Die Offenbarung des Johannes 3161356829, 9783161356827

Heinrich Kraft, Die Offenbarung des Johannes, Erstausgabe 1974, ISBN 3161356829, Reihe: Handbuch zum Neuen Testament Bd.

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German Pages 297 [300]

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Table of contents :
Titel
GLIEDERUNG DES BUCHES
Kap. 1: Einleitung und Berufung
1,1–3: Vorwort
1,4–8: Die Einleitung
1,9–20: Berufungsvision
Kap. 2–3: Die Sendschreiben
2,1–7: Ephesus
2,8–11: Smyrna
2,12–17: Pergamon
2,18–29: Thyatira
3,1–6: Sardes
3,7–13: Philadelphia
3,14–21: Laodicea
Kap. 4–19,10: Hauptteil
Kap. 4 u. 5: Der himmlische Gottesdienst und das Lamm
4,1–6a: Gottes Thron
4,6b–8: Die vier Wesen
4,8–11: Der himmlische Gottesdienst
5,1–7: Das versiegelte Buch und das Lamm
5,8–14: Die Erhöhung des Lammes
Kap. 6: Die Siegel
6,1–8: Die Reiter
6,9–11: Das fünfte Siegel
6,12–17: Das sechste Siegel
Kap. 7: Die Geretteten:
7,1–8: Die Versiegelung der Knechte Gottes
7,9–12: Ausblick in die Vollendung
Kap. 8 u. 9: Die Posaunen
8,1–5: Das siebte Siegel und die Gebete der Heiligen
8,6–13: Die ersten vier Posaunen
9,1–12: Die fünfte Posaune: Rauch aus der Unterwelt
9,13–21: Die sechste Posaune: Das Feuerheer
Kap. 10 u. 11: Das Ende der Prophetie
10,1–7: Theophanie durch den Engel des Herrn
10,8–11,2: Die Berufung des Propheten
11,3–14: Die beiden Zeugen
11,15–19: Die siebte Posaune
Kap. 12–13: Der Fürst dieser Welt
12,1–4: Das himmlische Zeichen
12,5–6: Die Geburt des Kindes
12,7–9: Der Drachensturz
12,10–12: Das himmlische Loblied
12,13–18: Die Flucht des Weibes
13,1–10: Das Tier aus dem Meer
13,11–18: Das Tier vom Lande
Kap. 14: Das Lamm und die Geretteten. Gerichtsankündigung. Die Ernte
14,1–5: Das Lamm und die Geretteten
14,6–13: Ankündigung des Gerichts
14,14–20: Die Ernte
Kap. 15–16: Die sieben Schalen
15,1–4: Das Lied Moses
15,5–8: Die Schalenengel
16,1–7: Die drei ersten Schalen
16,8–16: Vierte, fünfte und sechste Schale
16,17–21: Die siebte Schale
Kap. 17: Das Weib auf dem Tier
17,1–6: Die Vision
17,7–8: Einleitung der Deutung
17,9–18: Die Deutung
Kap. 18: Die Klage über Babels Fall
18,1–3: Der erste Engel: Babels Fall
18,4–8: Der zweite Engel: Aufforderung zum Auszug und zur Vergeltung
18,9–10: Die Klage der Könige
18,11–17a: Die Klage der Kaufleute
18,17b–19: Die Klage der Seeleute
18,21–24: Der dritte Engel: Zeichen und Spruch
Kap. 19: Himmlischer Dankgottesdienst. Der Messias. Die Schlacht
19,1–10: Himmlischer Dankgottesdienst. Erster Buchschluß
Kap. 19,11–22,21: Ergänzungen
19,11–16: Der Messias
19,17–21: Die Schlacht
Kap. 20: Das Tausendjährige Reich. Gog und Magog. Das Totengericht
20,1–6: Das tausendjährige Reich
20,7–10: Gog und Magog
20,11–15: Das Totengericht
21,1–5a: Die neue Welt
21,5b–8: Der zweite Buchschluß
Kap. 21,9–22,5: Die Gottesstadt
21,9–14: Das himmlische Jerusalem
21,15–21: Größe und Gestalt
21,22–27: Licht und Klarheit
22,1–5: Gegenwart Gottes
Kap. 22,6–21: Der Buchschluß
ALLGEMEINES
Die Kanonizität der Apokalypse in der alten Kirche
Der Verfasser
Die literarische Gestaltung der Apokalypse
Zur Sprache der Apokalypse
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Die Offenbarung des Johannes
 3161356829, 9783161356827

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H A N D B U C H ZUM N E U E N T E S T A M E N T B E G R Ü N D E T VON H A N S L I E T Z M A N N I N V E R B I N D U N G MIT F A C H G E N O S S E N H E R A U S G E G E B E N VON G U N T H E R B O R N K A M M

16a

DIE OFFENBARUNG DES JOHANNES VON

H E I N R I C H KRAFT

19 7 4

J. C. B. M O H R ( P A U L S I E B E C K )

TÜBINGEN

© Heinrich Kraft J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1974 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem W ege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Printed in Germany Satz und Druck: GulJe-Druck, Tübingen Einband: Heinrich Koch, Großbuchbinderei, Tübingen

ISBN 3 16 135682 9 eISBN 978-3-16-160493-5 unveränderte eBook-Ausgabe 2022

MARTIN DIBELIUS zum Gedàchtnis

GLIEDERUNG DES BUCHES Kap. 1: Einleitung und Berufung 1,1—3: Vorwort 1,4—8: Die Einleitung I,9—20: Berufungsvision Kap. 2—3: Die Sendschreiben 2,1—7: Ephesus 2,8—11: Smyrna 2,12—17: Pergamon 2,18—29: Thyatira 3,1—6: Sardes 3.7—13: Philadelphia 3,14—21: Laodicea

Kap. 4—19,10:

17 18 27 38 49 54 59 63 67 74 78 83

Hauptteil

Kap. 4 u. 5: Der himmlisdie Gottesdienst und das Lamm 4,1—6a: Gottes Thron 4,6b—8: Die vier Wesen 4.8—11: Der himmlische Gottesdienst 5,1—7: Das versiegelte Buch und das Lamm 5.8—14: Die Erhöhung des Lammes Kap. 6: Die Siegel 6,1—8: Die Reiter 6.9—11: Das fünfte Siegel 6.12—17: Das sechste Siegel Kap. 7: Die Geretteten: 7,1—8: Die Versiegelung der Knechte Gottes 7,9—12: Ausblick in die Vollendung Kap. 8 u. 9: Die Posaunen 8,1—5: Das siebte Siegel und die Gebete der Heiligen 8,6—13: Die ersten vier Posaunen 9,1—12: Die fünfte Posaune: Rauch aus der Unterwelt 9.13—21: Die sechste Posaune: Das Feuerheer Kap. 10 u. 11: Das Ende der Prophetie 10,1—7: Theophanie durch den Engel des Herrn 10,8—11,2: Die Berufung des Propheten II,3—14: Die böiden Zeugen 11,15—19: Die siebte Posaune Kap. 12—13: Der Fürst dieser Welt 12,1—4: Das himmlisdie Zeichen 12,5—6: Die Geburt des Kindes 12,7—9: Der Drachensturz

94 94 98 100 103 111 114 114 118 120 123 127 132 132 135 138 142 145 146 150 155 160 162 163 166 167

Gliederung des Buches

Kap.

Kap.

Kap.

Kap.

Kap.

12.10—12: Das himmlische Loblied 12.13—18: Die Flucht des Weibes 13,1—10: Das Tier aus dem Meer 13.11—18: Das Tier vom Lande 14: Das Lamm und die Geretteten. Gerichtsankündigung. Die Ernte . . . 14,1—5: Das Lamm und die Geretteten 14.6—13: Ankündigung des Gerichts 14.14—20: Die Ernte 15—16: Die sieben Schalen 15,1—4: Das Lied Moses 15,5—8: Die Schalenengel 16,1—7: Die drei ersten Schalen 16.8—16: Vierte, fünfte und sechste Schale 16,17—21: Die siebte Schale 17: Das Weib auf dem Tier 17,1—6: Die Vision 17.7—8: Einleitung der Deutung 17.9—18: Die Deutung 18: Die Klage über Babels Fall 18,1—3: Der erste Engel: Babels Fall 18,4—8: Der zweite Engel: Aufforderung zum Auszug und zur Vergeltung . 18,9—10: Die Klage der Könige 18,11—17a: Die Klage der Kaufleute 18,17b—19: Die Klage der Seeleute 18,21—24: Der dritte Engel: Zeichen und Spruch 19: Himmlischer Dankgottesdienst. Der Messias. Die Schlad« 19,1—10: Himmlischer Dankgottesdienst. Erster Buchschluß

Kap. 19,11—22,21:

6

168 169 173 178 185 185 191 195 200 200 202 204 206 210 212 212 216 219 225 226 228 231 232 236 237 240 240

Ergänzungen

19,11—16: Der Messias 19,17—21: Die Schlacht Kap. 20: Das Tausendjährige Reich. Gog und Magog. Das Totengericht . . . . 20,1—6: Das tausendjährige Reidi 20,7—10: Gog und Magog 20,11—15: Das Totengericht 21,1—5a: Die neue Welt 21,5b—8: Der zweite Buchschluß Kap. 21,9—22,5: Die Gottesstadt 21,9—14: Das himmlische Jerusalem 21,15—21: Größe und Gestalt 21,22—27: Licht und Klarheit 22,1—5: Gegenwart Gottes Kap. 22,6—21: Der Buchsdiluß

245 251 253 254 258 259 262 264 266 269 272 274 276

ALLGEMEINES Die Kanonizität

der Apokalypse in der alten Kirche

Die Apokalypse ist in der kirchlichen Überlieferung etwa seit der Mitte des 2. Jahrhunderts nachweisbar. Der älteste Zeuge für ihre Geltung ist Papias von Hierapolis; ausdrücklich als Werk des Zebedaiden Johannes wird sie von dem Märtyrer Justin erwähnt. Noch vor dem Ende des 2. Jahrhunderts wird sie vpn Melito von Sardes benutzt, und die sog. altkatholischen Väter Irenaeus, Tertullian und Hippolyt redinen sie zu den apostolischen Schriften und lassen sie eine bedeutende Rolle in ihrer Gedankenwelt spielen. Die Meinung des Clemens über sie ist uns nicht überliefert. Die apostolischen Väter kennen sie noch nicht. Die Berührungen der Sendschreiben mit den Briefen des Ignatius von Antiochien sind, wie wir im Kommentar zeigen, in den Entstehungsverhältnissen von Sendschreiben und Ignatiusbriefen begründet. Bemerkenswert ist unter den fehlenden Zeugnissen, daß der Hirt des Hermas sie noch nicht kennt. Nun wird man freilich an der üblichen Datierung des Hermasbuches um 150 nicht festhalten können, sondern Gründe innerer und äußerer Kritik sprechen dafür, die Schrift etwa ein Menschenalter früher anzusetzen (als aus dem Canon Muratori hervorzugehen scheint). Wir kommen so zu dem Schluß, daß die Apokalypse zwischen 120 und 150 über nahezu die ganze Kirche verbreitet gewesen sei. Weiterhin läßt sich folgern, daß sie diese Verbreitung und die daraus folgende Geltung dem Umstand verdankt, daß sie als ein Werk des Apostels Johannes angesehen wurde. Gegen diese Begründung ihrer Autorität in der Apostolizität ihres Verfassers richtet sich auch die erste Kritik, von der wir vernehmen. Diese Kritik muß ursprünglich in Kleinasien während des Streites um die Prophetie, d. h. beim Ausbruch der montanistischen Kämpfe entstanden sein. Auch hier ist es nötig, die übliche Datierung des Montanismus aufzugeben und etwa ein Menschenalter weiter zurückzugehen. Die Entstehung des Montanismus ist vielmehr während des Bar-Kochba-Krieges und im Zusammenhang mit ihm anzunehmen. Schon damals, scheint es, wollten die Gegner der neuen Prophetie nicht an die apostolische Abfassung eines Buches glauben, das die Autorität der Propheten in der Kirche begründete. Mit den montanistischen Streitigkeiten kam die Auseinandersetzung um die Apokalypse auch nach Rom. Bald nach der Abfassung des Hermas, d. h. um die Mitte des 2. Jahrhunderts, berichtet das muratorische Fragment (ZI 71 ff.) von einer kirchlidien Gruppe, die die Apokalypsen des Johannes und Petrus indiziert zu sehen wünschte. Im Unterschied vom „Hirten", dem nur die liturgische Brauchbarkeit bestritten wurde, sollten die Apokalypsen gänzlich aus der Kirche verbannt sein. Aus der Zusammenstellung der Johannes- mit der Petrusapokalypse geht hervor, daß diese Gegner der Apokalypsen den Büdiern die apostolische Abfassung nicht glaubten und in ihnen häretische Schriften zu sehen meinten. Aus Irenaeus (3,11,12) erfahren wir, daß es den Gegnern der Apokalypse um die Geltung der Prophetie ging, und daß sie in diesem Zusammenhang audi das Johannesevangelium verwarfen, weil es mit der Lehre vom Parakleten die Prophetie in der Kirche stützte. Epiphanius hat in seinem Ketzerbuch mehr über die Kritik dieser Gruppe mitgeteilt und ihr — wegen ihrer Ablehnung des Logosbegriffs — den Namen „Aloger" gegeben. Nach den Alogern nahm der römische Presbyter Caius, immer noch in der Abwehr des Montanismus, den Widerspruch gegen die Apokalypse auf. Den Alogern folgend erklärte er sie für ein Werk des

Die Apokalypse im Kanon

8

Gnostikers Kerinth; das ist zwar schlechterdings unmöglich, erklärt sich aber dadurch, daß die kirchliche Überlieferung Kerinth als Gegner des Johannes kannte. Die montanistischen Streitigkeiten schliefen ein; nicht so der Streit um die Apokalypse. In Alexandrien scheint die Geltung der Apokalypse bisher nicht bestritten gewesen zu sein, und Origenes hatte gegen ihre apostolische Abfassung keine Bedenken. Das mag überraschen, da sein Geschichtsbild sich mit dem der Apokalypse gar nicht in Einklang bringen ließ, aber man darf sich ohnehin nicht vorstellen, daß Origenes zur Kritik gegenüber der kirchlichen Überlieferung geneigt gewesen wäre. Dodi bei seinen Schülern wirkten sich, wenigstens zunächst, die Spannungen zwischen dem origenistischen Geschichtsbild und dem Chiliasmus aus. Dionysius („der Große") geriet in Streit mit einer chiliastisch denkenden Gruppe Frommer aus seinem Sprengel (unter Nepos von Arsinoe) und nahm in diesem Zusammenhang die Kritik wieder auf, die sdion die kleinasiatischen und römischen Antimontanisten geäußert hatten, stellte sie aber auf eine neue und selbständige Grundlage. Ihm mußte ja daran gelegen sein, sich auf das Johannesevangelium zu stützen, während er gleichzeitig die Apokalypse verwarf. Daher zeigte er durch scharfsinnige sprachliche und stilistische Kritik, daß Evangelium und Apokalypse nicht denselben Verfasser haben können. Dazu führt er nun als Argument die Tatsache ein, daß man in Ephesus zwei Johannesgräber kannte. Denn zwei Gräber beweisen, daß es zwei verschiedene Männer mit Namen Johannes gegeben hat, und beweisen damit auch, daß der Verfasser des Evangeliums und der Apokalypse, obwohl beide den Namen Johannes tragen, voneinander zu unterscheiden sind. Durch die Ausführungen des Dionysius ist für einen Teil der Origenisten — hier spielen freilich auch persönliche Entscheidungen eine Rolle — die Einstellung gegenüber der Apokalypse festgelegt. Es ist nun Euseb von Cäsarea, der die Argumentation des Dionysius aufnimmt und ausbaut. Er macht (h. e. 3,39,5) darauf aufmerksam, daß Papias zweimal den Johannes erwähnt und den Apostel Johannes von dem Presbyter gleichen Namens unterschieden habe. So kommt er dazu, die Abfassung der Apokalypse dem Presbyter zuzuweisen. Nach Euseb haben auch andere Origenisten, Cyrill von Jerusalem, Gregor von Nazianz und Amphilochius von Ikonium, die Apokalypse verworfen. Neben dieser dogmatisch bedingten Ablehnung bei einigen Origenisten scheint die Ablehnung durch die syrische Kirche — und zwar durch den Westen wie den Osten — in ihrer eigentümlichen Tradition begründet zu sein. Hier lassen sich freilich die Quellen nicht vor das vierte Jahrhundert zurückverfolgen, aber die Apokalypse befand sich jedenfalls nicht im syrischen Kanon; sie wird in der Doctrina Addai nicht erwähnt und fehlt bei Ephraem, Chrysostomus, Theodor und Theodoret. — Nach und nach schlief der Widerspruch gegen die Apokalypse ein. Entscheidend war wohl, daß Athanasius sie im Osterfestbrief von 367 den kanonischen Schriften zugerechnet hatte. Doch finden sich noch relativ lang Verteidigungen ihrer Geltung bei den Kirchenvätern, die sie für kanonisch halten. — Anders als im Orient ist die Geltung der Apokalypse im Abendland seit dem 3. Jh., d. h. etwa seit Hippolyt, nicht mehr bestritten. Hippolyt hatte bereits einen Kommentar zu ihr geschrieben, der aber verloren ist. Victorin von Pettau schrieb (vor 304) ebenfalls einen Kommentar; es ist der älteste erhaltene lateinische Kommentar zur Apokalypse, und wohl der älteste lateinische Kommentar überhaupt. Von der Bedeutung der Apokalypse für die lateinische Patristik im ganzen ist hier nicht weiter zu reden; erwähnt sei nur noch eine Nachricht des Hieronymus, die uns die unbestrittene Geltung der Apokalypse im Westen bei gleichzeitiger Anfechtung im Osten bezeugt. — Bei Eintritt in das

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Nachapostolische Abfassung der Apokalypse

Mittelalter ist dann alle Kritik an der Apokalypse verstummt, um erst in der R e f o r m a tionszeit wieder aufzuleben. Der

Verfasser

1,4.9; 22,8 nennt der Verfasser seinen Namen „ J o h a n n e s " , und im Prooemium 1,1 wird er als „Johannes, der Gottesknecht" bezeichnet. Für die altkirchliche Überlieferung folgte daraus, daß dieser Johannes kein anderer als der Apostel Johannes, der Sohn des Zebedäus sein müsse. Auch heutzutage wird noch häufig, und zumeist aus einer unklaren Frömmigkeit heraus, die Abfassung der Apokalypse durch den Apostel Johannes behauptet. Aber diese Meinung läßt sich nicht aufrechterhalten. Für den Verfasser sind die Apostel 18,20 und 2 1 , 1 4 eine abgeschlossene Gruppe der Vergangenheit, und besonders 2 1 , 1 4 ist es ganz ausgeschlossen, daß er daran gedacht haben könnte, sich diesem Kreis zuzurechnen. Auch läßt die Apokalypse an keiner Stelle erkennen, daß sie von einem Apostel verfaßt sei und apostolische Autorität beanspruche. Vielmehr beansprucht der Verfasser, Prophet zu sein, und er leitet seine Autorität ausschließlich von diesem A m t her. E r fordert Glauben für das, was er gehört und gesehen h a t ; nirgends fällt er in eigener Person Entscheidung oder verlangt Gehorsam für das, was er selber entschieden hat. Wenn man also das Selbstzeugnis des Buches befragt, so antwortet es klar, daß es nicht von dem Apostel Johannes, sondern von einem Propheten dieses Namens geschrieben sein will. — Aber auch die prophetische Autorität des Verfassers wird nicht so unumwunden beansprucht, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das Prophetenamt des Verfassers tritt im Hauptteil stark zurück. Es sind die Sendschreiben, wenige eingestreute Prophetensprüche und der Buchschluß, wo diese prophetische Autorität geltend gemacht wird. I m Hauptteil geht der Verfasser nicht so auf die aktuelle Wirklichkeit der Gemeinden ein, wie wir das von einem in Vollmacht redenden urchristlichen Propheten erwarten, und wie uns das selbst ein in seinem prophetischen Selbstbewußtsein angeknickter Verfasser wie Hermas zeigt. Ohne die Sendschreiben und die genannten Sprüche müßten wir auch das Prophetenamt des Verfassers für literarische Fiktion halten. Aus dieser Beobachtung folgt, daß der Verfasser kein M a n n der ersten apostolischen Generation ist. W i r müssen ihn vielmehr der dritten Generation zurechnen, der Generation jener Schriftsteller also, die Evangelien verfaßten und sich dabei auf Matthäus, Markus, Lukas und Johannes als ihre Gewährsmänner beriefen. Ähnlich wie die V e r f a s ser der Evangelien redet unser Verfasser nicht unmittelbar, sondern ist bei aller literarischen Selbständigkeit doch bestrebt, dem Untergang der alten und echten Überlieferung im Wildwuchs dadurch Rechnung zu tragen, daß er die Überlieferung fixiert. Das bedeutet aber, daß wir ihn auch nicht oder nur vorsichtig mit dem „Presbyter J o h a n n e s " gleichsetzen können, jener Gestalt aus dem kirchlichen Altertum, von der Papias zum ersten M a l berichtet hat, und der wir unbedenklich die Abfassung der johanneischen Briefe zutrauen können. Die Presbyter sind die Nachfolger der Apostel, Angehörige der zweiten Generation, und gerade der Verfasser der johanneischen Briefe unterscheidet sich in seinem Autoritätsanspruch so eindeutig von unserm Verfasser, daß man den Ubergang vom Charisma zur Literatur gerade an diesem Beispiel darlegen könnte. W i r brauchen uns nicht lange bei der Frage aufzuhalten, ob der Verfasser der Apokalypse mit dem des Evangeliums identisch sein könnte. Das ist schlechterdings unmöglich. D a s Johannesevangelium beansprucht nicht, von einem „ J o h a n n e s " verfaßt zu sein. Als es

Verfasser ist nicht der Zebedaide

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„Evangelium nach Johannes" genannt und überschrieben wurde, da war noch niemand auf den Gedanken gekommen, der Zebedaide könnte der Verfasser des Evangeliums sein. Deshalb fehlt auch jeder Hinweis darauf, daß der Zebedaide als Verfasser oder Überlieferer des Evangeliums in Anspruch genommen würde. Allenfalls kann man soweit gehen, daß derjenige, der das Evangelium als Überlieferung durch Johannes ableitete, das heißt der, der ihm seine Überschrift gab, dabei an denselben Johannes als Gewährsmann der Überlieferung dachte, von dem auch die Apokalypse verfaßt sein will. Denn es gibt in der Tat gewisse Verwandtschaften zwischen dem Evangelium und der Apokalypse, die eine Herkunft aus demselben Kreis möglich erscheinen lassen, ja sogar wahrscheinlich machen. Aber das bleibt weit von einer Identität der Verfasser. Schon in Wortwahl und Stil erscheinen auf den ersten Blick Unterschiede, die solche Identifizierung ausschließen. Aber selbst wenn wir einmal davon absähen, sind die Unterschiede in Theologie und Geschichtsbild beider Schriften so unvereinbar, daß als Äußerstes eine Ähnlichkeit der Interessen festgestellt werden kann. Man kann sagen, daß beide Schriftsteller sidi dieselbe Aufgabe gestellt haben, nämlich sie versuchen, die aktuelle Bedeutung Christi für die Gemeinde anzugeben. Aber die Apokalypse richtet dazu ihren Blick von der Gegenwart in eine freilich als nah verkündigte Zukunft. Das Evangelium hingegen bleibt ganz bei der gegenwärtigen Bedeutung Christi. Es ist durchaus möglich, daß beide Verfasser bei derselben Persönlichkeit Nachrichten über die apostolische Vergangenheit empfangen haben. Sie können Schulgenossen gewesen sein, können Hörer bei demselben Lehrer gewesen sein, und der kann, auch das ist möglich, der kleinasiatische Presbyter gewesen sein und den Namen Johannes geführt haben. Aber eins ist unmöglich: sie können nicht identisch gewesen sein. Wir können unsere Frage auf das Problem beschränken, ob die Apokalypse ein Werk des Zebedaiden Johannes sein kann. Auch dann kommen wir zu der Antwort, daß diese Möglichkeit für uns außerhalb der Vorstellbarkeit liegt. Die Apokalypse ist in einem zentralen Teil, den Kapiteln 13 und 17 — wie wir im Kommentar zeigen — zwischen Juli 97 und Frühjahr 98 abgefaßt. Hätte der Apostel Johannes diese Zeit erlebt, dann wäre er damals schon uralt gewesen. Wie alt, wissen wir nicht, aber gewiß ist, daß er das achtzigste Jahr längst überschritten gehabt hätte. Es ist ganz undenkbar, daß er auf seine alten Tage jene literarische Gewandheit erlangt oder sich erhalten hätte, die der Verfasser der Apokalypse zeigt. Auch die altkirchliche Überlieferung über das Lebensende des Apostels Johannes macht es unwahrscheinlich, daß er die Apokalypse verfaßt hat, obwohl sie eben das auch berichtet. Die altkirchlichen Nachrichten sind handlich gesammelt durch W. Bauer in Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen 2,24 ff. Sie berichten nicht nur Legenden von vergeblichen Versuchen des Kaisers Domitian, Johannes durch Eintauchen in siedendes ö l und durch den Giftbecher zu töten, sondern enthalten audi zuverlässigere Nachrichten, die von einem frühen Ende der Söhne des Zebedäus als Märtyrer wissen. Ganz klar und eindeutig ist dafür Mc 10,39 („Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet auch ihr getauft werden"). Daraus geht hervor, daß das Martyrium der Zebedaiden zur Zeit der Abfassung des Markusevangeliums bereits geschehen war. Auf welcher redaktionsgeschichtlichen Stufe des Evangeliums man die Einfügung des Herrenworts auch einsetzt, man kommt in jedem Fall auf ein früheres Datum als die Abfassung der Apokalypse. Zu diesem Zeugnis des Markusevangeliums treten eine Reihe von anderen, teilweise auf Papias zurückgehenden Nachrichten, die ebenfalls mitteilen, daß die Söhne Zebedaei von

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Entstehung in nadiapostolischer Zeit

den Juden umgebracht wurden. S. dazu ausführlich Bousset in seinem Kommentar S. 35 ff. Dazu kommt das indirekte Zeugnis des Gnostikers Herakleon (bei Clemens AI., Strom 4,9,71), der die Apostel aufzählt, die nicht Märtyrer geworden sind, und der durch sein Schweigen über die Zebedaiden klar sagt, daß er sie zu den Aposteln rechnet, die das Martyrium erlitten haben. Man könnte schließlich auch erwägen, ob der Bericht vom Märtyrertod der beiden Zeugen Apc 11,7 nicht den Tod des Johannes und Jakobus als Modell vor Augen gehabt habe. Diese Nachrichten vom frühen Märtyrertod des Johannes sind durchweg zuverlässiger als die Legenden, die etwas von seinem hohen Alter und seinem Tod erst unter Trajan wissen wollen. — Wir können also zusammenfassen, daß die Apokalypse von einem Mann geschrieben sein will, der durch seinen Namen Johannes hinreichend ausgewiesen war, daß man ihn im westlichen Kleinasien als vertrauenswürdigen Propheten kannte. Weiter ist zu vermuten, daß das Buch nicht von ihm selber, sondern in seinem Namen geschrieben sei. In jedem Fall handelt es sich um keine Schrift der apostolischen Generation, sondern sie steht mit ihrem Bemühen, Überliefertes möglichst vollständig festzuhalten, zwischen dem literarischen Anliegen der Apostel, die in den letzten Zeiten der Welt aktuelle Weisung erteilen wollen, und den Zeiten der apostolischen Väter, die ebenfalls aktuelle Weisung erteilen, aber in einer Zeit, in der die Kirche sich in der Welt einrichtet und die Naherwartung blasser wird. Als Versuch, Überliefertes zusammenzuhalten und zu sichern, steht sie in literarischer Nachbarschaft zu den Evangelien. Wenn einer derartigen Zusammenstellung der apokalyptischen Erwartung am Ende des 1. Jhs. aktuelle Bedeutung zukam, nachdem die erste große Verfolgung über das Römerreich gegangen war, so sollte man zugleich auch im Auge behalten, daß die literarische Produktion gewöhnlich hinter den Ereignissen herläuft, auf die sie sich bezieht, und daß die Verfolgung zur Abfassungszeit der Apokalypse gerade abgeflaut war. Wir können zwar feststellen, daß Verfolgungszeiten regelmäßig ein Aufblühen der apokalyptischen Literatur zur Folge gehabt haben, stellen aber zugleich auch fest, daß die eigentliche Blüte dieser durch Verfolgung bedingten apokalyptischen Literatur in den Zeiten der Entspannung nach der Verfolgung ihren Höhepunkt erreicht. Denn die literarische Gestaltung braucht ihre Zeit und braucht auch eine gewisse Ruhe, um sich ganz zu entfalten. Die literarische Gestaltung der

Apokalypse

Fragt man nach der Einheitlichkeit des Verfassers, so ist die Antwort für den Hauptteil verhältnismäßig einfach. Er scheint das Werk eines einzigen Verfassers zu sein. Die Sendschreiben weichen allerdings stark stilistisch und in der Gesamtkonzeption vom Rest des Buches ab, so daß hier der Gedanke an nachträgliche Einfügung durch eine andere Hand nicht ganz abgewiesen werden kann. In der Einleitung und vor allem am Buchschluß sieht man, daß nachträgliche Umstellungen, Umdeutungen und Zusätze vorgenommen wurden, und vor allem hat das Buch drei verschiedene Schlüsse, die mindestens auf sukzessives Wachstum hinweisen. Auch bei der Dublette 19,10 und 22,8 f. wird man nicht leicht annehmen, daß der ursprüngliche Verfasser sich selber wörtlich wiederholt habe. Aber im Wesentlichen erweckt das Buch doch den Eindruck der Einheitlichkeit; es ist nach Sprache und Stil sich selber ähnlich und von allen anderen Werken der gleichen Gattung völlig verschieden. Weder im Neuen Testament noch außerhalb gibt es ein Buch, das durch seine Sprache den Verdacht erweckt, vom Verfasser der Apokalypse geschrie-

Ursprünglicher Entwurf

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ben zu sein, und besonders für die johanneischen Schriften im Neuen Testament bleibt dieser Gedanke weit außerhalb des Vorstellbaren. Für die Einheitlichkeit des Verfassers spricht nun — wenn wir, wie gesagt, von der Einfügung der Sendschreiben absehen — auch die Einheitlichkeit der literarischen Absicht. Das Buch geht davon aus, daß die Endzeit gerade anbricht oder angebrochen ist; es will seinen Lesern den Ablauf der Endereignisse zusammenhängend schildern. Dabei entsteht der Eindruck, daß der Verfasser einen ursprünglichen Entwurf nach und nach erweitert habe. Diese nachträglichen Erweiterungen stören die Einheitlichkeit der Konzeption und machen das Werk unübersichtlich. Die Unübersichtlichkeit hat jedoch auch noch zwei andere Gründe. Der Verfasser gewinnt seine Erwartungen — wieder von den Sendsdireiben abgesehen — in ganz überwiegendem Maße aus den Weissagungen der alttestamentlichen Prophetie, die er aktualisiert und auf seine eigenen Vorstellungen von der Endgeschichte anwendet. Nur selten greift er auf außerprophetische und nur ganz gelegentlich auf außerkanonische Traditionen zurück. Aber dieses Reservoir ist doch so umfangreich und so ungleichmäßig in seinen Stoffen, daß Widersprüche zwischen den herangezogenen Traditionen und ihrem Verständnis möglich sind. Dazu kommt, daß auch die apokalyptischen Erwartungen, die so zur Darstellung kommen, untereinander unausgeglidien sind. Die Kluft zwischen universalistischen und partikularistischen Heilserwartungen läßt sich auch in der christlichen Apokalyptik nicht schließen. Fragen wir nach der Herkunft der Enderwartungen, dann zeigt sich, daß die Eschatologie der Palästinenser und die der jüdischen Diaspora deutlich sich voneinander unterscheiden, und diese Unterschiede sind, ebenfalls ohne Ausgleich, in die christliche Apokalyptik eingegangen. Man ist dadurch häufig versucht, Probleme durch Quellenscheidung zu lösen, bei denen nicht mehr nötig ist, als Traditionen zu scheiden, wenn verschiedenartige Überlieferungen unausgeglichen in unser Buch hineingenommen sind. Als ursprünglicher Entwurf für die Apokalypse läßt sich nun die Siegelvision erkennen. Die erste Absicht des Verfassers bestand darin, die Endereignisse als Folge der Öffnung der sieben Siegel darzustellen. Das siebte Siegel war dazu bestimmt, die Epiphanie Gottes mit der Auferweckung der Toten zu bringen. Diesen einfachen und klaren Entwurf hat der Verfasser zunächst dadurch erweitert, daß er die Siegelvision verdreifachte: das siebte Siegel bringt nicht mehr den Höhepunkt, sondern aus ihm erwachsen die Visionen der sieben Posaunen; ebenso entstehen aus der siebten Posaune die Visionen der sieben Schalen. Die Siegel sollten ursprünglich die Wehen der Endzeit beschreiben. Die Reiter brachten die Zerstörung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung; das fünfte und sechste Siegel enthielten die kosmischen Erschütterungen, unter denen der Zusammenbruch der alten und der Anbruch der neuen Welt vor sich ging. Im Verlauf der Ausweitungen — der Wechsel wird bei der fünften Posaune deutlich sichtbar — werden dann aus den Wehen der Endzeit göttliche Strafen, die daneben auch einen Charakter als Bußwarnungen erhalten. Sicher sind auch die ursprünglichen Erschütterungen der politischen und natürlichen Ordnung Zeichen der Zeit, die die Menschen mahnen, sidi auf die Nähe des Endes einzustellen. Aber aus diesen mahnenden Zeichen werden bei der Erweiterung mahnende Strafen, die die Menschen zur Umkehr auffordern oder ihre VerStockung offenbaren sollen. Diese Entwicklung wird bei den Schalen konsequent zu Ende gedadit. Die Schalen sind neben ihrem Warncharakter in- erster Linie göttliche Strafen für die Sündhaftigkeit der Menschen, und sind Auswirkungen des göttlichen Zorns. So kann der Verfasser 15,1 behaupten, daß in den Schalen der Zorn Gottes sein Ende findet.

