor Augen geführt; den Parteien ist bewusst, dass aus einem Prozessvergleich unmittelbar die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann.82 Diese Gleichstellung mit dem Leistungsurteil ergibt sich für die Parteien bereits aus der prozessualen Situation, in der sie das Gericht regelmäßig vor die Alternative einer gütlichen Einigung im Wege des Vergleichs oder einer gerichtlichen Streitentscheidung durch Urteil stellt. Diese Parallele wird zumeist noch dadurch betont, dass es in der Regel das Gericht ist, dass aus seiner neutralen Position heraus den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Es liegt dann in der Entscheidungsfreiheit der Parteien, ob sie diesen gerichtlichen Gütevorschlag dem Urteil vorziehen. In beiden Fällen unterwerfen sich die Parteien letztlich der vom Gericht protokollierten Entscheidung und damit in der weiteren Konsequenz der staatlichen Zwangsvollstreckung.83 Die freiwillige Annahme im Wege des Vergleichs macht gleichsam nur die richterlichen Entscheidungsgründe im Urteil entbehrlich. Der „Tenor“ als Grundlage der Zwangsvollstreckung bleibt derselbe. Die Überlegungen bestätigen die Nähe des gerichtlichen Urteilstenors zum gerichtlich protokollierten Vergleich. Es liegt daher auf der Hand, parallel zum Leistungsurteil auch dem protokollierten Vergleichsvertrag einen immanenten Verwaltungsakt zuzuschreiben,84 immanent deshalb, weil der Wortlaut des Prozessvergleichs einen solchen Rückschluss nur selten nahe legen wird. Während nämlich im Leistungsurteil von einer „Verurteilung“ die Rede ist, kommt die staatliche Beteiligung beim Prozessvergleich allenfalls in den einleitenden Bemerkungen des Protokolls zum Ausdruck, wenn beispielsweise die folgende Formulierung gewählt wird: „Auf Anraten des Gerichts schlossen die Parteien folgenden Vergleich.“ Der eigentliche Vergleichstext ist hingegen in der Regel nicht anders verfasst als bei Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs. Das ist angesichts der Doppelnatur des Prozessvergleichs und seiner vorrangig materiell-rechtlichen Bedeutung auch wenig verwunderlich. Das Gericht könnte dazu 82 Ebenso Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 29: „Die Protokollierung … berücksichtigt auch, dass jede im Vergleich mit Ansprüchen bedachte Partei auf die Vollstreckbarkeit Wert legt.“ 83 Anders hingegen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 42, nach dessen Ansicht es beim Prozessvergleich einer Unterwerfungserklärung nicht bedarf. Eine Begründung gibt Münzberg hierfür jedoch nicht. 84 Hilfreich für das Verständnis ist hier das englische Vollstreckungsrecht, bei dem Vergleiche („settlement or compromise“) erst durch gerichtliche „consent order“ zum Vollstreckungstitel werden, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.36. Es bedarf hier also eines gesonderten gerichtlichen Aktes, der im deutschen Vollstreckungsrecht mit dem Abschluss des Prozessvergleichs zusammenfällt.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
im Gegensatz keine „rechtsgestaltende“ Verurteilung vornehmen. Gerichtliche Schätzungen und Risikoverteilungen sind nur ausnahmsweise zulässig.85 b) Der Dualismus von materiell-rechtlichem Vergleich und verwaltungsrechtlichem Verwaltungsakt Da der Prozessvergleich regelmäßig rechtsgestaltende Wirkung zwischen den Parteien hat und dementsprechend auch formuliert wird, legt sein Wortlaut den gleichzeitigen Ausspruch eines Verwaltungsaktes kaum nahe. Dies veranschaulicht aber nur die Parallele zum Leistungsurteil. Denn diesem ist gemäß seinem Wesen als Akt der Rechtsprechung ein exekutives Element in Form eines Verwaltungsaktes ebenfalls fremd. Allein der Gedanke einer effektiven Vollstreckung macht eine Durchbrechung der Gewaltenteilungsmaxime sinnvoll.86 Da sich Urteil wie auch Verwaltungsakt inhaltlich entsprechen, ermöglicht dies einen einheitlichen Urteilstenor im Sinne einer „Verurteilung“ anstelle der bloß rechtsprechenden „Feststellung“. Die „Verurteilung“ beinhaltet mithin die „Feststellung“ und ist ein maius. Eine vergleichbare begriffliche Vereinheitlichung wird beim Prozessvergleich dadurch erschwert, dass die vorausgehende materiell-rechtliche Einigung infolge ihres konstitutiven und rechtsgestaltenden Charakters ein „aliud“ darstellt. Dies kommt auch in der wechselnden Rolle der Beteiligten zum Ausdruck. Während der materiell-rechtliche Teil des Prozessvergleichs nur von den Parteien erklärt werden kann und nicht etwa vom Gericht, kann der Grundverwaltungsakt für die anschließende Vollstreckung nur von staatlicher Seite, sprich vom Gericht, erlassen werden.87 Diese wechselnden Beteiligungen machen es nahezu unmöglich, in Anlehnung an das Leistungsurteil eine einheitliche Formulierung des Vergleichs vorzunehmen. Ist damit das Erklärungsmodell für den Prozessvergleich in Frage gestellt? c) Ergänzung der §§ 704, 794 ZPO um die Dogmatik zum Verwaltungsakt Es bleibt zu berücksichtigen, dass trotz des in der Regel einheitlichen Wortlauts des Prozessvergleichs dessen Doppelwirkung unumstritten ist.88 Die prozessuale Wirkung kommt dem Prozessvergleich bereits durch die gesetzliche Regelung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu, indem diese Vorschrift dem vor Gericht protokollierten Vergleich die Wirkung eines Titels zuschreibt, auch ohne dass von dem gesonderten Erlass eines Verwaltungsaktes die Rede wäre. Letzteres ist nicht weiter verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass dem Gesetzgeber der Zivilpro85 Dies gilt im Übrigen nicht anders für den Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts und damit insbesondere auch für den Erlass eines Verwaltungsaktes. 86 S.o. IV 3 c. 87 Gemäß § 35 S. 1 VwVfG kann der Verwaltungsakt nur von einer Behörde erlassen werden. Zu der daraus resultierenden Durchbrechung der Gewaltenteilung im Bereich der Vollstreckung aus gerichtlichen Urteilen s. bereits oben unter IV 3 c. 88 Zur Doppelwirkung s. bereits oben unter 1.
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zessordnung die heutigen Instrumentarien des Verwaltungsrechts noch nicht zur Verfügung standen. Die Figur des Verwaltungsaktes und seine dogmatische Ausgestaltung ist eine Frucht des 20. Jahrhunderts.89 Wie hätte demzufolge der Gesetzgeber dieser Entwicklung im Detail vorgreifen können? Dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung gebührt mithin Anerkennung dafür, dass er in ausreichendem Umfang der sich später erst entwickelnden Dogmatik zum Verwaltungsakt Spielraum verschafft hat. So hat sich im Bereich des Leistungsurteils gezeigt, dass die Durchbrechung der Gewaltenteilung und die Inkorporierung des Verwaltungsaktes in das Leistungsurteil absolut sinnvoll erscheint.90 Auch wenn die gesetzlichen Regelungen dies nicht ausdrücklich aussprechen und auch nicht aussprechen konnten, so fügen sie sich doch lückenlos in die zwischenzeitlich ergangenen Vorschriften des Verwaltungsrechts ein. Denn das geltende Recht steht der Aufteilung des Leistungsurteils in ein judikatives und ein exekutives Entscheidungselement nicht im Wege.91 d) Protokollierung als Bezugspunkt für den Grundverwaltungsakt Etwas schwieriger wird die Aufteilung zwischen materiell-rechtlichem Vergleich und exekutivem Grundverwaltungsakt im Bereich des Prozessvergleichs. Da sich die Regelung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – wie dargestellt – vorwiegend an dem materiell-rechtlichen Element des Prozessvergleichs orientiert, beschränkt sich die verfahrensrechtliche Komponente auf den Akt der Protokollierung seitens des Gerichts. Hier zeigt sich jedoch bei näherer Betrachtung, dass sich hinter der Protokollierung des Vergleichs weitaus mehr verbirgt als die bloße schriftliche Niederlegung. Maßgeblich ist die Beteiligung eines Gerichts an dem Vergleichsabschluss. Aufgrund der damit verbundenen Nähe des Prozessvergleichs zum Leistungsurteil beinhaltet die Protokollierung der Sache nach die Unterwerfung unter die staatliche Zwangsvollstreckung.92 Aus der Sicht des protokollierenden Gerichts stellt sich dieser Unterwerfungsakt nicht anders dar als die Reaktion auf einen belastenden Verwaltungsakt. Ausgesprochen wird dieser Verwaltungsakt im Wege der bei der Protokollierung gesondert erfolgenden Verlesung und Bekanntgabe, die von den Parteien zu genehmigen ist, § 162 ZPO.93 Dass der Verwaltungsakt dem Prozessvergleich nur konkludent zu entnehmen ist, hat mithin mehrere Gründe. Zum einen ist diese Praxis der Gerichte histo89
Ausführlich dazu Maurer, § 9, Rdnrn. 1 ff. S.o. III 3 c. 91 S.o. III 3 a und b. 92 Ablehnend hingegen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 13 II und III 2, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 42, nach deren Ansicht es beim Prozessvergleich keiner Unterwerfungserklärung bedarf. Zu der sich daraus ergebenden Parallele zur vollstreckbaren Urkunde, die Gaul und Münzberg gerade ablehnen, sogleich unter VII 1 und 2. 93 Nicht umsonst gehen Rechtsprechung und Literatur daher von der Unwirksamkeit des Titels aus, sofern es an der ordnungsgemäßen Protokollierung des Vergleichs mangelt, BGH NJW 1984, 1465 (1466); Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 129 I 3; Tempel, in: Festschrift für Schiedermair, S. 517 (525 f.); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 13 III 4 c. 90
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
risch bedingt. Bei Erlass der Zivilprozessordnung stand die Figur des Verwaltungsaktes noch in den Kinderschuhen. Zum anderen schließt das konstitutive Vertragselement des Prozessvergleichs angesichts der unterschiedlichen Beteiligten den gleichzeitigen Erlass eines Verwaltungsaktes aus. Dieser ist nicht von den Parteien, sondern vom Gericht auszusprechen. Da sich dieser Ausspruch jedoch inhaltlich mit dem Vergleichsvertrag deckt, würde der gesonderte Ausspruch zur lästigen Förmelei. Die in § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO angeordnete Beschränkung auf die Protokollierung des Vergleichs ist demzufolge durchaus sachgerecht. Im Kern darf aber nicht übersehen werden, dass die Protokollierung zugleich den Erlass eines inhaltsgleichen Grundverwaltungsaktes beinhaltet. 3. Die schriftliche Niederlegung im Lichte des § 37 VwVfG Der Prozessvergleich wird mit der Genehmigung des Protokolls wirksam, § 162 ZPO. In der Praxis geschieht dies durch die richterliche Aufnahme des Genehmigungsvermerks auf einem Tonbandträger. Erst später wird eine schriftliche Fassung des Prozessvergleichs angefertigt und den Parteien übermittelt.94 Wie ist diese Verfahrensweise vor dem Hintergrund des soeben entwickelten Erklärungsmodells zu deuten? Das materiell-rechtliche Element des Prozessvergleichs orientiert sich hinsichtlich seiner Formwirksamkeit an den materiell-rechtlichen Formvorschriften. Um im Falle des Erfordernisses einer notariellen Beurkundung dem Einwand der Formnichtigkeit aus dem Wege zu gehen, ordnet § 127 a BGB die Gleichstellung des gerichtlich protokollierten Vergleichs mit der notariellen Beurkundung an. 94
Auf Antrag des Gläubigers ergeht sodann eine vollstreckbare Ausfertigung, die dem Schuldner zugestellt wird. Ähnlich wie beim Leistungsurteil stellt sich dabei insbesondere im Rahmen des Prozessvergleichs die später noch genauer zu untersuchende Frage nach der Bedeutung der gesonderten Vollstreckungsklausel und der Zustellung. Letztere ist beim Prozessvergleich nicht einmal mehr für die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes erforderlich, da die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bereits im Gerichtstermin erfolgt. Dem Klauselverfahren soll hingegen beim Prozessvergleich die besondere Bedeutung zukommen, dass zum einen die ordnungsgemäße Beurkundung geprüft werden soll und zum anderen die Ausübung eines etwaigen Widerrufsvorbehalts (Putzo, in: Thomas/Putzo, § 794, Rdnr. 33). Bedenken gegen ein derartiges Verständnis des Klauselverfahrens ergeben sich aus dem Umstand, dass es sich um materiell-rechtliche Fragen handelt, deren Bewertung dem Gericht vorbehalten ist. Zur rechtsprechenden Gewalt gehören hingegen nicht der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und der Rechtspfleger, die die Klausel erteilen. Es ist zudem auch kaum vorstellbar, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Richter daraufhin überprüfen soll, ob er den Prozessvergleich ordnungsgemäß protokolliert hat. Die Beantwortung der materiell-rechtlichen Fragen der ordnungsgemäßen Beurkundung und des Widerrufs des Prozessvergleichs sind vielmehr allein dem Prozessgericht vorbehalten. Rechtliche Bedenken müssen im Wege der Feststellungsklage oder der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden. Ohne an dieser Stelle noch weiter in die Diskussion einsteigen zu wollen (s. dazu noch im Detail unter § 12 III 3), spiegeln sich bereits an dieser Stelle die Widersprüche des Klauselverfahrens wider. Vor dem Hintergrund des hier entwickelten Verständnismodells des Prozessvergleichs kommt dem Klauselverfahren ebenso wenig wie der gesonderten Zustellung des Prozessvergleichs eine eigenständige Bedeutung zu.
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Richtet man sich hinsichtlich des verfahrensrechtlichen Elements des Prozessvergleichs an der Figur des Verwaltungsaktes aus, so bemisst sich ein Formerfordernis an der allgemeinen Vorschrift des § 37 Abs. 2 VwVfG. Diese Vorschrift lässt den Erlass eines Verwaltungsaktes in schriftlicher, mündlicher oder anderer Weise zu. Satz 2 des § 37 Abs. 2 VwVfG bestimmt, dass ein mündlicher Verwaltungsakt schriftlich zu bestätigen ist, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Demnach steht die mündliche Protokollierung des Prozessvergleichs der Formwirksamkeit des einhergehenden Verwaltungsaktes nicht im Wege. Die spätere schriftliche Niederlegung und Mitteilung gegenüber den Beteiligten entspricht einer einfachen „Bestätigung“ im Sinne des § 37 Abs. 2 VwVfG. Das berechtigte Interesse daran ergibt sich für die Beteiligten aus der Titelfunktion des Prozessvergleichs.95 Das „unverzügliche Verlangen“ der Beteiligten erübrigt sich angesichts der Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Protokollierung. Insoweit könnte man die §§ 159 ff. ZPO auch als ergänzende Vorschriften zu der Regelung des § 37 Abs. 2 VwVfG verstehen. Die Wertungen sind dabei jedenfalls identisch. 4. Ergebnis Der Prozessvergleich entspricht in seiner Doppelfunktion dem Formalisierungsmodell auf erster und zweiter Stufe. Es bestätigt sich die These, nach der jedwede Vollstreckung auf einen Grundverwaltungsakt zurückgreifen muss. Dass dieser beim Prozessvergleich nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, hat sowohl historische als auch pragmatische Gründe. Die Verwaltungsrechtsdogmatik stand im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zivilprozessordnung noch in ihren Kinderschuhen. Die Rechtsfigur des Verwaltungsaktes war noch nicht geboren. Unabhängig davon käme der gesonderte Ausspruch des Grundverwaltungsaktes, der mit der Protokollierung des Vergleichs einhergeht, einer lästigen Förmelei gleich. Entspricht der Grundverwaltungsakt doch vollumfänglich dem Inhalt des zu protokollierenden Vergleichs.
VI. Kostenfestsetzungsbeschluss und Vollstreckungsbescheid Ebenfalls eine wichtige Rolle im Katalog des § 794 Abs. 1 ZPO spielen der Kostenfestsetzungsbeschluss und der Vollstreckungsbescheid.96 Ersterer ist Annex zum Urteil und zum Prozessvergleich.97 Es handelt sich um eine Konkretisierung des Titels in Bezug auf die Kosten, zu denen das Urteil und der Prozessvergleich 95 Das berechtigte Interesse des Schuldners leitet sich zudem aus dem Umstand ab, dass es sich um einen für ihn belastenden Verwaltungsakt handelt. Die Verwaltungsrechtslehre bejaht in einem derartigen Fall der Betroffenheit in aller Regel das berechtigte Interesse, Kopp/Ramsauer, § 37, Rdnr. 24. 96 Die familienrechtlichen Titel sollen hier außer Betracht bleiben. 97 Gleichwohl ist der Kostenfestsetzungsbeschluss selbständig ohne Vorlage des Urteils oder des Prozessvergleichs vollstreckbar, Stöber, in: Zöller, § 794, Rdnr. 18.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
nur eine Grundentscheidung treffen.98 Die Bezifferung der Ausgleichsforderung bleibt dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten. Besonderheiten gegenüber den bisherigen Feststellungen zum Urteil und Prozessvergleich ergeben sich damit nicht. Auch beim Kostenfestsetzungsbeschluss ist zwischen dem rechtsprechenden Feststellungselement und dem exekutiven Leistungsbefehl zu unterscheiden. Dieser doppelte Bedeutungsgehalt kommt im Wortlaut des Kostenfestsetzungsbeschlusses besonders deutlich zum Ausdruck, indem von der „Festsetzung“ der Kosten die Rede ist. Dieser Begriff beinhaltet sowohl die richterliche Feststellung als auch die behördliche Leistungsanordnung. Bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang allenfalls die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers für den rechtsprechenden Part des Kostenfestsetzungsbeschlusses, da Art. 92 GG jedwede Rechtsprechung dem Richterberuf vorbehält und das gesetzliche Leitbild des Rechtspflegerberufes den verfassungsrechtlichen Kriterien des Richterberufes nicht gerecht wird.99 Abhilfe zu diesem Problem, das den Gegenstand der Untersuchung überschreitet, kann nur entweder eine Verfassungsänderung oder eine funktionelle Gleichstellung des Rechtspflegers mit dem Richter bieten. Das Verständnis des Vollstreckungsbescheides bereitet vor dem Hintergrund des hier entwickelten Modells noch weniger Probleme als das des Kostenfestsetzungsbeschlusses. § 700 Abs. 1 ZPO ordnet ausdrücklich die Gleichstellung des Vollstreckungsbescheides mit einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil an. Der Vollstreckungsbescheid ist mithin nicht anders zu bewerten als das Urteil. Er ist ebenso in ein Feststellungselement, den Erkenntnisakt, sowie einen Verwaltungsakt zu unterteilen.
VII. Die vollstreckbare Urkunde Letztes Glied in der Kette des § 794 Abs. 1 ZPO bildet die vollstreckbare Urkunde.100 Diese steht dem Prozessvergleich sehr nahe, wie nunmehr zu zeigen sein wird. 1. Die Doppelnatur Die vollstreckbare Urkunde bildet das außergerichtliche Pendant zum Prozessvergleich. Sie ist damit Ausdruck der Privatautonomie. Dass dieses Prinzip Vorrang vor dem (gerichtlichen) Titelerfordernis in der Zwangsvollstreckung hat, ist bereits anhand des Prozessvergleichs veranschaulicht worden.101 Der Prozessver98 Fehlt daher ein als Kostengrundentscheidung geeigneter Titel, so darf der auch ohne Aufhebung unwirksame Beschluss nicht vollstreckt werden, Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 95. 99 Ein ähnliches Problem tritt im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages gemäß § 765 a ZPO auf. Dazu ausführlich noch unter § 33 V. 100 Zur österreichischen Entsprechung gemäß § 1 Nr. 17 EO Baur, in: Festschrift für Demelius, S. 315 (315 f.). Nach österreichischem Recht muss der Schuldner zustimmen, dass der Notariatsakt sofort vollstreckbar sein soll. 101 S.o. V 1.
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gleich macht eine streitige gerichtliche Entscheidung entbehrlich. Darüber hinaus ermöglicht das Institut der vollstreckbaren Urkunde den gänzlichen Verzicht der Parteien auf ein der Zwangsvollstreckung vorgelagertes gerichtliches Erkenntnisverfahren. Dass dieser Verzicht, insbesondere seitens des potentiellen Schuldners, in der Praxis eher gezwungenermaßen erklärt wird, mag dabei bedenklich stimmen. Andererseits trägt aber die Möglichkeit der vollstreckbaren Urkunde den sachgerechten Interessen des Gläubigers Rechnung, wegen einer (zunächst) unstreitigen Forderung auf raschem Wege die Zwangsvollstreckung betreiben zu können. Die Schuldnerinteressen finden insoweit Berücksichtigung, als dem Schuldner die gerichtliche Überprüfung des Bestandes der Forderung unbenommen bleibt, §§ 797, 795, 767 ZPO.102 Handelt es sich demnach bei der vollstreckbaren Urkunde nur um eine rein verfahrensrechtliche Verzichtserklärung auf ein vorheriges gerichtliches Verfahren oder kommt der beurkundeten Erklärung ähnlich wie beim Prozessvergleich eine rechtsverbindliche Gestaltungswirkung zu? Die Frage ist nicht anders als beim Prozessvergleich zu beantworten. Denn auch dort bleibt es den Parteien unbenommen, die Wirksamkeit des Prozessvergleichs nachträglich in Frage zu stellen und der gerichtlichen Überprüfung im Wege der Feststellungsklage oder der Vollstreckungsabwehrklage zu unterwerfen. Diese Möglichkeit ist schlicht Ausdruck der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie, Art. 19 Abs. 4 GG. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist aber allein der jeweilige status quo. Soweit daher die Parteien, sei es im Prozessvergleich, sei es in der vollstreckbaren Urkunde, rechtsgestaltende Erklärungen abgegeben haben, müssen sie sich an deren Rechtsfolgen festhalten lassen. Nicht anders als der Prozessvergleich weist also auch die vollstreckbare Urkunde eine Doppelnatur auf. Einerseits enthält sie auf materiell-rechtlicher Ebene konstituierende Willenserklärungen, andererseits beinhaltet sie ein verfahrensrechtliches Element in Form der Unterwerfungserklärung.103 Angesichts der aufgezeigten Parallele zum Prozessvergleich liegt es nahe, auch die vollstreckbare Urkunde der ersten Stufe der Formalisierung zuzuordnen. Es handelt sich um eine übereinstimmende Erklärung der Parteien zu dem zivil102 Auf einige insbesondere aus Schuldnersicht bedenkliche Unterschiede der vollstreckbaren Urkunde gegenüber dem Urteil hat Baur, in: Festschrift für Demelius, S. 314 (318 ff.), und ihm folgend Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 13 IV 1, hingewiesen. So ist die vollstreckbare Urkunde Bestandteil eines „massentypischen“ Rechtsgeschäfts und steht bereits am Anfang der Entwicklung eines Rechtsverhältnisses, nicht an seinem Ende. Im Gegensatz zu der Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil setzt sich der Gläubiger im Falle der unberechtigten Vollstreckung auch keiner Schadensersatzhaftung aus § 717 Abs. 2 ZPO aus. Baur zieht aus diesen Umständen nicht den rechtspolitischen Schluss, die Abschaffung dieses Instituts zu fordern, regt aber mit Recht an, die geschilderten Gefahren zu begrenzen, sei es durch Rechtsprechung, sei es durch gesetzgeberische Änderungen. 103 Nicht umsonst wird die Unterwerfungserklärung schon bislang nicht als privatrechtliche, sondern als eine ausschließlich auf das Zustandekommen des Vollstreckungstitels gerichtete einseitige prozessuale Willenserklärung angesehen. So RGZ 146, 308 (312); BGH NJW 1985, 2423; Stöber, in: Zöller, § 794, Rdnr. 29; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 125; Werner, DNotZ 1969, 713 (716 ff.); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 13 IV 7; Wolfsteiner, Rdnr. 8.3.
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rechtlich relevanten Tatbestandsmerkmal „Bestand der zu vollstreckenden Forderung“. Soweit diese übereinstimmenden Erklärungen der notariellen Form unterworfen sind, erklärt sich dies unter zweierlei Gesichtspunkten. Bereits in materiell-rechtlicher Sicht handelt es sich bei den Willenserklärungen, die im Rahmen der vollstreckbaren Urkunde abgegeben werden, zumeist um formbedürftige Rechtsgeschäfte. Man denke nur an den Regelfall des Grundstückskaufvertrages, § 311 b BGB. Dieses materiell-rechtliche Formerfordernis überschneidet sich mit dem verfahrensrechtlichen Formerfordernis des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, auf das nunmehr gesondert einzugehen ist. 2. Die Unterwerfungserklärung Man muss sich darüber im Klaren sein, dass dem Formerfordernis des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO eine eigene verfahrensrechtliche Bedeutung zukommt. Im Gegensatz zu der Regelung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die den Prozessvergleich betrifft, kommt dieses Formerfordernis bei der vollstreckbaren Urkunde im Gesetzestext mit der Formulierung „in der vorgeschriebenen Form“ besonders deutlich zum Ausdruck. Beim Prozessvergleich ergibt es sich erst aus den allgemeinen Vorschriften zur gerichtlichen Protokollierung, die in ihrer materiellrechtlichen Auswirkung gemäß § 127 a BGB der notariellen Beurkundung gleichgestellt werden. Augenfällig wird diese Betonung der verfahrensrechtlichen Komponente bei der vollstreckbaren Urkunde durch das Beurkundungserfordernis der Unterwerfungserklärung unter die sofortige Zwangsvollstreckung. Dass eine solche Erklärung auch dem Prozessvergleich innewohnt, ist bereits aufgezeigt worden.104 Hingegen wird sie beim Prozessvergleich nicht ausdrücklich protokolliert. Dieser Unterschied mag damit zu rechtfertigen sein, dass dem Schuldner in der Situation des Prozessvergleichs wegen der bereits in Streit stehenden Zahlungsverpflichtung und der Nähe zum drohenden Urteil die bevorstehende Zwangsvollstreckung unmittelbar vor Augen steht. Dagegen handelt es sich bei der vollstreckbaren Urkunde in der Regel um die Situation einer aufschiebend bedingten Zwangsvollstreckung wegen Ansprüchen, die mit der Beurkundung überhaupt erst begründet werden.105 Der Gesetzgeber hielt es daher für dringend geraten, dem Schuldner durch die Abgabe einer gesonderten Unterwerfungserklärung und die damit einhergehende Beratung durch den Notar106 ausdrücklich auf die Risiken einer derartigen Erklärung hinzuweisen.107 104 Es handelt sich um den dem Prozessvergleich innewohnenden Grundverwaltungsakt, s.o. V 2 a. Anders hingegen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 42, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 13 II, III 2, nach deren Ansicht es beim Prozessvergleich einer Unterwerfungserklärung nicht bedarf. Eine Begründung geben Münzberg und Gaul hierfür jedoch nicht. 105 Auf diesen Unterschied hat bereits Baur, in: Festschrift für Demelius, S. 315 (318), hingewiesen. 106 Ausführlich dazu, insbesondere im Zusammenhang mit der Haftung des Notars Stürner, JZ 1974, 154 (157 ff.). 107 Dieser Gesetzeszweck leitet sich unmittelbar aus den umfangreichen Belehrungspflichten ab, denen der Notar nach den Vorschriften des Beurkundungsgesetzes nachzukommen hat.
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Die Notwendigkeit einer eigenständigen Unterwerfungserklärung im Rahmen der vollstreckbaren Urkunde unterstreicht die Überlegungen, die bereits anhand des Prozessvergleichs angestellt worden sind. Dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung war die Figur des behördlichen Verwaltungsaktes noch völlig fremd.108 Um so mehr Anerkennung gebührt ihm, als er mit der Figur der Unterwerfungserklärung der verwaltungsrechtlichen Dogmatik quasi vorgegriffen hat.109 So ist auch die zwingend vorgeschriebene Mitwirkung des Notars bei der vollstreckbaren Urkunde kein Zufall. Wenn der Gesetzgeber dabei den besonderen Schutz des Schuldners vor Augen hatte, so ist dies Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols in der Zwangsvollstreckung. Zu der Zwangsvollstreckung zählt auch der ihr zugrunde liegende Grundverwaltungsakt,110 der nur von Seiten einer staatlichen Behörde erlassen werden kann.111 Eine solche Behörde stellt aufgrund seiner staatlichen Beleihung und der strengen Dienstaufsicht auch der Notar dar.112 Damit schließt sich der Kreis. Die Unterwerfungserklärung entpuppt sich schlicht als behördlicher Grundverwaltungsakt113 für die sich anschließende Zwangsvollstreckung.114 Die Unterwerfungserklärung stellt auf Seiten des Schuldners das Spiegelbild des staatlichen Leistungsbefehls dar.115 108
S.o. V 2. Mit Recht messen Rechtsprechung und Literatur der Unterwerfungserklärung daher eine rein verfahrensrechtliche Bedeutung zu (s. dazu schon oben die Anmerkung in Fn. 103). 110 Anhand der Figur des Verwaltungsaktes lassen sich auch die bislang erörterten Streitfragen um einen Widerruf der Unterwerfungserklärung, ihre Verknüpfung mit einer Bedingung oder ihre Nichtigkeit gemäß § 139 BGB beantworten (näher dazu Werner, DNotZ 1969, 713 (714 ff.)). Die Vorschriften der §§ 48, 49; 36; 44 Abs. 4 VwVfG liefern hier sachgerechte Antworten, so dass sich die weitere Debatte um die Rechtsnatur der Unterwerfungserklärung (s. dazu bereits die Anmerkung in Fn. 103) erübrigt. 111 Werner, DNotZ 1969, 713 (718), führt daher treffend aus: „Der Vollstreckungstitel selbst wird erst durch die Beurkundung des Notars, einer staatlich eingesetzten Amtsperson, hergestellt. Der Notar ist bei der Schaffung eines Vollstreckungstitels ebenso wie das Gericht nicht nur Beurkundungsstelle, sondern er erstellt die Klausel in Ausübung der ihm übertragenen Amtsbefugnis.“ 112 Zugleich zeigt sich, dass in diesem Bereich der Notar ebenso wenig als „Rechtspflegeorgan“ einzustufen ist wie die Vollstreckungsorgane (s. dazu bereits ausführlich im ersten Teil unter § 4 VI 1 bis 3). Der Notar handelt hier als Verwaltungsbehörde. Kritisch insoweit zur Stellung des Notars als vermeintlich unabhängiges Organ Stürner, JZ 1974, 154 (155 ff.). 113 In diese Richtung gingen bereits die Ausführungen von J. Kohler, AcP 1888, 1 (39): „In der That liegt der wirkende Grund darin, daß die Rechtsordnung im Interesse des materiellen Rechts einer Veranstaltung executive Kraft gegeben hat; … Eine formelle Executionsveranstaltung mit dem materiellen Anspruch als juristischer Voraussetzung: dies ist also das Princip der executorischen Urkunde.“ 114 Gegen die Zuordnung eines Grundverwaltungsaktes als Inhalt der vollstreckbaren Urkunde, namentlich der Unterwerfungserklärung, könnte eingewandt werden, dass im Zeitpunkt der Beurkundung der vollstreckbaren Urkunde die Zwangsvollstreckung noch gar nicht absehbar sei, da die Fälligkeit des titulierten Anspruchs zumeist an eine Reihe vertraglich benannter Bedingungen geknüpft sei. Man denke beispielsweise beim Grundstückskaufvertrag an die Bestellung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Käufers. In der weiteren Folge könnte man geneigt sein, allenfalls der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung seitens des Notars die Qualität eines Verwaltungsaktes zuzuschreiben. Demgegenüber ist aber zu berücksichtigen, dass die Prüfung, die der Notar bei Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung vornimmt, sich an den bereits in der notariellen Urkunde vertraglich fixierten Kriterien zu orientieren hat. Diesen zumeist ohnehin nur 109
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3. Erklärungsmodell des § 800 ZPO als dinglicher Verwaltungsakt Die Erklärung der Unterwerfungserklärung als Grundverwaltungsakt für die sich anschließende Zwangsvollstreckung ermöglicht abschließend auch ein klareres Verständnis des § 800 ZPO. Diese Vorschrift lässt in Ansehung einer Hypothek, einer Grund- oder Rentenschuld die Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung mit Wirkung gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks zu. Diese dingliche Unterwerfungserklärung stellt sich als dinglicher Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung dar. Allgemeinverfügung ist gemäß § 35 S. 2, 2. Fall VwVfG ein Verwaltungsakt, der „die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache betrifft“. Typisches Beispiel ist die öffentlich-rechtliche Widmung oder die Eintragung von Baulasten in das Baulastenverzeichnis. In ähnlicher Form ist auch die dingliche Unterwerfungserklärung zu deuten, die gemäß § 800 Abs. 1 S. 2 ZPO die Eintragung im Grundbuch voraussetzt. Ein gesondertes Register in Anlehnung an das Baulastenverzeichnis ist wegen der Sachnähe zum Grundbuch entbehrlich.116 Im Übrigen regelt die dingliche Unterwerfungserklärung in gleicher Weise wie die zuvor genannten Formen der dinglichen Allgemeinverfügung den Benutzungszweck des Grundstücks, hier die Verwertung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung.
VIII. Resümee Sucht man nach dem gemeinsamen Nenner der in der Zwangsvollstreckung zugelassenen Titel, so ergibt sich das stete Erfordernis einer staatlichen Beteiligung bei Erlass des Titels. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich diese staatliche Beteiligung als verwaltungsbehördliche Tätigkeit in Form des Erlasses eines Leistungsbescheides an den Schuldner. Dieser Grundverwaltungsakt ist Dreh- und Angelpunkt jeglicher Zwangsvollstreckung. Zugleich ist damit der Formel „Titel, Klausel, Zustellung“ ein wenig von ihrem Zauber genommen. Denn das Titeler-
formal nachprüfbaren Kriterien hat sich der Schuldner bereits mit der Vertragsunterzeichnung unterworfen. Die Unterwerfung erfolgt nicht erst mit der Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung. Die Situation entspricht also derjenigen eines bedingten Verwaltungsaktes. Auch hier bedarf es bei Eintritt der Bedingung keines gesonderten Verwaltungsaktes, um die Rechtswirkungen des Grundverwaltungsaktes auszulösen. Zwar ließe sich auch ein solcher zweiter Verwaltungsakt dogmatisch konstruieren. Indes sprächen dieselben praktischen Überlegungen und Widersprüche zum Klauselverfahren, die bereits anhand des Prozessvergleichs angerissen worden sind (s.o. die Anmerkung in Fn. 94), gegen ein solches Modell. Auch im Rahmen der vollstreckbaren Urkunde ist nicht ersichtlich, weshalb ein gesondertes Klauselverfahren mit eigenständigen Rechtsbehelfen notwendig sein sollte, um den Anforderungen an einen wirksamen Grundverwaltungsakt in der Zwangsvollstreckung gerecht zu werden. Näher zu diesen Hemmnissen des Klauselverfahrens sogleich unter § 12. 115 Demzufolge stellt Werner, DNotZ 1969, 713 (718), zutreffend fest: „… ist Adressat der Unterwerfungserklärung nicht die andere Partei, sondern der Notar.“ 116 Ähnlich wäre es aus Gründen der Übersichtlichkeit auch denkbar, das Baulastenverzeichnis mit dem Grundbuch zusammenzuführen.
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fordernis umschreibt nichts anderes als den verwaltungsbehördlichen Ausgangspunkt der Zwangsvollstreckung, die ihrerseits ein Verwaltungsverfahren darstellt. Daneben behält es hinsichtlich des zivilrechtlich relevanten Merkmals des „Bestandes der zu vollstreckenden Forderung“ mit dem Formalisierungsmodell sein Bewenden. Es treten keine Abweichungen gegenüber anderen in der Zwangsvollstreckung formalisierten zivilrechtlichen Tatbestandsmerkmalen auf. Auf der ersten Stufe der Formalisierung bindet die übereinstimmende Erklärung der Beteiligten das Vollstreckungsorgan in seiner Tätigkeit. Die Formbedürftigkeit dieser übereinstimmenden Erklärung entspringt nicht einer Eigenart der Zwangsvollstreckung, sondern ergibt sich sowohl aus den zivilrechtlichen Formvorschriften für die wirksame Abgabe von Willenserklärungen als auch aus der Notwendigkeit der staatlichen Beteiligung beim Erlass des zeitgleich ergehenden Grundverwaltungsaktes. Diese zuletzt genannte staatliche Beteiligung unterliegt den Vorgaben der Protokollierung oder der Beurkundung. Der ersten Stufe der Formalisierung sind demnach zuzuordnen der Prozessvergleich und die vollstreckbare Urkunde. Diese beiden Titelarten decken den vom Gesetzgeber eröffneten Bereich der freiwilligen Einigung über den Bestand der zu vollstreckenden Forderung ab, sei es im Rahmen eines bereits anhängigen Gerichtsverfahrens, sei es außergerichtlich. Auf der zweiten Stufe der Formalisierung weist die gerichtliche Feststellung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung keine Besonderheiten gegenüber anderen gerichtlich zu klärenden Tatbestandsmerkmalen in der Zwangsvollstreckung auf. Der besondere Urteilstenor in Form des Leistungsurteils bzw. des Vollstreckungsbescheids erklärt sich allein aus der Überlagerung mit dem zeitgleich vom Gericht zu erlassenden Leistungsbescheid. Daneben beinhaltet das Leistungsurteil nichts anderes als die gerichtliche Feststellung des Bestandes des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs. Einen Vermutungstatbestand auf der dritten Stufe der Formalisierung gibt es für den Bestand der zu vollstreckenden Forderung nicht, da es hierfür an einem für das Vollstreckungsorgan leicht nachprüfbaren Rechtsscheintatbestand mangelt. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, auf der zweiten Stufe der Formalisierung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein „gerichtliches Vorprüfungsverfahren“ durchzuführen. Vor dem Hintergrund dieses abschließenden Erklärungsmodells zum Titelerfordernis gewinnen folgende Feststellungen klarere Konturen: Der Mangel eines Vollstreckungstitels soll nicht durch eine privatrechtliche Genehmigung zu heilen sein;117 durch Parteivereinbarung könne nur unter den Voraussetzungen des § 794 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 ZPO das Recht auf Zwangsvollstreckung begründet werden;118 die Zwangsvollstreckung aus einer Privaturkunde sei dem geltenden Recht fremd.119 117 118 119
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2. Schug, S. 32 m.w.N., und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2. Scherf, S. 45; BGH KTS 1961, 152 (152 f.); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Sämtliche der genannten Feststellungen bringen nichts anderes zum Ausdruck als die Notwendigkeit der Beteiligung staatlicher Stellen bei der Begründung eines Vollstreckungstitels. Dogmatisch lässt sich diese Mitwirkung der staatlichen Stellen nicht anders erklären als anhand der verwaltungsrechtlichen Figur des Verwaltungsaktes. Die in diesem Zusammenhang recht heterogen auftretenden Formulierungen bei den verschiedenen Arten von Titeln sind auf die historischen Gegebenheiten zurückzuführen. Dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung war die Rechtsfigur des Verwaltungsaktes noch unbekannt, so dass ihm der Schlüssel für eine abstrakte Formulierung des Titelerfordernisses noch nicht zur Verfügung stand. Dies erklärt nicht zuletzt auch die willkürlich anmutende Reihenfolge der Nummerierung des § 794 Abs. 1 ZPO. In Anlehnung an das dreistufige Formalisierungsmodell und den gesetzlichen Ausgangsfall des Leistungsurteils auf der zweiten Stufe der Formalisierung hätte folgende Reihenfolge näher gelegen: – – – –
Kostenfestsetzungsbeschluss (Annex zum Leistungsurteil), Vollstreckungsbescheid (Gleichstellung mit dem Leistungsurteil), Prozessvergleich (freiwillige Einigung im gerichtlichen Verfahren) und vollstreckbare Urkunde (freiwillige außergerichtliche Einigung).
§ 12 Die Vollstreckungsklausel I. Zweck der Vollstreckungsklausel Ähnlich wie der Vollstreckungstitel führt die Vollstreckungsklausel in der Zwangsvollstreckung ein nahezu mystisches Eigenleben. Ohne dass die Rechtsnatur der Klausel näher bestimmt würde, soll es sich beim Klauselverfahren um die Brücke zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren handeln, über die das Vollstreckungsorgan der Prüfung von materiellen Rechtsfragen enthoben wird.120 Misstrauisch stimmt an dieser Formulierung schon der Umstand, dass das Erkenntnisverfahren nicht zwingende Voraussetzung der Zwangsvollstreckung ist.121 In dem Bereich der vollstreckbaren Urkunden vermag daher das Brückenargument das Klauselverfahren schon nicht zu rechtfertigen. Des Weiteren fällt auf, dass Sinn und Zweck der Klausel kein einheitlicher zu sein scheinen.122 Vielmehr ergeben sich bei näherer Betrachtung drei Stoßrichtungen. Neben der Prüfung der sogenannten Vollstreckungsreife soll das Klauselverfahren zugleich zum Schutze des Schuldners eine unberechtigte Mehrfachvollstreckung verhindern123 und in den Fällen der qualifizierten Klausel, §§ 726 ff. ZPO, das 120
So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 1. Zu den denkbaren Kombinationen von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 I 2. 122 Ebenso Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2. 123 So schon Wach, S. 321. 121
§ 12 Die Vollstreckungsklausel
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Vollstreckungsorgan von materiell-rechtlichen Prüfungen entlasten.124 Allein diese Aufgabenteilung macht eine sorgfältige Differenzierung bei der nachfolgenden Untersuchung erforderlich. Dabei drängt sich angesichts der verschiedenen Aufgabenfelder der Verdacht auf, dass die Rechtsnatur der Vollstreckungsklausel nicht von ungefähr bis heute ungeklärt geblieben ist.125 Es scheinen recht heterogene Problemfelder miteinander verwoben zu sein, die eine einheitliche Rechtsnatur der Klausel ausschließen. Vor dem Hintergrund des Formalisierungsprinzips stellt sich die Frage, inwieweit es eines gesonderten Klauselverfahrens als Brücke zwischen Erkenntnisund Vollstreckungsverfahren überhaupt noch bedarf, wenn die Schnittstellen keinen Raum mehr lassen, der zu überbrücken wäre. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Klauselverfahren eher eine neue Kluft schafft, anstatt eine solche zu überbrücken. Ein Blick zu den europäischen Nachbarn erscheint daher hilfreich, um der Frage nach der Existenzberechtigung für das Klauselverfahren nachzugehen.
II. Blick auf abweichende Modelle in anderen Länder Die Vollstreckungsklausel ist keine deutsche Eigenart, sondern in gleicher Weise in Frankreich (formule exécutoire) bekannt.126 Auch in Italien ist die mit der Vollstreckungsklausel (formula esecutiva), art. 475 c.p.c., versehene vollstreckbare Ausfertigung des Titels – neben der Leistungsaufforderung, die die deutsche Zivilprozessordnung nicht kennt – gesondert zuzustellen, art. 479 c.p.c. Demgegenüber ist der spanischen Vollstreckungsordnung ein Klauselverfahren gänzlich fremd, so dass eine kurze Betrachtung des spanischen Vollstreckungsrechts lohnenswert erscheint.
124 Diese Dreiteilung findet sich beispielsweise bei Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3, wieder. 125 Wie die Zwangsvollstreckung wird die Klauselerteilung als Ausübung öffentlicher Gewalt verstanden. In der weiteren Folge muss es nicht verwundern, dass die nebulöse Unterscheidung zwischen Rechtsprechung und Rechtspflege (s. schon oben § 4 VI 1 bis 3) auch auf das Klauselverfahren kolportiert wird (näher dazu Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 1, der den Streit für bedeutungslos hält). In der weiteren Folge ist auch unklar, ob es sich um eine Entscheidung oder um eine bloße Beurkundung handeln soll (ähnlich unsicher Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 17.1, nach deren Ansicht die Klausel einerseits nur die Bescheinigung der Vollstreckbarkeit beinhalte, andererseits die Eingriffsermächtigung begründe). Diese Fragen lassen sich erst anhand der folgenden Untersuchung beantworten. Dabei wird sich zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist. So erweist sich das einfache Klauselverfahren als entbehrlich, indem man die Klausel auf die bloße Beurkundungsfunktion der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels reduziert (s.u. IV 2). Das qualifizierte Klauselverfahren lässt sich hingegen in das Vollstreckungsverfahren einbetten (s.u. V), so dass es dessen Rechtsnatur teilt. Ähnlich in der Differenzierung Bettermann, Vollstreckung des Zivilurteils, S. 57 f. 126 Auch in Frankreich ist die Vollstreckungsklausel unabdingbare Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung. Die französische Vollstreckungsrechtsreform hat an diesem Zustand nichts geändert. Näher dazu Traichel, S. 20 f.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
1. Entbehrlichkeit der Vollstreckungsklausel in Spanien Das spanische Vollstreckungsrecht ist historisch noch sehr eng mit dem mittelalterlichen System der Zwangsvollstreckung verwurzelt. Dies lässt sich unmittelbar aus der organisatorischen Identität von Prozessgericht und Vollstreckungsorgan ableiten.127 Eine Formalisierung der Zwangsvollstreckung ist den Spaniern fremd, weswegen die alleinige Verantwortung in der Zwangsvollstreckung beim Prozessgericht liegt. Der „agente judicial“, der die Pfändung vornimmt, ist im Gegensatz zum deutschen Gerichtsvollzieher nur beauftragter Vertreter des Vollstreckungsgerichts.128 In der weiteren Folge leuchtet es unmittelbar ein, dass die spanische Vollstreckungsordnung auch kein Klauselverfahren kennt.129 Denn es gibt keine Schnittstelle zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die es zu überbrücken gälte.130 Demzufolge können aus dem spanischen Vollstreckungsmodell keine Rückschlüsse für das im übrigen Europa weitgehend verbreitete Modell einer formalisierten Vollstreckung gezogen werden. 2. Das österreichische Modell von Exekutionsbewilligung und Exekutionsvollzug Die Österreicher kennen ein Klauselerteilungsverfahren nur für den Fall, dass der betreibende Gläubiger seinen Exekutionsantrag bei einem anderen als dem Titelgericht einbringen will. Im Übrigen verfolgt die österreichische Exekutionsordnung ein zweistufiges Verfahrensmodell, bestehend aus einem Bewilligungsverfahren, §§ 3 ff. EO, und der sich daran anschließenden Vollstreckung im Wege des Vollzugsverfahren, §§ 17 ff. EO. Im Bewilligungsverfahren wird die beantragte Exekution durch das Titelgericht auf ihre Zulässigkeit geprüft und bewilligt. Dies beinhaltet die Prüfung der Vollstreckungsreife. Zu prüfen sind über die Fragen der Identität der Parteien und der Rechtsnachfolge hinaus auch die Fälligkeit und die Leistungsfrist, Bedingungen und Probleme der Zug-um-Zug Leistungen.131 Wird daraufhin die Bewilligung zur Exekution durch Beschluss des Bewilligungsgerichts ohne Anhörung des Schuldners erteilt, so schließt sich das Vollzugsverfahren an, das im Wege des zwangsweisen Zugriffs die eigentliche Exekution herbeiführt.132 Bewilligungsgericht und Vollzugsgericht können je nach den örtlichen Gegebenheiten und Zuständigkeiten auseinanderfallen. Im Ergebnis erfüllt das österreichische Bewilligungsverfahren keinen anderen Zweck als das deutsche Klauselerteilungsverfahren. Es bildet die Brücke zwischen dem Erkenntnis- und dem Vollstreckungsverfahren. Dass dabei im Bewilligungsverfahren über die Vollstreckungsreife hinaus weitere allgemeine und be127 128 129 130 131 132
López, ZZP 1979, 285 (290); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.72. Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.73. López, ZZP 1979, 285 (290). Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.78. Holzhammer, S. 84 ff. Holzhammer, S. 112.
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sondere Vollstreckungsvoraussetzungen geprüft werden, dürfte weniger auf die Eigenarten des Bewilligungsverfahrens als vielmehr auf die Organisation der österreichischen Vollstreckung zurückzuführen sein. Da die Exekutionsordnung nur das Vollstreckungsgericht als Exekutionsorgan vorsieht und dem Gerichtsvollzieher als bloßem Hilfsorgan keine eigene Prüfungskompetenz zukommt,133 sind diese Voraussetzungen der Vollstreckung bereits vorab zu prüfen. Die eigentliche Vollstreckung wird dadurch entlastet. 3. Das Einleitungsverfahren der Geldvollstreckung in der Schweiz Die Einleitung der schweizerischen Schuldbetreibung wegen Geldforderungen erinnert sehr stark an das deutsche Mahnverfahren.134 Jede Betreibung beginnt mit einem formularmäßigen Betreibungsbegehren durch den Gläubiger, Art. 67 SchKG. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gläubiger bereits im Besitz eines Titels ist oder nicht. Der Betreibungsbeamte erlässt daraufhin ohne jede Prüfung der Forderungsberechtigung den Zahlungsbefehl, Art. 69 SchKG. Hiergegen kann der Schuldner den sogenannten „Rechtsvorschlag“ erheben (Art. 74 ff. SchKG), der keinerlei Begründung bedarf. Den Rechtsvorschlag kann der Gläubiger, sofern er nicht im Besitz eines Titels ist, nur aufgrund eines rechtskräftigen Entscheids beseitigen, Art. 79 SchKG. Diesen muss er – je nach der Rechtsnatur des zu betreibenden Anspruchs135 – entweder im ordentlichen Prozess oder im Verwaltungsverfahren erwirken. Ist die zu betreibende Forderung hingegen bereits rechtskräftig festgestellt, kann der Gläubiger die Rechtsöffnung, d.h. die Aufhebung des Rechtsvorschlags, in einem summarischen Gerichtsverfahren verlangen, Art. 80 SchKG. Die eigentliche Betreibung auf Pfändung erfolgt sodann im Anschluss an das Fortsetzungsbegehren des Gläubigers, Art. 89 ff. SchKG. Das gesonderte Einleitungsverfahren beinhaltet auch das übliche Klauselerteilungsverfahren. So hat das Gericht136 beispielsweise im Rahmen des Rechtsvorschlags die Vollstreckbarkeit des zugrunde liegenden Titels zu überprüfen.137 Dieser muss rechtskräftig sein, da es in der Schweiz keine vorläufige Vollstreckbarkeit gibt. Abgesehen von dem Element des Klauselverfahrens stellt sich die Frage nach dem Sinn und Zweck des gesonderten Einleitungsverfahrens in der Schweiz. Dieses erscheint unnötig kompliziert und zeitaufwendig. Steht dem Gläubiger bereits ein rechtskräftiger Titel zu, bedarf es keines gesonderten Zahlungsbefehls. Dieser erscheint aber auch in dem umgekehrten Fall des noch fehlenden Titels als 133
S. dazu noch näher im fünften Teil unter § 22 II 3. S.o. § 11 II. 135 Die schweizerische Schuldbetreibung erfolgt unabhängig von der Rechtsnatur des zu betreibenden Anspruchs, s.o. § 10 IV. 136 D.h. also nicht das Betreibungsamt als Vollstreckungsorgan. Zu dieser funktionellen Besonderheit s. nachfolgend noch ausführlich unter III 1. 137 Ammon/Gasser, § 18, Rdnr. 3. 134
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
unnötiges Hemmnis, sofern davon auszugehen ist, dass der Schuldner „Rechtsvorschlag“ einlegen wird. Die deutsche Zivilprozessordnung gibt hier dem Gläubiger unmittelbar die Gelegenheit, von dem Erlass eines Mahnbescheids abzusehen und direkt Klage zu erheben. Die Funktion des Einleitungsverfahrens soll darin bestehen, die Vollstreckbarkeit des geltend gemachten Anspruchs abzuklären sowie dem Schuldner Gelegenheit zu geben, zu dem vom Gläubiger auf einseitiges Begehren erwirkten Zahlungsbefehl Stellung zu nehmen.138 Ersterer Zweck kann aber bereits durch das Klauselverfahren erreicht werden, ohne dass ein gesonderter Zahlungsbefehl erforderlich wäre. Der letztere Zweck erscheint hingegen äußerst fragwürdig, da dem Schuldner im Erkenntnisverfahren bereits hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist. Es entsteht der Eindruck, als ob mit dem schweizerischen Einleitungsverfahren nicht hinreichend zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren unterschieden wird. Das summarische Erkenntnisverfahren, vergleichbar dem deutschen Mahnverfahren, wird als Bindeglied zwischen dem ordentlichen Erkenntnisverfahren in Form des Klageverfahrens und dem Zwangsvollstreckungsverfahren eingesetzt. Demzufolge macht das Einleitungsverfahren auch nur in den Fällen Sinn, in denen der Schuldner sich nicht zur Wehr setzt. In den übrigen Fällen hingegen bringt das Verfahren unnötige Verzögerungen und Hemmnisse mit sich. 4. Ergebnis Der Vergleich mit anderen europäischen Vollstreckungsordnungen scheint das Klauselverfahren eher zu bestätigen als in Frage zu stellen. Ein Verzicht wie in Spanien scheint nur um der Preisgabe des Formalisierungsprinzips denkbar zu sein. Alternative Lösungen wie das österreichische Bewilligungsverfahren und das schweizerische Einleitungsverfahren bergen eher zusätzliche Hemmnisse als Vorteile gegenüber dem Klauselverfahren in sich. Im Folgenden gilt es daher mangels überzeugender Alternativen das Klauselverfahren näher unter die Lupe zu nehmen.
III. Die Vollstreckungsklausel als Nachweis der Vollstreckungsreife Die Klausel wird gerne als notwendige Folge der Überantwortung der Zwangsvollstreckung an nichtrichterliche Vollstreckungsorgane angesehen.139 Ihr soll die bereits erwähnte Funktion als Brücke zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungs138
Ammon/Gasser, § 15, Rdnrn. 1 ff. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 1 und 3: „Der Grund, weshalb die Vollstrekkungsklausel neben dem Vollstreckungstitel verlangt wird, beruht auf der organisatorischen Trennung des Vollstreckungsverfahrens vom Erkenntnisverfahren.“ Ebenso Paulus, in: Wieczorek/ Schütze, § 724, Rdnr. 2. Das spanische Modell der Vollstreckung scheint diese These zu bestätigen, da offensichtlich allein die Ansiedlung der Vollstreckung beim Prozessgericht geeignet zu sein scheint, die Klausel entbehrlich zu machen, s.o. II 1. 139
§ 12 Die Vollstreckungsklausel
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funktion zukommen.140 In der weiteren Folge scheint es nur konsequent zu sein, dass im Klauselverfahren ein eigenes Organ der Rechtspflege in Form des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle tätig wird.141 Dieser soll die sogenannte Vollstreckungsreife des Titels eigenverantwortlich und für das Vollstreckungsorgan verbindlich prüfen.142 Dabei ist der Begriff der Vollstreckungsreife jedoch weder gesetzlich noch durch Rechtsprechung oder Literatur näher definiert. 1. Schattierungen der Vollstreckungsreife Hinter dem Begriff der Vollstreckungsreife verbirgt sich der Gedanke, dass den Vollstreckungsorganen, zumal den Gerichtsvollziehern, denen die Prozessakten nicht zur Verfügung stehen, die Prüfung der Vollstreckungsfähigkeit des Titels, z.B. Fragen der Rechtskraft, nicht zugemutet werden soll.143 Deshalb haben die Väter der Zivilprozessordnung die Ausfertigung des Urteils zu der Bedeutung einer formell selbständigen Grundlage der Zwangsvollstreckung erhoben.144 Der genaue Inhalt der Vollstreckungsreife ist hingegen gesetzlich nicht bestimmt. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich nach Rechtsprechung und Literatur drei Prüfungspunkte, anhand derer die Vollstreckungsreife zu ermitteln sein soll. a) Die Formgültigkeit des Titels Die Vollstreckungsreife soll u.a. dann nicht gegeben sein, wenn der Vollstreckungstitel bereits nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht formgültig zustande gekommen ist.145 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Betonung des „äußeren Erscheinungsbildes“.146 Diese Unterstreichung erinnert an den Gedanken der Formalisierung, was aber im Klauselverfahren nicht recht einleuchtet, da dieses nach seinem Sinn und Zweck das Vollstreckungsorgan von der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen entlasten soll.147 Das „äußere Erscheinungsbild“ kann zweifellos auch das Vollstreckungsorgan prüfen. Der Grund für diese Selbstbeschränkung des Klauselerteilungsorgans ist daher wohl eher in der funktionellen Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu sehen und darin dürfte zugleich eine wesentliche Crux des Klauselverfahrens liegen.
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S.o. einleitend unter I. Auf die Zuständigkeit des Rechtspflegers ist im Zusammenhang mit dem qualifizierten Klauselverfahren gesondert einzugehen, s.u. V 1. 142 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 2. 143 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3; Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5). 144 Hahn, Materialien, S. 433. 145 Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 4; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 IV 2, spricht von dem wirksamen Bestand des Titels. 146 So etwa Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 27. 147 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 724, Rdnr. 2. 141
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
aa) Fragwürdigkeit der Prüfung durch ein untergeordnetes Organ Werden dem Vollstreckungsorgan in Form des Gerichtsvollziehers die Rechtskenntnisse zur Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen abgesprochen,148 so muss dies erst recht für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gelten. Gerade hier macht sich das Ausbildungsgefälle besonders krass bemerkbar, wenn man das weitere Bindeglied zum Prozessgericht herstellt. Es ist wohl kaum vorstellbar, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Richtern seiner Abteilung die Fähigkeit abspricht, ein ordnungsgemäßes Urteil zu erlassen. Da er davon abgesehen als Geschäftsstellenbeamter zumeist selbst an der äußeren Erstellung des Titels beteiligt ist, würde er Bedenken schon im Vorfeld äußern. Unter diesem Aspekt wird erklärbar, weshalb praktische Anwendungsfälle der Versagung der Formgültigkeit des Titels durch den Geschäftsstellenbeamten die absolute Ausnahme bilden dürften.149 Stellt man die funktionelle Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in Rechnung, so wird die Erteilung der einfachen Vollstreckungsklausel zur lästigen Förmelei. Ungeachtet dessen ergibt sich ein weiterer Kritikpunkt an dem Klauselerfordernis. Selbst wenn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dem Vollstreckungstitel die Formgültigkeit versagt, so fehlen ihm die Kompetenzen, diesem formellen Mangel abzuhelfen.150 Der Weg zurück zum Prozessgericht ist für den Gläubiger unausweichlich, um im Wege der Titelberichtigung, Feststellungsklage oder wiederholten Klage einen formgültigen Titel zu erwirken.151 Ist der Weg zum Prozessgericht mithin unabdingbar, so stellt sich die Frage, wozu es eines gesonderten Klauselverfahrens noch bedarf. Nimmt auch das Klauselorgan nur eine formalisierte Prüfung vor, so kann es das Vollstreckungsorgan nicht von einer materiell-rechtlichen Prüfung entlasten. Da zudem das Vollstreckungsorgan, sei es der Gerichtsvollzieher, sei es der Rechtspfleger, über eine höhere Qualifizierung verfügt als der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, bleibt die vermeintliche Brückenbildung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unerklärlich. Sie führt weniger zu einer Entlastung, als zu einer Verkomplizierung der Zwangsvollstreckung. Es stellt sich bei näherer Betrachtung die Frage, weshalb nicht das Prozessgericht selbst die Aufgaben des Klauselverfahrens übernimmt,152 148
S. dazu schon im ersten Teil unter § 5 IX und nachfolgend noch unter V 4 c. Die wenigen Fälle, die die Gerichte beschäftigt haben (LG Essen, MDR 1975, 937 (937 f.); LG Bonn, DGVZ 1975, 153 (153 f.)), betreffen vielmehr den umgekehrten Fall der unberechtigten Klauselerteilung. S. dazu auch noch die folgende Anmerkung in Fn. 169. 150 So treffend Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2: „Vor allem kann der zur Klauselerteilung berufene Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht den fehlenden Richterspruch ersetzen.“ Ähnlich Jauernig, S. 83 f., zu dem ähnlichen Fall der Protokollierung einer nicht verkündeten Entscheidung. Jauernig spricht von einem unhaltbaren Ergebnis, sofern die Urteilsexistenz von der Mitwirkung des Urkundsbeamten abhinge. Beide Autoren ziehen daraus jedoch nicht die Konsequenz, das Klauselverfahren für entbehrlich zu erklären. 151 So auch Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 35, der von einem Fall ausgeht, in dem der Rechtspfleger nach § 5 Abs. 1 RPflG die Sache zwingend dem Richter vorzulegen hat. 152 Man denke etwa an die funktionelle Zuständigkeitsverteilung in der Schweiz, s.o. II 3. 149
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wenn es darum gehen soll, das Vollstreckungsorgan von der Beantwortung materiell-rechtlicher Rechtsfragen zu entlasten und auch diesbezüglich eine Formalisierung vorzunehmen. Wie soll der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle über die dazu erforderlichen Rechtskenntnisse verfügen? bb) Die etwaige Nichtigkeit des dem Titel immanenten Grundverwaltungsaktes Die Entbehrlichkeit des Klauselorgans wird in dem vorliegenden Zusammenhang vollends deutlich, wenn man sich den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung im Klauselverfahren verdeutlicht. Wenn von der „Formgültigkeit des Titels nach seinem äußeren Erscheinungsbild“ die Rede ist, so ist damit im Kern nichts anderes angesprochen als eine etwaige Nichtigkeit des dem Urteil immanenten Grundverwaltungsaktes.153 Gemeint sind evidente Nichtigkeitsgründe im Sinne von § 44 VwVfG, die ausnahmsweise eine gesonderte Anfechtung des Verwaltungsaktes entbehrlich machen. Es ist die öffentlich-rechtliche Bewertung der Zwangsvollstreckung, die es ermöglicht, die vermeintlichen Eigenarten der Vollstreckung auf bekannte Rechtsfiguren zurückzuführen. Zudem macht diese Bewertung die Entbehrlichkeit der gesonderten Nichtigkeitsprüfung im Klauselverfahren deutlich. Denn auch dem allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsvollstreckungsrecht ist ein gesondertes Prüfungsverfahren zur Feststellung der Nichtigkeit eines Grundverwaltungsaktes fremd. Fakultativ sieht § 44 Abs. 5 VwVfG lediglich die Möglichkeit der behördlichen Feststellung der Nichtigkeit, sei es von Amts wegen oder auf Antrag bei Vorliegen eines berechtigten Interesses vor. Zuständig bleibt aber die erlassende Behörde.154 Verweigert diese eine derartige Feststellung, so bleibt die Möglichkeit der gerichtlichen Verpflichtungs- oder Feststellungsklage.155 Auch ohne diese Klage ist die Nichtigkeit aber von jeder Behörde zu beachten und zu prüfen. Das bedeutet, dass auch die dem Klauselverfahren zugeschriebene Exklusivität verfehlt ist. Verbindliche Streitentscheidungen bleiben zudem den Gerichten als Teil der rechtsprechenden Gewalt vorbehalten. Dem Urkundsbeamten fehlt damit jegliche Kompetenz, das Vollstreckungsorgan in seiner Prüfung einschränken bzw. binden zu können. Mangelt es an einer gerichtlichen Entscheidung, so muss schließlich auch die Vollstreckungsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung einer Nichtigkeit des Grundverwaltungsaktes Rechnung tragen und die Vollstreckung ablehnen.156 Weshalb in der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung andere Grundsätze gelten sollen, bleibt unklar. Die öffentlich-rechtliche Bewertung 153 Im Zusammenhang mit den Vollstreckungstiteln führt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 2, daher absolut treffend aus: „Die nur um der Formalisierung willen vom Gesetz erforderte Ausfertigung der Titel und die Ausstattung derselben mit der Vollstreckungsklausel ist im Grunde nur der Titel in einem besonderen Gewande.“ Leider zieht Gaul daraus nicht den Schluss, für einen Verzicht auf das Klauselverfahren zu plädieren. 154 Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 44 Abs. 5 VwVfG. 155 Kopp/Ramsauer, § 44, Rdnr. 69. 156 Gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam mit der Folge, dass die mit ihm beabsichtigten Rechtswirkungen weder für die Behörde noch für die Adressaten oder Dritte Bindungswirkung haben, Kopp/Ramsauer, § 43, Rdnr. 46.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
dieses Prüfungsvorgangs macht vielmehr dessen Sinnlosigkeit augenfällig: Mit dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle soll eine unbeteiligte Verwaltungsbehörde die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes für das Vollstreckungsorgan verbindlich feststellen können, ohne über vergleichbare Rechtskenntnisse und Kompetenzen zu verfügen.157 b) Die vermeintliche Entlastungsfunktion Zum Spektrum der Vollstreckungsreife wird auch die sogenannte Vollstreckbarkeit des Titels gezählt.158 Die Vollstreckbarkeit setzt gemäß den §§ 704 ff. ZPO die Rechtskraft oder vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils voraus. Wegen der damit verbundenen Nähe der Vollstreckung zum Erkenntnisverfahren soll die Einschaltung des Klauselorgans gerechtfertigt sein; dem „nicht rechtsgelehrten Gerichtsvollzieher“ soll eine Prüfung der Rechtskraft des Urteils nicht „zugemutet werden“.159 Kann dem Gerichtsvollzieher die Rechtskraftprüfung nicht übertragen werden, so stellt sich an dieser Stelle erneut die Frage, weshalb eine derartige Prüfung dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle „zugemutet“ werden darf. Als Argument hierfür wird die Sachnähe zu den Prozessakten angeführt.160 Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich jedoch bereits unmittelbar aus dem Urteil, so dass es zu ihrer Feststellung nicht der Einsichtnahme in die Prozessakten bedarf. Darüber hinaus gewährleistet § 706 ZPO die gesonderte Ausstellung eines Rechtskraftzeugnisses durch die Geschäftsstelle des Gerichtes.161 Ohne diesen Rechtskraftvermerk, der ohnehin nur auf Antrag ergeht, bleibt die Rechtskraft des Urteils in der Zwangsvollstreckung unberücksichtigt.162 Denn die erteilte Vollstreckungsklausel beinhaltet gerade keine Aussage über die Rechtskraft. Wozu bedarf es dann aber noch der gesonderten Prüfung der Vollstreckbarkeit im Klauselverfahren? Als einzige denkbare Antwort bleibt der Gedanke des Schuldnerschutzes bestehen. Indem im Klauselverfahren eine gesonderte Prüfung der Vollstreckbarkeit erfolgt, wird der Schuldner zusätzlich vor einer unrechtmäßigen Vollstreckung geschützt.163 Nimmt man jedoch das in diesem Argument zum Ausdruck 157 Relativiert wird diese Feststellung allein durch die Zuständigkeitsverteilung bei der Klauselerteilung für vollstreckbare Urkunden. Hier besteht kein gesondertes Klauselorgan, da der beurkundende Notar für die Klauselerteilung zuständig bleibt § 797 Abs. 2 S. 1 ZPO. Auch hier soll aber die Entscheidung des Notars für das Vollstreckungsorgan verbindlich sein. 158 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 IV 2. 159 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3. 160 Hahn, Materialien, S. 433 f. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3. 161 Nicht umsonst spricht Schlosser, Jura 1984, 88 (88), daher von der naheliegenden Möglichkeit, den Gläubiger durch die Vorlage eines Rechtskraftzeugnisses gegenüber dem Vollstreckungsorgan zum Ziele kommen zu lassen. Weshalb Schlosser diese Möglichkeit hingegen verwirft, ist hingegen nicht recht ersichtlich. 162 Dies bedeutet, dass insbesondere Sicherheitsleistungen, die im Titel ausgewiesen sind, zu stellen sind. 163 So etwa Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 724, Rdnr. 5.
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kommende Misstrauen gegenüber der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans, namentlich des Gerichtsvollziehers,164 ernst, so ist nicht einsichtig, weshalb nicht auch andere, schwerwiegende Prüfungskompetenzen in das Klauselverfahren verlagert werden. Hierzu wäre insbesondere der in engem Zusammenhang mit der Vollstreckbarkeit stehende Nachweis der Fälligkeit der titulierten Forderung und der Sicherheitsleistung zu zählen, § 751 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Weitere besondere Vollstreckungsvoraussetzungen wie etwa Rechtsprobleme im Zusammenhang mit Zug-um-Zug-Leistungen, §§ 756, 765 ZPO, legen eine vorgelagerte Prüfung im Klauselverfahren nahe. All diese Problembereiche wiegen weitaus schwerer als die rein formelle Prüfung der Vollstreckbarkeit des Urteils. Da eine derartige Entmündigung des Vollstreckungsorgans aber mit Recht nicht in Betracht gezogen wird, ist auch die Bevormundung bei der Prüfung der Vollstreckbarkeit des Titels nicht einsichtig. Zum Nachweis der Vollstreckbarkeit bedarf es lediglich eines Blicks des Vollstreckungsorgans auf das Urteil nebst Rechtskraftvermerks, nicht aber eines Klauselerteilungsverfahrens mit einer gesonderten funktionellen Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Denn schon die gesetzlichen Regelungen der §§ 704 ff. ZPO sprechen gegen eine gesonderte Prüfung der Vollstreckbarkeit durch das Klauselerteilungsorgan. c) Der vollstreckungsfähige Inhalt und seine Bedeutung Ein dritter Aspekt wird im Zusammenhang mit der Prüfung der „Vollstreckungsreife“ des Titels ins Spiel gebracht. Es handelt sich um den vollstreckungsfähigen Inhalt,165 bei dessen Fehlen der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Erteilung der Vollstreckungsklausel verweigern soll. Dabei sind insbesondere die Fälle der mangelnden Bestimmtheit des Urteilstenors angesprochen.166 Auch in diesem Bereich tauchen die zuvor geäußerten Bedenken gegenüber einem gesonderten Klauselverfahren beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf. So macht die h. M. hier ebenfalls geltend, dass das Klauselerteilungsorgan eine verbindliche Prüfung vorzunehmen habe167 und demzufolge das Vollstreckungsorgan an einer abweichenden Bewertung gehindert sei.168 Dies führt zu der missliebigen Konsequenz, dass das Vollstreckungsorgan im Falle der (unbe164
S. dazu bereits im ersten Teil unter § 5 IX und nachfolgend noch unter V 4 c. Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnrn. 31 ff.; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 16 IV 2. 166 So etwa in BGH NJW 1995, 1162 (1163). 167 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 IV 3. 168 Hußtege, in: Thomas/Putzo, § 724, Rdnr. 3; Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 4, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 a, unter Berufung auf die Gesetzesmotive, Hahn, Materialien, S. 434, nach denen dem Gerichtsvollzieher überhaupt nichts weiter als die unbedingte Vollstreckung eines vollständig bestimmten Urteils überlassen werden solle. Abweichend für eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans plädiert hingegen Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5 f.). Der Grundsatz des fairen Verfahrens rechtfertige hier Ausnahmen. 165
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rechtigten) Erteilung der Vollstreckungsklausel zu einem unbestimmten Titel gezwungen wäre, das Unmögliche wahr zu machen und den Inhalt eines unbestimmten Titels bestimmbar zu machen.169 Das Vollstreckungsorgan müsste in diesem Fall für die Fehler des Urkundsbeamten einstehen. Weshalb sollte der Urkundsbeamte aber in dieser Situation über weitergehende Rechtskenntnisse und damit verbunden eine weiterreichende Prüfungskompetenz als das Vollstreckungsorgan verfügen?170 Vielmehr belegt doch der Umstand, dass das Vollstreckungsorgan die konkrete Umsetzung des Titels herbeizuführen hat und damit dessen Bestimmbarkeit nachweisen muss, dessen Kompetenz und Sachkunde. Es ist das Vollstreckungsorgan, das über die notwendigen praktischen Erfahrungen verfügt, um eine Aussage über die Vollstreckungsfähigkeit des Titels machen zu können. Aufgrund welcher Erfahrungen der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hingegen eine für den Gerichtsvollzieher verbindliche Aussage machen soll, bleibt unklar. Auch der Schutzgedanke zugunsten des Schuldners171 entpuppt sich als gefährlicher Bumerang. Der Schuldner wird, zumal ohne rechtlichen Beistand, kaum auf den Gedanken verfallen, sich gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel zur Wehr zu setzen. Seine Erinnerung gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Gerichtsvollziehers wird hingegen erfolglos bleiben, da nun einmal die h. M. die Prüfung des vollstreckungsfähigen Inhalts ausschließlich dem Klauselverfahren zuschreibt.172 Auch innerhalb dieses Verfahrens vermag der Schutzgedanke zugunsten des Schuldners aber nicht zu überzeugen. Denn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle steht dem erkennenden Prozessgericht in der Regel zu nahe, als dass er dieses über die Vollstreckungsfähigkeit des Titels wird belehren wollen. Höhere Erwartungen darf man hier wohl an den Gerichtsvollzieher stellen, der in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zum Prozessgericht steht. Auch das vermeintliche Argument, dass durch die Zwischenschaltung des Klauselverfahrens das Vollstreckungsorgan entlastet werde und damit eine weitere Formalisierung der Vollstreckung herbeigeführt werde,173 vermag nicht zu 169 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Fälle dieser Art auch von der h. M. nicht erörtert werden. Demgegenüber kommen die unteren Gerichte, die mit der mangelnden Praktikabilität dieser Auffassung zu kämpfen haben, folgerichtig zu einer abweichenden Bewertung, LG Essen, MDR 1975, 937 (937 f.); LG Bonn, DGVZ 1975, 153 (153 f.). 170 Mit Recht plädiert Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5 f.), daher dafür, das Vollstreckungsorgan trotz der Bindungswirkung der Klausel nicht gänzlich einer Prüfung der Wirksamkeit des Titels zu entheben. Er stellt dabei mit Recht auf den Aspekt des Schuldnerschutzes ab und leitet aus dem Prinzip des fairen Verfahrens ab, dass das Vollstreckungsorgan sogenannte feststehende Unwirksamkeitsgründe zu beachten hat. Darunter fasst Jaspersen offenkundige, d.h. insbesondere sich aus der vollstreckbaren Ausfertigung ergebende Tatsachen sowie durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden bewiesene Tatsachen. Ähnlich einschränkend Münzberg, in: Stein/Jonas, § 724, Rdnr. 2, und Wolfsteiner, Vollstreckbare Urkunden, Rdnr. 49.3. 171 So aber Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 724, Rdnr. 5. Ebenso Saenger, JuS 1992, 861 (861). 172 Siehe dazu die in der vorstehenden Fn. zitierten Autoren. 173 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3.
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überzeugen. Denn die Konsequenz, dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine eigene materiell-rechtliche Prüfungskompetenz zuzuschreiben, hat auch die h. M. nicht. Worin liegt dann aber die Entlastung des Vollstreckungsorgans? Von einer Formalisierung kann auch deswegen nicht die Rede sein, weil es sich bei der Frage der Bestimmtheit des Vollstreckungstitels nicht etwa um eine materiell-rechtliche Frage aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis handelt. Vergegenwärtigt man sich nämlich, dass Grundlage der Zwangsvollstreckung der dem Leistungsurteil immanente Grundverwaltungsakt ist, so entpuppt sich das Merkmal der Vollstreckungsfähigkeit als bloße Umschreibung des verwaltungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG.174 Die Bestimmtheit des Verwaltungsaktes bemisst sich an keiner anderen Frage als derjenigen, ob der Inhalt des Verwaltungsaktes vollstreckbar bzw. vollstreckungsfähig ist. Diese Frage ist rein verfahrensrechtlicher Natur und unterliegt demzufolge nicht dem Formalisierungsgedanken. Der Rückgriff auf die Vorschrift des § 37 Abs. 1 VwVfG macht abschließend die gesamte Bredouille des Klauselverfahrens deutlich. Die Frage der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes ist nämlich nicht erst nach Erlass des Verwaltungsaktes zu prüfen, sondern vielmehr zwingend im Vorfeld von der Behörde zu beherzigen, die den Verwaltungsakt erlässt. Nur diese Behörde verfügt über die Kompetenzen, den Verwaltungsakt anders formulieren und konkreter fassen zu können, so dass er einen vollstreckungsfähigen Inhalt gewinnt. Beim Leistungsurteil liegt diese Kompetenz mithin ausschließlich beim erkennenden Prozessgericht.175 Die eigentliche Prüfung der Vollstreckungsfähigkeit des Titels ist folglich keine Frage des Vollstreckungs-, sondern des Erkenntnisverfahrens. Zugleich offenbart sich die Sinnlosigkeit einer nachträglichen Bestimmbarkeitsprüfung, sei es durch das Klauselorgan, sei es durch das Vollstreckungsorgan. Fehlt dem Titel die Bestimmbarkeit, so hat dies für das Vollstreckungsorgan allein die praktische Auswirkung, dass es den titulierten Anspruch nicht realisieren kann. Soll diesbezüglich eine Überprüfung des Titels herbeigeführt werden, so kann dies nur im Erkenntnisverfahren durch die Einlegung eines Rechtsmittels gegen den Titel geschehen. Alternativ muss eine Titelberichtigung herbeigeführt oder eine ergän174 Fraeb, ZZP 1929, 257 (315), regt daher in anderem Zusammenhang an, statt von einer „vorläufigen Vollstreckbarkeit“ von einer „vorläufigen Wirksamkeit“ zu sprechen. 175 Vor dem Hintergrund der fehlenden Kompetenz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Korrektur eines unbestimmten Urteils erklären sich die Bemühungen in der Literatur um eine analoge Anwendung des § 726 Abs. 1 ZPO, so etwa Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 726, Rdnrn. 3 und 18 f., und um die Feststellung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne von § 850 f Abs. 2 ZPO, so Smid, ZZP 1989, 22 (47 ff.). Ablehnend hingegen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 a. Zutreffend ist hier eine vermittelnde Lösung im Sinne der vorstehenden Überlegungen. Wolfsteiner ist in seinem Bemühen zuzustimmen, die Frage der Bestimmtheit des Titels auf das abhilfebefugte Entscheidungsorgan zu verlagern. Der Kritik von Gaul ist hingegen insofern zuzustimmen, als auch dem Rechtspfleger die Befugnis zur Korrektur des Urteils fehlt. Denkt man daher den Vorschlag von Wolfsteiner zu Ende, so kommt man zu dem Ergebnis, dass nur das Prozessgericht die Befugnis zur Korrektur des Urteils haben kann mit der weiteren Folge, dass das Klauselverfahren seinen Sinn verliert.
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zende Feststellungsklage erhoben werden.176 Gegenstand dieser Klage ist die inhaltliche Überprüfung des Titels im Hinblick auf seine Bestimmtheit. Diese Überprüfung macht allein im gerichtlichen Erkenntnisverfahren Sinn, weil allein die angerufenen Gerichte mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet sind, um den unbestimmten Titel aufzuheben oder zu ergänzen.177 2. Die Praxis der Klauselerteilung Angesichts der geäußerten Bedenken gegenüber einer gesonderten Prüfung der Vollstreckungsreife im Klauselverfahren verwundert die gerichtliche Praxis wenig, in der die Klauselerteilung zumeist nichts anderes darstellt als eine lästige Förmelei.178 Fragen der Formnichtigkeit stellen sich angesichts der Selbstbeteiligung des Urkundsbeamten der Geschäftstelle bei der äußeren Erstellung des Urteils nicht. Rechtskraftprüfungen werden nur bei Beantragung eines entsprechenden Zeugnisses vorgenommen, § 706 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist dem Urteilstenor zu entnehmen. Dass das Urteil einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, ist aufgrund der richterlichen Tätigkeit in den seltensten Fällen in Frage zu stellen. Treten vergleichbare Probleme dennoch in Erscheinung, so werden diese in der Praxis zumeist durch die betroffenen Parteien und nicht durch den Urkundsbeamten artikuliert. Die weitere Klärung bleibt sodann dem sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren überlassen. Die Parteien sind in den seltensten Fällen bereit, sich dem Judiz des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterwerfen anstatt eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Der tiefere Sinngehalt des einfachen Klauselverfahrens bleibt damit im Dunkeln. Es überrascht im Ergebnis nicht, dass die gesetzlichen Regelungen der §§ 724, 725 ZPO den Inhalt des Klauselverfahrens allein auf den formellen Akt der Kennzeichnung der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils beschränken. Die Prüfung einer Vollstreckungsreife lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen und widerspricht auch der gesetzlichen Systematik des Zwangsvollstreckungsrechts. Zudem hat sich gezeigt, dass der Begriff der Vollstreckungsreife völlig heterogene 176 Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 35, hält das Klauselorgan nach § 5 Abs. 1 RPflG für verpflichtet, die Sache dem Richter vorzulegen. 177 Die Sinnfälligkeit der derzeitigen Bestimmtheitsprüfung des Titels im Klauselverfahren unterstreicht die Entscheidung BGHZ 22, 55 (56), in der der Bundesgerichtshof eine gegen die mangelnde Bestimmtheit des Titels gerichtete Vollstreckungsabwehrklage unter Verweis auf die gemäß § 732 ZPO gebotene Klauselerinnerung als unzulässig abweisen musste. Ohne diese Regelung hätte die Möglichkeit bestanden, die Vollstreckungsabwehrklage in eine auf die Feststellung der mangelnden Bestimmtheit der vollstreckbaren Urkunde gerichteten Klage umzudeuten und auf eine Klageänderung hinzuwirken. Nicht umsonst wird es sich im sechsten Teil der Untersuchung zeigen, dass es sich auch bei der Vollstreckungsabwehrklage um eine Feststellungsklage handelt, die allerdings materielle Einwendungen des Schuldners gegen die titulierte Forderung zum Gegenstand hat, s.u. § 30 IV. 178 Zurückhaltender äußert sich Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2, der das Klauselverfahren als „etwas umständlich erscheinend“ bezeichnet.
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Prüfungspunkte an der Grenze zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren umfasst. Auch unter diesem Gesichtspunkt eignet er sich nicht zu einer angemessenen Schnittstellenbildung. 3. Schließung der Kluft zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren Die bisherigen Überlegungen machen deutlich, dass das Klauselverfahren nicht geeignet ist, die vermeintliche Kluft zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu überbrücken. Vielmehr wird diese Kluft erst künstlich geschaffen, indem das Klauselverfahren mit selbständigen Klauselerteilungsorganen zwischen das Erkenntnis- und das Vollstreckungsverfahren eingeschoben und zu einem eigenständigen Prüfungsverfahren erhoben wird, dessen Rechtsnatur ungeklärt bleibt. Nimmt man hingegen die Vorschriften der §§ 724, 725 ZPO ernst und versteht die einfache Klausel schlicht als äußere Kennzeichnung der vollstreckbaren Ausfertigung vergleichbar einem Beglaubigungsvermerk, so ermöglicht dies einen nahtlosen Übergang vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren. Die Prüfung der Vollstreckungsreife im Klauselverfahren entpuppt sich dann als nichts anderes als eine Umschreibung der bereits vom Prozessgericht im Erkenntnisverfahren zu beachtenden Verwaltungsvorschriften bei Erlass des zeitgleich mit der gerichtlichen Entscheidung ergehenden Grundverwaltungsaktes. Spiegelbildlich hierzu zeigt sich, dass für eine zusätzliche Prüfung der Vollstreckungsreife durch das Klauselorgan keinerlei Bedürfnis besteht. Nicht anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht ist es Sache des betroffenen Adressaten, den rechtswidrigen Verwaltungsakt anzufechten. Nur so ist auch gewährleistet, dass die angerufene Rechtsmittelinstanz über ausreichende Kompetenzen verfügt, um einer Rechtswidrigkeit abzuhelfen. Den Vollstreckungsorganen wäre eine Überprüfung und Anfechtung mangels eigener Beschwer versagt. Von Amts wegen käme eine Aufhebung des rechtswidrigen Titels, sprich des Grundverwaltungsaktes, nur durch die erlassende Behörde selbst in Betracht.179 Im Einzelnen sollen diese Überlegungen anhand des aufgezeigten Spektrums der Vollstreckungsreife veranschaulicht werden. a) Formungültigkeit des Titels als primär vom Prozessgericht zu beachtender Nichtigkeitsgrund Die dem Titel mangelnde äußere Formgültigkeit entpuppt sich als Nichtigkeitsgrund für den dem Titel immanenten Grundverwaltungsakt.180 Primär umschreibt dieser Prüfungspunkt die vom Prozessgericht bei Erlass des Titels zu beachtenden Formvorschriften des Erkenntnisverfahrens. Angesprochen ist insbesondere die Einhaltung der §§ 300 ff. ZPO, die das Verfahren bei Erlass des Urteils betreffen. Dabei handelt es sich eindeutig um Regelungen des Erkennt-
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Dies ergibt sich aus §§ 48 ff. VwVfG. S.o. 1 a bb.
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nisverfahrens.181 Der Bezug zum Vollstreckungsverfahren ergibt sich erst aus dem Umstand, dass eine Nichtigkeitsprüfung in vollem Umfang auch dem Vollstreckungsorgan obliegt. Denn im Falle der Nichtigkeit bedarf es keiner gesonderten Anfechtung des Urteils, um dessen Rechtswirkungen zu beseitigen. Dahinter steht der Gedanke des § 44 VwVfG, nach dem ein Verwaltungsakt bei evidenten Rechtsverstößen keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Es ist sachgerecht, diesen Rechtsgedanken auch ohne ausdrückliche Regelung auf das Erkenntnisverfahren der Zivilprozessordnung zu übertragen. Dies gilt umso mehr, als sich gezeigt hat, dass Gegenstand des Leistungsurteils zugleich ein Grundverwaltungsakt ist. Unglücklich ist allein die Entwicklung in der Vollstreckungsrechtslehre, die diesen allgemeinen Prüfungspunkt zum Anlass nimmt, dem Klauselverfahren eine gesonderte Existenzberechtigung zuzuschreiben. Dafür besteht vor dem hier geschilderten Hintergrund keinerlei Veranlassung. b) Vollstreckbarkeit als Problem der Vorschriften der §§ 704 ff. ZPO Bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit und der Rechtskraft handelt es sich ebenfalls um rein verfahrensrechtliche Fragen, deren Beantwortung nicht erst dem Vollstreckungsorgan obliegt, sondern bereits dem Prozessgericht. Die an früherer Stelle aufgezeigte Nähe der Vorschriften zur vorläufigen Vollstreckbarkeit zu den verwaltungsrechtlichen Vorschriften der §§ 80, 80 a, 80 b VwGO veranschaulicht, dass diese Regelungen nicht vom Vollstreckungsorgan, sondern von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlässt, zu beachten sind.182 Dies ist in dem besonderen Fall der Zwangsvollstreckung das Prozessgericht, das aufgrund der Sachnähe zugleich mit der gerichtlichen Entscheidung den Grundverwaltungsakt für die Vollstreckung erlässt. Diese Überlegung aus der Perspektive des Erkenntnisverfahrens veranschaulicht die Sinnlosigkeit einer auf das Klauselverfahren konzentrierten Vollstreckbarkeitsprüfung. Eine solche Prüfung kommt nach Erlass des Vollstreckungstitels einen Schritt zu spät. Dem Betroffenen bleibt nur die Möglichkeit des Rechtsmittels, um auf diesem Weg (auch) die Vollstreckbarkeitsentscheidung revidieren zu können. Die gesonderte Prüfung im Klauselverfahren verliert jeglichen Sinn. Für die Frage der Rechtskraft ist die besondere Regelung des § 706 ZPO zu berücksichtigen, die die Geschäftsstelle des Prozessgerichts für die Erbringung des Rechtskraftzeugnisses für zuständig erklärt. Dies liegt darin begründet, dass es sich vorrangig um eine Frage der Rechtsmittelfristen handelt und damit im Kern 181 Nicht umsonst hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Rechtsbehelfen des Klauselverfahrens festgestellt, dass die der Zwangsvollstreckung vorgelagerten Fragen der Klauselerteilung jeweils als Fortsetzung des Rechtsstreits vor das Prozessgericht erster Instanz gehören und nicht vor das Vollstreckungsgericht (so Hahn, Materialien, S. 435 f.; zustimmend Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 I, der von dem Prinzip der Allzuständigkeit des Prozessgerichts spricht). Weshalb der Gesetzgeber es dann aber nicht schlicht bei den Rechtsbehelfen des Erkenntnisverfahrens belassen hat, bleibt schleierhaft. Näher dazu unter VI. 182 S.o. § 11 IV 4 b cc und dd.
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um ein Problem des Erkenntnisverfahrens. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtskraft ist in der weiteren Folge die Kenntnis der Prozessakten, so dass es unter diesem praktischen Aspekt nur sachgerecht ist, diese prozessuale Prüfung dem Erkenntnisverfahren zuzuordnen. Die funktionelle Zuständigkeit der Geschäftsstelle anstelle des Prozessgerichts fügt sich nicht ganz in das Bild, mag aber mit Rücksicht auf die zumeist unproblematische Ermittlung der Rechtsmittelfrist und die Zuständigkeit des Prozessgerichts im Falle der Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten hinnehmbar sein.183 Somit ist auch für die Frage der Vollstreckbarkeit des Titels festzustellen, dass deren Prüfung ohne sachlichen Grund in das Klauselverfahren verlagert wird. Diesem wird damit zu einem unnötigen Eigenleben verholfen. Schon aus der systematischen Stellung der §§ 704 ff. ZPO ergibt sich, dass die Prüfung der vorläufigen Vollstreckbarkeit und der Rechtskraft dem Klauselverfahren zeitlich vorgelagert ist.184 Die Vorschriften richten sich auch ausdrücklich an das Prozessgericht und nicht etwa an das Klauselorgan. Da die Vorschriften der §§ 724, 725 ZPO des Weiteren keine Aussage zu der Prüfung einer wie auch immer gearteten Vollstreckungsreife treffen, ist nicht ersichtlich, weshalb das Klauselorgan ohne eigene Kompetenzen eine derartige Prüfung vornehmen sollte. c) Verantwortung des Prozessgerichts für den vollstreckungsfähigen Inhalt Die Frage der Vollstreckungsfähigkeit entpuppt sich als ein Problem des Erkenntnisverfahrens. Denn es hat sich gezeigt, dass es im Kern um die Beachtung des Bestimmtheitserfordernisses gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG bei Erlass des Titels geht.185 Nur das Prozessgericht hat die erforderlichen Kompetenzen, um diesem Erfordernis genüge zu tun. Missachtet es dieses Erfordernis, so bleibt nur die Möglichkeit der gerichtlichen Rechtsmittel oder einer ergänzenden Feststellungsklage.186 Diese Rechtsbehelfe stehen jedoch nur den betroffenen Parteien der Zwangsvollstreckung offen, nicht hingegen dem Klausel- und Vollstreckungsorgan, die nicht in ihren Rechten verletzt werden. Weder das Klauselorgan noch das Vollstreckungsorgan darf demzufolge bezüglich der Frage der Vollstreckungsfähigkeit eine Prüfung im Sinne einer Anfechtung des Titels vornehmen. Die Prüfung hat allein die Frage der praktischen Realisierungsmöglichkeit zum Gegenstand. Fehlt es insoweit an der Bestimmtheit, ist das Vollstreckungsorgan weniger aus rechtlichen als aus tatsächlichen Gesichtspunkten an der Vollstreckung gehindert. 183 Gemäß § 573 ZPO steht dem Gläubiger im Falle der Versagung der Klauselerteilung die Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu. Näher zu den Rechtsbehelfen unter VI. 184 Fraeb, ZZP 1929, 257 (315), führt daher zutreffend aus: „Da die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Urteils nur wie das Urteil überhaupt Voraussetzung der Zwangsvollstreckung ist, aber noch keineswegs in die Zwangsvollstreckung selbst hineinfällt oder auch nur etwa deren Anfang darstellt, so ist ihre systematische Stellung richtig in dem Verfahren in erster Instanz in dem Titel über das Urteil.“ 185 S.o. 1 c. 186 S.o. 1 c.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
d) Ergebnis Es bleibt festzuhalten, dass die Prüfung der sogenannten Vollstreckungsreife des Titels im Klauselverfahren keinerlei Entlastung des Vollstreckungsorgans bewirkt. Das Klauselverfahren kann diese Funktion schon deshalb nicht erfüllen, weil die Prüfung der die Vollstreckungsreife berührenden Belange zeitlich vorgelagert vom Prozessgericht im Erkenntnisverfahren vorzunehmen ist. Die allgemeinen Äußerungen zum Klauselverfahren, dass es nicht dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen ist und dem Beginn der Vollstreckung zeitlich vorgelagert ist,187 verdienen daher uneingeschränkte Zustimmung. Zu widersprechen ist jedoch Äußerungen, die im gleichen Atemzuge von einer Entlastung des Vollstreckungsverfahrens im Sinne einer Vorverlagerung einzelner Prüfungspunkte sprechen.188 Der Blick auf das Erkenntnisverfahren macht vielmehr deutlich, dass es sich nicht um eine Vorverlagerung vollstreckungsrechtlicher Aspekte handelt, sondern um eine künstliche Perpetuierung zivilprozessualer Aspekte des Erkenntnisverfahrens. In der Sache geht es also nicht um eine Überprüfung bzw. Entlastung des Vollstreckungsorgans, sondern um eine solche des Prozessgerichts. Eine solche Zielrichtung dürfte aber auch von den Befürwortern des Klauselverfahrens nach seiner bisherigen Prägung nicht bezweckt sein, so dass sich die Frage stellt, weshalb auf die Prüfung der sogenannten Vollstreckungsreife im Klauselverfahren nicht gänzlich verzichtet wird. 4. Gesetzlich geregelte Fälle der Entbehrlichkeit der Klausel Die letzten Überlegungen haben gezeigt, dass der Begriff der Vollstreckungsreife sich auf allgemeine verwaltungsrechtliche Prinzipien bei Erlass eines Verwaltungsaktes zurückführen lässt. Da dem Verwaltungsvollstreckungsrecht zudem das Institut der Vollstreckungsklausel fremd ist, stellt sich die Frage, ob dies nicht ein gewichtiges Indiz für die Entbehrlichkeit der Klausel ist. a) Verzicht in der Verwaltungsvollstreckung Gemäß § 3 Abs. 1 VwVG bedarf es zur Verwaltungsvollstreckung nicht des Vorliegens eines vollstreckbaren Titels. Das bloße Vorliegen eines wirksamen Grundverwaltungsaktes genügt als Voraussetzung für die Vollstreckung.189 Im Ergebnis ordnet § 3 VwVG damit den Verzicht auf das Klauselerfordernis an. Dieser Zustand ist im Verwaltungsvollstreckungsrecht bislang niemals bemängelt worden. Es scheint also kein praktisches Bedürfnis für ein derartiges Verfahren zu bestehen, obwohl die Situation nicht anders zu bewerten ist als im Zwangsvollstreckungsrecht. Dabei spricht der Umstand der Identität von anspruchsstel187 Windel, ZZP 1989, 141 (188); Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 724, Rdnr. 2, und Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2. 188 So etwa Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2. 189 Genauer gesagt kommt dem Grundverwaltungsakt bereits die Bedeutung eines vollstreckbaren Titels zu, s.o. § 10 II 2 a.
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lender und vollstreckender Behörde190 im Verwaltungsvollstreckungsrecht eher noch für ein erhöhtes Schutzbedürfnis des Schuldners, dem ein Klauselverfahren Rechnung tragen könnte. Trotzdem ist ein praktisches Bedürfnis auch aus Schuldnersicht nicht spürbar. Die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe gegen den Verwaltungsakt und dessen Vollstreckbarkeit in Form des einfachen Widerspruchs mit anschließender Anfechtungsklage und des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Einstellung der Vollstreckung durch die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage tragen dem Schutzinteresse des Schuldners ausreichend Rechnung. Vergleichbare Rechtsbehelfe stehen dem Schuldner aber auch in der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung zur Verfügung.191 Deren Effektivität wird allenfalls aufgrund ihrer Fülle und den damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten in Frage gestellt,192 ohne aber daraus ein Argument für das Klauselverfahren abzuleiten. Der Gedanke des Schuldnerschutzes vermag das Klauselverfahren also ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Unabhängig von vorstehenden Überlegungen bedingt die Identität von Erlassbehörde und Vollstreckungsbehörde in der Verwaltungsvollstreckung eine derartig enge Verknüpfung des Verwaltungsverfahrens mit dem Vollstreckungsverfahren, dass der Gedanke an die Zwischenschaltung eines gesonderten Klauselverfahrens mit eigenständigen Organen vollends zur Farce wird. Die Kritiker plädieren vielmehr aus guten Gründen für die Einschaltung einer gesonderten Vollstreckungsbehörde.193 Es entsteht daher der Eindruck, dass die Überbewertung des Klauselverfahrens im Zwangsvollstreckungsrecht maßgeblich auf die eher zufällige Beteiligung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei der Ausfertigung des Urteils zurückzuführen ist. In Verbindung mit dem vermeintlichen Misstrauen gegenüber der Qualifikation des Vollstreckungsorgans mag dieser Umstand leicht zu dem Gedanken verleiten, dem Urkundsbeamten zum Schutze des Schuldners gesonderte Prüfungskompetenzen zuzusprechen. Diese haben jedoch nach ihrer derzeitigen Ausprägung nicht vollstreckungsrechtliche Fragen, sondern Aspekte des Erkenntnisverfahrens zum Gegenstand. Ebenso wenig wie für eine Entmündigung des Prozessgerichts aber Veranlassung besteht, ist ein solches Misstrauen gegenüber dem Vollstreckungsorgan angebracht. Denn dieses wird in der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung nicht in eigener Sache tätig, sondern allein im Interesse des jeweiligen Gläubigers.194
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Kritisch dazu bereits oben unter § 10 III. Zur Wesensverwandtschaft des einstweiligen Vollstreckungsschutzes mit dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO s. bereits oben unter § 11 IV 4 b. 192 Ausführlich zu den Rechtsbehelfen in der Zwangsvollstreckung im sechsten Teil der Untersuchung. 193 S.o. § 10 III 1. 194 Für ein Klauselverfahren besteht daher hier noch weniger Veranlassung als in der Verwaltungsvollstreckung. 191
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Schließlich mögen auch die klaren verwaltungsrechtlichen Bestimmungen dazu beigetragen haben, dass sich die Frage nach einem Klauselverfahren in der Verwaltungsvollstreckung bislang nicht gestellt hat. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 37, 44 VwVfG und des § 80 VwGO treffen präzise Vorgaben, an denen sich die Behörde bereits bei Erlass des Verwaltungsaktes orientieren kann und muss. Da vergleichbare Vorschriften hingegen in der Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich vorgesehen sind, mag die Neigung bestehen, durch das Klauselverfahren ein Korrektiv herbeizuführen und dem Klauselorgan die Prüfung der Vollstreckungsreife des Titels zuzuordnen. Dieser Lösung mangelt es jedoch an der hinreichenden Konsequenz. Wie im Einzelnen bereits dargelegt worden ist, macht eine derartige Prüfung nach Erlass des Titels keinen Sinn mehr. Zudem wird das Prozessgericht auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung195 darauf achten, dass der ergehende Titel die notwendige „Vollstreckungsreife“ aufweist, so dass für das Klauselverfahren derzeitiger Prägung keine Existenzberechtigung besteht. Die Erfahrungen aus dem Verwaltungsvollstreckungsrecht bestätigen vielmehr mit Nachdruck die These, dass das Klauselverfahren verzichtbar ist. b) Gesetzliche Bestimmungen in der Zivilprozessordnung Dass die Zivilprozessordnung selbst Ausnahmen von dem Erfordernis des Klauselverfahrens macht,196 findet zumeist nur am Rande Erwähnung. Namentlich sind vier Fälle zu nennen:197 – – – –
Vollstreckungsbescheid, § 796 Abs. 1 ZPO Arrest und einstweilige Verfügung, §§ 929 Abs. 1, 936 ZPO vereinfachter Kostenfestsetzungsbeschluss, § 105 ZPO Hilfspfändung auf Herausgabe von Unterlagen, § 836 Abs. 3 S. 3 ZPO
In den beiden letztgenannten Fällen ist die Erteilung einer Klausel entbehrlich, da der Kostenfestsetzungsbeschluss und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss quasi nur ein Annex zu dem Urteil darstellen, das seinerseits eine Vollstreckungsklausel voraussetzt.198 Von einem uneingeschränkten Verzicht auf das Klauselerfordernis kann daher insoweit nicht gesprochen werden. Anders verhält es sich bei den beiden zuerst genannten Fällen. Sowohl dem Vollstreckungsbescheid als auch dem Beschluss oder Urteil im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Vollstreckungsklausel fremd. Dieser Verzicht wird nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil werden die Vorschriften der §§ 796 Abs. 1, 929 Abs. 1, 936 ZPO im Hinblick auf ihren Beschleunigungseffekt als sachgerecht 195
Zu denken ist nur an die Bestimmung des § 253 ZPO zur Bestimmtheit des Klageantrags. Auch hier finden sich Parallelen zu den Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn. So findet sich beispielsweise auch in Frankreich ein größerer Katalog an Ausnahmetatbeständen, die die Vollstreckungsklausel entbehrlich machen, s. dazu näher Traichel, S. 20, Fn. 74. 197 Näher dazu Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 II 2. 198 Ähnlich in ihrer Begründung Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 10, und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 724, Rdnr. 36. 196
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empfunden.199 Der Gedanke des Schuldnerschutzes, der sonst so sehr im Klauselverfahren betont wird, scheint in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr zu spielen. Dies mag angesichts der Eilbedürftigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes noch nachvollziehbar sein. Hingegen ist nicht einsichtig, weshalb im Mahnverfahren mit abschließendem Vollstreckungsbescheid andere Maßstäbe gelten sollen als im ordentlichen Prozess mit abschließendem Urteil. Insbesondere die Gleichstellung des Vollstreckungsbescheids mit dem Versäumnisurteil, § 700 Abs. 1 ZPO, wirft die Frage auf, weshalb das Klauselverfahren nicht auch im ordentlichen Prozess entbehrlich sein soll. In beiden Fällen trifft das Gericht die Verpflichtung, das Verfahren möglichst rasch zu Ende zu führen.200 Weshalb sollte daher nicht auch bei der Vollstreckung aus einem Urteil der Beschleunigungsgedanke Platz greifen? Als Unterscheidungskriterium käme allenfalls der Umstand in Betracht, dass das Mahnverfahren nur zur Geltendmachung von Geldforderungen zulässig ist, § 688 Abs. 1 ZPO. Zumindest das Problem des vollstreckungsfähigen Inhalts scheint sich daher kaum stellen zu können. Hingegen bleiben die Aspekte der Formnichtigkeit und der mangelnden Vollstreckbarkeit unberührt bestehen. Zudem ist gerade im Mahnverfahren zu berücksichtigen, dass der Vollstreckungsbescheid ohne vorherige richterliche Überprüfung ergeht. Es besteht daher in diesem Verfahren eher ein erhöhtes Schutzbedürfnis des Schuldners, dem ein Klauselverfahren nach seinem bisherigen Verständnis Rechnung zu tragen hätte. Es kann abschließend nur resümiert werden, dass die gesetzlichen Ausnahmeregelungen zum Klauselverfahren ein stiefmütterliches Dasein pflegen, obwohl sich der Verzicht auf das Klauselerfordernis sowohl im einstweiligen Rechtsschutz als auch im Mahnverfahren bewährt hat. Dass der Verzicht auf das Klauselerfordernis in diesen Bereichen bislang zu keinerlei Problemen geführt hat und auch in der Literatur keine kritischen Stimmen laut geworden sind, ist ein nachhaltiges Indiz dafür, dass das Klauselverfahren generell entbehrlich ist.201 5. Vorteile eines Verzichts auf das Klauselverfahren Der vermeintliche Vorteil des Klauselverfahrens wird darin gesehen, dass das Vollstreckungsorgan von der Prüfung der Vollstreckungsreife des Titels entlastet wird und diese Prüfung damit sozusagen vor die Klammer gezogen werde.202 Gegen einen Verzicht auf das Klauselverfahren würde daher vermutlich das Argument ins Feld geführt, dass diese Streichung angesichts der verschiedenen Voll199 Man sucht in der Literatur vergeblich nach Stimmen, die die genannten Vorschriften in Frage stellen würden. 200 Zur sogenannten Konzentrationsmaxime s. bereits im zweiten Teil unter § 8 II 5. 201 Treffend daher die Äußerung von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 10 II 1, im Zusammenhang mit dem Titelerfordernis: „Das Vorhandensein des Vollstreckungstitels ist aber das Wesentliche, nicht das der Klausel, von der das Gesetz mitunter ganz absieht.“ Den Schluss auf die gänzliche Entbehrlichkeit des (einfachen) Klauselverfahrens zieht Gaul hingegen nicht. 202 S. dazu die einleitenden Bemerkungen unter I.
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streckungsorgane und der Vielzahl denkbarer Vollstreckungsmaßnahmen den Effekt einer Multiplikation der Prüfungserfordernisse nach sich ziehen würde.203 Die Vollstreckungsreife wäre dann von jedem Vollstreckungsorgan bei jeder Vollstreckungsmaßnahme gesondert zu prüfen.204 Bereits vom Standpunkt der Verfechter des Klauselverfahrens verfängt dieses Argument jedoch nicht, denn es müsste auch für die übrigen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen gelten. Es ist nicht einsichtig, weshalb die Prüfung der besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen wie der Nachweis der Fälligkeit gemäß § 751 Abs. 1 ZPO oder der Nachweis einer Sicherheitsleistung gemäß § 751 Abs. 2 ZPO nicht ebenfalls unter Hinweis auf die Entlastung der Vollstreckungsorgane an das Klauselorgan delegiert werden sollte. In der letzten Konsequenz würde dieses Argument zu einer weitgehenden Kompetenzverschiebung vom Vollstreckungs- zum Klauselorgan führen. Im Ergebnis würde aber das Klauselorgan zum eigentlichen Vollstreckungsorgan mutieren, ohne dass damit in der Praxis etwas gewonnen wäre. Es läge dann näher, die Zwangsvollstreckung von vornherein zentral zu organisieren,205 anstatt dies über den Umweg eines zusätzlichen Klauselerteilungsorgans zu vollziehen. Viel entscheidender noch erscheint aber im Rahmen der vorliegenden Diskussion der Gedanke, dass Gegenstand der Klauselprüfung nicht Vollstreckungsvoraussetzungen sind, sondern dass es sich bei der Vollstreckungsreife um Rückstände aus dem Erkenntnisverfahren handelt.206 Führt man demzufolge den Entlastungsgedanken konsequent zu Ende, so muss die Prüfung der Vollstreckungsreife nicht erst im Klauselverfahren, sondern bereits im Erkenntnisverfahren ansetzen. Dies entspricht auch durchaus der Praxis, da sich zwangsweise jedes Prozessgericht bei Erlass eines Titels darüber Klarheit verschaffen muss, ob der Inhalt des Titels vollstreckbar und vollstreckungsfähig ist. In der weiteren Folge ist es nur konsequent, auf eine Überprüfung des Prozessgerichts im Klauselverfahren gänzlich zu verzichten und diese Überprüfung – nicht anders als bei allen anderen Streitfragen aus dem Titel – den Berufungsgerichten zu überlassen. In diesem Sinne kann dann von einer tatsächlichen Entlastung des Zwangsvollstreckungsverfahrens gesprochen werden. Diese Überlegungen muten revolutionär an. Denn sie brechen scheinbar ohne Not mit dem allgemeinen Verständnis des Klauselverfahrens. Die Vorteile einer 203 So etwa die Erwägungen von Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2: „Außerdem sichert das Klauselverfahren die einheitliche Beurteilung von Rechts- und Tatsachenfragen durch eine zentrale ausschließlich zuständige Instanz, während ohne ein solches Verfahren eine Vielzahl von jeweils räumlich und sachlich für die einzelnen Vollstreckungshandlungen zuständigen Vollstreckungsorganen zu divergierenden Beurteilungen gelangen könnten, ohne dass die ZPO für solche Entscheidungsdivergenzen eine Auflösungsmöglichkeit vorsehen würde.“ Ebenso Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5). 204 Dieses Argument betrifft zunächst die Organisation der Zwangsvollstreckung und scheint dafür zu sprechen, die Vollstreckung in Anlehnung an das Klauselverfahren ebenfalls zu zentralisieren. Darauf wird noch im fünften Teil einzugehen sein, s.u. § 23 IV. 205 S. dazu ausführlich im fünften Teil der Untersuchung unter § 23 II bis IV. 206 S.o. 3 d.
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solchen Lösung liegen aber offen auf der Hand. Ein Verzicht auf das Klauselverfahren führt zur einer enormen Rechtsvereinfachung, indem Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren unmittelbar miteinander verbunden werden. Die Überwindung der vermeintlichen Kluft zwischen beiden Verfahren wird dadurch möglich, dass die Brücke des Klauselverfahrens entfernt und beide Verfahren zusammengerückt werden. Den verbleibenden Schnittstellen trägt das Modell der Formalisierung Rechnung. In der weiteren Konsequenz bedeutet dies ein organisatorisches Zusammenrücken von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, indem das Klauselorgan als Zwischenglied von seiner wesentlichen Funktion, der Prüfung der Vollstreckungsreife, entlastet wird und diese Aufgabe allein bei den Gerichten im Erkenntnisverfahren verbleibt. Dadurch werden wesentliche Reibungsverluste des bisherigen Modells vermieden. Für den Gläubiger stellt sich das Klauselerfordernis in der Praxis ohnehin nur als lästige Förmelei dar, die zudem in der Regel zu einer empfindlichen Verzögerung der Zwangsvollstreckung führt. Auch der Gedanke des Schuldnerschutzes vermag diese Verzögerung nicht zu rechtfertigen. Denn im Streitfalle führen die Rechtsbehelfe des Klauselverfahrens auf Umwegen nur dorthin zurück, wo der Streit ohne Klauselverfahren ohnehin auszufechten ist: vor die ordentlichen Gerichte, die allein die Kompetenz haben, den Titel aufzuheben oder zu ändern. Dabei entpuppt sich der Umweg über die Rechtsbehelfe des Klauselverfahrens nicht nur für den Gläubiger als ärgerliche Verzögerung, sondern für den Schuldner sogar als gefährlicher Fallstrick. Da die Fülle der verschiedenen Rechtsbehelfe des Zwangsvollstreckungsrechts noch durch die Bandbreite der Rechtsbehelfe des Klauselverfahrens erweitert wird, trägt der Schuldner das volle Risiko der Einlegung eines falschen Rechtsbehelfs. Demgegenüber macht das vorstehende Verständnismodell des Klauselverfahrens die Klauselrechtsbehelfe entbehrlich.207 Will der Schuldner die Vollstreckungsreife der gerichtlichen Überprüfung zuführen, so stehen ihm dazu die allgemeinen Rechtsbehelfe des Erkenntnisverfahrens ohne Umweg über die Klauselrechtsbehelfe zur Verfügung. Eine diesbezügliche Überprüfung ist – darin ist den Anhängern des Klauselverfahrens zuzustimmen – nicht von dem Vollstreckungsorgan vorzunehmen.208 Das Vollstreckungsverfahren wird mithin auch nach der hier vertretenen Lösung wesentlich gestrafft, ohne dass es dazu aber eines Klauselverfahrens bedürfte.209
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S. dazu noch ausführlich unter VI. Hinter dieser Überlegung steckt jedoch nicht der Gedanke, das Vollstreckungsorgan vermeintlich zu entlasten, sondern das Formalisierungsprinzip, das dem Vollstreckungsorgan eine eigenständige gerichtliche Beweisaufnahme mit den Mitteln des Strengbeweises und damit im Ergebnis die Tenorierung des Urteils versagt. 209 Nicht umsonst spricht Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V, von der bloß deklaratorischen Wirkung des einfachen Klauselverfahrens. 208
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IV. Vollstreckungsklausel zur Verhinderung einer Mehrfachvollstreckung Ordnet man die Prüfung der Vollstreckungsreife dem Erkenntnisverfahren zu und entlastet das Vollstreckungsverfahren von diesem Prüfungspunkt, so stellt sich die Frage nach dem verbleibenden Zweck des Klauselverfahrens. Dieser Zweck ist – wie einleitend bereits dargelegt210 – ein dreifacher. Neben der Prüfung der Vollstreckungsreife kommt dem Klauselverfahren nach seiner bisherigen Lesart auch die Bedeutung zu, den Schuldner vor einer mehrfachen Vollstreckung durch den Gläubiger zu schützen.211 1. Die Gefahr der Doppelvollstreckung Gemäß § 733 Abs. 1 ZPO kann der Schuldner vor der Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung des Titels gehört werden, sofern nicht die zuerst erteilte Ausfertigung zurückgegeben wird. Bei unterbliebener Rückgabe muss der Gläubiger einen schutzwürdigen Grund für eine weitere Ausfertigung darlegen und mindestens glaubhaft machen.212 Diese Regelung spannt den Bogen zu den §§ 724, 725 ZPO, die die Vollstreckung von der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Titels abhängig machen, sowie der Vorschrift des § 757 ZPO, die das Vollstreckungsorgan verpflichtet, im Falle der teilweisen Leistung durch den Schuldner dies auf dem vollstreckbaren Titel zu vermerken und bei vollständiger Leistung den vollstreckbaren Titel an den Schuldner auszuhändigen. Insgesamt soll dadurch sichergestellt werden, dass der Gläubiger die Vollstreckung aus dem Titel nur einmal betreiben kann.213 2. Die Nähe zu den Fällen der entbehrlichen Klausel Stellt man den Zweck der Klausel, eine doppelte Vollstreckung zu verhindern, in Rechnung, so wird der förmliche Aspekt des Klauselerteilungsverfahrens deutlich. Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 724, 725 ZPO gewinnen ihre eigentliche Bedeutung, indem der Vollstreckungstitel vom Gericht mit der Vollstreckungsklausel im Wortlaut des § 725 ZPO versehen wird. Die Vollstreckungsklausel stellt nichts anderes dar als einen Beurkundungsvermerk.214 Eine Prüfung seitens des Urkundsbeamten erfolgt allein dahingehend, ob bereits eine anderweitige vollstreckbare Ausfertigung des Titels erteilt worden ist. Diese gesetzlich vorgegebene Vorgehensweise entspricht der gängigen Rechtspraxis, in der die Klausel zumeist formularmäßig erteilt wird, ohne dass die 210
S.o. I. Saenger, JuS 1992, 861 (861); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3. 212 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 733, Rdnr. 4. 213 Hahn, Materialien, S. 435; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 VI 1. 214 Schlosser, Jura 1984, 88 (89): „Es handelt sich auch wirklich nur um Beurkundungsfunktion.“ So auch Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 17.1, die die Klausel jedoch zugleich als Eingriffsermächtigung verstanden wissen wollen. 211
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Frage der Vollstreckungsreife eine gesonderte Rolle spielt.215 Die Nähe zu den Fällen der entbehrlichen Klausel wird deutlich.216 Die Bestimmungen der §§ 724, 725 ZPO haben lediglich die formelle Kennzeichnung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung zum Gegenstand. Diese formelle Kennzeichnung ist aber auch in den Fällen der Entbehrlichkeit der Klausel vorgesehen und zwingend erforderlich, da hier ebenfalls die Gefahr der Mehrfachvollstreckung droht. Allein das Verfahren stellt sich hier wesentlich einfacher dar, indem dem Gläubiger von Amts wegen nur eine Ausfertigung des Titels erteilt wird.217 Diese anfängliche Beschränkung macht den zusätzlichen Klauselvermerk entbehrlich. Da die Ausfertigung des Titels zudem von Amts wegen auszustellen ist, § 699 Abs. 4 ZPO, bringt dieses Verfahren den weiteren Vorteil, dass der Gläubiger nicht gezwungen ist, erst einen förmlichen Antrag zu stellen. So unterscheiden sich im Ergebnis, was die ratio legis anbelangt, die Vorschriften der §§ 724, 725 ZPO nicht von den Bestimmungen zum Vollstreckungsbescheid und zum einstweiligen Rechtsschutz. Der Vorteil der letztgenannten Institute liegt aber darin, dass sie die Klausel entbehrlich machen. 3. Reformvorschlag Die Nähe der gesetzlich geregelten Fälle der Entbehrlichkeit der Vollstreckungsklausel zu den Vorschriften der §§ 724, 725 ZPO legt einen Reformvorschlag nahe. Die Regelungen des Mahnverfahrens und des einstweiligen Rechtsschutzes lassen es unter dem Aspekt der Beschleunigung geboten erscheinen, auch im allgemeinen Erkenntnisverfahrens auf das Klauselverfahren zu verzichten218 und stattdessen von vornherein nur eine219 als solche gekennzeichnete220 (vollstreckbare) Ausfertigung des Titels zu erteilen.221 Da diese ohnehin von Amts wegen zu erteilen ist,222 um mit der Zustellung zugleich den Lauf der Rechtsmittelfristen auszulösen, entfällt auf diesem Wege auch das lästige Antragserfordernis im Klauselverfahren, das regelmäßig zu einer mehrwöchigen Verzögerung der Zwangsvollstreckung führt.223 215
S.o. III 2. S.o. III 4. 217 Dies ergibt sich beispielsweise für den Vollstreckungsbescheid aus § 699 Abs. 4 ZPO. 218 Nicht umsonst bezeichnen Saenger, JuS 1992, 861 (861), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 16 V, die einfache Vollstreckungsklausel als „rein deklaratorisch“. 219 Derzeit sieht § 317 Abs. 2 ZPO keine derartige Einschränkung vor. 220 Gemäß § 317 Abs. 4 ZPO hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ohnehin schon nach geltendem Recht die Urteilsausfertigung gesondert zu siegeln. 221 Eine vergleichbare Regelung findet sich bereits derzeit im französischen Vollstreckungsrecht. So kann hier gemäß D.Art. 25 der Vollstreckungsrichter, wenn nötig, bereits die Originalurkunde seiner Entscheidung für vollstreckbar erklären, so dass die Ausstellung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht mehr abgewartet zu werden braucht. Näher dazu Traichel, S. 49. 222 Dies ergibt sich aus §§ 317, 166 ZPO. 223 Gegen dieses Übel helfen auch die in der Praxis bereits mit der Klageerhebung oder in der mündlichen Verhandlung rein vorsorglich gestellten Anträge auf Ausstellung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht, da diese Anträge in den seltensten Fällen von den Geschäftsstellen zur Kenntnis genommen werden. 216
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V. Die qualifizierten Vollstreckungsklauseln In den einleitenden Bemerkungen ist auf das breite Aufgabenspektrum der Vollstreckungsklausel hingewiesen worden.224 Es hat sich als sinnvoll erwiesen, den Aspekt der „Vollstreckungsreife“ gesondert von demjenigen der Verhinderung einer Mehrfachvollstreckung zu untersuchen. Während ersterer nach der hier vertretenen Ansicht entbehrlich ist, erweist sich der zweite Aspekt als zweckmäßig, wenn auch in seiner bisherigen Ausgestaltung als eher umständlich. Beiden Aspekten gemeinsam ist der Umstand, dass sie nicht das Vollstreckungsverfahren berühren, sondern Gegenstand des Erkenntnisverfahrens sind. Ganz anders verhält es sich mit dem qualifizierten Klauselverfahren der §§ 726 ff. ZPO. Dieses ist Teil des Vollstreckungsverfahrens225 und unterscheidet sich damit grundlegend von den beiden anderen Zweckbestimmungen des Klauselverfahrens. Erstmalig scheint daher der Gedanke, dass das Vollstreckungsorgan durch das vorgelagerte Klauselverfahren von der Prüfung zivilrechtlicher Fragen entlastet werden soll, Platz zu greifen. 1. Die funktionale Zuständigkeit des Rechtspflegers Die grundlegende Unterscheidung zwischen einfachem und qualifiziertem Klauselverfahren kommt im Gesetz in dreifacher Weise zum Ausdruck. Zum einen lässt sich aus den besonderen Vorschriften der §§ 726 ff. ZPO ein gesteigerter Prüfungsumfang im qualifizierten Klauselverfahren ableiten. Sodann ist auffällig, dass sich die gesetzlichen Tatbestände zur Entbehrlichkeit der Klausel, §§ 796 Abs. 1, 929 Abs. 1, 935 ZPO, ausdrücklich nur auf die einfache Klausel beziehen. Schließlich ist ein Wechsel in der funktionellen Zuständigkeit des Klauselerteilungsorgans vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zum Rechtspfleger festzustellen, ein sicheres Indiz dafür, dass der Gesetzgeber dem qualifizierten Klauselverfahren eine weitaus größere Komplexität zumisst. Bei näherer Betrachtung ist es kein Zufall, dass der Gesetzgeber sich bei der Frage der funktionellen Zuständigkeit im qualifizierten Klauselverfahren für den Rechtspfleger und nicht für den Richter entschieden hat.226 Die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers betont die Nähe des Klauselverfahrens zum Vollstreckungsverfahren, in dem der Rechtspfleger ebenfalls – mit Ausnahme der Mobiliarvollstreckung und der Vollstreckung von Ansprüchen, die nicht auf Geld gerichtet sind – funktionell zuständig ist. Die sachlichen Prüfungskompetenzen sind vergleichbar, so dass die Zuständigkeit des Rechtspflegers sinnvoll erscheint. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle wäre in diesem Bereich überfordert, wenn man seine übrigen Tätigkeitsfelder in Rechnung stellt. Umgekehrt 224
S.o. I. Das darf zum besseren Verständnis bereits an dieser Stelle angemerkt werden. 226 Ursprünglich war in der Zivilprozessordnung noch die Zuständigkeit des Richters vorgesehen, da der historische Gesetzgeber den Rechtspflegerberuf noch nicht kannte, Hahn, Materialien, S. 434. 225
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belegt der Verzicht auf eine richterliche Zuständigkeit, dass das Klauselverfahren nicht den Anforderungen des Erkenntnisverfahrens unterworfen ist. Dass trotzdem die Prüfung zivilrechtlicher Problemstellungen Gegenstand des qualifizierten Klauselerteilungsverfahrens sein soll, lässt die Frage nach der Daseinsberechtigung des Klauselverfahrens neu aufkommen.227 Diese Frage erübrigt sich hingegen, wenn sich das Klauselverfahren als bloßer Appendix des Vollstreckungsverfahrens erweist. 2. Perpetuierung des Formalisierungsmodells Die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers im qualifizierten Klauselverfahren ist zweifellos nur ein schwaches Indiz für die inhaltliche Identität mit dem Vollstreckungsverfahren. Denn das Tätigkeitsfeld des Rechtspflegers beschränkt sich nicht allein auf die Zwangsvollstreckung, sondern erstreckt sich auf den gesamten Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit.228 Auch das Kriterium der vergleichbaren Prüfungskompetenz lässt sich nur schwer konkretisieren, so dass die erste Analyse der gesetzlichen Bestimmungen nur eine grobe Annäherung an die hier vertretene These darstellt. Bestätigt wird diese aber durch einen Blick auf das Hauptwesensmerkmal des Zwangsvollstreckungsverfahrens, das Prinzip der Formalisierung. Dieses Modell müsste auf das qualifizierte Klauselverfahren übertragbar sein, wenn es sich dabei um einen (vorgelagerten) Teil der Vollstreckung handeln soll. Betrachtet man die einzelnen Tatbestände der §§ 726 ff. ZPO unter diesem Blickwinkel, so fällt rasch eine wesentliche Gemeinsamkeit auf. Sämtliche Tatbestände zeichnen sich dadurch aus, dass die jeweils relevanten Tatsachen entweder durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen sind oder aber gerichtsbekannt bzw. evident sein müssen. Gelingt dieser Nachweis nicht, so findet nicht etwa vor dem Rechtspfleger eine Beweisaufnahme statt, sondern es bleibt dem Gläubiger nur die Möglichkeit der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß § 731 ZPO.229 Die Notwendigkeit der Klauselklage belegt, dass das Klauselverfahren kein gerichtliches Erkenntnisverfahren darstellt. Die rechtsprechende Funktion der Gerichte bleibt unangetastet.230 Sodann erschließen sich auch die Nachweistatbestände des Klauselverfahrens. Sie stellen nichts anderes dar als Konkretisierungen des Formalisierungsgedankens. Liegen zu den streitigen Tatsachen, die Aufschluss über das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 726 ff. ZPO geben, öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden vor, so begründen diese die wi227
S.o. I. S. dazu nur den Katalog des § 20 RPflG. 229 Ausführlich dazu unter VI 1 c. 230 Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 731, Rdnr. 1, spricht von einer Lücke im gerichtlichen Rechtsschutz, die durch § 731 ZPO geschlossen wird, indem dem Gläubiger im Klagewege die Feststellung ermöglicht wird, dass der ursprünglich nur künftig vollstreckbare nun ein gegenwärtig vollstreckbarer Anspruch ist. 228
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derlegbare Vermutung für den Eintritt der zu beweisenden Tatsachen. Es handelt sich – nicht anders als beispielsweise bei den §§ 808, 809 ZPO – um einen Rechtsscheinstatbestand. Die einzige Besonderheit besteht in der konkreten Ausgestaltung. Während sich die bislang erörterten Vermutungstatbestände zumeist an äußeren Publizitätsgesichtspunkten orientieren, bedarf es im Bereich der §§ 726 ff. ZPO mangels geeigneter Anknüpfungspunkte der Vorlage besonderer Urkunden. Dies ändert jedoch nichts an dem Formalisierungsprinzip. Die formalisierten Vermutungstatbestände verkörpern nichts anderes als die aus dem Erkenntnisverfahren bekannten Beweismittel in Form von Anscheins- und Vermutungsbeweis.231 Berücksichtigt man, dass die Zivilprozessordnung mit dem Urkundsprozess ein besonderes Erkenntnisverfahren bereit hält, das der Vorlage von Urkunden einen gesteigerten Beweiswert zumisst, so reiht sich der Urkundsbeweis in eine Reihe mit den übrigen Anscheins-, Vermutungs- und Beweislastregeln. Zugleich bestätigt sich, dass auch das qualifizierte Klauselverfahren von dem Gedanken der Formalisierung beherrscht wird. Anders wäre es nicht zu erklären, dass die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO im Falle von Zug-um-Zug Leistungen den Nachweis der Erfüllung bzw. des Annahmeverzugs des Schuldners ebenfalls an die Vorlage öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden knüpfen. Diese Art des Vermutungstatbestandes ist auch dem Vollstreckungsverfahren nicht fremd und wird im Klauselverfahren lediglich kopiert. Einen Sonderfall der öffentlichen Urkunde stellt das zivilgerichtliche Urteil dar. Dessen rechtskräftiger Ausspruch zu einer im Rahmen der §§ 726 ff. ZPO maßgeblichen Frage hindert die Erhebung einer gesonderten Klauselklage. Auch dieser Fall lässt sich mühelos in das Formalisierungsmodell einordnen. Denn es liegt dann auf der zweiten Stufe der Formalisierung eine abschließende gerichtliche Entscheidung vor. Zuletzt findet sich auch die erste Stufe der Formalisierung in dem Klauselverfahren wieder. So ist der Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden entbehrlich, wenn die zu beweisenden Tatsachen offenkundig, d.h. gerichtsbekannt sind, oder der Schuldner im Rahmen der Anhörung gemäß § 730 ZPO das Vorliegen der Tatsachen eingesteht.232 Der erste Fall ist in § 727 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vorgesehen, der letzte Fall wird aus einer Analogie zu den §§ 138, 288 ZPO abgeleitet.233 Wenn insoweit von einem Geständnis des Schuldners die Rede ist, so ist dies Ausdruck der das zivilgerichtliche Erkenntnisverfahren beherrschenden Verhandlungsmaxime.234 Diese Maxime gilt mithin auch im 231
S.o. § 5 VI. Putzo, in: Thomas/Putzo, § 726, Rdnr. 6, und § 727, Rdnr. 7, sowie Münzberg, in: Stein/Jonas, § 726, Rdnr. 19. 233 Das Nichtbestreiten des Schuldners führt hingegen nach h. M. mangels Erklärungslast nicht die Folgen des § 138 Abs. 3 ZPO herbei, Münzberg, in: Stein/Jonas, § 726, Rdnr. 19, § 730, Rdnr. 3, Fn. 8 m.w.N. zum Streitstand. 234 Dass im Rahmen der „materiellen Rechtsbehelfe“ die Prinzipien des Erkenntnisverfahrens zur Anwendung kommen, dürfte unbestritten sein, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 1. 232
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Klauselverfahren. Der übereinstimmende Sachvortrag der Parteien hat Vorrang vor einer gerichtlichen Feststellung ebenso wie vor der Anwendung formalisierter Vermutungstatbestände. 3. Die Nähe zur Zwangsvollstreckung Der Gedanke, dass das Klauselverfahren nichts anderes darstellt als einen ausgegliederten Teil des Vollstreckungsverfahrens, bestätigt sich, wenn man die einzelnen Klauseltatbestände der §§ 726, 727 ZPO näher unter die Lupe nimmt. Die wechselseitigen Verflechtungen zwischen Klausel- und Vollstreckungsverfahren sind unübersehbar und letztlich nur mit der identischen Rechtsnatur beider Verfahren zu erklären. a) § 726 Abs. 1 ZPO: Die Verflechtung mit § 751 ZPO Die Vorschrift des § 726 Abs. 1 ZPO macht die Klauselerteilung im Falle eines vom Gläubiger zu beweisenden Bedingungseintritts von dem Beweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde abhängig. Ausdrücklich ausgenommen ist der in § 751 Abs. 2 ZPO genannte Sonderfall einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung. Augenfällig ist dabei, dass trotz dieses Ausnahmecharakters auch die Vorschrift des § 751 Abs. 2 ZPO den Nachweis der Sicherheitsleistung durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde gebietet. Es ist daher kein rechter Grund ersichtlich, weshalb für den allgemeinen und den besonderen Fall zwei unterschiedliche Regelungen getroffen worden sind. Man mag von Grundsatz und Ausnahme nicht mehr sprechen, da beide Regelungen denselben Voraussetzungen unterworfen sind.235 Der maßgebliche Gedanke für die Differenzierung mag darin zu suchen sein, dass der Nachweis der Sicherheitsleistung historisch in engem Zusammenhang mit der gerichtlichen Tätigkeit steht. Prototyp der Sicherheitsleistung war nach der gesetzgeberischen Vorstellung des § 108 Abs. 1 S. 2, 1. Halbsatz ZPO a.F. die Hinterlegung. Da diese beim Gericht erfolgt, ist der Nachweis durch öffentliche Urkunden gewährleistet. Der Nachweis der Sicherheitsleistung erweist sich damit in der Regel als unproblematisch, so dass der Gesetzgeber wohl keine Bedenken hatte, diese Prüfung dem Vollstreckungsorgan zu überlassen.236 In den übrigen Fällen des vom Gläubiger zu beweisenden Eintritts einer Bedingung mag hingegen die anfängliche Skepsis des Gesetzgebers gegenüber dem wichtigsten Vollstreckungsorgan, dem Gerichtsvollzieher, überwogen haben.237 Nur so ist zu erklären, dass der Gesetzgeber diese Prüfung in das Klauselverfahren vorverlagert hat. Da aber angesichts der Fülle denkbarer Bedingungen der Nachweis 235 Unterschiedlich sind allein die Verfahrensabschnitte in Form des Klausel- und des Vollstrekkungsverfahrens. Daraus einen qualitativen Unterschied ableiten zu wollen, würde jedoch zu einem Zirkelschluss führen, da die Existenz des Klauselverfahrens erst begründet werden soll. 236 Beleg für diese These ist auch die Regelung des § 751 Abs. 1 ZPO, die dem Vollstreckungsorgan die Prüfung der Fälligkeit überlässt, soweit diese anhand des Kalenders zu bestimmen ist. 237 S. dazu bereits im ersten Teil unter § 5 IX und nachfolgend noch unter 4 c.
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durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nicht stets zu gewährleisten ist, bleibt in dem verbleibenden Bereich eine gerichtliche Überprüfung unausweichlich. Dies hat zur Folge, dass mit der Klauselklage ein gesonderter Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt werden muss, der dem Gläubiger den Weg zu den Gerichten eröffnet. Ein solcher Rechtsbehelf erscheint hingegen im Rahmen des § 751 Abs. 2 ZPO angesichts der unproblematischen Beweismöglichkeiten entbehrlich.238 b) Das halbherzige Regelungswerk der §§ 726 Abs. 2, 756, 765 ZPO Hängt die Vollstreckung des titulierten Gläubigeranspruchs von einer Zug-umZug zu bewirkenden Leistung des Gläubigers an den Schuldner ab, so ist gemäß § 726 Abs. 2 ZPO der Beweis der Erfüllung oder des Annahmeverzugs des Schuldners nur dann erforderlich, wenn die dem Schuldner obliegende Leistung in der Abgabe einer Willenserklärung besteht. Diese Regelung ist nur vor dem Hintergrund der besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO verständlich, die die Prüfung der Erfüllung bzw. des Annahmeverzugs grundsätzlich dem Vollstreckungsorgan überantworten. Eine Ausnahme besteht lediglich bei der Vollstreckung eines Anspruchs auf Abgabe einer Willenserklärung, da in diesem Falle die Vollstreckung gemäß § 894 ZPO durch die weniger einschneidende Fiktion der Abgabe der Willenserklärung ersetzt wird. Um die dadurch entstehende Lücke zu schließen, ordnet § 726 Abs. 2 ZPO für diesen speziellen Fall an, dass der Nachweis der Erfüllung bzw. des Annahmeverzugs schon im Klauselverfahren zu erbringen ist. Parallel dazu verlagert § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO den Eintritt der Abgabefiktion auf den Zeitpunkt der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung. Angesichts dieses recht komplizierten Regelungsgeflechts gilt es zunächst festzuhalten, dass die grundsätzliche Zuständigkeit zur Prüfung bei Zug-um-ZugEinreden beim Vollstreckungsorgan liegt.239 Das Klauselverfahren erfüllt lediglich im Bereich der Vollstreckung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung eine Lückenfunktion, da hier eine Vollstreckung nicht stattfindet.240 Die Klauselerteilung in diesem Zusammenhang von einem Nachweis im Sinne der §§ 756, 765 ZPO abhängig zu machen, erscheint als genialer Schachzug, um die Fiktion des § 894 ZPO nicht in Frage stellen zu müssen. Ansonsten scheint es unausweichlich zu sein, dass die Fiktionswirkung zu früh eintritt, sprich vor Erfüllung oder vor Annahmeverzug seitens des Schuldners.241 Bei näherer Betrachtung stellt sich das gesetzliche Regelungswerk der §§ 726 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO hingegen als halbherzige Lösung dar. Ausgehend von dem berechtigten Anliegen, die Vollstreckung von Ansprüchen 238 Später wird noch zu zeigen sein, dass es sich generell um allgemeine Feststellungsklagen handelt, s.u. VI. 239 Dies ergibt sich aus §§ 756, 765 ZPO. 240 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 17.32. 241 Brox/Walker, Rdnr. 112; Storz, in: Wieczorek/Schütze, § 894, Rdnr. 40, und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 726, Rdnr. 18, sprechen von der Gefahr einer Vorleistung des Schuldners.
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auf Abgabe einer Willenserklärung durch eine weniger einschneidende Fiktion zu ersetzen, stellt sich die Frage, weshalb diese Lösung nicht konsequent zu Ende verfolgt wird, anstatt den Umweg über das Klauselverfahren einzuschlagen. Vor dem Hintergrund der §§ 756, 765 ZPO stellt das Klauselverfahren gemäß § 726 Abs. 2 ZPO nichts anderes dar als ein Vollstreckungsverfahren ohne abschließende Vollstreckungsmaßnahme.242 Die vom Vollstreckungsgericht vorzunehmende Prüfung ist jeweils identisch. Im Falle der Abgabe einer Willenserklärung wird allein auf eine Zwangsmaßnahme verzichtet. Da es in der weiteren Folge an einer nach außen erkennbaren Entscheidung des Vollstreckungsgerichts mangelt, bringt das Vollstreckungsgericht seine Entscheidung in der Erteilung oder Versagung der Klausel zum Ausdruck. Das Klauselverfahren ist mithin in dieser Form kein aliud, sondern nur ein minus gegenüber dem Vollstreckungsverfahren. Dreht man nun den Spieß um und zäumt das Pferd von hinten auf, so stellt sich aus Sicht des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO die Frage, weshalb man das Erfordernis der Erfüllung bzw. des Annahmeverzuges des Schuldners nicht als unmittelbare Voraussetzung für den Eintritt der Abgabefiktion in den Tatbestand des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO aufnimmt, anstatt den umständlichen Weg über des Klauselverfahren zu wählen.243 § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO könnte dann wie folgt lauten: „Ist die Willenserklärung von einer Gegenleistung abhängig gemacht, so tritt diese Wirkung (Anm.: gemeint ist die Fiktion der Abgabe der Willenserklärung gemäß S. 1) ein, sobald der Schuldner befriedigt oder im Verzug der Annahme ist.“ Diese Regelung macht sowohl das Vollstreckungs- als auch das Klauselverfahren entbehrlich und spinnt den Kerngedanken des § 894 ZPO konsequent zu Ende. Gegen die vorstehende Regelung könnte eingewandt werden, dass Streitigkeiten um den Zeitpunkt des Eintritts der Fiktion vorprogrammiert seien. § 726 Abs. 2 ZPO ermögliche hingegen die angemessene zeitliche Fixierung des Eintritts der Fiktion244 und mache zudem ein gerichtliches Klageverfahren entbehrlich. 242 So ganz deutlich die Ausführungen von Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 17.32: „Die Erteilung der Vollstreckungsklausel dient dann also nicht der Vorbereitung der Zwangsvollstreckung, sondern ersetzt diese; es muss daher vor Erteilung der Klausel geprüft werden, ob die die Vollstrekkung bedingenden Tatsachen eingetreten sind.“ 243 Dass die bisherige Crux in der Regelung des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO zu suchen ist, belegt eindrucksvoll die Herleitung von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 b gg: „Da … diese Wirkung (Anm. d. Verf.: gemeint ist die Abgabefiktion der Willenserklärung) bei Verurteilung Zug um Zug mit der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung eintritt (§ 894 I 2), so muss der Beweis der Befriedigung des Schuldners oder seines Annahmeverzugs bereits vor der Erteilung der Vollstreckungsklausel geführt werden (§ 726 II), da andernfalls die Rechte des Schuldners gefährdet werden.“ Die Regelung des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO verschafft mithin der Vorschrift des § 726 Abs. 2 ZPO und damit der Klausel erst ihre Daseinsberechtigung. Ebenso in der Bewertung Paulus, in: Wiezcorek/Schütze, § 726, Rdnr. 25. 244 So etwa Storz, in: Wieczorek/Schütze, § 894, Rdnr. 40; Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 726, Rdnr. 18, und Brox/Walker, Rdnr. 112.
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Dieses Argument ist jedoch in doppelter Hinsicht unzutreffend. Zunächst einmal bedarf es auch des Klauselverfahrens in den Fällen nicht, in denen sich die Parteien über den Eintritt der Abgabefiktion des § 894 ZPO einig sind bzw. diesen nicht in Frage stellen (wollen). Diese Einigung kann auch aufgrund öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden erzielt werden. Reichen hingegen diese nicht, um eine Einigung zu erzielen, so wird das Klauselverfahren relevant, das den Parteien jedoch gerade nicht eine Streitentscheidung ermöglicht. Das Klauselverfahren entpuppt sich lediglich als Durchgangsstation auf dem Weg zur Klausel- bzw. Klauselgegenklage. Es erscheint daher wesentlich einfacher, im Streitfall den Zeitpunkt des Eintritts der Abgabefiktion auf direktem Wege durch eine gerichtliche Feststellungsklage verbindlich klären zu lassen.245 Ein zweiter Gedanke unterstreicht die Schwäche des derzeitigen Regelungswerks der §§ 894 Abs. 1 S. 2, 726 Abs. 2 ZPO. Indem beide Vorschriften einvernehmlich auf den Zeitpunkt der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung abstellen, begeben sie sich in einen unüberbrückbaren Wertungswiderspruch zum materiellen Zivilrecht.246 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Fälligkeit der Verpflichtung zur Abgabe der Willenserklärung ist der Zeitpunkt der Erfüllung der Gegenleistung bzw. des Annahmeverzugs des Schuldners. Indem die §§ 894 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 726 Abs. 2 ZPO auf den Zeitpunkt der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung abstellen, schieben sie diesen Zeitpunkt zu Lasten des Gläubigers hinaus.247 Die vorgeschlagene Änderung des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO braucht sich den soeben geschilderten Nachteilen nicht auszusetzen. Sie bringt vielmehr den Vorteil einer Rechtsvereinheitlichung und -vereinfachung mit sich, indem der begrüßenswerte Gedanke des § 894 ZPO, nämlich die Zwangsvollstreckung durch eine gesetzliche Fiktion zu ersetzen, konsequent zu Ende gedacht wird. Mit der Zwangsvollstreckung entfällt zugleich jegliches Klauselverfahren. Da dieses Verfahren ohnehin nur als Brücke zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren verstanden wird,248 ist es nur folgerichtig, dass es mit dem Wegfall der Zwangsvollstreckung auch seine Funktion als Bindeglied verliert. 245
Zur Nähe der Klauselklagen zur allgemeinen Feststellungsklage s. noch später unter VI. Gänzlich anders in ihrer Bewertung Schilken, AcP 1981, 355 (355 ff.), und Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 726, Rdnr. 18: Die „Begründung für Abs. 2 ist auch heute noch beifallswürdig. Denn ihr liegt ein Verständnis vom Verhältnis des materiellen zum Prozessrecht zugrunde, das beide als gleichstufig einschätzt. Während der in Abs. 1 ausgesprochene Grundsatz das prozessuale Erfordernis eines qualifizierten Nachweises statuiert, erfährt er in Abs. 2 eine Ausnahme, weil anderenfalls die materiell-rechtlichen Wertungen nicht beibehalten werden könnten.“ 247 Diese Verzögerung durch das gerichtliche Verfahren widerspricht nicht nur den materiellrechtlichen Gegebenheiten, sondern dem ebenfalls im Bürgerlichen Gesetzbuch zum Ausdruck kommenden Prinzip, nach dem behördliche oder gerichtliche Verfahrensverzögerungen nicht zu Lasten des Antragstellers gehen dürfen. Man denke hier beispielsweise an die Regelung des § 892 Abs. 2 BGB, nach der es für die Gutgläubigkeit eines Immobilienerwerbers auf den Zeitpunkt der Antragstellung beim Grundbuchamt ankommt und nicht etwa auf die später erfolgende Umschreibung. 248 S.o. einleitend unter I. 246
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Mit der vorstehenden Überlegung wird zugleich der letzte vermeintliche Vorteil des Klauselverfahrens hinfällig. Der Vorteil im Vergleich mit dem Klageverfahren besteht darin, dass der Gläubiger allein aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Urkunden eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels erlangt und damit die Zwangsvollstreckung einleiten kann. Dieser Vorteil in Form der Formalisierung ist im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchaus sachgerecht. Da jedoch bei der Vollstreckung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung eine Vollstreckung gar nicht stattfindet, verliert das Klauselverfahren seine Bedeutung und Rechtfertigung. Für eine rasche und effektive Zwangsvollstreckung im Wege der Formalisierung besteht kein Bedürfnis, da der damit verfolgte Zweck bereits durch den Eintritt einer gesetzlichen Fiktion erreicht wird. Diese Wirkung kann der Schuldner nach der hier vorgeschlagenen Änderung des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO auch bei einer Zug-um-Zug Einrede nicht verhindern. Sein Leugnen der Eintrittsvoraussetzungen bedingt allenfalls, dass der Gläubiger den Eintritt der Fiktion gerichtlich klären lassen muss.249 Eine letzte Überlegung mag unterstreichen, weshalb das Klauselverfahren im Bereich des § 726 Abs. 2 ZPO gänzlich entbehrlich ist. Gegenstand der Prüfung sind materiell-rechtliche Fragen der Erfüllung und des Annahmeverzugs. Die Prüfung dieser beiden Themenbereiche ist in starkem Maße der zeitlichen Entwicklung unterworfen. Die dynamische Fortentwicklung des relevanten Sachverhalts macht es unmöglich, das Vollstreckungsorgan im Vorfeld der Zwangsvollstreckung von einer Prüfung dieser zivilrechtlichen Fragen freizustellen. Nicht umsonst ist der in den §§ 756, 765 ZPO beschriebene Regelfall daher derjenige, dass das Vollstreckungsorgan „just in time“ mit dem Beginn der Vollstreckung die Fragen der Erfüllung und des Annahmeverzugs zu beantworten hat und deren Voraussetzungen durch das tatsächliche Angebot der Gegenleistung sogar erst noch herbeiführen muss. Dadurch soll eine Vorleistungspflicht des Schuldners vermieden werden, die bestehen würde, wenn der Schuldner der Vollstreckung ohne Erhalt der Gegenleistung ausgesetzt wäre.250 Umgekehrt wird auch eine Vorleistungspflicht des Gläubigers vermieden, die de facto bestehen würde, wenn die Frage der Erfüllung bzw. des Annahmeverzugs bereits im Klauselverfahren verbindlich zu prüfen wäre. Den einzigen Ausnahmefall einer „vorgelagerten“ Prüfung umschreibt § 726 Abs. 2 ZPO. Da aber hier gerade keine Vollstreckungsmaßnahme mehr zu erfolgen hat, handelt es sich zugleich um den letztmöglichen Zeitpunkt einer zivilrechtlichen Überprüfung. Zweck der §§ 894 Abs. 1 S. 2, 726 Abs. 2 ZPO ist es ebenfalls, eine Vorleistungspflicht auf Schuldnerseite durch die verfrühte Annahme der Fiktion der Abgabe der Willenserklärung zu vermeiden.251 Auch dieser Zeitpunkt ist aber nicht letztverbindlich. Kommt es zu einer Klauselklage, so entscheidet in dem sich anschließenden ge249 Maßgeblicher „Rechtsbehelf“ ist dann die allgemeine Feststellungsklage, ohne dass es der spezifischen Rechtsbehelfe des Klauselverfahrens bedürfte. Näher zu diesen sogleich unter VI. 250 Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 765, Rdnr. 1. 251 Brox/Walker, Rdnr. 112.
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richtlichen Verfahren der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.252 Diese Überlegungen untermauern, wie sehr das oftmals bemühte Argument der Entlastungsfunktion des Klauselverfahrens in die Irre geht. Wollte man dieses Argument ernst nehmen, so müsste man jeglichen Zeitfaktor nach Abschluss des Klauselverfahrens leugnen. Dabei würde nicht einmal die Bejahung eines Annahmeverzuges des Schuldners durch das Klauselorgan Sinn machen, da auch in diesem positiven Fall die Voraussetzungen nachträglich entfallen können ebenso wie im umgekehrten Fall die Voraussetzungen nachträglich eintreten können. Eine zeitlich vorverlagerte Prüfung bis hin zu einer diesbezüglichen Zentralisierung der Vollstreckung verliert damit jeglichen Sinn.253 Derartige Überlegungen führen nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer Belastung des Vollstreckungsverfahrens durch vermeidbare Kompetenzkonflikte zwischen Klausel- und Vollstreckungsorgan. c) § 727 ZPO: Entmündigung der Vollstreckungsorgane Ein Wesensmerkmal der Rechtskraft liegt darin begründet, dass diese auch für und gegen die Rechtsnachfolger der Parteien wirkt. Dieser aus dem Erkenntnisverfahren, § 325 Abs. 1 ZPO, resultierende Grundsatz, kollidiert in der Zwangsvollstreckung mit dem formalisierten Titelerfordernis. Denn dem Titel sind nur die betroffenen Parteien zu entnehmen, nicht aber deren Rechtsnachfolger. Sie festzustellen ist eine Frage des materiellen Zivilrechts. Verbunden mit dem Titelerfordernis würde dies in jedem Falle der Rechtsnachfolge eine neue Klage bedingen. Innerhalb dieses Verfahrens wäre das zuständige Zivilgericht an die Rechtskraft des bereits ergangenen Urteils gebunden und hätte insoweit die Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 ZPO zu prüfen, d.h. insbesondere die materiellrechtliche Frage der Rechtsnachfolge. Der (neue) Gläubiger wäre demzufolge gezwungen, im Falle der Rechtsnachfolge stets einen zeitaufwendigen und kostenintensiven zweiten Rechtsstreit zu führen. Diesen Aufwand zu mindern, ist Anliegen des qualifizierten Klauselverfahrens gemäß § 727 ZPO. In bewusster Anknüpfung an die Rechtskraftregelung des § 325 ZPO254 bildet § 727 ZPO das Bindeglied zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren,255 indem der Titel über seinen eigentlichen Inhalt hinaus auch für und gegen die Rechtsnachfolger der Parteien eingesetzt werden kann, sofern die Rechtsnachfolge durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen wird. Man spricht 252 Dass der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung für die Bewertung des relevanten Sachverhaltes maßgeblich ist, ergibt sich aus den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft. So folgt aus § 767 Abs. 2 ZPO, dass Sachvortrag aus dem Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung in einem späteren Klageverfahren präkludiert ist. 253 Im Gegensatz dazu macht die hier vorgeschlagene Änderung des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO den Eintritt der Abgabefiktion der Willenserklärung von dessen Feststellung unabhängig, indem die Fiktion allein an das materiell-rechtliche Erfordernis der Erfüllung oder des Annahmeverzugs anknüpft. Materielles Recht und Verfahrensrecht sind dann sauber voneinander getrennt. 254 Zur Gesetzesgeschichte Paulus, in: Wieczorek/Schütze, § 727, Rdnr. 1. 255 Ebenso Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 727, Rdnr. 2.
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daher bei der Klausel gemäß § 727 ZPO von der titelübertragenden oder titelumschreibenden Klausel.256 Das Anliegen dieses qualifizierten Klauselverfahrens ist durchaus sachgerecht. Es ist kein anderes als dasjenige, das dem Gedanken der Formalisierung zugrunde liegt. Es geht jeweils darum, dem Gläubiger den möglichst raschen und damit effektiven Zugriff auf das Vermögen des Schuldners zu ermöglichen, indem zivilrechtliche Problemfragen vorab in formalisierter Form beantwortet werden.257 Ebenso wie bei dem Problem der Bedingung und der Zug-um-ZugEinreden bleibt dabei auch im Rahmen der Rechtsnachfolge mangels anderer Publizitätskriterien nur der Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden. Da bei der Frage der Rechtsnachfolge das zeitliche Entwicklungsmoment keine Rolle mehr spielt, ist insoweit – anders etwa als bei den Fragen der Erfüllung und des Annahmeverzugs, § 726 Abs. 2 ZPO – eine komplette Vorverlagerung der Prüfung in das Klauselverfahren möglich. Das Vollstreckungsorgan wird mithin entlastet, zugleich aber auch entmündigt, so dass sich die Frage nach dem Sinn der bestehenden Regelung stellt. 4. Die Frage nach dem Sinn der Verlagerung in das Klauselverfahren Die Analyse des qualifizierten Klauselverfahrens hat ergeben, dass Gegenstand der Prüfung zivilrechtliche Fragestellungen sind, die allerdings auch das Klauselorgan nur in formalisierter Form zu prüfen vermag. Es besteht kein Unterschied zu der Tätigkeit des Vollstreckungsorgans, das ebenfalls einzelne zivilrechtliche Problemstellungen in formalisierter Form zu berücksichtigen hat. Diese Parallele aufzudecken zieht zwangsläufig die Frage nach sich, aus welchem Grund zwischen den einzelnen zivilrechtlichen Merkmalen differenziert wird und die Lösung einzelner Fragen, wie insbesondere der Bedingung und der Rechtsnachfolge, in das Klauselverfahren ausgelagert wird. Welchen Vorteil hat diese Unterscheidung, die als solche immer Abgrenzungsprobleme und Reibungsverluste mit sich bringt? Warum soll nicht das Vollstreckungsorgan sämtliche Prüfungen auf einen Streich vornehmen und so eine rasche und effektive Vollstreckung gewährleisten? a) Vehikel für ein zentrales Vollstreckungswesen Dass von einer Entlastung der Zwangsvollstreckung angesichts der Hemmnisse des Klauselverfahrens nicht die Rede sein kann, ist bereits aufgezeigt worden. Die Zwischenschaltung des Klauselverfahrens mit eigenständigen Organen führt im Gegenteil zwangsweise zu einer Verlangsamung der Zwangsvollstreckung, da nunmehr zwei Organe tätig werden müssen, ohne dass sich an der sachlichen Prüfung etwas ändert. Denkbar wäre hier allenfalls der Einwand, dass die Rück256
Statt vieler Brox/Walker, Rdnr. 115. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 2, spricht von einer Erhöhung der Verkehrsfähigkeit titulierter Rechte. Ähnlich Brox/Walker, Rdnr. 115. 257
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verlagerung der im Klauselverfahren vorzunehmenden Prüfung in das Vollstreckungsverfahren angesichts der verschiedenen Vollstreckungsorgane eine Multiplikation der Prüfungserfordernisse mit sich bringen würde.258 Nimmt man dieses Argument ernst, so richtet es sich jedoch nicht gegen die Tätigkeit der Vollstreckungsorgane als solche, sondern vielmehr gegen die dezentralisierte Organisationsform der Zwangsvollstreckung.259 Das Klauselverfahren dient dann lediglich als Vehikel, um auf Umwegen zumindest in Teilbereichen zu einem zentralen „Vollstreckungsorgan“ zu gelangen.260 Die weiteren in diesem Zusammenhang zu erörternden Probleme betreffen nicht das qualifizierte Klauselverfahren, sondern die gesondert zu beantwortende Frage nach der Organisation der Zwangsvollstreckung als solcher.261 b) Das Fehlen sachlicher Kriterien für die Auslagerung Bringt die Einführung eines gesonderten Klauselverfahrens aufgrund der damit verbundenen Differenzierung eine Verlangsamung der Zwangsvollstreckung mit sich, so bleibt die Frage nach einem Grund, der diese Unterscheidung geboten erscheinen lässt. Als mögliche Differenzierungsmerkmale bieten sich nur zwei Kriterien an, entweder der Schwierigkeitsgrad der vorzunehmenden zivilrechtlichen Prüfung oder die zeitliche Dynamik. Dass der letztere Effekt eine Auslagerung bestimmter zivilrechtlicher Merkmale unmöglich macht, darauf ist bereits hingewiesen worden.262 Der Umstand, dass die Prüfung dieser Merkmale zwingend erst in der Zwangsvollstreckung erfolgen kann, bedeutet aber nicht umgekehrt, dass zeitlich unabhängige Rechtsfragen263 vorweg geprüft werden müssten. Ihre Unabhängigkeit von dem zeitlichen Moment bedeutet vielmehr, dass ihrer Prü-
258 So etwa die Erwägungen von Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2 (abgedruckt in Fn. 203). Ebenso Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5). 259 So etwa Jaspersen, Rpfleger 1995, 4 (5): „Zudem beugt die zentralisierte Beantwortung der Frage, ob ein Titel vollstreckungsfähig und wirksam ist, widersprüchlichen Antworten durch unterschiedliche Vollstreckungsorgane vor.“ Ebenso Schlosser, Jura 1984, 88 (88): „Die verschiedenen Vollstreckungsorgane wissen ja nichts von ihren wechselseitigen Tätigkeiten.“ 260 So besonders deutlich die vorstehend in Fn. 258 aufgegriffene Äußerung von Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 724, Rdnr. 2, der das Klauselverfahren in der weiteren Konsequenz als Relikt des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses bezeichnet. Die Halbherzigkeit des Klauselverfahrens kommt u.a. auch darin zum Ausdruck, dass dem Gläubiger in dem zentral organisierten Verfahren mit der Erteilung einer einzelnen vollstreckbaren Ausfertigung regelmäßig nicht gedient ist. Angesichts der dezentral organisierten Vollstreckung wird ihm die Möglichkeit zur Beschreitung mehrerer Vollstreckungswege genommen. Man behilft sich daher damit, dass das Prinzip des freien Vollstreckungszugriffs für den Gläubiger das rechtlich schützenswerte Bedürfnis an der Erteilung mehrerer vollstreckbarer Ausfertigungen des Titels rechtfertigen soll, so Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 VI 1. Es besteht dann aber für den Schuldner die Gefahr der Mehrfachvollstreckung, die ihrerseits durch das Klauselerfordernis gerade vermieden werden soll. 261 Dazu ausführlich im fünften Teil der Untersuchung, s.u. §§ 22 f. 262 So macht beispielsweise eine vorgelagerte Prüfung der Erfüllung oder des Annahmeverzugs aufgrund der bis zur Vollstreckung noch denkbaren Änderungen des Sachverhalts keinen Sinn. 263 Dazu zählt beispielsweise die Prüfung der Rechtsnachfolge gemäß § 727 ZPO, s.o. 3 c.
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fung im Rahmen der Zwangsvollstreckung keine Hindernisse im Wege stehen.264 Es bedarf also keines vorgeschalteten Prüfungsverfahrens mit der Folge, dass sich die Zwangsvollstreckung verzögert. Die Prüfung sämtlicher Vollstreckungsvoraussetzungen kann vielmehr zeitgleich im Rahmen der Zwangsvollstreckung erfolgen. Damit bleibt als denkbares Differenzierungskriterium nur der Schwierigkeitsgrad einzelner Zivilrechtsfragen, der es geboten erscheinen lassen könnte, ein höher qualifiziertes Klauselorgan in die Prüfung einzubinden. Es lässt sich jedoch kaum feststellen, dass etwa die Probleme der Bedingung, § 726 Abs. 1 ZPO, oder der Rechtsnachfolge, § 727 Abs. 1 ZPO, schwerer zu bewältigen wären als die Prüfung des Annahmeverzugs im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO. Im Gegenteil werfen gerade die zivilrechtlichen Vorschriften zum Annahmeverzug, §§ 293 ff. BGB, durchaus komplexe Rechtsfragen auf, deren Beantwortung auch den Gerichten nicht immer einfach fällt.265 In der Zwangsvollstreckung kommt insbesondere das zeitliche Moment hinzu, das die Bewertung auch in tatsächlicher Hinsicht schwierig machen kann. Dass der Gesetzgeber aber gerade die Beantwortung dieser Fragen dem Vollstreckungsorgan überantwortet hat, belegt, dass der unterschiedliche Schwierigkeitsgrad nicht als Rechtfertigungsgrund für die Abschichtung zivilrechtlicher Rechtsfragen im Klausel- und im Vollstreckungsverfahren herhalten kann. c) Die Skepsis gegenüber dem Gerichtsvollzieher Was bleibt, ist der Eindruck, dass den Gesetzgeber eine unausgesprochene Skepsis gegenüber der Kompetenz des Vollstreckungsorgans dazu bewogen hat, möglichst weitgehend die Prüfung zivilrechtlicher Fragen in der Einflusssphäre des Gerichts zu belassen.266 Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere den Gerichtsvollzieher im Visier gehabt.267 Nur anhand dieser Überlegung sind die gesetzli264 Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb zum Beispiel die Prüfung der Rechtsnachfolge nicht auch im Zwangsvollstreckungsverfahren erfolgen könnte. 265 S. dazu nur die nachstehend in Fn. 270 abgedruckte Äußerung von Reuter, S. 72 ff., 110. 266 Nicht anders können die gesetzgeberischen Motive interpretiert werden, Hahn, Materialien, S. 433 f.: „Allein nach der Befähigung des im Allgemeinen zu Gebote stehenden Personals muss die Ueberlassung dieser Prüfung (Anm. d. Verf.: gemeint sind hier insbesondere die Fragen der bedingten Verpflichtungen und der Rechtsnachfolge) um so mehr bedenklich erscheinen, als die Voraussetzungen der Vollstreckung durch den den Rechtsmitteln beigelegten Suspensiveffekt wesentlich andere und schwieriger zu übersehende geworden sind, als nach dem Code de proc. oder der bayer. Prozessordnung. Es kann selbst nach Ablauf der Rechtsmittel- oder Einspruchsfrist nur als eine Gefährdung und Belästigung des Schuldners angesehen werden, wenn derselbe genöthigt ist, eine beginnende Vollstreckung durch den Nachweis der Einlegung des Rechtsmittels oder Einspruchs abzuwenden, welchen der Regel nach nicht er, sondern der Anwalt in Händen hält. Richtiger erscheint es daher, dass die Prüfung der Vollstreckbarkeit nach der prozessualistischen Lage der Sache jeder Thätigkeit des Gerichtsvollziehers vorauszugehen hat.“ 267 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3, stellt daher fest: „Da die Vollziehung der Zwangsvollstreckung in der Regel anderen Organen als dem Prozessgericht, nämlich dem Gerichtsvollzieher und dem Vollstreckungsgericht übertragen ist, soll diesen, zumal den nicht rechtsgelehrten Gerichtsvollziehern, denen die Prozessakten nicht zur Hand sind, die Prüfung der Voll-
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
chen Wertungswidersprüche zu erklären, denen sich der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung ausgesetzt hat. So zeigen beispielsweise die Regelungen der §§ 756, 765 ZPO, dass der Gesetzgeber dem Gerichtsvollzieher und dem Vollstreckungsgericht dieselbe Qualifikation einräumt, indem beide im Rahmen der Zug-um-Zug-Einrede des Schuldners dieselbe zivilrechtliche Prüfung vorzunehmen haben.268 Ein weiterer Blick auf die Ausnahmeregelung des § 726 Abs. 2 ZPO belegt, dass dieselbe Qualifikation auch dem Klauselerteilungsorgan zugeschrieben wird.269 Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Konzeption ist es umso weniger verständlich, weshalb nicht die Prüfung sämtlicher Zivilrechtsfragen dem Vollstreckungsorgan, insbesondere also dem Gerichtsvollzieher, überlassen bleibt.270 Auch im Erkenntnisverfahren käme wohl niemand auf die Idee, den Prozessgerichten hinsichtlich einzelner Rechtsfragen eine Instanz mit verbindlicher Prüfungskompetenz vorzuschalten. 5. Reformvorschlag Die Zweifel des Gesetzgebers an der Qualifikation des Gerichtsvollziehers mögen vielleicht historisch begründet und berechtigt gewesen sein. Die Entwicklung ist jedoch nicht stehen geblieben. Die heutige Ausbildung des Gerichtsvollziehers wie auch die Vollstreckungspraxis zeigen, dass der Gerichtsvollzieher als gleichberechtigtes Vollstreckungsorgan neben dem Vollstreckungsgericht nicht wegzudenken ist.271 Es wäre daher an der Zeit, die Motive des Gesetzgestreckungsfähigkeit des Titels, z.B. der Rechtskraft des Titels, nicht zugemutet werden.“ Dem ist zu entgegnen, dass die Prüfung der Rechtskraft des Titels gemäß §§ 705, 706 ZPO durch den schlichten Rechtskraftvermerk zu führen ist, den auch der Gerichtsvollzieher zu überprüfen vermag. Weitergehend zur Qualifikation des Gerichtsvollziehers und kritisch zu den ihn diskriminierenden Äußerungen bereits oben im ersten Teil unter § 5 IX. 268 Dieser Wertungswiderspruch ist auch dem Gesetzgeber nicht entgangen. Die Überlassung der in diesem Zusammenhang oft schwierigen Rechtsfragen hat er jedoch mit dem Hinweis abgetan, dass die entsprechenden Tatsachen dem liquiden Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden oder der eigenen Wahrnehmung des Vollstreckungsorgans unterlägen, Hahn/Mugdan, Materialien, S. 136, 143, 396. 269 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 b aa, sieht darin insgesamt eine Durchbrechung des Prinzips der Formalisierung. Er vernachlässigt dabei jedoch, dass Merkmal der Formalisierung nicht etwa eine Enthebung des Vollstreckungsorgans von der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen ist, sondern vielmehr der bloße Verzicht auf ein gerichtliches Erkenntnisverfahren mit der wechselseitigen Darlegung und Beweisführung von streitigen Sachfragen, s.o. § 5 V 3, VIII. 270 Reuter, S. 72 ff., 110, hält das Vollstreckungsorgan hingegen im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO für überfordert: „Die Fragen, die hier auftauchen, sind dem Gerichtsvollzieher nicht geläufig und oft so kompliziert, dass sie auch von erfahrenen Juristen erst nach eingehender Prüfung beantwortet werden können.“ Bei dieser Stellungnahme von Reuter aus dem Jahre 1909 ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich an der Ausbildung der Gerichtsvollzieher seit 1909 einiges geändert hat (s. dazu schon im ersten Teil unter § 5 IX). Eine andere Frage ist die, ob man nicht auf die Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO verzichten und zu der ursprünglichen Regelung der Zivilprozessordnung zurückkehren sollte, die die Geltendmachung etwaiger Einwendungen dem Schuldner überließ. Für diese Lösung plädieren beispielsweise Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 b aa, und Goebel, KTS 1995, 143 (147, 166 ff., 182 f.). 271 S. dazu bereits im ersten Teil unter § 5 IX.
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bers für die Einführung bzw. Bewahrung des qualifizierten Klauselverfahrens kritisch zu überdenken. De lege lata sind hier – anders als etwa im einfachen Klauselverfahren – durchgreifende Veränderungen kaum denkbar. Auch eine bloße Streichung der Vorschriften über das Klauselverfahren ist wenig sinnvoll, da das Anliegen der §§ 726 ff. ZPO, im Wege der Formalisierung zivilrechtliche Fragen in das Vollstreckungsrecht zu integrieren, durchaus berechtigt ist. Die Überlegungen haben aber gezeigt, dass diese formalisierte Prüfung in den Händen des Vollstreckungsorgans am besten aufgehoben ist. Nur so lässt sich eine rasche und effiziente Zwangsvollstreckung gewährleisten. Der Vorschlag für eine Reform des qualifizierten Klauselverfahrens besteht daher darin, dieses Verfahren in das allgemeine Vollstreckungsverfahren einzubetten. Bei den Fragen des Bedingungseintritts und der Rechtsnachfolge handelt es sich dann um weitere besondere Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen. Diese sind nicht anders zu bewerten als beispielsweise die Zug-um-Zug-Einreden, die im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO bereits nach geltendem Recht vom Vollstreckungsorgan zu prüfen sind.272 Abstrakt lässt sich der hinter all den genannten Regelungen stehende Gedanke so formulieren, dass die Vorlage öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden in der Vollstreckung die Vermutung der Richtigkeit der darin beurkundeten Tatsachen begründet und das Vollstreckungsorgan berechtigt, aufgrund dieser Vermutung tätig zu werden. Verfahrensrechtlich muss dabei sichergestellt werden, dass die vorgelegten Urkunden auch dem Schuldner bekannt gemacht werden. Dies kann in Anlehnung an die bereits bestehenden Regelungen der §§ 756, 765 ZPO durch die Zustellung der Urkunden gewährleistet werden.273 Die Überlegungen zeigen, dass im Vollstreckungsverfahren bereits genügend Anknüpfungspunkte für eine Integration des Klauselverfahrens bestehen. Diese Berührungspunkte veranschaulichen, dass das qualifizierte Klauselverfahren seine angestammte Stelle nicht etwa an der Grenze zum Erkenntnisverfahren findet, sondern vielmehr innerhalb des Vollstreckungsrechts. Die Rückführung des qualifizierten Klauselverfahrens an seinen angestammten Platz sollte daher Anliegen künftiger Gesetzesreformen sein.
272 Dass es auch für den Ausnahmefall der Zug-um-Zug-Einreden, den § 726 Abs. 2 ZPO, keines gesonderten Klauselverfahrens bedarf, ist ebenfalls gezeigt worden, s.o. 3 b. 273 Ganz am Rande zeigt sich unter diesem praktischen Aspekt eine weitere, bislang unbeachtet gebliebende Parallele zwischen Klausel- und Vollstreckungsverfahren. Während im qualifizierten Klauselverfahren durch die Zustellungsvorschrift des § 750 Abs. 3 ZPO die gesonderte Zustellung der öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden gewährleistet wird, ordnen die §§ 756, 765 ZPO diese Zustellung auf direktem Wege an. Es besteht also äußerlich lediglich ein gesetzessystematischer Unterschied, während das Zustellungserfordernis als solches auch im Rahmen der besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen unangetastet bleibt. Auch unter diesem Aspekt besteht daher keine Veranlassung, an dem qualifizierten Klauselverfahren festzuhalten.
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VI. Das unüberschaubare Rechtsbehelfssystem Die bisherige Analyse hat offengelegt, dass Sinn und Zweck des einfachen Klauselverfahrens sich darin erschöpfen, durch die Verbindung der Ausfertigung des Titels mit einem Klauselvermerk die mehrfache Vollstreckung durch den Gläubiger zu vermeiden. In diesem Bereich der rein formellen Ausfertigung des Titels scheinen Rechtsbehelfe demzufolge von vornherein keine große Rolle zu spielen, zumal nicht im Vollstreckungsverfahren, da es sich bei der Urteilsausfertigung um den letzten Akt des Erkenntnisverfahrens handelt. Anders stellt sich die Situation im qualifizierten Klauselverfahren dar. Dessen Zweck ist derselbe wie derjenige des Vollstreckungsverfahrens, die Ermöglichung einer effektiven Vollstreckung unter Beachtung der wesentlichen Rechtsfragen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis. Bestehen demzufolge keine inhaltlichen Unterschiede zwischen Klausel- und Vollstreckungsverfahren, so müsste sich diese Übereinstimmung auch bei den Rechtsbehelfen niederschlagen. In Anlehnung an das Rechtsbehelfssystem im Vollstreckungsrecht,274 müsste sich die aus dem Formalisierungsgedanken ergebende Differenzierung zwischen formellen und materiellen Rechtsbehelfen auch im Klauselverfahren widerspiegeln. Im Kern dürfte es auch im Klauselverfahren nur die Alternative zwischen der formellen Überprüfung des Vollstreckungsverfahrens einerseits und der materiellen Anknüpfung an das bereits abgeschlossene Erkenntnisverfahren durch die weitere gerichtliche Klärung materiell-rechtlicher Streitfragen andererseits geben. Diese sich im Rechtsbehelfssystem widerspiegelnde Abstufung der formalisierten Zwangsvollstreckung müsste sich in den Rechtsbehelfen des Klauselverfahrens wiederfinden. Der Gedanke der Rückführung des Klauselverfahrens in das Vollstreckungsverfahren legt daher einen Abgleich der Klauselrechtsbehelfe mit denjenigen des Vollstreckungsrechts nahe. Es bietet sich die Möglichkeit zu einer weitgehenden Rechtsvereinfachung. Zugleich lichtet sich der Nebel über der nahezu unüberschaubaren Palette von Rechtsbehelfen im Klauselverfahren.275 Dies soll im Folgenden gezeigt werden. 1. Rechtsbehelfe des Gläubigers gegen die Versagung der Klausel Nach der gesetzlichen Konzeption stehen dem Gläubiger im Falle der Versagung der Klausel drei Rechtsbehelfe zur Auswahl, die Erinnerung gemäß § 573 ZPO, die sofortige Beschwerde gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 567 ZPO und die Klauselklage gemäß § 731 ZPO. Die letzteren beiden Rechtsbehelfe betreffen das qualifizierte Klauselverfahren, während sich die Erinnerung gemäß § 573 ZPO gegen die Versagung der einfachen Klausel durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle richtet. 274
Ausführlich dazu im sechsten Teil der Untersuchung, s.u. §§ 24 ff. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 I, spricht euphemistisch von einem „nicht leicht überschaubaren Rechtsbehelfssystem“. 275
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a) Die Erinnerung gemäß § 573 ZPO Verzichtet man gemäß dem hier unterbreiteten Reformvorschlag auf die Prüfung der Vollstreckungsreife im Klauselverfahren und überantwortet diese Prüfung allein dem erkennenden Gericht, so hat dies für das Rechtsbehelfssystem den angenehmen Nebeneffekt, dass mangels einer diesbezüglichen Prüfung durch das Klauselorgan auch kein gesonderter Rechtsbehelf mehr erforderlich wird. Die Erinnerung gemäß § 573 ZPO entfällt ersatzlos. Dies hat nicht etwa zur Folge, dass der Gläubiger schutzlos gestellt wäre. Im Gegenteil kann er nunmehr auf direktem Wege eine Entscheidung des zuständigen Gerichts herbeiführen, das allein die Kompetenz hat, bei fehlender Vollstreckungsreife des Titels Abhilfe zu schaffen.276 Der Umweg über die Erinnerung gemäß § 573 ZPO, der ohnehin nicht zielführend ist, bleibt dem Gläubiger erspart. Die Bedeutung der Erinnerung gemäß § 573 ZPO beschränkt sich in der weiteren Folge auf den Fall, dass der Urkundsbeamte seiner Verpflichtung zur Ausstellung der mit dem formellen Klauselvermerk versehenen Ausfertigung des Titels nicht nachkommt. Dieser Fall ist vergleichbar mit der Konstellation, dass es der Urkundsbeamte im Mahnverfahren verabsäumt, dem Gläubiger die Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides zu erteilen. Angesichts der rein formellen Tätigkeit des Urkundsbeamten dürften beide Fälle in der Praxis die absolute Ausnahme bilden. Verweigert der Urkundsbeamte hingegen mutwillig die Zusendung der Ausfertigung an den Gläubiger, so ist die Erinnerung gemäß § 573 ZPO der zutreffende Rechtsbehelf, um den Urkundsbeamten durch das Prozessgericht zur Erfüllung seiner Dienstpflichten zu veranlassen. Der Rechtsbehelf des § 573 ZPO ist damit in seinem Anwendungsbereich auf wenige Ausnahmefälle beschränkt und betrifft zudem nicht (mehr) das Vollstreckungsverfahren, sondern das Erkenntnisverfahren.277 Er verliert nach der hier entwickelten Konzeption jegliche Bedeutung für das Vollstreckungsrecht. b) Die sofortige Beschwerde als begrüßenswertes Relikt aus der Zwangsvollstreckung Verweigert der Rechtspfleger die Erteilung der qualifizierten Klausel, so handelt es sich um eine Entscheidung, die mit der sofortigen Beschwerde gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 567 ZPO angreifbar ist.278 Insoweit treten bereits nach den gelten276 Der Gläubiger muss entweder ein Rechtsmittel einlegen oder durch eine ergänzende Feststellungsklage die Vollstreckungsreife des Titels herbeiführen. 277 Nicht umsonst ist die Erinnerung systematisch im dritten Buch der Zivilprozessordnung bei den allgemeinen Rechtsmitteln des Erkenntnisverfahrens angesiedelt und nicht etwa im achten Buch der Zivilprozessordnung. 278 Vor der zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle war dies noch die Rechtspflegererinnerung, so Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 1 b. Durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 RPflG ist es jedoch zur direkten Anwendung der allgemeinen Beschwerdevorschriften gekommen, so Lackner, Rdnr. 743. Dies führt in der weiteren Konsequenz der Zivilprozessrechtsreform zur Anwendung der sofortigen Beschwerde, die nunmehr gegenüber der einfachen Beschwerde den Regelfall darstellt.
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den Vorschriften keine Besonderheiten gegenüber der Zwangsvollstreckung auf. Denn auch dort ist gegen die Entscheidung des Rechtspflegers die sofortige Beschwerde statthaft.279 Will man nun auf das qualifizierte Klauselverfahren verzichten und dieses in das Vollstreckungsverfahren überleiten, so ergibt sich lediglich eine Besonderheit. In seinem angestammten Tätigkeitsfeld wäre der Gerichtsvollzieher nunmehr auch für die Prüfung der bislang im Klauselverfahren ausschließlich dem Rechtspfleger vorbehaltenen Rechtsfragen zuständig. Statthafter Rechtsbehelf wäre in diesem Bereich nicht die sofortige Beschwerde, sondern die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO. Bei beiden Rechtsbehelfen handelt es sich jedoch einheitlich um formelle Rechtsbehelfe des Vollstreckungsrechts.280 Sie ermöglichen dem Rechtsbehelfsführer die Überprüfung des Handelns des Vollstreckungsorgans auf seine Rechtmäßigkeit hin, d.h. auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften des Vollstreckungsrechts. Damit ist insbesondere die Beachtung der formalisierten Vermutungstatbestände auf der dritten Ebene der Formalisierung angesprochen. Hat der Rechtspfleger, sei es als Klauselorgan oder als Vollstreckungsorgan, gegen diese Vorschriften vorstoßen, so ist die sofortige Beschwerde der statthafte und zutreffende Rechtsbehelf. Es bestätigt sich im Rahmen des Rechtsbehelfssystems, dass das geltende Klauselverfahren ebenso dem Formalisierungsgedanken unterworfen ist wie das Vollstreckungsverfahren. Seine Überleitung in das Vollstreckungsverfahren würde im Tätigkeitsbereich des Rechtspflegers keine Veränderung der Rechtsbehelfe bewirken, da die sofortige Beschwerde zutreffend auch im Klauselverfahren als statthafter Rechtsbehelf des Gläubigers gegen die Versagung der qualifizierten Klausel anerkannt ist. Soweit hingegen im Tätigkeitsfeld des Gerichtsvollziehers die Vollstreckungserinnerung der statthafte Rechtsbehelf würde, entspräche diese Unterscheidung der bereits bestehenden Differenzierung im Falle der Zug-um-Zug-Einreden.281 c) Rückführung der Klauselklage Die Gedanken zur sofortigen Beschwerde als formellem Rechtsbehelf des Gläubigers gegen die Versagung der Vollstreckungsklausel legen die Vermutung nahe, dass es sich bei der Klauselklage um das materiell-rechtliche Pendant handelt. In der Terminologie des Zwangsvollstreckungsrechts spricht man von den materiellen Rechtsbehelfen. Der Oberbegriff „Rechtsbehelf“ wird in diesem Zusammenhang nicht anders definiert als im sonstigen Sprachgebrauch des Erkenntnisverfahrens.282 Er bezeichnet alle Möglichkeiten der Anfechtung einer gerichtlichen 279
Ausführlich dazu im sechsten Teil unter §§ 29. S. dazu noch ausführlich im sechsten Teil unter §§ 27, 29. 281 Soweit hier im Rahmen des § 765 ZPO der Gerichtsvollzieher tätig ist, ist statthafter Rechtsbehelf ebenfalls die Vollstreckungserinnerung. Soweit hingegen bei § 756 ZPO das Vollstreckungsgericht zuständiges Vollstreckungsorgan ist, wäre statthafter Rechtsbehelf gegen die ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers die sofortige Beschwerde, § 11 RPflG. Ausführlich zu dieser generellen Differenzierung im Rechtsbehelfssystem noch im sechsten Teil unter §§ 27 ff. 282 In der Literatur zu den Klauselrechtsbehelfen findet sich keine abweichende Begriffsbestimmung. Es ist schlicht von den „Rechtsbehelfen“ im Klauselverfahren bzw. von dessen „Rechtsbe280
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Entscheidung.283 Im engeren Sinn zählen dazu auch die Rechtsmittel, die durch Devolutiv- und Suspensiveffekt gekennzeichnet sind.284 Hingegen werden die zivilgerichtlichen Klagen nicht zu den Rechtsbehelfen gezählt, da sie nicht die Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung zum Gegenstand haben, sondern eine solche erst herbeiführen sollen.285 Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung der Klauselklage als Rechtsbehelf in sich widersprüchlich.286 Die Begrifflichkeiten des Erkenntnisverfahrens schließen sich gegenseitig aus: Entweder handelt es sich bei der Klauselklage um eine Klage oder um einen Rechtsbehelf. Eine begriffliche Kumulation ist der Terminologie des Erkenntnisverfahrens, die auch im Vollstreckungsrecht nicht in Frage gestellt wird, hingegen fremd.287 Diese Vorüberlegung mahnt zu einer sorgfältigen Analyse der sogenannten Klauselklage gemäß § 731 ZPO. aa) Die Grenzen der Leistungsfähigkeit der formalisierten Vermutungstatbestände Das Konstrukt der Klauselklage ist ein Ergebnis der begrenzten Leistungsfähigkeit der formalisierten Vermutungstatbestände im Klausel- und Vollstreckungsverfahren. Diese stoßen dort an ihre Grenzen, wo der Gläubiger den Nachweis der von ihm zu beweisenden Tatsachen nicht mehr durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen kann.288 Selbst wenn diese Tatsachen gegeben sein mögen, so handelt das Klauselorgan daher nicht rechtswidrig, wenn es dem Gläubiger die Erteilung der Klausel versagt. Da ihm über die formalisierten Tatbestände hinaus eine rechtliche Überprüfung versagt ist und die Streitentscheidung als rechtsprechende Tätigkeit den Gericht vorbehalten bleibt, würde das Klauselorgan im Gegenteil rechtswidrig handeln, wenn es aufgrund einer weitergehenden rechtlichen Prüfung den Klauseltatbestand bejahen und dem Gläubiger die Klausel erteilen würde. Kann der Gläubiger mithin den Nachweis der von ihm zu beweisenden Tatsachen nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen, so bleibt ihm – nicht anders als bei der Feststellung anderweitiger zivilrechtlicher Streitfragen – nur der Weg zu den Zivilgerichten. Der weitere Weg, den der Gläuhelfssystem“ die Rede, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 I; Baur/StürnerBruns, Rdnr. 18.6; Brox/Walker, Rdnrn. 128 ff. 283 Kollhosser/Bork/Jacoby, Nr. 93. Schreiber, S. 81, fasst hingegen weitergehend unter den Begriff des Rechtsbehelfs auch die Anfechtung von Entscheidungen anderer Staatsorgane als der Gerichte. Dies ändert jedoch nichts an den nachfolgenden Überlegungen, da maßgebliches Abgrenzungskriterium zu den Klagen der Umstand bleibt, dass eine staatliche Entscheidung zunächst überhaupt erst einmal vorliegt. 284 Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 511, Rdnrn. 1 ff. 285 Anders hingegen Albers, in: Baumbach/Lauterbach, Grundz § 511, Rdnr. 1, der unter Rechtsbehelf jedes prozessuale Mittel zur Verwirklichung eines Rechts versteht und demzufolge dann auch die Klagen unter diesen Begriff fasst, der damit allerdings jegliche Konturen verliert. 286 Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 18.14 ff., sprechen demzufolge von „besonderen“ Rechtsbehelfen bei der titelübertragenden oder titelergänzenden Klausel. 287 Anders hingegen Albers, in: Baumbach/Lauterbach, Grundz § 511, Rdnr. 1. 288 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2.
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biger zu beschreiten hat, ist durch die verschiedenen Klagearten der Zivilprozessordnung vorgegeben. Es erscheint daher nur folgerichtig, dass es sich auch bei dem „Rechtsbehelf“ des § 731 ZPO um eine Klage handelt. Ein neues gerichtliches Erkenntnisverfahren ist unausweichlich, um diejenigen Feststellungen zu treffen, die das Gericht bei Erlass des Titels noch nicht treffen konnte. Es handelt sich quasi um eine Fortsetzung des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens. bb) Rechtsnatur der Klauselklage Nach den bisherigen Überlegungen ist die Konstruktion des § 731 ZPO als Klage nur konsequent. Um so verwunderlicher ist es, dass Rechtsprechung und Literatur diese Klage als „Rechtsbehelf“ bezeichnen,289 wo es doch um die erstmalige Eröffnung des Rechtsweges zu den Zivilgerichten geht. Ein zweiter Aspekt tritt hinzu: Es ist völlig unumstritten, dass Gegenstand der Klauselklage nicht etwa die Überprüfung des rechtmäßigen Handelns des Klauselorgans ist, sondern allein der jeweilige gesetzliche Klauseltatbestand in nichtformalisierter Form. Geht es aber bei der Klauselklage weder um die Überprüfung einer richterlichen Entscheidung noch einer Entscheidung des Klauselorgans, so ist umso weniger verständlich, weshalb die Klauselklage als Rechtsbehelf bezeichnet wird. Es handelt sich um die erstmalige Prüfung einer zivilrechtlichen Streitfrage im gerichtlichen Erkenntnisverfahren mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln. Dass die dabei ergehende Entscheidung von derjenigen des Klauselorgans abweichen kann, macht die Klage nicht zum Rechtsbehelf, sondern zeigt nur die Grenzen der Entscheidungskompetenz des Klauselorgans auf. Dieses hat sodann die gerichtliche Entscheidung, nicht anders als auch den zu vollstreckenden Titel, zu beachten und in seine Entscheidung einzubeziehen. Auf einen formalisierten Vermutungstatbestand kommt es dann nicht mehr an. Während sich die Bezeichnung der Klauselklage als Rechtsbehelf als unbegründet erweist, ist hingegen die Kennzeichnung der Klauselklage als Feststellungsklage290 sehr sachdienlich, um ihre titelergänzende bzw. titelerweiternde Funktion zu erklären. Geht es doch darum, im Wege der gerichtlichen Klage ergänzend zu dem bereits vorliegenden Vollstreckungstitel eine oder mehrere zusätzlich aufgetretene zivilrechtliche Streitfragen klären zu lassen. Einer Leistungsklage bedarf es dabei nicht mehr, da ein vollstreckbarer Titel bereits vorliegt.291 Demzufolge ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Das Feststellungsinteresse resultiert unmittelbar aus der eingeschränkten Leistungskraft der formalisierten Klausel- bzw. Vollstreckungstatbestände und der begrenzten Prüfungskompetenz der zuständigen Organe. 289
Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 18.14 ff.; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2. So die herrschende Meinung: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 731, Rdnr. 1; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 731, Rdnr. 1; Wüllenkemper, Rpfleger 1989, 87 (88 ff. m.w.N.). Baur/Stürner/ Bruns, Rdnr. 18.17, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2 d, sprechen von einer prozessualen Feststellungsklage. Ebenso BGHZ 120, 387 (392). Münzberg, in: Stein/Jonas, § 731, Rdnr. 8, stuft die Klage gemäß § 731 ZPO hingegen als prozessuale Gestaltungsklage ein. 291 So zutreffend Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2 d. 290
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Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die geläufige Urteilsformel bei der Klauselklage nicht mehr leistet als ein allgemeiner Feststellungstenor. Wird vom Gericht ausgesprochen, dass „die Vollstreckungsklausel zum (genau bezeichneten Titel) für den Kläger zu erteilen ist“,292 so handelt es sich dabei um eine bloße Feststellung und nicht etwa um eine „prozessuale Gestaltung“293 oder eine „Verurteilung“ des Klauselorgans294 zur Erteilung der Klausel.295 Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Klauselorgan nicht an dem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist, weder als Beklagter noch als sonstiger Beteiligter.296 Dies ist durchaus sachgerecht, da es – wie bereits erörtert – allein um die gerichtliche Klärung einer materiell-rechtlichen Frage geht und nicht etwa um die Überprüfung des rechtmäßigen Handelns des Vollstreckungsorgans. Nicht die Befürchtung, dass dieses die gerichtliche Entscheidung nicht beachten wird, ist Veranlassung der Klauselklage, sondern seine eingeschränkte Prüfungskompetenz. In der weiteren Folge ist nicht einsichtig, weshalb die Klauselerteilung als solche Inhalt des Klageantrags und damit auch Inhalt des Urteilstenors sein bzw. werden soll.297 Denkbar wäre nur der Einwand, dass die einfache Feststellung der Erfüllung oder des Annahmeverzugs dem Interesse des Gläubigers nicht genüge, da dieser auf die Erteilung der Klausel angewiesen sei. Dieses Argument macht jedoch zum einen deutlich, dass die Klauselerteilung zum reinen Selbstzweck wird, indem sie selbst als Argument für ihre Existenzberechtigung herhalten muss. Zum anderen wird das Klauselorgan298 – und nicht etwa das erkennende
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So Putzo, in: Thomas/Putzo, § 731, Rdnr. 3. Als prozessuale Gestaltungsklage stufen die Klauselklage ein Bettermann, Rechtsschutzform, S. 64; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 99; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 731, Rdnr. 8; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 5 V 2, und Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 731, Rdnr. 2. Stöber, in: Zöller, § 731, Rdnr. 4, spricht hingegen von einer prozessualen Feststellungsklage. 294 Genauso wenig wird der Schuldner dazu verurteilt, die Erteilung der Klausel zu dulden. Entgegen dieser Ansicht von Barkam, S. 60, weist Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2 d, zutreffend darauf hin, dass die Duldung nicht Klageziel ist, sondern selbstverständlicher Nebeneffekt des auf Zulässigkeit der Klauselerteilung erkennenden Urteils. Letztlich beruht dieser „Nebeneffekt“ schlicht auf der Zwangsvollstreckung aus dem zugrunde liegenden Leistungstitel. 295 Zutreffend stellt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2 c, daher fest: „… nicht das Urteil des Prozessgerichts erteilt oder ersetzt die Klausel …, sondern auf Grund des Urteils erteilt sie der Rechtspfleger.“ 296 Zutreffend weist Wüllenkemper, Rpfleger 1979, 87 (88 f.), darauf hin, dass der Schuldner weder rechtlich noch tatsächlich dazu in der Lage ist, die Vollstreckungsklausel zu erteilen. 297 Mit Recht stellt Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 731, Rdnr. 21, fest, dass die Formulierung des Urteilstenors keine praktischen Auswirkungen hat. 298 Umstritten ist allein, ob aufgrund der Klauselklage die qualifizierte Vollstreckungsklausel zu einer einfachen mutiert mit der Folge, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für ihre Erteilung zuständig wird (so die Praxis laut Putzo, in: Thomas/Putzo, § 731, Rdnr. 8). Wüllenkemper, Rpfleger 1989, 87 (90 f.), hält dieses Ergebnis zwar für wünschenswert, jedoch mit der gesetzlichen Zuständigkeitsvorschrift des § 20 Nr. 12 RPflG nicht für vereinbar. Napierala/Napierala, Rpfleger 1989, 493 (494 f.), bejahen demgegenüber die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des § 20 Nr. 12 RPflG. Für eine Zuständigkeit des Rechtspflegers plädieren hingegen Brox/Walker, Rdnr. 135. 293
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Gericht299 – auch beim Vorliegen eines allgemeinen Feststellungsurteils die Klausel erteilen, da es sich bei diesem Urteil um eine öffentliche Urkunde handelt bzw. die festgestellten Tatsachen durch das Urteil gerichtsbekannt werden. Die Formulierung des § 731 ZPO, der zufolge der Gläubiger „aus dem Urteil auf Erteilung der Vollstreckungsklausel Klage zu erheben“ hat, muss daher als missglückt bezeichnet werden.300 Um so mehr ist die Literatur darin zu bestärken, aus der Klauselklage nicht etwa eine eigene Klageart zu kreieren,301 sondern es bei dem Gedanken der allgemeinen Feststellungsklage zu belassen.302 Für diesen Gedanken mag auch sprechen, dass der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im Rahmen der allgemeinen Feststellungsklage nicht anders ausfallen würde als im Rahmen der Klauselklage. Materiell-rechtlicher Gegenstand ist stets die Überprüfung der umstrittenen zivilrechtlichen Fragestellung. Es ist deshalb nicht einsichtig, weshalb es für diese materiell-rechtliche Feststellung im Klauselverfahren eines gesonderten „Rechtsbehelfs“ neben der allgemeine Feststellungsklage bedarf. cc) Entbehrlichkeit im Blickfeld des § 256 ZPO Die Charakterisierung der Klauselklage als einfache Feststellungsklage weckt weitere Erinnerungen an Bekanntes. So ist an früherer Stelle im Rahmen des § 726 Abs. 2 ZPO der enge Schulterschluss mit den besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO geübt worden.303 Daraus ergeben sich auch für die sogenannten Rechtsbehelfe erstaunliche Parallelen. Es entspricht der allgemeinen Praxis, dass aufgrund der mit den Vorschriften der §§ 756, 765 ZPO verbundenen Beweisschwierigkeiten zumeist schon im Klageverfahren ein Feststellungsantrag gestellt wird mit dem Inhalt, den Annahmeverzug des Schuldners gerichtlich festzustellen.304 Auch dogmatisch wird diese Feststellungsklage nicht in Frage gestellt.305 Das Feststellungsinteresse wird vielmehr 299 Auf den Aspekt der funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers für die Erteilung der Vollstreckungsklausel hat bereits Wüllenkemper, Rpfleger 1989, 87 (89), hingewiesen. Die Klausel wird demzufolge noch nicht durch das Urteil erteilt, weswegen ihm auch unter diesem Gesichtspunkt keine Gestaltungswirkung zukommen kann. 300 Ebenso in seiner Einschätzung Wüllenkemper, Rpfleger 1989, 87 (89). 301 So aber die vorstehend in Fn. 293 zitierten Autoren. Offen hingegen Wolfsteiner, in: Münchner Kommentar, § 731, Rdnr. 3 f., der die Frage nach der Rechtsnatur für bedeutungslos hält: „Die Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel verhält sich zur Vollstreckungsabwehrklage so, wie sich positive und negative Feststellungsklage zueinander verhalten (ohne dass damit etwas zum Rechtscharakter der Klage auf Klauselerteilung ausgesagt wäre).“ 302 Dieses Argument gilt übrigens in gleicher Weise auch für die Rechtsbehelfe des Vollstrekkungsrechts, s. dazu noch ausführlich im sechsten Teil unter §§ 30 ff. 303 S.o. V 3 b. 304 Diese Möglichkeit sah bereits der Gesetzgeber vor, Hahn/Mugdan, Materialien, S. 137. Ebenso KG NJW 1972, 2053; OLG Köln NJW-RR 1991, 383 (384). Nach der zuletzt genannten Entscheidung genügt sogar eine klare Feststellung in den Urteilsgründen. Zustimmend auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 1 b dd, der zutreffend darauf hinweist, dass die §§ 756, 765 ZPO keine Unterscheidung danach treffen, ob der Annahmeverzug vor oder nach Erlass des Urteils eingetreten ist. 305 Eine Aufstellung der in Vollstreckungsfragen anerkannten allgemeinen Feststellungsklagen findet sich bei Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 256, Rdnr. 102.
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bewusst aus den §§ 756, 765 ZPO abgeleitet, indem auf die Beweisnot des Gläubigers hingewiesen wird, der gegenüber dem Vollstreckungsorgan auf den Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden angewiesen ist.306 Der Gläubiger, der es daher im gerichtlichen Klageverfahren verabsäumt, diesen Feststellungsantrag zu stellen, ist nur allzu oft gezwungen, nachträglich eine gesonderte Feststellungsklage zu erheben. Auch die Zulässigkeit einer solchen nachträglichen Feststellungsklage wird nicht in Frage gestellt.307 Damit erschließt sich aber unmittelbar die Parallele zu der Klauselklage. Die Interessenlage verhält sich hier nicht anders als dort. Aus Mangel an Urkundsbeweisen ist der Gläubiger gezwungen, im Wege der Feststellungsklage eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Diese sogenannte Klauselklage gemäß § 731 ZPO ist also nicht anders zu bewerten als die Feststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO. Auffällig ist nur, dass im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO keinerlei Aufhebens um die Feststellungsklage gemacht wird. Weder Rechtsprechung noch Literatur sind hier um die Einführung eines spezifischen Rechtsbehelfs bemüht. Die Feststellungsklage wird ebenso wenig als Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung tituliert.308 Die Parallele der Klauselklage zu der Feststellungsklage im Falle der §§ 756, 765 ZPO veranschaulicht im Ergebnis, dass es der Vorschrift des § 731 ZPO eigentlich gar nicht bedürfte, um zu sachgerechten Lösungen zu gelangen. Der Ansatz für die Auswahl der statthaften Klageart ist nicht im Vollstreckungsrecht zu suchen, sondern in den Vorschriften des Erkenntnisverfahrens. Der Gesetzgeber hätte es daher generell bei der Vorschrift des § 256 ZPO bewenden lassen können. dd) Rückführung der Konkurrenz von Klauselklage und neuer Klage auf die Abgrenzung von Leistungs- und Feststellungsklage Die Rückführung der Klauselklage auf die allgemeine Feststellungsklage ermöglicht die Klärung eines weiteren bekannten Problems. Es handelt sich um die Frage, ob die Möglichkeit der Klauselklage dem Gläubiger das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer neuen Klage aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis nimmt. Diese Frage wird von der Literatur zum Teil bejaht,309 hinge306 Dies entspricht den bereits geäußerten Gedanken zu der eingeschränkten Leistungskraft der formalisierten Vollstreckungstatbestände, s.o. § 5 V bis VII. 307 Im Gegenteil ist die (nachträgliche) allgemeine Feststellungsklage auch für den Fall anerkannt, dass es um die rechtsverbindliche Feststellung der Rechtsnachfolge im Rahmen der Klausel gemäß § 727 ZPO geht, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V 3 i.V.m. Fn. 377. 308 Rechtsprechung und Literatur hätten hierzu alle Veranlassung angesichts der Tatsache, dass sie die Rechtsbehelfe des Zwangsvollstreckungsrechts als abschließend verstehen und die allgemeinen Klagen des Erkenntnisverfahrens in der Vollstreckung für unzulässig erachten; s. dazu noch im sechsten Teil unter §§ 30 ff. 309 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 731, Rdnr. 6; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 731, Rdnr. 1. Einschränkend Hüffer, ZZP 1972, 229 (230 ff.), der das Rechtsschutzinteresse bejaht, soweit der bereits vorhandene Titel keine Rechtskraft entfalten kann. Für das Prozessgericht sei es belanglos, ob es mit dem Streit der Parteien in Form einer Leistungsklage des Gläubigers oder einer Vollstrekkungsabwehrklage des in seinem Vorbringen durch keine Rechtskraft präkludierten Klauselgegners befasst werde. Ähnlich zurückhaltend Petermann, S. 115, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 16 V 2.
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gen vom Bundesgerichtshof verneint.310 Dieses Problem wird insbesondere im Rahmen der titelerweiternden Klausel gemäß § 727 ZPO erörtert, bei der das maßgebliche Element der Rechtsnachfolge zu einem Wechsel der Parteien führt.311 Der neue Gläubiger ist im Falle der Beweisnot eher dazu geneigt, eine neue Leistungsklage gegen den Schuldner zu erheben als sich noch zusätzlich um die Herausgabe des Titels vom Altgläubiger zum Zwecke der Titelumschreibung zu bemühen. Und so mag für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs das rein pragmatische Argument eine gewichtige Rolle gespielt haben, dass dem Gläubiger im Falle der Klageabweisung mangels Rechtsschutzinteresses der erneute zeitliche Aufwand einer sich anschließenden Klauselklage nicht begreifbar zu machen wäre. Dafür spricht auch, dass der Prüfungsgegenstand in beiden Verfahren identisch ist, bedingt durch den Umstand, dass das Gericht im Falle einer erneuten Leistungsklage gemäß § 325 Abs. 1 ZPO an die Rechtskraft des ersten Urteils gebunden ist. Der Prüfungsumfang beschränkt sich demzufolge selbst bei einer erneuten Leistungsklage allein auf die Überprüfung des Klauseltatbestandes, der nicht Gegenstand des bereits ergangenen Urteils ist. Unter diesem Aspekt erscheint es sachgerecht, dem Gläubiger ein Wahlrecht einzuräumen. Eine andere Bewertung des Problems ergibt sich hingegen bei Charakterisierung der Klauselklage als einfache Feststellungsklage. Dies scheint für einen dritten Lösungsweg zu sprechen, der die Regelung des § 731 ZPO gänzlich überflüssig machen würde. So entspricht es prozessökonomischen Grundsätzen, dass die Leistungsklage grundsätzlich Vorrang vor der Feststellungsklage hat, da die Feststellungsklage in der Regel nicht dazu geeignet ist, einen Rechtsstreit dauerhaft zu beenden, sondern in der Regel ihrerseits eine gesonderte Leistungsklage nach sich zieht.312 Demzufolge müsste man den Gläubiger im Falle der Beweisnot stets zu einer neuen Leistungsklage veranlassen. Diese Möglichkeit würde der Klauselklage als Feststellungsklage das Feststellungsinteresse nehmen. In der weiteren Folge wäre es dann nur konsequent, gänzlich auf die Klauselklage zu verzichten, anstatt den grundsätzlichen Vorrang der Leistungsklage durch ein Wahlrecht oder einen Vorrang der Feststellungsklage aufzuweichen. Eine solche Bewertung ließe jedoch außer Betracht, dass im Falle der Klauselklage bereits ein vollstreckbarer Titel als Auswuchs einer vorangegangenen Leistungsklage vorliegt. Ein zweiter vollstreckbarer Titel schösse daher über das eigentliche Ziel hinaus. Es genügt die im Wege der Feststellungsklage gerichtlich zu ermittelnde Antwort auf die konkret noch ausstehende zivilrechtliche Fragestellung, um aus dem bereits vorliegenden Titel die Vollstreckung zu betreiben. Ansonsten bestünde die Gefahr der doppelten Vollstreckung. Die Feststellungsklage ist daher der statthafte Rechtsbehelf, der einer erneuten Leistungsklage in dieser besonderen Konstellation das Rechtschutzinteresse nimmt. 310
BGH NJW 1987, 2863 (2863). Einer Leistungsklage des neuen Gläubigers wird hier insbesondere das Argument der anderweitigen Rechtskraft entgegengehalten, so Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2 d. 312 BGH NJW 1994, 3107 (3108); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 256, Rdnrn. 34, 77. 311
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Diese Ansicht lässt sich weitergehend anhand der These untermauern, dass es sich beim Leistungsurteil um eine Kombination von rechtsprechendem Feststellungsurteil und exekutivem Leistungsbescheid handelt.313 Liegt mit dem ersten Titel bereits ein vollstreckbarer Grundverwaltungsakt vor, so besteht nach der verwaltungsrechtlichen Dogmatik keine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines zweiten Grundverwaltungsaktes. Den Eintritt einer Nebenbestimmung des Verwaltungsaktes, beispielsweise einer Bedingung, kann die Behörde allenfalls durch einen feststellenden Verwaltungsakt bekunden, nicht aber durch den Erlass eines nunmehr unbedingten zweiten Grundverwaltungsaktes.314 Für eine Aufhebung des ersten Grundverwaltungsaktes besteht ebenfalls keine Veranlassung und auch keine Rechtsgrundlage, so dass dieser Ausgangspunkt der weiteren Vollstreckung bleibt. Im Ergebnis ist der Meinung zuzustimmen, die einer zweiten Leistungsklage das Rechtsschutzinteresse abspricht und der Klauselklage den Vorrang einräumt. Da die Anhänger dieser Lösung aber bis heute ein allgemein gültiges Erklärungsmodell schuldig geblieben sind, kann dem Bundesgerichtshof nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes dem Gläubiger ein Wahlrecht einräumt und damit die Grenzen der verschiedenen Klagearten aufweicht. ee) Plädoyer für die Feststellungsklage als maßgeblicher „Rechtsbehelf“ Das komplexe Regelungsgeflecht der §§ 726 Abs. 2, 894 Abs. 1 S. 2 ZPO ließe sich durch eine einfache Gesetzesänderung entzerren, indem die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Erfüllung und des Annahmeverzugs direkt in den Wortlaut des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO übernommen würden.315 Das Klauselverfahren würde dadurch überflüssig. Dies hätte die weitere angenehme Konsequenz, dass es nicht mehr der Klauselrechtsbehelfe bedürfte, um bei Verweigerung der Klauselerteilung den Eintritt der Fiktion herbeizuführen. Diese würde bereits mit Eintritt der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Erfüllung oder des Annahmeverzugs des Schuldners eintreten. Die Probleme des Gläubigers würden sich auf die Konstellation beschränken, in der der Schuldner den Eintritt der materiell-rechtlichen Voraussetzungen leugnen würde. Nicht anders als in den Fällen der §§ 756, 765 ZPO könnte dieses Problem dann aber auch an dieser Stelle durch einen Rückgriff auf die allgemeine Feststellungsklage gelöst werden, ohne dass es der spezifischen Rechtsbehelfe des Klauselverfahrens bedürfte. 2. Rechtsbehelfe des Schuldners gegen die Erteilung der Klausel Ebenso wie für den Gläubiger halten die Vorschriften des Klauselverfahrens auch für den Schuldner gleich zwei spezielle Rechtsbehelfe zur Verfügung, mit denen sich dieser gegen die Erteilung der Klausel zur Wehr setzen kann. Es handelt sich 313 314 315
S.o. § 11 IV 3. S.o. § 11 IV 4 b. S.o. V 3 b.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
um die Klauselerinnerung und die Klauselgegenklage. Nicht anders als auf Gläubigerseite lassen sich diese Rechtsbehelfe wiederum auf bekannte Strukturen aus dem Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zurückführen. a) Rückführung der Klauselerinnerung Gemäß § 732 ZPO entscheidet das Gericht, von dessen Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel erteilt ist, über Einwendungen des Schuldners, welche die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel betreffen. Es handelt sich um einen verfahrensrechtlichen Rechtsbehelf, der sowohl im einfachen als auch im qualifizierten Klauselverfahren zur Anwendung kommt.316 Die Vollstreckungserinnerung soll dabei als der speziellere Rechtsbehelf sowohl der einfachen Erinnerung gemäß § 573 ZPO als auch der sofortigen Beschwerde, vormals der Rechtspflegererinnerung, vorgehen.317 Überträgt man nun den hier propagierten Gedanken der Entbehrlichkeit des Klauselverfahrens auf die Klauselerinnerung, so zeigen sich zahlreiche Parallelen zum Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die eine Rückführung auf bekannte Rechtsbehelfe ermöglichen. Im einfachen Klauselverfahren geht es allein um die förmliche Ausstellung einer mit der Klausel versehenen Ausfertigung des Titels, gegen die sich der Schuldner zur Wehr setzt. Es handelt sich um die spiegelbildliche Situation der unberechtigten Verweigerung der Klausel durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, gegen die dem Gläubiger mangels spezieller Rechtsbehelfe die allgemeine Erinnerung gemäß § 573 ZPO zusteht.318 Es ist daher nicht einsichtig, weshalb für den Schuldner andere Maßstäbe gelten sollen. Ihm ist im umgekehrten Fall ebenfalls die allgemeine Erinnerung gemäß § 573 ZPO zuzubilligen, zumal die Vorschrift des § 732 ZPO keine hiervon abweichende Sonderregelung trifft. Insbesondere ist es sachgerecht, in Anlehnung an die §§ 573 Abs. 1 S. 3, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO dem Klauselorgan auch im Rahmen des § 732 ZPO eine Abhilfebefugnis einzuräumen und dadurch das Rechtsbehelfsverfahren im Einzelfall abzukürzen.319 316
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 732, Rdnr. 1; Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 732, Rdnr. 6. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 732, Rdnrn. 5 und 9; Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 732, Rdnr. 17; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 732, Rdnr. 1. 318 Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 732, Rdnr. 17, stellt daher fest, dass der Schuldner vom Wortlaut des Gesetzes her gegen die Erteilung der Klausel auch die einfache Erinnerung einlegen könnte. 319 Für eine analoge Anwendung der §§ 573 Abs. 1 S. 3, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO plädiert die h. M.: Münzberg, in: Stein/Jonas, § 732, Rdnr. 9; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 2 d; Lackmann, in: Musielak, § 732, Rdnr. 9; Stöber, in: Zöller, § 732, Rdnr. 14. Zu demselben Ergebnis gelangt Baltzer, DRiZ 1977, 228 (232), der sich intensiv mit der Entstehungsgeschichte und dem Konkurrenzverhältnis beider Vorschriften auseinandersetzt und die Abhilfebefugnis auf einen allgemeinen, allen Prozessordnungen eigenen Verfahrenssatz gründet, nach dem bei unbefristeten Rechtsbehelfen das Rechtspflegeorgan, das in der Sache entschieden hat, abhelfen kann. Anders hingegen Barkam, S. 24 f.; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 732, Rdnr. 1, und Wolfsteiner, in: Münchener Kommentar, § 732, Rdnr. 8, die aus der Regelung des § 732 ZPO ableiten wollen, dass die Abhilfebefugnis der §§ 573 Abs. 1 S. 3, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO ebenso wenig wie diejenige des § 11 Abs. 2 S. 2 RPflG zur Anwendung komme. 317
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Ähnliche Überlegungen ergeben sich für den Bereich des qualifizierten Klauselverfahrens. Hier ist ebenso wenig ersichtlich, aus welchen Gründen für den Schuldner andere Rechtsbehelfe zur Anwendung kommen sollten als für den Gläubiger.320 Verfassungsrechtlich gesprochen fehlt ein sachlicher Grund dafür, abweichende Verfahrensgrundsätze aufzustellen. § 732 ZPO trifft demzufolge keine gesetzliche Aussage über das Verhältnis zur sofortigen Beschwerde. Zur vormaligen Rechtspflegererinnerung konnte sich die Vorschrift erst recht nicht verhalten, da die Regelung des § 11 RPflG erst viel später, d.h. mit der Entstehung des Rechtspflegerberufs, vom Gesetzgeber ins Leben gerufen worden ist.321 Gerade diese zeitliche Abfolge spricht aber dafür, die nunmehr über § 11 RPflG zur Anwendung kommende sofortige Beschwerde als den maßgeblichen Rechtsbehelf heranzuziehen. Dafür spricht auch der Gedanke, dass das qualifizierte Klauselverfahren inhaltlich dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen ist, in dem ebenfalls die sofortige Beschwerde den maßgeblichen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers darstellt.322 Im Ergebnis ist festzustellen, dass für die gesetzliche Regelung des § 732 ZPO überhaupt kein Bedürfnis (mehr) besteht. Die Vorschriften der §§ 573 ZPO; 11 RPflG lassen keine Lücke, die im Klauselverfahren zu schließen wäre. Im Gegenteil resultieren aus der Regelung des § 732 ZPO unnötige Abgrenzungsschwierigkeiten im Verhältnis zu den bekannten Rechtsbehelfen des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens. b) Die Klauselgegenklage Angesichts der formalisierten Klauseltatbestände, die als Beweismittel nur den Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden zulassen, stellt sich für den Gläubiger ein Beweisproblem ein, sofern ihm solche Urkunden nicht zur Verfügung stehen. Diesem Missstand hilft die Klauselklage gemäß § 731 ZPO ab, die es dem Gläubiger ermöglicht, im gerichtlichen Erkenntnisverfahren sämtliche zulässigen Beweismittel auszuschöpfen. Dasselbe Problem kann sich für den Schuldner stellen, wenn er einen Gegenbeweis nicht in Form von öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden führen kann. Dieses Problem wiederum löst die Klauselgegenklage gemäß § 768 ZPO. Dabei lassen die bisherigen Überlegungen323 bereits erahnen, dass sich diese Klage ebenfalls auf die allgemeine Feststellungsklage zurückführen lässt.
320 Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 732, Rdnr. 17, spricht daher von „erstaunlichen Konsequenzen“, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsbehelfe ergeben sollen. 321 Im Einzelnen zur sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Rechtspflegers unter § 29. 322 Wollte man hingegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel als bloße Maßnahme der Vollstreckung auffassen, so wäre die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO in den Augen der h. M. der statthafte Rechtsbehelf. Zu der unsäglichen Differenzierung zwischen Entscheidungen und Maßnahmen noch ausführlich unter § 28 V und § 29 III. 323 S.o. 1 c zur Klauselklage gemäß § 731 ZPO.
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aa) Rückführung auf eine (negative) Feststellungsklage Die Klage gemäß § 768 ZPO ist, was sich bereits aus der gesetzlichen Systematik ergibt, der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO nachgebildet. Es soll sich daher auch bei der Klauselgegenklage um eine prozessuale Gestaltungsklage handeln.324 Ohne insoweit der vollstreckungsrechtlichen Diskussion um die Rechtsnatur der Vollstreckungsabwehrklage vorzugreifen,325 können an dieser Stelle, bezogen auf die Rechtsnatur der Klauselgegenklage, schon einige interessante Rückschlusse aus den übrigen Rechtsbehelfen des Klauselverfahrens gezogen werden. Die systematische Anknüpfung des § 768 ZPO an die Vollstreckungsabwehrklage untermauert die These, nach der das qualifizierte Klauselverfahren inhaltlich dem Vollstreckungsverfahren zuzuordnen ist.326 Nur so ist zu erklären, dass die Klauselrechtsbehelfe sich auf die Vollstreckungsrechtsbehelfe abbilden lassen und dies teilweise – wie im vorliegenden Fall – sogar ausdrücklich vom Gesetz angeordnet wird.327 Nicht anders hat sich auf Gläubigerseite im Rahmen der Klauselklage herausgestellt, dass sich diese auf den allgemeinen „Rechtsbehelf“ des Gläubigers gegen die Versagung der Zwangsvollstreckung aus materiellrechtlichen Gründen in Form der allgemeinen Feststellungsklage zurückführen lässt.328 Ansatzpunkt hierfür waren die Überlegungen zur Bedeutung der Feststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO. Mit Recht wird diese Feststellungsklage nicht als spezifischer Rechtsbehelf der Zwangsvollstreckung interpretiert, sondern als eine von drei Klagearten des allgemeinen Erkenntnisverfahrens. Wie verhält es sich nun für den umgekehrten Fall aus Sicht des Schuldners? Im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO ist – nicht anders als im Klauselverfahren – ebenso die Fallkonstellation vorstellbar, dass der Schuldner den Gegenbeweis dafür, dass weder Erfüllung noch Annahmeverzug eingetreten ist, nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden, wohl aber durch anderweitige Beweismittel zu führen vermag. Diese Konstellation bereitet zumeist deshalb keine Probleme, weil schon der Fall, dass der Gläubiger die Erfüllung oder den Annahmeverzug durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen kann, selten vorkommen wird. Mithin wird schon für den Gläubiger eine Feststellungsklage unausweichlich. Im Rahmen dieser Feststellungsklage unterliegt dann auch der Schuldner keinerlei Einschränkungen mehr hinsichtlich eines Gegenbeweises. Kann der Gläubiger hingegen den Nachweis der Erfüllung oder des Annahmeverzugs des Schuldners schon im Klauselverfahren durch öffentliche 324 Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 96; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 1; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 768, Rdnr. 6; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 768, Rdnr. 1, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3 e. 325 S.u. § 30. 326 Nicht umsonst spricht man bei der Klauselgegenklage auch von einer beschränkten Vollstreckungsabwehrklage, so Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 1, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 17 III 3. 327 § 768 ZPO erklärt § 767 Abs. 1 und 3 ZPO für entsprechend anwendbar. 328 S.o. 1 c.
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oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen, so obliegt es der Initiative des in Beweisnot geratenden Schuldners, seinerseits ein gerichtliches Klageverfahren herbeizuführen. Zu diesem Zweck verweist § 768 ZPO auf den vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelf des § 767 ZPO. Weshalb soll es sich aber auf Schuldnerseite bei der Klärung materiell-rechtlicher Streitfragen um einen anderen „Rechtsbehelf“ handeln als auf Gläubigerseite? Die Klauselgegenklage stellt ebenso wenig wie die Klauselklage einen Rechtsbehelf dar, da sie nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung zum Gegenstand hat, sondern die erstmalige Klärung einer zwischen den Parteien umstrittenen Rechtsfrage.329 Es handelt sich demzufolge auch bei der Klauselgegenklage nicht um einen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung, sondern um eine Klage im Erkenntnisverfahren. Fraglich ist demzufolge allein, um welche Klageart es sich bei der Klauselgegenklage handelt. Hier hilft ebenfalls die Parallele zu den „Rechtsbehelfen“ des Gläubigers weiter. Dessen Klauselklage hat keine andere materiell-rechtliche Streitfrage zum Gegenstand als die Klauselgegenklage des Schuldners. Es geht jeweils um die Frage der gerichtlichen Klärung des Bedingungseintritts, der Erfüllung, des Annahmeverzugs oder der Rechtsnachfolge. Ein Wechsel tritt lediglich in dem Vorzeichen ein. Handelt es sich aus Gläubigersicht um eine positive Feststellungsklage, so wandelt sich diese aus Schuldnersicht in eine negative Feststellungsklage.330 Dieser Wechsel des Vorzeichens kommt treffend in der Bezeichnung der beiden Klagen zum Ausdruck, die sich lediglich durch den Zusatz „gegen“ bei der Klausel(gegen)klage des Schuldners voneinander unterscheiden. Weitere Unterschiede bestehen nicht. So resultiert selbst aus der Klauselgegenklage lediglich die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Klauselerteilung nicht vorliegen. Hingegen erfolgt keine Verurteilung des Klauselorgans zur Aufhebung der Vollstreckungsklausel. Denn auch hier ist das Klauselorgan weder Partei noch sonstiger Beteiligter des zivilgerichtlichen Verfahrens. Summa summarum kann für die Klauselgegenklage festgestellt werden, dass es sich im Kern um eine (negative) Feststellungsklage handelt.331 Konsequenz dieser Feststellung ist, dass die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels unzulässig ist. Diese Rechtsfolge ergibt sich allerdings nicht erst aus dem geläufigen Ausspruch im Urteilstenor, sondern unmittelbar aus den Vor329
Zur terminologischen Unterscheidung zwischen Rechtsbehelfen und Klagen s.o. 1 c. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3, bezeichnet daher mit Recht die Klauselgegenklage als Gegenstück zur Klauselklage. Ebenso Saenger, JuS 1992, 861 (864). 331 Ähnlich Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3 e, der aber gleichwohl eher zur Charakterisierung der Klauselgegenklage als prozessuale Gestaltungsklage neigt: „Sie kann nur prozessualer Natur sein und aufgefasst werden entweder als prozessuale Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckungsklausel, wie ihr Gegenstück, die entsprechende Klage des Gläubigers aus § 731 auf Feststellung ihrer Zulässigkeit gerichtet ist, oder richtiger als (prozessuale) Gestaltungsklage, weil das ihr stattgebende Urteil die bisher auf Grund der Vollstreckungsklausel zulässige Zwangsvollstreckung ,für unzulässig erklärt‘ (§ 775 Nr. 1) und von der Rechtskraft an unzulässig macht und für den Schuldner das Recht begründet, die Einstellung und Aufhebung der Zwangsvollstreckung zu erreichen, das er ohne das Urteil nicht haben würde.“ Kritisch dazu sogleich im Folgenden. 330
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schriften der §§ 775, 776 ZPO, die das Vollstreckungsorgan zur Einstellung der Zwangsvollstreckung verpflichten.332 Eine prozessuale Gestaltungswirkung kann dem Urteil demzufolge entgegen der h. M.333 nicht zugemessen werden.334 bb) Widerlegung der angeblichen Beweislastumkehr Zweck des qualifizierten Klauselverfahrens ist es, dem Gläubiger durch die formalisierten Beweismöglichkeiten ein weiteres Klageverfahren zu ersparen und ihm auf raschem Wege die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen. Das dreistufige Formalisierungsmodell macht dabei deutlich, dass es sich bei den formalisierten Gesetzestatbeständen lediglich um Vermutungstatbestände handelt. Sie unterliegen dem Vorbehalt der abschließenden gerichtlichen Klärung, sofern eine der Parteien hierzu die Initiative ergreift. Kommt es sodann zum Klageverfahren, so verlieren die Vermutungstatbestände ihre Bedeutung, da sie lediglich an das Vollstreckungsorgan adressiert sind und diesem ein rasches Handeln ermöglichen sollen. Vor diesem Hintergrund ist es mit dem Gedanken der Formalisierung nicht zu vereinbaren, wenn weitergehende Gedanken zur Beweislastverteilung in die Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts hineininterpretiert werden. Gerade dies ist aber Anliegen derjenigen, die dem Schuldner im Rahmen der Klauselgegenklage die Beweislast für die mangelnde Berechtigung der Klausel in die Schuhe schieben wollen. Dies geschieht mit dem Argument, der Schuldner als Kläger der Klauselgegenklage trage nach allgemeinen Beweisregeln die Beweislast für die ihm günstigen Tatsachen.335 Im Ergebnis führt dies zu einer unzulässigen Beweislastumkehr.336 Denn im Falle der Klauselklage hat der Gläubiger die Voraussetzungen für den Bedingungseintritt usw. als anspruchsbegründende Tatsachen zu beweisen.337 So kommt auch im Gesetzeswortlaut des § 768 ZPO zutreffend zum Ausdruck, dass es sich auf Seiten des Schuldners lediglich um ein „Bestreiten“ des als bewiesen angenommenen Eintritts der tatsächlichen Voraussetzungen für die Klauselerteilung handelt. 332 Anders hingegen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3 e (s. dazu schon die Anmerkung in der vorstehenden Fußnote). 333 S. dazu bereits die in Fn. 324 zitierten Autoren. Ausführlich dazu im Rahmen des § 767 ZPO, s.u. § 30 IV. 334 Ausführlich zu dem Problem der angeblichen Gestaltungswirkung der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO unter § 30 IV 7. 335 So Putzo, in: Thomas/Putzo, § 768, Rdnr. 9; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 768, Rdnr. 10; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3 c. Unklar äußert sich Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 768, Rdnr. 4, der einerseits von der Beweislast des Klägers, andererseits aber von den bewährten allgemeinen Beweislastregeln spricht. 336 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 7; Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 768, Rdnr. 18. 337 Treffend daher im Anschluss an RGZ 82, 35 (37 f.), die Ausführungen von Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 768, Rdnr. 18: „Die Beweislastverteilung ist dieselbe wie bei § 731, da der Gläubiger nicht durch eine möglicherweise fehlerhafte Erteilung der Klausel aufgrund unzureichender Urkunden von seiner Beweislast befreit werden kann.“ Ebenso Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 7.
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Noch viel weniger ist die Gegenmeinung bei Charakterisierung der Klauselgegenklage als negative Feststellungsklage zu verstehen. Dieses Erklärungsmodell veranschaulicht vielmehr, dass die Frage der Klageinitiative keinen Einfluss auf die Beweislast haben kann. Denn gerade die Gegenüberstellung von positiver und negativer Feststellungsklage unterstreicht, dass nicht die prozessuale Klägerstellung für die Frage der Beweislast entscheidend ist, sondern die materiellrechtliche Gläubigerstellung.338 Anderenfalls würde das Rechtsschutzsystem in Frage gestellt, indem die Frage der Beweislastverteilung von der oftmals zufälligen Frage der Initiativrichtung zur Klageerhebung abhängig gemacht würde.339 Dieser Gedanke ist im Rahmen der Feststellungsklage unumstritten. Da es sich aber bei der Klauselgegenklage ebenfalls um nichts anderes handelt als um eine negative Feststellungsklage, kommt dieser Gedanke auch in diesem Zusammenhang zum Zuge. Die mit dem Klauselverfahren verbundene Verschiebung der Initiativrichtung bei der Klageerhebung340 darf im Hinblick auf das gerichtliche Klageverfahren nicht zu Lasten des Schuldners erfolgen. Bezweckt ist allein, dem Gläubiger zunächst einen raschen Vollstreckungszugriff zu ermöglichen. Hingegen ist es nicht Anliegen der formalisierten Klauseltatbestände, den gerichtlichen Rechtsschutz des Schuldners einzuschränken. c) Der Dualismus von Klauselerinnerung und Klauselgegenklage Das Konkurrenzverhältnis von Klauselerinnerung und Klauselgegenklage ist ausdrücklich in der Vorschrift des § 768 ZPO angesprochen. Danach bleibt es dem Schuldner unbenommen, anstelle der Klauselgegenklage die Klauselerinnerung geltend zu machen. Umgekehrt nimmt die Möglichkeit der Klauselerinnerung dem Schuldner nicht das Rechtsschutzinteresse für eine Klauselgegenklage. Dem Schuldner steht ein freies Wahlrecht zu.341 Dieses erweist sich als sachgerecht, da Klauselerinnerung und Klauselgegenklage völlig verschiedene Streitgegenstände 338
So im Ergebnis auch Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 6 a. Die Gegenmeinung erweist sich diesbezüglich als inkonsequent, weil sie für den wichtigsten Anwendungsfall, den Fall der Bösgläubigkeit des Klägers im Rahmen des § 325 Abs. 2 ZPO, die Beweislast beim Beklagten belassen will. So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 3 c. 340 Ohne die Möglichkeit der Klauselerteilung müsste der Gläubiger auf Feststellung des Bedingungseintritts usw. klagen. 341 Umstritten ist allein, ob im Erinnerungswege nach § 732 ZPO wegen des Vorbehalts in § 768 a.E. ZPO auch materielle Einwendungen erhoben werden können, so RGZ 50, 372 (374); Baumbauch/Lauterbach, § 732, Rdnr. 2; Brox/Walker, Rdnr. 139; Joswig, Rpfleger 1991, 144 (146); Windel, ZZP 1989, 175 (222). Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 1, weist mit Recht auf die Inkonsequenz dieser Haltung hin. Die Erinnerungsentscheidung hat nur „provisorischen Charakter“ (Hahn, Materialien, S. 436) und kann – wie schon das Reichsgericht eingeräumt hat, RGZ 50, 372 (374) – die Klage nach § 768 ZPO nicht präjudizieren. Wozu soll man dann noch die materiellen Einwendungen durch das Erinnerungsverfahren schleusen? § 768 a.E. ZPO ist vielmehr so zu verstehen, dass das grundsätzliche Wahlrecht den Fall des Doppelmangels betrifft, bei dem der Schuldner entweder im Wege der Klauselerinnerung die formelle Rechtswidrigkeit der Klauselerteilung geltend machen kann oder aber im Wege der Klauselgegenklage materielle Einwendungen vorbringen kann. Ebenso in seiner Bewertung auch Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 732, Rdnr. 11. 339
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
und verschiedene Rechtsgebiete zum Gegenstand haben. Gegenstand der Klauselerinnerung ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Klauselorgans. Es geht hier um die Anwendung der Verfahrensvorschriften des Klauselverfahrens, das als Verwaltungsverfahren einzuordnen ist.342 Dagegen ist Gegenstand der Klauselgegenklage die gerichtliche Bewertung einer Zivilrechtsfrage, die ihren Ursprung allein in dem Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner hat. Die mit dieser Unterscheidung zum Ausdruck kommende Zweispurigkeit ist dem Vollstreckungsrecht durchaus geläufig, das ebenfalls zwischen formellen und materiellen Rechtsbehelfen differenziert und den Parteien zwischen beiden Arten ein Wahlrecht einräumt.343 Es bestätigt sich die inhaltliche Zuordnung des qualifizierten Klauselverfahrens zum Vollstreckungsverfahren. 3. Das Rechtsbehelfssystem als Abbild der Formalisierung Es hat sich gezeigt, dass das Klauselverfahren keinen anderen Zweck verfolgt als das Vollstreckungsverfahren, indem es dem Klauselorgan anhand formalisierter Gesetzestatbestände eine Vorabentscheidung zivilrechtlicher Rechtsfragen ermöglicht. Daher muss es nicht überraschen, dass sich der Formalisierungsgedanke im Rechtsbehelfssystem widerspiegelt. Das zuvor angesprochene zweigleisige Rechtsbehelfssystem entspricht dem abgestuften Formalisierungsmodell auf der zweiten und dritten Stufe. Auf der ersten Stufe bedarf es keiner Rechtsbehelfe, da sich die Parteien einvernehmlich einigen. Auf der zweiten Stufe wird die fehlende Einigung durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt. Dabei ergeben sich aus dem Klauselverfahren keine Besonderheiten. Es hat sich gezeigt, dass sowohl die Klauselklage als auch die Klauselgegenklage nichts anderes darstellen als einfache Feststellungsklagen aus dem Erkenntnisverfahren. Besonderheiten ergeben sich erst aus der Eigenart, dass das Klausel- und Vollstreckungsverfahren formalisierte Vermutungstatbestände zur Verfügung stellen. Die daraus resultierenden Entscheidungen des Klauselorgans und des Vollstreckungsorgans müssen gerichtlich überprüfbar sein. Dies erfordert spezielle Rechtsbehelfe. Dabei hat sich gezeigt, dass im Klauselverfahren auf die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsrechts zurückgegriffen werden kann. Die daraus abgeleiteten formellen Rechtsbehelfe haben die Eigenart, dass sie sich allein auf die Perspektive des Klauselorgans bzw. Vollstreckungsorgans beziehen können. Denn Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist allein die Frage des rechtmäßigen Handelns des Klausel- bzw. Vollstreckungsorgans.344 Da dieses aber nur eine formalisierte Prüfung vornehmen darf, gilt diese Einschränkung auch für die gerichtliche Überprüfung. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist im Ergebnis nur die verwaltungsverfahrensrechtliche Komponente des Vollstreckungsrechts, weshalb man von formellen Rechtsbehelfen spricht. 342
Zur Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung s.o. unter § 4 V und VI. Näher zum Konkurrenzverhältnis von formellen und materiellen „Rechtsbehelfen“, insbesondere zur Abgrenzung der Klauselerinnerung von der Klauselgegenklage, sogleich unter 4. 344 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 III 1. 343
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Das zweigleisige Rechtsbehelfssystem im Klausel- und Vollstreckungsrecht lässt sich damit auf den Gedanken eines abgestuften Formalisierungsmodells zurückführen. Damit wird auch deutlich, weshalb das Rechtsbehelfssystem des Klauselverfahrens nicht ohne „Klagerechtsbehelfe“ auskommt. Die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung streitiger Rechtsfragen zwischen den Parteien darf durch das Klausel- und Vollstreckungsrecht nicht eingeschränkt werden. Diese Klärung kann aber nur nach Maßgabe der Vorschriften des Erkenntnisverfahrens, d.h. im Klagewege erfolgen. Für eine spezifische Fortbildung der zivilprozessualen Klagearten besteht dabei auch im Rahmen des Klauselverfahrens keine Veranlassung. Die Klauselklage und die Klauselgegenklage führen demzufolge nach ihrer derzeitigen Prägung ein Eigenleben ohne Existenzberechtigung. 4. Das Rechtsschutzinteresse als Schnittstelle im zweispurigen Rechtsbehelfssystem Das Formalisierungsmodell markiert die Schnittstelle zwischen dem öffentlichrechtlichen Vollstreckungsverfahren und dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner.345 Eine Vermengung beider Rechtsbereiche ist aufgrund der unterschiedlichen Prinzipien wenig sinnvoll, weshalb sich das Prinzip der Formalisierung bewährt hat. Diese Trennung setzt sich folgerichtig im Rechtsbehelfssystem fort. Eine Vermengung von materiellen und formellen Rechtsbehelfen wäre hier genauso verhängnisvoll wie eine Preisgabe des Formalisierungsgedankens in der Vollstreckung. Es stellt sich damit auch hier die Frage der exakten Schnittstellenbestimmung. Diese lässt sich am besten anhand des Konkurrenzverhältnisses von Klauselerinnerung und Klauselgegenklage erörtern. Der Schuldner hat ein Wahlrecht zwischen der Einlegung der Klauselerinnerung gemäß § 732 ZPO und der Erhebung der Klauselgegenklage gemäß § 768 ZPO.346 Dieses Wahlrecht ist sachgerecht, da es sich um die Überprüfung zweier unterschiedlicher Ebenen im Formalisierungsmodell handelt, die aufgrund der unterschiedlichen Prinzipien strikt voneinander zu trennen sind. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich aus der begrenzten Leistungs- und Aussagekraft der formalisierten Vermutungstatbestände. Diese stehen unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Entscheidung der zwischen den Parteien umstrittenen Rechtsfrage. Zu der daraus resultierenden Geltendmachung der Klausel- oder Klauselgegenklage wird es insbesondere dann kommen, wenn einer der Parteien Beweismittel zur Verfügung stehen, die im Klauselverfahren nicht zugelassen sind. Es kommt dann zu einer zivilgerichtlichen Überprüfung, an deren Ende das Gericht eine Entscheidung trifft. Diese Entscheidung macht den formalisierten Vermutungstatbestand gegenstandslos, da dieser nur die Funktion hat, dem Klauselorgan eine Vorabentscheidung zu ermöglichen. Liegt eine gerichtliche Entscheidung vor, so hat 345 346
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diese Vorrang. Daraus ergibt sich in der weiteren Folge, dass dem Schuldner das Rechtsschutzinteresse für eine Klauselerinnerung abzusprechen ist, sofern er bereits eine Klauselgegenklage erhoben hat. Das Klauselerinnerungsverfahren unterliegt nämlich hinsichtlich der Beweismittel den Beschränkungen der §§ 726 ff. ZPO, während im Klageverfahren der Klauselgegenklage sämtliche Beweismittel des Strengbeweises zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten ist die eingeschränkte Aussagekraft der formalisierten Vermutungstatbestände angesprochen. Damit schließt sich der Kreis. Für eine gerichtliche Überprüfung der (vorläufigen) Zwangsvollstreckungsmaßnahme besteht kein Interesse mehr, wenn eine gerichtliche Entscheidung zwischen den Parteien herbeigeführt wird, die den formalisierten Vollstreckungstatbestand gegenstandslos macht. Ein etwaiger Verfahrensverstoß des Klauselorgans hat dann keine Bedeutung mehr, da allein die materiell-rechtlichen Feststellungen in dem gerichtlichen Zivilurteil verbindlich sind. Dabei ist zu betonen, dass dieser Ausschluss des Rechtsschutzinteresses immer nur auf das konkrete zivilrechtliche Merkmal bezogen werden kann, das Gegenstand der zivilgerichtlichen Überprüfung ist. Die Versagung des Rechtsschutzinteresses darf daher nicht pauschal unter Hinweis auf eine anhängige Klauselgegenklage erfolgen. Die Klauselgegenklage muss vielmehr dieselbe Rechtsfrage zum Gegenstand haben. Abstrakt lässt sich aus den vorstehenden Überlegungen folgende Abgrenzungsformel ableiten, die die Schnittstelle zwischen den sogenannten materiellen und formellen Klauselrechtsbehelfen markiert: „Die Erhebung der zivilgerichtlichen Klausel(gegen)klage nimmt den verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen in Form von sofortiger Beschwerde und Klauselerinnerung das Rechtsschutzinteresse, soweit diese in Form der zur Überprüfung gestellten formalisierten Vollstreckungstatbestände dieselben materiellrechtlichen Rechtsfragen zum Gegenstand haben.“ Demzufolge ist auch dem Gläubiger das Rechtsschutzinteresse für eine sofortige Beschwerde abzusprechen, wenn er wegen derselben Rechtsfrage eine Klauselklage erhoben hat.347 Vor der Klageerhebung steht ihm hingegen das freie Wahlrecht zu.348 5. Ergebnis Die Analyse der Rechtsbehelfe im Klauselverfahren bestätigt die Entbehrlichkeit des einfachen Klauselverfahrens und die Nähe des qualifizierten Klauselverfah347 Uneingeschränkt für ein freies Wahlrecht auch nach Klageerhebung plädiert hingegen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 II 2. 348 Ebenso Windel, ZZP 1989, 175 (220 f.); Barkam, S. 64 ff., 76 f. Für die Subsidiarität der Klauselklage spricht sich hingegen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 731, Rdnr. 1, aus. In ähnlicher Weise verneinen Saenger, JuS 1992, 861 (863); Putzo, in: Thomas/Putzo, § 731, Rdnr. 6; Stöber, in Zöller, § 731, Rdnr. 2, und Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 731, Rdnr. 3, das Rechtsschutzinteresse für eine Klauselklage, sofern der Gläubiger die im Rahmen der §§ 726 ff. ZPO zum Nachweis geeigneten Urkunden leicht beschaffen könne. Ablehnend hingegen im Sinne der hier vertretenen Stoßrichtung Brox/Walker, Rdnr. 133.
§ 12 Die Vollstreckungsklausel
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rens zum Vollstreckungsverfahren. Sämtliche Klauselrechtsbehelfe lassen sich auf bekannte Klagearten des Erkenntnisverfahrens sowie auf bekannte Rechtsbehelfe des Vollstreckungsrechts abbilden. In Anbetracht dessen wäre zumindest eine grundlegende Reform des Rechtsbehelfssystems angemessen. So lassen sich Klauselklage und Klauselgegenklage auf allgemeine Feststellungsklagen des Zivilprozesses zurückführen.349 Der Vollstreckungserinnerung gemäß § 732 ZPO bedarf es ebenfalls nicht, da mit der einfachen Erinnerung gemäß § 573 ZPO und der sofortigen Beschwerde bereits angemessene Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen.350
VII. Abschließendes Plädoyer für einen Verzicht auf das Klauselverfahren Könnte der Gesetzgeber sich dazu durchringen, parallel zum Mahnverfahren auch im ordentlichen Erkenntnisverfahren auf das einfache Klauselverfahren zu verzichten351 und die Vorschriften zum qualifizierten Klauselverfahren in die Regelungen zu den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen einzuarbeiten,352 so wäre eine wesentliche Vereinfachung des Vollstreckungsrechts zu erzielen. Eine direkte Nahtstelle zwischen Vollstreckungs- und Erkenntnisverfahren wäre ge349
Nicht umsonst hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Rechtsbehelfen des Klauselverfahrens festgestellt, dass die der Zwangsvollstreckung vorgelagerten Fragen der Klauselerteilung jeweils als Fortsetzung des Rechtsstreits vor das Prozessgericht erster Instanz gehören und nicht vor das Vollstreckungsgericht (so Hahn, Materialien, S. 435 f.). Weshalb der Gesetzgeber es dann aber nicht schlicht bei den Rechtsbehelfen des Erkenntnisverfahrens belassen hat, bleibt schleierhaft. 350 Ebenfalls für eine Zusammenfassung der formellen Rechtsbehelfe plädiert Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 17 I, allerdings in Richtung auf eine einheitliche Klauselerinnerung: „De lege ferenda sollte wieder eine Harmonisierung der Rechtsbehelfe mit einheitlichem Zugang zum Prozessgericht angestrebt werden unter Zusammenfassung der formellen Einwendungen des Gläubigers und des Schuldners in einem Rechtsbehelf der Erinnerung mit anschließender Beschwerde und grundsätzlicher Beibehaltung der besonderen Klauselklagen, jedoch unter Vermeidung der bisherigen Überschneidungen der §§ 732, 768.“ 351 Bislang findet sich ein solches Plädoyer im Ansatz nur bei Gaul, ZZP 1972, 251 (291 f.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 I 3, der sich de lege ferenda dafür ausspricht, im Rahmen der §§ 887 ff. ZPO vom Klauselerfordernis abzusehen. Da der Titel hier dem Gläubiger als vollstreckbare Ausfertigung nicht ausgehändigt werden müsse, brauche die Klausel auch ihre weitere Funktion der Vermeidung mehrfacher Vollstreckung nicht zu übernehmen. Dahinter steht die Überlegung, dass bei der Vollstreckung gemäß §§ 887 ff. ZPO das erkennende Gericht zugleich als Vollstreckungsorgan tätig wird. Die vermeintliche Brückenfunktion der Vollstreckungsklausel entfällt mithin. 352 Diese notwendige Differenzierung zwischen der Bedeutung des einfachen und des qualifizierten Klauselverfahrens bringt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 16 V, markant zum Ausdruck, indem er das erstere als deklaratorisch und das zweitgenannte als konstitutiv bezeichnet. Den Schluss, auf das einfache Klauselverfahren deshalb zu verzichten und das qualifizierte Klauselverfahren in die Vollstreckung einzubetten, zieht Gaul indessen nicht, obwohl er im Zusammenhang mit dem Titelerfordernis treffend feststellt: „Das Vorhandensein des Vollstreckungstitels ist das Wesentliche, nicht das der Klausel, von der das Gesetz mitunter ganz absieht … und die gleichrangige Bedeutung mit dem Titel nur in den Fällen der konstitutiven Klauseln … erhält.“
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
wonnen und die vermeintliche Brückenfunktion des Klauselverfahrens wäre obsolet. Diese Überlegungen entlarven das Klauselverfahren eher als eine Belastung denn als eine Entlastung des Vollstreckungsverfahrens. Ohne das Klauselverfahren würde sich die Schnittstellenbildung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren auf das Prinzip der Formalisierung reduzieren, von dem das derzeitige Klauselverfahren ohnehin geprägt ist. Das Vollstreckungsorgan könnte im direkten Anschluss an das Erkenntnisverfahren mit der Vollstreckung beginnen. Dem Gläubiger bliebe das zeitaufwendige Klauselverfahren bei Gericht erspart. Dass dadurch die Rechtsstellung des Schuldners unangetastet bliebe, zeigt nicht zuletzt ein Blick auf das derzeitige Rechtsbehelfssystem im Klauselverfahren. Durch eine Abschaffung des Klauselverfahrens wäre auch hier viel gewonnen. Denn Schuldner wie Gläubiger würden aus dem Dschungel der unüberschaubaren Klauselrechtsbehelfe befreit. Sie wären dem Risiko der Einlegung des falschen Rechtsbehelfs enthoben. Zugleich wäre der Weg frei für eine Rückbesinnung auf die bewährten Rechtsbehelfe aus dem Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die für sämtliche Beteiligten einen angemessenen Rechtsschutz gewährleisten.353
§ 13 Die Zustellung I. Die dreifache Bedeutung der Zustellung Ähnlich wie die Vollstreckungsklausel verfolgt das Zustellungserfordernis einen dreifachen Zweck. Dieses Spektrum kommt bereits in der systematischen Aufteilung des § 750 ZPO zum Ausdruck, der das Zustellungserfordernis in der Zwangsvollstreckung regelt. Absatz 1 dieser Vorschrift ordnet das allgemeine Erfordernis der Titelzustellung vor Beginn der Zwangsvollstreckung an. Absatz 2 erweitert dieses Zustellungserfordernis in den Fällen des qualifizierten Klauselverfahrens auf die Klausel nebst dazugehöriger öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden. Zuletzt ordnet Absatz 3 für die Fälle der Sicherungsvollstreckung gemäß § 720 a ZPO eine Wartefrist von zwei Wochen an, deren Beginn mit der Zustellung des Urteils ausgelöst wird. Aufgrund dieser unterschiedlichen Regelungsgehalte erscheint auch bei der nachfolgenden Analyse eine Dreiteilung geboten.
II. Die Zustellung als Ausdruck der notwendigen Bekanntgabe Gemäß § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil be353
S. dazu noch ausführlich im sechsten Teil der Untersuchung, §§ 24 ff.
§ 13 Die Zustellung
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reits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Das Zustellungserfordernis wird daher im Trio mit dem Titel- und Klauselerfordernis als dritte allgemeine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung benannt.354 Dabei ist auffällig, dass es eines gesonderten Zustellungserfordernisses eigentlich gar nicht bedürfte, da das Urteil bereits nach den Vorschriften des Erkenntnisverfahrens zuzustellen ist. 1. Überschneidung mit dem Zustellungserfordernis des Urteils Die Vorschriften der §§ 270, 271 Abs. 1, 317 Abs. 1 S. 1 ZPO ordnen an, dass das verkündete Urteil den Parteien von Amts wegen zuzustellen ist.355 Dieses Zustellungserfordernis ist Ausfluss der Notwendigkeit, die Rechtsmittelfristen in Gang zu setzen.356 § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO ordnet daher im eigentlichen Sinne kein gesondertes Zustellungserfordernis an, sondern nimmt lediglich auf die Zustellung des Urteils Bezug. Es erscheint folglich sinnvoll, nicht so sehr das Zustellungserfordernis als allgemeine Zwangsvollstreckungsvoraussetzung herauszustellen,357 als vielmehr die zeitliche Komponente zu betonen, die diese Vorschrift zum Ausdruck bringt.358 Die Zwangsvollstreckung „darf nur beginnen, wenn“ die Zustellung bereits erfolgt ist oder zeitgleich erfolgt. Das Zustellungserfordernis als solches ist im Hinblick auf die Vorschriften des Erkenntnisverfahrens rein deklaratorisch.359 2. Notwendigkeit der Bekanntgabe gemäß § 41 VwVfG Eine weitergehende Bedeutung gewinnt die Vorschrift des § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO dann, wenn man dem Tenor des Leistungsurteils einen darin enthaltenen Grundverwaltungsakt zuschreibt. Daraus folgt die Notwendigkeit der Bekanntgabe dieses Verwaltungsaktes gemäß § 41 VwVfG. Ohne Bekanntgabe wird der Verwaltungsakt nicht wirksam. § 41 Abs. 5 VwVfG ordnet an, dass die Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung unberührt bleiben. Übertragen auf die Zwangsvollstreckung bedeutet dies, dass die Vorschriften der §§ 270, 271 Abs. 1, 317 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Zustellung maßgeblich bleiben. Sie lösen zugleich die 354 355
So etwa Brox/Walker, Rdnr. 29. Bis zur Vereinfachungsnovelle von 1977 war auch hier die Parteizustellung noch der Regel-
fall. 356 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 270, Rdnr. 2, spricht in der weiteren Folge von dem Gebot der Rechtssicherheit als Regelungszweck des Zustellungserfordernisses. 357 So aber die geläufige Terminologie. Statt vieler nur Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I. 358 In diesem Sinne äußern sich Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 21.1 bis 21.3, die von dem Zustellungserfordernis gewisser Urkunden sprechen und damit lediglich die Sonderfälle des § 750 Abs. 2 ZPO meinen. 359 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb in Spanien eine Zustellung des Vollstrekkungstitels überhaupt nicht vorgesehen ist. Ist der Vollstreckungstitel ein Gerichtsurteil, das zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt, so ist Pfändung sogleich und ohne Anhörung des Schuldners möglich, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.79.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
Bekanntgabe des in dem Urteil enthaltenen Grundverwaltungsaktes aus. In der weiteren Folge spricht § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Selbstverständlichkeit des Verwaltungsverfahrensrechts aus, indem die Vollstreckung an die Bekanntgabe des Grundverwaltungsaktes anknüpft.360 Das Zustellungserfordernis stellt mithin keine Eigenart des Zwangsvollstreckungsrechts dar, sondern entpuppt sich als bloße Umschreibung des Bekanntgabeerfordernisses aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht. 3. Die Möglichkeit der Parteizustellung gemäß § 750 Abs. 1 S. 2 ZPO Die Bezugnahme auf die Zustellungsvorschriften des Erkenntnisverfahrens belegt, dass die Zustellung von Amts wegen erfolgen muss. Dies unterstreichen die Überlegungen zur Bekanntgabevorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts, § 41 VwVfG. Da die Zustellung des in dem Leistungsurteil enthaltenen Grundverwaltungsaktes Teil eines allgemeinen Verwaltungsverfahrens ist, gilt insoweit das Prinzip des Amtsbetriebes.361 Daneben macht auch unter rein praxisorientierten Gesichtspunkten eine Zustellung im Parteibetrieb wenig Sinn, da sie zwangsläufig zu Verzögerungen führen muss, indem die Partei ihrerseits erst tätig werden und sich über den Stand des Verfahrens informieren muss. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Vorschrift des § 750 Abs. 1 S. 2 ZPO die Zustellung im Parteibetrieb ermöglicht und für diesen Fall die Zustellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe des Urteils entbehrlich macht. Es ist nicht einsichtig, weshalb diese vereinfachte Zustellung nicht auch im Amtsbetrieb möglich sein soll. Die Parteizustellung wäre dann vollends überflüssig, zumal sie auch dogmatisch in Anbetracht des Amtsbetriebes nicht zu rechtfertigen ist. Einziger Ansatzpunkt bleibt das Misstrauen des Gesetzgebers gegenüber einer effektiven staatlichen Vollstreckung. Nur so lässt sich erklären, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Selbstinitiative belässt.362 Diese Alternative mag begrüßenswert sein. Sie heilt etwaige Mängel aber nur an den Symptomen, anstatt die Organisation der Zwangsvollstreckung als solche zu überdenken.363 Zudem rechtfertigt ein Misstrauen gegenüber den Zustellorganen es nicht, diesen die Möglichkeit der vereinfachten Zustellung zu versagen. 360 § 3 Abs. 2 VwVG setzt darüber hinaus für die Einleitung der Vollstreckung eine Wartefrist von einer Woche seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes voraus. Näher zu den Wartefristen sogleich unter IV. 361 Die einfache Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes wie auch seine Bekanntgabe mittels Zustellung erfolgen im Verwaltungsverfahren naturgemäß von Amts wegen, § 41 Abs. 1 VwVfG, §§ 1 ff. VwZG. 362 So die amtliche Begründung, die dem Gläubiger die Möglichkeit der Parteizustellung im Interesse einer Beschleunigung der Zwangsvollstreckung belässt, BT-Drucks. 7/2729, S. 44 und S. 110. An dieser Motivlage hat auch die jüngste Reform des Zustellwesens, die die Zustellung von Amts wegen auch im Gesetz, §§ 166 ff. ZPO, zum Regelfall macht, nichts geändert. Die Regelung des § 750 Abs. 1 S. 2 ZPO ist unverändert geblieben. Ausführlich zu den schon vor der Gesetzesreform angestellten Reformüberlegungen Schilken, DGVZ 1995, 161 (161 ff.). 363 S. dazu noch ausführlich im fünften Teil der Untersuchung, s.u. §§ 22 f.
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III. Die Zustellung gemäß § 750 Abs. 2 ZPO Die Vorschrift des § 750 Abs. 2 ZPO ordnet für die Fälle des qualifizierten Klauselverfahrens ein gesondertes Zustellungserfordernis für die Klausel nebst der ihre Erteilung begründenden öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden an. Zweck dieses Zustellungserfordernisses und damit der Bekanntgabe der Entscheidung des Klauselorgans ist ein doppelter. Zum einen wird dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, sich gegen die Klauselerteilung durch die Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs zur Wehr zu setzen.364 Zum anderen ist gewährleistet, dass dem Schuldner nachträglich die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs gewährt wird,365 falls im Klauselverfahren davon gemäß § 730 ZPO abgesehen worden ist. Beide Zielsetzungen des Zustellungserfordernisses können nur erreicht werden, wenn der Schuldner vollständig informiert wird.366 Wie stellt sich nun dieses Zustellungserfordernis nach der hier entwickelten Konzeption des Klauselverfahrens dar? 1. Die Nähe zu den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass maßgeblicher Inhalt der Zustellung nicht die Klausel als solche ist, sondern die darin zum Ausdruck kommende Entscheidung des Klauselorgans, das die Voraussetzungen der formalisierten Klauseltatbestände für gegeben hält. Zur Mitteilung dieser Entscheidung bedarf es nicht der gesonderten Erteilung und Zustellung der Klausel. Dies belegt ein Blick auf die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen des § 751 Abs. 2 ZPO und der §§ 756, 765 ZPO. Hier ist ebenfalls die gesonderte Bekanntgabe der Entscheidung des Vollstreckungsorgans vorgesehen, welches die formalisierten Vollstreckungstatbestände bejaht, indem dem Schuldner die maßgeblichen Urkunden gesondert zugestellt werden. Maßgeblich ist mithin die Zustellung der jeweiligen Urkunden. Auf diesen allgemeinen Rechtsgedanken lassen sich die Vorschrift des § 750 Abs. 2 ZPO und die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen zurückführen. 2. Die Bekanntgabe feststellender Verwaltungsakte zu Nebenbestimmungen Die Fälle der besonderen Zustellungserfordernisse im Klausel- und Vollstreckungsverfahren sind sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass Inhalt des zu vollstreckenden Titels ein Anspruch ist, der in irgendeiner Form mit Einwendungen oder Einreden behaftet ist, sei es, dass der Anspruch betagt oder bedingt oder mit einer Zug-um-Zug-Einrede belastet ist, sei es, dass der im Titel benannte Gläubi364 Stephan, Rpfleger 1968, 106 (106 f.); Schüler, DGVZ 1982, 65 (66); Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 22 I. 365 BVerfG NJW 1984, 2567 (2568); Graßhof, in: Festschrift für Merz, S. 133 (139); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I. 366 So die amtliche Begründung, Hahn, Materialien, S. 439; Stephan, Rpfleger 1968, 106 (107).
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ger nicht mehr Rechtsinhaber des titulierten Anspruchs ist. Diese Situation stellt sich nicht anders dar als die verwaltungsrechtliche Konstellation des Vollzugs eines Verwaltungsaktes, der mit einer Nebenbestimmung versehen ist. In beiden Fällen muss sich diese Nebenbestimmung erst realisieren und nachgewiesen sein, damit die Vollstreckung betrieben werden kann. Im Verwaltungsverfahrensrecht wird dabei die zuständige Behörde den Eintritt der Nebenbestimmung gesondert feststellen und dies dem Adressaten mitteilen. Darin liegt dann, ausdrücklich oder konkludent, die Bekanntgabe eines feststellenden Verwaltungsaktes.367 Nicht anders verhält es sich in der Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung. Hier ist ebenfalls Gegenstand der Vollstreckung ein dem Leistungsurteil immanenter Grundverwaltungsakt.368 Dieser Grundverwaltungsakt stimmt inhaltlich mit der feststellenden Entscheidung des Gerichts überein, weswegen keine gesonderte Bekanntgabe erfolgt, sondern beide Urteilselemente durch die „Verurteilung“ des Beklagten verbunden werden. Das heißt aber auch, dass Einreden, die das Gericht zum Inhalt seiner Entscheidung macht, zugleich Inhalt des Grundverwaltungsaktes werden. In der verwaltungsrechtlichen Terminologie spricht man dann von Nebenbestimmungen des Verwaltungsaktes, § 36 VwVfG. Damit schließt sich der Kreis der Überlegungen. Denn bei der in der Zustellung der öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden zum Ausdruck kommenden Entscheidung des Klausel- oder Vollstreckungsorgans, dass die Voraussetzungen des titulierten Anspruchs in formalisierter Form nachgewiesen sind, handelt es sich um nichts anderes als die Feststellung des Eintritts der Nebenbestimmung des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes. Diese Feststellung ergeht wiederum in der Form eines Verwaltungsaktes, dessen Begründung mit Hilfe der Zustellung der maßgeblichen Urkunden erfolgt. Im Ergebnis lässt sich das qualifizierte Zustellungserfordernis des § 750 Abs. 2 ZPO – ebenso wie dasjenige der §§ 751 Abs. 2; 756, 765 ZPO – auf allgemein bekannte Rechtsstrukturen des Verwaltungsverfahrensrechts zurückführen.
IV. Die Zustellung gemäß § 750 Abs. 3 ZPO Während nach § 750 Abs. 1 ZPO die Vollstreckung zeitgleich mit der Zustellung des Urteils erfolgen darf, ordnet § 750 Abs. 3 ZPO für die Sicherungsvollstreckung gemäß § 720 a ZPO eine Wartefrist von zwei Wochen an. Diese Wartefrist soll dem Schuldner ermöglichen, die Abwendungsbefugnis gemäß § 720 a Abs. 3 ZPO ausüben zu können, indem er eine entsprechende Sicherheitsleistung stellt.369 Sie ist damit Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
367 Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 36, Rdnr. 51, i.V.m. § 35, Rdnr. 36 a, spricht von Vollziehungsverfügungen, die die Rechtsfolgen des Verwaltungsaktes konkretisieren. 368 S.o. § 11 IV 3. 369 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I 2 b aa.
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1. Vorrang der freiwilligen Erfüllung und der Stellung von Sicherheitsleistungen In ähnlicher Weise wie bei § 750 Abs. 3 ZPO ordnet § 798 ZPO eine Wartefrist von ebenfalls zwei Wochen für die Vollstreckung aus einigen der in § 794 Abs. 1 ZPO genannten Titel an.370 Diese Frist soll dem Schuldner die rechtzeitige Erfüllung des titulierten Anspruchs und damit die Abwendung der Vollstreckung ermöglichen.371 Diese Regelung lässt sich auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückführen, da die dem Schuldner ermöglichte freiwillige Erfüllung zweifellos das mildere Mittel gegenüber der zwangsweisen Beitreibung im Wege der Vollstreckung darstellt. Fraglich ist nur, ob die Einräumung der Möglichkeit zur freiwilligen Erfüllung und zur Stellung von Sicherheiten auch gleich geeignet ist im Vergleich mit der sofortigen Einleitung der Vollstreckung. Die Anordnung von Wartefristen bringt zwangsweise die Gefahr der Vollstreckungsvereitelung durch den Schuldner mit sich. Der Gläubiger kann sich hiergegen zumeist kaum schützen, da er viel zu spät davon erfährt. 2. Denkbare Ausgestaltungen unter dem Primat der Effektivität Das soeben angesprochene Problem der Vollstreckungsvereitelung kollidiert mit dem Gebot der Effektivität der Zwangsvollstreckung. Letzteres gebietet es, in der Vollstreckung die bestgeeigneten Maßnahmen zu ergreifen.372 De lege ferenda richtet sich dieses Gebot auch an den Gesetzgeber, der das Vollstreckungsrecht aufgrund der Leistungsverweigerung des Schuldners vorrangig aus Gläubigersicht effektiv ausgestalten muss. Dazu gibt es im Bereich der Zustellung verschiedene denkbare Ausgestaltungen. Eine sehr weitgehende Regelung beinhaltet das französische Vollstreckungsrecht, das die Zustellung einer gesonderten Zahlungsaufforderung verbunden mit einer Wartefrist für den Gläubiger vorsieht.373 Diese Regelung betont die Notwendigkeit eines Grundverwaltungsaktes als Grundlage der staatlichen Vollstreckung.374 Es hat sich jedoch gezeigt, dass ein derartiger Verwaltungsakt bereits dem Titel zu entnehmen ist. Die gesonderte Zustellung einer Zahlungsaufforderung entpuppt sich im Ergebnis als lästige Förmelei.375 Ist eine gesonderte Zahlungsaufforderung entbehrlich, so stellt sich die Frage, ob es einer Wartefrist bedarf, um dem Schuldner die freiwillige Erfüllung bzw. 370 Angesprochen sind insbesondere die vollstreckbare Urkunde und der Kostenfestsetzungsbeschluss. Ausführlich zu den weiteren Fällen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I 2 b. 371 Brox/Walker, Rdnr. 154. 372 S.o. § 8 II 4. 373 S. dazu schon kritisch die Anmerkungen unter § 8 VI 1. 374 S.o. § 10 II 2. 375 Es bedarf ihrer auch nicht im Bereich der in § 794 Abs. 1 ZPO genannten Titel, da auch hier durch die Zustellung des Titels zugleich ein Grundverwaltungsakt bekannt gegeben wird, der Schuldner also um seine Zahlungsverpflichtung weiß. Ausführlich zu den besonderen Titeln des § 794 ZPO bereits oben unter § 11 V bis VII.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
die Stellung von Sicherheiten zu ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zustellung des Vollstreckungstitels den Schuldner nicht unvorbereitet ereilt, da er um die Existenz des Vollstreckungstitels bereits weiß. Denn entweder hat er hieran selbst mitgewirkt oder der Titel ist im Anschluss an eine streitige gerichtliche Auseinandersetzung ergangen. Will man in dieser Situation überhaupt noch von einem „Überraschungseffekt“ der Vollstreckung und damit von der vorbeugenden Wirkung gegenüber einer Vollstreckungsvereitelung sprechen, so verträgt sich dies nicht mehr mit den gesetzlich vorgesehenen Wartefristen.376 Wenn der Schuldner um die Existenz seiner Zahlungsverpflichtung weiß oder infolge einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit ihrer Feststellung rechnen muss, so trifft den Schuldner die Verpflichtung, Vorkehrungen zur unmittelbaren Erfüllung oder Stellung von Sicherheiten zu treffen. Ein weiteres Zuwarten ist dem Gläubiger nicht mehr zuzumuten. Dabei ist unter praktischen Gesichtspunkten zu berücksichtigen, dass die Stellung des Vollstreckungsantrages und insbesondere dessen Bearbeitung zumeist ohnehin mehrere Wochen in Anspruch nimmt.377 Vor diesem Hintergrund werden die Wartefristen für den Gläubiger vollends zur Farce.378 Es genügt daher, wenn das Vollstreckungsorgan dem Schuldner zeitgleich mit der Einleitung der ersten Vollstreckungsmaßnahmen die Gelegenheit zur freiwilligen Erfüllung oder Stellung von Sicherheiten gibt.379 Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Die Einschaltung der staatlichen Vollstreckungsorgane bedingt im Rahmen der Geldvollstreckung eine Zweiteilung der Vollstreckung in die Bereiche Pfändung und Verwertung.380 Die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans bewirkt daher zunächst ohnehin noch keine Erfüllung zugunsten des Gläubigers, sondern lediglich die Pfändung einzelner Vermögensgegenstände. Bis zu deren Verwertung bleibt dem Schuldner ein ausreichender zeitlicher Spielraum zur freiwilligen Erfüllung und zur Stellung von Sicherheiten sowie auch zur Einlegung von Rechtsbehelfen. Im Ergebnis steht das Primat der Effektivität der Zwangsvollstreckung der Anordnung gesetzlicher Wartefristen für die Vollstreckung im Wege.381 Diese 376 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I, spricht demzufolge im Zusammenhang mit den Zustellungsvorschriften auch nur von einem „schleunigen Vollstreckungszugriff“. 377 Zu den praktischen Barrieren bei Erteilung der Vollstreckungsklausel s. bereits oben unter § 12 III 2. 378 Mit Recht hat daher schon der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung das (befristete) Befriedigungsgebot des früheren Rechts durch die Zustellung ersetzt, Hahn, Materialien, S. 439; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I. 379 So geregelt in §§ 754, 755 ZPO. 380 Ausführlich dazu unter § 17 I. 381 Eine andere Bewertung lässt sich allenfalls im Falle der vollstreckbaren Urkunden gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO vornehmen. Mit Recht betont Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I 2 b bb, diesen Fall besonders, bei dem der Schuldner oft schon „vor Jahr und Tag“ seine Unterwerfungserklärung abgegeben hat. Gleichwohl trifft den Schuldner die Zwangsvollstreckung auch in dieser Konstellation selten überraschend. Denn neben der Zustellung der vollstreckbaren Urkunde geht der Zwangsvollstreckung auch hier regelmäßig eine letztmalige Zahlungsaufforderung seitens des Gläubigers voraus. Zudem hat der Notar im Vorfeld der Zwangsvollstreckung die Voraussetzungen der Fälligkeit der Forderung zu überprüfen.
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stellen sich im Vergleich mit der Möglichkeit der sofortigen Einleitung der Zwangsvollstreckung als weniger geeignet dar. Die Gläubigerinteressen überwiegen diejenigen des Schuldners, der es selbst in der Hand hat, durch entsprechende Vorkehrungen für die rechtzeitige Erfüllung oder Stellung von Sicherheiten zu sorgen.
V. Rückführung der Trias „Titel, Klausel, Zustellung“ auf die Bekanntgabe eines hinreichend bestimmten Grundverwaltungsaktes Nach den bisherigen Überlegungen reduziert sich das Zustellungserfordernis in der Zwangsvollstreckung auf die verwaltungsrechtliche Notwendigkeit der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes. Der dem Vollstreckungsrecht eigene Dreiklang „Titel, Klausel, Zustellung“ lässt sich auf die bekannte Klaviatur des allgemeinen Verwaltungsrechts zurückführen. Es handelt sich im Kern um nichts anderes als die Bekanntgabe eines Grundverwaltungsaktes, der Ausgangspunkt für jedwede staatliche Vollstreckung ist. Das Klauselerfordernis kennzeichnet dabei diejenige Voraussetzung des Verwaltungsverfahrens, die den stärksten Bezug zu der anschließenden Vollstreckung hat. Es handelt sich um das verwaltungsrechtliche Bestimmtheitserfordernis, dessen Zweck darin besteht, die zwangsweise Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes zu gewährleisten.
§ 14 Die besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung I. Vorbemerkung zur Funktion Anhand des Klauselverfahrens ist auf die wechselseitigen Bezüge zwischen dem qualifizierten Klauselverfahren gemäß § 726 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO und den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 751, 756, 765 ZPO hingewiesen worden.382 So erstreckt sich der Bereich der Bedingungen und der Zugum-Zug-Einreden teilweise auf das qualifizierte Klauselverfahren, teilweise auf das Vollstreckungsverfahren. Daraus lässt sich die Nähe des qualifizierten Klauselverfahrens zum Vollstreckungsverfahren ableiten, weshalb für einen Verzicht auf das Klauselverfahren plädiert worden ist.383 Für die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lässt sich umgekehrt ableiten, dass diesen keine andere Funktion zukommt als dem qualifizierten Klauselverfahren. Stets geht es um die formalisierte Prüfung von materiell-rechtlichen Eigenarten des titulierten Anspruchs, sei es, dass dieser mit einer Bedingung versehen ist, deren Eintritt vom Gericht noch nicht festgestellt werden konnte, sei es, dass es sich 382 383
S.o. § 12 V 3. S.o. § 12 V 5.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
um eine Zug-um-Zug-Einrede handelt, die (erst) in der Vollstreckung berücksichtigt werden kann. Die formalisierten Vollstreckungstatbestände garantieren somit eine effektive Vollstreckung. Ohne sie müsste erst eine weitere gerichtliche Entscheidung über die Fälligkeit des zu vollstreckenden Anspruchs eingeholt werden. Vollstreckungsrechtlich handelt es sich bei den materiell-rechtlichen Eigenarten des titulierten Anspruchs um Nebenbestimmungen des in dem Titel enthaltenen Grundverwaltungsaktes, deren Eintritt Voraussetzung für die sich anschließende Vollstreckung ist.384 Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen bereitet die Zuordnung der besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen daher keine Probleme mehr.
II. Die Vollstreckung künftiger Ansprüche Gemäß § 751 Abs. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung, sofern die Geltendmachung des Anspruchs von dem Eintritt eines Kalendertages abhängig ist, nur beginnen, wenn der Kalendertag abgelaufen ist.385 Seinen eigentlichen Ursprung hat diese Regelung in den prozessualen Bestimmungen der §§ 257 ff. ZPO,386 die die gerichtliche Geltendmachung von künftigen Ansprüchen im Falle der vorzeitigen Besorgnis der Leistungsverweigerung durch den Schuldner ermöglichen. Die Prüfung der Fälligkeit des Anspruchs bleibt demzufolge der Vollstreckung vorbehalten.387 Dabei hat der Gesetzgeber auf eine vorgelagerte Prüfung im Klauselverfahren offensichtlich deshalb verzichtet, weil die Prüfung des Eintritts des Kalendertages dem Vollstreckungsorgan auch nach Ansicht des Gesetzgebers keine Schwierigkeiten bereitet. Sie kann allein anhand eines Kalenders vorgenommen werden.388 Anders stellt sich dies im Rahmen etwaiger Bedingungen dar. Hier bewog das Misstrauen gegenüber der Prüfungskompetenz des Gerichtsvollziehers den Gesetzgeber dazu, die Prüfung in das Klauselverfahren auszulagern.389 Allein dieser Umstand vermag die gesetzliche Differenzierung zwischen Befristungen und Bedingungen zu erklären. Dagegen hat sich aber schon an früherer Stelle gezeigt, dass das Misstrauen des Gesetzgebers zumindest heutzutage unbegründet
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Darauf ist bereits hingewiesen worden., s.o. § 11 IV 4 b bb. Eine Durchbrechung von der Regelung des § 751 Abs. 1 ZPO gestattet die Vorschrift des § 850 d Abs. 3 ZPO, die die Vorratspfändung von Arbeitseinkommen zulässt. Ausführlich dazu Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I 3 b. 386 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 751, Rdnr. 3. 387 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 22 I 3 a. 388 In allen anderen Fällen, in denen der Beginn einer Frist nicht allein anhand eines Kalenders ermittelt werden kann, gilt grundsätzlich § 726 ZPO. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 751, Rdnr. 2, begründet dies damit, dass die in diesen Fällen erforderlichen Prozessakten dem Vollstreckungsorgan in der Regel nicht zur Verfügung stehen. Dieses Kriterium hat sich jedoch bereits bei der Analyse des Klauselverfahrens als wenig sinnvoll erwiesen, s.o. § 12 III 1. 389 S.o. § 12 V 4 c. 385
§ 14 Die besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
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ist390 und daher auch die Differenzierung zwischen Klausel- und Vollstreckungsverfahren unnötig erscheint.391
III. Der Nachweis von Sicherheitsleistungen Eine Besonderheit ergibt sich im Rahmen des § 751 Abs. 2 ZPO, der den Nachweis einer Sicherheitsleistung verlangt für den Fall, dass das noch nicht rechtskräftige Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vollstreckbar ist. Es handelt sich – ebenso wie im Rahmen des § 726 Abs. 1 ZPO – um den Nachweis des Eintritts einer vom Gläubiger zu beweisenden Bedingung.392 Die unterschiedliche Abschichtung der Prüfung im Klausel- und Vollstreckungsverfahren lässt sich auch hier nur anhand des Misstrauens des Gesetzgebers gegenüber der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans erklären. Der Nachweis einer Sicherheitsleistung scheint leichter nachprüfbar zu sein, da es sich stets um dieselben Urkunden handelt, die vorgelegt werden müssen. Im Falle der gerichtlichen Hinterlegung handelt es sich um den Hinterlegungsschein. Im Übrigen ist der urkundliche Nachweis für eine Bankbürgschaft oder ähnliche Sicherheit zu erbringen. Diese Prüfung traut der Gesetzgeber offensichtlich dem Gerichtsvollzieher zu, weshalb er in diesem Bereich auf eine Auslagerung in das Klauselverfahren verzichtet hat. Die einzige Besonderheit des § 751 Abs. 2 ZPO gegenüber den sonstigen formalisierten Vollstreckungstatbeständen besteht darin, dass die in § 751 Abs. 2 ZPO angesprochene Bedingung in Form der Sicherheitsleistung ihren Ursprung nicht im materiellen Recht, sondern allein im Verfahrensrecht hat.393 Die Bestimmungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit entsprechen den verwaltungsrechtlichen Bestimmungen zur Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten, §§ 80, 80 a, 80 b VwGO.394 Äußerlich kommt dieser verfahrensrechtliche Ursprung darin zum Ausdruck, dass im Urteilstenor ein gesonderter Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt. Dieser ist deshalb erforderlich, weil der eigentliche Urteilstenor nur die Feststellung des materiell-rechtlichen Anspruchs zum Inhalt 390 Anders hingegen bei den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, namentlich den Zugum-Zug-Einreden, Schilken, AcP 1981, 355 (361 ff.), der dem Gerichtsvollzieher im Hinblick auf die Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren eine materielle Rechtsprüfung versagen möchte. Dem widerspricht es, wenn Schilken, AcP 1981, 355 (367), als tauglichen Rechtsbehelf zur Einleitung der notwendigen richterlichen Prüfung die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO vorschlägt. Diese beschränkt sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme, setzt also gerade eine Prüfungskompetenz des Gerichtsvollziehers voraus. Zutreffender dürfte daher der gleichfalls von Schilken, AcP 1981, 355 (364), gewählte Ansatz sein, dass eine Beweisaufnahme dem Richter vorbehalten ist. Hier sind die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Formalisierungsprinzips angesprochen, s.o. § 5 V 3. 391 S.o. § 12 V 5. 392 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 751, Rdnr. 7. 393 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 751, Rdnr. 7, formuliert dies wie folgt: „Die Sicherheitsleistung des Gläubigers bildet lediglich eine Bedingung der Vollstreckung, nicht des Anspruchs.“ 394 Darauf ist bereits an früherer Stelle hingewiesen worden, s.o. § 11 IV 4 b cc und dd.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
hat.395 Die sich anschließende Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht allein mit Rücksicht auf die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der Anfechtung des Urteils. Da deren Ursprung nicht im materiellen Recht zu suchen ist, bedarf es eines gesonderten Ausspruchs, der nur die verfahrensrechtliche Komponente des eigentlichen Urteilstenors, d.h. nur den Grundverwaltungsakt und dessen Vollziehbarkeit betrifft. Methodisch handelt es sich um die Konstruktion einer aufschiebenden Bedingung, deren Eintritt vom Gläubiger zu beweisen ist. Die Bedingung ihrerseits unterliegt einer Befristung, da sie nur bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils bzw. der Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes Geltung entfaltet. Damit schließt sich der Kreis zum qualifizierten Klauselverfahren gemäß § 726 Abs. 1 ZPO. Nicht anders als dort geht es auch bei § 751 Abs. 1 ZPO um den formalisierten Nachweis des Eintritts einer vom Gläubiger zu beweisenden Bedingung durch die Vorlage öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden. Der unterschiedliche Ursprung dieser Bedingungen, einerseits im materiellen Recht, andererseits im Verfahrensrecht, hat für die Prüfung keine Bedeutung, weshalb sich auch unter diesem Aspekt keine Bedenken gegen eine Überleitung des Klauselverfahrens in das Vollstreckungsverfahren ergeben.
IV. Parallele der §§ 756, 765 ZPO zum qualifizierten Klauselverfahren Die Bestimmungen der §§ 756, 765 ZPO weisen mehrere Bezugsstellen im Vollstreckungsrecht auf. So hat sich gezeigt, dass diese Vorschriften in unmittelbarem Zusammenhang mit dem qualifizierten Klauselverfahren gemäß § 726 Abs. 2 ZPO stehen. Letzteres ist nur ein Spielball der besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, auf den bei einer Reform des § 894 Abs. 1 S. 2 ZPO gänzlich verzichtet werden könnte.396 Entsprechendes gilt für das qualifizierte Zustellungserfordernis gemäß § 750 Abs. 2 ZPO, das sich in den Vorschriften der §§ 756, 765 ZPO wiederfindet. Daneben hat sich gezeigt, dass auch das „Rechtsbehelfssystem“ in beiden Fällen identisch ausgeformt ist. Im Streitfall ist jeweils eine Feststellungsklage geboten, um den Zeitpunkt der Erfüllung oder des Annahmeverzugs gerichtlich bewerten zu lassen. Summa summarum entpuppen sich damit die Vorschriften der §§ 756, 765 ZPO als „gewöhnliche“ Vollstreckungstatbestände, die es dem Vollstreckungsorgan in formalisierter Form ermöglichen, dem zivilrechtlichen Kriterium der „Zug-um-Zug-Einrede“ Rechnung tragen zu können.397 Es besteht folglich keine Veranlassung, diese Vollstreckungsvorausset395 Der zeitgleich ergehende Grundverwaltungsakt bedarf wegen seines identischen Inhalts keines gesonderten Ausspruchs mehr. Dieser kommt allein in der Formulierung der „Verurteilung“ zum Ausdruck, s.o. § 11 IV 3 d. 396 S.o. § 12 V 3 b. 397 Auf das Erfordernis einer besonderen Abstimmung mit dem materiellen Recht weist Arnold, in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 430 (431), hin. Näher zu den einzelnen Fallkonstellationen, insbesondere zu der Neuregelung des § 756 Abs. 2 ZPO, Goebel, KTS 1995, 143 (147, 166 ff.,182 ff.). Auf die besonderen Probleme im Zusammenhang mit der Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der anzubietenden Gegenleistung hat schon Schilken, AcP 1981, 355 (362 ff.), detailliert hingewiesen.
§ 15 Die Vollstreckungshindernisse
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zungen als „besondere“ einzustufen. Die „Besonderheit“ besteht allein darin, dass das betroffene zivilrechtliche Merkmal nicht in jedem Vollstreckungsfall relevant wird.
§ 15 Die Vollstreckungshindernisse I. Das Konglomerat der §§ 775, 776 ZPO Während sich die Voraussetzungen für die Vollstreckung verstreut über das achte Buch der Zivilprozessordnung wiederfinden, sind die denkbaren Vollstreckungshindernisse katalogartig in § 775 ZPO zusammengefasst. Man spricht dabei mitunter von den negativen Vollstreckungsvoraussetzungen, weil die Voraussetzungen des § 775 ZPO nicht erfüllt sein dürfen, um mit der Vollstreckung beginnen zu können. Dieser Wechsel des Vorzeichens entspricht materiell-rechtlich dem allgemeinen Anspruchsaufbau, in dem zunächst die anspruchsbegründenden Voraussetzungen und sodann die Einwendungen und Einreden des Schuldners zu erörtern sind. Diese Parallele ist kein Zufall, da sich gezeigt hat, dass die materiell-rechtlichen Gegebenheiten im Vollstreckungsrecht ihr Gegenstück finden, wenn auch nur in formalisierter Form. Die dabei auftretende Abstufungen der Formalisierung398 findet sich im Rahmen der Vollstreckungshindernisse wieder. Eine Differenzierung zwischen den Katalogtatbeständen des § 775 ZPO tut daher Not. 1. Unterteilung der Katalogtatbestände entsprechend den drei Stufen der Formalisierung Spiegelbildlich zu den vom Gläubiger nachzuweisenden allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen fasst die Vorschrift des § 775 ZPO die vom Schuldner nachzuweisenden Vollstreckungshindernisse zusammen. Dabei ist auf der ersten Stufe der Formalisierung die Möglichkeit der einvernehmlichen Einigung der Parteien über eine materiell-rechtliche Einwendung oder Einrede vom Gesetzgeber wohl als selbstverständlich unterstellt worden. Denn für eine Freigabeerklärung des Gläubigers ist keine ausdrückliche Regelung getroffen worden. Hier gelten die §§ 775, 776 ZPO analog.399 Auf der zweiten Stufe der Formalisierung sind die Nummern 1 und 2 des § 775 ZPO gesondert zu untersuchen. Sie gewährleisten die Beachtung zivilgerichtlicher Entscheidungen und bilden damit die Schnittstelle zwischen materiellem Zivilrecht und öffentlich-rechtlichem Vollstreckungsrecht. Davon abzugrenzen sind die Nummern 4 und 5 des § 775 ZPO, die für den Schuldner formalisierte Vermutungstatbestände auf der dritten Stufe der Formalisierung bereithalten. In398 399
S.o. § 5 IV bis VII. S. dazu noch näher unter VI.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
halt dieser Regelungen sind die materiell-rechtlichen Erfüllungstatbestände als Prototypen denkbarer Einwendungen des Schuldners. 2. Differenzierung zwischen Aufhebung und Einstellung der Zwangsvollstreckung Die Vorschrift des § 775 ZPO ordnet als Rechtsfolge die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung an, ohne dass zwischen den einzelnen Katalogtatbeständen differenziert wird. Dieses Versäumnis holt die Regelung des § 776 ZPO nach, indem sie für die Nummern 1 und 3 des § 775 ZPO eine Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen anordnet und es ansonsten bei der Einstellung der Vollstreckung belässt. Dieser Dualismus ergibt sich zwangsläufig aus der unterschiedlichen Verbindlichkeit der formalisierten Vollstreckungstatbestände.400 So handelt es sich bei den formalisierten Vermutungstatbeständen im Rahmen der Erfüllung um Regelungen, die dem Vollstreckungsorgan lediglich eine rasche Entscheidung ermöglichen sollen, ohne den Gläubiger aber der Möglichkeit der abschließenden gerichtlichen Überprüfung zu berauben. Folge hiervon ist, dass zunächst nur eine Einstellung der Vollstreckung erfolgt. Liegt hingegen im Rahmen des § 775 Nr. 1 ZPO eine abschließende gerichtliche Entscheidung vor, so sind die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben, da keine Gefahr besteht, der Gläubiger könnte infolge des Verlustes seines Pfändungspfandrechts und damit seines Vorrangs vor anderen Gläubigern irreparable Schäden erleiden. Entsprechendes gilt im Falle des § 775 Nr. 3 ZPO, soweit der Schuldner ausreichende Sicherheit geleistet hat.
II. Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen gemäß §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO Die Vorschrift des § 775 Nr. 1 ZPO bündelt eine Fülle von vollstreckungshindernden Entscheidungen. Zusammengefasst werden die Fälle der Aufhebung des Titels, der Unzulässigerklärung der Vollstreckung sowie der Anordnung ihrer Einstellung. Es werden also gleichsam die materiellen wie die formellen Rechtsbehelfe des Vollstreckungsrechts erfasst. Um eine Aussage über die Zweckmäßigkeit dieser Bündelung treffen zu können, ist zunächst eine differenzierende Analyse vorzunehmen. 1. Die Schnittstelle für materiell-rechtliche Einwendungen Die materiellen Rechtsbehelfe, die ihre Wurzel in dem zu vollstreckenden Rechtsverhältnis haben, bedürfen ihrerseits einer weitergehenden Unterscheidung. § 775 Nr. 1 ZPO erfasst sowohl die Fälle der Aufhebung des Titels im 400 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 776, Rdnr. 1, spricht von einer Abstufung der zulässigen Maßnahmen, die zwecks Rechtssicherheit genau beachtet werden müsse.
§ 15 Die Vollstreckungshindernisse
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Rechtsmittelverfahren, d.h. im Erkenntnisverfahren, als auch die eigentlichen vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe der Vollstreckungsabwehrklage und der Interventionsklage. a) Die Aufhebung des Urteils im Rechtsmittelverfahren Dreh- und Angelpunkt jeglicher Vollstreckung ist der Vollstreckungstitel. Handelt es sich dabei um ein vorläufig vollstreckbares Urteil aus erster Instanz, so kann dieses im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden. Legt der Schuldner im Folgenden dem Vollstreckungsorgan eine vollstreckbare Ausfertigung des Berufungs- oder Revisionsurteils vor, so ist die Vollstreckung gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen. Vollstreckungsmaßnahmen sind gemäß § 776 S. 1 ZPO aufzuheben. Es stellt sich damit die Frage, wie dieser vollstreckungsrechtliche Vorgang dogmatisch zu bewerten ist. aa) Die Vollstreckungsmaßnahme als Gegenstand der §§ 775, 776 ZPO Versteht man die Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren, so entpuppt sich die konkrete Vollstreckungsmaßregel als einfacher Verwaltungsakt. Es handelt sich im Sinne des § 35 VwVfG um eine Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen. Basis für diesen ausführenden Verwaltungsakt ist nicht anders als im Verwaltungsvollstreckungsrecht der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt, der dem Leistungsurteil innewohnt. Wird dieser im gerichtlichen Erkenntnisverfahren in der nächsthöheren Instanz aufgehoben, so entfällt damit die Legitimation für die Vollstreckung. Es bedarf daher einer Schnittstelle im Vollstreckungsrecht, die dieser Veränderung Rechnung trägt. Denn der Wegfall des Grundverwaltungsaktes führt noch nicht eo ipso zur Erledigung der Vollstreckungsmaßnahmen. Diese müssen gesondert aufgehoben bzw. rückgängig gemacht werden. Diesen Zweck verfolgen die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO. Sie erlegen dem Vollstreckungsorgan als Erlassbehörde zugleich die Verpflichtung zur Aufhebung auf, soweit der Titel nachträglich entfällt. Das Rechtsmittelgericht kann eine solche Aufhebung nicht anordnen, da es seine Kompetenzen als Organ der Rechtsprechung durch einen derartigen exekutiven Akt überschreiten würde.401 Die Legitimation dafür, dass es den im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Grundverwaltungsakt aufheben darf, ergibt sich hingegen aus denselben Überlegungen, die auch das Untergericht zum Erlass des Grundverwaltungsaktes berechtigen. Aufgrund der Sachnähe zur gerichtlichen Feststellung ist ausnahmsweise eine Durchbrechung der Gewaltenteilung gerechtfertigt.402 Damit bleibt im ersten Schritt festzuhalten, dass Gegenstand der §§ 775, 776 ZPO die konkrete Vollstreckungsmaßregel in Form eines Verwal401 Mit anderen Worten bedarf es der gesonderten Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen durch das zuständige Vollstreckungsorgan, Münzberg, in: Stein/Jonas, § 776, Rdnr. 2; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, Einleitung zu § 45 und § 45 I 2. 402 S.o. § 11 IV 3 c.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
tungsaktes ist,403 während die Aufhebung des Grundverwaltungsaktes sich im gerichtlichen Erkenntnisverfahren vollzieht. bb) Die formalisierte Trennlinie zwischen Schuld- und Vollstreckungsverhältnis Im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung aus einem noch nicht bestandskräftigen Grundverwaltungsakt ist nach h. M. die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes zugleich Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen.404 Die Erlassbehörde, die zugleich auch die Vollstreckung betreibt, trägt das volle Risiko der Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsaktes. Sie muss auch in der Vollstreckung noch Sorge für die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes tragen. Die Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsaktes schlägt gleichsam auf die Vollstreckungsmaßnahme durch. Diese ist bei Rechtswidrigkeit des Grundverwaltungsaktes selbst von Anfang an rechtswidrig, was zu der Konsequenz führt, dass der betroffene Adressat gegen beide Verwaltungsakte die Anfechtungsklage zu erheben hat. Dies alles ist Auswuchs der viel kritisierten Selbstvollstreckung in der Verwaltung.405 In der Zwangsvollstreckung besteht der grundlegende Unterschied, dass der Erlass des Titels und dessen Vollstreckung nicht in einer Hand liegen, sondern sauber getrennt sind. Es gibt keine Selbstvollstreckung. Dies führt im Rahmen der Formalisierung zu der Konsequenz, dass das Vollstreckungsorgan die Rechtmäßigkeit des Titels auch dann nicht zu prüfen hat, wenn der Titel nur vorläufig vollstreckbar ist. Im Gegenteil ist dem Vollstreckungsorgan aufgrund der Formalisierung eine Überprüfung des Titels auf seine Rechtmäßigkeit versagt. Demzufolge sind die aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Titels ergehenden Maßnahmen auch dann rechtmäßig, wenn der Titel im Nachhinein im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird. Darin kommt die klare Trennung zwischen dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis und dem Vollstreckungsverhältnis zum Ausdruck. Das bedeutet aber auch, dass es im Zwangsvollstreckungsrecht zwingend einer Schnittstelle bedarf, die der nachträglichen Aufhebung des Titels Rechnung trägt. Denn anderenfalls hätten das Vollstreckungsorgan und der Schuldner keine Möglichkeit, die Aufhebung der (ursprünglich) rechtmäßig ergangenen Vollstreckungsmaßnahme herbeizuführen. Diese Lücke füllen die §§ 775, 776 ZPO aus. Die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO garantieren eine klare Grenzziehung zwischen dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis und dem Vollstreckungsverhältnis. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die unterschiedlichen Regelungsmaterien als auch in personeller Hinsicht. Die Gewaltenteilung behält die verbindliche 403 Erst die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme im Rahmen der §§ 775, 776 ZPO beseitigt die Wirkungen der Zwangsvollstreckung und führt insbesondere zur Aufhebung des Pfändungspfandrechts, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 45 II 1. 404 Nach Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes kommt es hingegen auf dessen Rechtmäßigkeit nicht mehr an, App/Wettlaufer, S. 47 f. 405 S.o. § 10.
§ 15 Die Vollstreckungshindernisse
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Bewertung von Streitfragen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis den Gerichten vor, während die exekutive Tätigkeit der Vollstreckung den Behörden überantwortet ist. Die Bewahrung dieser Grundsätze wird im Rahmen der §§ 775, 776 ZPO schlicht dadurch erreicht, dass sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen unter den Vorbehalt der Vorlage einer (abweichenden) gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Die Bindung an eine solche Entscheidung macht eine eigene materiell-rechtliche Prüfung des Vollstreckungsorgans entbehrlich, weshalb auch insoweit dem Formalisierungsgedanken Rechnung getragen wird.406 cc) Die zeitliche Dynamik der §§ 775, 776 ZPO Die §§ 775, 776 ZPO berücksichtigen zugleich das zeitliche Moment, das sich mit der Auslagerung der gerichtlichen Entscheidungen aus der Zwangsvollstreckung ergibt. Indem dem Vollstreckungsorgan einerseits eine Prüfung materiell-rechtlicher Fragen untersagt wird bzw. nur formalisiert gestattet wird, andererseits ihm aber im Vorfeld einer (rechtskräftigen) gerichtlichen Klärung die Befugnis zur Vollstreckung aufgrund einer bloß formalisierten Prüfung eingeräumt wird, ergibt sich die Notwendigkeit eines zeitlichen Vorbehalts hinsichtlich der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen. Dieser Vorbehalt der §§ 775, 776 ZPO nimmt den Vollstreckungsmaßnahmen nicht ihre Rechtmäßigkeit, sondern stellt lediglich ihre dauerhafte Verbindlichkeit unter den Vorbehalt einer abschließenden gerichtlichen Klärung, sofern eine Partei diese Klärung wünscht. Die Vollstreckungsmaßnahmen gewinnen damit den Charakter eines Provisoriums. Dies lässt sich angesichts des Zeitaufwandes der gerichtlichen Erkenntnisverfahren nicht vermeiden. Wollte man dessen Abschluss erst abwarten, so müsste man die gesamte Vollstreckung in Frage stellen. Umgekehrt ermöglichen die bis zum Erlass einer gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Vermutungstatbestände eine effektive Vollstreckung. Im Anschluss verlieren sie hingegen ihre Bedeutung. Der Schuldner hat es in der Hand, durch die sofortige Vorlage der gerichtlichen Entscheidung eine Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen zu bewirken. Die Vorbehaltswirkung der §§ 775, 776 ZPO gewährleistet demzufolge eine größtmögliche zeitliche Dynamik. dd) §§ 775, 776 ZPO als leges speciales zu § 49 VwVfG Liegt im Falle des § 775 Nr. 1 ZPO eine vollstreckbare Entscheidung des Berufungsurteils vor, so sind die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßregeln gemäß § 776 S. 1 ZPO aufzuheben. Die Aufhebung stellt gleichsam die Vollstreckung des Berufungsurteils dar und unterliegt ihrerseits den Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung. Es muss insbesondere eine vollstreckbare Ausfertigung vorliegen und eine Sicherheitsleistung gemäß § 751 Abs. 2 ZPO nachgewiesen sein, sofern das Urteil nicht schon rechtskräftig ist. Die sodann erfolgende „Auf406 Kirberger, Rpfleger 1976, 8 (9), hält eine Vorlage der Entscheidung für entbehrlich, soweit das Vollstreckungsorgan positive Kenntnis von der Entscheidung hat. Eine Amtsermittlungspflicht besteht hingegen nicht.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
hebung“ beinhaltet beispielsweise die Abnahme des Pfandsiegels oder die Aufhebung eines Pfändungsbeschlusses.407 Wie ist dieser Vorgang nun dogmatisch zu bewerten? Da es sich bei den Vollstreckungsmaßnahmen um Verwaltungsakte handelt, ermöglicht das allgemeine Verwaltungsrecht eine dogmatische Zuordnung in bekanntem Fahrwasser. Die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen stellt sich als Sonderfall der §§ 48 ff. VwVfG dar. Diese Vorschriften regeln die Voraussetzungen, unter denen ein Verwaltungsakt von der Erlassbehörde im Nachhinein wieder aufgehoben werden darf. Diese Aufhebung vollzieht sich in zwei Stufen, sofern auf der Grundlage des Verwaltungsaktes bereits Leistungen erbracht worden sind. Diese sind dann im Rahmen von öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüchen408 oder Folgenbeseitigungsansprüchen409 rückabzuwickeln. Nicht anders stellt sich die Situation im Rahmen der §§ 775, 776 ZPO dar. Die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme umfasst hier ebenfalls eine Rückabwicklung, sofern das Vollstreckungsorgan bereits Gegenstände des Schuldners in Gewahrsam genommen hat. Sind die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO damit vielleicht entbehrlich? Gäbe es die Regelungen der §§ 775, 776 ZPO nicht, so käme bei Vorlage einer das Leistungsurteil revidierenden Rechtsmittelentscheidung eine Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 49 Abs. 1 VwVfG in Betracht. Danach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, sofern nicht ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Diese Voraussetzungen sind im Falle des klageabweisenden Berufungsurteils zu bejahen. Die Vollstreckungsmaßnahmen sind aufgrund des ursprünglichen Leistungsurteils rechtmäßig ergangen, da das Vollstreckungsorgan die Rechtmäßigkeit des Urteils nicht überprüfen darf. Hindernisse für einen späteren Widerruf sind nicht ersichtlich. Diese ergeben sich insbesondere nicht aus Sicht des Schuldners, da es sich bei der Vollstreckungsmaßnahme um einen belastenden Verwaltungsakt handelt, dessen Widerruf nur im Interesse des Schuldners liegen kann. Umgekehrt könnten sich gegen den Widerruf aus Sicht des Gläubigers Bedenken ergeben. Denn die Vollstreckungsmaßnahme stellt sich aus seiner Sicht als begünstigender Verwaltungsakt dar, dessen Erlass auf den Antrag des Gläubigers zurückzuführen ist. Aufgrund des Gewaltmonopols trifft das Vollstreckungsorgan die Verpflichtung, die notwendigen Vollstreckungsmaßnahmen zu treffen, um die Durchsetzung des Gläubigeranspruchs zu gewährleisten. Der Gläubiger ist damit nicht etwa nur Drittbetroffener, sondern selbst unmittelbarer Adressat 407
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 776, Rdnr. 3; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 45 II 3. Gesetzliche Ausprägung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist u.a. die Vorschrift des § 49 a VwVfG, die für die Behörden eine Rückerstattungspflicht zu Unrecht eingezogener Leistungen vorsieht. 409 Der Folgenbeseitigungsanspruch ist gewohnheitsrechtlich im Rückgriff auf die Grundrechte entwickelt worden, die den Staat verpflichten, die Rechtfolgen eines rechtswidrigen Eingriffs zu beseitigen, Maurer, § 29, Rdnr. 5. 408
§ 15 Die Vollstreckungshindernisse
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des Verwaltungsaktes, der ihn begünstigt. Insoweit kommen die Schutzmechanismen des § 49 Abs. 2 VwVfG zum Tragen, die sich unter dem Gedanken des Vertrauensschutzes zusammenfassen lassen.410 Der Widerruf des Verwaltungsaktes unterliegt mithin dem strengen Kriterienkatalog des § 49 Abs. 2 VwVfG. Bereits die Regelung des § 49 Abs. 2 Nr. 1, 1. Fall VwVfG eröffnet aber auch hier eine sachgerechte Lösung. Danach ist der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes zulässig, sofern der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine derartige Rechtsvorschrift bilden die Regelungen der §§ 775, 776 ZPO, die unter den dort genannten Voraussetzungen die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen zulassen. Im Ergebnis handelt es sich damit bei diesen Vorschriften um Spezialtatbestände des § 49 VwVfG. Der zeitliche Vorbehalt, dem die Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der Formalisierung der Vollstreckung unterliegen, stellt nichts anderes dar als einen Sonderfall des § 49 Abs. 2 Nr. 1, 1. Fall VwVfG. ee) §§ 775, 776 ZPO als subjektives öffentliches Recht Die Parallele zwischen den Vollstreckungshindernissen und den Widerrufsregelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts bestätigt, dass es sich bei dem Vollstreckungsverfahren im Kern um ein allgemeines Verwaltungsverfahren handelt. Die §§ 775, 776 ZPO stellen also ebenfalls öffentlich-rechtliche Verwaltungsvorschriften dar. Die Parallele zu den §§ 48, 49 VwVfG leitet zu der Fragestellung über, ob die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen der §§ 775, 776 ZPO, die sich vornehmlich an das Vollstreckungsorgan richten, zugleich dem Adressaten ein subjektives Recht einräumen. Darunter sind solche Rechte zu verstehen, die nicht nur dem Schutze der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind, sondern zumindest auch dem Schutz des Individuums.411 Die soeben aufgeworfene Frage wird im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG recht kontrovers erörtert. Das hängt insbesondere damit zusammen, dass die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG der Behörde einen Ermessensspielraum gewähren.412 Dieser Ermessensspielraum ist im Bereich der §§ 775, 776 ZPO ausgeschlossen, die die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend anordnen.413 Der Grund für das Fehlen jeglichen Ermessensspielraums ist in der Zweckbestimmung der staatlichen Vollstreckung zu sehen, deren Existenzberechtigung sich allein aus dem staatlichen Gewaltmonopol ableitet. Da es bei der Zwangsvollstreckung nicht um die Geltendmachung 410
Kopp/Ramsauer, § 49, Rdnr. 30. Kopp/Ramsauer, Einf., Rdnr. 71. 412 Nach h. M. hat der Bürger daher keinen Anspruch auf Rücknahme eines fehlerhaften Verwaltungsaktes, sondern lediglich ein subjektives Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde. So auch Kopp/Ramsauer, § 48, Rdnr. 51 m.w.N. Dieser Anspruch kann sich bei einer Ermessensreduzierung auf Null auf einen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes verdichten, Maurer, JuS 1976, 485 (493). Uneingeschränkt für einen Nachprüfungs- und Aufhebungsanspruch plädierte Maurer noch in DÖV 1966, 477 (488 f.). 413 Ebenso Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 45 I 2. 411
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
staatlicher Ansprüche geht, steht dem Vollstreckungsorgan kein eigener Ermessenspielraum zu, soweit es um die Bewertung von Rechtsfragen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis geht. Damit wird deutlich, dass die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO vorwiegend dem Interesse der Parteien dienen und nicht so sehr den Interessen der staatlichen Vollstreckungsorgane. In der weiteren Folge ist daraus abzuleiten, dass es sich bei den Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO um subjektive öffentliche Rechte der Betroffenen handelt. Der Schuldner kann demzufolge im Falle der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO bei Vorlage eines klageabweisenden Berufungsurteils das Vollstreckungsorgan darauf in Anspruch nehmen, getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Dabei handelt es sich nicht um eine Anfechtungssituation, sondern um eine Verpflichtungssituation, da die §§ 775, 776 ZPO der Vollstreckungsmaßnahme nicht rückwirkend ihre Rechtmäßigkeit nehmen. Liegt die gerichtliche Entscheidung hingegen bereits anfänglich vor und wird vom Vollstreckungsorgan nicht berücksichtigt, so ist die Vollstreckungsmaßnahme rechtswidrig und entsprechend anzufechten. Anders als im Verwaltungsrecht nimmt das Vollstreckungsrecht diesbezüglich keine Differenzierung vor. In beiden Situationen hat der Schuldner seine Rechte im Verweigerungsfall im Wege der Vollstreckungserinnerung geltend zu machen.414 b) Die Erledigung im Falle der Vollstreckungsabwehrklage § 775 Nr. 1 ZPO erfasst nicht nur die Fälle der klageabweisenden Berufungsurteile, sondern auch diejenigen Fälle, in denen die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wird. Darunter sind insbesondere die erfolgreichen Vollstreckungsabwehrklagen zu verstehen, die in diesem Sinne tenoriert werden. aa) Unterschiede zu den Fällen der Aufhebung des Urteils Im Unterschied zur Aufhebung des zu vollstreckenden Urteils führen die im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemachten Einwendungen lediglich zur Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung.415 Musterbeispiel hierfür ist die nachträgliche Erfüllung des titulierten Anspruchs. Hier steht nicht der titulierte Anspruch und die Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Urteils in Streit, weswegen das zu vollstreckende Urteil aufzuheben wäre, sondern lediglich dessen weiterer Bestand. Daraus erklären sich die unterschiedlichen Tenorierungen des Berufungsurteils und des Urteils im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage. Bezogen auf den im Leistungsurteil enthaltenen Grundverwaltungsakt bedeutet dies, dass bei der Vollstreckungsabwehrklage ein Fall der Erledigung vorliegt. Der Verwaltungsakt entfaltet infolge der Erfüllung keine Rechtswirkungen mehr. Im Falle der Berufung erfolgt hingegen eine rückwirkende Aufhebung im Sinne einer völligen Beseitigung. 414 S. noch ausführlich zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der Vollstrekkungserinnerung und der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage unter § 27 II und III. 415 Im sechsten Teil der Untersuchung wird noch zu zeigen sein, dass sich hinter der sogenannten Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung die bloße Feststellung verbirgt, dass der titulierte Anspruch nicht (mehr) besteht, s.u. § 30 IV.
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bb) Gemeinsamkeiten Der soeben aufgezeigte Unterschied betrifft die Ebene des Erkenntnisverfahrens, in dem die Rechtsmittel wie die Vollstreckungsabwehrklage abzuhandeln sind. Auf der vollstreckungsrechtlichen Ebene überwiegen demgegenüber die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden in § 775 Nr. 1 ZPO geregelten Fällen. Nicht anders als im Falle der nachträglichen Klageabweisung steht das Leistungsurteil auch im Falle der Vollstreckungsabwehrklage unter dem ständigen Vorbehalt der nachträglichen Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung, aus der sich ergibt, dass der titulierte Anspruch nicht mehr besteht. Es macht keinen Unterschied, ob die später vorgelegte gerichtliche Feststellung des Nichtbestehens des titulierten Anspruchs auf einer anfänglichen rechtsfehlerhaften Feststellung durch das Gericht erster Instanz oder auf einer nachträglichen tatsächlichen Feststellung zum Eintritt einer Einwendung gegen den titulierten Anspruch beruht. Maßgeblich für die Schnittstelle zwischen gerichtlichem Erkenntnisverfahren und vollstreckungsrechtlichem Verwaltungsverfahren ist allein die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung, die von den bisherigen Entscheidungsgrundlagen des Vollstreckungsorgans abweicht. Es ist daher sachgerecht, diese Fälle in der Vorschrift des § 775 Nr. 1 ZPO zusammenzufassen. Für die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen ist es ohne Belang, ob der zu vollstreckende Anspruch anfänglich gar nicht bestanden hat oder erst nachträglich untergegangen ist. Maßgeblich für die vollstreckungsrechtliche Bewertung ist allein der Umstand, dass der Anspruch im Zeitpunkt der Vorlage der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) besteht und die Vollstreckungsmaßnahme demzufolge zu Unrecht (fort)besteht. Dass zwischen den Fällen des klageabweisenden Berufungsurteils und der Vollstreckungsabwehrklage keine Differenzierung vorzunehmen ist, unterstreicht abschließend auch folgende Überlegung. Tritt die materielle Einwendung seitens des Schuldners noch während des Ablaufs der Berufungsfrist ein, so hat der Schuldner die freie Wahl, ob er diese Einwendung im Berufungsverfahren geltend macht oder aber die gesonderte Vollstreckungsabwehrklage erhebt.416 Denn auch im Berufungsverfahren ist eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts in Rechnung zu stellen. In der weiteren Folge darf die unterschiedliche Tenorierung der ergehenden Entscheidungen aber keinen Einfluss auf die Vollstreckung haben, da es sich jeweils um dieselbe materiell-rechtliche Einwendung handelt. Die §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO lassen sich daher abstrakt dahingehend formulieren, dass Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind, soweit eine vollstreckbare Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der zu vollstreckende Anspruch nicht (mehr) besteht. c) Ausdehnung des § 775 Nr. 1 ZPO auf die Interventionsklage Neben den Rechtsmittelentscheidungen und den Urteilen im Falle der Vollstreckungsabwehrklage, die jeweils den Bestand des zu vollstreckenden Anspruchs 416
So schon RGZ 40, 352 (354). Ebenso Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnr. 41.
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
zum Inhalt haben, erstreckt sich die Regelung des § 775 Nr. 1 ZPO auf weitere zivilrechtlich relevante Fragestellungen in der Vollstreckung. Eine „Unzulässigerklärung“ der Vollstreckung liegt beispielsweise auch im Falle der Interventionsklage gemäß § 771 ZPO vor. Diese hat die gerichtliche Klärung der dinglichen Rechtsinhaberschaft an einem Gegenstand zum Inhalt, der Objekt einer Vollstreckungsmaßnahme geworden ist. Nicht anders als in den zuvor genannten Fällen unterliegt auch hier die Vollstreckungsmaßnahme dem Vorbehalt der Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung, die von den formalisierten Vermutungstatbeständen abweicht. Die Berechtigung zur Vollstreckung hängt in gleicher Weise von der Frage ab, ob der zu vollstreckende Anspruch besteht, wie von der Frage, ob das Vollstreckungsobjekt zum Vermögen des Schuldners gehört. Ist eine dieser beiden zivilrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so erfolgt die Vollstreckung zu Unrecht und ist demzufolge aufzuheben. Abstrakt gesehen kann § 775 Nr. 1 ZPO daher weitergehend so formuliert werden, dass die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind, sofern eine vollstreckbare Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass eine zivilrechtlich relevante Voraussetzung für die Pfändung nicht (mehr) erfüllt ist. Besonderheiten im Rahmen der Interventionsklage ergeben sich allein aus dem Umstand, dass die Frage der Rechtsinhaberschaft nicht die gesamte Vollstreckung betrifft, sondern lediglich eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass Betroffener der Maßnahme nicht der Schuldner ist, gegen den sich der zu vollstreckende Anspruch richtet, sondern ein Dritter, der Inhaber des Rechts ist, in das konkret vollstreckt wird. Dieser Unterschied hinsichtlich des Geltungsbereichs der jeweils berührten zivilrechtlichen Fragestellung lässt den abstrakten Gedanken des § 775 Nr. 1 ZPO jedoch unberührt, da dieser auf jede Vollstreckungsmaßnahme gesondert anzuwenden ist. Die Regelung des § 776 S. 1 ZPO trägt diesem Umstand mit der Formulierung „die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßregeln aufzuheben“ Rechnung, sofern man diese Formulierung dahingehend konkretisiert, dass unter den „getroffenen Vollstreckungsmaßregeln“ (nur) diejenigen zu verstehen sind, die auf der widerlegten Pfändungsvoraussetzung basieren. d) Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass die §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO dem Formalisierungsgedanken in der Vollstreckung Rechnung tragen, indem sie eine Schnittstelle zum gerichtlichen Erkenntnisverfahren eröffnen. Kommt es im Nachhinein bezüglich einzelner zivilrechtlicher Fragestellungen zu einer gerichtlichen Entscheidung, die von den formalisierten Vermutungstatbeständen abweicht, so ermöglichen die §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO die Aufhebung der zuvor getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen. Nur diese, nicht etwa der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt, sind Gegenstand der §§ 775, 776 ZPO. Es handelt sich dabei um gesetzliche Sondervorschriften zu dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Widerrufstatbestand des § 49 VwVfG. Abstrakt lässt sich diese Regelung dahingehend formulieren, dass Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben
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sind, sofern gerichtliche Entscheidungen vorgelegt werden, die abweichend von den formalisierten Vollstreckungstatbeständen zu einer Verneinung der Vollstreckungsvoraussetzungen führen. Eine derartige Rückkopplung der Zwangsvollstreckung an das zu vollstreckende Schuldverhältnis ist unentbehrlich, will sich das Vollstreckungsrecht nicht dem Vorwurf der Willkür aussetzen. Nur so wird den Parteien eine gerichtliche Klärung zivilrechtlich relevanter Fragestellungen ermöglicht, deren Prüfung den Vollstreckungsorganen untersagt ist. Diese zivilgerichtliche Klärung würde zur Farce, bliebe sie in der Zwangsvollstreckung unberücksichtigt. 2. §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO als Anknüpfungspunkt für formelle Einwendungen? Gemäß § 775 Nr. 1 ZPO ist die Zwangsvollstreckung dann einzustellen oder zu beschränken, wenn eine vollstreckbare Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt ist. Darunter wird auch der Fall der Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO subsumiert.417 Mit anderen Worten wird die Regelung des § 775 Nr. 1 ZPO nicht nur bei der Geltendmachung materieller Einwendungen angewandt, sondern auch im Falle von Einwendungen und Einreden, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betreffen. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Gleichstellung gerechtfertigt ist angesichts des Umstandes, dass der Formalisierungsgedanke hier nicht zum Zuge kommt. Die Beachtung der verfahrensrechtlichen Vollstreckungsvorschriften ist originäre Aufgabe der Vollstreckungsorgane. Ihre Prüfungskompetenz unterliegt keinerlei Einschränkungen, die eine Schnittstelle im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO erfordern würden. a) Vergleich mit der Anfechtungssituation im Verwaltungsrecht Im Falle der Vollstreckungserinnerung geht es um die Anfechtung einer rechtswidrigen Vollstreckungsmaßnahme. Die Rechtswidrigkeit ist darauf zurückzuführen, dass das Vollstreckungsorgan gegen Vorschriften des Vollstreckungsverfahrens verstoßen hat, die es zwingend zu beachten hat. Das Vollstreckungsorgan unterliegt diesbezüglich, was seine Prüfungskompetenz anbelangt, keinerlei Einschränkungen, da die Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsrechts ihren Ursprung in dem staatlichen Gewaltmonopol haben und nicht etwa in dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis. Es handelt sich um originär öffentlich-rechtliche Bestimmungen, die bei Erlass der Vollstreckungsmaßnahme zu beachten sind. Die weitere Feststellung, dass die Vollstreckungsmaßnahmen Verwaltungsakte darstellen, rundet die Überlegungen ab. Denn die Situation der Vollstreckungserinnerung ist nicht anders zu bewerten als die Anfechtung eines Verwaltungsaktes durch Widerspruch und anschließende Anfechtungsklage.418 417 418
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 6. Im Einzelnen dazu im sechsten Teil unter § 27 II.
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Zieht man die Parallele zur Anfechtungssituation im Verwaltungsverfahren, so ergibt sich daraus als Konsequenz, dass die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme bereits im Rahmen der Vollstreckungserinnerung bzw. einer sich anschließenden sofortigen Beschwerde zu erfolgen hat, nicht anders als im Rahmen von Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Das Rechtsbehelfsverfahren unterliegt keinerlei Einschränkungen, was die Befugnis zur Kassation anbelangt, da auch das Vollstreckungsorgan keinerlei Einschränkungen unterliegt. Es gibt keine Veranlassung, aufgrund einer etwaigen Formalisierung die Befugnisse des Vollstreckungsgerichts und der Beschwerdekammer einzuschränken. Einzig eine etwaige Rückabwicklung hat gemäß dem Rechtsgedanken des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO durch die Vollstreckungsorgane selbst zu erfolgen. Die Verpflichtung hierzu spricht aber ebenfalls das überprüfende Gericht aus, so dass es auch diesbezüglich keiner gesonderten Schnittstelle im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO bedürfte. b) Die bedenkliche Verlagerung der Kassation auf das Vollstreckungsorgan Die Überlegungen zur Parallele mit der Anfechtungssituation im Verwaltungsrecht veranschaulichen, dass die vollstreckungsrechtliche Praxis, die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO auf den Ausspruch der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zu beschränken,419 zu einer Verlagerung der Kassationsbefugnis führt. Die Aufhebung erfolgt nicht bereits durch das Vollstreckungsgericht bzw. die Beschwerdekammer, sondern erst im Anschluss durch das Vollstreckungsorgan selbst. Damit vollzieht sich eine Angleichung an die Situation beim Widerruf einer Vollstreckungsmaßnahme infolge materieller Einwendungen, deren Feststellung nachträglich durch die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung nachgewiesen wird. In beiden Fällen bedarf es einer gesonderten Verpflichtung des Vollstreckungsorgans zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen. Der Unterschied, dass es bei den materiellen Einwendungen um eine rechtmäßige, bei der Vollstreckungserinnerung hingegen um eine rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahme geht, ist insoweit ohne Belang. Demzufolge hat es sich für den Gesetzgeber angeboten, beide Fallkonstellationen im Rahmen der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO zusammenzufassen. Dabei muss aber nochmals betont werden, dass es dieser Schnittstellenbildung im Rahmen der Vollstreckungserinnerung nicht bedurft hätte, da Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung die Vollstreckungsmaßnahme als solche ist und diese infolge ihrer Rechtswidrigkeit unmittelbar vom Gericht aufgehoben und eine Verpflichtung des Vollstreckungsorgans zur Folgenbeseitigung ausgesprochen werden könnte. Eine Schnittstellenbildung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO ist allein im Falle der materiell-rechtlichen Einwendungen unvermeidlich, da es diesbezüglich im Rahmen der Formalisierung um die Einbettung materiell-rechtlicher Gegebenheiten aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis in das Vollstreckungsverhältnis geht. Gegen419 So etwa Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 41, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 11, jeweils unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 775 Nr. 1 ZPO.
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stand der zivilgerichtlichen Überprüfung ist allein die Bewertung der Zivilrechtsfragen im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner. Dem Gericht mangelt es insoweit, genauso wie den Prozessparteien, an der Befugnis, in das öffentlichrechtliche Vollstreckungsverhältnis einzugreifen und das Vollstreckungsorgan zur Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen zu veranlassen. Allein diese Lücke schließen die Vorschriften der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO, die die Schnittstelle zwischen dem zivilgerichtlichen Verfahren und dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren bilden. So vorteilhaft sich diese Schnittstelle im Bereich der materiellen Einwendungen erweist, so überflüssig ist sie im Rahmen der formellen Einwendungen. Eine Trennung von materiellen und formellen Einwendungen, die auch sonst im Bereich der Zwangsvollstreckung durchgehalten wird, wäre daher äußerst wünschenswert. Ansatzpunkt dafür könnte eine Reform der Vollstreckungserinnerung sein, deren denkbare Kassationswirkung bislang unterschätzt wird.420 Nur so ist die unnötige Heranziehung der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO im Rahmen der Vollstreckungserinnerung zu erklären.
III. Die einstweilige Einstellung gemäß §§ 775 Nr. 2, 776 S. 2 ZPO Ähnlich wie im Rahmen des § 775 Nr. 1 ZPO ergibt sich auch bei § 775 Nr. 2 ZPO eine grundlegende Zweiteilung der normierten Einstellungstatbestände. Die Vorschrift erfasst sowohl die Fälle der einstweiligen Einstellungsanordnung als auch die Fälle der nachträglichen Anordnung von Sicherheitsleistungen. 1. Vermutungsregeln für den Nichtbestand der titulierten Forderung Die Regelung des § 775 Nr. 2, 1. Fall ZPO erfasst Einstellungstatbestände für die Zwangsvollstreckung im Sinne der §§ 707, 719, 769 ZPO. Die Notwendigkeit derartiger Einstellungsmöglichkeiten ergibt sich aus dem Umstand, dass die Einlegung von Rechtsmitteln noch nicht automatisch zum Stillstand der Zwangsvollstreckung führt.421 Die Zwangsvollstreckung bleibt vielmehr möglich, wenn auch ggf. nur gegen Erbringung einer Sicherheitsleistung. In dieser Situation muss es möglich sein, dass der Schuldner sein Vermögen vor einer unberechtigten Vollstreckung gleichsam im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes schützen kann. Die Situation entspricht spiegelbildlich dem Interesse des Gläubigers an einer möglichst raschen Vollstreckung für den Fall, dass der Schuldner die Vollstreckung vereitelt. Im letzteren Fall steht dem Gläubiger die Möglichkeit des einst420 Dies gilt insbesondere im Vergleich mit der Kassationswirkung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, die einen gesonderten Aufhebungsakt entbehrlich macht. S. dazu näher im sechsten Teil unter § 27 II 4 a. Dort wird zu zeigen sein, dass im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip auch umgekehrt eine Annäherung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage an die Vollstreckungserinnerung denkbar wäre. Es bliebe dann allerdings ein gesonderter Aufhebungsakt erforderlich. 421 Die Möglichkeit zur Zwangsvollstreckung trotz Einlegung eines Rechtsmittels ergibt sich aus den Vorschriften zur vorläufigen Vollstreckbarkeit, §§ 708 ff. ZPO.
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weiligen Rechtsschutzes gemäß den §§ 916 ff., 929 ff. ZPO offen. Diese Tatbestände begründen auf der zweiten Stufe der Formalisierung die Vermutung des Bestandes der Gläubigerforderung und rechtfertigen eine vorzeitige Sicherung des Gläubigers. Aufgrund des Titelerfordernisses genügt hier nicht ein vom Vollstreckungsorgan zu prüfender formalisierter Vermutungstatbestand,422 sondern das Prozessgericht selbst muss eine vorläufige Einschätzung vornehmen und kann diese durch den Mechanismus wechselseitiger Sicherheitsleistungen ergänzen.423 a) Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz des Schuldners Der soeben geschilderten Sicherungsmöglichkeit für den Gläubiger entsprechen aus Schuldnersicht die Tatbestände zur einstweiligen Einstellung der Vollstreckung. Es handelt sich um gesetzliche Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz des Schuldners.424 Diese begründen unter umgekehrtem Vorzeichen die Vermutung des Nichtbestandes der zu vollstreckenden Forderung. Parallel zum Titelerfordernis liegt die Zuständigkeit beim Prozessgericht und nicht etwa beim Vollstreckungsorgan. Ergänzt werden die vom Gericht aufzustellenden Vermutungstatbestände wiederum durch ein ausgeklügeltes System von Sicherungsmechanismen. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es die Einstellung von einer Sicherheitsleistung des Schuldners abhängig macht. Die soeben beschriebene Zweispurigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes entspricht dem System im Verwaltungsrecht. Die vorläufige Vollstreckung, die parallel gemäß §§ 708 ff. ZPO und gemäß § 80 Abs. 2 VwGO zugunsten des Gläubigers möglich ist, kann der Schuldner jeweils durch die Einstellungstatbestände der §§ 707, 719, 769 ZPO und des § 80 Abs. 5 VwGO zum Stillstand bringen, ggf. unter Beibringung einer Sicherheitsleistung. Spiegelbildlich zu dieser Anfechtungssituation aus Schuldnersicht kennt auch das Verwaltungsrecht die Möglichkeit des Gläubigers zum einstweiligen Rechtsschutz, soweit ihm noch kein Titel zur Verfügung steht. Der sich daraus ergebenden Verpflichtungssituation trägt die Vorschrift des § 123 VwGO Rechnung, die den Regelungen der §§ 916 ff., 929 ff. ZPO entspricht.425 b) Die gerichtliche Anordnung und die vollstreckungsrechtliche Einstellung Treffen die Einstellungstatbestände des Vollstreckungsrechts eine Vermutungsregelung für den Nichtbestand der titulierten Forderung auf der zweiten Stufe der Formalisierung, so bedarf es einer weiteren Schnittstelle im Vollstreckungsrecht, die den gerichtlichen Entscheidungen Rechnung trägt. Ansonsten würden diese 422 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 719, Rdnr. 2, weist zutreffend darauf hin, dass allein die Einlegung eines Rechtsmittels nicht einmal einen bloßen Anscheinsbeweis für die Unrichtigkeit der bisherigen Entscheidung begründet. 423 S. dazu schon oben unter § 11 IV 2 a. 424 S.o. § 11 IV 4 b dd. 425 S. zu den Parallelen bereits oben unter § 11 IV 4 b dd.
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Entscheidungen mangels Beachtung durch das Vollstreckungsorgan, das selbst keine Vermutung über den Bestand oder Nichtbestand der titulierten Forderung anstellen darf, ins Leere gehen. Diese Schnittstelle bildet die Regelung des § 775 Nr. 2 ZPO, die das Vollstreckungsorgan verpflichtet, einer derartigen gerichtlichen Entscheidung Folge zu leisten. Nicht anders als im Rahmen der materiellen Einwendungen im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO macht sich dabei auch hier bemerkbar, dass den Gerichten, die eine Entscheidung über das zu vollstreckende Schuldverhältnis treffen, die Kompetenz fehlt, aufgrund dieser Entscheidung zugleich Maßnahmen im Vollstreckungsverhältnis zu treffen.426 Die Maßnahmen der Vollstreckungsorgane sind nicht Gegenstand der Überprüfung der Zivilgerichte, die lediglich über den zu vollstreckenden Anspruch entscheiden. Äußerlich kommt dies auch darin zum Ausdruck, dass die Vollstreckungsorgane an dem Gerichtsverfahren überhaupt nicht beteiligt sind. Genau genommen kann demzufolge das Gericht auch keine Einstellung der Vollstreckung anordnen, sondern lediglich eine Vermutung über den Bestand des Titels aussprechen sowie eine Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen vornehmen. Ausfluss dieser Abwägung ist ein Ausspruch über etwaige Sicherheitsleistungen, die zu erbringen sind. Die Konsequenzen aus dieser Entscheidung hat sodann das Vollstreckungsorgan zu treffen, indem es die Zwangsvollstreckung einstellen muss. Die Verpflichtung hierzu ergibt sich nach den vorgenannten Überlegungen nicht etwa aus dem zivilgerichtlichen Urteil, sondern aus dem gesetzlichen Tatbestand der §§ 775 Nr. 2, 776 S. 2 ZPO. Anders verhält sich die Situation wiederum, soweit es um die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen formeller Rechtsverstöße geht, z.B. im Falle des § 766 Abs. 1 S. 2 ZPO. Ebenso wie im Rahmen des § 775 Nr. 1 ZPO427 bedarf es in diesem Bereich an sich keiner gesonderten Schnittstelle im Vollstreckungsrecht, da das Vollstreckungsverhältnis selbst bereits Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist. Demzufolge kann das angerufene Gericht selbst die Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen, ohne dass es eines gesonderten Umsetzungsaktes durch das Vollstreckungsorgan bedürfte. Der Formalisierungsgedanke kommt nicht zum Tragen, da es nicht um die Prüfung materieller Rechtsfragen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis geht, sondern um etwaige Verstöße des Vollstreckungsorgans gegen Verfahrensvorschriften. c) Die Rechtsfolge des § 776 S. 2 ZPO Im Unterschied zu § 775 Nr. 1 ZPO handelt es sich bei § 775 Nr. 2 ZPO nur um eine vorläufige Entscheidung des Gerichts, die unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache steht. Ein voreilige Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen würde die Gefahr in sich bergen, dass dem Gläubiger ein vorrangiges Pfändungspfandrecht verloren ginge und damit im Falle der Insolvenz des Schuldners ein irreparabler Schaden entstehen könnte. Die Regelungen der 426 427
S.o. II 1 a aa. S.o. II 2.
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§§ 916 ff., 929 ff. ZPO zum einstweiligen Rechtsschutz tragen diesem Gedanken Rechnung, indem sie dem Gläubiger nur die Sicherung seiner Ansprüche ermöglichen, nicht hingegen deren Befriedigung.428 Dieser Konsequenz entspricht es, dass auch im umgekehrten Fall, dass ein Titel bereits vorliegt, der Schuldner aber seinerseits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hiergegen vorgegangen ist und eine Einstellung der Vollstreckung erwirkt hat, eine vergleichbare Rechtsfolge herbeigeführt wird, die den Interessen beider Parteien Rechnung trägt. Die Vorschrift des § 776 S. 2 ZPO ordnet angesichts der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich eine Einstellung der Vollstreckung an, nicht hingegen die sofortige Aufhebung der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen. Damit ist den Interessen des Gläubigers genüge getan. Bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen bleiben unangetastet.429 Umgekehrt wird durch die Einstellung der Vollstreckung eine voreilige Befriedigung des Gläubigers und damit das Risiko unwiderbringlicher Vermögenseinbußen des Schuldners vermieden. Im Ergebnis entspricht dies der Situation im Verwaltungsverfahren, in dem der Betroffene im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO nur die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs erwirken kann, nicht hingegen eine der Hauptsacheentscheidung vorgreifende Aufhebung des ihn belastenden Verwaltungsaktes (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). 2. Fortsetzung der Zwangsvollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung Im Rahmen der Einstellungstatbestände der §§ 707 Abs. 1, 719, 769 ZPO gibt es neben der Möglichkeit der Einstellung auch die Möglichkeit der Anordnung, dass die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf. Die Situation gleicht derjenigen des § 709 ZPO, in der der Gläubiger von Anfang an nur gegen Sicherheitsleistung vollstrecken darf. Es wird gleichsam die Entscheidung des Gerichts zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nachträglich modifiziert, indem ein ursprünglicher Anwendungsfall des § 708 ZPO aufgrund nachträglicher Einwendungen des Schuldners dem Anwendungsbereich des § 709 ZPO zugewiesen wird. In der weiteren Folge führt dies dazu, dass die besondere Vollstreckungsvoraussetzung des § 751 Abs. 2 ZPO zur Anwendung kommt, die den Nachweis der Sicherheitsleistung gewährleistet.430 Die Vollstreckung darf erst fortgesetzt werden, wenn dieser Nachweis erbracht ist.431 Was die Rechtsfolge anbelangt, so besteht kein Unterschied zu den zuvor erörterten Fällen der gerichtlichen Anordnung der Einstellung der Vollstreckung. Denn auch die nachträglich bewirkte Abhängigkeit der Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung führt zur Einstellung der Vollstreckung. Es handelt sich um 428 Eine absolute Ausnahme bildet die sogenannte Leistungsverfügung analog § 940 ZPO. Voraussetzung für ihren Erlass ist allerdings eine existenzielle Bedrohung, Reichold, in: Thomas/ Putzo, § 940, Rdnr. 6. 429 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 45 I 5. 430 S. dazu bereits oben § 14 III. 431 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 9.
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ein Provisorium, da die Einstellung nicht allein unter dem Vorbehalt der Hauptsacheentscheidung steht, sondern bereits beim Nachweis einer Sicherheitsleistung hinfällig wird. Es ist daher sachgerecht, auch in diesem Fall gemäß § 776 S. 2 ZPO nur eine Einstellung der Vollstreckung, nicht hingegen eine Aufhebung der bisher getroffenen Maßnahmen anzuordnen.
IV. Die Sicherheitsleistung des Schuldners gemäß §§ 775 Nr. 3, 776 S. 1 ZPO Während § 775 Nr. 2 ZPO in dem zuletzt angesprochenen Fall die Sicherheitsleistung des Gläubigers als besondere Vollstreckungsvoraussetzung zum Gegenstand hat, behandelt § 775 Nr. 3 ZPO den umgekehrten Fall der Abwendungsbefugnis des Schuldners durch den Nachweis einer Sicherheitsleistung. Angesprochen sind insbesondere die Fälle der §§ 711, 712 Abs. 1, 720 a Abs. 3 ZPO.432 Spiegelbildlich zu dem Fall des § 751 Abs. 2 ZPO steht die Vollstreckung des Titels hier nicht unter einer aufschiebenden, sondern unter einer auflösenden Bedingung. Dies vermag allerdings nicht zu rechtfertigen, dass der Nachweis der Sicherheitsleistung im Rahmen des § 775 Nr. 3 ZPO nur durch öffentliche Urkunde, nicht aber – wie im Rahmen des § 751 Abs. 2 ZPO – alternativ durch öffentlich beglaubigte Urkunden möglich sein soll. Die h. M. hält zu Unrecht am Wortlaut des § 775 Nr. 3 ZPO fest433 und übersieht den systematischen Zusammenhang mit § 751 Abs. 2 ZPO. Eine Ungleichbehandlung beider Tatbestände verletzt den Grundsatz der Waffengleichheit, der seinen verfassungsrechtlichen Ursprung im Gleichheitsgrundsatz findet. Die Fälle des § 775 Nr. 3 ZPO sind mit der Regelung des § 751 Abs. 2 ZPO vergleichbar. Der Ursprung der Bedingung liegt auch im Fall des § 775 Nr. 3 ZPO nicht unmittelbar im materiellen Recht, d.h. dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis, sondern eher im Verfahrensrecht, d.h. in einer Abwägung der Risiken für den Fall der zu Unrecht hinausgezögerten Vollstreckung einerseits und der zu Unrecht erfolgten Vollstreckung andererseits. Das zuerst angesprochene Risiko mit anschließender Insolvenz des Schuldners wird im Rahmen der Abwendungsbefugnis des Schuldners dadurch vermieden, dass dieser eine Sicherheitsleistung erbringen muss, aus der sich der Gläubiger befriedigen kann. Da die Entscheidung über die Gewährung einer solchen Abwendungsbefugnis in untrennbarem Zusammenhang mit dem Titel steht und dessen Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit berührt, liegt die funktionale Zuständigkeit auch insoweit bei den Gerichten. Dies macht eine zusätzliche Schnittstelle auf der zweiten Stufe des Formalisierungsmodells unausweichlich. Es handelt sich dabei um die Regelung des § 775 Nr. 3 ZPO, die gewährleistet, dass das Vollstreckungsorgan der Vorlage einer derartigen Entscheidung Rechnung trägt und be432
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 10. So Münzberg, in: Stein/Jonas, § 775, Rdnr. 15 i.V.m. Fn. 88; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 10; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 775, Rdnr. 17. 433
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
reits getroffene Vollstreckungsmaßregeln gemäß § 776 S. 1 ZPO aufhebt. Die endgültige Aufhebung erweist sich als sachgerecht, da der Gläubiger durch die nachgewiesene Sicherheitsleistung ausreichend geschützt ist. Die Gefahr unwiderbringlicher Vermögenseinbußen durch den Verlust vorrangiger Pfändungspfandrechte wird vermieden.
V. Die formalisierten Vermutungstatbestände des § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO Das Formalisierungsprinzip bezweckt eine umfassende Rückkopplung des Vollstreckungsverfahrens an das zu vollstreckende Schuldverhältnis. Demzufolge gibt es nicht nur formalisierte Tatbestände auf Gläubigerseite, sondern ebenso solche auf Schuldnerseite. Dies hat sich für den Bereich der Sicherheitsleistungen bereits im Rahmen des § 775 Nr. 3 ZPO bewahrheitet, der auf Schuldnerseite das Pendant zu der Regelung des § 751 Abs. 2 ZPO auf Gläubigerseite darstellt. Entsprechende Parallelen lassen sich im Weiteren anhand des materiellen Anspruchsschemas aufzeigen. Während die formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen ein rasches Agieren des Vollstreckungsorgans gewährleisten, um den Anspruch des Gläubigers beizutreiben, garantieren umgekehrt die sogenannten Vollstreckungshindernisse eine schnellstmögliche Berücksichtigung der denkbaren Einwendungen des Schuldners gegen den titulierten Anspruch. Wichtigste Einwendung ist der Fall der Erfüllung. Diesem Fall tragen die Nummern 4 und 5 des § 775 ZPO Rechnung. Die zuletzt genannten Tatbestände des § 775 ZPO führen in Verbindung mit § 776 S. 2 ZPO zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung, sofern der Schuldner eine öffentliche Urkunde, eine vom Gläubiger ausgestellte Privaturkunde oder einen Einzahlungs- oder Überweisungsnachweis einer Bank oder Sparkasse vorlegt, aus dem sich ergibt, dass der Gläubiger befriedigt ist. Diese Regelung wird im Wege der Analogie auch auf Kontoauszüge ausgedehnt.434 Abstrakt lassen sich beide Tatbestände des § 775 ZPO auf den allgemeinen Gedanken zurückführen, dass auf der dritten Ebene der Formalisierung die allgemeinen Beweis- und Vermutungstatbestände des Erkenntnisverfahrens zur Anwendung kommen. Demzufolge ist der Nachweis der Erfüllung entweder mit Hilfe der aus anderen Vollstreckungstatbeständen geläufigen öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden möglich oder aber durch Privaturkunden, deren Ausstellung im Bereich der Erfüllung gebräuchlich ist. Zu denken ist an übliche Quittungsbelege.435 Dieser abstrakte Rechtsgedanke ist auf jegliche anderen Einwendungen und Einreden des Schuldners übertragbar. So findet beispielsweise der Fall der Stundung ebenfalls in § 775 Nr. 4 ZPO Erwähnung. Die Erweiterung des Rechtsgedankens aus § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO auf sämtliche Einwendungen und Einreden des Schuldners veranschaulicht die Par434 435
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 15; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 45 I 3 b cc. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 775, Rdnr. 23; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 775, Rdnr. 12.
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allele mit der Nummer 1 des § 775 ZPO, die für die Fälle der Vollstreckungsabwehrklage angewandt wird.436 Der materiell-rechtliche Anknüpfungspunkt beider Regelungen ist derselbe. Der einzige Unterschied besteht in dem abgestuften Grad der Formalisierung. Während die Vollstreckungsabwehrklage zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung über die geltend gemachten Einwendungen und Einreden des Schuldners führt, sollen die formalisierten Tatbestände des § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO lediglich eine vorübergehende Berücksichtigung von Einwendungen und Einreden des Schuldners durch das Vollstreckungsorgan ermöglichen. Dieser Unterschied kommt sodann auch in der Rechtsfolge des § 776 ZPO zum Ausdruck. Aufgrund der provisorischen Vermutungstatbestände kommt im Bereich des § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO nur eine Einstellung der Vollstreckung, nicht hingegen eine Aufhebung bereits getroffener Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht, § 776 S. 2 ZPO. Die Aufhebung setzt zuvor die Zustimmung des Gläubigers437 auf der ersten Stufe der Formalisierung oder aber auf der zweiten Stufe die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage voraus. Der Kreis schließt sich, da im letztgenannten Fall die Regelungen der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen führen. Zu klären bleibt abschließend nur die Frage, wie die Fälle der Freigabeerklärung des Gläubiges auf der ersten Ebene der Formalisierung rechtlich zu bewerten sind.
VI. Die analoge Anwendung der §§ 775, 776 ZPO im Fall der Freigabeerklärung Die Freigabeerklärung durch den Gläubiger ist gesetzlich nicht geregelt. Dies mag darin begründet liegen, dass der Gesetzgeber für diesen Fall des Einvernehmens zwischen Gläubiger und Schuldner keinen Regelungsbedarf gesehen hat.438 Gleichwohl stellt sich die Notwendigkeit, für das Vollstreckungsorgan eine Verpflichtung zur Aufhebung bereits getroffener Vollstreckungsmaßregeln herbeizuführen. Diese gesetzliche Lücke wird durch eine analoge Anwendung der §§ 775, 776 ZPO geschlossen. Diese Analogie veranschaulicht die unterschiedli436
S.o. II 1 d. Sinn und Zweck der vorläufigen Einstellung ist es, dem Schuldner die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage zu ersparen und es dem Gläubiger zu ermöglichen, zum Nachweis der Zahlung Stellung zu nehmen. So schon Noack, DGVZ 1976, 149 (151). 438 Die Möglichkeit zur Freigabe seitens des Gläubigers lässt sich unmittelbar aus dem Grundsatz der Privatautonomie ableiten, die es dem Gläubiger überlässt, ob er sich gegen einen Einwand des Schuldners oder eines Dritten bezüglich der Rechtmäßigkeit der Pfändung zur Wehr setzen will. Soweit hingegen die Freigabe aus der Dispositionsmaxime abgeleitet wird (statt vieler Putzo, in: Thomas/Putzo, § 704 Vorbem, Rdnr. 30), kollidiert eine derartige Dispositionsbefugnis des Gläubigers über den Ablauf der Zwangsvollstreckung mit dem staatlichen Gewaltmonopol (s.o. § 8 III 3 und V 5). Eine Einflussnahme auf die Auswahl des Vollstreckungsobjekts ist dem Gläubiger zu versagen mit der Folge, dass eine Freigabeerklärung vom Vollstreckungsorgan nur dann zu beachten ist, wenn sie auf rechtlichen Bedenken an der Zulässigkeit der Pfändung fußt, d.h. regelmäßig vom Schuldner veranlasst ist. 437
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Dritter Teil: Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
chen Schattierungen des § 776 ZPO in Abhängigkeit vom Formalisierungsmodell. Behauptet der Schuldner durch Vorlage entsprechender Erklärungen, dass der Gläubiger die Freigabe erklärt habe, so wird die Regelung des § 775 Nr. 4 ZPO analog angewandt. Dies hat zur Folge, dass die Vollstreckung gemäß § 776 S. 1 ZPO zunächst (nur) einzustellen ist. Dies ist sachgerecht, da die Situation derjenigen entspricht, in der nur eine Vermutung der Freigabe besteht. Im nächsten Schritt hat sich das Vollstreckungsorgan durch Rückfrage beim Gläubiger zu vergewissern, ob eine Freigabeerklärung tatsächlich abgegeben worden ist.439 Ist dies der Fall, so wird die Regelung des § 776 S. 2 ZPO analog angewandt und das Vollstreckungsorgan hebt getroffene Vollstreckungsmaßnahmen auf.440 Aufgrund der Zustimmung des Gläubigers bewegt sich das Vollstreckungsorgan nunmehr auf der ersten Ebene der Formalisierung. Es liegen übereinstimmende Erklärungen der Parteien über die zu vollstreckende Forderung bzw. die Rechtsinhaberschaft an dem betroffenen Vollstreckungsobjekt vor. Da diese Erklärungen noch Vorrang vor einer gerichtlichen Entscheidung haben, rechtfertigt sich im Wege eines Erst-recht-Schlusses die analoge Anwendung des § 776 S. 2 ZPO. Die getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen sind aufzuheben.
VII. Ergebnis Es hat sich herausgestellt, dass die Vorschrift des § 775 ZPO ein Konglomerat recht heterogener Vollstreckungstatbestände enthält. Die Gemeinsamkeit dieser Tatbestände liegt darin begründet, dass es sich in der Chronologie der Vollstreckung um nachträglich eintretende Einwendungen und Einreden des Schuldners handelt, die zur Einstellung der Vollstreckung führen. Man spricht daher im Allgemeinen von Vollstreckungshindernissen.441 Im Detail verbergen sich hinter diesem Begriff durchaus unterschiedliche Gesetzesregelungen, was nicht zuletzt auch in den unterschiedlichen Rechtsfolgen des § 776 ZPO zum Ausdruck kommt. So bilden die Nummern 1 bis 3 des § 775 ZPO die notwendigen Schnittstellen im Vollstreckungsverfahren zwischen der zweiten und dritten Stufe der Formalisierung. Erst durch diese Regelungen wird gewährleistet, dass gerichtliche Entscheidungen zu dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis, seien sie endgültig oder vorläufig, im Vollstreckungsverfahren berücksichtigt werden. Es findet gleichsam ein Wechsel von der dritten zur zweiten Ebene der Formalisierung statt. Die formalisierten Vermutungstatbestände verlieren ihre Bedeutung mit 439
Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 803, Rdnr. 6. Allein die Freigabe führt noch nicht zum Erlöschen des Pfändungspfandrechts und der Verstrickung. Es bedarf der gesonderten Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme durch das zuständige Vollstreckungsorgan, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 27.4, und Brox/Walker, Rdnr. 369. Anders hingegen RGZ 57, 323 (325 f.); BGH KTS 59, 156 (157 f.), sowie Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 45 III 2, nach deren Ansicht die Beseitigung des Pfandsiegels durch den Schuldner im Einvernehmen mit dem Gläubiger zur Entstrickung genügen soll. 441 So etwa Brox/Walker, Rdnr. 174, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 12.4. 440
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Vorlage der gerichtlichen Entscheidung. Sie werden gleichsam durch diese ersetzt. Bei den Nummern 4 und 5 des § 775 ZPO handelt es sich nicht um Schnittstellen zwischen den verschiedenen Formalisierungsebenen, sondern um formalisierte Vermutungstatbestände auf der dritten Ebene der Formalisierung. Diese Tatbestände bezwecken keine Korrektur der formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen, sondern stellen ihrerseits formalisierte Vollstreckungstatbestände dar, die Einwendungen und Einreden des Schuldners Rechnung tragen. Dies kommt auch in der Rechtsfolge des § 776 S. 2 ZPO deutlich zum Ausdruck, die lediglich von einer einstweiligen Einstellung spricht. Bei anfänglichem Vorliegen der Einwendungen ist dies gleichbedeutend damit, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Systematisch sind die Tatbestände des § 775 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO daher in Anlehnung an das materiell-rechtliche Anspruchsschema eher im Bereich der Vollstreckungsvoraussetzungen anzusiedeln, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Ihre Prüfung erfolgt ebenfalls durch das Vollstreckungsorgan. Ihre Korrektur setzt – nicht anders als diejenige der formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen – die Vorlage verbindlicher gerichtlicher Entscheidungen voraus. Als Schnittstelle erweisen sich dann wiederum die Regelungen des § 775 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO. Erst dann, wenn eine verbindliche gerichtliche Entscheidung vorliegt, ist an eine Aufhebung der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen zu denken. Aus dogmatischer Sicht bilden die §§ 775, 776 ZPO Spezialvorschriften zu dem allgemeinen Widerrufstatbestand aus dem Verwaltungsverfahren in Form des § 49 VwVfG.
Vierter Teil
Die eigentliche Zwangsvollstreckung § 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung I. Denkbare Differenzierungskriterien Kerameus nennt fünf Unterscheidungskriterien, die im europäischen Rechtskreis in der Zwangsvollstreckung eine Rolle spielen.1 Es wird differenziert nach der Art des zu vollstreckenden Anspruchs, dem Objekt der Vollstreckung, dem direkten und mittelbaren Zwang, der Art des Vollstreckungstitels und innerhalb der Vollstreckung von gerichtlichen Titeln nach dem Gericht, das den Titel erlassen hat.2 1. Vorgaben aus dem materiellen Recht Im ersten Teil der Untersuchung ist auf ein grundlegendes Prinzip in der Zwangsvollstreckung hingewiesen worden: Gewährt die materielle Rechtsordnung dem Gläubiger einen Anspruch, so bedingt dies im Bereich der Vollstreckung, dass auch die staatlichen Mittel zur zwangsweisen Durchsetzung dieses Anspruchs bereitgestellt werden.3 Fehlen diese Mittel, verliert die Rechtsordnung an Überzeugungskraft. Eine Vollstreckungsordnung muss sich demzufolge vorrangig an dem Kreis der denkbaren Ansprüche orientieren, die das materielle Recht eröffnet. Dieses Wechselspiel zwischen materiellem Recht und Vollstreckungsrecht ist so nahe liegend, dass es in den europäischen Vollstreckungsordnungen einhellig berücksichtigt wird.4 Es wird lediglich in Randbereichen durchbrochen. Man denke beispielsweise im deutschen Recht an die Regelung des § 888 Abs. 3 ZPO, die die Vollstreckung eines Urteils auf Eingehung einer Ehe, 1 Kerameus, Enforcement in the international context, S. 249 ff.; ders., Enforcement Proceedings, S. 4. 2 Nicht anders verhält es sich in der Zwangsvollstreckung in den Vereinigten Staaten. Anschaulich dazu der Überblick von Lange/Black, S. 119 ff. Einen Überblick über das englische Vollstreckungsrechtssystem, das aufgrund seiner historischen Besonderheiten hier nicht weiter thematisiert werden soll, liefert Bunge, S. 198 ff. Kritisch zu dem besonders unübersichtlichen und für den Außenstehenden nur schwer zugänglichen System der englischen Zwangsvollstreckung Stadler, ZZP 1996, 519 (519). 3 S.o. § 2 I. 4 S. dazu nur den Überblick über die verschiedenen Vollstreckungsordnungen bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.1 ff. Ebenso nachdrücklich für das griechische Vollstreckungsrecht, Tsikrikas, ZZPInt 1996, 119 (120), der sich ausführlich mit der Struktur des griechischen Vollstreckungsrechts auseinandersetzt.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
auf Herstellung des ehelichen Lebens und auf Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag untersagt. De facto führt diese Regelung dazu, dass entsprechende Leistungsklagen erst gar nicht erhoben werden. Dieser Umstand belegt nur die Notwendigkeit einer kongruenten Abbildung der Vollstreckung auf den Kreis der Ansprüche, die nach materiellem Recht denkbar sind. Lässt sich diese Kongruenz nicht herstellen, so bleibt nur die Möglichkeit, entweder das materielle Recht einzuschränken oder das Vollstreckungsrecht zu erweitern.5 2. Das Objekt der Vollstreckung Verfügt der Schuldner über ausreichende Geldmittel, so stellt sich die Vollstreckung eines Geldanspruchs nicht anders dar als die sonstige Vollstreckung. Die Vollstreckung vollzieht sich dann in natura an dem Vollstreckungsobjekt. Schwieriger wird die Vollstreckung in dem Regelfall, in dem der Schuldner nicht über eine entsprechende Barschaft verfügt. Anders als im Bereich der sonstigen Vollstreckung führt dies nicht im Wege des rechtlichen Unvermögens zum Untergang des Erfüllungsanspruchs. Es bedarf daher eines Instrumentariums, um dem Gläubiger mit Hilfe der Verwertung bestehender Vermögenswerte entsprechende Geldmittel zuzuführen. Hier genügt – anders als im Bereich der sonstigen Vollstreckung – nicht allein die gewaltsame Willensbeugung des Schuldners. Die Umwandlung des Schuldnervermögens in Geld verlangt vielmehr ein mehraktiges Verwertungsverfahren. Diese Problemstellung leitet zu einer weitgehend vernachlässigten Fragestellung über, die die gesamte Geldvollstreckung beherrscht: Hat sich die Verwertung in der Zwangsvollstreckung an materiell-rechtlichen Vorgaben zu orientieren oder rechtfertigt die Eigenart der Vollstreckung ein gesondertes System der Verwertung? Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage unterteilt sich in zwei Themenbereiche. Zum einen geht es um den Kreis der Vermögensobjekte, den das materielle Recht eröffnet. Hier steht eine Bezugnahme auf das materielle Recht außer Frage.6 Dies lässt sich bereits aus der Systematik der §§ 811 ff. ZPO ableiten, die sich an dem numerus clausus der dinglichen Sachen- und Forderungsrechte orientieren.7 § 857 ZPO bietet eine Öffnungsklausel für den Kreis der sonstigen Rechte, die nicht dem Bereich Mobilien, Forderungen und Immobilien zuzuordnen sind.8
5 Der umgekehrte Fall, dass das Vollstreckungsrecht die Vollstreckung eines nach materiellem Recht nicht denkbaren Anspruchs vorsieht, ist wohl kaum vorstellbar. 6 Kerameus, in: Festschrift für Zeuner, S. 389 (400), kommt im europäischen Vergleich zu einer dreiteiligen Differenzierung zwischen Mobilien, Forderungen und Immobilien. Es handele sich dabei um eine „aktuelle und weit verbreitete Tendenz nach einer Reduktion der Geldvollstrekkungsarten.“ Ebenso Kerameus, Enforcement Proceedings, S. 62 f. 7 Zum numerus clausus der Sachenrechte s. bereits oben im zweiten Teil unter § 9 III 1. 8 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnrn. 81 ff., spricht von einem notwendigen Ventil, um den durch faktische Neuerungen zwangsläufig entstehenden Druck auf das Leistungsvermögen des Vollstreckungsrechts auszugleichen.
§ 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung
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Zum anderen stellt sich anknüpfend an den numerus clausus der Sachenrechte bezogen auf die jeweiligen Vermögensrechte die Frage, ob im Rahmen der Verwertung weitergehend auf das materielle Recht zurückgegriffen werden soll, insbesondere auf die Regelungen zur Verpfändung von Vermögensgegenständen. Verklausuliert kommt diese Problemstellung insbesondere im Bereich der Pfandrechtstheorien zum Tragen, die Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen sein werden. Einleitend gilt es dabei festzuhalten, dass jedenfalls im Vorfeld die Anknüpfung des Vollstreckungsrechts an den Kreis der Sachenrechte nicht in Frage gestellt wird. Soweit daher bei der sich anschließenden Verwertung von den materiell-rechtlichen Vorgaben abgewichen wird, bedarf dies einer gesonderten Rechtfertigung. Dabei ist auch der beschränkte Aufgabenkreis der Vollstreckung als bloßes Element der Willensbeugung in Rechnung zu stellen. 3. Unmittelbarer oder mittelbarer Zwang Während im Bereich der Geldvollstreckung das materielle Recht ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten für die Verwertung vorsieht, fehlen vergleichbare Regelungen im Bereich der sonstigen Ansprüche. Das ist nicht weiter verwunderlich, da das Anspruchsziel nur in natura erfüllt werden kann. Soweit rechtliche Sicherungsmittel zur Anspruchserfüllung denkbar sind, gewährleisten diese allenfalls die Erfüllung vertraglicher Schadensersatzansprüche auf der Sekundärebene, nicht jedoch die Erfüllung des Primäranspruchs. Man denke beispielsweise an die Vereinbarung von Bürgschaften oder Vertragsstrafen für den Fall der Nichterfüllung.9 Trifft das materielle Recht mithin keine Vorgaben für die Erfüllung des Primäranspruchs, so bestehen im Bereich der Vollstreckung freie Gestaltungsspielräume bei der Ausgestaltung des staatlichen Zwangs. Die Gewaltanwendung muss sich allein an den öffentlich-rechtlichen Vorgaben ausrichten. Diese müssen letztlich über die Frage entscheiden, ob der Zwang unmittelbar auf die Person oder aber nur mittelbar auf das Vermögen der Person auszuüben ist. Es handelt sich schlicht um eine Frage der Verhältnismäßigkeit.10 Da der mittelbare Zwang insoweit das weniger einschneidende Mittel darstellt, genießt dieses Zwangsmittel in dem Bereich, in dem es gleich geeignet ist, den Vorrang. 4. Die Art des Vollstreckungstitels Aus dem spanischen Rechtsraum erheben sich Stimmen, die für eine differenzierte Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung in Abhängigkeit von der Her-
9 Die Notwendigkeit der gesonderten Vereinbarung dieser Sicherheiten wird noch Anknüpfungspunkt für die Frage denkbarer Zwangsmittel in der Zwangsvollstreckung sein, s. dazu unter § 21 III 1 c zur astreinte. 10 Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung s. bereits oben unter § 7 IV.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
kunft des Titels plädieren, insbesondere soll zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Titeln unterschieden werden.11 Eine solche Unterscheidung mag auf den ersten Blick mit Rücksicht auf die Verbindlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung gerechtfertigt erscheinen. Schließlich scheint sich eine vergleichbare Unterscheidung auch aus der Zivilprozessordnung zu ergeben, die von dem Urteil als Prototyp des Vollstreckungstitels ausgeht und für die sonstigen Titel einige Sondervorschriften vorsieht.12 Bei näherer Betrachtung enthalten diese wenigen Spezialvorschriften jedoch nicht etwa verschärfte Anforderungen für die Vollstreckung, sondern vorwiegend Sonderregelungen zur funktionellen Zuständigkeit und zur Überleitung in das gerichtliche Verfahren. Es besteht vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen auch gar keine Veranlassung für eine Abstufung der Zwangsvollstreckung in Abhängigkeit von der Herkunft des Titels. Dem Titel kommt allein die Funktion zu, eine Vermutung für den Bestand der zu vollstreckenden Forderung auszusprechen. Eine Differenzierung ist allein hinsichtlich der Frage der Widerlegbarkeit dieser Vermutung angebracht. Dies spiegelt sich in dem dreistufigen Formalisierungsmodell wider, in dem die unterschiedlichen Titel auf verschiedenen Ebenen anzuordnen sind.13 Ihre Widerlegung ist sodann Gegenstand der Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung. Hingegen verbietet es der Formalisierungsgedanke, in der Vollstreckung den titulierten Anspruch in Frage zu stellen. Ein Misstrauen gegenüber einzelnen Titeln ließe sich nur darin zum Ausdruck bringen, dass man ihnen von vornherein die Titelfunktion versagt. Auch dazu besteht im Ergebnis aber keine Veranlassung, da mit Beginn der Vollstreckung noch keine irreparablen Schäden entstehen, sondern der Schuldner ausreichend Gelegenheit erhält, Bedenken gegen die Wirksamkeit des Titels durch die Einlegung von Rechtsbehelfen zu artikulieren.14 Dies ist insbesondere durch den Dualismus von Pfändung und Verwertung gewährleistet. Aus den vorstehenden Überlegungen folgt unmittelbar, dass auch eine Differenzierung zwischen den Gerichten, die den Titel erlassen, entbehrlich ist. Die in England vorzufindende Unterscheidung zwischen judgements der High Courts und der County Courts mag auf die Eigenarten der englischen Rechtsordnung zurückzuführen sein.15 Eine Rechtfertigung hierfür lässt sich dem europäischen System nicht entnehmen.16
11
Im Einzelnen dazu Kerameus, Enforcement in the international context, S. 250 f. S. dazu die §§ 794 ff. ZPO. 13 S.o. § 5 V und § 11 IV 1, V 1, VI und VII. 14 S. dazu noch im Detail im sechsten Teil unter §§ 24 ff. 15 Im Einzelnen dazu Kerameus, Enforcement in the international context, S. 251, und Bunge, S. 201 f. 16 Lediglich im Bereich der Vollstreckbarkeitserklärungen ist eine Differenzierung angebracht. Die höherinstanzlichen Urteile begründen hier die Vermutung der Bestandskraft, § 708 Nr. 10 ZPO, obwohl auch diese Regelung in Frage gestellt werden kann. 12
§ 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung
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II. Lösungsansätze im Bereich der Geldvollstreckung Den wirtschaftlich bedeutendsten Bereich der Zwangsvollstreckung bildet unverändert die Geldvollstreckung. Lediglich die Gewichte zwischen der Mobiliarund der Forderungsvollstreckung haben sich im Verlauf des letzten Jahrhunderts zugunsten der Forderungsvollstreckung verschoben. Die Ausgestaltung der Vollstreckungsarten hat sich hingegen kaum verändert. Das ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Wissenschaft und Forschung ihre Kraft eher auf dogmatische Streitfragen konzentriert haben als auf praxisorientierte Reformvorschläge. In diesen Zusammenhang ist insbesondere der Streit um die Pfandrechtstheorien anzusiedeln. 1. Der dogmatisch geprägte Streit in Deutschland Die Frage nach der rechtlichen Ausgestaltung der Geldvollstreckung wird in Deutschland geprägt von dem Streit um die Pfandrechtstheorien.17 Dieser bereits über ein Jahrhundert schwelende Streit lässt sich im Kern auf die Frage zurückführen, ob das Vollstreckungsorgan als Beauftragter des Gläubigers neben dem vertraglichen und dem gesetzlichen Pfandrecht eine dritte Art des Pfandrechts ausbringt, dessen Voraussetzungen sich an den §§ 1204 ff. BGB orientieren, oder aber als selbständiger Hoheitsträger eine öffentlich-rechtliche Beschlagnahme, die Verstrickung, vornimmt, die zugleich ein öffentlich-rechtliches Pfändungspfandrecht begründet und damit die Grundlage der Verwertung darstellt. Diese Streitfrage war bereits Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens. Aus den Motiven ergibt sich, dass der Gesetzgeber das öffentlich-rechtliche Konzept eines aus der Hoheitsgewalt des Vollstreckungsorgans abgeleiteten Verwertungsrechts, das 1869 zur Diskussion gestellt worden war18 und in der ersten Lesung des Entwurfs der Zivilprozessordnung als im Vordringen befindlich bezeichnet wurde,19 bewusst abgelehnt hat. Man folgte der Lösung des gemeinen Rechts, einer privatrechtlichen Konstruktion des Pfändungspfandrechts.20 Diese Konstruktion im Sinne der Mandatstheorie hat hinreichend Niederschlag gefunden in den gesetzlichen Bestimmungen des materiellen Zivilrechts und des Vollstreckungsrechts.21 So enthalten die §§ 161 Abs. 1 S. 2, 135 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrückliche Bestim17 Sehr instruktive Darstellungen finden sich etwa bei Brox/Walker, Rdnrn. 379 ff.; Henckel, S. 309 ff.; Säcker, JZ 1971, 156 (156 ff.); Karsten Schmidt, JuS 1970, 545 (545 ff.). 18 Von Meibom, AcP 1869, 295 (310 ff.). 19 So der Abgeordnete Grimm, Hahn, Materialien, S. 825 f. 20 Begründung des Entwurfs, Hahn, Materialien, S. 450: „Das Pfandrecht ist von dem Entwurf als Faustpfand konstruiert. … Auf das Pfand, welches durch den Akt der Pfändung konstituiert wird, kommen die in den einzelnen Rechtsgebieten rücksichtlich des Pfandrechts geltenden Rechtsnormen zur Anwendung.“ 21 Lüke, JZ 1957, 239 (241), vertritt hingegen die Auffassung, dass die Zivilprozessordnung selbst keine Lösung zur Bewältigung des Pfändungspfandrechts gebe und auch nicht geben könne. Ähnlich Lindacher, JZ 1970, 360 (361): „Hinweise auf den Gesetzestext … tragen nur den Mantel der Gesetzestreue. Bei Lichte besehen sind sie nichts als Scheinargumente.“ An dieser Bemerkung werden sich die nachfolgenden Ausführungen unter § 17 messen lassen müssen.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
mungen, die die rechtsgeschäftliche Verfügung derjenigen aus der Zwangsvollstreckung gleichstellen.22 Im Vollstreckungsrecht ordnet § 804 Abs. 2 ZPO die Gleichstellung des Pfändungspfandrechts mit einem vertraglich begründeten Pfandrecht an. Diese Gleichstellung war ausdrücklich vom Gesetzgeber erwünscht und führte zu dem heutigen Wortlaut des § 804 Abs. 2 ZPO.23 In der weiteren Folge bezeichnet § 753 ZPO den Gerichtsvollzieher als Beauftragten des Gläubigers. Die privatrechtliche Konzeption des Gesetzgebers ist mit der weiteren Entwicklung des öffentlichen Rechts zunehmend in Frage gestellt worden.24 Federführend war die Untersuchung von Stein zu den „Grundfragen der Zwangsvollstreckung“. Danach stand die Befugnis zur Zwangsvollstreckung nur noch dem Staat zu; dem Gläubiger wurde nur gegen den Staat ein Recht auf Zwang eingeräumt.25 Die Pfändung wurde als Emanation der Staatsgewalt und damit als Staatshoheitsakt verstanden. Das Recht zur Verwertung der gepfändeten Sache sollte ebenfalls keine dem Pfandrecht innewohnende Befugnis darstellen, sondern eine Weiterentwicklung der Pfändung. Dieser wachsenden Einflussnahme des öffentlichen Rechts hat sich auch das Reichsgericht im Jahre 1938 gebeugt, indem es die Regelung des § 1244 BGB zum gutgläubigen Erwerb in der Versteigerung für das Pfändungspfandrecht „nach der neueren Auffassung von der Stellung des Gerichtsvollziehers und dem Wesen der Zwangsvollstreckung“ für unanwendbar erklärte.26 In der weiteren Folge konnte fortan – entgegen den ausdrücklichen Vorstellungen des Gesetzgebers27 – auch der bösgläubige Ersteigerer aufgrund des Hoheitsaktes der Versteigerung Eigentum an dem Pfandgegenstand erwerben.28 Dem Eigentümer verblieb allein ein Erlösherausgabeanspruch gegen 22 Diese Gleichstellung entspricht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. In den einleitenden Motiven zur Rechtsgeschäftslehre, Motive, Band 1, S. 128, heißt es: „Den Verfügungen und insbesondere den Veräußerungen, welche der Betheiligte selbst vornimmt, stehen diejenigen gleich, welche, wie bei der Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung, aus seinem Rechte folgen. Wenn dies in einzelnen Fällen … im Interesse der Deutlichkeit besonders hervorgehoben ist, so darf daraus für andere Fälle kein gegentheiliger Schluss gezogen werden.“ 23 Näher zur Entstehungsgeschichte und den anfänglichen Vorstellungen des Gesetzgebers Henckel, S. 311 ff., und Säcker, JZ 1971, 156 (158 m.w.N.). 24 Ausführlich zu der Entwicklung Henckel, S. 313 ff. Zusammenfassend stellt Arens, AcP 1973, 250 (269), treffend fest: „Es gibt wohl kaum einen Bereich im Recht der Zwangsvollstrekkung und überhaupt des Zivilprozeßrechts, in dem sich die Entwicklung der wissenschaftlichen Betrachtung von privatrechtlichen zu spezifisch prozeßrechtlichen Kategorien hin so eindrucksvoll zeigt wie bei der Lehre vom Pfändungspfandrecht.“ 25 Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 5. 26 RGZ 156, 395 (397 ff.). 27 Die Gesetzesmotive, Hahn, Materialien, S. 451, sprechen ausdrücklich nur von dem redlichen Erwerber. 28 So die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie Lüke, ZZP 1954, 356 (370 f.); ders., JZ 1957, 239 (243); ders., AcP 1954, 533 (546 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 814, Rdnr. 2; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 817, Rdnr. 8; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 9; wie auch die Befürworter der gemischten Pfandrechtstheorie Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 393, und Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 8 II 2 b.
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den Gläubiger, der sich nunmehr im Gegensatz zu der privatrechtlichen Theorie nicht mehr aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB, sondern aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB ergab.29 Der Hoheitsakt des Gerichtsvollziehers stellte sich nach dieser öffentlich-rechtlichen Theorie nicht mehr als Verfügung des Gläubigers dar.30 In der weiteren Entwicklung ist die Figur der öffentlich-rechtlichen Verstrickung als Grundlage des hoheitlichen Eigentumserwerbs des Ersteigerers kaum mehr in Frage gestellt worden,31 obwohl sie jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt.32 Streit entzündete sich lediglich in der weiteren Folge an der Frage, ob Grundlage des Verwertungsrechts des Gläubigers das Pfändungspfandrecht mit den Voraussetzungen des Vertragspfandrechts oder allein die öffentlich-rechtliche Verstrickung, sprich das sogenannte öffentliche Pfändungspfandrecht, sein sollte. Diese Frage ist insbesondere von Bedeutung bei der Versteigerung schuldnerfremder Gegenstände und der Frage eines Erlösherausgabeanspruchs des wahren Eigentümers aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB. In dieser Diskussion hat sich die gemischte privatrechtlich-öffentlich-rechtliche Theorie als herrschend durchgesetzt,33 die den privatrechtlichen Charakter des Pfändungspfandrechts betont hat.34 Im Ergebnis führte dies jedoch zu keinen spürbaren Unterschieden, da die meisten Befürworter der öffentlich-rechtlichen Theorie35 sich dafür aussprachen, 29
So schon RGZ 156, 395 (399). Ausführlich dazu Lüke, AcP 1954, 533 (538 ff.). Durch die staatliche Beschlagnahme wird das Pfandobjekt im Machtbereich des Staates sichergestellt, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 a, und dem Schuldner die Verfügungsmacht entzogen, Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 56 ff.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Übers § 803, Rdnr. 6; Brox/Walker, Rdnr. 361 f.; Peter Geib, S. 16; Lüke, Zwangsvollstreckungsrecht, Nr. 147 c; Schwinge, S. 9; ablehnend nur Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 41 II 4, sowie Fahland, S. 48 ff. 31 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1, stellt fest, dass der Verstrickungsbegriff „heute wohl unumstritten“ ist. 32 Über diese Schwäche hilft auch die Feststellung von Brox/Walker, Rdnr. 361, nicht hinweg, wonach sich die Verstrickung faktisch aus § 808 ZPO ergeben soll. Denn die Regelung des § 808 ZPO stellt im Vergleich mit derjenigen des § 809 ZPO den Ausnahmefall dar. 33 Maßgeblich begründet wurde diese Theorie von Stein, Grundfragen der Zwangsvollstrekkung, S. 24 ff., 55 ff. Ihm folgen, wenn auch mit Unterscheidungen, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 50 III 3 a; Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, Vor § 803, Rdnr. 7; Arndt, MDR 1961, 368 (370); Karsten Schmidt, JuS 1970, 545 (551); ders., ZZP 1974, 316 (318); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 27.10; Brox/Walker, Rdnr. 393; Lindacher, JZ 1970, 360 (362); Schwinge, S. 87 ff.; Werner, JR 1971, 278 (283); Gaul, Rpfleger 1971, 1 (4 ff.); Jauernig, § 16 III C 4; Kuchinke, JZ 1958, 198 (201); Lackmann, Rdnr. 177; Lippross, Vollstreckungsrecht, § 13 III; Fahland, S. 74, 128 f. Offengelassen hat der Bundesgerichtshof die Entscheidung zwischen öffentlich-rechtlicher und gemischter Pfandrechtstheorie, BGHZ 119, 75 (91 f.), da der Streit in dem zu entscheidenden Fall nicht erheblich war. Näher zu dieser Entscheidung Birmanns, DGVZ 1993, 107 (107 f.). 34 Die Vertreter dieser Theorie trennen das von ihnen als dritte Art eines privatrechtlichen Pfandrechts eingeordnete Pfändungspfandrecht von der öffentlich-rechtlichen Verstrickung, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a. 35 Hierzu zählt insbesondere Lüke, ZZP 1954, 356 (356 ff.); ders., AcP 1954, 533 ff.; ders., JZ 1957, 239 ff.; ders., JZ 1955, 484 ff. Lüke, JZ 1957, 239 (241), beruft sich auf Staub als Begründer dieser Theorie. Weitere Anhänger dieser Theorie sind Rüßmann, ZZP 1989, 398 (401 f.); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Übers § 803, Rdnr. 8; Böhm, S. 89 ff.; Peter Geib, S. 8; Habermeier, S. 73 ff.; Martin, S. 98 ff.; Schwab, ZZP 1960, 477 (479 f.); Münzberg, ZZP 1965, 287 (289); 30
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
dem Gläubiger im Falle der Verstrickung einer schuldnerfremden Sache aus dem daraus resultierenden öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrecht lediglich ein formelles Befriedigungsrecht zuzusprechen und den Gläubiger auch insoweit dem Bereicherungsanspruch des ursprünglichen Eigentümers auszusetzen.36 Der Streit um die Pfandrechtstheorien hat sich bis heute erhalten, ohne dass man zu einer abschließenden Bewertung gelangt wäre.37 Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass die Wurzeln der Diskussion bis heute nicht hinreichend rückverfolgt worden sind und die Debatte demzufolge auch keine Früchte trägt. Dieser Eindruck erhärtet sich, wenn man berücksichtigt, dass die europäischen Nachbarn fernab von einer vergleichbar dogmatisch geprägten Diskussion zu pragmatischen Reformen ihres Vollstreckungsrechts gelangt sind. Dies zeigt insbesondere das französische Vollstreckungsrecht. 2. Das französische Modell einer effektivitätsorientierten Vollstreckungsrechtsreform Die Franzosen haben sich im Rahmen ihrer Vollstreckungsrechtsreform im Wesentlichen an dem elsass-lothringischen Recht orientiert, das seinerseits auf das deutsche Vollstreckungsrecht rekurriert.38 Demzufolge haben sich die Franzosen dem deutschen Prioritätsprinzip angenähert. Die Franzosen beschreiten dabei einen Mittelweg zwischen den beiden Prinzipien Verlustgemeinschaft oder Priorität, indem sie abweichend von dem ansonsten geltenden Prinzip der Verlustgemeinschaft nunmehr im Bereich der Forderungspfändung (saisie attribution) – mit Ausnahme der Lohn- und Gehaltspfändung39 – eine strenge Priorität anordnen.40 Sie erreichen dies, ohne dass sie auf die Figur des Pfändungspfandrechts zurückgreifen, indem sie mit der Pfändung einen Forderungsübergang begründen, L.Art. 42, 43. Die Figur des Pfändungspfandrechts ist den Franzosen, die im Übrigen unverändert das Prinzip der Verlustgemeinschaft verfechten, völlig fremd.41 So können sich im Bereich der Lohn- und Gehaltspfändung anderweitige Gläubiger jederzeit einer Pfändung anschließen, D.Art. 80, R. 145–26 C. trav. Die Mobiliarpfändung ist in Frankreich im Rahmen der Reform des Exekutionsrechts ebenfalls reformiert worden. An die Stelle der saisie-exécution ist die saisie-vente getreten. Auch hier gibt es die Möglichkeit der Mehrheit von Gläubigern (opposition des créanciers).42 Es bestehen gewisse Ähnlichkeiten zu der ders. in: Stein/Jonas, § 804, Rdnrn. 1 ff.; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 804, Rdnr. 4; Grund, NJW 1957, 1216 (1216); Schiedermair, AcP 1960/1961, 89 (90); Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 233, und Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnrn. 56 ff. 36 So ausführlich Lüke, AcP 1954, 533 (538 ff.). 37 Ausführlich dazu Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a. 38 S. dazu schon oben § 7 V 2 c. 39 Ausführlich dazu Traichel, S. 160 ff. 40 S.o. § 9 IV 2 a dd. 41 Dies gilt sowohl für die Lohn- und Gehaltspfändung, Traichel, S. 160, als auch für die sonstige Forderungspfändung, Traichel, S. 128. 42 Näher dazu Traichel, S. 117 ff.
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Anschlusspfändung nach deutschem Vollstreckungsrecht, §§ 826, 827 ZPO, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Franzosen eine zweimalige Pfändung derselben Sache nicht zulassen und die Existenz eines Pfändungspfandrechts leugnen.43 Sie konstruieren eine Verlustgemeinschaft gleichberechtigter Gläubiger, D.Art. 118, 119, indem sie allein darauf abstellen, dass alle Gläubiger die gleichen Voraussetzungen mitbringen, d.h. insbesondere im Besitz eines Titels sind, L.Art. 50 II. Neben dem Titel muss auch der weitere Gläubiger eine Zahlungsaufforderung erwirken. Im Ergebnis muss er ebenfalls eine Pfändungssituation herbeiführen, die jedoch unterbrochen wird, wenn der huissier von der bereits zuvor erfolgten Pfändung erfährt. Es erfolgt dann lediglich ein Hinweis in dem zu erstellenden Pfändungsprotokoll. Dieses wird dem zuerst pfändenden Gläubiger und dem Schuldner mitgeteilt, D.Art. 119 II. Die anschließende Verwertung wird von dem zuerst pfändenden Gläubiger betrieben. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die französische Diskussion nicht wie in Deutschland an Pfandrechtstheorien orientiert, sondern allein an der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Prioritätsprinzip und Verlustgemeinschaft. Die Diskussion ist weniger dogmatisch geprägt. Sie konzentriert sich vielmehr auf die Abwägung der berührten Interessen. Dieser Eindruck verfestigt sich, wenn man einige andere Veränderungen betrachtet, die die französische Vollstreckungsreform mit sich gebracht hat. Im Bereich der Forderungspfändung44 haftet beispielsweise der Drittschuldner für den Fall, dass er dem Gläubiger keine Auskunft erteilt, für einen Ausfall der Gläubigerforderung. Diese Haftung erstreckt sich auf die gesamte Gläubigerforderung, auch für den Fall, dass diese Forderung den Anspruch gegen den Drittschuldner übersteigt, D.Art. 60.45 Eine derartig weitgehende Haftung lässt sich nur mit dem Gedanken einer möglichst effektiven Vollstreckung rechtfertigen, denn materiell-rechtlich würde es bezüglich des überschießenden Betrages für eine Schadensersatzhaftung an der Kausalität zwischen der fehlenden Auskunft und dem Schaden, den der Gläubiger erleidet, mangeln. Auch im Rahmen der Mobiliarvollstreckung ist der Gedanke der Effektivität dominierend. Die Franzosen haben im Rahmen der Vermögensverwertung mit der vente amiable eine grundlegend neue Regelung getroffen, D.Art. 107–109.46 Dem Schuldner wird binnen einer Frist von einem Monat, beginnend mit der Pfändung, die Möglichkeit eingeräumt, den gepfändeten Gegenstand freiwillig zu verkaufen.47 Bei der Monatsfrist handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist, sondern um eine Mindestfrist, innerhalb derer die Vollstreckung ausgeschlossen ist. Man erhofft sich mit dieser Regelung eine Steigerung der Effektivität der 43
Traichel, S. 118 f. Näher dazu noch unter § 19 I. 45 Hierzu näher Traichel, S. 135. 46 Ausführlich dazu Traichel, S. 112 ff. 47 In ähnlicher Weise ermöglicht in Italien art. 495 c.p.c. die Umwandlung der Pfändung durch Auslösung seitens des Schuldners. Es gibt ferner die Möglichkeit, den Pfandgegenstand durch richterlich festgelegten Geldbetrag bei Hinterlegung von 20 % der Forderung zu ersetzen. 44
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
Vollstreckung, indem ein höherer Erlös erzielt wird.48 Der Erwerber hat die Möglichkeit, den Gegenstand eingehend zu prüfen. Findet der Schuldner einen Käufer, so kann er mit diesem eine Kaufoption unter der Bedingung der Zustimmung des Gläubigers abschließen. Erst wenn der Gläubiger zustimmt und der Kaufpreis beim huissier hinterlegt wurde, darf der Schuldner über den gepfändeten Gegenstand verfügen. Erst dann erfolgt der Eigentumsübergang, D.Art. 109 III. Die Zustimmung vom Gläubiger hat der huissier einzuholen, nachdem er den Gläubiger über das Kaufangebot informiert hat, L.Art. 52. Der Gläubiger darf von seinem Zustimmungsrecht nach freiem Ermessen Gebrauch machen, es sei denn, das Kaufangebot übersteigt seine Forderung. In diesem Falle muss er dem freiwilligen Verkauf zustimmen. Bei der Pfändung von Kraftfahrzeugen war der französische Gesetzgeber ebenfalls nicht untätig. Er hat eine für deutsche Verhältnisse völlig unorthodoxe Regelung geschaffen, indem er der Vollstreckung durch die Vermittlung der Zulassungsstelle sowie durch den Einsatz von Parkkrallen massiven Nachdruck verleiht, L.Art. 57, 58; D.Art. 164–177.49 Der Gesetzgeber hat sich dabei von reinen Praktikabilitätsüberlegungen leiten lassen. Dies muss dogmatisch nicht einmal bedenklich stimmen, da sich die Effektivität als prägender Wesenszug der Vollstreckung erwiesen hat.50 3. Synthese Die Überlegungen zum französischen Vollstreckungsrecht erwecken den Eindruck, als ob die dogmatisch geprägte Diskussion im deutschen Vollstreckungsrecht einer Reform hinderlich wäre. Die Aussparung der Problematik um das Pfändungspfandrecht scheint für die französische Reform eher förderlich gewesen zu sein, indem man sich auf die eigentlichen Interessenkonflikte konzentriert und um möglichst effektive Regelungen bemüht hat. Dies könnte für die öffentlich-rechtliche Theorie sprechen, die sich weitgehend von den bestehenden gesetzlichen Regelungen gelöst hat. Umgekehrt könnte sie aber auch Ansatzpunkt für eine Reform der bestehenden Regelungen zur Begründung und Verwertung des Vertragspfandrechts sein. Es erscheint daher angebracht, nach einer Lösung zu suchen, die Vollstreckungsrecht und materielles Recht miteinander harmonisiert. Gelingt dies, so ist zugleich eine dogmatische Plattform für die praxisorientierten Überlegungen des französischen Gesetzgebers geschaffen. Gelingt dies nicht, so wären die Bemühungen um eine dogmatische Durchdringung des Zwangsvollstreckungsrechts gescheitert.
48 Traichel, S. 112, Fn. 404, führt unter Verweis auf die Parlamentsdebatten im Gesetzgebungsverfahren aus: „Von 100 saisies-exécution führte lediglich eine einzige bis zur Zwangsversteigerung, und von 100 Versteigerungen erbrachten weniger als 20 % auch nur die Kosten des Verfahrens (!).“ 49 Ausführlich dazu Traichel, S. 182 ff. 50 S.o. § 8 II.