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Nachträgliche Erweiterungen

Solange die Wehen der Endzeit durch die Öffnung der Siegel ausgelöst wurden, konnte dem Verfasser nichts ferner gelegen haben als Vollständigkeit der endgeschiditlichen Ereignisse. Aber mit der Ausweitung der Endereignisse auf die Posaunen und die Schalen war deutlich geworden, daß wesentliche Bestandteile der Endzeit nicht in das Schema einzufügen waren. Zwei große Komplexe der Enderwartung fehlten, obwohl sie in den bisherigen Entwurf hineingehört hätten: das Auftreten des endzeitlichen Propheten und die große eschatologische Versuchung. Es kann ursprünglich die Absicht' gewesen sein, das Auftreten des endzeitlichen Propheten durch die Veröffentlichung der Apokalypse zu ersetzen, und die große eschatologische Versuchung als Folge der Wehen der Endzeit anzusehen. Aber nachdem der Verfasser einmal zu Erweiterungen geschritten war, störte ihn das Fehlen dieser zentralen Themen. Dazu kam ferner, daß die ausführlichere Darstellung der endzeitlichen Plagen auch eine Bewahrung der Gerechten vor den Plagen zu fordern schien. Schließlich fehlte noch ein weiterer zentraler Gedanke der Enderwartung: entweder der Heidensturm oder die Rückführung der Zerstreuten gehörte wesentlich zur Thematik hinzu. Der Verfasser machte sich nun daran, diese wichtigen Gedanken in der Form von Einschüben in seinem ursprünglichen Entwurf unterzubringen. An den Anfang gehörte die Versiegelung der Gläubigen; sie wurde nach dem sechsten Siegel eingeschoben. Damit war die Bewahrung der Frommen in den endzeitlichen Plagen, die danach geschildert wurden, sichergestellt. Nach der sechsten Posaune wurde analog dazu das Auftreten des endzeitlichen Propheten eingeschoben, hier in der Form der beiden Zeugen. Schließlich war auch noch die große eschatologische Versuchung unterzubringen. Sie fand ihren Platz nicht nach der sechsten Schale, wie die Analogie eigentlich erfordert hätte, sondern im Anschluß an das Auftreten der beiden Zeugen. Denn inzwischen hatte sich Anlaß und Gelegenheit zu politischer Aktualisierung geboten. Der Verfasser erkannte in der domitianischen Christenverfolgung die große eschatologische Versuchung und mußte darum das römische Kaisertum als die Größe darstellen, in der sich der Satan, der Gegenspieler Gottes, auf Erden manifestierte. Das hatte eine grundlegende Beeinflussung des Gesamtentwurfs zur Folge. Ursprünglich war die Reihe der Endereignisse so dargestellt worden, wie Gott sie in seinem Geschichtsplan angeordnet hatte. Die Endereignisse waren in dem versiegelten Buch festgelegt; das Lamm, das allein zu seiner Öffnung befähigt war, setzte ihre historische Verwirklichung in Gang, und außer Gott und dem Lamm nahm niemand auf die Reihe der Endereignisse Einfluß. Aber mit der Einführung des römischen Kaisertums war es nun nötig, auch Gegenspieler Gottes in den Gang der Endgeschichte einzuführen; die gottfeindliche Trias des Satan, Antichristen und Lügenpropheten greift nun handelnd in die Endgeschichte ein; so gerät eine dualistische Denkweise in den Entwurf, der ihm ursprünglich gefehlt hatte und von dem die Siegelvision noch nichts weiß. Nicht nur das. Dem heiligen Rest, der Gemeinde der Gläubigen und Heiligen, wird nun auch die Hure gegenübergestellt, die Civitas terrena, die sich zwar in der gottfeindlichen Großstadt aktualisiert, die aber durch die dominierende Rolle, die dem Tier vom Meer, dem römischen Kaisertum, auf der Seite der Gegner Gottes zukommt, dazu neigt, sich in der Stadt Rom endgültig darzustellen. Man kann die Entwicklung dieser Gedanken beim Übergang vom 11. zum 17. Kapitel deutlich beobachten. Im 11. Kapitel ist die gottfeindliche Stadt noch eindeutig das die Propheten mordende Jerusalem, wo auch der Herr der Propheten gekreuzigt wurde. Im 17. Kapitel ist diese Beziehung vergessen. Da ist klar die mit dem römischen Kaisertum eng verbundene Siebenhügelstadt Rom Verkörpe-

Organische Entwicklung

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rung der gottfeindlichen Großstadt. Im 18. Kapitel spielt auch die Identifizierung Babels mit Rom keine Rolle mehr. D a ist eine abstrakte Welthandelsstadt diejenige, über deren Untergang Könige, Kaufleute und Seeleute klagen. „Babel" ist an sich die Versammlung der Menschen, die das Gnadenangebot Gottes ablehnen. Aber im Verlauf der Apokalypse erfährt diese Stadt verschiedene Aktualisierungen. Augustins Begriff der Civitas terrena erfaßt genau, was dem Verfasser mit Babel eigentlich vorgeschwebt hatte. So hatten die genannten Erweiterungen die notwendige Folge, daß der ursprüngliche, Gott als alleinigen Herrn der Geschichte zeigende Entwurf in ein dualistisches Schema übergegangen war. Die Personenzahl des eschatologischen Dramas, das so entstanden war, hatte sich erheblich vermehrt, und der dualistische Entwurf verlangte nach einer Auflösung, die Gott als Sieger in dem nun ausgebrochenen Endkampf zeigte. An den Anfang gehört das Gericht über Babel. Es war schon im 17. Kapitel angekündigt und wird dann im folgenden Kapitel durch die Klage über Babels Fall als vollzogen gemeldet. Damit war strenggenommen der Heidensturm überflüssig geworden, und tatsächlich erfährt er eine erhebliche Verkürzung. Er erscheint nun im Zusammenhang mit der Niederwerfung des Antichristen durch den Messias; ein früher dargestelltes analoges Geschehen, die „Ernte der Erde", war als Heidensturm nicht mehr erkennbar. Nach dem Vorbild Ezechiels waren nun auch die übrigen Endereignisse in ihrer Reihenfolge festgelegt, das Zwischenreich, der Kampf des Satan, seine Besiegung und das Totengericht. Damit hätte nach einem kurzen Ausblick in die Endvollendung der so angelegte Entwurf sein Ende finden können, und tatsächlich findet sich an dieser Stelle auch ein derartiger Buchschluß. Aber wahrscheinlich war im ersten Entwurf bereits als Ausblick in die Vollendung eine Vision von der Hochzeit des Lammes oder von der Braut des Lammes vorgesehen. Zu beidem kommt es zwar nicht; man kann sich aber vorstellen, daß der Verfasser wohl ursprünglich die Aufgabe wie in IV Esra (Verwandlung des klagenden Weibes in die Himmelsstadt) oder in Hermas (Verwandlung der Greisin in eine junge Frau) zu lösen gedachte. Statt dessen erfolgt eine Ausmalung der Himmelsstadt, bei der man freilich ebenfalls Bedenken hat, ob man sie dem Verfasser des Buches zuschreiben oder für eine nachträgliche Erweiterung halten soll. — Schließlich kommen noch Prophetensprüche, Sicherungsformel und Verfasservermerke, die das Buch runden und schließen. — Über die Bedeutung der Sendschreiben für das Buch wird dann im Kommentar ausführlicher gesprochen. Die Sendschreiben stehen nicht eigentlich im Zusammenhang mit dem Buch, sondern sollen für den Verfasser durch Aktualisierung und Hinwendung zu konkreten Gemeinden in konkreten Situationen die Autorität beanspruchen, deren Inanspruchnahme im übrigen Buch zu vermissen ist. Aus dem Gesagten geht hervor, daß es nicht möglich ist, die Apokalypse als strikte Durchführung eines einheitlichen Entwurfs zu verstehen. Natürlich ist immer eine Aufspaltung des Buches in sieben mal sieben Visionen oder in eine andere runde Zahl möglich, aber das Ganze ist doch übersichtlich genug, um zu zeigen, daß ein geometrischer Bauplan nicht vom Verfasser beabsichtigt war, sondern daß ihm der Stoff unter den Händen gewachsen ist. Hier war ein Künstler am Werk, der aus überliefertem Material, an die Tradition gebunden, doch in künstlerischer Freiheit, gestaltet hat. Im Hauptteil sind, wie gesagt, zwei große Stoffkomplexe aneinanderan gehängt und mit ihren Rändern ineinander verzahnt. Das sind die drei Siebenerreihen in der ersten Hälfte und das dualistische Drama im zweiten Teil. Dieser ursprüngliche Stoff ist nachträglich erweitert durch die Vision von der Himmelsstadt und durch die Sendschreiben. Der Verfas-

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Das Griechisch der Apokalypse

ser der Sendschreiben — der mit dem Verfasser des Ganzen möglicherweise identisch sein kann, aber die Sendschreiben in jedem Fall nachträglich angefügt hat — hat auch die Berufungsvision erweitert und auf die Sendschreiben bezogen. Die erste Stoffgruppe des Hauptteils wird von der Siebenzahl als gestaltendem Prinzip beherrscht. Ihre grundlegende Bedeutung beruht darauf, daß die Sieben die volle Zahl ist. Da in unserm Buch das Ende aller Dinge gezeigt wird, strebt der Verfasser danach, die Fülle aller Dinge dadurch zu zeigen, daß ihre Zahl den Wert Sieben annimmt. Die Sieben drückt nicht göttliche Vollkommenheit, sondern Vollständigkeit aus. Dieses Prinzip ist auch in den andern Teilen des Buches, wenn auch mit weniger Konsequenz, gebraucht. Man wird jedoch bei der Meinung, die Siebenzahl sei in den sprachlichen Mitteln als formendes Prinzip angewandt, Zurückhaltung üben. Wo göttliche Prädikationen in der Siebenzahl aneinandergereiht sind, ist die Absicht freilich offensichtlich. Aber es wird im allgemeinen nicht sinnvoll sein, Strophen mit sieben Zeilen oder gar Gruppen von sieben Strophen nachzuweisen. Das ist zwar immer möglich, aber nur selten werden derartige Versuche eindeutig ausfallen.

Z»r Sprache der Apokalypse Der Text unseres Buches ist auf Schritt und Tritt von Verstößen gegen die griechische Grammatik durchsetzt. Zwar ist die Ausgangssprache die Koine der Zeit, aber der Verfasser weicht regelmäßig von ihren Grundregeln ab. Besonders ins Auge fallen dabei zwei Erscheinungen, die Außerachtlassung der Kongruenz und die semitischen Satzbau nachahmenden Wortstellungen. Doch das ist nicht alles; es lassen sich eine ganze Reihe von Regeln angeben, nach denen der Verfasser die griechische Sprache vergewaltigt. Die Absicht bei diesem Vorgehen ist offensichtlich; es wird auf diese Weise der Versuch gemacht, in der Weise der Bibel zu sprechen. Diese Art, biblisch zu reden, findet sich häufig in der Apokalyptik. Charakteristisch ist besonders die Adlervision im 4.Esra, weil dieser Teil des Buches anscheinend keine semitische Grundschrift hatte. Sein' Verfasser bemüht sich hier aber, mehr noch als in den andern Teilen des Buches, semitischen Sprachklang, wenn auch mit einfachen Mitteln, nachzuahmen. In der Apokalypse entsteht auf diese Weise eine Kunstsprache, die sich mit den mancherlei aus der Literaturgeschichte bekannten Versuchen vergleichen läßt, die Sprache der Vergangenheit durch eine eigens geschaffene altertümlich klingende Sprache nachzuahmen. Die Sprache der Apokalypse ist niemals und von niemandem gesprochen worden. Sie ist weit davon entfernt, „Judengriechisch" zu sein; sie ist auch keine Mischsprache und erst recht keine Ghettosprache. Zur Mischsprache fehlen ihr die semitischen Vokabeln, und zur Ghettosprache die soziologischen Voraussetzungen. Völlig falsch wäre es auch, wenn man sich die Entstehung dieses Griechisch so vorstellen wollte, daß ein Mann aramäischer Muttersprache seine unzureichenden Kenntnisse des Griechischen gewählt habe, um sich einen sprachlichen Ausdruck zu schaffen. Zwar ist aus historischen Gründen wahrscheinlich, daß der Verfasser der Apokalypse Aramäisch als Muttersprache gesprochen hat, aber seine Kenntnis des Griechischen hätte offensichtlich ausgereicht, sich flüssig und unanstößig auszudrücken, wenn er gewollt hätte. Doch die Apokalypse zeigt deutlich, daß er das nicht gewollt hat. Man könnte von einem spielerischen Umgang mit der griechischen Sprache reden, aber die Absicht war

Prophetische Sprechweise

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ernsthafter, als die spielerischen Mittel des Ausdrucks zunächst erkennen lassen. Er ist dabei zwar nicht originell verfahren; andere Apokalypsen waren ihm vorangegangen. Aber er dürfte mehr gewollt haben, als nur in altertümlicher Sprache schreiben. Zudem hatte er dazu auch nicht die Ursache dieser Apokalypsen, da sein Buch ja nicht vorgibt, Offenbarung an Fromme der Vorzeit und in alten, längst zurückliegenden Zeiten geschrieben zu sein, sondern in der Gegenwart geschaut sein will. Die Gründe liegen in seinem Verhältnis zur alttestamentlichen Prophetie. Die alttestamentliche Prophetie ist die einzige Quelle, auf die er sich bei seinen Weisungen stützt. Wir können generell sagen, daß wir die Stellen nicht ausgelegt haben, in denen es uns nicht gelungen ist, die alttestamentliche Quelle für die apokalyptische Weissagung nachzuweisen. Der Verfasser erfindet niemals aus Eigenem; seine Weissagungen sind dadurch gerechtfertigt, daß sie der alttestamentlichen Prophetie entstammen. Er fühlt sich als Fortsetzer und abschließender Ausleger der alttestamentlichen Prophetie. D a es derselbe Geist ist, der die alten Propheten inspiriert hatte und der ihn inspiriert, sieht er sich auch der Sprache der alttestamentlichen Prophetie verpflichtet. In dieser Weise, wie er redet, spricht seiner Meinung nach der Heilige Geist; das Alltagsgriechisch hätte er als unwürdig für den heiligen Inhalt angesehen, den er zu verkündigen hat. Seine enge Verbundenheit mit den alttestamentlichen Propheten findet darin ihren Ausdruck, daß deren Sprache in ihm lebendig ist. Die Sprache ist für ihn Ausdruck des Geistes, und das heißt hier des Heiligen Geistes. Dieser Versuch, die Sprache der alten Propheten zu reden, ist in seinen Mitteln nicht auf Verstöße gegen die griechische Grammatik beschränkt. Er ahmt auch den Satzrhythmus und die Satzmelodie der alttestamentlichen Prophetie nach. Dabei kommen jene eigentümlichen drei- und vierzeiligen Strophen heraus, die für den Stil der Apokalypse charakteristisch sind. Es handelt sich eigentlich um Versuche, den Parallelismus membrorum der poetischen Abschnitte im Alten Testament nachzuahmen. Aber ein deutlicher Unterschied bleibt sichtbar; die gleichartigen Zeilen enthalten keine inhaltlichen Wiederholungen, weil in ihnen fortlaufende Endgeschichte berichtet wird. Sie sind in erster Linie durch die Gleichheit ihrer Länge als zusammengehörig erkennbar, und neue Strophen erkennt man nicht selten daran, daß die Zeilenlänge wechselt. Häufig wechseln auch dreizeilige mit vierzeiligen Strophen. Die Strophen selber sind als durch ungefähr gleichlange Zeilen gegliederte Sinneinheiten zu definieren und als solche zu erkennen. Wenn man die Apokalypse laut liest, hört man, daß sie von Anfang an dafür bestimmt war, in der Gemeindeversammlung vorgelesen zu werden. Die Satzmelodie zeigt, daß der beabsichtigte Vortrag etwa den Eindruck erwecken sollte, den wir durch das Psalmodieren hervorrufen. Das wird nicht selten an den Zeilenschlüssen sichtbar. Häufig schließen die Zeilen einer Strophe mit dem Ton auf der gleichen Silbe; es kommt auch vor, daß derartige gleiche Zeilenschlüsse miteinander abwechseln. Allerdings gelingt es dem Verfasser nur selten, dieses rhythmische Prinzip über mehr als zwei Strophen durchzuhalten. Als Beispiel seien etwa die ersten beiden Verse des 17. Kapitels genannt; mit etwas rhythmischem Gefühl lassen sich, wenn man laut liest, unschwer weitere Beispiele finden. — Von den Strophen, in denen der eigentliche Text der Apokalypse gestaltet ist, sind die Hymnen zu unterscheiden, die da und dort als Lobgesang erklingen. Sie entsprechen den wenigen Zeugnissen christlicher Hymnen, die uns erhalten sind, und für sie ist auch die Vermutung erlaubt, daß sie den Hymnen nachgebildet sind, mit denen die

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Apokalypsen als literarische G a t t u n g

Buchtitel

Christen in Kleinasien nach dem Zeugnis des Plinius ihren Morgengottesdienst begingen. Als Beispiele seien 11,17 f. und 15,3 f. genannt. Von der Melodie dieser Hymnen haben wir allerdings keine Ahnung; daß sie zum Singen bestimmt waren, scheint aber dodi nicht ausgeschlossen. Die sprachliche Gestaltung der Apokalypse ist der Annahme, daß in ihr verschiedene Hände am Werk gewesen seien, ungünstig. Wenn man sie aber für das Werk mehrerer Verfasser hält, dann ist die Konsequenz unausweichlich, daß der Apokalyptiker letzter Hand, den man eigentlich den Redaktor der Schlußredaktion nennen müßte, zugleich der Künstler war, der das Werk gestaltet hat. Denn ein Kunstwerk ist sie; sie unterscheidet sich von allen anderen Apokalypsen durch den hohen ästhetischen Wert, den sie neben ihrem religiösen Gehalt besitzt.

K A P I T E L 1: E I N L E I T U N G U N D B E R U F U N G Der Buchtitel Die Uberschrift 'Anoxatanpig 'Icoavvou gehört nicht zum ursprünglichen Text, sondern ist nachträglich vor das Buch gesetzt worden. Sie diente dem Zweck, den bei unsern Büchern der Rückentitel hat, nämlich der Unterscheidung von den andern Büchern, die sich am selben Ort befanden. Buchrollen wurden in der Antike in Schränken, Tonkrügen und anderen derartigen Behältnissen aufbewahrt; sie wiesen daher mit der Rollenachse, also einer Blattkante, auf den, der sie lesen wollte. Zwar trug das meist verstärkte Endblatt der Rolle im allgemeinen Angaben über den Verfasser, den Buchtitel und -inhalt, aber diese Merkmale wurden erst dann sichtbar, wenn man das Buch zur Hand nahm. Um ein gesuchtes Buch sofort finden zu können, versah man die geschlossene Rolle mit einer Aufschrift und klebte auch am Rollenende oder dem Stab, um den die Rolle gewickelt war, einen Pergamentstreifen an, der das Buch identifizierte, den aiXXvßog oder titulus. Ein derartiger Außentitel ist die Buchüberschrift; sie bezeichnet die Gattung und den Verfasser. Allerdings ist der Gattungsbegriff „Apokalypse" zur Bezeichnung einer Offenbarungsschrift, besonders einer solchen mit eschatologischer Thematik, erst durch unser Buch entstanden. Er ergab sich dadurch, daß das erste Textwort — das man ohnehin gern zur Buchbezeichnung gebrauchte — djtoxodmpig lautete. Das Wort ließ sich nur als Mitteilung Gottes an den Verfasser verstehen, und dessen Namen teilte bereits der erste Vers mit. Die Bücher der alttestamentlichen Propheten sind im allgemeinen als Xoyog xupiou an den jeweiligen Propheten bezeichnet; daneben erscheinen aber auch die „Worte des Arnos", und die Prophetie des Obadja, Nahum und Jesaja trägt den Titel ogaaig des betreffenden Propheten. Man brauchte also keinen Anstoß daran zu nehmen, wenn auf diesem Weg aus der Offenbarung Jesu Christi eine Offenbarung des Johannes wurde. Der Buchtitel dürfte etwa um die Mitte des 2. Jhs. entstanden sein. Dafür spricht, daß unser ältester Zeuge, Justin der Märtyrer, in dem zu dieser Zeit geschriebenen Dialog (Dial. 81 Tcodvvrig ev äjtoxcdiityei vevonivfi aiitm) ajtoxäAui|)ig noch nicht als Buchtitel verwendet, während Irenäus und alle Späteren dies tun. Auf dieselbe Zeit, Entstehung des Buchtitels um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, kommt man auf Grund der Beobachtung, daß die Lateiner den Buchtitel zunächst nicht über2 Hdb. z. NT 16a: Kraft

1,1-2

Titelblatt

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setzten, sondern als „apocalypsis" übernahmen. (Canon Muratori 71 ff.: „apocalapse etiam iohanis et petri tantum recipimus".) Das Zitat zeigt uns durch seine Zusammenfassung der Johannes- und Petrusapokalypse, daß „Apocalypsis" nun Gattungsbezeichnung geworden ist. Die von Clemens AI. wiederholt (z. B. Ecl. proph. 41) zitierte und sogar kommentierte (Euseb. h. e. 6,14,1) Petrusapokalypse scheint dabei als erste der Johannesapokalypse gefolgt zu sein. Auch ältere Bücher, die in christlichem Gebrauch standen, wurden mit der Überschrift „Apokalypse" versehen, so der griechische (aber nicht der syrische) Barudi und der slawische (aber nicht der äthiopische) Henoch; ferner die Apokalypsen des Abraham, Esdras und andeutungsweise auch des Mose. Nachdem die Gattung derart entstanden war, konnten auch jüngere Büdier von Anfang an als Apokalypsen bezeichnet werden, wie die des Paulus, Thomas und andere (s. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen 2,533 ff.). In der späteren handschriftlichen Überlieferung treten Zusätze zur Budiübersdirift auf. Es handelt sidi durchweg um Ehrentitel, die die Identität unseres Johannes mit dem Apostel und Verfasser des vierten Evangeliums behaupten. Davon setzt sich schließlich t o i •freoXÖYOi) durch. 1,1—3 Vorwort Der Übergang von der Buchform der Rolle zu der des Codex begann bei der christlichen religiösen Literatur früher als bei der profanen, nämlich bereits in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Die Urschrift und die ältesten Exemplare unseres Buches müßten demnach noch in Rollenform existiert haben, zumal es mehrere Jahrhunderte dauerte, bis sich die Codexform wirklich durchgesetzt hatte. Bei der antiken Buchrolle befanden sich die Titelangaben im allgemeinen auf dem letzten Blatt, das heißt im Innern der Rolle. Es war jedoch üblich, audi am Anfang oder außen Vermerke über Inhalt und Verfasser des Buches anzubringen, damit der Leser möglichst früh erfuhr, was ihn erwartete. Eine solche Information über Verfasser und Inhalt stellen die beiden ersten Verse dar. Sie entsprechen dem Klappentext heutiger Bücher und machen Angaben, die dann am Ende der Schrift wiederholt werden. Wahrscheinlich stammen sie von ein und derselben Hand, und so erklären sich auch die engen Beziehungen, die zwischen 1,1 f. und 22,6 ff. bestehen.

Offenbarung des Johannes 1,1 Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben, seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß; er sandte Botschaft und wies es durch seinen Engel seinem Knecht Johannes, 2 der als Gottes W o r t bezeugte und als Zeugnis Jesu Christi, was er geschaut hat.

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Anbruch der Endzeit — Unterrichtung der Propheten

1,1

3 Selig, wer vorliest das Wort der Weissagung, und selig die hören und beachten, was darin geschrieben ist. Denn nahe ist die Zeit. 1 Der Vers hat Dan 2,28 f. (aKk' eau fteög ev oi)gavä> dvaxaMitToov |xuatr)Qia, og ebr\k(aae .. a öei yeveo®ai In' eoxattov twv rjuEßoyv) und Dan 2,45 (6 fteög 6 iiEyag ear||xave . . tq Eoöneva eji' taxatcov tcdv fmegiöjv) als Vorbild. Voraussetzung für diesen Vers ist die allgemein verbreitete Erwartung, daß den Endereignissen ihre Ankündigung an die Propheten (und ihre Verkündigung durch diese) vorausgehen werde. Diese Überzeugung hatte bereits Arnos (3,7 f.) ausgesprochen: oi> |xt) jtoif|aei xiipiog 6 fteög npayM-a, edv (xri djioxaWi|)f| naiöeiav itgög 10115 öoiiXoug avtoi) toiig jtQoqpr|Tag. Danach war es unmöglich, daß die Endereignisse eintraten, bevor die Offenbarung Gottes an die Propheten ergangen war. Natürlich war die Mitteilung Gottes nicht allein für die Propheten bestimmt, sondern sollte von ihnen weitergesagt und als Gotteswort verkündigt werden (Am 3,8). Die prophetische Verkündigung ist jedoch nicht bloße Information, deren Wirkung sich auf den Augenblick beschränkt, in dem sie mitgeteilt wird. Sie ist zugleich, ebenso wie das prophetische Zeichen, wirksames Handeln, das dazu dient, eben die Ereignisse herbeizuführen, die von ihr als Wille Gottes geweissagt werden.' Die Vollmacht der Propheten bedeutet, daß das prophetische Handeln als Zwischenglied zwischen Gottes Plan und seine geschichtliche Verwirklichung geschaltet ist. So wird auch das Weltende dadurch herbeigeführt, daß es durch den Mund der Propheten geweissagt wird. Dies ist der tiefere Sinn unseres Buches: ein Unternehmen, das das Weltende und das Gottesreich herbeiführen soll, indem es sie verkündigt. äjioxaAu\|)i5 hat nicht viel mit den umfangreichen Erörterungen zu tun, die Theologie und Religionsgesdiichte über Wesen und Begriff der Offenbarung angestellt haben. Das Wort ist im profanen Gebrauch selten und bedeutet das Wegnehmen einer Bedeckung, audi das Aufdecken von Geheimnissen. In der L X X findet sich das Wort viermal; davon stehen drei Stellen bei Jesus Sirach, wo es ebenfalls die Enthüllung von Verborgenem bezeichnet. Der neutestamentlidie Gebrauch knüpft nicht an das Substantiv an, sondern an das Verbum djtoxaXiijrreiv. Dieses Wort ist in der L X X häufig; es wird aber nicht ausschließlich in prophetischem Sinne gebraucht. Im N T finden sich Verbum und Substantiv ganz überwiegend bei Paulus (auch in Eph; außerdem in l.Petr, aber nicht in Col und Past); daneben sind Mtth 11,25.27; 16,17 wichtig. Paulus verwendet das Wort in zwei verschiedenen Bedeutungen. Entweder bezeichnet er damit die spezielle Offenbarung an den einzelnen, vor allem an sich selbst, oder er bezieht es auf die Erscheinung des wiederkommenden Herrn und die damit verbundenen Erwartungen. In unserem Buch kommt das Verbum gar nicht, das Substantiv nur an dieser Stelle vor. Seine Bedeutung geht aus dem Zusammenhang hervor. Ähnlich wie in der zuletzt genannten Verwendung bei Paulus bezeichnet es die Enthüllung der Endgeschichte. Der Gebrauch ist somit von Arnos 3,7 und Jesaja 56,1 (fjYYiOEV . . tö eXeog |iox) äjtoxcducpfrfjvai) abzuleiten. Beim Ubergang von Arnos zu Tritojesaja und Daniel hat sich jedoch die Bedeutung verengt. Aus der Offenbarung dessen, was Gott tun wird, ist die Offenbarung dessen geworden, was Gott am Ende der Zeit tun wird. djtoxdXuTpig Tr)00i Xpiatoü Es wird seinen Grund in der paulinischen Eschatologie haben, daß man die Frage, ob hier ein Genitivus subiectivus oder obiectivus vorliege, über2*

1,1

Gottesknedit als Christenname

20

haupt aufgeworfen hat, das heißt die Frage, ob Christus hier als Inhalt oder Spender der Offenbarung bezeichnet sei. Der überlieferte Text sagt mit f]v eöcoxev ooitü) 6 fteog eindeutig, daß Christus Spender und Vermittler der Offenbarung ist, zumindest an dieser Stelle. Es wäre methodisch bedenklich, auch den Rest des Buches zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, da wir die Einheit des Verfassers nicht ungeprüft voraussetzen dürfen. Tut man es dennoch, so ergibt sich keine andere Antwort. In seiner Person erscheint Christus nur in der Berufungsvision 1,9—20; auch hier ist er nicht Inhalt, sondern Urheber der Offenbarung. Im Zusammenhang des Buches tritt aber die Gestalt Christi erstaunlich zurück. Anders als bei Paulus erreicht die Endgeschichte nicht in dar Wiederkehr Christi zum Gericht ihren Höhepunkt. Der Blick in die Konkordanz erhärtet diesen Befund. Er lehrt, daß auch die Namen Jesus und Christus in der Apokalypse überraschend selten erscheinen, wenn wir mit den andern neutestamentlichen Schriften vergleichen. eöoxEV . . ÖEi|ai Die Apokalypse drückt die göttliche Zulassung oder den göttlichen Auftrag gern durch öiöövai mit iva oder dem Infinitiv aus. Das ist kein Hebraismus, sondern biblisch gefärbte Sprache. In der Apokalypse hat öiöövai häufiger als im übrigen N T die Bedeutung bevollmächtigen, zulassen, toig öoiiXoig axitoü Schon die alttestamentlichen Propheten nahmen den Ehrentitel „Gottesknecht" für sich in Anspruch; an den Propheten besonders interessierte Kreise strebten danach, alle Bibelstellen auf die Prophetie zu beziehen, an denen von Knechten Gottes die Rede war. Arnos behandelt an der zitierten Stelle 3,7 die Begriffe „Knecht Gottes" und „Prophet" als synonym. Besondere Bedeutung erlangte in diesem Zusammenhang die'Weissagung Joel 3,1—6, daß der Herr in der Endzeit seinen Geist auf alles Fleisch ausgießen werde. Die Urgemeinde glaubte, die Erfüllung dieser Verheißung in der Geistausgießung an Pfingsten erlebt und damit den Anbruch der Endzeit erfahren zu haben. Die Geisterfahrungen, die sie machte, hielten in ihr die Überzeugung wach, daß sie das geweissagte Volk von Propheten sei. So übernahm sie auch für ihre Glieder den Ehrennamen „Knechte Gottes". Der Gottesknechtstitel konnte somit die getauften Gemeindeglieder bezeichnen, konnte aber auch auf die Inhaber des charismatischen Prophetenamtes beschränkt bleiben. Hier sind, dem Zweck des Buches entsprechend, unter den Gottesknechten alle Christen verstanden, d. h. alle, an die sich das Buch überhaupt richtet. autoC ist auf Gott (und nicht auf Jesus Christus) zu beziehen. Das geht zunächst einmal aus der Wortstellung hervor, und in 22,6 ist es unter Bezugnahme auf unsern Vers auch ausdrücklich ausgesprochen. Allgemein versteht die Apokalypse unter dem Kyrios — der ja als „ H e r r " der dem Gottesknecht entsprechende Begriff ist — viel öfter Gott als Christus (s. Holtz, Christologie 9 ff.). Grund dafür ist der enge und unmittelbare Zusammenhang, der nach unserem Buch zwischen alttestamentlicher und christlicher Prophetie besteht. Die theologischen Erwägungen, die Paulus dazu veranlaßt haben, sich nicht „Gottesknedit", sondern „Knecht Jesu Christi" zu nennen, spielen in der Apokalypse nur an wenigen Stellen (11,8 und in den Sendschreiben) eine Rolle. xai Ear||xavEV Das Wort er)|xaivu kommt in der L X X gegen 30mal vor und heißt anzeigen, andeuten, anweisen, ankündigen. Hier handelt es sich, wie Dan 2,45 earjuave xcp ßaaiXei Ta Effö|i£va, um eine Offenbarung der Zukunft, daher: er hat angekündigt. Als näheres Objekt ist das Relativpronomen f|v zu ergänzen, das aus rhythmischen Gründen nicht wiederholt ist. Ferneres Objekt ist tüj öoiiXqi avtoö 'Iuävvp. — Die Konstruktion des Nebensatzes geht aus der folgenden Überlegung hervor: ajtoaxeXXu kommt in der L X X über

21

Gottesknecht als Prophetentitel

1,1

700mal und im N T ca. 130mal vor; in der Apokalypse findet es sich nur 3mal. Septuagintastellen mit vergleichbarer Wortfolge, die die Formulierung Unseres Textes beeinflußt haben können, sind Mal 3,1 löoii eycb eIouiooteXXü) töv ayyeköv |xou: 4,22 iöoi) iyd) änoaxekAm i)|J.iv 'HXiav xöv ©Eoßixriv: Dan 3,28 05 diteateiXE töv ayye'kov avtoi. An diesen Stellen ist aber der jeweilige Gesandte Akkusativobjekt von dnoateXXa); was sich hingegen nicht findet, ist die Angabe des Boten durch 5id. Bousset macht allerdings (z. St.) darauf aufmerksam, daß sich zwar nicht im Alten, wohl aber im Neuen Testament eine ähnliche Konstruktion wie hier findet. Mtth 11,2 heißt es von Johannes dem Täufer jte|xtyag 8ia twv [i lidgtug Äiv E l "ügiog 6 fteog, « a i 6 jtatg, ov E^EXi^ajiriv. Dem Verfasser hat daneben aber auch Jes 55,4 vor Augen gestanden, wenn Jesus sich als 6 äpxwv t ö v ßaodecov xfjg y^iS bezeichnet „Siehe, ich habe ihn den Leuten zum Zeugen gestellt, zum Fürsten und Gebieter den Völkern". Die Bedeutung des Zeugentitels 1,5 ist dadurch klar zu entscheiden, daß er in dem folgenden Prädikat 6 jtOGJTOxoxog tcdv

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Zeugen in der Apokalypse

vexpüjv interpretiert wird. Jesus ist hier als Erstgeborener der Toten Zeuge f ü r die Auferstehung überhaupt. Etwas anders liegen die Dinge in den Sendschreiben. Z w a r nimmt 3,14 auf 1,5 Bezug; der Brief nach Laodicea ist von dem diktiert, der 1,5 „zuverlässiger Zeuge" genannt w a r . Dennoch h a t sich die Bedeutung verschoben. Der Gemeinde wird ihre Lauheit vorgeworfen, und so ist zu schließen, d a ß der Zeugentitel Jesu sie zur Nachfolge und zum Bekenntnis a u f f o r d e r n soll. D a s w i r d durch den Vers 20 unterstrichen, der mit seinem „Siehe, ich stehe an der T ü r und klopfe a n " der Gemeinde eindringlich vor Augen hält, d a ß sie in der Entscheidungssituation steht. Es ist die Situation, in die die Sendboten das Gottesreich verkündigen. M a n w i r d hier eine erste Annäherung an den späteren maryrologisdien Sinn des Zeugenbegriffs feststellen können. D a f ü r spricht auch, d a ß dem Überwinder in diesem Sendschreiben die Teilhabe an der Herrschaft Christi verheißen wird. Zu einem ähnlichen Ergebnis f ü h r t die Betrachtung von 2,13, w o in dem Sendschreiben nach Pergamon Antipas den Titel „treuer Zeuge" erhält. Die Gemeinde hat in der Zeit der Verfolgung, in der Antipas getötet wurde, nicht den Glauben verleugnet, und das ist sicher auch von Antipas zu sagen. Was wir nicht entscheiden können, ist aber die Frage, ob Antipas schon vorher Charismatiker war, bevor er getötet wurde, oder ob er erst durch seinen Tod dazu w u r d e ; d. h., ob ihm der Zeugentitel f ü r seinen T o d oder f ü r sein mündlich abgegebenes Zeugnis z u k o m m t . Es ist nicht möglich, die Frage auf G r u n d von Apc 11,3 ff. zu entscheiden, weil die Identität des Sendschreibenverfassers mit dem Verfasser des übrigen Buches nicht vorausgesetzt werden kann. Die Einbeziehung der Begriffsgeschichte in der alten Kirdie läßt aber den Schluß zu, d a ß Antipas f ü r sein Leiden und f ü r die Verkündigung seines Glaubens, aber noch nicht f ü r seinen Tod den Zeugentitel erhält; der T o d ist vielmehr Bestandteil und K r ö n u n g der Leiden, aber nicht die entscheidende Leistung, die hernach mit dem Zeugentitel bestätigt w i r d . Im Unterschied von der weit fortgeschrittenen Entwicklung des Zeugenbegriffs in den Sendschreiben ist die Vorstellung in K a p . 11 auf einer früheren Stufe f a ß b a r . D a s Bild ist das des alttestamentlichen Propheten, der mit Wundermacht ausgestattet ist; wohl weniger zu seiner Legitimation, als vielmehr um die Identifikation zu ermöglichen, denn die Vollmacht ist die des Propheten Elia. D a ß es sich dabei um einen wiederkehrenden Propheten handelt, ist 10,11 bei der Aussendung gesagt. Jedoch ist die Gestalt des wiederkehrenden, d. h. endzeitlichen Propheten, dessen Verkündigung dem E n d e unmittelbar vorausgeht, hier verdoppelt, weil das der Begriff des Zeugen fordert. Diese Zeugen sind als die Verkünder eines letzten Bußrufes verstanden. Legitimiert werden sie zunächst einmal durch ihr Leiden, d. h. durch ihren T o d . Sodann werden sie aber durch ihre Auferstehung und Entrückung als Auferstehungszeugen bezeichnet, so d a ß hier eben die Qualifikation vorliegt, die wir bereits aus dem Hebräerbrief kennen. In Tod und A u f erstehung sind sie aber als Nachfolger Christi bestimmt, auf den ihre Zeugensdiaft zurückverweist. Die Zeugen von Kap. 11 haben mit dem Zeugen Antipas immerhin das gemeinsam, d a ß auch sie Gefolgsleute Christi in seinem K a m p f gegen den Satan sind. — Was wir in K a p . 11 als Sonderfall kennengelernt haben, w i r d 17,6 in allgemeiner Form genannt. D a s Weib, die H u r e , ist trunken vom Blut der Zeugen Jesu. H i e r liegt eine unmittelbare Beziehung auf den Topos von den Prophetenmorden v o r ; die alt- und neutestamentlichen Propheten sind als Zeugen Jesu zusammengefaßt. Uber die Aktualisierung dieses Bildes s. z. St.

1,4—8 Die Einleitung Der Verfasser der Sendschreiben hat unser Buch mit einem Briefpräskript und einem Segenswunsch (22,21) versehen. Diese Zusätze waren darum nötig, weil die Sendschreiben formal keine Briefe, sondern Prophetenworte darstellen. Mit dem Briefpräskript

1,4—8

Briefsammlungen der apostolischen Zeit

28

wird das Buch briefartig fixiert, d. h. es wird zeitlich und geographisch eingeordnet. D a durch wird seine Botschaft gezielt und verbindlich. Diese Feststellung läßt sich noch erheblich präzisieren. In der ältesten Kirche wird durch das Absenden von Boten oder Briefen ein Autoritätsanspruch erhoben, den die Empfänger durch deren Annahme anerkennen. ajtoateXXw (vgl. 1,1) und Sexo^ai werden dabei technische Ausdrücke f ü r die Beanspruchung und Anerkennung charismatischer Autorität. Diese ältesten Hirtenbriefe sind aus der Missionspraxis heraus entstanden; es handelt sich dabei um die ersten Versuche, die neugegründeten Einzelgemeinden zu übergemeindlichen Verbänden zusammenzufassen. Zweifellos hat das Vorbild des Apostels Paulus dabei seine Rolle gespielt. Doch liegt es in der N a t u r der Sache, daß die Charismatiker, die sich selber bereits als Überbringer von Botschaften verstehen, Apostel und Propheten also, auch als Absender von Botschaften auftreten, um ihre bisherige Wirksamkeit mittelbar fortzusetzen. So erklärt sich, w a r u m der Verfasser der johanneischen Briefe überhaupt schreibt, und so erklärt sich auch, w a r u m der Führer der angeschriebenen Gemeinde, Diotrephes, die Briefe nicht annehmen will, obwohl gegen deren Inhalt nichts eingewandt werden kann. Diotrephes will aber den Autoritätsanspruch des Presbyters nicht anerkennen, den dieser mit seinen Briefen geltend macht. Nicht anders wollen die Briefe des Ignatius von Antiochien verstanden sein. Sie sind zwar auch wegen ihres Inhalts wichtig, aber daneben haben sie den Zweck, die kleinasiatisdien Gemeinden der charismatischen und theologischen Autorität der Gemeinde von Antiochien zu unterstellen (vgl. Ign Smyrn 11,2). Ähnlich hat die römische Gemeinde nach dem Tod des Apostels Paulus durch die Versendung von H i r tenbriefen die Nachfolge seiner Autorität angetreten (l.Clem; Herrn 8,3 = Vis 2,4). Der ausdrückliche Autoritätsverzicht des Ignatius gegenüber seinen angesehensten Adressaten (Eph 3,1 und vor allem Rom 4,3) ist eben auf diese Weise zu erklären. Derartige Briefe wurden von den Gemeinden, die sie angenommen hatten, gesammelt und zu Briefbüchern zusammengefaßt. Es hat sich dabei eingebürgert, daß Gruppen von je sieben Briefen zu einem Corpus zusammengestellt wurden. So sind die Briefe des Paulus an sieben Gemeinden, da ihre Zahl faktisch größer war, zu einem Corpus von zweimal sieben Briefen erweitert worden; der Hebräerbrief verdankt die Zuweisung an den Apostel Paulus dem Bedürfnis nach einem vierzehnten Paulusbrief. Ähnlich haben wir gerade sieben katholische Briefe im Neuen Testament, haben sieben Briefe des Ignatius und sieben Briefe des Dionysios von Korinth (Eusebios macht h. e. 4,23,1—13 Inhaltsangaben davon; ein achter Brief, von dem Eusebios ebenfalls Kenntnis hatte, existierte offensichtlich außerhalb des aus sieben Briefen bestehenden Corpus. Dieser achte Brief war nicht „katholisch", sondern an eine Einzelperson gerichtet und insofern ein Privatbrief). Wir ersehen aus dieser Praxis, daß der Verfasser der Sendschreiben dem Buch ein Briefcorpus vorausschicken wollte, das durch die Zahl der Briefe „katholische", d. h. ökumenische Geltung beanspruchen konnte. Die Adressierung dieser Briefe an sieben Gemeinden in der Asia bezeichnet den Raum, in dem der Verfasser auf Anerkennung seiner Autorität rechnen konnte. Damit ergibt sich die Antwort auf die Frage, warum die Sendschreiben überhaupt dem Buch vorangestellt worden seien. Als Schreiben eines bestimmten Verfassers an bestimmte Gemeinden wird der Autoritätsanspruch des ganzen Werks verbindlich und gezielt; durch die Voranstellung der Sendschreiben wird auch f ü r den Rest des Buches, f ü r die eigentlichen Visionen, die Autorität beansprucht, die sonst nur den H i r tenbriefen zukommt.

29

Briefpräskript

1,4—8

Schließlich sei vorweggenommen, daß die literarkritische Betrachtung des Briefpräskripts und der Sendschreiben eine Datierung der Schlußredaktion des ganzen Buches (abgesehen von den Zusätzen zum letzten Kapitel) ermöglicht. Die Sendschreiben sind etwas, aber nicht viel älter, als die Briefe des Ignatius von Antiochien; sie setzen, wie wir noch erkennen werden, dieselbe Situation in den Gemeinden voraus. Sollten die Briefe des Ignatius also noch unter Trajan geschrieben sein, wie die altkirchliche Tradition will (Eusebios h. e. 3,36,3), dann müssen auch die Sendschreiben unter diesem Kaiser verfaßt und dem Buch beigegeben worden sein. 4 Johannes an die sieben Kirchen in der Asia: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron, 5 und von Jesus Christus, dem treuen Zeugen, dem Erstgeborenen von den Toten und dem Fürsten über die Könige der Erde. Ihm, der uns liebt und erlöst hat aus unsern Sünden durch sein Blut 6 und zum Königtum machte, seinem Gott und Vater zu Priestern, ihm sei Ehre und Macht in alle Ewigkeit. Amen. 7 Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehn und die ihn durdibohrt haben, und alle Stämme der Erde werden über ihn klagen. Ja, Amen. 8 Ich bin das Alpha und das O, spricht Gott der Herr, der ist und der war und der kommt, der Allherrscher. 4 Das Briefpräskript besteht wie bei jedem antiken Brief aus den drei Gliedern Superscriptio ( = Intitulatio), Adscriptio, Salutatio. Mit seiner ausführlichen Form der Salutatio, durch die es sich vom üblichen antiken Brief unterscheidet, knüpft es sichtlich an das paulinische Briefformular an. (Von daher stammt auch der eine eigenhändige Unterschrift ausdrückende Schlußgruß.) Anders als bei Paulus besteht jedoch die Intitulatio aus der bloßen Namensnennung ohne jede Amtsbezeichnung. Wir können daraus schließen, daß der Verfasser durch seinen Namen ausreichend identifiziert und legitimiert war. Tcodvvrig Der Name erscheint 1,1; 1,4; 1,9; 22,8 jedesmal ohne Amtsbezeichnung. Der Verfasser stellt sich 1,9 ff. jedoch ausführlich als Empfänger eines Auftrags Christi

1,4

Adscriptio — Die sieben Gemeinden

30

vor, und in diesem Zusammenhang betont er den Verzicht auf seine Amtsbezeichnung. Nach 1,9 ist der Verfasser den Gemeinden unbekannt, an die er schreibt; er legitimiert sich durch seinen Berufungsbericht. Wenn der Verfasser von 1,4 dagegen das paulinische Briefformular benutzt, dann ist er den Adressaten bekannt und beansprucht Autorität allein auf G r u n d seines Namens. taig ejtxa exxXriaiaig Talg ev rf| 'Aaiqi Die Asia ist die römische Provinz Asien, die i. J. 129 v. Chr. durch das Testament des letzten Königs von Pergamon Attalos I I I (verstorben 133) an Rom gekommen war. Sie umfaßte das westliche Kleinasien. Bei der augusteischen Neuordnung wurde sie senatorische Provinz (27 v. Chr.). Zu ihr gehörten die die Küste berührenden Landschaften Mysien, Lydien, Karien samt den vorgelagerten Inseln (d. h. die ganze Westküste) und dazu das sich weit nach Osten erstreckende Phrygien. Ob Ephesus oder Pergamon als Hauptstadt anzusehen ist, läßt sich nicht endgültig entscheiden; wahrscheinlich ist Ephesus Vorort der städtischen Selbstverwaltungen, während Pergamon — zumindest zeitweise und vor allem in der uns interessierenden Zeitspanne — Sitz des römischen Proconsuls war. Durch die paulinische Mission gehört die Asia zu den ersten Gebieten, in denen das Christentum sich ausgebreitet hat. Diese paulinische Mission wurde f r ü h ergänzt durch die aus dem Galaterbrief bekannte und mit ihr konkurrierende Mission der Judaisten. Für das zweite Jahrhundert kennen wir kein Gebiet mit soviel kirchlichem Leben, soviel geistiger Auseinandersetzung und vor allem mit so reicher und intensiver Verbreitung des Christentums. Der Grund dafür, daß Johannes an die sieben Gemeinden in der Asia schreibt, ist sicher nicht der, daß es dort nur sieben Gemeinden gegeben habe. Es sind auch nicht die ältesten Gemeinden, an die er schreibt, und so kann eine Frühdatierung das Problem nicht wie angedeutet lösen. Ein Grund f ü r die Beschränkung auf sieben Gemeinden ist zweifellos der Umstand, daß die Siebenzahl in der Apokalypse als gestaltendes Prinzip auftritt und den Verfasser veranlaßt, andere, nicht runde Zahlen, möglichst auf die Siebenzahl hin zurechtzurücken. Vor allem ist aber daran zu denken, daß — wie oben ausgeführt — eine Sammlung von sieben Gemeindebriefen ökumenische Geltung beanspruchen und stellvertretend f ü r eine Zuwendung an die ganze Kirche stehen konnte. Insofern ist die Siebenzahl auf jeden Fall vorgegeben. D a ß es aber sich um die sieben Gemeinden handelt, die durch den bestimmten Artikel als feste Gruppe bezeichnet werden, ist nach dem Gesagten so zu erklären, daß es eben die Sieben sind, bei denen der Verfasser durch die Nennung seines Namens als Autorität legitimiert war. Der Verfasser der Sendschreiben sah in Johannes eine überragende geistliche Autorität f ü r die Gemeinden, an die diese Briefe gerichtet sind. Diese Gemeinden werden eben dadurch, daß sie die Autorität des Johannes anerkennen, zu einem übergemeindlichen Verband zusammengefaßt. X T W V

XUXVICÜV O|XOIOV

ulöv avdpcbjtou Wahrscheinlich ist an S t e l l e v o n

vtöv das besser b e z e u g t e u n d d a r ü b e r hinaus auch noch richtige tiiü zu lesen. I m a l l g e m e i nen sind die V e r s t ö ß e gegen die griechische G r a m m a t i k in der A p o k a l y p s e beabsichtigt. D a m i t ist a b e r auch die A u f g a b e gestellt, in j e d e m F a l l den G r u n d f ü r den V e r s t o ß zu suchen u n d z u finden. H i e r ist der G r u n d f ü r die falsche K o n s t r u k t i o n nicht ersichtlich. W e g e n 4 , 7 l ä ß t sich nicht die T h e s e h a l t e n , der V e r f a s s e r v e r w e n d e o(ioiov w i e cbg; es sei denn, m a n n i m m t a n , d a ß in diesem Stück zwei verschiedene H ä n d e nachzuweisen sind. — D i e W o r t e „gleich e i n e m M e n s c h e n k i n d " beziehen sich a u f D a n 7 , 1 3 cbg 1)105 avöpci)JIOV. D i e verschiedenen Erscheinungen in D a n i e l 7 unterscheiden sich durch i h r e G e s t a l t , u n d die l e t z t e ersdieint „ w i e ein M e n s c h " . A b e r seit dieser u n d durch diese D a n i e l s t e l l e ist aus d e m danielischen Menschensohn eine E r l ö s e r g e s t a l t g e w o r d e n , u n d d a h e r besagt unser T e x t , d a ß dem J o h a n n e s eben der erscheint, den z u v o r D a n i e l i m Gesicht geschaut h a t t e . D e n Sprachgebrauch der A p o k a l y p s e macht 4 , 7 k l a r : das erste, z w e i t e u n d v i e r t e der W e s e n u m G o t t e s T h r o n

ist gleich einem L ö w e n ,

Ochsen u n d fliegenden

Adler

(ö|xoiog); das menschenähnliche d r i t t e W e s e n ist a b e r nicht einem Menschen ( o d e r g a r einem M e n s c h e n k i n d ) gleich, sondern h a t „das Angesicht w i e das eines M e n s c h e n " . Beschrieben w i r d also der, der den H e i l i g e n G e i s t h a t u n d der P r o p h e t e n aussendet, u n d der zugleich der endzeitliche H e r r s c h e r D a n i e l s ist. D i e Beschreibungen

stammen

hauptsächlich aus D a n i e l , z. T . auch aus H e s e k i e l . Evöeövuevov jto8f|pr| H i e r liegen die D i n g e etwas k o m p l i z i e r t e r . U n m i t t e l b a r e r B e z u g besteht a u f den E n g e l f ü r s t e n D a n 1 0 , 5 ff. x a i löoii ävr|ß e I ; EVÖEÖujxevog ß v a a i v a .

An

S t e l l e des Byssosgewandes t r ä g t Christus a b e r in der A p o k a l y p s e das l a n g e O b e r g e w a n d des H o h e n p r i e s t e r s E x 2 8 , 4 . 2 7 ; seinen N a m e n h a t es d a v o n , d a ß es bis a u f die F ü ß e reicht. Dieses G e w a n d t r ä g t S a p 1 8 , 2 4 der endzeitliche F ü h r e r , der göttliche L o g o s , u n d es ist hier als A b b i l d der geistigen W e l t v e r s t a n d e n : Eni y ä g jioör|Qoug Evöv>|XDTOG ?|v oXog o xoo(iog. S i r 2 7 , 8 versinnbildlicht es die B e k l e i d u n g m i t G e r e c h t i g k e i t , x a i it£QiE^M0|iEvov jtQog toig ( l a a t o i g £CÜVT]V XQuaäv A u d i hier geht die B e z i e h u n g über D a n i e l a u f E x odus; D a n 10,5 ( T h e o d . ) K a i f) öacpvig a t i x o i jiEQi^coonevr] ev xpuaicp ' ß c p a t , v g l . E x 2 8 , 8 ; 3 9 , 5 . I m Unterschied v o n der D a n i e l s t e l l e — der E n g e l h a t d o r t k e i n e priesterlichen Z ü g e — ist Christus nach A r t des H o h e n p r i e s t e r s über die B r u s t gegürtet ( v g l . J o s e p h u s , A n t i quitates 3 , 1 5 3 ) . E i n e V e r w e i s u n g a u f das königliche A m t liegt nicht v o r , es sei denn d a r i n , d a ß der G ü r t e l golden ist ( l . M a k k 1 0 , 8 9 ) u n d nicht b l o ß g o l d v e r z i e r t w i e a n den genannten E x o d u s s t e l l e n . Wahrscheinlicher ist h i e r a b e r ein absichtlicher V e r z i c h t

(vgl.

1 , 6 Ejioiriaev t ^ ä g ß a a i X s i a v , iepeig . . ) . S o w i r d m a n n u r v o n der T r a c h t eines königlichen H o h e n p r i e s t e r s sprechen d ü r f e n . 14

f|

ÖE

XE8atcov JIOXXWV nach Dan 10,6 ato|I.a aitoü ÜXJEI ftaXaaarig . . xai cpa>vr| . . Ursprünglich geht der Vergleich auf Hesekiel zurück; 1,24 wird das Geräusch der Flügel so beschrieben, ähnlich 43,2 (nicht in LXX). 16 xal EXCOV EV tfi ÖE^uji X S I P I avtoü aatEpag Ejrta ist nur schwer aus dem AT zu erklären. Bousset verweist hier auf die von A. Dieterich herausgegebene sogenannte „Mithrasliturgie" — in Wirklichkeit kein Mithrastext und keine Liturgie, sondern ein dem Hermetismus nahstehender Zaubertext — in dem nach Beschwörung der sieben Polherrscher unter den Begleiterscheinungen einer gewaltigen Epiphanie der Gott sichtbar wird „übergewaltig, mit leuchtendem Antlitz, jung, mit goldenem Haupthaar, in weißem Gewände, mit goldenem Kranz, in weiten Beinkleidern, haltend in der rechten Hand die goldene Schulter eines Ochsen, das ist das Bärengestirn, das bewegt und zurückwendet den Himmel, stundenweise hinauf- und hinabwandelnd . ( A . Dieterich, Eine Mithrasliturgie, 2. Aufl. 1909 S. 14, ZI. 14 ff.). Es handelt sich hier um den auf dem Pol stehenden Gott, der mit den sieben Sternen des kleinen Bären, die ihm nach Art einer Keule beigegeben

47

Erscheinung Christi

1,16—17

sind, die D r e h u n g der Weltachse und damit alles Geschehen überhaupt regiert. Natürlich k a n n dieser T e x t nicht unsern Vers e r k l ä r e n ; er k a n n aber die Vorstellung illustrieren. Insbesondere lernen w i r daraus, d a ß zwischen den sieben Sternen in der H a n d Christi und den sieben Leuchtern, in deren M i t t e er wandelt, deutlicher zu unterscheiden ist, als V . 2 0 andeutet. N a c h den astralmythischen Vorstellungen, auf die w i r hier anscheinend nicht verzichten können, handelt es sich bei diesen um die Planeten, bei den andern um das Polgestirn des kleinen B ä r e n . — Christus wird durch die sieben S t e r n e in seiner H a n d als oberster H i m m e l s g o t t bezeichnet, der die ganze sichtbare W e l t regiert. D a ß er die Sterne aber in seiner H a n d hält, zeigt ihn in der H a l t u n g der Erleuchtung bringenden Offenbarungsgottheit. D a s alles ist biblischem D e n k e n recht fern. W e n n w i r es mit Recht heranziehen, dann verweist es a u f den Verfasser der sieben Sendschreiben, der die heidnische Religionsgeschichte wenigstens kennt und v o n seiner K e n n t n i s auch Gebrauch macht. Es gibt jedoch audi eine Bibelstelle, die wenigstens in die N ä h e k o m m t ,

Hiob

3 8 , 3 1 „ K a n n s t du die B a n d e des Siebengestirns z u s a m m e n b i n d e n ? " ; sie will sagen, d a ß G o t t allein es ist, der solches vermag. x a i ex toxi a t o ^ a t o g aiixoü gofxcpaia öiaxop,og ö|ela exitopewnivr] D a s Schwert aus Christi M u n d ist das W o r t Gottes J e s 11,4 x a i jtatd^Ei vrjv Tcp ).6yvr|g . . . x a i xaxaitaxr|0exe dvo(¿oug. I m Zusammenhang der vorhergehenden Zeile sagten die zitierten

alttestament-

lichen Stellen bereits aus, d a ß das Niedertreten — das hier bei Maleachi freilidi g e w a l t sam verstanden ist — eine F u n k t i o n des göttlichen Logos ist. D i e P e r i k o p e schließt übrigens mit einem ausdrücklichen Verweis, auf den Gesetzesempfang Moses' a m H o r e b . H i e r in besteht nun die eigentliche Beziehung, die über b l o ß e A n k l ä n g e hinausgeht, n u r mit dem Unterschied, d a ß a u f dem Angesicht Christi das Leuchten selber ist und nicht b l o ß der Widerschein wie auf dem des Moses. 17 D a s Erschrecken des Sehers ist regelmäßiger Bestandteil des Epiphanieberichts (z. B . J e s 6 , 5 ; E z 1 , 2 8 ; D a n 8 , 1 8 ; 1 0 , 9 . 1 1 ; H e n 1 4 , 1 4 . 2 4 ; A p c A b r 1 0 , 2 f f . ) ; d a ß er w i e tot zu Boden f ä l l t , entspricht der Darstellung bei Daniel. Bei den zitierten Berufungsberichten wird nicht nur von der E r f a h r u n g gesprochen, d a ß dem Menschen unter starken E i n drücken die Sinne schwinden, sondern auch der U m s t a n d ins Auge g e f a ß t , d a ß der P r o phet an Stelle der geschwundenen von G o t t mit neuen Sinnen ausgerüstet w i r d , durch die er sein P r o p h e t e n a m t ausüben k a n n . A n unserer Stelle ist noch etwas Wichtiges d a z u gekommen. D i e Wiederbelebung deutet einen A k t der Totenerweckung an. Sie bedeutet eine V o r w e g n a h m e der Auferstehung. Deshalb bezeichnet Christus sich hier als den L e bendigen und als den, der tot w a r und in alle E w i g k e i t lebendig ist. D i e a l t t e s t a m e n t -

1,17—18

Offenbarung des Auferstandenen

48

liehen Wirkungsweisen Gottes als Schöpfer und Richter, der das Leben gibt und nimmt, sind hier auf Christus übertragen; daher nennt er sich den Ersten und Letzten. Der Erste ist er als Schöpfer und ist es auch als erster aus den Toten. Die Übertragung der Gottesprädikate aus Jes 41,4; 44,6; 48,12 (s. z. 1,8) „Der Erste und der Letzte" legt es nahe, dahinter eine bestimmte Auferweckungstheologie zu vermuten. Sie stützt sich auf Hiob 19,25, um zu lehren, Christus habe die Unterwelt geöffnet, die Gefangenen befreit und die Hölle wieder verschlossen. Auf Grund dieses Siegs über die Hölle kann er sich als den „Letzten" bezeichnen und erklären, daß er die Schlüssel des Todes und des Hades habe. Auch der Spruch Mtth 19,30 könnte ursprünglich, bevor ihn der Evangelist anders gedeutet und anders eingeordnet hatte, in diesem Zusammenhang gestanden haben. xai EÖT|XEV TT)V ÖEliav aiiToü ex' £|ie AEYCDV (XT) (poßoi Wer auf wörtlicher Auslegung besteht, der möge sich erinnern, daß Christus in seiner Rechten die sieben Sterne hält. Vorbild der Handauflegung und der Ansprache ist Dan 10,10.12 xai löoxi xeiQ ajtxo¡J.EVT] [XOV . . |XR) epoßov Aavir|A,. Doch kommt die Aufforderung „Fürchte dich nicht!" in der Bibel nicht selten vor; sie häuft sich in Jes 41,10.14; 43,1.5; 44,2, und das ist gerade in der Umgebung der Worte von dem „Ersten und Letzten". iycd et[u 6 Jigwiog xai 6 laxatog ist hier von Gott auf Christus übertragen. Während die L X X nicht in der Lage war, Gott den „Letzten" zu nennen — an keiner der drei Jesajastellen ist j l i n « mit eaxatog übersetzt — ist Gott in Christus so vollständig in die Geschichte eingegangen, daß hier das Prädikat des „Letzten" von ihm ausgesagt werden kann. — Charakteristischerweise hat die L X X auch Hiob 19,25 von Gott nicht als dem „Letzten" zu sprechen gewagt, sondern P~in« sinngemäß (und nach ihrer Theologie auch sachgemäß) mit devao? (d. h. ein „ewiger Erlöser") übersetzt. Erst der Gedanke, daß die Geschichte ein Ende, die Heilsgeschichte ein Ziel hat, macht es möglich, von Gott, der die Geschichte an ihr Ziel bringt, als dem „Letzten" zu sprechen. 18 xai o ^cov gehört aus rhythmischen Gründen noch zur vorigen Zeile; die folgenden Worte sollen das Prädikat erläutern. Es handelt sich dabei um das bekannte alttestamentliche Gottesprädikat, das gleich den andern auf Christus übertragen wird. Mit Recht verweist Lohmeyer auf Joh 5,26 als den „besten Kommentar" dazu. Christi Tod schränkt sein göttliches Leben nicht etwa ein, sondern macht es mitteilbar an die sterbenden Menschen. xai EY£VÖ|J.r|v VEXGÖG xai iöoii E I J H E I ? T O I I ? aimvag T W V aicovcov. „Der Satz verhält sich zum nachstehenden wie der Grund zur Folge" (Bousset). Zunächst ist hier aber die Zuverlässigkeit der christlichen Auferstehungshoffnung ausgesagt, die ihren Beweis in der Auferstehung Christi hat. Es ist übrigens das erste Wort im Zusammenhang der ganzen Vision, in dem Christus sagt, daß E r es ist, der dem Seher erscheint. xai EXCO RAG xtalg xoü ftavatou xai TOÖ $ Ö O V . Das Alte Testament kennt diese Schlüssel noch nicht so, daß eine unmittelbare Bezugsstelle angegeben werden könnte (vgl. aber die Ausführungen zu 3,7). Zur Erklärung der Stelle wird man nicht in erster Linie an einen Höllenfahrt-Mythos denken (nach Art des Abstiegs der Ischtar, Isis, Demeter in die Unterwelt), sondern es geht hier um eine Rüchführung der prophetischen Vollmacht auf Christus, der sie erteilt. Diese Vollmacht kann sich in der Fähigkeit erweisen, Tote zu erwecken; in der Hand Christi wird daraus die Macht zur Auferweckung der Toten. Christus ist hier nicht als Empfänger der Schlüssel und mit ihnen der Vollmacht beschrieben, sondern als der königliche Herr, der diese Vollmacht seinen Dienern verleiht. Ins-

49

Wiederaufnahme des Sdireibebefehls

1,18—20

besondere beruht die Spendung der lebenerweckenden Taufe als Vollmacht auf der Macht Christi, der den Befehl, sie zu erteilen, gegeben hat. 19 YQatpov oiv a eiöeg xai a eiaiv xai a heXXei veveo^ai (xexd taCxa. Vgl. Jes 48,6 a |xeX.X.ei Y i v e a f t e i . Der nun vorliegende Text ist so gemeint, daß die drei Bestandteile des Schreibauftrags sich auf die drei in Frage kommenden Stoffgruppen verteilen: a eIöes geht auf die Erscheinung Christi in der Berufungsvision, a eiaiv meint die Sendschreiben, in denen der gegenwärtige Zustand der Gemeinden erörtert wird, und a (xeXXei yevEcr&ai. (ietd xaura bezieht sich auf die Zukunft, d. h. auf die Fortsetzung der Gegenwart, die dann im Visionsteil des Buches dargestellt ist. Dieser Textzustand ist dadurch entstanden, daß in den Satz xai a Eiaiv eingeschoben wurde. Vor diesem Einschub handelte der ganze Satz nur von dem Auftrag, die Endereignisse, die dem Seher gezeigt werden sollten, auch niederzuschreiben. Die Formel a eiaiv ist analog zu dem ursprünglichen futurischen Ausdruck gebildet. Zuerst hatte der Satz also nur gelautet ypatyov oiv a elßeg ä ueJAei YEVEaftai (XETa zavxa. 20 Der Vers unterbricht den Zusammenhang. Ursprünglidi sollte auf den Schreibebefehl die Niederschrift der Vision, d. h. der Endereignisse folgen. Nach dem Einschub in V. 19 lautete der Befehl nun, zunächst die Sendschreiben niederzuschreiben. Der Glossator, der V. 20 einschob, wird kaum die Absicht gehabt haben, in den Text einzugreifen. Er brachte nur an dieser Stelle, wo nicht nur der Text eine scharfe Zäsur aufwies, sondern vermutlich auch das Blatt zu Ende war, seine Meinung über die Bedeutung der sieben goldnen Leuchter und der sieben Sterne an. Ihm schien ebenso offensichtlich zu sein, daß sie nicht bedeutungsgleich seien, wie daß zwischen ihnen ein enger Zusammenhang bestehen müsse. So wird ihn der in der Nähe stehende Vers 2,5 zu seiner Deutung inspiriert haben. — [ivarriQiov bedeutet in der Apokalypse den verborgenen Sinn (10,7; 17,5.7).

K A P I T E L 2 U N D 3: D I E S E N D S C H R E I B E N Der

Verfasser

Die Vorschaltung der Sendschreiben vor den Visionsteil der Apokalypse läßt sich durch den Vergleich mit dem bei uns üblichen „offenen Brief" erläutern; es handelt sich um die Zuschrift einer für die Öffentlichkeit bestimmten Mitteilung an einen bestimmten Empfänger. Mit den Sendschreiben beansprucht der Verfasser f ü r das, was er zu sagen hat, geistliche Autorität und ökumenische Geltung. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß konkrete Gemeinden in konkreten Situationen ins Auge gefaßt sind, aber diese Gemeinden sind repräsentativ f ü r alle Kirchen, an die das Buch gelangt. Alle Kirchen, bei denen der Verfasser sich Gehör f ü r seine Botschaft verspricht, befinden sich zwischen den Extremen der völlig treuen Gemeinde Philadelphia und der lauen Gemeinde Laodikeia; alle sind bedroht durch Häresie und Schisma und angefochten durch die feindselige Haltung des römischen Staates. Eine wirkliche Motivierung der Sendschreiben in der Berufungsvision fehlt. Die beiden zertrennten Teile des Schreibebefehls 1,11 und 1,19 gehen auf die prophetischen Visionen ein, aber nicht auf die Sendschreiben; diese sind nicht erschaut, sondern nach dem Diktat Christi geschrieben. Ursprünglich bedurfte es auch keiner eigenen Motivierung; erst 4 Hdb. z. N T 16a: Kraft

Verfasser der Sendschreiben

50

dadurch, daß die Briefe nachträglich zwischen Berufungsvision und Hauptteil zwischeneingeschoben wurden, wird der Leser darauf aufmerksam, daß der Schreibebefehl durch die Sendschreiben weder gefordert noch erfüllt ist. Die enge Verwandtschaft der Sendschreiben mit dem Hauptteil des Buches ist nicht zu leugnen; genausowenigläßt es sich aber bestreiten, daß sie sich auch unübersehbar davon unterscheiden, wie im Sprachgebrauch, im Sprachrhythmus und in der Bedeutung der Person Christi, die hier ganz im Mittelpunkt steht, sonst aber sehr zurücktritt. Die Sendschreiben sind aber nun unlösbar mit der Beschreibung der Erscheinung Christi in den Versen 1,11—18 verbunden. Daraus folgt, daß der Verfasser der Sendschreiben zwischen Vers 1,10 und Vers 1,19 einen ihm vorliegenden Zusammenhang aufgebrochen hat, um die Beschreibung Christi in die Berufungsvision einzufügen. Zu welchem Schluß wir auch immer über die Einheit des Verfassers kommen mögen — hier liegt ein nachträglicher Eingriff in einen vorher bestehenden Zusammenhang vor. Diesem Sendschreibenverfasser ist weiterhin auch der Buchanfang „Offenbarung Jesu Christi" zuzuschreiben. Da die ersten Verse des Buches und der Buchschluß auf dieselbe Hand zurückgehen, sind auch sie dem Sendschreiben Verfasser zuzuweisen; dafür spricht besonders der Umstand, daß auch in diesen Partien Christus klar die Zentralfigur ist. Wir kommen auf diese Weise zu dem Ergebnis, daß dem Sendschreibenverfasser die — abgesehen von einigen Zusätzen am Buchsdiluß — abschließende Redaktion der Apokalypse zu verdanken ist.

Der Engel der

Gemeinde

D a die Sendschreiben nadi dem D i k t a t Christi an den „Engel" der jeweiligen Gemeinde gerichtet sind, stellt sich die Frage, wer unter dem Engel zu verstehen sei: ist der Engel ein Engel oder ein Mensch, beschreibt das W o r t „Engel" sein Wesen oder seine Funktion? Man kann eine ganze Reihe von Argumenten dafür aufzählen, daß es sich bei dem „Engel" um einen Engel handelt, aber nur eines davon ist gewichtig und so, daß es sich nicht beseiteschieben l ä ß t : in der Apokalypse sind sonst „Engel" immer nur Engelwesen und niemals Menschen. Freilich, zur Entscheidung der strittigen Frage führt auch dieses Argument nicht, denn seine Einführung läuft auf eine Petitio principii hinaus. Aus dem Sprachgebrauch der Apokalypse darf nicht — oder nur unter dem Vorbehalt der Uneinheitlichkeit — auf den Sprachgebrauch der Sendschreiben geschlossen werden. — Dazu kommt ferner, daß sich die Behauptung auch unmittelbar bestreiten l ä ß t : es läßt sich vermuten, daß der 1,1 und 22,16 genannte Engel ursprünglich einmal der Johannes war, der sich dann mit seinem Namen vorstellt. Wir müssen also damit redinen, daß in den Sendsdireiben und in den beiden genannten Versen der „Engel" doch einen Menschen bezeichnen könnte, auch wenn alle andern „Engel" wirkliche Engel sind. M a n kann nun weiter argumentieren, daß sonst im Neuen Testament nirgends mit „Engel" etwas anders bezeichnet wird als ein himmlisches oder wenigstens dämonisches Wesen. Aber dagegen wäre wieder zu sagen, daß die Beweiskraft von Argumenten aus dem Neuen Testament nicht zu hoch eingeschätzt werden darf. Denn die Apokalypse ist zwar auf das Alte Testament festgelegt, aber nicht auf das Neue; das, was wir darunter verstehen, eine Heilige Schrift Neuen Testaments, gab es zu ihrer Abfassungszeit noch nicht. Für die Argumentation, daß Engelwesen gemeint seien, spricht jedoch der Sprachgebrauch der Apokalyptik. Es ist in den Apokalypsen nicht ungebräuchlich, daß eine Gemeinde durch einen Engel repräsentiert wird. Bei Daniel finden wir den Völkerengel als himmlischen Repräsentanten eines Volkes, der für dessen Schicksal verantwortlich ist; im Henodi und vielen andern Schriften ist die Vorstellung ausgebreitet. In unserm Buch spielt sie K a p . 12 — und verwandte Vorstellun-

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Der Engel der Gemeinde

gen auch Kap. 13 und 17 — eine Rolle. Man braucht das Problem gar nicht auf das Judentum zu beschränken. Die Griechen haben, angefangen beim Daimonion des Sokrates, ähnliche Vorstellungen entwickelt; sie sind zwar nidit so charakteristisch für sie, wie die Engel für das nadiexilisdie Judentum, aber sie wurden doch immerhin gebraucht: die persönliche Tyche, insbesondere die der Herrscher und Gemeinwesen, der Agathodaimon und die persönliche Schutzgottheit. Aber gerade der Sprachgebrauch der Griechen mahnt zur Vorsicht vor schnellen Schlüssen: Piaton heißt als menschlicher Götterbote der „Engel aus der Akademie". Wenn wir diese Argumente zusammenfassen, so werden wir aus der Vorstellungswelt der Apokalyptik und aus dem allgemeinen Sprachgebrauch folgern, daß für den griechischen Leser kein Verständnis der „Engel" näher lag als das, das audi wir mit dem Wort „Engel" verbinden. Dennoch kann es nicht bei dieser Meinung bleiben. Die Schwierigkeiten sind unüberwindlich, die dann entstehen, wenn wir uns als Adressaten der Sendschreiben Engel vorstellen. Wir müssen dann hinnehmen, daß Christus durch die Feder eines Menschen an einen Engel sdireibe. Wie soll man sich ausmalen, daß die Sdiutzengel der Gemeinden von den an sie gerichteten Briefen Kenntnis erhalten, und wie sollen sie ihre Kenntnis für die Gemeinden fruchtbar machen? Warum soll Christus überhaupt den Umweg über einen Engel nehmen, wenn er sich durch die Propheten auch direkt an die Gemeinden wenden kann. Wie stimmt dieses Verständnis von informationsbedürftigen Gemeindeengeln mit der allgemeinen Vorstellung von Engeln als Geistwesen überein? Sicher, auch die Erkenntnis der Engel ist nicht vollkommen, aber ihre Kenntnis von himmlischen Dingen reicht dodi viel, viel weiter als die aller Menschen. Was in den Sendschreiben steht, das, gibt es keinen Grund, Engeln mitzuteilen; dergleichen zu wissen, gehört zum Wesen des Engels. — Schwierigkeiten macht auch die Form. Der Himmelsbrief als Offenbarungsschrift für Menschen macht keine besonderen Vorstellungsschwierigkeiten; als Offenbarungsschrift für himmlisdie Wesen ist die Form undenkbar, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, die die menschliche Mitwirkung der Vorstellbarkeit bereitet. Unter diesen Umständen wird man doch gezwungen, danach zu suchen, ob es denn gar keinen Gemeindebeamten gegeben habe, der den Titel Angelos geführt haben könnte. Nehmen wir die Antwort vorweg: es gibt keinen. Die Sendschreiben scheinen, sollten sie so zu verstehen sein, völlig singulär zu sein. Aber nun läßt es sidi nicht leugnen, daß HyyiXog „Bote" heißt, und daß damit gleichermaßen ein menschlicher wie ein himmlischer Bote gemeint sein kann. So finden wir, daß Haggai (1,13) und Maleachi (1,1; 2,7; 3,1 u. Subscr.) als Boten Gottes, d. h. als Propheten den Titel Angelos führen. In Sinaiticus und Alexandrinus steht unter dem Maleachitext die Unterschrift jipocpr|TTiq ftyyeXog MaXaxiag. Diese Verwendung von äyyelog als Prophetentitulatur war nicht auf Maleachi

beschränkt.

Mal

3,1

i6oi>

IYD)

¿IJAJTOCJTIXXCO

TÖV äyyEWV

FIOU w u r d e

zur

Deutung

der

Erscheinung des Täufers herangezogen; es muß also auch sonst nahgelegen haben, einen Menschen, nämlich einen Propheten, als &yye\o$ zu bezeichnen. Gerade Mal 3,1 ISK'JO n^tr 'JJH lehrt uns aber weiterhin, daß n'fV und IK^O einander so nahekommen, wie äyye/.og und ¿IJ160T0X05. Generell läßt sich sagen, daß im Alten Testament der menschliche Gottesbote (mit einer Ausnahme) nicht dnöatoXo; sondern &yye).og heißt; im Neuen heißt er, wenn, wir den EtiaYveXioxri; beiseite lassen, nicht &yye'Koz, sondern ¿jtöaxoXog. Aber wir suchen ein Gemeindeamt. Man könnte nun so fortfahren, daß man zeigt, wie alle männlichen Gemeindeämter nach dem Modell des prophetischen Amtes entworfen sind und als bevollmächtigte Gottesboten gedeutet wurden. Das gilt nidit nur für Apostel, Propheten und Lehrer, sondern auch für Bischöfe, Presbyter und Diakone. Man könnte schließen, es habe in Kleinasien einen Gemeindeapostolat gegeben, der, um die Konkurrenz mit den eigentlichen Aposteln zu vermeiden, den Amtstitel Angelos und nicht Apostolos geführt habe. Einen ähnlichen Gedanken hat Zahn vertreten und vermutet, hier sei mit dem Engel der sdi"liach ha zibbur als der Vorläufer des Bischofs gemeint. — Dagegen spricht aber doch, daß wir sonst keinerlei Kenntnis von einem Angelos dieser Art haben. Man weiß allerdings von gemeindlichen und übergemeindlichen Ämtern der ältesten 4»

Der Engel der Gemeinde

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Christenheit, die in der Kirche untergegangen sind, die sidi aber bei den Montanisten noch längere Zeit erhalten haben. Daher kann dieser Gedanke nicht widerlegt und somit auch nicht völlig beiseitegeschoben werden, ohne daß er wirklich bewiesen oder wenigstens annehmbar wäre. Im Blick auf all diese Schwierigkeiten ist aber zu fragen, ob a y / e X o ; in den Sendsdireiben nicht einfach der Bote heißen kann und ob damit nidit ein Bote gemeint ist. Angeredet ist in den Sendsdireiben die Gemeinde; das läßt sich nicht bestreiten. Weder ein einzelner noch ein Amtsträger. Vorwürfe wie „die erste Liebe verlassen zu haben", „lau zu sein" und ähnliche, auch die Anerkennungen, gelten — meist eindeutig — der Gemeinde als ganzer. Gewiß, der Bischof repräsentiert bereits die Gemeinde, wenn er sich mit den Presbytern und Diakonen und, besser noch, mit der Schar der Gläubigen umgibt. Aber die altkirchliche Literatur — z. B. Ignatius und die Pastoralbriefe — zeigt uns deutlich, daß zwischen der Anrede an den Bischof und der Anrede an die Gemeinde üblicherweise unterschieden wird. In den Sendschreiben geht aber die Anrede an die Gemeinde und nicht an ihren Repäsentanten. Dazu kommt, daß die Apokalypse dem monarchischen Episkopat ferner steht als beispielsweise Ignatius, und daß daher ihre Neigung geringer noch gewesen sein dürfte, an Stelle der Gemeinde deren leitendes Amt anzureden. Briefe an Bischöfe sdieinen mehr privaten Charakter zu haben; Hirtenbriefe gelten der ganzen Gemeinde und werden auch an die ganze Gemeinde gerichtet. Von Boten der Gemeinden erfahren wir durch Ignatius. Ignatius wird auf seiner Reise durch Kleinasien zweimal von Gesandtschaften der Gemeinden offiziell aufgesucht und bedankt sich dafür. Er fordert die Smyrnäer (Sm 11,2 f.) auf, einen deoiigeaßsuTTi? nach Antiochien zu schikken, der anscheinend zur Hauptaufgabe hat, die Gemeinde von Smyrna beim Bischofsstuhl von Antiochien zu vertreten und Botschaften hin und her zu befördern; d. h., daß er durch seine Gegenwart in Antiochien die Autorität der antiochenischen Gemeinde über die von Smyrna ausdrücken soll. Somit liegt der Schluß nahe, der Verfasser habe Boten der Gemeinden, an die er schreibt, in seiner Nähe gehabt. Vielleicht war seine eigene Autorität groß genug, vielleicht war es eine andere, etwa die einer benachbarten Gemeinde, die Grund dafür war, daß sich derartige Boten versammelten. Die Abschiedsrede des Paulus Act 20,17 setzt ja eine vergleichbare Situation voraus. Das heißt: TÖ> ä.yyi'kfü ist zu übersetzen und zu verstehen „für den Boten" oder „durch den Boten". — Die Apokalypse will in Patmos geschaut sein. Nicht gesagt wird, wo sie geschrieben ist, noch weniger, wo die Sendschreiben geschrieben sind. Man mag sich einen der Orte vorstellen, die wir unter den Sieben vermissen.

Das Formular

der

Sendschreiben

Die Sendschreiben sind offensichtlich gleichartig aufgebaut. Von Briefen unterscheiden sie sich wesentlich. Es fehlen sämtliche Bestandteile des Briefformulars. Als Briefe sind sie nur dadurch zu erkennen, daß der Adressat in dem Schreibebefehl am Anfang genannt ist. Dieser Schreibebefehl ist aber kein Bestandteil des Briefes. Der Empfänger wird im Brief selber nicht mehr genannt. Ein Brief ohne Präskript und Gruß ist kein Brief im eigentlichen Sinn, sondern stellt eine andere Form der Benachrichtigung dar. Dies wird noch deutlicher, wenn man zum Eingang der Sendschreiben übergeht. E r beginnt mit den Worten xaöe Xiyti. Das ist die Einleitungsformel der Botenrede; der Bote erklärt, wer durch seinen Mund spricht. Das Formular der Botenrede ist nicht auf die mündliche Rede beschränkt, sondern immer dann am Platz, wo einer nicht durch seinen eigenen Mund spricht. Die Herrscher des alten Orients bedienen sich daher der Botenrede, wenn sie in Inschriften die Steine für sich reden lassen. Die Botenrede ist uns geläufig als bevorzugte Form der alttestamentlichen Prophetie; die Prophetensprüche werden häufig mit dieser Formel eingeleitet.