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III. Fragestellungen im Vorfeld der Geldvollstreckung Die Betrachtungen zum deutschen und französischen Vollstreckungsrecht kennzeichnen zwei unterschiedliche Ansatzpunkte, um sich dem Problem der rechtlichen Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung zu nähern, die Dogmatik und die Praxis. Beide Ansatzpunkte miteinander in Übereinstimmung zu bringen, ist das Anliegen der nachfolgenden Überlegungen. Ausgangspunkt dafür muss eine klare Bestimmung der Aufgabenstellung sein. 1. Die Aufgabenstellung Losgelöst von dem Streit um die Pfandrechtstheorien müssen sich jegliche Überlegungen zur Ausgestaltung der Zwangsvollstreckung an ihrer Begriffs- und Aufgabenbestimmung orientieren. Einen weiteren Fixpunkt bilden die Prinzipien, die der Zwangsvollstreckung zugrunde liegen und die demzufolge auch bei der Ausgestaltung der Geldvollstreckung zu beachten sind. Dies gilt insbesondere für das Prinzip der Effektivität, das es konkret auszugestalten gilt. Die Überlegungen des ersten und zweiten Teils der Untersuchung sind daher zwingende Grundlage jeglicher weiteren Analyse. Es gilt, bei jedem Schritt die Aufgabenstellung der Zwangsvollstreckung im Auge zu behalten. Dort, wo das Element der Willensbeugung des Schuldners keine Rolle mehr spielt, fehlt es an einer Rechtfertigung für eine staatliche Einmischung. Zugleich findet die Entwicklung einer Geldvollstreckung ihre Grenzen. Geht man darüber hinaus, so ist auf die Abwicklungsmechanismen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis zurückzugreifen. Die Aufgabe lautet daher, im Rahmen des Wirkungskreises der staatlichen Zwangsvollstreckung ein effektives Verwertungsverfahren zu finden bzw. zu entwickeln. 2. Die Kardinalfrage Beschränkt sich die Aufgabe der Zwangsvollstreckung auf die staatliche Gewaltanwendung und bezweckt diese im Ergebnis die Erfüllung einer privatrechtlichen Forderung, so liegt es durchaus nahe, sich an den gesetzlichen Regelungen zum Faustpfandrecht zu orientieren. Diesen Weg hat der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung beschritten, einige Jahrzehnte noch vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, indem er in § 804 Abs. 2 ZPO ausdrücklich die gesetzlichen Regelungen zum vertraglichen Pfandrecht in Bezug genommen hat.51 Der Gesetzgeber hat damit eine ausdrückliche Antwort auf die eingangs skizzierte Frage gegeben, ob sich die Geldvollstreckung an den materiell-rechtlichen Vorgaben des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu orientieren hat oder aufgrund der Eigenarten der Vollstreckung ein eigenständiges Regelungswerk zu entwickeln ist. Diese Entscheidung ist im Folgenden auf den Prüfstand zu stellen. Es sind Ge51
S.o. zu Beginn der Ausführungen unter II 1.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
meinsamkeiten und Unterschiede zwischen Vertragspfandrecht und Pfändungspfandrecht herauszuarbeiten, die für oder gegen eine Gleichbehandlung sprechen. Etwaige Unterschiede müssten auf die Eigenarten der staatlichen Gewaltanwendung zurückzuführen sein, um ein eigenständiges Verwertungsverfahren rechtfertigen zu können. Stellen sich hingegen die Regelungen zum Faustpfandrecht als solche als missglückt dar, so muss eine Reform im Bürgerlichen Gesetzbuch ansetzen. Bestehende Mängel im Recht der Mobiliarsicherheiten rechtfertigen keine Problemverlagerung im Sinne einer privilegierten Geldvollstreckung. Es gelten hier keine anderen Überlegungen als im Bereich der Verwaltungsvollstreckung, deren fragwürdige Existenzberechtigung allein aus dem vermeintlichen Versagen des Vollstreckungsrechts abgeleitet wird.52 In beiden Fällen muss das Problem an der Wurzel, sprich im Bereich der originären Regelungen zum Faustpfandrecht, angepackt und gelöst werden. 3. Das bisherige Manko Das Dilemma in der derzeitigen Diskussion um die Pfandrechtstheorien besteht im Wesentlichen darin, dass kein Bezug zu den maßgeblichen Ausgangsfragen der Zwangsvollstreckung hergestellt wird. Nur so ist überhaupt zu erklären, dass die derzeitig öffentlich-rechtlich geprägte Debatte vor zivilrechtlichem Hintergrund geführt wird, nämlich der Einstufung des Vollstreckungsrechts als Zivilrechtspflege, nicht hingegen als Teil der öffentlich-rechtlichen Verwaltung.53 Während also bei der Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung eine verwaltungsrechtliche Komponente strikt geleugnet wird,54 wird im Rahmen der Pfandrechtstheorien mit der Rechtsfigur der öffentlich-rechtlichen Verstrickung auf verwaltungsrechtliche Überlegungen zurückgegriffen. Dieser Widerspruch tritt nur deswegen nicht offen in Erscheinung, weil beide Debatten unabhängig voneinander ausgefochten werden.55 Darin liegt zugleich das eigentliche Dilemma in der Diskussion um die Pfandrechtstheorien. Es fehlt ihr im Kern der Bezug zur Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung.56 Die Diskussion erfolgt, ohne 52
S.o. § 10 II 1. Zum Streitstand ausführlich unter § 4 VI. 54 S.o. § 4 VI 3 und 4. 55 Das ist umso weniger verständlich, als bereits Lüke, JZ 1957, 238 (241), festgestellt hat, dass die Rechtsnatur des Pfändungspfandrechts untrennbar verknüpft ist mit dem Wesen der Zwangsvollstreckung. Allein das Wesen der Zwangsvollstreckung wird im Rahmen der Pfändung und Verwertung nicht hinterfragt. So sehr die Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung im Übrigen umstritten ist (s.o. im ersten Teil unter § 4 II), sind sich hier merkwürdigerweise sämtliche Literaten in einer öffentlich-rechtlichen Bewertung der Verwertungsvorgänge einig. 56 Der Bezug klingt bei Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III, an, wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung: „Wenngleich die praktische Bedeutung mancher Streitfragen dabei nicht dem Ausmaß theoretischer Diskussion entspricht, wird das Verständnis des Vollstreckungsrechts – auch im Verhältnis zum materiellen Recht – doch in erheblichem Maß von der Position zu diesen grundsätzlichen Problemen bestimmt.“ Schilken wählt mithin die Pfandrechtstheorien zum Ausgangspunkt für das Verständnis des Vollstreckungsrechts, anstatt umgekehrt von der Begriffsbestimmung und Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung auszugehen. 53
§ 16 Die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung
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dass die maßgeblichen Ausgangsfragen klar artikuliert werden. Es wird übersehen, dass der Streit um die Pfandrechtstheorien nicht losgelöst von der Begriffsbestimmung der Zwangsvollstreckung geführt werden kann, sondern sich vielmehr als Folgeproblem ergibt. Es handelt sich um eine Frage, die das grundlegende Verständnis des Zwangsvollstreckungsrechts berührt und seine Zuordnung im Gefüge von privatem und öffentlichem Recht betrifft. Erst diese Zuordnung ermöglicht eine rechtliche Bewertung des Pfändungsvorgangs. In der weiteren Folge bleiben in der Diskussion um die Pfandrechtstheorien die Grenzen der Zwangsvollstreckung, die sich aus ihrer Begriffsbestimmung ergeben, vernachlässigt. Die Zwangsvollstreckung bezweckt lediglich, die Gewaltanwendung durch den Gläubiger durch staatliche Zwangsmittel zu ersetzen.57 Es bedarf daher einer sorgfältigen Untersuchung, ob dieser Zweck sich über die eigentliche Gewaltanwendung im Rahmen der Pfändung auch noch auf den Bereich der Verwertung erstreckt.58 Nur dann, wenn diese Frage zu bejahen ist, stellt sich überhaupt die Frage nach einem hoheitlichen Eigentumserwerb in der Versteigerung. Anderenfalls schießen die öffentlich-rechtlichen Theorien mit ihrer Bewertung über das Ziel hinaus.59 Es mangelt dann an einer sachgerechten Schnittstellenbildung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren und dem zugrunde liegenden privatrechtlichen Schuldverhältnis. 4. Erste Konsequenzen Angesichts der fehlenden dogmatischen Einbettung muss es nicht verwundern, dass die anhand der Pfandrechtstheorien diskutierten Fragestellungen zu kurz greifen. Anstatt das Augenmerk auf den Vorgang der gewaltsam erwirkten Pfändung zu richten, konzentrieren sich die Pfandrechtstheorien auf die sich anschließende Verwertung und diskutieren in diesem Zusammenhang Fragen der Priorität und des gutgläubigen Erwerbs.60 Es wird damit der zweite Schritt vor dem ersten vollzogen. Die Rechtsfolgen zum Vertragspfandrecht werden in Frage gestellt, ohne die vordringliche Frage nach der Vergleichbarkeit der Interessenlage zu stellen. Ist diese Vergleichbarkeit gegeben, so muss sich das Vollstreckungsrecht an den Regelungen zum Faustpfandrecht, d.h. auch an dessen Rechtsfolgen, orientieren. Die aufgezeigten Versäumnisse artikulieren sich in der derzeitigen Diskussion in der Form, dass begriffsjuristische Argumente zur „Stellung des Gerichtsvollziehers“ und zum „Wesen der Zwangsvollstreckung“ bemüht werden,61 um eine 57
S.o. § 2 II 2. Dazu ausführlich unter § 17 IV 1. 59 So begrüßenswert daher die Ausführungen von Lüke, JZ 1957, 239 (240); ders. JZ 1955, 484 (484); ders., ZZP 1954, 356 (356), zur obrigkeitlichen Bewertung der Zwangsvollstreckung sind, so sind sie im Bereich der Verwertung abzulehnen, da hier für die Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols kein Raum mehr bleibt. 60 S. dazu noch ausführlich unter § 18 II 2 und 3. 61 So RGZ 156, 395 (397). 58
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
Abweichung vom Vertragspfandrecht zu begründen. Dieser Argumentation bedürfte es nicht, wenn im Vorfeld eine abweichende Interessenlage und damit eine Loslösung von den Regelungen zum Faustpfandrecht begründet worden wäre. Es könnte dann auch nicht zu dem merkwürdigen Nebeneinander von Pfändungspfandrecht und öffentlich-rechtlicher Verstrickung kommen, weil man sich konsequent allein für eine Lösungsalternative zu entscheiden hätte, entweder Orientierung am Faustpfandrecht oder Schaffung einer Rechtsfigur sui generis. Eine Vermengung beider Lösungskategorien wird erst dadurch ermöglicht, dass die zuvor bezeichneten Gedankenschritte nicht eingehalten werden. Dies lässt sich abschließend bereits an der Begriffsbezeichnung der öffentlich-rechtlichen Theorie festmachen. Schon die Bezeichnung der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie veranschaulicht ihre inneren Wertungswidersprüche. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die öffentlich-rechtliche Bewertung eines privatrechtlichen Rechtsinstituts, des Vertragspfandrechts. Konsequenterweise müsste diese Theorie im ersten Schritt das privatrechtliche Rechtsinstitut des Faustpfandrechts aufgrund von Eigenarten der öffentlich-rechtlichen Zwangsvollstreckung verwerfen und sodann im zweiten Schritt die öffentlich-rechtliche Verstrickung als spezifisches Instrument der Zwangsvollstreckung einführen. Die Theorie wäre dann als öffentlichrechtliche Verstrickungstheorie zu bezeichnen. Die geläufige Bezeichnung der Theorie belegt hingegen die unzureichende gedankliche Differenzierung. Die öffentlich-rechtliche Verstrickung wird parallel zum Pfändungspfandrecht zum Einsatz gebracht. Damit werden zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Wertungen unnötig miteinander vermengt. Dies kulminiert in einer Begriffsbezeichnung, die einem gedanklichen Spagat gleich kommt.
§ 17 Die Mobiliarvollstreckung I. Rückbesinnung auf das Faustpfandrecht Die Untersuchung im ersten und zweiten Teil hat zu dem Ergebnis geführt, dass die eigentliche Zwangsvollstreckung in Form des willensbeugenden Elements dem öffentlichen Verwaltungsrecht zuzuordnen ist, während sich der verbleibende Bereich der Voraussetzungen der Vollstreckung sowie deren Rechtsfolgen auf privatrechtliche Strukturen zurückführen lässt. Überträgt man diese Überlegungen auf den Streit um die Pfandrechtstheorien, so spricht dies für eine Orientierung an den Regelungen zum Faustpfandrecht.62 Denn es hat sich keine Notwendigkeit ergeben, über das Stadium der staatlichen Gewaltanwendung hinaus vom Privatrecht abweichende Prinzipien zu statuieren. Insbesondere das Priori62 So auch die anfängliche Vorstellung des Gesetzgebers, Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 41 I; Schilken, in: Münchener Kommentar, § 804, Rdnr. 4; ders., in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 50 III 3. Ausführlich dazu bereits oben unter II 1.
§ 17 Die Mobiliarvollstreckung
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tätsprinzip, das die materielle Basis des Pfandrechts bildet, beansprucht mit Recht seine Geltung. Eine Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie erscheint unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen der Zwangsvollstreckung angebracht.63 1. Das Modell der §§ 1204 ff. BGB Das privatrechtliche Pfandrecht ist ein zur Sicherung einer Forderung bestimmtes, dinglich wirkendes und durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Recht an fremden beweglichen Sachen und Rechten, das den Gläubiger berechtigt, sich durch Verwertung des Pfandes aus dem Erlös zu befriedigen.64 Schon diese Definition des Pfandrechts bringt den grundsätzlichen Zweiklang von Pfändung und Verwertung zum Ausdruck, der der Pfandrechtskonstruktion innewohnt. Systematisch unterscheiden die Vorschriften über das Pfandrecht daher zwischen der Pfandrechtsbestellung, §§ 1204 ff. BGB, und der Verwertung, §§ 1228 ff. BGB. Diese Unterteilung erklärt sich nicht zuletzt aus dem Sicherungscharakter des Pfandrechts. Dies bedingt eine Zäsur zwischen dem Stadium der Sicherung und der Verwertung. Vorrangiges Ziel des Pfandrechts ist zunächst nur die Sicherung einer Forderung, d.h. deren zukünftige Erfüllung. Erfolgt die Erfüllung bei Fälligkeit nicht, so kann sich der Gläubiger in einem zweiten Schritt aus dem Erlös des Pfandrechts befriedigen. 2. Parallelen zur Zwangsvollstreckung Die zeitliche Unterteilung im Rahmen der privaten Pfandrechtsbestellung und seiner Verwertung scheint im Widerspruch zu der Situation in der Zwangsvollstreckung zu stehen, in der es um die sofortige Verwertung des Schuldnervermögens geht. Ziel ist hier nicht die Sicherung einer zukünftigen Forderung. Die zu vollstreckende Forderung ist bereits fällig, weshalb es unmittelbar um die Verwertung des Schuldnervermögens geht. Berücksichtigt man jedoch die gegenläufigen Interessen von Gläubiger und Schuldner,65 so stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass auch in der Zwangsvollstreckung eine zeitliche Zäsur Not tut, wenn auch in deutlich komprimierter Form. Hinter dem Interesse des Gläubigers an einem schnellstmöglichen Einsatz des Vollstreckungsorgans unter Ausnutzung des Überraschungsmoments verbirgt sich nichts anderes als ein aufgrund der Leistungsverweigerung des Schuldners vorrangig zu berücksichtigendes Sicherungsinteresse des Gläubigers.66 Dieses Si63 Vertreten wird diese Theorie nur noch von Goldschmidt, § 94 1; Bruns/Peters, § 20 III 2; Marotzke, NJW 1978, 133 (136); Säcker, JZ 1971, 156 (160 ff.); Pinger, JR 1973, 94 (96 ff.); und zuletzt von Pesch, JR 1993, 358 (358 ff.). 64 Bassenge, in: Palandt, Überbl. v. § 1204, Rdnr. 1. 65 S.o. § 3. 66 Dieser Dualismus von Sicherungs- und Erfüllungsinteresse klingt auch bei Schwinge, S. 86, an, der zwischen der Befriedigung des Gläubigers als mittelbarem Zweck und der Sicherung des Gläubigers als unmittelbarem Zweck der Zwangsvollstreckung differenziert.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
cherungsinteresse lässt sich – nicht anders als im materiellen Zivilrecht – am besten durch die Bestellung einer dinglichen Sicherheit gewährleisten. In beiden Fällen mangelt es dem Schuldner an ausreichenden finanziellen Mitteln. Der Rückgriff auf anderweitige Vermögenswerte wird daher unausweichlich, um dem Gläubiger eine ausreichende Sicherheit zu verschaffen. Gegenüber dem sich anschließenden Verwertungsinteresse des Gläubigers gewinnt in der Vollstreckung das Schutzinteresse des Schuldners vor einer übereilten Zerschlagung seiner Vermögenswerte an Übergewicht. Da der Gläubiger in dem Stadium der Pfändung ausreichend abgesichert ist, kommt das rechtliche Gehör des Schuldners zum Zuge. Die konträren Interessen von Gläubiger und Schuldner, die beide zu beachten sind, bedingen mithin eine Abschichtung der Zwangsvollstreckung in zwei Phasen. Der einzige verbleibende Unterschied zum privaten Pfandrecht besteht darin, dass sich die Phase der Pfändung auf einen Zeitraum verengt, der dem Schuldner die rechtzeitige Einlegung von Rechtsbehelfen ermöglicht. So finden zugleich die Interessen von Dritten an der Realisierung bestehender Interventionsrechte angemessen Beachtung.67 3. Der Dualismus von Pfändung und Verwertung im einstweiligen Rechtsschutz Besonders augenfällig ist die Unterteilung von Pfändung und Verwertung im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Regelungen der §§ 916, 935 ZPO betonen das besondere Sicherungsinteresse des Gläubigers, das eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung im ersten Schritt entbehrlich macht. Umgekehrt beschränkt sich die Vollstreckung auf die bloße Sicherung des Gläubigers, da eine Hauptsacheentscheidung noch nicht vorliegt. Taugliches Instrumentarium hierfür ist die Pfändung, §§ 930 ff. ZPO, auf die sich die Vollstreckung des dinglichen Arrestes beschränkt. Sodann erfolgt eine zeitliche Zäsur, innerhalb derer eine Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen ist. Erst diese Entscheidung genügt in vollem Umfang dem Titelerfordernis und macht die sich anschließende Verwertung der bereits gepfändeten Vermögensgegenstände des Schuldners möglich. Im einstweiligen Rechtsschutz führt das starke Sicherungsinteresse des Gläubigers mithin zu einer Vorverlagerung der Pfändung in das Stadium vor Erlass der Hauptsacheentscheidung. Das Sicherungsinteresse des Gläubigers ist gesonderter Gegenstand der richterlichen Überprüfung. Diese vorgezogene Berücksichtigung des Gläubigerinteresses bedingt eine zeitliche Zäsur zwischen 67 In Italien kommt dieser zeitliche Dualismus besonders deutlich dadurch zum Ausdruck, dass ein gerichtliches Zwischenverfahren zur Berücksichtigung der Schuldnerinteressen vorgesehen ist, bevor die Verwertung erfolgt. In Frankreich ist stattdessen eine Wartefrist gesetzlich vorgegeben. Eine derartige Wartefrist findet sich auch in § 1234 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift darf der Verkauf des Pfandgegenstandes nicht vor dem Ablauf eines Monats nach der Androhung des Verkaufs erfolgen. § 816 Abs. 1 ZPO sieht hingegen nur eine Wochenfrist zwischen Pfändung und Verwertung vor. Hinter all diesen gesetzlichen Regelungen verbirgt sich der allgemeine Gedanke einer abgestuften Zwangsvollstreckung zwecks bestmöglicher Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen von Gläubiger und Schuldner.
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Pfändung und Verwertung. Dies unterstreicht die Parallele zu den §§ 1204 ff. BGB, bei denen ebenfalls zunächst das bloße Sicherungsinteresse des Gläubigers überwiegt.
II. Der Pfändungsvorgang Sprechen die bisherigen Überlegungen zur Pfändung in der Zwangsvollstreckung für eine Rückbesinnung auf die Regelungen zum privaten Pfandrecht, so scheint dem die Charakterisierung der Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren im Wege zu stehen. Dieser vermeintliche Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn man die Stoßrichtung dieses Verwaltungsverfahrens, nämlich die Herbeiführung einer zivilrechtlichen Rechtsfolge durch die gewaltsame Willensbeugung auf Seiten des leistungsunwilligen Schuldners, berücksichtigt. Das Vollstreckungsverfahren verfolgt allein den Zweck, die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung und Übergabe des Pfandgegenstandes zu ersetzen.68 Es muss daher nicht verwundern, dass sich die Vollstreckungsvoraussetzungen auf den privatrechtlichen Verpfändungstatbestand abbilden lassen und sich an diesem orientieren. 1. Der Pfändungstatbestand Sinn und Zweck des Vollstreckungsverfahrens ist es, eine gesetzliche Legitimationsgrundlage für die staatliche Gewaltanwendung zu schaffen. Die staatliche Gewaltanwendung tritt an die Stelle der verbotenen Selbsthilfe des Gläubigers.69 Selbst wenn letztere gestattet wäre, hätte sie sich an den zivilrechtlichen Rahmenbedingungen, namentlich den Voraussetzungen für die Bestellung und Verwertung einer Sicherheit in Form des Pfandrechts, zu orientieren. Dies muss erst recht für die Zwangsvollstreckung gelten, die lediglich die private Selbsthilfe ersetzen, nicht aber das Privatrecht modifizieren soll. a) Differenzierung zwischen zu beachtenden und zu erwirkenden Pfändungsmerkmalen Der zivilrechtliche Verpfändungstatbestand ist durch folgende vier Voraussetzungen gekennzeichnet: – – – –
Bestand einer zu sichernden Forderung Einigung über die Pfandrechtsbestellung Übergabe des Pfandgegenstandes Berechtigung des Schuldners an dem Pfandgegenstand
Das Gebot der weitestgehenden Annäherung der Vollstreckungsvoraussetzungen an den Verpfändungstatbestand der §§ 1204, 1205 BGB würde es nahe legen, 68 69
S. schon oben einleitend unter I. S.o. § 2 II und III.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
dem Vollstreckungsorgan die zivilrechtliche Prüfung der zuvor genannten Voraussetzungen aufzuerlegen. Eine derartige Prüfung scheitert jedoch nicht allein an dem Formalisierungsgedanken, sondern bereits an der Stoßrichtung der Vollstreckung, die erst die Herbeiführung sämtlicher Verpfändungsvoraussetzungen bezweckt. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei nicht nur – wie von der privaten Pfandrechtstheorie betont70 – um die Verpfändungserklärung des Schuldners, sondern auch um die Übergabe des Pfandgegenstandes. Beide Elemente setzen eine freiwillige Mitwirkung des Schuldners voraus, an der es in der Zwangsvollstreckung mangelt. Der Ersatz dieser fehlenden Mitwirkung und damit die Herbeiführung der beiden noch fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des Verpfändungstatbestandes ist Anliegen der Zwangsvollstreckung und kann daher nicht zugleich Gegenstand der Prüfung sein. Anders formuliert sind Voraussetzungen und Rechtsfolge der Vollstreckung strikt zu trennen. Anliegen der Vollstreckung ist es nicht etwa, durch ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren die vier Tatbestandsmerkmale der Verpfändung abzubilden, sondern die beiden fehlenden Tatbestandsmerkmale zwangsweise herbeizuführen. Die gewaltsame Substitution von Verpfändungserklärung und Übergabe setzt allerdings voraus, dass die beiden übrigen Tatbestandsmerkmale, der Bestand einer zu sichernden Forderung und die Berechtigung des Schuldners am Pfandobjekt, Berücksichtigung finden. Denn insoweit rechtfertigt das staatliche Gewaltmonopol keine abweichende Bewertung des zu vollstreckenden Schuldverhältnisses. Die Berücksichtigung der beiden verbleibenden Pfändungsvoraussetzungen erfolgt im Wege der Formalisierung, da dem Vollstreckungsorgan eine den Mitteln des Zivilprozesses vorbehaltene Sachverhaltsaufklärung mit anschließender Streitschlichtung nicht möglich ist.71 Die formalisierten Vermutungstatbestände leiten sich aus der Nähe zu dem privaten Pfandrechtstatbestand ab, dessen Verwirklichung Anliegen der Vollstreckung ist.72 Dagegen könnte eingewendet werden, dass im Rahmen einer privaten Verpfändung keine Notwendigkeit seitens der Vertragsparteien zur Prüfung der Pfändungsvoraussetzungen besteht und daraus erwachsende Risiken der Privatautonomie der Parteien überlassen bleiben. Dieser Vergleich hinkt jedoch, da es in der Vollstreckung an einer freiwilligen Disposition seitens des Schuldners gerade mangelt. Dessen Willen gewaltsam zu beugen erweist sich demzufolge nur dann als verhältnismäßig, wenn die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen vorliegen. Erbracht wird dieser Nachweis einerseits durch den Titel, der den Bestand der Forderung belegt, sowie andererseits durch den Gewahrsam des Schuldners am Pfandgegenstand, der dessen Rechtsinhaberschaft vermuten lässt. Die verbleibenden Vollstreckungsmerkmale bilden die Voraussetzungen für die hoheitliche Gewaltanwendung, den originär öffentlich-rechtlichen Bereich 70 So etwa Säcker, JZ 1971, 156 (162): „Das Pfändungspfandrecht unterscheidet sich grundsätzlich vom Tatbestand des Vertragspfandrechts nur dadurch, daß an die Stelle der Verpfändungsabrede der Zwangsakt der Pfändung tritt.“ 71 S.o. § 5 V bis VIII. 72 Ohne deren Beachtung bestünde die Gefahr einer blindwütigen Vollstreckung, s.o. § 2 II.
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der Zwangsvollstreckung. Diese Merkmale, wie z.B. die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, die Pfändbarkeit des Objekts usw., spiegeln in gewissem Rahmen die zivilrechtlichen Gegebenheiten wider, indem sie gleichsam die Entscheidung von sozial und wirtschaftlich denkenden Vertragsparteien simulieren und einen angemessenen Interessenausgleich bezwecken. b) Fiktion der Verpfändungserklärung und gewaltsame Erzwingung der Übergabe Da Gegenstand der Zwangsvollstreckung lediglich die gewaltsame Beugung des entgegenstehenden Schuldnerwillens ist, müssen sich die Rechtsfolgen der Vollstreckung auf diesen Zweck beschränken. Nicht das Pfändungspfandrecht, sondern allein die Verpfändungserklärung und die Übergabe des Pfandgegenstandes werden im Wege der Vollstreckung bewirkt. Sind die beiden weiteren Voraussetzungen der §§ 1204, 1205 BGB erfüllt, so entsteht als zivilrechtliche Rechtsfolge und mittelbare Folge der Vollstreckung zugleich das Pfändungspfandrecht. Im Rahmen der privaten Pfandrechtstheorie werden die Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen als Ersatz für die Verpfändungserklärung verstanden.73 Eine enge Anbindung an den privatrechtlichen Verpfändungstatbestand ermöglicht dabei der Gedanke, dass man die Rechtsfolge der Zwangsvollstreckung analog § 894 ZPO als Fiktion der Abgabe der Verpfändungserklärung seitens des Schuldners versteht.74 Legitimationsgrundlage ist insoweit der Vollstreckungstitel, der den Schuldner den Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unterwirft. Im Ergebnis wird der Schuldner aufgrund des Titels nicht nur zur Leistung, sondern zugleich auch dazu verurteilt, die im Rahmen der Vollstreckung erforderlichen Willenserklärungen abzugeben. Versteht man die Rechtsfolge der Vollstreckung in dieser Form als Fiktion einer Verpfändungserklärung, so unterstreicht dies die zivilrechtliche Konstruktion des Pfändungspfandrechts. Zugleich wird der enge Wirkungskreis der Vollstreckung betont, die lediglich den Ersatz der fehlenden Mitwirkung des Schuldners bezweckt. Nicht anders als im Rahmen des § 894 ZPO stellt sich die Fiktion der Abgabe der erforderlichen Willenserklärung als das mildere, aber gleich geeignete Mittel gegenüber dem körperlichen Zwang heraus. Neben der Verpfändungserklärung verlangen die §§ 1204, 1205 BGB die Übergabe des Pfandgegenstandes als Voraussetzung für das Entstehen eines Pfandrechtes. Der Realakt der Übergabe lässt sich nicht mehr durch eine bloße Fiktion ersetzen und verlangt in letzter Konsequenz den Einsatz körperlicher Gewalt, indem dem Schuldner das Pfandobjekt weggenommen wird. Beide Auswirkungen der Geldvollstreckung, fingierte Verpfändungserklärung und erzwungene Übergabe, gehen auf einen entsprechenden Verwaltungsakt des Vollstreckungsorgans zurück, mit dem das Vollstreckungsorgan den Eintritt der 73 74
Säcker, JZ 1971, 156 (162). So wohl auch Säcker, JZ 1971, 156 (162).
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Vollstreckungsvoraussetzungen feststellt.75 Dieser Verwaltungsakt kommt konkludent in der Aufforderung des Vollstreckungsorgans an den Schuldner zum Ausdruck, entsprechende Vollstreckungshandlungen zu dulden.76 Der Verwaltungsakt ist insofern das maßgebliche Mittel der Verwaltungsbehörde, § 9 VwVfG. 2. Modifikation des Übergabeerfordernisses Im Vollstreckungsrecht fällt auf, dass die Regelung des § 808 Abs. 2 ZPO es dem Gerichtsvollzieher ermöglicht, andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere im Gewahrsam des Schuldners zu belassen, sofern nicht hierdurch eine Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. Rechtliche Folge des Fremdgewahrsams des Schuldners ist ein Besitzmittlungsverhältnis gemäß § 868 BGB.77 Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den §§ 1204 ff. BGB, die bei der Bestellung des Faustpfandrechtes ein Übergabesurrogat im Sinne des § 930 BGB ausschließen. Diese Abweichung von den privaten Pfandrechtsbestimmungen lohnt eine nähere Betrachtung. a) Die Schwäche der §§ 1204 ff. BGB Die Vorschriften zum Faustpfandrecht sparen die Möglichkeit der Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses entsprechend § 930 BGB aus.78 Sinn und Zweck dieser Aussparung ist es, die Gefahren einer unbefugten Verfügung des besitzenden Schuldners über das Pfandobjekt zu vermeiden. Ein Dritter könnte das Pfandobjekt gutgläubig und damit lastenfrei von dem Schuldner erwerben, §§ 929, 936 BGB. Daneben bestünde die Gefahr, dass ein konkurrierender Gläubiger im guten Glauben ein vorrangiges Pfandrecht erwerben könnte, §§ 1204 ff. BGB i.V.m. §§ 930, 933 BGB. Diese Gefahr wird durch die Regelung des § 1206 BGB vermieden, die eine Pfandrechtsbestellung bei ausschließlichem oder vorrangigem Besitz des Schuldners verbietet.79 Die sachliche Abweichung des § 1206 BGB von den §§ 929 ff. BGB mag dadurch gerechtfertigt erscheinen, dass in den Fällen des Faustpfandes eher als im Falle der Übereignung die Gefahr der Rechtsvereitelung besteht. Denn infolge seiner Schuldnerstellung verliert das Pfandobjekt für den Besitzer seinen wirt75 Rechtsprechung und Literatur sprechen hier von der staatlichen Beschlagnahme des Pfandobjekts, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 II 1. Diese Bezeichnung findet sich ausdrücklich in den Vorschriften der §§ 20 ff. ZVG. 76 Die Nähe der sogenannten Beschlagnahme zur Rechtsfigur des Verwaltungsaktes betonen auch Werner, JR 1971, 278 (283); Peter Geib, S. 100; Henckel, S. 316, und ansatzweise Lüke/Zawar, JuS 1970, 205 (206, 213). 77 Brox/Walker, Rdnr. 360. 78 Bassenge, in: Palandt, § 1205, Rdnrn. 4, 10. 79 Hingegen lässt sich die Aussparung des § 930 BGB nicht mit dem Publizitätsgedanken begründen, da dieser in gleicher Weise auch bei der direkten Anwendung des § 930 BGB zur Anwendung kommen müsste. Die Publizität könnte – ähnlich wie in der Zwangsvollstreckung – durch eine Siegelung herbeigeführt werden.
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schaftlichen Wert. Eine ähnliche Gefahr besteht aber auch im Rahmen des § 930 BGB, da der Gegenstand für den Veräußerer hier ebenfalls keinen unmittelbaren Wert mehr hat und der Anreiz besteht, den Gegenstand zum eigenen Vorteil auf Kosten des Berechtigten zu versilbern. Schon im Hinblick auf diese vergleichbare Interessenlage ist die Sonderregelung des § 1206 BGB kaum verständlich. Zudem ist es ein alter Hut, dass die Rechtspraxis ihren Bedürfnissen über die Figur des Sicherungseigentums Luft verschafft hat. Diese Konstruktion veranschaulicht, dass die ratio des § 1206 BGB an der tatsächlichen Interessenlage vorbeigeht. Dem Gläubiger, in der Regel einer Bank, ist in den seltensten Fällen an einem unmittelbaren Besitz an dem Sicherungsgegenstand gelegen. Die Banken verfügen in den seltensten Fällen über die erforderlichen Lagerkapazitäten, um den Sicherungsgegenstand zu verwahren. Zudem ist eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Sicherungsgegenstandes nur beim Schuldner möglich. Aus den genannten Gründen verzichtet der Gläubiger in der Regel auf eine Übergabe des Sicherungsgutes und nimmt die Gefahr einer unbefugten Veräußerung des Schuldners in Kauf. Um dieses in der Praxis gewünschte Ziel zu erreichen, bleibt infolge der missglückten Regelung des § 1206 BGB nur der Weg der Sicherungsübereignung. Dieser Weg schießt aber über das eigentliche Ziel hinaus, indem der Gläubiger nunmehr nicht nur Pfandrechtsinhaber, sondern Eigentümer des Sicherungsgutes wird. Die weiteren Fehlentwicklungen in der Entwicklung des Anwartschaftsrechtes sind hinlänglich bekannt.80 b) Reformanstoß Es ist aufgrund der bisherigen Überlegungen nicht ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber seine Fehlinterpretation in Bezug auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs nicht korrigiert und die Vorschrift des § 1206 BGB den Regelungen der §§ 930 ff. BGB anpasst. Dafür spricht auch die unbestrittene Existenz eines besitzlosen Pfandrechts im Bereich der gesetzlichen Pfandrechte. Man denke nur an das Musterbeispiel des Vermieterpfandrechts, dem nichts anderes zugrunde liegt als ein gesetzlich angeordnetes Besitzmittlungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner. Gleiches gilt für die Regelung des § 808 Abs. 2 ZPO. Die Interessenlage in der Geldvollstreckung verhält sich nicht anders als bei der Bestellung eines rechtsgeschäftlichen Pfandrechts. Der einzige Unterschied besteht in der engen zeitlichen Abfolge von Pfändung und Verwertung.81 Um so verwunderlicher ist es aus Sicht des Gesetzgebers, dass er gerade in der Zwangsvollstreckung trotz der engen zeitlichen Abfolge von Pfändung und Verwertung nicht auf die Möglichkeit eines Besitzmittlungsverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner verzichtet hat. Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung war mithin weitaus vorausschauender. Er hat den praktischen Bedürfnissen des Rechtsverkehrs Rechnung getragen, indem er dem Schuldner eine langfristige Verwendung des Pfandobjektes ermöglicht und dem Gläubiger die zwischenzeitliche Verwahrung 80 81
S. dazu nur Kupisch, JZ 1976, 417 (423 ff.). S.o. I 1 und 2.
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des Pfandobjekts erspart.82 Dem Gläubiger ist allein an dem Erlös aus der Verwertung des Pfandobjektes gelegen, weswegen eine frühzeitige Wegnahme im Rahmen der Pfändung entbehrlich ist.83 Demgegenüber schösse eine anstelle der Pfändung erzwungene Sicherungsübereignung über ihr Ziel hinaus. Dies belegt der Umstand, dass von der in der Zwangsvollstreckung bestehenden Möglichkeit des Selbsterwerbs84 kaum Gebrauch gemacht wird. Das Spannungsverhältnis zwischen der Regelung des § 808 Abs. 2 ZPO und der Vorschrift des § 1206 BGB hat in der Literatur bislang keine Beachtung gefunden. Es ließe sich ein einheitliches Erklärungsmodell entwickeln, wenn man die Pfandrechtsbestellung allein an der Regelung des § 808 Abs. 1 ZPO messen wollte und die Möglichkeit der Gewahrsamsbelassung gemäß § 808 Abs. 2 ZPO als zeitlich sich anschließenden Vorgang interpretieren wollte.85 Voraussetzung wäre dann in jedem Fall eine Inbesitznahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher, der gemäß § 808 Abs. 2 ZPO jedoch die Möglichkeit hätte, die Sache nach erfolgter Pfändung wieder an den Schuldner zurückzugeben. Gegen dieses Verständnis spricht jedoch bereits der Wortlaut des § 808 Abs. 2 ZPO, der davon spricht, die Pfandsache im Gewahrsam des Schuldners zu „belassen“. Zudem ist die Wirksamkeit der Pfändung in diesen Fällen durch ihre Siegelung bedingt, § 808 Abs. 2 S. 2 ZPO. Die Pfändung kann daher nicht allein im Rahmen des § 808 Abs. 1 ZPO vollzogen werden. Daneben würde die spätere Rückgabe der Pfandsache gemäß § 1253 BGB zum Erlöschen des Pfandes führen. Es besteht auch überhaupt kein Bedürfnis, die Abweichung von der Regelung des § 1206 BGB sachlich zu rechtfertigen. Denn diese hat sich als systemwidrig erwiesen. Vielmehr ist eine Brücke zu der Vorschrift des § 930 BGB zu schlagen, der die Regelung des § 808 Abs. 2 S. 1 ZPO entspricht. Der Systemfehler liegt nicht im Vollstreckungsrecht, sondern im Recht zum Faustpfand begründet. Demzufolge sollten Reformbestrebungen in diesem Bereich ansetzen. Bedenkenswert ist dabei auch der Ansatz, den Gedanken der Siegelung auf den privaten Bereich zu übertragen. Durch eine der hoheitlichen Siegelung vergleichbare privatrechtliche Kennzeichnung könnte dem bisherigen Schutzgedanken des § 1206 BGB weiterhin Rechnung getragen werden und zudem die parallele Zielsetzung mit der Regelung des § 808 Abs. 2 ZPO betont werden.86 Dies wäre eine Harmo82 In den Motiven, abgedruckt bei Hahn, Materialien, S. 452 f., kommen diese Beweggründe allerdings nicht so deutlich zum Tragen. Maßgeblich war die Überlegung, dass die Siegelung des Pfandobjekts dem Publizitätsprinzip genüge. 83 Es sei denn, es besteht die konkrete Gefahr einer Vereitelung der Verwertung, § 808 Abs. 2 S. 1 a.E. ZPO. 84 S. dazu die §§ 814 ff. ZPO. 85 So Brox/Walker, Rdnr. 360. 86 Die Gefahr einer unbefugten Verfügung durch den Schuldner ist nicht zu leugnen, weswegen auf die Siegelung nicht etwa – wie in Frankreich – gänzlich verzichtet werden sollte. Da die Pfändung in Frankreich nicht durch Anbringung eines nach außen sichtbaren Pfandsiegels kenntlich gemacht wird, kann der Dritte im Falle seiner Gutgläubigkeit, die gesetzlich vermutet wird, Art. 2268 CC, (lastenfreies) Eigentum erwerben, Art. 2279 CC. Eine Bösgläubigkeit wird dem Dritten angesichts der fehlenden Siegelung kaum nachzuweisen sein. Er muss allerdings den unmittelbaren Besitz an der Sache erlangen, Art. 1141 CC.
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nisierung von Faust- und Pfändungspfandrecht in die richtige Richtung. Die bestehenden Versäumnisse nachzuholen, sollte daher Anliegen des Gesetzgebers sein. Schließlich waren ihm die plausiblen Überlegungen zum Pfändungspfandrecht der Zivilprozessordnung bereits einige Jahrzehnte vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bekannt. 3. Versagung eines gutgläubigen Erwerbs Die Vollstreckungsvoraussetzungen ersetzen die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung und Übergabe des Pfandgegenstandes durch den Schuldner. Sie allein genügen daher nicht, um das Entstehen des Pfändungspfandrechts zu begründen. Voraussetzung hierfür ist vielmehr gemäß §§ 1204, 1205 BGB das Vorliegen einer zu sichernden Forderung und die Berechtigung des Schuldners an dem Pfandgegenstand. Ersteres ist durch das Titelerfordernis sichergestellt. Die Berechtigung des Schuldners ist hingegen weder im Vorfeld noch während der Vollstreckung Gegenstand einer gesonderten Überprüfung. Daran vermag auch die formalisierte Prüfung des Schuldnergewahrsams gemäß § 808 ZPO nichts zu ändern, weil sie lediglich die staatliche Gewaltanwendung legitimieren soll, nicht aber die verbindliche Feststellung der zivilrechtlichen Voraussetzungen des § 1204 BGB bezweckt. Liegen daher allein die Voraussetzungen des § 808 ZPO vor, ist der Schuldner also Gewahrsamsinhaber, jedoch nicht Eigentümer des Pfandobjekts, vermag dies nicht die tatsächliche Berechtigung des Schuldners und damit die Entstehung eines Pfändungspfandrechts zu begründen, sondern allein die Legitimation für die gewaltsame Erzwingung der Verpfändungserklärung und die Übergabe des Pfandobjekts. In der weiteren Folge stellt sich die Frage, ob der Gläubiger nicht in direkter oder analoger Anwendung des § 1207 BGB gutgläubig ein Pfändungspfandrecht vom Nichtberechtigten erwerben kann. Diese Frage wird mit Recht verneint.87 a) Das Fehlen einer freiwilligen Verpfändungserklärung Bei der Frage des gutgläubigen Erwerbs des Pfändungspfandrechts macht sich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Vertragspfandrecht und dem Pfändungspfandrecht bemerkbar, der ausnahmsweise eine Abweichung von den §§ 1204 ff. BGB rechtfertigt und notwendig macht. Der Gedanke des gutgläubigen Erwerbs beruht maßgeblich auf Rechtsscheinsgesichtspunkten und dem Gedanken des Verkehrsschutzes. Der im Besitz einer Sache befindliche Veräußerer erscheint äußerlich als durch den Besitz an der Sache legitimiert. Dieser parallel zu § 1006 BGB auch in § 808 ZPO zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke rechtfertigt allein aber noch nicht den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten. Hinzukommen muss vielmehr eine Erklärung des Schuldners, durch die er sich tatsächlich des Eigentums an der in seinem Besitz befindlichen Sache be87
RGZ 90, 193 (195); 104, 300 (301); Huber, S. 155 m.w.N.; Werner, JR 1971, 278 (279).
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rühmt. Erst dann ist der Erwerber in seinem Vertrauen auf die Berechtigung des Verfügenden schutzwürdig. An dem Element der Eigentümergerierung mangelt es in der Zwangsvollstreckung, da die freiwillige Verpfändungserklärung des Schuldners und die Übergabe durch staatlichen Zwang ersetzt werden. Dieser staatliche Zwang vermag wohl, den entgegenstehenden Schuldnerwillen zu beugen, vermag jedoch nicht ein Vertrauen des Gläubigers auf die Berechtigung des Schuldners an den in seinem Besitz befindlichen Gegenstand zu begründen.88 Denn außer dem Besitz fehlt es an weiteren Anhaltspunkten für eine darüber hinausgehende Rechtsinhaberschaft des Schuldners. Wollte man auch insoweit die erzwungene mit der freiwilligen Verpfändungserklärung des Schuldners gleichstellen, so würde man den Schuldner im Ergebnis zu einer Unterschlagung zwingen. Dabei ist auch zu beachten, dass es in der Vollstreckung nicht – wie im Falle der §§ 1204 ff. BGB – der Schuldner ist, der das Pfandobjekt auswählt und zur Verfügung stellt, sondern vielmehr der Gerichtsvollzieher, der kraft des staatlichen Gewaltmonopols dazu autorisiert ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein Verkehrsschutzinteresse zu verneinen. b) Gleichstellung mit dem gesetzlichen Pfandrecht Die Versagung eines gutgläubigen Erwerbs des Pfändungspfandrechts vom nichtberechtigten Schuldner widerspricht nicht dem Verständnis des Pfändungspfandrechts als dritte Art des zivilrechtlichen Pfandrechts. Vielmehr unterstreichen die bisherigen Überlegungen die Nähe des hoheitlich herbeigeführten Pfandrechts zu dem gesetzlichen Pfandrecht. Diese Nähe drückt sich nicht nur durch die Möglichkeit der Bestellung eines besitzlosen Pfandrechts aus,89 sondern auch in der Versagung eines gutgläubigen Erwerbs. Nicht anders als beim Pfändungspfandrecht führt beim gesetzlichen Pfandrecht das Fehlen einer freiwilligen Verpfändungserklärung und einer Übergabe des Pfandobjekts zu dem Ergebnis, dass der Gläubiger in seinem guten Glauben auf die Berechtigung des Schuldners nicht geschützt wird. Mit Recht wird daher die Regelung des § 1257 BGB, die die Vorschriften über das durch Rechtsgeschäft „bestellte“ Pfandrecht auf das kraft Gesetzes „entstandene“ Pfandrecht für entsprechend anwendbar erklärt, getreu dem zitierten Wortlaut ausgelegt.90 Nicht anders als beim Pfändungspfandrecht gibt es also auch beim gesetzlichen Pfandrecht keinen gutgläubigen Erwerb.
88 Ebenso in seiner Bewertung Werner, JR 1971, 278 (279): „Da keine rechtsgeschäftliche Bestellung vorliegt, ist auch ein gutgläubiger Erwerb des Pfandrechts gem. § 1207 BGB nicht möglich.“ 89 S.o. 2 b. 90 Danach sind die Vorschriften der §§ 1205–1208 BGB nicht auf das gesetzliche Pfandrecht übertragbar, da der Wortlaut des § 1257 BGB ein bereits entstandenes Pfandrecht voraussetzt. So statt vieler Bassenge, in: Palandt, § 1257, Rdnr. 2.
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Die Gleichstellung von Pfändungspfandrecht und gesetzlichem Pfandrecht findet sich abschließend bestätigt bei näherer Betrachtung der Verweisungstechnik des § 804 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. Gemäß § 804 Abs. 1 ZPO erwirbt der Gläubiger durch die Pfändung das Pfändungspfandrecht. Dieses gemäß § 804 Abs. 1 ZPO begründete Pfändungspfandrecht gewährt dem Gläubiger gemäß § 804 Abs. 2 ZPO im Verhältnis zu anderen Gläubigern dieselben Rechte wie ein durch Vertrag erworbenes Pfandrecht. Nicht anders als bei § 1257 BGB setzt die Verweisung des § 804 Abs. 2 ZPO also die Entstehung des Pfändungspfandrechts bereits voraus. Die Regelung des § 1207 BGB wird hier also ebenfalls nicht von der Verweisungsnorm erfasst.91 4. Modifizierung der privaten Pfandrechtstheorie im Bereich der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen Besteht die zu sichernde Forderung nicht oder ist der Schuldner nicht Rechtsinhaber an dem Pfandobjekt, so entsteht kein Pfändungspfandrecht. Dies ergibt sich bereits aus der Begriffsbestimmung des Pfandrechts gemäß § 1204 BGB, die sämtliche Arten des Pfandrechts erfasst. Fraglich ist, wie es sich bei Mängeln der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen verhält. Die private wie die gemischte Pfandrechtstheorie gehen von einer Gleichstellung mit den zivilrechtlichen Formvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus. Die Nichteinhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen führt also analog § 125 S. 1 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, d.h. ein Pfändungspfandrecht kommt nicht zur Entstehung. Unterschiede bestehen nur insoweit, als die gemischte Theorie einschränkend nur die wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen der Nichtigkeitsfolge unterwirft, wohingegen die Verletzung von bloßen Ordnungsvorschriften die Entstehung des Pfändungspfandrechts nicht hindern soll. Dieser gedankliche Ansatz mag der Regelung des § 134 BGB entspringen, bei der Rechtsprechung und Lehre ebenfalls den Verstoß gegen reine Ordnungsvorschriften von der Nichtigkeitsfolge ausgenommen haben.92
91 Ein gutgläubiger Erwerb des Pfändungspfandrechts lässt sich abschließend auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 898 ZPO ableiten. Zwar ist die Regelung des § 894 ZPO hier analog herangezogen worden, um die Fiktion einer Verpfändungserklärung durch den Schuldner zu begründen. Die Interessenlage ist auch insoweit vergleichbar, als der Schuldner durch die Verurteilung in der Hauptsache gleichsam gezwungen wird, die in der Vollstreckung erforderlichen Erklärungen abzugeben. Diesbezüglich besteht jedoch – anders als im Rahmen der direkten Anwendung des § 894 ZPO bei der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung zur Übereignung eines konkreten Vermögensgegenstands – im Zeitpunkt der Verurteilung nur ein allgemeiner Bezug zu der sich anschließenden Vollstreckung ohne Einbeziehung eines konkreten Vermögensgegenstandes. Es wäre daher verfehlt, analog § 898 ZPO in der Situation der erst durch das Vollstreckungsorgan zu konkretisierenden Pfändung die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb für anwendbar zu erklären. 92 Zugleich lässt sich der Ansatz auf die Vorschriften der §§ 1243, 1244 BGB zurückführen, die eine vergleichbare Regelung treffen, s. dazu noch im Detail unter IV 3. Diese gedankliche Parallele unterstreicht ein weiteres Mal die Nähe des Pfändungspfandrechts zum Faustpfandrecht.
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a) Zivilrechtliche Bewertung von Mängeln des Vollstreckungsverfahrens? Es stellt sich die generelle Frage, ob Mängel im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen überhaupt einer zivilrechtlichen Bewertung unterzogen werden dürfen. Dafür mag zunächst der Gedanke sprechen, dass die Vollstreckung auf eine zivilrechtliche Rechtsfolge, die Bewirkung des Pfändungspfandrechts, gerichtet ist. Bei genauerer Betrachtung hat sich hingegen herausgestellt, dass das Pfändungspfandrecht nicht Rechtsfolge der Zwangsvollstreckung ist, sondern Ergebnis des § 1204 BGB.93 Die Zwangsvollstreckung ersetzt lediglich zwei der für das Entstehen eines Pfandrechts notwendigen vier Tatbestandsmerkmale. Diese zwei Merkmale beurteilen sich wiederum als Auswuchs des staatlichen Gewaltmonopols ausschließlich nach den Kriterien des öffentlichen Verwaltungsrechts.94 Es widerspräche dem staatlichen Gewaltmonopol, Fehler innerhalb des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens nach zivilrechtlichen Grundsätzen beurteilen zu wollen. b) Besinnung auf die verwaltungsrechtliche Fehlerfolgenlehre Handelt es sich bei dem Vollstreckungsverfahren um ein behördliches Verwaltungsverfahren und wird die Beschlagnahme in ihren Rechtswirkungen ohnehin einem Verwaltungsakt gleichgesetzt,95 so spricht dies dafür, auch Mängel innerhalb des Verfahrens anhand der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre zu beurteilen.96 Schließlich endet der konkrete Pfändungsvorgang mit dem Erlass eines auf Duldung gerichteten Verwaltungsaktes und dessen Vollzug. Es liegt daher
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S.o. 1. Bezogen auf diese Modifikation der privatrechtlichen Theorie ist der an ihr bislang geäußerten Kritik zuzustimmen, dass sich die Zwangsvollstreckung nicht aus einer privaten Vollstrekkungsmacht des Gläubigers ableitet, sondern eine hoheitliche Tätigkeit des Staates und seiner Organe darstellt, so etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a. Eine weitergehende Verlagerung der Zwangsvollstreckung in den Bereich des öffentlichen Rechts ist hingegen nicht angebracht, da sich die staatliche Gewaltanwendung auf die bloße Willensbeugung beim Schuldner beschränkt. 95 So Werner, JR 1971, 278 (283); Peter Geib, S. 100, und Henckel, S. 316. 96 Diese Nähe hat schon Schwinge, S. 110, Fn. 1, in seiner Untersuchung zum fehlerhaften Staatsakt im Mobiliarvollstreckungsrecht aufgezeigt: „Darin berührt sich die vorliegende Arbeit stark mit den neueren staatsrechtlichen Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts.“ In eine ähnliche Richtung gehen die Ausführungen von Bähr, KTS 1969, 1 (9): „Aus dem bürgerlichen Recht lassen sich hingegen keine Regeln darüber ableiten, welche formellen Voraussetzungen ein Zwangsvollstreckungsakt als Tatbestand zivilrechtlicher materieller Rechtsfolgen erfüllen muß; dies kann sich allein aus Normen des Zwangsvollstreckungsrechts und den sie ergänzenden allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätzen ergeben. Demnach sind auch unter Zugrundelegung der herrschenden gemischt öffentlich-rechtlich-privatrechtlichen Theorie des Pfändungspfandrechts die Kriterien für die Beurteilung der materiellen Folgen von Fehlern des Vollstreckungsverfahrens allein dem öffentlichen Recht zu entnehmen.“ In der weiteren Folge haben auch Lüke/Zawar, JuS 1970, 205 (211, 213), auf das Ineinandergreifen der Fehlerfolgenlehren verschiedener Rechtsgebiete, beispielsweise im Zusammenhang mit privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakten, hingewiesen, ohne allerdings einen Bezug zur Zwangsvollstreckung herzustellen. 94
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nahe, Rechtsverstöße an den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts zu messen.97 Maßgeblich für die Bewertung von Verfahrensverstößen sind folglich die §§ 43 ff. VwVfG.98 Dies bedeutet, dass nur besonders schwerwiegende und offenkundige Rechtsfehler zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen und damit die Entstehung des Pfändungspfandrechts hindern.99 Alle übrigen Rechtsverstöße bedingen allein die Anfechtbarkeit der Vollstreckungsmaßnahme.100 Setzt sich der betroffene Schuldner oder ein in seinen Rechten verletzter Dritter mithin nicht gegen die Vollstreckungsmaßnahme zur Wehr, so bleibt auch die Verletzung wesentlicher Vollstreckungsvoraussetzungen ohne Einfluss auf die fingierte Verpfändungserklärung und die erzwungene Übergabe des Pfandobjekts.
III. Die Schnittstelle zwischen Pfändung und Verwertung Das Vollstreckungsverfahren kristallisiert sich als ein selbständiges Element im Rahmen des Pfändungstatbestandes heraus. Die Schnittstelle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren und dem nach Privatrecht zu beurteilenden Pfändungspfandrecht scheint gefunden zu sein. Es stellt sich daher die Frage, weshalb über diese Grenze hinaus gemeinhin auch der Verwertungsvorgang dem Recht der Zwangsvollstreckung zugeordnet wird.101
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Zumal sich herausgestellt hat, dass sich auch die Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens aus dem Verwaltungsverfahrensrecht ableiten lassen. 98 Ansatzweise findet sich die Parallele zwischen den hoheitlichen Vollstreckungsakten einerseits und den „im Verwaltungsrecht beheimateten Verwaltungsakten befehlender und gestaltender Art“ andererseits bei Kuchinke, JZ 1958, 198 (198), ohne dass dieser jedoch aus der angesprochenen Parallele weitere Rückschlüsse ziehen würde. Kuchinke vertritt daher die gemischte Pfandrechtstheorie. 99 Auf diese geläufige Terminologie des § 44 VwVfG stellen beispielsweise Henckel, S. 316; Pesch, JR 1993, 358 (362); Werner, JR 1971, 278 (284), und ansatzweise Lüke/Zawar, JuS 1970, 205 (213), ab. Ebenso Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 c, indem er von der Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften sowie von der Offenkundigkeit des Fehlers spricht. Unklar bleibt hingegen, weshalb sich Schilken in demselben Zusammenhang gegen eine derartige Anlehnung ausspricht: „Die Annäherung an die Einordnung des fehlerhaften Verwaltungsaktes birgt zudem die Gefahr, dass die spezifisch verfahrensrechtlichen Besonderheiten des Vollstreckungsrechts vernachlässigt werden.“ Ebenso zurückhaltend Gaul, Rpfleger 1971, 1 (5); ders., FamRZ 1972, 533 (535); ders., NJW 1989, 2509 (2511), und Fahland, S. 96. Näher beschrieben wird die befürchtete Gefahr hingegen nicht, weshalb die Vorbehalte gegenüber dem Verwaltungsverfahrensgesetz auch hier – nicht anders als bei der Charakterisierung der Zwangsvollstreckung – nebulös bleiben. 100 So im Ergebnis auch Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 7 II 3 b; Jauernig, § 16 III C 1, und Walker, in: Schuschke/Walker, Vor §§ 803, 804, Rdnr. 14, die für einen Gleichlauf von Verstrickung und Pfändungspfandrecht plädieren. Anders hingegen schon Schwinge, S. 64, sowie Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 b, aa, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 27.12, die auf die vermögensschützende Funktion zahlreicher Verfahrensvorschriften hinweisen. Diesbezüglich bleibt den Betroffenen jedoch die Anfechtung der Vollstreckungsmaßnahme unbenommen, weshalb der erstgenannten Meinungsgruppe der Vorrang einzuräumen ist. 101 Eine gewisse Trennung zwischen Pfändung und Verwertung ist im schweizerischen Recht angedeutet. Die Vorschriften des schweizerischen Betreibungsgesetzes unterscheiden systematisch
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
1. Plädoyer für ein einheitliches Verwertungsverfahren Sinn und Zweck des staatlichen Gewaltmonopols vermögen eine staatliche Einmischung im Bereich der Verwertung nicht zu rechtfertigen, da die staatliche Gewaltanwendung mit der erzwungenen Übergabe des Pfandobjektes endet.102 Die sich anschließende Verwertung ist Ausfluss des durch das Pfändungspfandrecht begründeten Verwertungsrechts des Gläubigers.103 Wäre dieses öffentlich-rechtlichen Ursprungs, so dürfte es im Rahmen des Vertragspfandrechts keine Regelungen zur Verwertung geben. Es bedürfte dann einer Verweisungsnorm auf das Vollstreckungsverfahren. Umgekehrt beweist die Existenz der §§ 1228 ff. BGB, dass ein sachgerechtes Verwertungsverfahren auch außerhalb der Zwangsvollstreckung vorstellbar ist. Das Verwertungsverfahren kann daher der Zwangsvollstreckung auch nicht mit dem Argument zugeordnet werden, allein die staatliche Einmischung gewährleiste eine wirtschaftliche Verwertung des Schuldnervermögens. Im Gegenteil bestätigt beispielsweise das italienische Vollstreckungsmodell, dass ein Rückgriff auf privatrechtliche Verwertungsregelungen auch innerhalb der Zwangsvollstreckung durchführbar ist.104 Der Zweck eines wirtschaftlichen Verwertungsverfahrens verlangt mithin keine Intervention des Staates durch den Einsatz von eigenem Personal. Es genügt, das Verwertungsverfahren gesetzlich zu normieren und seine Durchführung spezialisierten Berufsgruppen vorzubehalten, die nicht notwendig hoheitlich tätig zu werden brauchen.105 Mit anderen Worten kann die Verwertung eines materiellen Rechts, hier des Pfändungspfandrechts, unabhängig von seinem Entstehungstatbestand erfolgen.106 zwischen der Pfändung und der sich anschließenden Verwertung. Innerhalb dieser Gliederungspunkte wird erst im Anschluss zwischen den einzelnen Arten der Geldvollstreckung differenziert. Zudem ist die Pfändung mitunter den Betreibungsweibeln anvertraut, während die Verwertung allein von den Bediensteten des Betreibungsamtes vorgenommen wird. 102 Nicht umsonst spricht Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 I, in Bezug auf die Befriedigung des Gläubigers von dem dritten Akt im Anschluss an die Pfändung und Verwertung. Fasst man hingegen bereits die Verwertung als solche als zivilrechtlichen Vorgang auf, so erübrigt sich diese weitere Schnittstelle. 103 So noch ganz klar RGZ 61, 330 (333); 104, 300 (301); 126, 21 (26); Säcker, JZ 1971, 156 (158 f.); Huber, S. 155, und die Ausführungen von Goldschmidt, § 94 1: „Die ganze weitere Vollstreckung stellt sich als die Verwirklichung des Pfändungspfandrechts dar.“ 104 Die Verwertungsarten in Italien gliedern sich in die gerichtliche Zuweisung an den Gläubiger zu einem bestimmten Wert, art. 5292, 505 ss. c.p.c., oder aber in die Zwangsveräußerung, entweder im Wege des Verkaufs durch einen Kommissionär, art. 532 c.p.c., oder durch Versteigerung seitens des Gerichtsvollziehers, art. 534 c.p.c. Die Möglichkeit der Kommission veranschaulicht, dass die Italiener die Verwertung nicht notwendig als hoheitlichen Akt verstehen. 105 Zu der Organisation der Verwertung und der Stellung des Gerichtsvollziehers im Rahmen der Versteigerung noch im Detail unter § 23 II 4. 106 Henckel, S. 310, führt weiter aus: „Es gibt privatrechtsbegründende und privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte … Die gestalteten oder begründeten Rechte sind nicht deshalb öffentlichrechtlich, weil sie durch staatliche Hoheitsakte entstanden oder verändert worden sind. Ob das begründete oder gestaltete Recht dem öffentlichen oder dem Privatrecht angehört, bestimmt sich allein nach den Wirkungen dieses Rechtes.“ Ähnlich Huber, S. 73 ff., der allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verwertung eines vertraglichen Pfandrechts ebenso wie diejenige eines Pfändungspfandrechts generell hoheitlich zu verstehen sei.
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Im Ergebnis schießt das Zwangsvollstreckungsrecht mit seinen gesonderten Verwertungsvorschriften über das eigentliche Ziel hinaus. Die staatliche Gewaltanwendung rechtfertigt es nicht, über das gewaltsam begründete Pfändungspfandrecht hinaus auch das nachfolgende Verwertungsverfahren der Hand des Gläubigers zu entziehen. In diesem Bereich ist vielmehr eine Rückführung auf das zu vollstreckende Schuldverhältnis angebracht. Eine Rückbesinnung auf die Verwertungsvorschriften, die das Bürgerliche Gesetzbuch bereitstellt, tut Not. Schließlich ist nur ein einheitliches Verwertungsverfahren für die drei denkbaren Arten der Pfandrechte geeignet, die unberechtigte Privilegierung einzelner Pfandrechtsgläubiger durch unterschiedliche Verwertungsvorschriften zu vermeiden.107 2. Die verbleibende Schnittstelle innerhalb des Verwertungsvorgangs Die Regelung des § 808 Abs. 2 ZPO ermöglicht es dem Gerichtsvollzieher, abweichend von der vertraglichen Pfandrechtsbestimmung des § 1206 BGB die gepfändete Sache im Gewahrsam des Schuldners zu belassen.108 Dies hat zur Konsequenz, dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen der anstehenden Versteigerung den Pfandgegenstand gesondert in Besitz zu nehmen hat. Dabei handelt es sich – gemessen an den Vorschriften der §§ 1204 ff. BGB – gleichsam um die letzte Voraussetzung der wirksamen Pfandrechtsbestellung, da diese Vorschriften die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses ausschließen und die körperliche Übergabe der Pfandsache zur wirksamen Begründung des Pfandrechts voraussetzen.109 Demgegenüber ermöglicht § 808 Abs. 2 ZPO bereits die vorangehende Pfandrechtsbestellung. Gleichwohl steht auch hier die endgültige Wegnahme des Pfandgegenstandes in unmittelbarem Zusammenhang mit der Pfändung. Denn der Anspruch auf Herausgabe des Pfandobjekts resultiert aus der Pfändung. Er ergibt sich aus dem durch staatlichen Zwang begründeten Besitzmittlungsverhältnis. Wegen dieser Sachnähe zur Vollstreckung bedarf es in der Vollstreckung keines gesonderten Herausgabetitels mehr.110 Grundlage für die endgültige Wegnahme ist vielmehr der ursprünglich im Rahmen der Pfändung ergangene Verwaltungsakt. Zeitlich ist diese Wegnahme dagegen bereits dem Verwertungsvorgang zuzuordnen, da sie zumeist erst unmittelbar vor der Versteigerung der Pfandsache erwirkt wird. Dies ändert jedoch nichts an der inhaltlichen Nähe zu dem durch die Vollstreckung herbeigeführten Vorgang der Pfändung.
107 Mit Recht sieht das Bürgerliche Gesetzbuch daher auch für das gesetzliche Pfandrecht keine vom Faustpfandrecht abweichenden Verwertungsvorschriften vor. 108 S.o. II 2 b. 109 S.o. II 2 a. 110 Anders etwa im Rahmen des § 1219 BGB.
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Vierter Teil: Die eigentliche Zwangsvollstreckung
IV. Der Verwertungsvorgang Erweist sich für die Pfändung eine Anknüpfung an die Vorschriften zum Faustpfandrecht als hilfreich, so erscheint auch im Bereich der Verwertung vorrangig vor der Bezugnahme auf die spezifischen Verwertungsvorschriften der Zwangsvollstreckung eine Betrachtung der Verwertungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs als sinnvoll. 1. Die Verwertungstatbestände der §§ 1228 ff. BGB Gemäß § 1228 Abs. 1 und 2 BGB erfolgt die Verwertung des Faustpfandrechts durch Verkauf der Pfandsache. Der Gläubiger ist zum Verkauf berechtigt, sobald die Forderung fällig ist. Dieses Verwertungsrecht ist Auswuchs des Pfandrechts. Mit der Bestellung des Pfandrechts überträgt der Eigentümer dem Gläubiger gleichsam als Ausschnitt aus dem Eigentumsrecht das Recht zur Verwertung der Pfandsache,111 bedingt durch die Fälligkeit der zu sichernden Forderung. Der Pfandgläubiger wird bei Fälligkeit der Forderung zum Verfügungsberechtigten im Sinne der §§ 929 ff. BGB. Es ist daher nur konsequent, dass § 1242 BGB die Verfügung durch den Pfandgläubiger der Verfügung durch den Eigentümer gleichstellt. Auch die Wirksamkeit des zugrunde liegenden Kausalgeschäfts bemisst sich nach Zivilrecht. Der Kaufvertrag zwischen Gläubiger und Erwerber kommt mit dem Zuschlag zustande, § 156 BGB.112
111 Ebenso Pesch, JR 1993, 358 (360), der daraus sogleich folgende plakative Frage gegen die öffentliche Pfandrechtstheorie ableitet: „Woher kommt die Verwertungsbefugnis als Abspaltung vom Eigentum? Wenn das Pfändungspfandrecht das nicht leistet, wie soll die Verstrickung es tun?“. 112 Die öffentlich-rechtlichen Theorien bedürfen hier eines unnötigen Kunstgriffs, um die Verweisung des § 817 Abs. 1 ZPO auf § 156 BGB begründen zu können. So soll gemäß RGZ 156, 395 (397 f.); Baumann/Brehm, § 5 II 4 a, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a, die hoheitliche Eigentumszuweisung durch den Gerichtsvollzieher einem vertraglichen Verständnis nicht im Wege stehen. Die Gebote stellten den erforderlichen Antrag und der Zuschlag die Annahme dar. Da von einem öffentlich-rechtlichen Vertrag aber weder in § 817 Abs. 1 ZPO noch in § 156 BGB die Rede ist, findet diese Ansicht nur eingeschränkte Zustimmung. Ablehnend etwa im Sinne einer einseitigen hoheitlichen Tätigkeit des Gerichtsvollziehers Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, § 817, Rdnr. 3, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 817, Rdnr. 20. Vermittelnd Lüke, ZZP 1954, 356 (369), der einerseits die Einseitigkeit der hoheitlichen Eigentumszuweisung betont, andererseits den Erwerbswillen des Erstehers für unverzichtbar hält. Insoweit sei die hoheitliche Eigentumszuweisung als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt zu verstehen. In der weiteren Konsequenz interpretiert Lüke, ZZP 1955, 341 (351, 353), auch den der Eigentumszuweisung zugrunde liegenden „schuldrechtlichen Vorgang“ als hoheitliche Maßnahme des Gerichtsvollziehers. Diese Deutung ist aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie nur konsequent. Vermeidet sie doch die Wertungswidersprüche, denen sich eine privatrechtliche Deutung des „Versteigerungsvertrages“ aussetzt. In der weiteren Folge läuft der Verweis in § 817 Abs. 1 ZPO auf § 156 S. 1 BGB jedoch ins Leere. Der Verweis beschränkt sich laut Lüke, ZZP 1955, 341 (352), auf die Regelung des § 156 S. 2 BGB.
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a) Die Tätigkeit des Versteigerungsorgans als Vertreter des Gläubigers Besonderheiten gegenüber dem freien Veräußerungsrecht des Eigentümers ergeben sich für den Pfandrechtsgläubiger aus den Vorschriften der §§ 1234 bis 1240 BGB, die den Verkauf des Pfandes besonderen Verfahrensvorschriften unterwerfen. Diese bezwecken die Gewährleistung einer möglichst effektiven Verwertung. Der Schuldner soll vor einer unzumutbaren Zerschlagung seiner Vermögenswerte geschützt werden. § 1235 Abs. 1 BGB ordnet daher den Verkauf des Pfandes im Wege öffentlicher Versteigerung an. Diese hat durch einen für den Versteigerungsort bestellten Gerichtsvollzieher oder zu Versteigerungen befugten anderen Beamten oder öffentlich angestellten Versteigerer zu erfolgen, § 383 Abs. 3 S. 1 BGB, ohne dass dadurch aber die zivilrechtliche Bewertung des Verwertungsvorgangs beeinträchtigt würde. Das Versteigerungsorgan wird lediglich als Stellvertreter des Gläubigers tätig,113 wie sich aus § 1242 BGB ergibt, der die im Rahmen der Versteigerung erfolgende Verfügung der Verfügung des Eigentümers gleichstellt. In der weiteren Folge kommen gemäß § 1244 BGB auch die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten dem Erwerber in der Versteigerung zugute.114 b) Versteigerung als staatliche Leistungsverwaltung Die Verfahrensvorschriften der §§ 1234–1240 BGB lassen sich als spezifisches Berufsrecht der Versteigerungsorgane auffassen. Sie sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen, da sie das Verhältnis dieser Berufsgruppe zum Staat zum Gegenstand haben. Allein der Sachzusammenhang mit den zivilrechtlichen Verwertungsregelungen erklärt die Ansiedlung dieser Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch. Hinsichtlich ihrer Rechtsnatur sind die Vorschriften strikt von den zivilrechtlichen Verwertungsregelungen zu unterscheiden, da sie sich nicht an Gläubiger, Schuldner und Erwerber richten, sondern an das Versteigerungsorgan. Diese Trennung hat zur Folge, dass auch aus der Rechtsnatur der §§ 1234– 1240 BGB kein Rückschluss auf die Stellung des Versteigerungsorgans im Rahmen der Verwertung gezogen werden kann.115 Die öffentliche Bestellung des Ge113 So auch Pesch, JR 1993, 358 (363 ff.), und Marotzke, NJW 1978, 133 (136), gegen die ganz herrschende Meinung. Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1, bezeichnet eine derartige Auffassung als unhaltbar. 114 Ebenso Paulus, in: Festschrift für Nipperdey, S. 909 (923 ff.); Säcker, JZ 1971, 156 (159); Marotzke, NJW 1978, 133 (136); Pesch, JR 1993, 358 (363 ff.), sowie Pinger, JR 1973, 94 (98). Ablehnend hingegen die ganz herrschende Meinung im Sinne der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie, s.u. 3 c. 115 So treffend die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in BGHZ 119, 75 (81): „Sogar wenn man die Verwertung im Rahmen der Zwangsvollstreckung wegen des staatlichen Zwangsmonopols als hoheitliche Aufgabe versteht, schließt das nicht im Einzelfall deren Verwirklichung in privatrechtlichen Formen, jedoch kraft staatlicher Anordnung und unter staatlicher Aufsicht aus.“ Leider hat der Bundesgerichtshof jedoch aus dieser Feststellung nicht die Konsequenz gezogen, auch das öffentlich-rechtliche Verständnis der Verwertung in der Zwangsvollstreckung als solches in Frage zu stellen.
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richtsvollziehers steht seiner zivilrechtlichen Funktion im Rahmen der Verwertung nicht im Wege, da er hier nur als Stellvertreter des Gläubigers in Erscheinung tritt.116 Die öffentliche Bestellung ist keine zwingende Voraussetzung für eine wirksame Verwertung des Pfandrechts, da dieser Verwertungsvorgang nach den Vorschriften der §§ 1242 ff. BGB rein zivilrechtlich konzipiert ist. Wie in anderen Bereichen der öffentlichen Leistungsverwaltung eröffnet dies dem Versteigerungsorgan die Möglichkeit, in zivilrechtlicher Form tätig zu werden, auch wenn es öffentlich bestellt ist. Dass die öffentliche Bestellung in § 383 Abs. 3 BGB als Voraussetzung für das Versteigerungsorgan angeordnet ist, unterstreicht mithin allein den Sachzusammenhang mit der hoheitlich erfolgenden Pfändung und das Interesse des Gesetzgebers an der Neutralität des Versteigerungsorgans. Diese ließ sich aus Sicht des damaligen Gesetzgebers wohl nur durch staatliche Beteiligung gewährleisten. Hingegen hätte es aus heutiger Sicht genügt, entsprechende Berufsvorschriften zu erlassen, ohne zugleich die Aufgabe als Versteigerungsorgan dem öffentlichen Dienst vorzubehalten.117 Es handelt sich nicht um spezifisch hoheitliche Funktionen im Sinne einer staatlichen Eingriffsverwaltung. Sein grundsätzliches Wahlrecht bei der Ausgestaltung der Handlungsform hat der Gesetzgeber klar zugunsten des Zivilrechts ausgeübt, was aufgrund des Sachzusammenhangs mit dem zivilrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner nur sachgerecht erscheint und dem Gedanken einer möglichst weitgehenden Zurückhaltung des Staates Tribut zollt. Die Schnittstelle zwischen den öffentlich-rechtlichen Berufsvorschriften und den privatrechtlichen Verwertungsregelungen bilden die Vorschriften der §§ 1243, 1244 BGB, die die Wirksamkeit der Veräußerung nicht allein an die zivilrechtlichen Voraussetzungen der §§ 929 ff. BGB knüpfen, sondern auch die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften verlangen. Insoweit lässt sich § 1243 BGB als Spezialvorschrift zu § 134 BGB verstehen. Ein Verstoß gegen die in § 1243 BGB aufgeführten wesentlichen Verfahrensvorschriften führt in Abgrenzung zu den bloßen Ordnungsvorschriften zur Unwirksamkeit der Veräußerung. Konstruktiv lässt sich diese Unwirksamkeit nur mit dem Wegfall der Berechtigung erklären, nicht hingegen mit einer Nichtigkeit der dinglichen Einigung, da die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb gemäß § 1244 BGB auch über Verstöße gegen die in § 1243 BGB genannten Verfahrensvorschriften hinweghelfen sollen. 2. Die Suche nach einer Existenzberechtigung für die §§ 814 ff. ZPO Die Existenz eigenständiger Verwertungsregelungen für das Pfändungspfandrecht neben den bestehenden Verwertungstatbeständen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bislang in der vollstreckungsrechtlichen Reformdiskussion nicht the116 Dem Gläubiger ist die Ausübung des Pfandrechts in eigener Person wegen der bestehenden Interessenkonflikte versagt. 117 S. zum Umfang staatlicher Hoheitsgewalt entweder durch Gesetz allein oder auch durch staatliches Personal bereits im ersten Teil unter § 2 II 1.
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matisiert worden. Dies muss insofern verwundern, als einheitliche Regelungen zur Verwertung von Pfändungspfandrecht und Faustpfandrecht in anderen Rechtsordnungen nicht unbekannt sind. a) Das schweizerische Vorbild einheitlicher Verwertungsregelungen Wer in der Schweiz für eine durch Pfand gesicherte Forderung die Betreibung einleiten will, hat sich an den Vorschriften des Betreibungsgesetzes zu orientieren. Dieses sieht neben dem dritten Titel „Betreibung auf Pfändung“ einen vierten Titel „Betreibung auf Pfandverwertung“ vor, der ergänzende Vorschriften für die Verwertung eines bereits vertraglich oder gesetzlich begründeten Pfandrechts vorsieht. Es fehlt an Vorschriften im schweizerischen Zivilrecht, die den §§ 1228 ff. BGB vergleichbar wären. Durch die weitgehende Verweisung auf das Betreibungsrecht wird im schweizerischen Recht der in Deutschland bestehende Dualismus zwischen der Verwertung eines vertraglich bzw. gesetzlich begründeten Pfandrechts einerseits und der Verwertung eines Pfändungspfandrechts andererseits vermieden.118 Dieses einheitliche Vollstreckungsmodell mag in der Schweiz dadurch bedingt sein, dass das Prinzip der Verlustgemeinschaft in größerem Maße als das Prioritätsprinzip ein einheitliches Verwertungsverfahren erfordert.119 Die Frage, weshalb diese Einheit aufgrund des Prioritätsprinzips und des damit bedingten Konstrukts des Pfändungspfandrechts aufgegeben werden sollte, bleibt gleichwohl im deutschen Recht unbeantwortet. b) Das zivilrechtlich geprägte Verständnis der §§ 814 ff. ZPO Die Existenz der besonderen Verwertungsregelungen der §§ 817 ff. ZPO ist historisch bedingt damit zu erklären, dass es bei Inkrafttreten der Zivilprozessordnung120 noch kein einheitliches Bürgerliches Gesetzbuch gab, auf das der Gesetzgeber hätte Bezug nehmen können. Umgekehrt hätte es daher bei Erlass des Bürgerlichen Gesetzbuchs nahegelegen, im Rahmen der Verwertungsvorschriften zum Faustpfandrecht auf die §§ 817 ff. ZPO Bezug zu nehmen. Diesen Weg, den man in der Schweiz und in Italien beschritten hat, ist der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs jedoch nicht gegangen, sondern er hat sich für ein eigenständiges Regelungswerk entschieden. Dieses zivilrechtliche Regelungswerk hat sich durchaus bewährt.121 Ein unnachweisbares Bedürfnis hierfür bestand hinge118 Eine ähnliche Regelung findet sich auch im italienischen Vollstreckungsrecht. Art. 502 c.p.c. stellt ebenfalls das Bindeglied zwischen Vertrags- und Vollstreckungsrecht her. Danach gelten unbeschadet der art. 2795, 2797, 2798, 2804, 2911 c.c. für die Zwangsvollstreckung bereits gepfändeter Sachen und hypothekarisch belasteter beweglicher Sachen, art. 2784 ss. c.c., die Bestimmungen des Codice di Procedura Civile (c.p.c.). Zuweisung oder Verkauf können jedoch ohne vorangegangene Pfändung beantragt werden. 119 Nicht umsonst sieht auch das deutsche Insolvenzrecht nur ein einheitliches Verwertungsverfahren vor. 120 Als Teil der Reichsjustizgesetze ist die Zivilprozessordnung bereits mit der Gründung des Deutschen Reiches in Kraft getreten. 121 S.o. 1 b.
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gen nicht, da auch die Vorschriften der §§ 817 ff. ZPO zivilrechtlich geprägt sind.122 Da sich der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung jedoch seinerseits durch die Verweisung des § 804 ZPO eine detaillierte Regelung zum Pfandrecht ersparen wollte,123 mag der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine eigenständige Regelung für erforderlich gehalten haben, die aber im Bereich der Verwertung nicht detaillierter ausgefallen ist als in der Zivilprozessordnung. § 753 ZPO kennzeichnet das Handeln des Vollstreckungsorgans als mandatarisches Handeln für den Gläubiger, indem von einem „Auftrag“ als Kennzeichen der Vertragsbeziehung zwischen Gläubiger und Vollstreckungsorgan die Rede ist. Es bedarf keiner hoheitlichen Tätigkeit des Vollstreckungsorgans im Rahmen der Versteigerung, da nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers das Pfandrecht Grundlage der Verwertung ist.124 In der weiteren Folge wird auch der Vertrag, der in der Versteigerung durch den Zuschlag zwischen Gläubiger und Ersteigerer zustande kommt, als Kaufvertrag bezeichnet, § 817 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 156, 450 BGB, und der Versteigerungserlös als Kaufgeld, § 817 Abs. 3 ZPO. Auch in der Vorschrift des § 806 ZPO kommt das zivilrechtliche Verständnis des Versteigerungsvorgangs als Kaufvertrag zum Ausdruck. Anderenfalls hätte es der Anordnung, dass das Recht der Gewährleistung in der Zwangsvollstreckung nicht zur Anwendung kommt, nicht bedurft. In Anknüpfung an das schuldrechtliche Grundgeschäft ist ebenso dessen Abwicklung gemäß § 817 Abs. 2 ZPO durch „Ablieferung der zugeschlagenen Sache gegen bare Zahlung“ eindeutig zivilrechtlich zu verstehen. Die Empfangnahme des Erlöses durch den Gerichtsvollzieher gilt sodann gemäß § 819 ZPO als Zahlung seitens des Schuldners. Die gesetzlichen Regelungen der §§ 814 ff. ZPO unterstreichen die im Rahmen der §§ 1228 ff. BGB angestellten Überlegungen zur Funktion des Gerichtsvollziehers im Rahmen der Versteigerung.125 Dessen hoheitliche Bestellung schließt nicht seine privatrechtliche Betätigung im Rahmen der Verwertung des Pfändungspfandrechts aus. Und so erklären sich auch im Bereich der Zwangsvollstreckung die öffentlich-rechtlichen Verfahrensvorschriften zum Ablauf der Versteigerung nicht als Ausdruck einer staatlichen Eingriffsverwaltung, sondern lediglich als Berufsrecht des Versteigerungsorgans. Dessen Legitimation zur Verwertung der Pfandsache leitet sich nicht aus den öffentlich-rechtlichen Verfahrensvorschriften, sondern aus dem Pfändungspfandrecht des Gläubigers ab. c) Die mangelnde Koordinierung der Gesetzgebungsverfahren In der Gesamtbetrachtung stellen sich die Verwertungsregelungen der Zivilprozessordnung nicht anders dar als diejenigen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Betont wird dieser Eindruck durch einige wechselseitige Verweisungen.126 Die par122
Im Einzelnen dazu Säcker, JZ 1971, 156 (158). Hahn, Materialien, S. 450. 124 Näher dazu Säcker, JZ 1971, 156 (158). 125 S.o. 1 a. 126 Siehe dazu beispielhaft die Vorschriften der §§ 816 Abs. 4 ZPO, 817 Abs. 1 ZPO; 1233 Abs. 2 BGB. 123
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allelen Regelungen bringen letztlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber ein einheitliches Bild vom Vertrags- und Pfändungspfandrecht vor Augen hatte. Die Existenz der §§ 814 ff. ZPO ist mithin nicht etwa auf eine dogmatisch gebotene Abgrenzung zum Faustpfandrecht zurückzuführen, sondern ist vielmehr bedingt durch die zeitliche Abfolge der Gesetzgebungsverfahren zur Zivilprozessordnung und zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Wäre das Bürgerliche Gesetzbuch vor der Zivilprozessordnung in Kraft getreten, so hätte es der Vorschriften der §§ 814 ff. ZPO nicht bedurft und der Gesetzgeber hätte sich auf eine Verweisung im Sinne des § 804 Abs. 2 ZPO beschränken können. Im Vorfeld des Bürgerlichen Gesetzbuchs war eine solche Bezugnahme jedoch ausgeschlossen, da es im Deutschen Reich noch kein einheitliches Verwertungsmodell zum Pfandrecht gab.127 3. Der Verkehrsschutz in der Versteigerung Für den Bereich des Vertragspfandrechts bestimmt § 1244 BGB, dass die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb entsprechende Anwendung finden, falls eine Sache als Pfand veräußert wird, ohne dass dem Veräußerer ein Pfandrecht zusteht. Der Erwerber wird also in seinem guten Glauben an den Bestand eines Gläubigerpfandrechts und damit an die Berechtigung des Versteigerungsorgans geschützt. Weiß der Erwerber hingegen oder ist ihm infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt, dass dem Gläubiger kein Pfandrecht zusteht, so wird der Erwerber nicht geschützt, § 932 BGB. Diese allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze auf die Versteigerung im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu übertragen, liegt nach den bisherigen Überlegungen zum zivilrechtlichen Verständnis der §§ 814 ff. ZPO nahe. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Parallele zu den Rechtsordnungen einiger europäischer Nachbarn. a) Erstreckung auf den gutgläubigen Erwerber im Ausland Die Frage, inwieweit der Ersteigerer in seinem Vertrauen auf die Berechtigung des Versteigerungsorgans zur Verwertung der Pfandsache geschützt werden soll, beantworten die Franzosen durch einen einfachen Verweis auf die materiell-rechtlichen Vorschriften der Art. 2279, 1141 CC. Der Ersteigerer, der unmittelbaren Besitz an dem Gegenstand erwirbt und gutgläubig ist, wird dessen Eigentümer. Hingegen wird der bösgläubige Erwerber nicht geschützt.128 Dieser ist 30 Jahre lang dem Herausgabeanspruch des Eigentümers ausgesetzt. War der Erwerber gutgläubig, die Sache jedoch gestohlen oder abhanden gekommen, verjährt der Herausgabeanspruch in drei Jahren. Der Ersteigerer kann in Höhe des gezahlten Kaufpreises ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen, Art. 2280 CC. Der in Frankreich vorgenommenen Anknüpfung an die Prinzipien des materiellen Rechts könnte aus deutscher Sicht entgegengehalten werden, dass den Fran127 128
S. dazu nur die Gesetzesmotive, Hahn, Materialien, S. 448 ff. Traichel, S. 91 f., 117.
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zosen das Institut des Pfändungspfandrechts fremd ist. Das französische Modell könnte daher wenig aussagekräftig für die deutsche Vollstreckung sein. Eine solche Argumentation ließe jedoch außer Betracht, dass das Institut des Pfändungspfandrechts lediglich das dogmatische Konstrukt zum Prioritätsprinzip darstellt, das seinerseits keinerlei Aussage über den Verkehrsschutz trifft. Dass ein Rückgriff auf die materiell-rechtlichen Prinzipien im Übrigen auch unter Zugrundelegung des Prioritätsprinzips sinnvoll erscheint, verdeutlicht ein Blick auf die österreichische Vollstreckungsordnung. Wie in Deutschland wird auch in Österreich die Kontroverse um die Rechtsnatur des Pfändungspfandrechts ausgefochten. Dies geschieht unter ausdrücklicher Einbeziehung der deutschen Literatur.129 So wird in Österreich die privatrechtliche Pfandrechtstheorie ebenfalls verworfen.130 Erstaunlicherweise wird jedoch die Frage des Eigentumserwerbs durch einen bösgläubigen Ersteigerer im Falle einer schuldnerfremden Sache nicht weiter problematisiert, sondern schlicht unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 269 EO, 367 ABGB verneint. Es wird allein auf die zivilrechtlichen Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb rekurriert.131 b) Versagung des Verkehrsschutzes oder § 1244 BGB analog in Deutschland? Der Blick zu den europäischen Nachbarn spricht dafür, die materiell-rechtlichen Prinzipien zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten auf den Verwertungsvorgang in der Zwangsvollstreckung zu übertragen. Vom Standpunkt der privaten Pfandrechtstheorie liegt es angesichts der grundsätzlichen Gleichbehandlung von Pfändungs- und Vertragspfandrecht nahe, die Vorschrift des § 1244 BGB zum gutgläubigen Erwerb analog auch auf das Pfändungspfandrecht anzuwenden.132 Eine planwidrige Regelungslücke ist gegeben, da der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung es versäumt hat, diesbezüglich eine Regelung zu treffen. Die vergleichbare Interessenlage könnte sich aus der grundsätzlichen Gleichstellung des Pfändungspfandrechts mit dem Faustpfandrecht ergeben, es sei denn, dass die Besonderheiten der Zwangsvollstreckung eine abweichende Interessenlage begründen würden. Ansatzpunkt dafür könnte der Umstand sein, dass es in der Zwangsvollstreckung an einer freiwilligen Verpfändungserklärung des Schuldners mangelt. Dieser Umstand könnte Veranlassung dazu geben, in der Vollstreckung jegliches Verkehrsschutzinteresse zu leugnen. Das Fehlen einer freiwilligen Verpfändungserklärung des Schuldners gab bereits an früherer Stelle Veranlassung, die analoge Anwendung des § 1207 BGB im Rahmen eines gutgläubigen Erwerbs des Pfandrechts abzulehnen. Diese Ableh129
Holzhammer, S. 242 ff. Holzhammer, S. 243, begründet seine ablehnende Haltung damit, dass die auf die Pfändung folgende Zwangsverwertung unlösbarer Teil der Zwangsvollstreckung sei. Deshalb könne sie nicht Ausfluss eines privaten Pfandrechts sein. 131 Holzhammer, S. 275. 132 So mit Recht Henckel, S. 318. 130
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nung erfolgte jedoch durchaus in Übereinstimmung mit den materiell-rechtlichen Prinzipien des gutgläubigen Erwerbs. Denn im Rahmen der Bestellung des Pfändungspfandrechts mangelt es an der für den Verkehrsschutzgedanken maßgeblichen Berühmung des Schuldners, er sei Eigentümer des Pfandobjekts.133 Aus demselben Grunde kommt § 1207 BGB auch beim gesetzlichen Pfandrecht nicht zur Anwendung. Hingegen nimmt die Verweisungsregel des § 1257 BGB keine Einschränkung hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 1244 BGB auf das gesetzliche Pfandrecht vor. Dies ist ein sicheres Indiz dafür, dass die Interessenlage an dieser Stelle eine andere ist. Der maßgebliche Unterschied liegt darin begründet, dass der Eigentumserwerb im Rahmen der Versteigerung sich nicht vom Schuldner ableitet, sondern vom Gläubiger als Inhaber des Pfandrechts. Seitens des Gläubigers, vertreten durch das Versteigerungsorgan, liegt – anders als von Seiten des Schuldners in der Vollstreckung – eine freiwillige Erklärung zur Veräußerung des Pfandobjekts ebenso vor wie die Bereitschaft, das Pfandobjekt zum Zwecke der Veräußerung an den Erwerber auszuhändigen. Die Initiative zur Versteigerung geht von dem veräußernden Gläubiger aus, während im Rahmen der vorangehenden Pfändung von einer freiwilligen Initiative des Schuldners keine Rede sein kann. Die Pfändung verliert im Rahmen der Versteigerung zudem ihre Bedeutung, da sie für den Erwerber überhaupt nicht erkennbar ist. Wer eine Versteigerung besucht, kann regelmäßig nicht erkennen, ob er an einer freiwilligen oder erzwungenen Versteigerung teilnimmt.134 Die Veräußerungskette setzt sich im Rahmen der Versteigerung um ein weiteres Element fort, das seinerseits allein den Vorschriften über den rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb unterworfen ist. Es ist daher nur sachgerecht, auf die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb zurückzugreifen. Die Regelung des § 1244 BGB kommt im Rahmen der durch die Zwangsvollstreckung erzwungenen Versteigerung analog zur Anwendung.135 c) Verkehrsschutzbedürfnis selbst bei Bösgläubigkeit des Erwerbers? Lassen sich die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 1244 BGB bejahen, so stellt sich im nächsten Schritt die Frage, ob im Rahmen der durch die Zwangsvollstreckung ausgelösten Versteigerung ein weitergehendes Verkehrsschutzbedürfnis besteht. Über die Regelung der §§ 1244, 932 Abs. 2 BGB hinaus wäre der Erwerber dann auch bei grob fahrlässiger Unkenntnis und sogar bei Kenntnis vom Nichtbestehen des Pfändungspfandrechts zu schützen. Diese 133
S.o. II 3 a. Ebenso Säcker, JZ 1971, 156 (158). 135 Hierzu bedarf es nicht des Umwegs über das Verwaltungsprivatrecht, den Pinger, JR 1973, 94 (95 ff.), beschreiten will, um auf diesem Weg die Wertungen der §§ 932 ff. BGB in das öffentliche Recht einführen zu können. Das Verwaltungsprivatrecht hat die Wahrnehmung eigener Geschäfte der Verwaltung zum Gegenstand. Es handelt sich um einen Teil der Leistungsverwaltung, bei dem der Verwaltung das Wahlrecht zusteht, in welcher Rechtsform sie tätig werden will. Dieses Wahlrecht ist gemäß dem achten Buch der Zivilprozessordnung eindeutig zivilrechtlich ausgestaltet, s.o. § 16 II 1. 134
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These der öffentlich-rechtlichen Theorie136 und in ihrem Gefolge der gemischten Theorie137 lässt sich aus der Sicht der zivilrechtlichen Pfandrechtstheorie kaum rechtfertigen.138 Das zivilrechtliche Verständnis des Eigentumserwerbs in der Versteigerung schließt eine Privilegierung des Erwerbers in der Versteigerung gegenüber anderen zivilrechtlichen Erwerbstatbeständen aus. Aufgrund der Gleichstellung des Pfändungspfandrechts mit dem Vertrags- und Gesetzespfandrecht wäre es nicht zu erklären, weshalb der Erwerber eines Pfandobjekts aus der Zwangsvollstreckung besser gestellt sein sollte als derjenige eines freiwillig oder kraft Gesetzes zur Versteigerung kommenden Pfandgegenstandes. Ein weitergehender Schutz des erstgenannten Erwerbers wäre auch deshalb nicht einsichtig, weil im Ablauf der Versteigerung in der Regel überhaupt nicht erkennbar wird, um welche Art des Pfandrechts es sich handelt.139 Muss der Erwerber demzufolge stets damit rechnen, ein vertraglich oder gesetzlich verpfändetes Objekt zu erwerben, so könnte ihn auch ein weitergehender Verkehrsschutz beim Pfändungspfandrecht nicht dazu motivieren, eher ein Gebot abzugeben. Hinzu kommt, dass gemäß § 825 ZPO in der Zwangsvollstreckung ebenfalls die Möglichkeit eröffnet ist, ein Pfandobjekt privatrechtlich versteigern zu lassen. Folglich vermag der Gedanke, das Versteigerungswesen durch einen gesteigerten Verkehrsschutz fördern zu wollen,140 eine derartige Privilegierung des Erwerbers nicht zu begründen. Wollte man diesem Gedanken Rechnung tragen, so müsste der Verkehrsschutz generell für jegliche Art von Versteigerung und für jegliche Pfandgegenstände ausgedehnt werden. Es müsste demzufolge die gesetzliche Regelung des § 1244 BGB angepasst werden. Sodann träten jedoch unüberbrückbare Wertungswidersprüche zu den Vorschriften der §§ 932 ff. BGB auf.141 Denn es wäre nicht einsichtig, weshalb der Eigentumserwerb in der Versteigerung einem höheren Verkehrsschutz unterliegen sollte als derjenige im sonstigen rechtsgeschäftli136 So etwa Lüke, ZZP 1954, 356 (370 f.); ders., JZ 1957, 239 (243); ders., AcP 1954, 533 (546 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 814, Rdnr. 2; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 817, Rdnr. 8, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 9. Einschränkend allerdings für den Fall, dass der Gläubiger die gepfändete Sache selbst gemäß § 817 Abs. 4 ZPO erwirbt Schmitz, NJW 1962, 853 (853 f.); ders., NJW 1962, 2335 (2335 ff.), nach dessen Ansicht die Eigentumszuweisung an den Gläubiger bei Verwertung einer schuldnerfremden Sache nichtig sein soll. Dagegen von Gerkan, MDR 1962, 784 (785 ff.); ders., NJW 1963, 1140 (1141 f.). Die Rechtslage unterscheide sich hier nicht von derjenigen der effektiven Erlösabführung an den Gläubiger nach vorangegangener Barzahlung. Der Vorschrift des § 817 Abs. 4 ZPO komme lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung zu, indem sie den Gläubiger von der Barzahlung in Höhe des ihm ohnehin gebührenden Erlöses befreie. 137 So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 411, sowie Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 8 II 2 b. 138 So auch Marotzke, NJW 1978, 133 (134 ff.); Pinger, JR 1973, 94 (98); Säcker, JZ 1971, 156 (159), und Henckel, S. 318. 139 Ebenso Säcker, JZ 1971, 156 (158). 140 So ohne nähere Begründung Lüke, AcP 1954, 533 (546 f.), und Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 8. 141 De lege lata richtet sich dieser Vorwurf gegen die Aussparung des § 935 BGB in § 1244 BGB. S. dazu noch näher im Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlichen Theorie unter § 18 II 2 b.
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chen Verkehr.142 Der bösgläubige Erwerber ist schlechterdings nicht schutzwürdig.143 Der gutgläubige Erwerber hat demgegenüber in der Versteigerung keinerlei Repressalien zu befürchten. Im Gegenteil schließt das anonymisierte Versteigerungsverfahren schon an sich eine Bösgläubigkeit des Erwerbers aus. Eine Bösgläubigkeit könnte sich allein aus Tatsachen ergeben, von denen der Erwerber außerhalb des Versteigerungsverfahrens Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Für eine diesbezügliche Privilegierung besteht aber keinerlei Veranlassung. Es zeigt sich, dass das Versteigerungswesen keinerlei Verschiebung der Prinzipien zum gutgläubigen Eigentumserwerb bedarf. Dem Verkehrsschutzgedanken wird im Rahmen der Versteigerung durch die geänderten Rahmenbedingungen ausreichend Rechnung getragen. Im Übrigen ist zu beachten, dass der typische Teilnehmer an einer Versteigerung ohnehin keine Vorstellung von einem erhöhten Verkehrsschutz haben dürfte. Erst recht werden ihm die juristischen Unterscheidungen zwischen den drei Kategorien denkbarer Pfandrechte und die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Versteigerung kaum geläufig sein. Es spricht daher alles dafür, die derzeit vorgenommene Differenzierung aufzugeben und zu einer einheitlichen Bewertung zurückzukehren.144 d) Die Fälle der nichtigen Vollstreckungsmaßnahmen Die mangelnde Berechtigung des Gläubigers in Form der fehlenden Inhaberschaft eines Pfandrechts kann im Rahmen des § 1244 BGB auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein. Es kann an einer wirksamen Verpfändungserklärung ebenso mangeln wie an der Berechtigung des Schuldners, die sich dann fortlaufend auswirkt, wenn der Gläubiger seinerseits nicht gutgläubig war. Über all diese Mängel, die zur fehlenden Berechtigung des Gläubigers im Rahmen der Versteigerung führen, hilft gemäß § 1244 BGB der gute Glaube des Erwerbers hinweg. aa) Die Schutzbedürftigkeit des gutgläubigen Erwerbers Wendet man die Regelung des § 1244 BGB im Rahmen der Zwangsvollstreckung analog an, so ergibt sich eine ähnliche Situation. Die mangelnde Berechtigung des 142 Werner, JR 1971, 278 (284), spricht denn auch von „gewichtigen Argumenten“, die gegen den Schutz des bösgläubigen Erwerbers in der Zwangsversteigerung sprechen. Als Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie weicht er einer weiteren Diskussion mit dem Argument aus, dass dieses durch Interessenabwägung gewonnene Ergebnis nicht vom Theorienstreit abhänge. Er vernachlässigt dabei die private Pfandrechtstheorie, die zu einem gegenteiligen Ergebnis führt. 143 Ebenso in ihrer Wertung Marotzke, NJW 1978, 133 (134 ff.); Pinger, JR 1973, 94 (98); Säcker, JZ 1971, 156 (159); Henckel, S. 316 ff., und Paulus, in: Festschrift für Nipperdey, S. 909 (918 ff.). Nur bei Kenntnis: Bruns/Peters, § 23 IV 3 b. Nur bei Arglist: Jauernig, § 18 IV A, und Mohrbutter, § 15 V, Fn. 31. 144 Da bislang mit Recht keine Überlegungen zur Überleitung der zivilrechtlichen Bestimmungen zur Verwertung des gesetzlichen und des vertraglichen Pfandrechts in das öffentliche Recht angestellt worden sind, erscheint es geraten, auch die Versteigerung im Rahmen der Zwangsvollstrekkung an zivilrechtlichen Maßstäben zu messen, zumal das öffentliche Recht keine abweichenden Prinzipien beinhaltet. S. dazu noch näher im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Theorie unter § 18 II 2 e.
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Gläubigers kann sich ebenfalls aus einer vorangehenden Nichtberechtigung des Schuldners ableiten.145 Daneben ist die Situation denkbar, dass es an einer wirksamen „Verpfändungserklärung“ mangelt und die die Verpfändungserklärung ersetzenden Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Grundsätzlich führt ein solcher Mangel bei den öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen lediglich zur Anfechtbarkeit der Vollstreckungsmaßnahme, die als solche Bestand hat.146 Im Falle eines Nichtigkeitsgrundes hingegen ist die Vollstreckungsmaßnahme als solche rechtlich nicht existent. Die öffentlich-rechtliche Theorie kommt in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass ein Eigentumserwerb ausgeschlossen ist.147 Aus zivilrechtlicher Sicht ergeben sich dagegen keine Abweichungen gegenüber den sonstigen Fällen eines gutgläubigen Erwerbs. Es besteht keinerlei Veranlassung, im Falle der Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs auszuschließen.148 Die Nichtigkeit stellt nur eine Fallvariante der fehlenden Berechtigung des Gläubigers dar. Aus welchem Grund der gutgläubige Erwerber in diesem Falle nicht schutzwürdig sein sollte, ist nicht ersichtlich.149 Schließlich ist der Anlass für die fehlende Berechtigung des Gläubigers, sei es die fehlende Berechtigung des Schuldners, sei es die Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme, für den Erwerber nicht erkennbar.150 Diese aus der Vollstreckungssphäre zwischen Gläubiger und Schuldner herrührenden Umstände können keinen Einfluss auf die Frage des gutgläubigen Erwerbs haben. Es würde sich – ähnlich wie bei dem über § 1244 BGB hinausgehenden Verkehrsschutz des bösgläubigen Erwerbers151 – um sachfremde Kriterien handeln, dieses Mal jedoch zulasten des Erwerbers. In der Konsequenz der öffentlich-rechtlichen Theorie müsste die von ihr praktizierte Ablehnung eines gutgläubigen Erwerbs im Falle der Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme zu einer Beeinträchtigung des Versteigerungswesens führen.152 Da nämlich dieses Risiko – anders als die Frage der Gutgläubigkeit im Rahmen des § 1244 BGB – von dem Erwerber nicht zu steuern ist, müsste sich jeder Erwerber des potentiellen Risikos etwaiger Herausgabeansprüche ausge145 Über diese hilft dem Gläubiger seine Gutgläubigkeit nicht hinweg, da § 1207 BGB im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht anwendbar ist, s.o. II 3. 146 S.o. II 4. 147 S. dazu noch im Einzelnen unter § 18 III 5. 148 So im Ergebnis auch Lindacher, JZ 1970, 360 (361 f.); Huber, S. 137 ff., und Säcker, JZ 1971, 156 (159). 149 Im Ergebnis ebenso für einen Schutz des Erwerbers bei formgerechter Versteigerung und Ablieferung plädieren Lindacher, JZ 1970, 360 (362); Stöber, in: Zöller, § 817, Rdnr. 9; Bruns/Peters, § 23 IV 3 c, sowie Huber, S. 137 ff. 150 Darauf hat mit Recht bereits Huber, S. 139, hingewiesen: „In allen diesen Fällen kann der Ersteher nach h. M. kein Eigentum erwerben, ohne daß er mit dem Vorliegen solcher Fehler notwendig rechnen müßte oder sich über ihr Nichtvorliegen vergewissern könnte.“ 151 S.o. c. 152 Ebenso kritisch Huber, S. 139: „… erheben sich Zweifel, ob das Vorhaben der modernen, von Stein begründeten Vollstreckungstheorien, die Aussicht des Erstehers auf Eigentumserwerb zu verstärken, verwirklicht ist. Es erscheint fraglich, ob die sich aus der Ablehnung des Gutglaubensschutzes ergebenden Konsequenzen … hinreichend bedacht sind.“
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setzt sehen. Dass dieses Argument jedoch in der Rechtspraxis nicht zum Tragen kommt, belegt zum einen, dass für einen gesteigerten Verkehrsschutz in der Versteigerung kein Bedürfnis besteht, und zum anderen, dass die von der öffentlichrechtlichen Theorie durchgeführten Differenzierungen im praktischen Rechtsverkehr überhaupt keine Rolle spielen.153 bb) Der Regelfall der Gutgläubigkeit In tatsächlicher Sicht stellt sich die Frage, ob der Erwerber gutgläubig sein kann, sofern die Vollstreckungsmaßnahme nichtig ist. Auf den ersten Blick scheint dies angesichts der Bestimmung des § 44 VwVfG kaum vorstellbar zu sein.154 Denn eine Nichtigkeit liegt nur dann vor, wenn die Vollstreckungsmaßnahme an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Der Gedanke der Offenkundigkeit legt es nahe, von einer Bösgläubigkeit des Erwerbers auszugehen. Die Betonung dürfte jedoch in Fällen der vorliegenden Art vielmehr auf dem Merkmal der „Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände“ liegen. Diese aus der Vollstreckungssphäre von Gläubiger und Schuldner herrührenden Umstände entziehen sich regelmäßig der Kenntnis des Erwerbers im Rahmen einer anonymisierten Versteigerung. Selbst wenn der Erwerber von der Vollstreckung Kenntnis haben sollte, wird er in der Regel mangels Kenntnis der genauen Hintergründe auf die Ordnungsmäßigkeit der staatlichen Vollstreckung vertrauen dürfen.155 Die Gutgläubigkeit des Erwerbers ist demzufolge selbst bei Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme der Regelfall. e) Analoge Anwendung von § 142 Abs. 2 BGB bei anfechtbaren Vollstreckungsmaßnahmen Bei Mängeln im öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren kommt die Fehlerfolgenlehre der §§ 43 ff. VwVfG zur Anwendung.156 Im Regelfall der (vorläufigen) Wirksamkeit der Vollstreckungsmaßnahme verliert diese erst mit ihrer Anfechtung ihren rechtlichen Bestand. Was die Situation des gutgläubigen Erwerbs in der Versteigerung gemäß § 1244 BGB anbelangt, ist die Interessenlage insoweit mit derjenigen der zivilrechtlichen Anfechtbarkeit vergleichbar. Der Erwerber ist für den Fall der späteren Anfechtung der Rechtshandlung, die zur Entstehung des Gläubigerpfandrechts geführt hat, dann nicht schutzwürdig, wenn er bereits im Zeitpunkt des Erwerbs von den die Anfechtbarkeit begründenden Tatsachen Kenntnis hatte. Die öffentlich-rechtliche Anfechtbarkeit der Vollstreckungsmaßnahme im Rahmen des Pfändungspfandrechts ist nicht anders zu beurteilen als 153 Während das allgemeine Prinzip des Schutzes des gutgläubigen Erwerbers für den Laien noch geläufig und nachvollziehbar sein mag, wird der rechtsunkundige Erwerber in der Versteigerung kaum eine Vorstellung von der Differenzierung haben, die die h. M. in Abhängigkeit von den Fehlerquellen für die mangelnde Berechtigung des Gläubigers vornimmt, s.o. c. 154 Zur Anwendung des § 44 VwVfG s. noch näher unter § 18 III 5. 155 Ebenso in seiner Bewertung Huber, S. 139. 156 S.o. II 4 b.
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die zivilrechtliche Anfechtbarkeit der Verpfändungserklärung im Rahmen des vertraglichen Faustpfandrechts. Denn die Vollstreckungsmaßnahme bildet lediglich das Surrogat für die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung des Schuldners. Aufgrund dieser parallelen Interessenlage und der gesetzlichen Regelungslücke ist es angebracht, auf die gesetzliche Regelung des § 142 Abs. 2 BGB zurückzugreifen und diese im Rahmen der Zwangsvollstreckung analog anzuwenden. Der Erwerber wird also in der Versteigerung im Falle seiner grob fahrlässigen Unkenntnis oder seiner Kenntnis von Mängeln aus dem Vollstreckungsverfahren nicht geschützt, sofern die Vollstreckungsmaßnahme aus diesem konkreten Grund später erfolgreich angefochten wird. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb ist dann ausgeschlossen.
V. Ergebnis Charakterisiert man die Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren und versteht man ihre Funktion in Übereinstimmung mit dem staatlichen Gewaltmonopol als Surrogat der fehlenden freiwilligen Verpfändung seitens des Schuldners, so ermöglicht dies ein Bild von der Pfändung und Verwertung, das sowohl mit dem Zivilrecht als auch mit dem öffentlichen Recht harmoniert. Die Grenzlinie zwischen privatem und öffentlichem Recht ist in diesem Sinne neu zu ziehen.157 Das Pfändungspfandrecht ist gemäß der privaten Pfandrechtstheorie dem vertraglichen sowie dem gesetzlichen Pfandrecht gleichzustellen. Lediglich im Bereich der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre ergeben sich geringfügige Modifikationen. An dieser Stelle kommen die Wertungen des öffentlichen Rechts zum Zuge. Im Bereich der Verwertung ist hingegen eine öffentlich-rechtliche Bewertung fehl am Platze, da sich die Zwangsvollstreckung auf den Pfändungsvorgang beschränkt.
§ 18 Analyse der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie Die bisherigen Überlegungen ermöglichen eine enge Anbindung des Pfändungspfandrechts an das Zivilrecht und zugleich eine Einbettung des öffentlich-rechtlichen Elements der Zwangsvollstreckung in den Pfändungstatbestand, ohne dass es eines gesonderten öffentlich-rechtlichen Aktes der Beschlagnahme als Grundlage der sich anschließenden Verwertung bedürfte. Im Folgenden stellt sich daher anhand der Untersuchung der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie die Frage, wozu es neben dem Pfändungspfandrecht der Figur der Verstrickung bedarf.
157
In diesem Sinne äußern sich auch Bruns/Peters, § 20 III 2, für eine Rechtsfortbildung.
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I. Die Verstrickung als Grundlage der Verwertung In den einleitenden Bemerkungen zum Streit um die Pfandrechtstheorien ist auf den wachsenden Einfluss des öffentlichen Rechts zu Beginn des letzten Jahrhunderts hingewiesen worden.158 Dieser Wandel hat sich bis heute merkwürdigerweise nicht auf das Verständnis der Zwangsvollstreckung als solche ausgewirkt, obwohl eine Hinwendung zum allgemeinen Verwaltungsrecht durchaus ratsam wäre.159 Im Bereich des Pfändungs- und Verwertungsvorgangs hat sich die Rechtsprechung hingegen der Entwicklung gebeugt, was in der weiteren Folge zu einer Abwendung von der privaten Pfandrechtstheorie geführt hat. Grundlage der Verwertung des Pfandobjekts soll allein die „öffentlich-rechtliche Verstrickung“ sein, die für sich genommen schon das Entstehen des „öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts“ begründen soll, das den Gerichtsvollzieher zur Verwertung des Pfandobjekts berechtigt. Der Erwerber in der Versteigerung erwirbt das Eigentum nicht vom Gläubiger, sondern aufgrund eines sogenannten originären hoheitlichen Erwerbsaktes vom Gerichtsvollzieher. In der weiteren Folge soll es bei der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache auch nicht mehr auf den guten Glauben des Erwerbers ankommen.160 Die Vorschriften über das private Pfandrecht kommen nur im Einzelfall zur Anwendung. So soll zum Beispiel der Pfandgläubiger analog §§ 1227, 985 BGB die Herausgabe der gepfändeten Sache an den Gerichtsvollzieher verlangen können, wenn die Sache unberechtigt in den Besitz eines Dritten gelangt ist.161 Der Gerichtsvollzieher seinerseits wird im Rahmen der Versteigerung nicht mehr als Vertreter des Gläubigers eingestuft, sondern als eigenständiges, hoheitlich tätig werdendes Rechtssubjekt.
II. Erklärungsansätze für die Verstrickung Die Erklärungsansätze in der Literatur für eine Hinwendung der Zwangsvollstreckung zum öffentlichen Recht sind bis heute recht nebulös geblieben. Es ist die Rede davon, die Zwangsvollstreckung aus den Niederungen des Privatrechts 158
S.o. § 16 II 1. S.o. § 4 VI. 160 So die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie Lüke, ZZP 1954, 356 (370 f.); ders., JZ 1957, 239 (243); ders., AcP 1954, 533 (546 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 814, Rdnr. 2; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 817, Rdnr. 8; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 9; wie auch die Befürworter der gemischten Pfandrechtstheorie Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 411, und Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 8 II 2 b. 161 So Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 804, Rdnr. 10; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 804, Rdnr. 6; Martin, S. 129, Fn. 127; Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 1, und Münzberg, ZZP 1965, 287 (294 f.). Ebenso wohl Werner JR 1971, 278 (285), als Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie m.w.N. Ablehnend hingegen Lüke, JZ 1955, 484 (485), der auch eine analoge Anwendung des § 1227 BGB ablehnt und dem Gerichtsvollzieher selbst kraft der von ihm ausgeübten Verwertungsbefugnis das Recht einräumen will, die Sache vom Dritten herausverlangen zu können. 159
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in die hohe Sphäre staatlicher Rechtsausübung emporzuheben.162 Diese aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts herrührende Forderung muss in ihrer Unbestimmtheit nicht verwundern, da die Verwaltungsrechtsdogmatik zu diesem Zeitpunkt noch in ihren Kinderschuhen steckte. Aus heutiger Sicht bestehen hingegen klare gesetzliche Vorgaben, an denen sich die öffentlich-rechtliche Theorie und in ihrem Gefolge auch die gemischte Pfandrechtstheorie messen lassen muss, will sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, der Verwaltungsrechtsdogmatik hinterherzuhinken. Es stellt sich konkret die Frage, ob das öffentliche Recht eine derart weitreichende Loslösung der Zwangsvollstreckung vom Zivilrecht erfordert, wie sie die öffentlich-rechtliche Theorie vollzieht, oder ob nicht die hier vorgenommene Modifikation der privaten Pfandrechtstheorie der heutigen Verwaltungsrechtsdogmatik ausreichend Rechnung trägt. Merkwürdigerweise wird die Frage nach der Existenzberechtigung der Verstrickung kaum mehr gestellt, obwohl sich im übrigen Bereich der Vollstreckung bis heute eine beharrliche Skepsis gegenüber dem öffentlichen Recht, namentlich dem allgemeinen Verwaltungsrecht, erhalten hat.163 Der Frage nach der ratio der Verstrickung ist daher zunächst nachzugehen. 1. Auswuchs des staatlichen Gewaltmonopols? Parallel zu den bekannten Beschlagnahmetatbeständen aus dem öffentlichen Recht164 liegt es nahe, auch der Pfändung den Charakter eines Beschlagnahmeaktes zuzumessen mit der Folge der Begründung einer staatlichen Verfügungsmacht. Diese Auffassung scheint durch das Verständnis der Zwangsvollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren nur untermauert zu werden. Das Verbot der privaten Selbsthilfe zwingt den Staat, im Rahmen der Zwangsvollstreckung von seinem staatlichen Gewaltmonopol Gebrauch zu machen. Es scheint daher unausweichlich zu sein, als Rechtsfolge der Pfändung dem Staat die Verfügungsgewalt über das Pfandobjekt zuzusprechen.165 a) Beschränkung des Gewaltmonopols auf den Akt der gewaltsamen Willensbeugung Die einleitenden Überlegungen, die durchaus nahe liegen, vernachlässigen den eigentlichen Zweck, insbesondere den Umfang des in der Zwangsvollstreckung 162
So schon Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 7. Diese Skepsis erscheint im Bereich der Pfandrechtstheorien durchaus angebracht, wie die nachfolgenden Überlegungen ergeben werden. 164 Zu denken ist insbesondere an die Beschlagnahme im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, §§ 94 ff. StPO. 165 So die ganz herrschende Meinung: Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 56 ff.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Übers § 803, Rdnr. 6; Brox/Walker, Rdnrn. 361 f.; Peter Geib, S. 16; Lüke, Zwangsvollstreckungsrecht, Nr. 147 c, und Schwinge, S. 9; ablehnend nur Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 41 II 4, und Fahland, S. 48 ff. Ähnlich Huber, S. 53 ff., 56, der „allenfalls“ von einer Verfügungsmacht des Gläubigers ausgeht und dem Gerichtsvollzieher lediglich die tatsächliche Sachherrschaft zuschreibt. 163
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zum Einsatz kommenden staatlichen Gewaltmonopols. Abweichend von sonstigen Verwaltungsverfahren ist zu berücksichtigen, dass der Staat mit der Gewaltanwendung nicht die Verwirklichung eigener staatlicher Interessen, wie zum Beispiel die Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, bezweckt, sondern die Verwirklichung fremder privater Interessen, nämlich die Erfüllung des Anspruchs eines privaten Gläubigers. Es findet sich demzufolge keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine staatliche Beschlagnahme in Form der Verstrickung.166 Die von der Zivilprozessordnung vorgesehene staatliche Intervention beschränkt sich allein auf den Akt der gewaltsamen Willensbeugung. Die weitergehenden Rechtsfolgen bestimmen sich hingegen nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.167 Konkret gesprochen heißt dies, dass der Staat sich auf den Bereich der Gewaltanwendung im Rahmen der Pfandrechtsbestellung zu beschränken hat. Ist der Wille des Schuldners gebeugt und die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung und Übergabe mit Gewalt erzwungen worden, haben sich die weitergehenden Rechtsfolgen an dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis zu orientieren. Aus dem staatlichen Gewaltmonopol erwächst keine Legitimation für die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Pfandrechts. Will man sich an dem Institut des privatrechtlichen Pfandrechts orientieren und über die Verwertung dieses Sicherungsrechts die bezweckte Erfüllung des Gläubigeranspruchs herbeiführen, so muss man sich an den zivilrechtlichen Vorgaben orientieren.168 b) Das Fehlen einer Gewaltanwendung im Rahmen der Verwertung Selbst nach dem Verständnis der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorien setzt die Versteigerung des Pfandobjekts keine weitergehende Gewaltanwendung voraus. Denn die staatliche Verfügungsmacht wird bereits mit der Pfändung herbeigeführt. Der Unterschied zu der privaten Pfandrechtstheorie besteht allein darin, dass die entzogene Verfügungsmacht nicht dem Gläubiger, sondern dem Staat zugewiesen wird. Dafür besteht aber keine Rechtfertigung, wie der einfache Rückgriff auf das vertragliche Faustpfandrecht veranschaulicht.169 Denn dessen 166
Zu diesem verfassungsrechtlichen Problem s. noch im Einzelnen unter III 1 a. Das Verbot der privaten Selbsthilfe rechtfertigt keine weitergehenden staatlichen Eingriffe mehr, s.o. § 2 II 2. 168 Alternativ besteht nur die Möglichkeit, unter völliger Abwendung von dem Institut des privaten Pfandrechts ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beschlagnahme- und Verwertungsverfahren einzuführen. Die Legitimation für ein staatliches Verwertungsverfahren wäre dann aus dem Umstand abzuleiten, dass eine Rückkopplung an das zu vollstreckende Schuldverhältnis im Anschluss an die Beschlagnahme noch nicht möglich ist, sondern – ebenso wie im Bereich der direkten Vollstreckung von anderweitigen Ansprüchen – erst durch die Erfüllung als solche vorgenommen werden kann. Diese Konsequenz haben die öffentlich-rechtlichen Theorien jedoch nicht, da sie an dem Institut des Pfandrechts, wenn auch mit öffentlich-rechtlichem Gepräge, festhalten wollen. 169 Dies gilt erst recht in Anbetracht des Umstandes, dass das Verfügungsverbot des Schuldners nicht Folge oder Inhalt der Verstrickung, sondern der Pfändung sein soll, Peter Geib, S. 15 f., und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 a bb. Wozu bedarf es dann noch der Verstrickung? Anhand des Faustpfandrechts lässt sich vielmehr das Verfügungsverbot des Schuldners als bloße Kehrseite der Pfändung zugunsten des Gläubigers erklären. 167
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Verwertung durch den Gerichtsvollzieher als Vertreter des Gläubigers wird nicht einmal von den Vertretern der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorien in Frage gestellt. Das Recht zur Verwertung ist schlicht Inhalt des Pfandrechts. Weshalb sollte es sich aber in der Zwangsvollstreckung anders verhalten? Hier wird dem Schuldner ebenfalls das dingliche Verwertungsrecht als Teil des Eigentums entzogen und dem Gläubiger zugewiesen. Die Anhänger der öffentlichrechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie bleiben eine Begründung für ihre abweichende Bewertung der Verwertungsvorgänge schuldig.170 Dies ist einerseits verständlich, da beide Theorien insoweit miteinander übereinstimmen. Andererseits stellt diese Weichenstellung die grundsätzliche Abkehr von der privaten Pfandrechtstheorie dar. Die bloße Behauptung, es könne heute als gesicherte Erkenntnis der Wissenschaft und Rechtsprechung angesehen werden, dass die Verwertung einer gepfändeten Sache eine hoheitliche Maßnahme des Staates darstelle,171 vermag über diese Schwäche kaum hinwegzuhelfen. c) Die zivilrechtliche Ausgestaltung des Versteigerungsvorgangs Zuletzt vermag auch die öffentlich-rechtliche Bestellung des Versteigerungsorgans nicht dessen staatliche Verfügungsmacht zu begründen. Anhand der privaten Pfandrechtstheorie ist aufgezeigt worden, dass nach dem heutigen Stand der Staats- und Verwaltungslehre nicht jede staatliche Tätigkeit automatisch dem Bereich des öffentlichen Rechts zuzuordnen ist.172 Die starre Zuordnung zum öffentlichen Recht gilt lediglich für den Bereich der Eingriffsverwaltung, nicht aber für denjenigen der Leistungsverwaltung.173 Hier steht dem Staat grundsätzlich ein Wahlrecht bei der rechtlichen Ausgestaltung seiner Tätigkeit zu. Von diesem Wahlrecht hat der Gesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er sich im Bereich der Pfandrechtsverwertung für eine zivilrechtliche Ausgestaltung der Erwerbsvorgänge und für die Funktion des Gerichtsvollziehers als Vertreter des Gläubigers 170 So ganz deutlich Lüke, ZZP 1954, 356 (358), nach dem „die Richtigkeit der öffentlich-rechtlichen Auffassung von der Verwertung angesichts der Einstellung der modernen zivilprozessualen Literatur und Rechtsprechung keiner Begründung mehr“ bedürfe. Angesichts der umstrittenen Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung ist diese Aussage hingegen in Zweifel zu ziehen, s.o. § 16 III 3. 171 So ausdrücklich Lüke, ZZP 1954, 356 (356). Ebenso Lüke, JZ 1955, 484 (484). Ähnlich kategorisch Lüke, JZ 1957, 239 (240): „Die Unrichtigkeit der privatrechtlichen Auffassung lässt sich vom Standort der heutigen Zivilprozessrechtswissenschaft mit wenigen Worten nachweisen. Nach der h. M. ist die Verwertung der gepfändeten Sache eine obrigkeitliche Maßnahme des Staates, die der Gerichtsvollzieher als Rechtspflegeorgan durchführt. Dieser rechtspolitisch billigenswerten und der modernen Anschauung vom Wesen der Zwangsvollstreckung allein gerecht werdenden Auffassung muss sich die rechtliche Beurteilung der vorhergehenden Vollstreckungsakte unterordnen. … Wer das Pfandrecht seiner Natur nach als privatrechtlich und dennoch als für die Verwertung wesentlich ansieht, kann nicht zu einer hoheitlichen Durchführung der Verwertung kommen.“ Genau dies ist aber auch von der privaten Pfandrechtstheorie auch nicht beabsichtigt. 172 S. dazu oben bereits die Anmerkung in Fn. 135. 173 Diesen entscheidenden Aspekt vernachlässigt Lüke, ZZP 1954, 356 (359), der die öffentlichrechtliche Bewertung der Verwertungsvorgänge und die hoheitlich erfolgenden Eigentumszuweisungen für eine „Zwangsläufigkeit“ hält.
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entschieden hat.174 Wenn man so will, hat er damit nicht nur den später erst in Kraft getretenen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Faustpfandrecht, sondern auch der weiteren Entwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts vorgegriffen. Allein der Pfändungsvorgang ist dem Bereich der staatlichen Eingriffsverwaltung zuzuordnen, da hier das staatliche Gewaltmonopol in Erscheinung tritt. Demzufolge ist in diesem Bereich ein Rückgriff auf die Verwaltungsrechtslehre angemessen.175 Hingegen ist ein weitergehender Rückgriff im Bereich der Rechtsfolgen des staatlichen Eingriffs nicht erforderlich, da diese bereits dem Bereich der Leistungsverwaltung zuzuordnen sind. Der Staat könnte sich genauso gut jeder weiteren Tätigkeit enthalten und das Versteigerungswesen privaten Berufsgruppen überlassen. Allein die damit verbundenen organisatorischen Schnittstellen und die einhergehende Verzögerung rechtfertigen es, dass die staatlichen Vollstreckungsorgane zugleich auch die Verwertung der von ihnen gepfändeten Gegenstände vornehmen.176 2. Die Verstrickung als Ausdruck eines gesteigerten Verkehrsschutzbedürfnisses? Die öffentlich-rechtliche und die gemischte Pfandrechtstheorie sind sich darin einig, dass die Vorschrift des § 1244 BGB in der Zwangsvollstreckung nicht anwendbar sein soll. Diese ablehnende Haltung soll nicht etwa zur Versagung jeglichen gutgläubigen Erwerbs in der Versteigerung führen, sondern im Gegenteil einen Eigentumserwerb durch den bösgläubigen Erwerber ermöglichen. Da die gemischte Pfandrechtstheorie in diesem Bereich auf die öffentliche Theorie rekurriert, wird der in der einvernehmlichen Stoßrichtung zum Ausdruck kommende „gesteigerte Verkehrsschutz“ in der Versteigerung kaum ernsthaft hinterfragt.177 Dies erscheint unter verschiedenen Gesichtspunkten fragwürdig. Zum einen mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage für den Eigentumserwerb des bösgläubigen Erwerbers. Dies muss gerade unter dem öffentlich-rechtlichen Ansatz der Pfandrechtstheorien bedenklich stimmen. Schließlich führt der Schutz des bösgläubigen Erwerbers im Ergebnis zu einer an Art. 14 GG zu messenden Enteignung des Berechtigten.178 Zum anderen hat sich gezeigt, dass auch der dog174
S.o. § 17 IV 1. Dieser steht der privaten Pfandrechtstheorie nicht entgegen, sondern verlangt lediglich die Einbettung öffentlich-rechtlicher Gesetzesregelungen im Bereich des Pfändungstatbestandes in Form der Verpfändungserklärung und der Übergabe. Hier haben sich im Bereich der Fehlerfolgenlehre geringfügige Modifikationen der privaten Pfandrechtstheorie als erforderlich erwiesen, s.o. § 17 IV. 176 Dies müssen sich im Ergebnis auch die Befürworter der öffentlich-rechtlichen Theorien eingestehen, da sie das private Versteigerungswesen und dessen Aufgabenfeld auch im Wege der anderweitigen Versteigerung gemäß § 825 ZPO nicht leugnen. S. dazu noch unter III 3. 177 Anders hingegen Huber, S. 144, der treffend feststellt: „Denn es spricht nichts dafür, die Bieterfreudigkeit derjenigen zu aktivieren, die begründeten Anlaß haben, an der Rechtmäßigkeit der Versteigerung zu zweifeln.“ 178 S. dazu noch unter III 1 a. 175
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matische Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie, die Verstrickung als Grundlage der Verwertung zu wählen, nicht trägt.179 Der gesteigerte Verkehrsschutz in der Versteigerung lässt sich nicht als Ergebnis der öffentlich-rechtlichen Verstrickung ableiten. Es bedarf demzufolge einer fundierten Begründung für die bestehende Durchbrechung des allgemeinen Verkehrsschutzgedankens, der lediglich den gutgläubigen Erwerber schützt. a) Der gesteigerte Schutz des öffentlichen Versteigerungswesens Vergleicht man den Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie mit demjenigen der privaten Theorie, so besteht bei genauerer Betrachtung der eigentliche Unterschied nicht in einer fundamental gegensätzlichen Bewertung des Verwertungsvorgangs, sondern vielmehr in einer Abschwächung der zivilrechtlichen Anforderungen für den Eigentumserwerb.180 Denn die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für die Verstrickung finden ebenso im Rahmen der privaten Theorie Berücksichtigung, selbst wenn sie bislang nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet worden sind. Der eigentliche Unterschied ergibt sich erst daraus, dass die öffentlich-rechtliche Theorie die Existenz weitergehender Voraussetzungen für den Eigentumserwerb in der Versteigerung leugnet. Dass die öffentlich-rechtliche Theorie im Übrigen unverändert auf das private Pfandrecht rekurriert, belegt allein schon ihr Name. Und so wird im Ergebnis lediglich eine zivilrechtliche Voraussetzung der §§ 1242 ff. BGB in Form der Berechtigung des Gläubigers als Inhaber eines Pfandrechts eliminiert.181 In der weiteren Folge kommt es nicht mehr auf den Bestand einer zu sichernden Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner und die Berechtigung des Schuldners am Pfandobjekt an.182 Denn diese beiden Tatbestandsmerkmale der §§ 1204 ff. BGB sind ihrerseits Voraussetzung für das Entstehen eines Pfandrechts und damit für die Berechtigung des Gläubigers. Im Ergebnis stellt die öffentlich-rechtliche Theorie kein aliud, sondern ein minus gegenüber der privaten Pfandrechtstheorie dar. In Frage gestellt werden im Kern die Voraussetzungen der §§ 1242 ff. BGB. Bedauerlicherweise wird dieses eigentliche Anliegen der öffentlich-rechtlichen Theorie jedoch kaum von ihren Anhängern artikuliert.183 179
S.o. 1. So ganz deutlich Lüke, ZZP 1954, 356 (370): „… denn der Vorzug der öffentlich-rechtlichen Theorie besteht gerade darin, dass das Eigentum an der gepfändeten und versteigerten Sache ohne Rücksicht auf die materiellen Rechtsverhältnisse an ihr auf den Ersteher übergeht.“ 181 Dies gilt auch für die spätere Auskehr des Erlöses, so ausdrücklich Lüke, AcP 1954, 533 (536): „Sowohl im Falle des § 815 ZPO als auch des § 819 ZPO erlangt der Gläubiger durch den Hoheitsakt immer Eigentum ohne Rücksicht darauf, wer Eigentümer des Geldes ist.“ 182 So ganz deutlich Lüke, JZ 1957, 239 (241): „Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Behandlung der Verstrickung als Verwertungsgrundlage aus dem Bestreben erfolgt ist, die Verwertung von den materiellen Voraussetzungen, die für die Entstehung eines bürgerlichrechtlichen Pfandrechts vorliegen müssen, unabhängig zu machen.“ 183 Lüke, JZ 1955, 484 (486), formuliert etwa wie folgt: „Das Pfändungspfandrecht setzt sich nicht über jegliche materiellen Rechte hinweg, sondern für seine Begründung ist nur nicht das Eigentum des Schuldners Voraussetzung.“ 180
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b) § 935 Abs. 2 BGB als Indiz für einen gesteigerten Verkehrsschutz? Besteht das eigentliche Begehren der öffentlich-rechtlichen Theorie in einem gesteigerten Verkehrsschutz im Rahmen der öffentlichen Versteigerung,184 so erhebt sich die Frage, ob die bestehenden zivilrechtlichen Regelungen sich dafür nicht fruchtbar machen lassen. Es bedarf dann nicht erst des Umwegs über das öffentliche Recht, um eine Durchbrechung der §§ 932 ff. BGB begründen zu können. In diesem systematischen Zusammenhang stößt man auf die Regelung des § 935 Abs. 2 BGB, die den gutgläubigen Erwerb in der öffentlichen Versteigerung bereits de lege lata privilegiert. Der gutgläubige Erwerber wird auch für den Fall geschützt, dass die Pfandsache dem Eigentümer gestohlen, verlorengegangen oder sonst abhanden gekommen ist. Spiegelbildlich hierzu spart § 1244 BGB in der Verweisung auf die §§ 932 ff. BGB die Regelung des § 935 BGB aus. Diese Privilegierung ist nur damit zu erklären, dass der Gesetzgeber das Vertrauen des Erwerbers in der Versteigerung auf einen rechtmäßigen Eigentumserwerb stärken wollte. Nicht einmal im Falle eines Diebstahls muss der gutgläubige Erwerber damit rechnen, Herausgabeansprüchen des ursprünglichen Eigentümers ausgesetzt zu sein. Der Erwerber in der Versteigerung könnte ansonsten geneigt sein, angesichts der für ihn nicht nachvollziehbaren Erwerbskette von einer Beteiligung an der Versteigerung abzusehen. Dies könnte das Versteigerungswesen als solches in Frage stellen und daher die Privilegierung des § 935 Abs. 2 BGB rechtfertigen. Umgekehrt könnte die mit § 935 Abs. 2 BGB verbundene Benachteiligung des anderweitigen rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs damit zu begründen sein, dass es hier eher als im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung möglich ist, Einfluss auf die Wahl des Vertragspartners zu nehmen und sich über die Herkunft des Gegenstandes zu unterrichten. Mit guten Gründen kann man die geltende Bestimmung des § 935 Abs. 2 BGB aber auch in Frage stellen. So ist einerseits nicht einsichtig, weshalb diese Privilegierung auf das öffentliche Versteigerungswesen beschränkt sein soll.185 Andererseits dürfte diese Bestimmung den wenigsten Bietern in der Versteigerung bekannt sein. Demzufolge erscheint es äußerst fraglich, ob ein Verzicht auf diese 184 So etwa Lüke, AcP 1954, 533 (546 f.), und Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 8. 185 Der Gesetzgeber folgte noch der sogenannten Verschweigungstheorie, nach der es dem Eigentümer im Falle der öffentlichen Versteigerung und der damit verbundenen öffentlichen Bekanntgabe leichter falle, sein Eigentumsrecht rechtzeitig vor der Versteigerung geltend zu machen. Diese Theorie ist jedoch aufgrund der Entwicklung des Wirtschaftslebens und der heutigen Schnelligkeit des Verkehrs und der Häufigkeit öffentlicher Versteigerungen überholt, so schon überzeugend Frank/Veh, JA 1983, 249 (250). Frank/Veh, JA 1983, 249 (255), halten die Privilegierung der gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Versteigerung gegenüber der freiwilligen Versteigerung allenfalls unter dem Gesichtspunkt für gerechtfertigt, dass es im Rahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Preisbildungsverfahrens einer ausreichenden Zahl von Mitbietern bedürfe. Ebenfalls kritisch zur Privilegierung der öffentlichen Versteigerung äußert sich Huber, S. 146 f., für den sich das Problem aber deshalb nicht stellt, weil er sämtliche Versteigerungsvorgänge, d.h. auch die Versteigerung einer vertraglich verpfändeten Sache, hoheitlich verstanden wissen will.
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Privilegierung zu einer ernsthaften Schwächung des Versteigerungswesens führen würde.186 Schließlich ist die grundsätzliche Wertentscheidung zu berücksichtigen, die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 935 Abs. 1 BGB vollzogen hat. Danach findet der Verkehrsschutz im Falle des Abhandenkommens einer Sache seine Grenzen. Sollte dieser Gedanke gerade in der Versteigerung Bedeutung gewinnen mit der Folge, dass seine strenge Beachtung das Versteigerungswesen schwächen würde, so müsste man die Regelung des § 935 Abs. 1 BGB generell in Frage stellen. Denn der Ausnahmetatbestand des § 935 Abs. 2 BGB würde in der Rechtspraxis zum Regelfall. Weshalb das Abhandenkommen in den verbleibenden Anwendungsfällen noch ein Ausschlusskriterium für den gutgläubigen Erwerb sein sollte, wäre nicht einsichtig. Wie auch immer man die gesetzliche Privilegierung des § 935 Abs. 2 BGB einschätzen mag, so ist jedenfalls festzustellen, dass Voraussetzung für den Erwerb vom Nichtberechtigten unverändert der gute Glaube des Erwerbers bleibt.187 Die Privilegierung des § 935 Abs. 2 BGB macht diese subjektive Komponente nicht entbehrlich und schränkt sie auch nicht ein. Anknüpfungspunkt für die Privilegierung ist lediglich der im Vorfeld der Versteigerung anzusiedelnde Umstand eines Abhandenkommens des Pfandgegenstandes. Aus diesem objektiven Kriterium kann kein weitergehender Schutz des Ersteigerers in subjektiver Hinsicht abgeleitet werden.188 Nicht die subjektive Voraussetzung für den Eigentumserwerb in Form des guten Glaubens wird abgeschwächt, sondern das objektive Element der Herkunft des Objekts. Anders formuliert bleibt die Schutzwürdigkeit des Erwerbers in Form seines guten Glaubens Voraussetzung für den Eigentumserwerb. Das hinzutretende Interesse der Allgemeinheit am Versteigerungswesen vermag dann das Interesse des Eigentümers selbst im Falle eines Abhandenkommens der Pfandsache einzuschränken und dessen Enteignung zu rechtfertigen. Ist der Erwerber jedoch – wie im Falle der Bösgläubigkeit – seinerseits nicht mehr schutzwürdig, vermag auch das Allgemeininteresse einen weitergehenden Verkehrsschutz nicht mehr zu rechtfertigen. Voraussetzung bleibt die Gutgläubigkeit des Erwerbers. Ein weitergehender Verkehrsschutz lässt sich aus der geltenden Bestimmung des § 935 Abs. 2 BGB nicht ableiten. c) Das Fehlen sachlicher Erwägungen zum Schutz des bösgläubigen Erwerbers Fehlen gesetzliche Anhaltspunkte für eine Privilegierung des Erwerbers in der Versteigerung, so bleibt zu untersuchen, ob nicht die Eigenarten der Zwangsvollstreckung eine abweichende Interessenlage und damit einen Schutz des bösgläu186
Ähnlich kritisch Frank/Veh, JA 1983, 249 (255). So mit besten Argumenten Huber, S. 146 f., und zuvor schon RGZ 103, 286 (288). Ebenso Bassenge, in: Palandt, § 935, Rdnr. 11. 188 Eine andere Frage ist hingegen, ob § 935 Abs. 2 BGB als Argument dafür herangezogen werden kann, dass der Ersteigerer auch für den Fall der Nichtigkeit der Pfändung in seinem guten Glauben zu schützen ist. Zu dieser Ansicht von Lindacher, JZ 1970, 360 (362), s. noch später unter III 5. 187
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bigen Erwerbers zu rechtfertigen vermögen. Rechtstechnisch handelt es sich dann um eine teleologische Reduktion des § 1244 BGB. Die Vorschrift, die den Eigentumserwerb an einer schuldnerfremden Sache von der Gutgläubigkeit des Erwerbers abhängig macht, soll in der Zwangsvollstreckung nicht zur Anwendung kommen.189 Diese Ungleichbehandlung gegenüber der Verwertung eines vertraglichen Pfandrechts bedarf einer besonderen Rechtfertigung, die sich nur aus einer abweichenden Interessenlage ableiten lässt. Hier bleiben die öffentlichrechtlichen Theorien jedoch eine Antwort schuldig.190 Mit Recht ist ihnen daher in der Literatur als entscheidender Geburtsfehler angekreidet worden, dass von den Konstruktionen des Gesetzes abgewichen worden ist, ohne die durch sie implizierten Wertentscheidungen zu beachten.191 In der Literatur findet sich keine einzige Sacherwägung zum Schutz des bösgläubigen Ersteigerers.192 Im Gegenteil wird die Beschränkung des Vertrauensschutzes in der privaten Versteigerung auf den gutgläubigen Erwerber als sachgerecht empfunden und daher als abschließend verstanden.193 Die öffentlich-rechtliche Theorie wird mithin im Bereich der öffentlichen Versteigerung zum Selbstzweck,194 nicht anders als die gemischte Theorie.195 Und so lässt sich allenfalls der bereits angesprochene Gedanke des ge189
So die ganz herrschende Meinung: BGHZ 55, 20 (25); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 817, Rdnr. 8; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 411; Geißler, DGVZ 1994, 33 (36); Lüke, ZZP 1954, 356 (370 f.); ders., ZZP 1955, 341 (352 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 814, Rdnr. 2; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 9; Tiedtke, S. 293 ff., und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb. 190 Lüke, AcP 1954, 533 (546 f.), äußert sich wie folgt: „Gegenüber der privatrechtlichen Theorie will aber die öffentlich-rechtliche Theorie die Sicherheit für den Ersteher erhöhen, indem sie die Übereignung als Staatsakt behandelt und dadurch den Erwerb von dem guten Glauben des Erstehers vollständig unabhängig macht. … denn sonst würde sich schwerlich jemand finden, der in der Zwangsversteigerung als Bieter aufzutreten gewillt wäre.“ Eine nähere Begründung für diese bloße Behauptung gibt Lüke nicht. Ähnlich apodiktisch Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 8: „Um überhaupt eine Veräußerung im Versteigerungswege als Verwertungsform mit realistischen Erfolgsaussichten durchführen zu können, muss der Versteigerungserwerb unangreifbar sein.“ 191 Säcker, JZ 1971, 156 (161). 192 So auch die Kritik von Säcker, JZ 1971, 156 (159). 193 So ausdrücklich BGHZ 119, 75 (81): „Diese Regelung ist umfassend und in sich abschließend. Die Entwicklung einer zusätzlichen hoheitlichen Eigentumszuweisung durch Privatleute unabhängig vom guten Glauben des Erwerbers würde das System des Eigentumsschutzes durch das bürgerliche Recht empfindlich stören.“ Die sich anschließende Frage, weshalb die Entwicklung einer zusätzlichen hoheitlichen Eigentumszuweisung in der Zwangsvollstreckung sich nicht diesen Wertungswidersprüchen aussetzen soll, lässt der Bundesgerichtshof leider unbeantwortet. 194 Nur so lassen sich etwa die folgenden Ausführungen von Lüke, JZ 1957, 239 (243), verstehen: „Der Einwand Baurs, es sei unerfindlich, wie der Staat dem Gläubiger ein materielles Pfandrecht solle verschaffen können, wenn die gepfändete Sache nicht dem Schuldner gehöre, übersieht, dass es sich beim Pfändungspfandrecht gerade nicht um ein materielles Pfandrecht handelt.“ 195 Nur so ist die Äußerung von Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b, zu interpretieren: „Unabhängig von dieser Einordnung sind die Voraussetzungen für den Eigentumserwerb des Erstehers durch die öffentlich-rechtliche Betrachtung in bestimmter Weise fixiert. Insbesondere beurteilen sich danach zwei Kreise von Folgeproblemen, die mit dem Versteigerungserwerb nicht nur aufs engste zusammenhängen, sondern maßgebliche Prüfsteine für die Stringenz der dogmatischen Einordnung darstellen.“ Angesprochen ist damit insbesondere die Frage des Eigentumserwerbs.
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steigerten Verkehrsschutzbedürfnisses in der Versteigerung als Argument bemühen. Dieser Aspekt kann nicht einfach mit dem Argument verworfen werden, dass ein Interesse an reger Beteiligung in der Versteigerung nur bei schuldnereigenen Sachen bestehe.196 Da dieser Aspekt dem Versteigerungsgegenstand nicht anzusehen ist, lässt sich dieses Interesse schlechterdings nicht konkretisieren. Die Wechselwirkung auf die Versteigerung schuldnereigener Gegenstände ist nicht auszuschließen. Stellt man hingegen auf das Kriterium der Gutgläubigkeit ab, so besteht keine Wechselwirkung gegenüber anderen Erwerbern, da es sich um eine rein subjektive Komponente handelt. Es wäre paradox, hier anzunehmen, dass der gutgläubige Erwerber aufgrund der möglichen Bösgläubigkeit anderer Erwerber Veranlassung hätte, von der Abgabe eines Gebots abzusehen. Berücksichtigt man zudem die Beweislastverteilung des § 932 Abs. 2 BGB zu Lasten des wahren Berechtigten, so braucht der Erwerber nicht zu befürchten, sich Herausgabeansprüchen des ursprünglich Berechtigten auszusetzen. Der Beweis der Bösgläubigkeit dürfte dem ursprünglichen Eigentümer angesichts der Öffentlichkeit und Anonymität des Versteigerungswesens kaum gelingen. Da der Erwerber von jeglicher Erkenntnisquelle über die Herkunft des Pfandobjekts im Rahmen der Versteigerung abgeschnitten ist, ist nicht erkennbar, aufgrund welcher Umstände er bösgläubig sein sollte. Rührt seine Bösgläubigkeit hingegen aus Umständen außerhalb des Versteigerungsvorgangs her, so ist der Erwerber auch aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie nicht mehr schutzwürdig. Denn von einem öffentlichen Interesse an einer möglichst regen Beteiligung an der Versteigerung kann dann keine Rede mehr sein. Zuletzt belegt ein Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 135, 136, 161 BGB, dass der bösgläubige Erwerber nicht schutzwürdig ist. Wenn nämlich schon derjenige Erwerber, der eine dem Schuldner gehörende Sache ersteigert, die mit einem Veräußerungsverbot behaftet ist, §§ 135, 136 BGB, oder über die bereits bedingt verfügt ist, §§ 161 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB, nur ein ungewisses Eigentumsrecht erwirbt, dann kann erst recht derjenige kein Eigentum erwerben, der wissentlich eine schuldnerfremde Sache ersteigert.197 Der Schutz, den das Bürgerliche Gesetzbuch dem Anwartschaftsberechtigten und dem durch ein Veräußerungsverbot Geschützten zuteil werden lässt, kann dem Eigentümer der versteigerten Sache nicht vorenthalten werden.198 Im Ergebnis ist festzustellen, dass es einen Erwerbsschutz nur bei Gutgläubigkeit geben kann.199 Für eine Durchbrechung dieses elementaren Grundprinzips besteht auch in der Zwangsvollstreckung keine Veranlassung.
196 197 198 199
So aber Pinger JR 1973, 94 (95). Säcker, JZ 1971, 156 (159). So schon Huber, S. 25, und ihm folgend Säcker, 1971, 156 (159). So auch Pinger, JR 1973, 94 (95).
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d) Der irrige Schluss von der Formalisierung auf eine erweiterte Verfügungsbefugnis des Gerichtsvollziehers In der Vollstreckungslehre besteht die Tendenz, das Formalisierungsprinzip auf den Versteigerungsvorgang auszudehnen, da dieser noch als Teil der hoheitlichen Vollstreckung verstanden wird. Demzufolge scheint aufgrund der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Gerichtsvollziehers die Frage des Schuldnereigentums und des Bestandes der Gläubigerforderung auch im Rahmen der Versteigerung keine Rolle zu spielen.200 Als maßgeblicher Bezugspunkt für das öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht gilt allein die Verstrickung. Dies gipfelt in letzter Konsequenz in der Ansicht, der Gerichtsvollzieher habe die Rechtsmacht, das Fehlen eines Pfandrechts an versteigerten Sachen durch hoheitliche Autorität zu ersetzen, weil er nicht die Befugnis habe, seine Vollstreckungsmaßnahmen von einer eigenverantwortlichen Prüfung der materiellen Rechtslage abhängig zu machen.201 Die Widersprüchlichkeit der Argumentation tritt hier jedoch offen zu Tage.202 Ein „weniger“ in der Prüfungskompetenz soll ein „mehr“ in der rechtlichen Verfügungsmacht begründen. Anders formuliert kann der Erwerber in der Versteigerung aufgrund der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Gerichtsvollziehers kaum besser gestellt sein als in dem Fall, dass der Gerichtsvollzieher die zivilrechtlich relevanten Fragen selbst zu prüfen hätte. Das Formalisierungsprinzip wird zum Selbstzweck. Es wird übersehen, dass der Zweck des Formalisierungsgedankens, dem Vollstreckungsorgan einen möglichst schnellen Zugriff auf das Schuldnervermögen zu ermöglichen, in der Versteigerung überhaupt nicht mehr zum Tragen kommt. Es geht hier nicht mehr darum, dem Gläubiger im Wege der Pfändung schnellstmöglich eine erste Sicherheit zu verschaffen, sondern es handelt sich um die Verwertung einer bereits begründeten Sicherheit. Die Veräußerungskette setzt sich lediglich um ein weiteres Glied fort, indem das Pfändungspfandrecht durch Veräußerung des Pfandobjekts an den Erwerber verwertet wird. Dieser Veräußerungsvorgang ist strikt von dem Pfändungsvorgang zu trennen, da es nicht mehr um die zwangsweise Begründung eines Pfändungspfandrechts geht, sondern um die freiwillig erfolgende Veräußerung des Pfandgegenstandes vom Gläubiger, vertreten durch den Gerichtsvollzieher, an den Erwerber. Im Rahmen dieser Veräußerung besteht keine Notwendigkeit mehr, Anhörungsrechte abzukürzen oder den Gerichtsvollzieher in seiner Prüfungskompetenz zu beschneiden, um so seine rasche Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Es wird übersehen, dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Versteigerung selbst rechtsgestaltend tätig wird. Dies gilt erst recht nach dem Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie, die dem Gerichtsvollzieher eine eigene Verfügungsgewalt zuspricht. Der Gerichtsvollzieher verfügt danach nicht 200 So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b; ders., in: Münchener Kommentar, § 817, Rdnr. 11. 201 So Gaul, Rpfleger 1971, 1 (4 f.); Huber, S. 140 ff.; Lindacher, JZ 1970, 360 (361), und Henckel, S. 313 ff. 202 Ebenso kritisch Marotzke, NJW 1978, 133 (134).
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als bloßer Vertreter des Gläubigers, sondern im eigenen Namen über das Pfandobjekt. Er begründet durch Zuschlag und Ablieferung des Pfandobjekts den Abschluss von Kaufvertrag und Übereignung des Pfandobjekts. Für die Wirksamkeit dieser von ihm selbst vorzunehmenden Rechtsakte hat der Gerichtsvollzieher Sorge zu tragen. Von einer formalisierten Prüfung kann keine Rede sein. Denn selbst nach dem Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie sind diese Erwerbsvorgänge dem materiellen Recht zuzuordnen und unterliegen diesbezüglich keinerlei Einschränkungen. Wollte man in diesem Zusammenhang hingegen von einer Formalisierung der Versteigerung sprechen, so dürfte im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache dem Eigentümer gerade nicht das Recht abgesprochen werden, sein Eigentumsrecht im Wege der Interventionsklage oder einer Herausgabeklage geltend zu machen. An dieser Stelle der Überlegungen zeigt sich in voller Schärfe das Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Prämissen der öffentlich-rechtlichen Theorie. Einerseits soll dem Versteigerungsorgan nur eine formalisierte Prüfungskompetenz zustehen mit der Folge, dass es im Rahmen der Versteigerung an sich keine materiell-rechtlich verbindlichen Rechtsakte vornehmen dürfte. Andererseits soll der Erwerber selbst im Falle seiner Bösgläubigkeit das Eigentum verbindlich erwerben können.203 Die fehlende Angreifbarkeit des Eigentumserwerbs steht in unüberbrückbarem Widerspruch zu der angeblich eingeschränkten Prüfungskompetenz des Versteigerungsorgans. Eine Erklärung für dieses gedankliche Spagat sind die öffentlich-rechtlichen Theorien bis heute schuldig geblieben. Auflösen lässt sich dieses Spannungsverhältnis nur dadurch, dass man beide Fronten „aufweicht“. So veranschaulichen die Überlegungen zur privaten Pfandrechtstheorie, dass auf der einen Seite dem Gerichtsvollzieher tatsächlich die materielle Befugnis zusteht, auf der Grundlage des Pfändungspfandrechts wirksam über den Pfandgegenstand zu verfügen. Allerdings leitet sich diese Verfügungsbefugnis vom Gläubiger als Inhaber des Pfändungspfandrechts ab. Auf der anderen Seite kann der Erwerber auch im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache Eigentum an ihr erwerben, dies jedoch nur nach Maßgabe der zivilrechtlichen Grundsätze zum gutgläubigen Erwerb. Werden diese Grundsätze nicht eingehalten, so bleibt es dem ursprünglich Berechtigten unbenommen, seine Ansprüche geltend zu machen. e) Das Fehlen abweichender öffentlich-rechtlicher Prinzipien zum Eigentumserwerb Dass sich die öffentlich-rechtliche Theorie nach den bisherigen Überlegungen weder unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten noch unter dem Aspekt des Formalisierungsgedankens rechtfertigen lässt, muss angesichts ihrer Hinwendung zum öffentlichen Recht nicht verwundern. Es bleibt zu klären, ob dem öffentli203 Gaul, Rpfleger 1971, 1 (4 f.), sieht hierin keinen Widerspruch, sondern vielmehr einen kausalen Zusammenhang. Dagegen bereits Marotzke, NJW 1978, 133 (134).
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chen Recht Prinzipien zum Eigentumserwerb zu entnehmen sind, die vom Zivilrecht abweichen.204 aa) Der sogenannte originäre Eigentumserwerb kraft Hoheitsaktes Die in der Vollstreckung gemäß § 817 Abs. 2 ZPO erfolgende Auslieferung des Pfandobjekts ist nach dem Verständnis der öffentlich-rechtlichen Theorie als Eigentumszuweisung kraft Hoheitsaktes zu verstehen. Der Erwerber soll originäres Eigentum an der Sache erwerben unabhängig davon, ob die Sache dem Schuldner oder einem Dritten gehört.205 Voraussetzung für den Eigentumserwerb kraft Hoheitsaktes ist allein die wirksame Verstrickung der versteigerten Sache und die Einhaltung der wesentlichen Verfahrensvorschriften: öffentliche Versteigerung, Barzahlungsgebot und Einhaltung der Mindestgebotsgrenzen. Die Durchführung der Ablieferung soll derart erfolgen, dass der Gerichtsvollzieher den unmittelbaren Besitz mit Übereignungswillen (auch des Erstehers) überträgt.206 bb) Das Fehlen vergleichbarer Konstruktionen im öffentlichen Recht Da auch die öffentlich-rechtliche Theorie den Eigentumsübergang im Rahmen der Versteigerung von dem Übereignungswillen des Gerichtsvollziehers und des Erwerbers sowie der Übergabe des Pfandobjekts abhängig macht, könnte man geneigt sein, im Wege der Analogie auf die §§ 929 ff. BGB zurückzugreifen. Trotz der bestehenden Nähebeziehung wird dieser Schritt jedoch ebenso wenig vollzogen wie ein Rückgriff auf die §§ 1242 ff. BGB.207 Es stellt sich daher die Frage nach dem dogmatischen Fundament für den originär hoheitlichen Eigentumserwerb in der Versteigerung. Zu suchen ist dieses im öffentlichen Recht. Denn schließlich rechtfertigen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie die Abwendung vom zivilen Vertragspfandrecht mit den Eigenarten der hoheitlich erfolgenden Versteigerung.208 Vergeblich sucht man jedoch nach Vorschriften im öffentlichen Recht, die eine Aussage über den originären hoheitlichen Eigentums204 Anders der Ansatz von Lüke, ZZP 1954, 356 (359), der die abweichende Bewertung der Eigentumsvorgänge im öffentlichen Recht für eine „Zwangsläufigkeit“ hält. 205 Auf die Gut- oder Bösgläubigkeit des Erwerbers soll es nicht ankommen. So BGHZ 55, 20 (25); 119, 75 (76); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 411, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 9. 206 So RGZ 153, 257 (261 f.). Laut RGZ 156, 395 (397); Baumann/Brehm, § 5 II 4 a, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a, soll die hoheitliche Eigentumszuweisung durch den Gerichtsvollzieher einem vertraglichen Verständnis der Ablieferung nicht im Wege stehen. Die Gebote stellten den erforderlichen Antrag und der Zuschlag die Annahme dar. Da von einem öffentlich-rechtlichen Vertrag aber weder in § 817 Abs. 4 ZPO noch in § 156 BGB die Rede ist, findet diese Ansicht nur eingeschränkte Zustimmung. Ablehnend etwa im Sinne einer einseitigen hoheitlichen Tätigkeit des Gerichtsvollziehers Schmidt-von Rhein, in: Alternativkommentar, § 817, Rdnr. 3, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 817, Rdnr. 20. Vermittelnd Lüke, ZZP 1954, 356 (369), der einerseits die Einseitigkeit der hoheitlichen Eigentumszuweisung betont, andererseits den Erwerbswillen des Erstehers für unverzichtbar hält. Insoweit sei die hoheitliche Eigentumszuweisung als mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt zu verstehen. 207 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 817, Rdnr. 7. 208 So insbesondere Lüke, JZ 1957, 239 (240); ders. ZZP 1954, 356 (356).
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erwerb treffen.209 Nicht anders als im Zivilrecht gibt es einen originären Eigentumserwerb allein im Wege der Aneignung einer herrenlosen Sache.210 Das öffentliche Sachenrecht trifft keine abweichenden Ausnahmeregelungen.211 Es geht vielmehr ebenfalls im Grundsatz von einem derivativen Eigentumserwerb aus, der sich an den Vorschriften der §§ 929 ff. BGB orientiert und daher als Voraussetzung für den Eigentumserwerb auf die Rechtsinhaberschaft des Verfügenden abstellt.212 Dies gilt auch dann, wenn man den Eigentumswechsel über die Figur des rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes konstruiert.213 Denn auch diese hoheitliche Konstruktion bedingt unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung noch kein vom Zivilrecht abweichendes Verständnis des Erwerbsvorgangs.214 Selbst wenn man auf den Sonderfall der staatlichen Enteignung abstellen wollte, so würde die sich anschließende Eigentumsübertragung an den Begünstigten zunächst die Enteignung des Berechtigten voraussetzen. Auch hier vollzieht sich der
209 Hier bietet sich nur die aus der „venditio necessaria“, dem Zwangskauf nach römischem Recht, abgeleitete Lehre vom originären Eigentumserwerb an. Huber, S. 34, hat diesbezüglich jedoch bereits ausführlich nachgewiesen, dass es sich lediglich um eine durch die dogmengeschichtliche Entwicklung bedingte Hilfskonstruktion zur Überwindung privatrechtlicher Vorstellungen im Enteignungsrecht handelt. 210 Genau aus dieser Fallkonstellation will Lüke, ZZP 1954, 356 (360), aber die Rechtsfigur des „originär hoheitlichen Eigentumserwerbs“ in der Zwangsvollstreckung ableiten. Es finde sich im Verwaltungsrecht eine „auffallende Parallele“ in Form der „Zuweisung herrenloser Kraftfahrzeuge bzw. ehemaliger Wehrmachtfahrzeuge in das Eigentum von Privatpersonen durch die zuständigen Verwaltungsbehörden.“ In der weiteren Konsequenz sei auch die Eigentumszuweisung in der Versteigerung als originär hoheitliche Eigentumszuweisung zu verstehen. Lüke übersieht dabei jedoch, dass im Falle der Versteigerung einer Pfandsache von einer Herrenlosigkeit keine Rede sein kann. 211 Dies räumt auch Lüke, ZZP 1954, 356 (360), ein: „In der Tat ist der Gedanke nicht selbstverständlich, dass es neben der zivilrechtlichen Übereignung eine solche des öffentlichen Rechts geben soll. Während nämlich die bürgerrechtliche Übereignung in den §§ 929 ff. BGB für Fahrnis erschöpfend geregelt ist, kennt das öffentliche Recht keine besonderen Vorschriften für die Eigentumsübertragung.“ 212 Die für Grundstücke geltenden Grundsätze, die verfahrensrechtlich die Berücksichtigung der Rechte Dritter sicherstellen und damit den Ausschluss der nicht im Verfahren geltend gemachten Rechte Dritter ermöglichen, lassen sich aufgrund der fehlenden Publizität der Eigentumsverhältnisse im Mobiliarsachenrecht gerade nicht auf die Zwangsversteigerung beweglicher Sachen übertragen. So auch Huber, S. 35 ff., der zudem für diesen Bereich auf das Bundesleistungsgesetz verweist, das den Eigentumswechsel bei mangelnder Beteiligung des Berechtigten gerade ausschließt. 213 Mit Recht hält Kuchinke, JZ 1958, 198 (199), daher der öffentlich-rechtlichen Theorie entgegen: „Dabei wird … vorausgesetzt: die Unvereinbarkeit der privaten mit der öffentlichen Rechtsordnung. Demgegenüber hält die neuere Verwaltungsrechtslehre einen Rückgriff auf die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für zulässig … Damit wird aber gleichzeitig die … Möglichkeit einer Gemeinsamkeit von öffentlich-rechtlichen und zivilistischen Rechtsinstituten bejaht.“ 214 So mit Nachdruck Huber, S. 39: „Im Gegenteil stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung die Frage, ob für die Beurteilung einer Eigentumsverschiebung die Qualifikation des Erwerbsvorgangs als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich überhaupt eine Rolle spielen kann. Es erscheint durchaus denkbar, daß der gleiche privatrechtliche Erfolg von den gleichen privatrechtlichen Voraussetzungen abhängt, obwohl er das eine Mal durch ein privates Rechtsgeschäft, das andere Mal durch Hoheitsakt herbeigeführt wird.“
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Eigentumswechsel mithin über eine abgeleitete Erwerberkette.215 Der hoheitliche Akt der Enteignung hat mithin ebenfalls die Rechtsinhaberschaft des Betroffenen zur Voraussetzung. Es handelt sich – nicht anders als bei den übrigen Erwerbstatbeständen im öffentlichen Recht – um einen derivativen Eigentumserwerb. cc) Unzulässige Ausblendung des derivativen Eigentumserwerbs in der Versteigerung Das Beispiel der Enteignung eignet sich wohl am besten, um Parallelen mit der Situation in der Geldvollstreckung herzustellen. Konsequent wäre es daher aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie, die Pfändung der Situation der Enteignung und die anschließende Verwertung im Rahmen der Versteigerung der Eigentumsübertragung an den Berechtigten gleichzustellen. Das würde allerdings – wie bereits angesprochen – im Rahmen der Pfändung eine Prüfung der Rechtsinhaberschaft beim Schuldner bedingen, die aufgrund der Eilsituation nicht möglich ist. Es bliebe damit die Möglichkeit, die Versteigerung als den maßgeblichen Akt der Enteignung aufzufassen. Auch dies würde aber die Rechtsinhaberschaft des Schuldners voraussetzen, die jedoch von der öffentlich-rechtlichen Theorie als Voraussetzung für den Eigentumserwerb offensichtlich nicht gewünscht wird. Anstatt diese Zielrichtung aber offen anzusprechen, gehen die Anhänger dieser Theorie einen anderen Weg. Sie wählen den Umweg über die zivilrechtliche Konstruktion des Pfandrechts und schließen von dem (erst) mit der Verstrickung entstehenden öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrecht auf den angeblich originären hoheitlichen Eigentumserwerb in der Versteigerung. Der Rückgriff auf die Figur des Pfändungspfandrechts muss aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie schon deshalb verwundern, weil ihre Anhänger zivilrechtliche Wertungen in der Versteigerung ablehnen. In der weiteren Konsequenz wird der Rückgriff nur halbherzig vollzogen, indem in Abkehr vom zivilen Faustpfandrecht von einem öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrecht gesprochen wird. Die vermeintlich öffentlich-rechtliche Komponente liegt dabei in dem Umstand begründet, dass das öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht in seiner Existenz nicht mehr von der Eigentumsstellung des Schuldners abhängen soll. Die sich daraus ableitende Formel vom originären Eigentumserwerb kann aber nicht als Begründung dafür dienen, dass die Beteiligung des bisherigen Rechtsinhabers für die Wirksamkeit der Eigentumszuweisung unerheblich sein soll.216 Mangelt es an der Rechtsinhaberschaft des Verfügenden, so hilft über diesen Mangel die Konstruktion des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts 215 Dies will wohl auch Lüke, ZZP 1954, 356 (359), nicht leugnen, der bei der Begründung des originär hoheitlichen Eigentumserwerbs das Institut der Enteignung in Erwägung zieht. Er spricht hier von einer „materiellen Rechtsänderung in den Formen eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens“ und betont mit Recht den grundsätzlich zivilrechtlichen Charakter der Übereignung. Unklar bleibt hingegen, wie Lüke in der weiteren Folge aus dem öffentlich-rechtlichen Tatbestand zur Zuweisung herrenloser Kraftfahrzeuge abweichende Wertungen für die Versteigerung ableiten will, s.o. Fn. 210. 216 Ebenso in seiner Kritik Huber, S. 40.
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nicht hinweg. Da es sich im Gegenteil gleichsam um einen Ausschnitt des Eigentums in Form eines dinglichen Verwertungsrechts handelt, bedingt dieses Recht in seiner Entstehung ebenfalls die Rechtsinhaberschaft des Betroffenen. Selbst wenn man im Zusammenhang mit der Begründung des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts von einer erstmaligen Entstehung auszugehen hätte, handelte es sich nicht um einen originären Rechtserwerb, sondern um einen derivativen Erwerb vom Inhaber des Vollrechts. Denn das Pfändungspfandrecht leitet sich aus dem Eigentum ab, so dass es einen originären Erwerb des Pfandrechts nicht geben kann. In der weiteren Folge ermöglicht auch das Pfändungspfandrecht nur einen derivativen Eigentumserwerb, weshalb die Vorschriften der §§ 1242 ff. BGB auf die §§ 929 ff. BGB Bezug nehmen. Auch hier ergeben sich aus dem öffentlichen Recht keine vom Zivilrecht divergierenden Prinzipien.217 Die aus der Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie hoheitlich erfolgende Übertragung des Eigentums im Rahmen der Versteigerung vermag einen originären Eigentumserwerb unter Ausblendung der Rechtsinhaberschaft des Schuldners ebenso wenig zu rechtfertigen. Es geht nämlich auch der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht darum, neben dem zivilrechtlichen Eigentum eine zweite öffentlich-rechtliche Ebene des Eigentums in die Welt zu rufen, um auf dieser Ebene einen originären Eigentumserwerb zu begründen, sondern lediglich um die rechtliche Bewertung des Erwerbsvorgangs. Dass der Eigentumsübergang sich insoweit hoheitlich vollziehen soll, ändert nichts an dem zivilrechtlichen Inhalt des übergehenden Rechts. Im Ergebnis ist festzustellen, dass es auch in der Versteigerung keinen originären Eigentumserwerb gibt. Unabhängig von der Rechtsnatur des Erwerbsvorgangs leitet sich der Eigentumserwerb vom Schuldner ab, so dass es auf dessen Rechtsinhaberschaft ankommt. Ein anderes Ergebnis lässt sich weder aus der Figur des Pfändungspfandrechts noch aus Besonderheiten des öffentlichen Rechts ableiten. Und so setzt sich die öffentlich-rechtliche Theorie dem Vorwurf aus, dass sie die Vorschriften über den derivativen Eigentumserwerb zu Unrecht um das Merkmal der Rechtsinhaberschaft des Verfügenden verkürzt.218 Der daraus abgeleitete Begriff des „originären hoheitlichen Eigentumserwerbs“ stellt im Kern nichts anderes dar als einen Euphemismus für die verkürzte Anwendung der Vorschriften über den Eigentumserwerb.219 Anders formuliert wird der derivative Eigentumserwerb nicht dadurch zum originären, dass man das Merkmal der Verfügungsberechtigung ausblendet. 217 Völlig zu Recht stellen daher auch die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie auf § 929 BGB ab, um die Notwendigkeit der Übergabe der Pfandsache vom Gerichtsvollzieher an den Ersteigerer zu begründen. So etwa Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 817, Rdnr. 7. Nicht anders auch Lüke, ZZP 1954, 356 (365 ff.), der das aus § 929 BGB abzuleitende Publizitätsprinzip ausdrücklich auch auf den öffentlich-rechtlichen Eigentumserwerb bezieht. 218 Ebenso kritisch Kuchinke, JZ 1958, 198 (202). 219 Nur so ist auch folgende Feststellung von Lüke, ZZP 1956, 356 (367, Fn. 61), zu erklären: „Trotzdem kann der Ersteher als Rechtsnachfolger des bisherigen Eigentümers im weiteren Sinne … verstanden werden.“
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dd) Konsequenz bei öffentlich-rechtlicher Konstruktion des Eigentumserwerbs Ist der öffentlichen Pfandrechtstheorie anzukreiden, dass sie durch den Rückgriff auf das Pfändungspfandrecht ihren öffentlich-rechtlichen Standpunkt untergräbt, so stellt sich die Frage, ob dieser Mangel nicht durch eine rein öffentlichrechtliche Konstruktion des Eigentumserwerbs geheilt werden könnte. Wollte man den Eigentumserwerb in der Versteigerung rein öffentlich-rechtlich konstruieren, so müsste man sich unter Abwendung von den §§ 929 ff. BGB des verwaltungsrechtlichen Instrumentariums in Form des rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes bedienen.220 Darein fügt sich, dass die öffentlich-rechtliche Theorie den Eigentumserwerb ohnehin von der Einhaltung der wesentlichen öffentlichrechtlichen Verfahrensvorschriften abhängig macht.221 Hinzu tritt die Einhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen, die ohnehin bereits Voraussetzung für die Verstrickung sind.222 Die Verstrickung stellt sich insoweit als Verwaltungsakt dar, dessen Bestand im Falle einer Verletzung der Vollstreckungsvoraussetzungen gesondert anzufechten ist. Weitere materiell-rechtliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des im Rahmen der Versteigerung ergehenden rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes über das Eigentum am Pfandobjekt wäre die Rechtsinhaberschaft des Schuldners. Wie sich gezeigt hat, vermag die Verstrickung dieses Element nicht zu ersetzen, da die Rechtsinhaberschaft nicht Prüfungsgegenstand im Rahmen der Pfändung ist.223 Mangelte es nunmehr an der Rechtsinhaberschaft des Schuldners, so wäre der mit der Auslieferung ergehende rechtsgestaltende Verwaltungsakt über das Pfandobjekt rechtswidrig. In der weiteren Folge käme nach allgemeinem Verwaltungsrecht die Regelung des § 48 VwVfG zur Anwendung, die die Befugnisse der Behörde zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes regelt.224 Da es sich bei der Auslieferung um einen für den Erwerber begünstigenden Verwaltungsakt handeln würde, wäre eine Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG nur unter den strengen Voraussetzungen der folgenden Absätze 2 bis 4 zulässig. Diese Vorschriften machen die Rücknahme von der Schutzwürdigkeit des Begünstigten abhängig.225 Dabei nimmt die Regelung des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG exakt auf die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb Bezug, indem
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So Lüke, ZZP 1954, 356 (361). Statt vieler nur Münzberg, in: Stein/Jonas, § 817, Rdnrn. 23 f. 222 Soweit hierzu auch ein wirksamer Zuschlag gezählt wird, so etwa Lüke ZZP 1954, 356 (368), stellt dies vor dem Hintergrund des hier entwickelten zivilrechtlichen Verständnisses der Verwertung eine bedenkliche Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips dar. 223 S.o. d und e cc. 224 So auch Pinger, JR 1973, 94 (96), der die Konstruktion eines öffentlich-rechtlichen Übereignungsvorgangs jedoch noch mangels tauglicher Ermächtigungsgrundlage und mangels tauglichen Rechtsbehelfs für eine etwaige Rückabwicklung für gescheitert erklären musste. Nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes besteht dieses Problem nicht mehr. 225 Auf diesen Vertrauensschutztatbestand hat bereits vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes Huber, S. 139 f., hingewiesen, um aufzuzeigen, dass der Ersteigerer auch bei Nichtigkeit der Pfändung schutzbedürftig ist. 221
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sie für Geldleistungen und teilbare Sachleistungen einen Vertrauensschutz des Begünstigten im Falle seiner Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ausschließt. Diese Regelung unterstreicht, dass von einem weitergehenden Verkehrsschutz im öffentlichen Recht gegenüber dem Zivilrecht nicht die Rede sein kann. Im Gegenteil wäre mit Rücksicht auf die Drittbetroffenheit des Eigentümers im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache gemäß § 50 VwVfG sogar jeglicher Verkehrsschutz im Sinne eines gutgläubigen Erwerbs ausgeschlossen, sofern der Eigentümer von seinem Recht zur Anfechtung des ihn (dritt)belastenden Verwaltungsaktes, der Auslieferung des schuldnerfremden Pfandobjekts an den Erwerber, Gebrauch machen würde. 226 Die Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass die öffentlich-rechtliche Theorie bei einer streng öffentlich-rechtlichen Konstruktion des Eigentumserwerbs in der Versteigerung nicht nur dem bösgläubigen, sondern sogar dem gutgläubigen Erwerb die Existenzberechtigung absprechen müsste. Der Aspekt des Verkehrsschutzes, sei er nun privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich abgeleitet, ist daher genauso wenig wie derjenige des staatlichen Gewaltmonopols geeignet, die Figur der öffentlich-rechtlichen Verstrickung und damit die öffentlich-rechtliche Pfandrechtstheorie zu erklären. 3. Die Rangproblematik als Existenzberechtigung für die Verstrickung? Der Meinungsstreit zwischen der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie wird in der Praxis im Wesentlichen nur im Bereich konkurrierender Gläubiger erheblich.227 Dies liegt darin begründet, dass die gemischte Pfandrechtstheorie hier der privaten Pfandrechtstheorie zuneigt und hinsichtlich der Voraussetzungen für das Pfändungspfandrecht an das Faustpfandrecht anknüpft. Demgegenüber verknüpft die öffentlich-rechtliche Theorie die Entstehung des Pfändungspfandrechts allein mit der Verstrickung. a) Die Ausgestaltung des Prioritätsprinzips bei Heilung von Mängeln Bei den praktisch relevanten Fällen im Widerstreit der Pfandrechtstheorien ist zwischen den drei Voraussetzungen für das Pfandrecht, die die private Pfandrechtstheorie postuliert, zu differenzieren: Bestand der zu sichernden Forderung, Rechtsinhaberschaft des Schuldners und Einhaltung der Vollstreckungsvoraussetzungen. Das abstrakte Problem, das sich hinter all diesen Fallkonstellationen 226 Die Konsequenz dieses Ergebnisses wird durch den oben aufgezeigten Wertungswiderspruch der öffentlichen Pfandrechtstheorie in Form der eingeschränkten Prüfungskompetenz des Versteigerungsorgans einerseits und des erweiterten Verkehrsschutzes andererseits (s.o. d) belegt. Denn das vorstehende Ergebnis schraubt den Verkehrsschutz konsequent auf den Prüfungsumfang des Gerichtsvollziehers zurück. 227 Daneben nennt Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a aa, die Absonderungsansprüche in der Insolvenz, auf die hier nicht näher einzugehen ist, sowie die Ausgleichsansprüche nach Beendigung der Zwangsvollstreckung. Zu dem letzten Punkt s. ausführlich unter III 6.
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verbirgt, ist nicht so sehr eine Frage der Pfandrechtstheorien, sondern eine Frage nach der rechtlichen Ausgestaltung des Prioritätsprinzips.228 Denn das Pfändungspfandrecht dient letztlich nur als dogmatisches Konstrukt, um dem Prioritätsprinzip Geltung zu verschaffen.229 Gleiches gilt für die Rechtsfiguren Nichtigkeit, Unheilbarkeit und Heilbarkeit, letztere mit ex nunc- oder ex tunc-Wirkung, und auflösende Bedingung.230 Hier stellt sich die allgemeine Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um dem Gläubiger seinen Rang zu sichern. Diesbezüglich stellen alle Theorien sachgerecht auf das Pfändungspfandrecht ab. Die Unterschiede zwischen den Theorien ergeben sich allein aus dem unterschiedlichen Anforderungsprofil an das Pfändungspfandrecht. In der weiteren Folge stellt sich die Frage, ob die nachträgliche „Heilung“ von Mängeln des Pfändungstatbestandes eine Rückwirkung entfaltet, so dass auch die rangwahrende Wirkung des Pfandrechts rückwirkend hergestellt wird.231 Die Beantwortung dieser Fragen ist für die Rechtspraxis von größter Bedeutung, da der nachrangige Gläubiger im Verteilungsverfahren in der Regel das Nachsehen hat.232 Anstatt jedoch in diesem Bereich den Ansatz für die Diskussion zu suchen und für eine zeitliche Vorverlagerung bzw. Heilung mit Rückwirkung zu plädieren,233 wird die öffentlich-rechtliche Theorie als Vehikel benutzt, um die mit der Konstruktion des Pfandrechts bedingten Voraussetzungen zu umgehen.234 Dieses Umwegs bedürfte es nicht, wenn das Problem des Prioritätsprinzips beim Namen angesprochen würde und man sich aufgrund einer abweichenden Interessenkonstellation im Vollstreckungsrecht für eine vom Pfandrecht abweichende Konstruktion entscheiden würde. Dies wäre dann die öffentliche Verstrickung.235 Zugleich setzte sich die öffentlich-rechtliche Theorie keinerlei Begründungs228 So klar hat dies bislang wohl nur Naendrup, ZZP 1972, 311 (312), formuliert: „Indessen besagt ein rein zeitlich gefaßter Prioritätsgrundsatz noch nichts zur Klärung der Rangfragen bei einer verfälschten Konkurrenz. Dazu bedürfte es einer Regelung, die abschätzbar werden lässt, welche Bedeutung dem Fehlertatbestand für das konstitutive Zeitelement zukommen soll.“ 229 So zutreffend auch Kuchinke, JZ 1958, 198 (199): „Hinzu kommt, dass das Pfändungspfandrecht im vollstreckungsrechtlichen Zusammenhang ein bloßes konstruktives Element ist und als solches in weit größerem Maße als Träger von bloßen technischen Hilfsfunktionen – wie etwa als Träger des Prioritätsrechts – erscheinen mag als das Pfandrecht des BGB.“ 230 So schon treffend Naendrup, ZZP 1972, 311 (318). 231 Dabei sei nochmals betont, dass die Frage der rechtlichen Konstruktion dieser Rückwirkung, sei es als auflösende Bedingung oder als rückwirkende Heilung, von deutlich untergeordneter Rolle gegenüber der eigentlichen Interessenabwägung ist. Dies betont mit Recht auch Naendrup, ZZP 1972, 311 (319), der die Beliebigkeit der konstruktiven Denkschemata kritisiert: „Bei der Beliebigkeit der vorgestellten Argumentationsmuster verbleibt es auch in der Nachkriegsrechtsprechung. Es verschieben sich lediglich die konstruktiven Denkschemata. An die Stelle eines Rückbezugs der Wirkungen tritt die gleich ansatzweise eingeführte Rechtsfigur einer auflösend bedingten Wirksamkeit fehlerhafter Vollstreckungsakte.“ 232 Jauernig, § 16 III B. 233 Auf diese Problematik weist zutreffend Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a aa, als Vertreter der gemischten Pfandrechtstheorie hin. 234 Lipp, JuS 1988, 119 (122), gelangt daher letztlich zu dem Ergebnis, dass der Streit um die Pfandrechtstheorien zur dogmatischen Klärung der Sachprobleme nichts beizutragen habe. 235 Zu diesem denkbaren Lösungsansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie unter IV.
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zwang mehr aus, um die Abweichung vom Faustpfandrecht begründen zu müssen. Diese Konsequenz hat die öffentlich-rechtliche Theorie jedoch nicht, wie die nachfolgenden Überlegungen zeigen. b) Rangfragen bei Einwendungen gegen die titulierte Forderung Nach der privaten Pfandrechtstheorie ist Voraussetzung für das Entstehen des Pfandrechts der Bestand der zu sichernden Forderung. Ist diese beispielsweise durch Erfüllung seitens des Schuldners untergegangen, so erlischt infolge der Akzessorietät auch das Pfandrecht. Ein konkurrierender Gläubiger kann sich daher im Verteilungsverfahren mit Recht auf die Einwendungen des Schuldners gegen die titulierte Forderung berufen, soweit der Schuldner sie seinerseits noch im Rahmen des § 767 ZPO geltend machen könnte.236 Die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie müssten an sich zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangen, da nach ihrer Ansicht allein die Verstrickung Grundlage für das Entstehen des Pfändungspfandrechts ist. Allein die Anfechtung des Titels durch den Schuldner und die anschließende Entstrickung des Pfandobjekts könnte demnach zum Erlöschen des Pfändungspfandrechts führen. Diese Konsequenz besitzen die meisten Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie jedoch nicht. Mit Recht weisen sie hingegen auf den damit verbundenen Widerspruch zur materiellen Rechtslage hin und stimmen im Ergebnis der privaten Pfandrechtstheorie zu. Sie räumen damit ein, dass zumindest in diesem Bereich keine Existenzberechtigung für die Verstrickung besteht. Im Gegenteil führt die Verstrickung zu der missliebigen Konsequenz, dass die öffentlich-rechtliche Theorie nunmehr zwischen einem formellen und einem materiellen Befriedigungsrecht des Gläubigers unterscheiden muss, um die unerwünschten Nebenfolgen der Verstrickung zu bereinigen. So wird das Tatbestandselement der zu sichernden Forderung im ersten Schritt durch die Rechtsfigur der Verstrickung eliminiert, um es im zweiten Schritt unter dem Deckmantel des formellen Befriedigungsrechts wieder in die Diskussion einzuführen. Dass es dieses Umwegs nicht bedarf, belegt die private Pfandrechtstheorie. c) Pfändung einer schuldnerfremden Sache, die der Schuldner später erwirbt Konsequent bleiben die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie im zweiten denkbaren Problemfall konkurrierender Gläubiger, der Pfändung einer schuldnerfremden Sache, die der Schuldner später erwirbt. Da das Schuldnereigentum keine Voraussetzung für die Verstrickung und damit für die Entstehung des Pfändungspfandrechts ist, soll das Pfändungspfandrecht bereits mit der Pfändung entstehen. Dieses Ergebnis scheint in vollem Umfang dem Prioritätsgedanken Rechnung zu tragen. Nicht einsichtig ist aber, weshalb in diesem Zusammenhang
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Ebenso Jauernig, § 16 III C 4 c, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 b cc.
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die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Befriedigungsrecht des Gläubigers mit einem Mal keine Rolle mehr spielen soll.237 Denn auch hier steht die Begründung eines Pfändungspfandrechts für den Gläubiger vor dem Erwerb des Pfandobjekts durch den Schuldner im Widerspruch zur materiellen Rechtslage. Im Ergebnis dient die Verstrickung daher lediglich als vorgeschobenes Argument, um das Tatbestandsmerkmal des Schuldnereigentums im Rahmen des Prioritätsprinzips auszublenden. Diesem Widerspruch braucht sich die private Pfandrechtstheorie nicht auszusetzen, da sie in diesem Zusammenhang konsequent an die zivilrechtlichen Regelungen anknüpft.238 § 185 Abs. 2 S. 1, 2. Fall BGB gibt eine klare Antwort für den vorliegenden Fall. Danach wird die Verfügung – in der Vollstreckung die Pfändung – wirksam in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner das Pfandobjekt erwirbt. Haben also mehrere Gläubiger zuvor die Pfändung betrieben, so erwerben sie zu diesem Zeitpunkt denselben Rang. Eine Rückwirkung analog § 185 Abs. 2 S. 2 BGB wird mit der herrschenden Meinung zu Recht abgelehnt, da die „mehreren Pfändungen“ nicht im Widerspruch zueinander stehen.239 Dieser gedankliche Ansatz hat den entscheidenden Vorteil, dass er auf das eingangs angesprochene Kernproblem Bezug nimmt. Es handelt sich um die grundsätzliche Frage, ob das Prioritätsprinzip derart ausgestaltet sein soll, dass die Heilung von Mängeln beim Pfändungstatbestand Rückwirkung entfaltet.240 Dabei handelt es sich um eine Wertungsfrage, die das geltende Gesetz mit der Vorschrift des § 185 Abs. 2 S. 2 BGB verneint hat. Die private Pfandrechtstheorie bewegt sich mithin auf „gesichertem Terrain“. Demgegenüber ist der Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie, das Element des Schuldnereigentums gänzlich auszublenden, nicht geeignet, eine dogmatisch tragfähige Lösung zu liefern. Das eigentliche Problem der Ausgestaltung des Prioritätsprinzips wird infolge der verkürzten Betrachtung des Pfändungstatbestandes überhaupt nicht angesprochen.
237 Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 40, stellt kategorisch fest: „Bei der öffentlich-rechtlichen Auffassung kann es zu einem solchen Problem nicht kommen, da das Pfändungspfandrecht in allen diesen Fällen entstanden ist und den Rang wahrt.“ Hier wird die formelle Konstruktion des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts bemüht, ohne sich mit den kollidierenden Gläubigerinteressen auseinander zu setzen. 238 Ebenso Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 b cc. 239 Werner, JR 1971, 278 (286), weist mit Recht darauf hin, dass mehrmalige Pfändungen vom Gesetz, § 826 ZPO, zugelassen sind. Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 b cc, macht im Weiteren zutreffend darauf aufmerksam, dass die Regelung des § 184 Abs. 1 BGB nur im Falle der Genehmigung der Pfändung durch den betroffenen Eigentümer zur Anwendung kommt. Nur in diesem Falle ist daher von einer Rückwirkung auszugehen. Ebenso Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 27.17, und Brox/Walker, Rdnrn. 383, 390. Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (323), verneint zwar ebenfalls mit Ausnahme der rückwirkenden Genehmigung eine Konvaleszenz ex tunc, will aber analog § 185 Abs. 2 S. 2 BGB zu einer Rangordnung gemäß der zeitlichen Abfolge der Publizitätsakte kommen. 240 Gegen ein Rückwirkung bei Heilung von Verfahrensmängeln plädieren Stöber, Rpfleger 1962, 9 (11), und Furtner, MDR 1964, 460 (462).