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Sendschreiben als Botenrede

In den Sendschreiben zeigt sich nun ein wichtiger Unterschied gegenüber den üblichen Formen der Botenrede und besonders gegenüber der Prophetie: der Name des durch den Boten Redenden wird nicht direkt genannt. Das wäre schon dann auffällig, wenn die Prädikate, die zu seiner Bezeichnung dienen, allgemeinverständlich wären. Denn hier muß Verständlichkeit und Eindeutigkeit bestehen, weil der Bote redet, um Autorität zu fordern. Die kommunikative Funktion ist noch wichtiger als die informative, weil die Information nicht eher zustande kommen kann, bis die Kommunikation in befriedigender Weise hergestellt ist. — Aber die Prädikate des Redenden sind in den Sendschreiben nicht allgemeinverständlich. Sie beziehen sich auf die Berufungsvision und das heißt, auf das besondere Wissen, das die Christen untereinander verbindet und von den andern unterscheidet. Somit ist zu folgern, daß es sich bei den Sendschreiben um chiffrierte Botschaften handelt, wie sie uns aus Märchen und Sagen geläufig sind. Der Redende gibt sidi nicht durch einen Namen zu erkennen, sondern durch ein Symbol, das nur der deuten kann, für den die Botschaft bestimmt ist. Wie nah diese Art zu reden dem apokalyptischen Denken liegt, kann ein Beispiel veranschaulidien, die Anfrage des Täufers an Jesus av EL 6 ¿ E X Ö ( I £ V O ; FL £ T E Q O V J I P O O Ö O X Ä J J I E V ; und die Antwort Jesu. An sidi ist, wenn alle auf einen warten, die Bezeichnung „der da kommen soll" ein Prädikat des Erwarteten. Daher kann auch das Volk Jesus beim Einzug in Jerusalem mit dieser Bezeichnung willkommen heißen. Aber es ist die klare Meinung des Evangelisten, daß das Volk nicht weiß, wem seine Akklamation gilt, und daß es unbewußt Christus seinen Herrschertitel gibt. Daher beantwortet Jesus die Anfrage des Täufers in verschlüsselter Form, die dem Täufer mehr sagt als ja oder nein; sie nutzt das Wissen aus, das Jesus und den Täufer verbindet. Beide kennen die Prophetie, beide kennen die verschiedenartigen und sich widersprechenden Erwartungen. Jesus erklärt, der von Jesaja Prophezeite zu sein, nicht der, den man nach Daniel erwartet. Indem er auf das Ärgernis hinweist, das eben dadurch entstehen wird, daß er anders kommt als erwartet, nimmt er Jes 53 für sich in Anspruch und bezeichnet sich als den, von dem dort die Rede ist. In verhüllter Rede spricht Christus von sich in den Sendschreiben. Die Prädikate sagen wesentliches von ihm aus, sind aber nur denen verständlich, für die sie bestimmt sind. Die Rede gilt Hörern, die „Ohren haben zu hören". Bei diesen Prädikationen ist auffällig, daß sie zumeist zweigliedrig sind. N u n müßte bei zweigliedrigen Prädikationen aber das erste Glied der Name oder das Personalpronomen sein, dem das zweite Glied dann zugeordnet wird. Das ist hier nicht der Fall. Wenn das erste identifizierende Glied aber fehlt, dann kann eine zweigliedrige Prädikation nichts anderes sein als eine absichtlich verstümmelte dreigliedrige. Das heißt: räSe hiyei steht an Stelle von Name + Kopula der Bekenntnisaussage; würde Christus hier unmittelbar und nicht durch seinen Boten reden, dann wären die Sätze mit eyco el|u eingeleitet. Aber in diesem Augenblick ist Christus nodi nicht für alle sichtbar gekommen; er spricht nur durch seinen Boten, den Propheten; daher steht hier nodi nicht die Selbstprädikation des für alle sichtbar Erhöhten, sondern die verhüllende, nur dem Erwählten verständliche Prophetenrede. Es läßt sich vermuten, daß die Prädikate nicht willkürlich, sondern mit Bedacht gewählt sind. Sie scheinen, im Blick auf die besondere Situation der angesprochenen Gemeinde herausgesucht zu sein. Das muß sich bei der Einzelbesprechung zeigen, Auf jeden Fall gehen die Briefe von der Situation der Gemeinden aus. Mit ol8a wird ein Bericht der Momente eingeleitet, die f ü r die Gemeinde sprechen. Dann folgt mit äXXa EX» v.axä croü die Aufzählung der Vorwürfe, die der Gemeinde zu machen sind. Dieses Abwägen von Lobens- und Tadelnswertem könnte fast eine Gerichtsszene symbolisieren, aber es folgt kein Urteilsspruch, sondern eine Mahnung. War das Ergebnis der Erwägung positiv, dann fordert die Mahnung zur Standhaftigkeit auf; wenn nicht, zur Buße. Diese Mahnung wird eingeschärft durch das prophetische „Wer Ohren hat zu hören, der h ö r e . . " . Die Einschärfung erinnert daran, daß nur ein Teil, nur die Erwählten, die prophetische Mahnung wirksam hören kann; sie fordert auf, die Zugehörigkeit zu diesem Teil durch die Tat zu beweisen. — Das Schreiben findet sein Ende mit dem Uberwinderspruch. Dieser Spruch

2,1-7

Ephesus

54

kehrt zur Situation der Gemeinde zurück und erinnert, daß die Gemeinde im Kampf steht; so nennt er den Siegespreis. Diese Siegespreise gehören zu den schwersterklärbaren Stellen im ganzen Budi. Es läßt sich aber sagen, daß sie in ähnlidier Weise auf das Ende des Buches bezogen sind, wie die Christusprädikate auf seinen Anfang. Damit weisen sie auf die planvolle Komposition des Ganzen hin, auf die Bedachtsamkeit, mit der die Sendschreiben eingefügt wurden; sie geben damit sogar Grund zu der Vermutung, daß der Sendschreibenverfasser der ist, der auf das Werk den stärksten Einfluß genommen hat, und der ihm vor allem seine kunstvolle Form gab. Allgemein läßt sich sagen, daß die Gemeinden in Anfechtung leben, freilich verschiedenen Grades und verschiedener Ursache. Ephesus war in der Gefahr, durch Lügenapostel verführt zu werden; es hat zwar diese Gefahr bestanden, aber die erste Liebe verlassen. Smyrna wird durch Leute versucht, die vorgeben, Juden zu sein, aber es nicht sind. In Pergamon hat die Versuchung darin ihren Grund, daß dort der Thron Satans steht. Äußere und innere Gründe sind es also, die die Versuchung ausmachen und die die Gemeinden gefährden. Staat und Heidentum, Schisma und Häresie, dazu geistlicher Überdruß — es sieht so aus, als sei es die Absicht des Verfassers gewesen, einen Katalog der gemeindlichen Hauptnöte aufzustellen. Dann werden Tugenden genannt, die den situationsbezogenen

Sünden als deren Gegenteil entsprechen. Wir

vermuten,

Johannes habe hier alles an Sünden und Tugenden aufgezählt, was ihm wesentlich und vordringlich erschien; es sei aber nicht seine Absicht gewesen, die Grundlage für eine christliche Ethik zu schaffen. Hier kommt vielmehr eine besondere Situationsethik zum Ausdruck, die die allgemeine christliche Ethik als Selbstverständlichkeit voraussetzt.

2,1—7 Ephesus Ephesus lag ursprünglich in einem an der Mündung des Kaystros von zwei Gebirgszügen gebildeten Winkel. Die Stadt hatte vom 7. vorchristlichen Jahrhundert an Bedeutung; daß sie sie verlor, kam mehr durdi die Verlandung der Küste und ihre Verschiebung nach Westen um 10 km, als durch politische Ereignisse. Hochberühmt war sie durch den in die archaische Zeit zurückreichenden Bau des Artemisions, des Dianatempels; das bekannte Kultbild war demgegenüber relativ jung. — 113 v. Chr. wurde Ephesus römisch. Die Kaiserzeit brachte der Stadt eine neue Blüte, so daß sie Ursache hatte, sich im Kaiserkult hervorzutun. Führend war die Stadt auch im christlichen Kult. Gleich Johannes nennt sie Ignatius an der ersten Stelle und zeigt damit, daß er die Gemeinde als führend in der Asia ansieht. Diese führende Rolle spielte Ephesus von Anfang an dadurch, daß es Zentrum der paulinischen Mission geworden war. Danach scheinen auch andere auf Kleinasien gerichteten missionarischen Bestrebungen hier die Errichtung von Stützpunkten versucht zu haben. Es sind aus der Urgemeinde bekannte Namen, sowohl der Judaisten, als auch der Hellenisten, die nach der Zerstreuung der Hellenisten und dem Auszug der Urgemeinde mit Bezug auf Ephesus wieder auftauchen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen, von denen wir noch einige Reflexe ausmachen können; besonders scheinen die Streitigkeiten mit den „Aposteln" und „Sendboten", von denen Johannes und Ignatius berichten, derartige konkurrierende Missionen zur Ursache gehabt zu haben. Jedoch scheint die paulinische Mission die größte Bedeutung behalten zu haben. Im Osterstreit zwischen Rom und Kleinasien ist der Bischof von Ephesus federführend für die Provinz (Euseb, h. e. 5,24); der Osterstreit selber läßt sich als Streit um den Führungsanspruch innerhalb des Bereichs der paulinischen Mission deuten: anders als die Korinther waren die Epheser nicht geneigt, die römische Führung anzuerkennen. Zu diesen auf die Gewinnung von Ephesus gerichteten missionarischen

55

Ephesus

2,1

Bestrebungen kommen auch die Werbungen der Gnostiker. Die bekannte Anekdote von der Begegnung des Johannes mit Kerinth (Iren. haer. 3,3,4) spielt in Ephesus. Irenaeus berichtet anschließend auch die Begegnung zwischen Polykarp von Smyrna und Markion. Diese Geschichte wird man sich zwar nicht in Ephesus vorstellen, kann ihr aber entnehmen, daß Irenaeus an Gnostiker denkt, die die ephesinisdie Gemeinde abgewiesen hat. Trotz seiner entschlossenen Absage an den Gnostizismus ist Ephesus aber nicht dem Montanismus zugefallen, sondern hat eine mittlere Linie zwischen beiden eingehalten und ist so ein Hort der Rechtgläubigkeit geblieben. 2,1 Schreibe dem Engel der Kirche zu Ephesus! Das spricht, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der inmitten der sieben goldnen Leuchter wandelt. 2 Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Harren, und daß du Bösewichter nicht ertragen kannst. Und du hast die geprüft, die sidi selber Apostel nennen und sind es nicht, und hast in ihnen Lügner gefunden. 3 Und du hast Geduld und hast ertragen um meines Namens willen und bist nicht müde geworden. 4 Aber ich habe gegen dich, daß du die erste Liebe verlassen hast. 5 Gedenke, von wo du gefallen bist, kehre um und tue die ersten Werke. Wenn nicht, komme ich dir und werde deinen Leuchter von seinem Platz entfernen, wenn du nicht umkehrst. 6 Dies aber spricht für dich, daß du die Werke der Nikolaiten hassest; die hasse auch idb. 7 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. Ich werde dem Sieger vom Lebensbaum zu essen geben, der 'im Paradiese Gottes steht. 1 Die Selbstbezeichnung Christi nimmt 1,13 und 1,16 auf; die Zusammenziehung „der sieben Sterne und der sieben Leuchter macht übrigens wahrscheinlich, daß 2,1 von derselben Hand geschrieben ist, wie 1,20" (Bousset). Bousset vermutet, das Attribut jieqijtatöiv sei mit Beziehung auf 2,5b gewählt. 2—4 Die Bedeutung der Begriffe iQya, xöjiog, vjiohovt] ergibt sich zunächst aus ihrer gegenseitigen Auslegung in den Versen 2—5a; sodann aber aus einer merkwürdigen Pa-

2,2—4

Ephesus

56

rallele zu unserer Stelle in l.Thess 1,3, bei der sich sogar das (mmoveve aus 5a wiederholt: fxvT]|iov£vovT£5 IJ-IWV TOÖ Eßyou TFJG jtioTecog xai TOV XÖJTOU TF)5 DYANRIG xai Tfjg iuto(iovfjc; Tfjg eXjuöog. Zu Glaube—Liebe—Hoffnung sind tgyov—xoiiog—i)jto|^ovr) in Parallele gesetzt und aufeinander bezogen; es handelt sich offensichtlich um zwei Aspekte der jeweils selben Tugend, nämlich um den geistigen und den sittlichen Aspekt. Mindestens ebenso deutlich wie bei Paulus kommt in unserm Text zum Ausdruck, daß es sich bei all diesen Begriffen nur um die Beschreibung der christlichen Haltung als Gesinnung und Verhalten handelt. Das heißt, daß bei dem Versuch einer allzu genauen Differenzierung und Abgrenzung im Grunde nur eine Verkürzung dessen herauskäme, was hier gemeint ist. Die genannte begriff liehe Unschärfe läßt sich übrigens beweisen: egya kann in 2a und 5a nicht genau denselben Inhalt haben. Denn in 2a werden die Werke der Gemeinde anerkennend gelobt, in 5a wird ihr Fehlen bemängelt. — In 2 ist Igya der Oberbegriff zu X O J I O 5 und ujio|iovr|. Nach 4 und 5a müßten die „Werke" audi die JIQCDTT] A Y A ^ T ) umfassen. Was mit dem allem gemeint ist, ergibt sich zunächst daraus, daß die Gemeinde bestimmte Leute abgewiesen hat. Die Tugend der vjio|xovr| ist also keine Geduld in unserm Sinn, sondern eher eine heilige Ungeduld. Sie bezeichnet die unerschütterliche Standhaftigkeit, das Ausharren in den Anfechtungen, von denen hier die Rede ist. Die Gemeinde hat Leute geprüft, die den Anspruch erhoben, Apostel zu sein, und hat gefunden, daß dieser Anspruch unberechtigt war. Die Apokalypse ist gegenüber dem Apostolat recht zurückhaltend. Das Wort „Apostel" kommt außer unserer Stelle nur noch 18,20 und 21,14 vor; an diesen beiden Stellen rechnet der Verfasser anscheinend nicht mehr mit der Existenz von Aposteln. Bei dem Sendschreibenverfasser steht es damit etwas anders. Er setzt nicht voraus, daß die Existenz von Aposteln prinzipiell unmöglich sei (wie etwa der Verfasser des Muratorischen Fragments, der die Zeit der Apostel für beendet hält); es gibt Apostel, aber sie müssen sich die Prüfung durch die Gemeinde gefallen lassen, die dabei von ihrer Fähigkeit zur Diakrisis Pneumaton Gebrauch macht. Man wird bei aller Vorsicht vermuten dürfen, daß die Apostel mit den später genannten Nikolaiten in Zusammenhang stehen. Nach allem, was wir von diesen wissen, ist es wahrscheinlich, daß sie Apostel ausgesandt haben. Überraschend ist, daß Ignatius nahezu denselben Sachverhalt beschreibt: (Eph 9,1) „Ich habe erfahren, daß einige von dort mit einer schlechten Lehre bei euch vorbeigezogen sind. Die habt ihr nicht aussäen lassen, sondern habt die Ohren verstopft . . " Vielleicht läßt sich für beide Texte, den Epheserbrief des Johannes und den des Ignatius vermuten, es habe sich bei jenen Durchreisenden um Vorläufer des Kerinth und Markion gehandelt. Darüber unten ausführlicher. Johannes sieht im Wirken dieser Gruppe die denkbar größte Gefahr für die Gemeinde. Daher hebt er immerhin dreimal ihre Tugend hervor: sie kann die Bösen nicht ertragen, sie hat die falschen Apostel überführt, sie haßt die Werke der Nikolaiten. Aus dieser Abneigung heraus hat sie — ähnlich dem Lob des Ignatius — die Bedrohung und Gefahr überwunden. Aber nun ist den Ephesern auch ein Vorwurf zu machen: sie haben die erste Liebe verlassen. Dieser Vorwurf wiederholt sich, nämlich in der Bußmahnung; die Epheser sollen die ersten Werke wieder tun. Was ist darunter zu verstehen? Man wird nicht vorschnell „Liebestätigkeit" für „Liebe" einsetzen dürfen; das Verständnis wäre nicht nur singulär in der Apokalypse, sondern läge auch außerhalb ihres Interessenkreises. Man wird vielmehr davon auszugehen haben, daß für den Verfasser das alttestamentliche Bild der

57

Ephesus

2,4-5

Ehe Gottes mit dem Volk von großer Bedeutung ist, und daß die Deutung der eschatologischen Gemeinde als der Braut Christi im Zentrum der Erwartung steht. Man wird ferner daran denken, daß in keiner Schrift der ältesten Kirche dieses Bild so sehr theologisch benutzt und ausgedeutet ist, wie im deuteropaulinischen Epheserbrief. Nun kann man freilich nicht den nahliegenden Schluß ziehen, es seien doch Irrlehrer in die Gemeinde eingedrungen; diese Gefahr war gerade gebannt. Aber man kann fragen, was — im Sinne unseres Verfassers — die erste Liebe, d. h. den Zustand nach der Bekehrung kennzeichne. Man wird sich bei der Antwort dann nicht auf ein aktives Gemeindeleben beschränken dürfen, sondern muß — nach Paulus und der Apostelgeschichte — feststellen, daß es der Reichtum an Geistesgaben ist, der die erste Liebe charakterisiert. Die Tätigkeit der Prophetie und der andern Charismen scheint in Ephesus erschlafft zu sein. Was dem Johannes Sorgen macht, ist das Problem des Übergangs vom Charisma zur Institution, das Problem, mit dem sich die Christenheit in dieser Zeit an der Schwelle des zweiten Jahrhunderts auch sonst überall herumzuschlagen hat. — So verstehen wir auch die Sorge des Johannes als Haltung zwischen zwei Extremen: die Erneuerung der urgemeindlichen Zustände gefährdet die Gemeinde im Hinblick auf die Häresie; deren Ablehnung läßt das geistliche Leben erschlaffen. Johannes ist weit davon entfernt, der Gemeinde sittliche Vorwürfe zu machen. Er lobt ihre Orthodoxie und tadelt ihre geistliche Kälte; es ist ein Dilemma, das sich nicht umgehen oder beseitigen läßt. Die Gemeinde hat sich zwar fremden Einflüssen verschlossen, aber zugleich auch dem geistlichen Leben, das ihre eigene Vergangenheit gekennzeichnet hatte. 5 |xvri(iö|j.eD£ oiv jiöftev jtEjrtcoxag nimmt Jes 14,12 auf jitog e§ejtsaev ex t o i ovgavoü 6 EcompoQog ö jTpcot dvateXXcüv. Das Wort scheint auch außerhalb unserer Stelle zur Bußmahnung gebraucht worden zu sein: Gal 5,4 oitivEg e| /ägitog e^ejie(J(ite. Die alttestamentliche Wurzel verdient eigens Hervorhebung, weil dieser Ruf zur Umkehr sonst für gnostische Texte charakteristisch ist und dort darum einen zentralen Platz annimmt, da der Fall mit der materiellen Schöpfung identisch ist. Lohmeyer macht auch auf Cic. ad Attic. 4,16 aufmerksam: non recordor unde ceciderim sed unde surrexerim. xai |xexavöriaov xai t ä jtQCüTa Eg-ya jtoir|aov fordert auf, die Geistesgaben wieder in Tätigkeit zu setzen und wirken zu lassen wie in der ersten Zeit. Andernfalls besteht die Gefahr, daß die Flamme des Geistes völlig erlösdien werde, ei öe (ifj, EQ/opm aoi xai xivr|cra> tr|V X/uxviav aov ex t o i xojioi) atnfig. Das Wort ist von Sach 4,1—14 aus zu erklären. Sacharja sieht in der Vision einen siebenarmigen Leuchter, gleich dem Kultgerät, und die sieben Lichter werden als die sieben Augen Gottes gedeutet Ejttd oijtoi öcpöaX|ioi y/ugtou eictiv oi ejtißXeitovteg Ejti jtäaotv rr)V Yfjv (4,10). Die Vorstellung ist, daß alles Licht von Gott ausgeht und daß Gott den erleuchtet, den er anblickt. Diese Vorstellung ist in der Zeit der Apokalypse weiter verselbständigt; es sind göttliche Geister, die die Rolle von Gottes Augen spielen. Schriftgrundlage für diese Deutung war Ps 104,4(103,3) „der Du machst Winde zu Deinen Engeln / und zu Deinen Dienern Feuerflammen" 6 itoiüjv xoijg äyyiJ.ovt; aiiTOÜ jiveii|iata / xai toxig XeiToupyovg avtov irüg cpXeyov. Dieses Licht ist nun in unserm Text mit dem von Gott ausgehenden Heiligen Geist gleichgesetzt. Wenn die Epheser, sagt Christus, ihre Geistesgaben weiterhin so schlafen lassen, wie bisher, dann wird er ihnen die Quelle ihres Geistes entziehen; um es mit den Worten Sacharjas zu sagen: Gott wird sie dann nicht mehr anblicken. Es geht um den Zusammenhang zwischen dem von ihnen ausgehenden und dem ihnen zufließenden Licht; weil sie nicht glänzen wollen, wird Gott sie nicht mehr erleuchten. Das Licht des Leuchters ist nicht ihr eigenes Licht, sondern das

2,6-7

Ephesus — Verstockungstheorie

58

Licht Gottes; der Geist der ersten Liebe ist nidit ihr eigener Geist, sondern der Heilige Geist — dem sollen sie wieder Raum geben. 6 akka xovxo Ixst?, öxi ¡iioeig xa egya xcöv NwoXaixwv, ä •x.äyih mow. Die alttestamentliche Bezugsstelle ist Ps 139(138),21 xoiig ¡iicovvxdg ae xüpie e(xiar|aa. Über die Nikolaiten s. d. Exkurs weiter unten. 7 o Ixcov oig dxovodxü), xi xo jrvei>|j.a Xiyei xaig ExxXiiaiaig. Der Spruch „Wer ein Ohr hat soll hören, was der Geist den Gemeinden sagt" spricht ausdrücklich die Erwählten an, denen die Ohren geöffnet sind. Er weist damit auf einen besonderen, nicht zutage liegenden Sinn hin, der sich an dieser Stelle findet. Damit ist wahrscheinlich der Überwinderspruch gemeint. Die Sentenz macht überall, wo wir sie finden (in den Sendschreiben und 13,9; 21,7; 22,2) darauf aufmerksam, daß in der Nachbarschaft ein Prophetenspruch steht, und daß zu erwarten ist, daß nur wenige Auserwählte ihn hören, d. h. ihm gehorchen. Die Entwicklung der prophetischen Verstockungstheorie läßt sich unmittelbar ablesen, wenn man in der Konkordanz die Stellen nachschlägt, an denen von den „Ohren" die Rede ist. Die Propheten mußten sich ja mit der Tatsache auseinandersetzen, daß das Wort Gottes, dessen Mächtigkeit nicht zu bezweifeln war, bei den einen seine Wirkung tat und bei den andern nicht. Sie mußten davon ausgehen, daß es nicht der menschliche Bote war, sondern Gottes Wort selber, das den Gehorsam wirkte. Von dieser Voraussetzung mußten sie schon darum ausgehen, weil sie selber die Erfahrung gemacht hatten, daß der Mensch vom Gotteswort überwältigt wird. Gerade sie hatten sich von Gott gegen ihren menschlichen Willen nötigen lassen, ihren Auftrag auszuführen. J e mehr sie also davon überzeugt waren, daß das Gotteswort selber durchaus in der Lage war, sich Gehorsam zu erzwingen, desto mehr stellte sich ihnen das Problem, warum dieser Erfolg bei einigen eintrat und bei anderen nicht. Es genügte nicht zu sagen, die Betreffenden hätten sich die Ohren zugehalten; wenn der Erfolg nicht eintrat, dann mußte gefolgert werden, daß Gott ihn nicht gewollt hatte. D a aber gleichzeitig die Vorstellung vom universalen Heilswillen Gottes zu entstehen im Begriff war, traten hier zwei theologisch wohl begründete und einleuchtende Sätze in starke Spannung zueinander. Dabei kam schließlich heraus, daß Gott wegen des beharrlichen und fortgesetzten Ungehorsams einiger diese verstockt, d. h. unfähig zur Umkehr gemacht habe, daß Gott also das Gericht vorweggenommen habe. Damit war zugleich gesagt, daß nur ein Kreis Erwählter zur Umkehr fähig war, eben der mit „Ohren" begabte, d. h. mit der Fähigkeit, den Bußruf zu vernehmen und sich von Gott zur Umkehr bewegen zu lassen. Auf diese Weise erhält der R u f zur Entscheidung seine äußerste Dringlichkeit. Noch größer als die Gefahr, vom Gericht überrascht zu werden, ist die Gefahr der Verstockung. J a , durch die Verstokkungstheorie erhält der Gerichtsgedanke überhaupt erst seine Aktualisierung. D a ß die Konstruktion sich dennoch nicht allenthalben durchgesetzt hat, lag nicht daran, daß sie nicht folgerichtig gedacht gewesen wäre, sondern daran, daß sie die Ernsthaftigkeit von Gottes Heilswillen in Frage zu stellen schien. Daher findet sie sich in der alten Kirche zumeist dahin rationalisiert, es sei das jüdische Volk gewesen, das der Verstockung anheimgefallen sei, während die Heiden sich der Gnade Gottes geöffnet hätten. Aber auf die Dauer befriedigte dieser Ausweg nicht, und so zog dann, wenigstens im Abendland, die augustinisdie Vorstellung der Gnadenwahl die letzte Konsequenz und gab dem Gedanken seinen notwendigen Platz im christlichen Dogma.

59

Ephesus — Überwindersprudi

2,7

T

iou. Mehr Einzelheiten bringt das Schreiben nach Thyatira. An der Spitze der noch zur Gemeinde gehörenden Gruppe steht eine Frau, die Jesabel genannt wird und die erklärt, sie sei eine Prophetin. Diese Prophetin verführt hier, wie es heißt, die Gottesknechte. Es handelt sich in diesem späteren Zentrum des Montanismus um eine ganze Prophetengruppe, in der die Jesabel die führende Rolle spielt. Wie die Frau in Wirklichkeit geheißen hat, erfahren wir natürlich nidit. Sie könnte — beispielsweise — Prisca geheißen haben. Aber in der Asia wußte man, wer gemeint war. Wir müssen zugeben, daß wir nicht wirklich erfahren, was den Nikolaiten eigentlich vorzuwerfen ist. „Unzucht und Götzenopferessen" sind Synonyme; es sind Vorwürfe, wie man sie wohl audi dem Apostel Paulus gemacht hat. Wenn wir wirklich schließen dürften, daß die Gruppe dem Bekenntnis abgeneigt war, und wenn wir wirklich vermuten dürften, daß sie gnostisdie Lehren vertreten habe, dann müßte man sagen, es habe sich um Gnostiker einer der älteren Sdiulen gehandelt. Aber man wird solche Vermutungen nur mit aller Vorsicht äußern. Es handelt sich da mehr um Illustrationen als um wirklidies historisches Wissen. 3 , 1 — 6 Sardes Sardes,

die alte lydisdie Königsstadt,

war

133

an R o m

gekommen.

Die

Stadt

hatte durch das große Erdbeben 17 n. Chr. schwer gelitten und war unter Tiberius wieder aufgebaut worden. Claudius hatte eine Wasserleitung errichten lassen. Sardes war

75

Sardes

3,1—6

als Umschlagplatz für Woll waren bekannt; vielleicht spielen die weißen Gewänder V. 5 darauf an. 3,1 Schreibe dem Engel der Kirche zu Sardes! Das spricht, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne. Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, du lebest, und bist tot. 2 Werde wach und stärke den Rest, der sterben will. Denn ich habe deine Werke nicht erfüllt gefunden vor meinem Gott. 3 Nun gedenke, wie du es empfangen und gehört hast, und bewahre und kehre um! Wenn du nicht wachsam bist, komme ich wie ein Dieb, und du weißt nicht, zu welcher Stunde ich über dich komme. 4 Aber du hast wenige Namen in Sardes, die ihre Gewänder nicht befleckt haben. Und sie werden mit mir in weißen Kleidern wandeln, denn sie sind es wert. 5 Der Sieger wird so mit weißen Gewändern bekleidet, und ich werde seinen Namen aus dem Lebensbuch nicht tilgen und werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! 1—2 o E X I O V TOI ejitä Jtveii|xata xoü deoü xai xoiig E J T T Ä äaxegag. Die Attribute Christi beziehen sich nicht auf die Gerichtsdrohung in diesem Schreiben, sondern stehen noch in Zusammenhang mit dem vorhergehenden Überwinderspruch. Sie zeigen noch Christus als den Bringer des Heiligen Geistes und der Erleuchtung, olöa aov t a egya, öti ovo|xa e/.eig 8ti £ F I S > xai vexQÖg el. yivov yQr\yoQü)v, xal axripiaov t a Xouta a EHEXXOV ajio'ftotveiv. Die Werke sind die Summe all dessen, was zugunsten der Gemeinde vorzubringen ist. Sie bestehen darin, daß die Gemeinde „den Namen hat, daß sie lebe". Das ließe sich wohl audi von einem einzelnen sagen, aber im Zusammenhang der Sendschreiben wird deutlich, daß die Werke immer die Werke der ganzen Gemeinde sind. Daher kann „der Name, daß du lebst" nur den Ruf der Gemeinde meinen; Sardes steht in dem Ruf, eine besonders lebendige Gemeinde zu sein. Damit erklärt sich, warum Christus hier bei Prädikaten für sidi geblieben ist, die ihn als Bringer des Heiligen Geistes bezeichnen. — Aus den genannten

3,2-3

Sardes

76

Gründen ist es nicht möglich, den „Namen, daß du lebst" auf den Eigennamen zu beziehen, den der Engel der Gemeinde trägt. (Man hatte vermutet, der hier angeredete Gemeindeengel habe Zosimus, Zoticus oder ähnlich geheißen.) Vielmehr muß man hier die ganze Gemeinde angeredet sein lassen. Die Gemeinde hat den Namen, daß sie lebe, aber nur den Namen; Christus weiß, daß sie tot ist. Eine „lebendige Gemeinde" im Sinn des Verfassers ist nicht das, was wir darunter verstehen; wir hätten das, was hier gemeint ist, eher als eine „erweckte Gemeinde" bezeichnet. In Sardes scheinen die Geistesgaben fleißig genutzt zu werden; Prophetie und Zungenrede scheinen zu blühen. Aber all das geistliche Leben ist nur Schein; es fehlt im entscheidenden Punkt, nämlich die Bekenntnisfreudigkeit der Gemeinde läßt zu wünschen übrig. „Tot sein" (oder „schlafen") und „wachen" sind technische Termini, die sich auf die große esdiatologische Versuchung beziehen. Diese Versuchung besteht in verschiedenen Nöten und Verführungen, die auf vielerlei Weise zum Abfall drängen. Hier wirkt der Zwang des heidnischen Staates, hier wirken aber auch Sekten und falsche messianische Gestalten, um die Auserwählten zu verführen. Sie würden sie zum Abfall bringen, wenn das möglich wäre, nämlich wenn die Gnade Gottes sie nicht hielte. Der Weckruf der Apokalyptik ist von dem Weckruf der Gnosis zu unterscheiden, auch wenn der Übergang von der einen in die andere Vorstellung leicht geschehen konnte. Der apokalyptische Weckruf ergeht im letzten Augenblick; er fordert auf, wenigstens vor dem Ende, vor der Wiederkunft Christi wach zu werden. (In der Gnosis spielt die Zeit keine Rolle; darum nötigt sie dort auch nicht.) Daß hier ein Mensch und kein Engel angeredet ist, ergibt sich auch daraus, daß die andern Gemeindeglieder als „der Rest" zusammengefaßt werden. Man darf nicht bis ins einzelne nachrechnen; die ganze Gemeinde gilt als tot, der Gemeindeengel wird zur Wachsamkeit aufgerufen und soll nun die andern stärken, die dabei sind, zu sterben. Warum t a Aouta im Neutrum steht, erklärt sich, wenn wir die zugrunde liegende Ezechielstelle (43,4) betrachten. Dort geht es um die Schafe und ihre schlechten Hirten; daher ist hier zu Xoiita entsprechend itQÖßaxa zu ergänzen. — Im übrigen ist auch in Sardes ein heiliger Rest, der 3,4 gelobt wird; der Gemeindeengel gehört allerdings nodi nicht dazu, oü yaQ eSprixd aov Igya nEJt>.T)Q(jO|ieva evcojuov toC fteoü |xou. „Werke" kann man nicht erfüllen, wohl aber Gebote; erfüllte Gebote sind Werke. „Werke" ist in der Apokalypse sehr oft ein prägnanter Ausdruck mit dem Sinn „erfüllte Gebote". „Vor meinem Gott" steht im Gegensatz zu dem Namen, den die Gemeinde in der Öffentlichkeit hat. Der geistliche Betrieb, der der Gemeinde zu dem Namen verholfen hat, daß sie lebe, reicht doch nicht aus, die Forderungen Gottes zu erfüllen. — Daneben wäre es denkbar, daß hier besonders die Gebote Gottes gemeint sind, Gebote also, die jeder gottesfürditige Mensch kennt und halten muß. Am wichtigsten davon ist das Verbot des Götzendienstes. 3 hvt)h6vede OVV iteög eiXricpag xal rixouaag Der Wedisel des Tempus ist in Rhythmus und Klang begründet; der Ausdruck ist kennzeichnend für das ästhetische Empfinden des Verfassers. Der Verstoß gegen die griechische Consecutio temporum läßt ihn kalt. Empfangen ist das Gebot am Sinai; gehört wird es im Gottesdienst. Das eine ist ein einmaliger Akt in der Vergangenheit, das andere geschieht regelmäßig und steht darum im Aorist, xal xripei xal [i.eTavor]Y|XEVT] ev t ü oiigavw. Der Himmel ist ähnlich wie in der Schöpfungsgeschichte als eine Kuppel vorgestellt; in dieser Kuppel erblickt der Seher die geöffnete Tür. Zur „Tür" vgl. 3,8; es handelt sich um die Himmelstür, die sich geöffnet hat, um die Offenbarung zu ermöglichen. Die geöffnete Tür drückt eine prophetische Erfahrung aus; sie steht für den geöffneten Himmel. Die Öffnung des Himmels ist durch Hesekiel (1,1) in die prophetische Literatur eingeführt worden; sie findet sich in Berufungsgeschichten wie der Taufe Jesu (Mtth 3,16 parr), der Vision des Stephanus (Act 7,56) ibov •&Ecopcö Toiig ovpavoiig öirivoiYnivovg und der des Petrus (Act 10,11). Durch die Öffnung des Himmels wird die Situation der Beauftragung eines Propheten angedeutet. xal r) q)a)vr) f) jtQ(i)TT) fjv r|5iouaa (bg aaXmyyoi; XaXoi)ar|g |xet' e[xoü Xeycov Dies ist nun der andere regelmäßige Bestandteil der Berufungsvision, die Himmelsstimme. Diese berufende Himmelsstimme war bereits 1,10 erklungen. Hier redet sie noch einmal, weil die Einfügung der Berufungsvision des Johannes und der Sendschreiben den ursprünglichen Erzählungsfaden zerrissen hatten. Wir sehen daraus, daß ursprünglich die Berufung des Johannes sehr viel knapper berichtet War, als im vorliegenden Buch. Die Erzählung fährt nun da fort, wo sie (1,10) durch die Einfügungen unterbrochen worden war, d. h. durch die Beigabe der Christusvision und der Sendschreiben, avaßa uöe xai 8ei|co aoi a öei YEveadai |i£tä taCta. Ursprünglich hatte hier das a öei yzxiaücu ev xaxei von 1,1 gestanden. (iEtd t a i t a ist sinnlos, weil in diesem Augenblick noch nichts geschehen ist; die Ereignisse nehmen erst ihren Anfang. Der Redaktor hat die Sendschreiben formal behandelt, als seien in ihnen Endereignisse dargestellt. Dem Propheten soll, wie zu 1,1 ausgeführt wurde, mitgeteilt werden, was Gott in Bälde tun wird; er soll von Anfang an Zeuge des göttlichen Willens werden. Zu diesem Zweck wird er aufgefordert, sich an die Himmelstür zu begeben, damit er zunächst sehen kann, was sich in Gottes Thronsaal abspielt und was von hier aus seinen Anfang nimmt. 2 evOscog EY£vö(ir|v ev jivet)|a.ati Der Seher wird in Ekstase versetzt. Der Prophet ist nicht mächtig, nach seiner Willkür Offenbarungen zu empfangen, sondern muß auf seine Vocatio specialis warten. Die geschieht durch die Himmelsstimme, die ihm den geöffneten Himmel zeigt und ihn in Bereitschaft zum Offenbarungsempfang bringt. Der Zustand, in den der Prophet gerät, heißt ev jiVEVUtm. Das Pneuma ist dabei als ein alles durchdringendes feines Medium verstanden, das nun den Propheten in sich aufnimmt. Dergestalt kommt der Geist über ihn und versetzt ihn in den Zustand der Wahrnehmungsfähigkeit, in dem sich eben der Geist befindet. Da der Seher „in Geist" gerät, wird seine Wahrnehmungsfähigkeit entsprechend ausgedehnt. Anders als beispielsweise bei Hermas ist hier keine leibliche Entrückung angedeutet. Man braucht sich weder vorzustellen, ein Sturmwind habe ihn ergriffen, um ihn an die Himmelstür zu bringen, noch eine andere Ortsveränderung auszumalen. Es genügt dem Seher, „im Geist" zu sein, um himmlische Dinge schauen und mit himmlischen Wesen sprechen zu können. Die „geöffnete Tür" dient nicht dazu, die Einblicknahme in den