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d) Das berechtigte Anliegen im Bereich der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre Die dritte denkbare Kategorie für Rangstreitigkeiten zwischen konkurrierenden Gläubigern bilden die Fallkonstellationen, bei denen Mängel im Zusammenhang mit den Vollstreckungsvoraussetzungen auftreten. Die öffentlich-rechtliche Theorie nimmt in diesem Bereich ebenfalls auf die Verstrickung Bezug und lässt es bei dieser Voraussetzung für das Entstehen des Pfändungspfandrechts bewenden. Wenngleich die Regelungen des Verwaltungsverfahrens zum fehlerhaften Verwaltungsakt in Form der §§ 43 ff. VwVfG nicht ausdrücklich angesprochen werden, so gehen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie doch konsequent davon aus, dass das Pfändungspfandrecht trotz Vorliegens von Verfahrensmängeln anfänglich entsteht, wenn auch auflösend bedingt durch die erfolgreiche Anfechtung der Vollstreckungsmaßnahme.241 Zu dieser Folgerung gelangen die Befürworter der öffentlich-rechtlichen Theorie mit dem Argument, dass durch die Mängelbeseitigung nicht etwas eintrete, was nicht bestanden habe, sondern erhalten bleibe, was lediglich gefährdet war.242 Die Verstrickung entpuppt sich als bloße Umschreibung für die Existenz eines allgemeinen Verwaltungsaktes, der auch im Falle seiner Rechtswidrigkeit Bestandskraft entfaltet, solange kein Fall der Nichtigkeit vorliegt. Unterbleibt demzufolge eine Anfechtung der Vollstreckungsmaßnahme oder wird der Verfahrensmangel nachträglich geheilt, so bleibt die Verstrickung von Anfang an bestehen und mit ihr das Pfändungspfandrecht. Dieses Ergebnis stimmt in vollem Umfang mit der angeregten Modifikation der privaten Pfandrechtstheorie im Bereich der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre überein.243 Das Verständnis der Zwangsvollstreckung als Verwaltungsverfahren gebietet es, im Bereich von vollstreckungsrechtlichen Verfahrensverstößen an die Regelungen der §§ 43 ff. VwVfG anzuknüpfen. Der Umstand, dass Mängel im Pfändungstatbestand nicht ohne weiteres das Entstehen des Pfändungspfandrechts hindern, erklärt sich schlicht aus den Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts.244 Um den Verwaltungsbehörden eine ausreichende 241 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Übers § 803, Rdnr. 9. Ebenso in seiner Bewertung Werner, JR 1971, 278 (285), als Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie. In der weiteren Folge hält Werner die Heilung prozessualer Mängel für eine von der Natur des Pfändungspfandrechts unabhängige Frage. Unklar bleibt dabei jedoch, wie Werner bei privatrechtlichem Verständnis des Pfändungspfandrechts zu einer auflösenden Bedingung gelangen will. Das Fehlen eines Merkmals des Pfändungstatbestandes führt zur Unwirksamkeit der Pfändung, nicht zu einer auflösenden Bedingung. 242 So in seiner Bewertung Werner, JR 1971, 278 (286), als Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie. 243 S.o. § 17 II 4 b. 244 Dieser Ansatz findet sich auch schon bei Naendrup, ZZP 1972, 311 (328): „Weiterführend diskutierbar wird die Konkurrenzfrage im Rückgriff auf dasjenige Moment, das jenseits des Konstruktionskürzels von der auflösenden Bedingung rangwahrend wirken soll: die Qualität eines fehlerhaften Vollstreckungsaktes als eines staatlichen Hoheitsaktes. Dessen unbezweifelbarer Rechtscharakter schlägt … insoweit in eine anfängliche Rechtswirkung um, als die nachfolgende Heilung nur als Gefahrenausschluss für eine schon bestehende Rangposition gedeutet wird.“
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Rechtssicherheit für ihr Handeln zu gewährleisten, ist es unerlässlich, die Anfechtbarkeit ihrer Maßnahmen im Falle der Rechtswidrigkeit zeitlich zu befristen. Das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung rechtfertigt es, vom Grundsatz der Bestandskraft des Verwaltungsaktes auszugehen.245 Die erörterten Grundsätze lassen sich auf das Vollstreckungsverfahren übertragen, da ausschließlich der Staat die Hoheit über das Verfahren ausübt.246 Um so mehr muss es daher verwundern, dass einige Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie im Bereich der Verfahrensmängel erneut das Begriffspaar vom materiellen und formellen Befriedigungsrecht ins Spiel bringen. Nach Maßstäben materieller Gerechtigkeit soll der formelle Verfahrensmangel dann das Entstehen des Pfändungspfandrechts hindern, wenn der Mangel des Vollstreckungsaktes durch den Gläubiger zu beeinflussen war.247 Angenommen wird dies beispielsweise in dem Fall, in dem der Gläubiger den Vollstreckungsantrag bereits vor dem Eintritt eines im Titel genannten Kalendertages, § 751 Abs. 1 ZPO, stellt. Auf den ersten Blick mag hier das Risiko von Verfahrensmängeln dem Gläubiger anzulasten sein. Bei näherer Betrachtung ist hingegen nicht einsichtig, weshalb der Gläubiger für Rechtsfehler des Vollstreckungsorgans soll einstehen müssen.248 Bei der Vollstreckung handelt es sich um ein staatliches Verwaltungsverfahren. Dem Gläubiger fehlt in diesem Bereich die Möglichkeit der Einflussnahme.249 Treten Rechtsverstöße auf, so ist es Aufgabe des Schuldners, sich hiergegen durch die Einlegung von Rechtsbehelfen zur Wehr zu setzen. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung der §§ 43 ff. VwVfG, denen eine Einflussnahme des Gläubigers ebenfalls fremd ist. Die Argumentation der konsequenten Verfechter der öffentlich-rechtlichen Theorie ist daher nicht zu beanstanden. Erweist sich die öffentliche Pfandrechtstheorie im vorliegenden Zusammenhang als sachgerecht, so mangelt es umgekehrt der privaten Pfandrechtstheorie an einer ausreichenden Legitimationsgrundlage. Dass das Fehlen von Vollstreckungsvoraussetzungen das Entstehen des Pfändungspfandrechts eo ipso hindern soll, ließe sich allenfalls im Wege einer analogen Anwendung der §§ 125, 134
245 Ablehnend hingegen Naendrup, ZZP 1972, 311 (329). Soweit dieser das „reklamierte Wirkprinzip verfassungs- und verwaltungsrechtlich“ in Frage gestellt hat, ist zu berücksichtigen, dass diesem Einwand durch das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes, namentlich der §§ 43 ff. VwVfG, der Boden entzogen ist. 246 Zugleich ist damit auch der bislang berechtigten Kritik von Naendrup, ZZP 1972, 311 (320), Rechnung getragen, dem in der bisherigen Diskussion um Rangstreitigkeiten Erwägungen zur Maßgeblichkeit des jeweils eingesetzten Bezugssystems fehlen. Die Abgrenzung von öffentlichrechtlichem Verwaltungsverfahren und privatrechtlichem Pfändungspfandrecht gewährleistet zugleich sach- und interessengerechte Ergebnisse, die sich an den Prinzipien des jeweiligen Rechtsgebiets angemessen Rechnung tragen. 247 Bruns/Peters, § 20 III 2 e; Stöber, in: Zöller, § 878, Rdnr. 11; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 751, Rdnr. 14, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 878, Rdnr. 18. 248 Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Gläubiger in dem genannten Beispiel gut beraten ist, einen frühzeitigen Vollstreckungsantrag zu stellen. Nimmt doch die erste Vollstreckungstätigkeit des zuständigen Vollstreckungsorgans erfahrungsgemäß mehrere Wochen in Anspruch. 249 S.o. § 7 III 3 und V 5.
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BGB rechtfertigen.250 Angesichts der bestehenden Regelungen der §§ 43 ff. VwVfG mangelt es jedoch schon an einer planwidrigen Gesetzeslücke für eine derartige Analogie. Darüber hinaus liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zwischen dem Gesetzesverstoß durch zivile Vertragsparteien einerseits und dem Gesetzesverstoß durch das Vollstreckungsorgan andererseits vor. Denn das Agieren des staatlichen Vollstreckungsorgans erfolgt im staatlichen Interesse und ist dem Gebot der Handlungsfähigkeit der Behörde unterworfen.251 Die Nichtigkeit der Verwaltungsmaßnahme muss daher die Ausnahme bleiben.252 4. Ergebnis Die Rückbesinnung der öffentlich-rechtlichen Theorie auf die moderne Verwaltungsrechtslehre erweist sich als berechtigt, soweit es die verwaltungsrechtliche Fehlerfolgenlehre betrifft.253 Hingegen schießen weitergehende Tendenzen, den bösgläubigen Erwerber in der Vollstreckung durch die Konstruktion eines originär hoheitlichen Eigentumserwerbs zu schützen, über das Ziel hinaus. Derartige Wertungen und Konstruktionen lassen sich dem öffentlichen Recht ebenso wenig entnehmen wie dem Zivilrecht. In der weiteren Konsequenz erweist sich die Rechtsfigur der Verstrickung als überflüssig. Sie umschreibt nichts anderes als den Begriff des Verwaltungsaktes, der Dreh- und Angelpunkt eines jeden Verwaltungsverfahrens ist. In der Vollstreckung handelt es sich dabei um die Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen, die mit der Pfändung endet. Diese allein ersetzt jedoch lediglich die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung des Schuldners. Voraussetzung für das Entstehen des Pfändungspfandrechts bleibt der Bestand der titulierten Forderung und das Eigentum des Schuldners.
III. Widersprüche und Folgeprobleme der öffentlich-rechtlichen Theorie Die These, dass die öffentlich-rechtliche Theorie in ihrer öffentlich-rechtlichen Bewertung der Vorgänge bei der Zwangsvollstreckung über ihr Ziel hinausschießt, lässt sich anhand der Widersprüche und Folgeprobleme, denen sich diese Theorie ausgesetzt sieht, untermauern. Die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie setzen sich insbesondere schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken aus. 250 Jauernig, § 16 III C 1, hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass anders als im öffentlichen Recht die Verletzung von Formvorschriften im Privatrecht gemäß § 125 BGB die wirksame Begründung von Rechten hindert. 251 Ähnlich argumentiert auch Jauernig, § 16 III C 1, entgegen der h. M. dafür, wie bei der Verstrickung auch beim Pfändungspfandrecht nur im Ausnahmefall von der Nichtigkeit auszugehen. 252 Aus der Sicht der Verwaltungsrechtsdogmatik lässt sich dieses Ergebnis auch damit rechtfertigen, dass es sich bei den verletzten Verfahrensnormen in der Regel um keine drittschützenden Bestimmungen zugunsten konkurrierender Gläubiger handelt. Sollte hingegen ausnahmsweise dennoch ein Drittschutz zu bejahen sein, so stünde es auch dem betroffenen Gläubiger frei, die Vollstreckungsmaßnahme anzugreifen. 253 Mängel im Vollstreckungsverfahren hindern daher das Entstehen des Pfändungspfandrechts und damit den Vorrang des zeitlich früher auftretenden Gläubigers nicht, solange diese Mängel nicht vom Schuldner erfolgreich angefochten werden.
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1. Verfassungsrechtliche Bedenken Vom Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie läge es an sich nahe, nach einer verfassungsrechtlichen Legitimation für den Eigentumserwerb des Erstehers in der Versteigerung zu fragen, insbesondere in dem viel umstrittenen Fall der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache. Die öffentlich-rechtliche Bewertung der Erwerbsvorgänge in der Versteigerung erweist sich jedoch als Bumerang, wie sich bei näherer Prüfung des Art. 14 GG herausstellt. Demzufolge wird diese Norm gerade nicht von den Befürwortern der öffentlich-rechtlichen Theorie herangezogen, sondern vielmehr von ihren Kritikern ins Spiel gebracht.254 a) Verstoß gegen Art. 14 GG Man muss sich vergegenwärtigen, dass es sich bei einer hoheitlich verstandenen Eigentumszuweisung in der Versteigerung um eine staatliche Enteignung im Sinne des Art. 14 GG handelt, insbesondere dann, wenn die Sache nicht im Eigentum des Schuldners steht. Die Figur des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts verschleiert den Blick dafür, dass es sich im Kern bei der Pfändung und der anschließenden Versteigerung einer schuldnerfremden Sache um eine zielgerichtete staatliche Entziehung der Eigentumsbefugnisse des Berechtigten im Sinne von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG handelt.255 Der einzige Unterschied zu den herkömmlichen Fällen der klassischen Enteignung besteht darin, dass sich diese Enteignung aufgrund des Dualismus von Pfändung und Verwertung schleichend vollzieht. Bindeglied ist die Figur des öffentlichen Pfändungspfandrechts. Beleuchtet man den Aspekt der Enteignung des wahren Berechtigten infolge der Versteigerung, so stellt sich im Lichte von Art. 14 GG die Frage nach einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.256 Auf der Suche nach einer Antwort ist ein Blick auf die Vorschriften des Vollstreckungsrechts naheliegend, insbesondere die Regelung des § 814 ZPO zur Versteigerung.257 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine an Art. 14 GG zu bemessende Ermächtigungsgrundlage zur Enteignung ohne Eigentumsprüfung, d.h. Feststellung der Rechtsinhaberschaft, undenkbar ist.258 Nur dann, wenn überhaupt die Enteignung als solche festgestellt wird, lässt sich auch die von Art. 14 GG vorgeschriebene staatliche Entschädigung realisieren. Damit verbietet sich ein Rückgriff auf die Vorschrif254
Dazu ist insbesondere Marotzke, NJW 1978, 133 (134 f.), zu zählen. So schon Marotzke, NJW 1978, 133 (134). Ebenso Pesch, JR 1993, 358 (360). 256 Diese Frage würde sich selbst dann stellen, wenn man die Eigentumszuweisung in der Versteigerung lediglich als bloße Inhalts- und Schrankenstimmung des Eigentums verstehen wollte. Marotzke, NJW 1978, 133 (134), verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. 257 Auf die Vorschriften zur Versteigerung berufen sich RGZ 153, 257 (261); Fahland, S. 63; Gaul, Rpfleger 1971, 1 (4), und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 a bb. So auch Huber, S. 56, der allerdings den originär hoheitlichen Eigentumserwerb ablehnt. 258 Werner, JR 1971, 287 (283), fasst dies in folgende Worte: „Selbst bei einem Verwaltungsakt, mit dem die Beschlagnahme in ihren Rechtswirkungen gleichgesetzt wird, würde es nicht genügen, wenn er verfahrensmäßig nicht zu beanstanden ist, sondern er muss materiell gerechtfertigt sein.“ 255
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ten des Vollstreckungsrechts.259 Denn diese sind von dem Prinzip der Formalisierung gekennzeichnet, das eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse durch den Gerichtsvollzieher ausschließt. Die Regelung des § 814 ZPO genügt demzufolge den Anforderungen des Art. 14 GG nicht.260 Man kann nicht die Ansicht vertreten, der Gerichtsvollzieher habe die Rechtsmacht, das Fehlen eines Pfandrechts an versteigerten Sachen durch hoheitliche Autorität zu ersetzen, weil er nicht die Befugnis habe, seine Vollstreckungsmaßnahmen von einer eigenverantwortlichen Prüfung der materiellen Rechtslage abhängig zu machen.261 Auch die Regelung des § 932 BGB lässt sich nicht im Wege der Analogie als Ermächtigungsgrundlage für die in der Versteigerung erfolgende Enteignung heranziehen. Zum einen verbietet die Eingriffsintensität der Enteignung eine Ausdehnung staatlicher Ermächtigungsgrundlagen über den gesetzlich geregelten Fall hinaus. Zum anderen begründet § 932 BGB keine staatliche Verfügungsmacht zur Enteignung des Berechtigten, sondern lediglich eine privatrechtliche Verfügungsmacht des verfügenden Rechtssubjekts, die zudem von der Gutgläubigkeit des Erwerbers abhängt.262 Das Problem der fehlenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für eine Enteignung in der Versteigerung wiegt umso schwerer, als dieser Mangel auch durch eine Korrektur des Gesetzgebers nicht zu heilen wäre. Denn auch de lege ferenda ließe sich eine staatliche Enteignung in der Versteigerung ohne vorhergehende Prüfung der Eigentumsverhältnisse263 nicht mit Art. 14 GG in Übereinstimmung bringen. Es gibt im gesamten öffentlichen Recht keinen einzigen vergleichbaren Fall, in dem dem Betroffenen sein Eigentum entzogen werden könnte, ohne dass es auf die Inhaberschaft des Rechts beim Betroffenen ankäme. Zudem lässt sich eine Enteignung auch kaum zugunsten eines bösgläubigen Erwerbers rechtfertigen. Es besteht kein Interesse der Allgemeinheit, das eine sol259 Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 8, zieht sich daher auf folgenden Standpunkt zurück: „Dem wird man allerdings entgegenhalten müssen, dass die Funktionsfähigkeit der Vollstreckung als Rechtsinstitut einen Eingriff des Vollstreckungsorgans auch in Rechte Dritter voraussetzt.“ Leider findet sich für eine derartige Auffassung keine verfassungsrechtliche Stütze. Die Vollstreckung ist als Rechtsinstitut verfassungsrechtlich nicht geschützt. Art. 14 GG unterliegt keinem derartigen Vorbehalt und auch aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich keine verfassungsimmanente Schranke zugunsten der Vollstreckung entnehmen. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass die Funktionsfähigkeit des Versteigerungswesens nicht etwa dadurch in Frage gestellt wäre, dass der Erwerbsschutz auf den gutgläubigen Ersteigerer beschränkt wird, s.o. § 17 IV 3 c. Zuletzt lässt sich auch keine Grundrechtskollision zwischen dem Dritteigentümer und dem Erwerber begründen, so schon Pesch, JR 1993, 358 (361). 260 Ausführlich hat dies bereits Marotzke, NJW 1978, 133 (134), dargelegt. 261 In diesem Tenor äußert sich Marotzke, NJW 1978, 133 (134), gegen Gaul, Rpfleger. 1971, 1 (4 f.). S. dazu schon oben unter II 2 d. 262 Aus diesen Gründen findet sich auch kein Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie, der sich auf eine derartige Analogie berufen würde. 263 Genau dies postulieren aber die Anhänger der öffentlich-rechtlich konstruierten Verwertung. Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 b, führt aus: „Herausgehoben sei für die Sachpfändung die Berechtigung zur Übertragung des Eigentums an der Pfandsache und am Erlös durch staatlichen Hoheitsakt, unabhängig von Eigentumsverhältnissen und Bestand der materiellrechtlichen Forderung des Gläubigers.“
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che Enteignung rechtfertigen könnte. Denn das Versteigerungswesen, dessen Funktionsfähigkeit allenfalls ein derartiges Interesse der Allgemeinheit begründen könnte, wird durch die Versagung eines derart weitreichenden Verkehrsschutzes nicht beeinträchtigt.264 Auch das Gläubigerinteresse vermag ein derartiges Allgemeinwohlinteresse nicht zu rechtfertigen, da das den Gläubiger treffende Problem der Schuldnerinsolvenz seiner privaten Individualsphäre zuzuordnen ist. In Betracht kommt allein der Gedanke des Verkehrsschutzes zugunsten des gutgläubigen Erwerbers. Diesbezüglich setzt das öffentliche Recht dem Verkehrsschutzgedanken im Falle der Drittbetroffenheit jedoch mit den Regelungen der §§ 48, 50 VwVfG sehr enge Grenzen.265 Im Ergebnis wird mit Recht die von der öffentlich-rechtlichen Theorie propagierte hoheitliche Eigentumszuweisung in der Versteigerung als unverhältnismäßig angesehen. Sie wird als eine durch überwiegende Gemeinwohlinteressen nicht zu rechtfertigende und deshalb unzulässige Enteignung oder auch als unzulässiger enteignungsgleicher Eingriff angeprangert.266 Bei der gegenwärtigen Verfassungslage ist der mystische Gedanke von der Staatsallmacht, die jeden Missgriff decken und auch dem Unredlichen Eigentum verschaffen soll, nicht mehr vertretbar.267 Den Befürwortern der öffentlich-rechtlichen Theorie ist der Vorwurf zu machen, dass sie sich der verfassungsrechtlichen Debatte um Art. 14 GG nur auf zivilrechtlicher Ebene268 oder aber überhaupt nicht stellen.269 Die Problematik wird im Gegenteil durch die ominöse Figur des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts und die damit verbundene Zweiteilung der Enteignung in Pfändung und Verwertung verschleiert. Dazu trägt auch die Figur des originären hoheitlichen Eigentumserwerbs in der Versteigerung bei, der die Problematik der Rechtsinhaberschaft völlig ausblendet. Die Frage nach dem Verbleib des Eigentums des bislang Berechtigten bleibt unbeantwortet, indem die öffentlich-rechtliche Theorie auf eine vermeintlich originäre staatliche Verfügungsmacht abstellt.270 All diesen Vorwürfen braucht sich die private Pfandrechtstheorie nicht auszusetzen, da sie sich mit der Regelung der §§ 1244, 932 ff. BGB auf sicherem zivilrechtlichen Terrain bewegt. Die Entziehung des Eigentums beim Berechtig264
S.o. II 2 c. S.o. II 2 e dd. 266 Säcker, JZ 1971, 156 (158 f.). 267 So Marotzke, NJW 1978, 133 (135). 268 BGHZ 119, 75 (84), stimmt den verfassungsrechtlichen Bedenken von Marotzke, NJW 1978, 133 (134 ff.), ausdrücklich zu, beschränkt sich dabei jedoch aufgrund des zu entscheidenden Sachverhalts allein auf die Versteigerungen im privatrechtlichen Bereich. 269 So findet sich etwa bei Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb, nur der folgende Hinweis: „Ein Enteignungseingriff im Sinne des Art. 14 GG liegt nicht vor, weil die Vollstreckung in die schuldnerfremde Sache dem Berechtigten kein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit auferlegt, sondern lediglich den Einsatz staatlicher Machtmittel im Interesse des Gläubigers – gerechtfertigt durch das staatliche Vollstreckungsmonopol – bedeutet.“ Kaum überzeugender sind die Ausführungen von Gaul, ZZP 1999, 135 (177), sowie Jauernig, § 18 IV A. 270 S.o. II 2 d. 265
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ten ist auf den Fall der Gutgläubigkeit des Erwerbers beschränkt.271 Die Regelungen der §§ 932 ff. BGB genügen ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG, zumal es sich nicht um eine staatliche Enteignung handelt, sondern um einen zivilrechtlichen Erwerbsvorgang.272 b) Das Fehlen eines ausreichenden Rechtsschutzsystems Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg offen. Diese verfassungsrechtlich gebotene Rechtsweggarantie hat im Bereich des öffentlichen Rechts seine dezidierte Ausprägung in Form des Rechtsbehelfssystems der Verwaltungsgerichtsordnung gefunden. Kennzeichen jeglicher öffentlich-rechtlicher Rechtsbehelfe ist ihre Befristung, die mit der Bekanntgabe der Maßnahme der öffentlichen Gewalt zu laufen beginnt.273 Vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie läge es daher nahe, bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems auf diese allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen. Daran sehen sich die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie jedoch offensichtlich angesichts des derzeit bestehenden Rechtsbehelfssystems im achten Buch der Zivilprozessordnung gehindert. Dieses Rechtsbehelfssystem wirft jedoch ernste verfassungsrechtliche Probleme auf, sofern man den Erwerbsvorgang in der Versteigerung öffentlichrechtlich deuten will. Die hoheitliche Eigentumszuweisung durch den Gerichtsvollzieher stellt dann eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG dar. Insbesondere der vollstreckungsrechtliche Rechtsbehelf der Drittwiderspruchsklage muss sich daher an den Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG messen lassen. Dabei stimmt es schon bedenklich, dass dem Eigentümer keine Gelegenheit gegeben wird, sich rechtzeitig gegen die Eigentumsübertragung zur Wehr zu setzen.274 § 771 ZPO sieht im Gegensatz zu den Prinzipien des Verwaltungsrechts weder eine vorherige Bekanntgabe der belastenden Vollstreckungsmaßnahme gegenüber dem Eigentümer vor noch durch die Bekanntgabe ausgelöste Klagefristen, innerhalb derer sich der Berechtigte gegen die Eigentumszuweisung zur Wehr setzen könnte. Insbesondere ersetzen die Vorschriften über die Bekanntgabe der Versteigerung nicht die Mitteilung an den betroffenen Eigentümer, der allenfalls durch eine Mitteilung des Schuldners von der bevor271 Genau aus diesem Grunde verbietet sich auch für die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie eine analoge Anwendung der §§ 1244, 932 ff. BGB, wie Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/ Schütze, § 804, Rdnr. 8, zutreffend feststellt: „Für eine Analogie zu diesen Vorschriften fehlt es allerdings an überzeugenden Argumenten, wenn man davon absieht, daß ein differenzierter Schutz von bösgläubigen und gutgläubigen Erwerbern notwendig ist.“ 272 Mit Recht spricht BGHZ 32, 240 (244 f.), daher davon, dass der öffentliche Nutzen einer Zwangsvollstreckung typischerweise von dem privaten Interesse überlagert werde. Diese Aussage würde es in der weiteren Konsequenz nahe legen, dass man auch den Versteigerungsvorgang als zivilrechtlichen Eigentumserwerb versteht. Diese Konsequenz hat der Bundesgerichtshof jedoch bislang nicht. 273 Im Verwaltungsrecht ist dies regelmäßig die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. 274 Marotzke, NJW 1978, 133 (135).
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stehenden Versteigerung erfährt. Selbst dies dürfte aber der Ausnahmefall sein.275 Erlangt der Eigentümer demzufolge keine rechtzeitige Kenntnis, so soll ihm nach der öffentlich-rechtlichen Theorie mit der Eigentumszuweisung in der Versteigerung jegliche Möglichkeit genommen sein, sich gerichtlich gegen die Enteignung zur Wehr setzen zu können,276 zumal auch dem Schuldner jegliche Rechtsbehelfe abgesprochen werden.277 Im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen der Verwaltungsgerichtsordnung wird damit die Möglichkeit zur Erhebung der Drittwiderspruchsklage auf den Zeitpunkt der Versteigerung befristet, ohne dass aber eine Bekanntgabe gegenüber dem Eigentümer gesetzlich vorgeschrieben wäre. Dieses Ergebnis steht im krassen Widerspruch zu der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Dem Berechtigten wird im Falle seiner Unkenntnis von der Versteigerung jeglicher Rechtsschutz versagt.278 Aus dem soeben beschriebenen Dilemma könnte sich die öffentlich-rechtliche Theorie durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 771 ZPO befreien. Aufgrund des öffentlich-rechtlichen Verständnisses der Versteigerung wäre die Drittwiderspruchsklage als öffentlich-rechtlicher Rechtsbehelf auszugestalten. Um also zu verhindern, dass der Eigentümer ad infinitum klagen könnte, müsste die öffentlich-rechtliche Theorie im Rahmen der Vollstreckung für eine Bekanntgabe der Versteigerung gegenüber dem Eigentümer Sorge tragen. Dies würde jedoch wiederum eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse bedingen, die im Widerspruch zu der Formalisierung der Vollstreckung stünde. Die öffentlich-rechtliche Theorie begäbe sich somit selbst dann in unauflösbare Widersprüche, wenn sie dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsweggarantie Geltung verschaffen wollte. Einen Ausweg aus der dogmatischen Sackgasse bietet allein die private Pfandrechtstheorie und in ihrem Gefolge die Mandatstheorie.279 Allein das privatrechtliche Verständnis der Erwerbsvorgänge in der Versteigerung erklärt die zivilprozessuale Ausgestaltung der Drittwiderspruchsklage. Eine gesonderte von Amts 275 So auch Böhm, S. 62, der aber gleichwohl jegliche Ausgleichsansprüche des Eigentümers nach Beendigung der Zwangsvollstreckung ausschließen will. Entschieden dagegen Kaehler, JR 1972, 445 (450), sowie Gaul, AcP 1973, 322 (323 ff.). 276 Lüke, ZZP 1954, 356 (367 f.), betrachtet dieses Ergebnis als selbstverständlich: „Da der Eigentumserwerb immer mit Rechtsgrund erfolgt, ist der Ersteher Bereicherungsansprüchen Dritter niemals ausgesetzt. Auch mit vollstreckungsrechtlichen Mitteln kann die Eigentumsübertragung nicht angefochten werden; denn durch die Vornahme der Übereignung erfüllt der Gerichtsvollzieher ja gerade die ihm dem Ersteher gegenüber obliegende Amtspflicht.“ 277 So kategorisch Jauernig, § 16 III C 4 c: „Selbst wenn es einem Dritten gehört, hat der Schuldner keinerlei Rechtsbehelfe gegen die Pfändung.“ S. zu diesem Problem noch gesondert im sechsten Teil unter § 31 IV 1. 278 Dieses Defizit gesteht Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a aa und bb, offen ein. Die gleichzeitige Berufung von Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a aa; Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 8, und Jauernig, § 18 IV A, auf die nachträglichen Ausgleichsansprüche des Berechtigten vermag dieses Defizit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht auszugleichen, da die nachträglichen Ausgleichsansprüche die Enteignung des Berechtigten nicht umkehren, sondern zementieren. 279 Marotzke, NJW 1978, 133 (136).
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wegen erfolgende Bekanntgabe der Versteigerung gegenüber dem Eigentümer ist nicht erforderlich, da der Gerichtsvollzieher nicht als Hoheitsträger tätig wird, sondern lediglich als Vertreter des Gläubigers. Es handelt sich demzufolge bei der Versteigerung nicht um eine Maßnahme der „öffentlichen Gewalt“. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt nicht zur Anwendung. Dass der Gerichtsvollzieher lediglich als Vertreter des Gläubigers tätig wird, erklärt in der weiteren Folge auch, weshalb sich der betroffene Eigentümer gemäß § 771 ZPO gerichtlich gegen den Gläubiger und nicht gegen den Gerichtsvollzieher zur Wehr setzen muss. Im Übrigen ist gemäß der privaten Pfandrechtstheorie die Möglichkeit zur Vindikationsklage gegen den bösgläubigen Erwerber in der Versteigerung nicht ausgeschlossen. Dem Eigentümer bleibt es unbenommen, auch im Anschluss an die Versteigerung den Rechtsweg zu beschreiten, um die Voraussetzungen der §§ 1244, 932 BGB für einen wirksamen Eigentumserwerb gerichtlich überprüfen zu lassen. 2. Prinzipienwidersprüche Bei konsequenter Betrachtung müsste die öffentlich-rechtliche Bewertung der Versteigerungsvorgänge zur Anwendung der im ersten Teil erörterten verfahrensrechtlichen Maximen führen. So müsste aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie in der Versteigerung der Untersuchungsgrundsatz gelten ebenso wie der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, das zumindest nachträglich allen Betroffenen gewährt werden müsste.280 Die Untersuchungsmaxime würde eine amtswegige Prüfung der Eigentumsverhältnisse sowie die (nachträgliche) Gewährung rechtlichen Gehörs bedingen. Im Gegensatz dazu versagt die öffentlich-rechtliche Theorie dem Berechtigten einen derartigen Rechtsschutz. Vom zivilrechtlichen Standpunkt lässt sich trefflich argumentieren, dass die Geltendmachung der Eigentumsrechte der Disposition des Betroffenen unterliegt. Nicht anders als bei der Verfügung eines Nichtberechtigten ist deren gerichtliche Überprüfung dem Grundsatz der Verhandlungsmaxime und damit der Privatautonomie unterworfen. Viel strenger müssten hingegen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie argumentieren. Nimmt man die Maximen des öffentlichen Rechts ernst, so hätte unter diesem Blickwinkel der Gerichtsvollzieher als hoheitlich tätig werdendes Organ im Anschluss an die Pfändung von Amts wegen eine Prüfung der Eigentumsstellung des Schuldners vorzunehmen.281 Diese Prüfung wird hingegen auch von der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht bezweckt. 280 Diese Überlegungen stehen in engem Zusammenhang mit den zuvor bereits angesprochenen verfassungsrechtlichen Konsequenzen der öffentlich-rechtlichen Theorie. In diesem Kontext ist auch darauf hingewiesen worden, dass es aus öffentlich-rechtlicher Sicht nicht genügt, dass dem Berechtigten im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache in dem Zeitraum zwischen Pfändung und Verwertung die theoretische Möglichkeit verbleibt, seine Rechte im Wege der Interventionsklage geltend zu machen. 281 Zum Untersuchungsgrundsatz s.o. im zweiten Teil unter § 8 IV.
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3. Einfachgesetzliche Widersprüche Der Widerspruch der öffentlich-rechtlichen Theorie mit den geltenden Bestimmungen des Vollstreckungsrechts, namentlich der §§ 753, 804, 817 ZPO, ist auf die privatrechtliche Konzeption des Gesetzgebers der Zivilprozessordnung zurückzuführen.282 Es wäre daher durchaus legitim, diese Konzeption der privaten Pfandrechtstheorie in Frage zu stellen, wenn sie aufgrund der im letzten Jahrhundert fortschreitenden Verwaltungsrechtsdogmatik überholt wäre. Es bedürfte dann nur eines geringen legislativen Aufwandes, um die angesprochenen gesetzlichen Bestimmungen zu korrigieren. Indes hat die Untersuchung aber ergeben, dass die grundlegende Prämisse der öffentlich-rechtlichen Theorie vom Wandel in der Verwaltungsrechtsdogmatik der Sache nach zwar zutrifft, in der Vollstreckung aber nur geringfügige Korrekturen erforderlich macht. Besonders deutlich wird die Widersprüchlichkeit der öffentlich-rechtlichen Theorie im Bereich der anderweitigen Verwertungsarten. Gemäß § 825 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers oder des Schuldners anordnen, dass die Versteigerung durch eine andere Person als den Gerichtsvollzieher vorzunehmen ist. Zu den „anderen Personen“ im Sinne des § 825 ZPO wird insbesondere der private Auktionator gezählt.283 Nimmt dieser die Veräußerung vor, so sollen Kauf und Übereignung zivilrechtlich erfolgen, sogar dann, wenn der Auktionator öffentlich bestellt ist.284 Gehört die Sache daher nicht dem Schuldner, so soll in dem Fall der anderweitigen Verwertung der bösgläubige Erwerber kein Eigentum an der Pfandsache erwerben können.285 Dieses auch von der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht in Frage gestellte Ergebnis, das gleichermaßen für den freihändigen Verkauf gemäß §§ 821, 817 a Abs. 3 S. 2 ZPO gilt,286 muss verwundern. Da Grundlage der Verwertung auch im Rahmen des § 825 ZPO die Verstrickung sein soll, ist nicht ersichtlich, woher die Rechtsmacht des privaten Auktionators zu einer privatrechtlichen Verfügung im Sinne der §§ 929 ff. BGB herrührt. Zudem stellt sich die berechtigte Frage, weshalb der Erwerber in der privaten Versteigerung weniger schutzwürdig sein soll als in der öffentlichen.287 Die Unterscheidung wird zumindest dem Laien 282
S. dazu schon oben unter § 16 II 1. Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 3 a. 284 So BGHZ 119, 75 (81); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 825, Rdnr. 10; Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 825, Rdnrn. 18 ff.; Brox/Walker, Rdnr. 430, sowie Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 53 III 3 a. Anderer Meinung ist Lüke, NJW 1954, 254 (255), allerdings nur für die Versteigerung durch Dritte. Bei gerichtlicher Anordnung der freihändigen Veräußerung durch Dritte lehnt Lüke ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Bewertung der Verwertungsvorgänge ab. 285 So ausdrücklich BGHZ 119, 75 (81). 286 Erfolgt der Verkauf hier nicht durch den Gerichtsvollzieher, sondern durch geeignete andere Personen (Makler, Kommissionär etc.), so handeln diese auch nach Ansicht der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie rein privatrechtlich mit der Folge, dass die Vorschriften der §§ 433 ff., 929 ff. BGB zur Anwendung kommen. So etwa Frey, BB 1963, 837 (843); Jauernig, § 18 V; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 2 c, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 821, Rdnr. 7. 287 Ähnlich kritisch Frank/Veh, JA 1983, 249 (255). 283
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nicht einsichtig sein,288 der zudem gar nicht erkennen kann, ob er an einer privaten oder öffentlichen Zwangsversteigerung teilnimmt.289 Auch unter dogmatischen Gesichtspunkten dürfte es bei konsequenter öffentlich-rechtlicher Betrachtung der Versteigerung eine private Versteigerung überhaupt nicht geben. Will die öffentlich-rechtliche Theorie das staatliche Gewaltmonopol und die Tätigkeit der staatlichen Vollstreckungsorgane über die Pfändung hinaus auf den Verwertungsvorgang ausdehnen, so schließt dies eine Tätigkeit privater Versteigerungsorgane in privatrechtlicher Form aus. Umgekehrt untermauert die Zulassung der privaten Versteigerung durch die öffentlich-rechtliche Theorie den hier vertretenen Rechtsstandpunkt. Danach handelt es sich bei der Versteigerung durch den Gerichtsvollzieher nicht um staatliche Eingriffsverwaltung, sondern um Leistungsverwaltung, bezüglich deren Ausgestaltung sich der Gesetzgeber zu Recht für die privatrechtliche Alternative entschieden hat.290 Nur so ist auch die Tätigkeit privater Versteigerungsorgane zu erklären. Im Bereich des § 825 ZPO eröffnet der Gesetzgeber dem Gläubiger die Möglichkeit, das freiwillige staatliche Angebot zur Versteigerung auszuschlagen und selbst für eine anderweitige Verwertung Sorge zu tragen.291 Diese Wahlmöglichkeit trägt dem Prinzip der Privatautonomie Rechnung und lässt sich nur vom Standpunkt der privaten Pfandrechtstheorie erklären. Dass die anderweitige Verwertungsart sich im Übrigen ebenfalls an den öffentlich-rechtlichen Verfahrensvorschriften der §§ 814 ff. ZPO zu orientieren hat, ergibt sich aus den öffentlichen Interessen an einer effektiven Verwertung. Diese Interessen bedingen nicht die hoheitliche Tätigkeit staatlicher Organe, wohl aber die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen. Grundlage der im Rahmen der Versteigerung erfolgenden Veräußerung bleibt das Pfändungspfandrecht des Gläubigers, da das private Versteigerungsorgan nicht anders als der Gerichtsvollzieher als Vertreter des Gläubigers auftritt. Die private Pfandrechtstheorie bietet folglich ein schlüssiges Erklärungsmodell, das die kaum nachvollziehbare Differenzierung der öffentlich-rechtlichen Theorie zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Versteigerung entbehrlich macht.
288 Dies verkennt auch der Bundesgerichtshof nicht, BGHZ 119, 75 (81): „Die Möglichkeit eines teils privatrechtlichen, teils hoheitlichen Tätigwerdens privater Versteigerer – je nach Auftraggeber und Versteigerungsgut – würde zudem die Rechtsklarheit gefährden. Der Rechtsverkehr erwartet sie nicht.“ Wenn der Rechtsverkehr aber eine hoheitliche Versteigerung privater Auktionäre nicht erwartet, weshalb sollte er dies bei einem hoheitlich tätig werdenden Auktionator, beispielsweise im Rahmen des freihändigen Verkaufs, erwarten? Schließlich ist dem Auktionator die Art seiner Tätigkeit nicht anzusehen. 289 Säcker, JZ 1971, 156 (158, Fn. 24), weist zutreffend darauf hin, dass die Geschäftsanweisung der Gerichtsvollzieher diese allein verpflichtet, bei der Ankündigung der Versteigerung zwischen der Zwangsversteigerung gepfändeter und der freiwilligen Versteigerung verpfändeter Sachen zu unterscheiden. Die Vorschriften haben zudem nur Ordnungscharakter. 290 S.o. § 17 IV 1 b. 291 Zu der umstrittenen Frage, ob auch dem Schuldner die Möglichkeit der Zuweisung der gepfändeten Sache an ihn selbst eröffnet ist, Steines, KTS 1989, 309 (310 ff.).
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4. Die Privilegierung des vollstreckungsrechtlichen Versteigerungswesens Nicht anders als die Regelung des § 825 ZPO, die mit der Bezugnahme auf die private Versteigerung den Zugriff auf die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs eröffnet, ermöglichen auch die Vorschriften der §§ 1228 ff. BGB einen Rückgriff auf die Zwangsvollstreckung.292 Diese wechselseitige Verzahnung bringt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber von einem einheitlichen Verwertungsmodell im Rahmen der freiwilligen wie der erzwungenen Pfändung ausgegangen ist. Berücksichtigt man ferner, dass die Regelungen der Zivilprozessordnung bereits mehrere Jahrzehnte vor denjenigen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Kraft getreten sind, ist nicht einsichtig, weshalb der Gesetzgeber bei der zeitlich früher in Kraft getretenen Zivilprozessordnung von einer öffentlich-rechtlichen Bewertung des Versteigerungswesens hätte ausgehen sollen. Gleichwohl weicht die öffentlich-rechtliche Theorie von diesem geschlossenen System von Bürgerlichem Gesetzbuch und Zivilprozessordnung einseitig zugunsten der Zwangsvollstreckung ab.293 Sollten die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie die im Bürgerlichen Gesetzbuch wurzelnden Regelungen zur Verwertung des Faustpfandrechts nicht für ausreichend effektiv erachten, so müsste ihre Kritik an dieser Stelle ansetzen, anstatt die Überlegungen zum Verkehrsschutz auf die Vollstreckung zu beschränken. Die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie setzen sich demselben Vorwurf aus, den sie ihrerseits gegen die Sonderregelungen zur Verwaltungsvollstreckung erheben.294 Mit ihrer Selbstbeschränkung auf die Zwangsvollstreckung privilegieren sie den Vollstreckungsgläubiger vor dem privaten Pfandrechtsgläubiger.295 Konsequent wäre es demgegenüber, angesichts der jeweils identischen Interessenlage für eine umfassende Reform des privaten und öffentlichen Versteigerungswesens zu plädieren.296
292 § 1233 Abs. 2 BGB ermöglicht beispielsweise den Verkauf einer freiwillig verpfändeten Sache „nach den für den Verkauf einer gepfändeten Sache geltenden Vorschriften.“ 293 Dass den Anhängern der öffentlich-rechtlichen Theorie diese Abweichung durchaus bewusst ist, ergibt sich aus der Äußerung von Lüke, JZ 1957, 239 (242): „Der Einwand Rosenbergs gegen die öffentlich-rechtliche Theorie, auch beim vertraglichen Pfandrecht könne es vorkommen, dass die Verwertung durch den Gerichtsvollzieher als Staatsorgan erfolge, lässt sich kurz abtun. Im Falle des § 1233 II BGB, den Rosenberg im Auge hat, führt der Gerichtsvollzieher die Verwertung nicht hoheitlich durch.“ Lüke billigt mithin die Privilegierung des vollstreckungsrechtlichen Versteigerungswesens, ohne hierfür aber einen sachlichen Grund zu benennen. 294 S.o. § 10 II 2. 295 Ähnlich kritisch zur Privilegierung der gesetzlichen Versteigerung gegenüber der freiwilligen Versteigerung Frank/Veh, JA 1983, 249 (255). 296 In diesem Sinne konsequent äußerte sich die Revision in der Entscheidung BGHZ 119, 75 (76), auch wenn sie in umgekehrter Stoßrichtung zu der hier vertretenen Ansicht für eine generelle Privilegierung des bösgläubigen Erwerbers sowohl in der privaten wie in der öffentlichen Versteigerung plädierte: „Eine unterschiedliche Behandlung der Veräußerung durch den Vollziehungsbeamten einerseits und einen privaten Versteigerer andererseits sei nicht gerechtfertigt.“ Auch wenn der Bundesgerichtshof diese Ansicht wegen der umgekehrten Stoßrichtung mit Recht verworfen hat, nahm er sie leider nicht zum Anlass, die Privilegierung der aufgrund eines Pfändungspfandrechts erfolgenden Versteigerung in Frage zu stellen.
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5. Unzureichender Verkehrsschutz bei Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme Aus Sicht der privaten Pfandrechtstheorie ist der gutgläubige Erwerber gemäß § 1244 BGB auch für den Fall geschützt, dass die Nichtberechtigung des Pfandrechtsgläubigers auf einer Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme beruht.297 Die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie kommen zu einer gegenteiligen Bewertung, indem sie die Regelung des § 1244 BGB ausblenden und die Tatbestandsvoraussetzungen für das öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht auf die sogenannte Verstrickung verkürzen.298 Diese Beschränkung des Erwerbstatbestandes erlaubt es zwar einerseits, im Bereich der beiden ausgeblendeten Tatbestandsmerkmale Forderungsinhaberschaft des Gläubigers und Berechtigung des Schuldners einen Pfandrechtserwerb auch für den Fall der Bösgläubigkeit des Ersteigerers zu konstruieren, umgekehrt führt die Ausblendung des subjektiven Merkmals der Gutgläubigkeit aber zu dem Ergebnis, dass über eine nichtige Pfändung und das damit verbundene Fehlen einer Verstrickung299 nicht einmal mehr die Gutgläubigkeit des Ersteigerers hinweghilft.300 In diesem Bereich leistet die öffentlich-rechtliche Theorie weniger als die private Pfandrechtstheorie und bevorzugt den Eigentümer zu Unrecht.301 Mit ihrer wechselseitigen Privilegie297 Diese Gleichstellung mit dem Fall der fehlenden Rechtsinhaberschaft des Schuldners an dem Pfandobjekt und dem Fall der nicht bestehenden Gläubigerforderung ist sachgerecht, da es sich jeweils nur um unterschiedliche Gründe für die fehlende Berechtigung des vollstreckenden Gläubigers handelt, der kein Pfändungspfandrecht an dem Pfandobjekt erlangt hat. Die Gründe für diese fehlende Berechtigung des Gläubigers rühren aus der Vollstreckungssphäre zwischen Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner her und sind sämtlich für den Ersteigerer im Rahmen der Versteigerung nicht erkennbar. Demzufolge ist auch im Fall der Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme von dem Regelfall der Gutgläubigkeit des Ersteigerers auszugehen, s.o. § 17 IV 3 d bb. 298 Im Ergebnis ebenso die Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie Gaul, Rpfleger 1971, 1 (4 f.); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Walker, in: Schuschke/Walker, § 817, Rdnr. 7, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a aa. 299 So Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 c dd. 300 Anders hingegen Lindacher, JZ 1970, 360 (362), der die Schutzbedürftigkeit des Ersteigerers anerkennt und diesen im Falle der Gutgläubigkeit schützen will. Auf der Grundlage der gemischten Pfandrechtstheorie fehlt Lindacher hierzu jedoch ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt, da auch die von ihm angeführte Regelung des § 935 Abs. 2 BGB rein zivilrechtlicher Natur ist. Seine Ausführungen entsprechen daher einer reinen Interessenjurisprudenz. Aus Sicht der privaten Pfandrechtstheorie lassen sich die Überlegungen hingegen auf die Vorschrift des § 1244 BGB zurückführen, weshalb zuletzt auch die Ansicht Lindachers, im Falle der groben Fahrlässigkeit sei der Ersteigerer noch schutzwürdig, zu verwerfen ist. Die Regelung des § 932 Abs. 2 BGB steht dem entgegen. Konsequent für eine Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten bei nichtiger oder nicht erfolgter Pfändung plädiert daher Schneider, DRiZ 1963, 143 (144 f.). Er übersieht allerdings, dass sich dieses Ergebnis nicht, wie von ihm beabsichtigt, in Übereinstimmung mit der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie bringen lässt. 301 Das Argument von Lüke, ZZP 1954, 356 (370), dass der Fall der Nichtigkeit nur ausnahmsweise vorliegen werde, vermag die Schwäche der öffentlich-rechtlichen Theorie kaum auszugleichen. Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 76, hat daher eine analoge Anwendung des § 366 HGB vorgeschlagen, um den gutgläubigen Erwerber zu schützen. Ihm folgend Schwinge, S. 109, der bei Nichtigkeit der Pfändung von einem privatrechtlichen Handeln des Gerichtsvollziehers ausgeht und damit die Anwendung des § 366 HGB begründen will. Diese dogmatisch äußerst
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rung von Ersteigerer im Falle seiner Bösgläubigkeit und Eigentümer des Pfandobjekts im Falle der Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme durchkreuzt die öffentlich-rechtliche Theorie gleichsam im Zickzackkurs die gradlinige Lösung der privaten Pfandrechtstheorie, die ihre Verankerung im Bürgerlichen Gesetzbuch findet.302 Die Abweichungen nach rechts wie nach links lassen sich weder anhand der Interessenlage noch dogmatisch rechtfertigen.303 Der zuvor geäußerten Kritik ließe sich ein Modell entgegenhalten, das die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie im Zusammenhang mit dem Vorwurf entwickelt haben, der bösgläubige Erwerber werde in der Vollstreckung zu Unrecht privilegiert. Der Vorschlag beruht darauf, das öffentlich-rechtliche Kriterium der Nichtigkeit dem zivilrechtlichen Kriterium der Bösgläubigkeit anzugleichen. Danach soll eine Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme anzunehmen sein, sofern der Ersteigerer von dem Rechtsverstoß Kenntnis hat oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht davon weiß.304 Im Kern gestehen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie mit derartigen Überlegungen ein, dass im Rahmen der Versteigerung nicht das öffentliche Recht, sondern das Zivilrecht zur Anwendung kommt. Das Abstellen auf die Kriterien des § 932 BGB führt nämlich zu einer Wiederbelebung der an sich verworfenen zivilrechtlichen Prinzipien zum gutgläubigen Erwerb. Zugleich wird aber auch deutlich, dass sich die derart gewählte Gleichschaltung dogmatisch nicht begründen lässt. Die Kriterien des § 44 VwVfG sind gänzlich andere als die des gutgläubigen Erwerbs. Maßstab für die Beurteilung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist ein objektiver, wohingegen § 932 BGB maßgeblich auf die Kenntnis des Erwerbers abstellt. Dieser fundamentale Gegensatz erklärt sich aus der unterschiedlichen Schutzrichtung. Während § 44 VwVfG eine Durchbrechung vom Grundsatz der Bestandskraft des Verwaltungsaktes darstellt und dabedenklichen Umwege braucht die privatrechtliche Theorie nicht zu gehen, da sie über die Regelung des § 1244 BGB zu sachgerechten Ergebnissen, sprich zur unmittelbaren Anwendung der §§ 932 ff. BGB gelangt. Ebenso schon ablehnend gegenüber einer Anwendung des § 366 HGB Petschek, JW 1931, 2140 (2131). 302 Symptomatisch für diesen Schlingerkurs sind etwa die Ausführungen von Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b aa: „Zwar mag das Vertrauen des Erstehers in die hoheitliche Maßnahme ähnlich schutzwürdig sein wie dasjenige des Erwerbers im Rahmen des Pfandverkaufs nach § 1244 BGB. Andererseits konstituiert das Vollstreckungsrecht aber ein Mindestmaß verfahrensrechtlicher Anforderungen an die Verwertung einer Sache gerade auch im Interesse des Rechtsinhabers.“ Genau dessen Interessen lässt die öffentlich-rechtliche Theorie aber im Rahmen der Ersteigerung einer schuldnerfremden Sache durch einen bösgläubigen Erwerber unberücksichtigt, so dass die Berufung auf die Interessen des Rechtsinhabers im Falle der Nichtigkeit der Pfändung den Eindruck einer Alibifunktion gewinnt. 303 So mit Recht Huber, S. 137 ff., 140 ff. Zu dessen Lösung sogleich im Folgenden. 304 So Huber, S. 150 f., der den Eigentumserwerb in der Versteigerung unabhängig davon, ob es sich um ein vertragliches oder hoheitliches Pfandrecht handelt, hoheitlich verstanden wissen will. Ähnlich auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 a aa, der die Nichtigkeitsgründe der Pfändung als „Regulativ“ zu der Vorschrift des § 1244 BGB versteht. In gleicher Weise setzt Gaul, NJW 1989, 2509 (2515), die „Schwere und Offenkundigkeit des Fehlers“ dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gleich.
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her auf den Fall der objektiven Evidenz beschränkt ist, bezweckt § 932 BGB den Schutz des jeweiligen Erwerbers, auf dessen Kenntnisstand es daher allein ankommt. Beide Regelungen lassen sich demzufolge nicht miteinander in Übereinstimmung bringen. Im Gegenteil ist der Fall der Gutgläubigkeit des Ersteigerers bei Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme sogar als der Regelfall anzusehen.305 Dies hängt auch damit zusammen, dass bei der Symbiose von § 44 VwVfG mit § 932 BGB nicht hinreichend zwischen dem öffentlich-rechtlichen Pfändungstatbestand im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner einerseits (§ 44 VwVfG), und dem privatrechtlichen Erwerbstatbestand in der Versteigerung zwischen Ersteigerer und Gerichtsvollzieher als Vertreter des Gläubigers andererseits (§ 932 BGB) unterschieden wird.306 Erst diese Differenzierung erklärt, weshalb die Gutgläubigkeit des Ersteigerers und die Nichtigkeit der Pfändung nicht notwendig deckungsgleich sein müssen. Im Ergebnis kann daher der vorstehende Versuch einer dogmatischen Rechtfertigung der öffentlich-rechtlichen Theorie nur als Kunstgriff bezeichnet werden. 6. Komplexität der Erwerbsvorgänge und Ausgleichsansprüche Die öffentlich-rechtliche Theorie steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Amtstheorie, der zufolge der Gerichtsvollzieher in der Versteigerung nicht als Vertreter des Gläubigers, sondern als Hoheitsträger tätig wird. Dies bedingt eine erhöhte Komplexität der Erwerbsvorgänge.307 a) Die Vervielfältigung der Erwerbsvorgänge Wird der Gerichtsvollzieher nicht als Vertreter des Gläubigers, sondern als selbständiger Hoheitsträger tätig, so verdoppelt sich die Zahl der Erwerbsvorgänge in der Versteigerung. Der Austausch der wechselseitigen Leistungen in Form von Eigentumsübertragung am Pfandobjekt und Zahlung des Kaufpreises erfolgt nunmehr über das mit dem Gerichtsvollzieher bestehende Dreiecksverhältnis. Dabei sollen die jeweils vom Gerichtsvollzieher ausgehenden Verfügungen, die Eigentumszuweisung am Pfandobjekt an den Erwerber und die Auskehr des Erlöses an den Gläubiger originär kraft Hoheitsaktes erfolgen.308 Diese Verfügungen bilden gleichsam die Schnittstelle zum öffentlichen Recht, indem die vorherigen zivilrechtlichen Erwerbsvorgänge und damit insbesondere die Frage der Rechtsinhaberschaft ausgeblendet werden. Dies erscheint den Befürwortern der öffentlich-rechtlichen Theorie als geeigneter Ansatzpunkt zur Grenzziehung zwischen den privaten Erwerbsvorgängen im Vorfeld der Versteigerung und den 305
S.o. § 17 IV 3 d bb. Darin liegt die eigentliche Schwäche in der Lösung von Huber, S. 150 f., der beide Merkmale verschmelzen will. Das Bedürfnis dafür entfällt, ja verbietet sich aufgrund der vorgenannten Differenzierung. 307 Auf die große Bedeutung der Pfandrechtstheorien für die nachfolgenden Ausgleichsansprüche weist auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III, hin. 308 S.o. I und II 2 e. 306
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hoheitlichen Verfügungen des Gerichtsvollziehers, auch wenn dies so nicht ausdrücklich artikuliert wird. b) Folgeprobleme der Versagung von Ansprüchen jenseits der Versteigerung Die öffentlich-rechtliche und in ihrem Gefolge die gemischte Theorie ziehen aus der „originär hoheitlichen Eigentumszuweisung“ durch den Gerichtsvollzieher die Konsequenz, dass jegliche Ansprüche der Betroffenen, insbesondere des Eigentümers, gegen den Gerichtsvollzieher und den Erwerber in der Versteigerung ausgeschlossen sein sollen.309 Durch die Erhebung der Erwerbsvorgänge auf eine öffentlich-rechtliche Ebene werden sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche abgeschnitten. Der Gerichtsvollzieher und mit ihm die sich anschließenden Erwerber werden über die Figur des originär hoheitlichen Eigentumserwerbs abgeschottet vor zivilrechtlichen Herausgabe-, Erlös- oder Schadensersatzansprüchen von Gläubiger, Schuldner und Eigentümer. In deren Dreiecksverhältnis sollen hingegen die zivilrechtlichen Wertungen unberührt fortgelten. Dies führt in der weiteren Konsequenz gemäß § 771 ZPO zu der Interventionsklage des Eigentümers gegen den Gläubiger, die sich im Anschluss an die Versteigerung als Erlösanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB fortsetzen soll. Daneben sollen dem Eigentümer im Falle eines Verschuldens von Gläubiger oder Schuldner auch Schadensersatzansprüche aus §§ 989, 990 BGB und aus §§ 280 ff. BGB zustehen. Im Ergebnis sind diese Ansprüche durchaus berechtigt, sie lassen sich aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie dogmatisch jedoch nicht erklären. Dies soll nachfolgend gezeigt werden.310 c) Mangelnde Existenzberechtigung der Interventionsklage Unklar bleibt aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie, weshalb der tatsächliche Eigentümer in der Phase zwischen Pfändung und Verwertung noch die Möglichkeit zur Interventionsklage haben soll. Ist mit der Verstrickung unabhängig von der Rechtsinhaberschaft des Schuldners das öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht entstanden, so besteht für eine gerichtliche Anfechtung des Pfändungspfandrechts mangels Rechtswidrigkeit kein Ansatzpunkt.311 Die Rechtsin309
Im Einzelnen zu den Anspruchsbeziehungen Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 V. Das Spannungsfeld zwischen der öffentlich-rechtlich bewerteten Versteigerung und den sich anschließenden zivilrechtlichen Ausgleichsansprüchen deutet Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 V, wie folgt an: „Da die wirksame Verwertung der Pfandsache lediglich eine Verstrickung voraussetzt, kann die Auskehrung des Erlöses zu einem Rechtserfolg führen, der dem materiellen Recht zuwiderläuft. … Dieser Einschnitt bedeutet jedoch keineswegs, dass nunmehr auch die Geltendmachung aller Gegenrechte ausgeschlossen wäre. Die Zwangsvollstreckung … muss sich … einer Überprüfung durch das materielle Recht stellen.“ Mit anderen Worten sollen die zivilrechtlichen Versäumnisse bei der Versteigerung im Rahmen der sich anschließenden Ausgleichsansprüche nachgeholt werden. 311 Auf diesen Wertungswiderspruch hat schon Kuchinke, JZ 1958, 198 (200), hingewiesen: „Der vollstreckungsrechtliche Vorgang ist mit anderen Worten – die Verfahrensordnungsmäßigkeit vorausgesetzt – nach dieser Meinung in allen seinen Teilakten und selbst in den von diesen ausgehenden Wirkungen ,rechtmäßig‘, er schafft aber im Endergebnis einen ,rechtswidrigen‘ Zustand, 310
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haberschaft am Pfandobjekt soll für das Entstehen der Verstrickung und des öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechts keine Rolle spielen, was aber in diesem Zusammenhang von der öffentlich-rechtlichen Theorie geleugnet wird. Denn an sich müsste die Verstrickung für den Gerichtsvollzieher und das öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht für den Gläubiger ein Besitz- und Verwertungsrecht gegenüber dem Eigentümer begründen. Der soeben aufgezeigte Widerspruch lässt sich nur vom Standpunkt der privaten Pfandrechtstheorie auflösen. Denn danach vermag selbst der gutgläubige Vollstreckungsgläubiger an einer schuldnerfremden Sache kein Pfändungspfandrecht zu erwerben. Der Eigentümer kann die Sache daher auch bei erfolgter Pfändung bis zur Versteigerung uneingeschränkt herausverlangen und damit zugleich die Beendigung jeglicher Vollstreckungsmaßnahmen in das Pfandobjekt bewirken. Im Ergebnis handelt es sich um eine durchaus zutreffende Billigkeitserwägung, aufgrund derer die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie dem Gläubiger im Falle der Pfändung einer schuldnerfremden Sache nur ein „formelles Befriedigungsrecht“ zusprechen.312 Sie würden diese Rechtsfigur, die vorrangig im Rahmen der Erlösansprüche aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall diskutiert wird, vermutlich auch im Rahmen der Drittwiderspruchsklage bemühen, um dem Einwand des Gläubigers zu begegnen, ihm stehe allein aufgrund der Verstrickung ein Besitz- und Verwertungsrecht an dem Pfandobjekt zu. Denn schließlich stellt die nachfolgend zu erörternde Nichtleistungskondiktion nur eine Verlängerung der Drittwiderspruchsklage im Anschluss an die Versteigerung dar. d) Die bedenkliche Begründung eines Erlösherausgabeanspruchs Vom Standpunkt der privaten Pfandrechtstheorie verfügt der Gerichtsvollzieher in der Versteigerung als Vertreter des Gläubigers über den Pfandgegenstand. Befindet sich dieser nicht im Eigentum des Schuldners, so steht dem Gläubiger kein Pfändungspfandrecht zu. Es handelt sich also um die Verfügung eines Nichtberechtigten. Diese muss der Eigentümer unter den Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs gemäß §§ 1244, 932 BGB gegen sich gelten lassen. In der weiteren Folge steht dem Eigentümer jedoch gegen den Gläubiger ein Anspruch auf Herausgabe des Erlöses aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zu.313 der anhand materieller Normen (§§ 812 ff., 823 BGB) ausgeglichen werden muß. … Auch wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, daß rechtswidrigen Wirkungen ein rechtmäßiger Vorgang zugrunde liegen kann, so ist doch dieser Vorgang einer Beurteilung nach materiell-rechtlichen Gesichtspunkten nur dann verschlossen, wenn er nicht selbst Tatbestände des materiellen Rechts enthält.“ 312 Zu der Differenzierung zwischen dem sogenannten formellen und materiellen Befriedigungsrecht und den sich daraus ergebenden Wertungswidersprüchen s. schon oben unter II 3 im Zusammenhang mit der Rangproblematik. 313 Ebenso Huber, S. 166 f. Lieb, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 812, Rdnr. 269, will § 816 Abs. 2 BGB analog anwenden.
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Ungleich schwerer fällt es der öffentlich-rechtlichen Theorie, einen Anspruch des Eigentümers gegen den Gläubiger dogmatisch zu begründen. Konsequenterweise dürften dem Eigentümer keinerlei Ansprüche gegen den Gerichtsvollzieher oder den Gläubiger zustehen,314 weil der Gerichtsvollzieher kraft der Verstrickung zur Eigentumszuweisung berechtigt und der Gläubiger Inhaber eines Pfändungspfandrechts sein soll.315 Zudem befreit der originär hoheitlich erfolgende Eigentumserwerb den Erwerber in der Versteigerung vor jedweden Herausgabeansprüchen, so dass für die ebenfalls originär hoheitlich erfolgende Auskehr des Erlöses nichts anderes gelten dürfte. Die Konstruktion eines Ausgleichsanspruchs aus § 816 BGB ist mithin zum Scheitern verurteilt. Es mangelt an der Nichtberechtigung des Verfügenden316 ebenso wie an dem Merkmal der rechtsgeschäftlichen Verfügung.317 Daraus den Schluss zu ziehen, dem Eigentümer einen Anspruch gegen den Gläubiger auf Herausgabe des Erlöses zu versagen,318 scheint jedoch den meisten Befürwortern der öffentlich-rechtlichen Theorie mit Rücksicht auf den Eigentümer zu unbilligen Härten zu führen.319 Dieses durchaus zutreffende Rechtsempfinden320 lässt sich verfassungsrechtlich auf Art. 14 GG zurückführen. Denn dem Eigentümer jegliche Ausgleichsansprüche für den Verlust zu versagen, käme einer entschädigungslosen Enteignung gleich, die Art. 14 GG verbietet. Um diesem verfassungsrechtlichen Verdikt zu entgehen, bemühen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen wie auch der gemischten Theorie die Nichtleistungskondiktion und leiten aus ihr einen Anspruch des Ei-
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Im Ergebnis ebenso in seiner Kritik Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a aa. So heute insbesondere Böhm, S. 68, der die Zulässigkeit materiell-rechtlicher Ausgleichsansprüche bei ungerechtfertigter Zwangsvollstreckung gänzlich in Frage stellen will und dies mit einer „stabilisierenden Funktion der Zwangsvollstreckung“ begründet. Ebenso für einen Ausschluss eines Erlösherausgabeanspruchs des Dritten gegen den Gläubiger plädieren Bötticher, ZZP 1972, 1 (14); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 819, Rdnr. 5; Gloede, JR 1973, 99 (99 f.); ders., MDR 1972, 291 (293 f.); Günther, AcP 1978, 456 (463 ff.), und Schünemann, JZ 1985, 49 (52 ff.). Gegen diese Meinungsrichtung nachdrücklich Kaehler, JR 1972, 445 (450). 316 So Lüke, AcP 1954, 533 (537): „… fehlt es an dem Erfordernis der Nichtberechtigung, da der Gerichtsvollzieher kraft seiner prozessualen Stellung als Rechtspflegeorgan befugt ist, über den Erlös zu verfügen.“ 317 Die als Hoheitsakt verstandene Eigentumszuweisung vom Gerichtsvollzieher an den Erwerber schließt eine Verfügung im Sinne von § 816 Abs. 1 BGB aus, BGH JZ 1987, 777 (777 f.); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.18; Brox/Walker, Rdnrn. 469 f.; Schilken, in: Münchener Kommentar, § 804, Rdnrn. 33, 38; ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 V 1 d bb; Lüke, AcP 1954, 533 (537). 318 So die in Fn. 315 zitierten Autoren. Dagegen argumentiert mit Nachdruck Kaehler, JR 1972, 445 (450). 319 So etwa Lüke, AcP 1954, 533 (546): „Wollte man die Rechtssicherheit derart in den Vordergrund stellen, so müsste man konsequenterweise auch Schadensersatzansprüche des Dritteigentümers gegen den Gläubiger aus unerlaubter Handlung ausschließen. Eine solche Betonung der Rechtssicherheit auf Kosten des materiellen Rechts ist aber nicht angängig, weil das Vollstrekkungsverfahren die materielle Rechtslage bewusst außer acht lässt.“ 320 Mit Recht stellt Gaul, AcP 1973, 323 (340), fest, dass die Versagung materiell-rechtlicher Ausgleichsansprüche, wäre sie unausweichlich, das stärkste Argument gegen die öffentlich-rechtliche Theorie wäre. 315
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gentümers gegen den Gläubiger auf Herausgabe des Erlöses ab.321 Dabei setzen sich jedoch insbesondere die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie zahlreichen dogmatischen Verwerfungen aus, die sich an den Tatbestandsmerkmalen des § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB festmachen lassen. aa) Die Erlangung eines Vermögensvorteils „auf Kosten“ des Eigentümers Dass der Gläubiger im Anschluss an die Auskehr des Erlöses das Eigentum daran erlangt und damit einen Vermögensvorteil im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB, dürfte unumstritten sein. Die weitere Anwendung der Nichtleistungskondiktion erklärt sich aus dem Umstand, dass der Gläubiger den Erlös nicht durch Leistung des Erwerbers erlangt haben soll, sondern erst durch die Auskehr des Erlöses seitens des Gerichtsvollziehers. Da dieser originär hoheitlich tätig sein soll, liegt keine Leistung vor, sondern ein Eigentumserwerb in sonstiger Weise. Weitere Voraussetzung des § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB ist, dass der Gläubiger als Anspruchsgegner den Vermögensvorteil „auf Kosten“ des Anspruchsstellers, des Eigentümers, erlangt hat. Das setzt einen Eingriff des Gläubigers in den Zuweisungsgehalt eines dem Eigentümer zustehenden Rechts voraus. Dem Vermögensvorteil des Bereicherten muss unmittelbar ein Vermögensnachteil des Entreicherten gegenüberstehen.322 Die Bejahung dieses Merkmals durch die öffentlich-rechtliche Theorie stößt in zweifacher Hinsicht auf Bedenken. (1) Fehlen eines Eingriffs des Gläubigers Aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie ist kaum erklärlich, weshalb es sich bei den im Rahmen der Versteigerung erfolgenden Verfügungen durch den Gerichtsvollzieher um Eingriffe des Gläubigers in die Rechtssphäre des Eigentümers handeln soll. Aufgrund der originär hoheitlich erfolgenden Verfügung wäre vielmehr ein derartiger Eingriff des Gerichtsvollziehers anzunehmen. Die Befürworter der öffentlich-rechtlichen Theorie bedürfen einiger Klimmzüge, um die Unmittelbarkeit eines Gläubigereingriffs zu begründen. So soll die Zwangsverfügung des Gerichtsvollziehers einerseits das Eigentum des Dritten zum Erlöschen bringen und andererseits dem Gläubiger das Eigentum originär verschaffen.323 Denkbar mag auch das Argument sein, dass der Vollstreckungsantrag des Gläubigers ursächlich für die Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers sei und der Gläubiger sich demzufolge den Eingriff des Gerichtsvollziehers zurechnen lassen müsse. Hinter derartigen Überlegungen verbirgt sich jedoch nichts anderes als die mit der privaten Pfandrechtstheorie verbundene Konstruktion der zivilrechtlichen Stellvertretung. Diese allein vermag zu erklären, weshalb es sich bei der Verfügung in der Versteigerung um einen dem Gläubiger zuzurechnen321 So etwa BGH JZ 1987, 777 (777); Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 44; Schilken, in: Münchener Kommentar, § 804, Rdnrn. 33, 38; ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 V 1 d bb; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.18; Brox/Walker, Rdnrn. 469 f.; Jürgen Kohler, ZZP 1986, 34 (38 ff.); Gaul, AcP 1973, 323 (337 f.), und von Gerkan, MDR 1962, 784 (784). 322 Sprau, in: Palandt, § 812, Rdnr. 31. 323 So Lüke, AcP 1954, 533 (538).
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den Eingriff in den Zuweisungsgehalt des fremden Eigentums handelt. Dieser Verwertungsvorgang unterfällt im Gegensatz zur Pfändung nicht mehr dem staatlichen Gewaltmonopol, sondern unterliegt in vollem Umfang der Disposition des Gläubigers. Für eine derartige Disposition bleibt vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie aber kein Raum, da die konsequente Verfolgung des staatlichen Gewaltmonopols jegliche Einwirkungsrechte des Gläubigers im Ablauf der Vollstreckung ausschließt.324 Demzufolge lässt sich mit der öffentlichrechtlichen Theorie auch kein Eingriff des Gläubigers in den Zuweisungsgehalt des fremden Eigentums begründen. (2) Künstliche Begründung eines fremden Zuweisungsgehalts Da die öffentlich-rechtliche Theorie im Rahmen der Versteigerung von einer originär durch den Gerichtsvollzieher erfolgenden Eigentumszuweisung an den Erwerber ausgeht, wäre es an sich folgerichtig, auch umgekehrt einen Eigentumserwerb des Gerichtsvollziehers an dem erzielten Erlös anzunehmen, zumal der Erwerber regelmäßig die Vorstellung und den Willen haben wird, seine Gegenleistung an den Gerichtsvollzieher oder dessen Beauftragten zu leisten. Da es einen Beauftragten nach der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht gibt, käme demzufolge an sich nur ein Eigentumserwerb des Gerichtsvollziehers in Betracht, der seinerseits sodann das erworbene Eigentum an den Gläubiger auskehren würde. Bei einer derartigen Konstruktion wäre es der öffentlich-rechtlichen Theorie indes versagt, einen Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Eigentümers an dem Erlös zu begründen. Um gleichwohl einen Eigentumserwerb des Gläubigers am Erlös „auf Kosten“ des Eigentümers erklären zu können, greifen die öffentlichrechtliche und die gemischte Pfandrechtstheorie im Wege der Analogie auf die Regelung des § 1247 S. 2 BGB zurück.325 Bis zur Auskehr des Erlöses sollen die zivilrechtlichen Regelungen zur dinglichen Surrogation bei der Pfandrechtsverwertung Platz greifen.326 Der Eigentümer der Pfandsache soll zunächst Eigentümer am Erlös werden, ehe er das Eigentum durch die Auskehr des Gerichtsvollziehers sogleich wieder verliert. Im Ergebnis lässt sich damit ein kurzzeitiger Zuweisungsgehalt zugunsten des Eigentümers begründen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Rückgriff auf die Regelung des § 1247 S. 2 BGB als schlichter Euphemismus für die Heranziehung der privaten Pfandrechtstheorie. Indem nämlich analog § 1247 S. 2 BGB der Eigentümer an dem Pfandobjekt, sei es der Schuldner oder bei der Versteigerung einer schuld324
S.o. § 8 III 3 und V 5. So schon RGZ 156, 395 (399). Ebenso Stöber, in: Zöller, § 804, Rdnr. 7, und Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 22. Nach Lüke, AcP 1954, 533 (535), soll der Gedanke der dinglichen Surrogation unabhängig von § 1247 BGB gelten. Er sei selbstverständliche Folge der Auffassung, dass die Forderung auf den Versteigerungserlös dem Eigentümer der Sache zustehe. Genauso selbstverständlich müsste es dann aber auch aus Sicht des Eigentümers einer schuldnerfremden Sache sein, dass ihm im Falle der Bösgläubigkeit des Erstehers die Vindikationsklage zusteht, s.o. § 17 IV 3 c. Ablehnend gegenüber einer dinglichen Surrogation äußerte sich noch Lent, ZAkDR 1937, 329 (331). 326 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 c. 325
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nerfremden Sache der Dritte, mit der Pfandverwertung Eigentümer an dem Erlös wird, werden die von der privaten Pfandrechtstheorie gemäß § 1204 BGB zu beachtenden Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Gläubigerpfandrechts in den Verwertungsvorgang eingeführt. Nur so vermag die öffentlich-rechtliche Theorie zu rechtfertigen, weshalb sie im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache einen Eingriff des Gläubigers in den Zuweisungsgehalt des Eigentümers annehmen will, den es im Rahmen des originär hoheitlichen Eigentumserwerbs nicht geben dürfte. Allein der Rückgriff auf die zivilrechtliche Regelung des § 1247 S. 2 BGB belegt, dass die öffentlich-rechtliche Theorie unbewusst auf die Wertungsmechanismen der privaten Pfandrechtstheorie zurückgreift. Derartige Kunstgriffe ließen sich durch einen direkten Rückgriff auf die zivilrechtlichen Regelungsmechanismen zur Gänze vermeiden. So veranschaulicht insbesondere die Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB, dass der maßgebliche Eingriff des Gläubigers nicht in der Erlösauskehr, sondern im Rahmen der Eigentumszuweisung an den Erwerber zu suchen ist. Es bedarf dann nicht mehr des Einschubs der dinglichen Surrogation, um einen Eigentumsverlust beim Betroffenen zu begründen. bb) Die künstliche Differenzierung zwischen formellem und materiellem Befriedigungsrecht Dass es sich bei der Subsumtion unter die Voraussetzungen der Nichtleistungskondiktion im Kern um die bei § 816 Abs. 1 S. 1 BGB anzusiedelnde Frage der Verfügungsberechtigung des Gläubigers als Inhaber eines Pfändungspfandrechts handelt, veranschaulicht abschließend das weitere Merkmal des fehlenden Rechtsgrundes. Aus dem aus der Verstrickung abgeleiteten Verfügungsrechts des Gerichtsvollziehers und dem daraus erwachsenden öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrecht wäre folgerichtig ein Rechtsgrund des Gläubigers abzuleiten, den Erlös behalten zu dürfen. Dieses Ergebnis erscheint hingegen auch den meisten Anhängern der öffentlich-rechtlichen Theorie als unbillig.327 Als Ausweg aus der Bredouille führen sie daher eine begriffliche Unterscheidung zwischen einem formellen und einem materiellen Befriedigungsrecht des Gläubigers in die Debatte ein.328 So soll dem Gläubiger im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache nur ein formelles Verwertungsrecht auf Betreiben der Vollstreckung, nicht aber ein materielles Befriedigungsrecht an dem Erlös zustehen.329 In 327
S.o. einleitend unter d. So beispielsweise Münzberg, in: Stein/Jonas, § 804, Rdnr. 22, der zwischen dem „Recht auf Befriedigung“ und dem „Recht zum endgültigen Behaltendürfen des Erlöses“ differenziert. Ebenso schon Lüke AcP 1954, 533 (538 f.); Jürgen Kohler, ZZP 1986, 34 (39 f.); Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 232, und Wolfgang Lüke, in: Wieczorek/Schütze, § 804, Rdnr. 53. Ähnlich die Differenzierung von Lüke, JZ 1957, 239 (241), der die Verstrickung als „tatsächliche Beziehung des Staates zum Gegenstand“ und das Pfändungspfandrecht als „rechtliche Beziehung“ bezeichnet. 329 Die Argumentation der öffentlich-rechtlichen Theorie bewegt sich hier im Kreis. Nachdem zunächst mit viel Mühe die Abkehr von einem privatrechtlichen Verständnis der Verwertungsvorgänge vollzogen worden ist, treten die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie im Anschluss 328
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der weiteren Folge besteht im Verhältnis zwischen Eigentümer und Gläubiger kein Rechtsgrund mehr, auf den sich der Gläubiger berufen könnte. Mit dieser Konstruktion begibt sich die öffentlich-rechtliche Theorie aber bewusst in Widerspruch zu den von ihr selbst gesetzten Prämissen.330 Ihre Anhänger gestehen daher ein, dass sich die tatsächliche Rechtsinhaberschaft als Voraussetzung für die Entstehung eines Pfändungspfandrechts entgegen der von ihr selbst gesetzten Annahme nicht leugnen lässt.331 Denn die begriffliche Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Befriedungsrecht,332 die dem öffentlichen Recht wie dem Privatrecht fremd ist, bezeichnet nichts anderes als das Eigentum des Schuldners als Voraussetzung für die Entstehung eines Pfändungspfandrechts.333 Dessen Fehlen hindert den Gläubiger nicht daran, einen Vollstreckungsantrag zu stellen (formelles Befriedigungsrecht), wohl aber daran, den Erlös aus der Versteigerung des schuldnerfremden Pfandobjekts zu behalten (materielles Befriedigungsrecht).334 Da die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie hingegen eine Anlehnung an das private Faustpfandrecht leugnen, bleiben ihnen zuletzt nur allgemeine Billigkeitserwägungen,335 um den Bereicherungsanspruch des Eigentümers gegen den Gläubiger begründen zu können.336 an die Versteigerung den Rückzug an. So etwa die Ausführungen von Lüke, AcP 1954, 533 (539): „Auch das Pfändungspfandrecht rechtfertigt den Erwerb des Gläubigers nicht. Es ist lediglich öffentlich-rechtlicher Natur und beweist nichts für die materielle Berechtigung des Gläubigers, wie sich schon daraus ergibt, dass es ohne Rücksicht auf besondere materielle Voraussetzungen entsteht.“ 330 So im Ansatz auch Lüke, JZ 1955, 484 (484), zu der von ihm selbst vertretenen öffentlichrechtlichen Theorie: „Dieser Widerspruch zu der These, dass auch das Pfändungspfandrecht eine Verwertungsbefugnis zugunsten des Rechtsinhabers beinhaltet, besteht nur scheinbar.“ Worin dieser bloße Schein bestehen soll, lässt Lüke hingegen offen. Denn auch die Unterscheidung zwischen der Befriedigung als lediglich mittelbarem Zweck und der Sicherung als unmittelbarem Zweck der Zwangsvollstreckung – so Lüke unter Berufung auf Schwinge, S. 86 – vermag den in der Literatur geäußerten Vorwurf der künstlich anmutenden Differenzierung kaum auszuräumen. 331 Ebenso kritisch Gaul, Rpfleger 1971, 1 (6); Henckel, S. 320 ff.; Jauernig, § 16 III C 3, und Kuchinke, JZ 1958, 198 (200). Lüke, AcP 1954, 533 (545), gesteht daher ein, „dass die Bejahung der Bereicherungshaftung des Gläubigers nicht ganz zweifelsfrei ist.“ 332 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a, bezeichnet die Differenzierung als Kunstgriff. 333 Ebenso kritisch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a bb: „Der innere Widerspruch tritt in dem Umstand zutage, dass diese Theorie – will sie interessengerechte Ergebnisse erreichen – in den erwähnten kritischen Fällen eben doch auf das materielle Recht zurückgreifen muss.“ 334 Im Ergebnis räumt daher auch Lüke, AcP 1954, 533 (545, 547), als maßgeblicher Anhänger der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie „eine gewisse Inkonsequenz in der Konstruktion“ ein. Diese müsse jedoch „gegenüber dem überragenden Gedanken, dass der Gläubiger nur ein Recht darauf hat, aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt zu werden, in den Hintergrund treten.“ Nichts anderes besagt aber die private Pfandrechtstheorie, ohne dass sie dazu argumentativer Klimmzüge bedürfte. 335 Zu diesen Problemen der öffentlich-rechtlichen Theorie siehe nur die prophetischen Worte von Lent, ZAkDR 1937, 329 (333): „… sonst steht man eines Tages ratlos vor unerwarteten Problemen, denen mit Billigkeitserwägungen allein nicht beizukommen ist.“ 336 Lüke, AcP 1954, 533 (546), führt in diesem Sinne aus: „Diese Bedenken halten jedoch einer Nachprüfung nicht stand. Wollte man die Rechtssicherheit derart in den Vordergrund stellen, so müsste man konsequenterweise auch Schadensersatzansprüche des Dritteigentümers gegen den
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cc) Spannungsverhältnis zur Versagung jeglicher Ansprüche gegen den Erwerber Die Probleme, denen sich die öffentlich-rechtliche Theorie bei der Bewertung der Erlösansprüche des Eigentümers gegen den Gläubiger ausgesetzt sieht, belegen, dass sich die zivilrechtliche Frage der Rechtsinhaberschaft beim Eigentumserwerb in der Versteigerung nicht ausklammern lässt. Die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie bewegen sich im Kreis, indem sie zunächst die Kriterien der privaten Pfandrechtstheorie leugnen, um sie sodann im Rahmen der Nichtleistungskondiktion wieder in die Debatte einzuführen.337 Schon die Frage nach der Nichtleistungskondiktion ist aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie inkonsequent.338 In der weiteren Folge vermögen die Anhänger der öffentlichen Pfandrechtstheorie nicht zu erklären, weshalb dem Eigentümer jegliche Ansprüche gegen den Erwerber abgeschnitten sein sollen, der Gläubiger hingegen zur Herausgabe des Erlöses verpflichtet sein soll.339 Da nämlich auch der Gläubiger den Erlös originär kraft Hoheitsaktes erwerben soll, müsste er ebenfalls vor zivilrechtlichen Herausgabeansprüchen geschützt sein. Es ist nicht erklärlich, weshalb die originär hoheitliche Eigentumszuweisung an den Ersteher unter Ausschluss materiell-rechtlicher Ausgleichsansprüche erfolgen soll, während dieses Privileg dem Gläubiger als originär hoheitlichem Empfänger des Erlöses nicht zugute kommen soll.340 Das staatliche Gewaltmonopol, das aufgrund der öffentlich-rechtlichen Verwertungsvorgänge zur Anwendung kommen soll, erweist sich als Bumerang, da es in dem Gläubiger das Vertrauen auf eine endgültige Zuweisung des Erlöses erweckt.341 Gläubiger aus unerlaubter Handlung ausschließen. Eine solche Betonung der Rechtssicherheit auf Kosten des materiellen Rechts ist aber nicht angängig, weil das Vollstreckungsverfahren die materielle Rechtslage bewusst außer acht lässt.“ 337 Ähnlich kritisch Kuchinke, JZ 1958, 198 (200): „Und in der Tat vermag auch die Theorie vom öffentlich-rechtlichen Pfandrecht nicht mehr, als bei der Pfändung und Verwertung die Berücksichtigung der materiellen Rechtslage in Konfliktfällen vorübergehend auszusetzen, um dann bei der Auszahlung des Erlöses an den Gläubiger notgedrungen das Versäumte nachzuholen.“ 338 Mit Recht daher kritisch Kuchinke, JZ 1958, 198 (200): „Die ausweglose Schwierigkeit, in die sich die Theorie vom öffentlich-rechtlichen Pfandrecht verwickelt, beruht nicht so sehr auf einer ,Inkonsequenz bei der Konstruktion‘, sondern auf mangelnder Folgerichtigkeit bei der Fragestellung. … folgewidrig ist sie vielmehr besonders deshalb, weil sie überhaupt nach dem Rechtsgrund fragt. Diese Fragestellung ist von der vermeintlichen prozessualen Sicht aus falsch, weil der Rechtsgrund keine prozessuale, sondern eine materiell-rechtliche Kategorie ist.“ 339 Ebenso kritisch Kuchinke, JZ 1958, 198 (201). 340 Diese Ungleichbehandlung räumt Lüke, AcP 1954, 533 (545), ein: „Bedenken ergeben sich insbesondere aus dem Vergleich der Übertragung des Eigentums an der versteigerten Sache mit der Übereignung des Versteigerungserlöses auf den Gläubiger. Jene ist endgültig, weil sie dem Ersteher originär das Eigentum verschafft und damit den Rechtsgrund in sich selbst und mit Wirkung gegenüber jedermann enthält; diese dagegen unterliegt nach § 812 BGB der Kondiktion, da sie im Verhältnis zum Dritteigentümer sine causa erfolgt.“ 341 So auch Lüke, AcP 1954, 533 (545 f.): „Einwendungen gegen die Bereicherungshaftung des Gläubigers lassen sich ferner aus folgenden Erwägungen herleiten: Der Gläubiger ist für die zwangsweise Durchsetzung seines Titels auf das staatliche Verfahren der Zwangsvollstreckung angewiesen; er hat keine Möglichkeit, auf andere Weise zu seinem Recht zu kommen. Von einem Verfahren, in dem der Staat von dem ihm zustehenden Vollstreckungsmonopol Gebrauch macht, kann
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Um dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, wird teilweise darauf abgestellt, dass der Erwerb in der Versteigerung entgeltlich erfolge, wohingegen der Gläubiger für die Auskehr des Erlöses keine Gegenleistung erbringe. Da er selbst die Vollstreckung betreibe, sei er weniger schutzbedürftig.342 Dieser Rückgriff auf zivilrechtliche Wertungen muss schon angesichts der Stoßrichtung der öffentlichrechtlichen Theorie verwundern. Zudem handelt es sich bei näherer Betrachtung um Wertungen im Zusammenhang mit den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb. Denn die angesprochene Vorschrift des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB schränkt den Vertrauensschutz des unentgeltlich vom Nichtberechtigten Erwerbenden ein, indem dieser zwar das Eigentum erwirbt, aber der Eingriffskondiktion des Berechtigten ausgesetzt bleibt. Die Nichtberechtigung des Verfügenden und der gute Glaube des Erwerbers sollen aber nach dem Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie in der Verwertung gerade keine Rolle spielen, weshalb auch das sich anschließende Kriterium der Unentgeltlichkeit nicht erheblich sein dürfte. Dem Eigentümer müssten jegliche Ausgleichsansprüche versagt sein. Diese Konsequenz hat die öffentlich-rechtliche Theorie aber nicht. Und so wird unter dem Deckmantel der Unentgeltlichkeit die mangelnde Berechtigung des Schuldners dem Gläubiger angelastet, um dem Eigentümer nicht jegliche Ausgleichsansprüche versagen zu müssen. Eine dogmatisch tragfähige Begründung lässt sich nur vom zivilrechtlichen Standpunkt aus der Regelung des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ableiten, die den nicht berechtigten Gläubiger im Falle der wirksamen Verfügung zwangsweise dem Bereicherungsanspruch des Berechtigten aussetzt. Grund hierfür ist nicht eine Unentgeltlichkeit des Erwerbsgeschäftes, sondern allein das Merkmal der mangelnden Berechtigung des Verfügenden. Weiß der Erwerber hingegen davon, so besteht keine Veranlassung, dem Eigentümer seine Vindikationsansprüche zu versagen. Ihm bleibt die freie Wahl, entweder den Erwerber auf Herausgabe des Pfandobjekts oder den Gläubiger auf Erlösauskehr in Anspruch zu nehmen. e) Private Schadensersatzverpflichtung des Gläubigers aus hoheitlicher Eigentumszuweisung? Nicht anders als im Zivilrecht gilt im öffentlichen Recht der Grundsatz, dass im Falle einer rechtswidrigen und schuldhaften Eigentumsverletzung der Handelnde dem Verletzten zum Schadensersatz verpflichtet ist.343 Dieser Verantwortung können sich staatliche Verantwortungsträger kaum entziehen. Das Staatshaftungsrecht kennt lediglich das Privileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB, das den Geschädigten zwingt, zunächst anderweitig Verantwortliche in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verständlich, weshalb die Anhänder Rechtsverkehr erwarten, dass es im Interesse der Beteiligten und der allgemeinen Rechtssicherheit endgültige Zustände schafft, ohne jede Möglichkeit für einen Dritten, dem Gläubiger das ihm von dem staatlichen Vollstreckungsorgan übereignete Geld wieder zu entziehen.“ 342 In diese Richtung gehen etwa die Ausführungen von Schmitz, NJW 1962, 2335 (2336). 343 Zur Zurechnung von fehlerhaftem Verhalten des Vollstreckungsgehilfen Birmanns, DGVZ 1984, 105 (105 ff.).
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ger der öffentlich-rechtlichen Theorie dem Eigentümer im Rahmen der Versteigerung Haftungsansprüche gegen das staatliche Vollstreckungsorgan wegen Enteignung oder enteignungsgleichen Eingriffs versagen wollen.344 Wird dieses als Hoheitsträger tätig, so muss es für etwaige Rechtsverletzungen einstehen. Demgegenüber verweist die öffentlich-rechtliche Theorie den Eigentümer auf Schadensersatzansprüche gegen den Gläubiger. Dieser müsse sich das Verhalten des Vollstreckungsorgans zurechnen lassen.345 Eine Zurechnungsnorm nennen die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie hingegen nicht. Das Begründungsdefizit der öffentlich-rechtlichen Theorie lässt sich aus Sicht der privaten Pfandrechtstheorie durch einfachen Rückgriff auf die Regelung des § 278 BGB ausräumen. Denn danach ist der Gerichtsvollzieher als Beauftragter des Gläubigers nichts anderes als dessen Erfüllungsgehilfe.346 Dessen Verschulden muss sich der Gläubiger zurechnen lassen.347 Daneben veranschaulicht die zivilrechtliche Betrachtung des Verwertungsvorgangs, dass sich der Gerichtsvollzieher entgegen der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht von jeglicher Verantwortung lossprechen kann. Er kann sich im Bereich der Verwertung nicht mehr auf den Grundsatz der formalisierten Vollstreckung zurückziehen und darauf berufen, ihm sei jegliche Prüfung der Eigentumsverhältnisse untersagt. Umgekehrt trifft ihn aufgrund seiner privatrechtlichen Tätigkeit jedoch keine amtswegige Verpflichtung zur Aufklärung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse. Es gelten die bekannten zivilrechtlichen Kriterien zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten. Angesichts des zumeist recht anonymen Versteigerungsverfahrens wird den Gerichtsvollzieher daher nur selten eine Aufklärungsverpflichtung treffen. Sollte er gleichwohl im Einzelfall Kenntnis von Umständen erlangen, die Zweifel an der Berechtigung des Schuldners aufkommen lassen, so hat er die Beteiligten zu informieren, um deren Schädigung zu verhindern. f) Reduktion der Erwerbsvorgänge im Wege der privaten Pfandrechtstheorie Ein abschließender Blick auf die private Pfandrechtstheorie veranschaulicht, dass die mit der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie einhergehende Komplexität der Erwerbsvorgänge vermeidbar ist. Das hängt insbesondere damit zusammen, dass eine zivilrechtliche Deutung der Verwertungsvorgänge eine Schnittstellenbildung zum öffentlichen Recht entbehrlich macht. Dies erlaubt es, sämt344 Ansprüche aus Enteignung und enteignungsgleichem Eingriff versagen im Anschluss an BGHZ 32, 240 (244 ff.); BGH BB 1967, 941. Ebenso Gaul, Rpfleger 1971, 41 (42); Baur/Stürner/ Bruns, Rdnr. 5.10, sowie Münzberg, in: Stein/Jonas, Vor § 704, Rdnr. 142; § 771, Rdnr. 92. 345 BGH BB 1967, 941, für die Zwangsversteigerung. 346 S.o. § 17 IV 1 a. 347 Daneben kommt auch ein eigenes Verschulden des Gläubigers im Falle seiner Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis von der mangelnden Berechtigung des Schuldners als Anknüpfungspunkt für eine Schadensersatzverpflichtung in Betracht. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers ergibt sich aus der Möglichkeit zur Einflussnahme im Rahmen der Verwertung des Pfandobjekts. Diese Dispositionsmöglichkeit dürfte es hingegen vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie nicht geben, so dass die Verantwortlichkeit des Gläubigers vor diesem Hintergrund im dogmatischen Dunkel bleibt.
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liche Erwerbstatbestände in der Verwertung den bekannten zivilrechtlichen Prinzipien zu unterwerfen. Durch die weitere Zuordnung des Gerichtsvollziehers als Vertreter des Gläubigers entfallen die originär hoheitlichen Erwerbstatbestände.348 Sie reduzieren sich auf den Abschluss und Vollzug eines Kaufvertrages zwischen Gläubiger und Erwerber, bei dem der Gerichtsvollzieher als Vertreter des Gläubigers auftritt. Veräußert dieser eine schuldnerfremde Sache, so führt die Anwendung der zivilrechtlichen Ausgleichsmechanismen zu sachgerechten Ergebnissen, ohne dass es dogmatischer Klimmzüge bedürfte. Es bestätigt sich das Konzept, die Vollstreckung nach ihrem eigentlichen Verständnis auf den Akt der staatlichen Gewaltanwendung im Rahmen der Pfändung zu beschränken und im Rahmen der Verwertung das hoheitlich erzwungene Pfändungspfandrecht dem vertraglichen und gesetzlichen Pfandrecht gleichzustellen.349 Der Ansatz der öffentlich-rechtlichen Theorie, im Bereich der Verwertung ein hoheitliches Rechtsverhältnis zwischen dem Gerichtsvollzieher und den übrigen Beteiligten zu konstruieren, schießt hingegen über das Ziel hinaus. Die Grenzen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht werden unnötig verwischt. Dies führt zu den aufgezeigten Wertungswidersprüchen. 7. Ablehnung der Mandatstheorie bei privatrechtlicher Bewertung der Besitzverhältnisse Im Widerstreit der Pfandrechtstheorien ist die Frage nach der Beurteilung der Besitzverhältnisse im Anschluss an die Pfändung bislang nicht problematisiert worden. Es besteht Einigkeit darüber, dass im Falle der Pfändung ein mehrstufiges mittelbares Besitzverhältnis im Sinne des § 871 BGB begründet wird,350 auch ohne dass das Vollstreckungsrecht ausdrücklich auf das Zivilrecht Bezug nimmt.351 Nimmt der Gerichtsvollzieher demzufolge die Sache gemäß § 808 Abs. 1 ZPO in Besitz, so wird er zum unmittelbaren Fremdbesitzer zugunsten des Gläubigers, der Gläubiger zum mittelbaren Fremdbesitzer erster Stufe zugunsten des Schuldners und der Schuldner zum mittelbaren Eigenbesitzer zweiter Stufe. Belässt der Gerichtsvollzieher die Sache hingegen zunächst im Besitz des Schuldners, so ist dieser unmittelbarer Fremdbesitzer und zugleich mittelbarer Eigenbesitzer dritter Stufe. Dazwischen treten wiederum der Gerichtsvollzie348 Kritisch zu derartigen Bestrebungen hingegen Lüke, ZZP 1954, 356 (364): „Eine solche Argumentation … würde das hoheitliche Element in die Formen des BGB pressen, so dass von einer öffentlich-rechtlichen Übereignung in Wahrheit gar keine Rede sein könnte.“ Genau dies ist aber beabsichtigt, um die Erwerbsvorgänge in der Versteigerung zu vereinfachen. Dass man dem Bürgerlichen Gesetzbuch dabei keine Gewalt antun muss, belegen die vorstehenden Ausführungen. 349 S.o. § 17 IV 1. 350 Näher dazu Brox/Walker, Rdnr. 360. 351 Die italienische Vollstreckungsordnung nimmt im Bereich der durch den Gerichtsvollzieher gepfändeten beweglichen Sachen ausdrücklich auf das materielle Zivilrecht Bezug, indem es die Verpflichtung des Gerichtsvollziehers ausspricht, für die Verwahrung zu sorgen. Er hat die gepfändeten Sachen entweder in ein öffentliches Lagerhaus bringen zu lassen oder sie einem Verwahrer („custode“) anzuvertrauen, art. 5202 c.p.c.
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her und der Gläubiger als mittelbare Fremdbesitzer. Von Bedeutung ist der mittelbare Eigenbesitz des Schuldners für den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs gemäß § 935 Abs. 1 BGB. Die zivilrechtliche Bewertung der Besitzverhältnisse lässt sich mit der öffentlich-rechtlichen Theorie, die den Gerichtsvollzieher als Hoheitsträger und nicht als Beauftragten des Gläubigers versteht, kaum vereinbaren. Denn die hoheitliche Tätigkeit des Vollstreckungsorgans schließt an sich ein privatrechtliches Besitzmittlungsverhältnis zugunsten des Gläubigers und des Schuldners mitsamt der sich daraus ergebenden Weisungsrechte aus. Dies würde zu der misslichen Konsequenz führen, dass die Regelung des § 935 Abs. 1 BGB im Falle des Abhandenkommens des Pfandobjekts mangels mittelbaren Besitzes des Schuldners nicht mehr zur Anwendung käme. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich und durchaus zu begrüßen, dass die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie von einer abweichenden öffentlich-rechtlichen Bewertung der Besitzverhältnisse Abstand genommen haben. Konsequent ist diese Lösung hingegen nicht. 8. Widersprüche im Rahmen der Straftatbestände Der Streit um die Pfandrechtstheorien pflanzt sich im Bereich des Strafrechts fort. So ist im Rahmen des Straftatbestandes der Pfandkehr, § 289 StGB, umstritten, ob dieser Tatbestand auch dann verwirklicht ist, wenn es sich um ein Pfändungspfandrecht handelt. Umgekehrt soll die öffentlich-rechtliche Verstrickung im Falle der Pfandkehr zugleich den Straftatbestand des Verstrickungsbruchs gemäß §§ 136, 137 StGB erfüllen.352 Dies führt zu einer Verschiebung der Strafrahmen353 und damit zu einer weiteren Ungleichbehandlung, die kaum zu rechtfertigen ist. Vielmehr legt die private Pfandrechtstheorie eine Harmonisierung nahe mit der Folge, dass der Tatbestand des § 289 StGB bei sämtlichen drei Arten von Pfandrechten anzuwenden ist. Die Bejahung eines Verstrickungsbruchs ist hingegen im Falle der staatlichen Pfändung zu verneinen. Es mangelt an einem mit den übrigen Fällen der staatlichen Beschlagnahme vergleichbaren staatlichen Eigeninteresse an dem Pfandobjekt.354
IV. Verzicht auf das öffentliche Pfändungspfandrecht? Aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie stellt sich die Frage, ob die aufgezeigten Widersprüche und Folgeprobleme aus der Koexistenz von Verstrickung und öffentlich-rechtlichem Pfändungspfandrecht sich nicht dadurch beseitigen lassen, dass man auf jegliche Bezüge zum Vertragspfandrecht verzichtet und sich 352
Peter Geib, S. 11 f., sowie Werner, JR 1971, 278 (278). Während die Pfandkehr mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bewehrt ist, ist für den Verstrickungsbruch lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorgesehen. 354 Die Motive zur Zivilprozessordnung nehmen hingegen im Rahmen der strafrechtlichen Schutzbestimmungen auf die Regelung des § 137 des Reichsstrafgesetzbuchs, den Verstrickungsbruch, Bezug, nicht hingegen auf die Pfandkehr, Materialien, S. 451. 353
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auf die Figur der Verstrickung als Dreh- und Angelpunkt für die Vollstreckung beschränkt.355 Schließlich laufen die Ansichten der Vertreter der öffentlich-rechtlichen Theorie alle mehr oder weniger darauf hinaus, „das Pfändungspfandrecht aus der ZPO hinauszuinterpretieren.“356 Ein solcher Schritt würde die endgültige Trennung von den zivilrechtlichen Wertungsmaßstäben des Bürgerlichen Gesetzbuchs vollziehen und damit die Aufstellung spezifischer vollstreckungsrechtlicher Prinzipien ermöglichen. Man denke nur an den Schutz des bösgläubigen Erwerbers in der Versteigerung. Dabei wäre jedoch zugleich zu beachten, dass auch der vermeintliche Bezug zum öffentlichen Recht aufgegeben werden müsste. Denn gerade anhand der Frage des gutgläubigen Erwerbs hat sich gezeigt, dass sich dem öffentlichen Recht keine anderen Wertungen entnehmen lassen als dem Zivilrecht.357 Und so bliebe den Anhängern der öffentlich-rechtlichen Theorie, wollten sie die von ihnen postulierten Wertungen aufrechterhalten, nur die Möglichkeit, mit dem Vollstreckungsrecht ein Rechtsgebiet sui generis zu entwickeln, das sich mit den Prinzipien des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts nicht mehr in Übereinstimmung bringen ließe. Angesichts dieses hohen Preises liegt es näher, die von der öffentlich-rechtlichen Theorie aufgestellten Wertungen zu überdenken, zumal mitunter eine Stellungnahme zu den Sachargumenten ihrer Gegner noch aussteht. Man denke nur an den fragwürdigen Schutz des bösgläubigen Erwerbers in der Versteigerung. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Rückbesinnung auf die zivilrechtlichen Wertungsmechanismen zu sachgerechten Ergebnissen führt und es erlaubt, die bislang im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Theorie aufgetretenen Wertungswidersprüche aufzulösen. Man sollte daher nicht ohne Not von den bewährten Prinzipien des privaten und öffentlichen Rechts abweichen. Der Warnruf „tertium non datur“ erscheint durchaus angebracht.358
V. Abschließende Bewertung der öffentlich-rechtlichen Theorie Der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie ist der Vorwurf zu machen, dass der von ihr so sehr betonte Wandel im Verständnis des Vollstreckungsrechts hin 355 Als Vertreter der gemischten Theorie hat bereits Jauernig, § 16 III, darauf hingewiesen, dass man in der Mobiliarvollstreckung – ähnlich wie in der Immobiliarvollstreckung – auch ohne das Pfändungspfandrecht auskäme. Insbesondere die öffentliche Pfandrechtstheorie könnte auf das Pfändungspfandrecht verzichten, so mit Recht Jauernig, § 16 III C 3. 356 So schon Henckel, S. 323, Fn. 43. Zustimmend Fahland, S. 128 f. 357 S.o. II 2 e. 358 Diesen Warnruf stimmte schon Lent, ZAkDR 1937, 329 (333), an: „Schon diese Einführung in die neue öffentlich-rechtliche Auffassung der Verwertung gepfändeter Sachen zeigt, wie schwierig die Konstruktion wird und auf welchen neuen Wegen die Rechtsprechung wird wandeln müssen, falls jene Auffassung gesetzlich festgelegt würde. Mancher meint vielleicht, man brauche sich nicht den Kopf zu zerbrechen über Konstruktionen und Begriffe, aber gerade wenn man Neuland betreten will, muss man m.E. dem Richter und den Parteien klare Richtlinien geben, sonst steht man eines Tages ratlos vor unerwarteten Problemen, denen mit Billigkeitserwägungen allein nicht beizukommen ist.“
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zum öffentlichen Recht nur halbherzig vollzogen wird. Es mangelt an einer fundierten öffentlich-rechtlichen Legitimation. Dass der öffentlich-rechtlichen Theorie dieser Vorwurf bisher nicht angelastet worden ist, mag damit zusammenhängen, dass die Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung nicht Gegenstand der modernen Verwaltungsrechtsdogmatik ist. Es scheint an einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu mangeln, so dass der Eindruck entsteht, der Verwaltungsrechtslehre komme in der vollstreckungsrechtlichen Diskussion lediglich eine Alibifunktion zu. Die Verwaltungsrechtslehre muss als Argument dafür herhalten, den Schutz des bösgläubigen Erwerbers in der Versteigerung zu rechtfertigen, einen Schutz, den es im öffentlichen Recht noch weniger gibt als im Zivilrecht. Gleiches gilt für die von der öffentlichen Pfandrechtstheorie bemühte Figur des originär hoheitlichen Eigentumserwerbs. Diese ist dem öffentlichen Recht ebenfalls fremd. Die Kritik an der öffentlich-rechtlichen Theorie mündet demzufolge in dem Vorwurf, dass nicht Interessenanalyse und Orientierung an den Wertungen des Gesetzes, sondern Deduktion aus gesetzestranszendenten, allgemeinen rechtsdogmatischen und rechtsideologischen Maximen und Tendenzen Basis der öffentlich-rechtlichen Theorie ist.359
VI. Die missglückte Schnittstellenbildung der gemischten Pfandrechtstheorie Gemäß der gemischten privatrechtlich-öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie hat das Pfändungspfandrecht privatrechtlichen Charakter. Insoweit orientiert sich diese vermittelnde Theorie an der privaten Pfandrechtstheorie. Das Pfändungspfandrecht wird als dritte Art eines privatrechtlichen Pfandrechts angesehen.360 Seine Voraussetzungen orientieren sich an den §§ 1204 ff. BGB mit der bereits aufgezeigten Besonderheit, dass an die Stelle der Verpfändungserklärung die Pfändungsvoraussetzungen treten. Dieses privatrechtlich verstandene Pfändungspfandrecht ist entscheidend für das Befriedigungsrecht des Gläubigers aus dem Erlös. Im Bereich der Verwertung neigt die gemischte Pfandrechtstheorie hingegen einer öffentlich-rechtlichen Bewertung der Erwerbsvorgänge zu. Grundlage für den Eigentumserwerb in der Versteigerung soll die Verstrickung sein.361 In Übereinstimmung mit der öffentlich-rechtlichen Theorie schützt die gemischte Theo359
So Säcker, JZ 1971, 156 (160). So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a, und Jauernig, § 16 III A 2. 361 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 a bb, hält der öffentlich-rechtlichen Theorie bei der Debatte um Erlösansprüche des Eigentümers mit Recht entgegen: „Zum anderen spricht gegen die Beschränkung der Bedeutung des Pfändungspfandrechts auf den Erhalt des Erlöses die wirkliche Bedeutung der Sicherungsrechte im Verwertungsfall. Sie sind nämlich nicht nur vorläufige Verteidigungsstellungen, sondern durchaus Instrumente endgültiger materiell-rechtlicher Güterzuordnung.“ Weshalb dies dann aber nicht auch für den Eigentumserwerb in der Versteigerung gelten soll, bleibt unklar. Die Kritik an der öffentlich-rechtlichen Theorie wird daher an dieser Stelle für die Anhänger der gemischten Pfandrechtstheorie zum Bumerang. 360
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rie ebenfalls den bösgläubigen Erwerber in der Versteigerung.362 Darin liegt ihr eigentliches Problem. Denn ebenso wie die öffentlich-rechtliche Theorie setzt sich auch diese vermittelnde Lehrmeinung dem Vorwurf aus, die Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Recht unnötig in den Bereich der Verwertung zu verlagern, anstatt sie auf die eigentliche öffentlich-rechtliche Komponente der Vollstreckung, die Gewaltanwendung im Rahmen der Pfändung, zu fokussieren.363 So begrüßenswert daher der Ansatz der vermittelnden Theorie im Bereich des Pfändungspfandrechts ist, so sehr ist ihre öffentlich-rechtliche Tendenz im Bereich der Verwertungsvorgänge abzulehnen.364 Die gemischte Theorie leistet hier nicht mehr als die öffentliche.365
VII. Abschließendes Plädoyer für die private Pfandrechtstheorie in modifizierter Form Die Diskussion um die Pfandrechtstheorien kann vor dem derzeitigen Verständnis der Zwangsvollstreckung als Teil der Rechtspflege nur als paradox bezeichnet werden. Angesichts der großen Zurückhaltung bei der Zuordnung der Zwangsvollstreckung zum Verwaltungsrecht ist die weitverbreitete Skepsis gegenüber der privaten Pfandrechtstheorie kaum zu verstehen. Hier wird in einem Ausmaß der Verwaltungsrechtslehre das Wort geredet, das noch weit über deren Prinzipien hinausgeht. Und so muss es nicht verwundern, dass der nahezu ein Jahrhundert währende Streit um die Pfandrechtstheorien bislang keine Früchte getragen hat. Die Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf den Akt der gewaltsamen Willensbeugung im Rahmen der Pfändung und die Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie eröffnen eine neue Perspektive. Derartige Bestrebungen erlauben eine klare Grenzziehung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, 362 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 53 III 1 b bb; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 29.7; Brox/Walker, Rdnr. 411, und Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 8 II 2 b. 363 Umgekehrt aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Theorie bleibt die gemischte Theorie auf halbem Wege stehen und entfernt sich damit noch weiter von der gesetzlichen Struktur des Vollstreckungsrechts als es die öffentlich-rechtliche Theorie tut. So die berechtigte Kritik von Lüke, JZ 1957, 239 (242). 364 Die Argumente, die die Anhänger der gemischten Theorie der öffentlich-rechtlichen Theorie im Bereich des öffentlichen Pfändungspfandrechts entgegenhalten, werden demzufolge im Bereich der Verwertung zum Bumerang. Hier seien exemplarisch nur die Ausführungen von Werner, JR 1971, 278 (282), gegen das öffentliche Pfändungspfandrecht angeführt: „Die Vollstreckungstätigkeit des Staates kann somit als Mitwirkung bei der Befriedigung des Gläubigers aus den gepfändeten Gegenständen angesehen werden. Ebenso ist es bei der Verwertung vertraglich bestellter Pfandrechte. … ist kein Grund ersichtlich, warum die Befugnisse der Vollstreckungsorgane weiter gehen sollten als die des Gläubigers bei einem vertraglichen Pfandrecht. … Die öffentlich-rechtliche Theorie beinhaltet daher eine Überbewertung des staatlichen Vollstreckungszugriffs.“ Nichts anderes sagt die private Pfandrechtstheorie im Bereich der Verwertung. 365 Ebenso in seiner Kritik, wenn auch mit umgekehrter Stoßrichtung im Sinne der öffentlichrechtlichen Theorie, Rüßmann, ZZP 1989, 398 (402), der den Weg über das gemischte privat-öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrecht für einen Umweg hält.
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die den Eigenarten beider Rechtsgebiete Rechnung trägt. So erlaubt es die private Pfandrechtstheorie, das öffentlich-rechtliche Vollstreckungsverfahren in den Pfändungstatbestand zu integrieren und im Übrigen, insbesondere im Bereich der Verwertung, in vollem Umfang auf das Privatrecht Bezug zu nehmen.366 Die Vorteile eines solchen Verständnismodells lassen sich unter dem Begriff „Reduktionismus“ zusammenfassen.367 Das Vollstreckungsrecht verliert seine vermeintlichen Besonderheiten und lässt sich auf bekannte Prinzipien des öffentlichen Rechts und des Privatrechts zurückführen. So kann auf die Figur der öffentlichrechtlichen Verstrickung ebenso verzichtet werden368 wie auf den sogenannten originär hoheitlichen Eigentumserwerb.369 Beide Rechtsfiguren aus dem Bereich der Verwertung lassen sich auf zivilrechtliche Konstruktionen zum rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb reduzieren. Ähnliche Ergebnisse lassen sich im Bereich der Pfändung durch einen Rückgriff auf die verwaltungsrechtliche Figur des Verwaltungsaktes herbeiführen. So erklärt dieser beispielsweise die im Verfahrensrecht zu beachtenden Fehlerfolgen. Schließlich ermöglicht der Verzicht auf die Verstrickung eine Rechtsvereinheitlichung des Pfändungspfandrechts mit dem vertraglichen und dem gesetzlichen Pfandrecht. Eine abweichende Bewertung des Pfändungspfandrechts ist lediglich dort erforderlich, wo die durch staatliche Gewalt erzwungene Verpfändungserklärung eine Gleichstellung mit der freiwilligen rechtsgeschäftlichen Verpfändungserklärung verbietet. In diesem Bereich, namentlich bei der Frage des gutgläubigen Ersterwerbs des Pfandrechts, hat sich eine Gleichstellung mit dem gesetzlichen Pfandrecht als sachgerecht erwiesen, so dass auch insoweit eine Rechtsvereinheitlichung möglich bleibt.370 Es gilt, im Bereich der Pfändungsvorschriften die Gemeinsamkeiten zu betonen. Der Rückgriff auf die Vorschriften der §§ 1204 ff. BGB ist im Bereich des Pfändungspfandrechts nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es wäre daher begrüßenswert, diese gesetzlich in § 804 Abs. 2 ZPO klar zum Ausdruck kommende 366 Die Bedenken von Lüke, JZ 1957, 239 (241), ein privatrechtliches Pfändungspfandrecht sei „geradezu ein Fremdkörper in dem gradlinigen öffentlich-rechtlichen Aufbau der Zwangsvollstreckung“ sind daher unbegründet. Bruns/Peters, § 20 III 2, Fn. 22, lehnen folglich die Haltung von Lüke ab. 367 So schon treffend Lent, ZAkDR 1937, 329 (329): „Bei einer Neuregelung des Vollstrekkungsrechts kommt man an der viel umstrittenen Frage nicht vorbei, wie die Pfändung und Verwertung beweglicher Sachen rechtlich aufzufassen sind. Man muß sich darum bemühen, nicht nur die äußeren Vorgänge, sonder auch die rechtliche Konstruktion klar und einfach zu gestalten, damit alle bisherigen Streitfragen ausgeschaltet, neue aber nicht geschaffen werden.“ 368 Mit umgekehrtem Vorzeichen hat Peter Geib, S. 16, bereits darauf hingewiesen, dass eine private Verfügung die Negation der staatlichen Verstrickung bedeutet. Als Vertreter der öffentlichen Pfandrechtstheorie leitet Peter Geib daraus ab, dass es infolge der Verstrickung keine private Verfügungsmacht des Gläubigers über das Pfandobjekt geben könne. 369 Uneingeschränkt zuzustimmen, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, ist daher Lüke, JZ 1957, 239 (241), mit seiner Feststellung, dass sich aus dem Nebeneinander von öffentlich-rechtlicher Verstrickung und bürgerlichrechtlichem Pfändungspfandrecht nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben. 370 Lüke, JZ 1957, 239 (242), sieht demgegenüber die Notwendigkeit, „das Zivilprozessrecht von den Fesseln des BGB“ zu befreien.
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Bezugnahme durch eine gesetzgeberische Harmonisierung der §§ 814 ff. ZPO mit den §§ 1228 ff. BGB und einer Herausarbeitung der wechselseitigen Vorteile zu fördern. Ein solcher Schritt würde zudem die Möglichkeit eröffnen, die unsägliche Debatte um die dogmatisch verhärteten Pfandrechtstheorien durch eine an den Interessen der Beteiligten orientierte, dem Gedanken einer bestmöglichen Verwertung Rechnung tragende Diskussion zu ersetzen. Zugleich wäre der Weg frei, um sich den Vorschlägen einiger europäischer Nachbarländer zu einer Steigerung der Effektivität der Verwertung zu öffnen.371 Unter Berücksichtigung dieser europäischen Komponente lässt sich daher das Ergebnis der Untersuchung mit den Worten von Peters 372 auf folgende Formel bringen: „Der wissenschaftliche Impuls, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts … den dogmatischen Aufbau der modernen Zivilprozeßrechtswissenschaft vorantrieb, hatte sich an das neuentdeckte öffentliche Recht geheftet. Seitdem ist die Neigung zu öffentlich-rechtlicher Betrachtungsweise das Requisit unserer Prozeßliteratur geblieben, obwohl uns ein Blick auf die Nachbarländer, die anglo-amerikanische oder die französische Literatur darüber belehrt, daß die Grenzlinien zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht auch gänzlich anders verlaufen können als nach unseren herkömmlichen Begriffen. In der Tat ist weder das Privatrecht so privat, wie gemeinhin angenommen, noch das öffentliche Recht so unprivat, daß die Tätigkeit hoheitlicher Organe jeder Deutung mit privatrechtlichen Mitteln begrifflich verschlossen wäre. Die gegenwärtigen Positionen im Meinungsstreit sind antiquiert; der Ansatz, um Einheit und Unterschiedlichkeit von öffentlichem und Privatrecht zu erfassen, muß neu begründet werden.“
§ 19 Die Zwangsvollstreckung in Forderungen I. Das französische Modell eines gesetzlichen Forderungsübergangs Vor einer Betrachtung der deutschen Forderungsvollstreckung ist ein Blick auf die französische saisie-attribution lohnenswert.373 Sie weist gegenüber der deutschen Forderungspfändung einige Besonderheiten auf.374 So ist für die Forde371
Zu denken ist beispielsweise an die französische vente amiable, s.o. § 16 II 2. Bruns/Peters, § 20 III 2. 373 Ausgeschlossen von der saisie-attribution sind Lohn- und Gehaltspfändungen (saisie des rémunérations), für die Sonderregelungen bestehen. Hier gilt insbesondere nicht mehr der Prioritätsgrundsatz, da das Einkommen in der Regel die einzige Einnahmequelle des Schuldners darstellt und sämtliche Gläubiger hieran partizipieren sollen (s.o. § 9 IV 2 a dd). Im Bereich der Einkommenspfändung ist die Auskunftspflicht des Drittschuldners (Arbeitgebers) – anders als in Deutschland – mit Zwangsgeldern durchsetzbar („amende civile“). Ausführlich zur Forderungspfändung in Frankreich Traichel, S. 127 ff. 374 Diese ersetzt seit 1992 für den Bereich der Forderungspfändung die bis dato geltende saisiearrêt, die sowohl für die Forderungs- als auch für die Sachpfändung galt. 372
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rungspfändung in Frankreich der Gerichtsvollzieher (huissier) zuständig. Seine Tätigkeit beschränkt sich nicht – wie in Deutschland – auf die Sachpfändung.375 Die Pfändung wird durch Zustellung eines acte d’huissier, einer Urkunde vergleichbar dem deutschen Pfändungsbeschluss, beim Drittschuldner bewirkt. Dabei ist den Franzosen die deutsche Differenzierung gemäß § 835 ZPO zwischen der Überweisung an Zahlungs statt und derjenigen zur Einziehung fremd.376 Die gepfändete Forderung geht kraft Gesetzes mit sämtlichen Nebenrechten in das Vermögen des Gläubigers über, L.Art. 29 Abs. 1, jedoch begrenzt auf die Höhe der zu vollstreckenden Forderung, L.Art. 43 II. Dies geschieht, ohne dass der Gläubiger seine Forderung gegen den Schuldner verlieren würde.377 Er behält seine Rechte gegen den Schuldner, L.Art. 68, D.Art. 63 I, es sei denn, der Zahlungsausfall durch den Drittschuldner beruht auf einer Nachlässigkeit des Pfändungsgläubigers, D.Art. 63 II. Der gesetzliche Forderungsübergang erklärt, weshalb die Franzosen nicht auf die Figur des Pfändungspfandrechts zurückgreifen müssen, um im Bereich der saisie-attribution das Prioritätsprinzip begründen zu können.378 Des Weiteren ist ihnen auch ein Inhibitorium an den Schuldner nicht bekannt, da dieser nicht mehr Forderungsinhaber ist und diese nicht mehr geltend machen kann.379 Gleichwohl verlangen auch die Franzosen eine Mitteilung an den Schuldner (la dénonciation de la saisie au débiteur saisi), die die Verjährung der Forderung, wegen der gepfändet wurde, unterbricht, Art. 2244 CC. Für den deutschen Rechtsanwender überraschend ist ferner die Regelung, dass der Drittschuldner zunächst weder an den Schuldner noch an den Gläubiger leisten darf. Er muss zugunsten des Schuldners die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat abwarten,380 innerhalb derer der Schuldner formelle Einwendungen gegen die Forderungspfändung geltend machen kann, um die Aufhebung der Pfändung zu erwirken.381 Leistet der Drittschuldner vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist und 375 Darauf wird im Rahmen der Organisation der Zwangsvollstreckung noch zurückzukommen sein, s.u. § 22 II 1. 376 Darauf hat bereits Traichel, S. 128, hingewiesen. 377 Eine ähnliche Regelung ist in Italien vorgesehen. Dort erfolgt die Pfändung einer Forderung mittels eines Schriftstücks, das dem Dritten und dem Schuldner persönlich zugestellt wird, art. 5431 c.p.c. Die Verwertung der gepfändeten Forderung erfolgt durch Zuweisung oder Verkauf. Im Falle sofort fälliger Forderungen weist der Bezirksrichter dabei den teilnehmenden Gläubigern die jeweiligen Beträge vorbehaltlich ihrer Eintreibbarkeit als Zahlung zu, art. 5531 c.p.c. Damit ist sichergestellt, dass das Insolvenzrisiko des Dritten nicht den Gläubiger trifft. Sind die vom Dritten geschuldeten Beträge hingegen erst nach einer längeren Frist fällig, finden gemäß art. 5532 c.p.c. die Bestimmungen über den Verkauf beweglicher Sachen Anwendung. 378 Zu der Annäherung an das deutsche Prioritätsprinzip, die die Franzosen im Bereich der saisie-attribution durch den Forderungsübergang erzielen, s. bereits oben unter § 9 IV 2 a dd. Eine Anlehnung liegt auch insoweit vor, als die saisie-attribution im Gegensatz zur früheren saisie-arrêt nunmehr allein aufgrund eines Vollstreckungstitels betrieben werden kann, L.Art. 42. 379 Traichel, S. 134. 380 Traichel, S. 139. 381 Daneben bleibt dem Schuldner das Recht unbenommen, auch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist noch materielle Einwendungen gegen die titulierte Forderung geltend zu machen, L.Art. 45 III.
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wird die Pfändung später aufgehoben, muss er an den Schuldner noch einmal leisten. Er ist dann auf eine Vindikation gegenüber dem Gläubiger angewiesen. Der Gläubiger seinerseits erlangt nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist eine Urkunde von der Geschäftsstelle, die bestätigt, dass kein Rechtsbehelf eingelegt wurde. Unter Vorlage dieser Urkunde kann der Gläubiger vom Drittschuldner Zahlung verlangen, D.Art. 61 I. Der Drittschuldner ist wie in Deutschland zur Auskunft gegenüber dem Gläubiger verpflichtet. Diese Erklärung (la déclaration du tiers saisi) hat unverzüglich zu erfolgen, unter Beifügung der erforderlichen Unterlagen an den huissier, D.Art. 59. Kommt der Drittschuldner dieser Verpflichtung ohne Grund nicht nach, so muss er damit rechnen, dazu verurteilt zu werden, an den Gläubiger die gesamte Forderung, wegen der vollstreckt wird, zu begleichen, D.Art. 60. Diese Forderung kann erheblich höher sein als die Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner. Für den Fall der unberechtigten Zahlungsverweigerung durch den Drittschuldner kann der Gläubiger auf Antrag des Vollstreckungsrichters einen Titel gegen den Drittschuldner erwirken. Es bedarf im Gegensatz zum deutschen Recht keiner Drittschuldnerklage.
II. Pfändung und Verwertung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch Der Umstand, dass sich die private Pfandrechtstheorie unter geringfügigen Modifikationen im Bereich der Mobiliarvollstreckung als tragfähig erwiesen hat, legt es nahe, im Bereich der Forderungspfändung ebenfalls den engen Schulterschluss mit den zivilrechtlichen Regelungen zum Forderungspfandrecht zu üben. Zugleich stellt sich die Frage, ob und inwieweit nicht Annäherungen an das pragmatische Modell der französischen Forderungsvollstreckung möglich sind. 1. Anlehnung des Pfändungstatbestandes an die Abtretung Die Regelungen der §§ 1273, 1274, 1275 BGB nehmen in zweierlei Hinsicht Bezug, zum einen auf die Regelungen zum Faustpfandrecht und zum anderen, was den Pfändungstatbestand und dessen Rechtsfolge anbelangt, auf die Regelungen zur Übertragung des Vollrechts, sprich insbesondere auf die allgemeinen Vorschriften über die Abtretung, §§ 398 ff. BGB. Diese Bezugnahme ist sinnvoll und zweckmäßig, da sich die Interessenlage im Dreiecksverhältnis zwischen Schuldner, Gläubiger und Pfandgläubiger nicht anders verhält als im Falle der Abtretung. Im Bereich des Pfändungstatbestandes machen die Regelungen zur Forderungspfändung, §§ 1279 bis 1290 BGB, gleichwohl eine wichtige Ausnahme. So ordnet § 1280 BGB als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verpfändung einer Forderung, zu deren Übertragung der bloße Abtretungsvertrag genügt, die Verpfändungsanzeige vom Gläubiger an den Schuldner
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an.382 Diese Regelung soll dem sachenrechtlichen Offenkundigkeitsprinzip Rechnung tragen, da es im Falle der einfachen Forderungspfändung mangels eines Pfandobjekts oder eines Registers an der Publizität der Pfändung mangeln würde.383 Dieses Problem stellt sich in gleicher Weise allerdings auch bei der Abtretung. Dort hat es der Gesetzgeber jedoch mit der Regelung des § 409 BGB bei der fakultativen Abtretungsanzeige belassen. Weshalb diese Anzeige im Bereich der Pfändung zum obligatorischen Wirksamkeitserfordernis erhoben worden ist, bleibt unklar. Denn dem Schuldnerschutz würde auch hier durch die Regelungen der §§ 404 ff. BGB, die gemäß § 1275 BGB entsprechend anwendbar sind, ausreichend Rechnung getragen. Unterlässt der Gläubiger danach eine Abtretungsanzeige, so kann der gutgläubige Schuldner gemäß § 407 BGB mit befreiender Wirkung an den alten Gläubiger leisten, der sich seinerseits einem Schadensersatzanspruch des neuen Gläubigers aussetzt. 2. Forderungsverwertung: Ersetzungsbefugnis des Gläubigers Die Verwertung einer fälligen Geldforderung erfolgt gemäß § 1282 Abs. 1 S. 1 BGB durch Einziehung seitens des Pfandgläubigers. Dieses Einziehungsrecht ist unmittelbarer Ausfluss des Pfandrechts an der Forderung. Es bedarf keines gesonderten Übertragungstatbestandes mehr; die Inhaberschaft an der Forderung ist quasi durch die Verpfändung um das dingliche Einziehungsrecht geschmälert. Der Pfandgläubiger kann darüber hinaus gemäß § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB bei Fälligkeit vom Gläubiger verlangen, dass dieser ihm die Geldforderung (gänzlich) an Zahlungs statt abtritt. Der vermeintliche Vorteil der damit verbundenen Forderungsinhaberschaft ist jedoch teuer erkauft, da die Abtretung an Zahlungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB zur Erfüllung der Forderung des Pfandgläubigers führt. Dieser übernimmt damit das Insolvenzrisiko des Schuldners, so dass in der Praxis von der Möglichkeit des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB so gut wie kein Gebrauch gemacht wird.384 Es erweist sich als interessengerecht, dass der Gesetzgeber die „Wahlmöglichkeit“ des Gläubigers zwischen dem Einziehungsrecht und dem Recht auf Abtretung an Zahlungs statt nicht als Wahlrecht im Sinne des § 262 BGB, sondern als Ersetzungsbefugnis des Gläubigers konstruiert hat. Dies trägt dem Regel-Ausnahme-Verhältnis Rechnung und macht für den Regelfall die gesonderte Ausübung des „Wahlrechts“ entbehrlich.
382 Sowohl nach der Rechtsprechung als auch nach der Literatur handelt es sich bei der Verpfändungsanzeige um ein absolutes Wirksamkeitserfordernis, RGZ 79, 306 (308 ff.); Bassenge, in: Palandt, § 1280, Rdnr. 1, sowie Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 54 I 1 a. 383 Michalski, in: Erman, § 1280, Rdnr. 1. 384 Gleiches gilt für die Überweisung an Zahlungs statt in der Zwangsvollstreckung, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 II 1.
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III. Rückführung auf die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung konnte im Bereich der Forderungspfändung schwerlich auf die zivilrechtlichen Regelungen zur Forderungsverpfändung zurückgreifen, da das Bürgerliche Gesetzbuch erst Jahrzehnte später in Kraft trat.385 Dieser Umstand erklärt – ebenso wie im Bereich der Mobiliarpfändung – auch bei der Forderungspfändung die heute nahezu selbstverständlich gewordene Koexistenz von Zivilrecht und Vollstreckungsrecht. Trotzdem können beide Regelungsmaterien ihren gemeinsamen Ursprung in dem bis dato geltenden gemeinen Recht nicht leugnen. So ergibt eine Gegenüberstellung der Regelungen zur Pfändung und zur Verwertung erstaunliche Parallelen. 1. Der Pfändungsbeschluss: Fiktion der fehlenden Verpfändungserklärung Nicht anders als bei der Mobiliarvollstreckung verfolgt die staatliche Gewaltanwendung im Bereich der Forderungspfändung den Zweck, den der Pfändung entgegenstehenden Willen des Schuldners zu brechen.386 Es handelt sich um ein staatliches Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes in Form des Pfändungsbeschlusses endet.387 Dabei ist eine körperliche Gewaltanwendung entbehrlich, da der Pfändungstatbestand lediglich eine Verpfändungserklärung und Verpfändungsanzeige voraussetzt, nicht hingegen einen Realakt in Form der Übergabe des Pfandobjekts. Demzufolge reduziert sich die Wirkung des in der Forderungsvollstreckung ergehenden Pfändungsbeschlusses auf die Fiktion der Abgabe der entsprechenden Willenserklärungen.388 Nicht anders als bei § 894 ZPO stellt die Fiktion das mildere, aber gleich geeignete Mittel gegenüber der gewaltsam erzwungenen Abgabe der Willenserklärung dar. Diese zivilrechtliche Be385
Zu dem identischen Problem bei der Mobiliarvollstreckung s.o. § 17 IV 2 b. Ablehnend hingegen Lüke, JZ 1959, 270 (271), nach dessen Ansicht der Überweisungsbeschluss „nicht etwa bloß ein Tatbestandselement der bürgerlichrechtlichen Zession“ ersetze. Der Beschluss selbst bilde den Übertragungsakt für die Forderung. Dazu im Widerspruch steht jedoch die gleichzeitige Feststellung von Lüke, dass der Hoheitsakt kein Recht schaffe, sondern es voraussetze. Diese „Voraussetzung“ ist nichts anderes als die Umschreibung der Rechtsinhaberschaft des Schuldners als notwendiges Tatbestandselement für den Übertragungsakt über den bloßen Überweisungsbeschluss hinaus. 387 So auch Lüke, JZ 1959, 270 (271), für die Forderungspfändung der öffentlichen Verwaltung. Den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung erachtet Lüke hingegen für einen Akt der rechtsprechenden Gewalt. Dass es sich bei der Zwangsvollstreckung jedoch ebenfalls um ein Verwaltungsverfahren handelt und nicht um Rechtsprechung ist bereits im ersten Teil aufgezeigt worden, s.o. § 4 VI. 388 In der weiteren Konsequenz kann auch die Prüfung der Forderungsinhaberschaft nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sowie eines sich anschließenden Anfechtungsprozesses sein. So aber Lüke, JuS 1962, 418 (420), nach dessen Meinung im Anfechtungsprozess auch die Existenz der übergeleiteten Forderung nachzuprüfen sei. Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Drittschuldner hingegen in der von Lüke angegriffenen Entscheidung BVerwGE 11, 249 (251 f.), zutreffend auf die Möglichkeit der negativen Feststellungsklage. Dies entspricht dem Prinzip der Formalisierung, das eine materiell-rechtliche Anspruchsprüfung in der Zwangsvollstreckung auch nach Ansicht von Lüke ausschließen müsste. Denn auch Lüke, JuS 1962, 418 (421), stellt zutreffend auf die Funktionsverteilung zwischen Vollstreckungsgericht und Prozessgericht ab. 386
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wertung der Wirkung des Pfändungsbeschlusses als Fiktion der Abgabe einer zivilrechtlichen Willenserklärung erlaubt zugleich eine Neubewertung der beiden Komponenten des Pfändungsbeschlusses, Arrestatorium und Inhibitorium. a) Das Arrestatorium als Synonym für die Verpfändungsanzeige Die Pfändung einer Forderung setzt gemäß § 829 Abs. 1 S. 1 ZPO das sogenannte Arrestatorium voraus, ein Verbot des Gerichts an den Drittschuldner, die geschuldete Leistung an den Schuldner zu zahlen. Bei zivilrechtlicher Betrachtung ersetzt dieses von staatlicher Seite ergehende Verbot an den Drittschuldner die fehlende freiwillige Verpfändungsanzeige des Schuldners. Der Zweck beider Erklärungen ist identisch, indem der Drittschuldner über die erfolgte Pfändung unterrichtet und damit eine befreiende Leistung an den Schuldner vermieden werden soll. Letztlich wird der Pfandgläubiger vor einer Vereitelung seines Pfandrechts geschützt. Des Weiteren macht die Parallele zur Verpfändung deutlich, weshalb die Pfändung gemäß § 829 Abs. 3 ZPO erst mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner als bewirkt anzusehen ist. Nicht anders als der Zugang der zivilrechtlichen Verpfändungsanzeige beim Schuldner ist die Zustellung des Pfändungsbeschlusses gegenüber dem Drittschuldner Voraussetzung für die Wirksamkeit der Pfändung.389 b) Das Inhibitorium als Ausdruck der Bekanntgabe des belastenden Verwaltungsaktes Der Pfändungsbeschluss beinhaltet neben dem Arrestatorium auch das sogenannte Inhibitorium. Dieses stellt gemäß § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO das gerichtliche Verbot an den Schuldner dar, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. Aus zivilrechtlicher Sicht sind damit die Rechtsfolgen der Pfändung beschrieben, wie sie § 1282 BGB festlegt. Der Schuldner verliert infolge der Pfändung das Recht zur Einziehung seiner Forderung. Diese Rechtsfolge wird in der Zwangsvollstreckung mit Hilfe des Pfändungsbeschlusses erzwungen, der die fehlenden Willenserklärungen des Schuldners fingiert. Es handelt sich dabei nicht anders als bei der Mobiliarvollstreckung um ein behördliches Verwaltungsverfahren, dessen Abschluss gemäß § 9 VwVfG durch einen Verwaltungsakt, hier in Form des Pfändungsbeschlusses, markiert wird. Dessen Wirksamkeit setzt gemäß § 43 VwVfG eine Bekanntgabe voraus,390 die in Form der Zustellung erfolgt.391 389
Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 1. Ebenso in seiner Bewertung des Bekanntgabeerfordernisses bereits Lüke, JZ 1959, 270 (272). 391 Zugleich ermöglicht die Bekanntgabe die Gewährung des nachträglichen rechtlichen Gehörs, s.o. § 8 VI 4 a. Eine vorherige Anhörung ist gemäß § 834 ZPO entbehrlich (kritisch dazu Hoeren, NJW 1991, 410 (411)). Diese Vorschrift entspricht der allgemeinen Regelung des § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG, so dass es ihrer eigentlich nicht bedurft hätte. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung ein Rückgriff auf die moderne Verwaltungsrechtslehre und -gesetzgebung noch verwehrt war. Darauf hat auch schon Lüke, JZ 1959, 270 (271), hingewiesen. 390
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2. Der Überweisungsbeschluss Die beiden Beschlüsse zur Pfändung und Überweisung einer Forderung ergehen in der Praxis regelmäßig zusammen.392 Es stellt sich daher die berechtigte Frage, ob ein derartiger Dualismus überhaupt notwendig ist. Schließlich hat sich gezeigt, dass der französischen Rechtsordnung eine derartige Aufteilung fremd ist. a) Die Schwäche des § 836 Abs. 1 ZPO Gemäß § 835 Abs. 1 ZPO ist die gepfändete Geldforderung dem Gläubiger nach seiner Wahl zur Einziehung oder an Zahlungs statt zum Nennwert zu überweisen. Im letzteren Fall geht die Forderung auf den Gläubiger mit der Wirkung über, dass er, soweit die Forderung besteht, wegen seiner Forderung an den Schuldner als befriedigt anzusehen ist, § 835 Abs. 2 ZPO. Aufgrund dieser Tilgungswirkung, die in vollem Umfang der Vorschrift des § 364 Abs. 1 BGB entspricht, wird in der Vollstreckung zumeist auf eine Überweisung an Zahlungs statt verzichtet. Der pfändende Gläubiger beantragt formularmäßig eine Überweisung zur Einziehung.393 Die Überweisung ersetzt dabei gemäß § 836 Abs. 1 ZPO die förmlichen Erklärungen des Schuldners, von denen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Berechtigung zur Einziehung der Forderung abhängt.394 Und darin liegt die eigentliche Schwäche der Regelung. Gemeinhin wird der gesetzliche Verweis auf die Vorschrift des § 185 Abs. 1 BGB bezogen und der Überweisungsbeschluss als Einziehungsermächtigung kraft Hoheitsaktes verstanden.395 Bei genauerer Betrachtung ist diese Regelung jedoch gar nicht einschlägig, da dem Gläubiger bereits infolge der Pfändung ein Verwertungsrecht an der Forderung zusteht. Anders formuliert erwächst das Einziehungsrecht schon aus der Pfändung. Dies veranschaulicht nicht zuletzt die Parallele zum Forderungspfandrecht, § 1282 Abs. 1 S. 1 BGB. Es bedarf im Zivilrecht keiner gesonderten Überweisung, um ein Einziehungsrecht des Gläubigers zu begründen. Dieses leitet sich unmittelbar aus dem Pfandrecht ab. b) Die Schwäche des § 835 Abs. 1 ZPO Leitet sich das Einziehungsrecht des Gläubigers bereits aus der Pfändung ab, so erschöpft sich der eigentliche Regelungsgehalt des Überweisungsbeschlusses in der Ausübung des Gläubigerwahlrechts zwischen Einziehungsrecht einerseits und dem Recht auf Abtretung an Zahlungs statt andererseits. Hier offenbart sich die zweite maßgebliche Schwäche des Überweisungsbeschlusses. Im Gegensatz zu seinem zivilrechtlichen Bruder, der Vorschrift des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB, die 392 Die Zusammenfassung erfolgt in der Regel formularmäßig unter Verwendung eines entsprechenden Vordrucks, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 II. 393 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 II. 394 Ausführlich zu dem sich anschließenden Problem, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ein Vollstreckungshindernis im Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Drittschuldner darstellt Christmann, DGVZ 1985, 81 (82 ff.). 395 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 836, Rdnr. 3.
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dem Gläubiger eine Ersetzungsbefugnis gewährt, ordnet § 835 Abs. 1 ZPO ein echtes Wahlrecht des Gläubigers im Sinne von § 262 BGB an. Der Gläubiger muss sich daher zwingend erklären, auch wenn die Wahl des Einziehungsrechts dem Regelfall entspricht.396 Dieses starren Zweiklangs von Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hätte es nicht bedurft, wenn sich der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung – ebenso wie derjenige des Bürgerlichen Gesetzbuchs – anstelle des Wahlrechts für eine Ersetzungsbefugnis des Gläubigers entschieden hätte. Der Überweisungsbeschluss wäre dann nicht obligatorisch, sondern fakultativ. c) Die Alternative zwischen Pfändung oder Überweisung Die Kritik an der Regelung des § 835 Abs. 1 ZPO macht deutlich, dass es sich beim Dualismus von Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht um eine Frage der Kumulation, sondern um eine solche der Alternative handelt. Der Gläubiger kann nicht die Pfändung und Überweisung für sich beanspruchen, sondern er muss sich für eine Alternative entscheiden. Dabei stellt die Wahl für die Überweisung zur Einziehung nichts anderes dar als die Entscheidung für die Pfändung. Denn diese beinhaltet bereits das Einziehungsrecht. Hingegen bedeutet die Wahl für die Überweisung an Zahlungs statt die Entscheidung für die erzwungene Abtretung. Allein in diesem Fall entfaltet der Überweisungsbeschluss eine rechtsgestaltende Wirkung, indem es zur Forderungsabtretung kommt.397 Die Abtretungserklärung des Schuldners wird ebenso fingiert wie seine Verpfändungserklärung im Rahmen der Pfändung. Die Überweisung zur Einziehung bedeutet hingegen nichts anderes als die Bestätigung der sich schon aus dem Pfändungsbeschluss ergebenden Rechte. Wollte man daher das vom Gesetzgeber eingeführte Wahlrecht ernst nehmen, so wären Pfändungs- und Überweisungsbeschluss als gleichberechtigte Arten der Forderungsverwertung einander gegenüberzustellen. Der Gläubiger könnte dann entweder die Pfändung oder die Überweisung, sprich die Abtretung der Forderung, verlangen. Hingegen bedürfte es nicht mehr der Pfändung als Voraussetzung für die Überweisung. Die Konsequenz eines derart verstandenen Zweiklangs von Pfändung oder Überweisung veranschaulicht das eingangs dargestellte Modell der französischen 396 Die Praxis behilft sich demzufolge in dem Fall, dass der Gläubiger sich nicht ausdrücklich erklärt hat, mit einer unterstellten Wahl des Einziehungsrechts, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 55 II 2; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 835, Rdnr. 4, und Brehm, in: Stein/Jonas, § 835, Rdnr. 7. Dogmatisch lässt sich dies nicht anders begründen als im Wege einer Ersetzungsbefugnis, s.u. d. 397 In eine ähnliche Richtung gehen die kritischen Ausführungen von Münzberg, Rpfleger 1982, 329 (332); Smid, Jura 1988, 281 (282); Hoeren, NJW 1991, 140 (141), und Kahlke, NJW 1991, 2688 (2689 f.), die den Wegfall des rechtlichen Gehörs vor Erlass des Überweisungsbeschlusses zumindest im Falle der Überweisung an Zahlungs statt für verfassungsrechtlich bedenklich halten. Denn hier droht dem Schuldner ein unwiderbringlicher Rechtsverlust. Münzberg, Rpfleger 1982, 329 (332), und Hoeren, NJW 1991, 140 (141), verlangen daher eine zeitliche Abstufung. Nach Erlass des Pfändungsbeschlusses sei der Schuldner zunächst anzuhören, bevor der Überweisungsbeschluss ergehen dürfe.
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Forderungsvollstreckung.398 Die Franzosen benötigen nicht die Figur der Pfändung, um in der Vollstreckung eine Forderungsabtretung begründen zu können. Sie greifen schlicht auf die allgemeinen Abtretungsregelungen zurück. Dieser eleganten und so nahe liegenden Lösung scheint sich die deutsche Dogmatik hingegen strikt zu verschließen. Dass die Forderungsabtretung hingegen durchaus ihre Vorteile hat, belegt die in der Praxis geläufige Sicherungsabtretung. Eine zusätzliche Vertragsvereinbarung stellt dabei sicher, dass die Gläubigerforderung erst bei Leistung des Schuldners zum Erlöschen kommt und verhindert damit die missliebigen Folgen des § 364 Abs. 1 BGB. Ähnlich elegant geht der französische Gesetzgeber vor, indem er eine gleichlautende Regelung für die Vollstreckung getroffen hat. Der einzige Nachteil der Abtretung liegt darin, dass nachfolgenden Gläubigern ein Zugriff auf die Forderung verwehrt bleibt. Die Pfändung hat daher insbesondere in der Zwangsvollstreckung ihre Existenzberechtigung, zumal sie ebenfalls dem Prioritätsprinzip Rechnung trägt. d) Verständnis des Überweisungsbeschlusses als Ersetzungsbefugnis Der kritische Leser mag zur Rechtfertigung der bestehenden Verbindung von Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf das Konstrukt der „juristischen Sekunde“ zurückgreifen und mit dessen Hilfe gleichsam die Pfändung als notwendige Durchgangsstation auf dem Weg zur Überweisung erklären wollen. Dafür mag auch das Argument sprechen, dass das Pfandrecht nur einen Ausschnitt der Forderungsinhaberschaft darstellt. Diese Überlegungen rechtfertigen den Pfändungsbeschluss als unabdingbare Voraussetzung des Überweisungsbeschlusses jedoch nur dann, wenn man letzteren als Ausgestaltung der in § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB verankerten Ersetzungsbefugnis des Gläubigers versteht. Die Pfändung lässt sich in der Tat als eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Forderungsabtretung begreifen, dies allerdings nur in zeitlicher Hinsicht, nicht etwa in rechtlicher Hinsicht. Denn beim vertraglichen Forderungspfandrecht fallen Pfändung und Verwertung zeitlich regelmäßig auseinander. Die Pfändung dient zunächst lediglich der Sicherung des Gläubigers. Kommt es sodann zum Verwertungsfall, so kann der Gläubiger verlangen, dass ihm die Geldforderung an Zahlungs statt abgetreten wird. Die Ersetzungsbefugnis des Gläubigers ermöglicht an dieser Stelle eine weitere zeitliche Trennung im Ablauf der Verwertung, da der Gläubiger die Ersetzungsbefugnis nicht sogleich im Anschluss an die Fälligkeit der Forderung auszuüben braucht. Diese Faktoren erklären, weshalb die Pfändung in zeitlicher Hinsicht eine notwendige Voraussetzung für die spätere Abtretung ist. Ein weitergehender Bedingungszusammenhang lässt sich dem Gesetz hingegen nicht entnehmen. Im Gegenteil ordnet § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB an, dass der Gläubiger „auch“ die Abtretung der Geldforderung verlangen kann. Dieses „auch“ macht deutlich, dass es sich bei der Abtretung um eine eigenständige Alternative der Forderungsverwertung handelt. Hingegen bezweckte der Gesetzgeber nicht, 398
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neben dem Pfandrecht und der Abtretung eine dritte Rechtsfigur in Form eines aus dem Pfandrecht abgeleiteten Abtretungs- und Verwertungsrechts zu schaffen. Nichts anderes geschieht aber in der Vollstreckung, indem dem Gläubiger ein echtes Wahlrecht zwischen Einziehung und Abtretung der Forderung eingeräumt, letzteres aber mit der Pfändung als notwendiger Voraussetzung verknüpft wird. Die Anknüpfung an das vorhergehende Pfandrecht ließe sich dogmatisch allein mit einem Rückgriff auf die Regelung des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB rechtfertigen. Lediglich die zeitliche Trennung zwischen Pfändung und Verwertung und das durch die Ersetzungsbefugnis ermöglichte zeitliche Hinausschieben des Abtretungsverlangens erklären die Pfändung als vorgelagerte Bedingung der Abtretung. Beide Faktoren entfallen indes bei der geltenden Regelung des § 835 Abs. 1 ZPO. Dies gilt nicht nur für Pfändung und Verwertung, sondern auch für das Abtretungsverlangen. Das abweichend von § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB in § 835 Abs. 1 ZPO angeordnete Wahlrecht des Gläubigers macht eine sofortige Entscheidung unausweichlich. Damit entfällt aber jegliche Rechtfertigung für den Pfändungsbeschluss im Falle der Überweisung der Forderung an Zahlungs statt. Will man daher an dem Dualismus von Pfändung und Überweisung festhalten, so lässt sich dies dogmatisch nur rechtfertigen, indem man sich zugleich auf die Ersetzungsbefugnis des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB zurückbesinnt.399 Dies würde für den Gläubiger die Möglichkeit eröffnen, die Überweisung an Zahlungs statt noch zu einem späteren Zeitpunkt zu beantragen. Der Überweisungsbeschluss wäre dann gleichsam fakultativ. Zudem würde ein derartiges Verständnis dem RegelAusnahme-Verhältnis von Einziehung und Abtretung Rechnung tragen. Ohnehin geht die Praxis de facto von einer bloßen Ersetzungsbefugnis des Gläubigers aus. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass die Gerichte ohne eigenständigen Antrag davon ausgehen, der Gläubiger „wähle“ in Anbetracht des drohenden Insolvenzrisikos des Drittschuldners keine Überweisung an Zahlungs statt, sondern nur eine solche zur Einziehung.400 Berücksichtigt man ferner, dass die Forderungsverwertung durch Abtretung keine weitergehenden Vorteile mit sich bringt, wäre es überlegenswert, gänzlich auf diese Alternative der Forderungsverwertung zu verzichten. Die Figur des Überweisungsbeschlusses wäre dann ebenso überflüssig wie die Regelung des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB. e) Beschränkung der Vollstreckung im Arrestverfahren Die Unterteilung in den Pfändungs- und den Überweisungsbeschluss scheint zumindest im Bereich des Arrestverfahrens unverzichtbar zu sein, um eine vor399 Konstruktiv wäre dies im Wege der Analogie denkbar. Die Regelungslücke der §§ 835 Abs. 1, 836 Abs. 1 ZPO erklärt sich dabei aus dem Umstand, dass die in § 836 Abs. 1 ZPO angesprochenen Vorschriften des bürgerlichen Rechts zur Forderungseinziehung bei Inkrafttreten der Zivilprozessordnung noch nicht existent waren. Das Bürgerliche Gesetzbuch trat erst knapp 30 Jahre später in Kraft. 400 Brehm, in: Stein/Jonas, § 835, Rdnr. 7; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 II 2, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 835, Rdnr. 4.
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schnelle Befriedigung des Pfandgläubigers vermeiden zu können.401 Der Überweisungsbeschluss als konstitutives Element des Einziehungsrechts scheint sich hier als Glücksgriff zu erweisen. Die Zweiteilung in Pfändung und Überweisung ermöglicht nämlich eine zeitliche Streckung des Vollstreckungsverfahrens bis zum Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Gläubiger durch die prompte Pfändung gesichert, umgekehrt der Schuldner aber durch die an die erfolgreiche Durchführung des Hauptsacheverfahrens gebundene Überweisung vor einem voreiligen Zugriff auf sein Vermögen geschützt wird. Das zuvor geschilderte Ergebnis lässt sich hingegen in gleicher Weise durch einen Rückgriff auf die Regelungen der §§ 1279 ff. BGB erzielen, ohne dass es einer Modifizierung des Forderungspfandrechts in Form des derzeitigen Überweisungsbeschlusses bedürfte. Der Umstand nämlich, dass es im Arrestverfahren an einer gerichtlichen Feststellung der vom Pfandgläubiger geltend gemachten Forderung fehlt, steht der mangelnden Fälligkeit der Forderung im Falle des § 1281 BGB gleich. Der im gerichtlichen Hauptsacheverfahren ergehende Vollstreckungstitel ist in der Vollstreckung ebenso Voraussetzung für die erzwungene Einziehung der gepfändeten Schuldnerforderung wie in der zivilrechtlichen Verwertung die Fälligkeit der Forderung für die Einziehung der freiwillig verpfändeten Schuldnerforderung. Mangelt es daher – wie im Arrestverfahren – vorerst an dem Vollstreckungstitel in der Hauptsache, kommen im Ergebnis die Regelungen des § 1281 BGB zur Anwendung. Der Drittschuldner kann nur an den Pfandgläubiger und Gläubiger gemeinschaftlich leisten. Es zeigt sich mithin, dass bei einem Rückgriff auf die Regelungen des privaten Forderungspfandrechts die vermeintlichen Besonderheiten des Vollstreckungsrechts ihre Existenzberechtigung verlieren. Es bedarf nicht des Überweisungsbeschlusses, um eine voreilige Befriedigung des Gläubigers im Arrestverfahren zu verhindern. Die Regelungen zum vertraglichen Pfandrecht beinhalten die notwendigen Mechanismen, die eine zeitliche Trennung in die Phasen der Gläubigersicherung und der Gläubigerbefriedigung sicherstellen. f) § 836 Abs. 2 ZPO als Umschreibung der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre Gemäß § 836 Abs. 2 ZPO gilt der Überweisungsbeschluss, auch wenn er zu Unrecht erlassen worden ist, zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung der modernen Verwaltungsrechtslehre vorgegriffen. Konkret kommt in § 836 Abs. 2 ZPO der Gedanke der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes im Sinne der §§ 43 ff. VwVfG zum Ausdruck, denn um einen sol401 § 930 ZPO beschränkt die Vollziehung des Arrestes in bewegliche Sachen auf den Akt der Pfändung.
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chen handelt es sich beim Pfändungs- und Überweisungsbeschluss.402 Es greift also in gleicher Weise wie im Mobiliarvollstreckungsrecht die Fehlerfolgenlehre des allgemeinen Verwaltungsrechts ein.403 Die Regelung des § 836 Abs. 2 ZPO stellt als weitere Voraussetzung für den Wegfall der Wirkungen des Überweisungsbeschlusses auf die Kenntnis des Drittschuldners von der Aufhebung ab. Dies entspricht den allgemeinen Vertrauensschutzregelungen der §§ 406 ff. BGB, die gemäß § 1275 BGB auch beim Forderungspfandrecht zur Anwendung kommen.404 Es obliegt danach dem Gläubiger und dem Pfandgläubiger, den Drittschuldner über Verfügungen, die die Forderung betreffen, zu informieren. Nur so lässt sich eine Leistung des Drittschuldners an den Berechtigten sicherstellen. Nichts anderes gilt für den Fall, dass sich nachträglich herausstellt, dass eine Verfügung über die Forderung unwirksam gewesen und die Abtretungsanzeige demzufolge zu Unrecht erfolgt ist. Auch dieses Risiko geht zu Lasten der verfügenden Parteien, da es sich der Einflusssphäre des Drittschuldners entzieht.405 § 836 Abs. 2 ZPO korrespondiert daher mit der Regelung des § 409 BGB, die den (Dritt-)Schuldner in seinem Vertrauen auf die Abtretungs- bzw. Verpfändungsanzeige schützt.406 3. Ergebnis Die Regelungen zur Pfändung und Überweisung von Forderungen lassen sich auf die zivilrechtlichen Vorschriften zum Forderungspfandrecht zurückführen. Dieser Rückgriff macht einige dogmatische Wertungswidersprüche im derzeitigen Verständnis der Forderungsvollstreckung deutlich. Eine am Zivilrecht orientierte Gesetzesauslegung, besser noch eine Gesetzesreform, könnte zu einer weitgehenden Rechtsvereinheitlichung beitragen. Der Überweisungsbeschluss, der sich in der Praxis ohnehin nur als aufwendige Förmelei erweist, würde ent402
Hier gilt nichts anderes als für die Pfändung einer beweglichen Sache, s.o. § 17 II 1 b, 4 b. Insoweit ist die private Pfandrechtstheorie zu modifizieren, s.o. § 17 II 4 b. 404 Ebenso BGH JR 1983, 318 (318 f.); Lüke, JZ 1959, 270 (273 ff.); Kubis, JR 1983, 319 (319); Seibert, WPM 1984, 521 (523); Tiedtke, NJW 1972, 746 (749); Stöber, Rdnr. 566, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3 b. 405 Anders ist der Fall hingegen zu beurteilen, wenn die Voraussetzungen der §§ 406 ff. BGB nicht vorliegen und die Zahlung des Drittschuldners an den Pfandgläubiger deshalb zu Unrecht erfolgt, weil die gepfändete Forderung als solche nicht besteht. Für diese Fallkonstellation weist Buciek, ZIP 1986, 890 (899), zutreffend darauf hin, dass es Angelegenheit des Drittschuldners ist, die Berechtigung der Forderung zu überprüfen. Entgegen der herrschenden Ansicht von BGH ZIP 1981, 1380 (1381); Schlosser, ZZP 1963, 73 (79 f.), und Lieb, ZIP 1982, 1153 (1158), sprechen daher mit Buciek sehr gute Gründe dafür, eine Direktkondiktion des Drittschuldners gegen den Pfandgläubiger abzulehnen und den Drittschuldner an den Schuldner zu verweisen. Nicht zuletzt bleibt damit auch der allgemeine Grundsatz zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen unberührt, nach dem jeder der Beteiligten sich an seinen Vertragspartner zu halten hat. So zutreffend auch Buciek, ZIP 1986, 890 (891). 406 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 II 1 c aa. Ebenso mit näheren Ausführungen zur Gesetzgebungsgeschichte Denck, JuS 1979, 408 (409 f.), der allerdings aufgrund der entgegengesetzten „Anwendungsschwerpunkte“ eher einer Parallele des § 836 Abs. 2 ZPO zur Regelung des § 407 BGB zuneigt. 403
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behrlich, soweit der Gläubiger nicht ausnahmsweise von der ihm gemäß § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB zustehenden Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht und die Abtretung der gepfändeten Forderung verlangt. Im Übrigen bewirkt bereits der Pfändungsbeschluss ein Einziehungsrecht zugunsten des Gläubigers. Für eine derartige Rechtsvereinheitlichung im Sinne der privaten Pfandrechtstheorie spricht nicht zuletzt der Umstand, dass die Regelung des § 1287 BGB zur dinglichen Surrogation schon derzeit im Bereich der Verwertung des Pfändungspfandrechts herangezogen wird.407
IV. Entbehrlichkeit der öffentlich-rechtlichen Verstrickung Nicht anders als im Bereich der Mobiliarvollstreckung gehen die öffentlichrechtliche und die gemischte Pfandrechtstheorie bei der Forderungsvollstreckung davon aus, dass die Pfändung zur sogenannten öffentlich-rechtlichen Verstrickung führe, die ihrerseits Grundlage für die Verwertung der Forderung sei.408 Als Anknüpfungspunkt für diese Ansicht bietet sich bei der Forderungsvollstreckung die Regelung des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO an, die ein gerichtliches Verfügungsverbot zum Inhalt der Pfändung macht. Dies könnte der sogenannten Verstrickung zumindest in diesem Sektor zu einer Existenzberechtigung verhelfen. 1. Rechtfertigung als gerichtliches Verfügungsverbot? Im Bereich der Mobiliarvollstreckung ist die Frage ausgeklammert worden, ob nicht die Rechtsfigur der gerichtlichen Verfügungsbeschränkung das Konstrukt der öffentlich-rechtlichen Verstrickung zu rechtfertigen vermag. Dies hängt damit zusammen, dass sich in der Mobiliarvollstreckung keine Regelung findet, die die öffentlich-rechtliche Verstrickung in Form eines gerichtlichen Verfügungsverbotes zum Gegenstand hat.409 Etwas anderes könnte sich in der Forderungsvollstreckung aus der Regelung des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO ergeben, die die Anordnung eines gerichtlichen Verfügungsverbots vorsieht. Diese Regelung ist daher maßgeblicher Anknüpfungspunkt der öffentlich-rechtlichen wie auch der gemischten Pfandrechtstheorie, um die Rechtsfigur der Verstrickung gesetzlich zu legitimieren.410 Die Argumentation steht jedoch in eigenartigem Widerspruch zu derjenigen im Bereich der Mobiliarvollstreckung. Denn dort werden die gesetzlichen Regelungen und die gesetzgeberischen Motive, die für die Rechtsfigur 407 Hier gilt dasselbe wie für die Vorschrift des § 1247 S. 2 BGB, die im Rahmen der Mobiliarvollstreckung herangezogen wird, um eine dingliche Surrogation an dem Erlös begründen zu können, s.o. § 18 III 6 d aa (2). 408 Brehm, in: Stein/Jonas, § 829, Rdnrn. 65 f., und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3 a. 409 Nach Brox/Walker, Rdnr. 361, soll sich die Verstrickung faktisch aus § 808 ZPO ergeben. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Regelung des § 808 ZPO im Vergleich mit derjenigen des § 809 ZPO den Ausnahmefall darstellt. 410 So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 a aa: „Aber auch bei der Pfändung von Forderungen und sonstigen Rechten ergeben sich diese Folgen rechtlicher Gebundenheit des beschlagnahmten Rechts, und zwar im Rückschluss aus §§ 829, 846, 857 II.“
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der Verstrickung keinen Raum lassen, mit dem einfachen Hinweis verworfen, das Gesetz sei von der wissenschaftlichen Fortentwicklung im Verständnis der Zwangsvollstreckung als hoheitlichem Verfahren überholt worden.411 Stellt man in der weiteren Folge die Frage nach dem Sinn und Zweck des gerichtlichen Verfügungsverbots, so wirft dies erhebliche Zweifel an dem Konstrukt der Verstrickung auf. Denn die Verfügungsbeschränkung des Schuldners ergibt sich bereits als Rechtsfolge des Pfandrechts. Das gerichtliche Verbot – nur davon ist in der Vorschrift des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO die Rede – erweist sich aus zivilrechtlicher Sicht als rein deklaratorisch, indem es dem Schuldner nochmals die Rechtsfolgen der (erzwungenen) Pfändung vor Augen führt.412 Dieser Hinweis scheint in Anbetracht der Gefahr einer unberechtigten Forderungseinziehung durch den Schuldner geboten zu sein. Dass dem Inhibitorium des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht die Bedeutung einer Verfügungsbeschränkung zugemessen werden kann, ergibt sich des Weiteren aus einem Vergleich mit dem Forderungspfandrecht. Schließlich bedarf es im Bürgerlichen Gesetzbuch ebenfalls keines gerichtlichen Verfügungsverbotes, um dem Schuldner das Einziehungsrecht an der Forderung zu nehmen. Dessen Verfügungsbeschränkung stellt sich spiegelbildlich zu dem Einziehungsrecht des Gläubiges ein, ohne dass es hierzu eines gerichtlichen Einschreitens bedürfte. Nicht anders zieht in der Forderungsvollstreckung das mit dem Pfändungsbeschluss erwirkte Einziehungsrecht des Gläubigers die Verfügungsbeschränkung des Schuldners nach sich. Das gerichtliche Verfügungsverbot stellt schließlich auch keine Verschärfung der bereits bestehenden Verfügungsbeschränkung dar, so dass auf diesem Wege der Figur der Verstrickung zu einer Existenzgrundlage verholfen werden könnte. Denn gemäß §§ 136, 135 Abs. 2 BGB finden die Regelungen zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, auch beim gerichtlichen Verfügungsverbot Anwendung.413 Ohnehin könnte das gerichtliche Verfügungsverbot allenfalls im Bereich der Mobiliarvollstreckung eine weitergehende Regelung treffen, da die Möglichkeit eines gutgläubigen Forderungserwerbs bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.414 411
S. dazu nur die oben unter Fn. 170 f. zitierten Anmerkungen von Lüke. Ablehnend hingegen Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1 a aa, nach dessen Ansicht eine solche Erklärung den Vorschriften der §§ 829 Abs. 1 S. 2, 857 Abs. 2 ZPO nicht voll gerecht werde. Die Abhängigkeit der Pfändungsfolgen nicht von der Zustellung des Inhibitoriums, sondern der Zustellung des Arrestatoriums an den Drittschuldner stehe dem nicht entgegen, wenn man die Anordnung des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO als Ausdruck der der Forderungspfändung schlechthin zugemessenen verfügungsbeschränkenden Wirkung verstehe, die aber erst mit Zustellung des Inhibitoriums zulasten des Schuldners eintrete. In der weiteren Folge ist dann aber nicht einsichtig, weshalb das Unterbleiben des Inhibitoriums die Pfändung unberührt lassen soll, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 1. 413 So ausdrücklich für die Forderungspfändung auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3 a bb. 414 Mit Ausnahme der Regelung des § 405 BGB mangelt es im Regelfall an einem Bezugspunkt für einen Vertrauensschutz des Erwerbers in Bezug auf den Bestand der Forderung. 412
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Die Überlegungen leiten zu der Frage nach dem verbleibenden Sinn und Zweck des Inhibitoriums über. Angesichts der Orientierung des Gesetzgebers am privaten Faustpfandrechts lässt sich aus den Motiven zu § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO nur ablesen, dass dessen Bedeutung im strafrechtlichen Bereich angesiedelt worden ist. Anknüpfungspunkt war der Straftatbestand des Verstrickungsbruchs im Sinne des damaligen § 137 StGB,415 heute § 136 StGB. Nicht anders wird auch heute die Bedeutung der Verstrickung darin gesehen, den Gläubiger vor unberechtigten Verfügungen über die Forderung zu schützen.416 Dazu bedarf es jedoch neben der Figur des Pfändungspfandrechts keiner gesonderten Verstrickung. Es wäre insoweit verkehrt, strafrechtliche Schutzerwägungen in den zivilprozessualen Pfändungstatbestand einfließen zu lassen. Umgekehrt wäre es vielmehr angebracht, den hierfür vorgesehenen Straftatbestand der Pfandkehr über das Mobiliarpfandrecht hinaus auf das Forderungspfandrecht zu beziehen.417 Will man das Pfändungspfandrecht an einer Forderung einem strafrechtlichen Schutz unterwerfen, so bedarf es nicht der Einführung einer öffentlich-rechtlichen Verstrickung im Vollstreckungsrecht,418 sondern vielmehr der Erweiterung des Tatbestandes der Pfandkehr auf das Forderungspfandrecht.419 Als letzter Anknüpfungspunkt für eine aus der Regelung des § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO abzuleitende öffentlich-rechtliche Verstrickung bleibt nur der Ansatz der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Theorie, in der Verstrickung die Begründung der staatlichen Verfügungsmacht über das Pfandobjekt zu sehen.420 Für eine derartige Auslegung lassen die Vorschriften zur Forderungspfändung aber keinen Raum. Denn in den Regelungen der §§ 835 Abs. 1, 836 Abs. 1 ZPO ist ausdrücklich nur vom Einziehungsrecht des Gläubigers, nicht aber von einem solchen des Staates die Rede. Diese Überlegung bekräftigt die zuvor aufgestellte These, nach der dem gerichtlichen Verfügungsverbot lediglich deklaratorische Bedeutung zuzumessen ist. Anders wäre auch nicht zu erklären, dass die öffentliche und die gemischte Pfandrechtstheorie das Inhibitorium als nicht wesentlich für die Gültigkeit der Forderungspfändung erachten.421 Konstitutive Wirkung kommt dem Inhibitorium nur insoweit zu, als es um die Bekanntgabe der mit 415 So generell zum strafrechtlichen Schutz gegen Dispositionen des Schuldners Hahn, Materialien, S. 451. 416 Brox/Walker, Rdnr. 614, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 30.16 ff. 417 Im Bereich der Mobiliarvollstreckung hat sich bereits herausgestellt, dass aufgrund des Streits um die Pfandrechtstheorien unnötig zivilrechtliche Streitfragen in das Strafrecht kolportiert werden, anstatt die strafrechtlichen Schutzmechanismen unmittelbar an die denkbaren Formen des Pfandrechts anzubinden, s.o. § 18 III 8. 418 Erst auf diesem Umweg kommt der Straftatbestand des Verstrickungsbruchs zur Anwendung. 419 Zugleich wäre damit auch sichergestellt, dass das vertragliche Forderungspfand und das vollstreckungsrechtliche Forderungspfandrecht demselben strafrechtlichen Schutz unterworfen wären. Zu diesem Problem der unterschiedlichen Strafzumessung bei der Pfandkehr und dem Verstrickungsbruch s. bereits oben unter § 18 III 8. 420 S.o. § 16 II 1. 421 So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 1.
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dem Pfändungsbeschluss verbundenen Rechtsfolgen geht. Sofern diese Rechtsfolgen, namentlich die Verfügungsbeschränkung des Schuldners, konkret bezeichnet sind, könnte demzufolge auch der Ausspruch des gerichtlichen Verfügungsverbots unterbleiben. Ein gerichtliches Verfügungsverbot macht nur in solchen Fällen Sinn, in denen dem Betroffenen nicht schon anderweitig die Verfügungsbefugnis entzogen oder beschränkt worden ist.422 2. Die Verpfändungsanzeige als eigentlicher Schutzmechanismus Die eigentliche Gefahr in der Forderungsvollstreckung besteht nicht so sehr in einer unberechtigten Abtretung der belasteten Forderung, sondern vielmehr in ihrer unberechtigten Einziehung durch den Schuldner. Vor dieser Gefahr der Vollstreckungsvereitelung schützt den Gläubiger weniger ein gerichtliches Verfügungsverbot, das den leistungsunwilligen Schuldner kaum abschrecken wird. Wesentlich effektiver erweist sich die Verpfändungsanzeige an den Drittschuldner. Mit der Zustellung des in dem Pfändungsbeschluss enthaltenen Arrestatoriums verliert der Drittschuldner jegliches Interesse, fernerhin noch an den Schuldner zu leisten, da er befürchten muss, von dem Pfandgläubiger ein zweites Mal in Anspruch genommen zu werden. Nicht umsonst erhebt § 1280 BGB daher die Verpfändungsanzeige in den Rang einer Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verpfändung.423 Entsprechendes gilt für das in dem Pfändungsbeschluss enthaltene Arrestatorium, mit dessen Zustellung die Pfändung (erst) als bewirkt gilt, § 829 Abs. 3 ZPO. Diese gesetzgeberische Wertung im Bürgerlichen Gesetzbuch und in der Zivilprozessordnung unterstreicht die vorangegangenen Überlegungen zur fehlenden Existenzberechtigung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Der Schutz des Pfandgläubigers vollzieht sich nicht im Innenverhältnis gegenüber dem Schuldner, sondern im Außenverhältnis gegenüber dem Drittschuldner. Mit anderen Worten läuft die gegenüber dem Schuldner angeordnete Verstrickung ohnehin ins Leere. Zugleich machen die Überlegungen zu einem angemessenen Schutz des Pfandgläubigers deutlich, dass der Verzicht auf die öffentlichrechtliche Verstrickung dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt. Denn die im Außenverhältnis anzusiedelnde Verpfändungsanzeige erweist sich gegenüber der im Innenverhältnis gegenüber dem Schuldner angeordneten Verstrickung als das mildere und zugleich besser geeignete Mittel zur Verhinderung einer Vollstreckungsvereitelung. 3. Folgeprobleme der öffentlich-rechtlichen Theorie Nicht anders als im Bereich der Mobiliarvollstreckung „verstrickt“ sich die öffentlich-rechtliche Theorie bei der Forderungsvollstreckung in Wertungswider422 Zu denken ist dabei insbesondere an die Fälle der einstweiligen Verfügung, die den Hauptanwendungsbereich des § 136 BGB ausmachen, Heinrichs, in: Palandt, § 136, Rdnr. 4. 423 Dass die Verpfändungsanzeige absolutes Wirksamkeitserfordernis ist, dürfte unstreitig sein, so RGZ 79, 306 (308 ff.); Bassenge, in: Palandt, § 1280, Rdnr. 1, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 54 I 1 a.
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sprüche, die sich nur vom Standpunkt der privaten Pfandrechtstheorie auflösen lassen. a) Die Unwirksamkeit der sogenannten „Pfändung ins Leere“ Ist der Schuldner nicht Inhaber der vom Gläubiger gepfändeten Forderung,424 so soll es sich nach der öffentlichen wie nach der gemischten Pfandrechtstheorie um einen Fall der sogenannten „Pfändung ins Leere“425 handeln, der zur Nichtigkeit der Verstrickung426 und damit zur Nichtigkeit der Pfändung führt.427 Dieses zweifellos zutreffende Ergebnis lässt sich vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie jedoch genauso wenig rechtfertigen wie von demjenigen der gemischten Theorie.428 Wir erinnern uns: Die fehlende Eigentumsstellung des Schuldners soll in der Mobiliarvollstreckung keinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Verstrickung haben und demzufolge den Erwerber in der Versteigerung nicht am Eigentumserwerb hindern.429 Begründet wird dieses Ergebnis u.a. mit der Formalisierung der Zwangsvollstreckung, die den Gerichtsvollzieher an einer Prüfung der Eigentumsverhältnisse hindere. Nichts anderes müsste demzufolge in der Forderungsvollstreckung gelten, bei der dem Vollstreckungsgericht ebenfalls eine Überprüfung der Forderungsinhaberschaft des Schuldners verwehrt ist. Soll die Verstrickung in der weiteren Folge die allein maßgebliche Grundlage für das öffentliche Pfändungspfandrecht sein, so ist kaum einsichtig, weshalb der Pfandgläubiger gegenüber dem Drittschuldner nicht zur Verwertung der Forderung berechtigt sein soll. Die öffentlich-rechtliche Theorie dürfte hier ebensowenig Skrupel haben, den tatsächlichen Forderungsinhaber zu „enteignen“ wie im Rahmen der Mobiliarvollstreckung den tatsächlichen Eigentümer. Beiden dürften allenfalls Bereicherungsansprüche gegen den Pfandgläubiger zustehen. 424 Dasselbe gilt erst recht für den Fall, dass die Forderung gar nicht existiert, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 54 III 2 b. 425 Schlosser, Jura 1984, 139 (140), spricht von einem „Schlag ins Wasser“. 426 In bewusster Abgrenzung zur Sachpfändung soll bei der Forderungspfändung die Nichtzugehörigkeit der Forderung zum Schuldnervermögen bereits eine wirksame Verstrickung ausschließen. Diese Abkehr vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt bleibt jedoch zumeist ohne Begründung. So etwa bei Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3 a cc, und Brox/Walker, Rdnrn. 615 f. Dort, wo hingegen eine Begründung geliefert wird, orientiert sich diese nicht etwa an den öffentlich-rechtlichen Kategorien der öffentlichen und gemischten Pfandrechtstheorien, sondern an den zivilrechtlichen Vorgaben der privaten Pfandrechtstheorie. So etwa Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (328), der auf die Unkörperlichkeit der Forderung abstellt. Ebenso Lüke, JZ 1959, 270 (271 f.). 427 Brehm, in: Stein/Jonas, § 829, Rdnr. 67; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 54 I 1 a, 2, und § 55 I 3 a aa; Lüke, JZ 1959, 270 (271 f.); ders., JZ 1957, 239 (243); Münzberg, ZZP 1988, 436 (444), sowie Brox/Walker, Rdnr. 615. 428 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 54 I 1 a ff, führt daher auch nur lapidar aus: „Nach diesen Grundsätzen bestehende Forderungen sind freilich nur insoweit pfändbar, als sie zu dem nach dem Vollstreckungstitel haftenden Vermögen – i.d.R. also dem Schuldnervermögen – gehören.“ Ebenso wie im Bereich der Sachpfändung fehlen hier Sacherwägungen, die aufgrund der abweichenden Bewertung zu erwarten wären. 429 S.o. § 18 I.
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Die Nichtigkeit der Pfändung ins Leere lässt sich ebenso wenig in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Vorschrift des § 44 VwVfG begründen. Denn bei der fehlenden Forderungsinhaberschaft handelt es sich nicht um einen offensichtlichen Mangel, der ausnahmsweise eine Nichtigkeit der Pfändungsmaßnahme begründen könnte. Es zeigt sich, dass es allein zivilrechtliche Erwägungen sind, die letztlich auch die Anhänger der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Theorie zu dem durchaus zutreffenden Ergebnis führen, dass die Pfändung einer nicht dem Schuldner zustehenden Forderung „ins Leere“ geht. Es mangelt an dem für die Forderungspfändung essentiellen Tatbestandsmerkmal der Rechtsinhaberschaft des Schuldners.430 Über diesen Mangel vermag selbst bei der freiwilligen Forderungsverpfändung nicht einmal mehr der gute Glaube des Pfandgläubigers hinwegzuhelfen, da es an einem dem Besitz vergleichbaren Rechtsschein mangelt.431 Der Aspekt der mangelnden Schutzwürdigkeit des Gläubigers,432 auf dessen bloße Behauptung hin die „angebliche“ Forderung des Schuldners gepfändet wird,433 mag auch die Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie zu der zutreffenden Annahme verleiten, der Verstrickung einer nicht dem Schuldner gehörenden Forderung die Gefolgschaft zu versagen.434 Konsequent ist diese Lösung vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen wie auch der gemischten Theorie hingegen nicht.435 Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass im Bereich der Forderungsvollstreckung von einem originär hoheitlichen Erwerb nicht mehr die Rede ist.436 430 Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass die „angebliche“ Forderung des Schuldners überhaupt nicht existiert, also nicht einmal ein Dritter Inhaber der Forderung ist. 431 Zutreffend stellen Lüke, JZ 1959, 270 (271 f.), Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (328), und Schlosser, Jura 1984, 139 (140 f.), auf die Unkörperlichkeit der Forderung als wesentliches Unterscheidungskriterium gegenüber der Sachpfändung ab. Dieser Unterschied macht sich jedoch nicht bei der Pfändung eines schuldnerfremden Gegenstandes bemerkbar, sondern erst im Falle seiner Versteigerung an einen gutgläubigen Erwerber. Die vorangehende Pfändung geht nicht nur bei der Forderung, sondern auch bei einer beweglichen Sache mangels Rechtsinhaberschaft des betroffenen Schuldners „ins Leere“. Ein gutgläubiger Erwerb ist hier auch bei der Sachpfändung ausgeschlossen, da § 1207 BGB mangels rechtsgeschäftlicher Verfügung nicht zur Anwendung kommt, s.o. § 17 II 3. 432 Der ebenfalls von der öffentlich-rechtlichen Theorie so sehr betonte Aspekt eines effektiven Versteigerungswesens kommt im Bereich der Forderungsvollstreckung ohnehin kaum zum Tragen, da die Verwertung der Forderung – sieht man von der anderweitigen Verwertungsmöglichkeit gemäß § 844 ZPO ab – nicht durch Versteigerung, sondern durch bloße Einziehung gegenüber dem Drittschuldner erfolgt. Dieser kann auch vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie keinen dem Ersteigerer vergleichbaren Schutz beanspruchen, da er nicht als Unbeteiligter auftritt, sondern maßgeblichen Anteil an dem der Pfändung zugrunde liegenden Schuldverhältnis mit dem Schuldner aus der Zwangsvollstreckung hat. 433 In diesem Sinne äußert sich Peter Geib, S. 77 f. Kritisch dazu schon Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (327). 434 Sachliche Erwägungen finden sich hier ebenso wenig wie im Zusammenhang mit dem Schutz des bösgläubigen Erwerbers in der Zwangsversteigerung, s.o. §§ 17 IV 3 c, 18 II 2 c. 435 Dies gesteht auch Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (330), ein. 436 Lüke, JZ 1959, 270 (271), spricht ausdrücklich von einem derivativen Forderungserwerb.
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Ausgehend von der öffentlich-rechtlichen und in ihrem Gefolge der gemischten Theorie ist in der weiteren Konsequenz kaum ersichtlich, wie ihre Anhänger die Pfändung einer schuldnerfremden Forderung bei nachträglicher Genehmigung durch den tatsächlichen Forderungsinhaber437 dogmatisch erklären wollen. Die Heilung einer nichtigen Vollstreckungsmaßnahme lässt sich vom Standpunkt der modernen Verwaltungsrechtslehre nicht begründen.438 Die Regelung des § 45 VwVfG beschränkt die Möglichkeit zur Heilung ausdrücklich auf den Fall des rechtswidrigen, aber nicht nichtigen Verwaltungsakts. An dieser Stelle hilft nur ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Vorschriften, um eine „Heilung“ der Pfändung begründen zu können.439 Es handelt sich schlicht um die Genehmigung des Berechtigten zur Verfügung eines Nichtberechtigten, die die Verfügung, hier die Pfändung, gemäß § 185 Abs. 2 S. 1, 1. Fall BGB nachträglich wirksam werden lässt. Allein diese zivilrechtliche Bewertung ermöglicht die Heilung einer „nichtigen Pfändung“.440 Es muss demzufolge nicht verwundern, dass die Anhänger der öffentlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie im vorliegenden Zusammen437
So Arwed Blomeyer, in: Festgabe für von Lübtow, S. 803 (809, 817); Tiedtke, NJW 1972, 746 (748 ff.); ders., JZ 1993, 73 (74); Denck, DB 1980, 1396 (1398 f.), und Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (327 ff.); ders., JZ 1987, 889 (893), mit unterschiedlicher Begründung. Ablehnend hingegen BGHZ 56, 339 (350 f.); 100 (42); Heinrichs, in: Palandt, § 185, Rdnr. 4; Merz, NJW 1955, 347 (347 f.); Brehm, in: Stein/Jonas, § 829, Rdnr. 68; Lüke, JZ 1957, 239 (243, Fn. 49), und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 30.16. 438 Dieses Problem ergäbe sich für die öffentlich-rechtliche Theorie mithin nicht, wenn sie die Pfändung einer schuldnerfremden Forderung als rechtswidrig bewerten würde. Diese Wertung stünde in Übereinstimmung mit der Vorschrift des § 44 VwVfG und würde eine Heilung gemäß § 45 VwVfG ermöglichen. Allerdings wäre die weitere Konsequenz, dass der tatsächliche Forderungsinhaber damit „enteignet“ würde, mangels jeglichen Rechtsscheins der Forderungsinhaberschaft untragbar. S. dazu die vorstehenden Ausführungen. 439 Ebenso in seiner Stoßrichtung Tiedtke, NJW 1972, 746 (748 f.), der unter Rückgriff auf die Vorschriften der §§ 125, 313 S. 2 BGB a.F., jetzt §§ 125, 311 b Abs. 1 S. 2 BGB n.F., mit hohem Begründungsaufwand zu erklären versucht, weshalb der Grundsatz „Einmal nichtig, immer nichtig“ für die Pfändung ins Leere nicht gelten soll. In unnötige Erklärungsnot gelangt Tiedtke dabei erst dadurch, dass er bei dieser Konstellation von einem fehlerhaften Staatsakt ausgeht. Dessen „Heilung“ wäre allein öffentlich-rechtlich zu erklären, was wiederum – wie oben ausgeführt – durch die Vorschriften der §§ 44, 45 VwVfG ausgeschlossen wird. Berücksichtigt man hingegen, dass die Frage der Forderungsinhaberschaft losgelöst von der hoheitlichen Vollstreckung zu bewerten ist, die lediglich die fehlende Verpfändungserklärung und die fehlende Verpfändungsanzeige ersetzen soll, gelangt § 185 Abs. 2 S. 1, 1. Fall BGB unmittelbar zur Anwendung. Diese Vorschrift hat auch Tiedtke im Blick, hält sie aber wegen ihres rechtsgeschäftlichen Bezugs nicht unmittelbar für anwendbar. Um so überzeugender sind die Ausführungen von Tiedtke, NJW 1972, 746 (749 f.), zur tatsächlichen Interessenlage. Tiedtke weist nach, dass durch die Heilung der Pfändung ins Leere keinem der Beteiligten ein Nachteil entsteht. 440 Den Befürwortern einer Konvaleszenz bei der Forderungspfändung ist daher im Ergebnis zuzustimmen. Nicht nachvollziehbar ist hingegen der Begründungsaufwand, mit dem einerseits an der Verstrickung als Wesensmerkmal der öffentlich-rechtlichen und der gemischten Pfandrechtstheorie festgehalten werden soll und andererseits die unterschiedliche Behandlung der Sach- und Forderungspfändung gerechtfertigt werden muss. Mit Recht stellt Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (326), daher fest, dass das Recht der Forderungspfändung den „Pfandrechtstheorien bislang getrotzt hat“. Dahinter steht letztlich die Erkenntnis, dass das Institut der Verstrickung nicht geeignet ist, die zivilrechtlichen Vorgänge bei der Forderungspfändung zu erklären.
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hang von einer „erheblichen Abwertung der Verstrickung“ sprechen.441 Der Rang des Pfandrechts soll sich im Weiteren nicht mehr nach der Verstrickung richten, sondern auf den „Staatsakt der Pfändung“ verlagern.442 Hält man dagegen an der Rechtsfigur der Verstrickung fest, so bleibt bei konsequenter Betrachtung nur die Möglichkeit, die Pfändung im Anschluss an eine Genehmigung des Berechtigten zu wiederholen.443 Die damit verbundenen Gefahren einer vorrangigen Pfändung durch einen konkurrierenden Gläubiger liegen dabei jedoch ebenso auf der Hand wie der unnötige Formalismus der wiederholten Pfändung.444 Entscheidet man sich demgegenüber auf dem Boden der privaten Pfandrechtstheorie für eine zivilrechtliche Heilungsmöglichkeit, so erweist sich diese Lösung sowohl unter dogmatischen als auch unter praktischen Gesichtspunkten als tragfähig.445 b) Die „Nichtigkeit“ der Pfändung bei Fehlen des Arrestatoriums Von einer Nichtigkeit der Pfändung gehen die öffentlich-rechtliche und die gemischte Theorie in dem Fall aus, dass im Pfändungsbeschluss das Arrestatorium fehlt.446 Hier lässt sich trefflich darüber streiten, ob ein solches Ergebnis aus verwaltungsrechtlicher Sicht zu erklären ist. Für einen offenkundigen Mangel im Sinne des § 44 VwVfG spricht der Umstand, dass das Arrestatorium sich als maßgeblicher Schutzmechanismus vor einer unberechtigten Forderungseinziehung durch den Schuldner erwiesen hat. Zudem lässt sich das Fehlen des Arrestatoriums unmittelbar dem Pfändungsbeschluss entnehmen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich das Arrestatorium nicht an den Schuldner als maßgeblichen Adressaten der hoheitlich erfolgenden Zwangsvollstreckung richtet, sondern lediglich an den Drittschuldner. Das Fehlen des Arrestatoriums zeitigt daher gegenüber dem Schuldner als maßgeblichem Adressaten der Zwangsvollstreckung keine Auswirkung. Dies spricht entschieden dagegen, von einem Fall der evidenten Nichtigkeit des Verwaltungsaktes, sprich der Pfändung, auszugehen. Unabhängig von den geäußerten Zweifeln setzt sich die öffentlich-rechtliche Theorie einem tiefgehenden Wertungswiderspruch aus. Denn letztlich unterwirft 441
So ganz deutlich und selbstkritisch Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (330). Im Ergebnis folgt Karsten Schmidt, ZZP 1974, 316 (330), damit der privaten Pfandrechtstheorie. 443 So die Folge der durchaus konsequenten herrschenden Meinung, die eine Konvaleszenz im Rahmen der Forderungspfändung ablehnt, BGHZ 56, 339 (350 f.); Heinrichs, in: Palandt, § 185, Rdnr. 4; Brehm, in: Stein/Jonas, § 829, Rdnr. 68; Geißler, JuS 1986, 614 (617), sowie Baur/Stürner/ Bruns, Rdnr. 30.16. 444 Allein aus dieser praktischen Erwägung heraus plädieren Brox/Walker, Rdnr. 615, für eine analoge Anwendung des § 185 Abs. 2 BGB. 445 Ausführlich dazu schon Tiedtke, NJW 1972, 746 (749). Geißler, JuS 1986, 614 (617, Fn. 45), kritisiert demgegenüber, dass dem Drittschuldner die Verpflichtung auferlegt werde, die ursprünglich wirkungslose Pfändung auf künftige Rechtsänderungen zu überwachen. Ähnlich kritisch zu den Prüfungspflichten des Drittschuldners Prost, NJW 1958, 485 (485 ff.). Bei Problemen verhelfen hier aber die Vorschriften der §§ 1275, 404 ff. BGB dem Drittschuldner im Falle seiner Gutgläubigkeit zu seinem Recht. 446 Smid, in: Münchener Kommentar, § 829, Rdnr. 25, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 1. 442
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sie mit diesem zweiten Anwendungsfall einer angeblichen Nichtigkeit der Pfändung den Pfändungstatbestand bei nahezu sämtlichen auftretenden Mängeln dem Verdikt der Nichtigkeit. Das verwaltungsrechtliche Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Bestandskraft und Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme wird auf den Kopf gestellt.447 Nicht nur die fehlende Forderungsinhaberschaft, sondern auch die fehlende Verpfändungsanzeige im Sinne des Arrestatoriums soll zur Nichtigkeit der Pfändung führen. Der aufgezeigte Wertungswiderspruch lässt sich nur bei zivilrechtlicher Betrachtungsweise auflösen. Da dem Zivilrecht der Gedanke des Bestandsschutzes fremd ist, erklärt sich zwanglos, dass das Fehlen nur einer Voraussetzung des zivilrechtlichen Pfandrechtstatbestandes, sei es die Forderungsinhaberschaft, sei es die Verpfändungsanzeige, zur Unwirksamkeit der Pfändung führt. Soweit es sich hingegen um Fehler im Vollstreckungsverfahren handelt, das dem Ersatz der fehlenden freiwilligen Verpfändungserklärung dient, ist die Anwendung der verwaltungsrechtlichen Fehlerfolgenlehre und die damit verbundene Modifikation der privaten Pfandrechtstheorie geboten. In diesem Bereich führen Fehler im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der Pfändung.
V. Ergebnis Die privatrechtliche Pfandrechtstheorie erweist sich als tragfähiges Erklärungsmodell für die Vorgänge bei der Forderungsvollstreckung. Sie ermöglicht insbesondere eine Rechtsvereinheitlichung mit den zivilrechtlichen Regelungen zum Forderungspfandrecht. Lediglich im Bereich der Vollstreckungsvoraussetzungen ist eine Bezugnahme auf die Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverfahren, insbesondere auf die Fehlerfolgenlehre zum Verwaltungsakt, angebracht. Eine weitergehende öffentlich-rechtliche Bewertung der Forderungsvollstreckung setzt sich hingegen schwerwiegenden dogmatischen Widersprüchen aus.
§ 20 Die Zwangsvollstreckung in Immobilien I. Die abweichenden Strukturen Die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück erfolgt gemäß § 866 Abs. 1 ZPO durch Eintragung einer Sicherungshypothek, durch Zwangsversteigerung und durch Zwangsverwaltung. Dabei kann der Gläubiger verlangen, dass eine dieser 447 Dasselbe gilt bereits für die Annahme der Nichtigkeit der „Pfändung ins Leere“. Deutlich kommt dies in den Ausführungen von Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 55 I 3, zum Ausdruck: „Zu den dort (Anm.: gemeint ist die Pfändung in das bewegliche Vermögen) erwähnten Nichtigkeitsgründen tritt eine Wirkungslosigkeit der Pfändung, wenn die betroffene Forderung nicht besteht oder dem Schuldner nicht zusteht.“ Mit dem Begriff des „Hinzutretens“, der nicht näher erläutert wird, umschreibt Schilken nichts anderes als eine Durchbrechung des § 44 VwVfG.