4,2—4

Gottes Thron — Die Presbyter

96

Himmel zu ermöglichen, sondern hat die Funktion, die Berufung des Sehers zur Himmelsschau symbolisch auszudrücken. Der Seher erblickt in seiner Vision die Majestät Gottes. Die alttestamentlidie Vorlage, von der er abhängig ist, ist die Eingangsvision Hesekiels. Aber der Vergleich beider Visionen zeigt den großen religionsgeschichtlichen Unterschied. Hesekiel schaut in seiner Wagenvision noch den Wettergott; das Bild ist gewaltig, aber voller Leben und Unruhe. Johannes erblickt einen in sich selbst ruhenden Gott, um den herum sich alles bewegt und lebt, während er selber in unbeweglicher Majestät verharrt und keinen Anteil an der Bewegung nimmt, die von ihm ausgeht. xai Eöoii frgovog exeito ev tw ougavü) Zur Vorstellung von Gottes Thron im Himmel vgl. l . K ö n 22,19; Ps 47,9; Jes 6,1; Ez 1,26.28; 10,1 ff.; Dan 7,9; Hen 14,18 ff.; 40 Ass. Mos. 4,2; Test. Levi 5; slaw.Henoch 22,3. Zugleich ist aber — Mtth 5,34 — der Himmel Gottes Thron. Der Thron hat kosmische Dimensionen. Der Raum, den der Seher erblickt, ist dem irdischen Heiligtum Gottes nachgebildet. Dabei wirkt Jes 6 nach, wo der Prophet den Herrn im Tempel sieht. Zu diesem Zweck ist besonders das Dreimal Heilig aufgenommen, um anzudeuten, welche alttestamentliche Vision hier ins Kosmische übertragen wurde. Der Blick des Sehers umfaßt den Himmel in seiner Gänze. Das gläserne Meer ist der Himmelsozean der überirdischen Wasser, über denen der Geist auch weiterhin, nach Abschluß der Schöpfung, schwebt. Die 24 Ältesten haben neben ihrer eigentlichen Bedeutung auch astralmythische Züge. Der Regenbogen um den Thron und die Edelsteine weisen auf diese astralen Beziehungen hin; sie dienen nicht nur der Ausschmückung, sondern sollen auch die Größenordnung der Vision anzeigen. xai Eni töv $q6vov xadr|p.Evo$ Die Gestalt Gottes bleibt für den Seher verhüllt; auch der N a m e Gottes wird nicht genannt. Das heißt, daß der Seher die Gestalt Gottes als unsichtbar in ihrer Lichtfülle beschreiben will. Nach Jes 6,5 und vielen andern Stellen ist es ausgeschlossen, daß ein Mensch Gott mit Augen sieht. Alles, was Johannes wahrnimmt, ist darum nur Glänzen, Funkeln und Leuchten. 3 Die Edelsteine sind nicht zu identifizieren. Es sieht so aus, als sei die Zusammenstellung „Karneol, Jaspis und Smaragd" festgeprägt gewesen, um die allerstrahlendsten und leuchtendsten Steine zu benennen. Das ist jedenfalls aus Piaton, Phaidon 110 d zu schließen wv xai t a evM&e XdKöia Eivai tafita xä dvajtü)|XEva jxopia, aapöia te xai iötamöag xai aiiagaySoug xai JtävTa t a xoiaCxa (Von den Gebirgen der reinen Erde unter dem Himmel sind unsere hier so sehr gesuchten Steinchen nur Teile, Karneole, Jaspisse und Smaragde und alle dergleichen.) Aus der Piatonstelle und unserm Text läßt sich aber schließen, daß die Hauptfarben des Regenbogens, rot, gelb und blaugrün, als vorherrschende Farbeindrücke vorgestellt sind. Johannes hat nicht die Absicht, eine Beschreibung Gottes zu geben, die über l.Tim 6,16 hinausgeht (Gott wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann), vgl. auch Ps 104,2 („Licht ist Dein Kleid, das Du anhast"). 4 Nun erst beginnt die Beschreibung der Vision, und der Seher geht dabei von außen nach innen vor. Rings um den Seher, d. h. in seinem Horizontkreis, werden die Throne der 24 Ältesten sichtbar. Daß es 24 sind, kommt daher, daß sie einerseits auf die 12 Stämme bezogen sind, andererseits aber Zeugen sind; daher ist ihre Zahl verdoppelt. Diese Zählweise ist nicht auf die Apokalypse beschränkt. Der Verfasser der Vitae prophetarum hat aus demselben Grund 24 Prophetenleben zusammengestellt. In der Prophetenüberlieferung rechnet man demnach mit genau 24 Propheten. D a die 24 Throne

97

Die Presbyter

4,4—6a

besetzt sind, ist ersichtlich, daß ihre Zahl voll ist. (vgl. Mtth 23,32 xai i^eig jdr|Qü)aaT£ TÖ (XEXQOV TCÜV itaTEQWV ,U|X(ÖV). Da das Maß voll ist, können die Endereignisse ihren Anfang nehmen. Der Presbytertitel ist, wie 2.Kor 5,20, von itpsoßEiico „ich bin Gesandter" abgeleitet. Die 24 Gesandten und Zeugen Gottes sind Märtyrer, die für ihr Martyrium gekrönt wurden. Das sehen wir an ihrer Kleidung; sie tragen die weißen Kleider und die Kränze, die die Sieger auszeichnen (vgl. 3,5.11; 6,2). Es sind Gerechte, deren Blut unschuldig vergossen wurde. Ihre Throne besagen, daß Gott sie zur Herrschaft herangezogen hat. Diese Erwartung stützt sich auf Jes 24,23 OTI ßaoiXeiioei xvQiog ex 2ubv xai ei; 'lEQODöaXri(x xai evwmov xwv jtQEaßutEQCOv öo|a|iaTa t o i OEOTJ. AUS dem Umstand, daß Blitz und Donner mit den sieben Fackeln in Parallele stehen, geht hervor, daß Blitz und Donner geistlich auszulegen sind. Die sieben Fackeln gehören ursprünglich in Gestalt des siebenarmigen Leuchters zum Kultgerät der Stiftshütte und des Tempels. Hier sind sie darüber hinaus als Manifestationen des Heiligen Geistes verstanden. In ihrer astralen Beziehung bedeuten sie die sieben Planeten. Die Geister Gottes sind es, die in alle Lande ausgehen (Sach 4,2; vgl. Apc 5,6) und das tun, was Blitze und Donner für Auge und Ohr zu tun scheinen. — Ob V. 5c („welches die sieben Geister Gottes sind") eine nachträglich eingeschobene Glosse ist, wird sich nicht endgültig entscheiden lassen. Man kann zwar feststellen, daß eine zwischen die Schilderung des göttlichen Thronsaals eingeschobene Erklärung einen Stilbruch darstellt. Aber dagegen ließe sich wieder einwenden, daß Stilbrüche auch von Autoren begangen werden und nicht ausschließlich durch die Willkür von Abschreibern zustande kommen. 6a xai evcbitiov toi dgovoti wg MXaaaa vaXivr) ö|xoia xQuotaXAcp. Ähnlich wie die Fackeln ist das gläserne Meer zunächst einmal das aus dem salomonischen Tempel stammende Kultgerät, das eherne Meer. Im Himmel bedeutet es den Himmelsozean, der sich oberhalb der Feste befindet und der ebenfalls seinen Platz in dem weiten Raum zwischen 7 Hdb. z. NT 16a: Kraft

4,6b

Die vier Wesen

98

dem Thron Gottes und den Thronen der Ältesten hat. Den unendlichen Abstand Gottes von der Schöpfung veranschaulicht der Umstand, daß selbst im Himmel ein ganzes Meer dazwischen Platz hat. 4,6b—8 Die vier Wesen Und inmitten des Throns und rings um den Thron vier Wesen voller Augen vorn und hinten. 7 Und das erste Wesen war einem Löwen gleich, und das zweite Wesen war einem Ochsen gleich, und das dritte Wesen hatte ein Gesicht wie das eines Menschen, und das vierte Wesen war einem fliegenden Adler gleich. 8 Und die vier Wesen, eins wie das andere von ihnen, haben je sechs Flügel ringsum und innen voll Augen. Und sie haben keine Ruhe bei Tag und Nacht und sagen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allherrscher, der war, und der ist, und der kommen wird. 6b Die Ortsangabe für die vier Wesen „inmitten des Throns" und „rings um den Thron" scheint widersprüchlich zu sein. Der Widerspruch erklärt sich dadurch, daß der „Thron" durch die Auslegung des Begriffs doppeldeutig geworden ist. Der „Thron" ist einerseits der in der Vision geschaute zentrale Ehrenplatz der göttlichen Majestät, andererseits ein Ausdruck für den Himmel. Die Gleichsetzung von Thron und Himmel geht aus zahlreichen Stellen hervor, beispielsweise aus Ps 33,14: „Der Herr schaut vom Himmel herab auf aller Menschen Kinder. Von seinem festen Thron sieht er auf alle, die auf Erden wohnen." Der „Thron Gottes" hat die apokalyptische Erwartung schon früh beschäftigt. Da im Gottesreich der Herr unter den Menschen wohnen wird, kommt der Name „des Herrn Thron" dem himmlischen Jerusalem zu (Jer 3,17; 14,21; 17,12, alles Stellen, die sich auf den Tempel beziehen und entsprechend umgedeutet sind. Hes 10,1 und 43,7 ist der Übergang vom irdischen zum himmlischen Heiligtum vollzogen. Unser Text knüpft an Hes 10,1 an.) — Da also der Himmel Gottes Thron ist (vgl. auch Mtth 5,34), können die Wesen sowohl inmitten des Throns stehen (dann ist der Thron gleich dem Himmel), als auch den Thron umstehen, wie das ihre Pflicht als Thronengel ist. Die Existenz der vier Thronengel stammt aus Hes 1; die Vorstellung ist jedoch recht verschieden. Der Thron ist hier kein Wagen, sondern er ruht, und die vier Wesen sind nicht die Träger oder Räder des Throns, sondern sind Thronwächter, die als Gottes oberste Diener den Thron umstehen. In der Apokalypse haben sie darüber hinaus noch ein be-

99

Die vier Wesen

4,6b—7

sonderes Amt; sie greifen, vor allem an entscheidenden Stellen, anstatt Gottes handelnd ein. Wenn in der Bibel himmlische Größen in der Vierzahl auftreten, dann liegt der Gedanke nahe, es handele sich um die vier Winde. Das Recht zu diesem Schluß beruht darauf, daß Gott ursprünglich ein Wettergott war, so daß Windengel als seine Diener vorgestellt werden konnten (Ps 104,4 „der Du machst Winde zu Deinen Dienern und zu Deinen Engeln Feuerflammen"). Von dieser ursprünglichen Beziehung ist in der Apokalypse nicht mehr übriggeblieben als die Vierzahl und die Beziehung auf die vier Weltecken und Himmelsrichtungen, die sich in der Zahl und in der Postierung dieser Engel um Gottes Thron erhalten hat. Diese ursprüngliche Stufe des Verständnisses wird mit der Angabe überschritten, daß die Wesen vorn und hinten voll Augen sind. Denn Augen bedeuten regelmäßig Sterne. Damit ist gesagt, daß es sich um Repräsentanten der Himmelsgegenden handelt. Aber auch diese Stufe des Verständnisses läßt das apokalyptische Bild hinter sich. Denn die Ausstattung der Wesen mit Augen bezieht sich auf Hesekiel 1,18 und 10,12 („. . waren voll Augen"); danach bedeutet diese Einzelheit die geistige Natur der Wesen. Mit ihren Augen stellen sie die Allgegenwart des göttlichen Geistes dar, vor dem nichts verborgen werden kann. 7 Bekanntlich sind die vier Wesen später als Symbole der Evangelisten aufgefaßt worden. Das konnte nicht eher geschehen, als bis man einen Vierevangelienkanon hatte. Das heißt, daß diese Auslegung nicht vor der Mitte des 2. Jhs. denkbar ist. Für uns wird sie durch Irenaeus (haer. 3,11,8) faßbar; sie dürfte eigentümlich der kleinasiatischen Theologie, insbesondere der Rekapitulationstheorie zugehören. Es kann sein, daß außerdem die Aussonderung von vier großen Propheten durch die griechische Bibel mit im Spiele war, um die Typenreihe entstehen zu lassen. — Irenaeus war der erste Kirchenvater, von dem wir wissen, daß er fest mit dem Vierevangelienkanon gerechnet hat. Die Auswahl der Wesen weist eindeutig auf den Tierkreis hin. Das ist bei Stier und Löwe offensichtlich. Das dritte Zeichen — darauf ist zu achten — ist nicht einem Menschen gleich, sondern hat nur das Gesicht eines Menschen. Das Zeichen, das regelmäßig mit dem Menschengesicht dargestellt wird, ist der Skorpion. Als viertes Zeichen hätten wir statt des fliegenden Adlers den Wassermann zu erwarten. Aus dem Austausch ersehen wir zunächst, daß wir hier nicht die verbreitete ägyptische Vorstellung vor uns haben, sondern eine ältere babylonische, die in dieser Zeit „chaldäisch" genannt wird. — Die Aussonderung von vier Zeichen aus dem Tierkreis ist sinnvoll nach der Lehre von den Triangeln, d. h. Dreiecken. Die Triangelzeichen stehen so in Harmonie miteinander, daß zusammengehörige Triangelzeichen immer demselben Element zugeordnet sind, und daß ein Triangelzeichen die beiden andern mitrepräsentiert. Daher stehen die vier Zeichen für den ganzen Tierkreis und repräsentieren außerdem die vier Elemente. Auf diese Weise erklärt sich der Austausch des Wassermanns durch den Adler. Der Stier ist ein Erdzeichen, der Löwe ein Feuerzeichen, der Skorpion ein Wasserzeichen; das alles ist unmittelbar einzusehen. Der Wassermann ist aber als Luftzeichen nicht unmittelbar einleuchtend. Daher hat die Astrologie, die hier ein Luftzeichen brauchte, den Wassermann durch den ihm benachbarten Adler ersetzt, d. h. aus spekulativen Gründen die Astronomie korrigiert. Auf diese Weise erklärt sich, warum die Tiergestalten überhaupt erscheinen, warum der Mensch nur ein scheinbarer Mensch ist, so daß er nicht klimaxbildend am Anfang oder Ende der Reihe steht, und schließlich, warum da ein Adler steht, wo wir den Wassermann zu erwarten haben. 7*

4,8—11

D e r himmlische G o t t e s d i e n s t

100

8a Mit Vers 8 geht der Verfasser von Hesekiel zu Jesaja als Vorlage über. Die Cherubim werden durch die Seraphim ersetzt. Der Übergang ist daran zu erkennen, daß die Angaben über die Augen wiederholt werden. Diese Wiederholung der Angaben über die Augen aus Vers 6 dient hier als Brücke, mit deren Hilfe die Sechsflügeligkeit der Seraphim eingeführt wird. Dieser Übergang erlaubt uns einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise, besser in die Assoziationsweise des Verfassers. Der Seher geht nicht anders vor, als ein Filmregisseur in unsern Tagen, wenn er die Szene wechseln will: Totale — Nahaufnahme — Einzelheit des alten Bildes — übereinstimmende Einzelheit des neuen Bildes — Nahaufnahme — Totale. Die Cherubim sind nach V . 6 voll Augen vorn und hinten. Dann faßt der Seher die Augen genauer in den Blick, beschränkt sich auf sie und geht dann wieder zurück und gewinnt Abstand. Aber bei dieser Betrachtung der Augen sind aus Hesekiels Cherubim voller Augen die Seraphim nach Jesaja 6 geworden. D a bei Jesaja die Seraphim den Herrn im Kreis umstehen (xai aspacpiv EtaTT|XEicrav xijy.Xq) atiToC), wird die Anordnung der Augen, die V. 6 „vorn und hinten" beschrieben war, nun im Blick auf den Kreis „innen und außen" genannt; wegen des EV XWJ.Ü) Jesajas heißt „außen" hier xindoftsv. 4,8b—11 Der himmlische Gottesdienst 9 Und wenn die vier Wesen Ruhm, Ehre und Dank abstatten dem, der auf dem Throne sitzt, der lebendig ist in alle Ewigkeit, 10 dann fallen die 24 Presbyter nieder vor dem, der auf dem Thron sitzt, und beten den an, der lebendig ist in alle Ewigkeit, und werfen ihre Kränze nieder vor dem Thron und sagen: 11 Würdig bist du, unser Herr und Gott, zu nehmen Ruhm, Ehre und Macht, denn du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen waren sie und wurden geschaffen. 8b—11 Die Schilderung der Verse 8b—11 wird herkömmlich als der himmlische Gottesdienst bezeichnet. Das Recht zu dieser Benennung folgt daraus, daß sich die Wesen in der Umgebung der göttlichen Majestät in unmittelbarer Anschauung der göttlichen Herrlichkeit befinden; daher sind sie auch in einem Zustand beharrlicher Anbetung. Daraus erwächst für die Apokalypse die Schwierigkeit, daß sie einen Vorgang zuständlich schildern muß. Die Anbetung ist, sobald sie beschrieben wird, ein Vorgang; sie ist hier aber als ein Zustand aufgefaßt. Der Verfasser versucht, diese Schwierigkeit dadurch zu über-

101

Zeit und Ewigkeit

4,8—11

winden, daß er ötav mit dem Futurum setzt; das will iterativ verstanden werden. Auf diese Weise kann er den responsorischen Charakter der Liturgie ausdrücken. Der Gesang der Ältesten und der Engelwesen ist ein Wechselgesang, und die Engel üben dabei das Amt der Vorbeter aus. Darum wird man zurückhaltend sein, in dem himmlischen Gottesdienst ein Abbild irdischer Vorgänge, besonders eines irdischen Gottesdienstes zu erkennen. Der himmlische Gottesdienst ist in seinem zeitlichen Ablauf irdischen Ereignissen nicht vergleichbar; er ist vor allem kein Ereignis, das ein für alle Mal geschehen ist oder geschieht, wie die Geschehnisse der Heilsgeschichte. — Diese Anbetung Gottes durch die obersten geschaffenen Wesen drückt aus, daß alles, was durch Lobpreis und Rühmen gesagt werden kann, von Gott gesagt werden muß, und daß es nur ihm zukommt. Darum werfen auch die Presbyter ihre Kränze zu Boden, obwohl sie sich diese Kränze gar nicht selber aufgesetzt haben. Denn angesichts Gottes kommt ihm allein Ehre zu. Diese Schilderung des himmlischen Gottesdienstes zeigt, wie in der Apokalypse griechisches Denken in das biblische eindringt und es beeinflußt. Auffällig ist der Kontrast zwischen der Ruhe Gottes und der ständigen Bewegung seiner Anbeter. Der Leser versteht dann, daß diese Bewegung zeitlos ist, wie Gott selbst, wenn auch nicht ewig. Denn da Gott von den Ältesten als Schöpfer gepriesen wird, bezieht sich der Lobpreis mit der Schöpfung auf ein zeitliches Ereignis. Johannes versucht, mit der Darstellung des himmlischen Gottesdienstes eine Brücke zu schlagen zwischen der Zeitlosigkeit göttlichen Seins und der Zeithaftigkeit der Schöpfung. Denn wenn an dieser Stelle zunächst auch nur die himmlischen Anbeter Gottes geschaut werden, so muß man doch die astralen Beziehungen dieser Wesen im Auge behalten und muß in ihnen Repräsentanten der Schöpfung erblikken. Als Repräsentanten astraler Größen vermitteln sie zwischen irdischen und himmlischen Dingen. In der Sternenwelt, die durch die Ältesten und die Thronengel zur Darstellung kommt, sind die an sich inkommensurablen irdischen und himmlischen Dinge aufeinander bezogen. Das geschieht so, daß ein eigentümlich irdisches Verhalten, nämlich die Anbetung, als grundlegender Zustand von den obersten geschaffenen Wesen ausgesagt wird. Daß Johannes sich dieser Schwierigkeit der Darstellung bewußt war, kann man der Form entnehmen, in die er das Dreimal Heilig Jesajas abgewandelt hat. Das apokalyptische Gottesprädikat „Der war, ist und kommen wird" ist in die Gottesprädikation des Trishagios aufgenommen; das geschieht hier aber, und darauf ist zu achten, in der richtigen Reihenfolge und nicht wie 1,4 und 1,8 unter Voranstellung der Gegenwart. Mit der Reihenfolge Vergangenheit—Gegenwart—Zukunft erfolgt eine Anpassung an den Ablauf der Geschichte. Mit ihr bereitet sich ein Abstieg Gottes vor, eine Zuwendung zu den irdischen Vorgängen und zu ihrer Art abzulaufen. Diese Hinwendung Gottes zu den irdischen Verhältnissen liegt auch darin, daß von Gott das Xaßelv rr|v öo£av ausgesagt wird. Man erkennt sie ferner in den letzten Worten der Ältestenakklamation, wo es von den geschaffenen Wesen heißt: r\aa\ xai Extiafhiaav. Man beachte dabei die Voranstellung des rjoav. Die Aussage bezieht sich zuerst auf das präexistente Sein der Kreatur im göttlichen Schöpfungsplan und sodann auf ihr historisches Sein nach dem Schöpfungsakt. Audi hier erkennen wir den Versuch, die Zeitlosigkeit göttlichen Seins und die Zeithaftigkeit göttlichen Handelns durch eine gemeinsame Aussage zu überwölben. Der Sinn dieser Bestrebungen ergibt sich dadurch, daß der Verfasser göttliches H a n -

4,8—11

Die himmlische Liturgie

102

dein und irdische Geschichte zu einem gemeinsamen Ablauf zusammenzuordnen versucht. Das ist die Aufgabe, die er sich gestellt hat. Die Notwendigkeit, eine derartige Zuordnung an dieser Stelle vorzunehmen, kommt dadurch zustande, daß er dann im folgenden Kapitel christologische Aussagen machen muß. Er muß sagen, auf welche Weise Gott in die irdischen Ereignisse nach der Schöpfung eingreift. Wir kennen die A n t w o r t : Johannes sagt, daß dies durch das Lamm geschieht und durch die, die dem Lamm folgen, die Propheten und Märtyrer. Die Vorbereitung dieser Aussagen will aber anzeigen, daß Gott in allem, was er tut, am Menschen handelt. Der Lobpreis der Thronengel nimmt die Selbstprädikation Gottes von 1,8 auf. Dort war sie vierzeilig; hier besteht sie aus einem Vers von drei mal drei Gliedern. Es ist unwahrscheinlich, daß Johannes diese Formel dem gottesdienstlichen Gebrauch entnommen habe. Sie. wird in Anlehnung an das schon f r ü h liturgisch gebrauchte Dreimal Heilig aus Jesaja von ihm neu gefaßt worden sein. — Häufig besteht die Erkenntnis der Liturgiegeschichte über frühste liturgische Formeln in der Vermutung, dieser oder jener Text aus der Apokalypse sei liturgisch gebraucht worden. Diese Vermutung ist f ü r die Apokalypse noch unwahrscheinlicher als f ü r jede andere urchristliche Schrift. Denn Johannes beansprucht f ü r sich selber prophetisches Charisma und macht darum von der prophetischen Freiheit Gebrauch. Diese prophetische Freiheit besteht aber unter anderem in der Freiheit von agendarischen Bindungen. Wir können vielmehr umgekehrt schließen, daß keine gottesdienstliche Formel — wenn überhaupt — unverändert in die Apokalypse aufgenommen worden ist. So wenig das Dreimal Heilig unverändert aus der urchristlichen Abendmahlsliturgie übernommen worden ist, so wenig ist die Akklamation der Ältesten ein Kirchenlied der ältesten Christenheit. Das ä | i o g wäre als Gottesprädikat unverständlich, wenn es nicht zur Vorbereitung der christologischen Aussagen im folgenden Kapitel diente. An sich gibt es kein kreatürliches Urteil über Gott, aus dem auf irgendeine Weise ein „Würdig" hervorgehen könnte. Der Sachverhalt erklärt sich so, daß hier keine absolute Aussage über Gott gemacht wird, sondern eine begrenzte, die sich nach der begrenzten Erkenntnis derer richtet, die in den Lobpreis Gottes einstimmen. In dem Augenblick, in dem Gott sich seiner Schöpfung zuwendet, erkennt ihn die Schöpfung als ihren Schöpfer und Herren. Die Maßstäbe, die es erlauben, von Gott als ä | i o g zu reden, entstehen in dem Augenblick, in dem die geschaffen werden, die von Gott reden. In diesem Lobpreis des Schöpfers durch die Schöpfung kündigt sich das an, wovon das folgende Kapitel redet, nämlich die Selbsterniedrigung Gottes in der Gestalt seines Sohnes zur Erlösung der Schöpfung. Diese Erkenntnis wird nicht der ganzen Schöpfung zur selben Zeit zuteil. Die himmlischen Engel wissen vom Augenblick ihrer Erschaffung an, wen sie als ihren Schöpfer zu preisen haben. Die gefallene Schöpfung bedarf der Erlösung, um ihren Schöpfer in ihrem Erlöser erkennen und anbeten zu können. Aus diesem Grund wird hier bereits das a | i o g angestimmt, noch bevor von dem Lamm die Rede ist, und es kommt dann in dreimal wiederholtem Lobpreis dem Lamm zu: zuerst stimmen es die höchsten Wesen unter Gott an, dann wiederholen es die himmlischen Heerscharen und schließlich fällt die ganze Schöpfung ein in der Reihenfolge, in der den Lobenden die Erkenntnis des erlösenden Gottes zuteil wird. So sind Schöpfung und Erlösung aufeinander bezogen. Das Heilswerk Gottes beginnt mit der Schöpfung und endet mit der Erlösung der Kreatur.

103

Das versiegelte Buch

5,1—7

K A P I T E L 5: D I E I N T H R O N I S A T I O N DES LAMMES 5,1—7 Das versiegelte Buch und das Lamm Beim Überblick über das Ganze der Apokalypse muß man die Tatsache im Auge behalten, daß der eigentliche und ursprüngliche Anfang des Buches erst in Kapitel vier steht; so versteht man, daß dieses vierte Kapitel trotz seinem großen theologischen Gehalt für den Inhalt des Buches nur vorbereitende Bedeutung hat. Die Handlung, die dargestellt werden soll, setzt mit dem fünften Kapitel ein. Sie wird dadurdi in Gang gebracht, daß das versiegelte Buch erscheint. Sein alttestamentliches Vorbild findet sich Hesekiel 2 , 9 — 1 0 : xai elöov xai iöoi) XEI(? EXTETANEVR) JIPOG (¿6 xai EV WUTFJ xecpaXig ßißXiou xai dveiXtiaev atixrjv EVOMUOV E(XOC xai ev onjtfj Y£YQa|a.|xevaf|v t a öiua-ftev xai t ä E|iJtQoaftev xai iyeyganxo etg avTT)v ftpfjvo; xai ixeXog xai ovai. Diese Hesekielstelle hat in der Apokalypse später noch einmal als Vorbild gewirkt und die Gestalt des zehnten Kapitels beeinflußt. Hier ist die Bedeutung größer wegen des höheren Ranges, den Geber und Empfänger einnehmen; größer ist sie auch dadurch, daß der Zweck des Buches hier nicht die Inspiration eines Propheten ist, sondern daß seine Öffnung den Anbruch der Endzeit bedeutet. In dem Buch sind die Endereignisse niedergelegt. Sie geschehen dann und in dem M a ß auf Erden, wie das Buch und seine Siegel geöffnet werden. Wenn die Siegel geöffnet sind, dann ist die Langmut Gottes und die Zeit der Buße vorbei. Das ist eine Auffassung, die dem Zweck der Apokalypse grundsätzlich entgegengerichtet ist, denn unser Buch will in letzter Stunde nicht bloß trösten, sondern auch zur Buße mahnen. Daher wird auch immer wieder festgestellt, daß die Menschen trotz den Zeichen der Zeit und trotz den Plagen keine Buße taten. Desungeachtet ändert mit der Öffnung der Siegel die Geschichte ihre Qualität; aus Geschichte wird Endgeschichte. Daher hat das, was in dem Buch geschrieben steht, den Charakter einer versiegelten Weissagung. Das versiegelte Buch bezieht sidi ursprünglich auf die prophetische Verstokkungstheorie Jes 29,9 ff.: „Denn der Herr hat euch einen Geist des harten Schlafs eingeschenkt und eure Augen zugetan; eure Propheten und Fürsten samt den Sehern hat er verhüllt, daß euch aller Propheten Gesichte sein werden wie die Worte, eines versiegelten Buches, welches man gäbe einem, der lesen kann, und spräche: lies doch das! und er spräche: ich kanns nicht, denn es ist versiegelt." So sind grundsätzlich aller Propheten Gesichte in dem Buch mit den sieben Siegeln niedergelegt. Die Vorstellung vom Versiegeln der Weissagung hat dann dazu geführt, daß aus ihr die Vorstellung vom Abschluß der Weissagung und dem Siegel der Prophetie abgeleitet wurde. Wir finden sie Dan 9,24 ausgesprochen. Noch bei Daniel, nämlich 12,4 und 9, sind dann die beiden Vorstellungen zusammengekommen: die Versiegelung zur Verbergung und zum Abschluß der Weissagung. Dazu tritt nodi ein neuer Gedanke, nämlich daß das früher versiegelte Buch, wenn es nun doch geöffnet wird, dann ein Zeugnis für Gott ist, daß er im Gericht nicht willkürlich und ungerecht verfahre. Dieser Gedanke ist mit dem älteren Zeugenbegriff eng verwandt und eigentümlich für die Prophetie. Aus dem Gesagten folgt nun genauer, wie das ö f f n e n der Siegel und der Anbruch der Endereignisse zusammenhängen. Beides geschieht nach Gottes Willen. Gott hat die Dinge aber so geordnet, daß die Entsiegelung des Buches den Endereignissen vorausgehen soll. Ähnlich wie die Mitteilung des göttlichen Willens an die Propheten erfüllt sein muß,

5,1—7

Das versiegelte Buch und das Lamm

104

bevor Gott seinen Willen verwirklicht, so muß auch das ö f f n e n der Siegel dem Anfang der Endereignisse vorausgehen. Es handelt sich um eine der verschiedenen Katechonvorstellungen. Diese kommen dadurch zustande, daß für den Ablauf der Endereignisse eine feste Erwartung besteht, bei der immer zu einem Ereignis ein anderes genannt werden kann, das ihm vorausgehen muß: der Strafe die mahnende Plage, der Plage die Ankündigung durch Zeichen, dem Zeichen die prophetische Büß- und Drohpredigt, der Predigt die Mitteilung Gottes an den Propheten, und der Mitteilung Gottes an den Propheten dessen Berufung. Somit können wir sagen: wer berufen ist, das Buch zu öffnen, der muß Qualitäten besitzen, wie wir sie vorher nur bei den Propheten gefunden haben. Er muß so alle Prophetie in sich zusammenfassen, alle Vollmacht und alle Leiden, wie das Buch selber die Summe aller Prophetie darstellt. Daher wird es so schwierig, diese Gestalt zu finden, und es bedarf der vollendeten Erkenntnis des vollendeten Propheten, um sie dem Seher zu zeigen. 5,1 Und ich sah bei der Rechten des, der auf dem Thron saß, ein Buch, innen und außen besdirieben, und mit sieben Siegeln versiegelt. 2 Und ich sah einen starken Engel, der rief mit lauter Stimme: Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen? 3 Und keiner vermochte im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde, das Buch zu öffnen oder es zu sehn. 4 Und ich weinte sehr, weil keiner sich würdig fand, das Buch zu öffnen oder es zu sehn. 5 Und einer der Presbyter spricht zu mir: Weine nicht! Sieh, gesiegt hat der Löwe aus Judas Stamm, der Sproß aus David, das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel. 6 Und ich sah inmitten des Throns und der vier Wesen und inmitten der Presbyter ein Lamm stehen, wie geschlachtet. Es hatte sieben Hörner und sieben Augen. Das sind die sieben Geister Gottes, die ausgesandt sind in alle Welt. 7 Und es kam und nahm aus der Rechten des, der auf dem Thron saß.

105

Das versiegelte Buch

5,1—3

1 Ejti TT)V Ö S L I A V heißt wohl nicht „in". Der Seher erblickt nicht die Gestalt Gottes, sondern nur die Lichtfülle der göttlichen Majestät; daher sieht er -wohl die Stelle, an der Gottes rechte H a n d sich befinden müßte, aber nicht die H a n d Gottes selber. Folglich kann er auch nicht sagen, er sähe das Buch „in" Gottes H a n d , sondern er sieht es EJU „in Richtung" oder „bei", „an" oder ähnlich; „auf" ist aus demselben Grund zu verwerfen wie „in". Das Buch war bei Hesekiel „hinten und v o r n " beschrieben; hier ist das etwas genauer ausgedrückt, nämlich „innen" (das kann der Seher z w a r nicht blicken, aber wissen, denn ihm ist der Inhalt des Buches bekannt) und „hinten" (denn die nach außen gekehrte Rückseite der Rolle ist ihm sichtbar. Die Frage, woher der Seher gewußt habe, d a ß das Buch „innen" beschrieben war, ist so sinnvoll, wie wenn man fragte, woher wir wissen, daß eine geschlossene Bibel innen bedruckt ist. Johannes hätte den Frager vermutlich auf Hesekiel verwiesen, der es bereits mitgeteilt hatte. Zu den unsachgemäßen Fragen gehört ferner das Problem, wie das Buch eigentlich versiegelt gewesen sei, damit man es abschnittsweise öffnen konnte. Es ist unwahrscheinlich, daß Johannes sich dieses Detail ausgemalt habe — gleich ob man eine solche Buchrolle konstruieren kann oder nicht. Zweck des Buches ist ja nicht, gelesen, sondern geöffnet zu werden, ein A k t mehr der Entzauberung als der Enthüllung, wie er als M ä r chenmotiv hinreichend bekannt ist. Die Siegel binden nicht so sehr das Buch wie die Ereignisse, die in dem Buch aufgeschrieben sind. Das Buch muß nicht entrollt werden, um die Ereignisse in Gang zu setzen; es genügt, daß seine Siegel gelöst werden. Folgerichtig ist nach dem ö f f n e n des siebten Siegels von dem Buch auch nicht weiter die Rede. Zum Verständnis der Stelle trägt es nichts bei, daß es im römischen Recht eine Form des Testaments gab, wonach dieses durch die Siegel von mindestens sieben Zeugen beglaubigt sein mußte, weil dieses Testament auf Tafeln und nicht in einem Buch steht und weil die Siegel die Tafeln nicht verschließen. Nach Deißmann ( L v O 1923, 28), Staritz (ZnW 1931, 157), Roller ( Z n W 1 9 3 7 , 9 8 ) und G. Bornkamm ( Z n W 1937,148) handelt es sich bei dem Buch um eine Doppelurkunde, die aus dem versiegelten Text und einer offenen Abschrift bestand. Aber es ist unwahrscheinlich, daß der Text, der den geheimen Plan Gottes enthält, vor der Öffnung der Siegel bekannt sein sollte. 2 Entsprechend der Bedeutung der Szene wird der Heroldsruf von einem „starken" Engel, d . h . einem der obersten Engel ausgerufen; seine laute Stimme entspricht seinem hohen Rang. Denn dieser Ruf wird im Bereich der ganzen Schöpfung vernommen. Die Szene hat liturgischen Charakter, und der Engel fungiert als Hierokeryx; durch sie wird bewiesen, daß kein anderes Wesen als das Lamm die Siegel brechen und die Endzeit herbeiführen kann. Das Hysteronproteron hat rhythmische Gründe; wenn man die Satzteile umstellt und in die „richtige" Reihenfolge bringt, erkennt man, w a r u m Johannes es anders angeordnet hat. 3 Die Aufzählung der drei Stockwerke der Welt unter dem Firmament geht auf Ex 20,4 zurück oaa EV tcp oiiQavco avco xai, oaa ev t f j -yfl xdxco xai oaa EV xoig uöaaiv imcr/atco Tfjg yfjg. Danach handelt es sich um die Aufzählung aller Lebewesen. Das ergäbe keinen vernünftigen Sinn. Daher wird man entsprechend Phil 2,16 verstehen müssen . . . EJTOUQOvicflv xai EiuyEicov v.ai xaxax^ovicov. So kommt man auf ein Verständnis, daß hier von der vernünftigen Kreatur die Rede sei, von Engeln, Menschen und Dämonen. Daneben k a n n man erwägen, ob mit den „Unterirdischen" nicht auch die Bewohner des Totenreichs gemeint sein könnten, wie das manche Ausleger behaupten. Aber dieser Gedanke ist k a u m

5,4—5

Das Weinen des Propheten

106

vorzustellen; für die Apokalypse kommen die Toten erst wieder, wenn das Gericht beginnt. 4 Der Seher weint zunächst darum, weil er meint, die Siegel könnten nicht geöffnet werden und darum könne die Endzeit nicht anbrechen. ßXejteiv könnte zur N o t als „Einblick nehmen" verstanden werden. Wegen der starken mythischen Züge des ganzen Abschnitts ist hier aber eher an das Märchenmotiv zu denken, daß keine der genannten Kreaturen das Buch überhaupt nur sehen kann; darum kann auch niemand die Siegel brechen. Der Seher macht insofern eine Ausnahme, als er alles schaut; daher schaut er auch das Nichtsehenkönnen der zur Lösung der Siegel aufgerufenen Kreatur. Man könnte das wohl so erklären, daß er in seiner Eigenschaft als Prophet mit einer besonderen Sehergabe ausgestattet sei, die es ihm ermöglicht, im Unterschied von allen andern das Buch zu sehen. Aber das ist wohl nicht die Meinung des Verfassers. Für ihn ist Johannes vielmehr der Zuschauer in einem eschatologisdien Drama, der über die umgreifende Kenntnis des Zuschauers verfügt. Man wird daher schließen, daß Johannes nicht als Prophet, sondern als Zuschauer der Ereignisse das Buch habe sehen können. 5 xai elg ex tcüv Jtpeaßuxegwv Xeyei (xoi In 4,1 hatte die Himmelsstimme noch mit dem Seher gesprochen, weil es sich dabei um ein abgetrenntes Stück der Berufungsvision gehandelt hatte. Diese Stimme sprach an Stelle Gottes. Nun tritt einer der Ältesten die Rolle des Angelus interpres an. Er teilt dem Seher mit, daß es einen gibt, der „gesiegt" hat und folglich das Buch öffnen kann. „Löwe aus J u d a " bezieht sich auf den Jakobssegen Gen 49,9. Der „Löwe" scheint als Bild für den Messias ursprünglich christlich zu sein; er findet sich noch 4.Esra 11,36 ff. Hier geht es jedoch nicht um den messianisdien Sieg — der liegt noch in der Zukunft — sondern um einen persönlichen Sieg. Der „Sproß Davids" ist Jes 11,1—10 geweissagt: „Und es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isais, und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen, auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn." Anschließend wird das messianische Friedensreich beschrieben. Darum hatte Johannes geweint, weil er meinte, dieser sehnlichst erwartete Zustand werde nicht eintreten können. Es hatte für ihn zunächst so ausgesehen, als sei die Weissagung noch nicht erfüllt. Aus eben diesem Grund erklärt der Presbyter, daß das nun erscheinende Lamm die beiden Weissagungen erfüllt habe, daß es der Löwe aus Juda sei und der Sproß aus der Wurzel Davids. Der Sieg, von dem der Presbyter spricht, findet sich Dan 11,7: „Es wird aber der Zweige einer von ihrem Stamm aufkommen; der wird kommen mit Heeresmacht und dem König gen Mitternacht in seine Feste fallen und wirds ausrichten und siegen." Die Danielstelle bezieht sich ihrerseits wieder auf J e r 1,15 bis 19. D a die alttestamentlichen Weissagungen mitzuhören und mitzulesen sind, brauchte der Presbyter nicht zu erklären, wer eigentlich der Gegner bei diesem Sieg des Lammes gewesen sei; der war vielmehr durch Jeremia und Daniel als der König von Mitternacht bereits ausreichend bestimmt. Die Mitternacht ist die Lokalisierung von Unterwelt und Totenreich. Das Lamm hat der Sieg über den Tod errungen. Zu diesem Ergebnis kommt man auch, wenn man berücksichtigt, daß Matth 16,18 „die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen" zu unserm Spruch in Parallele steht. Der Sieg des Lammes ist über den Tod und sein Reich errungen. Man wäre wohl geneigt gewesen, dem apokalyptischen Denken zuliebe den Satan, Gottes Gegenspieler, als Gegner des Lammes zu vermuten. Aber es ist ein relativ später Entwidklungszustand, in dem der Satan alle widergöttlidien Kräfte in sich zusammen-

107

Klage über den Tod des Gottes

5,5—6

faßt, und dieses Stadium ist hier noch nicht erreicht. Hier müssen wir noch zwischen dem Satan als Gottes Gegenspieler und dem Tod als Feind der Menschen unterscheiden. Erst danach, im Lauf der zweiten Hälfte des ersten christlichen Jahrhunderts, wird der Satan so zum Feind Gottes, daß alle andern Gegnerschaften gegen Gott und Menschen auf ihn reduziert werden. Doch kann es immerhin sein, daß das Schwanken zwischen Tod und Satan den Verfasser dazu bewogen hat, den Gegner des Lammes hier so wenig zu nennen, wie in den Oberwindersprüchen ein Gegner bezeichnet ist. Dazu noch ein Weiteres. Das Weinen des Sehers ist auffällig. Eine psychologisierende und darum methodisch falsche Erklärung hilft sich, indem sie auf die starke Erregung des Sehers verweist; aber derartige Ausschmückungen liegen einem Propheten fern. Eher hätte man sagen können, daß dieses Weinen zum Märchenstil unserer Erzählung gehört; die Parallelen mit den Erlösungs- und Befreiungsmärchen sind in der Tat zahlreich. Aber hier läßt sich durch den Vergleich mit den Überwindersprüchen noch einen Schritt weiterkommen. Wenn man einmal weiß, daß es sich bei dem Sieg um einen Sieg über Tod und Unterwelt handelt, dann liegt es nicht ganz fern, bei dem Weinen des Sehers an die Totenklage über den in der Unterwelt verschwundenen und scheinbar gestorbenen Gott zu denken. Auch das biblische Weinen ist an mehr als der Hälfte der vorkommenden Stellen Totenklage. Die Worte, mit denen der Presbyter den Seher tröstet, haben die Form, in der die Mitteilung vom heilbringenden Sieg des Mysteriengottes über Tod und Unterwelt ergeht. (Vgl. Firm. Mat. de err. 22,1 daggeixe |JA>0Tai toü fteoü (J£CTpci)ftr|. Der Satz war ursprünglich nicht zur Identifikation der Stadt nötig; erst wir brauchen ihn dazu, um die falsche Deutung auf Rom sicher ausschließen zu können. Die Kreuzigung des Herrn bezeichnet vielmehr den Höhepunkt der Freveltaten dieser Stadt. Der Gipfel aller Prophetenmorde ist die Kreuzigung Christi. — Nachdem aber bewiesen war, daß die alten Propheten Jerusalem den geistlichen Namen „Sodom und Ägypten" gegeben hatten, ließ sich auch in der Urgemeinde die Folgerung vertreten, daß man aus der Stadt ausziehen müsse, wie aus Sodom und Ägypten. So verweist unser Vers auf die Diskussion, die dem Auszug der Urgemeinde ins Ostjordanland voranging. 9 Es kann nicht die Absicht unseres Textes sein, die Leser zu moralischer Entrüstung über ein Verhalten aufzurufen, das erst in der Endzeit vor sich gehen wird. An sich schließt der Prophetenmord die Bestattung der Ermordeten keineswegs aus. Vielmehr werden die Gräber der Propheten auch und gerade dann verehrt, wenn die Propheten selber ermordet worden waren (Mtth 23,29 f.). Daher muß der Umstand, daß die erschlagenen Propheten nicht begraben werden durften, einen andern Grund haben als die Schlechtigkeit ihrer Mörder. — Die in der Stadt versammelten Völkerschaften sind die Repräsentanten aller Erdbewohner. Daher sieht alle Welt, daß die Leiber der Erschlagenen die apokalyptische Zeit von 3V2 Tagen unbestattet auf der Straße liegen. Dieses Hinblicken aller Welt wiederholt sich hernach bei der Auferstehung. So wird alle Welt auch zu Zeugen der Erhöhung. Daß die erschlagenen Propheten nicht bestattet werden, ist aus dem L X X - T e x t von Jes 53,8b.9 und aus Hesekiel 37 herausgelesen. Im L X X - T e x t der Jesajastelle heißt es nämlich nicht „und man gab ihm bei Gottlosen sein G r a b " , sondern oxi aipexai aitò Tfjg YT|5 f) outoü / àxò xàjv àvo|xiàjv t o i Xaoü |xou rjxfrn eis Mvaxov. xai öcücho xotig jiovt|govg àvxì xfjg xacpfjg avxoü xai xoùg jdouaioug àvxì xoi ftavàxou aüxoö. Für die Wiedererweckung nach Hesekiel 37 müssen die Leichen ohnehin auf dem Feld liegen. 10 Der Vers zeigt, daß Johannes den geistlichen Namen „Ägypten" ganz ernst nimmt. Denn er hat keine andere Schriftgrundlage als Ps 105,38 „Ägypten ward froh, daß sie auszogen, denn ihre Furcht war auf sie gefallen". Damit wird nachträglich bewiesen, daß V. 6 èv jiàafl JtXriyri sich gerade auf die ägyptischen Plagen bezieht. Mit diesen ägyptischen Plagen hatten die Propheten die Erdenmenschen gequält, um sie zur Buße zu bringen. Für das Versenden von Geschenken anläßlich eines Freudentages sind die Schriftbeweise anscheinend nur schwach: Esth 9,19 und Neh 8,10 lassen sich immerhin anführen. 11 Die Auferstehung der Zeugen ist nach E z 37,10 beschrieben: xai eiofjXfrev eig auxoìig xò jtveC|xa xai e ^ a a v xal laxriaav ¿ni xwv jtoÒajv aùxajv. Die große Furdit derer, die das sehen (nach V. 12 ihrer Feinde), wird durch die Gegenwart Gottes erregt. 12 fjxovaav ist besser bezeugt und ergibt auch allein einen Sinn. Subjekt dazu sind die beiden Zeugen; ihren Feinden kommt nur das •ftecopEiv zu. Die laute Stimme gehört einem an Gottes Stelle redenden Engel. Die Himmelfahrt hat — gleich den Himmelfahrten in den Apokryphen — ihr Vorbild in der Himmelfahrt des Elia 2.Kön 2,11. Die Wolke als Fahrzeug stammt aus Dan 7,13; ihrer bedient sich auch Christus für seine Wiederkunft. Sicher steht diese Wolke in Analogie zu dem Wagen Gottes, der Elia abholt. Aber für Johannes

11,12—14

Erdbeben

160

ist die Beziehung zwischen dem Wagen und Gottes Thron so eng, daß er nicht nadi der Eliageschichte zu erzählen wagt, zumal er auch die Wolke als Fahrzeug zur Verfügung hatte. Der Versschluß läßt Sach 12,10 anklingen v.ax ö\|)ovtai eig ov E^exevTTiaav. Hier liegen Ähnlichkeiten mit der Auferstehung Christi vor, die im folgenden Vers noch deutlicher herausgearbeitet werden. 13 Der Vers setzt die Auferstehung der beiden Zeugen zur Auferstehung Christi in Beziehung. Mtth 27,52: „ U n d die Erde erbebte und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf, und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen etc." Die Auferstehung der Zeugen ist ein prophetisches Zeichen, das nach dem Vorbild der Auferstehung Christi die Auferstehung der Toten ankündigt. Bei Matthäus sind es der H a u p t mann mit seinen Leuten, die angesichts der Auferstehung der Heiligen — auch da eine Ankündigung der Auferstehung der Toten — Gott die Ehre geben. — Warum gerade 7000 Menschen vom Erdbeben erschlagen werden, weiß niemand. Vielleicht soll hier gerechnet werden: l / i der Menschen sind 6,8 umgekommen, und Ys vom Rest 9,18; wenn Vio vom verbleibenden Rest 7000 Menschen sind, dann war die ursprüngliche Zahl 140 000. D a s liegt hinreichend nahe bei der vollen Zahl 144 000. In dieser Gegend dürfte sich auch die Einwohnerzahl Jerusalems vor dem jüdischen Krieg befunden haben. Es gibt allerdings nur einen Anhaltspunkt für das J a h r 312 v. Chr. Hekataios berichtet (bei J o sephus c. A p . 1,23,197), daß Jerusalem von etwa 120 000 Menschen bewohnt werde. 14 Der Vers schließt unmittelbar an 9,21 an. Er zeigt — das scheint unbestritten zu sein — , daß K a p . 10 und 11,1—13 nachträglich in den Zusammenhang eingefügt wurden. D a s dritte Wehe ist verloren gegangen. Es war ursprünglich für die siebte Posaune vorgesehen. Wie aber aus dem siebten Siegel die sieben Posaunen hervorgegangen sind, so sind aus der siebten Posaune die sieben Schalen erwachsen; nun konnte von einem Wehe nicht mehr die Rede sein. D a aber große Einschaltungen und Umstellungen — vermutlich vom Verfasser selber — vorgenommen wurden, wird er das dritte Wehe vergessen haben, zumal er auch nach den sieben Schalen noch Einschaltungen vorzunehmen hatte. — N u n kündigt der Rest des Kapitels die große Theophanie mit dem Totengericht und Lohn und Strafe an. Aber an Stelle der angekündigten Ereignisse folgt wieder eine Einschaltung. 11,15—19 Die siebte Posaune 15 U n d der siebte Engel stieß in die Posaune, und es geschahen laute Stimmen im H i m m e l , die sagten: Die Herrschaft über die Welt ist unseres H e r r n geworden und seines Christus, und sie werden in alle Ewigkeit herrschen. 16 U n d die 24 Presbyter, die vor G o t t sitzen auf ihren Thronen, fielen nieder auf ihr Angesicht und beteten G o t t an und sagten: 17 Wir danken dir, H e r r , G o t t , Allherrscher,

161

Proklamation der Gottesherrschaft

11,15—18

der ist und der war, daß du deine große Kraft genommen hast und König geworden bist. 18 Und die Heiden zürnten, und dein Zorn kam, und die Zeit der Toten, gerichtet zu werden, und den Lohn zu geben deinen Knechten, den Propheten, und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen, und die Verderber der Erde zu verderben. 19 Und es öffnete sich der Tempel Gottes im Himmel, und die Lade seines Bundes erschien in seinem Tempel, und es geschahen Blitze, Stimmen und Donner und Erdbeben und großer Hagel. 15 Auf die siebte Posaune hin erfolgt ein Heroldsruf, der in den Zusammenhang der Inthronisation des Lammes gehört. Möglich ist, daß er ursprünglich die Siegelvision abschloß. „Laute Stimmen" bezeichnen i. a. die an Stelle Gottes redenden Engel. Der Grund für die Einfügung an dieser Stelle liegt darin, daß mit der Auferweckung der beiden Zeugen (die Letzten werden auch zeitlich die Ersten sein) die Auferstehung der Toten begonnen hat, so daß die Endereignisse in ihre letzte Phase kommen. Der Ankündigung liegen vor allem Ps 2 und Dan 7,14 zugrunde; eine vollständige Aufzählung der Weissagungen ist bei diesem zentralen Gegenstand alttestamentlicher Erwartung nicht möglich. Auch die neutestamentliche Erwartung hat ihren Höhepunkt in dem, was bei der letzten Posaune geschieht: die Auferstehung der Toten und der Anbruch der Gottesherrsdiaft. Aber der Bericht wird abgebrochen. Die ßaaiXeia tov xöajxoi), die Weltherrschaft, ist singulär im Neuen Testament. Mtth 4,8 sind die Weltreiche gemeint; das ist ein völlig anderer Begriff, der hier ganz fern zu halten ist. 16 Der Vers wiederholt 4,10 mit einigen Umstellungen; er ist nach oder mit diesem Vers entworfen. 17 Das Thronbesteigungsritual der Kapitel 4 und 5 kommt zu seinem Abschluß. Anstelle der zur Annahme des Amtes der Weltherrschaft auffordernden Akklamationen ä|iog ei (4,11; 5,9; 5,12) ist nun der Dank für die Annahme des Amtes getreten. Das Lamm, Christus, erhält keine eigene Akklamation mehr, weil ihm die ganze Akklamation gilt; das Kommen Gottes besteht darin, daß das Lamm — der Christus und nun Gottessohn — die Königsherrschaft angetreten hat. Daher wird Gott als der bezeichnet, der ist und der war, aber nicht mehr als der Kommende: mit dem Herrsdiaftsantritt Christi ist Gott gekommen. 18 Die Zeitlage der hier genannten Heilstaten Gottes stimmt nicht mit der der irdischen Geschichte überein. Denn die himmlische Wirklichkeit ist auf Erden noch nicht sichtbar geworden. Nach 11,18 ist der Sieg über die Heiden als verwirklicht, das Totengericht und die Belohnung der Treuen als noch ausstehend erklärt. Diese Situation setzt dann auch das Kap. 14 voraus, aber auf einer andern Realitätsstufe; Grund für diesen 11

Hdb. z. NT 16a: Kraft

11,18—19

Ersdieinung der Lade

162

Wechsel ist der Übergang von Kap. 12 zu Kap. 13, d. h. der Dradiensturz. — Das Zürnen der Heiden bezieht sich auf Ps 2 und vor allem auf Ps 99(98),1 6 xtigiog eßaaiAeuaev, ÖQYi^eo'9ci)aav Xaoi. Das Totengericht, das Lohn und Strafe für alle zuteilt, steht auch vom Standpunkt der himmlischen Wesen aus noch aus. Die Freunde Gottes werden mit einer Formel genannt, die drei Kreise der Nähe zu Gott ausdrückt. Doch meint der Verfasser, daß jede der drei Gruppen Anspruch auf Lohn hat. In diesen drei konzentrischen Kreisen stellt sich die Struktur der Urgemeinde dar: die Amtsträger, die Gläubigen und die Gottesfürchtigen. „Propheten" ist der übergeordnete Begriff, unter dem sich alle Gemeindeämter zusammenfassen lassen (es gibt außer der Witwe kein Gemeindeamt, das nicht vom prophetischen Amt abgeleitet wäre); der Name „die Heiligen" ist als Bezeichnung der Mitglieder zunächst der Urgemeinde, sodann der Gläubigen überhaupt erwiesen. Die Umschreibung der Gottesfürchtigen als „Kleine und Große" nach Ps 115,3. — Die „Verderber der Erde" sind nach den Verderbern des Weinsbergs Jer 12,10 (öiicpfteiQav töv &HJteXüW& (aou) und Jes 3,14 („Und der Herr geht ins Gericht.. Denn ihr habt den Weinberg verderbt) genannt; die Ausweitung auf alle Welt nach Jer 51,25 (28,25) tö Öqoc tö &iecpftaQ(iivov tö 8iaoiav, eig aEx^aXooaiav ujidvei, ei tig ev |xaXaiQX) djioxTEvei, Sei avtov ev naxaißxi djioxTavöfjvai. Die erste Textform ist nur durch A gedeckt; doch ist deren Text stets beachtlich. Die zweite Form findet sich in mannigfadier Gestalt beim Rest der Überlieferung. Man kommt nun in keinem Fall ohne Konjektur aus. Für die erste Form, wie sie A bietet, läßt sich vermuten, daß sie in Analogie zu Jer 15,2 gebildet sei: öaoi eig fravaxov, Eig •ftavatov xai öaoi eig (xaxaiQav, Eig ¡xäxcupav xai öaoi eia Xifiöv, eig Xi|iöv xai öaoi Eig aixuaXwaiav, eig aixuaXcoaiav. In diesem Fall wäre der Sinn der Stelle: Wem es bestimmt ist, in Gefangenschaft zu gehen, den wird Gefangenschaft treffen; wem das Schwert bestimmt ist, den wird das Schwert töten. In diesem Fall hat der ursprüngliche Text vermutlich gelautet: ei Tig eig uixiiaXwaiav, eig aifiaXcüoiav (•ujidyBi)- ei tig ev ixaxaipfl, öel avtöv ev (xaxaigxi dicoxTavdrjvai. Die zweite Form würde auf Mtth 26,52 hinauslaufen: wer das Schwert nimmt, wird durch das Sdiwert umkommen. In diesem Fall wäre der Sinn des Spruchs eine Drohung gegen die Verfolger, daß ihre Quälereien und Gewalttaten sie schließlich selber treffen werden. Man könnte auch an eine Warnung denken, daß die Christen sich nicht bewaffnet gegen die Verfolger zur Wehr setzen sollen. Im Blick auf den Judenaufstand geigen Trajan scheint eine derartige Warnung nicht so unangebracht gewesen zu sein, wie es uns auf den ersten Blick scheinen mag. Der Schlußsatz „Hierauf beruhen Geduld und Vertrauen der Heiligen" spricht für die zweite Möglichkeit. Doch scheint es nicht möglich zu sein, das Problem endgültig zu entscheiden. Der schwierigere Text ist zwar zugleich der, den das Vorbild Jeremias deckt. Aber die leichtere Möglichkeit, nämlich die zweite, paßt besser zum Schlußsatz. Es könnte möglich sein, daß der Verfasser ein echtes Prophetenwort, das in seiner Zeit umlief, und das ursprünglich nach der ersten Möglichkeit verstanden sein wollte, in seinen Text aufgenommen und nach der zweiten Möglichkeit verstanden hat.

13,11—18 Das Tier vom Lande 11 Und idi sah ein anderes Tier von der Erde heraufkommen, und es hatte zwei Hörner gleidi einem Lamm und redete wie ein Dradie. 12 Und es übt alle Gewalt des ersten Tiers vor ihm aus. Und es bewirkt für die Erde und für die, die auf ihr wohnen, daß sie das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt worden war. 13 Und es tut große Zeichen, daß es auch Feuer aus dem Himmel macht herabkommen auf die Erde vor den Menschen. 14 Und es verführt die Erdbewohner durch die Zeidien, die ihm gegeben war zu tun vor dem Tier, und es sagt den Erdbewohnern,

179

Der Pseudoprophet

13,11

sie sollten dem Tier ein Bild machen, das die Schwertwunde hatte und lebendig geworden war. 15 U n d ihm ward gegeben, dem Bild des Tiers Leben zu geben, daß das Bild des Tiers auch reden konnte. U n d es m a d i t , daß getötet wurde, wer das Bild des Tiers nidit anbetete. 16 U n d es veranlaßt alle, die Kleinen und die Großen, die Reichen und die A r m e n , die Freien und die Sklaven, daß sie sich ein Zeichen machten an ihrer rechten H a n d oder an ihren Stirnen, 17 und daß keiner kaufen oder verkaufen kann, außer er hat das Zeichen, den N a m e n des Tiers oder die Zahl seines N a m e n s . 18 Hierin liegt weiser Sinn. Wer Verstand hat, berechne die Zahl des Tiers, denn sie ist die Zahl eines Menschen. U n d seine Zahl ist 666. 11 Biblisches Vorbild für die Zusammenstellung des Tiers vom Meer mit dem Tier vom Lande ist H i o b 40, wo die Schilderung des Behemoth und des Leviathan dem Erweis der Macht Gottes dient. Daneben hat diese Zusammenstellung auch in der außerkanonischen Literatur ihre Rolle gespielt (s. Lohmeyer z. St.); sie ist so geläufig, daß die Zufügung des Landtiers zum Meertier als Topos angesehen werden kann. Was wollte aber Johannes damit ausdrücken, als er das zweite Tier dem ersten folgen ließ? Bisher hatte er den Satan mit dem Antichristen als Gegenspieler Gottes und Christi aufgebaut. Vorher hatte er aber mit den beiden Zeugen den Propheten als eine auf Seiten Gottes kämpfende Gestalt eingeführt. Daher stellt er nun dem Propheten den Pseudopropheten gegenüber. D a z u hatte er darum Grund, weil für die Endzeit auch das Auftreten von Pseudopropheten erwartet wurde, die im Zusammenhang mit der großen Versuchung die Christen vom Glauben abspenstig machen würden. Doch sind die beiden Reihen Gott—Christus—Prophet und Satan—Antichrist—Pseudoprophet das Ergebnis einer nachträglichen Konstruktion. An sich stehen die Erwartung des Messias und die des endzeitlichen Propheten miteinander in Konkurrenz. Die Zusammenordnung beider ist dadurch behindert, daß der endzeitliche Prophet seinem Charakter nach Vorläufer ist; Vorläufer Gottes und nicht des Messias. Daher mußte dieser Konstruktion die Entscheidung darüber vorausgehen, daß Jesus nicht als Prophet, sondern nur als Messias gedeutet werden durfte. Erst dann war es möglich, die Reihe Gott—Christus—Prophet aufzustellen und aus ihr die Reihe Satan—Antichrist—Pseudoprophet abzuleiten. Aber bei der Ableitung dieser Reihe konnte Johannes nicht frei und unabhängig von den Traditionen konstruieren. Wir müssen ja erwarten, daß die Zeichnung des Pseudopropheten das Bild des 12*

13,11—13

Vollmacht und Wunder

180

wahren Propheten als Grundlage hat. Doch hier wirkt sich nun die ältere prophetische Deutung Christi aus; der Pseudoprophet ist vom älteren prophetischen Christusbild aus entworfen. E r hat das Lamm als Gegenbild. Das Lamm ist keine messianische, sondern eine prophetische Gestalt. Daher ist das Tier vom Lande einem Lamm ähnlich und täuscht die Erscheinung des Lammes vor. Da das Lamm ursprünglich ein Prophet und nicht der Messias war, tritt das Landtier, der Pseudoprophet, als Gegenspieler Christi nach seiner prophetischen Gestalt auf. Seine Rede ist aber nicht von Gott, sondern vom Satan inspiriert; darum redet es wie der Drache. D a öpaxcov Drache und Schlange ist, wird hier wohl an die verführerische Rede der Paradiesesschlange gedacht sein. — Man kann die Frage aufwerfen, ob unser Text zu Mtth 7,15 (falsche Propheten in Schafskleidern) in direkter Beziehung steht; wahrscheinlicher ist wohl, daß die Gleichsetzung Prophet = Lamm schuld an der Ähnlichkeit ist. Der Pseudoprophet versucht jedenfalls, die Menschen zu Abfall und Götzendienst zu bewegen; er redet wie der Satan, der ihn inspiriert. 12 Das Tier ist bevollmächtigt mit der Vollmacht des ersten Tiers, das seinerseits vom Satan bevollmächtigt war. Man wird diese Einzelheit nidit von der Bedeutung her erklären dürfen; es darf also nicht geschlossen werden: das erste Tier ist das römische Kaisertum, also verkörpert das zweite Tier den kaiserlichen Statthalter. Auf diesem Wege käme die heilsgeschichtliche Bedeutung des zweiten Tiers zu kurz. Man darf nicht einmal schließen, daß das zweite Tier eine Gestalt ist, die für den Kaiserkult eintritt. Denn dann müßte man hier eine Weissagung auf kommunale Behörden und Priesterschaften erblicken, und auch diese Auslegung erscheint unangemessen gegenüber der grundsätzlichen Bedeutung des zweiten Tiers. Besser ist es, auf eine politische Ausdeutung dieser Gestalt zu verzichten — auch nicht gnostische Pseudopropheten namhaft zu machen — und vielmehr hier eine heilsgeschichtliche Gestalt geweissagt zu finden, die sich je und je verkörpert. Der Pseudoprophet verwirklicht sich in jeder Person, die sich gegenüber dem Götzendienst zu Kompromissen bereitfindet und zur Nachgiebigkeit rät. — Das Werk des zweiten Tiers ist die abergläubische Anbetung des ersten Tiers. Davon war schon oben im Zusammenhang des ersten Tiers die Rede. Hier ist keine Wiederholung der Anbetung gemeint; auch der Umstand, daß 13,4 der Aorist und 13,12 das Futurum steht, spricht nicht für eine derartige Wiederholung. Vielmehr sind die Tempora in beiden Fällen als semitisches Imperfekt aufzufassen. Der Unterschied zwischen beiden Schilderungen liegt darin, daß 13,4 das erste Tier als Empfänger, 13,12 das zweite Tier als Urheber der Anbetung beschrieben wird. Der Götzendienst ist in beiden Fällen derselbe. 13 In der Endzeit werden Pseudochristi und Pseudopropheten aufstehen, werden Zeichen und Wunder tun, so daß sie per impossibile auch die Auserwählten verführen würden (Mtth 24,24 u. a.). Die Fähigkeit, Feuer vom Himmel fallen zu lassen, kennzeichnet nach l . K ö n 18,21 ff. die alttestamentliche Prophetie. Der Grund dafür ist, daß Gott ursprünglich ein Gewittergott war; daher ist himmlisches Feuer ein bevorzugter Erweis der göttlichen Macht und eignet sich besonders als Beglaubigungszeichen für den wahren Propheten. Darum halten sich die Zebedaiden für befähigt, die Stadt der Samariter mit Feuer zu verbrennen, die Jesus nicht aufnehmen will (Lc 9,51—56). Die Anordnung der Perikope ist kennzeichnend für die Beurteilung dieses prophetischen Zeichens. Sie ist da eingeordnet, wo Jesus sich auf den Weg nach Jerusalem macht, sein Leiden zu vollenden. Sie bedeutet daher den grundsätzlichen Verzicht darauf, die Vollmacht durch Wundertaten zu erweisen. Jesu Jünger beweisen ihre Vollmacht allein durch Leiden. Was früher

181

Die Wunder des Pseudopropheten

13,14—16

Erweis der Vollmacht war, das ist jetzt den Pseudopropheten überlassen als Mittel, durch das sie die Menschen zum Abfall bringen. 14 Schon im Alten Testament ist die Zweideutigkeit der Zeichen erkannt. Dt. 13,2—4 ist die Möglichkeit ins Auge gefaßt, daß Pseudopropheten die Menschen durch Zeichen und Wunder zum Abfall bringen. — Der Götzendienst etabliert sich durch die Aufstellung eines Bildes. Der angehängte Relativsatz besagt, daß es sich um eine Kaiserstatue handelt. 15 Das zweite Tier ist befähigt, dem Standbald Pneuma einzuhauchen, Lebensatem, der das Standbild reden macht. Man muß dabei berücksichtigen, daß die antike Bilderkritik ihr Hauptargument in der Feststellung hatte, daß die Bilder aus irdischer Materie gemacht und darum akoya und aqxova seien; eben deshalb war zu schließen, daß die Anbetung der Bilder unsinnig sei. Diese philosophische Kritik wird durch das Wunderzeichen des Pseudopropheten widerlegt. — Daß ausgezeichnete Wundermänner die Fähigkeit besitzen, Statuen zu beleben, ist in der Antike ein Topos des Wunderglaubens und der Wunderkritik. (Simon magus nach Ps. Clemens, Recogn. 3,47; die Kommentare des Arethas und Oecumenius verweisen auf Apollonius von Thyana, s. Bousset z. St.; vgl. ferner Lucian, Alexander 13 u. ö.). Johannes meint nicht, daß das zweite Tier den Effekt mit mechanischen Mitteln vorgetäuscht habe, sondern glaubt an eine echte Befähigung des Standbilds zum Reden. (Vielleicht zum Orakelspenden?) Vgl. aber Apc Eliae 33,3 f.: Der Antichrist kann keine Toten erwecken, weil er keine Macht über die Seelen hat. Wer das Bild des Tiers nicht anbetet, wird getötet. Das ist bei Dan 3,4 ff. geschildert; dort findet sich auch die Aufzählung aller Bevölkerungsschichten. Hier erreicht die Gegenüberstellung göttlicher und satanischer Macht ihren Höhepunkt. Nach christlicher Erwartung werden allein die gerettet, die den Namen Jesu anrufen und sein Zeichen auf sich nehmen. Dem tritt der Lügenprophet entgegen und veranlaßt, daß die getötet werden, die das Bild des Tiers nicht anbeten. Aus den Christenprozessen unter Domitian sind uns zwar keine Einzelheiten überliefert; es ist jedoch wahrscheinlich, daß Plinius (ep. 10,96) bei seinem Vorgehen gegen die Christen, von dem er Trajan berichtet, sich an das unter Domitian üblidie Verfahren anlehnte. Das heißt, daß auch schon unter Domitian die Verweigerung des Opfers vor dem Kaiserbild den Rechtsgrund für die Hinrichtung des angeklagten Christen schuf. 16 Die Aufzählung der Bevölkerungsschichten in Anlehnung an Dan 3,2 f. Das Charagma des Tiers ist der Sphragis Gottes gegenübergestellt. Unser Text soll dem Menschen klarmachen, daß er sich die Entscheidung zwischen Gott und dem Satan nicht ersparen kann. Wenn er das Bild des Tiers anbetet, dann hat er im Gericht keine Hoffnung; wenn er sich für Gott entscheidet, dann muß er mit seinem Martyrium rechnen. Es handelt sich um eine prinzipielle Entscheidung zwischen Gottesdienst und Götzendienst. Daher sind die verschiedenen Manifestationen des Götzendienstes zu einem einzigen Bild zusammengezogen. Ähnlich wie der Drache und das Tier die Bilder sämtlicher danielischer Weltreiche in sich vereinigt, ist in dem Kult des Lügenpropheten der gesamte heidnische Kult zusammengefaßt. Johannes sieht sicher dessen Höhepunkt im Kaiserkult, weil es sich dabei unmittelbar um den Kult der gottfeindlichen Macht handelt. Aber seine Ausführungen wenden sich gegen den christlichen Synkretismus, der zu Kompromissen mit dem Heidentum bereit ist, und der nach einer alle Wahrheiten in sich zusammenfassenden Religion sucht. — Das Charagma steht antithetisch zur Sphragis. Die Sphragis hat eine kultische Entsprechung, nämlich die Bezeichnung mit dem Kreuzzeichen, im Alltag und vornehmlich bei der Taufe. Die Gegenüberstellung macht davon Gebrauch, daß die Be-

13,16—17

D a s M a l des Tiers

182

zeidinung mit dem Kreuzzeichen vorzugsweise an der Stirn erfolgt. — Eine befriedigende Deutung des Charagma gibt es nicht. Wir kennen kein Mal, das gleicherweise an der Stirn oder der rechten Hand angebracht wurde. Dieser Umstand hindert uns auch, das Charagma als Münzbild zu deuten. Geld muß man zwar beim Kaufen und Verkaufen in die Hand nehmen, aber auf der Stirn hat es nichts zu tun. — Es lag nahe, hier eine Analogie zu einer heidnischen Sitte zu vermuten: die Verehrer mancher heidnischen Götter bezeichneten sich mit einem Mal, einer Wundnarbe, einer Tätowierung oder einem Brandmal, um sich dadurch als Eigentum ihres Gottes zu erklären. Für solche Markierungen gibt es eine Reihe von Beispielen, aber keines davon paßt wirklich auf unsere Stelle. Das hat einen logischen Grund. Solche Marken sollen entweder offen sichtbar und für jeden erkennbar sein — das würde für die Markierung der Stirn passen — oder sie sollen verdeckt sein und nur dann gezeigt werden, wenn ihr Träger das will; das würde für Marken auf der Hand passen. Aber als Kennzeichen schließen sich die beiden Markierungsweisen gegenseitig aus. — Vielleicht hat Johannes keine bestimmte Markierung ins Auge gefaßt, sondern will nur ein im Gegensatz zur Sphragis Jesu stehendes Zeichen angeben. Warum gibt er aber dann Stirn und Hand an? Man muß im Auge behalten, daß das Charagma ein Bekenntnis zum Götzendienst ist. So könnte man über Mtth 5,29 f. („ärgert dich dein rechtes Auge, . . . deine rechte Hand") zu Dt 13,9 f. kommen: ov (peioetai 6 6q>ftaA.(i6g oo-u ejt' a i i x ü . . at xeiqec; o o u e o o v t c h e j i ' o u j t ö v ) . Man kann ferner in Betracht ziehen, daß das Charagma einen gnostischen Ritus bezeichnen könnte, der die Öffnung der Sinne und die Fähigkeit zu geistiger Erkenntnis bewirken sollte. Manche Ausleger ziehen hier auch Megilla 24b heran, wo es vom Anlegen der Tefillin heißt „Wer die Tefillin auf der Stirn (statt um das Haupt) oder auf der Handfläche (statt um den linken Unterarm) trägt, befolgt die Weise der Minim." Der Grund dafür, daß das Zeichen an Hand oder Stirn angebracht wurde, liegt wohl im Auseinandergehen der Überlieferung von Jes 44,5. Die L X X verstand die Aufschrift toü fteoü eijxi nach Ex 28,36 als Weissagung auf das hohepriesterliche Volk der Endzeit und dachte darum an eine Aufschrift auf der Stirn. Der hebräische Text hat statt dessen das Beschreiben der Hand. Die Anbeter des Tiers bekennen sich auf dieselbe Weise zu ihrem Götzen, wie die Glieder des neuen Gottesvolkes zu Gott. — Man wird ferner mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß das Charagma in den Versen 16 und 17 verschiedene Bedeutung hat. Zwar ist es in jedem Fall das Zeichen des Tiers und ein Bekenntnis zum Götzendienst. Aber es ist denkbar, daß es sich in V. 16 um eine heidnische oder gnostische Bezeichnung handelt, während in V. 17 tatsächlich das heidnische Geld gemeint ist. 17 Die Zinsgroschenperikope (Mtth 22,15—22 parr) spricht u. a. auch von dem Widerwillen, mit dem ein frommer Jude heidnisches Geld ansah. Die Schnelligkeit, mit der Bar-Kochba eigenes Geld prägte, hat hier ihren Grund. Das Charagma besteht nach V. 17 im Namen des Tiers oder in der Zahl seines N a mens. Der Verfasser erklärt, daß dem Namen eine Zahl zugeordnet ist, so daß die Zahl an Stelle des Namens stehen kann. Da wir nun wissen, daß niemand kaufen oder verkaufen kann, es sei denn, er habe den Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens, folgern wir, daß wir Name oder Zahl wahrscheinlich auf Münzen finden. Denn die Beschreibung für ein Ding, daß man ohne es nicht kaufen oder verkaufen kann, wird am leichtesten von einer Münze erfüllt. Münzen sind zugleich aber auch die Gegenstände, die am leichtesten die Bedingung erfüllen, daß sich auf ihnen Name oder Zahl finden, insbesondere Name und Zahl des Tiers, wenn das Tier das römische Kaisertum ist. Denn es

183

Das Zahlenrätsel

13,18

geht z w a r in diesem Kapitel um Götzendienst, aber der Götze, auf den sich das alles bezieht, und der Anlaß zu dem Kapitel gegeben hat, ist das römische Kaisertum. 18 Der Satz „Hierin liegt Weisheit" macht darauf aufmerksam, daß in diesem Textabschnitt ein verborgener Sinn enträtselt werden muß. Die A u f g a b e besteht darin, aus der mitgeteilten Zahl des Tiers, die die Zahl eines Menschen ist, den Namen des Menschen zu ermitteln, ^«pi^to heißt „berechnen". Da ein N a m e aus einer gegebenen Zahl ausgerechnet werden soll, ist unzweifelhaft die Gematrie das Verfahren, das anzuwenden ist. Unter den verschiedenen Zahlenspekulationen ist sie das Verfahren, das eine Zahl mit einem Namen verbindet. — Die Zahl w i r d mit 666 angegeben. Daneben ist durch C und Irenaeus auch 616 überliefert. Irenaeus hält 616 für einen Schreibfehler; wahrscheinlicher ist aber, daß hier der Text korrigiert wurde, um auf einen späteren Kaiser hinzuweisen, nachdem die erste Deutung durch die Geschichte überholt worden w a r . Irenaeus hat die Auflösung der Zahl nicht mehr gekannt. Er schlägt (haer 5,30,3) drei abstrakte Namen vor, E Y A N 0 A 2 , A A T E I N O S , TEITAN, und leugnet im übrigen nicht, daß er die Lösung nicht mehr kennt. N u n kommt Irenaeus aber aus montanistischen Kreisen her, d. h. aus Kreisen, die die apokalyptischen Traditionen auch dann noch weiterpflegten, als sie der Kirche schon als verdächtig galten. Wenn er die Lösung nicht mehr kannte, dann folgt daraus, daß sie auf die Geschichte bezogen und überholt w a r ; andernfalls w ä r e sie nicht vergessen worden. Manche Ausleger meinen, das Rätsel habe nie eine konkrete Lösung gehabt. D a in der Apokalypse „7" die volle Zahl ist, stelle — so vermuten sie — „666" die zur dritten Potenz erhobene Unvollkommenheit dar. Aber diese Art der Zahlenspekulation kommt nur in zweiter Linie in Betracht. Das Tier und der Drache haben sieben Häupter, es gibt Kataloge von sieben Lastern — auch die Unvollkommenheit hat ihren Höhepunkt in der Sieben. Eine andere interessante Spekulation ergibt sich dadurch, daß 666 eine „Dreieckszahl" ist, nämlich von 36; 36 ist wieder die Dreieckszahl von 8. Es besteht die Möglichkeit, Dreieckszahlen durch ihre Grundzahl zu ersetzen; man nimmt an, die Dreieckszahl sei eine Verschlüsselung der zu ihr gehörenden Grundzahl. Die Dreieckszahlen gehören, w i e der N a m e sagt, zu den sog. Polygonalzahlen; die Dreieckszahl einer Zahl n ist die Summe aller ganzen Zahlen von 1 bis n. Die Spekulationen mit den Dreieckszahlen kamen bei den Pythagoräern auf und wurden seit dem 2. vorchristlichen Jahrhundert allgemein üblich, wenn man danach suchte, überlieferten Zahlen einen erbaulichen Sinn abzugewinnen. Philon macht häufiger Gebrauch davon. So reduziert er beispielsweise die 55 Säulen der Stiftshütte auf die vollkommene Zahl 10. An anderer Stelle reduziert er in derselben Weise die 10 auf die noch vollkommenere Zahl 4. Als neutestamentliches Beispiel seien die 153 Fische Joh. 21,11 genannt; sie sollen für die 17 Völkerschaften Act 2,9 ff. stehen. Der tiefere Grund für die Spekulationen mit den Dreieckszahlen liegt darin, d a ß diese Zahlen, wie ihr N a m e sagt, sich durch Anordnungen der Zahlen im Dreieck darstellen lassen. Für eine Weltanschauung, die der Meinung w a r , die seiende W e l t in einer Begriffspyramide darstellen zu können, mußte diese Dreiedksdarstellung bedeuten, d a ß die Grundzahl in der Dreieckszahl so enthalten war, w i e der Artbegriff im Gattungsbegriff, d. h. w i e die Art in der Gattung. Wenn es darauf ankam, das Wesen einer Zahl zu erfassen, dann w a r es richtig, von 666 zu 36 und von 36 zu 8 aufzusteigen; man näherte sich auf diese Weise dem Ursprung des Wesens. Die 8 ist aber nach 17,11 dem Tier gleich; sie steht somit für das Tier (tò {h)piov autog òyòoòg èotiv). Aber diese Art Spekulation, die