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Maßregeln allein oder neben den übrigen ausgeführt wird, § 866 Abs. 2 ZPO. Mit diesem Wahlrecht kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber die drei genannten Vollstreckungsarten als selbständige Alternativen für die Vorgehensweise des Gläubigers bei der Verwertung eines Grundstücks verstanden wissen will.448 Diese Struktur weicht grundlegend von derjenigen der Mobiliar- und Forderungsvollstreckung ab, die durch den Dualismus Pfändung und Verwertung gekennzeichnet ist. Dort besteht allein im Rahmen der §§ 825, 835 ZPO die Möglichkeit, dass der Gläubiger eine abweichende Verwertungsart beantragt. Grundlage der Verwertung bleibt stets die vorhergehende Pfändung. Diese letztlich auf das private Pfandrecht zurückgreifende Struktur scheint der Gesetzgeber im Bereich der Immobiliarvollstreckung aufgegeben zu haben, indem er die Weichenstellung zwischen den verschiedenen Vollstreckungsarten bereits zu Beginn der Vollstreckung vornimmt. Er lässt damit keinen Raum für eine gemeinsame Basis in Form der Pfändung.449 Eine überzeugende Begründung hierfür findet sich nicht.450 Und so drängt sich der Verdacht auf, dass ohne Not von dem zivilrechtlich vorgegebenen Zweiklang von Pfändung und Verwertung abgewichen worden ist. Um sich daher nicht in den Details der spezifischen Probleme des Versteigerungsrechts zu verlieren,451 soll nachfolgend der Frage nachgegangen werden, ob nicht im Bereich der Immobiliarvollstreckung eine Rückführung auf die zivilrechtlichen Strukturen des Pfandrechts452 und damit eine grundlegende Rechtsvereinheitlichung möglich erscheint.453
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Gerhardt, JA 1981, 12 (13), und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 61 I. Nach h. M. soll die Zwangshypothek sich als bloßes Sicherungsmittel von anderen Vollstrekkungsmaßnahmen, namentlich dem Pfändungspfandrecht, unterscheiden. Das Pfändungspfandrecht bewirke zwar auch eine Sicherung, jedoch in Ausrichtung auf die Anspruchsverwirklichung durch Verwertung des Pfandobjekts und Verteilung des Erlöses. So etwa Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 69 I; Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 73 Vor I; Lüke, NJW 1954, 1669 (1670), und Habermeier, S. 98 f. Kritisch dazu die Anmerkung in nachstehender Fußnote. 450 Das vermeintliche Argument vom bloßen Sicherungscharakter der Zwangshypothek (s. dazu die Anmerkung in vorstehender Fußnote) vermag die Unterscheidung vom Pfändungspfandrecht nicht zu erklären. Schließlich bezweckt auch die Zwangshypothek – nicht anders als das Pfandrecht – die Befriedigung des Gläubigers im Verwertungsfall. Dass die Verwertung sich hier nicht unmittelbar an die Eintragung der Zwangshypothek anschließen muss, rechtfertigt noch keine abweichende Bewertung ihrer Rechtsnatur (anders Lüke, NJW 1954, 1669 (1670), der das Kriterium der Unmittelbarkeit der Verwertung zum Anlass für eine unterschiedliche Bewertung von Zwangshypothek und Pfändungspfandrecht nimmt). Entgegen der h. M. gehen daher mit Recht von einer Gleichstellung der Zwangshypothek mit dem Pfändungspfandrecht aus Bruns/Peters, § 41 V, und Goldschmidt, § 109, Anm. 4. Differenzierend äußert sich Habermeier, S. 69 ff. 451 Anschaulich dazu ist der Überblick von Gerhardt, JA 1981, 12 (12 ff.). 452 Sehr illustrativ im Sinne dieser These sind die Ausführungen von Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 ff., zu einzelnen Parallelen zwischen der Mobiliar- und der Immobiliarvollstreckung. 453 Ähnlich in seiner Bewertung auch Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (655), der die Dogmatik der Immobiliarvollstreckung nicht für ausgeschöpft hält: „Es liegt daher nahe, Parallelen zu ziehen und die tragenden Regeln und Konstruktionen auf ihre Vergleichbarkeit oder Besonderheit zu untersuchen.“ 449
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II. Rückführung auf das zivilrechtliche Grundpfandrecht Die Auslagerung der Zwangsversteigerung und der Zwangsverwaltung aus der Zivilprozessordnung in das Zwangsversteigerungsgesetz und dessen eigenständiges Gesetzgebungsverfahren scheinen mitverantwortlich zu sein für das Eigenleben der Immobiliarvollstreckung.454 Die Zwangshypothek hat dieses Schicksal nicht geteilt. Dies mag erklären, dass die Regelungen der §§ 867 f. ZPO sich am leichtesten in das zivilrechtliche Gefüge des Bürgerlichen Gesetzbuchs einordnen lassen.455 1. Die Zwangshypothek als Grundpfändungspfandrecht Gemäß § 867 Abs. 1 ZPO wird die Zwangshypothek auf Antrag des Gläubigers in das Grundbuch eingetragen. Sie entsteht mit der Eintragung. Die Voraussetzungen für die Eintragung gliedern sich nach allgemeiner Meinung in solche des Vollstreckungs- sowie des Grundbuchrechts.456 Daraus soll sich zugleich die vermeintliche Doppelnatur der Zwangshypothek als Vollstreckungs- und Grundbuchmaßnahme erklären.457 a) Die Doppelnatur der Zwangshypothek Hinter dem Begriff der Doppelnatur verbirgt sich bei näherer Betrachtung nichts anderes als die bereits mehrfach getroffene Feststellung, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen die fehlenden freiwilligen Schuldnererklärungen zur Begründung eines zivilrechtlichen Pfandrechts ersetzen.458 Im Bereich des Grundstückswesens ist dies gemäß §§ 873, 1113, 1116 BGB zum einen die dingliche Einigung und zum anderen die gemäß § 19 GBO notwendige Bewilligung zur Eintragung des Grundpfandrechts, § 1115 BGB. Nicht umsonst wird in der Literatur davon ausgegangen, dass der Grundbuchbeamte als Vollstreckungsorgan anstelle der §§ 19, 29 GBO die Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen hat.459 Die dadurch fingierte Eintragungsbewilligung des Schuldners vermag gemäß § 867 Abs. 1 S. 1 ZPO jedoch noch nicht das Entstehen der Zwangshypothek zu erklären. Als materiell-rechtliche Voraussetzung mangelt es an der dinglichen Einigung. Die Abgabe der diesbezüglich erforderlichen Schuldnererklärung lässt sich ebenso wie 454 Vordergründiger Anlass für die Zurückstellung der Grundstücksversteigerung bei Erlass der Zivilprozessordnung war der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein reichseinheitliches Liegenschaftsrecht bestand. Erst bei Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts entschloss man sich, auch ein reichseinheitliches Verfahren zur Grundstücksversteigerung zu schaffen, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 61 II. 455 Das Zwangsversteigerungsgesetz ist hingegen selbständig neben der Zivilprozessordnung gewachsen. Ebenso in seiner Bewertung Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (655). 456 Brox/Walker, Rdnrn. 1037 f. 457 Lüke, NJW 1954, 1669 (1669); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 30 I, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 69 II 2. 458 S.o. § 17 II 1 b. 459 Brox/Walker, Rdnr. 1037, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, §§ 61 III, 69 II 2.
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die Eintragungsbewilligung als Ausdruck einer gesetzlichen Fiktion erklären, die mit Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen eintritt.460 Mit Recht stellt § 867 Abs. 1 ZPO daher bei dem Zeitpunkt des Entstehens der Zwangshypothek auf den Zeitpunkt der Grundbucheintragung ab. Im Übrigen handelt es sich um ein der zivilrechtlichen Sicherungshypothek gleichzustellendes Grundpfandrecht.461 Die kraft hoheitlicher Gewalt erzwungene Bestellung führt einzig zu der Besonderheit, dass ein gutgläubiger Erwerb der Hypothek vom Nichtberechtigten ausgeschlossen ist.462 Es mangelt an dem gemäß § 892 BGB erforderlichen rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbestand.463 Aber selbst das stellt nach den bisherigen Feststellungen zur Mobiliarvollstreckung keine Besonderheit dar. Denn dort kommt die Regelung des § 1207 BGB ebenso wenig zur Anwendung.464 Das hoheitliche Pfändungspfandrecht ist vielmehr dem gesetzlichen gleichzustellen.465 b) Entbehrlichkeit der Duldungsklage gemäß § 1147 BGB Gemäß § 1147 BGB erfolgt die Befriedigung eines Grundpfandgläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung. Daraus leitet die allgemeine Meinung die Notwendigkeit einer gesonderten Leistungsklage auf Duldung der Zwangsvollstreckung ab.466 Erst diese verschafft dem Grundpfandgläubiger den für die Vollstreckung erforderlichen Vollstreckungstitel. Bei der Verwertung der Zwangshypothek sollte – vor dem Inkrafttreten des § 867 Abs. 3 ZPO – nach h. M. nichts 460
So im Ergebnis auch RGZ 78, 398 (408). Das Reichsgericht sieht in dem vollstreckbaren Titel lediglich einen Ersatz für die normalerweise zur Begründung einer Hypothek erforderliche Einigung im Sinne des § 873 BGB und für die Eintragungsbewilligung gemäß § 19 GBO. Ablehnend hingegen Lüke, NJW 1954, 1669 (1671), der von einem aliud spricht, obwohl auch er nicht verkennt, dass die öffentlich-rechtliche Theorie im Bereich der Zwangshypothek „keine Anwendung finden kann.“ 461 RGZ 105, 71 (77); Gerhardt, JA 1981, 12 (12). Ähnlich schon Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 34, der die Zwangshypothek der privatrechtlichen Hypothek gleichstellt. Überraschenderweise kommt auch Lüke, NJW 1954, 1669 (1672), als entschiedener Anhänger der öffentlich-rechtlichen Theorie bei der Zwangshypothek zu einer privatrechtlichen Bewertung ihrer Rechtsnatur. 462 Anders hingegen Lüke, NJW 1954, 1669 (1672), der in einer Versagung des gutgläubigen Erwerbs eine Schlechterstellung des Gläubigers gegenüber einem solchen Gläubiger sieht, der eine bewegliche Sachen pfänden lässt. Der Gläubiger „müsse“ sich darauf verlassen können, dass die vom Staat in seinem Interesse vorgenommene Vollstreckungshandlung Erfolg hat. Lüke vernachlässigt hier die notwendige Differenzierung zwischen dem Pfändungstatbestand im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner und der sich daran anschließenden Versteigerung an den Erwerber. Im Rahmen der Pfändung mangelt es an einem rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbestand. Dadurch ist der Gläubiger aber nicht „schutzlos“ gestellt, da die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs in der Versteigerung unangetastet bleibt. Nichts anderes gilt im Rahmen der Mobiliarvollstreckung, bei der § 1207 BGB nicht zur Anwendung kommt, ein gutgläubiger Erwerb gemäß §§ 1243 ff. BGB hingegen zu bejahen ist. Von einer Benachteiligung des Inhabers einer Zwangshypothek kann daher keine Rede sein. 463 Brox/Walker, Rdnr. 1042. 464 Dies übersieht Lüke, NJW 1954, 1669 (1672). 465 S.o. § 17 II 3 b. 466 Bassenge, in: Palandt, § 1147, Rdnr. 2.
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anderes gelten.467 Dies musste schon insoweit verwundern, als dem Gläubiger in dieser Situation bereits ein persönlicher Vollstreckungstitel gegen den Schuldner und Grundstückseigentümer zusteht. Anderenfalls wäre es im Rahmen der Vollstreckung nicht zur Eintragung der Zwangshypothek gekommen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Gläubiger nunmehr gezwungen sein sollte, erneut den Klageweg zu beschreiten, um sich aus dem Grundstück zu befriedigen.468 Schließlich stellt sich diese Notwendigkeit auch nicht im Rahmen der wesentlich eingriffsintensiveren Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung ein.469 Genauso wenig kann davon die Rede sein, dem Schuldner würden etwaige Einwendungen gegen die Hypothek abgeschnitten.470 Und so führte die gesonderte Duldungsklage in der Praxis regelmäßig zu einem zeitaufwendigen Formalismus, der zudem unnötige Kosten verursachte.471 Diesem Formalismus hat der Gesetzgeber mit der zum 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Regelung des § 867 Abs. 3 ZPO abgeholfen, die den vollstreckbaren Titel für ausreichend erklärt.472 Eine Betrachtung der 467
Habermeier, S. 5 ff., 21; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 69 III 2; Brox/Walker, Rdnr. 1036; Stöber, MDR 1961, 17 (19), und Schneider, JurBüro 1975, 1315 (1317). Ablehnend hingegen bereits früher Bruns/Peters, § 41 II, und Finger, MDR 1969, 617 (619 f.). 468 Das Argument vom bloßen Sicherungscharakter der Zwangshypothek (s.o. I) wurde hier zum Bumerang für die h. M. Denn der bloße Sicherungscharakter sollte dem der Zwangshypothek zugrunde liegenden Zahlungstitel die Eignung als gleichzeitiger Duldungstitel nehmen. So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 69 III 2. Diese Argumentation erwies sich insofern als widersprüchlich, als derselbe Zahlungstitel im Rahmen der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung der Verwertung der Immobilie auch nach h. M. nicht im Wege stand. Wozu sollte es dann aber im Falle der Zwangshypothek eines weiteren Titels bedürfen? 469 Im Vergleich mit der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung sah Finger, MDR 1969, 617 (619 f.), das entscheidende Argument gegen die Notwendigkeit der Duldungsklage: „Der Gläubiger darf jedenfalls nicht schlechter gestellt werden, als wenn er gleich die Zwangsversteigerung des Grundstücks betrieben hätte.“ 470 So aber Mohrbutter, Rpfleger 1960, 203 (204); Habermeier, S. 13 ff., und Stöber, Rpfleger 1956, 326 (328 ff.). Soweit insbesondere Habermeier, S. 15, das Dilemma der unüberschaubaren Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung als Argument für die Notwendigkeit der Duldungsklage anführte, nahm er eine unnötige Problemverlagerung vor. Das durchaus zutreffende Argument rechtfertigte es nicht, dem Gläubiger die zeit- und kostenaufwendige Duldungsklage aufzuerlegen. Ansatzpunkt dieser berechtigten Kritik war und ist vielmehr das verwickelte Rechtsbehelfssystem. S. dazu ausführlich im sechsten Teil unter §§ 24 ff. 471 Finger, MDR 1969, 617 (620), leitete daraus treffend die folgende Feststellung ab: „Angesichts dieser für sie so unerfreulichen Aussichten kann man sich nur wundern, daß sich immer noch Gläubiger mit der Eintragung der Zwangshypothek zufrieden geben.“ 472 Anstelle eines Verweises auf die Gesetzesmotive sei nur auf die schon vor dreißig Jahren geäußerte Bewertung von Finger, MDR 1969, 617 (619), verwiesen: „Die Erwirkung einer Zwangshypothek ist wegen dieser den Schuldner zunächst noch schonenden, den Gläubiger aber ausreichend sichernden Wirkung eine anzustrebende Vollstreckungsmaßnahme. Ihre Eintragung muß deshalb dem Gläubiger möglichst schmackhaft gemacht werden; wenigstens darf er nicht durch zusätzliche Schwierigkeiten von ihr abgeschreckt werden.“ In der weiteren Folge bewertet Münzberg, in: Festschrift für Lüke, S. 525 (552 f.), die Vorschrift des § 867 Abs. 3 ZPO als eine „vertretbare Lösung“. Die Entlastungsfunktion des Gläubigers schätzt Münzberg hingegen gering ein, da der Schuldner sich regelmäßig im Wege der Vollstreckungsabwehrklage zur Wehr setze. Münzberg rät dem Gläubiger daher eine vorbeugende Duldungsklage an. Diese würde jedoch das Prozessrisiko auf den Gläubiger zurückverlagern.
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zugrunde liegenden Diskussion ist daher aufschlussreich für das weitere Verständnis der Zwangshypothek. aa) Das Fehlen einer vergleichbaren Regelung in der Mobiliarund Forderungsvollstreckung Die Bedenken gegen die frühere Notwendigkeit einer gesonderten Duldungsklage wurden dadurch genährt, dass eine vergleichbare Regelung der Mobiliarund Forderungsvollstreckung fremd ist.473 Das vermeintliche Erfordernis der Duldungsklage vermochte daher allenfalls die Skepsis des Gesetzgebers gegenüber der Tätigkeit des Grundbuchrechtspflegers zu begründen, die jedoch angesichts dessen qualifizierter Ausbildung unberechtigt ist. Bestehen ausnahmsweise Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Eintragung der Zwangshypothek, so ist es außerdem Aufgabe des Schuldners und Eigentümers, sich hiergegen zur Wehr zu setzen und eine gerichtliche Überprüfung der Eintragung herbeizuführen. Diese Initiativrichtung verkehrte die h. M. durch das Festhalten an der Duldungsklage in ihr Gegenteil. bb) Weiterer Vergleich mit dem Faust- und Forderungspfandrecht Der Umstand, dass die Duldungsklage in der Praxis zumeist zur lästigen Förmelei wurde, spiegelt sich noch heute beim privaten Grundpfandrecht wider. Der Lästigkeitsfaktor wird dabei zumeist dadurch umgangen, dass die Kreditgeber von der Möglichkeit des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO Gebrauch machen und sich schon im Rahmen der Bestellung des Grundpfandrechts einen dinglichen Unterwerfungstitel verschaffen. Der Regelfall der späteren Verwertung des Grundstücks entspricht damit demjenigen bei der Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung. Hier bedarf es ebenfalls keiner gesonderten Duldungsklage, ohne dass dieser Zustand von der Literatur bemängelt würde. Der Umstand, dass beim Grundstück eine zusätzliche Duldungsklage erforderlich sein sollte, lässt sich daher allenfalls mit der hohen wirtschaftlichen Bedeutung des Grundstücks für den betroffenen Eigentümer erklären. Auch ein solcher Erklärungsansatz lässt aber unberücksichtigt, dass der Bestellung des Grundpfandrechts eine freiwillige Verpfändungserklärung des Grundstückseigentümers zugrunde liegt, mit der sich dieser im Falle der Pfandreife zur Duldung der Verwertung bereit erklärt. Der wirtschaftlichen Bedeutung des Grundstücks trägt in diesem Zusammenhang das Beurkundungserfordernis Rechnung. Es besteht daher kein Rechtsschutzinteresse für die erneute Abgabe einer derartigen Duldungserklärung. Bestreitet der Verpfändende hingegen das Vorliegen einer wirksamen Verpfändungserklärung oder das Vorliegen der Pfandreife, so ist es ihm unbenommen, seinerseits eine gerichtliche Überprüfung herbeizuführen. Auch aus zivilrechtlicher Sicht ist daher kaum verständlich, weshalb sich aus § 1147 BGB ein gesondertes Klageerfordernis ergeben soll. 473 Für eine Parallelwertung von Immobiliar-, Mobiliar- und Forderungsvollstreckung plädierte auch schon Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (657 f.), wobei er das Problem des Duldungstitels allerdings ausdrücklich aussparte.
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cc) § 1147 BGB als Verweisungsnorm auf das Zwangsversteigerungsgesetz Die Kritik an der früheren Heranziehung des § 1147 BGB im Rahmen der Zwangshypothek mag angesichts der hier angestrebten Rückbesinnung auf die zivilrechtlichen Pfandrechtsbestimmungen verwundern. Denn schließlich vollzog die h. M. durch die Anwendung des § 1147 BGB eine an sich begrüßenswerte Gleichstellung von privatem und hoheitlichem Grundpfandrecht. Der eigentliche Kritikpunkt liegt demzufolge nicht im Rückbezug auf das Grundpfandrecht, sondern in dem mangelnden Querverweis zu den Pfandrechtsbestimmungen der Zivilprozessordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuchs für bewegliche Sachen und Forderungen. Dieses Defizit wurzelt in der zivilrechtlichen Regelung des § 1147 BGB, nach der die Duldungsklage beim zivilrechtlichen Grundpfandrecht notwendig sein soll, obwohl sie beim Faust- und Forderungspfandrecht entbehrlich ist.474 Demzufolge stellt sich die Frage, ob die Regelung des § 1147 BGB nicht generell fehlinterpretiert wird. Die systematische Gesetzesauslegung macht die eigentliche Formulierungsschwäche des § 1147 BGB deutlich, nach dessen lapidaren Wortlaut die Befriedigung des Gläubigers „im Wege der Zwangsvollstreckung“ erfolgt. Die Regelung müsste genau genommen lauten, dass die Befriedigung des Gläubigers aus dem Grundstück „im Wege der für die Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften zur Versteigerung und Verwaltung“ erfolgt. Der Gesetzgeber hat offensichtlich nicht auf das Titelerfordernis Bezug nehmen wollen, sondern allein auf die Regelungen zu der sich an die Pfändung anschließenden Verwertung in Form von Zwangsversteigerung und/oder Zwangsverwaltung. Für eine weitergehende Bezugnahme auf die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, namentlich das Titelerfordernis, bestand überhaupt kein Bedürfnis, da diese allein die Herbeiführung der Pfändung bezwecken. Die Existenz eines derartigen Grundpfandrechts setzt die Vorschrift des § 1147 BGB bereits voraus, wie sich aus ihrer systematischen Ansiedlung im Gefolge der §§ 1113 ff. BGB ergibt. Im Ergebnis besteht keine Veranlassung, aus § 1147 BGB ein gesondertes Titelerfordernis abzuleiten. Im Gegenteil ermöglicht die hier vorgeschlagene Lesart eine Rechtsvereinheitlichung von privat und hoheitlich begründetem Pfandrecht ebenso wie eine Harmonisierung von Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung. Diesen Trend verfolgt auch der Gesetzgeber, indem er mit der Neufassung des § 867 Abs. 3 ZPO dem unnötigen Streit um eine gesonderte Duldungsklage im Bereich der Zwangshypothek den Boden entzogen hat.
474 In diese Richtung zielen auch die Äußerungen von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 30 I, der sich allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen gegen den Verzicht auf die gesonderte Duldungsklage ausgesprochen hat: „… doch wird durch unmittelbare Zulassung der Zwangsversteigerung aus der Zwangshypothek der Gleichlauf mit dem materiellen Recht (§§ 1184 f., 1147 BGB) preisgegeben.“
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2. Die Zwangsversteigerung als Verwertung des Grundpfändungspfandrechts Entpuppt sich die Zwangshypothek als Pfändungspfandrecht der Immobiliarvollstreckung, so liegt es nahe, die Zwangsversteigerung als Verwertung dieses Pfändungspfandrechts aufzufassen. Dass der Gesetzgeber die diesbezüglichen Regelungen dem Zwangsversteigerungsgesetz vorbehalten hat, das erst zeitgleich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft getreten ist, erweist sich dabei als ein entscheidender Vorteil. a) Die Rechtseinheit bei der Verwertung von Immobilien Die Vorschrift des § 1147 BGB bringt einen entscheidenden Vorzug der Regelungen zum Grundpfandrecht gegenüber denjenigen zum Faustpfandrecht mit sich. Durch die pauschale Bezugnahme auf die Zwangsvollstreckung hat der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch auf eigenständige Vorschriften zur Verwertung eines Grundpfandrechts verzichtet. Anders als beim Faustpfandrecht stellt sich damit nicht die Notwendigkeit einer Rechtsvereinheitlichung von zivilrechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Verwertungsvorschriften.475 Zu erklären dürfte die bereits de lege lata bestehende Rechtseinheit bei der Verwertung von Grundstücken mit dem zeitgleichen Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Zwangsversteigerungsgesetzes sein. Dem Gesetzgeber dürfte augenfällig geworden sein, dass ein doppeltes Regelungswerk entbehrlich war. Bedauerlicherweise haben die daraus resultierenden Verwertungsvorschriften jedoch nicht im Bürgerlichen Gesetzbuch Platz gefunden, sondern im Zwangsversteigerungsgesetz, dessen gesonderter Erlass durch die Verweisungsnormen des § 869 ZPO vorprogrammiert war. Bedauerlich erscheint dies deshalb, weil aus gesetzestechnischer Sicht ein unnötiger Abstand zu den zivilrechtlichen Vorschriften zum Grundpfandrecht aufgekommen ist. Diese Distanz hat sich in der weiteren Folge in den Regelungen des Zwangsversteigerungsgesetzes niedergeschlagen. Diese Vorschriften lassen eine Bezugnahme auf die zivilrechtlichen Pfandrechtsbestimmungen weitestgehend vermissen, obwohl sich bei näherer Betrachtung erstaunliche Parallelen aufdrängen. Diese Parallelen belegen im Weiteren, dass die zivilrechtlichen Pfandrechtsbestimmungen der wirtschaftlichen Bedeutung der Grundstücksversteigerung Rechnung tragen und es keiner spezifischen Verwertungsvorschriften im Sinne des Zwangsversteigerungsgesetzes bedurft hätte. b) Die Beschlagnahme des Grundstücks Gemäß § 866 Abs. 1 und 2 ZPO stellt die Zwangsversteigerung neben der Sicherungshypothek eine eigenständige Kategorie der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück dar. Diese vermeintliche Eigenständigkeit bringt es mit sich, dass die 475 Die Regelung des § 1147 BGB belegt damit zugleich, dass eine Rechtsvereinheitlichung im Bereich der Mobiliar- und Forderungsvollstreckung gleichermaßen vorstellbar und wünschenswert erscheint.
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Regelungen zur Zwangsversteigerung nicht auf den zivilrechtlichen Vorschriften zum Grundpfandrecht aufbauen, sondern einen gesonderten Akt der Beschlagnahme voraussetzen, die sogenannte Anordnung der Versteigerung gemäß §§ 15 ff. ZVG. Voraussetzungen und Rechtsfolge dieser Beschlagnahme entsprechen jedoch inhaltlich denen der Zwangshypothek. aa) Die Parallele zur zivilrechtlichen Zwangshypothek Voraussetzung für die Beschlagnahme des Grundstücks sind neben dem Antrag gemäß §§ 15 f. ZVG das Vorliegen der allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen sowie gemäß § 17 ZVG die Voreintragung des Schuldners im Grundbuch.476 Nicht anders als bei der Eintragung der Zwangshypothek ersetzen die Vollstreckungsvoraussetzungen die fehlende freiwillige Schuldnererklärung zur Belastung des Grundstücks. Dass diese Belastung im Grundbuch gemäß § 19 ZVG als Versteigerungsvermerk bezeichnet wird477 und nicht als Sicherungshypothek ändert nichts an der Identität der tatbestandlichen Voraussetzungen. Es ist daher kaum verständlich, weshalb in dem einen Fall das Grundbuchamt für die Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen zuständig sein soll und in dem anderen das Vollstreckungsgericht. Des Weiteren erweist sich in diesem Zusammenhang die Konstruktion der sogenannten öffentlich-rechtlichen Verstrickung478 als überflüssig, sofern man nicht der Figur des Pfändungspfandrechts die Gefolgschaft versagt.479 bb) Nähe des Veräußerungsverbots zur Verfügungsbeschränkung Die Nähe zwischen der Zwangshypothek und der Anordnung der Beschlagnahme im Rahmen der Zwangsversteigerung offenbart sich auch in den vergleichbaren Rechtsfolgen. Gemäß § 23 Abs. 1 ZVG i.V.m. §§ 136, 135 BGB hat die Beschlagnahme des Grundstücks die Wirkung eines relativen Veräußerungsverbots zugunsten des betreibenden Gläubigers.480 Dabei bestimmt sich der Umfang der Beschlagnahme gemäß § 20 Abs. 2 ZVG nach den Vorschriften zum Hypothekenhaftungsverband. Diese gesetzliche Bezugnahme auf die Vorschriften zum zivilrechtlichen Grundpfandrecht unterstreicht, dass der Gesetzgeber mit der Beschlagnahme im Prinzip keinen anderen Zweck verfolgt hat, als die Wirkungen herbeizuführen, die eine freiwillige Verpfändung des Grundstücks mit sich gebracht hätte. So drückt das Veräußerungsverbot keine andere Wirkung aus als sie die Begründung einer Zwangshypothek begründen würde, nämlich die Be476
Im Einzelnen zu den Voraussetzungen Brox/Walker, Rdnrn. 853 ff. Näher zu den Aufgaben des Grundbuchamtes im Zusammenhang mit der Eintragung des Zwangsversteigerungsvermerks Hagemann, Rpfleger 1984, 397 ff. 478 Diese soll auch bei der Grundstücksbeschlagnahme eintreten, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 62 I 3 a; Baumann/Brehm, § 24 I 2 c; Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 75 III 2; Brox/Walker, Rdnr. 860, und Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (656). 479 Insofern sind die öffentlich-rechtliche und die gemischte Pfandrechtstheorie im Bereich der Immobiliarvollstreckung konsequenter als bei der Mobiliarvollstreckung, da sie die Existenz eines Pfändungspfandrechts am Grundstück leugnen. So etwa Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 62 I 3 a. 480 Näher dazu Eickmann, § 9 IV 1, und Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (656). 477
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schränkung des dinglichen Eigentums um die Komponente der dinglichen Verwertungsbefugnis. Die Möglichkeit des gutgläubigen lastenfreien Erwerbs des Grundstücks bleibt in beiden Fällen unberührt, solange die Beschränkung nicht im Grundbuch eingetragen ist.481 Die §§ 23 Abs. 2 ZVG, 135 Abs. 2 BGB verweisen für den Fall der Beschlagnahme des Grundstücks ebenfalls auf die Regelung des § 892 BGB, die im Falle der Eintragung einer Zwangshypothek direkt zur Anwendung kommt. Im Ergebnis hätte es der Gesetzgeber anstelle der Vorschriften über die Beschlagnahme des Grundstücks mit einem Verweis auf die Regelungen zur Zwangshypothek bewenden lassen können. Nicht anders als im Bereich der Forderungsvollstreckung482 erweist sich im Bereich der Immobiliarvollstreckung die gesonderte gerichtliche Anordnung eines Veräußerungsverbots an den Schuldner als überflüssig. cc) Das Befriedigungsrecht als Pendant zum Verwertungsrecht Neben dem Veräußerungsverbot bewirkt die Beschlagnahme des Grundstücks für den Gläubiger ein Befriedigungsrecht aus dem Grundstück mit dem Rang der §§ 10 Abs. 1 Nr. 5, 11 Abs. 2 ZVG.483 Dieses Befriedigungsrecht gleicht den Wirkungen einer im Zeitpunkt der Beschlagnahme eingetragenen Zwangshypothek.484 Letztere würde zwar für den Gläubiger als dingliches Recht ein Befriedigungsrecht mit dem Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG begründen. Der Gläubiger wäre dadurch jedoch nicht besser gestellt, da er infolge des Prioritätsprinzips innerhalb der vierten Rangklasse ohnehin den letzten Rang einnehmen würde, § 11 Abs. 1 ZVG. Dies entspricht demzufolge der ersten Stelle in der fünften Rangklasse, die der Gläubiger aufgrund der Priorität der Beschlagnahme einnimmt. Im Übrigen drückt das aus der Beschlagnahme herrührende „Recht auf Befriedigung“ nichts anderes aus als das aus der Zwangshypothek entstehende Verwertungsrecht des Gläubigers.485 Für sämtliche dieser Befriedigungsrechte ordnet § 10 ZVG eine der Insolvenz vergleichbare Rangordnung an. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine einfache Bezugnahme des Gesetzgebers auf die Zwangshypothek die Regelungen zur Grundstücksbeschlagnahme im Rahmen der Zwangsversteigerung entbehrlich gemacht hätte. c) Die Versteigerung des Grundstücks Die Erwerbsvorgänge im Rahmen der Zwangsversteigerung erinnern an das Verständnis der öffentlich-rechtlichen Theorie von der Versteigerung in der Mobili481
Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 62 I 3 a. S.o. § 19 IV 1. 483 Brox/Walker, Rdnr. 860, und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 62 I 3 b. 484 Eine derartige Gleichstellung wird hingegen von der allgemeinen Meinung abgelehnt, RGZ 19, 295 (298 f.); Baumann/Brehm, § 24 I 2 c; Muth, in: Dassler, § 20, Rdnr. 3; Teufel, in: Steiner, §§ 20, 21, Rdnrn. 18 f., sowie Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 62 I 3 b. 485 In der weiteren Folge ist es daher auch nur konsequent, das Befriedigungsrecht aus dem Grundstück der Kategorie der Pfandrechte gleichzustellen. So etwa Baumann/Brehm, § 24 I 2 c, und Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (657), die vorsichtig zurückhaltend von einer Ähnlichkeit bzw. Wesensverwandtschaft sprechen. 482
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arvollstreckung.486 Es muss daher nicht überraschen, dass sich an dieser Stelle aus Sicht der modernen Verwaltungsrechtslehre ähnliche dogmatische Spannungen ergeben wie im Rahmen der Mobiliarvollstreckung. aa) Die öffentlich-rechtliche Konzeption der Grundstücksversteigerung Ähnlich wie im Bereich der Mobiliarvollstreckung lässt sich aus den Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes auf eine privatrechtliche Konzeption der Erwerbsvorgänge bei der Grundstücksversteigerung schließen.487 So sprechen gute Gründe dafür, das „Gebot“ des Ersteigerers mit der h. M. als privatrechtliche Willenserklärung aufzufassen.488 Der Zuschlag kann dann als Zustimmung zu dem (An-)Gebot des Erstehers aufgefasst werden. Diese Einordnung wird insbesondere dem rechtsgeschäftlichen Erwerbswillen des Bieters gerecht.489 Gegen einen rechtsgeschäftlichen Eigentumsübergang wird hingegen das Argument von der hoheitlichen Zwangsvollstreckung ins Feld geführt.490 Daraus folgern die öffentliche und die gemischte Pfandrechtstheorie, dass sich der Eigentumserwerb originär kraft Hoheitsaktes491 und folglich unabhängig von der Gut- oder Bösgläubigkeit des Erstehers vollziehe.492 Mit dem Zuschlag verliert der bisherige Rechtsinhaber, sei es der Schuldner oder ein Dritter, unabhängig von der Bezahlung des Bargebots493 sein Eigentum.494 Auch Bereicherungsansprüche des tatsächlichen Eigentümers gegen den Ersteigerer sollen ausge-
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Die Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes über die Beschlagnahme werden bemüht, um die Rechtsfigur der Verstrickung (auch) in der Mobiliarvollstreckung zu legitimieren, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 1. 487 So ganz deutlich auch Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (662 ff.). 488 BGH NJW 1984, 1950 (1950); Baumann/Brehm, § 24 II 2 c, Fn. 28; Böttcher, § 71, Rdnr. 2; Schiffhauer, Rpfleger 1972, 341 (341); Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (662 ff.); Zeller/Stöber, § 71, Rdnr. 2.1, und Storz, in: Steiner, § 71, Rdnr. 3 m.w.N. Für eine öffentlich-rechtliche Bewertung plädieren hingegen Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 65 II 1; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 36.15; Bruns/Peters, § 34 II 2 a, und Stadlhofer-Wissinger, S. 60 ff. 489 Soweit Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 65 II 1, des Weiteren von der bloßen Mittlerrolle des Staates spricht, ist damit im Kern die Mandatstheorie angesprochen. 490 Nicht anders als im Bereich der Mobiliarvollstreckung wird diese Ansicht auch bei der Grundstücksversteigerung nicht näher begründet. Statt vieler nur Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 66 II 1: „Zweifellos ist der Zuschlag heute öffentlich-rechtlich einzuordnen und verschafft dem Ersteher die allerdings privatrechtliche Wirkung des Eigentumserwerbes nicht durch Privatrechtsgeschäft, sondern kraft hoheitlicher Tätigkeit.“ 491 RGZ 89, 77 (80); BGH JZ 1991, 309 (309), mit zustimmender Anmerkung von Schwerdtner, JZ 1991, 310 (311); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 36.24; Brox/Walker, Rdnr. 927; Schiffhauer, in: Dassler, § 90, Rdnr. 1; Gerhardt, JA 1981, 12 (16); Eickmann, in: Steiner, § 90, Rdnr. 2; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 66 II 1, und Bruns/Peters, § 35 V 1. 492 RGZ 60, 48 (54); 72, 354 (358); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 36.24; Gerhardt, JA 1981, 12 (16); Brox/Walker, Rdnr. 927; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 66 II 1, und Bruns/Peters, § 35 V 1. 493 Geißler, JuS 1990, 284 (289), und Eickmann, in: Steiner, § 90, Rdnr. 3. 494 Als einziger Ausgleich sollen dem Dritten – nicht anders als in der Mobiliarvollstreckung – Bereicherungsansprüche auf den Erlös verbleiben, so Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 66 II 1 b.
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schlossen sein.495 Daraus ergeben sich in der weiteren Folge jedoch erhebliche Bedenken, wie sie in vergleichbarer Form schon anhand von Beispielsfällen aus der Mobiliarvollstreckung geäußert worden sind. Insbesondere stellt sich das Problem, dass im Falle der Versteigerung eines schuldnerfremden Grundstücks die damit einhergehende Enteignung des Berechtigten im Falle der Bösgläubigkeit des Erstehers verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren ist. Es mangelt an einer amtswegigen Prüfung der Eigentumsverhältnisse, die bei öffentlich-rechtlicher Bewertung der Erwerbsvorgänge unverzichtbar ist. Die Terminsbestimmung, die gemäß § 37 Nr. 4, 5 ZVG die Aufforderung gegenüber Dritten enthält, etwaige der Versteigerung entgegenstehende Rechte anzumelden,496 vermag nicht die für eine bestandskräftige Enteignung erforderliche Bekanntgabe der belastenden Maßnahme gegenüber dem Betroffenen zu ersetzen. Zwar ist eine öffentliche Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 3 VwVfG bei entsprechender gesetzlicher Regelung zulässig. Es mangelt im vorliegenden Kontext aber an einer vorrangigen amtswegigen Ermittlung des Berechtigten und damit des Adressaten. Eine öffentliche Bekanntgabe und damit eine Auslösung der Rechtsbehelfsfristen ist nur dann zu rechtfertigen, wenn zumindest Gewissheit über den Adressaten der belastenden Maßnahme besteht. Dies ist im Rahmen der Zwangsversteigerung aber gerade nicht der Fall, so dass das öffentlich-rechtliche Verständnis des Zuschlags in der Versteigerung auf unüberbrückbare Wertungswidersprüche stößt. bb) Rückführung auf die zivilrechtlichen Vorschriften zur Grundstücksveräußerung Hätte der Gesetzgeber sich im Rahmen der Grundstücksbeschlagnahme enger an den Regelungen zur Zwangshypothek als maßgeblichem Pfändungspfandrecht der Immobiliarvollstreckung orientiert, so wäre er in Anlehnung an die §§ 814 ff. ZPO vermutlich zu einer zivilrechtlichen Ausformung der Versteigerungsvorschriften gelangt. Die private Pfandrechtstheorie, der der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung gefolgt ist, hätte eine solche Ausgestaltung und mithin einen Rückbezug auf die Vorschriften der §§ 873 ff. BGB nahegelegt. Parallel zu den §§ 814 ff. ZPO, 1242 ff. BGB hätte der Gesetzgeber die Versteigerung des Grundstücks als zivilrechtlichen Vorgang erklären und dem Versteigerungsorgan die Funktion eines Gläubigervertreters einräumen können. Ein solches Verständnis ist selbst nach dem derzeitigen Wortlaut der §§ 90 ff. ZVG nicht ausgeschlossen. Denn die Regelung des § 90 Abs. 1 ZVG verzichtet zwar im Gegensatz zu § 817 ZPO auf einen gesonderten Tatbestand der Ablieferung zwecks Eigentumserwerbs und ordnet mithin gleichsam einen gesetzlichen Eigentumserwerb an. Dies besagt hingegen noch nicht, dass auch der bösgläubige Erwerber geschützt 495 RGZ 76, 379 (382); 122, 61 (63 ff.); Böttcher, § 38, Rdnr. 16; Muth, in: Dassler, § 37, Rdnr. 19; Zeller/Stöber, § 37, Rdnr. 6.8; Teufel, in: Steiner, §§ 37, 38, Rdnr. 66, und Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 63 I 1. 496 Angemeldet werden kann namentlich das Eigentum am Grundstück. Der tatsächliche Eigentümer ist Anmeldungsbeteiligter im Sinne des § 9 Nr. 2 ZVG, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 61 IV 3 a. Zur verspäteten Anmeldung Riedel, JurBüro 1974, 689 (689 ff.).
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wäre.497 Den Vorschriften der §§ 90 ff. ZVG lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber von den prinzipiellen Regelungen des gutgläubigen Erwerbs hätte abweichen wollen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in den Fällen des gesetzlichen Eigentumserwerbs, man denke an das gesetzliche Pfandrecht, nicht einmal ein gutgläubiger Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten möglich ist. Es ist nicht einsichtig, weshalb ausgerechnet in dem sensiblen Bereich der Grundstücksversteigerung der bösgläubige Erwerber schutzwürdig sein sollte. An dieser Stelle ist die wirtschaftliche Bedeutung der Enteignung des wahren Berechtigten in Rechnung zu stellen. Will man umgekehrt den gutgläubigen Erwerber schützen, so lässt sich dies nur mit Hilfe der Regelung des § 892 BGB rechtfertigen, die allerdings einen rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbestand voraussetzt. Es bleibt dann keine andere Möglichkeit, als die Regelung des § 90 ZVG in gleicher Weise wie § 817 ZPO zu interpretieren und den Eigentumserwerb als „Ablieferung“, d.h. als rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb im Sinne der privaten Pfandrechtstheorie zu verstehen. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber mit dem in § 90 ZVG angesprochenen „Zuschlag“ auf die zivilrechtliche Vorschrift des § 156 BGB Bezug genommen hat.498 Vollzieht sich das Kausalgeschäft aber rechtsgeschäftlich, so ist nicht einsichtig, weshalb dies nicht auch für das dingliche Vollzugsgeschäft gelten sollte. Über die damit zur Anwendung kommende Vorschrift des § 892 BGB ist zugleich sichergestellt, dass für die Enteignung des wahren Berechtigten eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG genügt. 3. Die Zwangsverwaltung als gesetzlicher Typus der anderweitigen Verwertung Als dritte Art der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück nennt § 866 Abs. 1 ZPO die Zwangsverwaltung. Für deren Anordnung gelten gemäß § 146 Abs. 1 ZVG die Vorschriften über die Anordnung der Zwangsversteigerung weitgehend entsprechend. Es erfolgt auch hier eine Beschlagnahme des Grundstücks. Diese umfasst im Gegensatz zur Zwangsversteigerung jedoch auch die Nutzungen. Darin liegt der wesentliche Unterschied der sich anschließenden Verwertung des Grundstücks. Die Zwangsverwaltung bezweckt den Erhalt des Grundstücks in seinem wirtschaftlichen Bestand, um aus dessen Nutzungen die Gläubiger zu befriedigen.499 Es handelt sich mithin gegenüber der Zwangsversteigerung um eine andere Verwertungsart. Dabei hat sich der Gesetzgeber im Gegensatz zur Mobiliarvollstreckung nicht mit einer singulären Vorschrift im Sinne des § 825 ZPO 497 So aber im Sinne der ganz h. M. RGZ 60, 48 (54); 72, 354 (358); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 36.24; Gerhardt, JA 1981, 12 (16); Brox/Walker, Rdnr. 927, und Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 66 II 1. 498 Ebenso Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (662 ff.), der allerdings zugleich darauf hinweist, dass der Gesetzgeber die dogmatische Frage der Rechtsnatur des Zuschlags ausdrücklich der Rechtswissenschaft überlassen hat. 499 Brox/Walker, Rdnr. 1000.
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begnügt, sondern die Art der Zwangsverwaltung detailliert geregelt. Dies ändert aber nichts an der Parallele zwischen den Gesetzesmotiven. Der Gesetzgeber bezweckte jeweils, gesetzliche Gestaltungsspielräume zu eröffnen, um eine möglichst effektive Verwertung des Pfandobjekts im Einzelfall sicherzustellen.500 Was das Verhältnis von Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung anbelangt, so lässt sich die letztere Verwertungsart als das mildere Mittel der Vollstreckung kennzeichnen. Hier erweist sich das Verständnis der Vollstreckung als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren als hilfreich.501 Die staatliche Gewaltanwendung hat den Schutz des Schuldners vor einer voreiligen Zerschlagung seines Vermögens in Rechnung zu stellen. Bei gleicher Eignung hat das Vollstreckungsorgan die weniger einschneidende Vollstreckungsmaßnahme vorzunehmen. Dies entspricht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Ihm wird bei der Regelung des § 825 ZPO Rechnung getragen, indem die anderweitige Verwertung als zumeist kostenträchtigere Maßnahme eine höhere Erlöserwartung voraussetzt, auch wenn dies gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Umgekehrt ist im Rahmen des Zwangsversteigerungsgesetzes kaum einsichtig, weshalb dem Gläubiger ein freies Wahlrecht zwischen Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung eingeräumt wird.502 Soweit die Zwangsverwaltung sich im Einzelfall als gleich geeignet erweist, gebietet der Schuldnerschutz einen Erhalt des Grundstücks in seinem wirtschaftlichen Bestand und damit eine Versagung der Grundstücksversteigerung.503 Für eine Gläubigerdisposition besteht kein Raum.504 4. Ergebnis Die private Pfandrechtstheorie ermöglicht im Bereich der Immobiliarvollstreckung eine weitgehende Rechtsvereinfachung und Rückführung auf den bekannten Dualismus von Pfändung und Verwertung. So lässt sich die Zwangshypothek als Pfändungspfandrecht der Immobiliarvollstreckung verstehen und damit zugleich als Basis für die sich anschließende Verwertung durch Zwangsversteige500 Es wäre daher auch im Rahmen des § 825 ZPO durchaus vorstellbar, die Zwangsverwaltung einer beweglichen Sache anzuordnen, wenn daraus ein höherer Erlös zu erwarten wäre. 501 S.o. § 4 VI. Nimmt man im Sinne der hier befürworteten Ansicht eine Rückanknüpfung an das Grundpfandrecht als Grundlage der Zwangsversteigerung und der Zwangsverwaltung vor, so endet die Zwangsvollstreckung mit der Eintragung der Zwangshypothek. Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung sind dann – nicht anders als in der Mobiliarvollstreckung – zivilrechtliche Verwertungsvorgänge. Das dabei tätige Versteigerungs- und Verwaltungspersonal bleibt an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, so dass auf diesem Wege ebenfalls das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten bleibt. 502 Statt vieler Gerhardt, JA 1981, 12 (13), und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 61 I. 503 Bedenkenswert erscheint hingegen der eigentliche Zweck des § 866 Abs. 2 ZPO, der eine Kumulation von Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung zulässt. Der Sinn dieser Regelung liegt darin, dem Gläubiger bis zum Abschluss der Zwangsversteigerung neben dem Zugriff auf den Erlös auch den wirtschaftlichen Wert der laufenden Erträge zu verschaffen, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 61 I. An dieser Regelung gilt es im Sinne einer effektiven Zwangsvollstreckung festzuhalten. Eine vergleichbare Regelung ist auch in der Mobiliarvollstreckung zu erwägen. 504 S.o. § 8 III 3 und V 5.
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rung oder Zwangsverwaltung. Die Zwangsverwaltung ihrerseits stellt schlicht eine besondere Spielart der Grundstücksverwertung dar. Ein derartiges Verständnismodell macht lege ferenda eine gesonderte Beschlagnahme des Grundstücks entbehrlich. Durch einen einfachen Federstrich des Gesetzgebers im Sinne einer Bezugnahme auf die Regelungen zur Zwangshypothek und die zivilrechtlichen Vorschriften zum Grundpfandrecht wäre der Weg für eine weitgehende Rechtsvereinheitlichung eröffnet. Was die Erwerbsvorgänge in der Zwangsversteigerung anbelangt, so lassen sich diese aufgrund der lückenhaften Regelung des § 90 ZVG bereits de lege lata im Sinne der privaten Pfandrechtstheorie als rechtsgeschäftliche Erwerbstatbestände interpretieren. Eine derartige Auslegung räumt die dogmatischen Widersprüche aus, die sich bei öffentlich-rechtlicher Bewertung des Grundstückserwerbs kraft originär hoheitlichen Eigentumserwerbs ergeben. Eine Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie erweist sich auch in diesem Bereich als sinnvoll.505 Verbleibende Unterschiede zwischen Mobiliar-, Forderungs- und Immobiliarvollstreckung leiten sich allein aus der Eigenart des Pfandgegenstandes ab. So mag die wirtschaftliche Bedeutung des Grundstücks eine gesonderte Rangfolge bei der Befriedigung der Gläubiger im Sinne der insolvenzähnlichen Regelung des § 10 ZVG rechtfertigen. Für eine weitergehende Differenzierung fehlt es hingegen an einem sachlich begründeten Unterscheidungskriterium, so dass auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Rechtsvereinheitlichung geboten erscheint, Art. 3 Abs. 1 GG.506
III. Effektivitätserwägungen im Sinne der europäischen Nachbarn Eine Rechtsvereinheitlichung in dem zuvor angesprochenen Sinn hätte den Vorteil, dass sich die deutsche Reformdiskussion in wesentlich stärkerem Umfang den Vollstreckungsmodellen der europäischen Nachbarn stellen könnte. Mit dem Pfändungspfandrecht stünde auf breiter Front ein dogmatisch tragfähiges Lösungsmodell zur Verfügung, mit dessen Hilfe man sich den eher pragmatisch orientierten Konzepten der europäischen Nachbarn annähern könnte. Dogmatik und Praktikabilität ließen sich wechselseitig fruchtbar machen.507 Anknüpfungspunkte ergeben sich beispielsweise zur italienischen Immobiliarvollstreckung. Dort erfolgt die Ver505 In ähnlicher Weise plädiert Wacke, ZZP 1969, 377 (377 ff.), dafür, die Vorschriften der §§ 878, 892 Abs. 2 BGB nicht auf den rechtsgeschäftlichen Grundstücksverkehr zu beschränken, sondern auch dem Vollstreckungsgläubiger in der Immobiliarvollstreckung zugute kommen zu lassen. 506 Peters, in: Festschrift für Henckel, S. 655 (668), spricht demzufolge mit Recht von einer fruchtbaren und verbindenden Betrachtung der verschiedenen Geldvollstreckungsarten. 507 Erste Ansätze dazu ergeben sich aus der Neufassung des § 867 Abs. 3 ZPO, der die Duldungsklage entbehrlich macht. Dies entspricht beispielsweise dem österreichischen Exekutionsrecht. Die Zwangshypothek gibt hier nämlich bereits ohne weitere Klage ein unmittelbares Exekutionsrecht gegen den Schuldner und später erwerbende Eigentümer, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.150.
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wertung eines Grundstücks ebenfalls im Wege der Zwangsverwaltung508 oder durch Verkauf. Letzterer ist jedoch abweichend vom deutschen Lösungsmodell dreigleisig ausgestaltet. Es gibt die Möglichkeit des Verkaufs ohne Versteigerung, art. 570 ss. c.p.c., und des Verkaufs durch Versteigerung, art. 576 ss. c.p.c. Führen diese beiden Wege nicht zum gewünschten Erfolg, kann die Immobilie dem Gläubiger zum Schätzwert zugewiesen werden, art. 588 ss. c.p.c. Eine weitere überdenkenswerte Regelung zur Steigerung der Effektivität der Grundstücksversteigerung findet sich in der französischen Vollstreckungsordnung. In Frankreich hat der Grundsatz des Verschleuderungsschutzes eine besondere Ausprägung gefunden.509 Noch zehn Tage nach der Versteigerung kann ein Angebot abgegeben werden, das zu berücksichtigen ist, wenn es das letzte Angebot um mehr als zehn Prozent übersteigt („surenchère“).510
§ 21 Die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen I. Vorgaben durch die materiell-rechtlichen Anspruchsziele Nicht anders als im Bereich der Geldvollstreckung orientieren sich die weiteren Vollstreckungsarten vorrangig an den materiell-rechtlichen Vorgaben, insbesondere an den Anspruchszielen, deren Erzwingbarkeit das Vollstreckungsrecht sicherstellen soll. Im Unterschied zur Geldvollstreckung stehen hier jedoch keine materiell-rechtlichen Sicherungsmittel, vergleichbar dem Pfandrecht, zur Verfügung, an denen sich die Vollstreckung orientieren könnte. Gebräuchliche Sicherungsmittel wie Gewährleistungsbürgschaften, Vertragsstrafen usw. dienen allein der Absicherung von Schadensersatzansprüchen auf der vertraglichen Sekundärebene. Und dabei handelt es sich wiederum um Zahlungsansprüche. Für die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen bedeutet die fehlende materiell-rechtliche Vorgabe eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Vollstreckung. Diese hat sich allein an den Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts zu orientieren.511 Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip. 1. Abgabe einer Willenserklärung Die gewaltsame Erzwingung eines Anspruchs auf Abgabe einer Willenserklärung ist in natura nur durch den Einsatz von körperlicher Gewalt gegen den Schuldner 508
Diese darf gemäß art. 592 c.p.c. höchstens auf 3 Jahre angeordnet werden. Dazu Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.15. 510 Ähnliche Regelungen finden sich in Italien, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.63, und in Österreich. Dort ist ein sogenanntes „Überbot“ möglich, falls das Meistgebot drei Viertel des Schätzwertes nicht erreicht hat und um ein Viertel überboten wird, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.150. 511 S.o. § 4 VI und §§ 7 f. 509
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vorstellbar. Da dem Gläubiger jedoch nicht so sehr an der Verlautbarung durch den Schuldner als vielmehr an den damit verbundenen Rechtsfolgen gelegen ist, stellt die gesetzliche Abgabefiktion des § 894 ZPO das mildere, aber gleich geeignete Mittel der Erzwingung des Gläubigeranspruchs dar.512 Eine eigentliche Vollstreckung findet gar nicht mehr statt,513 was zu einer enormen Vereinfachung und Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens führt.514 Diese elegante Lösung hat sich auch in anderen Ländern bewährt515 und dürfte unumstritten sein. 2. Die Herausgabevollstreckung Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung durch körperliche Gewaltanwendung stellt sich erstmals im Bereich der Herausgabevollstreckung.516 Die Erzwingung eines auf die Herausgabe einer Sache gerichteten Anspruchs bedingt die Anwendung körperlicher Gewalt gegen den Schuldner. Deren Zulässigkeit wird – soweit ersichtlich – in keiner europäischen Rechtsordnung in Frage gestellt.517 Schließlich richtet sich die Gewalt vordergründig allein gegen das Vermögen des Schuldners und nicht gegen dessen Person. Eine diesbezügliche Gewaltanwendung wird in der Regel erst bei Widerstandshandlungen gegen die Wegnahme erforderlich. In diesem Fall ist der Schuldner jedoch nicht mehr schutzwürdig. Ein anderes des Öfteren angesprochenes Problem ist die Frage, ob der Schuldner für den Schutz seines Existenzminimums im Rahmen der Herausgabevollstreckung Beachtung beanspruchen kann. Erörtert wird dieses Problem insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach der Anwendbarkeit des § 811 ZPO bei der Herausgabevollstreckung. Mit Recht wird eine solche Anwendung jedoch verneint.518 Das systematische Argument verfängt dabei unter folgendem Aspekt: Der Gegenstand der Herausgabevollstreckung steht im Falle des bloßen Besitzverschaffungsanspruchs überhaupt nicht im Eigentum des Schuldners, 512 Ausführlich dazu Dilcher, ZZP 1954, 210 (210 ff.). Quasi einen Spezialfall der Abgabefiktion des § 894 ZPO stellt in der Geldvollstreckung die Verpfändungserklärung des Schuldners dar, die ebenfalls bei Vorlage der Vollstreckungsvoraussetzungen fingiert wird. 513 Dies ändert jedoch nichts an der Rechtsnatur des zugrunde liegenden Leistungsurteils, das sich nicht etwa durch den Verzicht auf gewaltsame Vollstreckungsmaßnahmen in ein Gestaltungsurteil umwandelt, Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 72. 514 So auch Dilcher, ZZP 1954, 210 (210). 515 In Frankreich wird diese Lösung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung angenommen, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.27. 516 Näher zu den Problemen der Herausgabevollstreckung Schilken, DGVZ 1988, 49 (49 ff.). 517 S. dazu nur die Nachweise bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.21 f., 59.50, 59.66 und 59.96 zum französischen, englischen, italienischen und spanischen Vollstreckungssystem. 518 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 70 II 1; Brox/Walker, Rdnr. 1055; Gerhardt, JuS 1972, 696 (697 f.); Walker, in: Schuschke/Walker, § 883, Rdnr. 11, und Brehm, in: Stein/Jonas, § 883, Rdnr. 17. Anders zu bewerten ist die Frage hingegen im Rahmen der Herausgabe von Grundstücken, bei der gemäß § 885 Abs. 2 ZPO die beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, vom Gerichtsvollzieher zu entfernen sind. Ausführlich dazu Christmann, DGVZ 1986, 177 (178 f.).
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weshalb dessen Vermögen nicht berührt wird.519 Anders verhält es sich bei der Geldvollstreckung, bei der nur der Zugriff auf die im Eigentum des Schuldners stehenden Vermögensgegenstände zulässig ist. Erfolgt die Herausgabevollstreckung hingegen im Rahmen eines Übereignungsanspruchs, so hat der Gedanke des Pfändungsschutzes im Rahmen der Übereignungserklärung anzusetzen. Hat sich der Schuldner aber zur Übereignung des konkreten Gegenstandes verpflichtet, so begibt er sich der Schutzbedürftigkeit. 3. Die Vollstreckung vertretbarer Handlungen Bei den Ansprüchen auf Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung findet sich für den Bereich der vertretbaren Handlungen die Regelung des § 887 ZPO. Danach ist der Gläubiger auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges „zu ermächtigen“, auf Kosten des Schuldners die Handlung vorzunehmen. Der Gläubiger kann gemäß § 887 Abs. 2 ZPO zugleich beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu „verurteilen“. Diese Formulierung wird mitunter als missglückt bezeichnet,520 da das Prozessgericht durch Beschluss entscheidet und nicht durch Urteil.521 Es soll nach allgemeiner Meinung als Vollstreckungsorgan tätig werden und nicht als erkennendes Gericht.522 Die funktionelle Zuständigkeit wird dabei aus der Sachnähe zum Vollstreckungstitel abgeleitet.523 a) Rückführung der vollstreckungsrechtlichen auf die zivilrechtliche Ersatzvornahme Das Institut der „vollstreckungsrechtlichen Ersatzvornahme“ weckt Erinnerungen an das aus dem Werkvertragsrecht bekannte Recht zur Ersatzvornahme gemäß § 633 Abs. 3 BGB a.F., das auch nach der Schuldrechtsreform mit der Regelung des § 637 BGB Bestand behalten hat.524 Danach kann der Besteller den Mangel an der Werkleistung selbst beseitigen, sofern sich der Unternehmer mit der Beseitigung im Verzug befindet. Nicht anders lesen sich für diesen Fall die Voraussetzungen des § 887 Abs. 1 ZPO. So erklärt sich, dass die Nachbesserung einer Werkleistung den Hauptanwendungsfall dieser Vollstreckungsart darstellt.525 Ähnliches gilt für den primären Erfüllungsanspruch auf Erstellung der Werkleistung. Hier ist der Besteller bei Verzug des Unternehmers ebenfalls berechtigt, unter Fristsetzung von der Vertragserfüllung Abstand zu nehmen, die Arbeiten 519
So auch Brox/Walker, Rdnr. 1055. Storz, in: Wiezcorek/Schütze, § 887, Rdnr. 57. 521 Die Möglichkeit dazu eröffnet die Vorschrift des § 891 S. 1 ZPO, nach der die mündliche Verhandlung fakultativ erfolgen kann; Brox/Walker, Rdnr. 1074. 522 So die allgemeine Meinung. Statt vieler nur Brox/Walker, Rdnr. 1071. 523 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 II. 524 Geändert hat sich nur die Terminologie. § 637 BGB spricht von dem Recht der Selbstvornahme, was hier aber ohne Belang ist. 525 Ebenso in seiner Einschätzung auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 I 1. 520
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anderweitig durchführen zu lassen und die dadurch entstehenden Kosten vom Unternehmer als Schaden ersetzt zu verlangen, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB. b) Entbehrlichkeit des § 887 Abs. 1 ZPO Angesichts der vorangegangenen Überlegungen stellt sich die Frage, wozu es der Regelung des § 887 Abs. 1 ZPO überhaupt noch bedarf, wenn der Gläubiger bereits nach geltendem Zivilrecht zur Ersatzvornahme berechtigt ist. Von einer hoheitlichen „Ermächtigung“ des Gläubigers zur Ersatzvornahme kann insoweit keine Rede mehr sein. Es handelt sich nicht um die Geltendmachung des staatlichen Gewaltmonopols, sondern schlicht um die Geltendmachung einer zivilrechtlichen Rechtsposition, zu deren Umsetzung es gerade keiner staatlichen Gewaltanwendung bedarf.526 Deren Anwendung bleibt dem Schuldner dadurch erspart, dass die Erfüllung der vertretbaren Handlung von einem Dritten wahrgenommen wird. Bedeutung könnte die Regelung des § 887 Abs. 1 ZPO demnach nur in solchen Fällen entfalten, in denen dem Gläubiger nach materiellem Recht kein Recht zur Ersatzvornahme zusteht. Solche Fälle sind jedoch nicht ersichtlich. Zudem würde sich das Vollstreckungsrecht in Widerspruch zum materiellen Recht begeben, zu dessen Durchsetzung es allein dient. Besteht nach materiellem Recht kein Anspruch auf Ersatzvornahme, so ist das Vollstreckungsrecht nicht dazu angetan, diesen Zustand zu ändern. Es würde dann dem Gesetzgeber obliegen, die Wertungen des materiellen Zivilrechts de lege ferenda zu ändern.527 c) Der zivilrechtliche Anspruch auf Kostenvorschuss Die eigentliche wirtschaftliche Bedeutung des § 887 ZPO liegt in der im Absatz 2 vorgesehenen Möglichkeit, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu „verurteilen“. Erst diese Möglichkeit macht die vorangehende Klage auf die Vornahme der vertretbaren Handlung interessant. Dem Gläubiger wird nämlich angesichts der Leistungsverweigerung durch den Schuldner an dessen Erfüllung weniger liegen als an seiner Einstandspflicht für die Kosten der Ersatzvornahme. In diesem Bereich schien das materielle Zivilrecht, insbesondere die Vorschrift des § 633 Abs. 3 BGB a.F., bislang nur die zeitliche Abfolge von Mangelbeseitigung und anschließendem Aufwendungsersatz zu kennen. Der Gläubiger war danach zur Vorfinanzierung verpflichtet. Nach Beseitigung der Mängel und einem etwaigen Beweissicherungsverfahren hatte der Gläubiger den Schuldner im Wege der Zah526 Wesentlich zurückhaltender äußert sich Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 I 1, der lediglich von einer Parallele spricht: „Die prozessuale Situation entspricht damit übrigens in etwa derjenigen des materiellen Rechts, nach dem der Gläubiger i.d.R. bei Nichterfüllung der Handlungspflicht die Möglichkeit hat, diese unter bestimmten Voraussetzungen durch einen Dritten vornehmen zu lassen und die (Mehr-) Kosten z.B. als Schadensersatz gegenüber dem Schuldner geltend zu machen.“ Ähnlich schon Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 91 Vor I. 527 Diesem Gedanken entspricht das im ersten Teil angesprochene Prinzip, nach dem sich materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen und deren Vollstreckbarkeit wechselseitig bedingen, s.o. § 2 I.
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lungsklage auf Aufwendungsersatz in Anspruch zu nehmen. Standen ihm die finanziellen Mittel hingegen nicht zur Verfügung, so blieb ihm nur der Weg über die Regelung des § 887 Abs. 2 ZPO, der die Geltendmachung eines Kostenvorschusses ermöglicht. Damit schien dann aber genau der zuvor kritisierte Zustand eingetreten zu sein, dass das Vollstreckungsrecht dem Gläubiger Rechte gewährte, die über das hinausgingen, was ihm nach materiellem Recht zustand. An dieser Stelle gewinnt eine Entwicklung in der Rechtsprechung Bedeutung, die dem Gläubiger entgegen dem Wortlaut des § 633 Abs. 3 BGB a.F. einen Anspruch auf Vorschuss der für die Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten zusprach.528 Seinen Schlusspunkt hat diese Rechtsprechung in der Schuldrechtsreform gefunden. Gemäß § 637 Abs. 3 BGB ist der Besteller nunmehr de lege lata berechtigt, von dem Unternehmer Vorschuss für die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Interessanterweise stützt sich diese Gesetzesreform und die ihr vorangehende Rechtsprechung auf dieselben Erwägungen, die den Gesetzgeber zu der Regelung des § 887 Abs. 2 ZPO bewogen haben, ohne dass diese Norm jedoch genannt würde. Da der Unternehmer auf eigene Kosten zur Mangelbeseitigung verpflichtet ist, ist dem Gläubiger eine Vorfinanzierung der Ersatzvornahme nicht zuzumuten.529 Im Ergebnis hat der Gesetzgeber damit der zuvor geäußerten Kritik Rechnung getragen. Die Frage des Kostenvorschusses ist eine solche des materiellen Rechts und nicht des Vollstreckungsrechts. Es geht im Kern nicht um die staatlich erzwungene Vornahme der vertretbaren Handlung, sondern um die staatlich erzwungene Erfüllung des Anspruchs auf den Kostenvorschuss. Dies wiederum setzt einen entsprechenden Zahlungstitel voraus. Es handelt sich dabei um den Beschluss gemäß § 887 Abs. 2 ZPO. Sein Erlass stellt demzufolge keine Vollstreckungsmaßnahme des Prozessgerichts dar, sondern vielmehr den Abschluss eines ordentlichen Erkenntnisverfahrens. Dass § 891 S. 1 ZPO diesbezüglich die mündliche Verhandlung zur Disposition des Gerichts stellt, mag dadurch zu rechtfertigen sein, dass das Gericht in seiner Entscheidung an die Rechtskraft des zuvor ergangenen Titels zur Vornahme der vertretbaren Handlung gebunden ist. Es hat in der weiteren Folge lediglich die noch fehlende Voraussetzung für den Anspruch auf Kostenvorschuss zu prüfen, nämlich den Verzug des Schuldners. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass Gegenstand der Prüfung die Feststellung eines materiell-rechtlichen Anspruchs ist. An dieser Stelle ermöglicht die Schuldrechtsreform eine Harmonisierung der vollstreckungsrechtlichen Bestimmung des § 887 Abs. 2 ZPO mit dem materiellen Zivilrecht. Zugleich wird deutlich, dass der in § 887 Abs. 2 ZPO verwendete Begriff der „Verurteilung“ durchaus seine Berechtigung hat, indem er nämlich den eigentlichen Charakter der Tätigkeit des Prozessgerichts zum Ausdruck bringt. Dieses wird nicht als Vollstreckungsorgan,530 528
BGHZ 110, 205 (207). BGHZ 110, 205 (207 f.), spricht von einer an § 242 BGB orientierten Billigkeitserwägung. 530 So aber die allgemeine Meinung. Statt vieler nur Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 II. 529
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sondern als erkennendes Gericht tätig.531 Die Vollstreckung setzt erst mit der gewaltsamen Durchsetzung des in dem Beschluss titulierten Geldbetrages ein und entspricht insoweit der allgemeinen Geldvollstreckung. Zuständiges Vollstreckungsorgan ist in beiden Fällen der Gerichtsvollzieher.532 d) Verbleibender Regelungsgehalt des § 887 ZPO Gemäß § 637 Abs. 3 BGB kann der Gläubiger den Schuldner unmittelbar auf Zahlung des für die Mangelbeseitigung erforderlichen Geldbetrages in Anspruch nehmen. Es bedarf dazu keiner vorangehenden Klage auf Erfüllung der Leistungspflicht (mehr). Die Frage der Verantwortlichkeit zur Mangelbeseitigung stellt in der weiteren Folge lediglich eine der im Rahmen der Zahlungsklage zu prüfenden Voraussetzungen für den Anspruch auf Kostenvorschuss dar. Die Regelung des § 887 ZPO wird folglich gänzlich überflüssig, so dass sich die Frage nach ihrer eigentlichen Existenzberechtigung stellt. Der verbleibende Regelungsgehalt des § 887 ZPO ist ein negativer. Die vorangehenden Überlegungen veranschaulichen, dass die Regelung des § 887 ZPO zur Ersatzvornahme und zum Kostenvorschuss den Gläubiger nicht etwa privilegiert, sondern ihm eine solche Privilegierung lediglich vorgaukelt. Es entsteht der Eindruck, als ob es sich bei der „Ermächtigung“ zur Ersatzvornahme und der „Verurteilung“ zum Kostenvorschuss um besondere Vollstreckungsmaßnahmen handeln würde. Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht um staatliche Vollstreckungsmaßnahmen, sondern um zivilrechtliche Ansprüche des Gläubigers. Die vermeintliche Gewähr der dem Gläubiger ohnehin zustehenden Ansprüche versperrt den Blick dafür, dass dem Gläubiger nicht zusätzliche Rechte eingeräumt, sondern vielmehr Rechte abgesprochen werden. Dem Gläubiger eines Anspruchs auf Vornahme einer vertretbaren Handlung wird das Recht abgesprochen, die Erfüllung des Anspruchs durch staatliche Gewaltmittel erzwingen zu 531 Nur so ist auch zu erklären, weshalb die allgemeine Meinung davon ausgeht, der Schuldner könne im Verfahren nach §§ 887, 888 ZPO materielle Einwendungen geltend machen. Das gedankliche Spagat, dem sich die allgemeine Meinung hier ausgesetzt sieht, klingt besonders deutlich bei Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 II, an: „Die hier im übrigen zugelassene Überprüfung im Vollstreckungsverfahren widerspricht weder der Entstehungsgeschichte noch der Gesetzessystematik, da das Prozeßgericht im Rahmen der §§ 887 ff. aufgrund ,fortgesetzter Beurteilung des Haupt-Rechtsstreits‘ entscheiden soll.“ 532 Bei der Vollstreckung unvertretbarer Handlungen sowie von Duldungs- und Unterlassungsansprüchen wäre in der weiteren Folge zu überlegen, bereits die Androhung und Festsetzung der Zwangs- bzw. Ordnungsmittel dem Gerichtsvollzieher als zuständigem Vollstreckungsorgan zu überantworten. Denn hier geht es nicht um einen an das materielle Recht anknüpfenden Erkenntnisakt, sondern um die Vollstreckung des bereits titulierten Anspruchs. Eine derartige Kompetenzverlagerung hätte den großen Vorteil, dass Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem Prozessgericht und dem Gerichtsvollzieher (dazu ausführlich Brackhahn, DGVZ 1992, 145 (145 ff.)) vermieden werden könnten. Dafür spricht auch der Umstand, dass der Verwaltungsvollstreckung eine Beteiligung des Prozessgerichts ebenfalls fremd ist. Der gerichtlichen Beteiligung bedarf es mit Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben allein bei der Anordnung von Zwangsbzw. Ordnungshaft, die aber in der Praxis ohnehin den absoluten Ausnahmefall bilden. Ausführlich zu derartigen Überlegungen noch unter § 23 II 1 b.
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können. Der Gläubiger wird auf die ihm zivilrechtlich zustehende Möglichkeit zur Selbstvornahme verwiesen. Diese Beschränkung des § 887 ZPO wird erst bei Lektüre des § 888 ZPO vollends deutlich. Denn diese Regelung nimmt die Ansprüche auf die Vornahme vertretbarer Handlungen von der eigentlichen Vollstreckung, nämlich der Anordnung von Zwangsgeld und Zwangshaft, ausdrücklich aus. Im Kern ist § 887 ZPO daher als Ausnahmeregelung zu § 888 ZPO wie folgt zu lesen: „Kann eine Handlung durch einen Dritten vorgenommen werden, so ist eine Vollstreckung gemäß § 888 ZPO ausgeschlossen. Davon unberührt bleiben die zivilrechtlichen Ansprüche des Gläubigers, insbesondere das Recht zur Selbstvornahme und zum Kostenvorschuss.“ Zugleich entpuppt sich das eigentliche Prinzip, das in der Regelung des § 887 ZPO zum Tragen kommt. Es handelt sich um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Da es um die Vornahme einer vertretbaren Handlung geht, hat der Gläubiger kein Interesse an der Erfüllung durch den Schuldner in Person. Im Gegenteil muss der Gläubiger aufgrund dessen Leistungsverweigerung befürchten, dass der Schuldner die Handlung nur unzureichend durchführen wird. Die kostenpflichtige Ersatzvornahme stellt daher ein zumindest gleich geeignetes Mittel der Herbeiführung des geschuldeten Erfolges dar. Dass dieses Mittel zudem weitaus weniger einschneidende Auswirkungen als die Androhung von Zwangsgeld und Zwangshaft hat, leuchtet unmittelbar ein. Dies kommt nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck, dass es sich um ein zivilrechtlich verankertes Mittel der Erfolgsbewirkung handelt, das mithin keine staatliche Gewaltanwendung voraussetzt. Und so findet die Regelung des § 887 ZPO durchaus ihre Existenzberechtigung. Sie macht – nicht anders als die Regelung des § 894 ZPO – eine Vollstreckung gänzlich entbehrlich. Wünschenswert wäre es nur, wenn der Gesetzgeber diese Konsequenz offen aussprechen würde, anstatt den Gläubiger mit einer „hoheitlichen Ermächtigung zur Ersatzvornahme“ zu vertrösten. 4. Die Vollstreckung wegen persönlicher Ansprüche Eine körperliche Gewaltanwendung gegen die Person des Schuldners lässt sich bei vertretbaren Handlungen vermeiden, indem man auf die zivilrechtliche Konstruktion der Ersatzvornahme zurückgreift. Ähnlich ermöglicht die gesetzliche Fiktion des § 894 ZPO im Rahmen der Vollstreckung von Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung jeglichen Verzicht auf den Einsatz staatlicher Gewaltmittel. Im Bereich der Herausgabevollstreckung ist eine Gewaltanwendung hingegen unverzichtbar. Da sich diese Gewalt jedoch nur gegen das Vermögen des Schuldners richtet, stellt sich im Bereich der Vollstreckung sonstiger Ansprüche auf Handlung, Duldung oder Unterlassung erstmals das Problem, ob die Vollstreckung auch den Einsatz staatlicher Gewalt gegen die Person des Schuldners legitimiert. Denn in diesem Sektor der Zwangsvollstreckung lässt sich der geschuldete Erfolg nur unter Mitwirkung des Schuldners erzielen. Das setzt eine gewaltsame Beugung seines Willens voraus. Zur Lösung dieses Problems beste-
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hen durchaus unterschiedliche Lösungsmodelle in den europäischen Vollstreckungsordnungen, auf die nachfolgend einzugehen ist.
II. Denkbare Lösungen bei der Zwangsvollstreckung wegen persönlicher Ansprüche Wie so häufig gibt es auch im Bereich der Vollstreckung persönlicher Ansprüche drei denkbare Lösungsmöglichkeiten.533 Eine extreme Position nimmt dabei die italienische Vollstreckung ein, die die Gewaltanwendung zur Erzwingung persönlicher Ansprüche untersagt. 1. Beschränkung auf Schadensersatzansprüche in Italien Dem italienischen Recht ist die Vollstreckung persönlicher Ansprüche fremd.534 Es gibt in Italien keine Zwangs- oder Ordnungsmittel zur Erzwingung von unvertretbaren Handlungen oder Unterlassungen.535 Die Vollstreckung außerhalb der Zahlungsansprüche beschränkt sich auf Herausgabe- und Freigabeansprüche, art. 605 ss. c.p.c., sowie die Vollstreckung zur Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen, art. 612 ss. c.p.c. Dabei stellt die Vorschrift des art. 612 c.p.c. durch ihre Bezugnahme auf art. 2931 und art. 2933 c.c. klar, dass nur die Ansprüche auf vertretbare Handlungen sowie die Ansprüche auf Beseitigung der durch die Nichtbefolgung eines Unterlassungsgebots eingetretenen Störungen im Wege der Ersatzvornahme vollstreckbar sind. Hinsichtlich der Durchsetzung von Ansprüchen auf nicht vertretbare Handlungen und Unterlassungen bleibt dem Gläubiger nur der Weg, Schadensersatz geltend zu machen. Es besteht keine Möglichkeit, den Willen des Schuldners durch die Androhung und Festsetzung von Zwangs- bzw. Ordnungsmitteln zu beugen. Die Italiener verzichten damit auf eine Vollstreckung persönlicher Ansprüche, zumal sie auch das französische Institut der astreinte nicht kennen.536 Dieser Verzicht dürfte letztlich auf den Einfluss des römischen Rechts zurückzuführen sein.537 Dort galt der Grundsatz „nemo potest praecise cogi ad factum“. Er beansprucht in Italien heute noch Gültigkeit. Dieses Land repräsentiert ein System, in dem die Verurteilung zu einer Unterlassung möglich ist, ohne dass aber ein Zwangsmittel zur Durchsetzung eines solchen Titels zur Verfügung stünde.538 Liegen Störungen oder Belästigungen vor, so bleibt dem Eigentümer gemäß art. 9492 c.c. nur die Möglichkeit, die Verurteilung des Schuldners zum Ersatz des Schadens herbeizuführen. 533
Ausführlich zu dieser Thematik aus rechtsvergleichender Sicht Gärtner, S. 24 ff. Gärtner, S. 134 f. Ähnlich zurückhaltend auch die englische, die spanische und die französische Vollstreckungsordnung, Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.24, 59.51, 59.82. Zu letzterer und den Besonderheiten der astreinte noch näher unter III 1. 535 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.66. 536 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.66. 537 So schon Gärtner, S. 134. 538 Gärtner, S. 135. 534
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2. Bedenken gegen die Versagung der Vollstreckung Für das italienische Vollstreckungsrechtsmodell sprechen auf den ersten Blick dieselben prinzipiellen Überlegungen, die anhand des Modells zur Erwirkung von vertretbaren Handlungen angestellt worden sind. Die Beschränkung auf zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, zu deren Geltendmachung der Gläubiger im Falle der Leistungsverweigerung des Schuldners gezwungen ist, stellt zweifellos das weniger einschneidende Mittel gegenüber der staatlichen Gewaltanwendung dar. Indes gleicht dies einem Offenbarungseid. Denn in der weiteren Konsequenz besteht im Bereich der persönlichen Ansprüche keine Vollstreckungsmöglichkeit. Die Schadensersatzansprüche, auf die die italienische Vollstreckungsordnung den Gläubiger verweist, bewirken lediglich eine ersatzweise Befriedigung des Gläubigers. Ihnen fehlt jegliche Eignung zur Anspruchserfüllung, so dass unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kein anderes, gleich geeignetes Mittel zur Realisierung des Gläubigeranspruchs zur Verfügung steht als die staatliche Gewaltanwendung. Man müsste ihr daher die Angemessenheit absprechen, wollte man das italienische Vollstreckungsmodell aus öffentlich-rechtlicher Sicht rechtfertigen. Dies leitet zu der Frage über, welche staatlichen Zwangsmittel denkbar sind, um die Erfüllung persönlicher Ansprüche gewaltsam zu erzwingen. 3. Der mittelbare Zwang als Königsweg Als extreme Gegenposition zum italienischen Vollstreckungsmodell wäre die Anwendung unmittelbarer körperlicher Gewalt gegen den Schuldner zur Erzwingung persönlicher Ansprüche des Gläubigers denkbar. Insoweit dürfte aber Einigkeit bestehen, dass eine solch archaische Form der Vollstreckung der Vergangenheit angehört.539 Aus verfassungsrechtlicher Sicht stünde eine derartige Gewaltanwendung außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck. Die Durchsetzung des vermögenswerten Anspruchs rechtfertigt nicht einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Schuldners. Damit bleibt als Königsweg nur die weniger einschneidende Anwendung mittelbaren Zwangs, indem in irgendeiner Form auf das Vermögen des Schuldners oder im Falle des Scheiterns auch auf die körperliche Bewegungsfreiheit des Schuldners eingewirkt wird. In diesem Bereich ist das Vermögensinteresse des Gläubigers höher zu bewerten als dasjenige des Schuldners. Angesichts der unberechtigten Leistungsverweigerung des Schuldners ist nicht einzusehen, weshalb dieser auch insoweit noch schutzbedürftig sein sollte. Spricht die materielle Rechtsordnung dem Gläubiger persönliche Ansprüche zu, so muss sie auch entsprechende staatliche Zwangsmittel zu ihrer Realisierung bereithalten.540 Diese prinzipielle Deckungsgleichheit von ma539 Nehlsen-von Stryk, AcP 1993, 528 (530), bezeichnet selbst das Vollstreckungsinstrumentarium der §§ 887 ff. ZPO noch als „recht martialisch anmutendes Maßnahmensortiment“. 540 Ähnlich in seiner Bewertung auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 70: „Immerhin ist es zwar nicht selbstverständlich, aber doch grundsätzlich interessengerecht, daß das Verfahrensrecht auch eine unmittelbare Durchsetzbarkeit solcher Individualansprüche vorsieht.“
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teriellem Recht und Vollstreckungsrecht,541 die letztlich auch den Gesetzgeber der Zivilprozessordnung zu den Vorschriften der §§ 887 ff. ZPO veranlasst hat,542 vernachlässigt die italienische Vollstreckungsordnung.543
III. Die Ausgestaltung des mittelbaren Zwangs Bei der Ausgestaltung des mittelbaren Zwangs sind im Rahmen der europäischen Vollstreckungsmodelle drei Stoßrichtungen auszumachen. Sie decken sich mit den drei Rechtsgebieten, in die sich die meisten Rechtsordnungen unterteilen. So gibt es bei der gesetzlichen Ausgestaltung des mittelbaren Zwangs eine zivilrechtliche, eine strafrechtliche und eine öffentlich-rechtliche Ausprägung. 1. Die französische astreinte: Ausprägung einer „Privatstrafe“ Ähnlich wie in Italien verbietet in Frankreich das bürgerliche Recht mit Art. 1142 CC die zwangsweise Durchsetzung von Handlungs- und Unterlassungsansprüchen ohne Einschränkung.544 Dem Gläubiger bleibt allein die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Im Widerspruch zu dieser Regelung und in Abkehr von dem römischrechtlichen Grundsatz „nemo potest praecise cogi ad factum“ hat sich in Frankreich jedoch das Institut der astreinte entwickelt.545 Dieses spiegelt das Bedürfnis des Rechtsverkehrs nach staatlichen Vollstreckungsregelungen im Bereich der persönlichen Ansprüche wider. Dabei handelt es sich um ein heutzutage allgemein anerkanntes Rechtsinstitut des französischen Zivilprozessrechts.546
541 Gesetzlich verankert ist dieses bereits im ersten Teil angesprochene Prinzip (s.o. § 2 I) mit umgekehrtem Vorzeichen in § 893 ZPO, der dem Gläubiger ausdrücklich das Recht belässt, anstellte der Naturalvollstreckung vom Schuldner die Leistung des Interesses zu verlangen. So auch schon Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 70. 542 Ausführlich dazu Nehlsen-von Stryk, AcP 1993, 529 (530 ff.). 543 Mit ihr auch die englische Vollstreckungsordnung sowie das französische Vollstreckungsrecht, das allerdings die Besonderheit der astreinte aufweist (dazu sogleich unter III 1). Bruns/Peters, § 42 IV, gelangen daher zu der Feststellung, dass sich der deutsche Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts in Gegensatz zu der überwiegenden Rechtsauffassung gesetzt hat, dass die Geldverurteilung die angemessene Regelung eines Leistungsstreits sei. Ebenso in ihrer Bewertung auch Nehlsen-von Stryk, AcP 1993, 528 (528): „Und doch ist das Prinzip der Naturalvollstreckung so natürlich nicht.“ 544 Darauf weist mit Nachdruck auch Nehlsen-von Stryk, AcP 1993, 528 (528), hin. 545 S. dazu nur die instruktiven Hinweise bei Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.24 ff. Weitergehend Traichel, S. 60 ff. 546 Während das Rechtsinstitut der astreinte dem deutschen Recht völlig fremd ist, hat es in den Rechtsordnungen der BeNeLux-Länder durch das am 26. November 1973 unterzeichnete Einheitsgesetz über Zwangsgelder ebenfalls Eingang gefunden. Die Regelungen sind weistestgehend inhaltsgleich mit denen der französischen Vollstreckungsordnung, so dass im Folgenden lediglich auf vereinzelte Besonderheiten eingegangen wird. Ausführlicher dazu Gärtner, S. 51 ff.
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a) Entwicklungsgeschichte Bei der astreinte handelt es sich um ein zunächst richterrechtlich entwickeltes Rechtsinstitut, das erstmalig 1972 gesetzlich normiert wurde.547 Die astreinte stellt eine vom Gericht angeordnete Geldstrafe für den Fall dar, dass der Schuldner dem Urteilsspruch nicht nachkommt. Sie gilt nach der gesetzlichen Systematik, insbesondere der neueren Gesetzesreform, als allgemeines Mittel zur zwangsweisen Durchsetzung im Bereich sämtlicher Vollstreckungsarten. Da im Bereich der Geldvollstreckung die Beschlagnahme jedoch Vorrang hat, konzentriert sich ihr Anwendungsbereich im Wesentlichen auf die Durchsetzung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen. Damit steht die astreinte im Spannungsfeld zu der bereits angesprochenen Regelung des art. 1142 c.c., die eine Vollstreckung an sich ausschließt. Die Vorschrift wird daher einschränkend dahingehend ausgelegt, dass sie lediglich die körperliche Gewaltanwendung bei der Durchsetzung von Handlungs- und Unterlassungsansprüchen verbietet. Die Vollstreckung gegen die Person ist verboten, gegen das Vermögen jedoch zugelassen. b) Arten der astreinte und Verfahrensablauf Die astreinte unterteilt sich in zwei Regelungstypen, die astreinte provisoire und die astreinte définitive.548 Erstere vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst wird ein Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung angedroht. Es handelt sich um ein staatliches Beugemittel. Dabei wird eine in Tagen bemessene, vom Schuldner zu zahlende Summe ausgesprochen. Verbindlich festgesetzt wird die astreinte erst in einem zweiten Schritt, im Wege der liquidation.549 Als provisorisch wird die erste Spielart der astreinte deshalb bezeichnet, weil der Richter im Rahmen der liquidation nicht an die ursprüngliche Androhung gebunden ist. Die Höhe der astreinte steht in seinem freien Ermessen. Der Richter hat dabei jedoch den Grad des Verschuldens des Schuldners zu berücksichtigen. Es kommt maßgeblich auf dessen Verhalten und die Schwierigkeiten bei der Erfüllung an. Diese bei der Bemessung der astreinte zu beachtenden Kriterien hat der Reformgesetzgeber erstmals in der Vorschrift des L.Art. 36 festgehalten. Danach kann der Vollstreckungsrichter die astreinte auch gänzlich aufheben, wenn die Nichtausführung der Verpflichtung auf einem außerhalb der Sphäre des Schuldners liegenden Umstand beruht. Der wesentliche Unterschied der astreinte définitive zu der astreinte provisoire liegt darin, dass erstere – wie der Name schon sagt – unabänderlich festgesetzt wird. Das richterliche Ermessen ist also in die vorläufige Phase der Androhung vorverlagert. Damit verbunden ist eine gesteigerte Gefahr der Willkür, weshalb 547 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.24. Gegenstand der neueren Reform der französischen Zwangsvollstreckung waren einige weitere, gesetzlich bisher nicht geregelte Streitfragen, L.Art. 33–37, D.Art. 51–53. Näher dazu Traichel, S. 61 ff. 548 Traichel, S. 61. 549 Dies ergibt sich aus Art. 7 des Gesetzes vom 5. Juli 1972.
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die Existenzberechtigung der astreinte définitive schon frühzeitig in Frage gestellt wurde.550 Im Rahmen der neueren Gesetzesreform ist dem insofern Rechnung getragen worden, als die astreinte définitive nunmehr nur nach Verhängung einer vorherigen astreinte provisoire und nur für einen festgelegten Zeitraum ausgesprochen werden darf, L.Art. 34 III. Damit soll die frühere Willkür im Umgang mit der astreinte vermieden werden.551 In ihrer provisorischen Phase setzt die astreinte einen erfüllbaren und zumutbaren Anspruch des Gläubigers voraus.552 Sie ist quasi akzessorisch und von einer Hauptverurteilung abhängig, die durch ein zweitinstanzliches Urteil nicht aufgehoben werden darf. Mit der liquidation wechselt die astreinte ihren eigentlichen Charakter.553 Sie wird nunmehr zu einer gewöhnlichen, d.h. verzinslichen und aufrechenbaren Geldforderung gegen den Schuldner, D.Art. 53, L.Art. 37, fällig ab Vollstreckbarkeit der zugrunde liegenden Entscheidung, D.Art 51, und bedingt durch die Nichterfüllung des titulierten Anspruchs. Die liquidation hat, was die astreinte définitive anbelangt, nur noch symbolischen Charakter, da die zu zahlende Strafe bereits unveränderlich beziffert ist. Hingegen ist im Bereich der astreinte provisoire noch eine Anpassung möglich.554 Die eigentliche Besonderheit der astreinte gegenüber dem Zwangsgeld nach der deutschen Zivilprozessordnung liegt darin, dass die Geldzahlung nicht dem Staat, sondern dem Gläubiger zufließt. Dies ist für die Franzosen derart selbstverständlich, dass sie es nicht einmal für nötig befunden haben, diesbezüglich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu treffen.555 c) Zur Rechtsnatur der astreinte Die Rechtsnatur der astreinte ist auch in Frankreich nach wie vor ungeklärt. Einigkeit besteht darüber, dass die astreinte nicht der Rechtsprechungsbefugnis, sondern der richterlichen Befugnis zum Erlass quasi hoheitlicher Anordnungen und Drohungen zuzuordnen ist. Andererseits soll es sich aber auch nicht um Vollstreckungsrecht handeln.556 Denn die Zwangsvollstreckung diene per defini550
Traichel, S. 62 f. Im Rahmen der Zentralisierung der Vollstreckung durch das Reformgesetz aus dem Jahre 1992 haben die Franzosen auch die Zuständigkeitsregelungen für die astreinte bereinigt. Gemäß L.Art. 33 I kann unverändert jeder Richter seine eigene Entscheidung von Anfang an mit einer astreinte versehen. Hingegen kommt allein dem Vollstreckungsrichter die Befugnis zu, nachträglich fremde Entscheidungen mit einer astreinte zu verbinden, L.Art. 33 II. Des Weiteren liegt die endgültige Festsetzung der Höhe der astreinte grundsätzlich allein in der Entscheidungsbefugnis des Vollstreckungsrichters. Jeder andere Richter hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, D.Art. 52. 552 Gärtner, S. 27 m.w.N. 553 Traichel, S. 63. 554 Anders als in Frankreich bedarf es in den BeNeLux-Ländern keiner gesonderten Festsetzung der astreinte. Die „liquidation“ ist diesen Ländern fremd. Einmal ausgesprochen ist die astreinte verbindlich und endgültig vollstreckbar. 555 Gärtner, S. 40. Für die Zeit vor der Kodifikation Grossfeld, S. 22 ff. 556 Gärtner, S. 43, mit ausführlichen Nachweisen. 551
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tionem lediglich der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Interesse der Gläubiger, nicht aber der Sanktion des schuldnerischen Ungehorsams gegenüber dem titulierten Anspruch. Dieses letzte Argument ließe sich mit dem Hinweis entkräften, dass es sich bei Zwangsgeldern innerhalb der Vollstreckung nicht so sehr um repressive Sanktionen handelt als vielmehr um präventive Ordnungsmittel, die den Schuldner zur Erfüllung der gegen ihn gerichteten persönlichen Ansprüche anhalten sollen. Da die astreinte jedoch an den Gläubiger zu entrichten ist, bleiben Bedenken gegen ein vollstreckungsrechtliches Verständnis insoweit bestehen, als das Vollstreckungsverhältnis zwischen Staat und Schuldner mit dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner vermengt würde. Handelt es sich daher nicht vielmehr um ein zivilrechtliches Institut?557 Als zivilrechtliches Erklärungsmodell für die astreinte ist das Institut der Vertragsstrafe bemüht worden. Für eine solche Rückanknüpfung an das materielle Zivilrecht könnte die Parallele zum Pfändungspfandrecht sprechen, das seine Berechtigung ebenfalls aus dem materiellen Zivilrecht ableitet. Ersetzt die Vollstreckung dort die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung, so könnte dieser Gedanke im Bereich der persönlichen Ansprüche entsprechend den Ersatz der fehlenden Vertragsstrafenerklärung des Schuldners rechtfertigen. Dabei tritt jedoch das Problem auf, dass der Sinn der Vertragsstrafe sich nicht in der Erfüllung des primären Leistungsanspruchs erschöpft, sondern die Vertragsstrafe eine weitergehende Sicherung und Erfüllung sekundärer Schadensersatzansprüche im Falle der Leistungsstörung bezweckt. Wollte man daher in der Vollstreckung die fehlende Vertragsstrafenerklärung durch staatlichen Zwang ersetzen, so würde man über das Ziel der Vollstreckung hinausschießen. Diese hat lediglich die zwangsweise Erfüllung des geschuldeten primären Anspruchs zum Gegenstand, nicht aber die weitergehende Sicherung sekundärer Schadensersatzansprüche. Zivilrechtlich bewirkt die astreinte daher eine ungerechtfertigte Bereicherung.558 Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die französischen Regelungen zur Vertragsstrafe, Art. 1226–1233 CC. Denn nach der h. M. in der französischen Rechtsprechung und Literatur tritt die Vertragsstrafe an die Stelle des Schadensersatzanspruchs und nicht in Anspruchskonkurrenz hierzu.559 Dies unterstreicht die Überlegung, dass es sich bei der Vertragsstrafe nicht so sehr um ein Mittel zur Erfüllung der primären Leistungsverpflichtung als vielmehr um ein Sicherungsmittel auf der Sekundärebene handelt, deren Sicherung aber nicht Gegenstand der Vollstreckung des Primäranspruchs ist. 557 Als äußeres Kennzeichen für ein derartiges Verständnis haben die Luxemburger das Einheitsgesetz in ihr Bürgerliches Gesetzbuch und nicht in ihre Zivilprozessordnung eingearbeitet. 558 Diesem Einwand ist bei den Beratungen zum Einheitsgesetz über Zwangsgelder für die BeNeLux-Länder entgegnet worden, dass man mit dem astreinte-Gesetz ja gerade einen Rechtsgrund schaffe, so Gärtner, S. 57. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die Schaffung eines gesetzlichen Rechtsgrundes den grundlegenden Prinzipien des Zivilrechts, namentlich der Privatautonomie, zuwiderläuft. 559 Gärtner, S. 35 m.w.N.
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Es bleibt schließlich anzumerken, dass Vertragsstrafen ihrem Wesen nach allein die Missachtung privatrechtlicher Verpflichtungen sanktionieren, nicht jedoch den Ungehorsam gegenüber den staatlichen Vollstreckungsorganen. Hier zeigt sich mit umgekehrtem Vorzeichen das eigentliche Problem der astreinte. Das staatliche Vollstreckungsverhältnis und das zugrunde liegende Schuldverhältnis werden miteinander vermengt, indem der Schuldner im Falle der Missachtung der staatlichen Vollstreckungsanordnungen zu einer Geldzahlung an den Gläubiger und nicht an den Staat gezwungen wird. Zuletzt lässt sich die astreinte auch nicht als zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch interpretieren, da L.Art. 34 I ausdrücklich bestimmt, dass die astreinte von Schadensersatzansprüchen unabhängig ist.560 Sie dient allein als Strafe für die Verweigerung des Schuldners gegenüber dem titulierten Anspruch. Und so bleibt den Franzosen nur der Weg, die astreinte als Privatstrafe (peine privée) zu bezeichnen.561 Im Kern besagt dieser, auch dem französischen Recht unbekannte Begriff nichts anderes, als dass es sich bei der astreinte um ein Institut sui generis handelt. Damit müssen sich die Franzosen eingestehen, dass es in Anbetracht des staatlichen Gewaltmonopols dogmatisch nicht nachvollziehbar ist, eine Einzelperson zu bereichern, um ein öffentliches Interesse durchzusetzen.562 d) Rechtfertigung der dogmatischen Verwerfungen durch gesteigerte Effektivität? Es hat sich gezeigt, dass sich die französische astreinte dogmatisch nicht erklären lässt. Sämtliche Erklärungsversuche scheitern an dem Umstand, dass das Zwangsgeld nicht an den Staat, sondern an den Gläubiger zu zahlen ist. Als letzter Ansatz zur Rechtfertigung dieses Instituts bleiben folglich allein pragmatische Überlegungen zur Steigerung der Effektivität der Zwangsvollstreckung. Ein Blick in die gesetzgeberischen Motive zeigt dabei, dass eine bizarre Scheu den französischen Gesetzgeber dazu bewogen hat, die Einnahmen aus der astreinte dem staatlichen Haushalt vorzuenthalten und sie dem Gläubiger zuzuführen. Daran hat sich im Rahmen der Vollstreckungsrechtsreform nichts geändert. So wusste der Gesetzgeber zum einen nicht recht, wie man die gewonnenen Gelder von staatlicher Seite verwenden sollte.563 Zum anderen wurde einer Zahlung an den Staat entgegengehalten, dass eine solche Regelung paradox wäre, da sie dem Staat ausgerechnet dort Gelder zuschieße, wo dieser gerade unfähig sei, seinen Machtapparat für die Vollstreckung wirksam einzusetzen.564 Und so hat sich im Rahmen der neueren Gesetzesreform an dem Zahlungsempfänger der astreinte nichts geändert. 560 561 562 563 564
Traichel, S. 64. Gärtner, S. 39, und Traichel, S. 64. Gärtner, S. 42. Nachweis bei Gärtner, S. 43, Fn. 123. Nachweis bei Gärtner, S. 43, Fn. 123.
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Die Bedenken gegen eine staatliche Einnahmequelle im Bereich der astreinte vermögen kaum zu überzeugen.565 Schließlich fließen auch die Einnahmen aus der Strafvollstreckung dem Staat zu, ohne dass daran Bedenken geäußert würden. Es fehlt daher bislang an Argumenten für eine Zuweisung der Zwangsgelder an den Gläubiger. Allein der Gedanke, dass die zusätzlich drohende Zahlung an den Gläubiger den Schuldner eher zur Erfüllung motivieren könnte als eine solche an den Staat, könnte die astreinte unter dem Gesichtspunkt der gesteigerten Effektivität legitimieren. Jedoch fehlen hierzu ausreichende Erhebungen. Selbst wenn solche Erhebungen aber eine größere Bereitschaft des Schuldners zur Zahlung an den Staat belegen sollten, muss die Ausnutzung dieses psychologischen Moments, das sich mit den dogmatischen Gegebenheiten eines modernen Rechtsstaats kaum vereinbaren lässt, befremden. In letzter Konsequenz betrachten daher auch die Franzosen die astreinte als einen Rückschritt in der Rechtskultur. Die astreinte bringt archaische Rachegedanken zum Ausdruck.566 2. Strafrechtliche Bewehrung in Spanien In Spanien geht man davon aus, dass die Vollstreckungsorgane bei der Durchsetzung persönlicher Ansprüche in Form von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen letztlich machtlos sind.567 Derartige durch Gewalt erzwungene Handlungen seien für den Gläubiger sinnlos und stellten für den Schuldner eine unangemessene Gewaltanwendung dar.568 In der Konsequenz dieser Bewertung rekurriert die spanische Rechtsordnung auf das allgemeine Strafrecht, indem sie den Ungehorsam des Schuldners gegenüber dem richterlichen Gebot in Form des Urteils unter Strafe stellt.569 Diese Lösung basiert maßgeblich auf der Prämisse, dass eine effektive Vollstreckung im Bereich der persönlichen Ansprüche nicht möglich sei. Anstatt den Gläubiger jedoch wie in Italien auf seine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche zu beschränken, stärkt die spanische Vollstreckungsordnung die Rechtsposition des Gläubigers durch eine strafrechtliche Bewehrung. Dafür besteht jedoch dann keine Veranlassung, wenn sich dasselbe Ergebnis auch auf präventivem Wege im Rahmen der Vollstreckung erzielen lässt. Derartige Ordnungsmittel er565 Ähnlich dubios wie die französischen Überlegungen sind die Motive für das in den BeNeLux-Ländern geltende Einheitsgesetz über Zwangsgelder. Vorwiegend drei Gründe wurden dafür angeführt, das Zwangsgeld dem Gläubiger zukommen zu lassen. Erstens wollte man der Dispositionsmaxime genügen, zweitens sollte die astreinte nicht mit repressiven Strafen verwechselt werden und drittens sollte vermieden werden, dass der Staat im Falle einer Verurteilung zugleich Gläubiger und Schuldner der astreinte würde. Die Gründe sind bei Gärtner, S. 56 f., zusammengestellt. 566 Näher zu dieser Auffassung Gärtner, S. 41 m.w.N. 567 Näher zum spanischen Modell der Naturalvollstreckung Gärtner, S. 136 ff. 568 Kritisch dazu López, ZZP 1979, 285 (303): „Aus dieser … Darstellung … ergibt sich, daß das Gesetz nur in geringem Maß die Interessen des Gläubigers schützt; denn dem Gläubiger steht als einzige Möglichkeit der Schadensersatz offen.“ 569 Ähnliche Regelungen finden sich in einigen Kantonen der Schweiz, wo im Falle der Leistungsverweigerung des Schuldners auf die schweizerische Blankettstrafbestimmung des Art. 292 StGB Bezug genommen wird.
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weisen sich als weniger einschneidend. Angesichts der Schärfe der strafrechtlichen Sanktion kann diese nur der letzte Schritt sein. Mit anderen Worten ist die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nicht Aufgabe des Strafrechts. Die bloße Untätigkeit des Schuldners gegenüber dem titulierten Anspruch mit dem Verdikt der Strafbarkeit zu versehen, widerstrebt dem allgemeinen Rechtsempfinden. 3. Öffentlich-rechtliche Ordnungsmittel Als das mildere Mittel gegenüber der französischen astreinte und der in Spanien vorgesehenen strafrechtlichen Sanktion erweist sich das deutsche Modell des abgestuften Einsatzes von Zwangsgeld und Zwangshaft. Dieses Konzept wird dem öffentlich-rechtlichen Charakter der Zwangsvollstreckung gerecht, indem es auf eine strafrechtliche Sanktion verzichtet.570 Zugleich wird eine zivilrechtliche Bereicherung des Gläubigers vermieden. Maßgeblich bleibt in diesem Bereich der Vollstreckung allein das Vollstreckungsverhältnis zwischen dem staatlichen Hoheitsträger und dem Schuldner. Indem letzterer den in dem Vollstreckungstitel enthaltenen Verwaltungsakt missachtet, schafft er gleichsam einen verwaltungsrechtlichen Gefahrentatbestand. Dies rechtfertigt den Einsatz präventiver Beugemittel, um die Gefahr zu beseitigen und die Erfüllung des behördlichen Verwaltungsaktes sicherzustellen. Eine nachträgliche strafrechtliche Repression wird damit entbehrlich.
IV. Ergebnis Außerhalb der Geldvollstreckung mangelt es an zivilrechtlichen Vorgaben, die vergleichbar der Figur des Pfandrechts ein bestimmtes Lösungsmodell für die Anspruchserfüllung nahe legen. Die Vollstreckung hat sich jedoch an den öffentlich-rechtlichen Prinzipien, insbesondere an dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit, zu orientieren. Dies erklärt, weshalb vorrangig auf Lösungsmodelle zurückzugreifen ist, die eine staatliche Gewaltanwendung entbehrlich machen. Dabei ist insbesondere an die Vollstreckung wegen Ansprüchen auf Abgabe einer Willenserklärung und auf Vornahme vertretbarer Handlungen zu denken. Hier erübrigen die Rechtsfiguren der Abgabefiktion und der zivilrechtlichen Ersatzvornahme jegliche staatliche Vollstreckung. Dagegen bleibt die Gewaltanwendung im Bereich der Herausgabevollstreckung und der Vollstreckung persönlicher Ansprüche unverzichtbar. Ohne den 570 Im Bereich der Vollstreckung von nicht vertretbaren Handlungen gemäß § 888 ZPO ist dies unstreitig, Brehm, NJW 1975, 249 (249), und Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 71 II 2. Demgegenüber ist die Rechtsnatur der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO sehr umstritten. Die Bewertung schwankt hier zwischen öffentlich-rechtlicher Prävention und strafrechtlicher Repression, was damit zusammenhängt, dass die in § 890 ZPO genannten Ordnungsmittel erst im Falle eines Verstoßes gegen den zu vollstreckenden Unterlassungs- oder Duldungsanspruch zur Anwendung kommen. Ausführlich zum Streitstand Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 73 III.
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Einsatz unmittelbarer körperlicher Gewalt gegen die Person des Schuldners lässt sich die Durchsetzung des Gläubigeranspruchs durch den Einsatz von mittelbarem Zwang realisieren. Dogmatisch zu erklären ist diese Gewaltanwendung als öffentlich-rechtliche Prävention. Ein Rückgriff auf zivilrechtliche oder strafrechtliche Vollstreckungsmodelle im Sinne der französischen astreinte oder der spanischen Strafrechtsbestimmungen erweist sich als entbehrlich, zumal das Verhältnismäßigkeitsprinzip derartigen „Vollstreckungsmaßnahmen“ einen Riegel vorschiebt.
Fünfter Teil
Die Organisation der Zwangsvollstreckung § 22 Die Organisationsmodelle im In- und Ausland I. Die Organisationsfrage als Strukturprinzip Die Diskussion um die Prinzipien der Zwangsvollstreckung steckt noch in ihren Kinderschuhen.1 Nur so ist zu erklären, dass die Frage der Organisation derzeit als Verfahrensprinzip aufgefasst wird.2 Dies erstaunt deshalb, weil in sämtlichen übrigen Verfahrensordnungen die Frage der Organisation getrennt von den Verfahrensmaximen erörtert wird.3 Zwar ist eine wechselseitige Verflechtung kaum zu leugnen,4 indes bietet sich aber eine Trennung der objektiven Prinzipien von den subjektiven Gestaltungsfragen an. Während nämlich erstere die im Außenverhältnis für sämtliche Beteiligten geltenden Normen beinhalten, handelt es sich bei der Frage der Organisation um eine innerstaatliche Frage der funktionellen Aufgabenzuweisung. Es ist nicht einsichtig, weshalb diese Trennung nicht auch in der Vollstreckung vollzogen werden sollte. Die Vollstreckung weist keine spezifischen Eigenarten auf, die es rechtfertigen würden, die Frage der Organisation als eigenständige Verfahrensmaxime aufzufassen. Die gegenteilige Ansicht lässt vielmehr erkennen, dass die Frage der Rechtsnatur der Vollstreckung bislang nicht hinreichend geklärt ist. Demgegenüber deuten die mit der Einführung des Rechtspflegerberufes5 nachträglich ergangenen Vorschriften in die richtige Richtung. Denn der Gesetzgeber hat die dies betreffende Organisation den gesonderten Regelungen des Rechtspflegergesetzes überlassen. Dies ist insofern zu begrüßen, als es sich bei der Organisation nicht um einen Verfahrensgrundsatz des Vollstreckungsrechts, sondern allenfalls um ein Strukturprinzip handelt.6 Sachge1
S. dazu schon ausführlich im zweiten Teil unter § 6 I. Stürner, ZZP 1986, 291 (311). 3 S. dazu nur die Untergliederung des Grundgesetzes in die Grundrechte, Art. 1 ff. GG, und die organisationsrechtliche Aufgabenverteilung, Art. 20 ff. GG. Ebenso ist auf einfachgesetzlicher Ebene die Gerichtsorganisation einem eigenständigen Gesetz, dem Gerichtsverfassungsgesetz, vorbehalten. 4 Dazu sogleich unter § 23 I. 5 Ausführlich zur Entwicklungsgeschichte vom Gerichtsschreiber zum Rechtspfleger Dumke, S. 7 ff. Dazu Kollhosser, ZZP 1994, 556 (557 f.): „Wer die geschichtlichen Grundlagen des heutigen Rechtspflegerstandes in Deutschland näher kennenlernen möchte, sollte die Lektüre des Buches nicht versäumen.“ 6 So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 5 VI 4 c. 2
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recht wäre es demzufolge, wenn der Gesetzgeber diesen Regelungsbereich dem Gerichtsverfassungsgesetz vorbehalten würde.
II. Europäische Organisationsmodelle Das deutsche Vollstreckungsrecht begnügt sich mit nicht weniger als vier Vollstreckungsorganen. Neben dem Gerichtsvollzieher und dem Vollstreckungsgericht wird das Prozessgericht und das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan bemüht.7 Diese Differenzierung wird auf die unterschiedlichen Vollstreckungsarten zurückgeführt. Dass dies hingegen keine zwingende Notwendigkeit ist, belegen die Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn.8 1. Das französische Modell des allzuständigen huissiers Die Franzosen kennen lediglich zwei Vollstreckungsorgane, den Vollstreckungsrichter (le juge de l’exécution) und den Gerichtsvollzieher (le huissier de justice). Letzterer füllt die zentrale Schlüsselposition in der französischen Vollstreckung aus,9 während der Vollstreckungsrichter eher im Hintergrund tätig ist. Ihm kommt im Wesentlichen eine vermittelnde und überwachende Aufgabe zu.10 So ist er für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Entscheidung über Rechtsbehelfe zuständig.11 Ausgenommen hiervon ist lediglich die Überprüfung öffentlich-rechtlicher Vollstreckungstitel. Der Vollstreckungsrichter entscheidet des Weiteren über Entschädigungen wegen rechtswidriger Vollstreckungsmaßnahmen. Das eigentliche Vollstreckungsorgan stellt mithin der huissier dar, der – anders als sein deutscher Kollege – insbesondere auch für die Forderungsvollstreckung zuständig ist.12 Dem französischen Gerichtsvollzieher kommt mithin eine Monopolstellung zu.13 7
Im Überblick dazu Brox/Walker, Rdnrn. 11 ff. Ausführlich zu den Zwangsvollstreckungsorganen in den europäischen Ländern Frankreich, Schweiz und Österreich im Vergleich mit dem deutschen Gerichtsvollzieher Burghardt, S. 8 ff. Bei der Dissertation aus dem Jahre 1976 ist allerdings zu berücksichtigen, dass das französische Vollstreckungsrecht in der Zwischenzeit reformiert worden ist. 9 Ähnlich verhält es sich bei dem im Jahre 1994 grundlegend reformierten ungarischen Zwangsvollstreckungsrecht, Kengyel, ZZPInt 1996, 211 (234). 10 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 2. 11 Der französische Gesetzgeber hat hier eine heillose Zersplitterung im Bereich der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Richter am TI und am TGI sowie dem Handels- und Seerichter, jeweils als Richter im Haupt-, Antrags- oder einstweiligen Verfügungsverfahren, beseitigt, indem er nunmehr allein den Präsidenten des TGI zum Vollstreckungsrichter erklärt hat, Traichel, S. 29 ff. Diese Konzentrationswirkung bezieht sich interessanterweise auch auf sämtliche Rechtsbehelfe. So ist der Vollstreckungsrichter beispielsweise auch für die materiellen Vollstreckungsklagen, vergleichbar den Klagen gemäß §§ 767, 771 ZPO, zuständig. 12 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 2. 13 Durchbrochen wird diese allein im Rahmen der Lohn- und Gehaltspfändung. In diesem Bereich ist der Leiter der Geschäftsstelle des TI zuständig. 8
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In der rechtlichen Bewertung seiner Tätigkeit unterscheidet sich der französische huissier ebenfalls wesentlich vom deutschen Gerichtsvollzieher. Dem huissier kommt eine Art Zwitterstellung zu.14 Er wird einerseits gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger zivilrechtlich tätig. Das französische Recht folgt insoweit der Mandatstheorie. Es geht von einem Auftragsverhältnis zwischen dem huissier und dem Gläubiger aus,15 das durch die Übergabe des Vollstreckungstitels begründet wird. Dem huissier obliegen in der weiteren Folge Beratungs- und Sorgfaltspflichten, für deren Einhaltung er zivilrechtlich einzustehen hat. Soweit der huissier hingegen in Ausübung seiner Tätigkeit öffentlich-rechtliche Befugnisse ausübt und von seiner Amtsgewalt Gebrauch macht, wird er andererseits hoheitlich tätig.16 2. Die abgeschwächte Stellung des Gerichtsvollziehers in Italien Die gerichtliche Organisation der Zwangsvollstreckung verhält sich in Italien ähnlich wie in Frankreich. Es gibt ebenfalls nur zwei Vollstreckungsorgane, das Vollstreckungsgericht und den Gerichtsvollzieher. Die Befugnisse des Vollstreckungsgerichts gehen jedoch etwas weiter als in Frankreich. Ihm sind einige Vollstreckungsaufgaben übertragen. Beispielsweise bedarf der Gerichtsvollzieher vor der Verwertung einer gepfändeten Sache einer richterlichen Verfügung, die erst nach Anhörung der Betroffenen erfolgen darf.17 Das Vollstreckungsgericht hat ferner auch bei Ermessensentscheidungen mitzuwirken. Eine zentrale Vollstreckungsleitung gibt es in Italien nicht.18 Das liegt an der Zersplitterung der Zuständigkeiten.19 Für die Zwangsvollstreckung von Immobilien ist gemäß art. 162 c.p.c. das Landgericht zuständig, während für die übrigen Vollstreckungsarten die untergeordneten Bezirksgerichte zuständig sind, art. 16 c.p.c. Die örtliche Zuständigkeit orientiert sich eng an dem Vollstreckungsort. Für die Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung ist das Gericht der belegenen Sache zuständig, art. 261 c.p.c. Die Forderungsvollstreckung erfolgt dagegen bei dem 14
So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 2. Dies ergibt sich aus Art. 507 NCPC, Art. 673 ACPC. Kritisch hierzu Kerameus, Enforcement Proceedings, S. 12, der das englische und deutsche Modell staatlich bestellter Vollstreckungsorgane bevorzugt und ein Gläubigermandat ablehnt. Im Gegenzug hebt Kerameus jedoch die hohe Effizienz des allzuständigen huissiers in Frankreich im Vergleich mit der dezentralen Vollstreckungsorganisation in England und Deutschland hervor. Er fasst daher seine rechtsvergleichenden Betrachtungen wie folgt zusammen: „On balance, functional needs can be seen to outweigh theoretical conceptions.“ 16 Indes soll die Haftung des huissiers gegenüber dem Schuldner oder dem Dritten stets deliktsrechtlicher Natur sein. Es gelten die deliktsrechtlichen Vorschriften der Art. 1382, 1383 CC. Näher dazu Traichel, S. 42. 17 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.61. 18 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.59. 19 Ähnlich unbefriedigend ist der Zustand in England. Dort vollstreckt jedes Gericht seine eigene Entscheidung. Dabei wird für die High Courts der sheriff tätig, während bei den County Courts und den Magistrates’ Courts der bailiff als Vollstreckungsorgan fungiert. Näher dazu Baur/ Stürner/Bruns, Rdnr. 59.35. 15
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Gericht am Wohnsitz des Drittschuldners, art. 262 c.p.c. Für die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die Verpflichtung zu erfüllen ist. Diese weitgehende Zersplitterung führt dazu, dass es im Rahmen der Geldvollstreckung zu der gleichzeitigen Tätigkeit verschiedener Vollstreckungsgerichte kommen kann.20 3. Das österreichische Modell eines zentralen Vollstreckungsgerichts Während das deutsch-französische System des Gerichtsvollziehers (mindestens) zwei unabhängige Vollstreckungsorgane kennt, sieht die österreichische Exekutionsordnung als zentrales Vollstreckungsorgan allein das Vollstreckungsgericht vor.21 Dieses untergliedert sich in die Tätigkeit der Richter und der Rechtspfleger. Letzteres Berufsbild ist nach dem deutschen Vorbild auch in Österreich zur Entlastung der Richterschaft eingeführt worden. Das Vollstreckungsgericht ordnet die vorgeschriebenen Vollstreckungshandlungen an, die es teilweise selbst vornimmt, teilweise delegiert. Insoweit ist der Gerichtsvollzieher, der bis 1975 in der Gesetzesterminologie noch martialisch als „Vollstrecker“ bezeichnet wurde,22 lediglich ein weisungsgebundenes Hilfsorgan. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass sämtliche vom Gerichtsvollzieher getroffenen Maßnahmen nur vorläufiger Natur sind. Sie bedürfen der Überprüfung und Bestätigung durch das Vollstreckungsgericht. Lediglich in Ausnahmefällen, § 46 EO, darf der Gerichtsvollzieher vom Auftrag des Vollstreckungsgerichts abweichen und vorläufig mit der Vollstreckung innehalten. Weil dem Gerichtsvollzieher keine Entscheidungsbefugnis zukommt, gibt es gegen sein Verhalten auch kein selbständiges gerichtliches Verfahren im Wege des Rekurs.23 Der Vorteil eines zentralen Vollstreckungsorgans wird in Österreich darin gesehen, dass der in Frankreich und Deutschland im Rahmen der Geldvollstreckung auftretende Wettstreit konkurrierender Vollstreckungsorgane vermieden wird.24 4. Zentrale Betreibungsämter in der Schweiz Die Schweizer haben das Betreibungswesen von der Gerichtsbarkeit losgelöst und eigenständige Verwaltungsbehörden, die sogenannten Betreibungsämter,25 mit den Aufgaben der Geldvollstreckung betraut.26 Diesen Betreibungsämtern 20 Art. 483 CPC lässt dies ausdrücklich zu. Es fehlt hier eine Regelung zur Koordination der Vollstreckungstätigkeit. 21 Burghardt, S. 89 ff., und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 3. 22 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 3. 23 Lediglich die Vollzugsbeschwerde nach § 68 EO steht zur Verfügung. Zu den Rechtsbehelfen in der österreichischen Vollstreckung s. noch im Einzelnen unter § 25 II. 24 Holzhammer, S. 9. 25 Zu dieser verwaltungsbehördlich geprägten Organisation der Vollstreckung s. schon oben unter § 10 IV. 26 Ausführlich zur Organisation der Zwangsvollstreckung in der Schweiz Burghardt, S. 56 ff.
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sind auch die schweizerischen Gerichtsvollzieher, die sogenannten Betreibungsweibel, untergeordnet. Im Gegensatz zu ihren deutschen und französischen Kollegen haben die Betreibungsweibel keinerlei eigene Entscheidungskompetenzen. Sie sind – ähnlich wie in Österreich – lediglich Hilfsorgane des Betreibungsamtes und dessen Weisungen unterworfen. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf die praktische Realisierung der Pfändung im Außendienst. Die weitere Verwertung ist den Bediensteten des Betreibungsamtes anvertraut. Das Betreibungsamt ist umfassend für sämtliche Arten der Geldvollstreckung zuständig.27 Die drei wichtigsten Arten der Geldvollstreckung (Mobiliar-, Immobiliar- und Forderungspfändung) liegen also – wie in Österreich – konzentriert in einer Hand. Dies betrifft insbesondere auch die Verwaltungsvollstreckung.28 Die Allzuständigkeit der Betreibungsämter kommt nicht zuletzt in der gesetzlichen Systematik zum Ausdruck, indem die Vorschriften des schweizerischen Betreibungsgesetzes vorrangig zwischen der Pfändung und der sich anschließenden Verwertung unterscheiden. Erst innerhalb dieser Gliederungspunkte wird zwischen den einzelnen Arten der Geldvollstreckung differenziert. Diese Systematik orientiert sich vorrangig am chronologischen Ablauf der Vollstreckung, weniger an den Gegenständen der Vollstreckung.29
§ 23 Abwägung der Organisationsmodelle I. Vorbemerkung zu den Abhängigkeiten Einleitend ist darauf hingewiesen worden, dass die Frage der Organisation der Vollstreckung nicht losgelöst von ihrer Rechtsnatur und ihren Prinzipien beantwortet werden kann.30 Die Charakterisierung der Vollstreckung als öffentlichrechtliches Verwaltungsverfahren hat zwangsläufig Einfluss auf die Frage der organisatorischen Ausgestaltung. So muss es nicht verwundern, dass die nachfolgenden Überlegungen sich dem schweizerischen Modell der allzuständigen Betreibungsämter annähern. Zwingend notwendig ist dies hingegen nicht. Die Sachnähe der Gerichte mag durchaus auch bei funktionell unterschiedlichen Aufgaben eine organisatorische Einheit begründen. Ist es doch auch nach geltender Gesetzeslage unumstritten, dass die Gerichte zugleich Aufgaben der (Justiz-) Verwaltung wahrnehmen.31 Ausgehend von diesem Gedanken soll daher zunächst das deutsche Modell der Vollstreckungsorganisation auf seine Berechti27
Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.128. S.o. § 10 IV. 29 Darin kommt auch zum Ausdruck, dass die Pfändung mitunter den Betreibungsweibeln anvertraut ist, während die Verwertung allein von den Bediensteten des Betreibungsamtes vorgenommen wird. 30 Stürner, ZZP 1986, 291 (311). Ausführlich zur Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung und ihren Prinzipien oben unter §§ 4 ff. 31 S. dazu nur §§ 23 ff. EGGVG. 28
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gung hin überprüft werden. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Vollstreckungsorgane könnte es einen Kompromissweg zwischen den teilweise recht konträren Lösungsansätzen der europäischen Nachbarn darstellen.
II. Die Frage nach der Existenzberechtigung von vier Vollstreckungsorganen Die Eigenart der deutschen Vollstreckungsorganisation beruht darauf, dass neben dem Vollstreckungsgericht und dem Gerichtsvollzieher das Prozessgericht und das Grundbuchamt in der Vollstreckung tätig werden.32 Es stellt sich daher insbesondere im Rahmen der Immobiliarvollstreckung und der Vollstreckung von Ansprüchen auf Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen die Frage nach der Existenzberechtigung gesonderter Vollstreckungsorgane. 1. Das Prozessgericht Die Loslösung von der gemeinrechtlichen Allzuständigkeit des Prozessgerichts sowohl für das Erkenntnis- als auch für das Vollstreckungsverfahren gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der modernen europäischen Vollstreckungsordnungen.33 Dieses aus dem französischen Recht stammende Prinzip der Verfahrenstrennung hat die Zivilprozessordnung übernommen.34 Lediglich im Bereich der Vollstreckung wegen Ansprüchen auf Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen ist es bei der Zuständigkeit der Prozessgerichte für die Vollstreckung geblieben.35 Dessen Tätigkeit erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch nur bezüglich der „Vollstreckung“ wegen Ansprüchen auf die Vornahme vertretbarer Handlungen als überzeugend. a) Die Tätigkeit als erkennendes Gericht Die gerichtliche „Ermächtigung“ des Gläubigers zur Ersatzvornahme gemäß § 887 Abs. 2 ZPO hat ihren Ursprung in den materiell-rechtlichen Gewährleistungsvorschriften des Privatrechts.36 Demzufolge erschöpft sich der eigentliche Regelungsgehalt des § 887 ZPO in der Beschränkung des Gläubigers auf die ihm bereits zivilrechtlich zustehenden Ansprüche.37 Eine Zwangsvollstreckung im Sinne staatlicher Gewaltanwendung durch die Androhung und Anordnung von 32
Ein anschaulicher Überblick hierzu findet sich bei Brox/Walker, Rdnrn. 11 ff. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 1. Zu der historischen Entwicklung Baur/Stürner/ Bruns, Rdnrn. 3.20 ff. 34 Einzig das spanische Vollstreckungssystem weist noch starke Gemeinsamkeiten mit dem gemeinen Vollstreckungsverfahren auf, indem die Zivilgerichte zugleich als Organe der Zwangsvollstreckung agieren, Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 59.70, 59.72. 35 Begründet wird diese mit der Sachnähe zum Erkenntnisverfahren, Hahn, Materialien, S. 467 f.; Gaul in: Rosenberg/Gaul/Schilken, §§ 24 I, 29 III 1. 36 S.o. § 21 I 3 a. 37 Ausführlich dazu s.o. § 21 I 3 d. 33
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Zwangsgeld oder Zwangshaft erfolgt gerade nicht. Demzufolge entpuppt sich das Argument von der Sachnähe des Prozessgerichts in diesem Kontext als Synonym für seine erkennende Tätigkeit.38 b) Die fehlende Sachnähe zur Vollstreckung Das Argument der angeblichen „Sachnähe“ des Prozessgerichts verfängt im Bereich der §§ 888, 890 ZPO nicht mehr. Hier handelt es sich um die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols durch die Anwendung mittelbaren Zwangs in Form von Zwangsgeld und Zwangshaft.39 Die Situation stellt sich nicht anders dar als im Rahmen der gewaltsam erzwungenen Geldvollstreckung. In beiden Fällen geht es um die hoheitlich erfolgende Gewaltanwendung gegenüber dem leistungsunwilligen Schuldner. Die Formalisierung der Vollstreckung bewirkt jeweils, dass materielle Rechtsfragen aus dem Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner außer Betracht bleiben. Es ist daher nicht einsichtig, weshalb in dem einen Fall der Gerichtsvollzieher zuständig sein soll, während in dem anderen Fall das Prozessgericht tätig wird.40 Von einer Sachnähe des Prozessgerichts kann angesichts der Formalisierung der Vollstreckung keine Rede sein.41 Im Gegenteil führt dessen Zuständigkeit zu einer unnötigen Durchbrechung des Formalisierungsprinzips, dessen Geltung mit der Einschaltung des Prozessgerichts in Frage gestellt wird. Macht das Prozessgericht nämlich von seiner Sachnähe Gebrauch, so kann dies nur bedeuten, dass Erfahrungen aus dem Erkenntnisverfahren mit dem Vollstreckungsverfahren vermengt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Verwaltungsvollstreckung. Dieser ist eine Tätigkeit der Gerichte bei der zwangsweisen Bewirkung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen gänzlich fremd. Die in diesem Bereich gemäß §§ 4, 11 VwVG anzutreffende Zuständigkeit der Vollstreckungsbehörden wird auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in Frage gestellt. Demzufolge ist nicht ersichtlich, welchen Bedenken die Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts oder des Gerichtsvollziehers im Rahmen der §§ 888, 890 ZPO ausgesetzt sein sollte. Lediglich im Falle der eher selten praktizierten Zwangshaft wird eine gesonderte richterliche Entscheidung notwendig sein, Art. 104 GG. 38 Zutreffend führt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 29 III 1, daher aus: „Weil der Zwang hier mit Mitteln der Rechtsprechung – gerichtliche ,Ermächtigung‘ zur Ersatzvornahme und ,Verurteilung‘ zur Vorauszahlung der Kosten (§ 887) … – geübt wird und die zu treffende Entscheidung des Gerichts wesentlich auf einer fortgesetzten Beurteilung des Haupt-Rechtsstreits beruht.“ 39 In § 890 ZPO ist von Ordnungsgeld und Ordnungshaft die Rede, wodurch in gewisser Hinsicht der repressive Charakter dieser „Zwangsmittel“ zum Ausdruck kommen soll. Zu dieser Unterscheidung bei der Ausgestaltung des mittelbaren Zwangs s. bereits oben unter § 21 III. 40 Zumal die Beitreibung des Zwangsgeldes wiederum Angelegenheit des Gerichtsvollziehers ist. 41 Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Prozessgericht nicht notwendig mit demselben Spruchkörper tätig zu werden braucht, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 29 III 2. Wenn aber selbst der zuständige Spruchkörper des Prozessgerichts nicht mit der Sache betraut gewesen ist, worin soll dann die vermeintliche Sachnähe begründet liegen?
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Es ist zu konstatieren, dass das Argument der „Sachnähe“ das Tätigkeitsspektrum des Prozessgerichts im Rahmen der Vollstreckung zur Erwirkung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen nur unscharf wiedergibt. Die Grenzen innerhalb der §§ 887 ff. ZPO werden unnötig verwischt. So entpuppt sich im Rahmen des § 887 ZPO die angebliche „Nähe“ zum Erkenntnisverfahren als Identität, während der Begriff im Rahmen der §§ 888, 890 ZPO über die Wesensfremdheit von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren hinwegtäuscht. Die Tätigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan lässt sich nur als Anachronismus aus der Zeit des gemeinen Rechts erklären. Der Gesetzgeber sollte das Verständnis des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan daher dringend überdenken. 2. Das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan? Neben dem Prozessgericht wird im Bereich der Immobiliarvollstreckung dem Grundbuchamt die Rolle eines Vollstreckungsorgans zugeschrieben. Diese Funktion beschränkt sich jedoch auf den Fall der Eintragung einer Zwangshypothek.42 Da in diesem Bereich das Vollstreckungsgericht nicht tätig wird, obliegt dem Grundbuchamt die Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen, die die fehlende Eintragungsbewilligung des Schuldners ersetzen.43 Überträgt man diese Gedanken auf die Überlegungen, die zur Immobiliarvollstreckung angestellt worden sind, so wirkt die Konstruktion des Grundbuchamtes als Vollstreckungsorgan gekünstelt. Denn es hat sich gezeigt, dass die Beschlagnahme im Rahmen der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung nicht anders zu beurteilen ist als die Eintragung einer Zwangshypothek.44 Die vermeintlich drei Arten der Immobiliarvollstreckung lassen sich auf den bekannten Zweiklang von Pfändung und Verwertung zurückführen.45 In der weiteren Folge besteht keine Notwendigkeit mehr, für den Bereich der Zwangshypothek auf das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan zurückzugreifen. Im Gegenteil würde eine einheitliche Kompetenzzuweisung an das Vollstreckungsgericht eine deutliche Straffung der Immobiliarvollstreckung ermöglichen.46 42
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 30 I. Im Bereich der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung beschränkt sich die Tätigkeit des Grundbuchamts hingegen auf die Eintragung des Versteigerungsvermerks. Das Grundbuchamt soll daher in diesem Zusammenhang nicht als Vollstreckungsorgan tätig werden. Ausführlich zu den Problemen bei Eintragung des Versteigerungsvermerks Hagemann, Rpfleger 1984, 397 (397 ff.). 44 S.o. § 20 II 2 b bb. 45 S.o. § 20 II 4. 46 De lege lata mag auch folgende Überlegung dagegen sprechen, das Grundbuchamt als eigenständiges Vollstreckungsorgan aufzufassen. Dem Grundbuchamt fehlen jegliche Kompetenzen zu einer unmittelbaren Gewaltanwendung im Kerngehalt des staatlichen Gewaltmonopols. Anders als etwa im Bereich der Mobiliarvollstreckung bedarf es zur Pfändung eines Grundstücks aber auch keiner körperlichen Gewaltanwendung, da im Immobiliarsachenrecht die Grundbucheintragung an die Stelle der Wegnahme des Grundstücks tritt. Die verbleibende Verpfändungserklärung wird durch die Vollstreckungsvoraussetzungen ersetzt. Eine Vollstreckung im eigentlichen Sinne 43
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3. Das Vollstreckungsgericht als Zwitter zwischen Exekutive und Judikative Während die Zivilprozessordnung noch von einem einheitlichen Tätigkeitsfeld des Vollstreckungsgerichts in der Person des Vollstreckungsrichters ausging, hat dieses Verständnis durch die Einführung des Rechtspflegerberufs eine funktionelle Unterteilung erfahren. § 20 Nr. 17 RPflG bestimmt, dass grundsätzlich der Rechtspfleger die Belange des Vollstreckungsgerichts wahrnimmt.47 Davon ausgenommen ist lediglich die Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO,48 welche unverändert dem Vollstreckungsrichter obliegt. Diese Differenzierung kommt nicht von ungefähr, wie die nachfolgenden Überlegungen belegen. a) Die Verwaltungstätigkeit des Rechtspflegers Dem Rechtspfleger ist der gesamte Bereich der Forderungsvollstreckung anvertraut, §§ 828 ZPO, 20 Nr. 17 RPflG. Dabei handelt es sich nicht um einen spezifischen Aufgabenbereich der Rechtspflege, sondern um eine behördliche Verwaltungstätigkeit.49 Es bestehen daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Übertragung dieser Aufgaben vom Vollstreckungsrichter auf den Rechtspfleger.50 Umgekehrt erweist sich die Berechtigung des richterlichen Vorbehalts des § 20 Nr. 17 RPflG bezüglich der Vollstreckungserinnerung. Dieser Vorbehalt spiegelt die Trennlinie zwischen Exekutive und Judikative wider. b) Die rechtsprechende Tätigkeit des Vollstreckungsrichters Versteht man die Vollstreckung als verwaltungsbehördliches Verfahren, so lässt sich die Vollstreckungserinnerung entweder als vorgerichtliches Widerspruchsverfahren oder als gerichtlicher Rechtsschutz interpretieren.51 Die Unterscheifindet daher bei Eintragung der Zwangshypothek noch nicht statt. Die eigentliche Gewaltanwendung reduziert sich auf die spätere Erzwingung der Herausgabe des Grundstücks. Hierfür ist jedoch nicht das Grundbuchamt, sondern der Gerichtsvollzieher zuständig, § 883 ZPO. Denn Grundlage für diese Vollstreckung ist der Zuschlagsbeschluss als Herausgabetitel, der aber erst im Rahmen der Zwangsversteigerung zustande kommt. Die Schwäche einer solchen Argumentation liegt gleichwohl darin, dass dem staatlichen Gewaltmonopol nicht allein die unmittelbare, sondern auch jegliche mittelbare Gewaltanwendung zuzuordnen ist. Anderenfalls müsste man auch dem Vollstreckungsgericht im Rahmen der Forderungspfändung eine Vollstreckungstätigkeit absprechen. 47 Ausführlich zur funktionellen Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Vollstreckungsgerichts Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 I und II. 48 Zu weiteren Ausnahmen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 III 2. 49 S.o. § 4 VI. 50 Problematisch wird die Tätigkeit des Rechtspflegers hingegen im Rahmen des Vollstrekkungsschutzantrages gemäß § 765 a ZPO, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 III 3. Dazu ausführlich unter § 33 V. 51 Diese Differenzierung findet sich bereits derzeit in der vollstreckungsrechtlichen Diskussion. Die Anknüpfung an das verwaltungsbehördliche Widerspruchsverfahren dient dabei jedoch allein dazu, die Tätigkeit des Rechtspflegers in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 92, 101 Abs. 1 S. 2 GG zu bringen. So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 III 3. Da Anknüpfungspunkt zumeist die Tätigkeit des Rechtspflegers im Rahmen des § 765 a ZPO ist, soll diese Problematik an entsprechender Stelle im sechsten Teil der Untersuchung analysiert werden, s.u. § 33 V.
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dung macht sich zum einen in den unterschiedlichen Kompetenzen und zum anderen in den nachfolgenden Instanzen des Rechtsschutzes bemerkbar. Der zuletzt genannte Aspekt spricht dafür, die Entscheidung des Vollstreckungsrichters als gerichtliche Entscheidung zu bewerten, da sich an diese Entscheidung ein Rechtsmittel in Form der sofortigen Beschwerde gemäß § 793 ZPO anschließt. Andererseits eröffnet § 793 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit der sofortigen weiteren Beschwerde. Durch das Verständnis der Entscheidung des Vollstreckungsrichters als Widerspruchsbescheid würde also der gerichtliche Rechtsschutz nicht in unzulässiger Weise verkürzt oder gar ausgeschlossen. Dem Beschwerdeführer bliebe eine zweitinstanzliche Überprüfung erhalten. Schwierigkeiten, die Entscheidung des Vollstreckungsrichters über die Vollstreckungserinnerung als Widerspruchsbescheid aufzufassen, ergeben sich hingegen aus den eingeschränkten Kompetenzen des Vollstreckungsrichters. Dabei kommt die funktionelle Unterscheidung der Zivilprozessordnung zwischen dem Vollstreckungsgericht und dem Gerichtsvollzieher zum Tragen. aa) Die vermeintliche Doppelfunktion bei Maßnahmen des Rechtspflegers Hat die Vollstreckungserinnerung eine Maßnahme des Rechtspflegers zum Gegenstand, so besteht die Besonderheit, dass der Vollstreckungsrichter nicht allein als angerufene Rechtsinstanz in Erscheinung tritt, sondern zugleich auch als Vollstreckungsgericht und damit als Vollstreckungsorgan tätig wird. Aufgrund dieser doppelten Funktion soll der Vollstreckungsrichter dazu berufen sein, bei Stattgabe der Erinnerung die Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers aufzuheben.52 Umgekehrt wäre ihm dann allerdings auch die Befugnis zuzusprechen, bei unberechtigter Ablehnung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch den Rechtspfleger, den beantragten Beschluss selbst zu erlassen. Hierzu kommt es jedoch nicht, da für eine ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers nicht die Vollstreckungserinnerung, sondern die sofortige Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf sein soll.53 Diese sieht jedoch weder für den zuständigen Abteilungsrichter noch für das Beschwerdegericht eine Abhilfemöglichkeit vor. Sie können lediglich den Rechtspfleger anweisen, die beantragte Entscheidung zu erlassen. Selbst wenn daher der zuständige Abteilungsrichter des Rechtspflegers, der über die Rechtspflegererinnerung zu entscheiden hat, mit dem zuständigen Vollstreckungsrichter identisch sein sollte, bleibt eine eigene Vollstreckungstätigkeit des Vollstreckungsrichters ausgeschlossen. Es verbleibt damit bei der Möglichkeit des Vollstreckungsrichters, im Rahmen der Vollstreckungserinnerung die Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers aufzuheben. Diese Befugnis hat ihren eigentlichen Ursprung aber nicht in der funktionalen Identität des angerufenen Vollstreckungsrichters mit dem Vollstreckungsgericht. Ohnehin könnte in Anbetracht der gesetzlichen Differenzierung 52 53
III 2.
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 12. Zu dieser eigenartigen Differenzierung der h. M. noch ausführlich im sechsten Teil unter § 29
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des § 20 Nr. 17 RPflG eine solche Identität nur durch einen Rückgriff auf die Regelung des § 8 RPflG begründet werden, die den Richter gleichsam dem Rechtspfleger überordnet und ihm dieselben Kompetenzen zuspricht, namentlich die Befugnis zur Forderungsvollstreckung gemäß den §§ 828 ff. ZPO. Diese Klippe muss aber gar nicht erst umschifft werden, wie ein Blick auf die Regelung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO verdeutlicht. Denn die Befugnis zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes ist nicht auf die Verwaltungsbehörde begrenzt, sondern steht auch dem angerufenen Gericht zu. Im Ergebnis ist die Tätigkeit des Vollstreckungsrichters daher als rein gerichtliche Tätigkeit einzustufen. Weitergehende Befugnisse zum Erlass von Vollstreckungsmaßnahme sind ihm hingegen aufgrund der mit der Rechtspflegererinnerung verbundenen Beschränkungen versagt. Der zuständige Richter wird nicht als Vollstreckungsgericht, sondern als der für die Bescheidung der Rechtspflegererinnerung zuständige Abteilungsrichter tätig. Auch ohne die Regelungen des § 11 RPflG wäre dabei dem Vollstreckungsrichter eine weitergehende Kompetenz zu versagen, da die Regelung des § 8 RPflG nicht als Umgehungsnorm für die gemäß § 20 Nr. 17 RPflG vorgesehene Kompetenzverteilung angesehen werden kann, sondern lediglich als Heilungsvorschrift für unbeabsichtigte Kompetenzüberschreitungen des Richters. Die Tätigkeit des Vollstreckungsrichters kann demzufolge nicht derjenigen einer Widerspruchsbehörde gleichgestellt werden, deren weitreichende Kompetenzen sich aus derjenigen der Erlassbehörde ableiten. Die Tätigkeit des Vollstreckungsrichters beschränkt sich bei der Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung vielmehr auf die richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom Rechtspfleger angeordneten Vollstreckungsmaßnahme. Auch Zweckmäßigkeitserwägungen sind dem Vollstreckungsrichter damit versagt. bb) Die gerichtliche Tätigkeit bei Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers Die vorstehenden Überlegungen bestätigen sich bei Betrachtung der Vollstreckungserinnerung gegen eine Vollstreckungsmaßnahme des Gerichtsvollziehers. Hier tritt das Vollstreckungsgericht zweifellos nicht als Vollstreckungsorgan auf, da der Gerichtsvollzieher in seinem Tätigkeitsbereich ausschließlich tätig wird. Eine funktionale Überschneidung mit dem Vollstreckungsgericht ist in diesem Bereich, anders als bei der Tätigkeit des Rechtspflegers im Bereich der Foderungsvollstreckung, gesetzlich ausgeschlossen.54 Rechtsprechung und Literatur ziehen daraus den Schluss, dass das Vollstreckungsgericht nicht einmal zur Aufhebung der Maßnahme des Gerichtsvollziehers berechtigt sein soll.55 Dieser Folgerung geht indes zu weit, wie der Vergleich mit der Regelung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO bestätigt. Die Befugnis zur Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist nicht auf die Exekutive beschränkt, sondern bezieht das angerufene Gericht mit ein. Dies hängt damit zusammen, dass die Aufhebung keinen 54 55
Gaul, ZZP 1974, 241 (255). Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 44, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 12.
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weitergehenden Entscheidungsprozess beinhaltet, der der Behörde, sprich im vorliegenden Fall dem Gerichtsvollzieher, vorbehalten wäre. c) Trennung zwischen gerichtlicher Tätigkeit des Vollstreckungsrichters und verwaltungsbehördlicher Tätigkeit von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher Die Überlegungen zeigen, dass eine Differenzierung bei der Entscheidung des Vollstreckungsrichters über die Vollstreckungserinnerung in Abhängigkeit von dem tätigen Vollstreckungsorgan unangebracht ist. Die Tätigkeit des Vollstreckungsrichters erstreckt sich vielmehr in beiden Fällen auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme. Im Falle der Rechtswidrigkeit ist der Vollstreckungsrichter gleichermaßen zur Aufhebung der Maßnahme berechtigt. Die einheitliche Stellung des Vollstreckungsrichters lässt sich im Bereich der Forderungsvollstreckung am besten dadurch verdeutlichen, dass man die Regelung des § 20 Nr. 17 RPflG in die Zivilprozessordnung kolportiert und den Begriff des Vollstreckungsgerichts in § 766 ZPO durch den des Vollstreckungsrichters und im Rahmen der §§ 828 ff. ZPO durch den des Rechtspflegers ersetzt. Die Einführung des Rechtspflegerberufs und im Weiteren die Regelung des § 20 Nr. 17 RPflG erweisen sich dann als Glücksgriff des Gesetzgebers. Dieser erlaubt es, eine klare Trennlinie zwischen der verwaltungsbehördlichen Vollstreckungstätigkeit von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger einerseits und der gerichtlichen Überprüfung ihrer Maßnahmen durch den Vollstreckungsrichter andererseits zu ziehen.56 Bis dato mangelte es im Bereich der Forderungsvollstreckung an einer funktionalen Trennung zwischen diesen beiden Tätigkeitsfeldern. Die Übertragung der Forderungsvollstreckung vom Vollstreckungsrichter auf den Rechtspfleger ist daher nur zu begrüßen.57 4. Die umstrittene Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers Die Stellung des Gerichtsvollziehers in der Vollstreckung ist seit jeher umstritten,58 so dass der Gerichtsvollzieher auch als „organisationsrechtliches Stiefkind“ des Gesetzgebers bezeichnet worden ist.59 Die Ursache dafür liegt in den unzureichenden gesetzlichen Regelungen.60 Dabei ist zwischen der Stellung des Ge56 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 I 1, nimmt daher bei der Benennung der Aufgaben des Vollstreckungsgerichts die folgende Differenzierung vor: „Das Amtsgericht als Vollstrekkungsgericht ist neben dem Gerichtsvollzieher das wichtigste Vollstreckungsorgan und überdies das berufene Kontrollorgan des Zwangsvollstreckungsverfahrens.“ Damit ist exakt die Grenzlinie zwischen der verwaltungsbehördlichen Tätigkeit des Rechtspflegers und der rechtsprechenden Tätigkeit des Vollstreckungsrichters beschrieben. 57 Sie hat sich in der Vergangenheit ohnehin vielfach bewährt. Ebenso in seiner Einschätzung Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 III 5. 58 Gleiches gilt für die Frage nach der Effektivität der Sachpfändung, s. dazu nur Pawlowski, ZZP 1977, 345 (345 ff.); Behr, NJW 1992, 2738 (2739 ff.), und Seip, NJW 1994, 352 (352 ff.). 59 Gaul, ZZP 1974, 241 (241 ff.). 60 Gaul, ZZP 1974, 241 (242 ff.), und Stürner, DGVZ 1985, 6 (11).
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richtsvollziehers im Verhältnis zu den Vollstreckungsparteien einerseits und seiner organisations- und disziplinarrechtlichen Stellung gegenüber dem Staat andererseits zu differenzieren. a) Vermittelnde Lösung zwischen Amts- und Mandatstheorie Es scheint eine feststehende Erkenntnis zu sein, dass der Gerichtsvollzieher nicht als Beauftragter des Gläubigers tätig wird, sondern als hoheitlicher Amtsträger.61 Rechtsprechung und Literatur haben im Laufe des letzten Jahrhunderts eine radikale Kehrtwende gegenüber der gesetzlichen Konzeption der Zivilprozessordnung vollzogen,62 die noch von einem zivilrechtlichen Auftragsverhältnis im Sinne des § 753 ZPO ausgeht.63 Die Überlegungen im Rahmen der unterschiedlichen Vollstreckungsarten belegen demgegenüber, dass eine sorgfältige Differenzierung zwischen dem Stadium der Pfändung und der Verwertung Not tut. Allein im Stadium der Pfändung, in dem der Gerichtsvollzieher von dem staatlichen Gewaltmonopol Gebrauch macht, ist ein öffentlich-rechtliches Verständnis seiner Tätigkeit angebracht. Mit der Pfändung endet dieser Bereich, so dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Verwertung lediglich als zivilrechtlicher Mandatar des Gläubigers in Erscheinung tritt. Nur so lässt sich die de lege lata vollzogene „Privatisierung“ der Vollstreckung und Überantwortung des Versteigerungswesens an speziell ausgebildete Auktionäre64 verfassungsrechtlich legitimieren. Dort hingegen, wo der Gerichtsvollzieher in der Phase der Verwertung der gepfändeten Gegenstände tätig bleibt, erfolgt dies allein aus Zweckmäßigkeitserwägungen.65 Die Übertragung des Verfahrens an private Auktionäre führt zu einer misslichen Verzögerung des Verfahrens und ist daher vom Gesetz nur als Ausnahmefall vorgesehen. Dies ändert aber nichts daran, dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Versteigerung nur als Vertreter des Gläubigers auftritt, nicht hingegen als Hoheitsträger.66 Die Schnittstelle zwischen Pfändung und Verwertung markiert damit zugleich den Übergang von der Amtstheorie zur Mandatstheorie.67 Eine vermittelnde Bewertung dieser Theorien ist angebracht.68 61
Statt vieler nur Münzberg, in: Stein/Jonas, § 753, Rdnrn. 1 ff. Die öffentlich-rechtliche Amtstheorie hat sich mit der grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts, RGZ 82, 85 (86 ff.), durchgesetzt. 63 Hahn, Materialien, S. 440; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 IV 1. 64 S. dazu insbesondere § 825 ZPO, der die Tür für anderweitige Verwertungen des gepfändeten Mobiliars öffnet. 65 S.o. § 17 IV 1 b. 66 S.o. § 17 IV 1 a. 67 Dies gilt nicht anders für die Tätigkeit des Rechtspflegers. Hier wirkt sich der Streit jedoch kaum aus und wird auch nicht ausgetragen. Dies hängt damit zusammen, dass im Rahmen der Forderungsvollstreckung die Überweisung der gepfändeten Forderung ein gesondertes Verwertungsverfahren entbehrlich macht. 68 Dieses vermittelnde Bild von der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers entspricht in etwa dem französischen Vorstellungsbild vom huissier. Dieses war seinerzeit Vorbild für den Gesetzgeber der Zivilprozessordnung. Umgekehrt diente das deutsche Kontrollsystem des Vollstreckungsgerichts gegenüber dem Gerichtsvollzieher als Vorbild für die jüngste Vollstreckungsrechtsreform in Frankreich. So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 I 2. 62
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Der Streit zwischen Mandats- und Amtstheorie wird derzeit nur noch im Rahmen der Leistungsaufforderung durch den Gerichtsvollzieher vor Beginn der Vollstreckung diskutiert, §§ 754, 755 ZPO. Erheblich soll der Streit dabei für die Frage sein, wer das Verlustrisiko bei freiwilliger Zahlung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher zu tragen hat. Die Amtstheorie verlagert das Verlustrisiko auf den Schuldner, da der Eigentumserwerb des Gläubigers sich erst mit der Auskehr des erzielten Erlöses vom Gerichtsvollzieher an den Gläubiger kraft des sogenannten originären Hoheitsaktes vollziehen soll.69 Diese Ansicht wird aber schon von den Anhängern der Amtstheorie selbst in Zweifel gezogen. Teilweise wird eine analoge Anwendung der §§ 815 Abs. 3, 819 ZPO bemüht, um das Verlustrisiko beim Gläubiger ansiedeln zu können.70 Dieser Verrenkung bedarf es nicht bei einer zivilrechtlichen Bewertung der Übereignungstatbestände. Tritt der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Versteigerung als Beauftragter des Gläubigers in Erscheinung, so gilt dies erst recht bei der Leistungsaufforderung an den Schuldner vor Beginn der Vollstreckung. Der Gläubiger erwirbt, vertreten durch den Gerichtsvollzieher, unmittelbar das Eigentum an dem Geld des Schuldners, §§ 929 S. 1, 164 Abs. 1 und. 3, 868, 688 BGB, und trägt daher auch das Verlustrisiko.71 b) Gleichstellung mit dem Rechtspfleger Gemäß § 154 GVG werden die Dienst- und Geschäftsverhältnisse der Gerichtsvollzieher bei den Landesgerichten durch die Landesjustizverwaltung bestimmt. Die Landesjustizverwaltungen haben von dieser Ermächtigung im Wesentlichen bundeseinheitlich durch die Gerichtsvollzieherordnung (GVO) und die Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) Gebrauch gemacht.72 Danach ist der Gerichtsvollzieher ein Beamter des mittleren Dienstes, jedoch mit einer eigenständigen Sonderlaufbahn und einer speziellen Ausbildung. Neben den allgemeinen Dienstbezügen erhält er einen Anteil an den von ihm vereinnahmten Gebühren.73 Mit Recht ist die Regelung des § 154 GVG in der Literatur als archaisch bezeichnet worden.74 Denn es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht kaum verständlich, dass ein derartig sensibler Bereich wie die Organisation der Zwangsvollstreckung der Regelung durch die Landesjustizverwaltungen vorbehalten sein soll. So wird die Regelung des § 154 GVG teilweise für verfassungswidrig gehalten.75 69
Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 815, Rdnr. 8, und Stöber, in: Zöller, § 755, Rdnr. 4. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 IV 1 d; Geißler, DGVZ 1991, 166 (168 f.); Baur/ StürnerBruns, Rdnr. 29.2; Heßler, in: Münchener Kommentar, § 754, Rdnr. 45, sowie Lippross, Vollstreckungsrecht, § 12 III 3. 71 So konsequent in Befolgung der privaten Mandatstheorie Münzberg, in: Stein/Jonas, § 753, Rdnr. 3; Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 113 f., und Arwed Blomeyer, § 4 III 1 b. 72 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 1 b. 73 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 1 d, spricht von einer sogenannten Anspornvergütung. 74 Stürner, DGVZ 1995, 135 (137). 75 Grawert, DGVZ 1989, 97 (119), stützt dies insbesondere darauf, dass § 154 GVG nicht der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 GG genüge und Zuständigkeitsregelungen gemäß Art. 84 70
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Selbst im gegenteiligen Fall der Verfassungskonformität wäre die Forderung nach einer gesetzgeberischen Regelung des Status des Gerichtsvollziehers berechtigt.76 Dabei wird eine Parallele zum Rechtspflegergesetz in Betracht gezogen.77 Diese Wertung wird durch die vorangegangenen Überlegungen zur Tätigkeit des Rechtspflegers erhärtet. Beide Vollstreckungsorgane werden als Verwaltungsbehörden tätig, weshalb eine Harmonisierung der beamtenrechtlichen Stellung nur wünschenswert wäre.78 Dabei legt die verwaltungsrechtliche Bewertung eine weitere Rechtsvereinheitlichung mit dem Status anderer Beamtengruppen nahe, so dass der Gesetzgeber auf die allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen zurückgreifen könnte. Zugleich würde dies eine Vereinheitlichung der uneinheitlichen Besoldung von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher ermöglichen. Weshalb der Gerichtsvollzieher einerseits einer geringeren Besoldung unterworfen sein, andererseits an den vereinnahmten Gebühren partizipieren soll, ist angesichts der einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Vollstreckung nicht einsichtig. Die vorgeschlagene Rechtsvereinheitlichung würde zu einer Klärung der derzeit heftig umstrittenen disziplinarrechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers beitragen.79 Umstritten ist insbesondere die Grenzziehung zwischen vollstreckungsrechtlicher Sachaufsicht und disziplinarrechtlicher Dienstaufsicht.80 Teilweise wird eine Überlappung beider Bereiche mit dem Argument verworfen, die interne Dienstaufsicht dürfe keinen Einfluss auf die der richterlichen Bewertung unterworfene Vollstreckungstätigkeit nehmen.81 Mit Recht ist dem seitens des Bundesverwaltungsgerichts entgegengehalten worden, dass die Weisungsunterworfenheit des Beamten und die Gerichtskontrolle seines Verhaltens auch sonst nebeneinander zur Anwendung kommen.82 Dieses Argument ermöglicht eine Rückführung der vermeintlich vollstreckungsspezifischen Streitigkeit um die Weisungsgebundenheit des Gerichtsvollziehers auf vergleichbare Probleme im allgemeinen Beamtenrecht. Vorrang hat stets die im Außenverhältnis maßgebliche Gesetzesbestimmung. Nur dort, wo diese Gestaltungs- oder Ermessensspielräume eröffnet, bleibt den Aufsichtsbehörden Raum für konkretisierende Verwaltungsvorschriften. Überschreiten diese hingegen die gesetzlichen Vorgaben, Abs. 1 GG ohnehin in ein Gesetz und nicht in eine Verordnung gehörten. Zustimmend Uhlenbrock, DGVZ 1993, 97 (100). 76 Stürner, DGVZ 1995, 135 (137). 77 Stürner, DGVZ 1995, 135 (137). 78 Dass auch an der beamtenrechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers nicht zu rühren ist, belegt seine hoheitliche Tätigkeit. Eine freiberufliche Tätigkeit aufgrund eines zivilrechtlichen Mandatsverhältnisses in Anlehnung an den französischen huissier ist daher kaum vorstellbar. Ebenso Stürner, DGVZ 1995, 135 (136). 79 S. dazu nur die recht gegensätzlichen Ausführungen von Dütz, S. 26 ff.; ders., DGVZ 1975, 49 (55 f.), und Gaul, ZZP 1974, 241 (248 ff.). 80 Näher zum Streitstand Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 2, und Stolte, DGVZ 1987, 97 (104 ff.). 81 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 2 b aa, und Schilken, DGVZ 1995, 133 (138). 82 BVerwG NJW 1983, 896 (898).
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ist der Beamte auf den Weg der Remonstration angewiesen.83 Offenkundig wird dies spätestens in dem Augenblick, in dem die Gerichte eine von den Verwaltungsvorschriften abweichende Entscheidung vornehmen.84 Der Streit um die Weisungsabhängigkeit des Gerichtsvollziehers sollte indes nicht überbewertet werden, da unterstellt werden darf, dass das Anliegen der Aufsichtsbehörden weniger in einer Aufforderung zum allgemeinen Rechtsbruch als vielmehr in einer Arbeitserleichterung für die Gerichtsvollzieher durch die Entwicklung und Vorgabe einheitlicher gesetzeskonkretisierender Verwaltungsvorschriften zu suchen sein dürfte. 5. Ergebnis Die Überlegungen zu den unterschiedlichen Vollstreckungsorganen des deutschen Vollstreckungsrechts machen deutlich, dass sich die vermeintliche Vielfalt im Kern auf zwei Vollstreckungsorgane zurückführen lässt, den Gerichtsvollzieher und den Rechtspfleger. Die Tätigkeit des Prozessgerichts bei der Bemessung von Zwangsgeldern ist ebenso antiquiert wie die vollstreckungsrechtliche Tätigkeit des Grundbuchamtes bei der Eintragung von Zwangshypotheken.
III. Das Zusammenspiel von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger Der Dualismus von Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht ist – wie sich gezeigt hat – anderen europäischen Nachbarländern nicht fremd. Unterschiedlich ist lediglich die Gewichtung der Kompetenzen beider Organe. Während die Franzosen die Tätigkeit des huissiers als maßgebliches Vollstreckungsorgan betonen, versteht man den Gerichtsvollzieher in Österreich lediglich als weisungsgebundenes Hilfsorgan gegenüber dem zentralen Vollstreckungsgericht. Allen Lösungen gemein ist, dass es sich jeweils um ein Über- und Unterordnungsverhältnis handelt. Davon weicht das deutsche Vollstreckungsrecht insoweit ab, als es auf der Ebene der unterschiedlichen Vollstreckungsarten eine horizontale Abgrenzung zwischen der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers und derjenigen des Rechtspflegers vornimmt. Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn stellt sich damit die Frage nach der Notwendigkeit dieser weitergehenden Differenzierung. 1. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder im Innen- und Außendienst? Sucht man in der Literatur nach einer Begründung für die Differenzierung zwischen der Tätigkeit des Rechtspflegers und derjenigen des Gerichtsvollziehers, so stößt man in der Regel auf das Argument der Unterscheidung zwischen Innen83
So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 2 c aa. Namentlich angesprochen ist damit insbesondere die Regelung des § 168 Nr. 1 GVGA, die dem Prioritätsprinzip eindeutig zuwiderläuft, indem sie dem Gerichtsvollzieher die gleichberechtigte Bearbeitung zeitlich aufeinander abfolgender Vollstreckungsanträge ermöglicht. 84
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und Außendienst.85 Diese Differenzierung kennzeichnet zugleich die Trennung der Mobiliar- und der Herausgabevollstreckung von den übrigen Arten der Vollstreckung. Das damit verbundene Verständnis des Gerichtsvollziehers als „Frontsoldat der Vollstreckung“ greift aber zu kurz. Denn die Prüfungsanforderungen und die berufliche Qualifikation von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger sind weitgehend identisch, die Tätigkeitsfelder beliebig austauschbar. a) Identität des Anforderungsprofils Eine prinzipielle Unterscheidung der Vollstreckung in die Bereiche von Innenund Außendienst wird in der Literatur nicht in Erwägung gezogen. Im Gegenteil belegen die aufgestellten Prinzipienkataloge sowie die gesetzlich vorgegebenen allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen eine Identität der Anforderungsprofile an den Gerichtsvollzieher und an den Rechtspfleger. Lediglich im Rahmen der konkreten Pfändungsmaßnahme können sich Besonderheiten ergeben, die sich aber allein aus den unterschiedlichen Vollstreckungsgegenständen ableiten. Zudem begründen diese keine unterschiedliche Prüfungsintensität, die es geboten erscheinen ließe, den „Innendienst“ dem Rechtspfleger als vermeintlich besser ausgebildetem Vollstreckungsorgan vorzubehalten. Im Gegenteil sind die filigranen rechtlichen Überlegungen im Bereich des Hypothekenhaftungsverbandes, die der Gerichtsvollzieher im Rahmen des § 865 ZPO bei der Immobiliarvollstreckung vorzunehmen hat, in vergleichbarer Form im Rahmen der Forderungsvollstreckung kaum anzutreffen.86 Dies gilt umso mehr, als beiden Vollstreckungsorganen aufgrund der Formalisierung der Vollstreckung materiell-rechtliche Prüfungen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis untersagt sind. Auch der Rechtsschutz ist, was die Vollstreckungserinnerung anbelangt, identisch und, was die Rechtspflegererinnerung anbelangt, vergleichbar geregelt.87 In der weiteren Konsequenz stellt sich die Frage, weshalb überhaupt noch eine funktionelle Unterscheidung vorgenommen werden soll. b) Austauschbarkeit der Tätigkeitsfelder Die bisherigen Überlegungen zur Tätigkeit von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher belegen, dass beide Organe Verwaltungstätigkeiten im Bereich der Vollstreckung ausüben. Die Vergleichbarkeit ihrer organisationsrechtlichen Stellung belegt die Austauschbarkeit der wechselseitigen Tätigkeitsfelder. Nicht umsonst 85 Gaul, JZ 1973,473 (480); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 24 I. Kühn, DGVZ 1993, 71 (71), verlangt aufgrund der Unterschiede der Entscheidungsbefugnisse und der Verantwortlichkeiten eine generelle Neubewertung des Amtes des Gerichtsvollziehers. 86 Zur Qualifikation des Gerichtsvollziehers s. bereits oben unter § 5 IX. Zeiss, DGVZ 1987, 145 (151), dreht daher in der Diskussion um die Qualifikation von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher den Spieß mit folgender provokanter Formulierung um: „Aber die Aufgaben etwa eines Rechtspflegers im Mahnverfahren kann man … einem Computer anvertrauen. Die des Gerichtsvollziehers, der nach §§ 808 ff. ZPO vorgehen muß, mit Sicherheit niemals.“ 87 Völlig zu Recht wird daher, was den unausgegorenen organisationsrechtlichen Status des Gerichtsvollziehers anbelangt, auch eine Gleichstellung mit dem Rechtspfleger verlangt, s.o. II 4 b.
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hat der Gesetzgeber in jüngster Zeit den gesamten Bereich der eidesstattlichen Versicherung, für den bis dato der Rechtspfleger zuständig war, auf den Gerichtsvollzieher übertragen.88 Die Sinnfälligkeit der Unterscheidung zwischen Innenund Außendienst kommt dabei offen zum Tragen. So ist der Ort für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung vom Vollstreckungsgericht an den Sitz des Schuldners verlagert worden. 2. Auftretende Reibungsverluste Die Unterscheidung der Tätigkeitsfelder zwischen Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger wird in der Literatur teilweise als Vorteil für den Gläubiger bewertet. Dieser sei nicht einem einzigen Vollstreckungsorgan ausgeliefert, sondern könne im Falle von Verzögerungen auf die Dienste eines anderen unabhängigen Vollstreckungsorgans zugreifen.89 Bedenklich an dieser Argumentation stimmt aber schon die Prämisse, die ein Versagen des Vollstreckungssystems unterstellt, indem sie sowohl dem Gerichtsvollzieher als auch dem Rechtspfleger eine zögerliche Bearbeitung von Vollstreckungsaufträgen zum Vorwurf macht. Will man derartige Risiken für den Gläubiger ausschließen, so hilft es wohl kaum, die Zahl der Vollstreckungsorgane zu erhöhen, zumal deren Tätigkeitsfelder einander ausschließen. Weiß der Gläubiger von einer Forderung des Schuldners, deren Pfändung der Rechtspfleger hinauszögert, so hilft ihm ein Vollstreckungsantrag an den Gerichtsvollzieher im Hinblick auf die zu pfändende Forderung wenig. In Betracht zu ziehen wären also vom Standpunkt der Literatur vielmehr gesetzliche Regelungen, die eine Pflichtverletzung des Rechtspflegers sanktionieren und eine Entschädigung des Gläubigers gewährleisten.90 Die horizontale Aufgabenverteilung zwischen Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher bringt mithin keinen Vorteil mit sich, sondern bedingt eine funktionale Zerissenheit des Vollstreckungsorgans. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut.91 Die Kenntnis des Vollstreckungsorgans von den Vermögensverhältnissen reduziert sich auf das jeweils maßgebliche Tätigkeitsfeld, so dass ein umfassender Überblick über die Vermögensverhältnisse und damit eine effektive Vollstre88 Nachdrücklich zu den Gründen für diese durchaus begrüßenswerte Reform schon Brehm, DGVZ 1986, 97 (100 f.). Für eine entsprechende Gesetzesreform, die der Vorpfändung besondere Durchschlagskraft verleiht, hatten bereits Eickmann, DGVZ 1977, 103 (107); Behr, Rpfleger 1981, 417 (422); Brehm, DGVZ 1983, 101 (106), und Schilken, DGVZ 1990, 97 (101 f.); ders., in: Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, ZZP 1992, 426 (426), plädiert. Zur Übertragung der Vorpfändung auf den Gerichtsvollzieher s. bereits Gilleßen/Jakobs, DGVZ 1979, 103 (104 ff.). 89 So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 28 VI: „Die Lösung kann nur in einem Kompromiß liegen, bei dem die Gefahren einer Bürokratisierung und des Erlahmens der Vollstreckungsenergie vermieden und die Initiative des Gläubigers und sein Einfluß auf das Verfahren möglichst gewahrt bleibt.“ Ebenso Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (323). 90 Dazu noch nachfolgend unter V. 91 Dazu Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (322 f.): „Eine Koordination findet nicht statt; die Vollstreckungsorgane – Gericht und Gerichtsvollzieher – handeln selbständig nebeneinander. Diese Aufteilung in neben- und nacheinander geschaltete Einzelverfahren legen den Gedanken einer Konzentration der Vollstreckung bei einer Instanz nahe.“
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ckung durch ein einziges Vollstreckungsorgan erschwert wird. Die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Außendienst ist kaum von der Forderungsvollstreckung durch den Rechtspfleger zu trennen. Im Gegenteil führt die funktionelle Aufgabenunterteilung zu unliebsamen Verzögerungen. Der Gerichtsvollzieher ist im Anschluss an die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung an der sofortigen Vollstreckung einer bekannt gegebenen Forderung gehindert. Er muss den Gläubiger an das Vollstreckungsgericht verweisen, das erfahrungsgemäß erst Wochen später eine Pfändung vornimmt. Die Gefahr der Vollstreckungsvereitelung liegt auf der Hand. Die Aufgabenteilung erweist sich unter einem weiteren Gesichtspunkt als schweres Hemmnis für eine effektive Vollstreckung. Das Titelerfordernis bedingt die Notwendigkeit der Vorlage des Vollstreckungstitels gegenüber dem Vollstreckungsorgan. Allein dieser Gesichtspunkt schließt eine gleichzeitige Tätigkeit des Rechtspflegers und des Gerichtsvollziehers aus. Und so bleibt dem Gläubiger im Falle der Verfahrensverschleppung keine wirkliche Alternative. Der in der Literatur mitunter angepriesene Weg zum alternativen Vollstreckungsorgan entpuppt sich als Sackgasse angesichts der Tatsache, dass die vollstreckbare Ausfertigung des Titels in den Vollstreckungsakten des untätigen Vollstreckungsorgans ruht. 3. Überspannung der Dispositionsmaxime und Aushöhlung des Prioritätsprinzips Betrachtet man die Auswahlmöglichkeit des Gläubigers zwischen den Vollstreckungsorganen unter prinzipiellen Erwägungen, so ist eine unzulässige Ausdehnung der Dispositionsmaxime festzustellen.92 Der Gläubiger entscheidet nicht allein über den Beginn der Vollstreckung. Die Dezentralisierung der Vollstreckung ermöglicht ihm darüber hinaus, die Reihenfolge der zu pfändenden Gegenstände zu bestimmen. Es fehlt an einer zentralen staatlichen Vollstreckungsinstanz. Dies erweist sich unter dem Gesichtspunkt des staatlichen Gewaltmonopols mehr als bedenklich, da es allein Aufgabe des Staates ist, die Art und Weise der Gewaltanwendung zu bestimmen.93 Die Auswahl der angemessenen Vollstreckungsmaßnahme ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Daneben ist aus Gläubigersicht zu berücksichtigen, dass die ihm übertragene Auswahlmöglichkeit nur 92 Behr, Rpfleger 1981, 417 (420), äußert sich zurückhaltender und hält eine Rückführung der Dispositionsmaxime erst bei Einführung einer zentralen Vollstreckungsinstanz für erforderlich: „Eine Realisierung des Modells dieser zentralen Vollstreckungsinstanz korrespondiert aber unabdingbar mit der Aufgabe einiger Prinzipien unseres geltenden Rechts, die zwar unrationell und rechtsstaatlich defizitär funktionieren, an denen aber trotz mehrfacher Anstöße bisher in Fortschreibung des liberalistischen Gedankenguts des 19. Jahrhunderts festgehalten wurde: Ich meine vor allem: die absolute Parteiherrschaft des Gläubigers, Alleinzuständigkeit des Gerichtsvollziehers für die Sachpfändung und das Primat der Sachpfändung.“ Zum naheliegenden Zusammenhang von zentraler Vollstreckungsorganisation und der Anwendung der Offizialmaxime auch Stürner, ZZP 1986, 291 (311), der von einem klassischen Grundmodell spricht. 93 S. dazu schon ausführlich unter § 8 III 3 und V 5.
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scheinbar seine Rechtsposition stärkt. Mit dem Dispositionsrecht trifft den Gläubiger zugleich das Risiko des Fehlschlags der von ihm beantragten Vollstreckungsmaßnahme94 und damit das zwischenzeitliche Insolvenzrisiko des Schuldners. Dieses Risiko minimiert sich bei der Auswahl der geeigneten Vollstreckungsmaßnahme durch ein zentrales Vollstreckungsorgan.95 Denn dieses verfügt über die notwendigen Mittel zur Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Schuldners, soweit es aufgrund vorheriger Vollstreckungsmaßnahmen nicht ohnehin bereits über diese Kenntnisse verfügt. Im Anschluss liegt nunmehr die Haftung für eine fehlerhafte, weil ungeeignete Vollstreckungsmaßnahme allein beim zuständigen Vollstreckungsorgan, das sich seiner Verantwortung im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols nicht entziehen kann. In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Prinzip anzusprechen, das durch die Dezentralisierung der Vollstreckung ausgehöhlt wird. Bei geschickter Auswahl der Vollstreckungsmaßnahme, sei es geplant oder zufällig, ist dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, die Befriedigung seiner Forderung vorzeitig gegenüber vorrangigen Gläubigern herbeizuführen. Es entsteht gleichsam ein Wettlauf zwischen den unterschiedlichen Vollstreckungsorganen, dessen Ausgang durch Faktoren bestimmt wird, die von dem Gläubiger mehr oder weniger zu beeinflussen sind. Dabei ist insbesondere an die unterschiedlichen Bearbeitungszeiten der Vollstreckungsorgane zu denken. Soweit der nachrangige Gläubiger aufgrund eigener Kenntnisse über die Vermögensverhältnisse des Schuldners gezielt die günstigere Vollstreckungsmaßnahme wählt, verschafft er sich unter Umgehung des Prioritätsprinzips einen unberechtigten Vorteil. Denn die dem Gläubiger zur Verfügung stehenden Aufklärungsmittel bei Beginn der Vollstreckung sind kein sachlich begründbares Kriterium, um die Abfolge der Gläubiger zu beeinflussen. Dies belegt die bei den staatlichen Behörden angesiedelte und für die Vollstreckung allein maßgebliche Aufklärungsbefugnis. Soweit es sich um Kenntnisse des Gläubigers handelt, kommen diese nur bei entsprechender vertraglicher Ausgestaltung zum Tragen. Hat der Gläubiger beispielsweise für dingliche Sicherheiten seiner Forderung Sorge getragen, so bleiben diese in Ausprägung des Prioritätsprinzips sowohl in der Einzelvollstreckung als auch in der Insolvenz unberührt bestehen und gewähren dem Gläubiger ein Aus- oder Absonderungsrecht.
94 Anschaulich zur unüberschaubaren Fülle von Anträgen und Verfahrensabschnitten, die der Gläubiger im Blick haben muss, Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (322). 95 In dieselbe Richtung, wenngleich auch zurückhaltender, gehen die Äußerungen von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 28 VI: „Die Zersplitterung und Dezentralisierung des geltenden Vollstreckungswesens durch Aufteilung auf verschiedene Vollstreckungsorgane und auf neben- und nacheinandergeschaltete Einzelverfahren, die immer neuer Anstöße und Gläubigeranträge bedürfen und mannigfachen Gegenanträgen des Schuldners ausgesetzt sind, legen den Gedanken einer Konzentration der Vollstreckung bei einer Instanz nahe.“
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IV. Besinnung auf ein zentrales Vollstreckungsorgan Die bisherigen Überlegungen sprechen sämtlich für die Konzentration auf ein zentrales Vollstreckungsorgan.96 Es hat sich gezeigt, dass die Differenzierung zwischen den Tätigkeitsfeldern des Gerichtsvollziehers und des Rechtspflegers kaum zu rechtfertigen ist. Die unterschiedlichen Vollstreckungsobjekte bedingen nicht eine organisatorische Unterteilung des Vollstreckungswesens. Im Gegenteil bewirkt eine solche Dezentralisierung unnötige Nachteile, gerade für den Gläubiger, zu dessen angeblichem Vorteil sie dienen soll. Demgegenüber ermöglicht eine zentrale Vollstreckungsbehörde eine gesteigerte Effektivität der Vollstreckung und die Berücksichtigung der maßgeblichen Prinzipien im Rahmen der Vollstreckung, namentlich des Prioritätsprinzips. Daneben gibt es einige bislang unberücksichtigt gebliebene Argumente, die ebenfalls für eine zentrale Vollstreckungsbehörde sprechen. 1. Rückbezug zum zentralen Klauselverfahren Sinn und Zweck des Klauselverfahrens, insbesondere des qualifizierten, bestehen darin, die Vollstreckungsorgane von der Prüfung zentraler Rechtsfragen zu entlasten.97 Die vorrangige und verbindliche Prüfung dieser Fragen durch das Klauselorgan verhindert die wiederholte Prüfung durch jedes einzelne Vollstreckungsorgan und vermeidet voneinander abweichende Entscheidungen. Es ist nicht einsichtig, weshalb diese Überlegungen nicht zur Gänze auf das Vollstreckungsverfahren übertragbar sein sollten. Soweit die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht auf das Klauselerteilungsorgan delegiert sind, besteht auch hier die Gefahr divergierender Sachentscheidungen der unterschiedlichen Vollstreckungsorgane. Die Einführung einer zentralen Vollstreckungsbehörde würde eine Entlastung in dem Sinne herbeiführen, dass nur noch ein umfassend zuständiges Vollstreckungsorgan die Vollstreckungsvoraussetzungen verbindlich zu prüfen hätte. Diese Zentralisierung würde zudem das Klauselverfahren selbst entbehrlich machen. Dessen Sinn und Zweck würden in einem zentralen Vollstreckungsverfahren aufgehen.98 2. Rückschluss von der Rechtsnatur der Vollstreckung auf ihre Organisation Sowohl der Rechtspfleger als auch der Gerichtsvollzieher nehmen in ihrer Funktion als Vollstreckungsorgan Aufgaben der Verwaltung wahr.99 Es liegt daher nahe, von der Rechtsnatur der Vollstreckung als Verwaltungsverfahren zugleich 96 In dieselbe Richtung gehen Behr, Rpfleger 1981, 417 (420); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 28 VI; Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (322), und Millack, DGVZ 1965, 146 (147). Entschieden gegen eine Zentralisierung plädiert Brehm, Rpfleger 1982, 125 (126 ff.). 97 S.o. § 12 I und III 1 b. Dort ist allerdings auch auf die Fragwürdigkeit der Vollstreckbarkeitsprüfung durch ein dem Gericht untergeordnetes Organ hingewiesen worden. 98 Zur Entbehrlichkeit des Klauselverfahrens s. schon ausführlich unter § 12 III 5, IV 3 und V 5. 99 S.o. III 1 und schon § 4 IV.
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Fünfter Teil: Die Organisation der Zwangsvollstreckung
Rückschlüsse auf die Organisation der Vollstreckung abzuleiten. Dabei fällt auf, dass eine Aufteilung der Verwaltung nach Ressorts sachgerecht ist. Hingegen findet sich keine weitere funktionale Unterteilung in unterschiedliche Behörden für den Innen- und Außendienst. Denkt man beispielsweise an die für die präventive Gefahrenabwehr zuständigen Ordnungsbehörden, so springt im Gegenteil ins Auge, dass die Ordnungsbeamten gezielt im Innen- und Außendienst eingesetzt werden, um eine sachgerechte Gefahrenabwehr zu ermöglichen. Soweit hingegen bei Polizeibehörden mitunter eine Unterscheidung zwischen Innen- und Außendienst vorgenommen wird, beschränkt sich diese auf eine interne Geschäftsverteilung, ohne dass dazu in status- und organisationsrechtlicher Hinsicht eine Unterscheidung vorgenommen würde. Der Wechsel zwischen Innen- und Außendienst ist jederzeit vollziehbar. Weshalb eine vergleichbare Flexibilität in der Vollstreckung ausgeschlossen sein soll, ist nicht ersichtlich. Die Differenzierung zwischen Innen- und Außendienst bezieht sich allenfalls auf eine Unterscheidung in Abhängigkeit von den Neigungen der Bediensteten, die aber nicht prägend ist für die Organisation der Vollstreckung, sondern allenfalls für die Berufswahl des Bediensteten. Dabei sollte die Abwechslung zwischen Innen- und Außendienst die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans eher interessanter gestalten. 3. Rechtsvereinheitlichung durch Zentralisierung Vielfach wird die Zersplitterung der Verwaltungsvollstreckung beklagt und für eine Zentralisierung plädiert.100 Unklar bleibt allein, weshalb diese berechtigten Überlegungen nicht auf das Zwangsvollstreckungsrecht übertragen werden. Auch insoweit bestünde die Möglichkeit zu einer weitgehenden Rechtsvereinheitlichung. Angesichts der Vielzahl der Vollstreckungsorgane könnten wertvolle staatliche Ressourcen eingespart werden.101 Dass die Zwangsvollstreckung insoweit keine andere Bewertung rechtfertigt als die Verwaltungsvollstreckung ergibt sich aus ihrer einheitlichen Rechtsnatur. Es handelt sich bei der Vollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung ebenfalls um ein der Verwaltung, nicht etwa der Rechtspflege zuzuordnendes Verfahren.102 Das schweizerische System der allzuständigen Betreibungsämter erweist sich vor diesem Hintergrund im europäischen Vergleich als bahnbrechend, indem es sämtliche Bereiche der Vollstreckung zusammenfasst.103 100 Gaul, JZ 1979, 496 (511); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 28 VI; Noack, JurBüro 1978, 19 (30); Behr, Rpfleger 1981, 417 (420); Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (322), und Millack, DGVZ 1965, 146 (147). Ausführlich dazu bereits im zweiten Teil unter § 10 IV. 101 Den Einspareffekt bei den Kosten der Zwangsvollstreckung betont auch Behr, Rpfleger 1981, 417 (420). 102 S.o. § 4 VI. 103 Zurückhaltend gegenüber dem schweizerischen Modell äußert sich Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 28 VI, der aber in Anlehnung an das Vollstreckungsmodell in Frankreich, Österreich, Italien und Belgien ebenfalls für einen Ausbau einer Zentralinstanz plädiert. Dies könnte, wie von Gaul angeregt, das Vollstreckungsgericht sein, sofern das Berufsbild von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher gemäß den vorstehenden Überlegungen vereinheitlicht würde. Ebenfalls für eine Zentralisierung Behr, Rpfleger 1981, 417 (420).
§ 23 Abwägung der Organisationsmodelle
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4. Trennung zwischen Exekutive und Judikative Das Verständnis der Vollstreckungsorgane als Verwaltungsbehörden ermöglicht abschließend eine saubere Grenzziehung im Sinne der staatlichen Gewaltenteilung. Mit Ausnahme des schweizerischen Betreibungsrechts weisen alle übrigen Rechtsordnungen noch starke historische Bezüge zu dem mittelalterlichen System der Vollstreckung durch die erkennenden Gerichte auf. Die Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ist zwar insoweit vollzogen worden, als in der Regel der Gerichtsvollzieher das zentrale Vollstreckungsorgan darstellt. Gleichwohl hat das Vollstreckungsgericht nicht gänzlich seine Funktion eingebüßt. Hier tut eine endgültige Trennung der staatlichen Gewalten Not. Hilfreich dafür ist die funktionale Unterteilung des deutschen Vollstreckungsgerichts in die Tätigkeitsbereiche des Vollstreckungsrichters und des Rechtspflegers. In ähnlicher Form wäre auch in anderen Ländern für eine klare Grenzziehung zwischen den erkennenden Gerichten und den Vollstreckungsorganen zu plädieren. In der letzten Konsequenz könnte eine solche Trennung eine räumliche Abspaltung der Vollstreckungsorgane von den Gerichten zur Folge haben, wie sie in der Schweiz mit den Betreibungsämtern bereits vollzogen ist.104
V. Gefahren der zögerlichen Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen Selbst wenn das Argument der zögerlichen Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen nicht die Unterteilung des Vollstreckungswesens in mehrere Vollstreckungsorgane rechtfertigt, bleibt das Problem unverändert auch im Rahmen einer zentralen Vollstreckungsbehörde bestehen. Angesichts der hinreichend bekannten Hemmnisse einer staatlichen Verwaltung stellt sich die Frage, ob nicht die Zwangsvollstreckung durch die Etablierung einer zentralen Vollstreckungsbehörde jegliche Effektivität einbüßen müsste.105 Dieser Einwand ist zunächst insoweit zu relativieren, als sich an der funktionellen Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers und des Rechtspflegers auch bei Einführung einer zentralen Vollstreckungsbehörde nichts ändern würde. Die Vollstreckungstätigkeit würde nicht etwa einer neuen Berufsgruppe von Verwaltungsbeamten überantwortet, sondern das Berufsbild des Gerichtsvollziehers und des in der Vollstreckung tätigen Rechtspflegers würde vielmehr hinsichtlich ihrer organisationsrechtlichen Stellung vereinheitlicht und derjenigen anderer Verwaltungsbediensteter angepasst. 104 Die räumliche Ausgliederung der Vollstreckungsbehörden könnte schrittweise im Rahmen von ohnehin anstehenden räumlichen Veränderungen vollzogen werden, um unnötige Kosten einer derartigen Umstrukturierung zu vermeiden. 105 So durchaus kritisch Seip, Rpfleger 1982, 257 (258); Schilken, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung, S. 307 (323), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 28 VI: „Die Lösung kann nur in einem Kompromiß liegen, bei dem die Gefahren einer Bürokratisierung und des Erlahmens der Vollstreckungsenergie vermieden und die Initiative des Gläubigers und sein Einfluß auf das Verfahren möglichst gewahrt bleibt.“
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Fünfter Teil: Die Organisation der Zwangsvollstreckung
Die verbleibenden Bedenken gegen eine zögerliche Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen lassen sich kaum mit Hilfe des schweizerischen Vorbilds lösen. Dort wird als inneres Gegengewicht gegen die Gefahr der Verkrustung eines zentralisierten Betreibungswesens die Wahl der Betreibungsbeamten durch Wahlorgane oder das Volk selbst angesehen. Diesbezüglich ist zutreffend darauf hingewiesen worden, dass eine zentrale Vollstreckungsorganisation in einem übersichtlichen und stark gegliederten Staatswesen hoher demokratischer Tradition nicht dasselbe bedeuten muss wie in einer flächenstaatlichen Massendemokratie.106 Hier erscheint die Auswahl der Bediensteten durch die Behörden selbst nach den Kriterien der Eignung und fachlichen Befähigung als der bessere Weg, um die Funktionsfähigkeit zu sichern. Daneben bietet das schweizerische Modell aber weitere sinnvolle Regelungen zur Gewährleistung einer effektiven Vollstreckung. Es sieht gesetzlich vorgeschriebene Bearbeitungsfristen vor.107 Werden diese Fristen nicht eingehalten, so kann sich der Betroffene wegen Rechtsverzögerung beschweren.108 Demgegenüber besteht in Deutschland eine eigenartige Zurückhaltung, den Vollstreckungsorganen klare Fristen zu setzen.109 Sinnvoll wäre zudem die flankierende Einführung einer Entschädigungsregelung für den Fall, dass dem Gläubiger aus der verzögerten Bearbeitung seines Vollstreckungsantrages Schäden entstehen. Mittelbar würde dies zugleich den nötigen Druck auf den Staat ausüben, ausreichend viele Vollstreckungsbedienstete einzustellen.110 Bedenkenswert wäre abschließend auch eine leistungsorientierte Besoldung der in der Vollstreckung Bediensteten. In Anlehnung an die Besoldung der Gerichtsvollzieher könnte dabei an eine Beteiligung an den erzielten Gebühren gedacht werden. Ein derartiger Bruch mit dem geläufigen Besoldungssystem wäre insoweit zu rechtfertigen, als sich das Vergütungssystem der Gerichtsvollzieher
106
So Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.129. So etwa in Art. 9, 84, 90, 120, 122, 247, 270 SchKG. 108 Amonn/Gasser, § 11, Rdnr. 3. 109 Diesen Missstand hat bereits Stürner, ZZP 1986, 291 (318), kritisiert: „Es ist eigenartig, daß mit der Näherung des Gläubigers an das Ziel der Befriedigung die Konzentrationsmaxime mehr und mehr an Kraft verliert. Das Recht zeigt verständliche Hemmung, auf den am Boden liegenden Schuldner rasch einzuschlagen und läßt dabei dem listigen Schuldner Raum zur Verzögerung. Insgesamt sind im deutschen Recht nicht alle Möglichkeiten der Beschleunigung ausgeschöpft. Insbesondere besteht eine eigenartige Zurückhaltung, den Vollstreckungsorganen klare Fristen zu setzen. Solange der Gläubiger zwischen verschiedenen Vollstreckungsorganen frei wählen kann, mag dies angehen; bei einer Zentralisierung erscheint das freie zeitliche Ermessen der Behörde verhängnisvoll.“ 110 Nach dem hier entwickelten Verständnis der Zwangsvollstreckung lässt sich eine derartige Entschädigungsregelung im Bereich der Verwertung aus § 286 Abs. 1 BGB ableiten, da das Verwertungsorgan hier privatrechtlich als Beauftragter des Gläubigers tätig wird. Dies hilft dem Gläubiger jedoch in den meisten Fällen nicht weiter, da ihm unwiderbringliche Schäden weniger aus einer verzögerten Verwertung als aus einer verspäteten Einleitung der Pfändung drohen. Hier wird das Vollstreckungsorgan aber hoheitlich tätig, so dass öffentlich-rechtliche Entschädigungsregelungen zur Anwendung zu bringen sind. 107
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durchaus bewährt hat.111 Hingegen wäre eine Erfolgsprämie wohl aus denselben Gründen zu verwerfen, die den Gesetzgeber zur Einführung fester Vollstreckungsbezirke bewogen haben. Ein erfolgsabhängiger Wettstreit zwischen den Vollstreckungsbeamten birgt die Gefahr der Vernachlässigung des notwendigen Schuldnerschutzes in sich.112
VI. Ergebnis Die Überlegungen zur Organisation der Vollstreckung münden in ein Plädoyer für die Einführung zentraler Vollstreckungsbehörden nach dem Vorbild der schweizerischen Betreibungsämter. Schon nach geltendem deutschem Vollstreckungsrecht üben die Vollstreckungsorgane eine Verwaltungstätigkeit aus. Dabei gewährleistet die funktionale Unterteilung des Vollstreckungsgerichts in den Vollstreckungsrichter und den Rechtspfleger eine klare Trennung zwischen Judikative und Exekutive. Hingegen erweist sich die weitere Unterscheidung zwischen der Tätigkeit des Rechtspflegers und derjenigen des Gerichtsvollziehers als Hemmnis für eine effektive Vollstreckung. Darüber hinaus eröffnet diese Differenzierung Nischen zur Umgehung elementarer Prinzipien wie etwa des Prioritätsgrundsatzes und der Offizialmaxime. Abhilfe bietet eine organisations- und besoldungsrechtliche Gleichstellung der beiden Vollstreckungsorgane bis hin zur Schaffung eines einheitlichen Berufsbildes. Der Gefahr einer Lähmung der Vollstreckung durch zentrale Vollstreckungsbehörden kann durch die Einführung gesetzlicher Bearbeitungsfristen und Entschädigungsregelungen zugunsten der Gläubiger begegnet werden.
111 Umstritten ist lediglich die auf den „Bad Nauheimer Personenschlüssel“ von 1962 zurückgehende Berechnungsgrundlage hinsichtlich ihrer heutigen Angemessenheit, VG Stuttgart, DGVZ 1993, 118 (120 f.); VG Stuttgart, DGVZ 1993, 94 (94 f.). 112 Zu diesem früheren Zustand Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 25 II 1 c: „Die freie Auswahl unter mehreren in einem Bezirk tätigen Gerichtsvollziehern führte aber bald zu dem Mißstand, daß sie sich im Wetteifer um die Gebühren an Schneidigkeit und Robustheit zu übertreffen suchten. Deshalb gingen im Jahre 1900 namentlich die Länder Preußen und Bayern zum System festbesoldeter, an bestimmte Amtsbezirke gebundener Gerichtsvollzieher über.“
Sechster Teil
Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung § 24 Vorbemerkung I. Das Spiegelbild der Prinzipien und Strukturen der Zwangsvollstreckung Sinn und Zweck eines Rechtsbehelfssystems ist die flächendeckende Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes. Um eine Deckungsgleichheit mit der betroffenen Rechtsmaterie sicherzustellen, hat sich das Rechtsbehelfssystem zwangsläufig an den Strukturen des jeweiligen Rechtsgebiets zu orientieren.1 Es spiegelt dessen Prinzipien wider. Die eigentliche Crux des Vollstreckungsrechts liegt nun darin, dass es bislang an derartigen Prinzipien und Grundstrukturen mangelt.2 In der weiteren Konsequenz stellt sich das bestehende Rechtsbehelfssystem des achten Buchs der Zivilprozessordnung als ein eigenartiges Konglomerat, als ein undurchdringbarer Dschungel im Grenzgebiet zwischen zivil- und öffentlich-rechtlichen Strukturen dar. Dass das bestehende System trotzdem als ein „im Grunde bewährtes System“ bezeichnet wird,3 das nicht „ohne Not preisgegeben werden sollte“,4 ist nur so zu erklären, dass es bislang nicht gelungen ist, die notwendigen Vorfragen nach der Rechtsnatur der Vollstreckung zufriedenstellend zu beantworten.
II. Der Reformbedarf Das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung war aufgrund seiner weitläufigen Verästelungen allzu oft Gegenstand der Kritik.5 Angesichts der Vielfalt der 1 Ähnlich in seiner Bewertung Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 III 1: „Das System der Vollstreckungsrechtsbehelfe kann nur in seiner Einbettung in das Gesamtgefüge der Zwangsvollstreckung verstanden werden.“ 2 Zur umstrittenen Rechtsnatur des Zwangsvollstreckungsrechts s. bereits ausführlich im ersten Teil unter § 4 II. 3 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 III 1; Bruns/Peters, II 3 Vor § 14; Lippross, JA 1979, 9 (10), und Walker, in: Schuschke/Walker, Vor §§ 765 a – 777, Rdnr. 1. 4 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 VI a.E. Diese von Gaul schon auf der Zivilprozessrechtslehrertagung von 1972 vorgetragene These hat überwiegende Zustimmung erfahren, Fenge, JZ 1972, 603 (605). 5 Behr, KJ 1980, 156 (156), spricht von einem undurchschaubaren System. Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 4.9, 42.7, fordern Reformen: „Eine Vereinfachung und Vereinheitlichung innerhalb der Rechtsbehelfe gegen formelle Verstöße wäre denkbar und wünschenswert.“ Ähnlich kritisch Lack-
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
unterschiedlichen Rechtsbehelfe muss dies nicht erstaunen.6 Während sich das Zivilprozessrecht auf drei Klagearten beschränkt, sind die Vollstreckungsrechtsbehelfe kaum mehr an zwei Händen abzuzählen. Und so kann es nur als bedrückend empfunden werden, „wie viel richterlicher Scharfsinn oberlandesgerichtlicher Senate“ bei der Frage der Abgrenzung der filigran anmutenden Rechtsbehelfe aufgewendet wird.7 Es handelt sich eher um ein Rechtsschutzlabyrinth als um ein der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dienendes System.8 1. Die fragwürdige Vielfalt der Rechtsbehelfe Die Trennung des Vollstreckungsverfahrens vom Erkenntnisverfahren bewirkt eine grundsätzliche Zweiteilung der Rechtsbehelfe. Diese Differenzierung ist nicht in Frage zu stellen, will man nicht zu dem lähmenden System des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses mit der Konzentration aller Einwendungen beim Prozessgericht zurückkehren.9 Die Fülle der weiteren Rechtsbehelfe ist jedoch kaum mehr überschaubar. In den Kanon der sogenannten materiellen Rechtsbehelfe reihen sich die Vollstreckungsabwehrklage, die Interventionsklage und die Absonderungsklage. Hingegen werden die Vollstreckungserinnerung, die vormalige Rechtspflegererinnerung und die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO den sogenannten formellen Rechtsbehelfen zugeordnet. Dieses zweispurige Rechtsbehelfssystem wird durch „nachgebildete Rechtsbehelfe“ zusätzlich erweitert.10 Genannt werden in formeller Hinsicht die Zuschlagsbeschwerde, die Grundbuchbeschwerde, der Widerspruch im Offenbarungsverfahren und der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO. Im Kanon der materiell-rechtlichen Klagen treten die Quasigegenklage des beschränkt haftenden Erben, §§ 785, 786 ZPO, und die Widerspruchsklage gegen den Teilungsplan gemäß § 878 ZPO hinzu. Auf die Spitze getrieben wird diese babylonische Sprachverwirrung durch das Klauselverfahren, das nochmals eine reiche Palette an spezifischen Rechtsbehelfen zur Verfügung stellt,11 anstatt sich auf die Rechtsbehelfe des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens zu beschränken.12 mann, Rdnr. 21, und Gaul, ZZP 1972, 251 (254); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 I, wenngleich Gaul an dem bestehenden System festhalten will. Ausführlich zur Reformdiskussion der Vergangenheit Gaul, ZZP 1972, 251 (261 ff.). 6 Gaul, ZZP 1972, 251 (259), spricht von einer Wissenschaft der Konkurrenzen. 7 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 43.4; ebenso kritisch Karsten Schmidt, JuS 1992, 90 (93). 8 Kunz, S. 4, 6; Geißler, NJW 1985, 1865 (1866), und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 43.4. 9 Ähnlich Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 III 4. 10 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 IV. 11 Ähnlich in seiner Bewertung Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 I: „Der Eindruck eines arg verzweigten, mannigfach überlagerten und recht unübersichtlichen Systems wird noch dadurch verstärkt, daß schon das der Zwangsvollstreckung vorgelagerte Klauselerteilungsverfahren ein eigenes, nicht leicht durchschaubares Rechtsbehelfssystem kennt.“ 12 Die Überlegungen zum Klauselverfahren haben diesbezüglich bereits zu dem Ergebnis geführt, dass sich dessen Rechtsbehelfe auf die bekannten Rechtsbehelfe des Vollstreckungsverfahrens zurückführen lassen, sofern man nicht gänzlich auf das Klauselverfahren verzichten will, s.o. § 12 VI 5.
§ 24 Vorbemerkung
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2. Die Frage nach der Legitimation In ähnlicher Weise wie im Rahmen des Klauselverfahrens stellt sich auch im Vollstreckungsrecht die Frage nach einer Reduzierung und Rückführung der unterschiedlichen Rechtsbehelfe auf eine gemeinsame Basis. Dabei ist von der grundlegenden Prämisse auszugehen, dass eine jegliche Differenzierung im Rechtsschutzsystem zunehmende Rechtsunsicherheiten mit sich bringt.13 Die Vielfalt der bestehenden Rechtsbehelfe erinnert allzu sehr an das römischrechtliche System der Klagformeln. Bereits dieser Vergleich legt die Vermutung nahe, dass das Vollstreckungsrecht der Entwicklung des modernen Zivilprozessrechts, das sich mit drei Klagearten und drei Rechtsbehelfen begnügt, weit hinterherhinkt. Dafür spricht auch der Umstand, dass in der Vollstreckung ausschließlich von Rechtsbehelfen, nicht hingegen von (erstinstanzlichen) Klagen gesprochen wird. Zudem sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbehelfe sehr stark eingeschränkt und auf spezifische Vollstreckungssituationen zugeschnitten. Dabei wird im Rahmen der weiteren Untersuchung stets die Frage nach der Berechtigung derartiger Restriktionen zu stellen sein. Das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung scheint durch ein nahezu paradox anmutendes Misstrauen des Gesetzgebers gegenüber einem zu weitreichenden Rechtsschutz geprägt zu sein. Anders sind die engen Voraussetzungen der einzelnen Rechtsbehelfe in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht nachzuvollziehen. Dieser Gedanke spricht angesichts der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie ebenfalls dafür, dass das Vollstreckungsrecht im Bereich des Rechtsschutzes mit der modernen Rechtsentwicklung nicht Schritt hält. 3. Lösungsansatz Der Gedanke, dass das Rechtsbehelfssystem lediglich einen Abglanz der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung und ihrer Prinzipien darstellt, bildet den Schlüssel für das nachfolgend zu entwickelnde Lösungsmodell. Das Verständnis des Zwangsvollstreckungsrechts als bloßes Bindeglied zwischen privatem und öffentlichem Recht ermöglicht im Bereich des Rechtsschutzsystems eine Anknüpfung an die bekannten Klagearten und Rechtsbehelfe aus dem Zivilprozessrecht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. Dieser Lösungsansatz wird zugleich zur Bewährungsprobe für die bislang entwickelten Überlegungen. Diese erweisen sich nur dann als stichhaltig, wenn es parallel gelingt, die „spezifischen“ Vollstreckungsrechtsbehelfe auf bewährte Strukturen zurückzuführen. Damit wäre die Abkehr von den „Klagformeln“ der Zwangsvollstreckung vollzogen.
13 Nicht selten bleibt der Rechtsschutz auf der Strecke, wie Gaul, ZZP 1972, 251 (259), bereits treffend festgestellt hat.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
§ 25 Der Blick zu den europäischen Nachbarn I. Das französische Modell: Reduzierung auf einen einheitlichen Rechtsbehelf? Im Gegensatz zu dem unüberschaubaren Rechtsbehelfssystem in der deutschen Vollstreckung verblüfft das französische System auf den ersten Blick durch seine geniale Schlichtheit.14 Die Franzosen kennen lediglich einen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung, die contestation.15 Diese leitet das Verfahren vor dem Vollstreckungsrichter ein, der nach der französischen Gesetzesreform im Bereich der Vollstreckung allein zuständig ist.16 Dies bedeutet, dass der französische Gesetzgeber sich mit der Vollstreckungsrechtsreform ebenfalls für eine vom Prozessgericht getrennte Vollstreckungsinstanz entschieden hat. Dabei ist der Vollstreckungsrichter jedoch auch für die Entscheidung über materielle Einwendungen, vergleichbar den deutschen Fällen der Vollstreckungsabwehrklage und der Interventionsklage, zuständig. Er entscheidet insbesondere im „einstweiligen Rechtsschutz“, den die Franzosen in der Vollstreckung durch die Bestimmung eines sofortigen Termins zur mündlichen Verhandlung gewährleisten.17 Der Vollstreckungsrichter entscheidet – anders als in Deutschland – nicht nur vorläufig, sondern wie der Spruchrichter in der Hauptsache, D.Art. 24.18 Wenn man glaubt, dass die Franzosen in der Zwangsvollstreckung mit nur einem einzigen Rechtsbehelf auskommen, so ist dieser erste Eindruck trügerisch. Das Spektrum der contestation ist weit gefächert.19 So kennen die Franzosen ebenso die Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Einwendungen. Es gibt auch in Frankreich die Möglichkeit der Vollstreckungsabwehrklage, selbst wenn diese nicht ausdrücklich normiert ist. Jedoch bestimmt D.Art. 8 II, dass der Vollstreckungsrichter das dispositif der dem Titel zugrunde liegenden Entscheidung zu berücksichtigen hat. Das heißt, dass der Vollstreckungsrichter an die Rechtskraft des Titels gebunden ist.20
14 Ähnlich in seiner rechtsvergleichenden Bewertung Kerameus, Enforcement Proceedings, S. 52. Kerameus gibt einen umfassenden Überblick über die wichtigsten europäischen Vollstrekkungsordnungen und ihr jeweiliges Rechtsbehelfssystem. 15 Traichel, S. 66. 16 Es handelt sich um ein kontradiktorisches Verfahren, D.Art. 15 f. Ist besondere Eile geboten, so kann durch Einreichung der Klageschrift und gleichzeitige Beantragung der Ladung des Beklagten ein sofortiger mündlicher Verhandlungstermin vor dem Vollstreckungsrichter erwirkt werden, D.Art. 20. Näher zum Verfahren vor dem Vollstreckungsrichter Traichel, S. 43 ff. 17 Traichel, S. 66. 18 Daneben besteht die Möglichkeit, vergleichbar der einstweiligen Anordnung der §§ 769, 771 Abs. 3, 766 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 732 Abs. 2 ZPO, auf Antrag verfahrenssichernde Anordnungen zu treffen (ordonnances sur requête), D.Art. 32, 33. 19 Traichel, S. 66. 20 Diese erstreckt sich jedoch nur auf den von den Parteien dem Gericht vorgelegten Sachverhalt, so dass den Franzosen eine Präklusionswirkung, vergleichbar dem § 767 Abs. 2 ZPO, fremd ist. Näher dazu Traichel, S. 67.
§ 25 Der Blick zu den europäischen Nachbarn
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Abgesehen von der nicht ausdrücklich geregelten Vollstreckungsabwehrklage differenzieren die Franzosen innerhalb der contestation in Abhängigkeit von der jeweiligen Vollstreckungsart.21 So unterscheiden sie im Bereich der Mobiliarvollstreckung zwischen Einwendungen betreffend das (Dritt-)Eigentum und die Pfändbarkeit einerseits sowie formellrechtlichen Fragen andererseits. Im Gegensatz zu der deutschen Interventionsklage beschränkt sich die „contestation relative à la propriété des biens saisis“ allein auf das Eigentum als Interventionsrecht.22 Diese contestation ist aber, was die Klageparteien anbelangt, weiter gefasst, da sie auch vom Schuldner geltend gemacht werden kann, D.Art. 127. Die contestation betreffend die Pfändbarkeit (contestation relative à la saisissabilité) ist der deutschen Vollstreckungserinnerung vergleichbar, § 766 ZPO. Sie kann jedoch auch vom Gerichtsvollzieher eingelegt werden, D.Art. 130 I.23 Für den Fall, dass sie vom Schuldner erhoben wird, unterliegt sie einer Befristung von einem Monat, D.Art. 130 II. Die contestations betreffend Dritteigentum und Pfändbarkeit haben Suspensiveffekt bezüglich der konkret angegriffenen Maßnahme, D.Art. 126. Es bedarf mithin keiner gesonderten Anordnung, vergleichbar den §§ 769, 771 Abs. 3, 766 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 732 Abs. 2 ZPO. Im Gegensatz zu den materiell-rechtlichen Rechtsbehelfen haben die contestations relatives à la validité de la saisie, die formellrechtliche Einwendungen betreffen, keinen Suspensiveffekt. Dieser kann nur unter Beantragung eines sofortigen Termins zur mündlichen Verhandlung erwirkt werden, D.Art. 20, sofern der Vollstreckungsrichter im Rahmen der „ordonnances sur requête“ die erforderlichen Anordnungen trifft, D.Art. 32, 33. Der Grund für diese Unterscheidung ist darin zu sehen, dass sich im Falle von formellen Einwendungen nichts an der eigentlichen Schuldnerstellung ändern soll.24 Die Verfahrensmängel sind in der Regel heilbar.25
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Für die Mobiliarpfändung finden sich Sondervorschriften in D.Art. 126–133. Die Möglichkeit des Aussonderungsverfahrens durch den Dritten endet mit dem Verkauf der gepfändeten Sache, D.Art. 129 I. Dem Dritten bleibt ein schuldrechtlicher Rückforderungsanspruch, D.Art. 129 I. Ist der Erlös noch nicht ausgekehrt, so steht dem Dritten ein entsprechender Anspruch ohne Abzug der Kosten zu, D.Art. 129 II. 23 Daneben kennen die Franzosen ein weiteres, gesondertes Verfahren für den Gerichtsvollzieher. Er kann bei Vollstreckungsschwierigkeiten selbst den Vollstreckungsrichter anrufen, L.Art. 19 II, D.Art. 34, 35. Da der Vollstreckungsrichter in diesem Verfahren jedoch nur vorläufig entscheidet und nicht wie der Spruchrichter in der Hauptsache, D.Art. 37, hat dieses Verfahren kaum praktische Bedeutung. Denn die Parteien führen im Falle von Vollstreckungsschwierigkeiten in der Regel selbst ein Streitverfahren vor dem Vollstreckungsrichter herbei, in dem dann aber eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache ergeht, D.Art. 24. Näher dazu Traichel, S. 58 ff. 24 Traichel, S. 70 f. 25 Auch im Rahmen der formellen Einwendungen kann die Unwirksamkeit einer Vollstrekkungsmaßnahme nur bis zur Verwertung der gepfändeten Sache geltend gemacht werden, D.Art. 131. Die Kosten einer verspäteten Geltendmachung können dem Schuldner auferlegt werden, D.Art. 132. Der Gläubiger hat vor Auskehr des Erlöses auch hier einen entsprechenden Auszahlungsanspruch, D.Art. 131 II. 22
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Ebenfalls gesondert geregelt ist die contestation im Bereich der saisie attribution, der Forderungspfändung.26 Die contestation kann hier von jedem eingelegt werden, der ein rechtliches Interesse daran geltend macht. Denn die Vorschrift des L.Art. 45 nimmt keine weitere Einschränkung vor. Die contestation ist wiederum auf einen Monat befristet, D.Art. 66, beginnend mit der Zustellung des Pfändungsprotokolls (dénonciation de la saisie au débiteur) an den Vollstreckungsschuldner. Um ihre Geltendmachung nicht zu beeinträchtigen, darf der Gläubiger die Forderung gegen den Drittschuldner erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist geltend machen.27 Wird die contestation eingelegt, so hat der Vollstreckungsrichter neben ihrer gerichtlichen Bescheidung zwei weitere Möglichkeiten. Er kann zum einen jenen Teil der gepfändeten Forderung, hinsichtlich dessen keine Einwendungen bestehen, zur Zahlung freigeben, D.Art. 67 I. Zum anderen kann er für den Fall, dass weder gegen die gepfändete Forderung noch gegen die titulierte Forderung ernsthafte Einwendungen vorgebracht werden, die Zahlung einer von ihm festgelegten Summe, ggf. gegen Sicherheitsleistung, anordnen, D.Art. 67 II. Gegen die Entscheidungen des Vollstreckungsrichters über die contestation steht als Rechtsbehelf der appel zur Verfügung, D.Art. 27–31. Die Rechtsmittelfrist beträgt zwei Wochen ab Zustellung des Urteils; D.Art. 29 I, Art. 641, 642 NCPC. Wird der appel erhoben, so hat er keinen Suspensiveffekt, D.Art. 30, L.Art. 8.28
II. Die bunte Vielfalt in Österreich Bei dem Rechtsbehelfssystem der österreichischen Exekution handelt es sich – wie in Deutschland – um ein „sehr farbiges Bild“.29 Zunächst gibt es den Rekurs gegen die gerichtlichen Entscheidungen im Exekutionsverfahren, § 65 EO. Er ist grundsätzlich statthaft gegen jeden Beschluss des Vollstreckungsgerichts, insbesondere auch die Exekutionsbewilligung.30 Ergänzend neben den Rekurs tritt der Widerspruch, der das Vorbringen neuer Tatsachen ermöglicht, die wegen des Neuerungsverbots vom Rekurs ausgeschlossen sind. Der Widerspruch entfaltet daher keinen Devolutiveffekt ebenso wenig wie die vom Gesetz zugelassenen Einwendungen, die neben dem Rekurs vorgesehen sind.31 Gegen Maßnahmen des Gerichtsvollziehers gibt es als gesonderten Rechtsbehelf die Beschwerde, § 68 EO. Der Rekurs ist hier nicht statthaft, da der Ge26
Die Regelungen sind den Vorschriften der L.Art. 45, 46 und D.Art. 65–68, zu entnehmen. Zu dieser Problematik s. bereits im Zusammenhang mit der Forderungspfändung oben unter § 19 I. 28 Es besteht jedoch die Möglichkeit, beim Präsidenten der Berufungsinstanz eine Aussetzung der Entscheidung des Vollstreckungsrichters zu beantragen, D.Art. 31, L.Art. 8. 29 So Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.152. 30 Diese entspricht in etwa der deutschen Vollstreckungsklausel, s.o. § 12 II 2. 31 Das merkwürdige Nebeneinander dieser Rechtsbehelfe ist nicht erklärbar. So findet sich beispielsweise auch bei Holzhammer, S. 135 ff., keine Erklärung. 27
§ 25 Der Blick zu den europäischen Nachbarn
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richtsvollzieher in Österreich kein eigenständiges Vollstreckungsorgan darstellt.32 Die Beschwerde untergliedert sich in eine Vollstreckungsbeschwerde im engeren Sinn, wenn sie sich gegen ein gesetzeswidriges Handeln des Gerichtsvollziehers richtet, und die Aufsichtsbeschwerde im Falle der Verweigerung oder der Verzögerung des Exekutionsvollzuges.33 Der deutschen Vollstreckungsabwehrklage nachgebildet ist die Oppositionsklage gemäß § 35 EO, ergänzt durch das Oppositionsgesuch gemäß § 40 EO. Letzteres ist in gewissem Sinne der Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 ZPO vergleichbar, da es nur auf die vorläufige Einstellung oder Einschränkung der Vollstreckung gerichtet ist. Anders als im deutschen Recht die einstweilige Anordnung ist das Oppositionsgesuch jedoch nur im Falle der Befriedigung oder Stundung statthaft. Die Oppositionsklage wird ihrer Rechtsnatur nach – ebenso wie im deutschen Recht die Vollstreckungsabwehrklage – als prozessuale Gestaltungsklage verstanden.34 Anders als im deutschen Recht bleibt parallel zu ihr jedoch die Feststellungsklage statthaft. Hier fehlt ebenso wie zum Rekurs eine klare Abgrenzung, d.h. es wird nicht klar zwischen materiellen und formellen Einwendungen unterschieden.35 Materielle Einwendungen können fernerhin im Wege der Impugnationsklage und des Impugnationsgesuchs geltend gemacht werden. Beide Rechtsbehelfe sind als Ergänzung zum Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung zu verstehen. Die Impugnationsklage ähnelt der Klauselgegenklage im Sinne von § 768 ZPO und ist insbesondere dann angebracht, wenn sich die Einwendungen gegen die Exekutionsbewilligung nicht durch Urkunden belegen lassen. Der Vergleich mit den Rechtsbehelfen aus dem deutschen Klauselerteilungsverfahren hinkt dagegen, wenn man berücksichtigt, dass sich die Impugnationsklage und das Impugnationsgesuch nicht auf Einwendungen gegen die Exekutionsbewilligung konzentrieren, sondern den Exekutionsverzicht und die Exekutionsstundung als Einwendungen miteinbeziehen bzw. sich darauf beschränken. Mithin sucht man vergeblich nach einer klaren Abgrenzungslinie zwischen diesen zahlreichen Rechtsbehelfen.36 Die Rechte Dritter werden in Österreich mithilfe der Exzindierungsklage und der Pfandvorrechtsklage geschützt,37 dem Pendant zur deutschen Interventionsklage und der Klage gemäß § 805 ZPO. Bemerkenswert ist, dass die österreichische Exekution keine dem § 765 a ZPO vergleichbare Regelung kennt. Eine allgemeine Härteklausel ist ihr ebenso fremd 32
S.o. § 22 II 3. Holzhammer, S. 143. 34 Holzhammer, S. 146. 35 Nach Holzhammer, S. 153, sind Fälle denkbar, in denen sich Oppositionsklage und Rekurs überschneiden. 36 Der Leser sucht beispielsweise bei Holzhammer vergeblich nach Erklärungsansätzen für die unterschiedlichen Rechtsbehelfe. 37 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 59.152. 33
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
wie ein allgemeiner Vollstreckungsaufschub. Dies wird damit begründet, dass ein Verstoß gegen die guten Sitten bereits im Erkenntnisverfahren zu prüfen sei und ein allzu weiter Schuldnerschutz einer Rechtsverweigerung bedenklich nahe komme.38 Eine Generalklausel im Zwangsvollstreckungsrecht lasse sich daher nicht rechtfertigen.
III. Einheitliches Beschwerdeverfahren und materiell-rechtliche Klagen in der Schweiz Dass es sich bei dem Rechtsbehelfssystem in der Vollstreckung letztlich um ein Spiegelbild ihrer Organisation handelt, wird besonders deutlich an dem schweizerischen Schuldbetreibungsgesetz. In der Schweiz sind die Aufgaben der Betreibung von der Gerichtsbarkeit gelöst. Sie obliegen einer öffentlichen Verwaltungsbehörde, dem Betreibungsamt.39 Es handelt sich folgerichtig bei der betreibungsrechtlichen Beschwerde gemäß Art. 17 ff. SchKG um einen der schweizerischen Verwaltungsbeschwerde nachgebildeten Rechtsbehelf.40 Ähnlich wie im Rahmen der deutschen Vollstreckungserinnerung ist im schweizerischen Beschwerdeverfahren allein über Verfahrensfragen zu entscheiden, nicht hingegen über materiell-rechtliche Einwendungen des Schuldners.41 Da es in der Schweiz zudem nur ein zentrales Vollstreckungsorgan gibt, steht in der Form der Beschwerde lediglich ein zentraler verfahrensrechtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung. Es gibt keine Rechtszersplitterung wie beispielsweise im deutschen Vollstreckungsrecht. An materiell-rechtlichen Rechtsbehelfen steht dem Schuldner in der Schweiz zunächst die Aberkennungsklage zu, Art. 83 Abs. 2 SchKG. Sie ist der deutschen Vollstreckungsabwehrklage vergleichbar allerdings mit der Besonderheit, dass sie nur innerhalb von 20 Tagen nach der Rechtsöffnung42 erhoben werden kann. Es handelt sich der Rechtsnatur nach um eine negative Feststellungsklage.43 Neben der Aberkennungsklage gibt es zwei weitere Möglichkeiten für den Schuldner, die richterliche Aufhebung oder Einstellung der Betreibung zu bewirken. Im summarischen Verfahren ermöglicht dies die Regelung des Art. 85 SchKG. Diese Regelung ist allerdings – vergleichbar dem österreichischen Impugnationsgesuch – auf die Einwendungen der Stundung und Tilgung beschränkt und erfordert zudem einen Urkundsbeweis. Der Einstellungs- oder Aufhebungsbescheid hat ausschließlich betreibungsrechtliche Wirkung, er entfaltet keine Rechtskraft hinsichtlich der zugrunde liegenden Forderung. Im beschleunigten Verfahren besteht daneben die jederzeitige Möglichkeit zur Erhebung der negativen Feststellungsklage gemäß Art. 85 a SchKG, eingeführt durch 38
Holzhammer, S. 23. S.o. § 10 IV. 40 Amonn/Gasser, § 6, Rdnrn. 3 ff. 41 Amonn/Gasser, § 6, Rdnr. 4. Auch in der Schweiz besteht damit der Grundsatz der Formalisierung. 42 Zur Erklärung s. bereits oben § 12 II 3. 43 Amonn/Gasser, § 19, Rdnr. 95. 39
§ 26 Die Grundstrukturen eines Rechtsbehelfssystems
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die Gesetzesrevision aus dem Jahre 1997. Im Unterschied zu Art. 85 SchKG unterliegt der Richter keiner eingeschränkten Kognition, andererseits soll die Feststellungsklage im Gegensatz zur Aberkennungsklage unmittelbar eine betreibungsrechtliche Wirkung entfalten, indem der Richter mit ihrer Gutheißung die Betreibung einstellt oder aufhebt, Art. 85 a Abs. 3 SchKG. Ihr kommt mithin eine Doppelnatur zu.44 Als weiteren Rechtsbehelf für den Schuldner gibt es die Rückforderungsklage gemäß Art. 86 SchKG. Es handelt sich im Prinzip um die materiell-rechtliche Bereicherungsklage.45 In Abweichung hiervon ist das Rückforderungsrecht jedoch allein von dem Nachweis der Nichtschuld abhängig, Art. 86 Abs. 3 SchKG. Der Schuldner muss also nicht dartun, dass er irrtümlich geleistet hat. Es genügt der Umstand, dass er unter dem Betreibungszwang die Forderung getilgt hat. Den materiellen Rechten Dritter wird in der Schweiz durch das Widerspruchsverfahren der Art. 106 ff. SchKG Rechnung getragen. Es handelt sich im Prinzip um die Interventionsklage gemäß § 771 ZPO, jedoch mit zahlreichen interessanten Nuancen. So kommt das Widerspruchsverfahren beispielsweise immer von Amts wegen in Gang, sobald das Betreibungsamt von einer Drittansprache Kenntnis erlangt. Dies wird damit begründet, dass es sich bei der Betreibung um ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren handelt.46 Auf den Widerspruch folgt ein behördliches Verwaltungsverfahren, innerhalb dessen die Rechte des Dritten geklärt werden. Führt dies nicht zu einer Einigung zwischen den Beteiligten, schließt sich ein Widerspruchsprozess an. Für die Verteilung der Parteirollen ist maßgeblich der Gewahrsam am gepfändeten Gegenstand. Bei ausschließlichem Gewahrsam des Schuldners muss der Dritte innerhalb einer Frist von 20 Tagen auf Feststellung seines Rechtes klagen.47 Im Falle des Gewahrsams oder Mitgewahrsams des Dritten setzt das Betreibungsamt umgekehrt dem Gläubiger und dem Schuldner eine Frist zur Klageerhebung.
§ 26 Die Grundstrukturen eines Rechtsbehelfssystems Die rechtsvergleichenden Betrachtungen demonstrieren, dass es bislang auch bei den europäischen Nachbarn an klaren Strukturen für ein Rechtsbehelfssystem mangelt.48 Daraus leitet sich die Aufgabe ab, die verschiedenen Systeme auf ein44
Amonn/Gasser, § 20, Rdnr. 15. Materiell-rechtliche Rechtsgrundlage ist in der Schweiz Art. 63 OR. 46 So Amonn/Gasser, § 24, Rdnr. 8. Zumindest aus deutscher Sicht ist diese amtswegige Überprüfung der Eigentumsverhältnisse nicht nachvollziehbar, da es sich bei der Geltendmachung des Eigentums um eine materiell-rechtliche Einwendung handelt, die demzufolge der zivilrechtlichen Dispositions- und Verhandlungsmaxime unterworfen ist. 47 Davon unberührt bleibt sein Recht, nach der Verwertung die ihm nach dem Zivilgesetzbuch zustehenden Rechte im Wege einer allgemeinen Klage geltend zu machen, Art. 106 Abs. 3 SchKG. 48 Nicht viel anders sieht es auf europarechtlicher Ebene aus, wie die Dissertation von Schniewind, S. 23 ff., im Einzelnen illustriert. 45
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
heitliche Grundstrukturen zurückzuführen, die unumgänglichen Differenzierungskriterien49 herauszufiltern und überflüssige Verästelungen auszuscheiden. Als Grundlage für die Betrachtung bietet sich die Geldvollstreckung an, da in diesem Bereich sämtliche Rechtsbehelfe zum Tragen kommen, insbesondere solche von Drittbetroffenen.50
I. Der Trugschluss vom einheitlichen „Rechtsbehelfssystem“ Bei der Betrachtung der unterschiedlichen Vollstreckungsrechtsmodelle ist augenfällig, dass stets von einem einheitlichen Rechtsbehelfssystem gesprochen wird.51 Diese insbesondere im deutschen Vollstreckungsrecht benutzte Terminologie ist insofern irreführend, als der Begriff des „Rechtsbehelfs“ im Gesetz überhaupt nicht verwendet wird. Das Prozessrecht unterscheidet vielmehr bewusst zwischen Klagearten im Sinne der §§ 253 ff. ZPO und Rechtsmitteln im Sinne der §§ 511 ff. ZPO. Diese Unterscheidung ist angebracht, da Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung in dem einen Fall die unterschiedlichen Rechtsansichten und Tatsachenbehauptungen der Parteien sind und in dem anderen Fall die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung des Prozessgerichts. Allein für den letztgenannten Bereich hat sich in der Prozessrechtslehre der Begriff des „Rechtsbehelfs“ herauskristallisiert, der als Oberbegriff sowohl die Rechtsmittel in Form von Beschwerde, Berufung und Revision umfasst als auch sämtliche übrigen Institute zur Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung.52 In diesem Sinne können Maßregeln zur Kontrolle einer vollstreckungsrechtlichen Entscheidung des Vollstreckungsorgans nicht als Rechtsbehelf aufgefasst werden. Denn Entscheidungsträger ist nicht das Gericht, sondern eine Verwaltungsbehörde im Sinne des Vollstreckungsorgans. Die Ausdehnung des Begriffs des Rechtsbehelfs auf die Überprüfung sämtlicher staatlicher Entscheidungen, sowohl der Judikative als auch der Exekutive, steht gleichwohl mangels gesetzlicher Vorgaben nicht im zwingenden Widerspruch zur Zivilprozessrechtslehre.53 Für eine begriffliche Erweiterung spricht im Gegenteil die moderne Verwaltungsrechtslehre, die Kontrollmechanismen zur Überprüfung von Entscheidungen der Verwaltung ebenfalls unter den Begriff des Rechtsbehelfs fasst.54 49 Ein Überblick über die derzeitigen Ordnungskriterien findet sich bei Geißler, JuS 1986, 280 (281), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 II, III. 50 Das liegt daran, dass sich die Vollstreckung hier nicht auf den bloßen Erfüllungsvorgang beschränkt, sondern erst der Umweg über die Pfändung beschritten werden muss, um zur Erfüllung des titulierten Zahlungsanspruchs zu gelangen. 51 So etwa bei Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 42.1 ff. 52 So Kollhosser/Bork/Jacoby, Nr. 93. 53 Schreiber, S. 81, plädiert vielmehr für diesen weiten Begriff des Rechtsbehelfs: „Unter einem Rechtsbehelf versteht man allgemein die Möglichkeit, gegen eine gerichtliche oder durch andere Staatsorgane getroffene Entscheidung vorzugehen.“ 54 Zu denken ist insbesondere an den Widerspruch gegen Verwaltungsakte, §§ 68 ff. VwGO.
§ 26 Die Grundstrukturen eines Rechtsbehelfssystems
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Von den Rechtsbehelfen klar zu unterscheiden sind hingegen die Vollstreckungsklagen, die nicht die Überprüfung einer staatlichen Entscheidung zum Gegenstand haben, sondern die erstmalige gerichtliche Bewertung einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien bezwecken. Vor dem Hintergrund der Zivilprozess- und Verwaltungsrechtslehre wäre es verfehlt, von Rechtsbehelfen zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedlich ausgestaltete Klagearten im Sinne der §§ 253 ff. ZPO. Die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen und zivilrechtlichen Klagen macht deutlich, dass es ähnlich wie bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Vollstreckung bei der Ausformung eines gerichtlichen Kontrollsystems verfehlt ist, von einem einheitlichen „Rechtsbehelfssystem“ zu sprechen. Die geläufige Terminologie veranschaulicht das eigentliche Dilemma in der Vollstreckungsrechtslehre. Es fehlt eine klare Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Recht ebenso wie eine klare Trennung zwischen den Beteiligten an den Rechtsbehelfen einerseits und an den Klagen andererseits.55 Hier ist eine Rückbesinnung auf das jeweils maßgebliche Rechtsverhältnis in der Dreiecksbeziehung von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner dringend angeraten.
II. Die prinzipielle Zweispurigkeit Die prozessrechtliche Unterscheidung zwischen Rechtsbehelfen und Klagearten kommt nicht von ungefähr. Sie markiert die Schnittstelle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Bereich der Vollstreckung, der durch staatliche Organe vorgenommen wird, und dem privatrechtlichen Sektor des zu vollstreckenden Anspruchs. Lediglich in dem zuerst genannten Bereich ist Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung eine staatliche Entscheidung. Da es sich zudem um eine solche auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts handelt, erscheint ein Rückgriff auf das öffentlich-rechtliche Rechtsbehelfssystem geboten. Demgegenüber bleibt die Klärung von Rechtsfragen aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis den Zivilgerichten vorbehalten. Im Kern wird diese Unterscheidung weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur in Frage gestellt.56 Unzutreffend ist jedoch die insoweit gebräuchliche Terminologie. Es wird zwischen sogenannten materiellen und formellen Rechtsbehelfen unterschieden.57 Dies ist in doppelter Hinsicht bedenklich. Zum einen handelt es sich bei den sogenannten materiellen Rechtsbehelfen – wie dargelegt – nicht um Rechtsbehelfe und zum anderen trifft auch die Unterscheidung zwischen materi55 Es ist insbesondere nicht einsichtig, weshalb das Vollstreckungsorgan nicht an den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen beteiligt ist, wo doch seine Maßnahme Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist. S. dazu noch im Rahmen der Vollstreckungserinnerung unter § 27 III 2. 56 Ganz entschieden für die Beibehaltung plädiert etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 VI. Ebenso Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 42.7: „Berechtigt ist die Zweiteilung in Rechtsbehelfe gegen Verstöße formeller und materieller Art, die aus dem Formalisierungsgrundsatz folgt.“ 57 Brox/Walker, Rdnr. 1159; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 III, VI, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 42.7.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
ellem und formellem Recht nicht den Kern des Problems. Der Begriff des materiellen Rechts als Kennzeichen des Zivilrechts ist als Abgrenzungskriterium wenig geeignet, da es sich bei dem Vollstreckungsrecht ebenfalls um materielles Recht handelt, auch wenn dieses aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor herrührt und mit dem Verwaltungsverfahrensrecht verwoben ist. Maßgeblich ist demzufolge nicht die Unterscheidung von formellem und materiellem Recht, sondern schlicht die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht.58 Diese Trennlinie kennzeichnet sowohl die unterschiedlichen Personenbeziehungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner als auch die damit verbundenen Prinzipienkataloge, auf die im zweiten Teil der Arbeit eingegangen worden ist.59 Das „Rechtsbehelfssystem“ stellt nur einen Abglanz des Vollstreckungssystems dar. Eine Vermengung des verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfssystems mit dem zivilprozessualen Klageverfahren würde zu unerträglichen Wertungswidersprüchen führen, da sich die unterschiedlichen materiell-rechtlichen Prinzipien zwangsläufig in gegenläufigen Prozess- und Verfahrensmaximen widerspiegeln. Mit diesen Überlegungen ist zugleich eine Entscheidung gegen solche Rechtsordnungen gefallen, die beispielsweise wie in Frankreich sowohl die vollstreckungsrechtlichen als auch die aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis herrührenden Einwendungen einheitlich dem Vollstreckungsrichter zuweisen. Aufgrund der unterschiedlichen Beteiligten und der voneinander abweichenden Verfahrensmaximen grenzt das Ansinnen an den Vollstreckungsrichter an Schizophrenie. Für ein vereinheitlichtes Verfahren könnte allenfalls der Gedanke sprechen, dass ein unnötiger Doppelprozess mit divergierenden Entscheidungen vermieden wird. Zu denken ist beispielsweise an das Konkurrenzverhältnis zwischen der Vollstreckungserinnerung wegen Missachtung der Gewahrsamsverhältnisse und der Interventionsklage des Dritten. Da beide Entscheidungen jedoch unterschiedliche Ebenen der Formalisierung betreffen60 und die Interventionsklage im Falle des Obsiegens unabhängig von der Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme führt, §§ 775, 776 ZPO, ist die Gefahr einer Divergenz ausgeschlossen. Soweit der Dritte hingegen mit der Interventionsklage unterliegen sollte, schließt dies umgekehrt nicht aus, dass er mit der Vollstreckungserinnerung obsiegt. Denn letztere hat nicht das Eigentum, sondern die Gewahrsamsverhältnisse zum Gegenstand.61 58 Ebenso Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (88): „Die Vollstreckungsbefugnisse der Vollstreckungsorgane regelt das öffentliche Recht, die Vollstreckungsrechte des Gläubigers gegenüber dem Schuldner und gegenüber Dritten sind Bestandteile des Privatrechts. Die Rechtskreise ,Bürger-Staat‘ und ,Bürger-Bürger‘ müssen auch und gerade im Vollstreckungsrecht auseinandergehalten werden.“ 59 S.o. §§ 6 ff. 60 Zudem betreffen sie unterschiedliche Beteiligte im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner, wie später noch zu zeigen sein wird, s.u. § 27 III 2 und § 31 IV. 61 Der Gläubiger bedarf im Falle des Drittgewahrsams eines gesonderten Vollstreckungstitels gegenüber dem Dritten, auch wenn dieser nicht Eigentümer der Sache ist.
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III. Entbehrlichkeit weiterer Differenzierungen auf öffentlichrechtlicher Ebene Ist die Trennung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfssystem und den privatrechtlichen Klagewegen vollzogen, so stellt sich auf beiden Ebenen die Frage nach der Notwendigkeit weitergehender Differenzierungen. Dabei ist es auf verwaltungsrechtlicher Ebene ratsam, die Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung zu Rate zu ziehen.62 1. Der Verwaltungsakt als einheitliches Kennzeichen Eine jede Vollstreckungsmaßnahme erfüllt die Voraussetzungen für einen Verwaltungsakt.63 Dem steht nicht im Wege, dass es sich bei der bezweckten Rechtswirkung um die Herbeiführung einer privatrechtlichen Rechtsfolge in Form der Pfändung handelt. Die Figur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes ist allgemein anerkannt.64 Handelt es sich mithin bei jeglicher Vollstreckungsmaßnahme um einen Verwaltungsakt, so ist eine weitergehende Differenzierung des Rechtsbehelfssystems entbehrlich. Die Verwaltungsgerichtsordnung unterscheidet gemäß § 42 VwGO allein zwischen der Anfechtungs- und der Verpflichtungssituation, was aber keinen wesentlichen Einfluss auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen hat. Unterschiede bestehen lediglich bei den Klageanträgen. Dies erklärt sich letztlich aus der unterschiedlichen Stoßrichtung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. 2. Unterschiede zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungssituation Das Vollstreckungsorgan kommt als Rechtsbehelfsführer in der Vollstreckung nicht in Betracht, da es selbst Herr des Verfahrens ist und ihm alle Hoheitsrechte zur gewaltsamen Durchsetzung des Gläubigeranspruchs zur Verfügung stehen. Klagende Partei wird vielmehr der Gläubiger im Falle der Untätigkeit des Vollstreckungsorgans oder der Schuldner65 im Falle seines Tätigwerdens sein. Die Verwaltungsgerichtsordnung, der diese unterschiedliche Ausgangslage hinlänglich bekannt ist, unterscheidet demzufolge sachgerecht zwischen der Verpflich62 Die Parallele zwischen der Zwangsvollstreckung durch nichtrichterliche Vollstreckungsorgane und dem Handeln der Verwaltung sprechen auch Karsten Schmidt, JuS 1992, 90 (90), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 III 5, an. Beide distanzieren sich jedoch ohne nähere Angabe von Gründen von dieser Parallele. 63 Im Sinne der Legaldefinition des § 35 S. 1 VwVfG handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde (Vollstreckungsorgan) zur Regelung eines Einzelfalles (konkret-individuelle Maßnahme gegenüber dem Schuldner) auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (Vollstreckungsrecht) trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen (Bewirkung der Pfändung) gerichtet ist. S. dazu schon oben unter § 4 VI 3. 64 Maurer, § 9, Rdnr. 45; § 11, Rdnr. 33. 65 Denkbar ist auch ein sonst beschwerter Dritter als klagende Partei.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
tungs- und der Anfechtungssituation.66 Die daraus resultierenden Klagen unterscheiden sich jedoch allein hinsichtlich des Vorzeichens, sprich des Klageantrages. Streitgegenstand ist jeweils die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns, sei es, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, sei es, dass Gegenstand der Klage ein Unterlassen ist. Im Ergebnis bedarf es daher auch im Vollstreckungsverfahren keiner unterschiedlichen Rechtsbehelfe für Gläubiger und Schuldner.67 3. Entbehrlichkeit einer Differenzierung in Abhängigkeit vom Vollstreckungsorgan Auf Seiten des Vollstreckungsorgans als Gegner eines öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfs erweist sich die Ausbildung unterschiedlicher Rechtsbehelfe ebenfalls nicht als erforderlich. Im Gegenteil hat sich das Rechtsbehelfssystem der Verwaltungsgerichtsordnung, welches für nahezu sämtliche Verwaltungsverfahren unabhängig von der agierenden Verwaltungsbehörde zur Anwendung kommt, in der Praxis bestens bewährt. Weshalb sollte in der Zwangsvollstreckung etwas anderes gelten? Selbst die Vielzahl der Vollstreckungsorgane in Deutschland erscheint vor diesem Hintergrund nicht geeignet, die Fülle unterschiedlicher Rechtsbehelfe zu rechtfertigen.68 Dahinter steht letztlich die Überlegung, dass sämtliche Vollstreckungsorgane eine Verwaltungstätigkeit ausüben, die im Falle der gerichtlichen Überprüfung denselben Bewertungskriterien unterliegt.69 Für die Ebene der öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfe ist im Ergebnis die Ausprägung eines einheitlichen Rechtsbehelfs anzustreben. Dieses Resultat kann bereits in diesem frühen Stadium der Untersuchung festgehalten werden.
IV. Die privatrechtlichen Klagekonstellationen Der Formalisierungsgedanke ermöglicht eine klare Trennung der zivilrechtlichen Streitfragen von denjenigen des Vollstreckungsverfahrens. Dies gilt nicht anders für das derzeitige Rechtsbehelfssystem, in dem die Bewertung zivilrechtlicher Streitfragen gesondert den Zivilgerichten zugewiesen wird. Bei den dabei auftretenden Klagekonstellationen ist – in Anlehnung an den öffentlich-rechtlichen Bereich des Rechtsbehelfssystems – zu untersuchen, ob der jeweilige Anfech66 Auf die Nähe der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zur Vollstreckungserinnerung hat bereits Karsten Schmidt, JuS 1992, 90 (90), hingewiesen. 67 Einbezogen sind in diese Überlegungen auch sonstige beschwerte Dritte, die anstelle oder neben dem Schuldner klagebefugt sind. 68 Geißler, NJW 1985, 1865 (1866), führt dazu aus: „Die Ursachen für dieses nur schwer durchschaubare Rechtsschutzlabyrinth sind mehrschichtig und prima facie zunächst einmal in der Vielfalt der Vollstreckungsorgane zu suchen. … Die eigentliche Begründung findet sich aber wohl darin, daß die Vollstreckungsaufgaben aus dem Funktionsbereich des Erkenntnisverfahrens eliminiert und eigenständigen Organen überantwortet wurden.“ 69 So sind insbesondere die Tätigkeit des Rechtspflegers und diejenige des Gerichtsvollziehers austauschbar, s.o. § 23 III 1 b.
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tungsgegenstand oder die agierenden Parteien die Ausbildung unterschiedlicher Klagewege erfordern.70 1. Denkbare Gegenstände gerichtlicher Überprüfung Das Vollstreckungsorgan nimmt nur eine formalisierte Prüfung vor. Aufgrund der damit verbundenen Abstufung der Formalisierung ist bei der Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes ebenfalls zwischen drei Ebenen zu unterscheiden. Dabei ist im Bereich der privatrechtlichen Klagekonstellationen die dritte Stufe der Formalisierung auszusparen. Denn die formalisierten Vermutungstatbestände unterliegen bereits der öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfsebene. a) Korrekturen auf der ersten Stufe der Formalisierung Eher ungewöhnlich dürfte eine gerichtliche Auseinandersetzung auf der ersten Stufe der Formalisierung sein. Haben die Parteien gegenüber dem Vollstreckungsorgan übereinstimmende Erklärungen zu zivilrechtlichen Streitfragen abgegeben, so ist eine Anfechtung nur in der Form denkbar, dass die betroffene Partei die Echtheit einer von der Gegenseite vorgelegten Urkunde bestreitet oder aber ihre beurkundete Erklärung nachträglich aufgrund von Irrtümern anficht. In beiden Fällen kommt die allgemeine Feststellungsklage zur Anwendung, gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit der abgegebenen Erklärung.71 b) Die gerichtliche Entscheidung auf der zweiten Stufe der Formalisierung Wendet sich eine der Vollstreckungsparteien gegen die gerichtliche Entscheidung einer zivilrechtlichen Streitfrage auf der zweiten Ebene der Formalisierung, so handelt es sich um die Geltendmachung der allgemeinen zivilprozessualen Rechtsmittel. Der Bezug zum Erkenntnisverfahren überwiegt, weshalb sich die Frage nach spezifischen Rechtsbehelfen der Vollstreckung gar nicht erst stellt. Dies hängt insbesondere mit dem Titelerfordernis zusammen, das über die maßgebliche Frage nach dem Bestand des zu vollstreckenden Anspruchs bereits vorab eine gerichtliche Entscheidung bedingt. Dabei fällt im Kontext mit den übrigen „Klagerechtsbehelfen“ in der Vollstreckung auf, dass allein ihre zeitliche Verlagerung in das Vollstreckungsverfahren den Rückgriff auf die zivilprozessualen Klagearten versperren soll. Macht der Schuldner hingegen schon im Vorfeld einer Vollstreckung materielle Einwendungen gegen den noch nicht titulierten Anspruch geltend, so steht ihm unstreitig die negative Feststellungsklage zur Verfügung.72 Weshalb soll ihm diese aber im Rahmen der Zwangsvollstreckung verwehrt sein? 70 Ebenso die Arbeitshypothese von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 II, zur äußeren Systematik des Rechtsbehelfssystems der Zwangsvollstreckung. 71 Dieses Ergebnis dürfte unstreitig sein, da insoweit kein gesonderter Bezug zum Vollstrekkungsrecht hergestellt wird, sondern die Problemkonstellation vergleichbaren Fällen aus dem Zivilprozess zugeordnet wird. 72 Im laufenden Klageverfahren steht dem Schuldner gemäß § 256 Abs. 2 ZPO die negative Zwischenfeststellungsklage zu.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Der Blick auf die unterschiedlichen Vollstreckungsordnungen zeigt, dass diese im Bereich der zivilrechtlichen Einwendungen eigene Wege gehen. Es wird eine aufwendige Differenzierung zwischen den jeweils maßgeblichen Merkmalen des Pfändungstatbestandes vorgenommen. So kommt bei Einwendungen gegen den titulierten Anspruch in Deutschland die Vollstreckungsabwehrklage zur Anwendung, während bei Einwendungen gegen die Berechtigung des Schuldners die Interventionsklage und die Absonderungsklage maßgeblich sein sollen. Dass es dabei Rechtsprechung und Literatur bis heute nicht gelungen ist, die Rechtsnatur dieser „Rechtsbehelfe“ klar zu bestimmen,73 gibt Anlass, die Berechtigung dieser vollstreckungsrechtlichen Besonderheiten in Frage zu stellen. Aufgrund der bisherigen Überlegungen lässt sich keine Notwendigkeit feststellen, von den anerkannten Klagearten des Zivilprozessrechts abzuweichen. 2. Entbehrlichkeit einer Differenzierung in Abhängigkeit von den Klageparteien Mit Recht wird in der Literatur von einer generellen Differenzierung der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe in Abhängigkeit von den betroffenen Parteien Abstand genommen.74 Die Begründung führt jedoch in die Irre, indem auf das Fehlen einer den „materiellen Rechtsbehelfen“ vergleichbaren Unterscheidung bei den „formellen Rechtsbehelfen“ abgestellt wird.75 Das Fehlen einer derartigen Differenzierung wird dort also nicht als Vorteil, sondern als malus empfunden, obwohl jegliche Differenzierung eine zunehmende Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Nicht umsonst ist eine vergleichbare Differenzierung auch dem Zivilprozessrecht fremd. Das Zulässigkeitskriterium der rechtlichen Beschwer macht eine solche Unterscheidung entbehrlich. Weshalb sollte dies dann aber nicht auch bei den zivilrechtlichen Klagen im Rahmen der Vollstreckung möglich sein? Auch diese Frage wird gesondert zu untersuchen sein.
V. Ergebnis Die Überlegungen zu den unausweichlichen Grundstrukturen eines vollstreckungsrechtlichen „Rechtsbehelfssystems“ führen zu der Arbeitshypothese, dass von einem zweispurigen System des gerichtlichen Rechtsschutzes auszugehen ist. Dieses System hat sich einerseits an dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfssystem von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage und andererseits an den zivilprozessualen Klagearten, namentlich der allgemeinen Feststel73
S. dazu noch im Detail bei den jeweiligen „Rechtsbehelfen“. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 II, kommt zu folgendem Ergebnis: „Deshalb ist eine gegenständliche Gliederung nach der Art der Einwendungen vorzuziehen.“ 75 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 II, führt dazu aus: „Indessen hat das Gesetz die Anknüpfung an die einwendungsberechtigten Subjekte nur den Vollstreckungsklagen zugrunde gelegt (§§ 767, 771, 805), während die Erinnerung und die sofortige Beschwerde (§§ 766, 793) gleichermaßen dem Schuldner, dem Gläubiger oder Dritten zustehen.“ 74
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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lungsklage, zu orientieren. Für die derzeit bestehenden Verästelungen des Rechtsschutzes in Abhängigkeit von dem jeweils tätigen Vollstreckungsorgan, der klagenden Partei und dem Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle scheint keine Berechtigung zu bestehen.
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung I. Sinn und Zweck Über Anträge, Einwendungen und Einreden, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betreffen, entscheidet gemäß § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO das Vollstreckungsgericht. Gemäß § 766 Abs. 2 ZPO steht ihm auch die Entscheidung zu, wenn der Gerichtsvollzieher sich weigert, einen Vollstreckungsauftrag zu übernehmen oder eine Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen. Die Gesetzesfassung des § 766 ZPO lässt erkennen, dass der Gesetzgeber das Agieren der Vollstreckungsorgane einer umfassenden richterlichen Kontrolle unterworfen wissen will.76 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist dabei eine vorgenommene oder unterlassene Vollstreckungshandlung des Gerichtsvollziehers. Dabei handelt es sich aus öffentlich-rechtlicher Sicht um einen angefochtenen oder begehrten Verwaltungsakt.77 Bei dem Bemühen um eine dogmatische Aufarbeitung dieses Rechtsbehelfs drängt sich daher die Parallele zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf.78
II. Parallelen zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Vergleicht man das verwaltungsgerichtliche Institut der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit der Vollstreckungserinnerung, so fallen eine Reihe von Gemeinsamkeiten ins Auge, die den Anschein begründen, als habe der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung mit der Regelung des § 766 ZPO der späteren Entwicklung der Verwaltungsrechtslehre um ein knappes Jahrhundert vorweggegriffen.
76
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 I 1. S.o. § 4 VI 3 und § 26 III 1. 78 Ähnlich schon Jürgen Blomeyer, S. 24; ders., JR 1969, 289 (292), der die Erinnerung als „klageartigen Rechtsbehelf“ verstanden wissen will, der die Überleitung von der Verwaltung in die Rechtsprechung und damit erst in ein gerichtliches Verfahren mit Zweiparteienprinzip bewirke. Dabei wird jedoch übersehen, dass das Vollstreckungsverfahren bereits dem Zweiparteienprinzip unterliegt. Die Bezugnahme auf die Klagen in der Vollstreckung beschreibt hingegen zutreffend den Wechsel der Beteiligten, den die h. M. dadurch bewirkt, dass sie im Rahmen der Erinnerung nicht den Gerichtsvollzieher, sondern den Vollstreckungsgegner als Erinnerungsgegner auffasst. 77
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
1. Gegenstand der Vollstreckungserinnerung Das Vollstreckungsverfahren hat sich als ein allgemeines Verwaltungsverfahren entpuppt, in dem die öffentlich-rechtlichen Maximen des materiellen und formellen Verwaltungsrechts zur Anwendung kommen.79 Sein Ende markiert im Sinne des § 9 VwVfG ein Verwaltungsakt in Form der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme. Wenn diese daher gemäß § 766 ZPO Gegenstand der Vollstreckungserinnerung ist, so entspricht dies im Sinne der modernen Verwaltungsrechtslehre der Regelung des § 42 Abs. 1 VwGO. Danach kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entwicklung, die sowohl im Vollstreckungsrecht als auch im Verwaltungsrecht zu verzeichnen ist. Beide Rechtsordnungen lassen die Anfechtung eines nichtigen Verwaltungsaktes respektive einer nichtigen Vollstreckungsmaßnahme zu.80 Unabhängig voneinander wird diese Rechtsfortbildung jeweils mit der Notwendigkeit begründet, der nichtigen Maßnahme den Anschein eines wirksamen Verwaltungshandelns zu nehmen.81 Dieser Anschein begründet für den Adressaten des Verwaltungsaktes das notwendige Rechtsschutzinteresse. 2. Identische Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Reihe der Parallelen zwischen verwaltungsgerichtlicher Anfechtungs- und Verpflichtungsklage einerseits und der Vollstreckungserinnerung andererseits setzt sich im Bereich der Zulässigkeitsvoraussetzungen weitestgehend fort. a) Die Erinnerungsbefugnis Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO sind die Anfechtungsklage und die Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Kernpunkt der daran anknüpfenden Verwaltungsrechtslehre ist der Begriff des subjektiven Rechts. Darunter werden solche Rechtspositionen verstanden, die zumindest auch dem Schutze des Individualinteresses zu dienen bestimmt sind.82 Von Bedeutung ist dies insbesondere bei der Klage von Dritten.
79
S.o. § 4 VI und §§ 7 f. Für die Vollstreckungserinnerung: BGH WM 1981, 648 (649); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 30; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 766, Rdnr. 30, sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 III 1. Für die Anfechtungsklage: OVG NW NVwZ 1989, 1087 (1088); Kopp/Schenke, § 43, Rdnrn. 7, 20, und von Oertzen, in: Redeker/von Oertzen, § 42, Rdnr. 12. 81 Hinzu tritt für den Betroffenen das Problem, dass für ihn häufig gar nicht feststellbar ist, ob die Maßnahme (nur) rechtswidrig und damit aufhebbar oder sogar nichtig ist, OVG NW NVwZ 1989, 1087 (1088). 82 Maurer, § 8, Rdnr. 8. 80
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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Nicht anders definiert die Vollstreckungsrechtslehre die Erinnerungsbefugnis des Dritten.83 Mit Recht weisen einige Autoren daher auf die Nähe zur Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO hin,84 während eine solche Parallele hingegen von anderen Autoren mit dem Argument verworfen wird, es handele sich bei der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage um einen materiellen, bei § 766 ZPO aber um einen auf Verfahrensfehler beschränkten Rechtsbehelf.85 Die Abgrenzung zu den materiell-rechtlichen Rechtsbehelfen des achten Buchs der Zivilprozessordnung mache daher eine Unterscheidung unentbehrlich. Diese Argumentation lässt unberücksichtigt, dass in beiden Fällen der Erinnerungsführer bzw. Kläger subjektive Rechte geltend macht. Der Unterschied liegt nicht auf formeller und materieller, sondern vielmehr auf privatrechtlicher und auf öffentlich-rechtlicher Ebene. Macht beispielsweise der Dritte im Rahmen der Vollstreckungserinnerung eine Verletzung des § 809 ZPO geltend, weil er Gewahrsamsinhaber an dem gepfändeten Gegenstand ist, so rügt er nicht die Verletzung bloßen Verfahrensrechts, sondern die Beeinträchtigung seines subjektiven Rechts in Form des Gewahrsams. Der Dritte wird mithin vom Schutzzweck der Norm erfasst, so dass er erinnerungsbefugt ist. b) Rechtsschutz über Beginn und Ende der Vollstreckung hinaus Das Rechtsschutzinteresse für die Vollstreckungserinnerung soll auf den Zeitraum zwischen Beginn und Ende der Vollstreckung beschränkt sein.86 Darin kommt das Verständnis der Vollstreckungserinnerung als spezifischer Rechtsbehelf der Zwangsvollstreckung zum Ausdruck. In Grenzfällen erweist sich diese zeitliche Limitierung jedoch als zu eng. So wird dem Schuldner beispielsweise beim Drohen irreparabler Schäden schon vor Beginn der Vollstreckung ein Rechtsschutzinteresse zugesprochen.87 Diese Fallgruppe entspricht exakt derjenigen der vorbeugenden Unterlassungsklage im Verwaltungsgerichtsprozess. Dort lassen Rechtsprechung und Literatur ebenfalls beim Drohen unwiderbringlicher Schäden eine vorbeugende Unterlassungsklage mit dem Ziel der Abwendung eines bevorstehenden Verwaltungsaktes zu.88
83 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 V 3 a: „In der Tat kommt es für die Erinnerungsbefugnis des Dritten darauf an, daß er sich auf die Verletzung einer ihn (zumindest auch) schützenden Norm berufen kann.“ 84 Für diese Parallele plädieren Jürgen Blomeyer, S. 44; Brox/Walker, Rdnr. 1195; und Karsten Schmidt, JuS 1992, 90 (95); ders., in: Münchener Kommentar, § 766, Rdnr. 24. 85 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 V 3 a. 86 Brox/Walker, Rdnr. 1189. 87 Brox/Walker, Rdnr. 1190, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VI: Die Vollstreckungserinnerung „ist zulässig in der Regel erst nach Beginn der Zwangsvollstreckung, bei einem dringenden Rechtsschutzbedürfnis, das anders nicht oder nur unzureichend befriedigt werden kann, auch schon gegen eine unmittelbar bevorstehende Vollstreckungsmaßnahme.“ 88 Die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG wäre nicht gewährleistet, wenn das Gericht nur im Nachhinein das Verwaltungshandeln kontrollieren könnte, Dreier, JA 1987, 415 (419), sowie Peine, Jura 1983, 285 (288 ff.).
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Ähnliche Parallelen tun sich am Ende des Vollstreckungsverfahrens auf. Hier soll die Vollstreckungserinnerung ausnahmsweise auch noch nach Beendigung der Zwangsvollstreckung zulässig sein, wenn die Vollstreckungsmaßnahme fortwirkt und durch eine nachträgliche Entscheidung noch beseitigt werden kann.89 Zu denken ist beispielsweise an den Kostenansatz des Gerichtsvollziehers, § 766 Abs. 2 a.E. ZPO.90 Die Verwaltungslehre spricht in ähnlichem Zusammenhang von einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Diese setzt ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung voraus, welches u.a. bei präjudiziellen Rechtsfragen für nachfolgende Entschädigungen gegeben ist.91 Es schließt sich der Kreis zum Vollstreckungsverfahren. 3. Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungssituation Nicht anders als die Regelung des § 42 Abs. 2 VwGO unterscheidet die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO mit den Absätzen 1 und 2 zwischen der Anfechtungssituation des Schuldners oder eines Dritten als Adressat des belastenden Verwaltungsaktes und der Verpflichtungssituation des Gläubigers als Antragsteller eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes.92 Die Unterscheidung macht sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung der jeweiligen Erinnerung bemerkbar. Im Rahmen der Anfechtungssituation steht die Rechtmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsaktes im Vordergrund. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung ist bei der Vollstreckungserinnerung93 wie bei der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage94 derjenige der richterlichen Entscheidung. Verfahrensfehler können deshalb noch während des Erinnerungsverfahrens geheilt werden.95 Das lässt sich im Verwaltungsverfahren zwanglos aus der Regelung des § 45 VwVfG ablesen. Im Falle der Verpflichtungsklage bereitet oftmals die Frage, ob dem Kläger ein subjektives Recht auf Vornahme des Verwaltungsaktes zusteht, erhebliche Probleme. Im Rahmen der Vollstreckung ist dabei die Besonderheit zu berücksichtigen, dass dem Gläubiger aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols alle Handhabe genommen ist, seinen Anspruch gegen den Schuldner selbst gewaltsam 89 90
Brox/Walker, Rdnr. 1192, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VI 1 b. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 41, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VI
1 b. 91
Dies gilt allerdings nur bei Erledigung des Verwaltungsaktes im laufenden Klageverfahren, da anderenfalls eine unökonomische Vermehrung der Verfahren eintreten würde, BVerwG DVBl 1989, 873 (874); VGH Mannheim, NVwZ 1987, 253 (255), sowie Erichsen, Jura 1989, 49 (51). 92 Die Zivilprozessordnung und die Verwaltungsgerichtsordnung verfolgen damit einheitlich den Zweck, einen lückenlosen Rechtsschutz zu gewährleisten. Ebenso Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 37 I 1: „Hinter der scheinbar ,planlosen Aufzählung‘ an Zuständigkeiten verbirgt sich indessen ein sinnvolles Ineinandergreifen der Erinnerungsmöglichkeiten mit dem Ziele der Gewährleistung eines lückenlosen Rechtsschutzes.“ 93 Brox/Walker, Rdnr. 1233, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VII 2. 94 BVerwG NVwZ 1988, 260 (261), sowie Kopp/Schenke, § 113, Rdnr. 35. 95 Brox/Walker, JA 1986, 57 (64); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 47, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VII 2.
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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durchzusetzen. In der weiteren Konsequenz droht dem Gläubiger eine „Enteignung“. Ihm ist daher ein Anspruch gegen den Staat auf Einschreiten der Vollstreckungsorgane zuzubilligen.96 Das Vollstreckungsrecht erweist sich als drittschützend.97 4. Der Entscheidungstenor In ihrer einfachgesetzlichen Ausgestaltung stellen sich die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage als Gestaltungs- und Leistungsklage dar.98 Die Unterscheidung erklärt sich aus dem Umstand, dass das Anfechtungsurteil gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht darauf beschränkt ist, eine Verpflichtung der Behörde zur Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes auszusprechen, sondern die Aufhebung unmittelbar selbst anordnet. Das erscheint insofern widersprüchlich, als die Aufhebungskompetenz der Verwaltungsgerichte zugleich die Annahme der Erlasskompetenz nach sich zieht. Konsequent wäre es daher, wenn das Verwaltungsgericht im Rahmen der Verpflichtungsklage unmittelbar selbst den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aussprechen würde. Soweit geht die Regelung des § 113 Abs. 5 VwGO hingegen nicht. Sie spricht lediglich die Verpflichtung der Behörde zum Erlass des Verwaltungsaktes aus. Es handelt sich mithin nicht um eine Gestaltungs-, sondern um eine Leistungsklage.99 Die Regelung des § 766 Abs. 1 und 2 ZPO trifft im Gegensatz zu der Vorschrift des § 113 Abs. 1 und 5 VwGO keine Vorgaben hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Entscheidungstenors. Gleichwohl haben Rechtsprechung und Literatur im Wege der Rechtsfortbildung Formulierungen entwickelt, die einen erstaunlich hohen Grad an Übereinstimmung mit denjenigen der Verwaltungsrechtslehre aufweisen. a) Die Anfechtungssituation im Lichte des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO Nahezu identisch mit dem Verwaltungsprozess stellt sich die Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung im Falle der Anfechtung einer Vollstreckungsmaßnahme dar. Das Vollstreckungsgericht hebt, soweit es sich um einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss handelt, selbst die rechtswidrige Maßnahme auf. Die Legitimation zur Aufhebung erklärt sich aus der Doppelfunktion des Vollstreckungsgerichts als zuständiges Vollstreckungsorgan und als Entscheidungsträger über die Vollstreckungserinnerung.100 Geht es hingegen um eine Maßnahme des Gerichtsvollziehers, so soll dem Vollstreckungsgericht die Kompetenz zur Aufhebung fehlen, weswegen es lediglich die Verpflichtung des 96
S.o. § 2 II 3. § 766 Abs. 2 ZPO gibt dem Gläubiger daher aus guten Gründen das Recht, den Gerichtsvollzieher zum Tätigwerden zu verpflichten. 98 S.o. § 11 IV 4 a. 99 S.o. § 11 IV 4 a bb. 100 Brox/Walker, Rdnr. 1238, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 IV 2. 97
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Gerichtsvollziehers zur Aufhebung ausspricht.101 Vor dem Hintergrund des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO wäre diese Selbstbescheidung des Vollstreckungsgerichts nicht erforderlich. Gleichwohl ist sie im Hinblick auf eine strikte Gewaltenteilung nur konsequent und gäbe an sich Anlass, die Kassationswirkung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO in Frage zu stellen. Handelt es sich doch im Kern auch bei der Anfechtungsklage nicht um eine Gestaltungs-, sondern um eine Leistungsklage. Es geht um die Verpflichtung der Behörde zur Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes.102 Letztlich wäre bei konsequenter Betrachtung die Unterscheidung zwischen der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage entbehrlich. b) Der Verpflichtungstenor im Lichte des § 113 Abs. 5 S. 1 und S. 2 VwGO Hat der Gerichtsvollzieher zu Unrecht den Erlass einer Vollstreckungsmaßnahme abgelehnt, so spricht das Vollstreckungsgericht die Verpflichtung aus, entweder die Maßnahme zu erlassen oder die Maßnahme zumindest nicht aus dem in Streit stehenden Grund abzulehnen.103 Die zuletzt genannte Situation erklärt sich aus dem Umstand, dass dem Gerichtsvollzieher ein Ermessen bezüglich der konkret vorzunehmenden Maßnahme verbleiben kann. Sie gleicht der „Bescheidungssituation“ des Verwaltungsprozesses und spiegelt sich in der Regelung des § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO wider. Diese Regelung unterscheidet ebenfalls zwischen dem Verpflichtungs- und dem bloßen Bescheidungsurteil. Summa summarum lässt sich anhand der jeweiligen Entscheidungsformeln eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der Vollstreckungserinnerung einerseits und der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage andererseits nachweisen.
III. Sachlich gebotene Unterschiede zur Anfechtungsund Verpflichtungsklage? Angesichts der aufgezeigten Gemeinsamkeiten der Vollstreckungserinnerung mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage stellt sich die Frage nach der Berechtigung für die verbleibenden Eigenarten der Vollstreckungserinnerung. Maßgebliche Unterschiede bestehen hinsichtlich des zulässigen Rechtsweges, der beteiligten Parteien, des gerichtlichen Vorverfahrens sowie Fragen der Rechtsbehelfsbelehrung und Befristung.
101 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VII 1 a. Unglücklich ist der in demselben Zusammenhang häufig anzutreffende Vorschlag, die angefochtene Vollstreckungsmaßnahme für unzulässig zu erklären (so etwa bei Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 11, und Brox/Walker, Rdnr. 1237). Ein derartiger Tenor entspricht dem der Feststellungsklage. Es mangelt ihm daher an einem vollstreckbaren Inhalt, sofern das Vollstreckungsorgan ihm nicht freiwillig Folge leistet. 102 Ermächtigungsgrundlage für die Behörde sind die Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG. 103 Brox/Walker, Rdnr. 1239, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VII 1 a.
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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1. Rechtswegeröffnung zum Zivilgericht Bis heute finden sich bei einigen europäischen Nachbarn die vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe beim Prozessgericht angesiedelt. Dies wird weitgehend als antiquierter Zustand aufgefasst. Begrüßenswert erscheint demgegenüber die neuere Entwicklung des französischen Vollstreckungsrechts, das sich für eine vom Prozessgericht getrennte Vollstreckungsinstanz entschieden hat.104 Diese Entwicklung ist bedingt durch die Trennung des Vollstreckungsverfahrens vom Erkenntnisverfahren und die damit verbundene Loslösung vom gemeinen Vollstreckungsrechtssystem des Mittelalters. In der weiteren Konsequenz dieser Entwicklung stellt sich aber die Frage, weshalb die Trennung von der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit nicht gänzlich vollzogen wird. Die Untersuchung hat ergeben, dass die Trennung der Vollstreckung von der Judikative ihr zugleich exekutiven Charakter verleiht.105 Handelt es sich mithin bei der staatlichen Vollstreckung nicht mehr um eine richterliche Tätigkeit, sondern um ein Verwaltungsverfahren, so stellt sich die Frage, weshalb deren gerichtliche Überprüfung nicht – vergleichbar der Kontrolle jeder anderen Verwaltungstätigkeit – den Verwaltungsgerichten obliegt. Die allgemeinen Vorschriften der §§ 13 GVG, 40 VwGO eröffnen den Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht. Aufgrund der staatlichen Beteiligung handelt es sich bei Meinungsverschiedenheiten in der Vollstreckung um eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit“. Gegen eine Rechtswegeröffnung vor den Verwaltungsgerichten könnte der Gedanke des Sachzusammenhangs eingebracht werden.106 Die Regelungen der §§ 23 ff. EGGVG eröffnen deshalb für Maßnahmen der Justizverwaltung den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten.107 Hingegen haben die Überlegungen zur Organisation der Vollstreckung gezeigt, dass für einen vergleichbaren Sachzusammenhang der Vollstreckungsorgane mit denjenigen der Justiz keine Notwendigkeit besteht. Die Ansiedlung der Vollstreckungsorgane bei der Justiz ist allein historisch bedingt und auf den gemeinrechtlichen Exekutionsprozess zurückzuführen. Aus heutiger Sicht besteht für eine derartige Verbindung hingegen keine Notwendigkeit mehr. Die Rechtswegeröffnung vor den ordentlichen Zivilgerichten ist ebenso als überholt anzusehen. Die Überlegungen eröffnen im Bereich des Rechtsbehelfssystems die Möglichkeit der Rechtsvereinheitlichung der Zwangsvollstreckung mit der Verwaltungs104
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 VI. S.o. § 4 VI. 106 Dies klingt bei Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 II 3, an: „Der Gerichtsvollzieher ist keine selbständige, aus der Justiz ausgegliederte Behörde, sondern ein in die Gerichtsbarkeit eingegliedertes Rechtspflegeorgan, dessen Handeln jederzeit mit der Erinnerung nach § 766 der uneingeschränkten Sachaufsicht des zur ,Mitwirkung‘ berufenen Vollstreckungsgerichts unterworfen werden kann.“ Nichts anderes gilt jedoch für andere Verwaltungsbehörden, die jederzeit der vollumfänglichen Kontrolle der Verwaltungsgerichte unterworfen sind. 107 Die Vollstreckungserinnerung wird als Spezialregelung gegenüber den §§ 23 ff. EGGVG angesehen, so Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 43.22, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 XI 3. 105
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
vollstreckung.108 Letztere unterliegt bereits heute der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es bleibt daher kein Raum für eine unterschwellige Skepsis gegenüber der Qualifikation der Verwaltungsgerichte zur richterlichen Kontrolle der Zwangsvollstreckung.109 2. Die Suche nach der Berechtigung für ein kontradiktorisches Erinnerungsverfahren Die Regelung des § 766 ZPO trifft keine Aussage über die Beteiligten an der Vollstreckungserinnerung. Rechtsprechung und Literatur gehen gleichwohl übereinstimmend davon aus, dass es sich beim Erinnerungsführer und Erinnerungsgegner nur um die Parteien des zu vollstreckenden Anspruchs handeln könne.110 Nur vereinzelt wird die Ansicht geäußert, die Vollstreckungserinnerung sei gegen das staatliche Vollstreckungsorgan zu richten.111 Für diese absolute Mindermeinung sprechen jedoch – gerade vor dem Hintergrund des hier entwickelten Verständnismodells – sehr starke Argumente. Die h. M. setzt sich umgekehrt zahlreichen Wertungswidersprüchen aus. a) Wertungswidersprüche Der Vergleich des gerichtlichen Entscheidungstenors über die Vollstreckungserinnerung mit demjenigen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat eine weitgehende Identität ergeben.112 So wird bei der Vollstreckungserinnerung der Gerichtsvollzieher – und nicht etwa die unterliegende Partei – verpflichtet, eine bestimmte Pfändungsmaßnahme vorzunehmen oder aber aufzuheben. Merkwürdig mutet es dabei an, dass der Gerichtsvollzieher am Verfahren der Vollstreckungserinnerung überhaupt nicht beteiligt ist.113 Er wird gleichsam in Abwesenheit ohne Möglichkeit des rechtlichen Gehörs114 verurteilt.115 Die Anwe108 Zur Zusammenlegung von Zwangsvollstreckung und Verwaltungsvollstreckung s. schon ausführlich unter § 10 III und IV. 109 Schließlich lässt sich auch nicht das Argument der unterschiedlichen Prozessparteien gegen eine Rechtswegeröffnung vor den Verwaltungsgerichten ins Feld führen. Im Gegenteil belegen die nachfolgenden Überlegungen (s. sogleich unter 2), dass auch für diese Abweichung der Vollstrekkungserinnerung von den öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelfen keine Existenzberechtigung besteht. 110 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VI 3. 111 Hein, ZZP 1956, 231 (246, Fn. 35). Ähnlich kritisch, aber nur de lege ferenda Karsten Schmidt, JuS 1992, 90 (91); ders., in: Münchener Kommentar, § 766, Rdnr. 3. 112 S.o. II 4. 113 Er kommt nur als Beweisperson für die amtliche Auskunft in Betracht, die der Erinnerungsrichter jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen von ihm einholen kann. So Bruns/Peters, § 14 III; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VI 3; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 766, Rdnr. 41, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 42. 114 So ausdrücklich Schlosser, Zwangsvollstreckungsrecht, Rdnr. 26, und OLG Düsseldorf, NJW 1980, 1111 (1111 f.). 115 Als Vollstreckungsorgan soll der Gerichtsvollzieher weder berechtigt sein Erinnerung einzulegen noch sich gegen die Erinnerungsentscheidung zu beschweren, sofern letztere nicht den Kostenansatz betrifft, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 V 3 a cc.
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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senheit der gegnerischen Vollstreckungspartei vermag diesen Mangel kaum zu heilen, da ihre Angaben diejenigen des staatlichen Vollstreckungsorgans nicht zu ersetzen vermögen. Der Erinnerungsgegner tritt auch nicht etwa als Auftraggeber des Vollstreckungsorgans in Erscheinung.116 Ihm kann daher das Verhalten des Vollstreckungsorgans nicht einmal zugerechnet werden. Allein die von den Vätern der Zivilprozessordnung verfolgte Mandatstheorie könnte das Auftreten der gegnerischen Partei als Erinnerungsgegner rechtfertigen. In der weiteren Folge wäre dann aber auch die unterliegende Partei zur Vornahme oder Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme zu verurteilen. Die Konsequenz einer derart weitgehenden Disposition der Parteien über das Vollstreckungsverfahren wird aber weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur in Erwägung gezogen, obwohl beide einer Disposition der Parteien durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen. Und so führt an dieser Stelle kein Weg an der Feststellung vorbei, dass das kontradiktorische Erinnerungsverfahren nur als Anachronismus des gemeinen Exekutionsprozesses und der früheren Mandatstheorie zu erklären ist. Wird dem staatlichen Vollstreckungsorgan einerseits die Möglichkeit genommen, zu seiner vollstreckungsrechtlichen Tätigkeit im Erinnerungsverfahren Stellung zu nehmen, so hat dies andererseits zur Folge, dass das Vollstreckungsorgan keine Verpflichtung trifft, seine Tätigkeit vor Gericht zu erklären und zu rechtfertigen. Dies führt so weit, dass das Vollstreckungsorgan im Unterliegensfall nicht einmal mehr die Kostenlast des von ihm ausgelösten Erinnerungsverfahrens trifft.117 Demzufolge ist in der anwaltlichen Vollstreckungspraxis der unterliegenden Partei kaum begreiflich zu machen, weshalb sie für ein Fehlverhalten des Vollstreckungsorgans einzutreten hat und nicht dieses zur Verantwortung gezogen wird.118 Das Fehlverhalten des Vollstreckungsorgans bleibt de facto der gerichtlichen Überprüfung mit anschließender Sanktion entzogen. b) Auflösung der Widersprüche Die zuvor skizzierten Widersprüche ließen sich bereits de lege lata ausräumen, sofern Rechtsprechung und Literatur von ihrer Meinung abrücken und als Erinnerungsgegner das Vollstreckungsorgan ins Visier nehmen würden.119 Zugleich wäre der Anschluss an die moderne Verwaltungsrechtslehre vollzogen, die als Gegner von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zutreffend die handelnde Verwaltungsbehörde ins Auge fasst. Nur so lässt sich erklären, dass das han116 Dieser Gedanke würde ohnehin nur bei der Erinnerung des Schuldners weiterhelfen, da allenfalls der Gläubiger als Auftraggeber des Gerichtsvollziehers verstanden werden kann. 117 Nach LG Wuppertal, DGVZ 1993, 59, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VII 2, dürfen die Kosten des Verfahrens wegen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit“ nicht dem Gerichtsvollzieher auferlegt werden. 118 Im Gegenteil muss die unterliegende Partei auch noch für die Kosten des Gerichtsvollziehers aufkommen!. 119 Die Vorschrift des § 766 ZPO steht einem solchen Verständnis nicht im Wege.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
delnde Vollstreckungsorgan zur Vornahme oder zur Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme verurteilt wird. Zuvor hat es das Recht und die Pflicht, für seine Tätigkeit gegenüber dem Gericht Rechenschaft abzulegen. Unterliegt es im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung, so hat es für die dadurch ausgelösten Kosten einzustehen.120 Die gegnerische Vollstreckungspartei wird durch ein derartiges Modell nicht vom gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen. Vielmehr treffen die Vorschriften zum Verwaltungsprozess eine sachgerechte Regelung. § 65 Abs. 2 VwGO ordnet an, dass Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, beizuladen sind. Ein derartiger Fall einer notwendigen Beiladung liegt in der Vollstreckung bezogen auf Gläubiger und Schuldner stets vor, da die Vollstreckung die Erfüllung des Gläubigeranspruchs bezweckt und demzufolge stets nur eine einheitliche Entscheidung denkbar ist. In der Folge steht dem Gericht bei der Entscheidung über die Beiladung kein Ermessen zu. Der betroffenen Partei steht es hingegen frei, ob sie dem Verfahren beitritt und das Vollstreckungsorgan unterstützt oder ob sie sich vom Verfahren fernhält. Richtet sich das Erinnerungsverfahren gegen das Vollstreckungsorgan, so erklärt sich die Anwendung der öffentlich-rechtlichen Prinzipien des materiellen wie auch des Verfahrensrechts. Hier schließt sich mithin der Kreis zu den prinzipiellen Überlegungen im zweiten Teil der Untersuchung.121 Rechtsprechung und Literatur müssen sich nach heutigem Erkenntnisstand daher fragen lassen, aus welchen Gründen sie im Rahmen der Vollstreckungserinnerung an einem kontradiktorischen Verfahren festhalten wollen.122 3. Beschlussverfahren versus Widerspruchs- und Urteilsverfahren Der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist ein Widerspruchsverfahren im Sinne der §§ 68 ff. VwGO vorgelagert. Es bezweckt die Selbstkontrolle der Verwaltung, eine Entlastung der Gerichte und einen zusätzlichen Rechtsschutz der Betroffenen. In ähnlicher Weise könnte das Erinnerungsverfahren, dem aus gerichtlicher Sicht ebensowenig wie dem Widerspruchsverfahren ein Devolutiveffekt zukommt,123 als Vorverfahren gegenüber der sich anschließenden Entscheidung des Landgerichts verstanden werden.124 Eine solche 120
Letztlich ist auch nur so ein gewisser „erzieherischer Effekt“ sicherzustellen. S.o. §§ 6 ff. 122 Gründe hierfür sind bis heute nicht genannt worden. So führt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 37 VI 3, nur apodiktisch aus: „Der Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungsgericht haben als Vollstreckungsorgane ebensowenig eine Parteistellung wie der durch sie repräsentierte Staat.“ 123 Brox/Walker, Rdnr. 1161, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 II 2. 124 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 II 1, bezieht beispielsweise die Selbstkontrolle ausdrücklich in den Zweck der Vollstreckungserinnerung ein, jedenfalls soweit die Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts berührt ist. Gaul bezeichnet die Erinnerung daher auch als den umfassenden „vollstreckungsinternen“ Rechtsbehelf. 121
§ 27 Die Vollstreckungserinnerung
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kann die unterliegende Partei herbeiführen, sofern sie gegen die Entscheidung des Vollstreckungsrichters sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO einlegt.125 Gegen ein derartiges Verständnis wäre hingegen einzuwenden, dass das Vollstreckungsgericht bei seiner Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung nicht so sehr als Vollstreckungsorgan, sondern vielmehr als gerichtlicher Spruchkörper tätig wird. So ist es bei Maßnahmen des Gerichtsvollziehers daran gehindert, diese selbst aufzuheben oder vorzunehmen. Demgegenüber leiten sich die Befugnisse einer Widerspruchsbehörde aus denjenigen der Ausgangsbehörde ab,126 weshalb die Widerspruchsbehörde sogar eine über die angegriffene Regelung hinausgehende Maßnahme treffen kann (reformatio in peius). Eine vergleichbare Befugnis könnte dem Vollstreckungsgericht allenfalls im Bereich der Forderungsvollstreckung zugesprochen werden. Auch dort hat sich aber gezeigt, dass eine strikte Trennung zwischen der exekutiven Vollstreckungstätigkeit des Rechtspflegers und der gerichtlichen Überprüfung durch den Vollstreckungsrichter durchaus sinnvoll ist.127 Wollte man daher eine konsequente Parallele zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren vollziehen, so läge es nahe, im Vollstreckungsverfahren eine gesonderte Widerspruchsbehörde zu installieren. Angesichts des in der Praxis recht zeitaufwendigen Widerspruchsverfahrens erscheint ein solcher Schritt hingegen in der stark an Effektivitätsgesichtspunkten orientierten Vollstreckung entbehrlich. Das Fehlen einer vorrangigen Selbstkontrolle der Vollstreckungsorgane ist bislang nicht als Mangel empfunden worden. Im Übrigen sind dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren Ausnahmen von der Notwendigkeit eines Vorverfahrens nicht fremd.128 Was bleibt, ist die Unterscheidung zwischen dem Beschlussverfahren über die Vollstreckungserinnerung und dem Urteilsverfahren über die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Unterscheidung bezieht sich vornehmlich auf die Frage der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung.129 Da der maßgebliche Sachverhalt in der Vollstreckung aufgrund der bloß formalisierten Prüfung zumeist unstreitig sein wird und sich das Erinnerungsverfahren im Wesentlichen auf die Beurteilung von Rechtsfragen konzentriert, erscheint hier eine mündliche Verhandlung entbehrlich zu sein. Es ist daher sachgerecht, dass über die Erinnerung im Wege des Beschlussverfahrens entschieden wird. 4. Rechtsbehelfsbelehrung und Befristung Abschließend fallen zwei verfahrensrechtliche Besonderheiten der Vollstreckungserinnerung auf. Einerseits sieht das Gesetz keine Belehrung der Vollstre125 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 28, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 VIII. Näher dazu noch unter § 28 I 5 a. 126 Kopp/Schenke, § 68, Rdnr. 9. 127 S.o. § 23 II 3 und noch näher unter § 28 I 5. 128 S. dazu nur die in § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO aufgeführten Sonderfälle. 129 Reichold, in: Thomas/Putzo, Vor § 300, Rdnrn. 1 f.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
ckungsparteien, vornehmlich des Schuldners, über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe vor. Andererseits unterliegt die Vollstreckungserinnerung keiner Befristung. An dieser Stelle erscheinen die gegenläufigen Regelungen aus dem Verwaltungsverfahren durchaus bedenkenswert, zumal sich ähnliche Regelungen bei den europäischen Nachbarn finden.130 Die Notwendigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung enthebt den Schuldner des von ihm nicht zu vertretenden Risikos der Einlegung eines falschen Rechtsbehelfs. So ist es Aufgabe des Gesetzgebers, für einen geordneten und effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG Sorge zu tragen. Umgekehrt erlaubt die Rechtsbehelfsbelehrung eine Befristung und damit eine erhöhte Rechtssicherheit für den Gläubiger. Dies benachteiligt den Schuldner bei vorangehender Belehrung in keiner Weise, da er über die Risiken des Fristablaufs informiert ist.131 Weshalb sollten diese wechselseitigen Vorteile nicht auch im Vollstreckungsverfahren fruchtbar gemacht werden?
IV. Ergebnis Die Überlegungen zur Vollstreckungserinnerung machen deutlich, dass der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung in erstaunlich großem Umfang der Jahrzehnte später erst in Gang gekommenen Verwaltungsrechtslehre vorgegriffen hat. Im Bereich der verbliebenen Abweichungen erscheint eine Fortentwicklung der Vollstreckungserinnerung angeraten. Die Rechtswegeröffnung vor den Verwaltungsgerichten, die es bei Inkrafttreten der Zivilprozessordnung noch nicht gab, und die Einführung des Vollstreckungsorgans als Erinnerungsgegner ermöglichten eine weitgehende Harmonisierung. Der Ansatz, das Vollstreckungsrecht auf bekannte Rechtsfiguren des privaten und öffentlichen Rechts zurückzuführen, erweist sich als der Königsweg. Dieser Weg erlaubt es, im Rahmen der Vollstreckungserinnerung die derzeit noch bestehenden Wertungswidersprüche auszuräumen.
§ 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO I. Bedeutung und Abgrenzung zur Vollstreckungserinnerung Gemäß § 793 Abs. 1 ZPO findet gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, die sofortige Beschwerde statt. Es steht damit neben der Vollstreckungserinnerung ein zweiter Rechtsbehelf zur Verfügung, so dass sich sogleich die Frage nach dessen Existenzberechtigung und der Abgrenzung zur Vollstreckungserinnerung stellt. Dabei fällt auf, dass die Diskussion um das maßgebliche Abgrenzungskriterium die 130 Die französische contestation ist beispielsweise gemäß D.Art. 130 auf einen Monat befristet, s.o. § 25 I. 131 Ebenso für eine Befristung plädiert Barkam, S. 8 ff., 22 f.
§ 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO
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vorrangige Frage nach der Notwendigkeit der vorgenommenen Differenzierung nahezu gänzlich verdrängt. 1. Das Kriterium der Entscheidung Rechtsprechung und Literatur grenzen die sofortige Beschwerde anhand des Kriteriums der „Entscheidung“ von der Vollstreckungserinnerung ab.132 Letztere habe demgegenüber die Überprüfung von „Maßnahmen“ zum Gegenstand. In der weiteren Folge sollen solche Vollstreckungsakte nicht der sofortigen Beschwerde unterliegen, die lediglich Vollstreckungsmaßnahmen darstellen, d.h. ohne Interessenabwägung zwischen Gläubiger und Schuldner sowie ohne rechtliches Gehör des Schuldners ergehen.133 Die Frage nach dem Sinn dieser Differenzierung bleibt dabei unbeantwortet.134 Sie drängt sich hingegen allein schon im Hinblick auf die Inkonsequenz der weiteren Rechtsanwendung auf. Ungeachtet des genannten Unterscheidungskriteriums soll die sofortige Beschwerde nämlich auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Richter entgegen der gesetzlichen Vorschrift des § 891 ZPO ohne Anhörung, aber erkennbar in einem Verfahren mit kontradiktorischen Zügen für die erste Instanz abschließend erkannt hat.135 Des Weiteren soll es für das Beschwerderecht des Drittschuldners nicht darauf ankommen, ob er vor der angefochtenen Entscheidung gehört worden ist; maßgebend soll allein das rechtliche Gehör des Schuldners sein.136 Dessen rechtliches Gehör vermag im Verhältnis zum Drittschuldner aber wohl kaum eine angemessene Interessenabwägung zu begründen. Und so muss es nicht überraschen, dass der h. M. bis heute noch keine klare Grenzziehung gelungen ist.137 2. Die Frage nach dem Sinn der Differenzierung Die vermeintliche Selbstverständlichkeit der vorgenommenen Differenzierung zwischen der Vollstreckungserinnerung und der sofortigen Beschwerde erstaunt nicht zuletzt deshalb, weil sich eine vergleichbare Unterscheidung in anderen Rechtsgebieten nicht nachweisen lässt. Denkt man beispielsweise an die im Rahmen der Vollstreckungserinnerung gezogene Parallele zur Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, so fällt im Gegenteil auf, dass Gegenstand der richterlichen Überprüfung sowohl Entscheidungen als auch Maßnahmen sind. Beide Begriffs132
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II 1 b. RGZ 16, 317 (321 f.); 18, 431 (434); Putzo, in: Thomas/Putzo, § 793, Rdnr. 3; Brox/Walker, JA 1986, 57 (59); Geißler, JuS 1986, 280 (282 ff.); Wetzel, JuS 1990, 198 (201); Münzberg, in: Stein/ Jonas, § 766, Rdnrn 3, 7; Jürgen Blomeyer, Rpfleger 1969, 279 (284), sowie Gaul, Rpfleger 1971, 41 (43 f.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, §§ 37 IV 2 a; 38 II 1 b. 134 Mit Recht ablehnend gegenüber der Differenzierung der h. M. äußern sich daher Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 43.4. 135 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II 1 b. 136 OLG Bamberg, Rpfleger 1978, 31 (31 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II 3 a. 137 Dazu Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 IV 2: „Der Kritik ist einzuräumen, daß sich vom Standpunkt der h. M. Abgrenzungsschwierigkeiten nicht ganz vermeiden lassen.“ 133
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
kategorien unterfallen ausdrücklich der Legaldefinition des Verwaltungsaktes gemäß § 35 S. 1 VwVfG. Der einheitliche Rechtsschutz gegen beide Arten des Verwaltungsaktes ist zu keinem Zeitpunkt in der Verwaltungslehre bemängelt worden. Im Gegenteil macht die einheitliche Erfassung eine mühselige Differenzierung entbehrlich. Sie wäre geeignet, auch die derzeitige Rechtsprechung und Literatur von dem Vorwurf der Inkonsequenz zu befreien. 3. Die sinnfällige Abhängigkeit von der Gewährung rechtlichen Gehörs Dass der Umstand des mangelnden Gehörs keine Differenzierung bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes zu rechtfertigen vermag, belegt die Vorschrift des § 28 VwVfG. Diese Regelung trifft eine ausgewogene Abstufung zwischen den Fällen der notwendigen und der entbehrlichen Anhörung. Dabei macht die systematische Stellung des § 28 VwVfG im ersten Abschnitt des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Verfahrensgrundsätze) deutlich, dass die Frage des rechtlichen Gehörs innerhalb des Verwaltungsverfahrens anzusiedeln ist, jedoch keinen Einfluss auf das Rechtsbehelfssystem hat.138 Die Sinnfälligkeit des derzeitigen Abgrenzungsmodells wird besonders deutlich, wenn man sich die für den Bereich der Zwangsvollstreckung maßgebliche Bestimmung des § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG anschaut. Diese Regelung räumt der Vollstreckungsbehörde bei der Gewährung des rechtlichen Gehörs ein Ermessen ein. In der Konsequenz der derzeitigen Rechtsprechung und Literatur würde das Vollstreckungsorgan, soweit das Ermessen nicht gemäß den §§ 834, 891 S. 2 ZPO in der einen oder anderen Richtung reduziert ist, zugleich Einfluss auf den statthaften Rechtsbehelf nehmen können. Diese Überlegung führt die derzeitige Differenzierung letztlich ad absurdum. 4. Das eigentliche Problem: Die mangelnde Befristung der Vollstreckungserinnerung Die bisherigen Überlegungen veranschaulichen, dass die Frage des rechtlichen Gehörs als Kriterium zur Abgrenzung der sofortigen Beschwerde von der Vollstreckungserinnerung zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt. Die Frage nach dem Sinn dieser Abgrenzung wird gleichwohl kaum artikuliert. Schaut man indes weiter hinter die Kulissen, so deutet sich die eigentliche Ursache für die eigenartige Differenzierung an. In den Gesetzesmotiven findet sich der Hinweis, dass Entscheidungen im Zwangsvollstreckungsverfahren ihrer Natur entsprechend nicht nach längerer Zeit noch in Frage gestellt werden dürfen, vielmehr mit Ablauf einer kurzen Frist unwiderruflich sein müssen.139 Diese zu § 793 ZPO gegebene Begründung soll wiederum nur gerechtfertigt sein, wenn vor der Ent138 Anderenfalls würde sich die Frage stellen müssen, weshalb bei den Rechtsbehelfen nicht auch in Abhängigkeit von den übrigen Verfahrensgrundsätzen (Begründungserfordernis etc.) eine entsprechende Differenzierung vorgenommen wird. 139 Nachweis bei Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 I 3.
§ 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO
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scheidung rechtliches Gehör gewährt worden ist.140 In der weiteren Konsequenz ergibt sich die vermeintliche Notwendigkeit, die Vollstreckungsmaßnahmen aus dem Anwendungsbereich des § 793 ZPO auszugrenzen. Im Kern ist damit aber nicht die Frage des rechtlichen Gehörs, sondern diejenige der Befristung des sich anschließenden Rechtsbehelfs angesprochen. Selbst dieser Aspekt entpuppt sich aber als Scheinproblem. Denn Ausgangspunkt bleibt die fragwürdige Prämisse, die gesetzgeberischen Erwägungen zur sofortigen Beschwerde würden nicht in gleicher Weise auch die Vollstreckungserinnerung betreffen. Bei letztgenanntem Rechtsbehelf ist es aber gleichermaßen wünschenswert, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht noch nach längerer Zeit in Frage stellen zu können. Verbindet man die daraus resultierende Befristung der Vollstreckungserinnerung mit einer Rechtsbehelfsbelehrung,141 so erweist sich der Umstand des fehlenden rechtlichen Gehörs vollends als Scheinproblem. Denn die Kehrseite der Medaille ist nicht ein abweichender Rechtsbehelf, sondern die Nachholung des rechtlichen Gehörs innerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens. Umgekehrt entfällt von der Warte der sofortigen Beschwerde aus die Notwendigkeit, die Entscheidungen der Vollstreckungsorgane von der Vollstreckungserinnerung auszunehmen und sie unter Umgehung einer solchen erstinstanzlichen Überprüfung direkt der Bewertung der Rechtsmittelinstanz zu überantworten. 5. Differenzierung zwischen rechtsprechender und exekutiver Tätigkeit Deuten die bisherigen Überlegungen darauf hin, eine Differenzierung zwischen der Vollstreckungserinnerung und der sofortigen Beschwerde sei verzichtbar, so bleibt ein anderes Unterscheidungskriterium von Bedeutung, das bislang allzu sehr vernachlässigt worden ist. Die eigentliche Besonderheit der sofortigen Beschwerde liegt darin begründet, dass sie die Überprüfung einer richterlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat, während die Vollstreckungserinnerung die exekutive Tätigkeit des Vollstreckungsorgans betrifft. Genaueren Aufschluss über diese Abgrenzung gibt der Hauptanwendungsfall der sofortigen Beschwerde. a) Der Hauptanwendungsfall der sofortigen Beschwerde Der Hauptanwendungsfall der sofortigen Beschwerde, sprich die Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung,142 veranschaulicht das abgestufte Verhältnis der beiden Rechtsbehelfe. Die Existenzberechtigung des § 793 ZPO ergibt sich unmittelbar aus der Überlegung, dass statthafter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über die Vollstreckungserinnerung nicht diese selbst sein kann.143 Zugleich wird deutlich, dass es sich bei der sofortigen 140 141 142
RGZ 16, 317 (320 ff.); 18, 431 (433 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 37 I 3. S.o. § 27 III 4. Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 28, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II
1 a. 143
Das Vollstreckungsgericht kann seiner Entscheidung lediglich im Rahmen der sofortigen Beschwerde gemäß § 572 Abs. 1 ZPO abhelfen, sofern es die Beschwerde für begründet erachtet.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Beschwerde um ein klassisches Rechtsmittel handelt, das seinerseits die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung beinhaltet. Daraus ergibt sich die weitergehende Konsequenz, dass allein die richterliche Tätigkeit in der Vollstreckung noch nicht notwendig die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde bedingt. Maßgeblich ist vielmehr eine vorherige rechtsprechende Tätigkeit des Richters. Diese Überlegung ermöglicht eine klare Abgrenzung von sofortiger Beschwerde und Vollstreckungserinnerung im Sinne der Gewaltenteilung. b) Die unterschiedlichen Streitgegenstände von § 766 ZPO und § 793 ZPO Die Konzentration der sofortigen Beschwerde auf die gerichtliche Überprüfung einer erstinstanzlichen richterlichen Entscheidung trägt in besonderem Maße dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewaltenteilung Rechnung. Nicht umsonst findet dieser Grundsatz seine einfachgesetzliche Ausprägung in dem Richtervorbehalt des § 20 Nr. 17 RPflG. Die richterliche Tätigkeit in der Vollstreckung beschränkt sich danach auf die rein rechtsprechende Tätigkeit, während dem Rechtspfleger die Funktion des exekutiven Vollstreckungsorgans zukommt.144 In der weiteren Konsequenz ist es sachgerecht, im Rahmen des § 793 ZPO den Gedanken zur Beschränkung der richterlichen Tätigkeit auf die dritte Staatsgewalt zu adaptieren. In Abgrenzung zur erstinstanzlichen Entscheidung im Rahmen der Vollstreckungserinnerung, die die Verwaltungstätigkeit des Vollstreckungsorgans zum Streitgegenstand hat, beinhaltet die sofortige Beschwerde dann ausschließlich die Überprüfung dieser richterlichen Entscheidung in der zweiten Instanz. Es handelt sich bei diesem Verständnis schlicht um ein klassisches Rechtsmittel. c) Unzulänglichkeit der „Entscheidung“ als Abgrenzungskriterium Der Blick für eine Unterscheidung in Übereinstimmung mit der staatlichen Gewaltenteilung wird dadurch erschwert, dass die gesetzlichen Begrifflichkeiten „Entscheidung“ im Sinne des § 793 ZPO und „Vollstreckungshandlung“ im Sinne des § 766 ZPO die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten nur sehr unvollkommen widerspiegeln. Dies hängt mit dem vorkonstitutionellen Charakter der Zivilprozessordnung zusammen. So war dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung insbesondere ein Rückgriff auf die Lehre vom Verwaltungsakt verwehrt. Ein nachträglicher Querverweis auf die Legaldefinition des § 35 S. 1 VwVfG macht hingegen deutlich, dass der Begriff der „Entscheidung“ allein nicht geeignet ist, die richterliche Tätigkeit zu charakterisieren. Die Verwaltungsbehörden, namentlich die Vollstreckungsorgane, treffen in gleicher Art und Weise Entscheidungen im Sinne einer Abwägung zwischen verschiedenen Lösungswegen. Überhaupt erscheint die weitere in § 766 ZPO vorgenommene Fixierung der „Vollstreckungshandlung“ wenig glücklich, da diese ebenfalls eine (vorherige) Entscheidung beinhaltet. Denkbar wäre allenfalls eine Beschränkung des Begriffs 144
S.o. § 23 II 3 a und b.
§ 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO
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der „Vollstreckungshandlung“ auf die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans im Sinne der exekutiven Ausführung einer Entscheidung durch die Vornahme konkreter „Vollstreckungsmaßnahmen“. Nicht umsonst wird daher dieser in § 766 ZPO nicht ausdrücklich genannte Begriff als Kennzeichen der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers gewählt.145 Dabei fällt in der weiteren Folge jedoch auf, dass die entscheidende Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Vorfeld der Vollstreckungsmaßnahme gänzlich außer Betracht bleibt. Anderenfalls müssten Rechtsprechung und Literatur bei einer Interessenabwägung durch den Gerichtsvollzieher die Anwendbarkeit des § 766 ZPO verneinen und zur Anwendung des § 793 ZPO gelangen. Mit Recht werden derartige Überlegungen aber nicht angestellt. Plausibel wird dies vollends anhand der nachfolgend zu entwickelnden Konkretisierung des Entscheidungsbegriffs. d) Konkretisierung der „Entscheidung“ in § 793 ZPO Angesichts der verfassungsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Fortentwicklung erscheint eine begriffliche Konkretisierung des Begriffs der „Entscheidung“ in § 793 ZPO angebracht, die dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung trägt und das rechtsprechende Element im Rahmen des § 793 ZPO betont. Parallel zu den Rechtsmittelvorschriften des Erkenntnisverfahrens wäre dabei zunächst an den Zusatz „Entscheidung des Vollstreckungsgerichts“ zu denken. Aufgrund dessen ambivalenten Charakters wären jedoch Missverständnisse vorprogrammiert, weswegen die präzisere Formulierung „Entscheidung des Vollstreckungsrichters“ vorzuziehen wäre. Selbst diese Formulierung bringt jedoch noch keine hinreichende Klarheit, da nach der derzeitigen Gesetzeslage auch das Prozessgericht als Vollstreckungsorgan in Erscheinung tritt. Um daher eine größtmögliche Kongruenz mit dem verfassungsrechtlich verankerten Prinzip der Gewaltenteilung zu ermöglichen, ist der direkte Zugriff auf die verfassungsrechtlichen Termini angeraten. Die Konkretisierung des Begriffs der „Entscheidung“ in § 793 ZPO als „rechtsprechende Entscheidung“ erscheint daher am besten geeignet, um die Abgrenzung von der „verwaltungsbehördlichen Entscheidung“ des Vollstreckungsorgans vorzunehmen.146
II. Konsequenzen der vorgenommenen Abgrenzung Das Abgrenzungsmodell von sofortiger Beschwerde und Vollstreckungserinnerung hat Auswirkungen auf den Anwendungsbereich beider Rechtsbehelfe. Dies veranschaulicht eine Betrachtung des derzeit zweitwichtigsten Anwendungsfalls der sofortigen Beschwerde. 145 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 44.1; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 766, Rdnr. 16, und Brox/Walker, Rdnrn. 1173 ff. 146 Mit dieser objektiven Begriffskategorie wird zugleich klar, dass die Person des jeweiligen Entscheidungsträgers angesichts der zahlreichen Durchbrechungen des Gewaltenteilungsprinzips nur eine Indizwirkung für die tätige Staatsgewalt hat.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
1. Die Vollstreckungserinnerung im Rahmen der §§ 888 ff. ZPO Im Rahmen der Organisation der Zwangsvollstreckung ist auf die fragwürdige Tätigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan bei der Erwirkung von unvertretbaren Handlungen, Duldungen und Unterlassungen hingewiesen worden.147 Das Prozessgericht nimmt entgegen der ihm angestammten Rolle als Spruchkörper eine Verwaltungstätigkeit wahr.148 Dies führt zu der Konsequenz, dass statthafter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Prozessgerichts die Vollstreckungserinnerung und nicht die sofortige Beschwerde ist. Es zeigt sich anschaulich, dass entgegen der allgemeinen Meinung die richterliche Tätigkeit allein nicht genügt,149 um die Anwendung der sofortigen Beschwerde zu begründen. Maßgeblich für das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ist eine rechtsprechende Tätigkeit, die im Rahmen der Entscheidung des Prozessgerichts über die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen gerade nicht vorliegt. Die derzeitige Anwendung der sofortigen Beschwerde führt im Ergebnis zu einer unzulässigen Verkürzung des Rechtsweges, indem die erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung des Vollstreckungsgerichts übergangen wird.150 Erst im Anschluss an diese Entscheidung ist der Weg frei für die sofortige Beschwerde. 2. Die bisherige Verkürzung des Rechtswegs bei der sofortigen Beschwerde Die Verkürzung des Rechtswegs gegen eine Entscheidung des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan mit Hilfe der sofortigen Beschwerde könnte aus Sicht der Rechtsprechung und Literatur damit begründet werden, dass § 891 S. 2 ZPO die Anhörung des Schuldners zwingend vorschreibt. Bedingt die Anhörung nicht die Durchführung eines kontradiktorischen Gerichtsverfahrens, so dass eine Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht quasi schon vorweggenommen wird?151 Erneut würden jedoch mit derartigen Überlegungen die Frage des rechtlichen Gehörs und die Frage der Gewaltenteilung miteinander vermengt.152 Allein die Gewährung des rechtlichen Gehörs macht die Entscheidung des Prozessgerichts noch nicht zu einer rechtsprechenden Tätigkeit. Schließlich ist das Gebot des rechtlichen Gehörs nicht auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren beschränkt, sondern bezieht sich auch auf das Verwaltungsverfahren, § 28 Abs. 1 VwVfG. Demzufolge greift die Differenzierung nach der Frage des rechtlichen 147
S.o. § 23 II 1. Es handelt sich um eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips. 149 So aber die h. M., s. statt vieler nur Brox/Walker, Rdnr. 1251. 150 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 I, bezeichnet völlig zu Recht die sofortige Beschwerde als den „zweitinstanzlichen vollstreckungsinternen Rechtsbehelf“. Damit müsste sich aber für ihn zwangsläufig die Frage stellen, wer bei den Beschlüssen des Prozessgerichts nach §§ 887 ff. ZPO in erster Instanz zu entscheiden hat. Gaul versteht diese Beschlüsse offensichtlich bereits als erstinstanzliche Entscheidung, was sich jedoch nicht mit der Tätigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan in Übereinstimmung bringen lässt. 151 In diese Richtung sind wohl die Äußerungen von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 I, zu interpretieren. S. dazu auch schon die Anmerkung in der vorstehenden Fußnote. 152 S. dazu schon oben unter I 3 und 5. 148
§ 28 Die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO
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Gehörs zu kurz, um dem Gebot der Gewaltenteilung Rechnung tragen zu können.153 Schon gar nicht rechtfertigt die Gewährung des rechtlichen Gehörs im Rahmen der Vollstreckung eine anschließende Verkürzung des Rechtswegs. 3. Forderung nach einer Ausgrenzung des Prozessgerichts aus der Vollstreckung Die Überlegungen zur Bereinigung des Rechtsbehelfssystems unterstreichen die Forderung, auf das Prozessgericht als Vollstreckungsorgan zu verzichten.154 Der fortbestehende Anachronismus einer richterlichen Vollstreckungstätigkeit ist als wesentliche Ursache für die derzeitige Deformation der sofortigen Beschwerde auszumachen. In ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Vollstreckungserinnerung äußern Rechtsprechung und Literatur ihr Unbehagen, die Tätigkeit des Prozessgerichts als bloße Verwaltungstätigkeit zu „degradieren“. Dieser Unmut kommt in der Anwendung des § 793 ZPO zum Tragen. Dem Argument der Anhörung des Schuldners kommt hingegen bei näherer Betrachtung eine bloße Alibifunktion zu.155 Die eigentliche Crux liegt in der funktionellen Zuständigkeit des Prozessgerichts als Vollstreckungsorgan. Der anschließende Verweis auf die sofortige Beschwerde stellt nicht viel mehr dar als den Versuch, die auftretenden Systembrücke an den Symptomen zu heilen. Dies führt zu der unerwünschten Nebenwirkung, dass das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung um einen weiteren Rechtsbehelf „bereichert“ wird. Aus dem bestehenden Dilemma heraus hilft die Rückbesinnung auf die Vollstreckungserinnerung als maßgeblicher erstinstanzlicher Rechtsbehelf. Das verbleibende Unbehagen gegen die erstinstanzliche Überprüfung des Prozessgerichts durch den Vollstreckungsrichter lässt sich nur dadurch ausräumen, dass der Gesetzgeber das Prinzip der Gewaltenteilung konsequent auf das Vollstreckungsrecht überträgt und die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen – nicht anders als in anderen Bereichen des Polizei- und Ordnungsrechts – den allgemeinen Vollstreckungsorganen überlässt. 4. Rückführung des § 793 ZPO auf die allgemeinen Beschwerdevorschriften Das entworfene Bild von der sofortigen Beschwerde ermöglicht abschließend ihre Rückführung auf die allgemeinen Beschwerdevorschriften des Erkenntnisverfahrens. Der Anwendungsbereich der sofortigen Beschwerde beschränkt sich 153 Lediglich im umgekehrten Fall der unterbliebenen Anhörung des Schuldners ließe sich aus § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG die Vermutung ableiten, dass es sich wohl nicht um eine Entscheidung im Erkenntnisverfahren, sondern um eine solche im Vollstreckungsverfahren handelt. Denn das Erkenntnisverfahren eröffnet mit Ausnahme des einstweiligen Rechtsschutzes keine Möglichkeit, von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Art. 103 Abs. 1 GG abzuweichen. 154 S.o. § 23 II 1. 155 Es ändert nichts an dem Umstand, dass das Prozessgericht – unabhängig von der Frage des rechtlichen Gehörs – gleichsam in eigener Sache entscheidet, indem es über Art und Höhe der Ordnungsmaßnahme befindet. Es handelt sich nicht etwa um eine rechtsprechende Entscheidung über die Angemessenheit einer zwischen den Parteien vereinbarten Vertragsstrafe, sondern um die hoheitliche Verhängung einer Ordnungsmaßnahme.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
auf die Überprüfung von Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts. Da letztere eine mündliche Verhandlung nicht erfordern, erschließt sich über die allgemeine Vorschrift des § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Zugang zu den allgemeinen Beschwerdevorschriften.156 § 793 ZPO gewinnt lediglich insoweit Bedeutung, als er auf die Vorschriften zur sofortigen Beschwerde verweist und damit insbesondere eine Befristung auslöst. Mit guten Gründen hat daher der Gesetzgeber im Rahmen der jüngsten Reformen die (befristete) sofortige Beschwerde auch im Erkenntnisverfahren zum Regelfall gemacht.157 Bedenklich stimmt hingegen der Umstand, dass der Gesetzgeber nicht zugleich die Vorgabe einer Rechtsbehelfsbelehrung gesetzlich verankert hat.158 Vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist dieser Verzicht kaum zu rechtfertigen. Er wirkt sich gerade im Bereich der sofortigen Beschwerde verhängnisvoll aus, da der Betroffene im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht anwaltlich vertreten sein muss.159 Ihm wird der Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von lediglich zwei Wochen in den seltensten Fällen bewusst sein.160
III. Ergebnis Die sofortige Beschwerde des § 793 ZPO verliert ihre Existenzberechtigung als spezifischer Rechtsbehelf der Zwangsvollstreckung. Bereits nach den allgemeinen Vorschriften des Erkenntnisverfahrens erweist sich die sofortige Beschwerde als das statthafte Rechtsmittel gegen die rechtsprechende Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts, namentlich im Rahmen der Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung. Soweit die sofortige Beschwerde hingegen im Bereich der Vollstreckungstätigkeit des Prozessgerichts als Rechtsbehelf angewandt wird, bewirkt dies eine unzulässige Verkürzung des Rechtsweges. Die Gewährung rechtlichen Gehörs rechtfertigt es nicht, dem Betroffenen die vorangehende Vollstreckungserinnerung zu verwehren. Das verbleibende Unbehagen gegen die doppelte gerichtliche Inanspruchnahme erklärt sich allein aus dem Anachronismus, dass das Prozessgericht bei der Vollstreckung persönlicher Ansprüche noch immer als Vollstreckungsorgan agiert.
156 Sähe § 766 ZPO hingegen kein einfaches Beschlussverfahren, sondern parallel zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage eine zwingende mündliche Verhandlung vor, so käme nach den allgemeinen zivil- und verwaltungsprozessualen Vorschriften das Rechtsmittel der Berufung oder der Revision in Betracht, auch ohne dass § 793 ZPO dies anordnen müsste. 157 Zur Befristung s. schon oben unter § 27 III 4. 158 Der Beginn der Rechtsmittelfrist ist – wie sich aus § 231 Abs. 1 ZPO ergibt – weiterhin von keiner Rechtsmittelbelehrung abhängig. So schon Feiber, in: Münchener Kommentar, § 231, Rdnr. 3, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II 2 b. 159 Zum fehlenden Anwaltszwang Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 38 II 2 b. 160 Soweit man diesen Mangel hingegen über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand heilen wollte, könnte man sich diesen Umweg durch den einfachen Rückgriff auf eine vorherige Rechtsbehelfsbelehrung ersparen.
§ 29 Die sofortige Beschwerde gemäß § 11 Abs. 1 RPflG
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§ 29 Die sofortige Beschwerde gemäß § 11 Abs. 1 RPflG I. Sinn und Zweck des § 11 RPflG Bei der Regelung des § 11 Abs. 1 RPflG handelte es sich vor der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle noch um einen eigenständigen Rechtsbehelf in Form der Rechtspflegererinnerung. Wie ihr Name schon sagte, stand die Rechtspflegererinnerung in untrennbarem Zusammenhang mit dem nachträglich eingeführten Berufsbild des Rechtspflegers. Dessen Aufgabenfeld setzt sich vornehmlich aus früheren Tätigkeiten des Richters zusammen. Dabei war sich der Gesetzgeber der verfassungsrechtlichen Problematik der Art. 93 ff. GG bewusst, die die rechtsprechende Gewalt dem Amt des unabhängigen Richters vorbehalten.161 Denn der Gesetzgeber hat sich mit dem Rechtspflegergesetz nicht damit begnügt, das Aufgabenfeld des Rechtspflegers gesetzlich zu umschreiben. Er konzipierte zugleich einen spezifischen Rechtsbehelf gegen die Entscheidungen des Rechtspflegers, die Rechtspflegererinnerung. Die Vorschrift des § 11 RPflG stellt auch nach der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle ein sehr filigranes Netzwerk her, das sich an den Rechtsbehelfen orientiert, die gegen die (hypothetische) Entscheidung des Richters statthaft wären. Der Betroffene soll durch die Einführung des Rechtspflegerberufes nicht schlechter gestellt werden. Zugleich gewährleistet die Regelung des § 11 RPflG den nahtlosen Übergang in das bereits bestehende System des gerichtlichen Rechtsschutzes.
II. Die Schwäche des § 11 Abs. 1 RPflG Das Leitbild des Gesetzgebers, durch die Einführung der Rechtspflegererinnerung eine Benachteiligung der Betroffenen zu vermeiden, litt schon vor der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle an einem entscheidenden Makel.162 So hatte der zuständige Abteilungsrichter gemäß § 11 Abs. 2 S. 3, 1. Alt RPflG a.F. über eine beschwerdefähige Entscheidung nur dann zu befinden, wenn er die Rechtspflegererinnerung für zulässig und begründet erachtete.163 Hierfür sah § 11 Abs. 2 S. 3, 1. Alt RPflG a.F. die Möglichkeit der Abhilfe vor. Half der zuständige Abteilungsrichter hingegen nicht ab, so stand die dagegen gerichtete Erinnerung einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Rechtspflegers gleich, § 11 Abs. 2 S. 5 RPflG. Im Ergebnis wurde damit dem Betroffenen eine erstinstanzliche richterliche Entscheidung vorenthalten. Diese „Durchgriffserinnerung“ erwies sich auch rechtspolitisch als sehr bedenklich. Sie verleitete den Richter zur „bequemeren“ Nichtabhilfe und Verlagerung der Entscheidung auf die Beschwerdein161
Ausführlich zu dieser Problematik noch im Rahmen des § 765 a ZPO, s.u. § 33 V. Ähnlich kritisch im Sinne der nachfolgenden Äußerungen Neumüller, S. 98 ff., der in § 11 Abs. 2 RPflG a.F. ein Defizit an effektivem Rechtsschutz gegenüber §§ 766, 793 ZPO gesehen hat. 163 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 II 2 c. 162
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
stanz.164 Angesichts der zumeist höheren Qualifikation des Rechtspflegers im Bereich der Zwangsvollstreckung setzte sich der zuständige Abteilungsrichter über dessen Entscheidung nur in den seltensten Fällen hinweg. Damit kennzeichnete die „Abhilfemöglichkeit“ letztlich den Verzicht des Gesetzgebers auf eine erstinstanzliche richterliche Entscheidung. Anders formuliert setzte der Gesetzgeber die Entscheidung des Rechtspflegers an die Stelle derjenigen des Abteilungsrichters. Denn Gegenstand der Beschwerde war gemäß § 11 Abs. 2 S. 5 RPflG a.F. die Entscheidung des Rechtspflegers, nicht die Abhilfeentscheidung des Richters.165 Die zweite Zwangsvollstreckungsnovelle hat an dem Makel der Rechtspflegererinnerung nichts geändert. Im Gegenteil ist die Situation durch die Neufassung des § 11 RPflG verschärft worden, indem die Rechtspflegererinnerung im Bereich der Zwangsvollstreckung nunmehr ihre eigentliche Bedeutung gänzlich verloren hat.166 Denn gemäß § 11 Abs. 1 RPflG ist gegen Entscheidungen des Rechtspflegers nunmehr das Rechtsmittel gegeben, das nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften zulässig ist. Dies soll im Bereich der Zwangsvollstreckung die sofortige Beschwerde sein.167 Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Gesetzgeber im Bereich der Zwangsvollstreckung auf eine richterliche Entscheidung in erster Instanz gänzlich verzichtet hat. Die bisherige Gesetzeslage, die den zuständigen Abteilungsrichter als bloßes Abhilfeorgan degradierte, mag durchaus unbefriedigend gewesen sein.168 Der Verweis auf die sofortige Beschwerde führt jedoch in die falsche Richtung, indem nunmehr den Betroffenen eine erstinstanzliche richterliche Entscheidung gänzlich abgeschnitten wird.169 Den geäußerten Bedenken könnte mit dem Hinweis begegnet werden, dass die Tätigkeit des Rechtspflegers im Bereich der Vollstreckung die erstinstanzliche Entscheidung des Richters ersetze. Dazu mangelt es dem Rechtspfleger jedoch an dem verfassungsrechtlich gebotenen Status eines unabhängigen Richters. Soll der Rechtspfleger daher anstelle des Richters eine rechtsprechende Tätigkeit ausüben, unterliegt dies schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Fraglich ist, ob diese Bedenken auch in der Zwangsvollstreckung zum Tragen kommen.
164
Neumüller, S. 98 ff., sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 II 2 d. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 II 2 d. 166 Lackmann, 4. Aufl., Rdnr. 20: „Gemäß § 11 Abs. 1 RPflG entfällt die Rechtspflegererinnerung als eigenständiger Rechtsbehelf.“ 167 Lackmann, Rdnrn. 316, 322. 168 Der erstinstanzliche Richter soll sich nach der Begründung des Gesetzgebers nicht mit der ihm oft unbekannten Sache beschäftigen müssen, BT-Drucks. 13/10244, S. 7. In der weiteren Konsequenz müsste der Gesetzgeber dann aber auch die Vollstreckungserinnerung abschaffen und an ihre Stelle ebenfalls die sofortige Beschwerde setzen. Denn es ist nicht einsichtig, weshalb der erstinstanzliche Richter hier mit der Vollstreckungsrechtsmaterie besser vertraut sein sollte. 169 Erst die jüngste Zivilprozessrechtsreform hat dazu geführt, dass entsprechend § 572 Abs. 1 ZPO (zumindest) der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde abhelfen kann. Auch dieser Weg war zunächst durch die Vorschrift des § 577 Abs. 3 ZPO a.F. verbaut, die eine Abhilfe im Rahmen der sofortigen Beschwerde untersagte. So auch Lackmann, Rdnr. 336. 165
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III. Das mangelnde Bedürfnis für einen spezifischen Rechtsbehelf gegen die Tätigkeit des Rechtspflegers In ihrer Ausformung als spezifischer Rechtsbehelf gegen die Tätigkeit des Rechtspflegers wäre an sich zu erwarten gewesen, dass die Rechtspflegererinnerung in der Zwangsvollstreckung die bestehenden Rechtsbehelfe im Wege der Spezialität verdrängt. Demgegenüber sollte die Rechtspflegererinnerung jedoch schon nach ihrer ursprünglichen Prägung nur teilweise an die Stelle der Vollstreckungserinnerung treten. Letztgenannte sollte im Bereich der sogenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch dann zum Zuge kommen, wenn es sich um solche des Rechtspflegers handelte.170 Daran hat die zweite Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle nichts geändert und dafür sprechen in der Tat gute Gründe. 1. Unstreitige Anwendung der Vollstreckungserinnerung bei „Maßnahmen“ Die Parallelen zwischen der Tätigkeit des Rechtspflegers und derjenigen des Gerichtsvollziehers werden im Bereich der sogenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch von der Rechtsprechung und Literatur nicht geleugnet. Der Umstand der fehlenden Anhörung des Schuldners soll einer Entscheidung des Rechtspflegers im Sinne einer Interessenabwägung im Wege stehen mit der Folge, dass seine Tätigkeit nicht mehr derjenigen des Richters gemäß § 793 ZPO gleichgestellt wird. Sie gleicht vielmehr der rein vollziehenden Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Sinne der in § 766 ZPO genannten „Vollstreckungshandlungen“. Die Vollstreckungserinnerung soll daher als der speziellere Rechtsbehelf die Regelung des § 11 RPflG verdrängen.171 Diese von Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Gleichstellung wird durch die bisherigen Überlegungen bestätigt.172 Sie belegen, dass die Tätigkeitsfelder von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger in der Vollstreckung austauschbar sind. Beide Vollstreckungsorgane üben Verwaltungstätigkeiten aus. Unterschiede bestehen lediglich in Abhängigkeit von den betroffenen Vermögensgegenständen des Schuldners. Während die Forderungsvollstreckung im Innendienst abgewickelt werden kann, bedarf es bei der Mobiliarvollstreckung der körperlichen Inbesitznahme des Pfandobjekts vor Ort. Diese Unterscheidung zwischen Innenund Außendienst rechtfertigt hingegen keine organisatorische Differenzierung und in der weiteren Folge auch keine unterschiedliche Ausgestaltung des Rechtsbehelfssystems. 170 Geißler, JuS 1986, 280 (282); Stöber, Rpfleger 1974, 52 (52 f.); Neumüller, S. 97 ff.; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 4; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 I 1. Anderer Meinung ist hingegen Kunz, S. 287 ff., der alle Vollstreckungsmaßnahmen unterschiedslos der Regelung des § 11 RPflG unterwerfen will. Ebenso Habscheid, KTS 1973, 95 (101), und Kümmerlein, Rpfleger 1971, 11 (11 f.). 171 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 4, und Gaul, ZZP 1972, 251 (256, 310); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 I 1. 172 S.o. § 23 II 4 b.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
2. Die unsägliche Abgrenzung zwischen „Entscheidungen“ und „Maßnahmen“ Angesichts der im Bereich der Vollstreckungsmaßnahmen vollzogenen Gleichbehandlung von Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger stellte sich im Rahmen der sogenannten Vollstreckungsentscheidungen schon vor der zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle die Frage, weshalb die Gleichbehandlung hier durchbrochen wurde und die Rechtspflegererinnerung Vorrang vor der Vollstreckungserinnerung gewinnen sollte.173 Diese Abstufung kann nur vor dem Hintergrund der gesetzlichen Differenzierung zwischen der Vollstreckungserinnerung und der sofortigen Beschwerde nachvollzogen werden. Besonders deutlich wird dies durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 RPflG, der diese Differenzierung aufrecht erhält. a) Die bisherige Differenzierung zwischen Vollstreckungserinnerung und sofortiger Beschwerde Der Umstand, dass dem Berufsbild des Rechtspflegers richterliche Aufgaben zugewiesen worden sind, spiegelt sich in der Regelung des § 11 RPflG wider, die lediglich von „Entscheidungen“ des Rechtspflegers spricht. Dahinter verbirgt sich u.a. die vollstreckungsrechtlich verankerte Unterscheidung zwischen der Vollstreckungserinnerung als statthafter Rechtsbehelf gegen die „Vollstreckungshandlungen“ des Gerichtsvollziehers und der sofortigen Beschwerde gegen die vollstreckungsrechtlichen „Entscheidungen“ des Richters.174 Nicht anders als im Rahmen der §§ 766, 793 ZPO fehlt es bei § 11 RPflG an einer ausreichend klaren Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Anwendungsfeldern. Und so wird aufgrund der vermeintlichen Nähe des Rechtspflegers zum Richter im Bereich der „Entscheidungen“ der enge Schulterschluss mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 793 ZPO gesucht. Vor der zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle geschah dies, indem sämtliche „Entscheidungen“ des Rechtspflegers über den Weg der Durchgriffserinnerung der sofortigen Beschwerde zugeführt wurden. Nach der zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle bedarf es nicht einmal mehr dieses Umwegs, da § 11 Abs. 1 RPflG direkt die Tür zu den allgemeinen Rechtsmittelvorschriften eröffnet. b) Die unberechtigte Anknüpfung der „Entscheidungen“ an § 793 ZPO Der uneingeschränkte Anwendungsbereich der sofortigen Beschwerde auf jegliche richterliche Tätigkeit lässt sich nur anhand der gemeinrechtlichen Tätigkeit des Richters im Exekutionsprozess erklären. Aufgrund der zwischenzeitlich vorgenommenen Formalisierung der Vollstreckung übt das Prozessgericht jedoch, soweit es heute noch als Vollstreckungsorgan tätig wird, keine rechtsprechende, sondern ausschließlich eine exekutive Tätigkeit aus.175 Insoweit unterliegt es der 173 174 175
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 I 2 a. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 I 2 a. S.o. § 23 II 1.
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richterlichen Überprüfung im Wege der Vollstreckungserinnerung. Die begriffliche Unterscheidung zwischen „Entscheidungen“ und „Vollstreckungshandlungen“ ist daher irreführend, soweit nicht damit zugleich die Grenze zwischen rechtsprechender und vollziehender Gewalt vollzogen wird. Allein die Gewaltenteilung macht eine Unterscheidung zwischen der erstinstanzlichen Vollstreckungserinnerung und der zweitinstanzlichen sofortigen Beschwerde erforderlich. Der Begriff der „Entscheidung“ in § 793 ZPO ist daher – nicht anders als im Rahmen der übrigen allgemeinen Rechtsmittel – als „rechtsprechende Entscheidung“ zu konkretisieren. „Verwaltungsbehördliche Entscheidungen“ erfordern hingegen keinen anderen Rechtsschutz als „verwaltungsbehördliche Maßnahmen“. Dies belegt die Legaldefinition des Verwaltungsaktes ebenso wie der Umstand, dass die „Entscheidungen“ des Gerichtsvollziehers der Vollstreckungserinnerung unterworfen sind, ohne dass dieser Zustand als Malus empfunden würde. Überträgt man diese Überlegungen auf den Rechtspfleger, so ist dessen Tätigkeit als Vollstreckungsorgan generell der gerichtlichen Überprüfung im Wege der Vollstreckungserinnerung zu unterwerfen. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Rechtspfleger „Vollstreckungshandlungen“ vornimmt oder „Entscheidungen“ trifft. Soweit der Rechtspfleger hingegen rechtsprechende Entscheidungen treffen sollte, wäre statthafter Rechtsbehelf die vormalige Rechtspflegererinnerung, die nunmehr gemäß § 11 Abs. 1 RPflG den direkten Zugang zur sofortigen Beschwerde eröffnet.176 Eine Tätigkeit des Rechtspflegers würde hier allerdings im Hinblick auf die Art. 97 f. GG auf schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Mit guten Gründen entscheidet daher nicht der Rechtspfleger, sondern der Richter über die Vollstreckungserinnerung.177 Die Tätigkeit des Rechtspflegers reduziert sich auf diejenige eines Vollstreckungsorgans mit der weiteren Folge, dass generell nur die Vollstreckungserinnerung als Rechtsbehelf in Betracht kommt. Für die Anwendung der sofortigen Beschwerde, vormals der Rechtspflegererinnerung, bleibt angesichts der Verwaltungstätigkeit des Rechtspflegers in der Vollstreckung und dem fehlenden Bezug zu der rechtsprechenden Tätigkeit des Richters kein Raum. Die eingangs beschriebene Funktion des § 11 RPflG als Bindeglied zu der dem Richter vorbehaltenen rechtsprechenden Tätigkeit kommt in der Vollstreckung folglich nicht zum Tragen. Der Rechtspfleger ist nicht stellvertretend für den Richter tätig, sondern übt eine eigenständige Verwaltungstätigkeit aus, die ohne seine Existenz dem Gerichtsvollzieher und nicht dem Richter zuzuordnen wäre.
176 Mit Ausnahme des noch gesondert zu erörternden Vollstreckungsschutzantrages gemäß § 765 a ZPO (s.u. § 33) ist hingegen für die rechtsprechenden Entscheidungen unverändert der Richter zuständig. 177 Die maßgebliche Schnittstelle bildet hier § 20 Nr. 17 RPflG. S. dazu schon ausführlich unter § 28 I 5 b.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
3. Konsequenzen der bisherigen Unterscheidung Wirft man einen Blick auf die Konsequenzen, die die Einführung des § 11 RPflG in den Kreis der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe mit sich bringt, so sind dieselben Symptome zu beobachten wie im Rahmen der sofortigen Beschwerde. Hier nicht anders als dort zeigt sich die Inkonsequenz der vorgenommenen Differenzierung schon anhand der Fälle, in denen der Rechtspfleger eine Entscheidung ablehnt. Obwohl hier gerade keine Anhörung erfolgt, soll es sich gleichwohl um eine „Entscheidung“ im Sinne des § 11 RPflG handeln.178 In ähnlicher Weise durchbricht die h. M. die von ihr vorgegebene Abgrenzungsformel, indem der Beschluss über eine anderweitige Verwertung gemäß § 825 ZPO eine Entscheidung des Rechtspflegers darstellen soll, selbst wenn der Schuldner nicht angehört worden ist.179 Hier sollen die Zweckmäßigkeitserwägungen des Rechtspflegers den Entscheidungscharakter begründen.180 Im Weiteren stellt sich bei der Tätigkeit des Rechtspflegers die Frage, weshalb der Aspekt der Anhörung über die Frage des statthaften Rechtsbehelfs entscheiden soll.181 Soweit das Gesetz die Anhörung nicht zwingend untersagt oder vorschreibt, hat es damit der Rechtspfleger in der Hand, den statthaften Rechtsbehelf gegen seine Tätigkeit selbst zu beeinflussen. Darüber hinaus treten weitere spezifische Mängel des § 11 RPflG in Erscheinung. a) Verkürzung des Rechtsweges gegen „Entscheidungen“ des Rechtspflegers Indem die Regelung des § 11 RPflG in der Zwangsvollstreckung herangezogen wird, machen sich zwangsläufig ihre eingangs geschilderten Mängel bemerkbar.182 De facto erreichte schon vor der zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle die sogenannte Durchgriffserinnerung das Beschwerdegericht in zweiter Instanz, ohne dass es in erster Instanz zu einer (ernsthaften) richterlichen Überprüfung der angefochtenen „Entscheidung“ gekommen war.183 Dieser Missstand ist durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 RPflG endgültig festgeschrieben worden. Im Ergebnis wird der Rechtsweg gegen Entscheidungen des Rechtspflegers um eine Instanz verkürzt. Dieses Defizit wird auch nicht durch eine vermeintlich höhere Qualifikation des Rechtspflegers ausgeglichen, denn der Gerichtsvollzieher unterliegt keinen geringeren beruflichen Anforderungen als der Rechtspfleger.184 Zudem vermag der Qualifikationsgrad der entscheidenden Verwaltungsbehörde 178
Ähnlich kritisch wie hier Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 43.4. Baumann/Brehm, § 19 II 3, Fn. 25, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 825, Rdnr. 16, mit ausführlichem Nachweis zum Streitstand. Die Vollstreckungserinnerung halten im Falle der fehlenden Anhörung beispielsweise Henze, Rpfleger 1974, 283, und Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 825, Rdnr. 28, für den statthaften Rechtsbehelf. 180 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 825, Rdnr. 16, sowie Pawlowski, ZZP 1977, 345 (365 f.). 181 S. zu demselben Problem im Bereich der sofortigen Beschwerde gegen eine richterliche Entscheidung schon oben unter § 28 I 3. 182 S.o. II. 183 Kritisch dazu schon Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 II 2 d. 184 S.o. § 5 IX sowie § 23 II 4 b und III 1. 179
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schlechterdings nicht den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz einzuschränken. Eine Rechtfertigung für den verkürzten Rechtsschutz sucht man daher vergeblich. b) Abgrenzungsprobleme beim Rechtsbehelf des Drittschuldners Die Differenzierung des Rechtsschutzes in Abhängigkeit von der Frage der vorherigen Anhörung des Schuldners bereitet zwangsweise in den Fällen der Drittbeteiligung Probleme. Es ist kaum verwunderlich, dass bei der Forderungsvollstreckung die Frage nach dem statthaften Rechtsbehelf des Drittschuldners kontrovers erörtert wird, soweit der Schuldner, nicht aber der Drittschuldner angehört worden ist. Während teilweise der Pfändungsvorgang aufgespalten wird,185 hält die Gegenansicht die Rechtsnatur der „Entscheidung“ des Rechtspflegers nicht für teilbar. Danach soll allein die Anhörung des Schuldners maßgeblich sein.186 So sehr dieser Meinung darin beizupflichten ist, dass die Aufteilung der „Entscheidung“ des Rechtspflegers an Schizophrenie grenzt, so wenig ist erklärlich, weshalb andererseits die Anhörung des Schuldners letztlich den Rechtsschutz des Drittschuldners verkürzen soll. Denn diesem wird damit die erstinstanzliche Vollstreckungserinnerung abgeschnitten.
IV. Bereinigung durch Konzentration auf § 766 ZPO als lex specialis In der Konsequenz der bisherigen Überlegungen kann die derzeitige Differenzierung zwischen der Vollstreckungserinnerung und der gegen „Entscheidungen“ des Rechtspflegers gerichteten sofortigen Beschwerde nur als willkürlich bezeichnet werden. Angesichts der Verwaltungstätigkeit des Rechtspflegers in der Vollstreckung und seiner vergleichbaren Stellung mit dem Gerichtsvollzieher besteht keinerlei Bedürfnis für einen spezifischen Rechtsbehelf in Form des § 11 RPflG. Die Forderung ist daher naheliegend, in der Zwangsvollstreckung schlicht auf die Anwendung des § 11 RPflG zu verzichten. Nicht anders als im Klauselverfahren, wo die Klauselerinnerung gemäß § 732 ZPO die Regelung des § 11 RPflG verdrängt, sollte in der Zwangsvollstreckung die Vollstreckungserinnerung als der speziellere Rechtsbehelf herangezogen werden. Dazu bedarf es nicht einmal eines gesetzgeberischen Eingriffs.187 Denn eine Beschränkung der Vollstreckungserinnerung auf die rechtliche Überprüfung von bloßen Vollstreckungsmaßnahmen ist dem Wortlaut des § 766 ZPO nicht zu entnehmen.188 185 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 766, Rdnr. 7; Stöber, in: Zöller, § 766, Rdnr. 2, und Brox/Walker, Rdnr. 1182. 186 OLG Bamberg, NJW 1978, 1389. 187 Dies belegt schon ein Blick auf die Klauselerinnerung gemäß § 732 ZPO, die die Regelung des § 11 RPflG ebenfalls im Wege der Spezialität verdrängt, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 39 I 2 b. S. dazu schon ausführlich unter § 12 VI 2 a. 188 Bedenkenswerter erscheint der Ansatz von Kunz, S. 287 ff., der in genau umgekehrter Stoßrichtung sämtliche Entscheidungen und Maßnahmen des Rechtspflegers der Regelung des § 11 RPflG unterwerfen will. Der Begriff der „Entscheidung“ lässt zwar wenig Spielraum. Für die Lö-
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Die Tragfähigkeit eines derartigen Konzepts lässt sich unmittelbar anhand der Schwächen der derzeitigen Differenzierung veranschaulichen. Die aufgezeigten Abgrenzungsprobleme entfallen gänzlich.189 Die Frage der Anhörung reduziert sich auf ihren eigentlichen Kerngehalt, die Einhaltung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften. Sie verliert ihren Einfluss auf die Beantwortung der Frage nach dem statthaften Rechtsbehelf. Des Weiteren tritt bei den „Entscheidungen“ des Rechtspflegers keine Verkürzung des erstinstanzlichen Rechtsschutzes mehr ein. Die Vollstreckungserinnerung garantiert dem Betroffenen vielmehr in erster Instanz eine vollwertige gerichtliche Entscheidung. Die Konzentration auf die Vollstreckungserinnerung als maßgeblicher Rechtsbehelf erweist sich mithin durchweg als vorteilhaft.
V. Konsequenzen für die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtspflegers Da der Rechtspfleger in einem Arbeitsfeld tätig wird, das ursprünglich dem Richter übertragen war, ist seit jeher die Frage umstritten, ob diese Aufgabenverteilung mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Stellung des Richters in Übereinstimmung zu bringen ist.190 Die Art. 93 ff. GG behalten die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt ausdrücklich dem in den Art. 97 f. GG normierten Berufsbild des Richters vor. Eine dem Richter vergleichbare Unabhängigkeit kommt dem Rechtspfleger nicht zu, weshalb auch der verfassungsrechtliche Begriff des „Richters“ auf ihn nicht übertragbar ist. Diese verfassungsrechtliche Diskussion stellt sich vor dem Hintergrund des vorstehenden Verständnismodells nicht mehr stellen. Da der Rechtspfleger in der Vollstreckung eine rein verwaltungsbehördliche Tätigkeit ausübt, bleibt die in den Art. 93 ff. GG angesprochene rechtsprechende Staatsgewalt unberührt. Die Tätigkeit des Rechtspflegers gleicht vielmehr derjenigen des Gerichtsvollziehers, was zuletzt auch in der Forderung nach einem einheitlichen Rechtsbehelf zum Ausdruck kommt. Genauso wenig, wie daher die Stellung des Gerichtsvollziehers verfassungsrechtlich in Frage gestellt wird, wirft die Tätigkeit des Rechtspflegers in der Vollstreckung verfassungsrechtliche Probleme auf. Anderenfalls wäre auch nicht verständlich, weshalb die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden in der Verwaltungsvollstreckung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterworfen sein sollte. sung von Kunz spricht hingegen, dass § 766 ZPO lediglich den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan erwähnt. Da der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung den Rechtspfleger jedoch noch nicht kannte, lässt sich andererseits auch diese vermeintliche Beschränkung erklären, zumal der Gerichtsvollzieher gemäß § 753 Abs. 1 ZPO das vorrangige Vollstreckungsorgan darstellt. 189 Die damit verbundenen Vorteile gelten auch für die Lösung von Kunz, S. 287 ff., der generell die Regelung des § 11 RPflG heranziehen will. 190 S. ausführlich zu diesem Problem noch im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages gemäß § 765 a ZPO unter § 33 V.
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Die rechtsprechende Gewalt ist damit allein bei der gerichtlichen Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung tangiert. Dort wird der Rechtspfleger aber gerade nicht tätig, sondern § 20 Nr. 17 RPflG behält diese Entscheidung ausdrücklich dem Richter vor; mit guten Gründen, wie die verfassungsrechtlichen Überlegungen demonstrieren.
VI. Abschließendes Plädoyer für einen einheitlichen Rechtsbehelf Die unterschwellige Vorstellung, die Vollstreckungserinnerung werde dem Bedürfnis des Betroffenen nach einem angemessenen Rechtsschutz gegenüber der Tätigkeit des Rechtspflegers nicht gerecht, mag bislang für die große Zurückhaltung vor einer uneingeschränkten Anwendung der Vollstreckungserinnerung verantwortlich sein. Bei nüchterner Betrachtung verkehrt sich diese Einstellung jedoch in ihr Gegenteil. Durch eine Ausgrenzung des § 11 RPflG aus dem Kreis der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe wird das Rechtsbehelfssystem des achten Buches der Zivilprozessordnung nicht geschwächt, sondern gestärkt. Insbesondere gewährleistet erst die Vollstreckungserinnerung einen vollwertigen gerichtlichen Rechtsschutz in erster Instanz. All diese Überlegungen münden daher in dem abschließenden Plädoyer für einen einheitlichen öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung in Form der Vollstreckungserinnerung.191 Dass ein einziger Rechtsbehelf genügt, belegen nicht zuletzt die organisationsrechtlichen Überlegungen, die gezeigt haben, dass die Konzentration auf ein einziges Vollstreckungsorgan möglich, ja sogar empfehlenswert ist. Der Umstand, dass die deutsche Vollstreckungsordnung hingegen bis heute an einer Vielzahl von unterschiedlichen Vollstreckungsorganen festhält, ändert nichts an der Tatsache, dass deren Tätigkeit einheitlich zu bewerten ist und daher im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle einem einheitlichen Rechtsbehelf unterworfen sein sollte. Nicht umsonst nimmt das allgemeine Verwaltungsrecht bei der Ausgestaltung des Rechtsbehelfssystems keine Differenzierung in Abhängigkeit von der jeweils zuständigen Verwaltungsbehörde vor, sondern stellt mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage einen einheitlichen Rechtsbehelf zur Verfügung. Weshalb sollte das Vollstreckungsrecht hinter dieser modernen Errungenschaft der Verwaltungsrechtslehre zurückstehen?
191 Dieselben Argumente, die schon derzeit für eine Zentralisierung des Rechtsschutzes in der Verwaltungsvollstreckung angeführt werden, Gaul, JZ 1979, 496 (511), lassen sich für die Zentralisierung des Rechtsschutzes innerhalb des achten Buchs der Zivilprozessordnung anführen, zumal dieses ja ursprünglich auch nur die Vollstreckungserinnerung kannte. Zur Zentralisierung der Verwaltungsvollstreckung s. schon oben unter § 10 III und IV.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage I. Vorbemerkung Anhand der anfänglichen Überlegungen zur Grundstruktur eines denkbaren Rechtsbehelfssystems in der Zwangsvollstreckung ist aufgezeigt worden, dass im Grenzgebiet zwischen privatem und öffentlichem Recht ein einheitliches Rechtsbehelfssystem kaum denkbar ist.192 Es ist vielmehr von einem zweispurigen Rechtsbehelfssystem auszugehen, dessen öffentlich-rechtliche Spur die Vollstreckungserinnerung markiert.193 Die privatrechtliche Spur ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass in erster Instanz von einem Rechtsbehelf überhaupt nicht die Rede sein kann. Es handelt sich vielmehr um zivilprozessuale Klagen. Nicht anders als auf öffentlich-rechtlicher Ebene legen dabei die anfänglichen strukturellen Überlegungen die Vermutung nahe, dass ein Rückgriff auf die bekannten Klagearten des Zivilprozessrechts möglich und letztlich eine einheitliche Klageart in Form der allgemeinen Feststellungsklage ausreichend ist. Aus zivilprozessualer Sicht ist nicht recht ersichtlich, weshalb in der Zwangsvollstreckung eine Ausdifferenzierung in Abhängigkeit von den zivilrechtlich relevanten Tatbestandsmerkmalen der Pfändung erforderlich sein soll. Das System der vollstreckungsrechtlichen Klagearten mutet im Vergleich mit dem modernen Zivilprozessrecht an wie das römischrechtliche System der Klagformeln. Die „Klagformeln“ des Vollstreckungsrechts sind daher nachfolgend auf ihre Existenzberechtigung hin zu untersuchen. Den Reigen der vollstreckungsrechtlichen Klagearten eröffnet die Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO. Ihre hervorgehobene Stellung kommt sowohl in der gesetzlichen Systematik direkt im Anschluss an die Vollstreckungserinnerung als auch in der ungewöhnlich großen Zahl der zu § 767 ZPO veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs194 zum Ausdruck. Demzufolge gilt im Rahmen der vorliegenden Untersuchung der Vollstreckungsabwehrklage das erste Augenmerk.
II. Die irreführende Bezeichnung Gemäß § 767 Abs. 1 ZPO sind Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. Bei unbefangener Lektüre dieser Vorschrift entsteht der Eindruck, dass § 767 Abs. 1 ZPO mit der zitier192
S.o. § 26 I. Dabei handelt es sich um einen Rechtsbehelf in dem hier verstandenen Sinn, da Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung eine bereits vorliegende Entscheidung eines staatlichen Entscheidungsträgers in Form des Vollstreckungsorgans ist. Zur Begrifflichkeit des Rechtsbehelfs s. schon oben unter § 26 I. 194 Nach Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 I 3 i.V.m. Fn. 15, weist die LM-Sammlung mit Stand von 1995 über 90 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 767 ZPO auf. 193
§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage
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ten Formulierung „Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges“ auf die zivilprozessualen Bestimmungen der §§ 253 ff. ZPO und damit auf die allgemeinen Klagearten des Erkenntnisverfahrens Bezug nimmt. Demgegenüber misst die Vollstreckungsrechtslehre der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO eine eigene Rechtsnatur zu.195 Dies kommt bereits darin zum Ausdruck, dass die Klage mit einem eigenen Begriff belegt wird. Bei der Betrachtung der geläufigen Bezeichnung als „Vollstreckungsgegenklage“196 oder „Vollstreckungsabwehrklage“197 fallen aber erste Widersprüche ins Auge, was zunächst nicht erstaunlich ist, da diese Bezeichnungen noch aus den beiden letzten Jahrhunderten herrühren. In subjektiver Hinsicht ist bemerkenswert, dass der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO eine Vollstreckungsabwehrfunktion zugeschrieben wird, obwohl Gegner der Klage nicht das Vollstreckungsorgan, sondern der Gläubiger ist.198 Diesem ist aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols eine Einflussnahme auf die Vollstreckung versagt. In der weiteren Folge hilft dem Schuldner im Falle des Obsiegens erst die Vorlage der Gerichtsentscheidung gegenüber dem Vollstreckungsorgan, um gemäß §§ 775, 776 ZPO ein Ende der Vollstreckung zu bewirken. Von einer Vollstreckungsabwehr gegenüber dem Gläubiger kann daher allenfalls bei mittelbarer Betrachtung die Rede sein. Wesentlich plausibler wäre es, die unmittelbar gegen die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans gerichtete Vollstreckungserinnerung als „Vollstreckungsabwehrerinnerung“ zu bezeichnen. In objektiver Hinsicht ist die Bezeichnung des § 767 ZPO als Vollstreckungsabwehrklage ebenfalls missglückt, da die Klage unstreitig bereits vor Beginn der Vollstreckung zulässig ist.199 Allein die Existenz des vollstreckbaren Titels genügt, um das notwendige Rechtsschutzinteresse zu begründen.200 Demzufolge ist die Vollstreckungsabwehrklage auch ohne Vollstreckung möglich. Ihr fehlt daher entgegen der gebräuchlichen Bezeichnung der zwingende Bezug zum Vollstreckungsrecht. Diese Feststellung mag allein genügen, um sich dem eigentlichen Bedeutungsgehalt des § 767 ZPO zu nähern, den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft des zugrunde liegenden Titels.
III. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft Ist die Vollstreckungsabwehrklage auch ohne Vollstreckung möglich, so stellt sich zwangsweise die Frage nach der Berechtigung für die systematische Stellung des § 767 ZPO im Zwangsvollstreckungsrecht. Dabei stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass der in § 767 ZPO geregelte Fall der nachträglich eintreten195 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 I 1: „Die Vollstreckungsgegenklage … erklärt sich in besonderer Weise aus der Struktur der Zwangsvollstreckung.“ 196 So zuerst J. Kohler, AcP 1885, 1 (4). 197 So zuerst Reichel, AcP 1931, 19 (20). 198 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnr. 9 m.w.N. Diese Ansicht dürfte unstreitig sein, obwohl die Vorschrift des § 767 ZPO den Gläubiger nicht ausdrücklich als Klagegegner bezeichnet. 199 Brox/Walker, Rdnr. 1332. 200 S. dazu noch ausführlich unter IV 3.
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den Einwendungen gegen den titulierten Anspruch das Musterbeispiel der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft darstellt. Allein unter diesem Blickwinkel erschließt sich die Ansiedlung des § 767 ZPO im Vollstreckungsrecht. Der Gesetzgeber ist gleichsam in das case-law verfallen. Anstatt das zivilprozessuale Problem der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft abstrakt im Rahmen der §§ 322 ff. ZPO zu normieren, hat sich der Gesetzgeber auf die Regelung des häufigsten Anwendungsfalls im achten Buch der Zivilprozessordnung beschränkt.201 1. Die Brückenfunktion des § 767 ZPO Die Fixierung des § 767 ZPO auf den zu vollstreckenden Anspruch erklärt sich aus dem Titelerfordernis in der Vollstreckung. Während die Feststellung anderweitiger zivilrechtlicher Tatbestandsmerkmale, wie beispielsweise die Berechtigung des Schuldners an dem Pfandobjekt, der gerichtlichen Klärung im Verlauf der Vollstreckung vorbehalten bleibt, verlangt der Gesetzgeber die gerichtliche Feststellung des zu vollstreckenden Anspruchs bereits vor Beginn der Vollstreckung.202 Angesichts der Formalisierung der sich anschließenden Vollstreckung führt dies zwangsweise zu einer zeitlichen Zäsur, da spätere materiell-rechtliche Veränderungen unberücksichtigt bleiben. Die dadurch auftretenden Lücken schließt die Vorschrift des § 767 ZPO. Bei engem Verständnis des Titelerfordernisses müsste in der Vollstreckung eigentlich das Problem auftreten, dass es für den Zeitraum zwischen der letzten mündlichen Verhandlung und dem Beginn der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme an einer verbindlichen gerichtlichen Feststellung zum Fortbestand des titulierten Anspruchs mangelt. Dieser Mangel lässt sich nur so rechtfertigen, dass dem Titel auf der dritten Ebene der Formalisierung zugleich die Vermutung zukommt, der Anspruch bestehe auch noch im Zeitpunkt der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme.203 Erhärten lässt sich diese Vermutung anhand der Regelung des § 371 BGB. Danach ist der Schuldner bei Erfüllung des Anspruchs zur Rückgabe eines bestehenden Schuldscheins verpflichtet. Hierzu ist der Vollstreckungstitel zu zählen.204 Dessen Inhaberschaft begründet vergleichbar anderen Legitimationspapieren für den Gläubiger die Vermutung des Fortbestandes des Anspruchs.205 § 371 BGB ordnet deshalb im Falle der Erfüllung die Rückgabeverpflichtung an.206 201 Ähnlich Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 V 2 a: „Die Bedeutung des § 767 II geht über seine systematische Stellung im Gesetz weit hinaus, da er zugleich (ebenso wie § 323 II) die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft festlegt.“ 202 S.o. § 11 III und IV 1. 203 Genau genommen erstreckt sich diese Vermutung auf das Fehlen nachträglicher Einwendungen des Schuldners. Denn das Bürgerliche Gesetzbuch regelt nicht den gegenwärtigen Bestand eines Rechts, sondern nur dessen Entstehung und Untergang. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Bedenken gegen eine Aufweichung des Titelerfordernisses. 204 § 371 BGB gilt hier analog, Brox/Walker, Rdnr. 1327, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 45.31. 205 In ähnlicher Weise ergibt sich aus § 1006 BGB die Vermutung, dass der Besitzer für die Dauer seines Besitzes auch Eigentümer der Sache ist. 206 Zum Konkurrenzverhältnis mit der Vollstreckungsabwehrklage s. noch eingehend unter IV 11.
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2. Folgerungen für das weitere Verständnis des § 767 ZPO Die Überlegungen zur doppelten Funktion des Vollstreckungstitels ermöglichen eine klare Bestimmung von Sinn und Zweck des § 767 ZPO.207 Die Funktion der Vollstreckungsabwehrklage beschränkt sich auf die dritte Stufe der Formalisierung. Es handelt sich um die Frage der Widerlegung der durch den Titel begründeten Vermutung des Fehlens nachträglicher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch. Demzufolge leuchtet es unmittelbar ein, dass Kläger der Vollstreckungsabwehrklage nur der Schuldner sein kann,208 der die nachträgliche Einwendung zu beweisen hat. Dabei handelt es sich schlicht um die gerichtliche Feststellung einer zivilrechtlichen Fragestellung. Als Arbeitshypothese für die nachfolgenden Überlegungen ist festzuhalten, dass die Regelung des § 767 Abs. 1 ZPO sich auf die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO und die Regelung des § 767 Abs. 2 ZPO sich auf die allgemeinen Regelungen zur Rechtskraft, §§ 322 ff. ZPO, zurückführen lässt.
IV. Rückführung der Vollstreckungsabwehrklage auf die allgemeine Feststellungsklage An dieser Stelle soll die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Unterscheidungskriterium bei den materiell-rechtlichen Rechtsbehelfen gelenkt werden, das bislang kaum Beachtung gefunden hat, aber Aufschluss über die Rechtsnatur der Vollstreckungsabwehrklage gibt. Es handelt sich um die Frage der Prozessbeteiligten. 1. Die Beteiligten Die Überlegungen zur Vollstreckungserinnerung haben gezeigt, dass das Erinnerungsverfahren zu Unrecht als kontradiktorisches Verfahren verstanden wird.209 Die mangelnde Beteiligung des verantwortlichen Vollstreckungsorgans ist angesichts des staatlichen Gewaltmonopols nicht zu rechtfertigen. Insofern stellt sich auch bei der Vollstreckungsabwehrklage die Frage nach einer Beteiligung des Vollstreckungsorgans. a) Ausschluss einer unmittelbaren Vollstreckungsabwehr gegenüber dem Vollstreckungsorgan Eingangs der Überlegungen zur Vollstreckungsabwehrklage ist auf ihre unglückliche Bezeichnung hingewiesen worden. Gegner der Klage ist nicht das Vollstreckungsorgan, sondern der Gläubiger. Eine „Vollstreckungsabwehr“ ist dem Gläubiger jedoch aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols versagt. Dieses begriffliche Defizit könnte dadurch geheilt werden, dass das Vollstreckungsorgan 207 Zugleich erleichtern sie die im Anschluss vorzunehmende Rückführung des § 767 ZPO auf allgemeine zivilprozessuale Bestimmungen, s. sogleich unter IV. 208 S. ausführlich dazu noch unter IV 1. 209 S.o. § 27 III 2.
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als Beklagter der Vollstreckungsabwehrklage angenommen würde. Dagegen spricht de lege lata allerdings schon der Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO, der von der Zuständigkeit des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges spricht. Daraus lässt sich ableiten, dass es sich bei den Prozessparteien um den Vollstreckungsgläubiger und den Vollstreckungsschuldner handeln muss. Dies ist nur sachgerecht, da aufgrund der Formalisierung dem Vollstreckungsorgan die Prüfung materiell-rechtlicher Streitfragen aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis ohnehin versagt ist.210 Eine unmittelbare Vollstreckungsabwehr gegenüber dem Vollstreckungsorgan aufgrund von materiell-rechtlichen Einwendungen kommt daher nicht in Betracht. b) Die eigentliche Vollstreckungsabwehr im Rahmen des § 766 ZPO Der Ausschluss einer unmittelbaren Vollstreckungsabwehr gegenüber dem Vollstreckungsorgan bedeutet noch nicht, dass die Vollstreckungsabwehr damit zum Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien würde. § 767 Abs. 1 ZPO besagt allein, dass die Einwendungen, die den titulierten Anspruch betreffen, bei dem Prozessgericht geltend zu machen sind. Es ist nicht die Rede von einer „Vollstreckungsabwehr“ und dies aus gutem Grund, wie die Überlegungen zum staatlichen Gewaltmonopol gezeigt haben.211 Nicht umsonst führt erst die Vorlage des durch das Prozessgericht ergehenden Urteils bei dem Vollstreckungsorgan zu der Einstellung der Zwangsvollstreckung und zur Aufhebung der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen, §§ 775, 776 ZPO. Erst dann, wenn das Vollstreckungsorgan diesen Vorschriften nicht Folge leistet, kommt es zur eigentlichen Vollstreckungsabwehr, indem der Schuldner die Vollstreckungserinnerung einlegt und dadurch das Vollstreckungsorgan zur „Vollstreckungsabwehr“ zwingt.212 c) Ausschluss einer „prozessualen Gestaltung“ zwischen Gläubiger und Schuldner Die h. M. misst der Vollstreckungsabwehrklage eine prozessuale Gestaltungswirkung zu,213 weil das ihr stattgebende Urteil die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungstitel, aus dem sie bisher zulässig war und ohne das auf die Klage 210 Ebenso Gaul, ZZP 1972, 251 (270 ff.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 I 2: „Die Absage der ZPO an den gemeinrechtlichen Exekutionsprozeß vor dem Prozeßgericht und sein Attraktionsprinzip und seine Ersetzung durch das formalisierte Vollstreckungsverfahren vor nichtrichterlichen Organen führte konsequent zur Neubildung der Vollstreckungsgegenklage als selbständigem Rechtsbehelf des Schuldners.“ 211 S.o. II. 212 Ebenso Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (90 f., 92 f.). 213 RGZ 100, 98 (100); 165, 374 (380); BGHZ 55, 255 (259); 85, 367 (371); 127, 146 (149); Geißler, NJW 1985, 1865 (1866); Henckel, AcP 1974, 97 (109); Lüke, JuS 1969, 301 (302); Otto, JA 1981, 606 (607 f.); Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 767, Rdnr. 3; Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 40 II 2; Walker, in: Schuschke/Walker, § 767, Rdnr. 11; Brox/Walker, Rdnr. 1313; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 45.3; Graba, NJW 1989, 481 (482); Jauernig, § 12 V; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnr. 6, und Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 767, Rdnr. 2.
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ergehende Urteil auch bleiben würde, „für unzulässig erkläre“ (§ 775 Nr. 1 ZPO), damit ex nunc unzulässig mache und insofern auf die bisherige prozessuale (vollstreckungsrechtliche) Rechtslage ändernd einwirke.214 Die vorstehenden Überlegungen machen hingegen deutlich, dass die ändernde Wirkung allenfalls mittelbarer Art ist.215 Allein der Ausspruch des Urteilstenors bewirkt – anders als bei den anerkannten Fällen der Gestaltungsklage – noch keine Veränderung der vollstreckungsrechtlichen Situation.216 Diese ergibt sich erst aus der Umsetzung durch das Vollstreckungsorgan in Form der Einstellung der Vollstreckung und der Aufhebung bereits getroffener Vollstreckungsmaßnahmen.217 Der Urteilstenor über die Klage gemäß § 767 ZPO ist Voraussetzung für die Umsetzung der gestaltenden Wirkung der §§ 775, 776 ZPO, führt diese aber noch nicht herbei.218 Dem Urteil über die Klage gemäß § 767 ZPO kommt folglich nur eine feststellende Wirkung bezüglich der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung, genauer des Bestandes materieller Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, zu.219 Dass der Klage gemäß § 767 ZPO keine prozessual gestaltende Wirkung zuzumessen ist, veranschaulicht abschließend ein Blick auf das Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner. Die jeweiligen ZweiPersonen-Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner mit dem Vollstreckungsorgan bilden den öffentlich-rechtlichen Bereich der Zwangsvollstreckung. Aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols kann sich die gestaltende Wirkung des Vollstreckungsrechts nur hier abspielen. Demgegenüber vermag eine Klage im privatrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner durchaus zur verbindlichen Klärung einer zivilrechtlich relevanten Streitfrage, namentlich des Bestandes des geltend gemachten Anspruchs, beizutragen. Eine unmittelbare gestaltende Wirkung auf das Vollsteckungsverhältnis mit dem Vollstreckungsor214
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2. So angedeutet bei Kainz, S. 99, 135, nach dessen Ansicht das Urteil über die Vollstreckungsabwehrklage im Unterschied zum Leistungsurteil über die §§ 775, 776 ZPO auf einen vorgegebenen prozessualen (vollstreckungsrechtlichen) Voraustatbestand einwirkt. 216 Er bewirkt auch keine Veränderung des der Vollstreckung zugrunde liegenden Titels, indem diesem die „Vollstreckbarkeit“ genommen würde, s. dazu noch ausführlich unter 7 a. 217 So schon Arwed Blomeyer, AcP 1965, 481 (491 f.); ders., Vollstreckungsverfahren, § 33 VI, der die Klage gemäß § 767 ZPO allerdings als negatorische Unterlassungs- und Beseitigungsklage verstanden wissen will. Nicht anders argumentiert die h. M. gegenüber genau diesen Tendenzen. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2, weist zutreffend darauf hin, dass die Annahme eines derart vollstreckungsbedürftigen Leistungsurteils mit §§ 775, 776 ZPO unvereinbar ist, welche die Wirkungen des vollstreckbaren Urteils bereits unmittelbar ohne Einwirkung auf den Willen des Gläubigers bestimmen. Auch sei eine hinreichend klare Abgrenzung zur Vollstreckungserinnerung erforderlich. Genau dieselben Erwägungen sprechen aber nicht nur gegen eine negatorische Unterlassungsklage, sondern auch gegen die Annahme, der Klage gemäß § 767 ZPO komme eine prozessuale Gestaltungswirkung zu. 218 Das ergibt sich auch aus der funktionellen Zuständigkeit des Vollstreckungsorgans als Adressat der §§ 775, 776 ZPO. 219 Ähnlich auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2, obwohl dieser die Klage gemäß § 767 ZPO als prozessuale Gestaltungsklage verstanden wissen will: „Indessen hat die Klage aus § 767 die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung nicht zur Grundlage, sondern aufgrund der materiellen Einwendungen ihre Herbeiführung zum Ziel.“ 215
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gan verbietet sich aber schon deshalb, weil dieses an dem Rechtsstreit überhaupt nicht beteiligt ist und – wie sich gezeigt hat220 – aufgrund der Formalisierung auch gar nicht beteiligt werden kann. Erst dann, wenn das Vollstreckungsorgan an den maßgeblichen Schnittstellen des Vollstreckungsrechts, namentlich im Rahmen der §§ 775, 776 ZPO, die Vorlage des ergangenen Urteils ignoriert, besteht Anlass zu einer Gestaltung der Vollstreckungsrechtslage durch gerichtliche Entscheidung.221 Dabei handelt es sich jedoch nicht mehr um eine zivilgerichtliche Entscheidung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, sondern um eine öffentlich-rechtliche Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage des Schuldners oder des Gläubigers in Form der Vollstreckungserinnerung, gerichtet gegen die Tätigkeit des Vollstreckungsorgans. Erst dessen Entscheidung in Form des Erlasses der beantragten Vollstreckungsmaßnahme oder ihrer Unterlassung begründet in Form eines Verwaltungsaktes den zulässigen Anknüpfungspunkt für eine rechtsgestaltende Wirkung des statthaften Rechtsbehelfs. Dass insoweit der Vollstreckungserinnerung eine rechtsgestaltende Wirkung zukommt, steht außer Streit. Etwas anderes gilt hingegen für die Klage gemäß § 767 ZPO, die nicht den vollziehenden Verwaltungsakt, sondern allenfalls den durch das Gericht erlassenen Grundverwaltungsakt zum Gegenstand haben könnte, der aber bereits bestandskräftig und damit unanfechtbar geworden ist. Diese notwendige Unterscheidung zwischen Grundverwaltungsakt und vollziehendem Verwaltungsakt sowie die Unterscheidung zwischen der Vollstreckungsabwehrklage und Vollstreckungserinnerung wird von der h. M. dadurch aufgegeben, dass sie sich zur Begründung der gestaltenden Wirkung der Vollstreckungsabwehrklage auf die Regelung des § 775 ZPO beruft, die allein Anknüpfungspunkt für die vollziehenden Verwaltungsakte ist. Das ist insofern verwunderlich, als dass auch nach h. M. die Vorschrift des § 775 ZPO zu den sogenannten Vollstreckungshindernissen zu zählen ist, die allein im Rahmen der Vollstreckungserinnerung, nicht aber im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage relevant werden. Im Ergebnis erweist sich die Heranziehung des Gläubigers im Rahmen der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO als völlig sachgerecht. Genauso ist die Konzentration dieser Vorschrift auf „Einwendungen“ gegen den titulierten Anspruch nicht zu bemängeln. Die Kritik richtet sich einzig gegen die unglückliche Bezeichnung der Klage als „Vollstreckungsabwehrklage“222 und die weitergehende Annahme der h. M., der Vollstreckungsabwehrklage komme bereits eine gestaltende Wirkung auf das Vollstreckungsverhältnis zu.
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S.o. a. Das Argument von Lüke, JuS 1969, 301 (302), und im Anschluss von Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 40 II 3, dass die gesetzliche Folge der §§ 775, 776 ZPO bei einer Klage gegen die drohende Zwangsvollstreckung nicht einmal eintrete, steht daher der hier vertretenen Ansicht nicht im Wege, sondern bestätigt diese vielmehr. 222 Der Hinweis, dass es sich bei dieser Bezeichnung nicht um den originären Gesetzestext handelt, sondern um eine spätere Ergänzung, gewinnt daher besonderes Gewicht. 221
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2. Der Streitgegenstand Im Anschluss an den Streit um die Rechtsnatur der Vollstreckungsabwehrklage wird die Frage nach ihrem Streitgegenstand kaum mehr problematisiert.223 Umso auffälliger ist es, dass selbst nach Ansicht der h. M. Inhalt des Klageverfahrens gemäß § 767 ZPO die vom Schuldner geltend gemachten materiellen Einwendungen sein sollen.224 Ganz entschieden wendet sich die h. M. gegen jegliche Ansätze, die Einwendungen des Schuldners prozessual zu deuten.225 Indes steht diese Argumentation im krassen Gegensatz zu der These, der Vollstreckungsabwehrklage eine prozessuale Gestaltungswirkung zuzuschreiben. Die Begründungsmuster werden hier mitunter auf den Kopf gestellt.226 Nimmt man den Ansatz hingegen ernst, im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner eine sorgfältige Differenzierung zwischen den jeweils betroffenen Zwei-Personen-Verhältnissen vorzunehmen und in der weiteren Konsequenz die Vollstreckungsabwehrklage des Gläubigers gegen den Schuldner auf die materiellen Einwendungen des Schuldners zu fokussieren, so entpuppt sich die Vollstreckungsabwehrklage nicht als spezifischer Rechtsbehelf der Vollstreckung, sondern schlicht als allgemeine Feststellungsklage.227 Der Streitgegenstand im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner beschränkt sich aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols auf die bloße Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der vom Schuldner behaupteten materiell-rechtlichen Einwendungen und/oder Einreden.228 Der Blick für diese klare Trennung im Dreiecks-
223 Streitgegenstand soll die vollständige oder teilweise Beseitigung der Vollstreckbarkeit des Titels sein, nicht das Fortbestehen des materiell-rechtlichen Anspruchs, so BGHZ 85, 367 (372); Walker, in: Schuschke/Walker, § 767, Rdnr. 12; Brox/Walker, Rdnr. 1373, und Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 767, Rdnr. 4. 224 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnrn. 16 ff., sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IV 1. 225 So Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IV 1. Gegen derartige Bestrebungen von Münch, S. 304, 321. 226 Dies gilt insbesondere für die bei der Frage des Streitgegenstandes auch von der h. M. betonte Notwendigkeit der Abgrenzung der Vollstreckungsabwehrklage von der Vollstreckungserinnerung. So formuliert Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IV 1: „Die Deutung als ,prozessuale Einwendungen‘ würde nur unnötig die Grenzen zwischen den Einwendungen des § 767 zu denen des § 766 verwischen.“ Nichts anderes gilt aber bei der Debatte um die Rechtsnatur der Vollstreckungsabwehrklage. 227 So auch schon Richard Schmidt, § 157 II. Ähnlich auch Hellwig, S. 166, Fn. 12, und Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 106, die in der Klage gemäß § 767 ZPO zumindest auch eine negative Feststellungsklage sehen wollen. 228 Arwed Blomeyer, AcP 1965, 481 (498); ders., Vollstreckungsverfahren, § 33 I 2, VII 2 b; Bettermann, Rechtsschutzform, S. 45, 52; ders., in: Festschrift für Weber, S. 87 (93 f.), sowie Bruns/Peters, § 15 II, sprechen von dem Bestand des titulierten Anspruchs. Genau genommen handelt es sich jedoch allein um die materiellen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, da dieser bereits rechtskräftig festgestellt ist und damit nicht mehr Gegenstand der Vollstreckungsabwehrklage sein kann. Unabhängig davon ist jedenfalls – entgegen der h. M. – eine weitergehende Gestaltungswirkung der Vollstreckungsabwehrklage nicht erforderlich und auch gar nicht möglich, da die Gestaltungshoheit allein bei dem staatlichen Vollstreckungsorgan liegt. Dies zeigt die Erweiterung des
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verhältnis zwischen Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner wird zumal erleichtert, wenn man die Vollstreckungserinnerung als den maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung versteht. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Vollstreckungserinnerung in dieser Form als statthafter Rechtsbehelf im jeweiligen Verhältnis der Parteien zu dem Vollstreckungsorgan entpuppt.229 Die Überlegungen belegen, dass der isolierte Meinungsstreit um die Rechtsnatur der Vollstreckungsabwehrklage nicht zielführend ist. Eine Erweiterung des Blickwinkels auf die Fragen nach dem Streitgegenstand und nach dem Verhältnis der Vollstreckungsabwehrklage zur Vollstreckungserinnerung tut Not, um die Debatte auf bekannte Strukturen zurückführen zu können. 3. Das besondere Rechtsschutzinteresse Eine Eigenart der Vollstreckungsrechtsbehelfe besteht in dem Erfordernis eines besonderen Rechtsschutzinteresses.230 Dieses besondere Zulässigkeitserfordernis erweist sich jedoch gerade bei der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO als äußerst zweifelhaft. a) Die vermeintliche Begrenzung des Rechtsschutzinteresses auf Beginn und Ende der Vollstreckung Das besondere Rechtsschutzinteresse als Zulässigkeitsvoraussetzung der Vollstreckungsrechtsbehelfe äußert sich konkret darin, dass Rechtsprechung und Literatur ihre Zulässigkeit auf den Zeitraum zwischen Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung beschränken.231 Bei konsequenter Umsetzung würde dies für die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO bedeuten, dass sie erst mit Tätigwerden des zuständigen Vollstreckungsorgans zulässig wäre. Das zeitliche Ende ihrer Zulässigkeit würde das Erlöschen der titulierten Forderung, im Falle der Geldvollstreckung die Auskehr des erzielten Erlöses an den Gläubiger, bewirken. Die Praxis sieht anders aus. Aus guten Gründen lassen Rechtsprechung und Literatur das bloße Vorliegen des Titels genügen, um das besondere Rechtsschutzinteresse für die Klage gemäß § 767 ZPO zu bejahen.232 Denn dem Schuldner ist ein Abwarten auf den Beginn der Vollstreckung bei Vorliegen einer materiellen Einwendung gegen den titulierten Anspruch kaum zuzumuten. Ihm drohen irreparable Schäden, da er nach Beginn der Zwangsvollstreckung mit seiner Klage regelmäßig zu spät kommen würde. Blickwinkels auf das Zwei-Personen-Verhältnis von Vollstreckungsorgan und Schuldner. Erst hier kommt es zur „Gestaltung“ der Zwangsvollstreckung im Wege der Vollstreckungserinnerung. 229 Der Vorwurf von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2, eine materielle Feststellungsklage könne dem Titel nicht die Vollstreckbarkeit nehmen, geht daher ins Leere. 230 Brox/Walker, Rdnr. 1332. 231 S. dazu schon oben unter § 27 II 2 b zur Vollstreckungserinnerung. 232 BGH NJW 1985, 2481 (2481); Henckel, AcP 1974, 97 (108); Brox/Walker, Rdnr. 1332; Münzberg, KTS 1984, 193 (195), und Schilken, JuS 1991, 50 (51).
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Auch was das zeitliche Ende der Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage anbelangt, dehnen Rechtsprechung und Literatur dieses zugunsten des Schuldners weit hinaus bis auf den Zeitpunkt der Rückgabe des Vollstreckungstitels.233 Dies geschieht durchaus mit Recht, da bis zu diesem Zeitpunkt für den Schuldner die Gefahr einer unberechtigten (weiteren) Vollstreckung droht.234 Zugleich wird aber deutlich, dass es sich bei der Vollstreckungsabwehrklage – entgegen der Prämisse der allgemeinen Meinung – nicht um einen auf die Zwangsvollstreckung begrenzten Rechtsbehelf handelt. Die begriffliche Fixierung des Rechtsschutzinteresses durch den Zeitraum zwischen Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung wird durch die von Rechtsprechung und Literatur vorgenommenen Interessenabwägungen sinnentleert und damit zur reinen Worthülse. b) Das Feststellungsinteresse als maßgebliches Kriterium Versteht man die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO als allgemeine Feststellungsklage, so lösen sich die aufgezeigten Widersprüche auf. Die Interessenabwägung zugunsten des Schuldners entpuppt sich im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO als „rechtliches Interesse des Klägers daran, dass das Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses mit dem Beklagten durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird.“ Mit dem „Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses mit dem Beklagten“ ist im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO das Vorliegen einer materiellen „Einwendung, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betrifft“ angesprochen. Daraus leitet sich unmittelbar das Feststellungsinteresse des Schuldners ab. Unterstellt man nämlich im Rahmen der Zulässigkeit der Vollstreckungsabwehrklage das Vorliegen der vom Schuldner behaupteten Einwendung, so droht ihm allein aufgrund des Umstandes, dass der Titel sich noch in den Händen des Gläubigers befindet, die Gefahr einer unberechtigten Vollstreckung. Denn der Gläubiger wäre an sich bei Erlöschen des Anspruchs zur Herausgabe des Titels an den Schuldner verpflichtet, § 371 BGB. Mit diesen Überlegungen schließt sich der Kreis! Denn exakt die vorstehende Interessenabwägung nehmen auch Rechtsprechung und Literatur vor, um die selbst auferlegte zeitliche Begrenzung der Vollstreckungsabwehrklage zu durchbrechen. Inhaltlich handelt es sich dabei um die Statuierung des Feststellungsinteresses des Schuldners. Dies zeigt, dass § 767 Abs. 1 ZPO nichts anderes darstellt als einen konkreten Anwendungsfall der allgemeinen Feststellungsklage. Allein der Titel in der Hand des Gläubigers indiziert das Interesse des Schuldners an der gerichtlichen Feststellung materieller Einwendungen. Einer darüber hinausgehenden Begründung des Feststellungsinteresses bedarf es im Rahmen des § 767 Abs. 1 ZPO nicht.
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Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 VIII, und Brox/Walker, Rdnr. 1332. BGHZ 127, 146 (148 ff.), sowie Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnr. 42.
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4. Parallelen zu anderen Feststellungsklagen Versteht man die Vollstreckungsabwehrklage als allgemeine Feststellungsklage, so erschließt sich unmittelbar der Zusammenhang mit ähnlichen Prozesssituationen, in denen Rechtsprechung und Literatur bereits nach heutigem Erkenntnisstand die allgemeine Feststellungsklage für gegeben erachten. a) Die negative Feststellungsklage im Vorfeld der Zwangsvollstreckung Streiten sich Gläubiger und Schuldner über den Bestand einer Forderung, muss die Initiative zur Klage nicht zwingend vom Gläubiger ausgehen. Dem Schuldner steht vielmehr ebenso das Recht zu, den Klageweg zu beschreiten. Es handelt sich dann nicht um eine Leistungsklage, sondern um eine negative Feststellungsklage. Diese Klage des Schuldners auf Feststellung des Nicht- oder Nichtmehrbestehens des Anspruchs lässt die h. M. unter den Voraussetzungen des § 256 ZPO sogar neben der Klage aus § 767 ZPO zu.235 Das ist insofern erstaunlich, als ansonsten von einer Exklusivität der Vollstreckungsrechtsbehelfe ausgegangen wird. Ansatzweise plausibel wird diese Klagenkonkurrenz hingegen vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen. Handelt es sich doch jeweils um denselben Streitgegenstand und in der Folge um dieselbe Klage. Zu diesem durchaus naheliegenden Schluss kommt die h. M. hingegen nicht. Streitgegenstand und Klageziel sollen sich voneinander unterscheiden.236 In der weiteren Konsequenz wird aus §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO abgeleitet, dass allein die Vollstreckungsabwehrklage zur Beseitigung der Vollstreckbarkeit des Titels geeignet sei.237 So setze § 775 Nr. 1 ZPO die Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung voraus, „aus der sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt ist.“ Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ergibt sich jedoch auch aus dem negativen Feststellungsurteil. Denn seine Entscheidungsgründe fallen nicht anders aus als diejenigen des Urteils über die Klage gemäß § 767 ZPO. Die derzeit allein vorgenommenen Unterschiede bei der Ausformulierung des Urteilstenors rechtfertigen keine Differenzierung, zumal die Regelung des § 767 Abs. 1 ZPO keine Aussage zur Ausgestaltung des Urteilstenors trifft.238 Die Unterscheidung zwischen der Klage gemäß § 767 ZPO und derjenigen gemäß § 256 ZPO ist mithin eine künstliche. Sie wäre entbehrlich, wenn die Klage gemäß § 767 ZPO als Spezialfall der allgemeinen Feststellungsklage verstanden würde. Dafür spricht auch die Überlegung, dass allein der Beginn der Zwangsvollstreckung keinen Einfluss auf die statthafte Klageart zur Klärung zwischen235 Olzen, DNotZ 1993, 211 (221 f.); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IV 2, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 767, Rdnr. 3. In eine ähnliche Richtung geht BGH NJW 1994, 460 (461). 236 BGH NJW 1994, 3225 (3225), sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 XIV 3. Einer Identität neigt hingegen Münch, S. 350, zu. Kritisch dazu Münzberg, ZZP 1991, 227 (238 f.). 237 BGH NJW 1994, 460 (461 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 XIV 3. 238 Aus § 775 Nr. 1 ZPO kann kein weitergehender Rückschluss gezogen werden. Denn die Vorschrift spricht allein davon, dass sich die Unzulässigkeit „aus der Entscheidung ergeben muss“.
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zeitlicher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch haben kann.239 Da die h. M. hingegen dem auf die allgemeine Feststellungsklage ergehenden Urteil die Eignung als Nachweis im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO abspricht, führt dies zu der eigenartigen Konsequenz, dass der Schuldner spätestens bei Beginn der Vollstreckung neben der Klage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zugleich die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO einreichen muss. Die Klage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO muss er in der weiteren prozessualen Konsequenz kostenpflichtig zurücknehmen oder mit entsprechendem Kostenrisiko für erledigt erklären oder weiterverfolgen.240 Inhaltlich nachvollziehbar ist keiner dieser Wege, da Streitgegenstand die Frage nach dem Bestehen des titulierten Anspruchs bleibt. Der Umstand des zwischenzeitlichen Beginns der Zwangsvollstreckung hat auf die Bewertung der vom Schuldner behaupteten Einwendungen keinerlei Einfluss.241 b) Die einseitige Erledigung im Klageverfahren Geht man einen Schritt auf der Zeitachse zurück, so drängt sich ein Vergleich der Vollstreckungsabwehrklage mit dem Fall der einseitigen Erledigung auf. Tritt die materielle Einwendung nicht erst im Anschluss an das obsiegende Urteil ein, sondern bereits während des ursprünglichen Klageverfahrens, so wird die allgemeine Feststellungsklage als der statthafte „Rechtsbehelf“ angesehen.242 Gerichtet ist die Klage auf die Feststellung der „Erledigung des Rechtsstreits“. Materiellrechtlich verbirgt sich dahinter ein Antrag auf Feststellung des ursprünglichen Bestandes des eingeklagten Anspruchs und der erst im Prozess eingetretenen materiellen Einwendungen gegen denselben.243 Dieser materiell-rechtliche Hintergrund veranschaulicht die Parallele zur Klage gemäß § 767 ZPO. Unterschiede bestehen im Falle der einseitigen Erledigung allein hinsichtlich des Rollenverhältnisses von Kläger und Beklagtem. Da Ausgangspunkt die ursprüngliche Leistungsklage des Gläubigers ist, tritt dieser und nicht der Schuldner als Kläger in Erscheinung. Dieser Unterschied ist jedoch allein durch das zeitliche Moment des Eintritts der materiellen Einwendung bedingt. Die wesentlich maßgeblichere Frage der Darlegungs- und Beweislast bleibt in beiden Fällen unberührt. Die Klage gemäß § 767 ZPO stellt sich im Ergebnis schlicht und ergreifend als bloße Fortsetzung des ursprünglichen Klageverfahrens dar. Auch vor diesem Hinter239 Die h. M. argumentiert nicht anders, indem sie die Klage aus § 767 ZPO unabhängig von dem tatsächlichen Beginn der Zwangsvollstreckung schon beim Vorliegen des Vollstreckungstitels zulässt. 240 Im letztgenannten Fall wäre aus Sicht der h. M. auch eine Klageänderung denkbar. 241 Aus demselben Grunde ist nach allgemeiner Meinung auch ein Streit um die Auslegung des Titelinhalts nicht im Wege der Vollstreckungsabwehrklage, sondern mithilfe der allgemeinen Feststellungsklage auszufechten, BGH NJW 1973, 803 (803 f.), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IV 2. Vom Standpunkt der h. M. ist dies hingegen inkonsequent, da diese Klage in gleicher Art und Weise auf die Vollstreckbarkeit des Titels Einfluss haben müsste und ihr mithin eine prozessuale Gestaltungswirkung zuzumessen wäre. 242 Hußtege, in: Thomas/Putzo, § 91 a, Rdnr. 32. 243 Dies entspricht zugleich den Voraussetzungen für die Begründetheit der Feststellungsklage auf Erledigung des Rechtsstreits, Hußtege, in: Thomas/Putzo, § 91 a, Rdnr. 33.
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grund ist nicht einsichtig, weshalb im Falle der frühen „Erledigung“ die allgemeine Feststellungsklage der statthafte „Rechtsbehelf“ sein soll, während es bei später eintretender „Erledigung“ eines gesonderten Rechtsbehelfs im Sinne der Vollstreckungsabwehrklage bedürfen soll. c) Unnötige Abgrenzung zwischen anfänglichen und nachträglichen Einwendungen beim Prozessvergleich Die Nähe zwischen der allgemeinen Feststellungsklage und der Vollstreckungsabwehrklage offenbart schließlich der besondere Vollstreckungstitel in Form des Prozessvergleichs. Beruft sich der Schuldner auf die Unwirksamkeit des Prozessvergleichs, so nimmt die Rechtsprechung eine Differenzierung zwischen anfänglichen und nachträglichen Einwendungen vor.244 Erstere sollen zu der Konsequenz führen, dass der ursprüngliche Rechtsstreit fortzuführen ist, was im Wege der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zu klären ist. Letztere sollen hingegen die prozessuale Wirksamkeit des Vergleichs unberührt lassen mit der Folge, dass der Schuldner seine Einwendungen im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen hat. Hier kritisiert die herrschende Literatur mit Recht, dass eine Trennung zwischen verschiedenen Unwirksamkeitsgründen wenig prozessökonomisch erscheint.245 Es erscheint vielmehr eine einheitliche Befassung des Gerichts mit allen Einwendungen durch Fortführung des bisherigen Rechtsstreits angeraten.246 Mit anderen Worten streitet die Literatur an dieser Stelle bereits für eine Hinwendung der Vollstreckungsabwehrklage zur allgemeinen Feststellungsklage. d) Die allgemeine Feststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO Schließlich drängt sich eine Parallele der Vollstreckungsabwehrklage zu einem hinlänglich bekannten Anwendungsfall der allgemeinen Feststellungsklage auf. Es handelt sich um die Feststellungsklage des Gläubigers im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO, die das Ziel verfolgt, den Annahmeverzug des Schuldners gerichtlich feststellen zu lassen.247 Diese zumeist im ursprünglichen Klageverfahren im Wege des Zwischenfeststellungsantrages begehrte gerichtliche Feststellung enthebt den Gläubiger der Schwierigkeit, in der formalisierten Vollstreckung den urkundlichen Nachweis des Annahmeverzugs zu erbringen. Der Zwischenfeststellungsklage kommt hier keine andere Bedeutung zu als der Klage gemäß § 767 ZPO. Jeweils soll eine zivilrechtliche Streitfrage durch das Prozessgericht mit verbindli244 So BGH NJW 1983, 228 (230); 996 (997); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 767, Rdnr. 11; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 767, Rdnr. 13, und Herget, in: Zöller, § 767, Rdnr. 6. 245 Brox/Walker, Rdnr. 1334. 246 Kühne, NJW 1967, 1115 (1115 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 794, Rdnr. 69; Tempel, in: Festschrift für Schiedermair, S. 517 (538); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 45.17, sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 VII 1 b, plädieren daher für ein Wahlrecht des Schuldners, solange er nicht bereits eine Feststellungsklage erhoben hat. 247 Brox/Walker, Rdnr. 173.
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cher Wirkung für das Vollstreckungsorgan festgestellt werden.248 Weshalb sollte es sich bei der Feststellung des Fehlens von Einwendungen des Schuldners um eine andere Klageart handeln? Genügt auf Seiten des vom Gläubiger zu beweisenden Annahmeverzugs des Schuldners die bloße gerichtliche Feststellung, um die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers auslösen zu können, warum sollte dann nicht auch für die Beendigung seiner Tätigkeit die bloße Feststellung des vom Schuldner zu beweisenden Erlöschens des Anspruchs genügen?249 5. Folgerungen für den Urteilstenor Als Urteilstenor bei der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO hat sich die Formulierung eingebürgert, die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären.250 Dies erklärt sich aus der prozessualen Gestaltungswirkung, die die h. M. der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO einräumt.251 Da die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO jedoch weder gegen das Prozessgericht noch gegen das Vollstreckungsorgan gerichtet ist, ist nicht recht einsichtig, mit welcher Berechtigung die „Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung“ Gegenstand des Urteilstenors werden soll. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Urteilstenors lässt sich am ehesten noch anhand der Parallele zur einseitigen Erledigung im Zivilprozess erklären. a) Die missglückte prozessuale Prägung im Parallelfall der einseitigen Erledigung Beim Vergleich der Vollstreckungsabwehrklage mit der Feststellungsklage im Falle der einseitigen Erledigung fällt die ähnliche Tenorierung der ergehenden Urteile auf. So lautet der Urteilstenor im Falle der einseitigen Erledigung in der Regel: „Der Rechtsstreit ist erledigt.“ oder genauer „Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit erledigt ist.“ Ähnlich mutet der geläufige Tenor bei der Klage gemäß § 767 ZPO an: „Die Zwangsvollstreckung aus dem … ist unzulässig.“ oder prä248 Das Beispiel der Zwischenfeststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO veranschaulicht nochmals eindringlich die Fragwürdigkeit der Begrenzung der Vollstreckungsrechtsbehelfe auf den Zeitraum zwischen Beginn und Ende der Zwangsvollstreckung. Denn eine derartige Einschränkung wird auch bei der Feststellung des Annahmeverzugs im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO nicht in Erwägung gezogen. Im Gegenteil lassen Rechtsprechung und Literatur allein den Hinweis auf die spätere Vollstreckbarkeit des Urteils genügen, um das Feststellungsinteresse des Gläubigers zu bejahen. 249 Dem Vergleich der Vollstreckungsabwehrklage mit der allgemeinen Feststellungsklage im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO könnte entgegengehalten werden, dass ein wesentlicher Unterschied darin bestehe, dass im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage bereits eine frühere gerichtliche Entscheidung vorliege. Diese Entscheidung macht jedoch lediglich eine Beachtung der allgemeinen Rechtskraftwirkungen erforderlich. So wäre beispielsweise auch im Rahmen der §§ 756, 765 ZPO die Konstellation denkbar, dass der Gläubiger mit einer ersten Feststellungsklage unterlegen ist. Dies ändert aber nichts an dem gleichfalls feststellenden Charakter einer sich anschließenden zweiten Klage, nachdem es dem Kläger gelungen ist, die Voraussetzungen der §§ 756, 765 ZPO herbeizuführen. Die eigentliche Funktion des § 767 ZPO erschöpft sich daher in seinen Absätzen 2 und 3, die die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft regeln. S. dazu noch unter V. 250 Brox/Walker, Rdnr. 1369, und Walker, in: Schuschke/Walker, § 767, Rdnr. 40. 251 S. dazu bereits oben unter IV 1 c und nachfolgend noch unter 7.
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ziser die Formulierung: „Es wird festgestellt, dass die Zwangsvollstreckung aus dem … unzulässig ist.“ Die prozessuale Prägung der Urteilsformeln ist vor dem Hintergrund ihres materiell-rechtlichen Inhalts weder bei der Vollstreckungsabwehrklage noch im Falle der einseitigen Erledigung zu erklären. So müsste im letztgenannten Fall die präzise Urteilsformel eigentlich wie folgt lauten: „Es wird festgestellt, dass dem Kläger ein Anspruch gegen den Beklagten auf … zugestanden hat. Dieser Anspruch ist durch … erloschen.“ Allein die Länge dieser Urteilsformel mag die kürzere prozessuale Formulierung erklären. Dass diese hingegen dogmatisch kaum zu rechtfertigen ist, veranschaulicht der inhaltsgleiche Klageantrag, den der Gläubiger zu stellen hat. In ihm kommt die Dispositionsbefugnis des Gläubigers zum Ausdruck. Diese steht ihm jedoch allein bezüglich des Streitgegenstandes, des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs zu. Die sich anschließende prozessuale Gestaltung des Verfahrens obliegt allein dem Gericht. Seine verfahrenslenkenden und verfahrensbeendenden Maßnahmen beurteilen sich anhand der öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Zivilprozessordnung und betreffen demzufolge das Verhältnis des Gerichts zu den Prozessparteien. Diesbezüglich kann der Gläubiger keinen Klageantrag stellen. Prozessrecht und materielles Recht werden unzulässig miteinander verwoben. Dem Prozessrecht kommt lediglich ein dienender Charakter auf dem Weg zur materiellen Rechtsfindung zu, die ihrerseits in dem Urteilstenor zum Ausdruck kommt. Allein dieser materiell-rechtliche Urteilstenor entfaltet Rechtskraft zwischen den Prozessparteien. Sein Inhalt kann daher nur materiell-rechtlicher, nicht hingegen prozessrechtlicher Art sein. b) Die Unzulässigkeitserklärung als Relikt des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses Die Kritik an einer prozessualen Ausgestaltung des Urteilstenors im Prozess zwischen Gläubiger und Schuldner verschärft sich im Bereich der Vollstreckungsabwehrklage. Denn hier soll nicht einmal mehr das Erkenntnisverfahren, sondern das Zwangsvollstreckungsverfahren Gegenstand der Urteilsformel sein. Dies ist noch weniger zu erklären, da die Überprüfung des Zwangsvollstreckungsverfahrens nach allgemeiner Meinung nicht Gegenstand der Vollstreckungsabwehrklage, sondern der Vollstreckungserinnerung ist. Ein verfahrensrechtlicher Bezug ist bei der Vollstreckungsabwehrklage nicht zu erklären. Er mutet vielmehr als Anachronismus aus dem gemeinrechtlichen Exekutionsprozess an. Denn dort war das Prozessgericht zugleich für das Vollstreckungsverfahren zuständig. Aus heutiger Sicht lässt sich hingegen eine derartige Tenorierung nicht rechtfertigen. c) Hinwendung zu einem materiell-rechtlichen Feststellungstenor Erinnert der verfahrensrechtliche Bezug im Urteil über die Vollstreckungsabwehrklage an den gemeinrechtlichen Exekutionsprozess, so reicht die historische Bezugnahme noch weiter zurück, wenn man an die Beharrlichkeit denkt, mit der
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die h. M. an der Tenorierung festhält. Das Insistieren auf einem fest vorgegebenen Wortlaut weckt Erinnerungen an die römischrechtlichen Klagformeln, die bei nur geringfügiger Abweichung im Klageantrag zur Abweisung der Klage führten.252 So weit würde das moderne Zivilprozessrecht mit seinen richterlichen Aufklärungspflichten sicherlich im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage nicht gehen wollen. Gleichwohl verwundert die Vorgabe von verbindlichen Klageanträgen. Eine Rückbesinnung auf den materiell-rechtlichen Kern der Vollstreckungsabwehrklage erscheint daher angeraten. Nimmt man den Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO ernst, so wählt dieser die materiell-rechtlichen Einwendungen des Schuldners zum Bezugspunkt der Klage. Zugleich wird mit der Verweisung an das Prozessgericht der Hauptsache der Bezug zu den allgemeinen zivilprozessualen Klagearten hergestellt. Das Vollstreckungsrecht nimmt also bei der Wahl des zutreffenden Klageantrages keine weitergehenden Beschränkungen vor. Im Gegenteil bewahrt es die notwendigen Spielräume für die unterschiedlich denkbaren Einwendungen und Einreden des Schuldners. In der weiteren Konsequenz dieser Betrachtung liegt es nahe, bei der Formulierung des Klageantrages auf den in § 767 Abs. 1 ZPO genannten „durch das Urteil festgestellten Anspruch“ Bezug zu nehmen. Sodann ist die vom Schuldner mit seiner Einwendung bezweckte Rechtsfolge zu benennen. Der die Einwendung begründende Sachverhalt gehört hingegen nicht mehr in den Klageantrag, sondern in dessen Begründung. Es steht dem Schuldner daher frei, seinen Klageantrag auf unterschiedliche Einwendungen zu stützen. Im Ergebnis könnte der Feststellungsantrag daher lauten: „Es wird festgestellt, dass der mit Urteil des Landgerichts … vom … (Az.: …) festgestellte Anspruch des … gegen den … erloschen ist.“ Entsprechend würde der Tenor eines obsiegenden Urteils lauten. Handelte es sich hingegen lediglich um eine dilatorische Einrede, wäre entsprechend zu beantragen: „Es wird festgestellt, dass der mit Urteil des Landgerichts … vom … (Az.: …) festgestellte Anspruch des … gegen den … nur Zug um Zug gegen Herausgabe des … besteht.“ Der Klageantrag wäre also nicht statisch zu sehen, sondern hätte sich an den materiell-rechtlichen Gegebenheiten zu orientieren.253 6. Die Bedeutung der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO Das Unbehagen der h. M., die Urteilsformel bei der Vollstreckungsabwehrklage auf einen reinen Feststellungstenor zu reduzieren, mag sich aus der Befürchtung ergeben, dass dem Schuldner mit einer derartigen Entscheidung, die in der Hauptsache keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, angesichts des laufenden 252
S. schon oben § 24 II 2. Daneben treten Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit. So ist es beispielsweise ratsam und entspricht bereits der derzeitigen Praxis, den maßgeblichen Titel, in dem der Anspruch festgestellt worden ist, konkret zu benennen. Dies erleichtert dem Vollstreckungsorgan im Rahmen der §§ 775, 776 ZPO die Zuordnung des vorgelegten Urteils zu dem maßgeblichen Vollstreckungstitel. 253
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Vollstreckungsverfahrens nicht gedient sei. Diese Sorge mag angesichts der materiell-rechtlichen Orientierung des Feststellungstenors noch verschärft werden. Denn angesichts des Formalisierungsprinzips entsteht der Anschein, als fehle nunmehr jeglicher Bezug zu dem laufenden Vollstreckungsverfahren. Dass diese Befürchtungen hingegen vollkommen unbegründet sind, ergibt sich bei Lektüre der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO. Nach diesen Vorschriften führt die obsiegende Vollstreckungsabwehrklage zu der zwingenden rechtlichen Konsequenz, dass die Vollstreckung einzustellen und getroffene Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind.254 Diese vollstreckungsrechtliche Konsequenz ist nicht Gegenstand der Klage gemäß § 767 ZPO, sondern das Ergebnis der Gesetzesanwendung durch das Vollstreckungsorgan. Nicht das obsiegende Urteil im Rahmen des Klageverfahrens zu § 767 ZPO zwingt das Vollstreckungsorgan, das an diesem Verfahren überhaupt nicht beteiligt ist, zur Einstellung der Vollstreckung, sondern die gesetzlichen Vorschriften der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO. Diese wiederum sind aus guten Gründen – wie sich gezeigt hat – nicht Gegenstand des vorangehenden zivilgerichtlichen Klageverfahrens. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, die Einstellung der Zwangsvollstreckung zum Gegenstand eines Klageverfahrens zu machen, solange das zuständige Vollstreckungsorgan selbst noch keine diesbezügliche Entscheidung getroffen hat. Erst dann, wenn das Vollstreckungsorgan dem vorgelegten Urteil eine andere Bedeutung zumisst oder das Urteil entgegen der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO nicht beachtet, bedarf es einer gerichtlichen Kontrollentscheidung. Statthafter Rechtsbehelf ist in diesem Fall die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO, da es sich bei der Anwendung der §§ 775, 776 ZPO um den öffentlich-rechtlichen Bereich der Vollstreckung handelt. Erst an dieser Stelle kommt es zu einer prozessualen Gestaltung des Vollstreckungsrechtsverhältnisses, weshalb die Nähe der Vollstreckungserinnerung zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage nicht verwunderlich ist.255 Letztgenannte, nicht die Klage gemäß § 767 ZPO, stellt tatsächlich eine Gestaltungsklage dar.256 7. Widerspruch zwischen „prozessualer Gestaltungsklage“ und Rechtskraft des Titels Die h. M. räumt der Klage gemäß § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungswirkung ein.257 Die Klage nehme dem Titel die sogenannte Vollstreckbarkeit,258 lasse 254
Der Wortlaut der §§ 775, 776 ZPO ist hier leider ungenau, da nur von der Einstellung die Rede ist. Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ist ebenfalls Rechtsfolge der §§ 775, 776 ZPO und nicht etwa Folge der obsiegenden Vollstreckungsabwehrklage. 255 S.o. § 27 II 4. 256 S.o. § 11 IV 4 a aa. 257 S.o. 1 c. 258 RGZ 100, 98 (100); 165, 374 (380); BGHZ 55, 255 (259); 85, 367 (371); 127, 146 (149); Geißler, NJW 1985, 1865 (1866); Henckel, AcP 1974, 97 (109); Lüke, JuS 1969, 301 (302); Otto, JA 1981, 606 (607 f.); Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 767, Rdnr. 3; Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 40 II 2; Walker, in: Schuschke/Walker, § 767, Rdnr. 11; Brox/Walker, Rdnr. 1313; Graba, NJW 1989, 481 (482), und Jauernig, § 12 V.
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die Rechtskraft des Titels hingegen unberührt.259 Diese Aussage gleicht einem gedanklichen Spagat: So soll die Klage gemäß § 767 ZPO einerseits dem Titel etwas nehmen, ihn andererseits aber unberührt lassen. In der weiteren Folge bleibt die Gretchenfrage, was unter der „Vollstreckbarkeit“ des Titels zu verstehen sein soll, unbeantwortet. a) Entmystifizierung der „Vollstreckbarkeit“ des Titels Das Leistungsurteil setzt sich aus einem gerichtlichen Feststellungstenor sowie einem verwaltungsbehördlichen Grundverwaltungsakt zusammen.260 Allein der Gesichtspunkt der Sachnähe rechtfertigt eine Durchbrechung der Gewaltenteilung, indem bereits das Gericht und nicht erst das Vollstreckungsorgan den ersten Schritt zur Umsetzung der gerichtlichen Feststellung vollzieht und den Schuldner zur Ausgleichung des festgestellten Anspruchs auffordert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welches Element des Titels mit dem Begriff der „Vollstreckbarkeit“ angesprochen ist. Der gerichtliche Feststellungstenor entbehrt der Vollstreckbarkeit. Gemeint ist vielmehr der zugleich in dem Leistungsurteil enthaltene Grundverwaltungsakt, der Grundlage der nachfolgenden Vollstreckung ist. Mit dieser Feststellung gerät die Diskussion in das bekannte Fahrwasser der modernen Verwaltungsrechtslehre.261 b) Parallele zwischen Rechtskraft und Bestandskraft Die Rechtskraft des Titels soll durch die Vollstreckungsabwehrklage unberührt bleiben.262 Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ließe sich diese Aussage so erklären, dass mit der Anfechtung der „Vollstreckbarkeit“ nicht die gerichtliche Feststellung des Urteilstenors zum Streitgegenstand erhoben wird, sondern allein der im Titel enthaltene Grundverwaltungsakt. Da letzterer an sich von dem Vollstreckungsorgan zu bewirken wäre und nur aus Gründen der Sachnähe ausnahmsweise vom Gericht erlassen wird, ließe sich die Aussage der h. M., die Klage gemäß § 767 ZPO nehme dem Titel lediglich die Vollstreckbarkeit, lasse dessen Rechtskraft aber unberührt, so erklären, dass mit dem „Titel“ allein das feststellende Element der gerichtlichen Entscheidung angesprochen ist. Der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Angriff gegen den Titel und dessen Unberührtheit ließe sich dann derart auflösen, dass Gegenstand der Klage gemäß § 767 ZPO ausschließlich der im Titel enthaltene Grundverwaltungsakt ist. 259
Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 1. S. dazu bereits ausführlich unter § 11 IV 3. 261 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2, stellt zutreffend fest, dass die Zivilprozessordnung kein automatisches „Erlöschen der Vollstreckbarkeit“ kennt. Ebenso wenig sieht die Zivilprozessordnung aber gesetzliche Regelungen zur gerichtlichen Gestaltung der Vollstreckbarkeit vor. Dies belegt ein Blick auf die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO, die den Vollstreckungstitel gänzlich unberührt lassen, s.o. 1 c. Im Ergebnis führt Gaul daher in demselben Kontext zutreffend aus: „Indessen hat die Klage aus § 767 die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung nicht zur Grundlage, sondern aufgrund der materiellen Einwendungen ihre Herbeiführung zum Ziel.“ 262 Statt vieler Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 1. 260
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Eine derartige Argumentation würde zwar dem Gedanken der Rechtskraft des Titels ausreichend Tribut zollen, würde aber entscheidend den Aspekt der Bestandskraft des Grundverwaltungsaktes vernachlässigen. Hier besteht in verfahrensrechtlicher Sicht dieselbe Sachnähe, die das Gericht in materiell-rechtlicher Hinsicht zum Erlass des Grundverwaltungsaktes legitimiert. Letzterer beinhaltet keine über die gerichtliche Feststellung hinausgehende Entscheidung, sondern allein den Vollzug der gerichtlichen Entscheidung.263 Demzufolge ist in verfahrensrechtlicher Sicht die enge Klammer zwischen der Rechtskraft des gerichtlichen Feststellungstenors und der Bestandskraft des exekutiven Grundverwaltungsaktes zu beachten. Anderenfalls würde über den Umweg des Grundverwaltungsaktes die Rechtskraft des Titels in Frage gestellt. In der weiteren Folge lässt sich eine getrennte Anfechtung des Grundverwaltungsaktes – losgelöst von der gerichtlichen Entscheidung – nicht rechtfertigen. Im Gegenteil soll gerade mit Hilfe der Bündelung beider staatlicher Maßnahmen eine unnötige Verdoppelung des Rechtsschutzes auf Seiten des Schuldners vermieden werden.264 Als Angriffsmittel gegen den Titel verbleiben damit nur die allgemeinen Rechtsmittel, die die Aufhebung des Titels, d.h. sowohl der gerichtlichen Feststellung als auch des exekutiven Grundverwaltungsaktes, zum Ziel haben. Hier sind ebenfalls beide Entscheidungselemente in ihrer Bündelung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Der Gedanke der Rechtskraft bzw. der Bestandskraft gebietet in diesem Bereich allerdings eine zeitliche Befristung bei der Einlegung des Rechtsmittels. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist schließen Rechtskraft und Bestandskraft eine weitergehende Anfechtung des Titels aus. Zudem ist inhaltlicher Anknüpfungspunkt für die Rechtsmittel ein Fehler der erstinstanzlichen Entscheidung. Maßgeblicher Zeitraum für die Geltendmachung von Einwendungen ist daher derjenige bis zur letzten mündlichen Verhandlung des erkennenden Gerichts.265 Hingegen knüpft die Klage gemäß § 767 ZPO an den sich anschließenden Zeitraum an. Eine Aufhebung oder Abänderung des gerichtlichen Titels im Rahmen der Klage gemäß § 767 ZPO kommt daher weder unter materiell-rechtlichen noch unter prozessualen Gesichtspunkten in Betracht. Mit anderen Worten schließt der Gedanke der Rechtskraft und der Bestandskraft eine „gestalterische“ Wirkung der Vollstreckungsabwehrklage auf den Titel aus.266
263
S.o. § 11 IV 3. S.o. § 11 IV 3 c. 265 Soweit allerdings keine prozessuale Verspätung vorliegt, können auch nachträgliche Umstände noch zum Gegenstand der Berufung gemacht werden. 266 Eine solche ließe sich allenfalls im Wege einer auflösenden Bedingung konstruieren, indem als stillschweigende Bedingung für den Fortbestand des Titels der Bestand der titulierten Forderung angenommen würde. Selbst dann verlöre der Titel jedoch bereits kraft Gesetzes, § 158 Abs. 2 BGB, seine Wirkung. Der Sinn der Klage gemäß § 767 ZPO würde sich ebenfalls auf die bloße Feststellung dieser Wirkung beschränken. 264
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8. Erkenntnisse der Verwaltungsrechtslehre zur statthaften Klageart Das Problem der rechtlichen Handhabung von nachträglich auftretenden materiellen Einwendungen gegen einen bestandskräftigen Verwaltungsakt findet sich in der Verwaltungsrechtslehre wieder. Wie es scheint, nähern sich die Vollstreckungsrechtsdogmatik und die Verwaltungsrechtslehre allerdings von unterschiedlichen Seiten demselben Problem an. Denn unabhängig von der vollstreckungsrechtlichen Debatte um die Vorschrift des § 767 ZPO orientiert sich der Meinungsstreit in der Verwaltungsrechtslehre an dem Klagesystem der Verwaltungsgerichtsordnung.267 Dabei fällt auf, dass die Verwaltungsgerichtsordnung ohne einen dem § 767 ZPO vergleichbaren „Rechtsbehelf“ auskommt. Spart man daher die Mindermeinung aus, die über § 173 VwGO zu einer entsprechenden Anwendung des § 767 ZPO gelangen will,268 so bestätigt sich die These, dass die Anwendung der aus dem Erkenntnisverfahren bekannten Klagearten zu sachgerechten Ergebnissen führt. Allerdings besteht dabei in der Verwaltungsrechtslehre bis heute Streit über die konkrete Auswahl der statthaften Klageart. a) Verpflichtungsklage auf Aufhebung des Grundverwaltungsaktes? Einige Stimmen in der Verwaltungsrechtslehre schlagen als statthaften Rechtsbehelf zur Geltendmachung nachträglicher materieller Einwendungen gegen den bestandskräftigen Grundverwaltungsakt den Weg der Verpflichtungsklage vor, gerichtet auf Aufhebung des Verwaltungsaktes wegen Fortfalls seiner Voraussetzungen.269 Dieser Weg geht in Richtung der Vorschriften über das Wiederaufgreifen des Verfahrens. So hat die Behörde gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Kommt die Behörde einem derartigen Antrag des Schuldners, gestützt auf nachträgliche Einwendungen, nicht nach, soll in der weiteren Folge die Verpflichtungsklage, gerichtet im ersten Schritt auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens und im zweiten Schritt auf die Aufhebung des Verwaltungsaktes, die statthafte Klageart sein. Der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG legt es in der Tat nahe, den Fall der nachträglichen materiellen Einwendungen unter den Gesetzestext zu subsumieren. Dabei bliebe jedoch der enge Ausnahmecharakter des § 51 VwVfG unberücksichtigt. Aus § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG, der auf die Wiederaufnahmegründe des § 580 ZPO verweist, ergibt sich, dass die Vorschrift des § 51 VwVfG das Prinzip der Bestandskraft des Verwaltungsaktes durchbricht. Hintergrund dieser Durchbrechung ist eine Abwägung zwischen dem Prinzip der formellen Rechts267
S. dazu schon oben unter § 10 I. So in der Literatur Renck, NJW 1964, 848 (850 f.); ders., NJW 1966, 1247 (1248 ff.); Menger, JZ 1965, 720 (720 f.), und Gaul, JZ 1979, 496 (499 f.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 III 2. 269 In einzelnen Bundesländern finden sich hierzu ausdrückliche landesgesetzliche Bestimmungen. Nachweise bei Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9). 268
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
sicherheit (Bestandskraft) und dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit (Wiederaufnahmeverfahren).270 Da dieser Interessenkonflikt mithin die Bestandskraft zum Gegenstand hat, kann er nur in ihren zeitlichen Grenzen auftreten. Die Bestandskraft ist aber notwendig auf den Sach- und Rechtsstand bei Erlass des Verwaltungsaktes beschränkt. Demzufolge ist § 51 VwVfG parallel zu dem zivilprozessualen Wiederaufnahmeverfahren so zu verstehen, dass Wiederaufnahmegrund nur ein Fehler des angefochtenen Verwaltungsaktes sein kann. Unter Durchbrechung der Bestandskraft des Verwaltungsaktes wird dessen Rechtmäßigkeit zum erneuten Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Dieser Umstand erklärt, dass Folge der Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens die Änderung oder Aufhebung des Verwaltungsaktes ist. Das Wiederaufnahmeverfahren gleicht insoweit dem Berufungsverfahren. Der einzige Unterschied besteht in dem zwischenzeitlichen Ablauf der Rechtsmittelfrist, deren Überwindung einen besonderen Wiederaufnahmegrund erforderlich macht. In der Konsequenz dieser Überlegungen müsste man die Geltendmachung nachträglicher materieller Einwendungen aus dem Anwendungsbereich des § 51 VwVfG ausnehmen. Als zeitliche Schnittstelle für die Anwendung des § 51 VwVfG ergäbe sich der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes bzw. dessen Bestandskraft, da bis zu diesem Zeitpunkt noch eine Anfechtung des Verwaltungsaktes möglich ist. Ein derart enges Verständnis scheint hingegen für die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG keinen Raum mehr zu lassen, da diese nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut auf eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage abstellt. Doch auch dieser vermeintliche Widerspruch löst sich rasch auf, wenn man das Institut des Dauerverwaltungsaktes in Rechnung stellt. Dessen Wirksamkeit hängt vom Fortbestand der ihn begründenden Sach- und Rechtslage ab, da die von ihm bezweckte Rechtsfolge (auch) in die Zukunft gerichtet ist.271 Hier lässt sich eine Parallele zu der zivilprozessualen Bestimmung des § 323 ZPO herstellen. Die Abänderungsklage berücksichtigt ebenfalls die nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Falle der Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen. Diese Regelung und die zivilprozessualen Bestimmungen zum Wiederaufnahmeverfahren sind in dem verwaltungsrechtlichen Pendant, der Vorschrift des § 51 VwVfG, zusammengefasst. Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Regelfall der nachträglichen materiellen Einwendung, insbesondere der Fall der Erfüllung, nicht im Wege des § 51 VwVfG geltend gemacht werden kann. Der Vorwurf des Schuldners richtet sich nicht gegen die Berechtigung zum Erlass des ursprünglichen Verwaltungsaktes und auch nicht gegen eine fortdauernde Rechtsfolge, deren Rechts- oder Tatsachengrundlage nachträglich weggefallen wäre. Der dem Verwaltungsakt zu270
Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 580, Rdnrn. 1 f. Zu denken ist beispielsweise an behördliche Auflagen im Bauordnungsrecht oder Abgabenoder Gebührenbescheide über wiederkehrende Leistungen, deren Grundlage nachträglich entfällt oder sich ändert. Diese Fälle sind von der Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG angesprochen. 271
§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage
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grunde liegende Anspruch ist vielmehr erloschen oder hat sich anderweitig erledigt. Dies rechtfertigt aber nicht die Aufhebung des Verwaltungsaktes. Anderenfalls sähe sich die Verwaltung genötigt, auf Antrag der Betroffenen jegliche Verwaltungsakte im Falle ihrer Erfüllung oder anderweitigen Erledigung aufzuheben. Dies würde nicht allein zu einem immensen Verwaltungsaufwand führen, sondern hätte auch schwerwiegende rechtliche Konsequenzen. Denn mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes ginge zwangsweise auch dessen Bestandskraft verloren. In der weiteren Folge bestünde für den Schuldner der Anreiz, die von ihm erbrachte Leistung im Wege der Bereicherungsklage zurückzufordern. In ihrer Verteidigung gegen diese Klage könnte sich die Verwaltungsbehörde nicht mehr mit einem Hinweis auf den bestandskräftigen Verwaltungsakt als Rechtsgrund für die Zuwendung begnügen. Sie müsste vielmehr den dahinter stehenden materiell-rechtlichen Anspruch darlegen und unter Beweis stellen. Letztlich wäre damit das Prinzip der formellen Bestandskraft gänzlich ausgehebelt. Die Begrenzung der Wiederaufnahmeverfahren auf die in § 51 VwVfG genannten Härtefälle verlöre ihren Sinn.272 Dieses Ergebnis belegt, dass die Anwendung des § 51 VwVfG und in der weiteren Folge die Verpflichtungsklage keinen gangbaren Weg darstellen, um des Problems der nachträglichen materiellen Einwendungen Herr zu werden.273 b) Die allgemeine Feststellungsklage als Königsweg Schließt die Bestandskraft des Verwaltungsaktes eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel des Wiederaufgreifens des Verfahrens aus, so gilt dies erst recht für eine unmittelbar gegen den Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage. Im Spektrum der verwaltungsgerichtlichen Klagearten bleibt damit als Lösungsweg nur die allgemeine Feststellungsklage.274 Dieser Vorschlag aus der Verwaltungsrechtslehre entpuppt sich als der Königsweg. Nicht anders als die zivilprozessualen Überlegungen führen die verwaltungsrechtlichen Erwägungen zu dem Ergebnis, dass der bestandskräftige Verwaltungsakt nicht mehr Gegenstand einer gesonderten Klage sein kann. Die gerichtlichen Feststellungen haben sich auf den Zeitraum nach Bestandskraft des Verwaltungsaktes zu beschränken. Diesbezüglich kommt nur die Feststellung des Erlöschens des hinter dem Verwaltungsakt stehenden materiellen Anspruchs in Betracht. Prozessual handelt es sich um einen Fall der „Erledigung“. Dass die damit verbundene Beschränkung des Urteilstenors auf eine bloße Feststellung und der Verzicht auf eine „gestalterische Wirkung“ den Schuldner ausreichend schützt, zeigt abschließend die Betrachtung des dritten Lösungsweges, der in der Verwaltungsrechtslehre beschritten wird. 272
Die Abgrenzung zu den Rechtsmitteln wäre letztlich entbehrlich. Zugleich erhärtet sich auch aus Sicht der Verwaltungsrechtslehre die These, dass eine „prozessuale Gestaltung“ des ursprünglichen Titels nicht in Betracht kommt. Ihr widerspricht die Rechtskraft bzw. Bestandskraft des Titels. 274 OVG Münster, DÖV 1976, 673 (675); Kopp/Schenke, § 167, Rdnr. 19, und Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9 f.). 273
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
c) Der vorbeugende Rechtsschutz Zur Geltendmachung seiner nachträglichen Einwendungen wird der Schuldner in der Verwaltungsvollstreckung mitunter auf die Möglichkeit einer vorbeugenden Feststellungs- oder Unterlassungsklage verwiesen.275 Zugleich wird dem Schuldner ein Wahlrecht zu den übrigen Rechtsbehelfen zugebilligt, um ihm nicht das Risiko der Wahl des falschen Rechtsbehelfs anzulasten.276 Das Wahlrecht des Schuldners entbehrt nicht einer gewissen vollstreckungsrechtlichen Grundlage. Das zeigt der Vergleich mit den vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung. Der vorbeugende Rechtsschutz erscheint als Synonym für die Vollstreckungserinnerung. Denn beide „Rechtsbehelfe“ haben nicht den Titel zum Gegenstand, sondern vielmehr die Vollstreckungsmaßnahmen des Vollstreckungsorgans. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklage die vorhergehende Klage gemäß § 767 ZPO entbehrlich macht, indem die Prüfung der materiellen Einwendung zugleich zum Inhalt des vorbeugenden Rechtsschutzes gemacht wird. Darin liegt aber zugleich die eigentliche Crux dieses Lösungsvorschlages. Denn hier wird eindeutig das Prinzip der Formalisierung verkannt, das dem Vollstreckungsorgan eine materiell-rechtliche Prüfung untersagt. Demzufolge dürfte es auch keinen darauf gerichteten Rechtsschutz geben. Dieses Manko wird durch eine weitere Schwäche der Verwaltungsvollstreckung verschleiert, die Symbiose von anspruchsstellender und vollstreckender Verwaltungsbehörde.277 Allein das Prinzip der Selbstvollstreckung der Verwaltung macht erst einen vorbeugenden Rechtsschutz gegen das Vollstreckungsorgan unter Einbeziehung materiell-rechtlicher Überlegungen möglich. Anderenfalls würde die Unterteilung auf Beklagtenseite in die anspruchsstellende Behörde und das Vollstreckungsorgan die Notwendigkeit zweier gesonderter Rechtsbehelfe bedingen.278 Es ist zu resümieren, dass der vorbeugende Rechtsschutz den Dualismus von materiell-rechtlicher Feststellungsklage zwischen den Vollstreckungsparteien und bei Bedarf sich anschließender Vollstreckungserinnerung gegen das Vollstreckungsorgan nicht zu ersetzen vermag. Für eine vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklage gegen das Vollstreckungsorgan fehlt es in Anbetracht der Formalisierung der Vollstreckung solange an einem Rechtsschutzinteresse, wie dem Vollstreckungsorgan keine gerichtliche Entscheidung über die geltend gemachten materiellen Einwendungen vorliegt.279 275
BVerwG NVwZ 1984, 168 (168 f.), und VGH Mannheim, NVwZ 1993, 72 (73). BVerwG NVwZ 1984, 168 (168), nimmt bei Bedarf eine Umdeutung des Klageantrages vor. 277 S. dazu bereits kritisch unter § 10 II 2 und III. 278 Diese zuletzt angesprochene Notwendigkeit wird derzeit jedoch auch im Vollstreckungsrecht nicht erkannt, da die Vollstreckungserinnerung nicht gegen das Vollstreckungsorgan, sondern gegen die „gegnerische“ Vollstreckungspartei zu richten sein soll. 279 Sofern dem Schuldner dabei ein Zuwarten auf die Entscheidung nicht zuzumuten ist, steht ihm auf der Ebene der gerichtlichen Feststellungsklage der Weg für einen einstweiligen Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung des erkennenden Gerichts offen. Auch insoweit bedarf es daher keines (einstweiligen) Rechtsschutzes gegenüber dem Vollstreckungsorgan. 276
§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage
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d) Harmonisierung der Vollstreckungsabwehrklage mit der Verwaltungsrechtslehre Die Überlegungen zur Verwaltungsvollstreckung zeigen, dass es auch aus öffentlich-rechtlicher Sicht keine Veranlassung gibt, der Klage gemäß § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungswirkung zuzumessen. Vergleichbare Überlegungen, die darauf abzielen, dem zu vollstreckenden Grundverwaltungsakt im Wege einer analogen Anwendung des § 767 ZPO die „Vollstreckbarkeit“ zu nehmen, werden in der Verwaltungsvollstreckung zumeist verworfen.280 Die Entwicklung alternativer Lösungswege zur Vollstreckungsabwehrklage wird in der Verwaltungsvollstreckung damit begründet, dass die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes mit derjenigen eines zivilgerichtlichen Urteils nicht vergleichbar sei. Es fehle dort das zweistufige System aus dem zu vollstreckenden Grundverwaltungsakt und den darauf aufbauenden vollziehenden Verwaltungsakten. Die verwaltungsrechtlichen Regelungen hätten daher Vorrang.281 Die Meinungen hingegen, die beide Vollstreckungssysteme für vergleichbar halten, ziehen daraus den Schluss, dass es auch in der Verwaltungsvollstreckung der prozessualen Gestaltungsklage in Form des § 767 ZPO bedürfe.282 Tatsächlich haben beide Meinungsgruppen Recht und doch wieder nicht. So ist der zuletzt genannten Meinungsgruppe darin zuzustimmen, dass beide Vollstreckungssysteme vergleichbar sind. Dies zeigt insbesondere das zuvor entwickelte Verständnis des Leistungsurteils als Kombination von gerichtlicher Feststellung und exekutivem Grundverwaltungsakt. Das weitere Verständnis der Vollstreckungsmaßnahmen und Vollstreckungsentscheidungen als Verwaltungsakte veranschaulicht, dass die Zwangsvollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung ebenfalls zweistufig aufgebaut ist. Umgekehrt kann daraus aber nicht der Schluss gezogen werden, der Klage gemäß § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungswirkung zuzumessen.283 Darin ist wiederum der Verwaltungsrechtslehre zuzustimmen. Zugleich entfällt unterm Strich aber auch die Notwendigkeit, sich von der Vollstreckungsrechtslehre distanzieren zu müssen.
280 S.o. einleitend unter 8. Anderweitige Überlegungen, die gar auf eine Aufhebung des Grundverwaltungsaktes im Wege der Verpflichtungsklage abzielen, haben sich als unbegründet erwiesen, so dass auch in der Verwaltungsvollstreckung die Rückbesinnung auf die allgemeine Feststellungsklage zu sachgerechten Ergebnissen führt. 281 BVerwG, NJW 1967, 1976 (1977); VGH Mannheim, NVwZ 1993, 72 (73); OVG NW NVwZ 1993, 74 (74); OVG Koblenz, NJW 1982, 2276 (2277); Kopp/Schenke, § 167, Rdnr. 18, und Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (9). 282 So in der Literatur Renck, NJW 1964, 848 (850 f.); ders., NJW 1966, 1247 (1248 ff.); Menger, JZ 1965, 720 (720 f.), und Gaul, JZ 1979, 496 (499 f.); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 III 2. 283 Hierfür gibt es weder aus zivilprozessualer noch aus verwaltungsgerichtlicher Sicht plausible Gründe, s.o. 1 c und 7.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
9. Vollstreckungsabwehrklage als Unterlassungsund Störungsbeseitigungsklage? Entsprechend dem Dreiklang von Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklage im allgemeinen Zivilprozessrecht gibt es bei der Deutung des § 767 ZPO eine dritte Meinungsgruppe, die die Vollstreckungsabwehrklage nicht als Gestaltungs- oder Feststellungsklage, sondern als Leistungsklage auffassen will. Materiell-rechtlicher Hintergrund dieser Auffassung ist ein negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB.284 a) Ausschluss eines zivilrechtlichen Anspruchs auf Untätigkeit des Vollstreckungsorgans Bei der Bewertung der Vollstreckungsabwehrklage als Unterlassungsklage des Schuldners empfiehlt sich eine sorgfältige Differenzierung im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner.285 Gäbe es das Verbot der Selbsthilfe nicht und dürfte der Gläubiger seinen Anspruch selbst gewaltsam durchsetzen, so ließe sich die Klage gemäß § 767 ZPO zweifellos als Beseitigungsund Unterlassungsklage identifizieren. Die materielle Einwendung des Schuldners gegen den titulierten Anspruch hätte zur Folge, dass der Schuldner im Sinne von § 1004 Abs. 2 ZPO nicht mehr zur Duldung des Eingriffs in sein Eigentum verpflichtet wäre. Anspruchsgegner wäre der Gläubiger als unmittelbarer Störer. Im geltenden Vollstreckungsrecht scheidet hingegen angesichts des staatlichen Gewaltmonopols und der Einschaltung des hoheitlich handelnden Vollstreckungsorgans ein Unterlassungsanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger als unmittelbarer Störer aus. Nicht mehr der Gläubiger ist es, der den Eingriff in das Eigentum des Schuldners vollzieht, sondern das Vollstreckungsorgan.286 Wegen dessen hoheitlicher Tätigkeit kann die Vollstreckungsmaßnahme dem Gläubiger auch nicht zugerechnet werden.287 Es bleibt nur die Möglichkeit einer mittelbaren Störereigenschaft des Gläubigers, soweit ihm innerhalb des Vollstreckungsverfahrens eine Dispositionsbefugnis zusteht. 284 In diese Richtung gehen insbesondere Arwed Blomeyer, AcP 1965, 481 (486 ff.), ders., Vollstreckungsrecht, § 33 I 2, sowie Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (92 ff.). 285 S. dazu schon die Ansätze zur Deutung der Vollstreckungsabwehrklage als prozessuale Gestaltungsklage unter 1 c. 286 Dies wird von Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (93), übersehen, der die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO, die zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen führen, als „technische Vereinfachung“ des dem Schuldner zustehenden Unterlassungsanspruchs verstehen will. Das Verhalten des Vollstreckungsorgans kann dem Gläubiger jedoch aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols nicht zugerechnet werden. Bettermann durchbricht an dieser Stelle die von ihm selbst, S. 88 f., vehement eingeforderte strikte Trennung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverhältnis und dem privatrechtlichen Schuldverhältnis. 287 Anders hingegen Münch, S. 312; Windel, ZZP 1989, 175 (198); Bruns/Peters, § 15 II Fn. 26, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 II 2, die den Gläubiger durchaus als Störer verstanden wissen wollen. Die Klage aus § 1004 BGB schütze den Schuldner aber nicht vor Eingriffen gegen das Vermögen schlechthin. Immerhin müsste man nach dieser Ansicht dem Schuldner dann aber die Unterlassungsklage gegen Zugriffe auf einzelne Vermögensgegenstände zubilligen.
§ 30 Die Vollstreckungsabwehrklage
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b) Störungsbeseitigungsanspruch gegen den Gläubiger? Als denkbare Anknüpfungspunkte für eine mittelbare Störungshandlung des Gläubigers kommen die Bestimmungsrechte des Gläubigers über Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung in Betracht.288 Hinsichtlich des Beginns der Zwangsvollstreckung könnte der Zwangsvollstreckungsantrag des Gläubigers als Störungshandlung interpretiert und der Gläubiger im Wege der Störungsbeseitigung zur Rücknahme des Antrags verpflichtet werden. Eine derartige Lösung wäre aber mit dem Makel behaftet, dass der Gläubiger im Zeitpunkt der Antragstellung regelmäßig noch Inhaber des titulierten Anspruchs ist.289 Soweit die materielle Einwendung erst nach Antragstellung eintritt, mangelt es an einer rechtswidrigen Störungshandlung des Gläubigers. Im Zeitpunkt der Antragstellung ist der Schuldner zur Duldung der Vollstreckung verpflichtet. In der weiteren Folge würde die Rücknahme des Vollstreckungsantrags zu der misslichen Folge führen, dass der Gläubiger – mangels Kostenerstattungsanspruchs – für die Kosten der Vollstreckung einzustehen hätte, obwohl diese vom Schuldner ausgelöst worden sind. Allein schon in Anbetracht dieses kaum zu rechtfertigenden Ergebnisses kommt der Vollstreckungsantrag des Gläubigers als Störungshandlung im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht.290 Aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Gläubigerdisposition bleibt als Anknüpfungspunkt für einen Unterlassungsanspruch damit nur noch das Ende der Zwangsvollstreckung. Als denkbare Störungshandlung kommt die unterlassene Abgabe einer Freigabe- oder Erledigungserklärung in Betracht. Um dieses Unterlassen einer aktiven Störungshandlung gleichsetzen zu können, bedürfte es einer Garantenstellung des Gläubigers. Diese könnte aus der vorherigen Stellung des Vollstreckungsantrags in Verbindung mit dem Formalisierungsprinzip, das dem Vollstreckungsorgan eine Beachtung materiell-rechtlicher Erledigungsgründe untersagt, abgeleitet werden. Anknüpfungspunkt für eine mittelbare Störungshandlung des Gläubigers wäre dann gleichsam das „Aufrechterhalten des Vollstreckungsantrags“. Dieses wäre im Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Einwendung als rechtswidrig einzustufen, da mangels vollstreckbaren Anspruchs keine Pflicht des Schuldners zur Duldung der Zwangsvollstreckung mehr besteht. Eine derartige Konstruktion eines materiellen Anspruchs auf Abgabe einer prozessualen „Erledigungserklärung“ begegnet aber grundlegenden Bedenken hinsichtlich der wechselseitigen Wirkungsweise von Prozessrecht und materiellem Recht. 288 Eine weitergehende Disposition über die Art und Weise der Ausführung der Zwangsvollstreckung steht ihm nicht zu (s.o. § 8 III 3 und V 5), weswegen er insoweit auch nicht als Störer in Betracht kommt. 289 Soweit er dies nicht wäre, läge zwar eine rechtswidrige Störungshandlung vor. Gleichwohl würde auch dann ein Anspruch aus § 1004 BGB auf Abgabe einer prozessualen Erklärung im Sinne der Rücknahme des Vollstreckungsantrages auf schwerwiegende Bedenken hinsichtlich der Wechselwirkungen von Prozessrecht und materiellem Recht stoßen, s. dazu sogleich unter c. 290 Als weitergehender Ausschlussgrund ergibt sich die Notwendigkeit einer Trennung von materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Ebene, s. nachfolgend unter c.
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
c) Mangelnde Einklagbarkeit einer verfahrensbeendenden Prozesshandlung Veranschaulicht man sich die Parallele zwischen dem nachträglichen Eintritt einer materiellen Einwendung im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage und der bereits im ursprünglichen Prozess eintretenden Einwendung,291 so macht die zuletzt angesprochene Erledigungssituation deutlich, dass das materielle Recht keinen Anspruch auf Abgabe einer prozessualen Erklärung kennt.292 Die prozessuale Ebene ist von der materiell-rechtlichen strikt zu trennen. Anderenfalls wären innerhalb des Prozessrechts unliebsame materiell-rechtliche Inzidentprüfungen vorzunehmen, die den dienenden Charakter des Prozessrechts auf den Kopf stellen würden. Ziel des Prozessrechts ist nicht die Vornahme einer dem materiellen Recht entsprechenden Prozesshandlung, sondern die materielle Rechtsfindung.293 Gelingt es nicht, letztere durch übereinstimmende Prozesshandlungen herbeizuführen, so trifft das Gericht eine verbindliche materiell-rechtliche Entscheidung, deren Einhaltung bei Bedarf erzwungen werden muss.294 Überträgt man diese Überlegungen auf das Zwangsvollstreckungsrecht, so ergibt sich keine andere Ausgangslage. Ebenso wenig wie das Zivilprozessrecht kennt das Vollstreckungsrecht materiell-rechtliche Pflichten zur Abgabe von verfahrensrechtlichen Erklärungen. Allein die zeitliche Verlagerung der Erledigung vom ursprünglichen Klageverfahren in das Vollstreckungsverfahren rechtfertigt es nicht, den Gläubiger nunmehr zur Abgabe einer prozessualen Erledigungser291
S.o. 4 b. Aus diesem Grunde ist auch die Ansicht von Janke, S. 61 ff., 93 ff., 129 ff., abzulehnen, der die Vollstreckungsabwehrklage zwar zutreffend als Feststellungsklage verstanden wissen will, ihr aber ein prozessuales Gepräge geben will, indem der gegen den Staat gerichtete Vollstreckungsabwehranspruch Gegenstand der gerichtlichen Feststellung sein soll. Diese letztgenannte Funktion kommt der Vollstreckungserinnerung zu und zwar erst dann, wenn das Vollstreckungsorgan das Urteil über die obsiegende Vollstreckungsabwehrklage ignoriert. 293 Hinter diesem Verständnismodell von Prozessrecht und materiellem Recht steckt auch die verfassungsrechtliche Überlegung, dass das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG eine Verurteilung zur Abgabe einer bestimmten Meinungsäußerung ausschließt. Einer solch unzulässigen Verpflichtung zur Meinungsäußerung käme die Verurteilung zur Abgabe einer prozessualen Erledigungserklärung gleich, da sie den Beklagten verpflichten würde, entgegen seiner Rechtsmeinung eine abweichende prozessuale Erklärung abzugeben. Nur dort, wo der Schuldner sich selbst aufgrund einer (freiwilligen) vertraglichen Vereinbarung zur Abgabe einer prozessualen Erklärung verpflichtet hat, ist auch eine entsprechende Verurteilung möglich. Darüber hinaus würde die Verpflichtung des Beklagten zur Abgabe einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Verfahrenserklärung auch zu dem fragwürdigen Ergebnis führen, dass sich der Beklagte durch eine derartige Erklärung der Möglichkeit der Einlegung eines weitergehenden Rechtsmittels begeben würde. Denn die Einlegung eines Rechtsmittels stünde im Widerspruch zu seiner prozessualen Erledigungserklärung. Soweit man dieses Ergebnis nicht als verfassungsrechtlichen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG werten wollte, so würden zumindest die einfachgesetzlichen Rechtsmittelvorschriften umgangen. 294 Schließt sich daher im Falle der „Erledigung“ der Beklagte nicht der Erledigungserklärung des Klägers an, so verurteilt das Gericht den Beklagten nicht zur Abgabe einer zustimmenden Erledigungserklärung, sondern stellt lediglich die materiell-rechtliche Erledigung in Form der ursprünglichen Begründetheit und des nachträglichen Untergangs des geltend gemachten Anspruchs fest. 292
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klärung in Form der Freigabe eines gepfändeten Vermögensgegenstandes zu verpflichten. Die gerichtliche Feststellung der materiellen Einwendung stellt vielmehr das geeignete Mittel dar, um mit Hilfe der §§ 775, 776 ZPO eine unzulässige Störung des Schuldners zu unterbinden und damit die Beachtung der materiellen Rechtslage zu gewährleisten. Der Gläubiger muss nicht erst zur Abgabe einer Freigabeerklärung verurteilt werden.295 Die notwendige Differenzierung zwischen materieller und verfahrensrechtlicher Ebene lässt sich zuletzt anhand des dreistufigen Formalisierungsmodells verdeutlichen. Auf dessen ersten Stufe kommen vorrangig freiwillige übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten zur materiellen Rechtslage zur Geltung. Fehlt es daran, so muss das Gericht auf der zweiten Stufe eine verbindliche Entscheidung über die streitige Rechtsfrage treffen. Diese Entscheidung ist sodann für das Vollstreckungsorgan bindend, ohne dass die Beteiligten noch entsprechende Erklärungen abgeben müssten. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Verfahrensrecht lediglich dienende Funktion auf dem Weg zur materiellen Rechtsfindung hat. Ziel der Rechtsfindung ist nicht die Erzwingung übereinstimmender verfahrensrechtlicher Erklärungen, sondern die Erzielung einer verbindlichen Entscheidung zur materiellen Rechtslage. d) Verbleibende Parallelen zur Unterlassungsklage Die Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass angesichts des staatlichen Gewaltmonopols das Verständnis der Vollstreckungsabwehrklage als Unterlassungsklage verfehlt ist. Das Gewaltmonopol führt zu einer Verlagerung der eigentlichen Störereigenschaft vom Gläubiger auf das Vollstreckungsorgan. Trotzdem bietet sich das Vorstellungsbild von der Unterlassungsklage als Erklärungshilfe für die Regelung des § 767 ZPO an. Denn das staatliche Gewaltmonopol lässt – vom Verbot der Selbsthilfe abgesehen – die materielle Rechtslage im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner unberührt. Die Unterlassungsklage wird gleichsam nur um das exekutive Leistungselement in Form der Unterlassung gekürzt, das sich auf das Verhältnis zwischen Vollstreckungsorgan und Schuldner verschiebt. Es verbleibt das feststellende Element der gerichtlichen Entscheidung. Insofern lässt sich erklären, dass die materiell-rechtlichen Feststellungen des Gerichts im Rahmen der Klage gemäß § 767 ZPO sich nicht von denjenigen einer Unterlassungsklage aus § 1004 BGB unterscheiden. Das maßgebliche Kriterium in Form des Bestandes einer nachträglichen materiellen Einwendung korrespondiert mit dem Wegfall der Duldungspflicht im Sinne des § 1004 Abs. 2 BGB.296
295 Denn selbst wenn deren Abgabe in der weiteren Folge gemäß § 894 ZPO fingiert werden könnte, verstieße auch diese Verurteilung gegen Art. 5 Abs. 1 GG und käme in der weiteren Folge einem Rechtsmittelverzicht gleich. S. dazu schon die Anmerkung in Fn. 293. 296 Auf diese Parallele hat im Zusammenhang mit der Interventionsklage schon Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (97), hingewiesen.
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Die Überlegungen veranschaulichen, dass es sich bei der Wiederholungsgefahr im Sinne des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB nicht um eine materielle Anspruchsvoraussetzung, sondern um eine prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzung im Sinne eines besonderen Rechtsschutzerfordernisses handelt. Nicht der Unterlassungsanspruch hängt von einer Wiederholungsgefahr ab, sondern das Interesse „auf Unterlassung zu klagen“, wie es im Wortlaut des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zum Ausdruck kommt. Nur so ist es zu erklären, dass die Rechtsprechung über den Wortlaut des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB hinaus die Unterlassungsklage schon im Falle der sogenannten Erstbegehungsgefahr zulässt.297 Hier nähern sich das besondere Rechtsschutzerfordernis im Rahmen der Unterlassungsklage und das Feststellungsinteresse bei der allgemeinen Feststellungsklage einander an. Beide haben zum Ziel, eine zukünftige Auseinandersetzung zu vermeiden. Dass dabei im Rahmen der Feststellungsklage eine weitergehende Verurteilung zu einer Leistung, insbesondere zu einer Unterlassung entbehrlich ist, hängt allein mit der Eigenart der jeweiligen Fallkonstellation zusammen. So entfällt im Rahmen der Zwangsvollstreckung aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols das Unterlassungsbegehren des Schuldners im Verhältnis zum Gläubiger. 10. Das Konkurrenzverhältnis zur Klage auf Erteilung einer Quittung Schließt das Verständnis der Klage gemäß § 767 ZPO eine Leistungsklage aus, so stellt sich die Frage, ob damit zugleich eine Leistungsklage des Schuldners gegen den Gläubiger auf Erteilung einer Quittung ausgeschlossen ist. a) Unterscheidung zwischen tatsächlichem Erfüllungsvorgang und rechtlicher Bewertung Gemäß § 368 S. 1 BGB hat der Gläubiger gegen Empfang der Leistung auf Verlangen des Schuldners ein schriftliches Empfangsbekenntnis zu erteilen. Diese Verpflichtung besteht bereits im Vorfeld der Vollstreckung. Sie bleibt durch das staatliche Gewaltmonopol unberührt, da die Quittung lediglich eine Tatsachenaussage darstellt des Inhalts, dass der Gläubiger die näher bezeichnete Leistung empfangen hat.298 Bestandteil der Quittung ist hingegen nicht die rechtliche Bewertung, dass der Anspruch erloschen ist.299 Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus der rechtlichen Subsumtion der §§ 362 ff. BGB. Danach ist neben dem Empfang der Leistung weitere Voraussetzung für die Erfüllung die Einhaltung der Leistungsmodalitäten.300 Erst die rechtliche Bewertung all dieser Umstände erlaubt die Feststellung der materiellen Einwendung in Form der Erfüllung. Streit297
Bassenge, in: Palandt, § 1004, Rdnr. 27. Insoweit bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit, Art. 5 GG. 299 Der Gläubiger wird durch die Erteilung der Quittung auch nicht etwa in verfassungsrechtlich bedenklicher Form zur Abgabe einer Rechtsmeinung gezwungen. 300 Die richtige Leistung muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort an den richtigen Gläubiger bewirkt worden sein, §§ 362 ff., 267 ff. BGB. 298
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gegenstand der Klage gemäß § 767 ZPO und der Leistungsklage ist daher ein unterschiedlicher. Während § 767 ZPO die rechtliche Feststellung der materiellen Einwendung zum Gegenstand hat, ist die Leistungsklage aus § 368 BGB auf die Dokumentation des tatsächlichen Erfüllungsvorgangs gerichtet. b) Die Zuordnung der Klage aus § 368 BGB in das Formalisierungsmodell Sinn und Zweck des § 368 BGB liegen darin, dem Schuldner den Nachweis des Empfangs der Leistung zu ermöglichen und seine doppelte Inanspruchnahme zu verhindern. Daraus erklärt sich die Ausgestaltung des § 368 BGB als Zurückbehaltungsrecht des Schuldners, was allerdings die nachträgliche Geltendmachung des Anspruchs auf eine Quittung nicht ausschließt. Die Quittung ermöglicht in der weiteren Folge die Abwendung der Zwangsvollstreckung. Denn ihre Vorlage stellt ein Vollstreckungshindernis im Sinne des § 775 Nr. 4 ZPO dar. Es handelt sich um „eine vom Gläubiger ausgestellte Privaturkunde, aus der sich ergibt, dass der Gläubiger nach Erlass des zu vollstreckenden Urteils befriedigt ist.“ Die Vorlage dieser Urkunde begründet in der formalisierten Vollstreckung die Vermutung, dass der titulierte Anspruch erfüllt ist. Darin zeigt sich der Unterschied zu der Klage gemäß § 767 ZPO, die eine verbindliche Feststellung der Erfüllung beinhaltet. Demzufolge führt die Vorlage eines obsiegenden Urteils gemäß § 776 S. 1 ZPO zur Aufhebung sämtlicher Vollstreckungsmaßnahmen, während die Vorlage einer Quittung gemäß §§ 775 Nr. 4, 776 S. 2 ZPO zunächst nur die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bewirkt. Die endgültige Aufhebung der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen setzt die Freigabe durch den Gläubiger voraus. Wird diese nicht erteilt, weil der Gläubiger die Erfüllungswirkung in Abrede stellt, bleibt dem Schuldner nur der weitere Weg über die Klage gemäß § 767 ZPO.301 Darin spiegelt sich die unterschiedliche Ansiedlung beider Klagearten im Rahmen des abgestuften Formalisierungsmodells und damit ihre unterschiedliche Schlagkraft wider. Hat der Schuldner es versäumt, bereits bei Empfang der Leistung eine Quittung zu verlangen und verweigert der Gläubiger nachträglich die Erstellung einer solchen Quittung, so erweist sich die Klage gemäß § 767 ZPO als die rechtsschutzintensivere Klage. Mit guten Gründen lässt sich daher das Rechtsschutzinteresse an einer nachträglichen Klage aus § 368 BGB verneinen. Sie macht eine negative Feststellungsklage, sei es in Form der Klage gemäß § 767 ZPO, sei es bei Fehlen eines Titels in Form der allgemeinen Feststellungsklage,302 nicht entbehrlich, da erst die letztgenannten Klagen die Zwangsvollstreckung unterbinden.303 301
Putzo, in: Thomas/Putzo, § 776, Rdnr. 5. Grüneberg, in: Palandt, § 368, Rdnr. 7, spricht von dem „günstigeren Weg“ für den Schuldner in Form der negativen Feststellungsklage und plädiert damit wohl für ein Wahlrecht des Schuldners. 303 In der weiteren Konsequenz wäre damit der Anspruch aus § 368 BGB nicht mehr einklagbar, weshalb die Vorschrift bei konsequenter Auslegung gemäß ihrem Wortlaut auf ein bloßes Zurückbehaltungsrecht beschränkt werden könnte. 302
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11. Das Konkurrenzverhältnis zur Klage auf Rückgabe des Titels aus § 371 BGB In engem Zusammenhang mit § 368 BGB steht die Regelung des § 371 S. 1 BGB, die den Schuldner berechtigt, neben der Erteilung einer Quittung die Rückgabe eines über die Forderung ausgestellten Schuldscheins zu verlangen.304 Ist der Gläubiger zur Rückgabe außerstande, so ist er gemäß § 371 S. 2 BGB verpflichtet, das Erlöschen der Schuld in öffentlich beglaubigter Form anzuerkennen. Diese Regelung macht deutlich, dass es im Rahmen des § 371 BGB nicht mehr allein um eine Tatsachenfeststellung in Form des Empfangs der Leistung geht, sondern um die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs, sprich das Erlöschen der Schuld. Eine Verpflichtung zur Rückgabe des Schuldscheins kann demzufolge nur bei Erlöschen der darin dokumentierten Verbindlichkeit bestehen. Die Klage aus § 371 BGB setzt sich aufgrund der bisherigen Überlegungen aus zwei Elementen zusammen. Zum einen ist Voraussetzung für einen Rückgabeanspruch die Feststellung des Erlöschens der Schuld. Zum anderen setzt die sich daran anknüpfende Verpflichtung zur Rückgabe des Schuldscheins voraus, dass sich dieser (noch) im Besitz des Gläubigers befindet. Die Klage aus § 371 BGB lässt sich demnach auf die Klage gemäß § 767 ZPO zurückführen. Sie enthält lediglich das zusätzliche Leistungsmoment in Form der Herausgabeverpflichtung des Gläubigers. In der weiteren Folge wird verständlich, weshalb Rechtsprechung und Literatur die Klage aus § 371 BGB nicht isoliert von der Klage gemäß § 767 ZPO zulassen wollen.305 Es handelt sich nämlich im Ergebnis, was die Feststellung des Erlöschens der titulierten Forderung anbelangt, um denselben Streitgegenstand. Dieser Einsicht verschließt sich hingegen die h. M., indem sie der Klage gemäß § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungswirkung zumisst und die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zum Streitgegenstand wählt. In der weiteren Folge führt dies zu einer unerklärlichen Abhängigkeit der Klage aus § 371 BGB von der Vollstreckungsabwehrklage. Die dabei auftretenden Schwierigkeiten in der Argumentation306 lassen sich ausräumen, indem man beide Klagearten auf das feststellende Element des nachträglichen Eintritts der materiellen Einwendung zurückführt. Der Klage aus § 371 BGB kommt dann lediglich Bedeutung im Hinblick auf die zusätzliche Rückgabeverpflichtung zu. Es handelt sich im Verhältnis zur Vollstreckungsabwehrklage um eine einfache Klageerweiterung. Dieser Gedanke erklärt das vermeintliche Abhängigkeitsverhältnis beider Klagen. Die Feststellung des Erlöschens der titulierten Forderung hat präjudi304 Die Regelung des § 371 BGB wird für den Vollstreckungstitel analog angewandt, Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 45.31. § 757 ZPO spricht eine Verpflichtung des Vollstreckungsorgans zur Rückgabe der vollstreckbaren Ausfertigung aus. Es mangelt hier lediglich an einem materiell-rechtlichen Pendant auf Gläubigerseite, da § 371 BGB die vollstreckbare Ausfertigung nicht ausdrücklich benennt. Diese planwidrige Regelungslücke wird im Wege der Analogie sachgerecht geschlossen. 305 BGH NJW 1994, 3225 (3225); Münzberg, KTS 1984, 193 (194 f.); Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 40 XIV 6; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 767, Rdnr. 6; Lüke, JZ 1956, 475 (477); Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 45.31, und Brox/Walker, Rdnr. 1327. 306 Aus Sicht der h. M. bleibt unklar, weshalb die Klage aus § 371 BGB nur in Abhängigkeit von der Klage gemäß § 767 ZPO zulässig sein soll.
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zielle Wirkung für die Verurteilung zur Rückgabe des Schuldscheins. Bei der Vollstreckungsabwehrklage handelt es sich also im Verhältnis zur Klage aus § 371 BGB um eine Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO.307
V. Die Regelungen des § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO Die Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO lässt sich auf die allgemeine Feststellungsklage zurückführen. Der Vorschrift des § 767 Abs. 1 ZPO kommt keine über § 256 ZPO hinausgehende Aussagekraft zu. Die eigentliche Bedeutung des § 767 ZPO reduziert sich damit auf die Präklusionswirkung der Absätze 2 und 3. Danach kann der Schuldner sich nur auf solche Einwendungen berufen, deren tatsächliche Grundlage erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die der Titel hin ergangen ist, eingetreten sind. Der Geltungsgehalt dieser Regelung ist jedoch mit der Zwangsvollstreckung nicht ausgeschöpft. 1. Rückbezug auf die §§ 322 ff. ZPO Bei der von § 767 ZPO erfassten Konstellation des nachträglichen Eintritts einer materiell-rechtlichen Einwendung gegen einen bereits titulierten Anspruch handelt es sich um das Paradebeispiel für die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft.308 Der Gesetzgeber hat hier – abweichend von seinen sonstigen Gepflogenheiten – eine eher fallbezogene Regelung für die Zwangsvollstreckung getroffen, anstatt das Problem in abstrakter Weise zu regeln. Denn das Problem der Beachtung einer vorhergehenden gerichtlichen Entscheidung stellt sich nicht nur in der Zwangsvollstreckung. So begründet vergleichsweise der (fehlende) Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eine allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Klage. Die zeitlichen Grenzen der sich anschließenden Rechtskraftwirkung zeigen § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO auf. Wesentlich sachgerechter wäre es daher, diese Vorschriften zusammenzuführen und im allgemeinen Prozessrecht anzusiedeln. Ihnen kommt letztlich keine andere Bedeutung zu als der Regelung des § 322 Abs. 1 ZPO, nach der Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig sind, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden ist. Wollte man die Formulierung „insoweit“ zugleich temporär verstehen, so würde sich eine gesonderte Regelung in Form des § 767 Abs. 2 ZPO gänzlich erübrigen. Alternativ würde es sich anbieten, § 322 ZPO um einen weiteren Absatz zu ergänzen.309 Dieser könnte dahingehend formuliert werden, dass das Urteil in zeitlicher Hinsicht nur soweit der Rechtskraft fähig ist, 307 Die Klage auf Rückgabe des Schuldtitels ist daher unabhängig von der Vollstreckungsabwehrklage zulässig. So im Ergebnis auch OLG Nürnberg, NJW 1965, 1867 (1867 f.); Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 767, Rdnr. 6, und Saum, JZ 1981, 695 (697). 308 S.o. III. 309 So schon ähnlich Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 V 2 a, der alternativ von § 767 Abs. 2 ZPO als notwendiger Ergänzungsnorm zu § 322 Abs. 1 ZPO oder als unmittelbarem Ausfluss des Rechtskraftprinzips spricht.
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als die Gründe, auf denen es beruht, bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlagen. In der Konsequenz einer derart abstrahierten Regelung käme der Rechtsgedanke der zeitlichen Begrenzung der Rechtskraft bei sämtlichen Klagearten unmittelbar zum Tragen. Es bedürfte hierzu nicht mehr einer analogen Anwendung des § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO,310 die im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Regelung auf tönernen Füßen steht. Es spricht daher alles dafür, die Regelungen zu den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft zu vereinheitlichen.311 2. Rechtsvereinheitlichung mit den Klauselklagen Dass den Regelungen des § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO eine allgemeine Aussagekraft zukommt, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Konkurrenzverhältnis zu den Klauselklagen. Bei der Klauselgegenklage ergibt sich die enge Wesensverwandtschaft zur Vollstreckungsabwehrklage bereits aus der systematischen Stellung des § 768 ZPO und seiner Bezugnahme auf die Absätze 1 und 3 des § 767 ZPO.312 Die Aussparung des § 767 Abs. 2 ZPO313 erklärt sich aus dem Umstand, dass im Falle der Klauselgegenklage noch keine gerichtliche Entscheidung über die Voraussetzungen der Klauselerteilung vorliegt. Auch hier ist der Schuldner aber gemäß § 767 Abs. 3 ZPO gehalten, sämtliche Einwendungen innerhalb des laufenden Verfahrens vorzutragen, da ihre spätere Geltendmachung durch die Rechtskraft ausgeschlossen wird.314 Noch deutlicher wirkt sich die Notwendigkeit einer zeitlichen Beschränkung der Rechtskraft bei der Klauselklage gemäß § 731 ZPO aus. Auch ohne eine diesbezügliche Regelung verlangen Rechtsprechung und Literatur, um eine gesonderte Klage gemäß § 767 ZPO zu verhindern, dass der verklagte Schuldner schon im Rahmen der Klauselklage seine materiellen Einwendungen geltend zu machen hat. Unterlässt er dies, sollen diese Einwendungen präkludiert sein.315 Diese Argumentation zeigt die Fragwürdigkeit der Abtrennung des Klauselverfahrens vom Vollstreckungsverfahren auf.316 Zudem kommen auch hier die Regelungen des § 767 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO zum Tragen.
310 Näher zur analogen Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 VI. 311 Den engen Zusammenhang zwischen Präklusion und Rechtskraft belegt auch das französische Vollstreckungsrechtsmodell. Da sich die Rechtskraftwirkung des Urteils in Frankreich auf das „dispositif“, d.h. den dem Gericht unterbreiteten Sachverhalt, beschränkt, gibt es in Frankreich keine dem § 767 Abs. 2 ZPO vergleichbare Präklusion. S. dazu Traichel, S. 67. 312 Brox/Walker, Rdnr. 142, bezeichnen die Klauselgegenklage daher als Spezialfall der Vollstreckungsabwehrklage. 313 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 768, Rdnr. 8. 314 In der weiteren Folge lassen Rechtsprechung und Literatur auch eine Bündelung beider Klagen zu, BGH DNotZ 1965, 544, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 768, Rdnr. 9. 315 Brox/Walker, Rdnr. 135, und Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 731, Rdnr. 9. 316 S. dazu schon ausführlich unter § 12 III 5, IV 3 und V 5.
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3. Die Indizwirkung des § 767 Abs. 3 ZPO für den Streitgegenstand Mit der Vorschrift des § 767 Abs. 3 ZPO schließt sich der Kreis der Feststellungen zur Rechtsnatur und zum Streitgegenstand der Vollstreckungsabwehrklage. Die Regelung bestimmt, dass der Schuldner in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend zu machen hat, die er bei Klageerhebung geltend zu machen imstande war. Zweck der Vorschrift ist es, durch Kumulierung aller zeitig vorhandenen Einwendungen in einer Klage die Energie der Vollstreckung zu sichern.317 Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn Streitgegenstand der Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO im Sinne der h. M. die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung und mithin die Summe aller denkbaren Einwendungen wäre.318 Wählt man hingegen im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO allein die Feststellung der konkret geltend gemachten materiellen Einwendung zum Streitgegenstand, so erschließt sich daraus die Notwendigkeit des Bündelungsgebots. Ohne die Regelung des § 767 Abs. 3 ZPO wäre die spätere Geltendmachung anderweitiger Einwendungen nicht ausgeschlossen, da diese bislang nicht Streitgegenstand gewesen und damit auch nicht der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung unterfallen wären.319 Ohne das Bündelungsgebot des § 767 Abs. 3 ZPO hätte es der Schuldner daher in der Hand, jede einzelne materielle Einwendung im Wege einer gesonderten Klage geltend zu machen und damit die Vollstreckung zu verschleppen.320
VI. Abschließende Vorteile einer Deutung als Feststellungsklage Das Verständnis der Klage gemäß § 767 ZPO als allgemeine Feststellungsklage ermöglicht eine Rückführung der derzeitigen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur auf allgemeine zivilprozessuale Erwägungen, insbesondere zu den Grenzen der Rechtskraft gemäß § 322 ff. ZPO. Die Vollstreckungsabwehrklage verliert ihre vollstreckungsrechtlichen Eigenarten. Zugleich entfallen die Abgrenzungsprobleme zur negativen Feststellungsklage und zur Klage aus § 371 BGB auf Herausgabe des Vollstreckungstitels. Gegenstand all dieser Klagen ist die Feststellung von materiellen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch. Aus diesem Grunde unterscheiden sich diese Klagen auch nicht von der allgemeinen Feststellungsklage im Falle der einseitigen Erledigung des ursprünglichen Klageverfahrens. Der Klage gemäß § 767 ZPO mangelt es an einem unmittelbaren Bezug zum Zwangsvollstreckungsverfahren. Dessen Unzulässigkeit ist nicht Streitgegenstand der Vollstreckungsabwehrklage, weshalb schon ihre Bezeichnung irrefüh317
Hahn, Materialien, S. 437; Gaul, JuS 1962, 1 (2), und Baumgärtel/Scherf, JR 1968, 368 (368). So im Sinne der h. M. BGHZ 61, 25 (27), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IX 1. 319 Zugleich zeigt sich damit, dass Streitgegenstand des § 767 Abs. 1 ZPO nicht etwa der Fortbestand des titulierten Anspruchs ist. Denn auch dann bedürfte es keines Bündelungsgebotes, da ein derartiger Streitgegenstand – nicht anders als im ursprünglichen Klageverfahren – zugleich eine Aussage über das Fehlen jeglicher anderweitiger Einwendungen beinhalten würde. 320 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 40 IX. 318
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rend erscheint. Ebenso wenig kommt der Klage gemäß § 767 ZPO eine prozessuale Gestaltungswirkung zu. Die rechtsgestaltende Wirkung führt erst das Vollstreckungsorgan im Wege der §§ 775 Nr. 1, 776 S. 1 ZPO herbei. Erst dann, wenn das Vollstreckungsorgan eine derartige Entscheidung unterlässt, kommt es zur „Vollstreckungsabwehr“. Statthafter Rechtsbehelf ist dann jedoch nicht die Klage gemäß § 767 ZPO, sondern die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO.
§ 31 Die Interventionsklage I. Das Ziel der Interventionsklage Während der Bestand der zu vollstreckenden Forderung im Vorfeld der Vollstreckung verbindlich festzustellen ist (Titelerfordernis), lässt es das Vollstreckungsrecht hinsichtlich der Berechtigung des Schuldners an den zu pfändenden Vermögensgegenständen bei gesetzlichen Vermutungstatbeständen begnügen. So begründet im Rahmen der Mobiliarvollstreckung die Vorschrift des § 808 ZPO die gesetzliche Vermutung, dass der den Gewahrsam an einer Sache ausübende Schuldner zugleich deren Eigentümer ist. Trifft diese Vermutung hingegen nicht zu, so schützt den Gläubiger sein guter Glaube an die Berechtigung nicht.321 Allerdings droht dem wahren Berechtigten im Rahmen der Versteigerung der Pfandsache ein unwiderbringlicher Rechtsverlust, da der gutgläubige Ersteigerer in seinem Vertrauen geschützt wird.322 Vor dieser Gefahr will die Vorschrift des § 771 ZPO den Dritten, dessen Recht durch die Vollstreckung beeinträchtigt wird, schützen und ihm einen angemessenen Rechtsschutz zur Verfügung stellen. Gegenstand der Klage ist die Widerlegung der aus § 808 ZPO entspringenden Vermutung, dass der besitzende Schuldner zugleich Rechtsinhaber der zu pfändenden Sache ist.323 Da dem Vollstreckungsorgan eine über den Vermutungstatbestand hinausgehende materiell-rechtliche Prüfung verwehrt ist, soll die Interventionsklage im Streitfall eine verbindliche gerichtliche Entscheidung zu der Verfügungsberechtigung des Schuldners herbeiführen.324 Vor dem Hintergrund des zivilrechtlichen Pfändungsvorgangs gemäß §§ 1204, 1205 BGB handelt es sich im Anschluss an den Bestand der zu vollstreckenden Forderung um die Klä321 Ein gutgläubiger Pfandrechtserwerb analog § 1207 BGB kommt aufgrund der abweichenden Interessenlage im Vergleich mit der freiwilligen Pfandrechtsbestellung nicht in Betracht, s.o. § 17 II 3. 322 S.o. § 17 IV 3. 323 Zum Streitgegenstand noch näher unter III. 324 Dazu Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 I 1: „Die Zufälligkeit, daß der Dritte in seinen Rechten nicht durch Privatrechtsaktionen, sondern durch Akte der Zwangsvollstreckung betroffen wird, kann es nicht rechtfertigen, ihn unter Ausnahmerecht zu stellen und einer summarischen Prüfung seiner Rechte im Vollstreckungsverfahren zu überlassen.“ Die Interventionsklage ist demzufolge ein unentbehrlicher Rechtsbehelf, der in keiner entwickelten Rechtsordnung fehlen darf, so schon Hellwig/Oertmann, § 308, Anm. 1.
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rung eines weiteren Tatbestandsmerkmals. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass es sich bei der Interventionsklage – nicht anders als bei der Vollstreckungsabwehrklage – um eine Feststellungsklage handelt. Ihr Ziel besteht ebenfalls darin, eine nach materiell-rechtlichen Grundsätzen unzulässige Pfändung zu verhindern. Die für das Vollstreckungsorgan verbindliche gerichtliche Feststellung bewirkt die erforderliche Rückkopplung des Vollstreckungsrechts an die zugrunde liegenden materiellen Rechtsverhältnisse. Denn das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage der Vollstreckung rechtfertigt es nicht, den Schuldner zu weitergehenden Rechtshandlungen zu zwingen, als sie nach materiellem Recht zulässig sind.325
II. Die zivilrechtliche Bewertung der Interventionsklage Ein wesentlicher Unterschied der Klage gemäß § 771 ZPO zu der Klage gemäß § 767 ZPO liegt darin, dass aufgrund der dinglichen Verflechtung über das Verhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner hinaus eine weitere Person in den Sog der Vollstreckung gerät. Es handelt sich um den an dem Pfandobjekt berechtigten Dritten. Zur Beurteilung der daraus resultierenden Rechtsprobleme ist es hilfreich, zunächst einmal das staatliche Gewaltmonopol auszublenden und eine rein zivilrechtliche Bewertung im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem vorzunehmen. Schließlich soll das Gewaltmonopol allein die unzulässige privatrechtliche Selbsthilfe des Gläubigers unterbinden, hingegen keine weitergehenden Veränderungen der materiellen Rechtslage bewirken.326 1. Die Notwendigkeit zur Differenzierung im Dreieck Gläubiger – Schuldner – Dritter Ein elementarer Rechtsgrundsatz des Zivilrechts besagt, dass vertragliche Dreiecksverhältnisse grundsätzlich nur nach Maßgabe der jeweiligen Schuldverhältnisse abzuwickeln sind. Dadurch soll vermieden werden, dass einem der Beteiligten berechtigte Einwendungen abgeschnitten oder aufgezwungen werden; umgekehrt wird gewährleistet, dass jeder nur das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners zu tragen hat.327 Dazu im Widerspruch scheint es zu stehen, dass die Interventionsklage einen direkten Durchgriff des Dritten gegen den Gläubiger zulässt. Dieser Durchgriff macht nur Sinn auf dinglicher Rechtsebene. Mit einer solchen sachenrechtlichen Deutung der Interventionsklage lassen es Rechtsprechung und Literatur jedoch nicht bewenden. Sie sprechen vielmehr 325 Der Schuldner würde zu einer strafrechtlich relevanten Unterschlagung gezwungen, sofern er sich dem Druck der Zwangsvollstreckung beugen und den zu pfändenden Vermögensgegenstand rechtsgeschäftlich verpfänden würde. 326 S.o. § 2 II 2. 327 Diese Wertungskriterien hat Canaris, in: Festschrift für Larenz, S. 799 (802 f.), entwickelt; ebenso Medicus, Rdnrn. 666 f., und Stadler, in: Jauernig, § 812, Rdnr. 22.
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auch dem obligatorisch Berechtigten die Befugnis zur Geltendmachung eines Interventionsrechts zu. Und so ist es unausweichlich, zum besseren Verständnis der Interventionsklage die schuldrechtlichen Verflechtungen im Verhältnis zwischen Gläubiger, Schuldner und Drittem in die Überlegungen miteinzubeziehen. 2. Die Ansprüche bei Pfändung einer schuldnerfremden Sache Das herkömmliche Verständnis der Interventionsklage engt ihre Bewertung auf das Verhältnis von Gläubiger und Drittem ein, weswegen die Klage teilweise mit der zivilrechtlichen Unterlassungsklage gleichgestellt wird.328 Eine solche Betrachtung greift jedoch zu kurz, da die eigentliche Ursache der ausgelösten Probleme in dem Verhältnis von Gläubiger und Schuldner zu suchen ist. Denn hier hat die Zwangsvollstreckung ihren Ausgang. a) Abwehransprüche des Schuldners gegen den Gläubiger Selbst wenn man dem Gläubiger das Recht zur privaten Selbsthilfe nicht absprechen wollte, so wäre dieser nur in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Vermögensordnung zum Zugriff auf das Vermögen des Schuldners berechtigt. Griffe er hingegen auf Vermögensgegenstände Dritter zu, so würde sich die Frage nach Abwehransprüchen des Schuldners stellen. Dingliche Ansprüche scheiden hier aus, da sie eine dingliche Rechtsposition des Schuldners voraussetzen würden, deren Inhaberschaft wiederum zu der Konsequenz führen würde, dass der Schuldner die Vollstreckung zu dulden hätte. In Betracht kommen aber schuldrechtliche Abwehransprüche aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis. Als Nebenpflicht ergibt sich an dieser Stelle für den Gläubiger das Gebot, den Schuldner nicht zu schädigen. Dabei handelt es sich grundsätzlich nur um eine unselbständige Nebenpflicht mit der Folge, dass der Schuldner auf die Geltendmachung von sekundären Schadensersatzansprüchen beschränkt bleibt. Ausnahmsweise wird aber ein primärer Abwehranspruch bejaht, soweit ein schutzwürdiges Interesse an der klageweisen Durchsetzung der Nebenpflicht gegeben ist.329 Diese Problematik ist vor dem Hintergrund der Zwangsvollstreckung bislang nicht erörtert worden.330 Angesichts der drohenden Schadensersatzverpflichtung des Schuldners gegenüber dem Dritten im Falle der unwider328 So Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 35 II 1, 3; ders., AcP 1965, 481 (486 ff.); Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (87 ff.), und Goldschmidt, § 88, Anm. 6. Ausführlich zu den historischen Bezügen zur zivilrechtlichen actio negatoria Picker, S. 74 ff. Siehe zu dieser Meinungsströmung auch die ausführlichen Erörterungen zur Vollstreckungsabwehrklage unter § 30 IV 9, die hier entsprechend gelten. 329 Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnr. 25, und Stürner, JZ 1976, 384 (388 ff.). 330 Dies dürfte mit dem staatlichen Gewaltmonopol zusammenhängen, das die obigen Überlegungen hypothetisch erscheinen lässt. Gleichwohl sind sie für das Verständnis der Interventionsklage äußerst hilfreich, da die materiell-rechtlichen Gegebenheiten und das staatliche Gewaltmonopol einander überlagern. Das materielle Recht verliert also nicht seine Bedeutung, was häufig übersehen wird.
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ruflichen Verwertung sprechen jedoch gute Gründe dafür, dem Schuldner gegen den Gläubiger einen klagbaren Abwehranspruch auf Unterlassung des Zugriffs auf schuldnerfremde Vermögensgegenstände zu gewähren. Dafür spricht auch die eingangs geäußerte Überlegung, dass auf schuldrechtlicher Ebene das Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem nur nach Maßgabe der jeweiligen Schuldverhältnisse abgewickelt werden kann. Wollte man daher dem Schuldner einen Abwehranspruch versagen, so bliebe das Verhalten des Gläubigers auf der schuldrechtlichen Ebene sanktionslos. Denn dem Dritten blieben mangels Schuldverhältnisses mit dem Gläubiger jegliche Ersatzansprüche versagt. Letztlich wäre sogar ein schuldrechtlicher Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den Schuldner – ausgelöst durch die Unmöglichkeit der Rückgabe des dem Dritten gehörenden Vermögensgegenstandes – in Frage zu stellen, da dem Schuldner die Unmöglichkeit mangels eines Abwehranspruchs nicht anzulasten wäre. Ein Verschulden käme allenfalls unter dem Aspekt der mangelnden Abwendung der Zwangsvollstreckung durch freiwillige Erfüllung der Gläubigerforderung in Betracht. Auch diese Möglichkeit ist dem Schuldner aber bei mangelnder Liquidität genommen. Zwar würde ihn dies von einem Verschulden kaum freisprechen. In dieser Situation jedoch den Dritten auf einen wirtschaftlich wertlosen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner zu beschränken und ihn damit im Ergebnis zur Duldung des Zugriffs auf seine Vermögensgegenstände zu verpflichten, erscheint unangemessen. Demzufolge ist dem Schuldner ein schuldrechtlicher Abwehranspruch gegen den Gläubiger zuzusprechen.331 b) Ansprüche des Dritten gegen den Schuldner Nicht anders als im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner stellt sich in dem Schuldverhältnis von Schuldner und Drittem die Frage nach Abwehransprüchen vor der drohenden Zwangsvollstreckung. Die Frage verliert allerdings insoweit an Brisanz, als sich für den Dritten zumindest aus seiner dinglichen Rechtsposition ein Abwehranspruch ableiten lässt. Gemäß § 1004 Abs. 1 BGB steht dem Dritten gegen den Schuldner ein Anspruch auf Unterlassung und Stö331 Eine andere Frage ist, ob dem Schuldner ein vergleichbarer Abwehranspruch auch dann zusteht, wenn es sich um die Vollstreckung gesetzlicher Ansprüche, d.h. insbesondere um deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche handelt. Es fehlt dann regelmäßig an einem vertraglichen Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, weshalb in dieser Konstellation gute Gründe dafür sprechen, dem Schuldner eine Intervention zu versagen und den Dritten auf die Geltendmachung seines dinglichen Rechts zu verweisen. Ein anderes Ergebnis ließe sich dann herleiten, wenn man das Vollstreckungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner als eigenständiges, d.h. pflichtenbegründendes Schuldverhältnis verstehen wollte. Dagegen spricht aber die Überlegung, dass die Vermischung von Verfahrensrecht und materiellem Recht zu bedenklichen Rechtsunsicherheiten führt. So mit Recht Stürner, Rdnr. 5.20, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 7 II 4 b. Es bliebe damit jedoch die Möglichkeit, dem Schuldner zumindest das prozessuale Feststellungsinteresse an einer Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zuzusprechen. Denn das insoweit maßgebliche Rechtsverhältnis muss nicht notwendig zwischen den Prozessparteien bestehen, Reichold, in: Thomas/Putzo, § 256, Rdnr. 9.
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rungsbeseitigung zu.332 Fraglich ist im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen allein die Störereigenschaft des Schuldners. Diese ließe sich im Falle der freiwilligen Verpfändung der schuldnerfremden Sache ohne weiteres bejahen, da der Schuldner dann an der Verpfändung unmittelbar beteiligt wäre. Ein Anspruch auf Unterlassung der Verpfändungserklärung und der Übergabe des Pfandobjekts nützt dem Dritten in der Zwangsvollstreckung jedoch wenig, da hier beide Rechtsakte vom Gläubiger erzwungen werden können. Gleichwohl ist im Rahmen der Zwangsvollstreckung der Schuldner zumindest als mittelbarer Störer anzusehen. Denn die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers ist ihm gleichsam als Zweckveranlasser zuzurechnen, indem er durch seine Leistungsverweigerung den Gläubiger zur Einleitung der Vollstreckung nötigt.333 Der Dritte kann von ihm also die Unterlassung und Störungsbeseitigung verlangen. Bei der Erfüllung dieses Anspruchs hat der Schuldner die freie Wahl, ob er entweder den Gläubigeranspruch anderweitig erfüllt oder aber den ihm zustehenden schuldrechtlichen Abwehranspruch gegen den Gläubiger geltend macht. c) Ansprüche des Dritten gegen den Gläubiger Im Anschluss an die schuldrechtlichen Beziehungsgeflechte stellt sich erst in einem dritten Schritt die Frage nach der rechtlichen Bewertung des Verhältnisses zwischen Gläubiger und Drittem. Auf schuldrechtlicher Ebene scheiden mangels eines zugrunde liegenden Schuldverhältnisses regelmäßig jegliche Abwehransprüche des Dritten aus. Ihm steht aber die dingliche Unterlassungsklage aus § 1004 BGB zu. Deren Voraussetzungen beurteilen sich nicht anders als diejenigen im Verhältnis zwischen Drittem und Schuldner. Dies veranschaulicht ein Vergleich mit der Konstellation der freiwilligen Verpfändung durch den Schuldner. Hier bewirken Gläubiger und Schuldner im gemeinsamen Zusammenwirken die Störung des Eigentums des Dritten, indem sie im Wege eines zweiseitigen Rechtsgeschäfts gemeinsam darüber verfügen. Der Dritte kann folglich Gläubiger und Schuldner im Wege der Streitgenossenschaft in Anspruch nehmen. Kaum anders verhält sich die Situation aber in der Zwangsvollstreckung, in der die Rechtshandlungen des Schuldners vom Gläubiger erzwungen werden. Denn auch hier wird das Eigentum des Dritten in gleicher Weise durch den Gläubiger beeinträchtigt. Kernstück der Prüfung der jeweiligen Abwehransprüche im Dreiecksverhältnis ist damit stets die Frage der Verfügungsberechtigung des Schuldners. Allein das Vorzeichen divergiert: Während der Schuldner seine fehlende Verfügungsberechtigung darzulegen hat, obliegt es dem betroffenen Dritten seine bestehende Rechtsposition substantiiert darzulegen. Es handelt sich um die Verschiebung 332 Das zwischen Schuldner und Drittem bestehende Schuldverhältnis, das den Schuldner zum Besitz an der Sache berechtigt, verpflichtet den Dritten nicht, die Zwangsvollstreckung im Sinne des § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. 333 Diese aus dem öffentlichen Recht stammende Terminologie zur Zurechnung von mittelbaren Störungshandlungen erweist sich im Zivilrecht als gleichermaßen geeignet.
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der Berechtigung vom Schuldner auf den Dritten und mithin um die Widerlegung der Vermutungsfolge des § 808 ZPO.
III. Der Einfluss des staatlichen Gewaltmonopols Blendet man im Anschluss an die vorstehenden Betrachtungen das staatliche Gewaltmonopol wieder in das Vollstreckungsverhältnis ein, so stellt sich die Frage nach den eintretenden Veränderungen. Aus Sicht des Schuldners und des Dritten ergibt sich die Frage, ob sie unverändert ihre zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche geltend machen können. 1. Reduzierung der Unterlassungsansprüche auf die bloße Feststellung der dinglichen Rechtsbeeinträchtigung Die Verschiebung der Vollstreckungsbefugnis vom Gläubiger auf das staatliche Vollstreckungsorgan bewirkt, dass der Schuldner sich nicht mehr gegen den Gläubiger, sondern gegen das staatliche Vollstreckungsorgan zur Wehr zu setzen hat. Dieses führt die Pfändung alleinverantwortlich durch. Ihm ist dabei die Prüfung der materiellen Rechtslage verwehrt, so dass deren Beurteilung im Rechtsverhältnis zwischen den Parteien angesiedelt bleibt. Dies bedeutet, dass sich der ursprüngliche Unterlassungsanspruch im Verhältnis zum Gläubiger auf die bloße Feststellung der dinglichen Rechtsbeeinträchtigung reduziert. Das daraus resultierende Unterlassungsbegehren richtet sich gegen das Vollstreckungsorgan. Missachtet dieses die zivilgerichtliche Entscheidung und nimmt gleichwohl die Pfändung vor, so steht dem Schuldner der Weg der Vollstreckungserinnerung offen.334 Nichts anderes gilt für den Unterlassungsanspruch des Dritten gegen den Gläubiger. 2. Ausschluss einer weitergehenden Gestaltungs- oder Leistungsklage Nicht anders als im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage ist festzustellen, dass Gestaltungs- oder Leistungsansprüche des Schuldners oder des Dritten gegen den Gläubiger aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols ausgeschlossen sind. Die Gestaltung des Vollstreckungsverhältnisses erfolgt gemäß §§ 775, 776 ZPO erst unter Beteiligung des Vollstreckungsorgans durch Vorlage der zivilgerichtlichen Entscheidung.335 Nur dann, wenn das Vollstreckungsorgan sich wei334
Zum Problem der Intervention durch den Schuldner s. noch unter IV 1. Dies wird von der h. M. – nicht anders als bei der Vollstreckungsabwehrklage (s.o. § 30 IV 1 c) – auch bei der Interventionsklage übersehen. So führt beispielsweise Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 41 II 2, (auch) für die Interventionsklage zutreffend aus, dass sie ihre Grundlage im materiellen Recht hat, dass sie dem Dritten die Befugnis verleiht, sein Recht über §§ 775, 776 ZPO im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen und dass selbst die Verstrickung erst mit ihrer Aufhebung nach § 776 ZPO beseitigt ist. Obwohl damit kein Raum mehr für eine unmittelbare prozessuale Gestaltungswirkung des obsiegenden Urteils bleibt, plädiert doch auch Gaul für die Charakterisierung der Interventionsklage als prozessuale Gestaltungsklage. 335
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gert, die Zwangsvollstreckung einzustellen und die Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben, kommt es zur „prozessualen Gestaltung“ in Form der Vollstreckungserinnerung.336 Eine weitergehende Leistungsklage gegen den Gläubiger ist ebenfalls ausgeschlossen.337 Nicht anders als bei der Vollstreckungsabwehrklage ist festzustellen, dass weder dem Schuldner noch dem Dritten ein klagbarer Leistungsanspruch gegen den Gläubiger auf Abgabe einer prozessualen Erledigungs- oder Freigabeerklärung zusteht.338 Die dienende Funktion des Prozessrechts und die Meinungsfreiheit des Gläubigers schließen dessen Verurteilung zur Abgabe einer derartigen Erklärung ab. Hierfür besteht auch kein Rechtsschutzinteresse, da im Falle der Verweigerung des Gläubigers die gerichtliche Entscheidung dessen Freigabeerklärung ersetzt. Im Ergebnis ist für die Interventionsklage – nicht anders als für die Vollstreckungsabwehrklage – zu konstatieren, dass es sich um eine allgemeine Feststellungsklage handelt.339 Ihr Streitgegenstand ist die (mangelnde) Verfügungsberechtigung des Schuldners über den Pfandgegenstand. 3. Unberührtheit des Unterlassungsanspruchs des Dritten gegen den Schuldner Während sich im Falle der Pfändung eines schuldnerfremden Gegenstandes die Unterlassungsansprüche gegen den Gläubiger im Wege des staatlichen Gewaltmonopols auf bloße Feststellungsklagen reduzieren, bleibt das Rechtsverhältnis zwischen dem Drittem und dem Schuldner weitgehend unberührt. Das hängt damit zusammen, dass das Vollstreckungsorgan in diesem Bereich nicht tätig wird. Es erzwingt lediglich die fehlende freiwillige Verpfändungserklärung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger. In der weiteren Folge bedeutet dies, dass das staatliche Gewaltmonopol den privatrechtlichen Unterlassungsanspruch des Dritten gegen den Schuldner unberührt lässt. Eine geringfügige Veränderung ergibt sich lediglich hinsichtlich der Wahlmöglichkeit des Schuldners zur Erfüllung dieses Unterlassungsanspruchs. 336 Für eine prozessuale Gestaltungswirkung der Klage gemäß § 771 ZPO plädieren hingegen mit der h. M. BGHZ 58, 207 (212 ff.); BGH NJW 1985, 3066 (3067); Stein, Grundfragen der Zwangsvollstreckung, S. 47 ff.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, Einf §§ 771–774, Rdnr. 1; Brox/Walker, JA 1986, 113 (113); Bruns/Peters, § 16 III; Geißler, NJW 1985, 1865 (1869); Lüke, JuS 1969, 301 (302); Münzberg/Brehm, in: Festschrift für Baur, S. 517 (526 ff.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnrn. 4 f.; Putzo, in: Thomas/Putzo, § 771, Rdnr. 1; Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 771, Rdnr. 3. Prütting/Weth, JuS 1988, 505 (506 f.), und im Anschluss Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.2, folgen hingegen einer vermittelnden materiell-prozessrechtlichen Theorie. 337 Falkmann/Mugdan, S 411 f., bewerteten die Interventionsklage hingegen noch als eine auf Freigabe des Pfandgegenstandes gerichtete Leistungsklage. Für eine negative Vollstreckungs-Duldungsklage im Sinne einer negativen Haftungsklage plädiert Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (97). 338 S.o. § 30 IV 9 c. 339 Ausdrücklich dagegen sprechen sich aus Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 4, und Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 771, Rdnr. 3.
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Entscheidet er sich nicht für die Abwehr der Vollstreckung durch Erfüllung der titulierten Forderung, so muss er seinerseits die ihm gegen den Gläubiger zustehenden Ansprüche geltend machen. Dabei handelt es sich jedoch aufgrund der staatlich betriebenen Vollstreckung nicht mehr um einen Unterlassungsanspruch, sondern um die Geltendmachung einer Feststellungsklage in Form der sogenannten Interventionsklage.
IV. Die unzulässige Reduzierung des Dreiecksverhältnisses auf die Interventionsklage Die vorstehenden Überlegungen stehen im offensichtlichen Widerspruch zum derzeitigen Verständnis der Interventionsklage. Nach der derzeitigen Lesart des § 771 ZPO tut sich eine unüberbrückbare Kluft auf zwischen den zivilrechtlichen Ansprüchen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem und der Interventionsklage, die sich auf das Verhältnis des Dritten gegen den Gläubiger beschränkt. Das staatliche Gewaltmonopol vermag diese Kluft nicht zu überwinden, da es lediglich eine Reduzierung der gegen den Gläubiger gerichteten Unterlassungsansprüche auf Feststellungsbegehren bewirkt, nicht aber zu einer Verengung des bestehenden Dreiecksverhältnisses auf das Verhältnis zwischen Drittem und Gläubiger führt. Es muss daher verwundern, dass die Ausschließlichkeit der Interventionsklage des Dritten gegen den Gläubiger im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache bislang kaum in Frage gestellt worden ist. Diese verengte Betrachtungsweise lässt sich weder auf Klägerseite noch auf Seiten des Beklagten rechtfertigen. 1. Die Klägerseite der Interventionsklage Behauptet ein Dritter, dass ihm an dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, so ist gemäß § 771 Abs. 1 ZPO der Widerspruch gegen die Zwangsvollstreckung im Wege der Klage bei dem Vollstreckungsgericht geltend zu machen. Aus dieser Formulierung des § 771 Abs. 1 ZPO wird in Verbindung mit dem Prinzip der Ausschließlichkeit der Vollstreckungsrechtsbehelfe der Schluss gezogen, dass eine Interventionsklage allein durch den Dritten zulässig und eine parallele Klage des Schuldners gegen den Gläubiger ausgeschlossen sei.340 Diese Folgerung lässt sich jedoch dem Wortlaut des § 771 Abs. 1 ZPO genauso wenig entnehmen wie den übrigen Vorschriften des achten Buchs der Zivilprozessordnung. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da das Prozessrecht schlechterdings kaum geeignet erscheint, eine Aussage über die nach materiellem Recht zulässigen Ansprüche zu treffen.341 Dabei 340 RGZ 42, 343 (344); Jauernig, § 16 III C 4 c; Lüke, JuS 1986, 464 (468), und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 a. 341 In diese Richtung geht auch die Habilitationsschrift von Picker, der sich anhand der Interventionsklage ausführlichst mit dem Problem des Zusammenspiels von materiellem Recht und Prozessrecht befasst. Picker, S. 38 ff., weist nach, dass der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung noch
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ist zudem zu berücksichtigen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zivilprozessordnung noch gar nicht existierte.342 Und so sprechen bereits diese Überlegungen dafür, die Vorschrift des § 771 ZPO auf ihre eigentliche prozessuale Bedeutung zu beschränken. Es handelt sich dann bei § 771 Abs. 1 ZPO lediglich um eine besondere Zuständigkeitsregelung.343 Aus Gründen des Sachzusammenhangs wird die Klage des Dritten an das zuständige Vollstreckungsgericht verwiesen.344 Will man der Vorschrift des § 771 ZPO eine weitergehende materiell-rechtliche Bedeutung zumessen, so bedarf dies einer besonderen Begründung. Die Berufung auf die Ausschließlichkeit der Vollstreckungsrechtsbehelfe genügt nicht, da es sich um eine bloße Behauptung handelt, solange nicht begründete Gesichtspunkte angeführt werden. Veranschaulicht man sich die materielle Interessenlage im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Schuldner und Drittem, so führt diese gerade zu der umgekehrten Bewertung. Die begründeten Interessen sowohl des Schuldners als auch des Dritten verbieten es, dem Schuldner die Geltendmachung der ihm nach materiellem Recht zustehenden Ansprüche zu versagen. So hat der Schuldner ein berechtigtes Interesse daran, in eigener Person die Pfändung in einen dem Dritten gehörenden Gegenstand zu unterbinden. Muss der Schuldner doch befürchten, sich im Falle seiner Untätigkeit zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen des Dritten auszusetzen. Es genügt an dieser Stelle auch nicht der Hinweis, der Schuldner könne den Dritten von der Pfändung benachrichtigen, so dass dieser in den Stand versetzt werde, die Interventionsklage zu erheben. Denn diese Möglichkeit muss schon dann versagen, wenn der Dritte kurzfristig nicht erreichbar ist. Umgekehrt ist aus Sicht des Dritten nicht recht einzusehen, weshalb er selbst gegen den Gläubiger intervenieren muss, anstatt die notwendigen rechtlichen Schritte dem Schuldner zu überantworten. Da die Zwangsvollstreckung aus seiner Sphäre herrührt, hat der Dritte ein berechtigtes Interesse daran, den Schuldner dafür zur Verantwortung zu ziehen. Dies geschieht vorrangig im Wege eines Unterlassungsanspruchs, gerichtet auf ein Einschreiten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, und erst nachrangig auf ganz selbstverständlich von der These ausgegangen ist, dass die Widerspruchsklage als Auswuchs des Prozessrechts eine im materiellen Recht begründete Klage darstellen sollte. Diese These ist jedoch bedauerlicherweise von der modernen Prozessrechtslehre verworfen worden, Picker, S. 47 ff., was sich nicht zuletzt auch in der Bezeichnung der Interventionsklage als prozessuale Gestaltungsklage niedergeschlagen hat. Die überzeugenden Ausführungen von Picker gegen diese Tendenz haben bislang leider kein Echo gefunden. 342 In ähnlicher Weise bildete das Prozessrecht auch schon im gemeinen Recht den Vorreiter der Interventionsklage, indem es ihre Anerkennung contra legem erzwang, Picker, S. 245, 337 ff. Dies hängt damit zusammen, dass die dingliche Unterlassungsklage bis in das 19. Jahrhundert hinein noch nicht anerkannt war, Picker, S. 339. Demgegenüber bestehen jedoch heute keine praktischen Bedürfnisse im Wirtschaftsleben, die Interventionsklage über das materielle Recht hinaus auf den obligatorisch Berechtigten auszudehnen. S. dazu noch näher unter VI 3. 343 In gleicher Weise argumentiert Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 b, in Bezug auf die aus seiner Sicht „mißverständliche Fassung“ des § 771 Abs. 2 ZPO. 344 Ebenso in seiner ausführlichen Bewertung zur Entstehungsgeschichte der Interventionsklage Picker, S. 40, der von „nur prozeduralen Bestimmungen“ spricht.
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Schadensersatz wegen einer vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit der Herausgabe des im Eigentum des Dritten stehenden Gegenstandes. Selbst dieser Schadensersatzanspruch scheint aufgrund des derzeitigen Verständnisses der Klage gemäß § 771 ZPO gefährdet, da die Pfändung und spätere Verwertung des Pfandobjekts dem Schuldner nicht angelastet werden kann, solange ihm selbst die prozessuale Geltendmachung seiner Ansprüche gegen den Gläubiger versagt bleibt. Wie soll der Schuldner sich gegen die Zwangsvollstreckung in einen dem Dritten gehörenden Gegenstand zur Wehr setzen, wenn der Dritte nicht erreichbar, dem Schuldner aber die Interventionsklage verwehrt ist? Aus prozessualer Sicht besteht ebenfalls ein gewichtiges Interesse des Dritten daran, dass der Schuldner selbst gegenüber dem Gläubiger tätig wird und die Vollstreckung unterbindet. Denn in einem derartigen Rechtsstreit stünde der Dritte als Zeuge für das vom Schuldner behauptete Dritteigentum zur Verfügung. Der Dritte wird als Rechtsinhaber detaillierte Angaben zu der von ihm behaupteten Rechtsstellung machen können, während umgekehrt der Schuldner im Rahmen der Interventionsklage kaum über die Kenntnisse verfügt, den Rechtserwerb des Dritten bekunden zu können. Mit der bloßen Leugnung des Schuldnereigentums kann es der Dritte hier nicht bewenden lassen, weil ihm erst die Behauptung der eigenen Rechtsbetroffenheit das notwendige Feststellungsinteresse verleiht.345 Die begründeten Interessen von Schuldner und Drittem an einer Interventionsklage des Schuldners stehen schließlich nicht im Widerspruch zu den Interessen des Gläubigers. Es ist nicht ersichtlich, welches Interesse des Gläubigers es rechtfertigen sollte, ihn in der Vollstreckung vor den materiell-rechtlichen Ansprüchen des Schuldners zu bewahren. Und so lassen sich im Ergebnis keine Argumente benennen, die es rechtfertigen würden, der Interventionsklage des Dritten eine Ausschließlichkeit zuzusprechen. Die materiell-rechtlichen wie prozessualen Gesichtspunkte sprechen vielmehr dafür, nicht anders als dem Dritten so auch dem Schuldner seine materiell-rechtlichen Abwehransprüche in der Zwangsvollstreckung zu erhalten.346 2. Die Beklagtenseite Während § 771 Abs. 1 ZPO für die Klägerseite ausdrücklich den Fall der Intervention durch den Dritten anspricht, trifft die Vorschrift auf Beklagtenseite keinerlei Vorgaben. In personeller Hinsicht wird neben dem klagenden Dritten allein das Vollstreckungsgericht genannt, dies jedoch nicht als Beklagter, sondern als zuständiger Spruchkörper.347 Ein weiterer Blick auf den Absatz 2 des § 771 345 Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des § 771 Abs. 1 ZPO, der die „Behauptung“ eines Interventionsrechts voraussetzt. 346 Mit guten Gründen geben daher die Franzosen nicht nur dem Dritten, sondern auch dem Vollstreckungsschuldner die Möglichkeit, die Unwirksamkeit der Pfändung geltend zu machen, D.Art. 127. Näher dazu Traichel, S. 68 f. 347 Dies ist angesichts der Formalisierung auch nicht zu beanstanden, da die Prüfung des sogenannten Interventionsrechts dem privaten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten vorbehalten bleibt.
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ZPO verrät hingegen, dass die Interventionsklage nicht nur gegen den Gläubiger, sondern auch gegen den Schuldner gerichtet werden kann.348 In diesem Fall sind beide als Streitgenossen anzusehen.349 a) Aussparung des Schuldners entgegen § 771 Abs. 2 ZPO Entgegen der ausdrücklichen Regelung des § 771 Abs. 2 ZPO350 wird nach dem gegenwärtigen Verständnisbild der Interventionsklage allein der Gläubiger als geeigneter Beklagter angesehen.351 Dies scheint derart selbstverständlich zu sein, dass die Aussparung des Schuldners nicht einmal problematisiert wird.352 Das mag damit zusammenhängen, dass eine Intervention des Dritten gegenüber dem Schuldner vermeintlich aussichtslos erscheint, weil ihr keine unmittelbare vollstreckungshemmende Wirkung zukommt. Dem Dritten ist mit einem obsiegenden Urteil gegen den Schuldner, das die Berechtigung des Dritten feststellt, nicht gedient, weil dieses Urteil mangels entsprechender Beteiligung keine Wirkung gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger entfalten kann. Seine Vorlage beim Vollstreckungsorgan kann nicht zur Einstellung der Vollstreckung führen, weshalb dem Dritten schon ein Feststellungsinteresse abzusprechen wäre. Ist damit aber dem Dritten jegliche Intervention gegenüber dem Schuldner zu versagen? Dem Dritten verbleibt die Möglichkeit, vom Schuldner zu verlangen, dass dieser seinerseits gegenüber dem Gläubiger tätig wird.353 Es handelt sich mithin nicht um eine bloße Feststellungsklage, sondern um eine weitergehende Leistungsklage. Das Interventionsrecht des Dritten gegen den Schuldner reicht aus prozessualer Sicht mithin weiter als dasjenige gegen den Gläubiger, das sich auf eine bloße Feststellung beschränkt. 348
Entgegen dem Wortlaut des § 771 Abs. 2 ZPO wollen Rechtsprechung und Literatur diese Vorschrift hingegen so verstanden wissen, dass dem Dritten gegen den Schuldner nur die Klage auf Feststellung oder Herausgabe des Pfandobjekts zustehen soll, so etwa Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.17, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 64. 349 Laut Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 64, wäre eine Streitgenossenschaft ansonsten aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände gemäß §§ 59 f. ZPO ausgeschlossen. Dies erscheint insofern fraglich, als § 60 ZPO bereits eine Aufweichung des streng am Streitgegenstand orientierten § 59 ZPO vorsieht. Zudem machen die bisherigen Überlegungen deutlich, dass die Streitgegenstände einander überschneiden, soweit es sich um die dingliche Verfügungsberechtigung am Pfandobjekt handelt. 350 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 b, spricht von einer „mißverständlichen Fassung“, ohne dies allerdings näher zu begründen. 351 Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.17; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 64, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 b. 352 Die Klagemöglichkeit des Dritten gegen den Schuldner wird auf materiell-rechtliche Herausgabeansprüche beschränkt (so etwa Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.17, und Münzberg, in: Stein/ Jonas, § 771, Rdnr. 64), die den Dritten allerdings bei erfolgter Pfändung kaum zu schützen vermögen. 353 Unabhängig davon kann der Dritte den Schuldner selbstverständlich auch auf Herausgabe des Pfandobjekts im Wege der Vindikationsklage in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit lässt auch die allgemeine Meinung zu, so etwa Putzo, in: Thomas/Putzo, § 771, Rdnr. 3, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 b.
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Dass der Dritte ein nachvollziehbares Interesse an der Geltendmachung seines Interventionsrechts gegenüber dem Schuldner hat, ergibt sich aus den klägerseitig beleuchteten prozessualen und materiellen Interessen. Der Schuldner stellt im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem das notwendige Bindeglied zwischen dem Dritten und dem Gläubiger dar. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb der Dritte auf sein dingliches Interventionsrecht beschränkt sein sollte und nicht zugleich seine schuldrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Schuldner geltend machen kann. Diese ermöglichen es ihm, den Aufwand der Intervention an den Schuldner zu delegieren. Das ist wiederum nur sachgerecht, da die Vollstreckung aus dessen Sphäre herrührt. Geht es dem Dritten hingegen darum, ein kollusives Zusammenwirken von Gläubiger und Schuldner zu verhindern, indem der Schuldner im Klageverfahren des Dritten gegen den Gläubiger zugunsten des Gläubigers als Zeuge auftritt, so kann er beide gemäß § 771 Abs. 2 ZPO im Wege der Streitgenossenschaft verklagen. Es ist daher nicht einsichtig, mit welchen Gründen Rechtsprechung und Literatur dem Dritten die Intervention gegenüber dem Schuldner versagen wollen.354 b) Die dingliche Interventionsklage als kleiner Ausschnitt der Anspruchspalette Das derzeitige Verständnismodell der Interventionsklage bestärkt den Schuldner bedauerlicherweise nicht darin, für die Abwehr unberechtigter Vollstreckungsmaßnahmen Sorge zu tragen. Im Gegenteil wird der Schuldner darin bestätigt, seine Verantwortung auf den Dritten abzuwälzen. Dies geschieht, obwohl der Dritte an der Zwangsvollstreckung nicht beteiligt ist. Für den Dritten stellt sich demzufolge die Frage, ob er gegenüber dem Gläubiger intervenieren möchte. Da dieser Weg unmittelbar zur Einstellung der Zwangsvollstreckung führt, ist die derzeitige Interventionsklage unverzichtbar. Sie mag demzufolge in der Vielzahl der Fälle den Königsweg darstellen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass sie nur einen verengten dinglichen Ausschnitt aus der nach materiellem Recht zur Verfügung stehenden Anspruchspalette im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem darstellt.
V. Rückführung der Interventionsklage auf die nach materiellem Recht gebotenen Klagen Die bisherigen Ausführungen veranschaulichen, weshalb es bis heute nicht gelungen ist, ein einheitliches Verständnismodell des § 771 ZPO zu entwickeln. Das Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem ist zu komplex, als dass es sich auf eine einzige Klage zurückführen ließe. Vielmehr ist nach den jeweiligen Schuldverhältnissen zu differenzieren. 354 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 64, macht geltend, § 771 ZPO bezwecke die Verhinderung weiterer Vollstreckung, weswegen der Schuldner mit dieser Klage nicht belangt werden könne. Grund und Ziel der Klage berührten ihn nicht. Die vorstehenden Überlegungen machen hingegen deutlich, dass die Zwangsvollstreckung zwangsläufig Auswirkungen auf sämtliche Beteiligten im Dreiecksverhältnis Gläubiger – Schuldner – Dritter hat.
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1. Negative Feststellungsklage des Schuldners gegen den Gläubiger Veranschaulicht man sich das Schuldverhältnis von Gläubiger und Schuldner als Keimzelle der in der Vollstreckung auftretenden Probleme, so ist die in diesem Schuldverhältnis erfolgende Pfändung als Anknüpfungspunkt zur Bewältigung von Konflikten mit Dritten zu wählen. Deren Rechte können nur insoweit betroffen sein, als dem Schuldner die notwendige Verfügungsberechtigung über den zu pfändenden Gegenstand fehlt. Geht es bei der Klage gemäß § 767 ZPO mithin um die Feststellung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung, so steht nunmehr die Berechtigung des Schuldners an dem Pfandobjekt in Streit. Nicht anders als im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage ist dabei auch hier die Stoßrichtung der gegen den Gläubiger gerichteten Feststellungsklage eine negative. Der Schuldner begehrt die Feststellung, dass er nicht verfügungsberechtigt ist. Er trägt dafür die Darlegungs- und Beweislast, da die Vermutungsregelung des § 808 ZPO gegen ihn streitet. Aus dem Streitgegenstand lässt sich unmittelbar der statthafte Klageantrag und der Tenor eines obsiegenden Urteils ableiten. Das Gericht hat festzustellen, dass dem Schuldner keine Verfügungsberechtigung über den genau zu bezeichnenden Gegenstand zusteht, die ihn zur Verpfändung berechtigen würde. Eine positive Feststellung der Berechtigung des betroffenen Dritten ist hingegen im Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger nicht erforderlich. Materiell-rechtlich begründet allein die fehlende Verfügungsberechtigung des Schuldners die Unwirksamkeit der Pfändung.355 2. Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsklage des Dritten gegen den Schuldner Das zweite Bindeglied in der Dreiecksbeziehung des Dritten mit dem Gläubiger stellt das Schuldverhältnis zwischen dem Dritten und dem Schuldner dar. Die dem Dritten gegen den Schuldner zustehenden Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsansprüche bleiben von der Zwangsvollstreckung unberührt. Statthafte Klageart ist demzufolge die allgemeine Leistungsklage.356 Ihr Streitgegenstand ist der vom Dritten behauptete Leistungsanspruch. Wählt man als dessen Prototyp den dinglichen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB, so wird unmittelbar der Zusammenhang mit der Feststellungsklage des Schuldners deutlich. Denn § 1004 355 Auch prozessual hat die Person des betroffenen Dritten keinerlei Einfluss auf das Feststellungsinteresse des Schuldners. Die Gefahr zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche bei Pfändung einer schuldnerfremden Sache ist unabhängig von der konkreten Person des Verfügungsberechtigten gegeben. In der weiteren Folge kann das Feststellungsinteresse auch schon vor Beginn der Zwangsvollstreckung zu bejahen sein, sofern diese Gefahr sich hinreichend deutlich abzeichnet. 356 Ausgerechnet hier will die h. M. aber die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zulassen, falls der Schuldner bestreitet, dass der gepfändete Gegenstand dem Dritten gehört, so Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VIII 1 b. Das bloße Feststellungsurteil hilft dem Dritten im Verhältnis zum Schuldner jedoch gerade nicht, da das Vollstreckungsorgan in diesem Schuldverhältnis nicht tätig wird. Die Vorlage des Urteils vermag daher gemäß §§ 775, 776 ZPO die Vollstreckung nicht zu stoppen.
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BGB setzt die Beeinträchtigung einer dinglichen Rechtsposition voraus. Diese ist dann gegeben, wenn dem Schuldner die Verfügungsberechtigung über den Pfandgegenstand fehlt. Der Streitgegenstand der dinglichen Unterlassungsklage umschließt folglich denjenigen der Feststellungsklage, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Denn der Dritte muss gegenüber dem Schuldner seine Rechtsstellung positiv darlegen und unter Beweis stellen.357 Klageantrag und Urteilstenor entsprechen dem eines allgemeinen Unterlassungsurteils. Der Schuldner wird zur Unterlassung der drohenden und bei Bedarf zur Beseitigung der bereits bestehenden Eigentumsbeeinträchtigung infolge der unberechtigten Pfändung verurteilt. Als Mittel zur Erfüllung dieses Anspruchs behält der Schuldner die Wahl zwischen der Befriedigung der Gläubigerforderung oder der Geltendmachung der ihm zur Verfügung stehenden Klage gegen den Gläubiger. 3. Positive Feststellungsklage des Dritten gegen den Gläubiger Nicht anders als die Unterlassungsklage des Dritten gegen den Schuldner beurteilt sich diejenige gegen den Gläubiger. Beide Klagen haben ihre Existenzberechtigung. Dies veranschaulicht der Vergleich mit der Situation der freiwilligen Verpfändung, an der Gläubiger und Schuldner zusammenwirken. Die Vollstreckung bewirkt einzig, dass dem Gläubiger die Handlungsbefugnis entzogen ist und sich die gegen ihn gerichtete Unterlassungsklage damit auf eine Feststellungsklage reduziert.358 Ihr Streitgegenstand bleibt aber die Frage nach der Rechtsinhaberschaft oder sonstigen Verfügungsberechtigung des Dritten an dem gepfändeten Gegenstand. Diese muss der Dritte auch gegenüber dem Gläubiger darlegen und unter Beweis stellen. Sie bildet das Spiegelbild zur fehlenden Verfügungsberechtigung des Schuldners. Demzufolge unterscheiden sich die Feststellungsklage des Schuldners und diejenige des Dritten gegen den Gläubiger nur hinsichtlich des Vorzeichens.359 Entsprechendes gilt für den Tenor des obsiegenden Urteils, in dem die Verfügungsberechtigung des Dritten an dem konkret zu bezeichnenden Vermögensgegenstand positiv festzustellen ist. 357 Prozessual empfiehlt sich daher ein Zwischenfeststellungsantrag zur Berechtigung des Dritten sowie eine Streitverkündung gegenüber dem Gläubiger. 358 Mit Recht weisen Picker, S. 74 ff., und ihm folgend Merrem, S. 53 ff., ausführlich auf die historischen Bezüge der Interventionsklage zur zivilen Negatoria hin. 359 Mit dieser Unterscheidung wird der Streit um das „Vorzeichen“ der Interventionsklage des Dritten gegen den Gläubiger hinfällig. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 V 1, hält beispielsweise die Nichtzugehörigkeit des Pfandobjekts zum Schuldnervermögen für maßgeblich, nicht hingegen die Zugehörigkeit zum Vermögen des klagenden Dritten. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass Gaul gemäß der allgemeinen Meinung dem Schuldner die Interventionsklage versagt. Mit der gegenteiligen Annahme entfällt hingegen die Not, die Kriterien bei der Interventionsklage des Dritten abzumildern. Denn die Beschränkung auf die Negation der Zugehörigkeit des Pfandobjekts ist nunmehr Gegensand der Interventionsklage des Schuldners. Der Dritte muss hingegen positiv sein Interventionsrecht darlegen und beweisen, da ihm ansonsten mangels rechtlicher Betroffenheit bereits das Feststellungsinteresse abzusprechen wäre.
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Die Nähe zur dinglichen Unterlassungsklage veranschaulicht im Weiteren, dass die Feststellungsklage des Dritten schon vor Beginn der Vollstreckung zulässig ist.360 Maßgebliches Kriterium ist allein die Frage des Feststellungsinteresses, das anhand der Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr zu bemessen ist. Die Regelung des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB entpuppt sich als Ausdruck des prozessualen Feststellungsinteresses.361 Der Übergang von der Interventionsklage zu der im Vorfeld angesiedelten Klage des Dritten gegen den Gläubiger auf Feststellung seiner Verfügungsberechtigung ist ein fließender.362
VI. Entflechtung des „Interventionsrechts“ Die eigentliche Diskussion in Rechtsprechung und Literatur im Bereich der Interventionsklage dreht sich um die Bestimmung des „die Veräußerung hindernden Rechts“ im Sinne des § 771 Abs. 1 ZPO.363 Diese Debatte lässt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen auf einige grundlegende Prinzipien des materiellen Zivilrechts zurückführen. 1. Die vergebliche Suche nach einer einheitlichen Begriffsbestimmung Gemäß § 771 Abs. 1 ZPO hat ein Dritter, der „an dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht“ geltend macht, die Interventionsklage bei dem Gericht geltend zu machen, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgt. Dieser Wortlaut des § 771 Abs. 1 ZPO ist insofern ungenau, als es kein dingliches Recht gibt, dass eine Veräußerung durch den Schuldner verhindern kann.364 Denn selbst im Falle seiner Nichtberechtigung ermöglichen die Vorschriften der §§ 892, 932 ff. BGB den gutgläubigen Eigentumserwerb. Die Rechtsprechung ist folglich dazu übergegangen, die Begriffsbestimmung danach vorzunehmen, ob der Schuldner selbst durch die rechtsgeschäftliche Verfügung 360 Nicht anders als im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage erweist sich auch hier die von der h. M. vorgenommene zeitliche Begrenzung der Interventionsklage als inkonsequent. Soweit nämlich die Zwangsvollstreckung auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet ist, soll der Dritte auch nach Ansicht der h. M. bereits gegen das unmittelbare Bevorstehen der Zwangsvollstreckung im Wege des § 771 Abs. 1 ZPO intervenieren können, so Henckel, AcP 1974, 97 (108); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 12; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 771, Rdnr. 58, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VII. Ablehnend hingegen wohl Prütting/Weth, JuS 1988, 505 (508). 361 S. dazu bereits die entsprechenden Ausführungen zur Vollstreckungsabwehrklage unter § 30 IV 9 d. 362 Dies mag nur für die hier vertretene Ansicht sprechen. Schon bei der Vollstreckungsabwehrklage hat sich gezeigt, dass die Begrenzung des Rechtsschutzinteresses auf den Zeitraum der Zwangsvollstreckung gekünstelt ist, s.o. § 30 IV 3. 363 Dazu ausführlich Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 46.4 ff., und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 41 IV. 364 So schon kritisch zum Wortlaut des § 771 Abs. 1 ZPO Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IV; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 771, Rdnr. 16; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 15, Fn. 96; Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 771, Rdnr. 13, und Schreiber, Jura 1992, 25 (32).
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über den Vollstreckungsgegenstand widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde.365 Das Recht des Dritten – so die Literatur – muss geeignet sein, die Zuordnung des Vermögensgegenstandes zum haftenden Vermögen des Schuldners auszuschließen oder zu beschränken.366 Die Klage diene daher demselben Zweck wie das Aussonderungsrecht in der Insolvenz. Für die Ermittlung dinglicher Rechtspositionen, namentlich für das Eigentum, bereiten die vorstehenden Definitionen keinerlei Probleme. Die Diskussion entzündet sich vielmehr an den „obligatorischen Interventionsrechten“ des Dritten.367 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Ansatz des Bundesgerichtshofs, der seine Begriffsbestimmung damit begründet, dass der Gläubiger in der Zwangsvollstreckung nicht mehr Rechte an dem Pfandgegenstand haben könne als der Schuldner. Soweit daher der Dritte den Schuldner an der Veräußerung hindern könne, solle er auch den Gläubiger davon abhalten können, den Vermögensgegenstand im Wege der Vollstreckung zu verwerten.368 Dieser begriffliche Ansatz in der Rechtsbeziehung zwischen Drittem und Schuldner ermöglicht es dem Bundesgerichtshof, auch rein schuldrechtliche Erwägungen bei der Bestimmung des Interventionsrechts des Dritten einfließen zu lassen. Um demgegenüber die schuldrechtlichen Verschaffungsansprüche, die kein Widerspruchsrecht begründen,369 auszuklammern, haben einzelne Literaturstimmen die oben angeführte engere Definition des Interventionsrechts vorgenommen. Beiden Ansichten gemeinsam ist der Ansatz, die schuldrechtlichen Herausgabeansprüche des Dritten gegen den Schuldner dem Interventionsrecht im Verhältnis zwischen dem Dritten und dem Gläubiger zuzuordnen. Diese Zuordnung unterliegt jedoch schwerwiegenden dogmatischen Bedenken. Zudem widerspricht sie der Entstehungsgeschichte der Interventionsklage.370 365
BGHZ 55, 20 (16); 72, 141 (145). Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IV, und ähnlich Henckel, JuS 1985, 836 (836). 367 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VI 7, bezeichnet dies als die Kardinalfrage bei der Bestimmung des sogenannten Interventionsrechts. 368 BGHZ 55, 20 (16); 72, 141 (145). 369 Dies hängt damit zusammen, dass der Leistungsgegenstand hier noch zum Schuldnervermögen gehört, RGZ 84, 214 (216); 127, 8 (9); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VI 7, und Baur/ Stürner/Bruns, Rdnr. 46.12. Sehr illustrativ sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Picker, S.471, der die Ausklammerung der Verschaffungsansprüche historisch erklärt. Da die Interventionsklage immer nur den Zweck verfolgte, den Eigentumsschutz zu verstärken, und lediglich zu diesem Zweck die Klageberechtigung auch auf den Sachwalter ausgedehnt wurde, schied ein Schutz des eigeninteressierten Inhabers eines Verschaffungsanspruchs von vornherein aus. 370 Picker, S.434, hat im Detail nachgewiesen, dass die Ausdehnung des Interventionsrechts auf obligatorische Herausgabeansprüche nicht das Werk der Rechtswissenschaft, sondern der Rechtspraxis war. Sie bezweckte, der Verkomplizierung des Warenhandels Rechnung zu tragen. Dabei verfolgte die Anerkennung der Klagebefugnis zunächst allein den Zweck, den Eigentumsschutz zu verstärken. Der obligatorisch Berechtigte sollte lediglich als Sachwalter des Eigentümers zur Klage berechtigt sein, Picker, S. 469. Diese Trennung von materieller Rechtsinhaberschaft und Prozessführungsbefugnis, die heute im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft allgemein akzeptiert ist, war dem gemeinen Recht hingegen noch fremd, Picker, S. 470 f. Dies führte zu der bedauerlichen Konsequenz, dass der Bezug des Interventionsrechts zur dinglichen Rechtsinhaberschaft mehr und mehr in Vergessenheit geriet. 366
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2. Das „Interventionsrecht“ als oberflächlicher Sammelbegriff Der zuvor geschilderte Ansatz des Bundesgerichtshofs macht deutlich, dass Rechtsprechung und Literatur letztlich den Versuch unternehmen, die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Dritten und dem Schuldner in das Interventionsrecht des Dritten gegenüber dem Gläubiger zu kolportieren. Diese Vorgehensweise ähnelt aus dogmatischer Sicht dem Versuch der Quadratur des Kreises. Denn das Trennungs- und Abstraktionsprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuchs verbietet aus materiell-rechtlicher Sicht eine Verquickung von schuldund sachenrechtlicher Ebene. Das Interventionsrecht des Dritten berührt allein die zuletzt genannte sachenrechtliche Ebene, da es gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 771 Abs. 1 ZPO auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Drittem und dem Gläubiger, nicht aber auf die Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger zugeschnitten ist. Mangels eines diesbezüglichen Schuldverhältnisses muss sich das Interventionsrecht des Dritten auf die Geltendmachung dinglicher Rechtsposition beschränken.371 Rechtsprechung und Literatur untergraben diese nach materiellem Recht vorgegebenen Weichenstellungen, indem sie die schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen des Schuldners zum Gläubiger in das in § 771 Abs. 1 ZPO angesprochene Beziehungsgeflecht einfließen lassen. Diese Vorgehensweise macht eine einheitliche Begriffsbestimmung unmöglich, da die Trennung der schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen aufgehoben und mit der dinglichen Anspruchsebene vermengt wird. Auf diesem Weg verliert der in § 771 Abs. 1 ZPO verwendete Begriff des „die Veräußerung hindernden Rechts“ jegliche rechtliche Konturen. Er reduziert sich auf die oberflächliche Umschreibung einer Vielzahl heterogener Problemstellungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem. Eine eigene Aussagekraft kann ihm nicht zugemessen werden, will man nicht mit den materiell-rechtlichen Prinzipien brechen.372 Dass dies nicht bezweckt war, belegt ein Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte der Zivilprozessordnung. Denn zum einen waren dem Gesetzgeber der Zivilprozessordnung die Regelungen des erst drei Jahrzehnte später in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuchs noch unbekannt. Zum anderen verfügte der Gesetzgeber nicht über die Befugnis, im öffentlichen Prozessrecht eigenständige zivilrechtliche Prinzipien aufzustellen. Es erscheint daher als verfehlt, dem Gesetzgeber unterstellen zu wollen, er habe die Lösung der komplexen Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem allein anhand der begrifflichen Fixierung eines sogenannten „Interventionsrechts“ vornehmen wollen.
371
S.o. II 2 c und III 2. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2, behauptet das Gegenteil: „Mit der Einbeziehung der Rückforderungsrechte greift die Widerspruchsklage zweifellos weiter. Das bedeutet aber keine Aufgabe ihrer materiell-rechtlichen Grundlage.“ Eine Begründung bleibt Gaul hingegen schuldig. 372
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3. Begriffliche Konkretisierung des „Interventionsrechts“ Die Hauptschwierigkeit bei der Begriffsbestimmung des Interventionsrechts liegt darin, dass Rechtsprechung und Literatur das Dreiecksverhältnis Gläubiger – Schuldner – Dritter unnötig auf das Rechtsverhältnis zwischen Drittem und Gläubiger abbilden wollen. Diese Fokussierung zwingt in der weiteren Folge zu einem dogmatisch fragwürdigen Befreiungsschlag, indem unter Aufgabe des Trennungs- und Abstraktionsprinzips der Begriff des dinglichen Interventionsrechts auf obligatorische Interventionsansprüche ausgedehnt wird.373 Bei der Suche nach einem Ausweg aus dieser dogmatischen Sackgasse ist daher in umgekehrter Stoßrichtung zu verfahren. a) Verlagerung der „obligatorischen Interventionsrechte“ auf die Schuldverhältnisse Zur Lösung der auftretenden Probleme ist in einem ersten Schritt die grundlegende Weichenstellung im Vorfeld der derzeitigen Diskussion zu überdenken. Die Analyse des § 771 ZPO hat ergeben, dass die in Absatz 1 angesprochene Klagemöglichkeit des Dritten nicht als ausschließlich zu verstehen ist. Diese Feststellung ermöglicht eine Erweiterung des Blickwinkels, indem zu der Interventionsklage gemäß § 771 Abs. 1 ZPO zwei weitere „Interventionsklagen“ in den jeweiligen Vertragsbeziehungen hinzutreten. Dem Schuldner steht der Weg frei für eine eigene Feststellungsklage gegen den Gläubiger; der Dritte seinerseits kann den Schuldner auf Störungsbeseitigung im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage in Anspruch nehmen. Auf dieser Ebene begegnet die Annahme eines „schuldrechtlichen Interventionsrechts“ keinerlei Bedenken. Handelt es sich doch schlicht um die nach materiellem Recht gegebenen schuldrechtlichen Abwehransprüche. Dass sich deren Voraussetzungen an den jeweiligen Vertragsbeziehungen zu messen haben, stellt nach materiellem Recht keine neue Erkenntnis dar.374 b) Konturierung des „Interventionsrechts“ als Spiegelbild der fehlenden Verfügungsbefugnis Die Erweiterung des Blickwinkels auf die maßgeblichen Schuldverhältnisse im Dreiecksverhältnis ermöglicht in einem zweiten Schritt eine Konkretisierung des in § 771 Abs. 1 ZPO angesprochenen Interventionsrechts des Dritten gegenüber dem Gläubiger. Da die „obligatorischen Interventionsrechte“ bereits auf der vertraglichen Ebene Berücksichtigung finden, entfällt der Druck für die Gewährung gleichlautender Interventionsrechte im Verhältnis zwischen Drittem und Gläubi373
Der Begriff des „obligatorischen Interventionsrechts“ ist insofern ein Widerspruch in sich
selbst. 374 Dieser Einsicht verschließt sich hingegen das derzeitige Verständnismodell des § 771 ZPO, das die Betrachtung auf das Rechtsverhältnis zwischen Drittem und Gläubiger einengt und damit dem Schuldner jegliches eigenes Interventionsrecht versagt.
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ger.375 Die Versagung obligatorischer Interventionsrechte führt für den Dritten nicht mehr in die dogmatische Sackgasse, sondern verweist ihn auf den nach materiellem Recht vorgezeichneten Weg über die jeweiligen Schuldverhältnisse. Umgekehrt besteht Gelegenheit, den Begriff des „die Veräußerung hindernden Rechts“ in Übereinstimmung mit dem materiellen Zivilrecht auf die dingliche Anspruchsebene zu beschränken. Die in § 771 Abs. 1 ZPO gewählte Formulierung spiegelt dann die fehlende dingliche Verfügungsberechtigung des Schuldners über das Pfandobjekt wider. Zu diesem Mangel in der Verfügungsberechtigung des Schuldners korrespondiert die dingliche Rechtsposition in der Person des Dritten, die durch eine Verfügung des Schuldners beeinträchtigt würde. Diese Rechtsposition bezeichnet § 771 Abs. 1 ZPO als „die Veräußerung hinderndes Recht“. Der Begriff rekurriert mithin auf das sachenrechtliche Prinzip, dass im Falle der Verfügung eines Nichtberechtigten dem Berechtigten ein dinglicher Unterlassungsanspruch zusteht. Gesetzliche Grundlage ist die Vorschrift des § 1004 BGB, die über die entsprechenden Verweisungen auch für die beschränkt dinglichen Rechtspositionen zur Anwendung kommt.376 Gegen eine dingliche Fixierung des Interventionsrechts könnte eingewandt werden, dass sie den „obligatorisch berechtigten“ Dritten unangemessen benachteilige, indem sie ihn auf die Geltendmachung seiner Ansprüche gegen den Schuldner verweise und ihm eine unmittelbare Intervention gegenüber dem vollstreckenden Gläubiger versage. Diese Konsequenz entspricht aber schlicht den grundlegenden Wertungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen. Veranschaulicht wird dies durch die Parallele zu dem Fall der freiwilligen Verpfändung des nichtberechtigten Schuldners an den Gläubiger.377 Lediglich der dinglich berechtigte Dritte ist hier zur „Intervention“ in
375 Zugleich ist damit der von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2, mit der h. M. erhobene Vorwurf gegenüber früheren Tendenzen, dem obligatorisch berechtigten Dritten die Interventionsbefugnis gänzlich zu versagen, entschärft. Diesen älteren Stimmen von Falkmann/Mugdan, S. 429 ff., ist in Bezug auf das Verhältnis des Dritten zum Gläubiger nur zuzustimmen. Ablehnend äußert sich auch Picker, S. 47 ff., 460 ff., der dem obligatorisch Berechtigten im Wege der Prozessstandschaft zum Ziel verhilft. Entgegen Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2, der dies für eine „gekünstelte Konstruktion“ erachtet, zeigt Picker auf prozessualer Ebene geeignete Wege auf, um dem Eigentümer und dem obligatorisch Berechtigten die Prozessführung zu erleichtern. Der Eigentümer kann den Prozess an den obligatorisch Berechtigten, den im Innenverhältnis regelmäßig die Verantwortung für die Rückführung der Sache trifft, delegieren. Diese Lösung entspricht – wie Picker im Einzelnen nachweist – den ursprünglichen gesetzgeberischen Motiven, die Interventionsklage in Übereinstimmung mit den materiell-rechtlichen Gegebenheiten auf den dinglich Berechtigten zu beschränken. Die Prozessstandschaft muss allerdings aufgedeckt werden. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 4, Fn. 24, weist diesbezüglich mit Recht darauf hin, dass eine aus § 771 ZPO abzuleitende „verdeckte“ Prozessstandschaft mit dem Prozessrecht nicht vereinbar wäre. 376 Aus gutem Grund ist die französische contestation betreffend das Eigentum, die ansatzweise mit der deutschen Interventionsklage vergleichbar ist, mit der Geltendmachung einer Dritteigentümerstellung verknüpft. Das Gesetz spricht explizit vom Eigentum, D.Art. 127. Näher dazu Traichel, S. 68 f. 377 S.o. II 2 und III 2.
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Form der dinglichen Unterlassungsklage gegenüber dem Gläubiger berechtigt, nicht aber der bloß obligatorisch berechtigte Dritte.378 Die damit einhergehende Einschränkung des Interventionsrechts führt mithin nicht zu einer Benachteiligung des obligatorisch Berechtigten. Im Gegenteil bewirkt das derzeitige Verständnismodell des § 771 ZPO eine unberechtigte Privilegierung des obligatorisch Berechtigten, indem ihm in der Zwangsvollstreckung über das materielle Recht hinaus weitergehende „Interventionsrechte“, d.h. Unterlassungsansprüche, zugesprochen werden. Eine derartige Geltendmachung schuldrechtlicher Ansprüche gegenüber Dritten ist mit dem materiellen Zivilrecht unvereinbar. 4. Der „obligatorisch Berechtigte“ bei Besitzmittlungsverhältnissen Die derzeitige Ausklammerung der schuldrechtlichen Interventionsklagen aus § 771 ZPO führt in der Praxis kaum zu spürbaren Beeinträchtigungen, weil der betroffene Dritte zumeist den durch § 771 Abs. 1 ZPO vorgezeichneten Weg der Interventionsklage gegen den Gläubiger beschreitet. Da es sich bei dem geltend gemachten „Interventionsrecht“ zudem in der Regel um eine dingliche Rechtsposition handelt, treten keine Unterschiede zu dem vorstehend entwickelten Verständnismodell auf. Deutlich bemerkbar machen sich hingegen die Abweichungen im Falle der „obligatorischen Interventionsrechte“. Das klassische Drei-Personen-Verhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem wird hier durch eine weitere Person erweitert. Es handelt sich typischerweise um Besitzmittlungsverhältnisse, bei denen der Eigentümer seine Sache vermietet, der Mieter sie dem Schuldner ausleiht und bei dieser Gelegenheit der Gläubiger die Pfändung vornimmt. Hier kommen als „Dritter“ einer Interventionsklage gemäß § 771 Abs. 1 ZPO sowohl der Eigentümer als auch der Verleiher (Mieter) in Betracht. Eine Interventionsklage des Eigentümers gegen den Gläubiger gemäß § 771 Abs. 1 ZPO erweist sich als unproblematisch. Es handelt sich um die Geltendmachung des dinglichen Vollrechts, das mit der fehlenden Verfügungsbefugnis des Schuldners korrespondiert. Abgeschnitten wird dem Eigentümer nach dem bisherigen Ausschließlichkeitsverständnis des § 771 ZPO lediglich die Geltendmachung seines dinglichen Unterlassungsanspruchs gegenüber dem Schuldner. Wesentlich bedeutsamer werden die auftretenden Unterschiede bei der Frage, welche Klagemöglichkeit dem weiterverleihenden Mieter zur Verfügung stehen. Rechtsprechung und Literatur wollen ihm ebenfalls die Interventionsklage gegen den Gläubiger zusprechen.379 Fraglich ist dabei, welche Rechtsposition den Verleiher (Mieter) zur Klage gegenüber dem Gläubiger berechtigen soll.
378 Dem dinglich Berechtigten steht es aber jederzeit frei, den obligatorisch Berechtigten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft zur Prozessführung gegenüber dem Gläubiger zu ermächtigen. Diese Lösung entspricht zudem der Entstehungsgeschichte der Interventionsklage, wie Picker, S. 469 ff., im Einzelnen nachgewiesen hat. 379 RGZ 84, 214 (215 f.); 127, 8 (9), sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VI 7.
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a) Abwicklung des „obligatorischen Interventionsrechts“ nach Maßgabe der Schuldverhältnisse Rechtsprechung und Literatur sprechen dem Inhaber eines schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs ein eigenes Interventionsrecht gegenüber dem Gläubiger zu. Im Ergebnis wird damit der Dritte aufgrund seines schuldrechtlichen Anspruchs gegen den Schuldner zugleich zum Einschreiten gegenüber dem Gläubiger ermächtigt. Dem Dritten wird letztendlich ein dinglicher Unterlassungsanspruch zugesprochen, den es nach materiellem Recht nicht gibt. Im Falle der freiwilligen Verpfändung des Pfandobjekts durch den Schuldner wäre der Dritte auf die Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber dem Schuldner beschränkt. Weshalb sich diese Situation im Rahmen der Zwangsvollstreckung anders darstellen soll, ist nicht einsichtig.380 Der Gläubiger sieht sich nunmehr einer Interventionsklage sowohl des Eigentümers als auch des weiterverleihenden Mieters ausgesetzt. Gleichsam als Kompensation für diese doppelte Inanspruchnahme bleibt er hingegen vor einer Intervention seines eigentlichen Vertragspartners, des Schuldners, verschont. Hier scheint aus materieller Sicht eine dringende Kurskorrektur geboten. Die Spannungen, die sich aus der Gewährung eines obligatorischen Interventionsrechts ohne zugrundeliegendes Schuldverhältnis ergeben, veranschaulicht eine prozessuale Betrachtung der Interventionsklage. Ihre Charakterisierung als allgemeine Feststellungsklage macht deutlich, dass sich hinter dem derzeitigen Zulässigkeitskriterium des besonderen Rechtsschutzinteresses nichts anderes verbirgt als das allgemeine Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Dieses wiederum setzt das Bestehen eines Rechtsverhältnisses voraus, das in den hier maßgeblichen Fallkonstellationen zwischen dem obligatorisch Berechtigten und dem Gläubiger fehlt. Die Interventionsklage des Dritten gegen den Gläubiger wäre daher bereits als unzulässig abzuweisen, soweit der Dritte sich nur auf seine schuldrechtlichen Herausgabeansprüche gegenüber dem Schuldner berufen könnte. In einer Gesamtbewertung sind damit die Fallvarianten der „obligatorischen Interventionsrechte“ schlicht nach Maßgabe der zivilrechtlichen Grundsätze zur Abwicklung von Mehr-Personen-Verhältnissen zu lösen. Auf schuldrechtlicher Ebene hat jeder Betroffene seine Ansprüche gegenüber seinem Vertragspartner geltend zu machen. In der Kette von Eigentümer, Drittem, Schuldner und Gläubiger bedeutet dies, dass der Schuldner gegenüber dem Gläubiger intervenieren kann, der Dritte den Schuldner dazu verpflichten kann und der Eigentümer sei380 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2, führt demgegenüber kategorisch aus: „Daß die Kollision von Forderungsrechten unter dem Gesichtspunkt des ,besseren Rechts‘ im materiellen Recht keine Entsprechung findet, sollte nicht befremden, da das Problem erst durch den Vollstreckungszugriff auf schuldnerfremdes Vermögen ausgelöst wird.“ Dass die Fallkonstellation im Falle der freiwilligen Verpfändung, d.h. außerhalb der Zwangsvollstreckung, nicht anders zu bewerten ist, belegen die vorstehenden Ausführungen. Der derzeitige Widerspruch zur materiellen Rechtslage ist daher nicht zu leugnen.
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nerseits den Dritten zum Einschreiten gegenüber dem Schuldner anhalten kann.381 Nur so lässt sich gewährleisten, dass auf vertraglicher Ebene niemandem seine Einreden abgeschnitten oder fremde Einreden aufgezwungen werden und insbesondere kein fremdes Insolvenzrisiko angelastet wird. Unabhängig davon bleibt es dem Eigentümer auf dinglicher Ebene unbenommen, auf direktem Wege gegenüber dem Gläubiger zu intervenieren. b) Mittelbarer Besitz des Dritten als dingliches Interventionsrecht? Als Anknüpfungspunkt für ein dingliches Interventionsrecht des weiter verleihenden Mieters bleibt in Fällen der vorbezeichneten Art dessen mittelbare Besitzposition. So gewährt § 869 BGB dem mittelbaren Besitzer gegenüber dem Besitzstörer einen eigenen Herausgabeanspruch.382 Dieser könnte Anknüpfungspunkt für eine direkte Intervention des Verleihers gegenüber dem Gläubiger sein.383 Gegen eine derartige Annahme sprechen jedoch die Voraussetzungen des § 869 BGB. Der Anspruch des mittelbaren Besitzers setzt eine verbotene Eigenmacht, § 858 Abs. 1 BGB, gegenüber dem unmittelbaren Besitzer voraus. Der Gerichtsvollzieher – und mithin der Gläubiger – erlangt hingegen bei der Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sache rechtmäßigen Besitz, da das Schuldnereigentum gemäß § 808 ZPO nicht Voraussetzung für die Pfändung 381 Das eigentliche materiell-rechtliche Problem, das damit verbleibt, stellt sich auf schuldrechtlicher Ebene. Hier ist die Frage zu beantworten, ob die vertragliche Nebenpflicht zur Nichtschädigung des jeweiligen Vertragspartners einen klagbaren Abwehranspruch des Schuldners gegen den Gläubiger begründet. S. dazu ausführlich oben unter II 2 a. 382 Der Herausgabeanspruch des mittelbaren Besitzers aus § 869 BGB erscheint schon aus materiell-rechtlicher Sicht sehr fragwürdig, da er nicht als originärer Anspruch ausgestattet ist, wie es bei einem dinglichen Anspruch eigentlich zu erwarten wäre. Der Anspruch knüpft vielmehr an einen Anspruch des unmittelbaren Besitzers aus §§ 861, 862 BGB an. Diese derivative Rechtsnatur erklärt, weshalb der Anspruch aus § 869 BGB eine verbotene Eigenmacht gegenüber dem unmittelbaren Besitzer voraussetzt. Das Erfordernis wird damit begründet, dass der mittelbare Besitzer über keine Sachherrschaft an der Sache verfüge und der mittelbare Besitz auf dem Rechtsverhältnis mit dem unmittelbaren Besitzer beruhe, Bassenge, in: Palandt, § 868, Rdnr. 1; § 869, Rdnr. 1. Dieser unmittelbar aus § 868 BGB abzulesende Bezug veranschaulicht aber, dass es sich bei § 869 BGB im Ergebnis um die Geltendmachung einer schuldrechtlichen Rechtsposition gegenüber dem unmittelbaren Besitzer handelt (ebenso Jauernig, § 13 IV 1 c; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 16 III 1 g; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.11; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 35, sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IV 6, die dann allerdings mit der allgemeinen Meinung ein obligatorisches Interventionsrecht bejahen und demzufolge die Streitfrage um das aus § 869 BGB abgeleitete Interventionsrecht für unerheblich halten). Die Regelung des § 869 BGB setzt sich damit letztlich derselben Kritik aus, die an der Regelung des § 771 ZPO nach derzeitiger Prägung geübt worden ist: Schuldrechtliche Ansprüche werden unter Durchbrechung der zivilrechtlichen Maximen in den Stand einer dinglichen Rechtsposition erhoben. Die Rechtsfigur des mittelbaren Besitzes dürfte es daher eigentlich gar nicht geben. Ist der mittelbare Besitzer einer Sache nicht zugleich deren Eigentümer, so stehen ihm bei Besitzstörungen durch Dritte nur Ansprüche gegen seine Vertragspartner, d.h. den Eigentümer und den Schuldner, zu, nicht hingegen unmittelbar gegen den Dritten. Der mittelbare Besitzer kann sich allenfalls Abwehransprüche des Eigentümers oder des Schuldners abtreten lassen, um auf diesem Wege direkt gegen den Störer vorgehen zu können. 383 So etwa Arwed Blomeyer, AcP 1965, 481 (486). Dagegen Picker, S. 421 ff., 476.
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ist.384 Das Vollstreckungsrecht knüpft vielmehr im Wege des Anscheinsbeweises an die Besitzverhältnisse an. Mit der Inhaberschaft des Besitzes wird gemäß § 808 ZPO zugleich die Inhaberschaft des Eigentums vermutet.385 Will der Dritte diese Vermutung widerlegen, muss er sein Eigentum darlegen und unter Beweis stellen. Zugleich verlieren dann aber die Besitzverhältnisse ihre Bedeutung. Denn Grundlage der wirksamen Verpfändung ist das (vermutete) Eigentum und nicht der Besitz des Schuldners. Somit stellen die §§ 808, 809 ZPO auf der Ebene der formalisierten Zwangsvollstreckung gleichsam spezielle Vermutungstatbestände auf, die den materiell-rechtlichen Besitzansprüchen vorgehen. Auf der materiellrechtlichen Ebene verdrängt die Frage des Eigentums bzw. der dinglichen Verfügungsberechtigung vollends etwaige Besitzansprüche. Diese sind für die Frage der Verwertung des Pfandgegenstandes ohne Belang. Dies belegen einerseits die §§ 929 ff. BGB, die die Veräußerung einer beweglichen Sache selbst dann zulassen, wenn diese sich nicht im unmittelbaren Besitz des Veräußerers befinden. Zum anderen ist dem Schuldner die Geltendmachung einer gesonderten Besitzbeeinträchtigung durch die Wegnahme des gemieteten Pfandobjekts deshalb verwehrt, weil er mit seinem gesamten Vermögen, d.h. auch mit seinen Besitzrechten, dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Da dem Schuldner mithin ein Besitzanspruch aus §§ 861, 862 BGB versagt ist, stehen auch dem weiterverleihenden Mieter gegen den Gläubiger keinerlei Ansprüche aus § 869 BGB zu.386
VII. Rückführung der Kasuistik zu den „Duldungspflichten“ des Dritten Rechtsprechung und Literatur haben im Zusammenhang mit der Interventionsklage eine weitreichende Kasuistik zu den sogenannten Duldungspflichten des Dritten entwickelt.387 Es handelt sich um Fälle, in denen dem Dritten zwar ein Interventionsrecht zusteht, dessen Geltendmachung aber zu unbilligen Ergebnissen führen würde, weil der Dritte aufgrund besonderer Umstände zur Duldung der Vollstreckung verpflichtet erscheint. In diesem Bereich wird der Rechtsgedanke des § 242 BGB bemüht, um dem Dritten die Intervention zu versagen.388 384 Ebenso Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2. Zur fehlenden verbotenen Eigenmacht schon RGZ 116, 363 (365 f.), und Münzberg/Brehm, in: Festschrift für Baur, S. 517 (520 f.). 385 In der weiteren Folge liegt auch keine verbotene Eigenmacht des Gläubigers vor, der die Zwangsvollstreckung beantragt hat. Diesbezüglich hat Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2, bereits darauf aufmerksam gemacht, dass eine „mittelbare Täterschaft“ ausgeschlossen ist, da dem Vollstreckungsorgan die Auswahl der Pfandgegenstände obliegt. S. dazu auch schon die Ausführungen zu den engen Grenzen der Dispositionsfreiheit des Gläubigers im zweiten Teil unter § 8 III 3 und V 5. 386 Selbst wenn man daher unter Ausblendung des staatlichen Gewaltmonopols eine Besitzstörung des Schuldners durch den Gläubiger bejahen wollte, wären Ansprüche aus § 869 BGB wegen der Schuldnerstellung des unmittelbaren Besitzers ausgeschlossen. 387 Näher dazu Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnrn. 56 ff., und Brox/Walker, Rdnrn. 1430 ff. 388 Lackmann, in: Musielak, § 771, Rdnr. 33. Ausführlich dazu Büchler, S. 3 ff.
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Die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme lassen sich vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen auf bekannte materielle und zivilprozessuale Denkmuster zurückführen. Dies soll abschließend anhand der drei typischen Fallkonstellationen, die in diesem Zusammenhang auftreten, gezeigt werden. 1. Erste Fallgruppe: Vorrangiges Recht des Gläubigers Wenn dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger ein Pfandrecht an der Sache zusteht, das dem Recht des Dritten im Range vorgeht, soll der Dritte die Vollstreckung trotz des ihm zustehenden Interventionsrechts dulden müssen.389 Bei dieser Aussage ist sorgfältig zwischen dem schon bestehenden Gläubigerrecht und dem zu begründenden Pfändungspfandrecht zu unterscheiden. a) Bejahung des Interventionsrechts bezüglich des zu begründenden Pfändungspfandrechts Als Einwendung des Gläubigers gegenüber dem Interventionsrecht des Dritten kann das erst noch zu begründende Pfändungspfandrecht nicht dienen, da es dem Interventionsrecht im Range nachsteht. Rechtsprechung und Literatur ziehen daraus jedoch nicht den Schluss, die Interventionsklage bezüglich der anstehenden Pfändung für begründet zu erklären, sondern weisen diese für den Fall, dass dem Gläubiger ein vorrangiges Recht zusteht, gänzlich ab.390 Diese Vorgehensweise trägt dem Prioritätsprinzip nur eingeschränkt Rechnung, da sie nicht ausreichend zwischen den konkurrierenden dinglichen Rechtspositionen differenziert. Soweit sich die Intervention des Dritten gegen die (erneute) Pfändung des Vermögensgegenstandes richtet, ist das Vorgehen des Dritten begründet. Denn diesbezüglich stünde ihm – unter Ausblendung des staatlichen Gewaltmonopols – aus § 1004 BGB sowohl gegen den Schuldner als auch gegen den Gläubiger ein dinglicher Unterlassungsanspruch zu.391 Das vorrangige anderweitige Recht des Gläubigers zwingt den Dritten nicht zur Duldung der erneuten Pfändung. Gemäß § 1004 Abs. 2 BGB ist dieser lediglich verpflichtet, die Geltendmachung des vorrangigen Rechts zu dulden.
389 RGZ 81, 146 (150); 143, 275 (277); Brox/Walker, Rdnr. 1436; dies., JA 1986, 113 (119); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IX 3, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.19. 390 Lackmann, in: Musielak, § 771, Rdnr. 33, und Brox/Walker, Rdnr. 1436. 391 Im Falle des Eigentums des Dritten käme § 1004 BGB direkt zur Anwendung, im Falle eines sonstigen beschränkten dinglichen Rechts käme die Vorschrift über die Verweisungsnormen (zum Beispiel § 1227 BGB) entsprechend zur Anwendung. Der Dritte könnte sich dann allerdings nicht gegen die erneute Pfandrechtsbestellung zur Wehr setzen, die sein vorrangiges Pfandrecht nicht berührt, sondern nur gegen eine darauf gestützte Verwertung. So in anderem Zusammenhang schon Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 1.
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b) Verneinung des Interventionsrechts bezüglich des bereits bestehenden Vorrechts Von dem zu begründenden Pfändungspfandrecht zu unterscheiden ist das bestehende vorrangige Gläubigerrecht. Soweit dessen Geltendmachung in Form der Verwertung des Vermögensgegenstandes Inhalt des Klageverfahrens wird, ist dem Dritten ein Interventionsrecht zu versagen. Dies ergibt sich ebenfalls aus der Regelung des § 1004 Abs. 2 BGB. Die diesbezügliche Priorität des Gläubigerrechts schließt eine Unterlassungsklage des Dritten aus. Dabei handelt es sich nach der hier vertretenen Ansicht nicht mehr um eine Klage gemäß § 771 ZPO, da Streitgegenstand nicht die Pfändung, sondern die Verwertung eines bereits bestehenden Pfandrechts ist. Der Verwertungsvorgang ist rein privatrechtlich zu beurteilen, da sich die staatliche Gewaltanwendung auf die Pfändung beschränkt.392 Wollte sich der Dritte daher gegen die Verwertung des Vorrechts des Gläubigers zur Wehr setzen, so müsste er im Wege der Unterlassungsklage vorgehen. Die angestellten Überlegungen machen deutlich, dass bei der Fallkonstellation des vorrangigen Gläubigerrechts sorgfältig zwischen den dinglichen Rechtspositionen zu unterscheiden ist, gegen die sich der Dritte zur Wehr setzen möchte. Rechtsprechung und Literatur nehmen eine verengte Betrachtung vor, indem sie versuchen, die unterschiedlichen Klagemöglichkeiten in das „Raster“ des § 771 ZPO einzuzwängen. 2. Zweite Fallgruppe: Schuldrechtliche Rückgewährverpflichtung des Dritten Eine zweite Fallgruppe von Duldungspflichten des Dritten stellen die Konstellationen dar, bei denen der Dritte gegenüber dem Schuldner zur Rückgewähr des gepfändeten Gegenstandes verpflichtet ist. Grund für diese Rückgewährverpflichtung kann ein Bereicherungsanspruch393 oder ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch sein. Hinzuzuzählen sind die Fälle des ablösbaren Sicherungseigentums und der anfechtbaren Rechtsgeschäfte zwischen dem Schuldner und dem Dritten.394 All diesen Fällen gemeinsam ist, dass der Dritte sich zwar gegenüber dem Gläubiger auf eine dingliche Rechtsposition berufen kann, diese aber nicht in Übereinstimmung mit den schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen steht. a) Die unzulässige Vorwegnahme der Erfüllung In der zuvor skizzierten Situation vernachlässigen Rechtsprechung und Literatur die Vorgaben des Vollstreckungsrechts, indem sie unter Berufung auf § 242 BGB den Dritten zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichten. Dieser müsse 392
S.o. § 17 IV 1. So insbesondere Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 57, für den Fall der Nichtigkeit im Verhältnis zwischen Drittem und Schuldner. 394 Brox/Walker, Rdnrn. 1433 ff.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 771, Rdnr. 10, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IX 1. 393
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sich so behandeln lassen, als ob der Schuldner Inhaber des Interventionsrechts wäre. Das Erfordernis einer gesonderten (Wider-)Klage des Gläubigers gegen den Dritten stelle eine unnötige Förmelei dar.395 Mit dieser Argumentation nehmen Rechtsprechung und Literatur die Erfüllung der Rückgewährverpflichtung des Dritten gegenüber dem Schuldner vorweg. Die „Erzwingung“ eines derartigen Rechtsgeschäfts ohne Vollstreckungstitel des Schuldners gegen den Dritten erscheint aber schon vollstreckungsrechtlich mehr als bedenklich.396 b) Die Vernachlässigung der Vorschriften in Rückgewähransprüche Die Vernachlässigung des Titelerfordernisses im Verhältnis zwischen Schuldner und Drittem erklärt sich aus einer zweiten Begründungsschwäche der h. M. Es wird übersehen, dass es sich vorliegend um eine Fallvariante handelt, die nicht den Regelungen zur reinen Sachpfändung zuzuordnen ist, sondern den Vorschriften zur Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Herausgabe- und Leistungsansprüche. Die enge Schnittstelle zwischen den §§ 808 ff. ZPO und den §§ 846 ff. ZPO ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Umstand, dass der Anspruch des Schuldners gegen den Dritten auf Herausgabe und Leistung, d.h. auf (Rück-)Übereignung des Vermögensgegenstandes,397 teilweise bereits dadurch erfüllt ist, dass der Schuldner sich im Besitz der Sache befindet, ohne aber schon Eigentümer geworden zu sein. Der Besitz des Schuldners eröffnet wiederum gemäß § 808 ZPO die Tür zur Sachpfändung. Materiell-rechtlich trifft die mit § 808 ZPO verbundene Eigentumsvermutung jedoch nicht zu. Der Schuldner ist (noch) nicht Eigentümer des Gegenstandes, sondern lediglich Inhaber eines schuldrechtlichen Rückübereignungsanspruchs. Dieser ist daher alleiniger Anknüpfungspunkt für eine mögliche Geldvollstreckung, die sich demzufolge an den §§ 846 ff. ZPO zu orientieren hat. Ist die Lösung der vorliegenden Fallkonstellation im Wege der Vorschriften zur Geldvollstreckung in Herausgabe- und Leistungsansprüche zu suchen, so muss der Gläubiger sich die Rückgewähransprüche des Schuldners gegen den Dritten pfänden und überweisen lassen. Kommt der Dritte sodann seiner Verpflichtung zur Rückgewähr nicht freiwillig nach, so ist der Gläubiger gezwungen, gegen den Dritten im Klagewege vorzugehen. Im Falle des Obsiegens ist eine gesonderte Vollstreckung des ergehenden Titels nicht mehr erforderlich, da sich der Vermögensgegenstand aufgrund der erfolgten Sachpfändung bereits beim Schuldner bzw. Gerichtsvollzieher befindet und die Abgabe der Übereignungserklärung des Dritten gemäß § 894 ZPO fingiert wird. Damit tritt im Wege 395 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 771, Rdnr. 10, und Lackmann, in: Musielak, § 771, Rdnr. 33. 396 In der weiteren Konsequenz führt die letztlich fingierte Erfüllung des Rückgewähranspruchs zu einer Umgehung des materiell-rechtlichen Trennungsprinzips, das zwischen schuldrechtlicher Verpflichtung und dinglicher Erfüllung unterscheidet. Allein der Bestand des Rückgewähranspruchs ersetzt nicht dessen dingliche Erfüllung. 397 Im Sinne des § 846 ZPO bedeutet „Herausgabe“ die Besitzübertragung und „Leistung“ die Übereignung, Putzo, in: Thomas/Putzo, § 846, Rdnr. 1.
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der dinglichen Surrogation analog §§ 1287 S. 1 BGB, 848 Abs. 2 S. 2 ZPO die wirksame Sachpfändung ein.398 Der Vermögensgegenstand tritt an die Stelle des zunächst gepfändeten Rückgewähranspruchs. c) Differenzierung zwischen Sachpfändung und der Herausgabevollstreckung Die Überlegungen veranschaulichen, dass im Kern bei der vorliegenden Fallkonstellation – ähnlich wie bei der ersten Fallgruppe – zwischen zwei Pfändungsakten zu unterscheiden ist. Bei dem ersten Pfändungsakt handelt es sich um die gegenüber dem Schuldner vorgenommene Sachpfändung gemäß §§ 808 ff. ZPO. Im zweiten Schritt tritt im Rahmen der Herausgabevollstreckung gegenüber dem Dritten die kraft dinglicher Surrogation eintretende Sachpfändung hinzu. Demzufolge ist bei der Frage nach den zulässigen Interventionsrechten sorgfältig zu unterscheiden. aa) Gewährung der Intervention bezüglich der ursprünglichen Sachpfändung Was die ursprüngliche Sachpfändung gegenüber dem Schuldner anbelangt, stellt sich die Situation nicht anders dar als im klassischen Fall der Pfändung einer schuldnerfremden Sache. Aus materieller Sicht ist die erfolgte Pfändung unwirksam, da der Schuldner nicht Eigentümer der Sache ist. Allein der Umstand, dass dem Schuldner gegen den Dritten ein schuldrechtlicher Rückübereignungsanspruch zusteht, ändert an diesem Ergebnis nichts. Der schuldrechtliche Anspruch berechtigt den Schuldner auf dinglicher Ebene noch nicht zur wirksamen Verpfändung des Vermögensgegenstandes. Solange daher die dingliche Einigung noch nicht vollzogen ist, steht dem Dritten – unter Ausblendung des staatlichen Gewaltmonopols – ein dinglicher Unterlassungsanspruch gegen den Gläubiger und den Schuldner zu. Dieser reduziert sich, soweit er gegen den Gläubiger gerichtet ist, in der Zwangsvollstreckung auf eine bloße Feststellungsklage. In gleicher Weise ist der Schuldner zur schuldrechtlichen Intervention gegenüber dem Gläubiger berechtigt, da letzterer vor erfolgter Rückübereignung die Zwangsvollstreckung in einen dem Schuldner nicht gehörenden Gegenstand betreibt. Die Plausibilität dieses Ergebnisses lässt sich insbesondere aus Sicht des Dritten veranschaulichen. Denn solange dieser Eigentümer des Pfandgegenstandes ist, richtet sich die eigentliche Zwangsvollstreckung gegen ihn. Das setzt aber gemäß § 750 Abs. 1 ZPO einen wirksamen Titel voraus.399 Diesem zwingenden Erfordernis kann sich der Gläubiger schlechterdings nicht dadurch entziehen, dass er die Zwangsvollstreckung gegen den Besitzer des Pfandobjektes richtet, gegen den ihm ein Titel zur Verfügung steht. Selbst wenn der Gläubiger irrtümlich vom Eigentum des im Besitz der Sache befindlichen Schuldners ausgegangen ist, vermag ihn dies nicht gegenüber einem solchen Gläubiger zu privilegieren, der über 398
Brehm, in: Stein/Jonas, § 847, Rdnr. 12. Dieser Einwand ist bei der ersten Fallgruppe nicht denkbar, da die Rechtsposition des Dritten hier aufgrund des dinglichen Vorrangs des Gläubigers nicht beeinträchtigt wird. 399
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die Eigentumsverhältnisse unterrichtet ist und daher die Zwangsvollstreckung im Wege der Herausgabevollstreckung unmittelbar gegen den Dritten betreibt. Beide Gläubiger benötigen einen gegen den Dritten gerichteten Titel, soweit der Dritte den Gegenstand nicht freiwillig an den Schuldner zurückgewährt. Die Berechtigung der gegen die Sachpfändung gerichteten Intervention lässt sich zuletzt unter dem öffentlich-rechtlichen Blickwinkel der Zwangsvollstreckung untermauern. Die Sachpfändung richtet sich im Kern gegen den Dritten als tatsächlichen Eigentümer. Der Vollstreckungsmaßnahme, d.h. dem Verwaltungsakt, mangelt es demzufolge an einer grundlegenden Voraussetzung, nämlich dem Titel, d.h. dem zu vollstreckenden Grundverwaltungsakt. Aufgrund dieses evidenten Rechtsverstoßes ist die Vollstreckungsmaßnahme nichtig. Zudem fehlt es angesichts der formell gegen den Schuldner gerichteten Sachpfändung an einer wirksamen Bekanntgabe der inhaltlich gegen den Dritten gerichteten Verwaltungsmaßnahme. Auch unter diesem Aspekt kann die Vollstreckungsmaßnahme keine Wirkung entfalten. Mangels Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen wird der Verwaltungsakt nicht wirksam.400 bb) Versagung der Intervention gegen die eintretende Sachpfändung Vollkommen anders stellt sich die Bewertung der Interventionsrechte dar, sofern diese gegen die im Rahmen der Herausgabevollstreckung eintretende Pfändung gerichtet sind. Die im Anschluss an die erfolgreiche Klage des Gläubigers gegen den Dritten eintretende dingliche Surrogation analog §§ 1287 S. 1 BGB, 848 Abs. 2 S. 2 ZPO führt zur wirksamen Pfändung des Vermögensgegenstandes. Aufgrund der gemäß § 894 ZPO fingierten Übereignungserklärung des Dritten wird der Schuldner nunmehr zum Eigentümer des Pfandgegenstandes. Zugleich entfällt das aus § 1004 BGB abgeleitete dingliche Interventionsrecht des Dritten. Der Schuldner seinerseits kann sich ebenfalls gegenüber dem Gläubiger nicht mehr zur Wehr setzen, da die Vollstreckung nunmehr gegen einen in seinem Vermögen befindlichen Gegenstand gerichtet ist. Die weiteren gegenüber der ursprünglichen Sachpfändung geäußerten Bedenken verlieren ebenfalls ihre Bedeutung. Es liegt jetzt aufgrund des zwischen Gläubiger und Drittem ergangenen Urteils ein wirksamer Vollstreckungstitel gegen den Dritten vor. Dem Dritten sind die Vollstreckungsmaßnahmen in Form der Pfändung des Herausgabeanspruchs und der fingierten Übereignung auch wirksam bekannt gegeben, da ihm sowohl der Pfändungsbeschluss als auch das Urteil zugestellt werden. d) Vorteile der Differenzierung Die Differenzierung zwischen der Sach- und Herausgabepfändung beugt der Kritik vor, die Gewährung von Interventionsrechten gegen die ursprüngliche Sachpfändung führe zu einem unbilligen Ergebnis, indem sie dem Dritten mehr 400 Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG ist die Bekanntgabe Voraussetzung für die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes.
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Rechte gewähre als ihm auf schuldrechtlicher Basis zustehen. Diese Befürchtungen sind deshalb unbegründet, weil die Interventionsrechte des Dritten auch nach der hier entwickelten Lösung die Zwangsvollstreckung nicht zum Erliegen bringen. Sie beschränken sich auf die gegen den Schuldner gerichtete Sachpfändung und lenken damit zugleich den Blick auf die von der Zivilprozessordnung vorgesehene statthafte Vollstreckungsart. Die vorliegende Fallkonstellation ist sachgerecht über die §§ 846 ff. ZPO zu lösen, weshalb dem Dritten in diesem Kontext jegliche Interventionsrechte zu versagen sind. Eine differenzierende Betrachtungsweise veranschaulicht zugleich die Schwächen der derzeit von Rechtsprechung und Literatur befürworteten Lösung. Die undifferenzierte Betrachtung der Pfändungsvorgänge privilegiert denjenigen Gläubiger, der anstelle der statthaften Pfändung der Rückgewähransprüche den Weg der Sachpfändung beschreitet. Denn diese Lösung billigt dem Gläubiger ein wirksames Pfändungspfandrecht an der schuldnerfremden Sache bereits in einem Zeitpunkt zu, in dem ein konkurrierender Gläubiger mit entsprechender Umsicht den mühsamen Weg der Pfändung des Rückgewähranspruchs mit anschließender Klage gegen den Dritten einschlägt. Der Gläubiger der Sachpfändung wird mithin unzulässig privilegiert, indem ihm der Vorrang gegenüber demjenigen Gläubiger eingeräumt wird, der den gesetzlich vorgesehenen Weg der §§ 846 ff. ZPO einhält. Die vermeintliche Eleganz der Sachpfändung erweist sich unter dogmatischen Gesichtspunkten als Trugschluss, indem sie den Gläubiger unzulässig vom Titelerfordernis gegenüber dem Dritten befreit. Aus dem aufgezeichneten Dilemma hilft nur eine differenzierende Lösung, die zwischen beiden Pfändungsvorgängen unterscheidet. Die vorliegende Lösung trägt schließlich detailgetreu den schuldrechtlichen Erfüllungsvorgängen Rechnung. Allein die Vorschriften der §§ 846 ff. ZPO berücksichtigen die schuldrechtlichen und dinglichen Gegebenheiten im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem. Die auf das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner verengte Betrachtungsweise der §§ 808 ff. ZPO vermag hingegen naturgemäß keine Aussage über die schuldrechtliche Abwicklung im Verhältnis zwischen Schuldner und Drittem, d.h. insbesondere über die wechselseitigen Einwendungen und Einreden, zu treffen. Die Annahme, dass die Verwertung des gepfändeten Gegenstandes gemäß den §§ 817 ff. ZPO dem Schuldner zugute kommt und zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit führt, ist zwar im Ergebnis zutreffend. Zu diesem Resultat führt jedoch erst die Verweisungsvorschrift des § 847 Abs. 2 ZPO. Im Vorfeld dieser Verwertung ist die Pfändung und Überweisung des Rückgewähranspruchs zu berücksichtigen, dessen Erfüllung erst im Wege der dinglichen Surrogation zur Sachpfändung führt. Zugleich erlischt der Rückgewähranspruch des Schuldners gegen den Dritten. Rechtsprechung und Literatur vermögen diesen Erfüllungsvorgang hingegen nicht zu erklären, da es ihnen im Rahmen der §§ 808 ff. ZPO an einem dinglichen Rechtsgeschäft zur Abwicklung des Rückgewähranspruchs zwischen Schuldner und Drittem mangelt.
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e) Der scheinbare Formalismus einer Widerklage Es zeigt sich, dass es nicht des Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf, um Konstellationen der vorliegenden Art sachgerecht zu lösen. Im Gegenteil wird durch die Anwendung des § 242 BGB die Umgehung des Titelerfordernisses im Verhältnis zwischen Gläubiger und Drittem in dogmatisch bedenklicher Weise festgeschrieben. Die Notwendigkeit einer gesonderten Widerklage des Gläubigers gegen den Dritten stellt keinen Formalismus dar,401 von dessen Einhaltung die Regelung des § 242 BGB den Gläubiger entheben würde, sondern entspricht schlicht den materiell-rechtlichen Gegebenheiten. Die Widerklage setzt insbesondere die vorherige Pfändung und Überweisung der Rückgewähransprüche des Schuldners gegen den Dritten voraus. Denn dem Gläubiger stehen derartige Ansprüche gegen den Dritten nicht zu. Durch die Anwendung des § 242 BGB wird dem Dritten die Geltendmachung seines dinglichen Interventionsrechts gegen die Sachpfändung in bedenklicher Form abgeschnitten und damit letztlich eine Verpfändung durch den Schuldner legitimiert, zu der er nach den Vorschriften des Sachenrechts nicht berechtigt ist. Der schuldrechtliche Rückgewähranspruch macht den Schuldner nicht zum Berechtigten, solange er nicht erfüllt ist. Die gegenteilige Bewertung von Rechtsprechung und Literatur führt im Ergebnis zu einer Durchbrechung des Trennungsprinzips. Rechtsprechung und Literatur entheben den Gläubiger zudem der Notwendigkeit einer gesonderten Einziehungsklage gegen den Dritten. Diese Widerklage gegen die Interventionsklage des Dritten ist unentbehrlich, da sie erst zur dinglichen Abwicklung der Rückgewähransprüche des Schuldners gegen den Dritten führt und damit im Ergebnis zur Wirksamkeit der dinglichen Pfändung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner. Ohne dinglichen Übertragungs- bzw. Ermächtigungsakt lässt sich eine materiell-rechtliche Berechtigung des Schuldners zur Verfügung über das bislang im Eigentum des Dritten stehende Pfandobjekt dogmatisch nicht erklären. Und so umschreibt die Bezeichnung „Formalismus“ letztlich nichts anderes als das materiell-rechtliche Trennungsprinzip, das von Rechtsprechung und Literatur in Frage gestellt wird. Die vermeintliche Eleganz des Rückgriffs auf § 242 BGB führt zu einer unzulässigen Verbindung der gegen die Sachpfändung gerichteten Interventionsklage des Dritten mit der auf die Herbeiführung der Herausgabevollstreckung gerichteten Einziehungsklage des Gläubigers. Von einer Pflicht des Dritten, die Sachpfändung gegen den Schuldner zu dulden, kann aufgrund der vorstehenden Überlegungen keine Rede sein. Der Interventionsklage des Dritten ist vielmehr insoweit stattzugeben. Umgekehrt führt die auf die Herausgabevollstreckung gestützte Widerklage des Gläubigers zur Verurteilung des Dritten, die Pfandsache an den Gerichtsvollzieher herauszugeben und zu übereignen. In der weiteren Folge ist aufgrund der 401 So aber BGH LM, § 771, Nr. 2; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 59; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IX 5 b; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 771, Rdnr. 10, und Lackmann, in: Musielak, § 771, Rdnr. 33.
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wechselseitig obsiegenden Klagen einerseits die ursprüngliche Sachpfändung aufzuheben, andererseits erlangt der Gläubiger durch den Vollzug der obsiegenden Widerklage im Wege der dinglichen Surrogation nunmehr ein (berechtigtes) Pfändungspfandrecht an dem Pfandobjekt. Bedeutsam kann diese Konstruktion insbesondere für Rangfragen werden, denn Rechtsprechung und Literatur stellen aufgrund der aus § 242 BGB abgeleiteten Duldungspflicht des Dritten allein auf die ursprüngliche Sachpfändung gegenüber dem Schuldner ab. 3. Dritte Fallgruppe: Mithaftung des Dritten Ähnlich der zweiten Fallgruppe gestaltet sich die Konstellation der sogenannten Mithaftung des Dritten. Den Dritten, gegen den der Titel nicht gerichtet ist, trifft materiell-rechtlich eine Mithaftung für die dem Titel gegen den Schuldner zugrunde liegende Forderung. Grundlage hierfür kann eine Gesamtschuld oder die Stellung als Bürge oder Gesellschafter sein.402 Rechtsprechung und Literatur lösen diese Fallkonstellation ebenfalls mittels eines Rückgriffs auf § 242 BGB. Der Dritte soll aufgrund seiner Mithaftung zur Duldung der Zwangsvollstreckung des Gläubigers gegen den Schuldner verpflichtet sein, weshalb seine Interventionsklage abzuweisen sei. a) Unzulängliche Kompensation der fehlenden Berechtigung des Schuldners Der Lösung von Rechtsprechung und Literatur liegt die Prämisse zugrunde, dass die schuldrechtliche Mitverpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger die mangelnde Berechtigung des Schuldners an dem Pfandgegenstand kompensiere. Nichts anderes kommt in der auf § 242 BGB gestützten Verknüpfung von dinglichem Interventionsrecht des Dritten und gleichzeitigem Anspruch des Gläubigers gegen den Dritten zum Ausdruck. Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick nicht nur als elegant, sondern auch als „billig“, weshalb die Heranziehung des § 242 BGB durchaus angemessen zu sein scheint. Da sowohl der Schuldner als auch der Dritte dem Gläubiger aus demselben Anspruch haften, scheinen die Eigentumsverhältnisse zwischen dem Schuldner und dem Dritten letztlich ohne Belang zu sein. Doch dieser Eindruck trügt bei näherer Betrachtung. Schon der Umstand, dass § 242 BGB keine Ermächtigung zu einer „Billigkeitsjustiz“ beinhaltet,403 mahnt zur Vorsicht. Schließlich gilt es der Gefahr vorzubeugen, dass durch ein voreiliges Billigkeitsdenken die Grundprinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zwangsvollstreckung untergraben werden. Die konzentrierte Sicht auf das Vollstreckungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner und die in dieser Beziehung zur Anwendung kommende Sachpfändung führt dazu, dass Rechtsprechung und Literatur das Verhältnis des Gläubigers zum Dritten allzu sehr vernachlässigen. Mit Recht sind kritische 402 Brox/Walker, Rdnrn. 1437 ff.; Lackmann, in: Musielak, § 771, Rdnr. 33; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 59, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IX 5. 403 So Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnr. 2.
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Stimmen laut geworden, die darauf hinweisen, dass das Titelerfordernis auch gegenüber dem Dritten zu berücksichtigen ist.404 Noch bedenklicher wiegt aber der aus dem materiellen Recht herrührende Einwand, dass die schuldrechtliche Mithaftung des Dritten in keiner Weise geeignet ist, die fehlende dingliche Berechtigung des Schuldners zu ersetzen. Hinter beiden Kritikpunkten verbirgt sich letztlich die Einsicht, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers sich in der vorliegenden Fallkonstellation nicht gegen den Schuldner, sondern gegen den Dritten richtet.405 Diese nachfolgend zu vertiefende Einschätzung erlaubt die Entwicklung eines neuen Lösungsansatzes. b) Hinwendung zur Herausgabevollstreckung Der Schlüssel für eine angemessene Lösung liegt bei der vorliegenden Fallgruppe in einer Erweiterung des Blickwinkels auf die statthafte Vollstreckungsart in Form der Pfändung der maßgeblichen Herausgabe- und Leistungsansprüche gemäß §§ 846 ff. ZPO. Der Unterschied zur zweiten Fallgruppe liegt dabei allein in der Zielrichtung der Herausgabeansprüche. Handelt es sich bei der zweiten Fallgruppe um Rückgewähransprüche des Schuldners gegen den Dritten, so sind vorliegend in umgekehrter Stoßrichtung die Herausgabe- und Leistungsansprüche des Dritten gegen den Schuldner Anknüpfungspunkt für die Zwangsvollstreckung. Die Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers haben sich also nicht gegen den Schuldner zu richten, der weder dinglich Berechtigter noch Inhaber etwaiger schuldrechtlicher Übereignungsansprüche ist, sondern vielmehr gegen den Dritten. Diese maßgebliche Änderung der Stoßrichtung wird übersehen, wenn die Konstellation der Mithaftung des Dritten mit den übrigen Fallgruppen einer einheitlichen Lösung zugeführt wird. Die sich daraus ergebenden Bedenken lösen sich hingegen auf, sofern man die Vollstreckung des Gläubigers gegen den Dritten zum Dreh- und Angelpunkt der Betrachtung wählt. c) Lösung anhand der §§ 846 ff. ZPO Die Anwendung der §§ 846 ff. ZPO führt unmittelbar zu der Erkenntnis, dass Grundvoraussetzung für eine Vollstreckung des Gläubigers gegen den Dritten ein entsprechender Zahlungstitel ist. Der gegen den Schuldner gerichtete Zahlungstitel genügt hierfür nicht. Sofern der Gläubiger es daher versäumt hat, im Klageverfahren gegen den Schuldner zugleich den mithaftenden Dritten in Anspruch zu nehmen, muss dieses Versäumnis nachgeholt werden. In einem zweiten Schritt muss sich der Gläubiger die Herausgabeansprüche des Dritten gegen den Schuldner pfänden und überweisen lassen. Leistet der Schuldner sodann der Herausgabeverpflichtung nicht freiwillig Folge, so ist ein zweiter Prozess unaus404 So etwa Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.20. Kritisch auch Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 771, Rdnr. 49. Dagegen mit der h. M. Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnrn. 59 ff.; Brox/Walker, Rdnr. 1438; Büchler, S. 96 ff., und Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 771, Rdnr. 36. 405 Ausdrücklich ablehnend hingegen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 59.
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weichlich. Dieser trägt dem Titelerfordernis im Verhältnis zwischen dem Dritten und dem Schuldner Rechnung. Das schuldrechtliche Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Drittem und Schuldner ist also vollstreckungsrechtlich nicht anders abzuwickeln als aus Sicht der materiell-rechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der von Rechtsprechung und Literatur beschrittene Weg des direkten Zugriffs des Gläubigers auf den Schuldner vernachlässigt hingegen die maßgeblichen Prinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuchs. So werden insbesondere die möglichen Einwendungen und Einreden des Schuldners aus seinem Verhältnis zum Dritten übergangen. Bedarf es beispielsweise im Verhältnis zwischen Drittem und Schuldner der Kündigung des zugrunde liegenden Besitzmittlungsverhältnisses, so wird dieses Erfordernis von Rechtsprechung und Literatur im Wege des direkten Zugriffes des Gläubigers auf den Schuldner geleugnet. Die gemäß § 242 BGB vorgenommene Verknüpfung des Interventionsrechts mit den vermeintlichen Duldungspflichten des Dritten trägt lediglich etwaigen Einwendungen des Dritten gegenüber dem Gläubiger Rechnung. Das weitere Bindeglied zwischen dem Dritten und dem Schuldner bleibt völlig unberücksichtigt. Auf der dinglichen Ebene führt die Berücksichtigung der §§ 846 ff. ZPO ebenfalls zu einer sachgerechten Lösung. Denn nunmehr richtet sich die Vollstreckung nicht gegen den Schuldner, sondern gegen den Dritten, weshalb es bei der Pfändung auf dessen Berechtigung und nicht mehr auf diejenige des Schuldners ankommt. Die Berechtigung des Dritten erschließt sich unmittelbar aus seiner Eigentümerstellung. Die Herausgabe des maßgeblichen Gegenstandes vom Schuldner an das Vollstreckungsorgan führt demzufolge sachgerecht im Wege der dinglichen Surrogation zur Sachpfändung. Der herauszugebende Gegenstand tritt an die Stelle des gepfändeten Herausgabeanspruchs. Dieser erlischt durch die Herausgabe, womit zugleich die Problematik der schuldrechtlichen Erfüllungsvorgänge einer sachgerechten Lösung zugeführt wird. Diese Problematik vermögen Rechtsprechung und Literatur hingegen nicht zu bewältigen. Im Gegenteil führt die auf die Sachpfändung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner beschränkte Betrachtungsweise zu dem kuriosen Ergebnis, dass der im Besitz des Schuldners stehende Vermögensgegenstand dem Schuldner als dessen Eigentum zugerechnet wird. Dies bewirkt bei konsequenter Betrachtung gemäß §§ 817 ff. ZPO das Erlöschen der gegen den Schuldner gerichteten Forderung mit der weiteren Konsequenz, dass die gegen den Dritten gerichteten Ansprüche des Gläubigers auf den Schuldner übergehen.406 Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Innenverhältnis wäre damit der Schuldner zum anteiligen Regress gegenüber dem Dritten berechtigt, obwohl doch ein in dessen Eigentum stehender Gegenstand gepfändet und verwertet worden ist. Ein solches Ergebnis dürfte auch von der Rechtsprechung und Literatur nicht bezweckt sein, würde sich aber bei konsequenter Fokussierung auf die Sachpfändung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner einstellen. 406 Dieser gesetzliche Forderungsübergang ergäbe sich beispielsweise im Falle einer gesamtschuldnerischen Haftung von Schuldner und Drittem aus § 426 Abs. 2 BGB.
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d) Differenzierung zwischen Sachpfändung und Herausgabevollstreckung Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, im Rahmen der Interventionsrechte der Beteiligten zwischen dem Pfändungsvorgang gegenüber dem Schuldner und demjenigen gegenüber dem Dritten zu unterscheiden.407 Die gegen die Sachpfändung beim Schuldner gerichtete Intervention des Dritten ist begründet, weshalb diese Pfändungsmaßnahme aufzuheben ist. Es mangelt dem Schuldner an der dinglichen Berechtigung. Umgekehrt kann sich der Dritte nicht gegen die unmittelbar gegen ihn gerichtete Vollstreckung zur Wehr setzen, sofern zuvor seine Herausgabeansprüche gegen den Schuldner gepfändet und an den Gläubiger überwiesen worden sind. Denn der Dritte ist hier nicht mehr „Dritter“ im Sinne des § 771 ZPO, sondern Schuldner des zu vollstreckenden Anspruchs. Sein vermeintliches Dritteigentum verliert seine Bedeutung, da der Dritte seinerseits als Schuldner dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Umgekehrt wird der Schuldner hier zum Dritten, ohne dass ihm jedoch ein dingliches Interventionsrecht zur Verfügung stünde. Eigentümer der Sache ist er nicht gewesen und des Besitzes an der Sache hat er sich entweder durch die freiwillige oder die gerichtlich erzwungene Herausgabe an den Gerichtsvollzieher entäußert. e) Die §§ 846 ff. ZPO als Ausdruck der materiell-rechtlichen Gegebenheiten Dem vorstehenden Lösungsweg mag entgegengehalten werden, dass er den Gläubiger unangemessen benachteilige, indem ihm bei mangelnder Herausgabebereitschaft des Schuldners der mühsame Weg eines weiteren Klageverfahrens verordnet wird. Demgegenüber scheint die Anwendung des § 242 BGB im Rahmen der Interventionsklage des Dritten gegen den Gläubiger zu einer prozessökonomischen Lösung zu führen.408 Dieser naheliegenden Kritik ist darin zuzustimmen, dass der zuvor aufgezeigte Weg für den Gläubiger äußerst mühsam sein kann und angesichts seiner Länge die Gefahr der Vollstreckungsvereitelung in sich birgt. Gleichwohl ist dieser dornige Weg nur Ausdruck der materiell-rechtlichen Gegebenheiten, die in den §§ 846 ff. ZPO ihren Niederschlag finden. Die Heranziehung des § 242 BGB vernachlässigt demgegenüber die berechtigten Interessen des Schuldners und des Dritten aus ihrem Schuldverhältnis. Dies gilt insbesondere für das Erfordernis einer Widerklage des Gläubigers gegen den Dritten. Es handelt sich dabei nicht um einen bloßen Formalismus,409 sondern um die Einleitung der gebotenen Zwangsvollstreckung gegen den Dritten mit anschließender Pfändung der Herausgabeansprüche gegen den Schuldner. Der Gläubiger kann diesen Hindernissen von vornherein aus dem Weg gehen, indem er seine ursprüngliche Zahlungsklage nicht allein gegen den Schuldner, sondern zugleich 407
S. dazu auch den gleichlautenden Lösungsansatz bei der zweiten Fallgruppe, s.o. 2 d. Zum vermeintlich unnötigen Formalismus einer Widerklage des Gläubigers gegen den Dritten s. schon die unter Fn. 401 zitierten Stimmen. 409 BGH LM, § 771, Nr. 2; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 59, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 IX 5 b. 408
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gegen den Dritten richtet. Auf eine Interventionsklage des Dritten kann er dann unverzüglich mit der Pfändung und Überweisung von dessen Herausgabeansprüchen reagieren, §§ 846 ff. ZPO.410 Die Verquickung der unterschiedlichen Vollstreckungsvorgänge gegen den Schuldner einerseits und den Dritten andererseits, die durch die voreilige Anwendung des § 242 BGB bewirkt wird, veranschaulicht abschließend eine Betrachtung der vorliegenden Fallkonstellation unter Ausblendung des staatlichen Gewaltmonopols. Grundlage der Intervention des Dritten gegen die Pfändung beim Schuldner ist dann der dingliche Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Dieser Anspruch ist gemäß § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.411 Grundlage einer solchen Duldungspflicht könnte die Mithaftung des Dritten gegenüber dem Gläubiger sein. Diese Mithaftung verpflichtet den Dritten jedoch nicht zur Duldung einer Verpfändung durch den Schuldner, sondern lediglich zur eigenen Verpfändung gegenüber dem Gläubiger.412 An dieser Stelle ist eine sorgfältige Unterscheidung zwischen den jeweiligen Schuldverhältnissen zum Gläubiger vorzunehmen. Diese Differenzierung geben Rechtsprechung und Literatur durch die voreilige Anwendung des § 242 BGB auf. Die vermeintliche Eleganz dieser Lösung ist daher teuer erkauft. 4. Ergebnis Die Fallkonstellationen der „Duldungspflichten des Dritten“ lassen sich mit Hilfe der zivilrechtlichen Mechanismen zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen sachgerecht lösen. Deren Beachtung verlangt in der ersten Fallgruppe eine sorgfältige Unterscheidung zwischen der zulässigen Verwertung des vorrangigen Pfandrechts des Gläubigers und der von ihm begehrten erneuten Pfändung, bezüglich derer dem Dritten ein Interventionsrecht zusteht. Bei der zweiten Fallgruppe der Rückgewährverpflichtungen des Dritten tut eine Erweiterung des Blickwinkels auf die Vorschriften der §§ 846 ff. ZPO Not. Es ist sorgfältig zwischen der unberechtigten Sachpfändung und der berechtigten Pfändung der Rückgewähransprüche zu unterscheiden, weshalb die Interventionsklage nur gegen die zuletzt genannte Vollstreckungsmaßnahme zu versagen ist. Die gegen die Sachpfändung gerichtete Klage ist hingegen begründet. Die Vorschriften der §§ 846 ff. ZPO gewährleisten auch im Rahmen der dritten Fallgruppe eine sachgerechte Lösung. Handelt es sich doch bei den Fällen der sogenannten Mithaftung des Dritten nicht um eine gegen den Schuldner gerich410 Auch bei unsicherer Tatsachenlage läuft der Gläubiger mit einer derartigen Pfändung keinerlei Gefahr, da sie im ungünstigsten Fall „ins Leere“ geht. 411 Auf diese Regelung hat bereits Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (97), hingewiesen, der die Interventionsklage als zivile Negatoria auffasst. 412 Diesen Aspekt übersieht Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (98 f.), indem er darauf hinweist, die mangelnde Titulierung stelle keinen Interventionsgrund, sondern lediglich einen Erinnerungsgrund dar.
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tete Sachpfändung, sondern um eine gegen den Dritten gerichtete Herausgabevollstreckung. Nicht anders als bei den übrigen Konstellationen werden die Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen auch hier von Rechtsprechung und Literatur durch eine vorschnelle Anwendung des § 242 BGB in Frage gestellt. Dies führt insbesondere in den Fällen der Mithaftung zu dogmatisch fragwürdigen Ergebnissen, da es sich um zwei unterschiedliche Vollstreckungsverhältnisse des Gläubigers zum Schuldner und zum Dritten handelt, die unzulässig miteinander verwoben werden.
VIII. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Vollstreckungsabwehrklage Die Überlegungen zur Interventionsklage führen zu dem Ergebnis, dass es sich um eine allgemeine Feststellungsklage handelt. Diese Erkenntnis ermöglicht es abschließend, die Interventionsklage und die Vollstreckungsabwehrklage auf eine gemeinsame Basis zu stellen. 1. Feststellungsklagen zur Korrektur der formalisierten Pfändungsmerkmale Die Ausgangskonstellationen der Interventions- und der Vollstreckungsabwehrklage sind identisch. Der Schuldner oder ein Dritter setzen sich gegen die Zwangsvollstreckung seitens des Gläubigers mit dem materiell-rechtlichen Argument zur Wehr, dass die Voraussetzungen für die Pfändung von Vermögensgegenständen beim Schuldner nicht erfüllt sind. Dies hat zur Folge, dass dem Schuldner keine Verpflichtung zur Duldung der Vollstreckung obliegt. Ihm steht ein Unterlassungsanspruch gegen den Gläubiger zu. Das staatliche Gewaltmonopol reduziert diesen Unterlassungsanspruch sowohl bei § 767 ZPO als auch bei § 771 ZPO auf eine bloße Feststellungsklage. Diese steht dem Schuldner nicht nur beim Eintritt nachträglicher materieller Einwendungen gegen die zu vollstreckende Forderung zu, sondern auch im Falle seiner fehlenden dinglichen Berechtigung am Pfandobjekt. Demzufolge unterscheidet sich die Vollstreckungsabwehrklage von der Interventionsklage nur in Bezug auf das vom Schuldner in Frage gestellte Tatbestandsmerkmal der Pfändung. 2. Verbleibende Unterschiede Ebenso wie sich die Gemeinsamkeiten von Vollstreckungsabwehrklage und Interventionsklage anhand des Pfändungstatbestandes erklären lassen, veranschaulicht der Pfändungstatbestand die verbleibenden Unterschiede. Diese leiten sich vornehmlich aus der Differenzierung zwischen schuldrechtlichem Forderungsbestand und dinglicher Verfügungsberechtigung am Pfandobjekt ab. Das Trennungsprinzip führt zu der Konsequenz, dass sich die schuldrechtliche Bewertung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung und mithin die Klage gemäß § 767 ZPO auf das Schuldverhältnis von Gläubiger und Schuldner beschränkt.
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Die Frage der dinglichen Berechtigung ist hingegen absolut zu beantworten, entfaltet also im Falle der Nichtberechtigung des Schuldners über das relative Schuldverhältnis hinaus auch Auswirkungen auf den Berechtigten, den Dritten. Daraus erklärt sich das der Klage gemäß § 771 ZPO zugrunde liegende Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Schuldner und Drittem. Ein letzter Unterschied zwischen den beiden Klagen gemäß § 767 ZPO und § 771 ZPO besteht in ihrem unterschiedlichen Wirkungskreis. Während die Feststellungsklage gemäß § 771 ZPO lediglich die Abwehr einer einzelnen Vollstreckungsmaßnahme bezweckt, führt die erfolgreiche Klage gemäß § 767 ZPO zur Einstellung der gesamten Vollstreckung. Diese Unterscheidung leitet sich aus den unterschiedlichen Pfändungsmerkmalen ab. Die Frage der dinglichen Berechtigung bezieht sich auf den konkret betroffenen Vermögensgegenstand und ist demzufolge bei jeder Vollstreckungsmaßnahme gesondert zu beantworten. Demgegenüber führt die Feststellung einer nachträglichen Einwendung gegen die titulierte Forderung zur Einstellung der gesamten Vollstreckung, da sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen der Sicherung und Vollstreckung ein und derselben Forderung dienen.413
IX. Ergebnis Zusammenfassend ist für die Interventionsklage – nicht anders als für die Vollstreckungsabwehrklage – zu konstatieren, dass eine Rückführung auf die allgemeine Feststellungsklage möglich und angeraten erscheint. Eine Rückbesinnung auf die materiell-rechtlichen Gegebenheiten bei der Abwicklung des Dreiecksverhältnisses von Gläubiger, Schuldner und Drittem befreit zugleich von den Fesseln des allein auf das Verhältnis von Gläubiger und Drittem abstellenden „Interventionsrechts“. Erst die von Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Ausklammerung der schuldrechtlichen Interventionsmöglichkeiten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger sowie des Dritten gegenüber dem Schuldner führt zur Überfrachtung des Interventionsrechts mit schuldrechtlichen Elementen.414 In der weiteren Folge sind die Friktionen mit den materiell-rechtlichen Vorgaben zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen vorprogrammiert. Aus dieser Bredouille hilft – in Übereinstimmung mit § 771 Abs. 2 ZPO – nur die Gewährung schuldrechtlicher Interventionsklagen des Schuldners gegen den Gläubiger und des Dritten gegen den Schuldner. Im zweiten Schritt erlaubt dieser Lösungsvorschlag eine Reduzierung der Interventionsklage gemäß § 771 Abs. 1 ZPO auf die dingliche Rechtsbeziehung zwischen Drittem und Gläubiger. Das sogenannte In413 Einer gesonderten Tenorierung dieser unterschiedlichen Wirkungskreise bedarf es nicht, da sich diese bereits aus der materiell-rechtlichen Feststellung im Urteilstenor ableiten. 414 Denkt man hingegen an die ursprünglichen Motive des Gesetzgebers der Zivilprozessordnung zurück, der die Interventionsklage allein im materiellen Zivilrecht verwurzelt wissen wollte, Picker, S. 38 ff., 41, so bewahrheitet sich die von Bettermann, in: Festschrift für Weber, S. 87 (99), getroffene Feststellung: „Die Ansichten von gestern sind der Zukunft offener als die Meinungen von heute.“
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terventionsrecht entpuppt sich dann als einfache Umschreibung der Rechtsbeeinträchtigung des Dritten und aus Sicht des Schuldners als dessen fehlende Verfügungsberechtigung über das Pfandobjekt. Es wäre daher nur wünschenswert, wenn der Gesetzgeber bei der Regelung des § 771 ZPO die in § 262 Abs. 1 S. 3 AO bereits aufgenommene Klarstellung übernehmen würde.415 Sie lautet: „Welche Rechte die Veräußerung hindern, bestimmt sich nach bürgerlichem Recht.“ Diese Konkretisierung wäre aufgrund der vorstehenden Überlegungen wie folgt zu ergänzen: „Dasselbe gilt für die Frage, innerhalb welcher Rechtsbeziehungen eine Hinderung der Veräußerung herbeizuführen ist.“
§ 32 Die Absonderungsklage I. Derzeitiges Verständnis Das Ziel der Klage gemäß § 805 ZPO ist die gerichtliche Anordnung der vorrangigen Berücksichtigung des klagenden Gläubigers bei der Verteilung des Vollstreckungserlöses.416 Im Gegensatz zur Interventionsklage bezweckt die Absonderungsklage nicht die Unterbindung der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Abwicklung der konkurrierenden Gläubigerrechte.417 Dabei soll sich die Klage gemäß § 805 ZPO in ihrer Rechtsnatur nicht von der Interventionsklage unterscheiden. Ihr wird ebenfalls eine prozessuale Gestaltungswirkung zugemessen, da der klagende Dritte erst durch das Urteil die Befugnis erhalte, die vorrangige Auszahlung des Erlöses für sich zu beanspruchen.418
II. Ansprüche im Dreiecksverhältnis Vor einer Bewertung der prozessualen Rechtsnatur der Absonderungsklage scheint ein Blick auf den materiell-rechtlichen Hintergrund im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Pfandrechtsinhaber ratsam. Schließlich nimmt § 805 Abs. 1 ZPO selbst auf das materielle Recht Bezug, indem auf die klageweise Geltendmachung des „Anspruchs auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös“ rekurriert wird. 415
Auf diese Regelung hat schon Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 II 2, hingewiesen. Becker, in: Musielak, § 805, Rdnr. 1, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 1. 417 Baumann/Brehm, § 13 III 6 a; Brox/Walker, Rdnr. 1451; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 16 II; Jauernig, § 13 VIII; Schilken, in: Münchener Kommentar, § 805, Rdnr. 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 I; Stöber, in: Zöller, § 805, Rdnr. 1, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.31. 418 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 805, Rdnr. 1; Becker, in: Musielak, § 805, Rdnr. 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 15, und Brox/Walker, Rdnr. 1452. 416
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1. Versagung von Abwehransprüchen gegen die Pfändung Die Regelung des § 805 Abs. 1, 1. Halbsatz ZPO beginnt mit der Feststellung, dass ein Dritter, der sich nicht im Besitz der Sache befindet, der Pfändung einer Sache aufgrund eines Pfandrechts nicht widersprechen kann. In dieser Aussage spiegeln sich die materiell-rechtlichen Wertungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Pfandrecht wider. Als beschränkt dingliches Recht dient es lediglich der Absicherung eines Zahlungsanspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner.419 Diese Funktion wird durch eine zusätzliche Pfändung nicht beeinträchtigt, da das dingliche Prioritätsprinzip dem Pfandgläubiger seinen Vorrang gewährleistet. Demzufolge bestehen im Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Schuldner und Drittem keine Interventionsrechte gegen die Pfändung. 2. Versagung von Abwehransprüchen gegen die Verwertung Wesentlich einschneidender als die Pfändung stellt sich aus Sicht des Schuldners und des bevorrechtigten Pfandrechtsgläubigers die anschließende Verwertung des Pfandobjekts dar. Aufgrund der Verwertung bleiben Einwendungen des Schuldners gegenüber dem Pfandrechtsgläubiger unberücksichtigt. Mangelt es in diesem Rechtsverhältnis an der erforderlichen Pfandreife, so erhält der Pfandrechtsgläubiger trotzdem den ihm gebührenden Erlös aus der Verwertung des Pfandobjekts. Dies könnte zu der Annahme führen, der Pfandrechtsgläubiger sei zu Unrecht bereichert und müsse den Erlös an den Schuldner abführen. Diese Befürchtung lässt sich jedoch mit der Überlegung ausräumen, dass der ausgekehrte Erlös lediglich an die Stelle des Pfandobjekts tritt. Nicht umsonst setzen sich die Pfandrechte im Wege der dinglichen Surrogation an dem Erlös fort, der seinerseits im Eigentum des Schuldners steht. Der Pfandrechtsgläubiger ist also nicht bereichert. Dies gilt auch dann, wenn er den ihm gebührenden Anteil an dem Erlös erhält. Dabei muss er sich allerdings etwaige Vorteile in Form von Zwischenzinsen anrechnen lassen.420 Fehlt es hingegen an der erforderlichen Pfandreife, weil die Forderung noch nicht erfüllbar ist, beispielsweise im Fall einer Bedingung, so muss der Pfandrechtsgläubiger sich auf eine Hinterlegung verweisen lassen.421 Eine vorherige Verwertung ist ihm versagt, womit zugleich den Einwendungen des Schuldners gegenüber dem bevorrechtigten Pfandrechtsgläubiger Rechnung getragen werden kann. Diese materiell-rechtlichen Überlegungen finden ihren Niederschlag in der Regelung des § 805 Abs. 1, letzter Halbsatz ZPO. Danach kann der Pfandrechtsgläubiger sein Recht ohne Rücksicht darauf geltend machen, ob seine For419
Zu den Besonderheiten der Besitzpfandrechte s. gesondert unter VII. Brox/Walker, Rdnr. 1467; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 IV; Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 68 VII, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 23. Für eine Hinterlegung auch in diesem Fall plädieren Putzo, in: Thomas/Putzo, § 805, Rdnr. 9, sowie Stöber, in: Zöller, § 805, Rdnr. 10. 421 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 23, und Schilken, in: Münchener Kommentar, § 805, Rdnr. 19. 420
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derung fällig ist oder nicht.422 Dahinter steht letztlich die Überlegung, dass ein Abwarten der Pfandreife seitens des vorrangigen Gläubigers zur Vereitelung des bereits verwirkten Pfandrechts des nachrangigen Gläubigers führen würde. Dessen Interessen gehen daher den Interessen des Schuldners gegenüber dem vorrangigen Gläubiger vor, zumal der Schuldner es jederzeit in der Hand hat, durch eine freiwillige Leistung an den Gläubiger die Verwertung des Pfandobjekts abzuwenden. Ebenso wenig wie aus Schuldnersicht lassen sich aus Sicht des Pfandrechtsgläubigers Interessen benennen, die einer Verwertung durch den nachrangigen Gläubiger im Wege stehen. Die Verwertung des Pfandobjekts beeinträchtigt den Pfandgläubiger nicht, da sich sein vorrangiges Pfandrecht kraft dinglicher Surrogation an dem Erlös fortsetzt. Es liegt mithin keine Beeinträchtigung im Sinne der §§ 1227, 1004 BGB vor, die den Pfandgläubiger zur Intervention gegenüber dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger berechtigen könnte.423 Dem Pfandgläubiger droht allerdings bei der sich anschließenden Auskehr des Erlöses die Gefahr, dass sein vorrangiges Pfandrecht unberücksichtigt bleibt. Dieser Gefahr vorzubeugen ist Anliegen der Klage gemäß § 805 ZPO. 3. Hinterlegungssituation für das Versteigerungsorgan Die an dem Erlös eintretende dingliche Surrogation bedingt einen dinglichen Herausgabeanspruch des Pfandrechtsgläubigers an dem ihm gebührenden Erlös. Der Herausgabeanspruch richtet sich aufgrund seiner dinglichen Rechtsnatur unmittelbar gegen das Versteigerungsorgan. Dieses wird dem geltend gemachten Anspruch jedoch nicht ohne weiteres nachkommen können, da es die Legitimation des Anspruchsstellers kaum zu überprüfen vermag. Eine Rückfrage beim Auftraggeber, dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger, sowie auch beim Schuldner wird daher unausweichlich sein.424 Mangelt es dem Pfandrechtsgläubiger an der Berechtigung, macht sich das Versteigerungsorgan gemäß §§ 280 Abs. 1, 3; 283 BGB schadensersatzpflichtig, da ihm die Erfüllung der Verpflichtung zur Auskehr des Erlöses aus § 667 BGB gemäß § 275 BGB schuldhaft unmöglich wird. Kehrt das Versteigerungsorgan im umgekehrten Fall den Erlös zu Unrecht an den Gläubiger aus, so läuft es Gefahr, sich gegenüber dem Pfandrechtsgläubiger gemäß §§ 989, 990 BGB schadensersatzpflichtig zu machen, sofern dieser seine Ansprüche rechtzeitig angemeldet hat. Die Situation entspricht 422
Nichts anderes gilt in der Immobiliarvollstreckung, § 10 ZVG. Zur Besitzkomponente des Pfandgläubigers s. gesondert unter VII 2. 424 Materiell-rechtlicher Hintergrund ist nach der hier vertretenen Mandatstheorie das schuldrechtliche Weisungsrecht des Auftraggebers. Zwar würde sich das Versteigerungsorgan im Falle der weisungswidrigen, aber berechtigten Auskehr des Erlöses an den Pfandrechtsgläubiger nicht schadensersatzpflichtig gegenüber dem Gläubiger machen. Denn diesem entsteht kein Schaden. Indes wird das Versteigerungsorgan – wie bereits angeführt – keine Möglichkeit haben, die Berechtigung des Pfandgläubigers nachzuprüfen. 423
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daher derjenigen im Falle der Hinterlegung. Das Versteigerungsorgan sieht sich mehreren Anspruchsstellern ausgesetzt, ohne die Ungewissheit über die Person des Gläubigers selbst vertreten zu müssen, § 372 S. 2 BGB. Das Versteigerungsorgan muss demzufolge entweder eine Entscheidung zwischen den konkurrierenden Gläubigern abwarten oder aber das erlöste Geld hinterlegen.425 Im Ergebnis führt der Anspruch gegen das Versteigerungsorgan auf Herausgabe des Erlöses den Pfandrechtsgläubiger nicht zum Ziel. Der Pfandrechtsgläubiger kann allenfalls eine voreilige Auskehr des Erlöses an den Gläubiger verhindern, nicht aber die Auskehr an sich selbst bewirken. Es stellt sich demzufolge die Frage nach den Ansprüchen des Pfandrechtsgläubigers gegen den die Vollstreckung betreibenden Gläubiger. 4. Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger auf Einwilligung in die Erlösauskehr Die Hinterlegungssituation veranschaulicht den statthaften Anspruch des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger. Der Gläubiger hat aufgrund seines Auftragsverhältnisses mit dem Versteigerungsorgan eine unberechtigte Sperrstellung erhalten. Ohne seine Einwilligung wird das Versteigerungsorgan oder in dessen Nachfolge die Hinterlegungsstelle den Erlös nicht an den Pfandrechtsgläubiger auskehren. Anspruchsgrundlage für den Pfandrechtsgläubiger, um diese Einwilligung zu erwirken, ist § 816 Abs. 1 S. 1 BGB.426 Der Gläubiger ist zwar Inhaber eines wirksamen Pfändungspfandrechts geworden. Angesichts des Vorrangs des Pfandrechtsgläubigers ist er aber nicht dazu berechtigt, das Versteigerungsorgan zur Versteigerung im Namen des Gläubigers zu beauftragen. Die daraus erwachsende unberechtigte Verfügung ist bei Gutgläubigkeit des Ersteigerers dem Pfandrechtsgläubiger gleichwohl gegenüber wirksam.427 Um die Bereicherung auszugleichen, muss der Gläubiger der Auskehr des Erlöses an den Pfandrechtsinhaber zustimmen, soweit dessen Pfandrecht berührt ist. Im Ergebnis handelt es sich um einen Anspruch des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger auf Abgabe einer Willenserklärung. Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers lässt sich zugleich aus §§ 1227, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ableiten. Denn die einseitige Beauftragung des Versteigerungsorgans mit der Weisung, den Erlös an den Gläubiger auszukehren, stellt eine Beeinträchtigung des Pfandrechtsgläubigers dar. Die geeignete Maßnahme, um 425 Nimmt das Versteigerungsorgan keine Hinterlegung vor, so kann das Gericht gemäß § 805 Abs. 4 ZPO die Hinterlegung anordnen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kläger seinen Absonderungsanspruch glaubhaft macht. 426 § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist lex specialis gegenüber der allgemeinen Nichtleistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB, deren Anwendung im Anschluss an die Auskehr des Erlöses an den Gläubiger von der h. M. befürwortet wird. Zu den dabei auftretenden Wertungswidersprüchen s. bereits oben unter § 18 III 6 d. 427 Zum mangelnden Verkehrsschutzinteresse bei Bösgläubigkeit des Erwerbers s. bereits oben unter § 17 IV 3 c.
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diese Störung zu beseitigen, stellt die Einwilligungserklärung des Gläubigers in die Auskehr des Erlöses an den Pfandrechtsgläubiger dar.428 5. Der Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger auf Einwilligung in die Erlösauskehr an den Pfandrechtsgläubiger Nicht anders als im Rahmen der Interventionsrechte darf bei den Absonderungsrechten das schuldrechtliche Dreiecksverhältnis zwischen Gläubiger, Schuldner und Pfandrechtsgläubiger nicht vernachlässigt werden. Dem Schuldner steht ein Anspruch gegen den Gläubiger auf Unterlassung von Vollstreckungsmaßnahmen zu, die über die Berechtigung des Schuldners hinausgehen und ihn gegenüber Dritten, hier dem Pfandrechtsgläubiger, regresspflichtig machen würden. Anspruchsziel bei erfolgter Versteigerung ist die Einwilligung des Gläubigers in die Auskehr des Erlöses an den vorrangigen Pfandrechtsgläubiger. Es handelt sich um einen schuldrechtlichen Anspruch auf Beseitigung der durch die einseitige Beauftragung des Versteigerungsorgans eingetretenen Störung. Auf dinglicher Ebene steht dem Schuldner hingegen ein derartiger Anspruch nicht zu, da seine Eigentumsposition an dem erzielten Erlös aufgrund der vorrangigen Pfandrechte nicht beeinträchtigt wird. Der Anspruch des Schuldners hat Bedeutung für die Fälle, in denen der Pfandrechtsgläubiger selbst gegenüber dem Gläubiger nicht tätig werden will oder nicht tätig werden kann.429 So ist beispielsweise die Fallkonstellation denkbar, dass der Pfandrechtsgläubiger nicht rechtzeitig vom Schuldner über die drohende Versteigerung informiert werden kann. Rechtsprechung und Literatur stellen den Schuldner und den Pfandrechtsgläubiger hier schutzlos. 6. Ansprüche im Verhältnis zwischen Pfandrechtsgläubiger und Schuldner Als drittes Bindeglied im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Pfandrechtsgläubiger bedarf das Schuldverhältnis zwischen dem Pfandrechtsgläubiger und dem Schuldner der besonderen Beachtung. Dabei ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Einwendungen des Schuldners gegen die zu sichernde Forderung mit guten Gründen außer Betracht bleiben. Angesichts der Pfandreife im Verhältnis zum nachrangigen Gläubiger vermag die fehlende Fälligkeit der Forderung des Pfandrechtsgläubigers die Verwertung des Pfandobjekts nicht zu hindern.430
428 Zu verneinen ist dieser dingliche Störungsbeseitigungsanspruch allenfalls dann, wenn das Versteigerungsorgan eine Hinterlegung vornimmt. Denn in dieser Situation geht das Eigentum an dem Geld auf die Hinterlegungsstelle über, §§ 929, 932, 935 BGB. Zugleich erlöschen die Pfandrechte an dem erlösten Geld, so dass damit auch der dingliche Bezugspunkt für eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne der §§ 1227, 1004 BGB verloren geht. 429 Zur vergleichbaren Konstellation bei der Interventionsklage s. bereits oben unter § 31 II 2 a. 430 S.o. 2.
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a) Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers auf Einschreiten gegenüber dem Gläubiger Der Pfandrechtsgläubiger ist nicht darauf beschränkt, auf dinglicher Rechtsebene gegen den Gläubiger vorzugehen. Parallel steht ihm die Möglichkeit offen, auf schuldrechtlicher Ebene einen Ausgleich im Rahmen der jeweiligen Schuldverhältnisse zu suchen. Er kann vom Schuldner verlangen, dass dieser von dem ihm gegen den Gläubiger zustehenden Anspruch auf Einwilligung in die Auskehr des Erlöses Gebrauch macht. Ein derartiger Anspruch lässt sich aus dem der Pfandrechtsbestellung zugrunde liegenden Schuldverhältnis ableiten, nach dem der Schuldner verpflichtet ist, alles zu tun, was einer Vereitelung des Pfandrechts im Wege stehen könnte. Zumindest aber besteht ein dinglicher Störungsbeseitigungsanspruch aus §§ 1227, 1004 BGB, da der Schuldner sich aufgrund seiner Leistungsverweigerung das Verhalten des Gläubigers zurechnen lassen muss.431 Der Schuldner kann demzufolge nicht untätig zusehen, wie das bestehende Pfandrecht durch die sich anschließende Zwangsvollstreckung und die Auskehr des Erlöses an den Gläubiger zunichte gemacht wird. b) Der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers auf Einwilligung in die Auskehr des Erlöses Der bevorrechtigte Pfandrechtsgläubiger läuft im Rahmen der Auskehr des Erlöses nicht nur Gefahr, vom Gläubiger, sondern auch vom Schuldner übervorteilt zu werden. Letzterem gebührt ein überschießender Erlös, weshalb der Schuldner seinerseits vom Versteigerungsorgan die Auskehr des über die Gläubigerforderung hinausgehenden Erlöses verlangen kann.432 Dieses Anspruchsbegehren wird dem Versteigerungsorgan unmittelbar einleuchten, da sich das Schuldnereigentum am Pfandobjekt im Wege der dinglichen Surrogation am Erlös fortsetzt. Mithin kann dem bevorrechtigten Pfandrechtrechtsgläubiger auch das Herausgabeverlangen des Schuldners im Wege stehen.433 In der zuvor beschriebenen Situation steht dem Pfandrechtsgläubiger nicht nur gegenüber dem nachrangigen Gläubiger, sondern auch gegenüber dem Schuldner ein Anspruch auf Einwilligung in die Auskehr des Erlöses an ihn, den Gläubiger, zu. Dieser Anspruch leitet sich nicht allein aus dem dinglichen Pfandrecht, §§ 1227, 1004 BGB, und aus dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung ab, sondern auch aus dem der Pfandrechtsbestellung zugrunde liegenden
431 S. dazu bereits die entsprechenden Ausführungen im Rahmen der Interventionsklage unter § 31 II 2 b. 432 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 18. 433 So auch Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnrn. 18, 25, sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 42 II 1. Beide verweisen auf die Möglichkeit der Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite gemäß § 805 Abs. 3 ZPO.
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Schuldverhältnis.434 Der Pfandrechtsgläubiger kann also im Falle der Verwertung zugleich vom Schuldner die Einwilligung in die Auskehr des Erlöses verlangen. c) Der Schutz des Schuldners gegenüber einem unberechtigten Absonderungsbegehren Die Möglichkeit zur Absonderungsklage des Pfandrechtsgläubigers gegenüber dem Schuldner ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des § 805 Abs. 3 ZPO, die es dem Pfandrechtsgläubiger gestattet, seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung auch gegenüber dem Schuldner geltend zu machen.435 Umgekehrt lässt sich daraus ablesen, dass dem Schuldner eine Möglichkeit verbleiben muss, um sich gegen ein unberechtigtes Absonderungsbegehren des Pfandrechtsgläubigers zur Wehr setzen zu können. Dem Schuldner steht für den Fall, dass der Dritte nicht Inhaber eines Pfandrechts ist, ein Anspruch gegen das Versteigerungsorgan auf Auskehr des die Gläubigerforderung übersteigenden Erlöses zu. Sieht sich das Versteigerungsorgan aufgrund des Anspruchsbegehrens des Dritten daran gehindert, so kann der Schuldner seinerseits auf vertraglicher, bereicherungsrechtlicher und dinglicher Ebene vom Dritten die Einwilligung in die Auskehr des Erlöses verlangen.
III. Die Absonderungsklage als allgemeine Leistungsklage Die Absonderungsklage gemäß § 805 ZPO soll ihre Rechtsnatur mit der Interventionsklage teilen. Ihr wird von der h. M. ebenfalls der Charakter einer prozessualen Gestaltungsklage zugeschrieben.436 Erst durch das obsiegende Urteil erhalte der Dritte die Berechtigung, vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös verlangen zu können. Diese Sehensweise erhebt das Prozessrecht über das materielle Recht, was seiner dienenden Rechtsnatur widerspricht und das wechselseitige Verhältnis auf den Kopf stellt. Die Frage der Absonderungsberechtigung beurteilt sich allein nach materiell-rechtlichen Kriterien.437 Dem Prozessrecht kommt – nicht anders als sonst auch – allein die Funktion zu, die gerichtliche Ermittlung der materiell-rechtlichen Ansprüche zu gewährleisten, soweit die Parteien sich nicht gütlich einigen können. 434 Danach hat der Schuldner alle Handlungen zu unterlassen, die zur Vereitelung des Pfandrechts führen könnten. In gleicher Weise muss der Schuldner dann auch an der Verwertung des Pfandrechts mitwirken, soweit dies erforderlich ist. 435 Ein Ausschluss der isolierten Absonderungsklage gegenüber dem Schuldner lässt sich dem Wortlaut des § 805 Abs. 3 ZPO nicht entnehmen. So auch Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnrn. 18, 25. Anders hingegen wohl mit der h. M. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 1. Zu diesem Problem siehe bereits die entsprechenden Ausführungen im Bereich der Interventionsklage zu § 771 Abs. 2 ZPO unter § 31 IV 2 a. 436 Putzo, in: Thomas/Putzo, § 805, Rdnr. 1; Becker, in: Musielak, § 805, Rdnr. 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 15. 437 Dies zeigen die vorherigen Überlegungen zu den unterschiedlichen Absonderungsansprüchen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Pfandrechtsgläubiger.
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1. Intervention gegen die Pfändung versus Absonderung bei der Verwertung Dass der Absonderungsklage keine prozessuale Gestaltungswirkung zukommen kann, ergibt sich unmittelbar aus dem Vergleich mit der Interventionsklage. Letztere berührt fraglos den hoheitlichen Bereich der Zwangsvollstreckung, da sie die kraft des staatlichen Gewaltmonopols bewirkte Pfändung zum Gegenstand hat. Hingegen richtet sich die Absonderungsklage nicht gegen die Pfändung.438 Der Geltungsbereich der Absonderungsrechte ist auf den Verwertungsvorgang begrenzt. Dieser entzieht sich einer hoheitlichen Betrachtungsweise, da die staatliche Gewaltanwendung auf die Begründung des Pfändungspfandrechts beschränkt ist. Die Zäsur zwischen Pfändung und Verwertung bildet die Nahtstelle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Zwangsvollstreckungsrecht und dem Zivilrecht.439 Demzufolge besteht im Rahmen der Verwertung keine Notwendigkeit, die nach materiellem Recht vorgegebenen Leistungsansprüche mit Rücksicht auf das staatliche Gewaltmonopol auf allgemeine Feststellungsklagen zu reduzieren. Es handelt sich mithin bei der Absonderungsklage um eine allgemeine Leistungsklage, die anhand der allgemeinen zivilprozessualen Regelungen zu bewerten ist. 2. Die „prozessuale Gestaltung“ als Synonym für die fingierte Einwilligungserklärung Streitgegenstand der Absonderungsklage des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger ist aufgrund der bisherigen Überlegungen der Anspruch des Pfandrechtsgläubigers auf Einwilligung in die Auskehr des ihm gebührenden Erlöses an dem Pfandobjekt.440 Nicht anders als in vergleichbaren Hinterlegungssituationen muss der bevorrechtigte Gläubiger im Wege der Leistungsklage vorgehen, um sich den Zugriff auf den Erlös zu sichern. Die bloße Feststellungsklage genügt hier ebenso wenig wie die von der h. M. propagierte Gestaltungsklage. Denn beide vermögen nicht die vom nachrangigen Gläubiger abzugebende Ein438 Dieser entscheidende Unterschied wird in der Literatur übersehen, soweit bezüglich der Rechtsnatur der Absonderungsklage pauschal auf die Interventionsklage verwiesen wird (s. dazu nur die in der vorstehenden Fußnote zitierten Autoren). Schon bei der Interventionsklage ist im Vergleich mit der Vollstreckungsabwehrklage zweifelhaft, worin die prozessuale Gestaltungswirkung liegen soll. Denn aufgrund der individualisierten Stoßrichtung der Klage gegen eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme kann nicht davon die Rede sein, dass dem Vollstreckungstitel die Vollstreckbarkeit genommen würde. Noch viel weniger Spielraum für eine prozessuale Gestaltungswirkung bleibt aber im Bereich der Absonderungsklage, die nicht einmal mehr zur Aufhebung der individuellen Vollstreckungsmaßnahme führt, sondern lediglich eine abgesonderte Befriedigung aus dem erzielten Erlös bezweckt. 439 Die Verwertungsvorgänge beim Pfändungspfandrecht sind nicht anders als beim rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Pfandrecht zu bewerten, s.o. § 17 IV 1. 440 Nicht anders klingen die derzeitigen Ausführungen in der Literatur, die allerdings von einer prozessualen Gestaltungsklage ausgeht. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 V 2, definiert den Streitgegenstand etwa wie folgt: „Streitgegenstand der Klage ist das Begehren des Dritten gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger und ggf. gegenüber dem Schuldner, vorrangige Auszahlung des Vollstreckungserlöses verlangen zu können.“
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willigungserklärung in die Auskehr des Erlöses zu ersetzen. Dies ist es aber, was die h. M. mit dem Modell der „prozessualen Gestaltung“ letztlich erreichen will, indem sie den Absonderungsanspruch des Pfandrechtsgläubigers von der Verurteilung des Gläubigers abhängig macht.441 Doch handelt es sich dabei nicht um eine prozessuale Gestaltung, sondern vielmehr um die gesetzliche Fiktion, die § 894 Abs. 1 S. 1 ZPO anordnet. Danach gilt die Einwilligungserklärung des Gläubigers mit der Rechtskraft des obsiegenden Urteils als abgegeben. Es bedarf also keiner gesonderten Vollstreckung des Leistungsanspruchs des Pfandrechtsgläubigers. Dies ändert jedoch nichts an dem Charakter der Absonderungsklage als allgemeine Leistungsklage. 3. Die fehlende Ausschließlichkeit der Absonderungsklage Nicht anders als die Absonderungsklage des Pfandrechtsgläubigers gegen den Gläubiger sind die Klagemöglichkeiten des Schuldners gegen den Gläubiger sowie im Falle des unberechtigten Absonderungsverlangens die umgekehrten Klagemöglichkeiten des Gläubigers und des Schuldners gegen den Pfandrechtsgläubiger zu bewerten. Gegenstand all dieser Klagebegehren ist die Abgabe der notwendigen Einwilligungserklärungen zur Auskehr des Erlöses seitens des Versteigerungsorgans. § 805 Abs. 1 ZPO kommt folglich keine Ausschließlichkeitsfunktion zu.442 Ein derartiges Verständnis lässt sich entgegen der h. M. weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik des § 805 ZPO ableiten.443 Der Absatz 3 der Vorschrift belegt vielmehr, dass der Gesetzgeber insbesondere die darüber hinausgehende Rechtsbeziehung des Pfandrechtsgläubigers zum Schuldner mit ins Kalkül gezogen hat. Es dürfte kaum seine Absicht gewesen sein, mit der Regelung des § 805 ZPO eine dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorgreifende materielle Ausgleichsregelung für das Dreiecksverhältnis Gläubiger – Schuldner – Pfandrechtsgläubiger zu treffen.
IV. Erklärung für das fehlende Titelerfordernis auf Seiten des Pfandrechtsgläubigers Gegen die Absonderungsklage gemäß § 805 ZPO könnte eingewandt werden, sie umgehe das Titelerfordernis, indem dem Pfandrechtsgläubiger ohne Vollstreckungstitel das Recht eingeräumt wird, Zugriff auf den Erlös der Versteigerung zu nehmen. Demgegenüber macht aber die hier entwickelte Konzeption der Zwangsvollstreckung deutlich, dass das Titelerfordernis für den Inhaber eines 441 So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 II 2: „Erst durch das Urteil erhält der berechtigte Dritte die Befugnis, vorrangige Auszahlung des Erlöses des Vollstreckungsverfahrens für sich zu beanspruchen.“ Gaul umschreibt nichts anderes als die mit dem obsiegenden Urteil eintretende gesetzliche Fiktion des § 894 Abs. 1 S. 1 ZPO. 442 So aber die derzeitige Ansicht in der Literatur: Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 V 1; Becker, in: Musielak, § 805, Rdnrn. 1, 8, und Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 46.34. 443 S. dazu bereits die entsprechenden Ausführungen zur Interventionsklage unter § 31 IV.
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bestehenden Pfandrechts überhaupt nicht zum Tragen kommt. Die Zwangsvollstreckung erschöpft sich in der gewaltsamen Begründung eines Pfändungspfandrechts. Die anschließende Verwertung erweist sich hingegen als rein zivilrechtlich zu beurteilender Rechtsvorgang. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Pfandrecht rechtsgeschäftlich, gesetzlich oder hoheitlich begründet worden ist.444 Das Titelerfordernis verliert mithin im Rahmen der Verwertung seine Bedeutung.445 Nur so lässt sich auch das derzeitige Modell der Absonderungsklage von Rechtsprechung und Literatur erklären, die ebenfalls auf eine gesonderte Zahlungsklage des bevorrechtigten Gläubigers verzichten.446
V. Absonderungsansprüche des nachberechtigten Pfandrechtsgläubigers In der Literatur werden Überlegungen angestellt, de lege ferenda den nachberechtigten Pfandrechtsgläubiger an der von einem vorrangigen Gläubiger betriebenen Zwangsvollstreckung zu beteiligen.447 De lege lata wird eine (analoge) Anwendung des § 805 ZPO zugunsten solcher Pfandrechtsgläubiger mit dem Argument verneint, die Teilnahme am Vollstreckungsverfahren setze grundsätzlich einen Titel voraus.448 Träfe dieses Argument zu, so müsste sich jedoch auch der vorrangige Pfandrechtsgläubiger an der Absonderung gehindert sehen. Denn er befindet sich regelmäßig ebenso wenig im Besitz eines Titels. Daran ändert die obsiegende Klage gegen den Gläubiger nichts, da diese Klage nicht gegen den Schuldner gerichtet ist. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn der Pfandrechtsgläubiger die Absonderungsklage gemäß § 805 Abs. 3 ZPO zugleich gegen den Schuldner richten und die zu sichernde Forderung gesondert einklagen würde.449 Dieselbe Möglichkeit stünde aber dem nachrangigen Gläubiger offen, so dass die Ungleichbehandlung beider Gläubiger kaum zu rechtfertigen ist. Der Blick auf das materielle Recht zeigt vielmehr, dass ohne Probleme auch dem nachrangigen Gläubiger ein Absonderungsrecht zugesprochen werden kann.450 Der Nachrang führt allerdings dazu, dass sich der nachrangige Gläubiger nicht so sehr an dem 444
S.o. § 17 IV 1. Aus der Sicht des Schuldners stellt sich der vermeintliche Verzicht auf das Titelerfordernis nicht als unzumutbarer Eingriff in seine Interessensphäre dar. Denn mit der rechtsgeschäftlichen Verpfändung hat sich der Schuldner des Pfandobjekts als Sicherungsmittel begeben. Entsprechendes gilt für die kraft Gesetzes eintretenden Pfandrechte, die regelmäßig mit einem rechtsgeschäftlichen Vorgang wie etwa dem Miet- oder Werkvertrag einhergehen. 446 Ohne eigenen Vollstreckungstitel ist der Pfandrechtsgläubiger allerdings auf die Initiative des Vollstreckungsgläubigers angewiesen, um die Verwertung zu betreiben, Gaul, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken, § 42 I. 447 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 VI. 448 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 VI, sowie Schilken, in: Münchener Kommentar, § 805, Rdnr. 29. 449 Probleme könnten sich hier allerdings aus der fehlenden Pfandreife, d.h. der mangelnden Fälligkeit der zu sichernden Forderung ergeben. S. dazu schon oben unter II 2. 450 Ebenso im Ergebnis Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 68 IX. 445
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die Zwangsvollstreckung betreibenden (vorrangigen) Gläubiger als vielmehr an dem Schuldner zu orientieren hat. Das Versteigerungsorgan hat den erzielten Erlös in der Reihenfolge Gläubiger, nachrangiger Pfandrechtsgläubiger, Schuldner auszukehren. Demzufolge bedarf der nachrangige Pfandrechtsgläubiger lediglich der Einwilligung des Schuldners in die Auskehr des überschießenden Erlöses.451 Der Anspruch hierauf lässt sich aus der schuldrechtlichen Beziehung, dem Bereicherungsrecht und dem dinglichen Pfandrecht ableiten.
VI. Das Konglomerat von Interventionsklage, Absonderungsklage und verlängerter Interventionsklage Neben der Interventionsklage und der Absonderungsklage kennen Rechtsprechung und Literatur die sogenannte verlängerte Interventionsklage.452 Dabei soll es sich um eine dritte Klageart handeln, deren Anwendungsbereich sich im Anschluss an die Klage gemäß § 771 ZPO auf den Zeitraum nach Beendigung der Zwangsvollstreckung erstreckt.453 Gegenstand der Klage ist im Anschluss an die Versteigerung einer schuldnerfremden Sache der bereicherungsrechtliche Anspruch des Eigentümers gegen den Gläubiger auf Herausgabe des Erlöses.454 Dabei handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung um einen Fall der Eingriffskondiktion gemäß § 816 Abs. 1 S. 1 BGB.455 1. Der Erlösherausgabeanspruch des Eigentümers gegen das Versteigerungsorgan Die zeitliche Anknüpfung der Bereicherungsklage des Eigentümers an die Klage gemäß § 771 ZPO scheint nahtlos zu erfolgen. Die Schnittstelle bildet die Versteigerung der schuldnerfremden Sache, mit der die Zwangsvollstreckung beendet und damit eine Herausgabe des Gegenstandes unmöglich erscheint. Diese Grenzziehung erweist sich hingegen bei näherer Betrachtung als lückenhaft, lässt sie doch den Zeitraum zwischen der Versteigerung und der Auskehr des Erlöses unberücksichtigt. Hier stellt sich die Frage, weshalb der Eigentümer seinen Anspruch auf Herausgabe des Erlöses nicht unmittelbar gegenüber dem Vollstreckungsorgan geltend machen kann. 451 Der Gläubiger wird auf den überschießenden Erlös kaum einen Anspruch erheben. Täte er es doch, stünde dem nachrangigen Gläubiger auch ihm gegenüber ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in die Auskehr des Erlöses zu. 452 Noch geläufiger ist die Bezeichnung der verlängerten Vollstreckungsabwehrklage im Anschluss an die Zwangsvollstreckung, Brox/Walker, Rdnr. 1332. 453 Salzmann, in: Wieczorek/Schütze, § 771, Rdnr. 20; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnrn. 84 ff., und Brox/Walker, Rdnr. 1401. 454 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 85, sowie Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 XII 5 a. 455 Die h. M. geht hingegen aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Verständnisses der Versteigerung von einer Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Fall BGB aus. Zu den Wertungswidersprüchen dieser Auffassung s. bereits ausführlich unter § 18 III 6 d.
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Die Versagung eines Erlösherausgabeanspruchs des Gläubigers gegen das Vollstreckungsorgan mag eng mit dem hoheitlichen Verständnis seiner Tätigkeit zusammenhängen. Das Versteigerungsorgan scheint demnach der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche entzogen zu sein.456 Dazu im Widerspruch befürworten aber selbst Rechtsprechung und Literatur im Anschluss an die Versteigerung eine dingliche Surrogation an dem Versteigerungserlös. Es ist daher nicht einsichtig, weshalb dem Eigentümer nicht bereits gegenüber dem Versteigerungsorgan ein Anspruch auf Herausgabe des Erlöses zustehen soll.457 Als problematisch erweist sich in der weiteren Folge allein die Geltendmachung dieses Anspruchs. Denn die Situation ist mit derjenigen vergleichbar, die sich im Falle eines konkurrierenden Pfandrechtsgläubigers einstellt. Die Konkurrenz zwischen Gläubiger und Eigentümer um die Auskehr des Erlöses bringt das Versteigerungsorgan in eine Hinterlegungssituation. Der Erlösherausgabeanspruch des Eigentümers gegen das Vollstreckungsorgan führt ihn daher noch nicht zum Ziel, solange der Gläubiger nicht in die Auskehr des Erlöses einwilligt. 2. Erklärung für das „Wahlrecht“ zur Interventionsklage Ist schon der Pfandrechtsgläubiger berechtigt, vom Gläubiger die Einwilligung in die Auskehr des Erlöses zu verlangen,458 so muss dies erst recht für den Eigentümer gelten. Dieser Anspruch leitet sich nicht anders als der spätere Anspruch auf Auszahlung des bereits ausgekehrten Erlöses aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ab. Die Verfügung eines Nichtberechtigten liegt in der unberechtigten Veräußerung des Pfandobjekts durch den Gläubiger, der an dem schuldnerfremden Pfandobjekt kein Pfändungspfandrecht erworben hat. Diese Verfügung ist bei Gutgläubigkeit des Ersteigerers dem Gläubiger gegenüber wirksam.459 Solange nun der Erlös noch nicht vom Versteigerungsorgan an den Gläubiger ausgekehrt ist, liegt dessen „Erlangtes“ in seiner Sperrstellung. Die Herausgabe dieser Bereicherung erfolgt mittels Einwilligung in die Auskehr des Erlöses. Der Kreis der Überlegungen schließt sich. Denn Rechtsprechung und Literatur kommen zu ähnlichen Ergebnissen, indem sie dem Interventionsberechtigten das freie Wahlrecht zwischen der Interventionsklage und der Absonderungsklage einräumen.460 Dieses Wahlrecht ist allerdings nicht alternativer, sondern kumula456 Zu den Wertungswidersprüchen, die sich aus der „Sperrstellung“ des Versteigerungsorgans ergeben s. bereits ausführlich unter § 18 III 6 b. 457 Aufgrund der von der h. M. angenommenen dinglichen Surrogation lässt sich ein Vindikationsanspruch des Eigentümers kaum leugnen. Unabhängig davon veranschaulicht das hier entwikkelte zivilrechtliche Verständnis der Versteigerung, dass dem Eigentümer zumindest ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zusteht. Denn nicht nur der Gläubiger, sondern auch das Versteigerungsorgan verfügt in seiner vom Gläubiger abgeleiteten Rechtsstellung als Nichtberechtigter über das schuldnerfremde Eigentum. 458 S.o. II 4. 459 S.o. § 17 IV 3. 460 Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnrn. 1, 16; Baumann/Brehm, § 13 III 6 b; Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 68 II 2 b; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 16 III 2; Schilken, in:
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tiver Art. Entsprechend den materiell-rechtlichen Gegebenheiten schließt das Absonderungsrecht des Eigentümers nämlich dessen Intervention nicht aus, sondern bildet lediglich das zeitliche Bindeglied im Übergang von der Interventionsklage zur Bereicherungsklage. Entgegen der in diesem Zusammenhang geäußerten Prämisse von Rechtsprechung und Literatur erfolgt der Übergang von der Interventionsklage zur verlängerten Interventionsklage also nicht nahtlos, sondern vielmehr über den Weg der Absonderungsklage. Indem Rechtsprechung und Literatur diese „wahlweise“ dem Interventionsberechtigten zugestehen, sprechen sie diesem im Ergebnis einen Erlösherausgabeanspruch gegen das Versteigerungsorgan zu, den es nach der öffentlich-rechtlichen Konzeption der Versteigerungsvorgänge nicht geben dürfte.461 3. Die Nähe der verlängerten Interventionsklage zur Absonderungsklage Es ist festzustellen, dass die „verlängerte Interventionsklage“ nicht auf das Verhältnis von Eigentümer und Gläubiger beschränkt werden darf. Als Anspruchsgegner muss vielmehr das Versteigerungsorgan einbezogen werden, um dem Eigentümer einen bestmöglichen Schutz des ihm gebührenden Erlöses zu gewährleisten. Es wäre nicht einzusehen, weshalb der frühzeitig einschreitende Eigentümer erst die Auskehr des Erlöses an den Gläubiger abwarten müsste. Dem Eigentümer würde ein unzumutbares Insolvenzrisiko aufgebürdet. Die Betrachtungen untermauern die eigentliche Nähe zwischen der verlängerten Interventionsklage und der Absonderungsklage. Beide Klagen ermöglichen es dem Dritten, seine materiell-rechtlichen Ansprüche an dem im Rahmen der Versteigerung erzielten Erlös geltend zu machen. Es handelt sich jeweils um allgemeine Leistungsklagen, deren materiell-rechtlicher Hintergrund im Bereicherungs- und Sachenrecht anzusiedeln ist. Diese Klagen richten sich in einem ersten Schritt gegen das Versteigerungsorgan, was bislang bei der Diskussion im Rahmen der „verlängerten Interventionsklage“ vernachlässigt wird. Erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, welche Ansprüche dem Eigentümer oder Pfandrechtsgläubiger zustehen, sofern der erzielte Erlös zu Unrecht an den Gläubiger ausgekehrt worden ist. Diesen zweiten Schritt haben Rechtsprechung und Literatur im Zusammenhang mit der „verlängerten Interventionsklage“ vor Augen, vernachlässigen ihn hingegen im Rahmen der Absonderungsklage. Dort gibt es aber ebenso ein materiell-rechtliches Pendant.
Münchener Kommentar, § 805, Rdnr. 3 a.E., und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 III 2 und IV 1. 461 Dieser Wertungswiderspruch der h. M. dürfte bislang deshalb nicht aufgefallen sein, weil die Frage der Konkurrenz von Interventionsklage und Absonderungsklage getrennt von der Frage der Konkurrenz von Interventionsklage und Bereicherungsklage erörtert wird. Die Konkurrenzfragen lassen sich jedoch aufgrund der materiell-rechtlichen Verbindungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem nicht getrennt voneinander beurteilen.
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4. Die „verlängerte Absonderungsklage“ Der Pfandrechtsinhaber ist nicht zwingend darauf angewiesen, im Wege der Absonderungsklage gegen den Gläubiger vorzugehen, um sich seinen Anteil an dem erzielten Versteigerungserlös zu sichern. Versäumt oder unterlässt der Pfandrechtsinhaber eine derartige Klage, so bleibt es ihm unbenommen, nach Auskehr des Erlöses an den Gläubiger diesen unmittelbar auf Auszahlung des zu Unrecht ausgekehrten Erlöses in Anspruch zu nehmen. Anspruchsgrundlage für diese „verlängerte Absonderungsklage“ ist – nicht anders als im Rahmen der „verlängerten Interventionsklage“ – die Eingriffskondiktion aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB.462 Gemäß § 1227 BGB stehen dem Pfandrechtsgläubiger dieselben Rechte zu wie sie dem Eigentümer zustehen würden. Der Gläubiger hat als Nichtberechtigter über das Pfandobjekt verfügt, da er sich eine ihm nicht zustehende Rolle als erstrangiger Gläubiger angemaßt hat. Demzufolge muss er den durch die mangelnde Berechtigung zuviel erlangten Erlös an den Pfandrechtsgläubiger herausgeben.463 5. Die Absonderung als Brücke zwischen Intervention und Bereicherungsausgleich Die Gemeinsamkeiten zwischen der Klage gemäß § 771 ZPO und derjenigen gemäß § 805 ZPO lassen sich abschließend dahingehend zusammenfassen, dass beide Klagearten auf einer dreistufigen Skala anzusiedeln sind. Aus dem materiellen Recht ergibt sich die folgende zeitliche Abstufung von denkbaren Ansprüchen, die ein dinglich bevorrechtigter Dritter im Rahmen der Pfändung und Verwertung einer Sache geltend machen kann: Zeitraum: 1. vor Versteigerung 2. nach Versteigerung und vor Auskehr 3. nach Auskehr des Erlöses
Anspruch: dingliche Intervention dingliche Absonderung des Erlöses Abschöpfung der Bereicherung
Aus materiell-rechtlicher Sicht lässt sich diese Pyramide noch um eine weitere Stufe ergänzen. Im Vorfeld der Versteigerung ist die Pfändung anzusiedeln, gegen die sich der Dritte bereits im Wege einer vorbeugenden Feststellungsklage zur Wehr setzen kann. Er ist nicht gezwungen, die Pfändung abzuwarten, um dann die Interventionsklage geltend zu machen.464 Allerdings wird dem Dritten die 462 In der Literatur findet sich zumeist nur ein pauschaler Hinweis auf die materiellen Ausgleichsansprüche gemäß § 812 BGB. So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 V 5. Ausdrücklich gegen die Anwendung des § 816 BGB plädiert Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 27, Fn. 91. 463 Diesem gegenüber ist die Verfügung wirksam, sofern sein Pfandrecht infolge der regelmäßig anzunehmenden Gutgläubigkeit des Erwerbers in der Versteigerung erloschen ist, §§ 929, 936 BGB. 464 S.o. § 31 V 3.
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Gefahr der drohenden Zwangsvollstreckung regelmäßig nicht bekannt sein, weshalb diese Komponente weitgehend zu vernachlässigen ist. Der eigentliche Unterschied zwischen der Klage gemäß § 771 ZPO und derjenigen gemäß § 805 ZPO leitet sich demnach aus der zeitlichen Abstufung ab. Während die Interventionsklage im Vorfeld der Versteigerung anzusiedeln ist, setzt die Absonderungsklage erst im Anschluss daran an, da dem Pfandrechtsgläubiger eine vorherige Intervention gegen die Versteigerung materiell-rechtlich verwehrt ist. Für die nachfolgenden Stufen ergibt sich hingegen aus materiellrechtlicher Sicht keine Veranlassung zu einer weitergehenden Unterscheidung. Sowohl der Interventionsberechtigte als auch der Absonderungsberechtigte sind vor der Auskehr des Erlöses zur Absonderung und nach erfolgter Auskehr zur Abschöpfung der Bereicherung berechtigt. Die verbleibenden Unterschiede in der rechtlichen Bewertung der statthaften Klageart erklären sich aus dem Übergang von der hoheitlichen Pfändung im Vorfeld der Versteigerung (erste Stufe) zu den sich anschließenden allein zivilrechtlich zu bewertenden Verwertungsvorgängen (zweite und dritte Stufe). Das staatliche Gewaltmonopol hat allein Einfluss auf die Interventionsklage und reduziert diese auf eine allgemeine Feststellungsklage. Im Bereich der Absonderung des Erlöses und der Abschöpfung der Bereicherung ergeben sich hingegen keine vom materiellen Recht oder vom Prozessrecht abweichende Besonderheiten.
VII. Das Besitzpfandrecht In Rechtsprechung und Literatur ist es umstritten, ob das Besitzpfandrecht seinen Inhaber zur Geltendmachung der Interventionsklage berechtigt. Während die h. M. diese Frage unter Hinweis auf den Wortlaut des § 805 Abs. 1 ZPO sowie unter Rückgriff auf die zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 1227, 1232 S. 1 BGB465 bejaht,466 beschränkt die Gegenansicht den Inhaber des Besitzpfandrechts auf die Absonderungsklage.467 Nimmt man hingegen den von der h. M. bemühten Wortlaut des § 805 Abs. 1 ZPO ernst, so ergibt sich eine vermittelnde Meinung. Die Vorschrift bestimmt, dass der Pfändung einer Sache ein Dritter, der sich nicht im Besitz der Sache befindet, aufgrund eines Pfand- oder Vorzugsrechts nicht widersprechen kann. Es wird nicht zwischen Besitzpfandrecht und besitzlosem Pfandrecht unterschieden, sondern zwischen Besitz und Pfandrecht. Es erscheint also ratsam, zwischen der Geltendmachung des Besitzes und der 465 Nach diesen Vorschriften soll der vorrangige Besitzer den günstigsten Verwertungszeitpunkt selbst bestimmen können, Brox/Walker, Rdnr. 1418. 466 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 805, Rdnr. 1; Karsten Schmidt, in: Münchener Kommentar, § 771, Rdnr. 34; Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 771, Rdnrn. 22 f.; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 2; Herget, in: Zöller, § 771, Rdnr. 14, und Brox/Walker, Rdnr. 1418. 467 So noch Rosenberg, 9. Aufl., § 185 III 2 b, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 771, Rdnr. 17, der die Interventionsklage nur bei einer Beeinträchtigung durch Wegnahme, nicht aber durch bloße Pfändung gewähren will. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 41 VI 5, hat seine frühere Ansicht ausdrücklich aufgegeben und sich der h. M. angeschlossen.
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Einforderung des Pfandrechts strikt zu unterscheiden. Dafür spricht der weitere Umstand, dass beide Elemente auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Der Besitz kennzeichnet die tatsächliche Herrschaftsgewalt, während sich das Pfandrecht als beschränkt dingliche Eigentumskomponente darstellt. 1. Beschränkt dingliche Eigentumskomponente: Absonderungsklage Die Eigentumskomponente des Besitzpfandrechts findet ihre sachgerechte Berücksichtigung in der Möglichkeit zur Absonderungsklage gemäß § 805 ZPO. Sinn und Zweck dieser Regelung kommen insoweit zum Tragen, als das Sicherungselement des Besitzpfandrechts den Erhalt der Sache nicht voraussetzt. Ein Interventionsrecht ist dem Inhaber folglich zu versagen. Der Absonderungsklage bedarf es hingegen, um dem materiell-rechtlichen Anspruch des Pfandrechtsinhabers auf bevorzugte Auskehr des Erlöses Rechnung tragen zu können.468 2. Besitzkomponente: Vollstreckungserinnerung anstelle Interventionsklage Betrachtet man in einem zweiten Schritt die Besitzkomponente des Besitzpfandrechts, so ist diese nicht anders zu beurteilen als die Besitzposition eines Dritten, der nicht zugleich Inhaber eines Pfandrechts ist. Aufgrund der tatsächlichen Sachherrschaft setzt der gewaltsame Entzug des Besitzes einen Vollstreckungstitel voraus. Dieser Notwendigkeit trägt bereits die Regelung des § 809 ZPO Rechnung, indem sie die Pfändung der Sache bei einem Dritten von dessen Einverständnis abhängig macht. Verstößt das Vollstreckungsorgan gegen diese Vorschrift, so steht dem Dritten gemäß § 766 ZPO die Vollstreckungserinnerung zu. Nicht umsonst wird daher unter Berufung auf die Vorschriften der §§ 766, 809 ZPO der Gewährung eines zusätzlichen Interventionsrechts für den Besitzer die Gefolgschaft versagt.469 Nichts anderes gilt dann aber für denjenigen Besitzer, der zugleich Inhaber eines Pfandrechts ist. Die Pfandrechtskomponente unterliegt der gesonderten Berücksichtigung im Rahmen der Absonderungsklage und vermag demzufolge genauso wenig die Gewährung einer Interventionsklage zu rechtfertigen wie der Besitz.470 468 Die h. M. will dem Inhaber eines Besitzpfandrechts die Absonderungsklage hingegen unter Verweis auf die Interventionsklage nur dann zugestehen, wenn die Pfandsache abhanden gekommen ist, Brox/Walker, Rdnr. 1460, und Münzberg, in: Stein/Jonas, § 805, Rdnr. 6. Diese Ansicht ist insofern irreführend, als dem Interventionsberechtigten im Allgemeinen das Recht zugestanden wird, sich mit der Absonderungsklage zu begnügen. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 42 IV 1, weist daher zutreffend darauf hin, dass dieses Wahlrecht unberührt bleiben soll. 469 Brox/Walker, Rdnr. 1420, und Putzo, in: Thomas/Putzo, § 771, Rdnr. 21. Für die Zulassung der Interventionsklage bei berechtigtem Besitz plädieren hingegen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 771, Rdnr. 35; Schuschke, in: Schuschke/Walker, § 771, Rdnr. 24, und Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, § 771, Rdnr. 15. 470 Im Ergebnis sprechen daher gute Gründe dafür, das Interventionsrecht gemäß § 771 ZPO in Anlehnung an das französische Modell auf das Eigentum zu beschränken. Näher zur Situation in Frankreich Traichel, S. 69.
§ 33 Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO
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Die Überlegungen finden ihre Bestätigung im Formalisierungsprinzip, dem die Interventionsklage Rechnung trägt. Sinn der Klage ist es, einen formalisierten Vollstreckungstatbestand auf gerichtlichem Wege mit den Mitteln des Erkenntnisverfahrens zu widerlegen. Diese Notwendigkeit entfällt bezüglich des Besitzes, da dieser unmittelbar vom Vollstreckungsorgan wahrgenommen und berücksichtigt wird. Es gibt keine formalisierte Besitzprüfung. Soweit hingegen der Besitz als formalisierter Vermutungstatbestand für das Eigentum fungiert, beschränkt sich diese Funktion auf das (formalisierte) Vollstreckungsverfahren und verliert ihre Bedeutung im Rahmen der gerichtlichen Interventionsklage. Diesbezüglich ist daher die Vollstreckungserinnerung der statthafte Rechtsbehelf, mit dessen Hilfe sich der Besitzer gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen kann. Dem Inhaber eines Besitzpfandrechts, das in der Zwangsvollstreckung beeinträchtigt wird, steht im Ergebnis ein freies Wahlrecht zu. Hat er ein Interesse am Besitzerhalt, so ist ihm die Einlegung der Vollstreckungserinnerung anzuraten. Genügt ihm hingegen eine Kompensation seines Sicherungsinteresses, so steht ihm der Weg zur Absonderungsklage offen. Dieses abgestufte Wahlrecht entspricht nicht nur dem Interesse des Pfandrechtsinhabers, sondern auch demjenigen der übrigen Beteiligten an einer möglichst reibungslosen Versteigerung.
VIII. Ergebnis Das abgestufte Verständnis der Interventions- und Absonderungsklage ermöglicht eine Rückbesinnung auf die materiell-rechtlichen Abwicklungsmechanismen bei der Pfändung und Verwertung einer Sache, an der ein Dritter ein vorrangiges Recht geltend macht. Die Regelungen der §§ 771, 805 ZPO beanspruchen keine Ausschließlichkeit, sondern greifen lediglich die dingliche Rechtsbeziehung zwischen dem Dritten und dem Gläubiger auf. Die schuldrechtlichen Beziehungen im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem dürfen daher nicht vernachlässigt werden. Ihre Berücksichtigung sowie die Einbeziehung des Versteigerungsorgans als möglichen Anspruchsgegner ermöglicht eine sachgerechte Abstufung von dinglicher Intervention gegen die Verwertung der Sache, abgesonderter Befriedigung bei Auskehr des Erlöses und bereicherungsrechtlicher Abschöpfung des zu Unrecht ausgekehrten Erlöses.
§ 33 Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO I. Das Zerrbild des § 765 a ZPO Wie kaum ein anderer Rechtsbehelf spiegelt der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO die innere Zerrissenheit der vollstreckungsrechtlichen Dogmatik wider. Nach dieser Regelung kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung aufheben, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Hier finden Begrifflichkeiten Verwendung, die teils dem öffentlichen Recht, teils dem Zivilrecht entnommen sind. So weist das Kriterium der „guten Sitten“ vor dem Hintergrund des § 138 BGB eindeutig zivilrechtliche Züge auf. Umgekehrt erinnern die Formulierungen „Schutzbedürfnis des Gläubigers“, „besondere Umstände“ und „Härte“ an den öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die in diesem Zusammenhang gebräuchlichen Härteklauseln des öffentlichen Rechts. Angesichts dieser Zerrissenheit muss es nicht verwundern, wenn die Regelung des § 765 a ZPO zum einen als vollstreckungsrechtliche Konkretisierung der zivilrechtlichen Vorschriften über die unzulässige Rechtsausübung471 und zum anderen, teilweise im selben Atemzug,472 als Ausformung des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes473 verstanden wird.474 Die letztgenannte Komponente geht namentlich auf das Bundesverfassungsgericht zurück, das die Generalklausel des § 765 a ZPO als „Einbruchstelle“ der Grundrechte auslegt, so dass die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, namentlich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, im Zwangsvollstreckungsverfahren zur Anwendung kommen.475 Der Vorschlag des Bundes deutscher Rechtspfleger, unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung die Regelung des § 765 a ZPO ihres Charakters als Rechtsmissbrauchsklausel zu entkleiden und zu einer solchen des allgemeinen Abwägungsprinzips der Verhältnismäßigkeit umzugestalten,476 hat sich hingegen nicht durchgesetzt. Er wurde unter Hinweis auf den „spezifisch vollstreckungsrechtlichen Rechtsmissbrauchsgedanken“, der der Härteklausel des § 765 a ZPO zugrunde liege, verworfen. Die bisherigen Erfahrungen in Bezug auf eine sinnvolle Ausgestaltung des Vollstreckungsschutzes dürften nicht über Bord geworfen werden.477 In dieser Forderung manifestieren sich die „spezifischen Eigenarten“ des Vollstreckungsrechts. Diese vermeintlichen Eigenarten transparenter zu gestalten, ist Anliegen der folgenden Ausführungen.
II. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Ebene Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist die Erzwingung der Erfüllung des Gläubigeranspruchs mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols.478 Letzteres erst 471 Henckel, S. 362 ff.; Arwed Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, § 27 II 6; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 17 I; Jauernig, § 31 V; Heßler, in: Münchener Kommentar, § 765 a, Rdnr. 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 4, und Götte, ZZP 1987, 412 (433 f.). 472 So etwa bei Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 4, 5. 473 Ganz entschieden in diese Richtung gehen die Ausführungen von Wieser, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 96 ff. Vorsichtiger äußert sich Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 5. 474 Gerhardt, ZZP 1982, 467 (487), hält die Unterscheidung für „wenig hilfreich“. 475 BVerfGE 52, 214 (219 f.). 476 Wiedergabe des Vorschlags bei Behr, Rpfleger 1989, 13 (13). 477 So namentlich Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (77). 478 S.o. § 2 I und II.
§ 33 Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO
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macht es notwendig, im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner sorgfältig zwischen der öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsbeziehung zum Vollstreckungsorgan und dem privatrechtlichen Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner zu unterscheiden.479 Die öffentlich-rechtlich zu beurteilende Vollstreckungsrechtskomponente erschöpft sich dabei nach ihrem Sinn und Zweck in der Substituierung der fehlenden freiwilligen Erfüllungshandlung des Schuldners. Zu bewerten ist dieser Vorgang als öffentlichrechtliches Verwaltungsverfahren. Diese Charakterisierung des Zwangsvollstreckungsverfahrens erlaubt es, die öffentlich-rechtliche Komponente des Vollstreckungsschutzantrages näher zu bestimmen. In einem zweiten Schritt stellt sich sodann die Frage, ob und ggf. welche Auswirkungen das privatrechtliche Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner auf den „Vollstreckungsschutz“ haben kann.
III. Der öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsbeziehung zum Vollstreckungsorgan Die Charakterisierung des Vollstreckungsrechts als öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren führt unmittelbar zu der Konsequenz, dass das Vollstreckungsorgan den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat.480 Dieser ist Ausdruck des Grundrechtskatalogs sowie des in Art. 20 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips. Als Auswuchs höherrangigen Rechts zwingt er zu einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung, was im Härtefall eine teleologische Reduktion der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften rechtfertigen kann. Nichts anderes besagt die Regelung des § 765 a ZPO. 1. Die unbegründete Angst vor einer Aufweichung der Zwangsvollstreckung Die speziellen Pfändungsschutzbestimmungen des Vollstreckungsrechts tragen nur in typisierter Form dem Sozialstaatsgedanken Rechnung, der im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols zu berücksichtigen ist. Sie lassen „besondere Umstände“ im Sinne des § 765 a Abs. 1 ZPO, die zu einer „Härte“ für den Schuldner führen können, unberücksichtigt.481 Auch ohne die Regelung des § 765 a ZPO wäre das Vollstreckungsorgan bzw. das Vollstreckungsgericht im Einzelfall gehalten, eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung vorzunehmen 479 In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Weyland, S. 212, der zutreffend darauf hinweist, dass sich das Gebot von Treu und Glauben „primär“ an den Gläubiger, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sich dagegen „in erster Linie“ an den Staat richtet. Der Einschränkung „primär“ und „in erster Linie“ bedarf es hingegen nicht, wie die nachfolgenden Überlegungen zeigen werden. 480 S.o. § 7 IV. 481 § 765 a ZPO wird daher auch als Auffangtatbestand für besondere Härtefälle verstanden, Henckel, S. 369; Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 47.7; Heßler, in: Münchener Kommentar, § 765 a, Rdnr. 1; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 2; Walker, in: Schuschke/Walker, § 765 a, Rdnr. 2, und Gottwald, § 765 a, Rdnr. 5. Kritisch hingegen Behr, Rpfleger 1989, 13 (13).
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und die besonderen Belange des Schuldners482 zu beachten. Dabei dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht die grundsätzlich vorrangigen Interessen des Gläubigers an der Realisierung seiner Forderung aber nicht missachtet werden. Denn sie sind ihrerseits durch Art. 14 GG geschützt. Es handelt sich zumeist um den Fall einer Grundrechtskollision, die eine Abwägung der Belange beider Seiten verlangt.483 Nichts anderes kommt in der Regelung des § 765 a Abs. 1 ZPO zum Ausdruck, die namentlich auf das besondere „Schutzbedürfnis des Gläubigers“ abstellt.484 Gegen ein derartiges öffentlich-rechtliches Verständnis des § 765 a ZPO werden dogmatische Bedenken ins Feld geführt. Man solle im Zivilrecht nicht vergessen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seinen angestammten Platz im klassischen Verwaltungsrecht, im Eingriffsverhältnis des Staates zum Bürger habe und deshalb nicht ohne weiteres auf die Beziehung des Gläubigers zum Schuldner zu übertragen sei.485 Diese dogmatischen Bedenken lassen außer acht, dass es sich angesichts des staatlichen Gewaltmonopols gerade in der Zwangsvollstreckung um ein staatliches Eingriffsverhältnis und nicht nur um ein Gleichordnungsverhältnis von Gläubiger und Schuldner handelt.486 Damit stellt sich gerade die Zwangsvollstreckung als klassisches Verwaltungsrecht dar.487 Die eigentlichen Bedenken gegen eine Bezugnahme auf das öffentlich-rechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip wurzeln hingegen tiefer. Sie resultieren aus einem tiefen Misstrauen gegenüber Tendenzen zur Aufweichung der Zwangsvollstreckung.488 Dieses durchaus ernst zu nehmende Argument äußert sich in dem Hinweis, der Maßstab der in § 765 a Abs. 1 ZPO angesprochenen „guten Sitten“ sei wesentlich enger aufzufassen als derjenige der Verhältnismäßigkeit.489 Letzterer sage nichts darüber aus, wann ein rechtes, vernünftiges und angemessenes Verhältnis zwischen Mittel und Zweck bestehe, weshalb auf Kriterien außerhalb dieses Grundsatzes zurückgegriffen werden müsse.490 Dieser Einwand wird jedoch zum Bumerang; kehrt er sich doch umgekehrt gegen den 482 Zu denken ist beispielsweise an eine lebensbedrohliche Krankheit oder die immer wieder thematisierten Fälle der Suizidgefahr. Zuletzt dazu BGH NJW 2006, 505 (505 ff.); 508. Näher zu den denkbaren Umständen Münzberg, in: Stein/Jonas, § 765 a, Rdnr. 6; Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, § 765 a, Rdnrn. 13 ff., und Lackmann, in: Musielak, § 765 a, Rdnrn. 13 ff. 483 S.o. § 7 III 2. 484 Ebenso Gerhardt, ZZP 1982, 467 (487). Ähnlich auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 5. 485 Gaul, JZ 1974, 249 (282, 284 f.); ders., in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (103). 486 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Staat eine eigene Forderung oder aber eine solche eines privaten Gläubigers durchsetzt. Denn schließlich besteht auch insoweit in der Literatur weitgehende Einigkeit, dass es für eine Privilegierung der Verwaltungsvollstreckung keine Veranlassung gibt. 487 S.o. § 4 VI. 488 So etwa Gerhardt, ZZP 1982 467 (491), der die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ablehnt. 489 Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (102 ff.). 490 Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (102).
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Begriff der „guten Sitten“. Gerade hier mangelt es an klaren Kriterien, weshalb im grundrechtsrelevanten Bereich unter dem Stichwort der „mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte“ auf die verfassungsrechtlichen Kriterien zurückgegriffen wird.491 Ein weiterer Blick auf die umfangreiche Kasuistik zu § 765 a ZPO lehrt,492 dass bei der Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteresse stets die in den Grundrechten manifestierten Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden. Die Gefahr einer ausufernden Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist nur dann gegeben, wenn die Ausgangslage in der Zwangsvollstreckung allzu sehr vernachlässigt und das Vollstreckungsorgan einseitig zugunsten der Interessen des Schuldners Partei ergreift.493 Diese Gefahr resultiert jedoch nicht aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als solchem, sondern allenfalls aus seiner unzureichenden Anwendung. Im zweiten Teil ist gezeigt worden, dass das Vollstreckungsorgan aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips verpflichtet ist, die bestgeeignete Vollstreckungsmaßnahme zu ergreifen. Denn die Zwangsvollstreckung stellt zunächst einmal aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols einen Eingriff in die durch Art. 14 GG geschützte Gläubigersphäre dar.494 Um diese Waagschale aufzuwägen, bedarf es schon eines Grundrechtseingriffs auf Seiten des Schuldners. Nur dann, wenn darüber hinaus ein Härtefall vorliegt, führt die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu dem Ergebnis, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen oder aufzuheben ist. In der zivilrechtlich geprägten Terminologie wird dann im Sinne des § 765 a Abs. 1 ZPO von einer „Unvereinbarkeit mit den guten Sitten“ gesprochen. Die Begriffskategorien sind also, was die Eingriffsintensität anbelangt, deckungsgleich. Hinsichtlich ihrer rechtlichen Herkunft hat die Bezeichnung der „guten Sitten“ hingegen den Nachteil, dass sie aufgrund ihrer zivilrechtlichen Prägung mit dem staatlichen Eingriffsverhältnis zwischen dem Vollstreckungsorgan und den Vollstreckungsparteien kaum in Übereinstimmung zu bringen ist.495 Es besteht die Gefahr, dass die Bedeutung der Grundrechte auf eine mittelbare Drittwirkung reduziert wird. Diese Gefahr lässt sich auch kaum dadurch ausgleichen, dass die grundsätzlich nachrangigen Interessen des Schuldners in der Diskussion mehr und mehr in den Vordergrund treten.
491 Nicht anders erwecken die von Baur/Stürner/Bruns, Rdnrn. 47.5 ff., aufgegriffenen Begrifflichkeiten in Form von Ergänzungsfunktion, Ermächtigungsfunktion und Schrankenfunktion Erinnerungen an verfassungsrechtliche Begriffskategorien. 492 S. statt vieler nur Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 765 a, Rdnrn. 13 ff., und Lackmann, in: Musielak, § 765 a, Rdnrn. 13 ff. 493 Ähnlich zur Anwendung der Grundrechte in der Zwangsvollstreckung Gaul, § 43 I 5, der die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedoch (trotzdem) ablehnt. 494 S.o. § 3 II. 495 Dieses Eingriffsverhältnis, das in der Zwangsvollstreckung nicht anders als in anderen Verwaltungsverfahren zum Tragen kommt, vernachlässigt Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 5, indem er § 765 a ZPO auf das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis bezieht. Demzufolge leugnet Gaul auch die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
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2. Das zweifelhafte Antragserfordernis Der Vollstreckungsschutz wird gemäß § 765 a Abs. 1 ZPO „auf Antrag des Schuldners“ gewährt. Diese Formulierung wird einvernehmlich derart interpretiert, dass die Entscheidung über das Vorliegen eines Härtefalles allein von dem Vollstreckungsgericht und nur auf Antrag des Schuldners getroffen werden könne.496 Dabei muss es überraschen, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Normverständnis für mit dem Grundgesetz vereinbar hält. Die Begründung, dass das Antragserfordernis Ausdruck der Selbstverantwortung des Schuldners sei,497 steht im Widerspruch zu der mangelnden Disponibilität der Grundrechte. Die verfassungsrechtlichen Probleme stellen sich nicht, wenn man die Regelung des § 765 a Abs. 1 ZPO in Anlehnung an § 766 Abs. 1 ZPO derart auslegt, dass das Antragserfordernis sich allein auf die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts bezieht, das Vollstreckungsorgan hingegen von Amts wegen die Frage der Verhältnismäßigkeit zu beachten hat.498 Ein derartiges Verständnis des Vollstreckungsschutzes lässt sich aus § 765 a ZPO in gleicher Weise ableiten wie das derzeitige Verständnismodell, da die Regelung lediglich eine Aussage zu der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts trifft. Dass dadurch eine vorherige Entscheidung des Vollstreckungsorgans ausgeschlossen sein soll,499 lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen.500 Schließlich wird auch das in § 766 Abs. 1 ZPO verankerte Antragserfordernis ausschließlich auf die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts bezogen. Anders ließe sich nicht erklären, weshalb es sich bei dem Vollstreckungsschutzantrag – ebenso wie bei der Vollstreckungserinnerung – um einen Rechtsbehelf handeln soll.501 Mangelte es an einer vorherigen Entscheidung des Vollstreckungsorgans über die Gewährung von Vollstreckungsschutz, so würde der Gegenstand für eine gerichtliche Überprüfung fehlen.502 Für die Notwendigkeit, das Verhältnismäßigkeitsprinzip bereits innerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu beachten, spricht nicht zuletzt der Vergleich
496 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, § 765 a ZPO, Rdnr. 7; Münzberg, in: Stein/Jonas, § 765 a, Rdnr. 19, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 VI 2. 497 BVerfGE 61, 126 (137 f.). 498 Sehr hilfreich sind hier die Ausführungen von Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (77 ff., 82); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 II, zur Entstehungsgeschichte des § 765 a ZPO. Dessen Vorläufer, § 872 des Entwurfs von 1931, sah nach den gesetzgeberischen Motiven ausdrücklich eine Prüfung des „Vollstreckungsschutzes“ sowohl von Amts wegen als auch im Erinnerungswege vor. 499 So das derzeitige Meinungsbild: Henckel, S. 375 f.; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 17 I, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 3. 500 Zu denken ist allenfalls an einen Umkehrschluss aus § 765 a Abs. 2 ZPO, der dem Gerichtsvollzieher die Befugnis einräumt, die Herausgabevollstreckung bis zu einer Woche hinauszuschieben. Im Umkehrschluss könnte daraus gefolgert werden, dass weitergehende Maßnahmen dem Gerichtsvollzieher nicht gestattet sind. 501 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 1. 502 Um dieser Bredouille zu entgehen, will die Literatur zwischen gesetzlichem und gerichtlichem Vollstreckungsschutz unterscheiden, so Lippross, Vollstreckungsschutz, S. 140 f.; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 3, und Henckel, S. 353.
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mit anderen Verwaltungsverfahren. Hier rühren sich keinerlei Bedenken gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch die Verwaltungsbehörde. Im Gegenteil begründet die Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung.503 Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht um ein isoliert zu prüfendes einfachgesetzliches Tatbestandsmerkmal handelt, sondern um ein höherrangiges Verfassungsprinzip. Dessen Anwendung lässt sich demzufolge nicht von der einfachgesetzlichen Gesetzesauslegung trennen.504 Sein verfassungsrechtlicher Rang unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit der Beachtung schon innerhalb des Vollstreckungsverfahrens. Gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Zwangsvollstreckungsverfahren könnte eingewandt werden, das Vollstreckungsorgan sei zu einer derartigen Prüfung angesichts der Formalisierung der Zwangsvollstreckung überhaupt nicht in der Lage.505 Diesen Bedenken ist darin zuzustimmen, dass dem Vollstreckungsorgan selbstverständlich nicht die Möglichkeiten der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. Insoweit besteht aber kein Unterschied zu den übrigen Bereichen der staatlichen Verwaltung. Zudem hat sich gezeigt, dass dem Vollstreckungsorgan die Hilfsmittel der verwaltungsbehördlichen Sachaufklärung uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen sind.506 Schlussendlich macht ein Blick auf die typischen Fallkonstellationen im Rahmen des § 765 a ZPO deutlich, dass deren Feststellung dem Vollstreckungsorgan keine Probleme bereitet. So wird der Gerichtsvollzieher beispielsweise in den Fällen der lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners die Zwangsräumung ohnehin nicht durchführen, sondern dem Schuldner zunächst die Möglichkeit geben, den Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO zu stellen.507 De facto kommt dies einer von Amts wegen erfolgenden vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung gleich. Zudem belegt dieses Beispiel, dass in diesem Kon503 Für den Bereich der Ermessensentscheidungen ergibt sich dies unmittelbar aus § 114 S. 1 VwGO. Darüber hinaus ist die Verwaltung aufgrund des Vorrangs der Grundrechte auch ohne Ermessen zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung verpflichtet. 504 Mit Recht betont Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 III 1, dass die Interessenabwägung im Rahmen des § 765 a ZPO nicht allgemein, sondern tatbestandsbezogen vorzunehmen ist. 505 In diese Richtung geht die Argumentation, die im Rahmen des § 765 a ZPO erforderliche Interessenabwägung könne nur in einem Antragsverfahren mit kontradiktorischen Zügen vom Vollstreckungsgericht entschieden werden. So etwa Henckel, S. 375 f.; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, § 17 I, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 4. Gleichzeitig übersehen aber auch diese Autoren nicht, dass die mündliche Verhandlung im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages gemäß §§ 764 Abs. 3, 128 Abs. 4 ZPO rein fakultativ ist. So etwa Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 43 VI 3. 506 S.o. § 8 IV. Auch insoweit rechtfertigt die Zwangsvollstreckung keine Abweichung von den verwaltungsverfahrensrechtlichen Prinzipien. 507 Über diese Möglichkeit hat das Vollstreckungsorgan den Schuldner rechtzeitig zu belehren, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 VII 1. Gemäß § 765 a Abs. 2 ZPO hat der Gerichtsvollzieher darüber hinaus im Bereich der Herausgabevollstreckung die Möglichkeit, die Vollstreckung eine Woche aufzuschieben, sofern ihm die Voraussetzungen des § 765 Abs. 1 a ZPO glaubhaft gemacht werden.
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text von einer Formalisierung der Zwangsvollstreckung keine Rede sein kann. Dem Vollstreckungsorgan ist lediglich die Prüfung zivilrechtlich relevanter Gesetzestatbestände verwehrt, die für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme jedoch nicht relevant sind. 3. Rückführung auf die Vollstreckungserinnerung Die öffentlich-rechtliche Bewertung der Vollstreckungsvorgänge macht zuletzt deutlich, dass der Vollstreckungsschutzantrag im Ergebnis nicht anders zu bewerten ist als die Vollstreckungserinnerung.508 Soweit es sich daher um die Beachtung des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips handelt, ist die Regelung des § 765 a ZPO verzichtbar. Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist nur ein Kriterium, anhand dessen das Vollstreckungsgericht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Vollstreckungsmaßnahme zu bewerten hat. Eine Rechtsvereinheitlichung mit der Vollstreckungserinnerung hätte den entscheidenden Vorteil, dass nunmehr eine einheitliche Entscheidung des Vollstreckungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vollstreckungsmaßnahme möglich wäre. Der Schuldner bräuchte sich nicht wegen der Missachtung einer Pfändungsschutzvorschrift gemäß § 766 ZPO an den Vollstreckungsrichter und wegen der Frage der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme gemäß § 765 a ZPO an den zuständigen Rechtspfleger zu wenden. Die Sinnwidrigkeit dieser Gabelung des Rechtsweges und die damit verbundene Gefahr divergierender Entscheidungen wird vollends deutlich, wenn man sich veranschaulicht, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrags an demselben Tatbestandsmerkmal festzumachen ist, dessen Beachtung Gegenstand der Vollstreckungserinnerung ist.509 Aus öffentlich-rechtlicher Sicht ist damit abschließend zu resümieren, dass es des Vollstreckungsschutzantrages gemäß § 765 a ZPO nicht bedarf, um die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung sicherzustellen. Dessen Berücksichtigung ist vielmehr bereits im Rahmen der Vollstreckungserinnerung zu gewährleisten.
IV. Der privatrechtliche „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ Bislang ist das Augenmerk auf das öffentlich-rechtliche Element des Vollstreckungsschutzes gerichtet worden. Es stellt sich im Anschluss die Frage, ob der Vollstreckungsschutz zugleich zivilrechtliche Wesensmerkmale aufweist. Schließlich wird die Regelung des § 765 a ZPO mitunter als vollstreckungsrecht508 Mit Recht weist Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 1, darauf hin, dass der Vollstreckungsschutzantrag der Erinnerung nach § 766 ZPO nahe steht und wie diese einen „vollstreckungsinternen Rechtsbehelf“ darstellt. 509 Zu den weiteren daraus erwachsenden Bedenken gegen die Zuständigkeit des Rechtspflegers s. sogleich unter V.
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liche Konkretisierung der zivilrechtlichen Vorschriften über die unzulässige Rechtsausübung verstanden.510 1. Einordnung als materiell-rechtliche Einrede gemäß § 242 BGB Die Wurzeln des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind in den Grundrechten und dem verfassungsrechtlich verankerten Rechtsstaatsprinzip zu suchen. Adressat des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist demzufolge die staatliche Gewalt. In der privaten Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner findet sich hingegen keine Norm, die die Parteien zur Verhältnismäßigkeit zwingen würde. Es gibt keinen zivilrechtlichen Rechtssatz, nach dem die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung in einem angemessenen Verhältnis zu deren Schwere stehen müssen.511 Im Gegenteil widerspräche eine derartige Norm dem Prinzip der Privatautonomie.512 Rechtsprechung und Literatur lassen nur in seltenen Ausnahmefällen eine Berufung des Schuldners auf die Unverhältnismäßigkeit seiner Leistungsverpflichtung zu. Es handelt sich dabei um eine Fallgruppe der unzulässigen Rechtsausübung.513 Diese Einrede findet ihre Rechtsgrundlage in § 242 BGB. Danach ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Soweit also von einem „privaten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ gesprochen wird, ist dieser als materielle Einrede gegenüber dem Anspruch des Gläubigers zu verstehen. 2. Beschränkung der Einrede auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Die eingeschränkte Geltung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner kommt darin zum Ausdruck, dass Rechtsprechung und Literatur den Grundrechten nur eine mittelbare Drittwirkung zusprechen.514 Die Grundrechte kommen danach im Zivilrecht nur auf mittelbarem Wege über die Generalklauseln zur Geltung.515 Dies entspricht der zuvor angesprochenen Zurückhaltung gegenüber einer Aufweichung der zivilrechtlichen Rechtsordnung.516 Deren Grundpfeiler, namentlich in Form der allgemeinen Privatautonomie, würden durch eine zu weitgehende Einbeziehung des Grundrechtskatalogs in Frage gestellt. 510
S.o. I. Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnr. 54. 512 Die Regelung des § 635 Abs. 2 BGB, die dem Unternehmer im Falle der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung deren Verweigerung erlaubt, steht dem nicht entgegen. Denn die Nacherfüllung betrifft nicht die primäre vertragliche Erfüllungsebene, sondern die Frage der rechtlichen Ausgestaltung von Gewährleistungsansprüchen auf Sekundärebene. 513 Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnrn. 53 f. 514 BVerfGE 7, 198 (206 f.); 73, 261 (269); Maurer, § 3, Rdnr. 10, und Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnrn. 7 f. 515 Heinrichs, in: Palandt, § 242, Rdnr. 7. 516 S.o. unter III 1 zu den unbegründeten Befürchtungen auf öffentlich-rechtlicher Ebene. 511
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3. Versagung der Einrede gegenüber der Erzwingbarkeit des Anspruchs Da die Grundrechte auf mittelbarem Wege in dem privaten Rechtsverhältnis von Gläubiger und Schuldner zur Geltung kommen, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte von der unmittelbaren Grundrechtsgeltung im Rahmen der staatlichen Vollstreckung. Gäbe es zwei einander überschneidende Geltungsbereiche, so würde sich das eingangs geschilderte Problem bewahrheiten, dass der Regelung des § 765 a ZPO gleichsam eine Zwitterstellung im Spannungsfeld zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverhältnis und dem privaten Schuldverhältnis zukäme. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Sinn und Zweck der mittelbaren Grundrechtswirkung allein darin bestehen, den Grundrechten in dem für den Bestand der verfassungsrechtlich vorgegebenen Rechtsordnung unerlässlichen Umfang Geltung zu verschaffen.517 Diese Notwendigkeit entfällt, soweit die Grundrechte bereits auf anderem Wege unmittelbare Geltung beanspruchen können. Genau dies ist aber im Rahmen der Zwangsvollstreckung der Fall. Das staatliche Gewaltmonopol soll angesichts der Intensität der Gewaltanwendung die unmittelbare Beachtung der Grundrechte gewährleisten.518 Es besteht daher keine Notwendigkeit, die bei der gewaltsamen Erzwingung eines Anspruchs auftretenden Grundrechtsprobleme gesondert im Rahmen der zivilrechtlichen Bewertung des zu vollstreckenden Anspruchs zu berücksichtigen. Im Gegenteil würde durch eine solche Vorgehensweise die klare Trennung zwischen dem zivilrechtlich zu bewertenden Anspruch und dessen öffentlich-rechtlich erfolgender Vollstreckung aufgegeben. Zugleich würde eine Trennung im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner in die jeweiligen Zwei-Personen-Verhältnisse ohne Not vereitelt. Bewahrt man hingegen die klaren Grenzen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, so kommt es im Rahmen der Feststellung des später zu vollstreckenden Anspruchs allein auf die Frage an, ob die begründete Verpflichtung nach der Rechtsordnung zulässig und auf freiwilligem Wege erfüllbar ist. Mit anderen Worten entfällt im Hinblick auf die Erzwingbarkeit des Anspruchs die Notwendigkeit einer mittelbaren Prüfung der Grundrechte.519 Deren Beachtung gewährleistet das öffentlich-rechtliche Zwangsvollstreckungsverfahren. 4. Die Vollstreckungsabwehrklage als maßgeblicher „Rechtsbehelf“ Handelt es sich bei dem (verbleibenden) zivilrechtlichen Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB um eine materiell-rechtliche Einrede gegen den Anspruch des Gläubigers, so ist der verfahrensrechtliche Weg vorgezeichnet, auf dem diese Einrede geltend zu machen ist. Statthafte Klageart ist 517
BVerfGE 7, 198 (206 f.); 73, 261 (269). S.o. § 2 II. 519 Bedenklich sind in diesem Zusammenhang die materiell-rechtlichen Räumungsschutzregelungen im Mietrecht. Angesichts des zusätzlichen Räumungsschutzes in der Vollstreckung führen sie zu einer empfindlichen Benachteiligung des Gläubigers. 518
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dann die Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO.520 Dabei wird der Umstand, dass sich die Einrede gemäß § 242 BGB nicht auf die Frage der Erzwingbarkeit beziehen kann, regelmäßig zu dem Ergebnis führen, dass die Einrede gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert ist.521 Die ihr zugrunde liegenden Tatsachen werden zumeist schon im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegen haben. Es kann sich eben nicht um Umstände handeln, die erst bei Erzwingung des Anspruchs in Erscheinung treten. Denkbar bleiben hingegen die allgemein unter § 242 BGB zu subsumierenden Fallgruppen. So ist insbesondere eine Unverhältnismäßigkeit zwischen der Pflichtverletzung des Schuldners und ihrer Rechtsfolge schon im Rahmen des Erkenntnisverfahrens geltend zu machen. Selbst bei rechtzeitiger Geltendmachung wird diese Einrede aber nur in seltenen Fällen von Erfolg gekrönt sein.522 Die Statthaftigkeit der Vollstreckungsabwehrklage zur Geltendmachung von Einreden aus § 242 BGB leitet sich abschließend aus dem Prinzip der Formalisierung ab. Bezüglich der Umstände, die nicht Gegenstand der staatlichen Zwangsvollstreckung sind, fehlt dem Vollstreckungsorgan die ausreichende Kenntnis, um sie beachten zu können. Diese Umstände können allein im Rahmen eines gerichtlichen Erkenntnisverfahrens angemessen berücksichtigt werden. 5. Verneinung einer zivilrechtlichen Komponente des § 765 a ZPO Aus den vorstehenden Überlegungen folgt, dass die Vorschrift des § 765 a ZPO nicht als Konkretisierung der zivilrechtlichen Regelungen zur unzulässigen Rechtsausübung verstanden werden kann. Der Ursprung dieser Vorschrift ist vielmehr rein öffentlich-rechtlicher Art.523 Die Regelung gewährleistet die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.524 Die Vorschrift richtet sich allein an das staatliche Vollstreckungsorgan. Die Frage nach dem Bestand des zu vollstreckenden Anspruchs lässt sie hingegen völlig unberührt. Sie gibt dem Schuldner keine materielle Einrede gegen den titulierten Anspruch.525 520 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 III 4, grenzt daher zutreffend die materiell-rechtlichen Einwendungen aus dem Anwendungsbereich des § 765 a ZPO aus: „Materielle Einwendungen gehören nicht ins Vollstreckungsverfahren, sondern ins ordentliche Klageverfahren vor dem Prozeßgericht.“ Ebenso strikt Baur/Stürner/Bruns, Rdnr. 47.4. 521 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 I 4, betont daher mit Recht, dass das im Titel verbriefte Gläubigerrecht nicht mehr in Frage gestellt werden darf. 522 Zur mittelbaren Drittwirkung, auf die der Wirkungsgrad der Grundrechte im Privatrecht beschränkt ist, s.o. unter 2. 523 Ganz entschieden gegen solche Tendenzen äußert sich Götte, ZZP 1987, 412 (433): „Hier liegt aber eine große Gefahr, daß genuin zivilrechtliche Probleme, wie die des Vollstreckungsschutzrechtes einer öffentlich-rechtlichen Lösung zugeführt werden.“ 524 Statt von einer „sittenwidrigen“ Härte, sollte daher im Wortlaut des § 765 a ZPO eher von einer „unzumutbaren“ Härte die Rede sein. 525 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 III 4, formuliert dies wie folgt: „Nicht das Vorgehen aus dem Titel, sondern die Maßnahme der Zwangsvollstreckung, die Art und Weise des Vollstreckungszwangs, muß nach Lage der Umstände die sittenwidrige Härte bewirken. Die Rechtskraft des Titels darf ebensowenig angetastet werden wie seine Vollstreckbarkeit.“ Ebenso Paulus, in: Wieczorek/Schütze, Vor § 704, Rdnr. 6.
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V. Kritische Anmerkungen zur funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers An früherer Stelle ist auf die Nachteile der Rechtswegzersplitterung zwischen der Vollstreckungserinnerung und dem Vollstreckungsschutzantrag hingewiesen worden.526 Eine wesentliche Ursache für die damit verbundene Gefahr divergierender Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts ist darin zu sehen, dass nach der Zuständigkeitsregelung des § 20 Nr. 17 RPflG für die Vollstreckungserinnerung der Vollstreckungsrichter zuständig ist, während die Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag vom Rechtspfleger zu treffen ist. Dies führt in der Folge zu dem paradoxen Ergebnis, dass die einfachgesetzliche Überprüfung der Vollstreckungsmaßnahme dem Richter obliegt, während der Rechtspfleger die weitergehende verfassungsrechtliche Frage der Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme beurteilen soll. Hinter dieser nahezu kurios anmutenden Abstufung verbergen sich die in der Literatur mehrfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers zur Bescheidung des Vollstreckungsschutzantrages.527 Diese Bedenken wurzeln in dem Umstand, dass gemäß Art. 92 GG die rechtsprechende Gewalt allein den Richtern anvertraut ist. Der Rechtspflegerberuf wird hingegen den Kriterien des Richterberufs, namentlich der in Art. 97 GG verankerten richterlichen Unabhängigkeit, nicht gerecht.528 Die Frage bleibt bestehen, ob es sich bei der Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag um eine rechtsprechende Tätigkeit handelt. Diese Frage könnte man unter Hinweis auf das Antragserfordernis in seiner derzeitigen Verständnisform verneinen. Denn danach ist dem Vollstreckungsorgan eine diesbezügliche Entscheidung verwehrt, so dass erstmalig der Rechtspfleger im Rahmen des Antrags gemäß § 765 a ZPO eine Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme trifft. Diese Entscheidung könnte daher noch als Vollstreckungstätigkeit einzustufen sein. Das Antragserfordernis hätte dann gleichsam den Zweck, die funktionale Abstufung vom Gerichtsvollzieher zum Rechtspfleger zu gewährleisten. Eine solche Betrachtung würde jedoch umgekehrt zu einer empfindlichen Verkürzung des Rechtsweges führen, da statthafter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtspflegers die sofortige Beschwerde gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 793 ZPO ist.529 Im Ergebnis bliebe damit dem Antragsteller eine erstinstanzliche richterliche Entscheidung versagt. 526
S.o. II 3. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 III 3. 528 Arwed Blomeyer, Erkenntnisverfahren, § 4 VI 2; Jauernig, Zivilprozessrecht, § 15 II; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 25 I 1; Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Rdnr. 545; ders., Zivilprozessrecht, Rdnr. 60, und Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 III 3. Anders hingegen Habscheid, NJW 1970, 1775 (1779); ders., Rpfleger 1989, 434 (436); Lindacher, Rpfleger 1987, 45 (47 ff.), und Eickmann, Rpfleger 1976, 153 (163 f.). 529 Bis zur zweiten Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle handelte es sich noch um die befristete Rechtspflegererinnerung, Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 VI 6. Zum näheren Hintergrund s.o. § 29 I und II. 527
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Dass die Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag als Rechtsprechung einzustufen ist,530 belegt der Vergleich mit der Vollstreckungserinnerung. Bei der Entscheidung über letztere handelt es sich um eine rechtsprechende Tätigkeit des Richters, gegen die ebenfalls die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO statthaft ist. Im Weiteren bestätigt die systematische Anknüpfung des § 765 a ZPO an die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO und an die Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO, dass der Gesetzgeber den Vollstreckungsschutzantrag ebenso als Rechtsbehelf und nicht als einen dem Tätigkeitsfeld des Vollstreckungsorgans zuzuordnenden Vollstreckungstatbestand verstanden wissen wollte. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages lassen sich demzufolge nicht ausräumen.531
VI. Abschließendes Plädoyer für einen Verzicht auf § 765 a ZPO Sämtliche aufgezeigten Probleme im Rahmen des Vollstreckungsschutzantrages münden in dem abschließenden Plädoyer, auf die Regelung des § 765 a ZPO gänzlich zu verzichten. Ein Federstrich des Gesetzgebers würde zu der durchaus wünschenswerten Konsequenz führen, dass das Vollstreckungsorgan selbst bereits dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung zu tragen hätte. Bei richtig verstandener Anwendung würde dies nicht etwa zu der Gefahr einer Aufweichung der Vollstreckung führen. Denn die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips führt zu keinen anderen Ergebnissen als der Vollstreckungsschutzantrag. Die Vorschrift des § 765 a ZPO hat hingegen den Nachteil, dass sie angesichts ihrer Zwitternatur zu einer unnötigen Verquickung von zivilrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Gedankengut führt. Hier ist eine Rückbesinnung auf den Grundgedanken der Zwangsvollstreckung in Form des staatlichen Gewaltmonopols angebracht. Dessen Beachtung gewährleistet die unmittelbare Berücksichtigung der Grundrechte im Verhältnis des Vollstreckungsorgans zum Schuldner und zum Gläubiger und erlaubt es zugleich, auf eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner zu verzichten. Abschließend ist damit der Weg für die Vollstreckungserinnerung als statthafter Rechtsbehelf gegen eine Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgezeichnet. Die unnötige Rechtswegzersplitterung zwischen § 765 a ZPO und § 766 ZPO entfällt. 530
So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 43 VI 1. Auch das von Wolf, ZZP 1986, 361 (401 f.), bemühte Argument der Sachnähe vermag nur auf den ersten Blick zu überzeugen. Das Argument ist insoweit berechtigt, als es geeignet wäre, das Antragserfordernis des § 765 a ZPO nach seinem derzeitigen Verständnis zu widerlegen, s.o. III 2. Zugleich wird dann aber deutlich, dass bei Beachtung des Vollstreckungsschutzes durch das Vollstreckungsorgan die Notwendigkeit einer Sachnähe der gerichtlichen Kontrollinstanz entfällt. Mit Recht spricht daher Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken, § 27 III 3, von einer bedenklichen Verquickung der Aufgaben des Rechtspflegers als Vollstreckungs- und Entscheidungsorgan. 531
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Sechster Teil: Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung
Zuletzt entspricht die Forderung nach einem Verzicht auf die Regelung des § 765 a ZPO den Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn. Dort gibt es keine dem § 765 a ZPO vergleichbare Generalklausel,532 ohne dass dieser Zustand als Mangel empfunden würde.533 Im Gegenteil geht man beispielsweise in Österreich mit guten Gründen davon aus, dass sich eine vergleichbare Generalklausel im Vollstreckungsrecht nicht hinreichend rechtfertigen lässt.534
532 Darauf hat bereits Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (104, Fn. 170 m.w.N.), hingewiesen. 533 Für Griechenland Klamaris, in: Festschrift für Baur, S. 483 (492, 496). Weitere ausführliche Nachweise finden sich bei Gaul, in: Festschrift für Baumgärtel, S. 75 (104, Fn. 170). 534 Näher dazu Holzhammer, S. 23.
Schluss § 34 Gesamtergebnis Erster Teil. Begriffsbestimmung und rechtliche Einordnung der Zwangsvollstreckung Die Ausgangslage in der Zwangsvollstreckung ist bestimmt durch die Leistungsverweigerung des Schuldners. Der Staat missbilligt in dieser Situation die Anwendung der privaten Selbsthilfe. Es besteht ein staatliches Gewaltmonopol. Die Umsetzung dieses staatlichen Gewaltmonopols regelt das Vollstreckungsrecht. Die Zwangsvollstreckung ist daher als das Verfahren zu definieren, das im Falle der (unberechtigten) Leistungsverweigerung die Brechung des Schuldnerwillens unter dem Vorbehalt staatlicher Gewaltanwendung gewährleistet. Bei der Frage nach der rechtlichen Einordnung der Zwangsvollstreckung erübrigt sich eine Zuordnung als Rechtsgebiet sui generis, da eine Reduktion auf die bekannten Kategorien des privaten und öffentlichen Rechts erfolgen kann. Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist die Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt zum Zwecke der Erfüllung einer privatrechtlichen Forderung. Bei der Zwangsvollstreckung handelt es sich folglich um ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsverfahren zur Herbeiführung einer zivilrechtlichen Rechtsfolge. Das Gewaltmonopol beschränkt sich dabei auf den willensbeugenden Aspekt als Ersatz der fehlenden freiwilligen Schuldnerhandlung in Form der Abgabe einer Willenserklärung und/oder der Vornahme eines Realaktes. Jede weitere Ausdehnung des Vollstreckungsrechts bedarf der besonderen Rechtfertigung, da die staatliche Gewaltanwendung mit der Substituierung der fehlenden freiwilligen Schuldnerhandlung endet. Anders formuliert bedarf es für eine weitergehende Ungleichbehandlung gegenüber der Situation des freiwillig leistenden Schuldners sachlich gebotener Differenzierungskriterien. Unterschiede ergeben sich insoweit bezüglich des Vertrauensschutzes eines gutgläubigen Erwerbers. Bei erzwungenen Schuldnerhandlungen besteht hierfür auf Seiten des Gläubigers kein Raum. Im Übrigen kommt jedoch das allgemeine Zivilrecht uneingeschränkt zur Anwendung. Die Schnittstellen zwischen der Zwangsvollstreckung als öffentlichem Verwaltungsverfahren und dem materiellen Zivilrecht werden im Wege der „Formalisierung“ gewonnen. Die in der Zwangsvollstreckung relevanten zivilrechtlichen Fragen (z.B. Eigentum des Schuldners) werden durch formalisierte Tatbestandsmerkmale in das öffentlich-rechtliche Zwangsvollstreckungsverfahren integriert. Dabei sind abstrakt drei Stufen der Formalisierung zu unterscheiden:
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Schluss
1. Vorrang haben übereinstimmende freiwillige Erklärungen der Beteiligten (Grundsatz der Privatautonomie), an die das Vollstreckungsorgan gebunden ist. 2. Ist eine freiwillige Einigung nicht zu erzielen bzw. liegen keine entsprechenden Erklärungen vor, so muss eine gerichtliche Entscheidung der Zivilgerichte eingeholt werden. 3. Solange eine gerichtliche Entscheidung nicht vorliegt bzw. von den Beteiligten nicht beantragt wird, gelten gesetzliche Vermutungstatbestände (z.B. § 808 ZPO als Eigentumsvermutung für den Gewahrsamsinhaber). Diese lassen sich auf bekannte Beweis- und Vermutungsregeln zurückführen.
Zweiter Teil. Prinzipien in der Zwangsvollstreckung Die Beantwortung der Frage nach dem Wesen der Zwangsvollstreckung gibt in der weiteren Folge Aufschluss über ihre Prinzipien. Der Zwangsvollstreckung wird bislang eine einheitliche Rechtsnatur zugesprochen, die sie aber nicht aufweist. Es muss daher nicht verwundern, dass das derzeitige Verständnis der Zwangsvollstreckung als Recht sui generis bei der Prinzipienbildung nicht weiterhilft. Demgegenüber liegt es aufgrund der Ergebnisse des ersten Teils der Untersuchung nahe, bei der Tätigkeit des Vollstreckungsorgans zwischen den bekannten rechtlichen Kategorien zu differenzieren. Es bieten sich die Unterscheidungskriterien „öffentliches und privates“ und „materielles und formelles“ Recht an. Im Wege der Kombinatorik gelangt man zu vier denkbaren Prinzipienkatalogen. Dabei ist die Kategorie des formellen Privatrechts, sprich des Zivilprozessrechts, auszuscheiden, da das Vollstreckungsorgan hinsichtlich seines verfahrensrechtlichen Vorgehens schlechterdings nicht zwei unterschiedlichen Verfahrensordnungen unterworfen werden kann. Maßgeblich bleibt aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Vollstreckung allein das öffentlichrechtliche Verwaltungsverfahrensrecht. Es ergeben sich damit die folgenden drei Prinzipienkataloge:
I. Materiell-rechtliche Prinzipien in Anlehnung an das Verwaltungsrecht betreffend die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen der Vollstreckung Hier ist an die Prinzipien des besonderen Verwaltungsrechts zu denken, die nicht anders als im Polizei- und Ordnungsrecht auch bei der staatlichen Gewaltanwendung im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen sind. Eine spezielle Ausprägung erfährt dabei der Gedanke des Schuldnerschutzes, der sich aus den betroffenen Grundrechten ableitet. Zugleich ist die Grundrechtskollision mit Art. 14 GG zu berücksichtigen, der zugunsten des Gläubigers streitet. Dessen Interesse hat aufgrund der Leistungsverweigerung des Schuldners prinzipiellen Vorrang. Zu keinem anderen Ergebnis führt bei richtiger Anwendung das
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Verhältnismäßigkeitsprinzip. Lediglich in Ausnahmesituationen vermögen daher kollidierende Grundrechte des Schuldners eine Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung zu begründen. Ein abschließender Kriterienkatalog fehlt bislang, weshalb im Ergebnis ein starrer gradus executionis zu verwerfen ist.
II. Verfahrensrechtliche Prinzipien aus dem Verwaltungsverfahren betreffend die Durchführung der Zwangsvollstreckung Im Bereich des Verfahrensrechts ermöglicht die Konzentration auf das allgemeine Verwaltungsrecht die Anwendung eines tradierten Kanons von Verfahrensmaximen. Die Effektivitätsmaxime erweist sich als verfahrensrechtlicher Abglanz des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dieses führt zu dem grundsätzlichen Gebot an das Vollstreckungsorgan, die bestgeeignete Vollstreckungsmaßnahme zu ergreifen. Dieses Gebot ist Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols, das zunächst einmal einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Anspruchsposition des Gläubigers begründet. Erst in einem zweiten Schritt können kollidierende Grundrechte des Schuldners zum Tragen kommen. § 22 VwVfG eröffnet den Blick für eine sachgerechte Beschränkung der Dispositionsmaxime auf die Bestimmung von Anfang und Ende des Vollstreckungsverfahrens. Weitergehende Dispositionsrechte des Gläubigers stehen im Widerspruch zum staatlichen Gewaltmonopol. Eine Einflussnahme des Gläubigers auf den Ablauf der Vollstreckung, insbesondere die Auswahl der zu treffenden Vollstreckungsmaßnahmen, ist dem Gläubiger zu versagen. Gemäß § 24 VwVfG gilt im Verwaltungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz. Dessen Beherzigung ermöglicht in der Zwangsvollstreckung die Einführung einer effektiven Sachaufklärung, die sich an dem französischen Vorbild der „recherche des informations“ zu orientieren vermag. Eine derartige Rechtsvereinheitlichung wäre geeignet, der derzeitigen Diskussion im deutschen Vollstreckungsrecht um die Unzulänglichkeiten der Sachaufklärung ein Ende zu bereiten. Der Untersuchungsgrundsatz bedingt im Anschluss an den Vollstreckungsantrag des Gläubigers eine amtswegige Betreibung der Zwangsvollstreckung. Ein Parteibetrieb widerspricht der staatlichen Verfahrenshoheit in der Zwangsvollstreckung. Nicht umsonst erweisen sich die vermeintlichen Mitspracherechte des Gläubigers in der Vollstreckungspraxis zumeist als Hemmnis für das geschulte Vollstreckungsorgan. Weitere Grundsätze, wie beispielsweise derjenige des (nachträglichen) rechtlichen Gehörs, lassen sich zwanglos aus den bewährten Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts ableiten. Man denke dabei nur an § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG, der die Gewährung des rechtlichen Gehörs in das Ermessen der Behörde stellt und damit eine flexible Einzelfalllösung ermöglicht. Die bestehenden Regelungen zum rechtlichen Gehör in der Zivilprozessordnung erweisen sich als spezielle Anwendungsfälle dieser abstrakten Regelung.
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Schluss
III. Materiell-rechtliche Prinzipien aus dem Zivilrecht betreffend die formalisierten Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der Vollstreckung Soweit das staatliche Gewaltmonopol in der Vollstreckung nicht berührt wird, kommen die materiell-rechtlichen Prinzipien aus dem zu vollstreckenden Schuldverhältnis zur Anwendung. Im Rahmen der Vollstreckungsvoraussetzungen bewirkt der numerus clausus der Sachenrechte die bekannte Differenzierung zwischen den verschiedenen Vollstreckungsarten. Eine weitere Rückkopplung zum materiellen Zivilrecht ergibt sich im Bereich der Drittbetroffenheit. Während beispielsweise das französische Vollstreckungsrecht kaum Rücksicht auf die Belange Dritter nimmt, mahnen die materiell-rechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen zu größter Vorsicht. Soweit daher die Rechte Dritter in der Vollstreckung berührt werden, müssen auch ihnen gegenüber die Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sein. Bei den Rechtsfolgen der Vollstreckung ist neben den Fragen der Erfüllung, der dinglichen Surrogation und des gutgläubigen Erwerbs insbesondere die viel erörterte Diskussion um das Prioritätsprinzip und den Grundsatz der Verlustgemeinschaft anzusiedeln. Dieses Abgrenzungsproblem kann nicht isoliert von den materiellen Vorgaben des Zivilrechts gelöst werden. Das deutsche Rechtssystem macht hier deutlich, dass es sich weniger um einen fundamentalen Gegensatz handelt als vielmehr um eine Frage der angemessenen Abfolge beider Prinzipien in Form der Einzel- und der Gesamtvollstreckung. Im Rahmen einer derartigen Abstufung kommen die wechselseitigen Vorzüge beider Prinzipien am besten zum Tragen. Bei sachgerechter Anwendung der drei Prinzipienkataloge lässt sich die Zwangsvollstreckung auf bekannte Strukturen zurückführen. Ihre vermeintlichen Eigenarten reduzieren sich auf die Bildung angemessener Schnittstellen. Allein in diesem Bereich besteht die Notwendigkeit zur Bildung spezifischer Prinzipien des Vollstreckungsrechts. Die bestehende Lücke schließt das Modell der Formalisierung, welches sich abstrakt in die drei im ersten Teil angesprochenen Stufen unterteilen lässt. Die Rückführung der Zwangsvollstreckung auf die bewährten Prinzipien des privaten und des öffentlichen Rechts bringt erhebliche Vorteile mit sich. Das Vollstreckungsverfahren gewinnt an erhöhter Durchschlagskraft. Zugleich wird der Weg frei für die in der Literatur vielfach angemahnte Rechtsvereinheitlichung der Zwangsvollstreckung mit der Verwaltungsvollstreckung, in der dieselben Maximen zur Anwendung kommen. Die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche rechtfertigt kein gesondertes Vollstreckungssystem. Die Zwangsvollstreckung verläuft vielmehr unabhängig von der Rechtsnatur des beizutreibenden Anspruchs. Die Privilegien, die der Staat in der Verwaltungsvollstreckung für sich in Anspruch nimmt, sind demzufolge nicht zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere für die in der Verwaltungsvollstreckung praktizierte und äußerst bedenkliche Selbstvollstreckung durch die anspruchsstellenden Behörden.
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Dritter Teil. Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung I. Der Vollstreckungstitel Der Vollstreckungstitel verkörpert in formalisierter Form das zivilrechtliche Tatbestandsmerkmal des „zu vollstreckenden Anspruchs“. Die Palette der unterschiedlichen Vollstreckungstitel erklärt sich aus dem dreigliedrigen Formalisierungsmodell. Während es sich beispielsweise beim Prozessvergleich und bei der vollstreckbaren Urkunde um freiwillige Erklärungen der Beteiligten auf der ersten Stufe der Formalisierung handelt, ist das gerichtliche Urteil auf der zweiten Stufe der Formalisierung anzusiedeln. Die Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zum einstweiligen Rechtsschutz beinhalten abgestufte Vermutungstatbestände für den Bestand der zu vollstreckenden Forderung. Die Besonderheit des einstweiligen Rechtsschutzes besteht dabei darin, dass aufgrund der herausragenden Bedeutung des Titels das Prozessgericht selbst – nicht etwa das Vollstreckungsorgan – die Vermutung des Bestandes der zu vollstreckenden Forderung im Wege einer Vorabentscheidung zu begründen hat. Der Tenor eines Leistungsurteils als Prototyp des Vollstreckungstitels beinhaltet einen Grundverwaltungsakt, der als Leistungsbefehl Grundlage der öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Vollstreckung des Staates gegenüber dem Schuldner ist. Das erkennende Prozessgericht nimmt wegen des Sachzusammenhangs den Ausspruch dieses Grundverwaltungsaktes vor. Seine eigentliche gerichtliche Tätigkeit beschränkt sich hingegen auf die Feststellung des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs. Das Leistungsurteil erklärt sich daher als Kombination von gerichtlichem Feststellungsurteil und verwaltungsbehördlichem Grundverwaltungsakt. Die Überlegungen zur Rechtsnatur des Leistungsurteils ermöglichen eine Neubewertung der zivilprozessualen Klagearten und zugleich eine Harmonisierung mit den Klagearten des Verwaltungsprozesses. Die verbleibenden Abweichungen der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage leiten sich allein aus der Besonderheit ab, dass die Verwaltungsbehörden zum Erlass eigenständiger Verwaltungsakte berechtigt sind. Die Stoßrichtung der Klagen zwischen „Gläubiger“ und „Schuldner“ kehrt sich daher um. Das Verständnis des dem Leistungsurteil immanenten Grundverwaltungsaktes belegt die Nähe der Zwangsvollstreckung zur Verwaltungsvollstreckung. In einem weiteren Schritt ergeben sich zahlreiche Parallelen zwischen dem einstweiligen Vollstreckungs- und Rechtsschutz der Zivilprozessordnung und der Verwaltungsgerichtsordnung. Der Grundverwaltungsakt entpuppt sich auch im Bereich der sonstigen Vollstreckungstitel des § 794 ZPO als Dreh- und Angelpunkt der Vollstreckung. So bewirkt beispielsweise erst die gesetzlich vorgeschriebene Protokollierung des Prozessvergleichs dessen Vollstreckbarkeit. Denn erst im Rahmen der durch das Gericht erfolgenden Protokollierung ergeht der hoheitliche Grundverwaltungs-
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akt. Sein gesonderter Ausspruch ist angesichts der inhaltlichen Identität mit dem materiell-rechtlichen Vergleich zwischen den Prozessparteien entbehrlich. Noch deutlicher kommt der Grundverwaltungsakt im Rahmen der vollstreckbaren Urkunde zum Tragen. Die gesetzlich vorgeschriebene Unterwerfungserklärung des Schuldners veranschaulicht das in diesem Zusammenhang maßgebliche Unterordnungsverhältnis gegenüber den staatlichen Hoheitsträgern.
II. Das einfache und qualifizierte Klauselverfahren Das Klauselverfahren in seiner Funktion als Brücke zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren erscheint entbehrlich, da die Kluft zwischen beiden Verfahren durch eine enge Grenzziehung in Form der Formalisierung überwunden werden kann. Ohnehin gerät das Klauselverfahren in der Praxis zu einer lästigen und unnötigen Förmelei. Dies ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als untergeordnetes Organ den durch das Gericht erlassenen Titel kaum in Frage zu stellen vermag. Bei näherer Betrachtung erweist sich die sogenannte „Vollstreckungsreife“ als bloße Umschreibung der verwaltungsrechtlichen Verfahrensmaximen. Angesprochen sind die Probleme einer Nichtigkeit des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes sowie dessen hinreichende Bestimmtheit. Die insoweit relevanten Vorschriften der §§ 37, 44 VwVfG sind jedoch bereits vom erkennenden Gericht bei der Formulierung des Urteilstenors bzw. von den Prozessparteien bei der Ausgestaltung der zugrunde liegenden Anträge zu berücksichtigen. Das Klauselerteilungsorgan kann in diesem Bereich bei Eintritt von Rechtsfehlern schon deshalb keine Abhilfe mehr schaffen, weil es zu spät kommt. Seine Tätigkeit vermag auch der Gedanke eines weiterreichenden Schuldnerschutzes nicht zu rechtfertigen, da das Vollstreckungsorgan die Fragen der Wirksamkeit des Titels und seiner Vollstreckbarkeit wesentlich besser zu beurteilen vermag. Die Entbehrlichkeit des Klauselverfahrens wird nicht zuletzt dadurch belegt, dass schon das geltende Recht in verschiedenen Bereichen von seiner Durchführung absieht. Man denke nur an das Mahnverfahren oder den einstweiligen Rechtsschutz. Weshalb dem damit verbundenen Gedanken der Verfahrensbeschleunigung nicht zugleich in den übrigen Bereichen der Vollstreckung Rechnung getragen wird, bleibt unklar. Zudem besteht auch bei einem Verzicht auf das Klauselverfahren keine Gefahr einer Mehrfachvollstreckung. Dieser Gedanke vermag das Klauselverfahren daher ebenso wenig zu rechtfertigen. Im Gegenteil spricht das Beispiel des Mahnverfahrens dafür, in den übrigen Bereichen der Vollstreckung ebenfalls dazu überzugehen, lediglich eine amtswegige Ausfertigung des Titels zu erteilen, die dann zugleich als Vollstreckungstitel dienen kann. Das qualifizierte Klauselverfahren soll die Entlastung der Vollstreckungsorgane von einzelnen Prüfungsaufgaben bewirken. Die funktionelle Identität des Rechtspflegers in der Rolle als Klauselerteilungsorgan und als Vollstreckungsor-
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gan veranschaulicht hingegen, dass es sich um eine künstliche Aufspaltung handelt. Schließlich sind sowohl das Klauselverfahren als auch das Vollstreckungsverfahren durch den Grundsatz der Formalisierung geprägt. Der Gesetzgeber sollte daher das Klauselverfahren in das Vollstreckungsverfahren integrieren. Will der Gesetzgeber hingegen seine unbegründete Skepsis gegenüber der Prüfungskompetenz des Gerichtsvollziehers nicht aufgeben, so besteht immer noch die Möglichkeit, die gesamte Vollstreckungsorganisation auf den Rechtspfleger zu konzentrieren. Für die zuletzt genannte Alternative spricht der dem Klauselverfahren entspringende Gedanke der Zentralisierung. Dieser lässt sich in gleicher Weise auf die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen, die nicht im Klauselverfahren geprüft werden, übertragen. Durch eine Abschaffung des Klauselverfahrens würde das Zwangsvollstreckungsverfahren entscheidend beschleunigt. Nimmt doch erfahrungsgemäß allein die Erteilung der Klausel in der gerichtlichen Praxis erhebliche Zeit in Anspruch. Zudem würden viele Abgrenzungsprobleme zwischen dem Klauselverfahren und der sich anschließenden Vollstreckung entfallen. Des Weiteren verlöre das zum Klauselverfahren gehörende und aufgrund seiner Zersplitterung viel kritisierte Rechtsbehelfssystem jegliche Existenzberechtigung. Es ließe sich auf die bekannten Rechtsbehelfe des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens zurückführen.
III. Die Zustellung des Titels Der Schuldner bleibt auch ohne Klauselverfahren durch das Zustellungserfordernis hinreichend geschützt. Schließlich beschränkt sich die Verwaltungsvollstreckung ebenfalls auf das allgemeine Erfordernis der Bekanntgabe des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes. Es kennt kein gesondertes Klauselverfahren, ohne dass dieser Zustand im Rahmen der Verwaltungsrechtsdogmatik als Missstand empfunden würde. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen lassen sich im Ergebnis auf das verwaltungsrechtliche Erfordernis der Bekanntgabe eines hinreichend bestimmten Grundverwaltungsaktes zurückführen.
IV. Die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen und die Vollstreckungshindernisse Bei einem Verzicht auf das Klauselverfahren lassen sich dessen Voraussetzungen, soweit sie das qualifizierte Klauselverfahren betreffen, mit den (übrigen) besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen harmonisieren. Beiden Kategorien gemeinsam ist die formalisierte Prüfung spezieller materiell-rechtlicher Eigenarten des titulierten Anspruchs. Zu denken ist an aufschiebende Bedingungen, Zugum-Zug-Einreden etc.
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Die sogenannten Vollstreckungshindernisse gemäß §§ 775, 776 ZPO beinhalten ein Konglomerat aller denkbaren Einwendungen des Schuldners gegen den titulierten Anspruch. Die verschiedenen Tatbestände des § 775 ZPO lassen sich den unterschiedlichen Ebenen des Formalisierungsmodells zuordnen. Daraus erklären sich die abgestuften Rechtsfolgen des § 776 ZPO, der zwischen der vorläufigen Einstellung der Vollstreckung und der endgültigen Aufhebung von Vollsteckungsmaßnahmen unterscheidet. Hier lassen sich wiederum zahlreiche Parallelen zum Verwaltungsverfahren aufzeigen. Die Vorschriften der §§ 775, 776 ZPO erweisen sich als Spezialregelungen zu den allgemeinen Verwaltungsvorschriften des § 49 VwVfG sowie des § 80 Abs. 5 VwGO. Letztere haben ebenfalls die Aufhebung und die einstweilige Suspendierung eines Verwaltungsaktes zum Gegenstand. Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung hat demzufolge der modernen Verwaltungsrechtslehre weit vorausgegriffen.
Vierter Teil. Die eigentliche Zwangsvollstreckung Die Differenzierung nach der Art des zu vollstreckenden Anspruchs und dem jeweiligen Vollstreckungsobjekt erscheint aufgrund der materiell-rechtlichen Vorgaben unausweichlich. Im Weiteren treten besondere Probleme bei der indirekten Vollstreckung auf, namentlich den Fällen der Geldvollstreckung, bei der es einer gesonderten Verwertung des Vollstreckungsobjekts bedarf. In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage besondere Bedeutung, ob vorrangig eine Orientierung an den Wertungen des materiellen Rechts erfolgen soll oder ob aufgrund etwaiger Eigenarten der Zwangsvollstreckung ein gesondertes Verwertungsverfahren zu statuieren ist. Mit anderen Worten stellt sich das Problem der Abgrenzung der unterschiedlichen Pfandrechtstheorien, das insbesondere in der Mobiliarvollstreckung relevant wird.
I. Mobiliarvollstreckung Es besteht der Eindruck, dass der Streit um die Pfandrechtstheorien bislang isoliert von den Rahmenbedingungen der Zwangsvollstreckung geführt wird. Im Vorfeld der Diskussion werden die Fragen nach der Zuordnung der Zwangsvollstreckung in die Kategorien des öffentlichen und des privaten Rechts kaum thematisiert. Die im ersten Teil vorgenommene Begriffsbestimmung und die im zweiten Teil darauf aufbauende Prinzipienbildung ermöglichen es hingegen, die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Recht im Sinne einer modifizierten privaten Pfandrechtstheorie neu zu ziehen. Für eine öffentlich-rechtliche Komponente des Pfandrechts in Form der sogenannten Verstrickung besteht kein Bedürfnis. Das Gewaltmonopol wirkt sich allein bei den Tatbestandsvoraussetzungen des Pfändungspfandrechts aus, nicht hingegen bei dessen Rechtsfolgen. Die öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsvoraussetzungen bewirken die Substituierung der fehlenden zivilrechtlichen Tatbe-
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standsmerkmale in Form der freiwilligen Verpfändungserklärung und der Übergabe des Pfandobjekts. Die Funktion des öffentlichen Rechts reduziert sich auf diesen schmalen Anwendungsbereich. Dabei ist allerdings eine Korrektur der privaten Pfandrechtstheorie insoweit angebracht, als bei Auftreten von Verfahrensmängeln nicht die zivilrechtliche, sondern die verwaltungsrechtliche Fehlerfolgenlehre der §§ 43 ff. VwVfG zur Anwendung kommt. Angesichts der ansonsten zu verzeichnenden Zurückhaltung der Vollstreckungsrechtslehre gegenüber den Errungenschaften der modernen Verwaltungsrechtsdogmatik muss die zunehmende Verfechtung der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie erstaunen. Sie schießt insoweit über die Verwaltungsrechtslehre hinaus, als Rechtsformen in Form eines „originär hoheitlichen Eigentumserwerbs“ auch der Verwaltungsrechtsdogmatik fremd sind. Das derivative Element in Form der Rechtsinhaberschaft des Vollstreckungsschuldners wird zu Unrecht ausgeblendet. Es kann nicht allein durch eine „hoheitliche Verfügungsbefugnis des Versteigerungsorgans“ ersetzt werden. Denn auch diese Verfügungsbefugnis bedarf ihrer Ableitung vom Schuldner. Eine hoheitliche Enteignung gegenüber dem Nichtberechtigten ist schließlich dem öffentlichen Recht ebenso fremd wie dem Zivilrecht. Die in der weiteren Folge von der öffentlichrechtlichen Pfandrechtstheorie beanspruchte Privilegierung des bösgläubigen Erwerbers in der Versteigerung lässt sich daher auch aus öffentlich-rechtlicher Sicht nicht begründen. Ebenso wenig vermag der Schutzgedanke zu Gunsten der Funktionsfähigkeit des Versteigerungswesens zu überzeugen. Zum einen ist die Versagung eines Schutzes gegenüber dem bösgläubigen Erwerber kaum geeignet, potentielle Teilnehmer einer Versteigerung abzuschrecken. Zum anderen greift der von den Anhängern der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie konzipierte Schutz des Erwerbers im Falle der Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahme zu kurz. Hier muss die öffentlich-rechtliche Pfandrechtstheorie selbst dem gutgläubigen Erwerber jeglichen Vertrauensschutz versagen. Aus dieser Bredouille hilft schließlich auch die gemischte Pfandrechtstheorie nicht heraus, da sie ebenfalls einer öffentlich-rechtlichen Bewertung der Verwertungsvorgänge zuneigt. Darin liegt zugleich ihre eigentliche Schwäche, indem sie nicht anders als die öffentlich-rechtliche Pfandrechtstheorie die Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Recht unnötig in den Bereich der Verwertung verlagert, anstatt sie auf die maßgebliche öffentlich-rechtliche Komponente der staatlichen Gewaltanwendung zu beziehen. Abhilfe leistet eine Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie und die damit einhergehende Beachtung der materiell-rechtlichen Vorgaben zum Schutz des gutgläubigen Erwerbers. Diese beanspruchen in der Versteigerung ihre Gültigkeit. Die Regelungen der §§ 1244, 932 ff. BGB dürfen in der Vollstreckung nicht ausgeklammert werden. In der weiteren Konsequenz erscheint eine Harmonisierung der Verwertungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit denjenigen der Zivilprozessordnung möglich und erstrebenswert. Sie würde zugleich die Beendigung der unsäglichen Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Versteigerungswesen einleiten.
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Schluss
Im Rahmen eines derartigen Verständnismodells markiert der Dualismus von Pfändung und Verwertung die Schnittstelle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren und dessen zivilrechtlichen Rechtsfolgen. Die Verwertungsvorgänge erschließen sich rein zivilrechtlich, da das staatliche Gewaltmonopol in diesem Bereich nicht mehr zur Anwendung kommt. Die Tätigkeit der Gerichtsvollzieher im Bereich der Versteigerung steht dem nicht entgegen. Angesichts des engen Sachzusammenhangs und des Gebots einer effektiven Verwertung erscheint nämlich eine personelle Unterteilung in die hoheitliche Tätigkeit des Gerichtsvollziehers bei der Pfändung einerseits und die Tätigkeit privater Auktionäre im Rahmen der Versteigerung andererseits wenig opportun. Sie ist auch nicht erforderlich, da die staatliche Verwaltungstätigkeit nicht zwingend auf den Bereich der Eingriffsverwaltung beschränkt ist. Der Sachzusammenhang vermag vielmehr eine gleichzeitige Tätigkeit der Vollstreckungsorgane im Bereich der Leistungsverwaltung – als solche stellt sich das Versteigerungswesen nach dem hier entwickelten Konzept dar – zu rechtfertigen. Es begegnet daher keinerlei Bedenken, dass der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Pfändung als Hoheitsträger und bei der Versteigerung als Beauftragter des Gläubigers tätig wird. Infolge der privatrechtlichen Konzeption ist Grundlage der Versteigerung nicht die sogenannte Verstrickung, für deren Existenz es ohnehin keine gesetzlichen Anhaltspunkte gibt, sondern schlicht das durch die Vollstreckung begründete Pfändungspfandrecht. Dieses ist, was die Frage des gutgläubigen Erwerbs durch den Gläubiger anbelangt, dem gesetzlichen Pfandrecht gleichzustellen. Aufgrund der fehlenden freiwilligen Verpfändungserklärung kommt ein gutgläubiger Pfandrechtserwerb durch den Gläubiger nicht in Betracht. Der Erwerb in der Versteigerung stellt sich hingegen als rechtsgeschäftliche Verfügung des Gläubigers, vertreten durch das Versteigerungsorgan, dar, weshalb ein gutgläubiger Erwerb hier möglich bleibt. Dieses Modell entspricht denjenigen der meisten europäischen Nachbarn, denen eine weitergehende Privilegierung des bösgläubigen Erwerbers in der Versteigerung ebenfalls fremd ist. Das Modell des Versteigerungsorgans als zivilrechtlicher Vertreter des Gläubigers ermöglicht eine wesentliche Entflechtung und Vereinfachung der Erwerbsvorgänge im Rahmen der Verwertung. Es kann auf die zivilrechtlichen Erwerbstatbestände zurückgegriffen werden. Dadurch reduziert sich zugleich die Anzahl der Erwerbsvorgänge. Denn das Versteigerungsorgan nimmt keine eigenständigen Verfügungen mehr vor. Der Umstand, dass das Versteigerungsorgan im Übrigen als Vertreter des Gläubigers und nicht als Hoheitsträger tätig wird, erklärt in der weiteren Folge die Haftung des Gläubigers im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache. Vom Standpunkt der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie lässt sich das Handeln des Versteigerungsorgans als Hoheitsträger dem Gläubiger hingegen nicht zurechnen. In der weiteren Konsequenz müsste diese Theorie daher für eine Staatshaftung in Bezug auf Rechtsfehler des Versteigerungsorgans plädieren, die jedoch auch von den Anhängern der öffentlich-rechtlichen Pfandrechtstheorie geleugnet wird.
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Die Rückbesinnung auf die private Pfandrechtstheorie in der hier vorgenommenen Modifikation ermöglicht im Ergebnis eine weitgehende Rückführung des öffentlichen Rechts im Bereich der Verwertungsvorgänge. Der Anwendungsbereich des öffentlichen Rechts beschränkt sich auf den eigentlichen öffentlichrechtlichen Faktor der Vollstreckung, die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols im Rahmen der Pfändung.
II. Forderungsvollstreckung Im Bereich der Forderungsvollstreckung bietet sich ebenfalls eine Beschränkung des eigentlichen Vollstreckungsverfahrens auf den Pfändungsvorgang und ein Verzicht auf die Figur der öffentlich-rechtlichen Verstrickung an. Die eigentliche Gewaltanwendung wird infolge der fingierten Einziehungsermächtigung bzw. Abtretung der gepfändeten Forderung gänzlich entbehrlich. Der Pfändungs- und Verwertungsvorgang lässt sich im Bereich der Forderungsvollstreckung aus den zivilrechtlichen Vorschriften zur Verpfändung von Forderungen ableiten. Der Pfändungsbeschluss beinhaltet in Form des Inhibitoriums die Fiktion der Verpfändungserklärung und in Form des Arrestatoriums die gemäß § 1280 BGB obligatorische Verpfändungsanzeige an den Drittschuldner. Der Überweisungsbeschluss trägt der nach materiellem Zivilrecht gegebenen Auswahlmöglichkeit des Gläubigers zwischen der bloßen Einziehungsermächtigung und der Abtretung der gepfändeten Forderung Rechnung. Dabei offenbart die Regelung des § 835 Abs. 1 ZPO eine entscheidende Schwäche im Vergleich mit ihrem zivilrechtlichen Pendant, der Vorschrift des § 1282 Abs. 1 S. 3 BGB. Die zuletzt genannte Regelung sieht eine Ersetzungsbefugnis des Gläubigers vor, die dem in der Praxis selten vorkommenden Abtretungsverlangen angemessen Rechnung trägt. Demgegenüber ordnet § 835 Abs. 1 ZPO ein echtes Wahlrecht im Sinne von § 262 BGB an. Demzufolge bleibt das Vollstreckungsverfahren stets mit der gesonderten Ausübung dieses Wahlrechts in Form des Überweisungsbeschlusses belastet. Eine weitere in diesem Zusammenhang auftretende Schwäche der Forderungsvollstreckung ergibt sich aus der Vorschrift des § 836 Abs. 1 ZPO, die dem Überweisungsbeschluss die Funktion einer Einziehungsermächtigung zuschreibt. Ein Blick auf die zivilrechtlichen Verpfändungsvorschriften zeigt hingegen, dass sich das „Einziehungsrecht“ bereits aus dem Pfandrecht ableitet. Es handelt sich um nichts anderes als das dingliche Verwertungsrecht, weshalb der Rückgriff auf die Vorschrift des § 185 Abs. 1 BGB verfehlt ist. Die Funktion des Überweisungsbeschlusses erschöpft sich demzufolge in der Ausübung des Wahlrechts zwischen Pfändungs- und Abtretungsverlangen. Genau genommen stehen Pfändung und Überweisung daher nicht im Verhältnis der Kumulation, sondern der Alternative zueinander.
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Schluss
III. Immobiliarvollstreckung Die drei Arten der Immobiliarvollstreckung lassen sich auf den Dualismus von Pfändung und Verwertung zurückführen. Die Zwangshypothek stellt das Grundpfändungspfandrecht dar, das seinerseits Voraussetzung für die Verwertung im Wege der Versteigerung oder Verwaltung ist. Dieser Zweiklang kommt im geltenden Recht darin zum Ausdruck, dass die Vorschriften zur Beschlagnahme im Rahmen der Versteigerung oder Verwaltung des Grundstücks auf die Regelungen zum Hypothekenhaftungsverband zurückgreifen. Im Weiteren entspricht das durch die Beschlagnahme begründete Verwertungsrecht gemäß § 10 ZVG dem Befriedungsrecht aus einer Zwangshypothek. Die Alternative zwischen Versteigerung und Verwaltung findet sich umgekehrt bei den übrigen Vollstreckungsarten wieder. In ähnlicher Form eröffnet beispielsweise § 825 ZPO Möglichkeiten zur anderweitigen Verwertung von beweglichen Sachen als durch öffentliche Versteigerung. Die Grundstücksverwaltung stellt daher lediglich einen gesetzlich typisierten Fall der anderweitigen Verwertung dar. Nicht anders wäre die Sachverwaltung im Rahmen der Mobiliarvollstreckung als Verwertungsart denkbar. Ein wesentlicher Vorzug der Immobiliarverwertung liegt darin, dass die Vorschrift des § 1147 BGB das Tor für eine weitgehende Rechtsvereinheitlichung des Vollstreckungsrechts mit dem materiellen Recht eröffnet. Das Bürgerliche Gesetzbuch verzichtet auf eigenständige Verwertungsvorschriften, so dass sich keine Abweichungen voneinander ergeben. Allerdings ist die Regelung des § 1147 BGB mit dem Makel behaftet, dass sie nach ihrem derzeitigen Verständnis im Falle der Hypothek eine gesonderte Duldungsklage vorschreibt. Diese erweist sich angesichts der bereits in der Grundverpfändung zum Ausdruck kommenden Duldungserklärung als lästige und umständliche Förmelei. Angesichts der ausreichenden Schutzmechanismen im Rahmen der Verwertung eines Grundstücks besteht keine Veranlassung zu weitergehenden Einschränkungen bei der Verwertung von Immobilien im Vergleich mit den übrigen Vollstreckungsarten, denen eine gesonderte Duldungsklage ohnehin unbekannt ist. Die Neufassung des § 867 Abs. 3 ZPO, der eine gesonderte Duldungsklage zumindest im Bereich der Vollstreckung entbehrlich macht, ist daher nur zu begrüßen. Damit korrespondierend ist § 1147 BGB als bloßer Verweis auf die für die Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften zur Versteigerung und Verwaltung zu verstehen.
IV. Die Zwangsvollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen Die Vollstreckung wegen anderer Ansprüche als Geldforderungen ist durch die materiell-rechtlichen Anspruchsziele geprägt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt eine weitestgehende Zurückhaltung der staatlichen Gewaltanwen-
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dung bei gleichzeitiger Wahrung der Effektivität der Vollstreckung zugunsten des Gläubigers. Diesem Spagat trägt bei Ansprüchen auf Abgabe von Willenserklärungen die Figur der gesetzlichen Fiktion Rechnung, § 894 ZPO. In ähnlicher Weise lässt sich im Bereich der Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Handlungen eine staatliche Gewaltanwendung durch den Verweis auf die zivilrechtliche Figur der kostenpflichtigen Selbstvornahme vermeiden. Die Regelung des § 887 ZPO entspricht den Vorschriften des materiellen Rechts, aus denen sich das Recht des Gläubigers zur Selbstvornahme ergibt. Nachdem der Gesetzgeber insoweit mit der Vorschrift des § 637 Abs. 3 BGB das Recht zum Kostenvorschuss in gesetzliche Formen gegossen hat, gewinnt diese Regelung ihren angestammten Platz im materiellen Recht. Schon nach der bisherigen Prägung des § 887 ZPO wurde das Prozessgericht bei der „Verurteilung“ des Schuldners zum Kostenvorschuss nicht als Vollstreckungsorgan, sondern als erkennendes Gericht tätig. Die Vorschrift des § 887 ZPO lässt sich daher auf die Aussage reduzieren, dass abweichend von der allgemeinen Vorschrift des § 888 ZPO bei der Erwirkung vertretbarer Handlungen eine staatliche Gewaltanwendung in Form von Zwangsgeld und Zwangshaft ausgeschlossen ist. Der Gläubiger wird auf sein Recht zur kostenpflichtigen Selbstvornahme verwiesen. Bei der Herausgabevollstreckung ist eine Gewaltanwendung unvermeidlich, soweit der Schuldner die freiwillige Herausgabe bis zuletzt verweigert. Entsprechendes gilt für die Vollstreckung von Unterlassungsansprüchen und Ansprüchen auf Vornahme von unvertretbaren Handlungen. Die Lösungsmodelle der europäischen Nachbarn reichen in dieser Sparte von der Versagung der Vollstreckbarkeit und Beschränkung auf Schadensersatzansprüche bis hin zur strafrechtlichen Bewehrung der Leistungsverweigerung des Schuldners. Als vermittelnde Lösung bietet sich das deutsche System öffentlich-rechtlicher Ordnungsmittel im Sinne einer präventiven Gefahrenabwehr an. Die französische Variante der astreinte mag demgegenüber zwar äußerst effektiv sein, indem sie das Ordnungsgeld dem Gläubiger zuweist. Hingegen ist es dogmatisch kaum zu begründen, dass der Gläubiger ein Strafgeld erhalten soll, ohne dass eine Vertragsstrafe vereinbart ist.
Fünfter Teil. Die Organisation der Zwangsvollstreckung Die Frage nach der Organisation der Zwangsvollstreckung ist in starkem Maße von der vorrangig zu klärenden Frage nach dem Wesen der Zwangsvollstreckung und ihren Prinzipien beeinflusst. Die hierzu gewonnenen Einsichten legen ein System vergleichbar den schweizerischen Betreibungsbehörden nahe. Die Vielzahl an Vollstreckungsorganen deutscher Prägung erweist sich hingegen als wenig vorteilhaft.
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Schluss
I. Das Prozessgericht als Vollstreckungsorgan? Die Tätigkeit des Prozessgerichts bei der Erzwingung von persönlichen Ansprüchen entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Relikt des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses. Dabei veranschaulichen die Überlegungen zur Vollstreckung vertretbarer Handlungen, dass das Prozessgericht in diesem Bereich gar nicht als Vollstreckungsorgan, sondern in seiner ihm angestammten Rolle als erkennendes Gericht tätig wird. Es entscheidet über die Berechtigung des Gläubigers zur Ersatzvornahme und zur Geltendmachung eines Kostenvorschusses. Dass es sich dabei um ein vereinfachtes Beschlussverfahren handelt, mag mit dem Umstand zu rechtfertigen sein, dass aufgrund des vorliegenden Titels die weitaus schwieriger zu bewertende Frage nach dem Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner auf Vornahme der vertretbaren Handlung schon verbindlich geklärt ist. Von der erkennenden Tätigkeit des Prozessgerichts zu unterscheiden ist die Festsetzung von Zwangs- und Ordnungsgeld bei der Erzwingung der in §§ 888, 890 ZPO aufgeführten persönlichen Ansprüche. Dabei handelt es sich um eine typische Vollstreckungstätigkeit, die in der Verwaltungsvollstreckung von den allgemein zuständigen Vollstreckungsorganen vorgenommen wird. Es ist daher nicht einsichtig, weshalb es in der Vollstreckung nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung der Einschaltung der Prozessgerichte bedarf. Das Argument der vermeintlichen Sachnähe zum Erkenntnisverfahren vermag angesichts des Formalisierungsprinzips ebenso wenig zu überzeugen wie in anderen Bereichen der Vollstreckung.
II. Die zweifelhafte Funktion des Grundbuchamtes als Vollstreckungsorgan Ebenfalls entbehrlich erscheint das Verständnis des Grundbuchamtes als Vollstreckungsorgan im Zusammenhang mit der Eintragung der Zwangshypothek. Die eigentliche Schwäche im deutschen Vollstreckungssystem ist hier in der Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Verwertungsarten zu sehen. Das Verständnis der Zwangshypothek als Grundpfändungspfandrecht und die insoweit maßgebliche Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts würde das Grundbuchamt von seiner Aufgabe als Vollstreckungsorgan befreien. Es hätte dann lediglich als ausführendes Organ den vom Vollstreckungsgericht beantragten „Versteigerungsvermerk“, d.h. die Eintragung des Grundpfändungspfandrechts, im Grundbuch vorzunehmen.
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III. Das Vollstreckungsgericht als Zwitter zwischen Exekutive und Judikative Als gesetzgeberischer Glücksgriff erweist sich die Einführung des Rechtspflegerberufes und die damit verbundene Aufgabenverteilung des Vollstreckungsgerichts auf den Rechtspfleger und den Vollstreckungsrichter. Letzterem bleibt gemäß § 20 Nr. 17 RPflG die Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung vorbehalten, während in den übrigen Bereichen, insbesondere im Rahmen der Forderungsvollstreckung, der Rechtspfleger zuständig ist. Damit ist eine klare Grenzziehung zwischen der gerichtlichen und der verwaltungsbehördlichen Tätigkeit des Vollstreckungsgerichts vollzogen. Es bestehen demzufolge keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vollstreckende Tätigkeit des Rechtspflegers.
IV. Der Gerichtsvollzieher Die Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers ist bis heute vom Gesetzgeber nahezu stiefmütterlich behandelt worden. Es fehlen gesetzliche Regelungen zum organisations- und disziplinarrechtlichen Status des Gerichtsvollziehers. Dies ist verwunderlich, da das Tätigkeitsfeld des Gerichtsvollziehers demjenigen des Rechtspflegers sehr nahe steht. Dies belegen nicht nur die identischen Vollstreckungsvoraussetzungen. Auch die jüngsten gesetzgeberischen Reformen, insbesondere die Übertragung der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung vom Rechtspfleger auf den Gerichtsvollzieher, sind ein starkes Indiz für die Vergleichbarkeit der Tätigkeitsfelder. Im Sinne anderer europäischer Vollstreckungsordnungen, beispielsweise des französischen Modells des allzuständigen huissiers, ist daher für eine Harmonisierung des Berufsbildes des Gerichtsvollziehers mit demjenigen des Rechtspflegers in der Vollstreckung zu plädieren. Allein die Unterscheidung zwischen Innen- und Außendienst rechtfertigt nicht das Festhalten an zwei eigenständigen Vollstreckungsorganen. Dies belegt nicht zuletzt ein Blick auf vergleichbare Berufsfelder im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts. Der Dualismus von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher ist schließlich nicht geeignet, um das Interesse des Gläubigers an einer effektiven Vollstreckung zu fördern. Die Aufgabenverteilung erschwert im Gegenteil eine wirkungsvolle Vollstreckung, da die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Die strikte Trennung der Aufgabenfelder führt in der weiteren Folge dazu, dass ein Versagen des einen Organs nicht durch das beherzte Einschreiten des anderen kompensiert werden kann. Zudem verhindert das Titelerfordernis die gleichzeitige Beauftragung beider Vollstreckungsorgane. In der weiteren Konsequenz werden durch die Zuständigkeitsverteilung die materiell-rechtlichen Prinzipien des Vollstreckungsrechts untergraben. So gibt die Aufgabenteilung dem nachrangigen Gläubiger die Möglichkeit, den vorrangigen Gläubiger bei Beauftragung des konkur-
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rierenden Vollstreckungsorgans zu überflügeln. Aufgrund der mangelnden Koordination zwischen den Vollstreckungsorganen bleibt das Prioritätsprinzip unberücksichtigt.
V. Schaffung zentraler Vollstreckungsorgane Abschließend sprechen dieselben Argumente, die für ein zentrales Klauselverfahren bemüht werden, für die Einführung zentraler Vollstreckungsorgane. Nur auf diesem Wege lässt sich auch das viel kritisierte System der Verwaltungsvollstreckung bereinigen und in die allgemeine Organisation der Zwangsvollstreckung integrieren. Eine räumliche Ausgliederung der Vollstreckungsorgane könnte – sofern man sie überhaupt für erforderlich hielte – schrittweise nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten vollzogen werden, um die mit einer derartigen Umstrukturierung verbundenen Kosten zu minimieren. Der Gefahr einer Lähmung der Zwangsvollstreckung durch die behördliche Struktur zentral tätiger Vollstreckungsorgane wäre dadurch vorgebeugt, dass die organisationsrechtliche Harmonisierung des Berufsbildes vom Gerichtsvollzieher und vom Rechtspfleger keine personellen Veränderungen bedingt. Zudem könnte dem Risiko einer schleppenden Bearbeitung von Vollstreckungsanträgen durch die Einführung gesetzlicher Bearbeitungsfristen nach schweizerischem Vorbild entgegengetreten werden. Die Überschreitung der Bearbeitungsfristen wäre mit einer Entschädigungsregelung zugunsten des Gläubigers zu sanktionieren.
Sechster Teil. Das Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung Das Rechtsbehelfssystem stellt sich als Spiegel der Rechtsnatur der Zwangsvollstreckung, ihrer Prinzipien und ihrer Organisation dar. Demzufolge lässt sich das Rechtsbehelfssystem auf bekannte Strukturen aus dem öffentlichen und dem privaten Verfahrensrecht zurückführen. Das Bemühen um eine Rechtsvereinheitlichung hat sich dabei an den aufgezeigten Schnittstellen zwischen dem öffentlichrechtlichen und dem privatrechtlichen Sektor der Vollstreckung zu orientieren. Die Trennung vollzieht sich zum einen an der Schnittstelle zwischen hoheitlicher Pfändung und privatrechtlicher Verwertung. Zum anderen ist im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Vollstreckungsorgan und Schuldner strikt zwischen dem privatrechtlichen Schuldverhältnis einerseits und den hoheitlichen Rechtsbeziehungen der Vollstreckungsparteien zum Vollstreckungsorgan andererseits zu unterscheiden. Diese Weichenstellungen machen eine zweispurige Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems unausweichlich, weshalb es verfehlt wäre, von einem einheitlichen „Rechtsbehelfssystem in der Zwangsvollstreckung“ ausgehen zu wollen. Umgekehrt verliert dieses „Rechtsbehelfssystem“ bei Rückbesinnung auf die verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfe und die zivilprozessualen Klagearten jegliche seiner Eigenarten.
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I. Öffentlich-rechtliche Rechtsbehelfe Im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahrens lassen sich zahlreiche Parallelen zwischen der Vollstreckungserinnerung und dem öffentlichrechtlichen Widerspruchsverfahren mit anschließender Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nachweisen. Der Gesetzgeber der Zivilprozessordnung hat in erstaunlichem Umfang der sich Jahrzehnte später erst konstituierenden Verwaltungsrechtslehre vorgegriffen. Die wechselseitigen Parallelen ermöglichen eine Rechtsvereinheitlichung, die den Vorzügen beider Rechtsbehelfe Rechnung trägt. Auf Seiten der Vollstreckungserinnerung stellt sich dabei insbesondere die Frage nach dem Erinnerungsgegner. Verantwortlich für die hoheitliche Pfändung ist nicht der Gläubiger, sondern das Vollstreckungsorgan, weshalb sich dieses im Rahmen der Vollstreckungserinnerung zu verantworten hat. Zugleich wird deutlich, dass zuständiges Gericht das Verwaltungsgericht ist. Die derzeitige Rechtswegeröffnung vor dem ordentlichen Zivilgericht entpuppt sich als Relikt aus dem gemeinrechtlichen Exekutionsprozess. In Anlehnung an das Verwaltungsverfahren erscheint auch in der Zwangsvollstreckung eine Verpflichtung des Vollstreckungsorgans zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung ratsam. Angesichts der Intensität des staatlichen Eingriffs erweist sich gerade hier eine frühzeitige Belehrung des Schuldners als verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Dies gilt umso mehr, wenn man die filigrane Verästelung des derzeitigen Rechtsbehelfssystems in Rechnung stellt. Schließlich ist es nicht der Schuldner, der für die unüberschaubare Vielzahl von denkbaren Vollstreckungsrechtsbehelfen verantwortlich ist, sondern der Gesetzgeber. Als dessen Exekutivorgan obliegt daher dem Vollstreckungsorgan die Aufgabe, die Vollstreckungsparteien über den statthaften Rechtsbehelf aufzuklären. Umgekehrt ermöglicht dies eine Befristung, womit die Handlungsfähigkeit des Vollstreckungsorgans sichergestellt und der Gläubiger vor einer Verschleppung des Vollstreckungsverfahrens geschützt wird. Ein Blick auf das verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfssystem befreit schließlich von den selbst auferlegten Sachzwängen, in der Zwangsvollstreckung zwischen „Maßnahmen“ und „Entscheidungen“ des Vollstreckungsorgans differenzieren zu müssen. Es hat sich gezeigt, dass sowohl der Gerichtsvollzieher als auch der Rechtspfleger im Rahmen der Zwangsvollstreckung eine Verwaltungstätigkeit ausüben. Dem Verwaltungsrecht ist hingegen eine Unterscheidung zwischen Maßnahmen und Entscheidungen fremd. Der Begriff des Verwaltungsaktes vereint vielmehr beide Begriffskategorien und macht eine Differenzierung überflüssig. In der weiteren Folge entfällt die Notwendigkeit eines gesonderten Rechtsbehelfs im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Rechtspflegers. Angesichts der identischen Tätigkeitsfelder verliert die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Rechtspflegers ihre Existenzberechtigung. Die Vollstreckungserinnerung stellt den spezielleren Rechtsbehelf dar. Mit dieser Rechtsvereinheitlichung werden die derzeitigen Abgrenzungsprobleme, namentlich in den Fällen der Drittbeteiligung, vermieden. Des Weiteren gewährleistet der Rückgriff
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auf die Vollstreckungserinnerung den Vollstreckungsparteien in erster Instanz die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen des Rechtspflegers. Die derzeitige Verweisung auf die sofortige Beschwerde stellt demgegenüber eine unzulässige Verkürzung des Rechtsweges dar, indem der Betroffene unmittelbar an die Rechtsmittelinstanz verwiesen wird. Versteht man die Vollstreckungserinnerung als maßgeblichen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung, so entpuppt sich die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO als das statthafte Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über die Vollstreckungserinnerung. Der Begriff der „Entscheidung“ ist dabei im Gegensatz zu der exekutiven Vollstreckungstätigkeit als „rechtsprechende Entscheidung“ zu konkretisieren. Dies gewährleistet im Sinne der Gewaltenteilung eine klare Abgrenzung zwischen dem gegen die verwaltungsbehördliche Entscheidung oder Maßnahme des Vollstreckungsorgans gerichteten Rechtsbehelf des § 766 ZPO und dem sich in zweiter Instanz daran anschließenden Rechtsmittel in Form des § 793 ZPO. In der weiteren Konsequenz führt diese Unterscheidung zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckungserinnerung zugleich den statthaften Rechtsbehelf gegen die verwaltungsbehördlichen Entscheidungen im Rahmen der §§ 888 ff. ZPO darstellt. Die derzeitige Zuständigkeit des Prozessgerichts in diesem Bereich der Zwangsvollstreckung ist daher kaum zu rechtfertigen. Die Konzentration auf die Vollstreckungserinnerung als allein maßgeblicher öffentlich-rechtlicher Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung lässt zuletzt die Diskussion um die Ausschließlichkeit der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe in neuem Licht erscheinen. Wirft man nämlich einen Blick auf die Vorschrift des § 9 VwVfG, die den Begriff des Verwaltungsverfahrens definiert, so ergeben sich erstaunliche Parallelen. Es handelt sich bei § 9 VwVfG ebenfalls um eine begriffliche Bestimmung von Anfang und Ende eines behördlichen Verfahrens mit dem Ziel, den zeitlichen Geltungsbereich der für das Verfahren geltenden Grundsätze einschließlich der Rechtsbehelfe zu normieren. Insoweit ist also gegen die Abhängigkeit der Vollstreckungserinnerung von Anfang und Ende der Zwangsvollstreckung nichts einzuwenden. Hingegen trifft § 9 VwVfG naturgemäß keine Aussage über die Zulässigkeit privater „Rechtsbehelfe“ zwischen dem Adressaten des Verwaltungsaktes und Dritten. Hier kommen die eingangs angesprochenen Grenzen zwischen öffentlich-rechtlichem und zivilrechtlichem Rechtsschutz zum Tragen. Der auf horizontaler Ebene anzusiedelnde private Rechtsschutz bleibt von dem vertikal anzusiedelnden Zwangsvollstreckungsverfahren nahezu unberührt. Mit anderen Worten haben sich die sogenannten materiellen Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung vorrangig an den allgemeinen zivilprozessualen Klagearten zu orientieren. Deren Geltendmachung ist durch die Zwangsvollstreckung nicht ausgeschlossen, sondern allenfalls modifiziert.
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II. Zivilrechtliche Klagen Die sogenannten materiellen Rechtsbehelfe sind dem privatrechtlichen Bereich der Zwangsvollstreckung zuzuordnen. Sie fügen sich auf der zweiten Stufe des Formalisierungsmodells ein, indem sie eine Korrektur der öffentlich-rechtlichen Vermutungstatbestände ermöglichen. Dabei handelt es sich während des Ablaufs der Zwangsvollstreckung um allgemeine Feststellungsklagen. Das staatliche Gewaltmonopol bewirkt in diesem Zeitraum eine Verkürzung der nach materiellem Recht gegebenen Leistungsklagen auf das Element der gerichtlichen Feststellung. Diese Feststellung bildet sodann die Entscheidungsgrundlage für die weitere Tätigkeit des Vollstreckungsorgans. Die maßgeblichen Schnittstellen bilden die Regelungen der §§ 775, 776 ZPO, die das Vollstreckungsorgan zur Einstellung oder Aufhebung der Vollstreckung verpflichten. 1. Vollstreckungsabwehrklage Die Vollstreckungsabwehrklage hat die Feststellung nachträglicher Einwendungen des Schuldners gegen den titulierten Anspruch zum Gegenstand. Ihr kommt keine Gestaltungswirkung zu, da diese gemäß den §§ 775, 776 ZPO erst durch das Vollstreckungsorgan herbeigeführt wird. Zur eigentlichen Vollstreckungsabwehr kommt es daher erst im Rahmen der Vollstreckungserinnerung des Schuldners, sofern das Vollstreckungsorgan die Einstellung oder Aufhebung der Vollstreckung trotz Vorlage der gerichtlichen Entscheidung verweigert. Im Hinblick auf den Tenor der gerichtlichen Entscheidung führen diese Überlegungen zu einer Abkehr von der derzeitigen Bezugnahme auf das Vollstreckungsverfahren. Klageantrag und Tenor haben allein die Feststellung der materiell-rechtlichen Einwendung zum Gegenstand. Eine unmittelbare Verpflichtung des Vollstreckungsorgans zur Einstellung der Zwangsvollstreckung verbietet sich schon allein deshalb, weil das Vollstreckungsorgan an dem Klageverfahren gemäß § 767 ZPO überhaupt nicht beteiligt ist. In gleicher Weise mutet die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung als Relikt des gemeinrechtlichen Exekutionsprozesses an. Die „Vollstreckbarkeit“, die dem Titel genommen werden soll, stellt nichts anderes dar als den „vollstreckbaren Grundverwaltungsakt“, der dem Titel innewohnt. Dieser bedarf hingegen bei Vorliegen einer materiell-rechtlichen Einwendung, d.h. insbesondere im Falle der Erfüllung, keiner Aufhebung, wie ein Blick auf die Verwaltungsrechtslehre belegt. Das von Rechtsprechung und Literatur postulierte besondere Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage entpuppt sich bei näherer Betrachtung als einfacher Ausdruck des in § 256 Abs. 1 ZPO verankerten Feststellungsinteresses. Dieses ist bereits mit der Vorlage des Titels gegeben. Die Charakterisierung der Vollstreckungsabwehrklage als allgemeine Feststellungsklage wird bestätigt durch die Parallelen zur negativen Feststellungsklage des Schuldners im Vorfeld der Leistungsklage des Gläubigers sowie zur Feststel-
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lungsklage des Gläubigers im Falle der einseitigen Erledigung. Zugleich entfällt die unsägliche Abgrenzung beim Prozessvergleich zwischen anfänglichen und nachträglichen Einwendungen. Dass hier generell die Feststellungsklage die angemessene Klageart darstellt, unterstreicht schließlich die weitere Parallele zur allgemeinen Feststellungsklage des Gläubigers im Falle der §§ 756, 765 ZPO, deren Statthaftigkeit von Rechtsprechung und Literatur nicht angezweifelt wird. Die Regelung des § 767 Abs. 1 ZPO lässt sich im Ergebnis auf die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zurückführen, ebenso wie die Präklusionsregelung des § 767 Abs. 2 ZPO nur Ausdruck der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft ist, §§ 322 ff. ZPO. Die Vorschrift des § 767 ZPO verliert ihre vollstreckungsrechtlichen Eigenarten. 2. Interventionsklage Inhalt der Interventionsklage ist die Feststellung der materiellen Verfügungsberechtigung des Dritten. Der maßgebliche Unterschied zur Vollstreckungsabwehrklage besteht darin, dass Streitgegenstand nicht ein schuldrechtliches, sondern ein dingliches Tatbestandsmerkmal der Pfändung ist. Demzufolge erweitert sich der Kreis der Beteiligten auf den Dritten als den von der Pfändung betroffenen Berechtigten. Das Manko im derzeitigen Verständnis der Interventionsklage besteht darin, dass Rechtsprechung und Literatur bemüht sind, sämtliche Rechtsprobleme, die im Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittem auftreten, allein in der Rechtsbeziehung zwischen dem Gläubiger und dem Dritten abzuwickeln. Dies führt zu der eigenartigen Konsequenz, dass dem Dritten obligatorische Interventionsrechte gegenüber dem Gläubiger zugesprochen werden, obwohl beide kein Schuldverhältnis miteinander verbindet. In der weiteren Folge muss es nicht verwundern, dass sämtliche Bemühungen um eine begriffliche Erfassung des sogenannten Interventionsrechts misslingen und sich in der Aufzählung einer weitreichenden Kasuistik erschöpfen. Aus dieser dogmatischen Sackgasse befreit eine Rückbesinnung auf die materiell-rechtlichen Prinzipien zur Abwicklung von Dreiecksverhältnissen. Die bekannten Mechanismen des Bürgerlichen Gesetzbuchs führen zu der Gewährung von schuldrechtlichen Interventionsrechten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger sowie des Dritten gegenüber dem Schuldner. In der weiteren Folge entfällt die Notwendigkeit, dem Dritten im Rahmen der dinglichen Interventionsklage, die von § 771 Abs. 1 ZPO allein angesprochen wird, ein schuldrechtliches Interventionsrecht zuzusprechen. Die Verabschiedung von dem derzeitigen Verständnismodell der Interventionsklage gemäß § 771 Abs. 1 ZPO entspricht nicht nur der gesetzlichen Systematik des § 771 Abs. 2 ZPO, der die Intervention des Dritten gegen den Schuldner ausdrücklich zulässt, sondern auch den Vollstreckungssystemen der europäischen Nachbarn, die dem Schuldner ebenfalls ein Recht zur Interventionsklage zusprechen. In der weiteren Konsequenz lassen sich die verschiedenen Fallgruppen, die Rechtsprechung und Literatur unter dem Stichwort der „Duldungspflichten des Dritten“ entwickelt haben, mit Hilfe der schuldrechtlichen und dinglichen Ab-
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wicklungsmechanismen des Bürgerlichen Gesetzbuchs sachgerechten Lösungen zuführen. Die vorschnelle Anwendung des § 242 BGB durch Rechtsprechung und Literatur im Verhältnis zwischen Drittem und Gläubiger führt hingegen zu der Konsequenz, dass unterschiedliche Vollstreckungsverhältnisse und unterschiedliche Vollstreckungsarten unzulässig miteinander verwoben werden. 3. Absonderungsklage Ähnlich wie bei der Interventionsklage stellt sich bei der Absonderungsklage die Notwendigkeit, sämtliche Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten in die Überlegungen einzubeziehen. Die sich im Anschluss ergebenden Unterschiede zur Interventionsklage haben ihren Ursprung allein im materiellen Zivilrecht. Dieses versagt dem Pfandrechtsinhaber die Intervention gegenüber der Verwertung des Pfandobjekts und beschränkt seine Rechte auf eine angemessene Befriedigung aus dem Erlös. Die Absonderungsklage kommt demzufolge erst im Rahmen der Verwertung zum Tragen, sofern das Versteigerungsorgan die Auskehr des Erlöses an den zur Absonderung berechtigten Pfandrechtsinhaber verweigert. Der Pfandrechtsinhaber muss in diesem Fall vom Gläubiger und ggf. auch vom Schuldner die Einwilligung in die Auskehr des Erlöses einholen. Dabei handelt es sich aus zivilprozessualer Sicht jeweils um eine allgemeine Leistungsklage, die auf Abgabe einer Willenserklärung in Form der Einwilligung gerichtet ist. Die „prozessuale Gestaltungswirkung“, die Rechtsprechung und Literatur der obsiegenden Absonderungsklage zuschreiben wollen, umschreibt demzufolge nichts anderes als die gemäß § 894 Abs. 1 ZPO eintretende Fiktion der Abgabe der Einwilligungserklärung des Gläubigers in die Auskehr des Erlöses an den Absonderungsberechtigten. Im Unterschied zur Interventionsklage reduziert sich die Klage gemäß § 805 ZPO also nicht auf die gerichtliche Feststellung des Absonderungsrechts. Dies hängt damit zusammen, dass die Zwangsvollstreckung auf den Pfändungsvorgang beschränkt ist. Die anschließende Verwertung beurteilt sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen. Die zeitliche Abstufung von Pfändung und Verwertung erklärt, weshalb dem Interventionsberechtigten wahlweise neben der Intervention das Recht zur Absonderung zusteht. Duldet er nämlich die unberechtigte Pfändung und Verwertung des in seinem Eigentum stehenden Pfandobjekts, so verbleibt ihm der Anspruch auf Auskehr des Erlöses. Diesen bereicherungsrechtlichen Anspruch kann er im Wege der Absonderung bereits gegenüber dem Versteigerungsorgan geltend machen. Alternativ kann er sich im Wege der „verlängerten Interventionsklage“ an den Gläubiger halten. Dieser bereicherungsrechtliche Ausgleich steht auch dem Absonderungsberechtigten zu, sofern er die Auskehr des Erlöses an den Gläubiger duldet. Dingliche Intervention vor der Versteigerung, dingliche Absonderung des Erlöses nach erfolgter Versteigerung und vor Auskehr des Erlöses sowie bereicherungsrechtliche Abschöpfung nach erfolgter Auskehr des Erlöses bilden mithin einen materiell-rechtlichen Dreiklang, der sich in seinen wichtigsten Ausprägungen in den Regelungen der §§ 771, 805 ZPO wiederfindet.
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4. Vollstreckungsschutzantrag Der Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO soll dem öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen. Er ist daher dem Anwendungsbereich der Vollstreckungserinnerung zuzuordnen. Das Antragserfordernis ist – entgegen Rechtsprechung und Literatur – allein auf die gerichtliche Überprüfung zu beziehen, nicht hingegen auf die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch das Vollstreckungsorgan. Die Intensität des staatlichen Vollstreckungseingriffs gebietet eine amtswegige Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die allerdings aufgrund des vorrangigen Gläubigerrechts zumeist positiv ausfallen wird. Soweit der Antrag gemäß § 765 a ZPO auf die Geltendmachung einer zivilrechtlichen „Unverhältnismäßigkeit“ im Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger gestützt werden soll, handelt es sich um die Einrede aus § 242 BGB mit der Folge, dass der Klageweg gemäß § 767 ZPO zu beschreiten ist. Die daraus resultierende Rückführung des Vollstreckungsschutzantrags auf die allgemeinen Rechtsbehelfe des öffentlichen und privaten Verfahrensrechts führt zu einer Straffung des gerichtlichen Rechtsschutzes. Zugleich bewirkt sie eine wünschenswerte Annäherung an die Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarn, die ohne einen derartigen Rechtsbehelf auskommen. Abschließend veranschaulicht der Blick auf die Regelungen der §§ 766, 767 ZPO, dass die funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers bei der Entscheidung über den Vollstreckungsschutzantrag verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren ist. Es handelt sich um eine rechtsprechende Tätigkeit, die gemäß Art. 92 ff. GG den Richtern vorbehalten ist.
III. Ergebnis zum Rechtsbehelfssystem Das Rechtsbehelfssystem der Zwangsvollstreckung lässt sich auf bekannte Strukturen aus dem öffentlichen und dem privaten Recht zurückführen. Es handelt sich um ein zweispuriges System des gerichtlichen Rechtsschutzes, das dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfssystem von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage einerseits und andererseits den zivilprozessualen Klagearten, namentlich der allgemeinen Feststellungsklage, gleichkommt. Dieses System steht in Übereinstimmung mit den materiell-rechtlichen Vorgaben des Verwaltungsrechts sowie des materiellen Zivilrechts. Es entzieht dem Streit um die „spezifischen Rechtsbehelfe der Zwangsvollstreckung“ seine Existenzberechtigung.
§ 35 Resümee
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§ 35 Resümee Nicht anders als in der Geschichte des Deutschen Reiches von 1871 kristallisiert sich auf europäischer Ebene ein zunehmendes Zusammenwachsen der Nationalstaaten heraus. Auf Dauer wird es unausweichlich sein, über ein gemeinsames europäisches Vollstreckungsrecht nachzudenken. Nach einem Jahrhundert der inneren Konsolidierung ist es daher an der Zeit, auch die Grundstrukturen des deutschen Vollstreckungsrechts zu überdenken und aus den positiven wie negativen Erfahrungen die Konsequenzen zu ziehen. In diesem Bemühen ist die vorliegende Arbeit entstanden, die eine grundlegende Vereinfachung und Rückführung des Zwangsvollstreckungsrechts auf die beiden Standbeine Verwaltungsrecht und Privatrecht zur Diskussion stellt. Dass dabei wichtige Impulse aus den Vollstreckungsordnungen der europäischen Nachbarländer eingeflossen sind, mag nur für die europäische Dimension eines derartigen Vollstreckungsmodells sprechen. Dessen Vorteile überwiegen die Bedenken, die der Gesetzgeber bei Inkrafttreten der Zivilprozessordnung wie folgt artikuliert hat:1 „Das zähe Festhalten an dem Bestehenden scheint eine Eigenschaft des juristischen Sinns zu sein, welcher gewohnt ist, ein Verhältnis, weil es längere Zeit bestanden hat, als wohlbewährt anzusehen und seine Mängel, welche die tägliche Anwendung oft ausgleicht, weniger zu bemerken. Dazu kommt, dass dasjenige, was durch lange Übung bekannt und bequem geworden, leicht eine gewisse Eingenommenheit erzeugt, welche durch die Besorgnis, sich mit Neuem und Ungewohntem einrichten zu müssen, befestigt wird. Auch ist es natürlich, dass man Einrichtungen nicht leicht und gern aufgibt, mit welchen vielfache geistige Bestrebungen, Mühe und Arbeit sich verbunden haben.“
1
Hahn, Materialien, S. 113.
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Sachregister Absonderungsklage 623 ff. – als allgemeine Leistungsklage 629 – verlängerte 636 Abwehransprüche 624 Amtsbetrieb 131 ff. Amtstheorie 412, 493 Anfechtungsklage 225 Anfechtungssituation 324 Anhörung 147 f. Antragserfordernis 644 Arrestatorium 434 Arrestverfahren 438 Auskunftsverpflichtung – von Dritten und Behörden 127 ff. – Vollstreckung der 128 Bedingung 226 Befriedigungsrecht 418, 458 Befristung 226, 533 Bekanntgabe 303 Bereicherungsklage 633 Beschleunigungsgrundsatz 108 f. Besitz, – mittelbarer 607 Besitzmittlungsverhältnis 605 Besitzpfandrecht 637 Besoldung 504 Beweislastumkehr 296 Beweisregeln 56 f. Bürokratisierung 120 ff. s. auch Verstaatlichungstendenz Dispositionsmaxime 110 f. – Ausdehnung der 499 Dispositionsrechte – des Gläubigers 133 ff. Dreiecksverhältnis 593 f., 622, 623, 627 Drittbetroffenheit 153 f. Drittschuldner 549
Drittschuldnererklärung, – Rechtsnatur der 129 ff. Drittwiderspruchsklage s. Interventionsklage Duldungsklage, – Entbehrlichkeit der 452 ff. Duldungspflicht 608 Eigentumserwerb – kraft Hoheitsakts 389 ff. Einrede 647 Einseitige Erledigung 563 Einstellung, einstweilige 325 Einstweiliger Rechtsschutz 217 f., 228, 326, 350 Enteignung 401 Erfüllung 159 Erinnerung 283 Erlösherausgabeanspruch, – Begründung des -s 414 f. Ersatzvornahme 466 Exekutive 537 Existenzminimum, – Schutz des 75 ff. Faustpfandrecht 345, 348 ff. Fehlerfolgenlehre, verwaltungsrechtliche 397 ff., 439 ff. Feststellungsklage, – allgemeine 573 – positive 599 Fiskus – Privilegien des 196 Formalisierungsprinzip 45 ff., 520 f. s. auch Zwangsvollstreckung, Formalisierung der – als vollstreckungsrechtliches Prinzip 68 ff. – und Verwaltungsvollstreckung
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Sachregister
Forderungspfändung 431 Forderungsübergang 429 Forderungsverwertung 432 Forderungsvollstreckung 429 ff., 663 Frankreich 91 f., 118 f., 144, 154, 165, 207, 212, 307, 342 ff., 429, 473 ff., 482, 510 f. Freigabeerklärung 331 f. Gefahrtragung 159 Geldvollstreckung 79 ff., 339 Gerichtsvollzieher 279, 667 – und Rechtspfleger 494 ff. – Rechtsstellung des 492 – Qualifikation des 59 ff. – Verfügungsbefugnis des 387 – Vollstreckungsmaßnahmen des 491 Gesamtvollstreckung, – Rechtsnatur der 168 Gewaltenteilung 201, 220 Gewaltmonopol, staatliches 5 ff., 135 ff., 378 f., 591, 641 Gläubigeranfechtung 184 f. Gläubigerinteresse 75 f. Gläubigerkonkurrenz 160 – als Grundrechtskollision 180 ff. Gradus executionis 88 ff. Grundbuchamt 488 – als Vollstreckungsorgan 666 Grundpfandrecht 451 Grundrechte 640 Grundverwaltungsakt 235 Gutgläubiger Erwerb 357 f. Herausgabevollstreckung 465 f., 617 Hinterlegungssituation 625 Immobiliarvollstreckung 449 ff., 664 Inhibitorium 434 Insolvenzverfahren 169, 179 Interessenlage 15 ff. Interventionsklage 413 – verlängerte 635 – und Vollstreckungsabwehrklage 621 – Ziel der 586 – zivilrechtliche Bewertung der 587 Interventionsrecht, 600 – obligatorisches 601 Italien 145 f., 154, 163, 212, 471 f., 483
Klausel – Entbehrlichkeit der 260 ff. – titelerweiternde 290 – qualifizierte 268 ff. Klauselerinnerung 292 Klauselgegenklage 293 ff. – als negative Feststellungsklage 294 f. Klauselklage 284, 584 – als Feststellungsklage 288 – Rechtsnatur der 286 f. Klauselverfahren 251 ff. – einfaches 658 – Praxis des -s 256 – qualifiziertes 658 f. – Rechtbehelfe im 282 ff. – Verzicht auf das 263 ff. – Zweck des 266 f. Kostenfestsetzungsbeschluss 237 f. Kostenvorschuss 467 f. Leistungsurteil 218 Mandatstheorie 423 f., 493 Mithaftung 616 Mobiliarvollstreckung 348 ff., 660 f. Negative Feststellungsklage 562, 598 Nichtleistungskondiktion 416 Numerus clausus der Sachenrechte 151 ff. Öffentlich-rechtliche Theorie – Ermächtigungsgrundlage 402 – verfassungsrechtliche Bedenken 401 – Widersprüche der 400 Österreich 90 f., 111, 118, 161, 246, 484, 512 ff. Offizialmaxime 110 f. Parteibetrieb 131 ff. Pfändung 351 ff., 436 – Besitzverhältnisse nach 423 f. – Nichtigkeit der 448 – schuldnerfremder Sachen 396 f., 588 – und Überweisung 436 Pfändungsbeschluss 433 Pfändungspfandrecht, – öffentliches 424
Sachregister
Pfandrechtsgläubiger 627 Pfandrechtstheorien 339 ff., 376 ff., 426 ff. – öffentlich-rechtliche 376 ff. s. auch Öffentlich-rechtl. Theorie – gemischte 376 ff., 426 ff. Polizei- und Ordnungsrecht 72 ff. Prinzipien – materiell-rechtliche 71 ff. Prinzipienbildung 63 ff. – Notwendigkeit der 64 f. Prioritätsprinzip 167, 171, 394 ff. Privatautonomie 174 Prozessgericht 486, 541 – als Vollstreckungsorgan 666 Prozessuale Gestaltung 630 Prozessvergleich – Doppelnatur des 230 f. – Doppelwirkung des 234 – Wesen des 232 Quittung, – Klage auf Erteilung einer 580 Rechtliches Gehör 143, 536 Rechtsbehelfsbelehrung 533 Rechtsbehelf – Öffentlich- rechtliche -e 669 Rechtbehelfssystem 298 f., 507 ff., 668 – einheitliches 516 ff., 551 Rechtskraft 553 – und Bestandskraft 569 – zeitliche Grenze der 583 Rechtspflege s. auch Zwangsvollstreckung als – Begriff der 25 ff. Rechtspflege Rechtspfleger 268, 489, 545, 548, 550 – und Gerichtsvollzieher 494 ff. – funktionelle Zuständigkeit des 650 f. Rechtsprechung 537 Rechtsschutzbedürfnis 290 ff., 299 f. Rechtsschutzinteresse s. Rechtsschutzbedürfnis Rechtsvereinheitlichung 463 f. Rechtswegeröffnung 529 Rechtsweggarantie 404
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Rückgewährpflicht, – schuldrechtliche 610 Sachaufklärung 114 ff. – und Effektivität 124 ff. Sachpfändung 612 Schadensersatzpflicht – des Gläubigers 421 signification de commandement de payer 144 Selbsthilfe 44 f. Selbstvollstreckung 198 ff. s. auch Fiskus, Privilegien des – Rechtfertigung der 199 Schnittstelle 45 ff. Schuldnerschutz 79 ff. Schweiz 20 f., 90, 111, 118, 146, 164, 207, 212, 247 f., 367, 484, 514 Sicherheitsleistung 311 – des Schuldners 329 Sicherungsvollstreckung 306 f. Sofortige Beschwerde 283, 534 ff. – Abgrenzung zur Erinnerung 534 ff. – gemäß § 11 I RPflG 543 – Verkürzung des Rechtswegs 540 Spanien 246, 478 ff. Störungsbeseitigungsanspruch 577 Streitgegenstand 538 Subjektives öffentliches Recht 319 f. Teilhabeanspruch 175 Titel – Klage auf Rückgabe des -s 582 Titelerfordernis 211, 631 Typenzwang 151 ff. Übergabeerfordernis 354 ff. Überweisungsbeschluss 435 ff. – als Ersetzungsbefugnis 437 Unterlassungsanspruch 589, 592 Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsklage 598 Untersuchungsgrundsatz 113, 116, 122 Unterwerfungserklärung 240 f. Urkundsbeamter der Geschäftsstelle 250 Urkunde – öffentliche 330 – vollstreckbare 238
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Sachregister
Urteil – als Titel 213 – Aufhebung des -s 320 ff. Verfahrensrecht – Abgrenzung zum materiellen Recht 98 ff. Verfügungsbefugnis 603 Verlustgemeinschaft 167, 173 Verhältnismäßigkeitsprinzip 83 ff., 642 Verhandlungsmaxime 113, 116 Verkauf, – freihändiger 407 Verkehrsschutz – gesteigerter 382 – in der Versteigerung 369 ff. Vermutungstatbestände 54 ff., 216 Verpfändungsanzeige 444 Verpfändungserklärung 353, 357 Verpflichtungsklage 224, 571 Verstaatlichungstendenz 120 ff. s. auch Bürokratisierung Versteigerung 662 – des Grundstücks 458 ff. Versteigerungsorgan 365 f. Versteigerungsvorgang 380 Verstrickung 377 ff. – Öffentlich-rechtliche 441 Verwaltungsakt – Befugnis zum Erlass 223 ff. – feststellender 306 Verwaltungsrecht 142 ff. Verwaltungsvollstreckung 190 ff., 316, 487 Verwertungsverfahren 362, 641 Verwertungsvorgang 364 ff. Vollstreckung, – Privatisierung der 8 – künftiger Ansprüche 310 Vollstreckungsabwehrklage 552 ff., 649 – als allgemeine Feststellungsklage 555, 585 – Feststellungsinteresse 561 – und Interventionsklage 621 – prozessuale Gestaltungswirkung 556 ff., 568
– Rechtsschutzinteresse 560 – Streitgegenstand der 559 – als Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsklage 576, 579 – Unzulässigerklärung 566 – Urteilstenor 565 – in der Verwaltungsvollstreckung 192 ff. Vollstreckungsanspruch 9 f. Vollstreckungsbescheid 237 f. Vollstreckungserinnerung 323, 523 ff., 545, 646 – Abgrenzung zwischen Maßnahme und Entscheidung 546 – Entscheidungstenor 527 – Erinnerungsbefugnis 524 – Gegenstand der 524 – als kontradiktorisches Verfahren 530 – Begriff der Maßnahme 545 – Rechtsschutzinteresse 525 f. Vollstreckungsgericht 489, 667 Vollstreckungshindernisse 313 f., 659 f. Vollstreckungsklausel 244 – als Nachweis der Vollstreckungsreife 248 ff. Vollstreckungsmaßnahme, 88 f. – Nichtigkeit der 373, 410 ff. – Reihenfolge der -n s. Gradus executionis – Aufhebung von -n 314 ff. – als Verwaltungsakt 519 Vollstreckungsorgane 486 ff. – Wettlauf der 500 – zentrales 501 Vollstreckungspraxis 140 ff. Vollstreckungsschutz 639 Vollstreckungstitel, 657 – Art des 337 f. Vollstreckungsverhältnis 316 f. Vorbeugender Rechtsschutz 574 Vorläufige Vollstreckbarkeit 214 ff., 258 f. – und sofortige Vollziehbarkeit 227 Vorrangiges Recht – des Gläubigers 609
Sachregister
Wahlrecht 634 Widerklage 615 Widerspruchsverfahren 532 Zentralisierung 502 Zustellung 302 ff. – im Parteibetrieb 304 – des Titels 6590 Zwang, – mittelbarer 473 f. Zwangsgeld 479 Zwangshaft 479 Zwangshypothek, 457 – Doppelnatur der 451 Zwangsversteigerung 456 ff. Zwangsversteigerungsgesetz 455 Zwangsverwaltung 461 Zwangsvollstreckung, – auf Abgabe einer Willenserklärung 464 – Arten der 335 – Begriff der 12 ff. – besondere Voraussetzungen der 309 ff. – Effektivität der 103 ff., 503 – und Erkenntnisverfahren 37 ff.
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– in Forderungen s. Forderungsvollstreckung – Formalisierung der 45 ff., 51 ff. – Fortsetzung gegen Sicherheitsleistung 328 – als kontradiktorisches Verfahren 39 ff. – als Öffentliches Recht 22 f. – auf Herausgabe einer Sache s. Herausgabevollstreckung – wegen öff.-rechtl. Ansprüche s. Verwaltungsvollstreckung – Objekt der 336 – Organisation der 481 ff., 665 f. – Prinzipien der 654 ff. – Rechtliche Einordnung der 653 f. – Rechtsnatur der 19 ff. – als Rechtspflege 27 ff. – Unzulässigerklärung der 320 ff. – vertretbarer Handlungen 466 ff. – und Verwaltungsvollstreckung 41 ff. – als Verwaltungsverfahren 23 ff. – Voraussetzungen der 657 ff. – wegen anderer als Geldforderungen 464 ff., 664 f. – wegen persönlicher Ansprüche 470 f.