13,18

Gematrie

184

der Gnosis vertraut ist, liegt der Apokalypse fern. Sie erfüllt nicht die Anweisung zur Auflösung des Zahlenrätsels V. 18; dieser Zusammenhang zwischen der Zahl 666 und dem Vers 17,11 beruht auf einem vom Verfasser nicht vorgesehenen Zufall. Auch bei der Gematrie handelt es sich um Zahlenspekulation insofern, als die gematrischen Überlegungen der Seinserkenntnis dienen. Durch sie werden unsichtbare Beziehungen aufgedeckt. Man wird aber nicht sagen können, die Voraussetzung der Gematrie bestehe darin, daß Zahlen oder Buchstaben den Kosmos abbilden. Dergleichen wird zwar gelegentlich in der Gnosis behauptet, aber es ist für das Verfahren nicht grundlegend. — Die Gematrie fußt darauf, daß die Buchstaben des hebräischen und des griechischen Alphabets Zahlzeichen sind. (Das Verfahren ist in beiden Sprachen möglich). Jeder Buchstabe hat einen bestimmten Zahlenwert. Daher lassen sich die Zahlenwerte der Buchstaben eines Namens oder Worts addieren zur Zahl des Worts; umgekehrt läßt sich durch Probieren für eine gegebene Zahl nach Wörtern suchen, deren Zahlenwert gleich der Zahl ist. Dieses Verfahren ist natürlich nur dann eindeutig, wenn man vom Buchstaben zur Zahl übergeht; in der umgekehrten Richtung ist es mehrdeutig. Es ist möglich, daß mehrere N a m e n oder Wörter dieselbe Zahl haben; in diesem Fall wird angenommen, daß Wörter gleichen Zahlenwerts inhaltsgleich sind oder doch wenigstens aufeinander hinweisen. Irenaeus berichtet (haer 1,14,6) von den Schülern des Gnostikers Markos, sie hätten auf diese Weise das A und £2 mit der zahlwertgleichen Taube erklärt, die auf Jesus bei seiner T a u f e herabgekommen sei. jtegiaTEgdi hat wie A und Q den Zahlwert 801. Man muß erwägen, ob diese Form des Rätsels hier vorliegen kann. Dann müßten wir zwei N a m e n oder Begriffe gleichen Zahlwerts suchen, nämlich 666, die eben dadurch als inhaltsgleich erwiesen würden. Eine derartige Lösung läge beispielsweise in "1DP p"U und Q ' o n nDV vor (Bousset 373 f.). D a s ist zwar ein mögliches Verständnis der Aufgabe, aber es ist nicht wahrscheinlich, daß sie so gemeint war. Denn der Sinn des Rätsels enthüllt sich vollständig, wenn der N a m e eines römischen Kaisers dabei herauskommt; auch wenn dann zusätzlich das römische Imperium herausgerechnet wird (z. B. t) ItaXr) ßaaiXeia), vergrößert sich der Effekt nicht mehr. — Wie schwierig die Aufgabe ist, das wird aus ihrer Vieldeutigkeit klar. D a wir von der Zahl zum Buchstaben gehen, werden wir auf diesem Weg, auch wenn wir eine Lösung finden, doch nicht erfahren, ob es die richtige Lösung ist. Die Unzahl der im Lauf der Auslegungsgeschichte vorgeschlagenen Lösungen beweist dies auch. D a z u kommt, daß der Text nicht ganz eindeutig ist; man kann nicht ganz sicher sein, ob man wirklich für 666 und nicht für 616 nach einer Lösung suchen muß. Schließlich muß man auch entscheiden, ob man das griechische oder das hebräische Alphabet zur Lösung heranziehen soll. Man könnte als selbstverständlich ansehen, daß nur das griechische Alphabet in Frage kommt. Denn Johannes schreibt nicht nur griechisch, sondern übersetzt gelegentlich einen N a m e n (9,11 Abaddon), oder erklärt einen andern ausdrücklich als hebräisch (16,16 Harmagedon). Dagegen läßt sich aber einwenden, daß an dieser Stelle esoterisches Wissen mitgeteilt wird, und daß der Verfasser nicht von jedem Leser, sondern nur von dem verständigen voraussetzt, daß er sein Rätsel lösen könne. Tatsächlich haben sich auch die Mehrzahl der Ausleger für eine Lösung mit H i l f e von hebräischen Buchstaben entschieden (1DP P"U); dies ist jedoch nicht allein im 13. Kapitel begründet, sondern dazu muß man das 17. Kapitel mit der Sage vom Nero redivivus mit heranziehen. Eine interessante, methodisch selbständige Lösung hat Lyder Bruns ( Z N W 1926) vorgeschlagen, die darum referiert werden soll, weil sie das lateinische Alphabet heranzieht. Die Voraus-

185

Münzlegende

13,18

Setzungen dafür bestehen in der Unerläßlichkeit des Charagmas beim Kaufen und Verkaufen und der Folgerung, daß es sich nur um eine Münze handeln könne. Nun sind zwar nicht alle lateinischen Buchstaben Zahlen, aber jede Zahl läßt sich mit römischen Ziffern schreiben. 666 schreibt sich in römischen Ziffern DCLXVI. Diese Ziffer inspiriert die Phantasie. Man müßte nun eine Münze suchen, die diese Legende trägt. Eine solche Münze gibt es zwar nicht und kann es auch nicht geben, weil eine so weit abgekürzte Münzlegende nicht mehr leserlich gewesen wäre. Setzt man sich aber über diese Unmöglichkeit weg und nimmt an, es habe eine Münze mit dem Kaiserbild und dieser Umschrift gegeben — wie wäre sie dann zu lesen gewesen? Die Antwort ist faszinierend einfach. Die altkirchliche Tradition läßt Johannes unter Domitian leiden, und die Apokalypse weist auf die Zustände hin, die unter Domitian bestanden haben. Daher liegt es nahe, die ersten beiden Ziffern als „Domitianus Caesar" aufzulösen. Ferner findet sich auf römischen Münzen in der Regel das Regierungsjahr als Prägedatum. Domitian hatte aber gerade das sechzehnte Regierungsjahr begonnen, als er ermordet wurde. Es wäre also möglich, in der Zahl XVI einen Hinweis auf die 16. tribunizische Akklamation zu sehen, die Anfang September 96 stattfand. Schließlich muß noch das L erklärt werden. Es ist die bekannte, auch auf Münzen vorkommende Abkürzung für Xuxaßavtog und bezeichnet das Jahr. — Die Lösung ist wunderbar einfach, und man vergißt fast darüber, daß sie im entscheidenden Punkt, in der Auflösung des D C zu Domitianus Caesar, ein reines Phantasieprodukt ist. In Wirklichkeit ist es aus methodischen Gründen unmöglich, allein aus dem 13. Kapitel die Lösung zu finden. Die gematrische Kunst erlaubt, nahezu jeden römischen Kaiser hier auszurechnen. Daher ist der Beweis für die Richtigkeit nicht, daß das Rätsel aufgeht, sondern wir müssen eine Lösung finden, die mit den andern Angaben des Buches in Einklang ist und sich aus ihnen ableiten läßt. Die Lösung des Zahlenrätsels wird sich dann als zufällige und erfreuliche Beigabe finden. — Denn wir müssen voraussetzen, daß Johannes annehmen konnte, seine Leser wüßten, wen er meinte, und daß sie darum solange rechnen konnten, bis sie auf die richtige Lösung kamen. In eben diese Lage müssen auch wir uns versetzen, wenn wir die richtige Lösung finden wollen (S. bei 17,10).

KAPITEL 14: DAS LAMM U N D DIE GERETTETEN. GERICHTSANKÜNDIGUNG. DIE ERNTE 14,1—5 Das Lamm und die Geretteten 14,1 Ich sah, und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm 144000, die hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben auf ihre Stirnen. 2 Und ich hörte eine Stimme vom Himmel wie eine Stimme vieler Wasser und wie eine Stimme großen Donners.

14,1

Die Gefolgschaft des Lammes

186

Und ich hörte eine Stimme von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen. 3 Und sie singen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Wesen und vor den Presbytern. Und keiner konnte das Lied lernen außer den 144 000, die erkauft sind, weg von der Erde. 4 Die sind es, die sich mit Weibern nidit befleckt haben, denn sie sind jungfräulich. Diese folgen dem Lamm, w o es immer hingeht. Diese sind erkauft aus den Menschen, ein Anbruch für Gott und das Lamm. 5 Und in ihrem Munde wurde eine Lüge gefunden. Sie sind tadellos. Der Verfasser kehrt zu einem Stoff zurück, den er zuletzt im 7. Kapitel behandelt hatte. Den Stoff des 13. Kapitels führt er im 17. weiter. Der Grund für die Unterbrechung ist — abgesehen von dem Stilmittel, verschiedene Stoffe ineinander zu verweben — die Absicht, den Trägern des Charagma die gegenüberzustellen, die die Sphragis an ihrer Stirn tragen. 1 Zwischen 13,18 und 14,1 befindet sich eine tiefe Zäsur. Die Formel xai elöov xai löoii bezeichnet den Anfang eines neuen Abschnitts. Die Kapitel folgen einander nicht in chronologischer Reihe. Vielmehr wird den zuvor gezeigten Feinden Gottes jetzt seine Anhängerschaft gegenübergestellt. Das Lamm steht auf dem Zionsberg. Der Zion spielt in der apokalyptischen Literatur eine erhebliche Rolle. Häufig finden wir — besonders in den partikularistisch denkenden Kreisen — die Erwartung, daß sich der Endkampf um den Zionsberg abspielen werde. Hier wird sich zu diesem Endkampf der Messias offenbaren, und er wird mit einem Engelheer in den Kampf eingreifen und ihn entscheiden (s. E. Lohse, „Sion", T h W N T 7,318—338). Diese Form der Erwartung hat sich mit einigen Einzelheiten in unserm Kapitel niedergeschlagen. Dahin gehört außer der Postierung des Lammes mit seinen Getreuen auf dem Berg die Erscheinung des Weltenrichters, die 14,7 ff. vorbereitet wird und 14,14 einsetzt. Doch richtet sich die erzählerische Absicht des Johannes auf ein anderes Ziel. Er will den Dualismus zwischen der göttlichen und der widergöttlichen Partei stärker herausarbeiten. 16,14 ff. zieht die widergöttliche Dreiheit ihre Gefolgschaft auf dem H a r Magedon zusammen; entsprechend versammeln sich die Anhänger der göttlichen Dreiheit — Gottes, des Lammes und des von den Propheten vertretenen Heiligen Geistes — auf dem Zion. 16,14 war dazu ausdrücklich gesagt, daß es bei jener Versammlung um den Endkampf geht. Mit dieser Gegenüberstellung der beiden Parteien ist die Nennung des Zionsberges an unserer Stelle noch nicht vollständig erklärt. Dahinter steht vor allem die Weissagung Joel 3,5: xal e a x a i jtäg, 05 av e:uxaXear|Tai t ö övojia MJQtov, aarfhriaTai- o t i ev TW ÖQEI 2id)v xal ev TegouaaXTiix e a t a i dvaaq)^6[i.Evog, xorftoti EIJIEV xvpiog, xal EmweXi^onevoi, oug XVQ105 iteoaxexXrixai. Das heißt, daß auch nach den universalistischen Weltuntergangs-

187

D i e Geretteten

14,1—2

erwartun'gen der Zionsberg der Ort ist, wo man Schutz vor den Naturkatastrophen finden wird. In unserm Text ist weder Endkampf noch Weltuntergang angeschlossen. Dadurch wurde Platz geschaffen f ü r eine Rettungsverheißung, die sich auf Naturkatastrophen und Endgericht bezieht. Es geht dabei um die Erwartung, die sich auf Joel 2,27 und 3,3 f. stützt. 2,27: xai EJTiYvcoaeaÖE öxi ev (leacp t o i 'I. ¿710 ei(n, xai iyd> xiipiog o 0605 t)|xcöv. Diese Weissagung erfüllt sich in unserm Vers. Der Herr, das L a m m , steht inmitten seiner Anhänger. D a s Gottesvolk, von dem Joel spricht, wird in der Apokalypse durch die 144 000 repräsentiert. N u n folgt bei Joel die Verheißung der Geistausgießung. Sie wird hier dargestellt durdi die eine Prophetenberufung markierende Himmelsstimme und durch das Singen des neuen Liedes, dessen Kenntnis den Berufenen vorbehalten ist. Joel fährt dann 3,3 f o r t : „ U n d ich werde Zeichen am Himmel und auf Erden veranlassen, Blut, Feuer und Rauchdampf." Keines dieser Zeichen fehlt in unserm Kapitel. A m auffälligsten ist der Rauch; er wird in 14,11 ausdrücklich genannt. Es handelt sich um den dicken weißen Q a l m , der bei der Verbrennung von Schwefel entsteht. Zum Rauch gehört das Feuer. Es wird zuerst 14,10 genannt, aber in den Zusammenhang gehört auch, daß der vom Altar ausgehende Engel Gewalt über das Feuer hat. Dieser Engel ist es dann, der durch seinen R u f an den Sichelträger das Blut fließen läßt. S o stellen Rauch, Feuer und Blut eine Einheit dar, die ihren sachlichen Grund allein darin hat, daß die drei Erscheinungen bei Joel gemeinsam geweissagt waren. — Wer sind die 144 000? Durch Joel ist sichergestellt, daß es sich um das neue Gottesvolk handelt. Die Zahl weist zurück auf die Versiegelten K a p . 7; dort sind es die Geretteten aus den 12 Stämmen. Die Kennzeichnung der 144 000 bezieht sich auf das bevorstehende Gericht; sie tragen den N a m e n des Lammes und seines Vaters auf ihren Stirnen. K a p . 7 war von der Sphragis die Rede, doch war sie nicht näher beschrieben. Der Entstehungsort f ü r den Gedanken ist E z 9,4: 8[EX{>E (J.EOT|V TT)V TepouaaMnx xai öög tö armeiov i m xa (jixama xajv avÖQüjv tcöv xaxaoxevat,övtcüv xai T Ü V xax(ÜÖIM0|I£vft>v EITI j i ä a a i j xaig dvo^iaig xai? Y I V O J I E V A I G ev jiiaü) aiixfig. D a s Zeichen bestand bei Hesekiel in dem wie ein liegendes K r e u z geschriebenen Buchstaben T a v , der als Bußzeichen oder als Bezeichnung des göttlichen Eigentums zu deuten ist. An eben dieses Zeichen ist auch hier zu denken, freilich mit dem Unterschied, daß als Buchstabe das Chi zu verstehen ist, und das vertritt den N a m e n Christi. (Vgl. auch Jes 44,5 L X X ) . — Man muß erwägen, ob das C h a r a g m a nicht ebenfalls als Kreuzzeichen zu denken ist, so daß dieses Zeichen auch nach seiner Form als teuflische Nachahmung der christlichen Konsignation erscheint. 2 Die Textausgaben stehen dem richtigen Verständnis des Verses dadurch im Weg, daß sie nicht erkennen lassen, daß hier von zwei verschiedenen Stimmen die Rede ist, der Himmelsstimme und der Stimme der Harfenspieler. Der größere Teil der Uberlieferung hat das nicht erkannt und den T e x t so überliefert, als sei nur von einer einzigen Stimme die Rede. Aber das ist nicht möglich; wenn es nicht die Uberlieferung von P a p 47 P 1 und anderen gäbe, müßte man hier zur Konjektur schreiten. D a s läßt sich äußerlich an folgendem Umstand erkennen: Vers 3 verlangt als Subjekt einen Plural, und dieses Subjekt können nur die Harfenspieler sein. Die stehen aber auf dem Zionsberg, das heißt „unten" vom Himmel aus gesehen, müssen daher von der Himmelsstimme unterschieden werden. Die Himmelsstimme kennen wir als unerläßlichen Bestandteil der Prophetenberufung. Sie kann nidit mit der Stimme von Menschen identifiziert werden, auch dann nicht, wenn es Erlöste und Gerettete sind. Bei der Himmelsstimme ist „ H i m mel" Umschreibung für N a m e n und Person Gottes. Sie ist nidit die Stimme der H a r f e n -

14,3

Das neue Lied

188

Spieler, sondern eine für diese bestimmte Stimme; diese werden durch sie zu ihrem „neuen Lied" inspiriert. — Das Wort xiftdga ist ganz ungleich über die L X X verteilt. Neben wenigen Vorkommen in Gen, Dan, 2. Chr und Jub findet es sich 5mal bei Jesaja; an all diesen Stellen ist der Gebrauch uncharakteristisch. Wichtig für unser Thema sind aber die 10 Vorkommen im Psalter. Dort erscheint die Kithara jedesmal als ein Instrument, das sich dazu eignet, dem Dank für göttliche Rettung Ausdruck zu verleihen. Zu eben diesem Zweck gebrauchen auch hier die Harfenspieler ihre Instrumente. Diese Feststellung läßt sich durch die Betrachtung von Ps 98(97),5 noch präzisieren: ojxiXaTE xü xvQicp ev xiftaQq: / ev xifraQQi xai cpoovfjtydXfiovdenn der Schlußvers gibt den Grund für den Lobgesang und das Harfenspiel an (V. 9). öxi i^xei xpivai tt)v yr\v. Audi Ps 43(42),3 f. können unsere Stelle beeinflußt haben. 3 Das „neue Lied" verweist zurück auf 5,9. Dort singen es die vier Thronengel und die Presbyter, die hier als Hörer des Liedes genannt werden. Sänger sind die 144 000. Auch die Wortfolge xai oüSeig EÖiivaxo klingt an Kap. 5 an. |xavftdveiv heißt nicht „hören", sondern „lernen"; nur die können den neuen Lobgesang Gottes lernen, die wie Propheten durch eine Himmelsstimme dazu berufen sind. Eben darum heißt der Lobgesang „neu", weil er auf Grund göttlicher Inspiration erklingt (s. Ps 40,4). Mit dem „neuen Lied" steht es in der L X X folgendermaßen, cpör) kommt in Verbindung mit xcuvog als cpör] xaivr| nur ein einziges Mal vor, Ps 144(143),9: ö fteog, (pöf|v xaivfjv $ao|xai aoi. In Verbindung mit xaivog erscheint sonst immer xai eveßaXev eig tö ax6|ia fxou gajxa xaivöv {jjxvov xtp -0-etp fiixtöv. ot fivoQaa^ievoi &KO Tfjg vf)g. ayoQäQo) kommt in der L X X — und gerade in den für uns wichtigen Büchern — nur selten vor; gar nicht in der Bedeutung „loskaufen". Da der Ausdruck hier und (er verweist ebenfalls auf Kap. 5 zurück) 5,9 festgeprägt zu sein scheint, und da er sich auch im l.Kor (6,20; 7,23) fest geprägt findet, muß man die Frage nach seiner Herkunft zur Bezeichnung der Erlösung wenigstens aufwerfen. Die Vermutung liegt nahe, der Gedanke des sakralen oder profanen Sklavenfreikaufs könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Bei jenem tritt die Gottheit als fiktiver Käufer auf, bei diesem ein Dritter. Für Paulus ist dieser Gedanke auch nicht auszuschließen. Zum Verständnis der Apokalypse trägt er aber nichts bei, weil in ihr die Gottesknechtschaft allein hervorgehoben ist und nicht die Freiheit der Kinder Gottes. Vermutlich ist unser Buch zu straff an die Bibel gebunden, als daß ihm jener hellenistische Gedanke nahgelegen hätte. Deshalb ist wahrscheinlicher, daß Johannes ayopa^oi im Sinne des häufiger vorkommenden xtao[iai verstanden hat. Dann wäre unter anderem besonders Jes 26,13 anzuführen: xvqie 6 fteög f)|j.MV xtfjaai r)[i.äg. x v p i E Exxög aoi aXXov oim oiSajisv, tö ovo^ä aou övoHa£o|iEV. Diese Stelle kommt darum in Betracht, weil in ihr der Name des Herrn angerufen wird. Darin liegt aber nach Joel 3,5 das Heil. Der Ort dieser Anrufung ist, ebenfalls nach Joel 3,5, der Zionsberg. Man wird daraus schließen, daß das Singen des neuen Liedes in einer Anrufung des Namens des Herrn besteht; denn die auf dem Zion um das Lamm Gescharten sind die Geretteten. Sie tragen auf der Stirn den Namen Gottes, kennen also diesen heilbringenden Namen, und sind dadurch, daß sie ihn auf der Stirn tragen als Eigentum Gottes ausgewiesen. Daneben wird auch Jes 57,13 heranzuziehen sein: ol 8e avTExo|XEVoi (xod xxT|aovTai yriv xai xXriQovo(iriaovaiv tö ogog tö ayiov p.ou. Das ungewöhnliche aitö (5,9 steht ex) wird im Folgenden erklärt.

189

Die Gefolgschaft des Lammes

14,4—5

4—5 In diesen beiden Versen liegen eine Reihe von Erklärungen und Definitionen vor, wer mit den 144000 eigentlich gemeint sei. Man kann bis zu sieben Erklärungen zählen und unterscheiden, aber sie stimmen keineswegs miteinander überein. Daher besteht die Vermutung, es handele sich um nachträgliche Einschübe, insbesondere um Glossen. Einschübe erkennt man in den meisten antiken Texten — und häufig in der Apokalypse — daran, daß der Text eine Form hat, die sich durch a b c m n o c d e darstellen läßt. Die Buchstaben stehen für Wörter oder Wortfolgen. In unserm Beispiel wäre die Folge m n o als Einschub verdächtig. In unsern Versen müßten wir somit das Textstück zwischen riYopaanEvoi und riyopaadriaav als sekundären Text ansehen. Daraus ergibt sich, daß der Schluß von V. 4 und V. 5a den originalen Text darstellen. So erklärt sich die Sprunghaftigkeit und Inkongruenz dieser beiden Verse. Wahrscheinlich gehört das einleitende oiJToi elaiv noch zum ursprünglichen Text, obwohl es von A und einigen Minuskelhandschriften ausgelassen wird. Aber es stellt eine Rückbeziehung dieses Kapitels auf das siebte, nämlich auf 7,14 dar. oitoi elaiv ot |xexa ywaixcov ow. EfioXwfrriaav, jtaQÖevoi jag eioiv. Der Satz fällt formal dadurch auf, daß er einen Begriff und dessen Definition enthält, daß aber die Reihenfolge beider vertauscht ist. Nach allen Regeln der Logik muß zuerst der Begriff und dann die Definition genannt werden. Wir hätten einen Satz folgender Form zu erwarten gehabt: jtag&Evoi yäg eiaiv, oE \azxa ywaixcov otix E|xoXwftr|aav. Er wäre dann analog jenen Identitätsaussagen (meist Bekenntnisformeln) gebaut gewesen, durch die einer Person ein Prädikat zugesprochen und dieses dann erklärt wird. Die verkehrte Reihenfolge des Textes kommt daher, daß er sukzessiv entstanden ist. Die vorhandene Satzaussage „die sich mit Weibern nicht befleckt haben" wurde nachträglich verdeutlicht „denn sie sind jungfräulich". Diese Erklärung entspricht einem asketischen Verständnis des Christentums, das der Apokalypse sonst völlig fernliegt. Es gehört vielmehr in die Umgebung der von der Apokalypse durchweg bekämpften Gnosis. Daß der Zusatz in die Apokalypse eindringen und sich in ihr halten konnte, kommt daher, daß er in ihrem Zusammenhang nach der Analogie der apokalyptischen Bildersprache auf Götzendienst und auf die Brautschaft der Gemeinde mit Gott gedeutet wurde. Ohne den Satz „denn sie sind Jungfrauen" bedeutet die Erklärung „die sich mit Weibern nicht befleckt haben" solche, die keine Unzuchtssünden begangen haben, insbesondere keinen Ehebruch. Man erinnert sich, daß das Thema im Testament Rubens ausführlich behandelt wird. Zwar darf man zum eigentlichen Text der Apokalypse die Patriarchentestamente nicht als Erklärung heranziehen, da die Interessen der Verfasser in völlig verschiedene Richtungen gehen. Handelt es sich jedoch, wie wir vermuten, um eine Glosse, dann ist ein isoliertes Verständnis und eine Beziehung zu einer sonst nicht gebrauchten Schrift nicht auszuschließen. — Ein eigentümliches Verständnis der Stelle besaß eine Gruppe von Textzeu'gen, die vor allem durch den Pap 47 und den Sinaiticus vertreten wird. Diese Handschriften haben am Versende out' ag/fi; statt ditaQx1!- Sie haben somit an diejenigen gedacht, deren Seelen, Engel oder präexistente Gestalten in einer präexistenten Entscheidung, nämlich beim Engelssturz (Gen 6,1—7) treu geblieben waren und sich nicht am Aufruhr gegen Gott beteiligt hatten. Nach diesem Verständnis sind die „Weiber" die Töchter der Menschen Gen 6,2, und die 144 000 sind vielleicht auch als Engelheer verstanden worden. (Vgl. Hen 6 ff.; auch Test. Rub. 5,6 f., wo die Sünde allerdings darin liegt, daß es sich bei den Weibern um Ehefrauen handelt.)

14,4—5

Die Gefolgschaft des Lammes

190

Das wirkliche Verständnis unseres Glossators ergibt sich zunächst aus Mtth 25,1—12 (den klugen und den törichten Jungfrauen). Unter den „Jungfrauen" ist die Gemeinde zu verstehen, die sich auf die Ankunft des Bräutigams vorbereitet. Daß dieses Verständnis gemeint ist, beweisen 2.Kor 11,2 iifiäg . . jtapdgvov avvr)v jiagaatfjaai und Kol 1,22 itagaOTfjaai t)|iäg äyiovs xai d|xu)|xoug. Die Kolosserstelle zeigt überdies wegen des Schlusses unseres V. 5 a(j.co|xoi Eiaiv, daß unser Glossator sich an sie angelehnt hatte, und daß er genau dieses Verständnis ins Auge gefaßt hatte. — Schließlich wird auf diese Weise noch gezeigt, daß jictpftevoi die ursprüngliche Erklärung war, und daß „die sich mit Weibern nicht befleckt haben" einen erklärenden Zusatz dazu darstellt, OUTOI oi ÜY.O'/.OVÜOVVXEC; TÜJ agvicp ÖJIOD äv iutayfl. Der Satzteil befindet sich noch innerhalb des Einschubs; damit stimmt überein, daß in 5,9 jede Bezugnahme auf die Nachfolge Christi fehlt. Man kann erwägen, ob hier eine Beziehung zu den zuvor genannten „Jungfrauen" besteht. Aber der Sinn unserer Stelle spricht nicht dafür, auch wenn sich im N T und der gleichzeitigen Literatur bisweilen die Deutung der Nachfolge Christi als Befolgung seines sittlichen Vorbilds findet. Eher wird man den Satz johanneisdi interpretieren. Joh 10,4: xai t a jtgößaxa aiixä) dxoXoudei. Die Schafe folgen ihm, weil sie sein Eigentum sind und ihn als Herrn kennen. — Für eine martyrologische Deutung des Sätzchens fehlt zumindest jeder Hinweis; doch liegt dieses Verständnis für Verfasser und Leser zu nah, als daß man es fernhalten dürfte. — OIJTOI t|YOQa(rih]aav ajtö T W V dvÜQCojtttiv djtaQ/r] tat ftetp xai TÜ) apvkp. Die Schwierigkeit dieser Stelle liegt darin, daß sie unserm Verständnis von der Rolle Christi als Erlöser widerspricht. Wir erwarten, daß das Lamm die Erlösten für Gott erkauft. Hier aber erscheint das Lamm zusammen mit Gott — wie es aussieht — als Empfänger; wer erkauft hat, wird nicht ausgesprochen. Es ist freilich nicht ganz auszuschließen, daß der Dativ TWftecpxai TW dpvup den Käufer bezeichnet (s. Bl.-Debr. 191); will man das nicht annehmen, so bleibt nichts übrig, als die Zeile von djtapx'H bis dpvkp in Parenthese zu setzen, dnag/r) enthält als Hebe- und Erstlingsopfer sowohl das Moment der Gabe, wie das der Vorzüglichkeit und des Anfangs der Reihenfolge. Da Gott und das Lamm diejenigen sind, die diese aitapyj) zuwege bringen, entfällt das Moment des Opfers völli'g; es bleiben nur die „Erstlinge" übrig. — anö heißt unter Einfluß von Jes 53,8 „weg von".

Vers 4c steht bereits unter Einfluß von Zeph 3,8—13; daraus ergibt sich, daß dyoQd^co „von Sünden befreien" heißt. Anlaß für die Heranziehung dieser Weissagung ist, außer der für das Folgende wichtigen Gerichtsankündigung, Zeph 3,11 xai cruxeti |if) itgocröfig TOÜ ¡XEYC^AVXTJCJAI ENI tö opog TÖ äyiöv ¡xou Der heilige Rest auf dem heiligen Berg, von dem hier die Rede ist, ist dann zugleich der, in des Mund keine betrügerische Zunge gefunden werden wird: xai ev xä> (rr6}iaTi atittöv oir/ EtipeOr] TpsiSog. Zeph 3,13 xai ov |xf) evpeftfl EV tcp atö|iaTi avxtöv yXcöaaa öoAia. Die Sündenreinheit des heiligen Rests ist nach der Zephanjaweissagung nicht dessen Verdienst, sondern das Gottes. Das ergibt sich auch aus der verwandten Stelle Ps 32(31),2: (xaxaßiog avr|Q o5 ov Xoyiar]Tai xiiQiog anapriav oüös B O T i v EV xqj a x o | I A T I AIITOÜ öoXog. Von beidem ist Jes 53,9 abhängig: ovbe E I I P E ^ R ) Ö0X05 ev T W ATOFXATI aÜToi. — ä|xa)noi EICTIV. Aus den zitierten Stellen ergibt sich weiterhin, daß a|xa>|xoi nicht die Tadellosigkeit eines Opfers bedeutet (zu diesem Verständnis hätte eine falsche Beurteilung der djcap/r) verführen können); vielmehr wird die Tadellosigkeit durch Gott bewirkt. Diese Feststellung wird durch den Wortgebrauch im AT bestätigt. Dort findet sich aitaQX1! nicht mit ajuonog verbunden, nur mit ayiog, was aber einen ganz

191

Gerichtsankündigung — Himmelsstimme — Prophetenspruch

14,6—13

andern Sinn („geweiht") hat. Vielmehr bedeutet ä(XC0[i05 eine Tadellosigkeit, die dann eintritt, wenn der Herr die Sünden zugedeckt hat. In den Versen 14,6—20 treten insgesamt sieben Engel auf. Es wäre daher möglich, diesen Abschnitt als eine Sieben-Engel-Vision aufzufassen. Eine derartige Bezeichnung wäre jedoch irreführend. Gegenstand der Vision ist Ankündigung und Durchführung des Gerichts. Daß dabei Engel mitwirken, ist selbstverständlich, und daß es gerade sieben sind, ist eine ästhetische Einzelheit, der für das Verständnis des Abschnitts keine Bedeutung zukommt. Die Engel sind nicht Gegenstand der Vision, und deshalb mit den Visionen der sieben Siegel, Posaunen und Schalen nicht zu vergleichen. 14,6—13 Die Ankündigung des Gerichts Nach dem üblichen Schema der Apokalyptik müßte auf die Versammlung der Heiligen auf dem Zion das Gericht oder der Endkampf folgen. In der T a t läßt sich die Szene 14,14—20 als Gericht deuten, wenn es den Leser auch verwirrt, daß danach noch weitere Plagen und Kämpfe kommen. Desungeachtet muß das Zwischenstück, das dem Gericht vorausgeht, eine Gerichtsankündigung darstellen. Vers 7 rechtfertigt dieses Verständnis; der Ruf des ersten Engels ist eine Gerichts- und wohl auch Epiphanieankündigung. Doch schon der zweite Engelruf stört die Reihenfolge. E r bringt eine Mitteilung vom Fall Babylons, die schlecht zu den übrigen Nachrichten über die Stadt in unserm Buch paßt. Denn er nimmt ein Ereignis vorweg, hinter das die andern Mitteilungen über Babylon wieder zurückgehen. Erst im 18. Kapitel wird Babels Fall endgültig. Audi der dritte Engel sieht nicht vor, daß das Gericht unmittelbar auf seinen R u f folgt. E r beginnt mit einer Warnung vor dem Gotteszorn, einem Bußruf also, der Vers 11 dann in den Visionsstil übergeht, und schließt mit einem kompliziert zusammengesetzten Prophetenspruch, der sich an die irdische Gemeinde richtet. Der zeitliche Ablauf der Szene entspricht nicht unsern Erwartungen. Wir sehen nämlich, daß in den drei Engelrufen die chronologische Ordnung genau umgekehrt ist. Der dritte Engelruf bezieht sich auf die Gegenwart, der erste auf den noch ausstehenden Höhepunkt der Endgeschichte, und der zweite steht zwischen beiden. Nach der natürlichen Ordnung müßte der erste Engelruf zuletzt und der dritte zuerst stehen. Der Befund wird dadurch verständlich, daß man die Gegenwartsbezogenheit des Buches in Rechnung stellt. Es ist für eine bedrohte Gemeinde geschrieben, die die große eschatologische Versuchung noch vor sich hat. Daher gipfeln alle Anreden, Trostsprüche und Warnungen in der Bezugnahme auf die Gegenwart. D a ß sich aber Gegenwart und Zukunft so leicht in eins setzen lassen, rührt daher, daß die Endzeit als zeitliche Einheit aufgefaßt wird, als ein Geschehen ohne wesentliche Ausdehnung in der Zeit. Da die Endzeit schon begonnen hat, fallen für die Gemeinde Gegenwart und Zukunft zusammen.

6 Und idi sah einen andern Engel im Zenith fliegen, der hatte ein ewiges Evangelium, es zu verkündigen über die, die auf Erden sitzen und über jede Nation und Stamm und Sprache und Volk, und er sprach mit lauter Stimme:

14,6

Der fliegende Engel

192

7 Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn gekommen ist die Stunde seines Gerichts. Und betet den an, der Himmel und Erde geschaffen hat, und das Meer und die Wasserquellen. 8 Und ein anderer zweiter Engel folgte ihm und sprach: Gefallen, gefallen ist Babylon, die große, die aus dem Zornwein ihrer Unzucht getränkt hat alle Völker. 9 Und ein anderer dritter Engel folgte ihnen und sprach mit lauter Stimme: Wenn einer das Tier anbetet und sein Bild und das Mal nimmt auf seine Stirn oder auf seine Hand, 10 auch er wird trinken vom Zorn wein Gottes, vom reinen Mischwein in dem Kelch seines Zorns, und er wird gequält werden mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. 11 Und der Rauch ihrer Qual steigt auf in alle Ewigkeit, und keine Ruhe haben sie bei Tag und Nacht, die das Tier anbeten und sein Bild, und wenn einer das Mal seines Namens annimmt. 12 Hierin liegt das Ausharren der Heiligen, die die Gebote Gottes bewahren und den Glauben Jesu. 13 Und ich hörte eine Stimme vom Himmel sprechen: Schreibe: Selig sind die Toten, die im Herrn sterben von nun an. Ja, sagt der Geist, daß sie ausruhn von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen und gehen mit ihnen. 6 Die in den Versen 14,6.8.9 auftretenden Engel werden jedesmal durch äXXog ayyeKot; eingeführt. Das Reden vom ciXXog äyyEkoq und das Handeln durch derart eingeführte Engel scheint eigentümlich für den Verfasser der Siegelvision zu sein. Das Fehlen des aXXog bei einer in dieser Zusammensetzung beachtlichen Gruppe von Textzeugen (Pap 4 7 ; Sin u. a.) wird daher kommen, daß das Wort hier als „zweiter" verstanden und als vermeintlich fehlerhaft getilgt wurde. Dieselbe Zeugengruppe hat auch V. 8 in diesem Sinn korrigiert. jiEtO(xai kommt im N T nur in der Apokalypse vor; hier aber fünfmal. An den andern Stellen sind es Vögel, die fliegen. Der Adler von 8,13 könnte gestaltend auf unsere Stelle eingewirkt haben. Fliegende Engel sind selten. In der Bibel ist nur Dan 9,21 zu nennen, und das nur im hebräischen Text und bei Theodotion. Die L X X hat das

193

Die beiden ersten Engel

14,6—8

„Fliegen", wahrscheinlich mit Recht, als „eilig kommen" verstanden. — (ieaovßavri^a kommt im A T nicht vor. Der Engel fliegt im Zenith, weil seine Botsdiaft der ganzen Erde gilt. Das „Evangelium" ist an sich, wie zu 10,7 ausgeführt wurde, die Auferstehungsbotschaft. In diesem Zusammenhang ist sie Bestandteil der Ankündigung, daß Gott zum Gericht erscheinen wird. „Ewig" ist dieses Evangelium insofern, als Gott es von Anfang an so festgelegt und unverändert daran festgehalten hat. Die Ankündigung der Nähe Gottes ist für die Frommen eine frohe Botschaft. Für die Gottlosen ist sie eine Drohung; darum wird sie èjù toìig xatìrinivoug èrti Tfjg vfjg verkündigt, aller Welt zum Zeugnis. Die Verkündigung dieses Evangeliums hat darin ihren Grund, daß das Ende nicht eintreten kann, bevor aller Welt das Evangelium verkündigt ist. Mtth 24,14 xal XRIGUX^RJOETAI TOÜTO TO EvayvéXiov Tfjg ßaaiXsiag èv oAfl Tf) olxovnévfl eìg i x a p t i j Q i o v jiàaiv Toìg édveaiv, xaì TÒTE f||ei TÒ téAog. — Ungewöhnlich ist èrti Toìig xatfruiÉvoug ETCÌ Tfjg Y ^ G - Es geht auf Jer 25(32),29 f. zurück und gehört somit zu der Ankündigung, daß Gott zum Gericht kommen wird. 7 „Gott die Ehre geben" bedeutet in jedem Fall, die Überlegenheit der göttlichen Macht anzuerkennen. Hier geht es um den besonderen Lobpreis, der Gott we!gen seiner Ankunft und wegen seines Geridits dargebracht wird. Der Engel spielt die Rolle eines himmlischen Herolds, der alle Welt zu Huldigung vor dem König auffordert. Die Überlegenheit Gottes wird beim jüngsten Gericht auch von Gottes Feinden zugegeben. „Fürchten", „Ehre geben" und „Anbeten" ist eine Klimax, mit der die Huldigung der Welt beschrieben wird, wenn Gott zum Gericht erscheint. Der Grund für diese Schuldigkeit der Welt liegt darin, daß es die Huldigung der Schöpfung an den Schöpfer ist. — Die Unterscheidung von Meer und Süßwasser hat nur rhythmische Gründe; die kurzen Zeilen dieser Strophen verlangten die Erweiterung durch ein viertes Glied. Es sind auch rhythmische Gründe, die verhindern, daß daXaooav den Artikel bekommt. Die Handschriften, die ihn hier trotzdem hineinkorrigiert haben, bieten nicht den ursprünglichen Text. 8 Die Meldung des Engels ist zusammengesetzt aus Jes 21,9 JIEJITÜ)XEV BaßuXcov und Jer 51(28),7 JIOTTIQIOV xeuaoüv BaßvXwv èv XEIQÌ XUQÌOU HEOÌKJXOV jtàaav RF)v YFJV- àjtò TOÜ oivoi) aùtfjg èjuoaav sftvri, 6ià TOÌ5TO EoaÀEÌ>ftT)aav. Es bedeutet keinen Unterschied, daß bei Jeremia der Herr mit dem Becher Babel die Völker tränkt, während in der Apokalypse Babylon als Subjekt genannt ist. Auch die Feinde Gottes sind letztlich seine Werkzeuge. — Babylon ist Gegenbild der auf dem Zion versammelten Gemeinde. Gegenüber Zion als dem Ort des Heils und der Rettung wird Babylon durch die Jeremiasteile zu einem Ort des Unheils, vor dem flüchten muß, wer sich retten will. Der plötzliche Fall Babels (Jer 51 [28],8 AQMO EJIEOEV BaßuXwv) ist ein Gottesgericht, das auf dem Zion gemeldet wird. Jer. 51,10: È|T|VEYXEV xiiQiog TÒ XQÌ[IA OÜTOÜ / ÖEÜTE xal ÀVAYYEÌXCONEV EÌg Zicòv / TÒ ÈQya XVQÌOU teofi f||icöv. {hj|j.óg ist nach Hos 7,5 (ftunovcrfrai olvou) als „Rausch" zu verstehen. Daß es gleich darauf, in V. 10, den Zorn Gottes bezeichnet, ist eine Härte, die für die Schriftgebundenheit der Apokalypse charakteristisch ist.

Was ist hier unter „Babel" zu verstehen? Man muß davon ausgehen, daß V. 9 eine Interpretation von V. 8 enthält. Die drei Engelrufe ordnen sich so zusammen, daß der erste das Gericht ankündigt, der zweite das Gericht über Babel als vollzogen meldet, während der Dritte das Gericht über die von Babel Verführten ankündigt. Daraus folgt zunächst, daß der Skopus unserer Stelle nicht bei dem Gericht über Babel liegt, sondern daß es sich um eine letzte Warnung an die von Babel Verführten handelt. Babel ist somit hier weder eine historische, nodi eine mythische Größe; es meint weder das alte Babylon, 13

Hdb. z. N T 16a: Kraft

14,8—11

Der Zorn Gottes

194

noch Rom, es bezeidinet die Gefolgschaft des Tiers, d. h. die Zahl derer, die nicht auf dem Zion Rettung suchen. Es ist ein abstrakter Begriff, der in seinem Gegensatz gegen Sion die augustinische Entgegensetzung der beiden Civitates vorwegnimmt. — Aus dem Umstand, daß V. 9 als Interpretation von V. 8 aufzufassen ist, folgt dann weiterhin, daß jtoQveia nichts anderes sein kann als Götzendienst. Die Unzucht Babels besteht in der Anbetung des Tiers. 9 Der Vers dient dazu, zu erklären, wie es aussieht und was darunter zu verstehen ist, wenn Menschen von der großen Babel mit dem Wein ihrer Unzucht getränkt werden. Dem Verfasser lag, als er diesen Vers sdirieb, das 13. Kapitel mit Sicherheit vor. Wir können aber nidit entscheiden, ob er für das Malzeichen an Stirn und Hand eine Deutung kannte. Daß Eni einmal mit dem Genitiv und einmal mit dem Akkusativ konstruiert wird, hat rein rhythmische Gründe; es ist kennzeichnend für die lose Bindung des Verfassers an die griechische Grammatik und seine enge Bindung an den beabsichtigten Satzrhythmus. . . elxova aiixoi, . . iaetcojioi) autov, . . X^P01 avtoö klingen gleich aus, während ein Zeilenschluß xsipög autov den Rhythmus gestört hätte. 10 Das Bild des Kelchs, aus dem die Sünder Gotes Zorn trinken, ist im AT häufig. Ps 75(74),8 f. oti jtorr)piov ev xei(?l xvgiov oivou äxpäxou jiXfjßEg xEpdo[iaTog. . . movtai jiavTES oi aiAaptcoXol tijs y^S- P s 60(59), 5; Jes 51,17.22; Jer 25(32),15. Es lassen sich noch mehr Stellen beibringen. Die Fülle erklärt, warum der Vers so kompliziert gebaut ist; es waren allzuviel Weissagungen zu berücksichtigen. Der „unvermischte Mischwein" zeigt, daß der Verfasser Ps 75(74) zitiert. Der unvermisdite Wein ist der berauschende Wein. Mischwein ist Wein schlechthin. Die Vielzahl der Stellen erklärt fernerhin, warum der Zorn Gottes nebeneinander als -&u|u.6g und als öpyii ausgedrückt ist. Die beiden Teile des Verses lassen sidi als Prophetenspruch und seine Deutung auffassen. 10a ist gesagt, daß der mit dem Zorn Gottes getränkt wird, der sich von Babel tränken läßt. 10b erläutert, daß darunter die Folterung durch Feuer und Schwefel zu verstehen sei. Feuer und Schwefel dienen von Haus aus nicht der Folterung, sondern es sind die Stoffe, durch die Sodom und Gomorrha untergegangen sind; darum werden sie herabgeregnet: Gen 19,24; Ps 11,6; Hes 38,22; Lc 17,29. Den Übergang zur apokalyptischen Vorstellung vom Feuerpfuhl, in dem die Götzendiener büßen müssen, stellt Jes 30,33 dar: 6 nveii^iati läßt es sich jedoch so verstehen, daß der Seher nur dem Pneuma nach in die Wüste versetzt wird, d. h., daß seine Wahrnehmungsfähigkeit eine entsprechende Ausdehnung erfährt. Sicher haben die Propheten Levitationserfahrungen gekannt, so daß sie an der Möglichkeit der Entrückung nicht zweifelten. Da aber nirgends die Rückkehr berichtet wird, und da bisher nur einmal, nämlich am Anfang 4,1 f. das Problem aufgetaucht ist, wird wohl nur an eine spirituelle Erweiterung des Erfahrungsbereichs zu denken sein. — Die Vision beschäftigt sich in ihrem ersten, dem eigentlichen Visionsteil überwiegend mit dem Weib und nicht mit dem Tier. Im zweiten, dem Auslegungsteil, richtet sich der Schwerpunkt des Interesses auf das Tier. — Das Reiten des Weibes auf dem Tier hat kein alttestamentliches Vorbild. Heidnische Gottheiten, die auf einem Tier stehen oder sitzen, gibt es jedodi nicht selten. Am nächsten kommt sachlich und geographisch Kybele, die kleinasiatische Muttergottheit, die mit ihrem Namen „Magna Mater" die Betitelung der Babel als „Mutter der Unzüchtigkeiten und Greuel der Erde" verursacht haben kann. Die Magna Mater kann auf dem Löwenthron sitzen, auf dem von Löwen gezogenen Wagen fahren und auf dem Löwen reiten. Sophokles, Philoktet 392,400 ff.: ¡xatsg AI)ToC Aiog . . / ico (laxaioa TOUpo- / XTÖVCOV Xeovtcov ecpeÖQE, . . Johannes hat es aber nicht mehr mit der Göttermutter zu tun; nur ihren Namen und ihre Erscheinung konnte er ausnützen. Ihr Bild schien ihm geeignet, die gottfeindliche Stadt und den Antichristen zusammenzufassen. Er hat es vielmehr mit der Verbindung

17,3—4

Das Weib auf dem Tier

214

des Kaiserkults mit dem Kult der Dea Roma zu tun, wie er seit d. Jahre 17 von Augustus für Kleinasien vorgenommen und speziell in Pergamon eingerichtet war (s. Nilsson, Index s. v. „dea R o m a " ) . Es handelt sich also hier um mehr als eine Stadt oder deren Personifikation. Die Dea Roma ist eine Gottheit, an der für die Griechen die Tatsache charakteristisch war, daß sie eine ganz besonders enge Verbindung mit dem Kaiserkult eingegangen war. Denn die Griechen konnten — anders als die Römer — den Kult dieser Gottheit mit dem Kult des lebenden Kaisers verbinden. Daher ist im folgenden auch der Kaiser das Subjekt der maskulinen Prädikate des Tiers. xoxxoc; ist die Scharlachbeere; xoxxivo? heißt scharlachrot. Das R o t symbolisiert die Pracht oder die Sünde; das läßt sich hier vielleicht nicht entscheiden. Ob das Tier oder eine daraufliegende Schabracke rot gewesen sei, ist eine Frage für Menschen, die sich eine Vision wie eine Art Photographie vorstellen. Der Seher wird froh gewesen sein, wenn er in seiner Vision einen roten Farbfleck vorfand, den er nach der Bedeutung der Farbe auslegen konnte. Für die Farbsymbolik wird man unter den alttestamentlichen Stellen vor allem Jes 1,18 heranziehen: xai e&v Jjoiv ai dixagtiai •u^ito? cbg cpoivixoCv, ¿>5 -FIAVA XEVxavw, eav öe coaiv cbg xoxxivov, ¿>5 Iqiov Xeuxavü. Die Partizipien ye|iovt(i und exovta sind maskulin konstruiert, weil das Substantiv, nach dem sie sich richten, der römische Kaiser ist. Das Tier kann nicht unmittelbar auf die danielischen Tiere Dan 7,1—8 bezogen werden, sondern es ist das Tier, dessen Entstehung Kap. 13 beschrieben ist. Daraus ergibt sich, daß Kap. 13 vor Kap. 17 oder gleichzeitig mit ihm entstanden ist. Die beiden Kapitel sind jedenfalls eng aufeinander bezogen und legen sich gegenseitig aus. yeno) „voll sein" kann sich auf die Oberfläche wie auf den Inhalt beziehen. Die Cheruben 4,6 sind äußerlich voll Augen; der sechste Berg bei Hermas 78,7 (Sim 9,1,7) ist äußerlich voll Risse und Schrunden. Aber Barn 11,11 ye^ovTEg ä^agxiö)v xai qvjtov kann kaum mehr äußerlich verstanden werden, und erst recht meint Ign Magn 14,1 oti fteofi YEfiete das „angefüllt sein" und nicht das „bedeckt sein". Das Wort kommt im A T relativ spärlich vor; l l m a l im N T , davon 7mal in der Apokalypse. — Die Aufschrift auf der Stirn der Hure könnte einen dazu veranlassen, daß man sich auch das Tier mit Namen der Lästerung vollgeschrieben denkt. Wahrscheinlicher ist aber, daß das Tier mit diesen Namen der Lästerung — an dominus et deus ist zu denken — vollsteckt. Dieser Sachverhalt läßt sich zwar nicht mit Augen wahrnehmen, aber dem Propheten, der durch den Heiligen Geist sehend ist, bleibt er nicht verborgen. Der Seher schaut kein Abbild des Tiers, sondern dieses selbst in seiner mythischen Gestalt. Darum wird er auch die lästerlichen Namen nicht als Aufschrift, sondern als Selbstbezeichnung und beanspruchte Titel geschaut haben. Statt vefiovra zu lesen ysM-OV Ta ist wegen l/ovra, wo man nicht so verfahren kann, unmöglich. 4 Der Drache war iruggög, das Tier ist xoxxivov, das Weib jiopcpuQOtiv xai xoxxivov gekleidet. Sicher ist, daß jtuQpog „feuerrot" meint, wie wir oben bewiesen haben, und daß es den Drachen kennzeichnet. Ob die andern Rotnuancen ebenso durch das Alte Testament festgelegt sind, ist schwer zu entscheiden. Vielleicht muß man bei der eben zitierten Stelle Jes 1,18 bleiben, doch so, daß Johannes wegen des Kaiserpurpurs und wegen Jer 10,9 cpoivixovv durch jtopcp'UQoüv ersetzt hat. — An Drohworten gegen Geschmückte ist im Alten Testament kein Mangel. Als Vorbilder für unsern Vers wird man in erster Linie an Ez 28 und Jes 3 denken. Die überladene Ausdrucksweise „vergoldet mit Gold und Edelstein und Perlen" soll die Prahlerei mit Pracht und Reichtum veranschaulichen. D a für hat besonders das reiche Tyrus Modell gestanden. Im Unterschied von J e r 51 macht

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Das Weib auf dem Tier

17,4—6

hier Babel nicht trunken, sondern betrinkt sich selbst. — Der Inhalt des Bechers ist hier anders angegeben als in V. 6. D a s liegt daran, daß in diesem Augenblick nodi, am Anf a n g der Schilderung, Jeremias Vorbild zu stark wirkt, so daß die Verführung der K ö nige und Völker zum Götzendienst noch nicht aus dem Auge des Sehers geraten ist. J o hannes aktualisiert in diesem Kapitel; er geht vom alttestamentlichen Vorbild aus und geht auf die Gegenwart zu. Daher können sich derartige Angaben unter seiner Schilderung durch Aktualisierung verändern. Es besteht kein Grund, ßÖEXuYM.a und jtoQvela hier anders zu verstehen als sonst in der Apokalyptik. ßSeAuv^a ist das ßöeÄ.uYHa ""15 EQinxtöaEWc;, der „verwüstende Greuel" der synoptischen Apokalypse (Mtth 25,15 parr). Dort wird D a n 12,11 zitiert, die verwüstende Menschenvergötzung an heiliger Stätte. Aktuell dürfte sich das Wort auf den Kaiserkult und den K u l t der D e a R o m a beziehen, jiopveia ist wie überall in unserm Buch der Götzendienst. Die Kirchenväterberichte über geschlechtlichen Libertinismus in gnostischen Gemeinden verführen die Ausleger häufig dazu, hinter den Vorwürfen einen geschlechtlichen Sinn zu suchen und sie wörtlich zu verstehen. Aber das Interesse unseres Buches bewegt sich in andere Richtung; darum wäre jede Beschränkung auf einen orgiastisdien K u l t falsch, auch auf den einer Muttergottheit, so nahliegend solche Kombinationen auch erscheinen mögen. Für Johannes sind kultische Verfehlungen eo ipso auch sittliche Verfehlungen, und seine Predigt gegen den Götzendienst ist von dem ganzen Pathos der Sittenpredigt getragen. Wenn er gegen Unzucht und Hurerei predigt, dann sind sexuelle Verfehlungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen, aber sie befinden sich nicht in seinem Blickfeld. Denn er begreift unter diesen N a m e n den Götzendienst und nichts anderes. 5 Aus diesem Grund ist es recht fraglich, ob das Vorbild für die Stelle wirklich die Sitte römischer Dirnen ist, einen N a m e n an der Stirn zu tragen. D a s wird aus Juvenal, Sat 6,120 ff. und Seneca, Rhet 1,2,7 abgeleitet, und die Behauptung zieht sich mit diesen Stellen seit Wetstein durch die Auslegungsgeschichte, ohne daß die genannten dicta probantia wirklich stützen würden. Man wird besser auf die römischen Dirnen verzichten. Wie die Anbeter des Tiers auf der Stirn gekennzeichnet sind, so auch das Weib. Vielleicht ist eine Antithese zu dem Logos beabsichtigt, der 19,12 einen unbekannten N a m e n am H a u p t trägt. nwrripiov bedeutet in der Apokalypse kein Mysterium, sondern einen Ausdrude mit einem geheimen, nicht offen daliegenden Sinn; etwas, was aufgedeckt werden muß, will man erfahren, was sich dahinter verbirgt. Der geheimnisvolle N a m e ist somit ein Deckname. Babylon ist nicht der wirkliche N a m e der Stadt, sondern der N a m e , hinter dem sich der eigentliche N a m e verbirgt. Der erläuternde Zusatz soll die Aufdeckung ermöglichen; er erklärt, worin die endzeitliche Q u a l i t ä t dieser Stadt besteht. — An Stelle des überlieferten jtopvwv oder jtogvcov ist mit den Lateinern zu lesen jtopveicov. Dies fordert der Sinn, und ebenso die Parallele im vorhergehenden Vers. Tfjs y'HS i s t a u s Gründen des Wohlklangs dazugesetzt. — Auch hier ist wieder daran zu erinnern, daß J o h a n nes sich nicht gegen die Sittenlosigkeit der Großstadt wendet, so wenig Gefallen er daran auch gefunden haben mag, sondern gegen den Götzendienst der mächtigen Stadt, die sich selber zur Göttin aufwirft und die Anbetung sich nicht nur gefallen läßt, sondern sogar erzwingt. 6 Der Vers gehört in den Zusammenhang der Formeln, in denen Jerusalem der Prophetenmorde beschuldigt wird. D a m i t hat sich der Sinn des Bildes verändert. Bisher war dem Weib Götzendienst und Verführung zum Götzendienst vorgeworfen worden; nun

17,6—7

Das Weib auf dem Tier

216

lautet die Anklage auf Mord an den Heiligen und den Zeugen Jesu. Wegen 16,6 und 18,24 (ayioi xai itoocpf|tai) sind die jiQo |ir| äxowftfj ETI. Sin und A tilgen jtaaris TEXVT);, aber rhythmische Gründe empfehlen die Erhaltung der beiden Wörter. In den Musikinstrumenten sind Zeichen der Lebensfreude zu sehen; bei den folgenden drei Bestimmungen handelt es sich dagegen um Zeichen des Lebens überhaupt, die erkennen lassen, daß eine Stätte bewohnt ist. Der Klang der Mühle ist als Morgenlaut für den alten Orient so charakteristisch wie für uns das Geräusch der Kaffeemühle. Ob die Frauen, die die Handmühle drehn, dazu auch noch Lieder singen, ist unserm Text nicht zu entnehmen. Wie die Mühle am Morgen bezeichnet die Lampe am Abend, daß ein Ort von Menschen bewohnt ist; beides zusammen schließt den Tageslauf ein. Die Stimme des Bräutigams und der Braut steht zunächst für die Hochzeitsfeier; sie bezeichnet die Zukunft, der Menschen zuversichtlich entgegensehen. Daher werden in Drohworten (Jer 7,34; 16,9; Euseb, h. e. 3,8,7) diese Stimmen besonders angesprochen (vgl. auch Jer 33,11). Vorbild der Weissagung ist Jer 25,10: xai äutoXw du' avtcov cpoJvr)v xapäg xai COVT)v vv^cpiov xai 6 xtipiog xai 6 nwrfrög ohjxoü jiqö nQoaamov avxov äjtoöoüvai exdoTtp xaxä Egya aiiToC. Bei der nahezu gleichzeitigen Entstehung des 1. Clemensbriefes und der Apokalypse ist ausgeschlossen, daß eines von beiden Büchern das andere benutzt haben könnte. Daraus folgt, daß die Ähnlichkeit der Sprüche hier und dort auf die gemeinsame urchristliche Paränese zurückzuführen ist. — Im Unterschied von der Auffassung im Hauptteil unseres Buches sieht der Spruch hier aber vor, daß das Totengericht durch Christus ausgeübt wird; das ist die übliche Erwartung, vgl. 2.Kor 5,10; Mtth 16,27 u. a. — Der Verfasser des Buchschlusses hatte die Absicht, das Buchende dem Budianfang anzugleichen. Daher nimmt er 22,12 Bezug auf 1,7 und 22,13 auf 1,8. 13 Die Selbstbezeichnungen Gottes aus Deuterojesaja 41,4; 44,6; 48,12 sind in der Apokalypse teils wörtlich, teils umschrieben übernommen: 1,8; 1,17; 21,6. Hier bezeichnet Christus sich als Schöpfer und Weltenrichter. 14 Ein Teil der Überlieferung liest jioiovvTeg Tag evroXag avtoii. Lohmeyer erklärt die Variante überzeugend als alten Schreibfehler (z. St.). Diese siebte Seligpreisung wiederholt 7,14, verzichtet aber auf die Fortsetzung „und bleichten sie im Blut des Lammes". Damit soll wahrscheinlich eine Beschränkung der Seligpreisung auf die Märtyrer ausgeschlossen werden. Der Verfasser denkt hier vielmehr an die Reinheit der Taufgewänder und preist diejenigen selig, die die Taufbekehrung ernst nehmen. Der „Einzug zu den Toren" erinnert an die alttestamentlichen Prozessionsvorstellungen des Psalters; aus unserer Stelle wird unter Rückgriff auf das Alte Testament eine der zentralen Heilserwartungen der Kirchengeschichte. Ursprünglich war die Rüdekehr der Zerstreuten des Gottesvolks auf diese Weise ausgedrückt; daraus wurde die Sammlung der über die Welt zerstreuten Kirche im Gottesreich. — Die Kombination von „Paradies" und „heiliger Stadt" erklärt sich als Bezugnahme auf die beiden letzten Kapitel der Apokalypse und ist keine selbständige Weiterentwicklung der Heilserwartung. Darum bedarf die „Stadt" auch keiner näheren Bestimmung. 15 Die Zusammenstellung einer Verheißung mit einem Lasterkatalog ist 21,7 f. nachgebildet. Der Lasterkatalog besteht aus drei heterogenen Bestandteilen: 1. „Hunde" ist eine bildliche Bezeichnung; 2. „Giftmischer, Hurer, Mörder und Götzendiener" eine Aufzählung schwerster Sünden; 3. „Liebhaber und Täter der Lüge" eine johanneische Abstraktion, in der die Sünde auf ihren Ursprung in der Lüge zurückgeführt wird. „Hunde": Das Exklusivitätsbewußtsein des jüdischen Volkes beherrscht auch die Partien des Alten Testaments, die national entschränkt sind, weil dieses Bewußtsein Anerkennung einer göttlichen Heilstat ist. In der Apokalyptik steigert sich das Erwählungsbewußtsein nur weiter (vgl. Joel 3,22—4,17); wir finden es ähnlich auch im Urchristentum. Hebr 13,11 bis 13 macht davon theologischen Gebrauch und will Gottes Heilsangebot auch denen e|(0 gelten lassen; l.Clem 4,11 und 12,6 gehen davon aus, daß „draußen" kein Heil ist. In diesen beiden Schriften ist die lokale Angabe „draußen" auf Lager oder Stadt bezogen zu denken; „draußen" ist außerhalb der Heilsgemeinde und außerhalb des Heils. Aus diesem Exklusivitätsbewußtsein erklärt sich die Bedeutung der „Hunde". Der Satz „draußen sind die Hunde" ist inhaltlich eine Tautologie, die nur durch ein Moment äußerster Verachtung erweitert worden ist. Der Hund kann im biblischen Sprachgebrauch als das Verachtetste aller Tiere gelten. Pred 9,4 („besser ein lebendiger Hund, denn ein toter Löwe") nennt die oberste und unterste Stufe einer Bewertungsskala. Die Verachtung der Hunde scheint in ihrer Lästigkeit und ihrer Gier begründet zu sein (z. B. Ps 22; 59; 68); daneben scheint auch mitgewirkt zu haben, daß die Päderastie als eigentümlich hündisches Laster angesehen wurde (Deut 23,19). Daher wird die Verkündigung des

22,15—16

Budisdiluß

280

Evangeliums an Menschen, die es nicht wert sind, und die das Gnadenangebot nicht zu schätzen wissen, Mtth 7,6 mit der Verfütterung von geweihtem Opferfleisch an Hunde verglichen („gebt das Heilige nicht den Hunden"). Aus dem formulierten und in der Urchristenheit umlaufenden Wort wurde — lang vor dem Eindringen der Arkandisziplin — der Ausschluß Ungetaufter vom Abendmahl abgeleitet. Die Entstehung dieses besonderen Gebrauchs läßt sich am Wortlaut von Did 9,5 beobachten: „Keiner esse und keiner trinke von eurer Eucharistie außer den auf den Namen des Herrn Getauften. Denn auch darüber hat der Herr gesagt ,Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben'." Paulus nennt Phil 3,2 Menschen, die das Evangelium verachten, „Hunde". Es ist denkbar, daß Paulus dabei in einem ähnlichen Sinn von Hunden spricht, wie das hernach 2.Petr. 2,22 geschieht. Dort ist Prov 26,11 herangezogen, um den Abfallssünder zu kennzeichnen, der zur Unreinheit der Welt zurückkehrt, von der er sich vorher abgewandt hatte. Daß wir uns dabei immer noch in der Nähe von Mtth 7,6 befinden, ist an der Zusammenstellung von „Hund" und „Schwein" zu erkennen. Darum wird die zornige Warnung Phil 3,2 Menschen meinen, die das Evangelium zwar angenommen hatten, es aber durch Rückkehr zur Gesetzlichkeit wieder preisgeben. Der Begriff geht also über bloß „Außenstehende" weit hinaus. Diese spezielle Bedeutung scheint auch Ign. Eph 7,1 vorzuliegen: „Manche pflegen nämlich in böser List den (Christen)namen umherzutragen und tun doch, was Gottes nicht würdig ist. Denen müßt ihr aus dem Weg gehen wie wilden Tieren. Denn es sind reißende Hunde, die unversehens (wörtl. heimlich) zubeißen." Ignatius denkt hier an die Lügenapostel, die auch in der Apokalypse im Sendschreiben nach Ephesus (2,2 ff.) bekämpft werden. Man wird daher in Betracht ziehen, daß eben diese Gruppe an unserer Stelle gemeint sein könnte; dafür spricht, daß hier diejenigen ausgeschlossen werden, die „Lüge lieben und treiben". So ist das Wort „Hunde" zwar auf Außenstehende zu beziehen, aber unter den Außenstehenden eine besonders verhaßte Gruppe: Abgefallene, Irrlehrer, und das heißt im Sinne dieser Ketzerpolemik, beides. Dieser Sinn läßt sich auch aus der Analogie von 21,8 erschließen. Die Anordnung der Sünden ist ganz gleich. Am Schluß stehen die Lügner, davor die Mörder—Hurer—Giftmischer—Götzendiener. Dann entsprechen den „Hunden" in 22,15 an jener Stelle (21,8) die „Feigen, Ungläubigen und Frevler". Die Frevler sind aber nach Daniel und der synoptischen Apokalypse diejenigen, die das Heilige profanieren (verwüstender Greuel). Somit zeigt auch die Analogie der beiden Verse 22,15 und 21,8, daß unter den „Hunden" die Irrlehrer zu verstehen sind, denen der ganze Zorn unseres Verfassers gilt. Ähnlich wie 21,8 läßt sich hier feststellen, daß nur die allerschwersten Sünden als Ausschlußgrund genannt sind. Die Überzeugung, daß ein Christ nicht sündigt, und daß die Sünde automatisch aus der Gemeinde und vom Abendmahl ausschließt, mußte zur Folge haben, daß nur schwere Sünden dafür in Betracht gezogen wurden. Wir sehen hier bereits den Standpunkt sich abzeichnen, den später die Montanisten einnehmen werden. Deutlicher noch als 21,8 zeigt unser Vers, daß „Lüge" im johanneischen Sinne verstanden sein will. Das „Tun" der Lüge ist dem Tun der Wahrheit entgegengesetzt. Vgl. l.Joh 1,6 i|>Eu66|ieöa xai oii noioi^ev xriv äM|fteiav. „Lüge tun" ist das Verhalten, das dem Willen Gottes zuwiderläuft; jedes Verhalten, das seinen Grund anderswo als in der Liebe Gottes hat. 16 Der Vers nimmt Bezug auf den „Engel Jesu Christi" 1,1. In der Textgestalt, die uns vorliegt, wird von dem in den letzten Kapiteln genannten Engel gesprochen; er wird durch diese Worte in seiner Eigenschaft als Bote und Angelus interpres beglaubigt.

281

Budischluß

22,16—18

Ursprünglich könnte vielleicht auch Johannes als dieser Bote gemeint gewesen und beglaubigt worden sein, ejii ist nach Analogie von 10,11 zu verstehen (auch die Bedeutung „wegen" könnte in Frage kommen). — pi^u ist hier nicht die Wurzel, sondern der Sproß aus der Wurzel (s. Maurer, ThWNT 6,990). Jes 11,10 f) -toi Teoaai = „Der Sproß aus der Wurzel Jesse". Jesus bezeichnet sich als Nachkommen Davids, d. h. als Messias und als Erfüller der auf den Messias gesetzten Hoffnungen. — Auch das Prädikat „der leuchtende Morgenstern" bezeichnet nach Num 24,17 den „Stern aus Jakob", den Messias (vgl. den Sternensohn Bar Kodiba). Nicht genau ist bekannt, welche Exegese dazu geführt hat, daß dieser Stern aus Num als „Morgenstern" verstanden wurde. Am wahrscheinlichsten waren es Stellen wie Jes 9,1 (vgl. Mtth 4,16) und 60,1: Der Morgenstern, der Messias führt die Heilszeit herauf. Ign Eph 19,2 und die Geburtsgeschichte Jesu nadi Matthäus (2,2.9 f.) sprechen jedenfalls für diese Vermutung. 17 Der Geist, der hier spricht, ist als Gegenüber zu Christus vorgestellt und vertritt die Gemeinde, die Christi Kommen herbeisehnt. Daher kann es sich nur um den aus den Propheten sprechenden Heiligen Geist handeln. Auch die Braut befindet sich in der Erwartung Christi. Darum kann sie nicht mit dem himmlischen Jerusalem (21,2.9) gleichgesetzt werden. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Vollendung: darum ist es die irdische in der Erwartung Christi stehende Gemeinde. — Aus der zweiten Zeile geht hervor, daß das „Komm!" vernehmlich gesprochen wird. Der Ort aber, an dem der prophetische Geist und die erwartungsvolle Gemeinde vernehmlich sprechen, ist die Gemeindeversammlung. Daher haben verschiedene Forscher in diesem Textabschnitt liturgische Spuren zu finden gemeint (GKlein, RGG 4,732; Robinson, Traces of a liturgical sequence; vor allem GBornkamm, Das Anathema . ., Ges. Aufs. 1 1966 123 ff.: Ankündigungen des Kommens Christi, Seligpreisung, Abwehr der Gottlosen, Einladung zum Genuß). Man wird sich den Ablauf so vorzustellen haben, daß zunächst ein Schriftwort rezitiert wurde, in dem der Herr sein Kommen ankündigte, daß dann die Propheten und die Gemeinde respondierten, wobei vielleicht die einen „Maranatha!" und die andern epxou xvqie sagten. Folgen wir diesen Hypothesen, dann lehren sie uns, daß 17b an Stelle einer Einladungsformel zum Genuß des Abendmahls steht. Der Halbvers entspricht Did 10,6 ei Tig 07105 ecmv EQyiadoi. Aber aus derselben Didachestelle ergibt sich, daß es sich in der Apokalypse nicht um die wörtlich zitierte Abendmahlsliturgie handeln kann, sondern allenfalls um deren Schema. Denn für die Apokalypse gilt erst recht, was die Didache von den Propheten allgemein sagt — sie „dürfen beten, was sie wollen" (Did 10,6). Die Einladung lehnt sich an Jes 55,1 an ot SiipojvTeg itopeveerfte ecp' iiöcop . . xai niete äveu dpy'upio'u. — Die genannten liturgischen Hypothesen haben sicher ihre Bedeutung für die Suche nadi liturgischen Spuren im Neuen Testament. Sie ergeben aber nicht viel für die Exegese der Stelle, deren Sinn nidit in der Liturgie und im eucharistischen Genuß aufgeht. „Dürsten" ist stets auch im Sinne von Mtth 5,6 als Sehnsucht nach dem Gottesreich und seiner Gerechtigkeit zu verstehen; es ist die Sehnsucht nach dem Heil in der ganzen Fülle, in der es erwartet wird. 18a Hier wird auf die Einleitung 1,2 f. Bezug genommen. Der „Zeuge" ist hier der Gottesknecht Johannes, d. h. der Verfasser des Buchs. Der „Hörer" ist der, dem das Buch in der Gemeindeversammlung vorgelesen wird. „Hören" ist eine Abbreviatur für Lesen und Hören; streng genommen hat nicht der Hörer, sondern nur der Leser die Möglichkeit, sich die folgende Verfluchung zuzuziehen. — Ursprünglich leitet der Halbvers nicht die anschließende Verfluchungsformel ein, sondern verbürgt sich für die Wahrheit

22,18—21

Buchschluß

282

des Buches; d. h. er bezieht sich auf das Vorausgegangene. Nur der irreführende Absatz in unsern Textausgaben bringt die Bezeugung und die Verfluchungsformel zusammen. Überraschend ist, daß die erste Person durch das iyut so stark betont wird. Dahinter muß ursprünglich ein Name — vermutlich Johannes und nicht Jesus — gestanden haben. Jetzt ist der Sprecher allerdings, wie ausV. 20 hervorgeht, Jesus. 18b.l9 Die Sicherungsformel soll den Bestand des Buches schützen. Sie geht auf Dt 4,2 zurück: ov jigocrör|(j£T£ jipög tö gf||j.a, o eya) EVteXXonai t)|xiv, xai oiix ätpeXeiTE an' aiixoü. Vgl. Deut 13,1; Prov 30,6; äth. Henoch 104,10 ff.; sl. Henodi 48,7 f.; Aristeasbrief 310 f.; Josephus Contra Apionem 1,8,42; Irenaeus bei Euseb h. e. 5,20,2. Die Sicherungsformel ist in einem prophetischen Buch (zum Unterschied von einer Apokalypse) ungewöhnlich, weil die Prophetie nichts von einem Absdiluß der Offenbarung weiß. Sie muß notwendigerweise sekundär sein. 20 Der Vers ist eine Interpretation des vai, ä|xr|v von 1,7. Hier ist in Übereinstimmung mit 1,5 Jesus als zuverlässiger Zeuge für die Wahrheit des Buches in Anspruch genommen. Der Inhalt des ganzen Buches läßt sich in dem „Ich komme bald" zusammenfassen. Das „Komm Herr Jesu!" wiederholt das Maranatha der Abendmahlsliturgie und bezeugt, wie man das aramäisdie Wort in Kleinasien zu der Abfassungszeit des Buchschlusses verstanden hat. Es ist jedoch sehr voreilig, wenn man die alte Frage nach der Bedeutung des Maranatha nur auf Grund dieser Stelle entscheiden will. 21 Der Schlußgruß ist dem Schlußgruß der Paulusbriefe nachgebildet. Dort hat er — wie allgemein im antiken Brief — die Aufgabe, durch Eigenhändigkeit die Echtheit des Briefes zu beweisen. (Er entspricht unserer Unterschrift unter einen Brief). Wer ihn hier angebracht hat, der hat die ganze Apokalypse als Brief und wohl als apostolischen Brief verstanden und diese Uberzeugung durch die Zufügung des Grußes ausgedrückt. Er bezeugt damit aber, daß zu seiner Zeit die apostolische Abfassung der Apokalypse umstritten war und der Verteidigung bedurfte.

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HANDBUCH ZUM NEUEN TESTAMENT BEGRÜNDET VON HANS LIETZMANN IN VERBINDUNG MIT FACHGENOSSEN HERAUSGEGEBEN VON GÜNTHER BORNKAMM 2 Paul Wendland • Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zum Judentum und Christentum 4. Auflage, erweitert um eine Bibliographie von Heinrich Dörrie, 1972. V I I I , 284 Seiten. Kart. DM 45.—, Hin. DM 50.—

3 Erich Kolstermann • Das Markusevangelium 5. Auflage, unveränderter Nadidruck der 4., ergänzten Auflage, 1971. IV, 180 Seiten. Kart. DM 24.—, Hin. DM 28.50

4 Erich Kolstermann • Das Matthäusevangelium 4. Auflage, unveränderter Nadidruck der 3., photomechanisch gedruckten Auflage, 1971. V I I I , 233 Seiten. Kart. DM 32.—, Hin. DM 36.50

7 Hans Conzelmann • Die Apostelgeschichte 2., verbesserte Auflage 1972. IV, 168 Seiten. Mit einer Karte. Kart. DM 23.—, Hin. DM 28.—

8 Hans Lietzmann • An die Römer (Einführung in die Textgeschichte der Paulusbriefe) 5., unveränderte Auflage 1971. II, 134 Seiten. Kart. DM 19.50, Hin. DM 24.—

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

8a Ernst Käsemann • An die Römer 2., durchgesehene Auflage 1974. X V , 407 Seiten. Hin. D M 39.—

9 Hans Lietzmann • An die Korinther I/II Ergänzt von Werner Georg Kümmel 5., durch einen Literaturnachtrag erweiterte Auflage 1969. III, 224 Seiten. Kart. D M 14.—, Hin. D M 18.—

10 Hans Lietzmann • An die Galater 4. Auflage 1971. Mit einem Literaturnachtrag von Philipp Vielhauer. II, 48 Seiten. Kart. D M 9.—

12 Martin Dibelius • An die Kolosser. An die Epheser. An Philemon 3., von Heinrich Greeven neubearbeitete Auflage 1953. III, 113 Seiten. Kart. D M 7.20, Hin. D M 9.60

13 Martin Dibelius • Die Pastoralbriefe 4., ergänzte Auflage 1966. Neu bearbeitet von Hans Conzelmann. III, 118 Seiten. Kart. D M 10.—, Hin. D M 14.—

16 Ernst Lohmeyer • Die Offenbarung des Johannes 3., unveränderte Auflage 1970. V, 208 Seiten. Kart. D M 15.—, Hin. D M 18.50

21 Wilhelm Bousset • Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter In 3., verbesserter Auflage, hrsg. von Hugo Gressmann. 4., photomechanisch gedruckte Auflage 1966. Mit einem Vorwort von Eduard Lohse. X V , 576 Seiten. Kart. D M 42.—, Hin. D M 47.—

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen