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German Pages 519 [520] Year 1905
Die Odyssee, nachgebildet in achtzeiligen jambischen Strophen von
Hermann von Schelling.
gwelte, verbesserte Auslage.
München und Serlin.
Druck und Verlag von R. DIbenbourg. 1905.
Vorwort zur ersten Auflage. Die Übersetzung von Johann Heinrich Voß hat
seit einem Jahrhundert das Feld gegenüber allen anderen Übertragungen der Homerischen Werke behauptet. Ich
kaun nicht die Erwartung hegen, diesen Besitzstand in Betreff der Odyssee durch meine Arbeit zu erschüttern.
Diese ist überhaupt nicht in der Absicht der Veröffent
lichung, zunächst vielmehr aus dem persönlichen Bedürfnis entstanden, eine Form zu finden, welche einigermaßen ein
Abbild der Klangfülle des' griechischen Textes gewährt,
wozu der deutsche Hexameter meines Erachtens nicht ge eignet ist.
Bei meiner langjährigen Beschäftigung mit der Odyssee bin ich mehr und mehr dahin gelangt, in ihr, um mit Hermann Grimm zu reden, »das Gefüge eines ein
heitlichen Kunstwerks« zu erkennen.
Gewiß hat sich im
Laufe der Zeiten viel Geschnörkel an dem Grundbau an gesetzt.
Dieser selbst aber ist nach einem dichterischen
Plan angelegt.
Die schalkhaften Erzählungen der Aben
teuer des Odysseus, manchmal durch einen Anflug von
Ruhmredigkeit gewürzt, bilden den gemütvollen Vorder
grund, hinter toclchem sich die tragische Lösung vorbereitet. Auch in der Anordnung des einzelnen herrscht ein an mutiger Wechsel der Bilder.
An die Volksversammlung
des zweiten Gesanges, in welcher der Nedekampf wie in einer Politischen Versammlung der Neuzeit geführt wird,
IV
Vorwort.
geleitet uns der Dichter im dritten Gesang in die von alter Einfachheit und Frömmigkeit durchdrungene Häus
lichkeit des Nestor, der er im nächsten Gesänge den welt licheren, durch Helena belebten Hof des Spartcrkönigs
gegenüberstellt.
Hier streut
er
das lauuige Proteus-
märchen ein (S. 79—88), gleichsam als Vorspiel zu den
Irrfahrten des Odysseus, welche vom fünften Gesänge an
beschrieben
werden.
Hierbei
Dichtung nicht an die Zeitfolge.
hält
sich
jedoch die
Sie schildert vielmehr
zunächst den letzten Teil der Irrfahrten, während die
älteren Abenteuer von Odysseus selbst vom neunten Ge sänge ab erzählt werden, nachdem die Schilderung durch
dessen Ankunft bei den Phäaken an einen Ruhepnnkt ge langt ist.
Diese Verteilung des Stoffes vermeidet die
Eintönigkeit und hat zur Folge, daß die dem Helden in den Mund gelegten Unwahrscheinlichkeiten den zweifelnden Hörer nicht zum Widersprüche reizen, sondern ihm ein
Gefühl der Erheiterung bereiten.
Das Leben
bei
den Phäaken
stattet Homer mit
allen Vorzügen aus, die ihm selbst als die höchsten er
scheinen.
Diesem glänzenden Bilde stellt er im vierzehn
ten und in den folgenden Gesängen die Dürftigkeit des
Hirtenlebens und die schlichte Pflichttreue des trefflich ge
zeichneten Eumäos gegenüber.
Vom siebzehnten Gesänge
an tritt die gemütvolle Seite der Dichtung in den Hinter
grund ; die Handlung schreitet dem Verhängnis entgegen,
welches reicht.
die Freier im zweiundzwanzigsten Gesang er
Die grauenhaften Eindrücke dieses Strafgerichts
werden durch die rührende Schilderung der Gattenliebe
gemildert, welche der Dichter teils im zwanzigsten Ge
sang vorausschickt,
teils in dem gemütvollen dreiund
zwanzigsten folgen läßt.
V
Borwort.
Die Zusammensetzung des vierundzwanzigsten Ge
sanges gibt zu manchen Bedenken Veranlassung.
Die
Weiterführung der Erzählung in dem zweiten Teile des
Gesanges (von S. 499 an) ist vielfach eine skizzenhafte, wenn auch die Wiedererkennung des Odysseus durch seinen
Vater homerischen Geist atmet.
Unterwelt.
in
der
in
den Mund
Das
dem
Der erste Teil spielt
Schatten
Agamemnons
gelegte Lob der Penelope, wobei eine
dichterische Verherrlichung derselben in Aussicht gestellt wird (S. 498), enthält einen würdigen Nachklang zu den vorausgegangenen Gesängen.
Dagegen läßt sich für die
Einschaltung der in gleicher Weise erzählten Leichenfeier
des Achilleus (©. 492—495) ein innerer Grund nicht erkennen, man müßte denn mit dem neuesten Homer
forscher annehmen, daß sie zugleich einen Epilog zur
Ilias bilden sollte?)
Der griechische Text dieser Ver
herrlichung enthält manche Ausdrücke, die sich sonst nur
in der Ilias finden.
Hieraus erwächst die Vermutung,
daß sie ungefähr zu derselben Zeit, wie diese entstanden ist. Möge meine Arbeit den Freunden der homerischen Dichtungen keine unwillkommene sein!-) Berlin im September 1896.
Der Verfasser. *) Knvtel, Homeros 93b. II. Leipzig 1895, S. 324. 2) Die Zahlen am Rande beziehen sich auf die Verse des griechischen Textes.
VI
Vorwort.
Vorwort zur zweiten Auslage. Es ist an meiner Übertragung getadelt worden, daß sie nicht in Hexametern, sondern in freieren Stanzen erfolgt
ist.
Von anderer Seite bin ich hierin in Schutz genommen,
und es ist zutreffend daran erinnert worden, daß Boeckh es daß
als
einen Vorzug der Stanzenform gerühmt hat,
durch
diese
das
Romantische
der Odyssee
am
besten ins Licht gestellt werdet) Ohne mich in den wieder entfachten Streit über die Homerische Übersetzungs form einzumischen, glaube ich doch durch die obige Äuße
rung des philologischen Altmeisters gegen den Vorwurf, mit meiner Arbeit einen »Schritt vom Wege« gemacht zu
haben, geschützt zu sein.
Ich bin nicht blind für die
Unvollkommenheiten meiner Nachdichtung, vielmehr dank bar
für alle Ausstellungen, die von der Kritik im ein
zelnen erhoben
worden sind, und habe mich bemüht,
denselben, soviel wie irgend möglich, gerecht zu werden. Hierbei und bei der Revision der Druckbogen bin ich durch
Herrn Prof. Dr. Hans Morsch hier unterstützt worden,
wofür ich nicht unterlassen kann, demselben meinen wärm
sten Dank auszusprechen. Möge die
verbesserte Auflage bei
den Freunden
Homers eine beifällige Aufnahme finden! Berlin im November 1904.
Der Verfasser. l) Antiquarische Briefe, Leipzig 1851, S. 119.
Seite III —VI
Vorwort
1. Gesang.
1- 21
Athene bei Telemach
2. Gesang.
22- 41
Die Volksversammlung 3. Gesang.
42- 63
Telemach bei Nestor 4. Gesang.
64- 99
Telemach bei Menelaos 5. Gesang.
100-120
Odysseus und Kalypso 6. Gesang.
121-135
Odysseus und Nausikaa 7. Gesang.
136-150
Bei den Phäaken I 8. Gesang.
151-175 Bei den Phäaken II
9. Gesang.
Odysseus
erzählt.
phagen.
Kikonen.
Lotho
176-199
Kyklopen
10. Gesang.
200-224
Äolos.
Lästrygonen.
Kirke ....
11. Gesang.
225-252
Die Unterwelt 12. Gesang.
Sirenen. Skylla. Charybdis. Sonnen
253-272
rinder
13. Gesang.
273-291 Heimfahrt
14. Gesang.
292-314
Beim Sauhirten
15. Gesang.
315-337 Heimkehr Telemachs
16. Gesang.
338-357
Odysseus und Telemach 17. Gesang.
358-382
Odysseus bei den Freiern 18. Gesang.
Kampf mit Iros. kungen
Fortgesetzte Krän
383-399
Inhalt.
Vll
Seite
19. Gesang.
Odysseus bei Penelope
20. Gesang.
Die Vorbereitung zum Kampf
.
.
.
423-438
21. Gesang.
Der Wettstreit mit dem Bogen .
.
.
439 - 455
22. Gesang.
Die Freierschlacht
456-475
23. Gesang.
Wiedererkennung
476-490
24. Gesang.
Versöhnung
491-512
400-422
Erster Gesang. Athene bei Telemach.
Den Helden, den erfahrungsreichen, preise Dein Lied, o Muse, der umhergeschweift Von Land zu Land auf irr verschlungener Reise, Nachdem er Trojas ^eiPge Burg geschleift; Er lernte vieler Menschen Denkungsweise, Sein Aug' manchen Volkes Stadt gestreift, Doch mußt' er, auf der See umhergeschlagen, Des Leides viel in seiner Seele tragen;
Um'S eigne Leben rang er und nicht minder Um Rückkehr seiner Kriegsgefährtenschar; Doch nicht gelang sein Müh'n; denn sie in blinder Vermessenheit vergaßen der Gefahr Und schlachteten des Sonnengottes Rinder. Doch der beraubte sie für immerdar Des Tags der Heimkehr; laß davon uns Kunde, O Tochter Zeus', entschlüpfen deinem Munde! Soviel der Griechen sich gerettet, alle Schon fanden sich in ihrer Heimat Gau'n, Dem Krieg entronnen und dem Meeresschwalle; Nur ihn allein, begierdevoll zu schau'n Sein Ehegemahl und seiner Väter Halle, Ihn hielt noch die erhabenste der Frau'n, Kalypso fest im felsumwölbten Saale, Die Göttin, ihn begehrend zum Gemahle. Schottin-, Odyssee.
1
10
2
Odyssee.
Erster Gesang.
Doch als das Jahr heraufkam in der Zeiten Umschwung, da ihm die Götter Wiederkehr Zur Heimat sich entschlossen zu bereiten, — Da sollt' er, wenn entrissen auch dem Meer, Im eignen Haus begegnen neuen Streiten; Die Götter all beweinten ihn, doch schwer Verfolgte rastlos ihn Poseidons Grollen, Den Herrlichen, bis auf der Heimat Schollen!
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Es war, um Hekatomben zu empfangen, Zum Volk, dem äußersten am Erdenrand, Nach Äthiopien jener Gott gegangen
(Zwei Stämme sind's, nach Ost und West gewandt) Zu weiden dort sich ap des Mahles Prangen; Der andern Götter Kreis indessen fand Vereinigt sich in des Olympiers Hallen, Der mit der Rede selbst anhob vor allen. Denn ihn bewegte, was sich zugetragen Im Argoslande, wo der schöne Mann, Agisthos von Orestes ward erschlagen, Dem Heldensohn. Gedenkend des begann Der Menschen Herr und Götter so zu klagen: »O Schmach! was für Borwürfe schon ersann Der Sterbliche, die Götter anzuklagen, Von uns sei alles Böse, wie sie sagen. Sie selbst doch sind es, die ihr Unglück weben, Vorgreifend dem Geschick mit Unverstand, Wie jetzt Agisth in eitlem überheben Mit Agamemnons Weibe sich verband Und in der Heimkehr ihm entriß das Leben, Die Strafe höhnend, die er wohl gekannt; Denn warnend hatte sich, von uns entsendet, Der Späher Hermes zu Agisth gewendet.
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Odyssee.
Erster Gesang.
3
Daß er nicht solchen Frevels sich erkühne, Noch jenem Weib nachstelle liebentbrannt; Denn kommen werde zu des Vaters Sühne Der Tag der Rache von Orestes' Hand, Wenn diesem einst die Jugendzeit ergrüne Und er sich heische das verlorne Land — Nicht doch gelang's, des Toren Herz zu regen, Der Strafe ganzer Wucht ist er erlegen!«
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Er sprach's; Athene nahm das Wort dawider, Des Zeus' helläugig Kind; »o Kronos' Sohn, Du unser Herr, gewaltigster Gebieter! Wohl wurde jenem sein gerechter Lohn, Und stürz' auf jeden gleiche Rache nieder, Der solches frevelt zu der Götter Hohn! Doch mir ist das Gemüt von Schmerz zerschlagen, Denk an Odysseus ich und seine Plagen.
Fern wandelt er von seiner Väter Hatte Auf einem Eiland seiner Leiden Bahn so — Bon Wald bedeckt, umrauscht vom Wogenschwalle — Und einer Göttin ist es untertan, Der Tochter Atlas', der die Tiefen alle Und Riffe kennt im weiten Ozean Und der erhabnen Säulen hat zu walten, Die Erd' und Himmel auseinanderhalten. Und dessen Tochter hält in weichem Arme Den Helden fest, in süßem Liebesfleh'n, Boll Milde stets zusprechend seinem Harme; So hofft sie schmeichelnd ihn zu hintergeh'n, Daß er die Heimat lasse, doch der Arme, Sehnsüchtig, nur den Rauch von fern zu seh'n, Der aus den Hütten Ithakas entsteige, Zu sterben wünscht er sich, der Mühsalreiche! 1*
4
Odyssee.
Erster Gesang.
O wird denn, sprich! von dieses Dulders Klagen Auch nicht dein Herz, Olympier, umgewandt? War nicht Odysseus in des Krieges Tagen Dort, als vor Trojas weitgedehntem Strand Versammelt der Achäer Schiffe lagen,
go
Willfährig immer, dir mit frommer Hand Der Opfergaben siißen Duft zu zollen? O Zeus, wie magst du ihm so bitter grollen?« Antwortend hob der Herr der Ungewitter, Der Donnerer Zeus zu reden an: »mein Kind, Welch Wort entkam aus deiner Zähne Gitter! Vergäß' ich seiner je, der kluggesinnt Vor. allen Menschen? dem das Blut der Widder Und Stiere stets vom Opfermesser rinnt, Vergossen, um den Göttern zu gefallen, Den todesfteien, in des Himmels Hallen?
Poseidon nur allein zähmt sein Erbosen Um des Kyklopen Blendung ewig nicht, Des Riesen Polyphem, des göttlich großen, Dem keiner glich an seines Arnrs Gewicht. Des Phorkys' Tochter, der im erntelosen Gewässer herrscht, gebar ihn einst ans Licht, Die Nymphe Thosa, die vom Meeresgotte Bezwungen war in felsgewölbter Grotte. So muß Poseidons Zorn Odysseus tragen, Dem Tode zwar entronnen, doch verdammt, Sich fern der Heimat irr umherzuschlagen. Wohlan! Beraten laßt uns insgesamt Odysseus' Heimkehr! Sei sie! Und entsagen Wird jener Gott dem Haß, der ihn entflammt. Denn was beschlossen von den Göttern allen, Ihm darf es nicht, dem einzigen, mißfallen!«
?o
Odyssee.
Erster Gesang.
Zeus sprach es, und antwortend nahm hinwieder Athene, sein helläugig Kind, das Wort: »O Kronos' Sohn, gewaltigster Gebieter, Du unser Herr, des Himmels höchster Hort! Wenn denn der kluge Held Odysseus wieder Einkehren soll in seiner Heimat Port, Und alle sel'gen Götter dies beschließen, So laßt zum Herold Hennes uns erkiesen.
5
so
Flugs auf Ogygia soll er niederfahren Wie Schein des Blitzes übers weite Meer, Der Nymphe dort mit schöngelockten Haaren Die Botschaft von Odysseus' Wiederkehr, Die unabweisliche, zu offenbaren, Indes ich selbst, gerüstet mit denr Speer, Zum Heldensohn nach Ithaka entwandte, Den Mut ihm anzustacheln, daß er handle. Mit den Achäern soll er Ratschluß fassen, Sie auf den Markt berufend Haus bei Haus, An all die Freier ein Verbot erlassen, Die schon zu lang in zügellosem Schmaus Des Viehs gehörnte Herden ihm verprassen. Ihn send' ich dann zur sand'gen Pylos aus, Nach Sparta auch, daß er vom Vater Kunde Sich schaff' und edlen Ruf im Bölkermunde.«
Sie sprach's, worauf sie an die Füße beide Sich goldne, herrliche Sandalen band, Ambrosische, die mit des Winds Geleite Sie endlos tragen über Meer und Land. Den Speer sodann, geschärft zu Stahles Schneide, Nahm sie, den riesig wuchtigen, zur Hand, Mit dem sie Männer, die ihr Zorn gerichtet, Die Donnerstochter, in der Schlacht vernichtet.
so
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Odyssee. Erster Gesang.
Sie schwang sich stürmend vom Olymp zur Erde Auf Ithaka vor des Odysseus Tor; Dort im Vorhofe, der die Burg umwehrte, Stand sie und hielt die eherne Lanz' empor. Gleich einem Gastfreund, ähnlich an Geberde Dem Taphierfürsten Mentes, schritt sie vor Zur Doppelpforte, wo mit Steineschieben Die mut'gen Freier ihre Kurzweil trieben.
Den Leib auf der verschmausten Rinder Felle Gebreitet, lagen sie in langen Reih'n, Aufwärter waren, hurtige, zur Stelle, Die einen mischten in den Krügen Wein, Die andern traten an die Tische schnelle Und wuschen sie mit lockern Schwämmen rein, Worauf sie diese vor die Freier stellten, Mit Fleisch beschwert, das sie in Stücke fällten. Von Telemach ward jene wahrgenommen Zuerst, dem wackern, der zum Freierschwarm Sich hingesetzt, das liebe Herz beklommen; Denn er gedacht' in seinem tiefen Harm Des edlen Vaters, wann er werde kommen, Daß endlich unter seinem Heldenarm Das Volk der Freier in der Burg zerstiebe, Er Herr des Ruhms und seiner Güter bliebe?
Gewahrend jetzt die Göttin an der Pforte, Erhebt er sich und nahet ihr in Hast, Denn nicht gebührlich schien's, an diesem Orte Den Fremdling harren lassen; er erfaßt, Athenes Rechte, und die Flügelworte Spricht er, die Lanze nehmend: »Teurer Gast, Sei froh gleich uns, die liebend dich empfangen, Genieß das Mahl, dann künde dein Verlangen.«
uo
Odyssee.
Erster Gesang.
Er sprach's, und in die Burg, die hochgedeckte, Schritt er voran, Athene hinterdrein; Hier an der Säule, die zum Dach sich reckte, Befanden sich im schmucken Waffenschrein Biel Lanzen des Odysseus, langgestreckte, Den Speer der Göttin stellt' er da hinein, Indes er diese selbst zum Thron geleitet > Und ihr zum Sitz ein köstlich Polster breitet.
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Er stellt den Schemel auch vor ihr zur Erde, Trägt für sich selbst den Sessel dann herbei, Den schöngeformten, fern der üpp'gen Herde Der Freier, daß vom Lärm der Schwelgerei Dem Fremdling nicht das Mahl verleidet werde, Auch daß kein Zeuge zwischen beiden sei, Wenn vom verschollnen Vater er sich Kunde Erfragen werd' aus seines Gastes Munde.
Die Dienerin jetzt zeigte sich im Saale Mit Wasser in dem goldnen Henkelkrug, Das sie, abgießend in die Silberschale, Herum zum Handbesprengen gab; dann schlug Sie auf daselbst den saubern Tisch zum Mahle. Die zücht'ge Schaffnerin auch kam und trug Das Brot herbei und manch Gericht zur Speise, Davon ausreichend in gefäll'ger Weise. Zerstücktes Fleisch auf hochgehobner Schale Bringt der Zerleger vieler Art herbei, Stellt vor die Schmausenden die Goldpokale, Ein Herold eilt umher und spendet Wein. Die mut'gen Freier zeigten sich im Saale Und nahmen allzumal in langen Reih'n Die prächt'gen Thron' und Sessel ein und ließen Von Dienenr Wasser auf die Hand sich gießen.
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8
Odyssee.
Erster Gesang.
In schöngeflochtnen Tellern ward von Mägden Gebäck herumgereicht, indes im Saal Sich becherfüllend muntre Knaben regten. Die Freier aber, die ans leckre Mahl Begierig die gestreckten Finger legten, Noch kaum gestillt die Durst- und Hungerqual, Verlangten jetzt in wechselnder Begierde Gesang und Tanz — des Gastmahls schönste Zierde. Der Herold muß die schmucke Zither reichen Dem Phemios, der, gehorchend nur dem Zwang, Die Hand läßt prüfend durch die Saiten streichen Und dann anstimmt den wonnigen Gesang. Jetzt strebte Telemach, den Kopf zu neigen Hin zu Athene, dicht an ihre Wang', Auf daß kein fremdes Ohr das Wort erlauschte, Das er anhebend mit der Göttin tauschte:
»Liebwerter Gastfreund, wirst du günstig deuten, Was ich dir sage? Diesen wohl gereicht Gesang und Saitenspiel 511 Wonn' und Freuden, Weil sie geschützt vor Strafe sorglos leicht Das aufgesparte Gut des Manns vergeuden, Ach! des Gebein fern von der Heimat bleicht, Vermodernd ruht auf fremder Erde Schollen, Wenn's nicht schon längst die Meereswogen rollen.
Käm' er zurück mit seiner Schiffe Masten Und träte plötzlich in die Burg allhier, Sie alle würden in die Flucht zu hasten Weit mehr bestrebt sein, als in größrer Gier Mit Gold- und Kleiderschmuck sich zu belasten. Zuweilen weckt ein Fremdling Hoffnung mir, Umsonst! uns bleibt kein Trost in der Bedrängnis, Tod ohne Heimkehr, das ist sein Verhängnis!
160
Odyssee.
Erster Gesang.
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Doch du nun wollest treu mir offenbaren: Wer bist du? wessen Stammes? nenn' das Land, Das dich geboren, wer die Eltern waren, Welch Fahrzeug dich gebracht an unsern Strand, Woher die Schiffer, die dich hergefahren, Zu sein sich rühmen? Denn unmöglich fand Dein Fuß zu uns den Weg. Auch künd', ich bitte, Ob du als Neuling kommst in unsre Mitte,
Darf ich vielmehr als Vaters Freund dich ehren, Da viel der Männer angewandelt sind, Im Haus der Eltern gastlich zu verkehren? Denn Umgang war ihm lieb. O, sag's geschwind, Daß sich zum Hellseh'n meine Blicke klären!« Athene jetzt, des Zeus' helläugig Kind, Hob an und sprach: »auf alle deine Fragen Will ich Bescheid dir ohne Rückhalt sagen: Mein Ruhm ist', Sohn Agchialos' zu heißen, Der mir vererbt die Herrscherwürde hat, Und dessen tapfres Herz die Völker preisen. Ich bin der Fürst der rllderfrohen Stadt Der Taphier, Mentes. Wir verfrachten Eisen Zu fremden Stämmen, um an dessen Statt Uns Kupfererz in Temese zu kaufen; So sind wir mit dem Schiff hier angelaufen.
Mit den Gefährten landet' ich abseiten Der Stadt am ländlich abgelegnen Strand, Wo sich zur Reithron-Bucht die Fluten breiten, Dicht vor des Ne'ion waldbedecktem Rand. Gastfreundschaft windet seit der Väter Zeiten Um dich und mich zu unserm Ruhm ein Band, Laörtes kann's, der greise Held, besagen, Entwandelst du von dannen, ihn zu fragen.
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10
Odysse.
Erster Gesang.
Er soll ja längst schon fern der Stadt sich halten Und weilt auf stillern Landsitz gramgebleicht, Umwandelt bloß von seiner treuen Alten, Die ihm vorsorglich Trank und Speise reicht, Wenn er, in seinem Rebgefild zu schalten, Hinauf das saftige Gelände schleicht, Besorgt, es möchten von der Arbeit Plagen Die morschen Kniee wankend ihm versagen.
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Den Lauf hierher hab' ich nur eingeschlagen, Weil deinen Vater ich zu Haus geglaubt. Wenn noch die Götter ihm sein Heim versagen: Gestorben ist es nicht, das edle Haupt! Vom Wogenschlag an fremdes Land getragen, Ist er der Freiheit irgendwo beraubt, Vielleicht auf einem Eiland, wo Barbaren In frechem Trotz festhaltend ihn verwahren.
Ich will dir nun weissagend anvertrauen Das Bild der Zukunft, wie's mein Sinn errät. Mir fehlt die Kunst, nach Vögelflug zu schauen, Kein Seher bin ich, der nach Zeichen späht, Nur auf mein eignes Einseh'n kann ich bauen, Wie's mir die Götter in die Brust gesät; So hör': ihm wird Befreiung bald gelingen, Denn seine Klugheit spottet aller Schlingen. Und lüg' er auch gefangen und geschlagen In Eisenbande, dennoch seh' ich schon In meinem Geist den nahen Morgen tagen, Der heim ihn führt zu seinem Haus und Thron. Doch diesen wolle noch getreu mir sagen: Bist du auch leiblich des Odysseus' Sohn? Dich schauend glaub' ich jenen zu gewahren: So gleichst du ihm an Augen, Stirn und Haaren.
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Odyssee. Erster Gesang. Denn oft betrat ich seines Hauses Pforte; Das letzte Mal bekam ich ihn zu schau'n, Als in den Krieg an hohler Schiffe Borde Die Fürsten zogen nach der Troja Gau'n.« Jetzt sprach der kluge Telemach die Worte: »Nicht kann ich, was du fragtest, dir vertrau'n. Die Mutter lehrte mich ihn Vater nennen, Doch keiner kann, wes Sohn er sei, erkennen.
O, wär ein Vater mir gewährt hienieden, Besitzesfroh, vom Alter nur gelind Beschlichen in des eignen Hauses Frieden! Doch bittre Leiden und Verderben sind Dem Mann, der als mein Vater gilt, beschieden.« Getröstend sprach der Zeus' helläugig Kind: »Die Götter geben nicht ein Haus verloren, Dem solchen Sohn Penelope geboren.
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Doch dich ersuch' ich, sag' getreu und deute: Was geht hier vor? Ist dies ein Jubelschmaus? Begeht ihr eine Hochzeitsfeier heute? So sieht fürwahr kein Mahl mit Freunden aus; Denn zügellos geberden sich die Leute, Und käm' ein biedrer Mann achtlos ins Haus, Bei seinem Eintritt würd' er baß erschrecken, Hier solche wüste Greuel zu entdecken.« Bescheid gab jetzt der Jüngling mit den Worten: »Liebwerter Gast, so sei's gesagt einmal: Es zierte Glanz und Wohlstand unsre Pforten, Solang noch jener Mann im Land befahl; Verheert ist alles durch die Götter worden, Die ihn gestrichen aus der Menschen Zahl. Sogar sein Sterben würd' ich leichter tragen, Hätt' ihn im Männerkrieg ein Feind erschlagen;
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Odyssee.
Erster Gesang.
Auch wenn er später starb, jedoch Gefährten
Und Freunde seine Augen zugedrückt, Weil die Achäer dann den Toten ehrten, Vielleicht durch Zeichen, die sein Grab geschmückt Und unsern Ruhm bis auf die Enkel mehrten.
Nun ist er, von Harpyenhand entrückt, Rühmlos verschollen und dahin gegangen Und ließ zurück mir nichts als Sorg' und Bangen! Nicht bloß dies eine Leid hab' ich zu klagen, Noch härter sind die Götter mir gesinnt. Siehst du der Ithaka Gebirge ragen? Die Inseln, die ins Meer gebettet sind. Soviel der Fürsten dort das Zepter tragen — Auf Same, auf Dulichion und Zakynth — Sind sie vereint, mein Erbe zu verderben, Indem sie all' um meine Mutter werben.
Und diese muß ohn' Ende nun ertragen Der kecken Freier aufgedrungne Zahl, Sie kann die übermüt'gen nicht verjagen Und nicht vollziehen die verhaßte Wahl, Und, die mir heute Hab' und Gut zerschlagen, Zerschmettern werden sie mich selbst einmal!« Athene jetzt, erfaßt von edlem Grimme, Bog sich zum Jüngling und erhob die Stimme: »Nun schätz' ich erst, wie sehr dein Haus entbehre Des weggegangnen Herrn, daß er die Wucht Des Heldenarms die frechen Freier lehre. O, stünd' er streitbar an des Hauses Flucht Mit Helm und Schild und in der Hand zwei Speere, Gestaltet, wie er erstmals mich besucht, Als er aus Ephyra vom Jlos kehrte Und lebensfroh mit uns den Becher leerte!
250
Odyssee.
Erster Gesang.
Er hatte, segelnd auf geschwindem Kiele Für seine scharfen Pfeile Gift verlangt, Damit der Tod aus ihren Spitzen ziele; Doch Jlos schlug es aus; ihm hat's gebangt. Ob solches Werk den Göttern wohl gefiele. Als jener steuernd dann zu uns gelangt, Gab ihm den Saft, erfüllend sein Begehren, Mein Vater, der ihn herzlich hielt in Ehren. O käm' er so bewehrt heut oder morgen Und würde mit den Freiern handgemein, Sie dürsten insgesamt weit mehr in Sorgen Ums eigne Leben als die Hochzeit sein. Im Schoß der Götter ruht es, uns verborgen, Ob diese solchen Sühnetag verleih'n; Doch dir gebiet' ich: gehe sonder Zagen Ans Werk, die Schlemmer aus der Burg zu jagen.
Beherzige, was ich zu deinem Frommen Verzeichne jetzt als die gebotne Bahn: Von den Achäern laß zusammenkommen Die besten auf des Marktes weiten Plan. Hier werd' im Männerrat dein Wort vernommen, Als Zeugen rufe laut die Götter an Und laß Befehl an alle Freier senden, Den Schritt zur Heimat, Mann für Mann, zu wenden. Die Mutter auch, wenn neu sich zu vermählen Ihr Herz begehrt, bescheid' ins Elternhaus. Dort mag sie ihren Bräutigam sich wählen. Und wie sich's ziemt, den hochzeitlichen Schmaus Begeh'n in ihres Vaters reichen Sälen; Der statte sie mit allem Hausrat aus, Wie's Brauch ist, liebe Töchter zu versorgen. Doch dich ermahn' ich, willst du mir gehorchen:
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14
Odyssee.
Erster Gesang.
Laß ein geschwindes Schiff im Hafen rüsten Und nimm als Rudrer zwanzig Mann an Bord, Mit diesen (teure nach der Länder Küsten Und forsche nach Odysseus Ort bei Ort! Ob Sichres auch die Sterblichen nicht wüßten, Kommt dir vielleicht von Zeus ein klärend Wort; Denn, die den Ruf von Land zu Land verbreitet, Die Völkersage wird von ihm geleitet. Du magst vorerst zur sandigen Pylos fahren, Dort kehre bei dem heiligen Nestor an; Gen Sparta zu den blondgelockten Haaren Des Menelaos wende dann die Bahn, Den wir von allen, die in Troja waren, Als letzten ja nach Hellas kehren sah'n; Wird hier des Vaters-Rückkehr dir verhießen, Laß, wenn auch duldend, noch ein Jahr verfließen.
Doch hörst du dort, vernichtet sei sein Leben, Heimschiffend dann nimm alle Bräuche wahr: Ein Hügel möge sich dem Toten heben, Und Opferweihe bring' ihm reichlich dar; Der Mutter magst du bald den Gatten geben ; Doch wenn gescheh'«, was zu vollbringen war, Darfst du, die Freier aus dem Weg zu räumen, Kein Mittel — ob Gewalt, ob List — versäumen. Nicht Tändelei'n sind fürder deine Sache, Die Ziele sind des Mannes dir gesteckt Und heischen, daß dein Kraftgefühl erwache. Hat nicht Orest sich weithin Ruhm erweckt, Da er beherzt, zu seines Vaters Rache, Agisth, den schlauen Meuchler, hingestreckt?
Auch du, so trefflich an Gestalt, erstrebe, Daß einst dein Mut im Mund der Enkel lebe.
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Odyssee.
Erster Gesang.
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Doch Zeit ist's nun, daß ich zum Schiff enteile Und zum Gefolg, das mich erwartet dort, Vielleicht schon zürnt, daß ich so lange weite. Nimm du zu Herzen das gesprochne Wort Und suche selbst, was dienlich deinem Heile!« Der kluge Jüngling spann die Rede fort: »Des treuen Rates werd' ich stets gedenken, Du sprachst, wie Väter ihre Söhne lenken,
Doch, lieber Gast, willst du so rasch entweichen? Gönnt dein Geschäft dir nicht die kleinste Rast?
Wirst du nicht fröhlicher das Schiff besteigen, Wenn du dein Herz im Bad erquicket hast, Und wenn wir dir ein köstlich Kleinod reichen Als Gastgeschenk, wie's unter Freunden paßt?« Pallas Athene gab zurück die Worte: »O halte mich nicht fest an deiner Pforte : Tenn dringend ist es, daß ich weiterfahre, Und was du mir zu geben bist geneigt, Das Gastgeschenk, das köstlich wunderbare, Mir werd' es bei der Rückfahrt dargereicht, Wenn ich hierher bring' eine seltne Ware, Die würdig deinem Kleinod sich vergleicht, Die du behalten mögst als Gegengabe, Wenn ich heimschiffend mich an deiner labe.« Sie sprach's und schnell war sie der Burg entflogen, Dem Vogel gleich, der den Kamin dnrchschwebt: Und in der Brust des wackern Jünglings wogen Empfindungen, von ihrem Hauch belebt: Zum Bild des Vaters sieht er sich gezogen, Das strahlend sich vor seinen Augen hebt, Im Herzen fühlt er Akut und Kraft entflammen Und merkt erstaunt, daß sie vom Himmel stammen.
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16
Odyssee.
Erster Gesang.
Der Wackre setzte sich im Saale nieder, Allwo des Sängers Götterstimme klang; Die Freier horchen auf die Heldenlieder Und sitzen schweigend das Gemach entlang. Das trübe Los der Griechen, welche wieder Von Troja kehrten, schildert der Gesang, Und alle Leiden, die Athenes Walten Herabbeschwor, sie sind im Lied enthalten. Im obern Stock vernimmt den Klang der Saiten Penelope, Jkarios' kluges Kind; Die hohen Stufen, die zur Wohnung leiten, Geht hehren Trittes sie herab geschwind Und schreitet, zwei Jungfrauen an den Seiten, Zur Tür des Saales, wo die Männer sind. Das Haupt umwallt von einem lichten Schleier, Tritt mutig die Erhabne vor die Freier;
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Den Phemios ruft sie an, das Aug' in Tränen »Viel süße Lieder sind geläufig dir, Die manche Gott- und Menschentat erwähnen; Ein solches singe vor den Zechern hier, Nur nicht dies Schmerzenslied! Denn bittres Sehnen wo Erweckt es im gequälten Herzen mir: So viel des Leids Achäern ward beschieden, Der Lose trübstes fiel ja mir hienieden. Denn solches Haupt vermissen meine Klagen, Von dessen Ruhm ganz Hellas überfließt.« Der Jüngling jetzt begann das Wort zu wagen: »O liebe Mutter, ob's dich auch verdrießt, Warum denn uns die traute Lust versagen, Die dieser Sänger in die Seelen gießt, Mit Liedern, die in seinem Innern leben? Denn nicht den Sängern ist die Schuld zu geben,
©bl) ff ec.
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Erster Gesang.
Zeus ist es, der nach eigenem Gefallen Die Triebe jeder Menfthenbrust beschwingt; Und wär's zu tadeln, daß in diesen Hallen Der Sänger jenes Leid der Griechen singt, Da immer ja das meiste Lob von allen Zuhorchenden das neuste Lied erringt. Ermanne, liebe Mutter, Herz und Ohren: Nicht bloß Odysseus hat sein Heim verloren,
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Bedenk, wie viele Männer Trojas Gauen Im Tode färbten mit dem eignen Blut! Geh nun getrost nach oben mit den Frauen Und mach' den Mägden zu der Arbeit Mut, Magst nach dem Webstuhl, nach dem Rocken schauen, Und was noch sonst gehört in deine Hut, Den Männern aber laß das Redehalten, Und mir gebührt's zumeist im Haus zu schalten.« Er sprach's, und die Erhabne eilte wieder Bestürzten Sinns in ihr Gemach hinauf; Hier setzt sie sich, dem Wort nachdenkend, nieder Und läßt der Sehnsucht und den Tränen Lauf, Doch Pallas, auf die müden Augenlider Den Schlummer träufelnd, löst die Spannung auf; Die Freier aber tobten um die Wette Und schworen bald zu ruh'n in ihrem Bette.
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Der Lärm erfüllt das schattige Gebäude, Und in die Worte bricht der Jüngling aus: »Horcht auf, ihr zügellose Freiersleute! Laßt fahren euer trotziges Gebraus,
Ergötzt euch an den Lustbarkeiten heute Und stört nicht durch Getös den frohen Schmaus; Denn wonnig anzuhören sind Gesänge Des Meisters, dem ein Gatt verlieh die Klänge. Schelling, Odyssee.
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Odyssee. Erster Gesang-
Doch morgen wollen wir Beschlüsse fassen, Uns auf dem Markt versammelnd Haupt bei Haupt: Die Mahnung werd' ich dort an euch erlassen, Daß ihr nicht ferner Haus und Hof mir raubt. Heimkehrend mögt ihr eignes Gut verprassen Und wechselnd euch bewirten. Wenn ihr glaubt, Es sei bequemer und gereich' 311 Ehren, Straflos an Eines Mannes Gut zu zehren,
Nur gut, das Schiedsamt werd' ich überweisen Den ew'gen Göttern, wartend, ob sie nicht, Mich rächend euch vor meinem Aug' zerreißen!« Er sagt's, sie beben vor des Worts Gewicht, Indem sie staunend sich die Lippen beißen, Antinoos jedoch versetzt und spricht: »Du hast es wohl den Göttern abgesehen, In hoher Rede stolz sich aufzublähen? Daß ja die Götter nie die Krongewalten Dir, ob du auch berechtigt bist, verleih'n!« Jetzt spricht der Jüngling: »sei nicht ungehalten, Wenn ich dir sag': ich würde gern mich weih'n Der Herrscherpflicht im Jnselland zu schalten, Wenn dies Kronions Wille möchte sein. Scheint's dir ein Schlechtes, Herrschaft zu gewinnen? Mich däucht es wär' ein rühmliches Beginnen.
Die Schätze sammeln sich, wo Kön'ge schalten, Und sie begleitet Ehr' und jede Zier; Doch mag ein andrer dieses Amtes walten, Ist einst Odysseus tot. Sind nicht allhier Biel Fürsten, jung und alt, im meerumwallten Gebiet des Reichs? Die Herrschaft heisch' ich mir Nur »teme§ Hauses und der hör'gen Leute, Die einst Odysseus mir errang als Beute.«
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Odyssee.
Erster Gesang.
Anhob jetzt Eurymach das Wort zu sagen: »Mein Freund, im Götterschoß ruht's unerkannt, Wer einst im Reiche wird das Zepter tragen. Doch du gebiete deinem Haus und Land,
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Denn keiner wird es dir zu rauben wagen, Solange Männer hüten unsern Strand. Doch ich erführe nun aus deinem Munde Gern über deinen Gastfreund sichre Kunde.
Wo stammt er her? aus welchen Landes Gauen? Von welchem Strand kam seines Schiffes Kiel? Wo grünen seine väterlichen Auen? Was war der Grund, daß ihm die Fahrt gefiel? Wollt' er des Vaters Rückkunft dir vertrauen? War eigne Wohlfahrt seiner Reise Ziel? 410 Warum vermied er uns in schnellem Gange? Und doch spricht Unzier nicht aus Stirn und Wange.« Erwidernd sprach der kluge Jüngling: »nimmer Kehrt heim Odysseus, glaub' es sicherlich, Nicht trügt mich fernerhin ein Hoffnungsschimmer, Ob meine Mutter auch von Sehern sich Manchmal weissagen läßt in ihrem Zimmer. Der Fremdling nun, nach dem du fragtest mich, Ist Mentes, mir durch Gastfreundschaft verbunden, Ein Band, das schon der Väter Hand gewunden.
Sein Ruhm ist, Sohn Agchialos' zu heißen, Und er beherrscht an seines Vaters Statt, Des tapfres Herz weithin die Völker preisen, Des Taphierstammes ruderfrohe Stadt.« Er spricht's obwohl in Regungen in leisen Sich ihm die Göttin schon verkündigt hat. Die andern aber bei der Zither Klängen Vergnügten sich an Tänzen und Gesängen.
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Odyssee.
Erster Gesang.
Und unterbrachen nicht die muntre Feier, Solang sein Licht noch spendete der Tag; Doch als die Nacht erschien im Dämmerschleier, Ging jeglicher dem Ruhebette nach Und auf ihr Lager sanken müd die Freier. Auch Telemach sucht auf sein Schlafgemach, Das auf dem saubern Hof mit hoher Pforte Errichtet war an wohlgeschütztem Orte. Er wandelte bekümmert im Gemüte, Indes ihm leuchtend mit besorgter Hand Die alte Pflegerin voll Treu' und Güte, Die Eurykleia trug den Fackelbrand. Laertes war's der die noch kaum Erblüte Für zwanzig Rinder kaufend einst erstand. Er hielt sie stets wie seine Frau in Ehren, Doch unterließ ihr Lager zu begehren, Damit er nicht der Gattin Zorn erregte. Sie leuchtete dem Jüngling nun die Bahn; Denn inniger als all die andern Mägde War Eurykleia diesem zugetan, Den sie Voreinst als kleinen Knaben pflegte. Bis dicht zur Schwelle schreitet sie voran, Und Telemach, der rasch die Tür aufdrückte, Tritt mit ihr ins Gemach, das prachtgeschmückte.
Er zieht sich sitzend aus auf seinem Brette Und reicht ihr das geschmeidige Gewand. Sie streicht, damit sich jede Falte glätte, Den Rock zurecht und hängt ihn bei der Wand An einem Klötzchen auf, das sie am Bette Unweit des schöngeformten Bettes fand, Und naht, als alles in gehör'ger Weise Geordnet war, dem Kammerausgang leise.
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Odyssee.
Erster Gesang.
Sie tritt heraus in wohlbedächt'gem Schritte
Und schließt die Tür, indem sie flink ergreift Den schönen Silberring an deren Mitte,
Den Riemen ziehend, der den Riegel schleift.
Der Jüngling fühlt weich eingehüllt die Tritte
Des Schlafes nah'n, doch sein Gedanke schweift Die ganze Nacht weitab nach jenen Reisen, Die in Athene zu vollziehen geheißen.
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Zweiter Gesang. Die Volksversammlung.
Als Eos ihre Rosenfinger reckte, Die frühe Maid, den Himmelsraum entlang, Und jetzt der Jüngling, den ihr Schimmer weckte, Sein Kleid anlegend von dem Lager sprang, Ergriff er gleich sein Schwert das spitzgestreckte, Indem er*s wuchtig um die Schulter schwang, Und band sich an den wohlgeformten Zehen Sandalen unter, herrlich anzusehen.
Er trat heraus, und einem Gott zu gleichen An Hoheit schien er allen, die ihn sah'n. Er gab sogleich den Herolden das Zeichen, Daß sie mit hellem Klang die Stadt hinan Zusammenrufen rings die lockenreichen Achäer auf des Marktes weiten Plan, Den Rufen folgend, welche rasch erschallen. Sieht man die Männer nach dem Markte wallen. Als sich nun drängend hier die Massen breiten, Bewegt sich nach dem Markte Telemach; Man sieht zum Volk ihn mit der Lanze schreiten, Zwei Doggen folgen ihm hellglänzend nach; Athenes Hand ließ einen Schimmer gleiten, Der zauberisch auf seinem Antlitz lag; Er läßt sich auf dem Sitz des Vaters nieder, Und Staunen strahlt aus allen Blicken wieder.
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Odyssee. Zweiter Gesang. Dahinter steh'n die Ältesten im Kreise. Vom Geld Agyptios ward zuerst das Wort Genommen, dem gebückten klugen Greise, Der, als Odysseus zog nach Troja fort, Den Sohn ihm mitgab auf die Meeresreise, Den Antiphos, den dann am finstern Ort Ruchlos der wütende Kyklop zerrissen Und ausersah zu seinem letzten Bissen.
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Nicht war's sein Einziger, den er verloren: Von zweien ward sein eignes Gut bestellt, Auch war ihm noch ein vierter Sohn geboren, Der sich zum losen Schwarm der Freier hält, Sein Herz doch war dem Toten zugeschworen, Und nie hat sich sein trüber Blick erhellt; Er fängt, indes vom Aug' die Tränen fallen, Zu reden an und spricht das Wort vor allen: »Hört an, ihr Jthakesier, was ich sage: Kein Volksrat fand auf diesem Markte statt, Auch keine Sitzung, seit an jenem Tage Odysseus segelnd uns verlassen hat. Wer doch entbot uns heu't? Was steht in Frage? Bedroht vielleicht ein Kriegsheer unsre Stadt? Will uns ein Greis, ein Jüngling offenbaren Das Wichtige, was er allerst erfahren?
Will einer ratend unser Heil uns zeigen? Der brave Mann! ihm folget Segen nach! Zu fernem Frommen laß ihm Zeus gereichen Was ihm zu unserm Wohl am Herzen lag!« Der Alte sprach's, und als ein günstig Zeichen Erfaßt es freudestrahlend Telemach, Als ob's ihn nicht mehr auf dem Sitze litte, Stürzt er empor und in des Volkes Mitte.
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Odysee. Zweiter Gesang.
Er fühlt im Innersten, wie eine heiße Begier zu reden seine Zunge regt, Indes das Zepter ihm der lebensweise Peisenor in die Hand als Herold legt. Er wendet sprechend sich zuerst zum Greise: »Der Mann ist nah, der dir den Sinn bewegt; Ich selber hieß euch hier zusammenkommen; Denn von Betrübnis ist mein Herz beklommen.
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Nicht weiß ich wichtiges zu offenbaren, Kein Kriegsheer kenn' ich, das die Stadt bedroht, Nicht euer Heil will ich beratend wahren: Mich trieb, euch zu versammeln, eigne Not. Ein doppelt Unglück ist uns widerfahren. Denn für die Seinen ist Odysseus tot, Der Edle, der in väterlicher Güte Euch lang beherrschte, Sanftmut im Gemüte.
Das Schlimmre nun: mein Gut wird mir zerschlagen, Das ganze Haus schwebt an des Unheils Rand; Denn nach der Eh' mit meiner Mutter jagen Mit Ungestüm die besten Söhn' im Land. Anstatt in ihrem Vaterhaus zu fragen, Bei dem Jkarios, daß aus seiner Hand Sie sich den Mann, der ihr gefällt, erwähle Und dem mit reichem Brautschatz sich vermähle, Befallen sie mir den Palast und liegen In den Gemächern, stets in Saus und Braus, Sie schlachten Rinder, Schafe, fette Ziegen Und schlürfen mir des Weins Gefunkel aus. Von diesen Schwelgerei'n, die nie versiegen, Wer rettet unser halbgebrochnes Haus? Uns fehlt ein Arm von des Odysseus Stärke; Denn wir vermögen nichts zu diesem Werke.
so
Odyssee. Zweiter Gesang. Wir können klagen nur, der Not nicht wehren, Gern unternahm' ich's, hätt' ich nur die Kraft; Denn wie die Prasser mir mein Gut verheeren, Das ist nicht ehrbar, das ist frevelhaft! Wird nicht die Reu' im Busen euch bekehren? Schämt ihr euch nicht vor jeder Völkerschaft, Die uns umwohnt? Seid achtsam, daß die Rache, Die zürnende der Götter nicht erwache! Ich flehe beim olympschen Zeus und bitte Euch bei der Themis, die als Leiterin Bei jedem Volksrat tront in Volkes Mitte: Laßt ab, ihr Freunde! wendet euren Sinn! Meint ihr, daß ich noch nicht genugsam litte, Wenn ich von einer Qual zerschlagen bin? Hat je mein Vater euch, die schönbeschienten Bewußt gekränkt, daß wir solch Los verdienten?
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Denn ihr ermuntert ja die Plündrer, Griechen! Fast besser wär's, ihr schlängt in eignem Schmaus Mein Gut hinab bis auf die Schaf' und Ziegen: Die Sühne bliebe dann nicht lange aus, Denn unsere Klagen würden nie versiegen, Wir trügen wandernd sie von Haus zu Haus, Bis unser Recht vollauf Vergeltung fände! Nun stoßt ihr uns in Herzensnot ohn' Ende.«
Er sprach's und warf mit zorniger Gebärde, Indes vom Aug' herab die Träne rann, Das Zepter weithin schleudernd auf die Erde, Und alles schwieg, gefesselt von dem Bann Des Mitgefühls, kein einziger begehrte Zu reden, bis Alkinoos begann: »Unbänd'ger Telemach! dich stolz zu blähen Verstehst du wohl und kühnlich uns zu schmähen:
so
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Odyssee. Zweiter Gesang.
Du möchtest gern wohl einen Schandfleck kleben An unsern Ruf; doch weit hast du geirrt; Nur deiner Mutter ist die Schuld zu geben, Die seit drei langen Jahren — und es wird Das vierte bald — in listigem Bestreben Durch Täuschung die Achäersöhne kirrt, Indem sie Hoffnung spendend uns umkreiset, Botschaften schickt und jedem Gunst verheißet.
so
Doch nicht die Hochzeit ist's, was sie gelüstet, Ein neuer Plan ward ihr im Herzen wach; Sie sprach zu uns, nachdem sie zugerüstet Ein groß' Geweb in ihrem Frauengemach: »Ihr junges Volk, so gern ihr mich begrüßet Als euer Weib, gebt meiner Bitte nach: Verlangt nicht, daß ich meine Hand vergebe, Bevor ich fertig wirkte das Gewebe,
Daß nicht die Garne nutzlos mir verderben; Denn unserm Held LaSrtes ist geweiht, Ereilt ihn einstens das Geschick, zu sterben,. Die Arbeit meiner Hand als Totenkleid, Und Tadel würde mir im Land erwerben Bei mancher Griechin meine Säumigkeit, Wenn ein Beherrscher von so vielem Gute Ohn' allen Leichenschmuck im Grabe ruhte. < So spricht sie gleißend, und wir Biedre schwören Auf jedes Wort. Wie hat sie uns verlacht! Sie stand am Webstuhl, um uns zll betören, Den ganzen Tag und kettelte mit Macht: Um nachts bei Fackellicht es zu zerstören. So haben wir drei Jahre zugebracht; Und als das vierte kam im Tanz der Horen, Durchschauten erst das Ränkespiel wir Toren.
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Odyssee. Zweiter Gesang.
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Wir hatten Wink von einem Weib empfangen, Und sah'n, wie selbst sie das Gespinst zerhieb,
Als wir zur Nachtzeit in die Kammer drangen. Nun mußte sie, doch nicht aus eignem Trieb, Zu Ende wirken, was sie angefangen. Doch du bedenke, was zu tun dir blieb; Wir Freier offenbaren dir die Kunde; Die mag im Land nun geh'n von Mund zu Munde.
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Schick heim die Mutter, daß sie sich vermähle, Mit wem ihr Vater dies für heilsam hält, Und welchen Mann ihr eignes Herz erwähle, Doch wenn sie ferner hier uns Fallen stellt, Dem Hange folgend ihrer klugen Seele, Die sich in schönen Künsten wohl gefällt, Und der an Witz sich keine kann vergleichen Von allen Griechenfrau'n, den lockenreichen.
(Denn auch aus unsrer Väterzeiten jene, Die hochgefeiert sind im Griechenland, Die Tyro, die Alkmene und Mykene Erreichten nicht Penelope's Verstand.) Daß sie nicht, uns zu hintergehen, wähne! Wir halten all' in deinem Hause Stand, Verzehren deine Lämmer, deine Farren, Will ferner sie auf ihrem Sinn beharren. Sie wird dereinst vielleicht im Land gepriesen Um ihren Starrsinn und den festen Mut, Den ihr die Götter in die Seele gießen; Doch dir, mein Lieber, wird dein Hab' und Gut, Nach kurzer Frist in Kümmernis zerfließen. Denn wir, die Freier, stehen auf der Hut, Bon hier nicht weichend, bis sie sich vermähle Mit einem Griechen, wen sie auch erwähle."
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Odyssee. Zweiter Gesang.
Erwidernd hob der Jüngling an zu sagen: »Sei's, daß ich Armer ohne Vater bin, Sei's, daß ihn das Geschick weithin verschlagen, Wie käm's, Antinoos, in meinen Sinn, Aus dem Palast die Mutter zu verjagen, Die mich gebar, die mich als Hüterin Getreu gepflegt? Wie würd's ihr Vater tragen, Wollt' ich die Tochter heimzuschicken wagen?
Er würde wegen dieser Tat mich hassen Und sie vergelten mir mit bitterm Lohn, Die Mutter selber würde beim Verlassen Der Burg mit Rache der Erinyen droh'n; Mich würd' ein strafendes Verhängnis fassen, In Acht getan als fluchbeladner Sohn. Nie werd' ich mich, was ihr auch sprecht, entschließen, Durch solch Geheiß die Mutter zu verdrießen.
Vermögt ihr euch vor Arger nicht zu fassen, Weil ihr mit meiner Mutter eifernd grollt, Macht Anstalt meine Wohnung zu verlassen, Zieht fort von hier, dann könnt ihr, wie ihr wollt, Abwechselnd euer eignes Gut verprassen. Wenn ihr jedoch der Meinung Beifall zollt, Es sei bequemer und gereich' zu Ehren, Straflos von Eines Mannes Brot zu zehren, Nur zu! das Schiedsamt werd' ich überweisen Den ew'gen Göttern, wartend, ob sie nicht, Mich rächend, euch vor meinem Aug' zerreißen!« Als Telemach dies Wort laut rufend spricht, Sieht man zwei Adler umeinander kreisen, Vom Wind geschaukelt in der Nebelschicht, Die Zeus, der Donnergott im Wolkensitze, Herniedersandte von der Bergesspitze.
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Odyssee. Zweiter Gesang. Und wo sich laut des Volkes Massen drängen, Da wirbeln sie herab zu aller Grau'n; Dicht sieht man über dem Gewühl sie hängen, Bon wo sie auf die Köpfe niederschau'n, Sie drohen mit den Flügeln, mit den Fängen, Und schon zerhacken sie sich mit den Klau'n, Bis Plötzlich stürmend sie nach rechts verschwinden, Wo sich zum Tor die Häuserzeilen winden. Verwundert sahen Jünglinge wie Greise Das Götterzeichen kommen und vergehen, Und forschen, welche Zukunft dies verheiße. Bekannt, auf Vogelflug sich zu verstehen, War Harlitherses und im Freundeskreise Als kluger Schicksalsdeuter angesehen. Wohlmeinend redet jetzt der greise Seher: »Hört an, was ich verkünden iviU, Achäer!
Euch Freiern gilt's, ein schweres Unheil schreitet Heran auf euch, nicht fern ist mehr der Tag, Der den Odysseus in sein Heim geleitet, Und wo er, hart euch drängend, Schlag auf Schlag Tod und Verderben jedem Haupt bereitet. Auch vielen andern droht ein Ungemach Auf Ithakas weitschauendem Gelände: So trachte jeder, wie er solches wende;
Zuerst, ihr Freier, laßt den Hochmut fahren, Ich rede nicht in Unbesonnenheit, Ich bin erprobt und hab' vor zwanzig Jahren Dem findigen Odysseus prophezeit, Als er fortzog mit den Argeier Schaaren: Heimkehren werd' er erst zu dieser Zeit Und gramgebeugt, nach Tötung der Gefährten Gleich einem fremden Mann gelandet werden.
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Odyssee.
Zweiter Gesang.
Das alles werdet ihr erfüllt nun sehen.« Er sprach's und Eurymach nahm nun das Wort: »Beeil' dich, müder Greis, nach Haus zu gehen Und prophezeie deinen Kindern dort! Denn dies hier glaub' ich besser zu verstehen. Der Vogel fliegt besonnt von Ort zu Ort, Doch nicht ein jeder weist auf Schicksalssterne; Odysseus, sag' ich dir, starb in der Ferne.
O hättest du mit ihm in's Gras gebissen! Denn was du uns an Seherweisheit lehrst, Das würden gern wir nebst dem Beistand missen, Den du dem zorn'gen Wildfang hier gewährst. Ich künd' es dir, du sollst erfüllt es wissen: Wenn du, Bejahrter, 311 erhöh'u fortfährst Den Trotz des Jüngern, hoffend auf Geschenke, Mit denen reichlich er dein Haus bedenke, So förderst du des Freundes Wohl mit Nichten, Denn nicht zu beugen sind wir allzumal, Doch schwere Strafe wirst du selbst entrichten Und jammern sollst du noch in bittrer Qual. Laß, Jüngling, jetzt an dich die Rede richten: Schick' heim die Mutter, daß sie den Gemahl Daselbst aus ihres Vaters Hand empfange Und reich ihr Brautschatz, wie es Brauch ist, prange. Wenn dies gescheh'n ist, lassen wir — nicht eher Mit unsrer ungestümen Werbung nach. Die Furcht ist fern uns Söhnen der Achäer! Wir zittern selbst nicht vor dem Telemach Und seinem Redefluß, und was der Seher Als von den Göttern eingegeben sprach, Das wird von uns als eitel Dunst betrachtet, Und, der es sprach, nur um so mehr verachtet.
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Odyssee. Zweiter Gesang.
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Bis wir zum Endziel unsrer Wünsche dringen, Wird Haus und Hof in Schmauserein verbracht, Kein Ausgleich wird dir irgendwie gelingen, Solange sie vertröstend uns verlacht. Die Huld der Reichbegabten zu erringen, Sind wir wetteifernd immerdar bedacht. Uns stünd' es frei im Land uns umzuschauen,
Doch keinen Blick tun wir nach andern Frauen.;
Die Antwort ließ der Jüngling jetzt erschallen: »Hör' Eurymach! kein Wort verlier' ich mehr: Denn offenkundig ist es jetzt vor allen, Wie ihr es treibt, der Freier stolzes Heer! Ein Andres bitt' ich, mög' es euch gefallen: Fortsteuern will ich durch das dunkle Meer; Laßt mir zur Fahrt ein hurtig Schiff bereiten Und zwanzig Mann, die rudernd mich geleiten! Ich will verschaffen mir gewisse Kunde, Einkehrend in der Pylos sand'gem Port, In Sparta dann, und forschen in der Runde, Ob noch mein Vater lebt, von Ort 311 Ort. Wird keine Nachricht mir aus Menschenmunde Kommt doch vielleicht von Zeus ein klärend Wort; Denn, die den Ruf von Land zu Land verbreitet, Die Völkersage wird von ihm geleitet.
Wenn die Berichte dann mir Hoffnung geben, Geduld' ich mich, wenn auch in Schmerz, ein Jahr. Doch sagen sie, vernichtet sei sein Leben, Nehm' ich heimkehrend alle Bräuche wahr; Dem Vater möge sich ein Hügel heben, Und reichliche Geschenke bring' ich dar, Durch deren Opf'rung seine Gnlft zu weihen, Die Mutter dann werd' ich dem Gatten freien.
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Odyssee. Zweiter Gesang.
Er spricht's und kehrt zu seinem Sitze wieder, Und Mentor, des Odysseus Kamerad
Ergreift das Wort.
Ihn setzte der Gebieter,
Als er zur Jlionfahrt das Schiff betrat, Zum Pfleger der verlassnen Habe nieder,
Damit, gestützt auf des Laertes Rat
Er das Besitztum vor Verderbnis hüte. Der sprach zum Volk mit sinnigem Gemüte:
»Hört an, ihr Jthakesier, was ich sage: Daß kein gekrönter Herrscher fürderhin
Besorgt nach seines Volkes Wohlfahrt frage!
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Nie sei Gerechtigkeit ihm Leiterin!
Er werd' im Gegenteil dem Land zur Plage Durch rauhen Trotz und frevelhaften Sinn!
Bewahrt auf Ithaka noch ein Gemüte
Den Dank für des Odysseus Vatergüte! Nicht mit den Freiern will ich mich befassen;
Sie setzen ja den eignen Kopf zum Pfand, Wenn sie dem Wahn sich töricht überlassen,
Odysseus kehre nie zurück ins Land, Und räuberisch sein Eigentum verprassen;
Euch andern ist mein Tadel zugewandt:
Den Frevlern seid ihr mächtig überlegen,
Doch keiner wagt, die Zunge nur zu regen!« Anhob Leiokritos das Wort zu sprechen:
»Nur Schaden anzurichten ist dein Ziel, Du spornst das Volk, um dich an uns zu rächen;
Verbissner Tor! Wir sind der Männer viel!
Meinst du, wenn wir im Schloß beisammen zechen, Uns zu bezwingen sei ein Kinderspiel?
Und wenn der Held Odysseus selber käme, Bedacht, wie er uns edle Freier zähme,
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Odyssee.
Zweiter Gesang.
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Und wollt' er bei der Rückkehr danach trachten, Zu säubern von den Schmausern seinen Saal, So sehr die Gattin ihn ersehnt mit Schmachten, Sie hätte keine Freud' an dem Gemahl; Denn Todesdunkel würd' ihn schnell umnachten, Wagt' er zu kämpfen mit der Überzahl. Du, Mentor, hast nur Ungebühr gestammelt! Zerstreut euch alle jetzt, die hier versammelt,
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Ein jeder mag zu seinem Werke schreiten!
Was nun des Jünglings Reiseplan angeht, So können ihm das Nötige die beiden, Mit denen er in altem Bunde steht, Mentor und Halitherses zubereiten, Allein ich hoff', er bleibt zu Haus und späht Nach Botschaft hier. Will er dem Meere trauen, So wird er nie mehr seine Heimat schauen!« So löst er die Versammlung; in den Gassen Zerstreut sich schnell das rührige Gewog', Indes der Freierschwarm, um fortzuprassen, Nach dem Palaste des Odysseus bog. Doch Telemach, der wackre, wallt verlassen Zum Strand des Meers, wohin sein Herz ihn zog. Er netzt die Hände mit dem Schaum der Welle Und ruft die Göttin an, die augenhelle:
»Erhör' mich, die du meines Hauses Pforte Durchschrittest gestern mit dem eh'rnen Speer Und hießest mich aus meinem Heimatsporte Fortsteuern in das nebelgraue Meer Und nach dem Vater spähn von Ort zu Orte, Ob seine Rückkehr meldet irgend wer. Wenn die Achäer nun den Plan vernichtet, Der Freier Bosheit hat das angerichtet.« Schelling, Odyssee.
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Odyssee.
Zweiter Gesang.
Er rief's, und zu ihm trat die Angeflehte, An Sprach' und Körperwuchs dem Mentor gleich, Und sprach zu ihm die flügelschnelle Rede: »Sei, Telemach, nicht töricht oder feig! Wenn in der Brust des Vaters Odem wehte Und wärst wie er beredt und tatenreich, Nicht fruchtlos würde dein Beginnen bleiben Und dir die Reise keiner hintertreiben.
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Doch bist du von Odysseus nicht entsprossen Noch von Penelope, dann weiche nur Zurück von jenem Werk, das du beschlossen. Nur wenig Söhne stehen von Natur Dem Vater gleich als geistige Genossen, Die meisten findest du auf schlecht'rer Spur Und selten, die den Vater überragen, Doch willst du mutig dich und klug betragen Und bist nicht ganz von Vaters Geist verlassenErfüllt sich, hoff' ich, was dein Abseh'n war. Inzwischen magst du nur gewähren lassen Den Schwarm der Freier, die, der Einsicht bar Und blind in ihrem ungerechten Hassen, Nicht ahnen, daß unheimlich ihrer Schar Der Tod sich naht und alle wird erwürgen, Für deine Reise, Lieber, will ich bürgen. Als Freund des Hauses von des Vaters Zeiten Verschaff' ich dir ein hurtig Schiff zur Fahrt, Und will als dein Gefährte dich begleiten. Verweil' noch in der Burg, wenn auch umschart Vom Freierschwarm; die Zehrung laß bereiten, Nimm Wein in irdnen Krügen wohlverwahrt, Dann Mehl, in derben Schläuchen eingeschlossen, Das Männermark für dich und die Genossen!
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Odyssee. Zweiter Gesang.
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In unserm flutumrauschten Jnsellande Verkehren stets der Ruderschiffe viel Im Hafen und am weitgedehnten Strande, Auch neue Bote mit geschwindem Kiel. Das beste, was ich zu erseh'n imstande, Laß ich ausrüsten für dein Reiseziel. Freiwill'ge werd' ich aus dem Volk dann heuern, Mit denen wir ins offne Weltmeer steuern.« Athene sprach es. Ihre Worte fachten Den Jüngling an, er geht zurück die Bahn Und tritt mit Sorgen, die sein Herz umnachten, In seine Burg. Er trifft die Freier an, Wie sie vereinigt fette Ziegen schlachten Und Schweine sengen auf des Hofes Plan. Mit Lächeln gab die Hand dem Heldensohne Antinoos und spricht in trautem Tone:
aoo
»Unbändiger Jüngling, stolz in hoher Sprache! Was Böses dir in Wort und Tat gescheh'n, Das schlag' getrost dir aus dem Sinn und trage Es keinem nach. Laß' uns zusammensteh'n Wie sonst und fröhlich zechen alle Tage. Nach Rud'rern werden die Achäer seh'n, Nach tüchtigen, und dir ein Schiff erfragen Was schnell dich wird zur heil'gen Pylos tragen,
Daß du dir schaffst vom edlen Vater Kunde.« Jetzt in die Worte bricht der Jüngling aus: »Geziemt es mir, daß rch in frohem Bunde Mit euch den Tag verbring' in Saus und Braus? Jst's nicht genug, daß ich mit stummem Munde Als Kind zusah, wenn ihr in tollem Schmaus Die besten Stücke meines Guts verschlungen? Nun als Erwachsner fühl' ich mich gedrungen, 3»
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Odyssee.
Zweiter Gesang.
Auf andrer Männer Wort und Rat zu hören, Und trachte mutbeseelt, ein Strafgericht Herab auf eure Häupter zu beschwören, Sei's, daß ich Pylos schaue, sei es nicht. Doch diesen Plan wird keiner mir zerstören. Wenn's auch an Rudrern mir und Schiff gebricht, So werd' ich mir ein fremdes Fahrzeug mieten, Denn eure Willkür hat ja so entschieden!«
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Er sprach's, indem er seine Finger leise
Dem Händedruck Antinoos' entwand; Als nun gerüstet wurde Trank und Speise Das Haus entlang von flinker Freier Hand, Ward auf den Telemach und dessen Reise Manch Stichelwort von Lästermund versandt, Und einer von den übermüt'gen Tröpfen Sprach: »Telemach zielt stracks nach unsern Köpfen; Er will gewiß nach reis'gen Männern schauen, Die ihm zur Seite steh'n mit ihrer Kraft, Er wirbt in Pylos, wirbt in Spartas Gauen, Denn dahin geht die weitre Wanderschaft; Wohl gar auf Ephyra's beglückten Auen Fährt er und holt von dort gottlosen Saft, Todbringenden, und in den Wein der Zecher Ihn mischend, reicht er uns den Todesbecher!« Ein andrer sprach der stolzen jungen Leute: »Vielleicht erreicht er nie sein Schiffahrtsziel Und wird, dem Vater gleich, der Wellen Beute. Dann macht er uns erst recht der Arbeit viel, Weil, wenn wir alles teilten, das Gebäude Doch an Penelope als Erbin fiel'; Sv müßten wir denn seiner Mutter weichen Und dem Gemahl, dem sie die Hand wird reichen.«
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Odyssee. Zweiter Gesang.
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Sie sprachens, Telemach stieg in die Tiefen Des luft'gen Kellers, wo gehäuft und blank Des Goldes und des Kupfers Schätze schliefen. Prachtkleider waren da verwahrt im Schrank Und Fässer, die von duft'gem Öle triefen;
Dort lehnten auch, bestimmt mit Göttertrank Odysseus einst, den Dulder, zu erquicken, Wenn er entronnen sei den Mißgeschicken, Die Weingefäße längs der Wand, des alten, Würzhaften Trunkes voll, in langen Reih'n; Türflügel, die sich eng zusammenschalten, Zweifach verriegelt, schließen alles ein. Beflissen, in dem Schatzgemach zu walten Bei Tag und Nacht in klugheitsvoller Pein, War Eurykleia. Telemach, zur Pforte Des Kellers sie bescheidend, sprach die Worte: »Geh, Mütterchen, in das Gewölb' und gieße In Henkelkrüge Wein von solcher Art, Daß er recht lieblich durch die Kehlen fließe, Den besten nach dem Tranke, den ihr spart, Daß der geplagte Dulder ihn genieße, Wenn er, dem Tod entflohen nach langer Fahrt, Den Heimweg einst, der Göttliche, gefunden. Zwölf Krüge nimm und schließe sie mit Spunden! In derbe Schläuche pack' auch Mehl geschwinde, Maß zwanzig bester Frucht; an sicherm Ort Leg' alles hin, daß ich's am Abend finde, Wenn meine Mutter aus den Sälen fort Zur Ruhe sich begab mit dem Gesinde. Und schweig! Fortsteuern will ich aus dem Port, In Sparta späh'n und Pylos, ob vom Leben Des Vaters irgendwer kann Kunde geben.«
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Odyssee. Zweiter Gesang.
Er sprach es kaum, tönt Schluchzen ihm entgegen, Wehklagend ruft die treue Pflegerin: »Wie kann solch ein Gedanke dich bewegen, Lieb Söhnchen sprich! was kam dir in den Sinn? In weites Land auf unbekannten Wegen, Mein einzig teures Kind, da willst du hin! Was deinem edlen Vater widerfahren, Der fern der Heimat urnkym bei Barbaren,
Das werden sie in tückischem Erbosen Auch dir antun mit meuchlerischer Hand Und dann um deine Hab' als Beute losen. O bleib' und halt' auf deinen Gütern stand! Vertrau dich nicht der See, der erntelosen, Sie wird verschlagen dich von Land zu Land Und dir bereiten tausend Schreckensplagen.« Erwidernd hob der Jüngling an zu sagen:
»Getrost! nicht ohne göttliches Geheiße, Mein Mütterchen, entschloß ich mich zur Fahrt. Gelobe nun in feierlicher Weise, Daß mein Geheimnis treu von dir bewahrt Und meiner Mutter werde von der Reise Nichts vor dem eilften Abend offenbart, Vermißt sie mich nicht selbst: damit die Welle Der Träne nicht den schönen Blick entstelle.«
Die Greisin schwor den Eid und lud zu Zeugen Und Rächern laut die ew'gen Götter ein, Verpackte dann das Mehl in derben Schläuchen Und goß in Henkelkrüge flink den Wein. Der Jüngling ging von neuem zu den Gäuchen Und mischte sich in ihre wilden Reih'n, Indes Athene sorgsam ihre Schritte, Die augenhelle, lenkt in Volkes Mitte.
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Odyssee. Zweiter Gesang.
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Entlang die Gassen, die sich kreuzend winden, Geht sie, gehüllt in Telemachs Gestalt; Sie weiß die Männer, die sie trifft, zu binden Durch ihrer Rede packende Gewalt, Sich als Gefährten abends einzufinden Beim schnellen Schiff. Die Göttin stellt alsbald Dem stattlichen Noemon das Begehren, Das eigne Schiff zur Fahrt ihr zu gewähren. Die Sonne sank, es dunkelten die Pfade; Das Fahrzeug, das Noemon gern geliehen, Ließ jetzt die Göttin hurtig vom Gestade, Mit Segelzeug verseh'n, ins Wasser zieh'n. Die Mannschaft, welche sich allmählich nahte, Stellt sich vollzählich längs des Ufers hin; Athene hat für jeden feur'ge Worte Und bringt das fertige Schiff zum vordern Porte.
Schon wälzt die Göttin andere Gedanken: Sie wandelt zu den Freiern, die im Haus Des göttlichen Odysseus sorglos tranken, Und goß auf jede Wimper Schlummer aus, Daß aus den Händen rings die Becher sanken, Die Männer selbst, aufstehend von dem Schmaus, Betäubt von Träumen, die den Sinn verwirren, Nach ihrem Ruhebett die Stadt durchirren.
Den Telemach rief jetzt die Augenhelle, Dem Mentor gleich an Sprach" und Körperart, Aus seinem Wohngemach zur Türesschwelle Und sprach: »Schon an der Ruderbank geschart Sind die Gefährten vollgezählt zur Stelle, Und alles ist gewärtig deiner Fahrt. D'rum vorwärts! laß uns nicht im Werke säumen!« Sie sprach's, und rasch enteilte sie den Räumen.
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Odyssee. Zweiter Gesang.
Der Jüngling folgt der Göttin auf dem Schritte, Und als sie nun erreicht den Meeresstrand, Tritt Telemach in der Gefährten Mitte, Der hauptumlockten, zu dem Uferrand, Und »Freunde« spricht er, »holt mit flinkem Tritte Den in der Burg bereiten Proviant; Der Mutter blieb verborgen mein Beginnen, Nur Eine weiß darum der Dienerinnen.«
Er ging voran, sie folgten seinem Tritte Und trugen, was im Haus bereitet lag, Und luden alles in des Fahrzeugs Mitte, Wie es befohlen ward von Telemach. Die Göttin sprang ins Schiff mit festem Schritte, Und der verständige Jüngling folgte nach. Sie setzt sich an das Steuer; ohne Weile Entknüpften die Gefährten jetzt die Seile.
Und während sie nun selbst ins Fahrzeug springen Und jeder sich ins Ruder kräftig legt, Beginnt vom Lande her ein Hauch zu dringen, Der mit Gebraus den Meerespurpur fegt. Es ist der West, der seine günstigen Schwingen, Beflügelt von Kronions Tochter, regt. Der Jüngling mahnt, das Schiffszeug aufzustellen, Und den Befehl befolgen die Gesellen. Den fichtnen Mastbaum heben sie und schalten Ihn in die Höhlung an des Schiffes Grund Mit Tauen, die ihn vor- und rückwärts halten, So daß er aufrecht in der Mitte stund. Sie fangen an, die Tuche zu entfalten, Und spannen sie mit festem Lederbund. Das Segel bauscht; das Schiff eilt nach dem Ziele. Und donnernd bricht die Purpurflut am Kiele.
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Odyssee. Zweiter Gesang. Als sie die Segel fertig aufgezogen, Da füllten sie Pokale hoch mit Wein, Sie gießen aus den Kelchen in die Wogen
Und schenken wieder gießend aus und ein,
Um allen ew'gen Göttern, die gewogen Die Fahrt begleiten, von dem Trank zu weih'n, Zumeist Kronions augenhellem Kinde.
Die Göttin steu'rt die Nacht durch mit dem Winde.
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Dritter Gesang. Teleinach bei Nestor.
Als Helios zu dem eh'rnen Himmelsschilde Emporstieg aus dem spiegelklaren Sund, Daß er den Göttern sich im Strahlenbilde Und allen Menschenkindern mache kund, Soweit sich dehnt der Erde Fruchtgefilde — Da vor dem Blick der Schiffenden entstund Des Neleus Stadt, die herrlich hochgebaute, Nebst vielem Volk, das man am Ufer schaute.
Versammelt hatten sich am Meer die Scharen, Gelagert auf neunfachen Bänkereih'n, Um dem Poseidon mit den dunklen Haaren Pechschwarzer Farren Opferduft zu weih'n; Fünfhundert, die in jeder Reihe waren, Vollzogen je neun Opfer im Verein; Die Lebern speisten sie, und auf Altären Verbrannten sie die Lenden, ihm zu Ehren; Inzwischen steuerten aus den Wogenmassen Die Reisenden ihr Schiff zum nahen Strand, Die Segel waren rasch herabgelassen, Und ankerwerfend fuhren sie ans Land. Sie standen auf, das Fahrzeug zu verlassen, Und Telemach sprang an den Uferrand; Kronions Tochter geht voran, und leise Ermahnt sie ihn in väterlicher Weise:
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Odyssee. Dritter Gesang.
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»Mein Telemach, sprich frei und unumwunden, Denn dazu nur hast du die See durcheilt, Daß du vom Vater Nachricht mögst erkunden, In welcher Landschaft er verborgen weilt, Und, starb er schon, wie er das Ziel gefunden? So geh' zum reif gen Nestor unverweilt, Laß uns den Ratschlag seines Herzens hören, Doch dir gebührt's, ihn bittend zu beschwören! Denn seines Geistes Sinn ist klug und bieder, Und nicht verhehlen wird er, was er weiß.« Antwortend sprach der kluge Jüngling wieder: »Ich kämpfe nie um der Beredtheit Preis: Wie wagt' ich's anzureden den Gebieter, Als Jüngling auszuforschen einen Greis?« Die Göttin sprach, den Jüngling zu ermahnen: »Dein eig'ner Sinn wird, was sich ziemet, ahnen;
Im Mund wird dir ein Gott das Wort gestalten; Denn über dir und deinem Lebensgang Schwebt, wie ich nicht bezweifle, göttlich Walten." Die Göttin führt' ihn das Gestad' entlang, An dem die Pylier die Versammlung halten, Und durch die Sitzesreih'n der Männer drang Sie schnell und lenkt zu Nestor ihre Schritte, Den treffen sie in seiner Söhne Mitte,
Und rings die Diener, die das Fleisch bereiten, Teils röstend, teils es kostend mit Verstand. Als man die Fremdlinge heran sieht schreiten, Steht alles auf und bietet Gruß und Hand. Zuerst erfaßt Peisistratos die beiden, Des Nestors Sohn, und sie zum nahen Strand Geleitend, breitet er im sand'gen Kiese Zum Sitz ein Polster aus von dichtem Vliese,
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Er lädt die Fremdlinge zum Opfermahle Mit seinem Vater, seinem Bruder ein, Teilt von der Leber aus, und eine Schale, Von Gold getrieben, gießt er voll mit Wein. Er trinkt der Göttin zu mit dem Pokale: »Geweiht soll dieser Trunk Poseidon sein; Fleh mit mir, Fremdling, zu dem Herrn der Wogen! Zu seinem Feste kam't ihr ja gezogen. Hast du geopfert, wie es Beter pflegen, Reich' dann dem Freund den duftigen Pokal; Denn er auch wird den Drang zum Beten hegen, Weil in der Brust der Menschen allzumal Sich fromme Triebe nach den Göttern regen. Wenn ich die Opf'rung dir zuerst empfahl, War's, weil du älter bist — so möcht' ich meinen; Der andre will mir meines Alters scheinen.« Athene freute sich der klugen Rede, Und daß er sie geehrt vor Telemach; Sie nahm den Kelch des süßen Weins und flehte Den Gott der Meeresfluten an und sprach: »Eracht' es nicht zu groß, worum ich bete. Send', Erdumgürter, ihm Erfüllung nach: Gib uns, was wir begannen, zu vollenden, Von Nestors Herd laß nie das Glück sich wenden!
Und hast du für des Opfers prächt'ge Spende Den Pyliern allen Gnade zugewandt, Nimm dann auch unser Werk in deine Hände, Für das wir steuernd kamen in dies Laud!" Sie spricht's und waltet selbst, daß sich's vollende: Auch Telemach, der jetzt aus ihrer Hand Den Kelch empfing, fleht zu dem Herrn der Wogen. Die Söhne hatten jetzt vom Spieß gezogen
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Das Bratenfleisch, das sie in Stücke fällten, Und richteten das frohe Gastmahl aus. Indem sie seinen Teil vor jeden stellten. Als alles sich gelabt an Trank und Schmaus, Ward von dem reisigen Gerenschen Helden Das Wort genommen: »Mir als Herrn vom Haus Steht's nach der Speisung an, mich um die Namen Der Fremden umzutun, die zu mir kamen.
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Wo kam't ihr her auf euren feuchten Pfaden? Wer seid ihr? sprecht! habt ihr zu tun im Land? Furcht planlos ihr die Meere, gleich Piraten, Die kreuzend schweifen und den Kopf zum Pfand Einsetzen, um den anderen zu schaden?« Der Jüngling — von Athene selbst ermannt, Damit er sich vom fernen Bater Kunde Verschaff' und edlen Ruhm im Völkermunde —
Hob an, mit festem Mut das Wort zu sagen: »O Neleus' Sohn, der Griechen Ruhmeshort! Ich gebe dir Bescheid auf deine Fragen: Aus Ithakas gebirgumwallten Port Hat uns das Schiff an dies Gestad getragen. Nicht unsres Volkes Sache trieb uns fort; Was uns bestimmte, war die eigne Sorge. Von welcher Art? vernimm es jetzt und horche! Von meinem edlen Vater eine Kunde Mir zu erspäh'n, bin ich hierher gekehrt. Dem duldenden Odyffeus, der im Bunde Mit dir vordem die Troerstadt verheert. Der Kampfgenossen Schicksal wird vom Munde Des Volkes und ihr grimmer Tod gelehrt; Doch von Odysseus, dem bedrängnisreichen, Hüllt Zeus sogar den Untergang in Schweigen.
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Von niemand kann ich, wo er starb, erfahren, Ob er in Amphitrites wilder See, Ob auf dem Festland umkam durch Barbaren. D'rum fass ich dich um deine Knie und fleh': O, wolle sein Geschick mir offenbaren, Was du geseh'n, was du erfahren je, Vielleicht von einem Wandrer. Ach! der Arme — Geboren war er nur zu Leid und Harme!
Daß deine Rede nicht aus Mitleid schone! Was du geschaut, bericht' es treulich mir, Beschwörend beug' ich mich vor deinem Throne! Wenn je durch Taten oder Worte dir Mein Vater sich empfahl zu Dank und Lohne, Als euch vereinte Not und Kampfbegier Im Troerland, des magst du heut gedenken Und mir der Wahrheit lautre Labe schenken!«
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Antwortend hob jetzt Nestor an zu sagen: »Weil du berührtest, Freund, die Leidensqual, Die wir erduldet in des Krieges Tagen, Wenn uns Achilleus dort zu Schiff befahl, Nach Beute durch die graue See zu jagen, Und wenn wir, ringend mit der Überzahl, Um Priams Veste manche Lanze brachen, Die Tapfersten in diesem Kampf erlagen: Achilleus mußte dort vom Leben weichen, Und Ajas fiel, ein Gott an Kampfesmut, Patroklos auch, der Feldherr ohnegleichen, Mit denen Antiloch im Grabe ruht, Mein teurer Sohn, der unter Memnons Streichen Daselbst vergoß sein edles Kämpferblut, Im Rennlauf stark wie im Gewog des Streites; Doch noch erschöpft' ich nicht das Maß des Leides
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Dritter Gesang.
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Wo ist ein Sterblicher, der mitzuteilen Vermöchte dieser Schrecken ganze Zahl? Und wolltest du, mich auszuhorchen, weilen Sechs Jahr und mehr bei mir in meinem Saal, Du würdest überdrüssig heimwärts eilen, Eh' ich berichtet jede Leidensqual. Jahraus jahrein ward List auf List ersonnen, Im neunten kaum für uns der Sieg gewonnen.
Scharfsinnig war von allen Kampfgenossen Odysseus, zu erspäh'n den besten Plan, Dein Vater, bist du wahrhaft ihm entsprossen. Ich blicke, Teurer, dich mit Staunen an. Wie von der Lippe dir das Wort geflossen, War's wie vom Vater; keinen Jüngling sah'n Wir je der klugen Rede so erfahren. Als wir vereint, ich und dein Vater, waren, Herrscht' Einigkeit in Herzen und Gedanken, Wir gingen brüderlich denselben Pfad, Fürs Wohl des Heers verbunden ohne Wanken Bei jedem Volksschlusz, jedem Fürstenrat. Als nun in Schutt die Mauern Ilions sanken, Erwuchs des Zwistes unheilvolle Saat; Wir stiegen auf die Schiffe; doch die Flotte Der Griechen ward zersprengt von einem Gotte. Denn Zeus beschloß in seinem hohen Walten, Die Fahrt der Griechen nach dem Vaterland Zu einem Strafgerichte zu gestalten Für manche Hoffart, manchen Unverstand, Und viele traf's, im Tode zu erkalten. Das war Athenes Werk: von ihrer Hand Ward in das Bruderherz der Atre'iden Der Zwist gesät, der feindlich sie geschieden.
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Dritter Gesang.
Sie hatten, um gemeinsam zu beraten, Herbeigerufen unser ganzes Heer; Zu spät! da schon die Abendstunden nahten; Die Völker kamen an, des Weines schwer; Man kündet an, weshalb man sie geladen, Und Menelaos rät, daß man, aufs Meer Sich stürzend, auf des Wassers weitem Buge Den Pfad zur heimatlichen Küste suche.
Doch lag dies nicht in Agamemnons Sinne: Er will das Heer festhalten noch im Land Und rät, daß man Festopfer erst beginne Und die Verzeihung durch den Weihebrand Der zürnenden Athene sich gewinne. Doch nicht gelang's, wie er's im Unverstand Sich vorgestellt, als ob im Dreh'n der Hände Sich die Gesinnung ew'ger Götter wende.
Als heftig nun die Heeresführer streiten, Zerklüftet sich der Kriegerhaufe wild, Und schrecklich tost es zwischen den Entzweiten. 150 Sie nächtigten gesondert im Gefild, Indem sie Böses brütend, sich bedräuten; Denn schlimmste Rache führte Zeus im Schild. Die einen brachen morgens auf und zogen Vom Strand die Schiff' ins heil'ge Reich der Wogen.
Wir luden unsre Güter ein und sandten Die Frau'n im faltig schönen Kleid an Bord, Indes die andern an dem Ufer standen Um Agamemnon her, den Völkerhort. Als wir nun eingeschifft uns seewärts wandten, Ging rasch bis Tenedos die Reise fort, Geebnet fanden wir die hohlen Pfade Und flehten opfernd um der Götter Gnade.
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Dritter Gesang.
Begehrend alle nach der heim'schen Scholle, War neue Zwietracht zwischen uns entbrannt, Indem gestachelt von Kronions Grolle Ein Teil die hohlen Schiffe rückwärts wand, Daß er dem Agamemnon Ehrfurcht zolle. Es war die Schar, die um Odysseus stand, Den Völkerherrscher, den erfindungsreichen, Doch ich beschloß dem Unheil auszuweichen. Und mit den Schiffen, die um mich sich scharen, Entflieh' ich; Tydeus' Sohn folgt meiner Bahn; Auch Menelaos mit den blonden Haaren Schließt sich mit seinem Schiff in Lesbos an. Wir überlegen, wie nun weiter fahren? Ob wir um Chios, die wir ragen sah'n, Rach Psyria biegen, oder östlich wagen Uns um des Mimas stürmischen Fuß zu schlagen.
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Wir flehen, diesen Zweifel zu entscheiden: Der Gott gab uns ein Zeichen und gebot, Quer nach Euböa durch die See zu schneiden, Um schneller zu entfliehn der Schreckensnot. Ein Wind erhob sich uns zum Ziel zu leiten, Und trieb durchs Fischgewimmel Boot an Boot, So daß wir bis Gerästos nachts gelangten Und Farren opfernd dem Poseidon dankten.
Noch war der vierte Morgen nicht entflogen, Da stieg ans feste Land zu Argos schon Nebst den Gefährten, die ihm nachgezogen, Der Bändiger der Rosse, Tydeus' Sohn. Ich schiffte weiter durch den Schwall der Wogen In schnellem Lauf; denn günstig mir zum Lohn Hielt stets ein Gott den Strom des Windes offen: So bin ich denn in Pylos eingetroffen, Schelling, Odyssee. 4
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Dritter Gesang.
Und habe nichts vom Heere mehr erfahren, Wer sich gerettet auf die Heimatsflur, Wer umkam von den tapfern Kriegerscharen. Drum kann ich dir, mein Sohn, Gehörtes nur, Was mir im Hause zuging, offenbaren: Achilleus' wackrer Sohn, wie ich erfuhr,
Ist mit den Myrmidonen unversehret, Den speerberühmten Männern, heimgekehret.
Von Philoktet, des Pöas stolzem Sprossen, Erzählt man's auch, und daß an Kretas Strand
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Jdomeneus gerettet die Genossen Und keiner seinen Tod im Meere sand. Wie traurig Atreus' Sohn sein Blut vergossen, Das ward wohl auch Entfernten schon bekannt; Doch hat, der dieses Frevels sich erkühnet, Elenden Todes seine Tat gesühnet.
Wie schön, wenn eines Hingesunknen Sache Verfochten wird vom hinterbliebnen Sohn! Wie jetzt Crest zu seines Vaters Rache Dem Meuchler zugeteilt den blut'gen Lohn. Auch du, mein teures Kind, hab' acht und wache — Denn mannhaft seh' ich dich als Knaben schon Daß deinen Nachruhm einst die Enkel pflegen!« Der kluge Jüngling hob jetzt an dagegen: »C, Neleus' Sohn, der Griechen Ruhmeswächter! Wenn jener Mann den Meuchler hingestreckt, So war der Lohn wahrhaftig ein gerechter! Der Ruhm mit dem er Griechenland bedeckt, Wird strahlen fern in späteste Geschlechter. C hätt' auch mir ein Gott die Kraft erweckt, Den Übermut der Ungebühr zu brechen, Der sich die Freier mir zum Trotz erfrechen!
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Den Göttern doch gefiel es zu versagen Mir und dem Vater solches Lebensglück; So gilt es denn, das Leid trotzdem ertragen.« Er sprach's. Der reis'ge Nestor gab zurück Das Wort und hob erwidernd an zu sagen: »Weil du mein Freund, erwähnt davon ein Stück: Man spricht davon, daß deiner Mutter wegen Sich viele Freier in der Burg bewegen,
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Und dir zur Last sich Unfugs unterfangen — Trägst du dies Joch aus freien Stücken? sprich! Ist an dein Volk ein Götterwink ergangen, Daß sie von Haß erfüllt feindselig sich Zusammenrottend deine Macht bezwangen? Wer weiß, ob nicht Odysseus einst für dich Als Rächer wird in die Empörer fahren, Ob er allein kommt, ob mit seinen Scharen. Denn wärst du so von Pallas' Gunst umschritten, Wie es dein hochberühmter Vater war, Als wir im Troervolke Trübsal litten, — Denn klarer nahm ich nie die Götter wahr Sich hilfreich zeigend in der Kämpfer Mitten — Wenn so beschirmend dich in der Gefahr Athene liebte, würden jen' ihr Dichten Nicht lange mehr auf die Vermählung richten.«
Der Jüngling sprach mit staunender Gebärde: »Mein edler Greis, es kann ja nimmer sein, Daß dein gewalt'ges Wort erfüllet werde! Und wollten's alle Götter im Verein, Nie wird Odysseus schau'n die Heimatserde.« Die augenhelle Göttin warf jetzt ein: »Mein teures Kind, halt ein auf diesem Wege; Welch Wort entkam aus deinem Zahngehege!
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Auch Fernverirrte kann ein Gott ja retten Und heim sie führen, wie's ihr Herz begehrt, Weit lieber möcht' ich in des Unheils Ketten Lang schmachten und, zur Heimat spät gekehrt, Mich in des eignen Hauses Frieden betten, Als daß ich, kaum gelangt zum heimischen Herd, Elend dahin, wie Agamemnon sänke Durch eines Weibs und ihres Buhlers Ränke.
Nur unser aller Schicksal können wenden Die Götter auch von ihrem Liebling nicht: Das Los, in finstrer Todesnacht zu enden.« Der kluge Jüngling hebt jetzt an und spricht: »Laß, Mentor, uns kein weitres Wort verschwenden, Wenn auch die Sehnsucht unser Herz zerbricht; Vergeblich ist's auf seine Rückkunft hoffen, Da längst ihn schon das Todeslos getroffen. Ein andres laß mich jetzt den Nestor fragen, Weil ihm zur Seite Recht und Weisheit steh'n, Wie keinem andern Mann in unsern Tagen; Als Herrscher sah er kommen und vergeh'» Drei Menschenalter, wie die Leute sagen; Fast glaub' ich keinen Sterblichen zu seh'n. Sag' an o Neleus' Sohn, daß ich es merke: Wie fiel des Agamemnon Herrscherstärke?
Wo weilte Menelaos? welche Schlingen Und Ränke waren's, die Agisth erfand, Um den weit Überlegnen zu bezwingen? Vielleicht, verirrt fern vom Achäerland War jener außer Stande beizuspringen, Daß der sich solchen Frevels unterwand?« Der reis'ge Nestor sprach: »Auf deine Fragen Will ich, mein Sohn, Bescheid getreulich sagen.
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Du kannst dir denken, wie die Dinge waren. Wenn lebend in der Burg den Meuchler fand Der Menelaos mit den blonden Haaren, Als er zu Schiffe von dem Troörland Zur Heimat kehrte mit den Kriegerscharen, Man hätte wahrlich nicht in lockerm Sand Der aufgehäuften Erde den begraben Vielmehr als Speise für die Hund' und Raben
Den Leichnam modern lassen auf der Heide, Und ihn beweinte kein Achäerweib, Den Erzverräter! Während wir im Streite Der Waffen draußen wagen Leib um Leib, Saß er auf Argos' rossereicher Weide, Und pflegte sich in süßem Zeitvertreib, Indem er buhlend, der gewissenlose, Der Klytemnästra nahte mit Gekose.
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Ihr braves Herz war standhaft, im Beginne, Sie lauschte nicht dem schmeichlerischen Wort Und stieß zurück die frevelhafte Minne; Auch hatte der Atride, da er fort Gen Troja zog, in seinem klugen Sinne Zum Schutze für die Königin als Hort Ihr einen sangeskund'gen Freund bestellet Und, wohl mit Rat verseh'n, ihr zugesellet.
Bestimmt doch war vom Schicksal ihr Verderben: Entführend setzt Agisth den Sänger aus An öder Insel, einsam da zu sterben, Dem Raubgevögel ein willkommner Schmaus. Die Königin, gehorchend seinem Werben, Betritt freiwillig des Verführers Haus. Er opfert reich den Göttern auf Altären Und füllt mit Gold die Tempel, sie zu ehren,
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Dritter Gesang.
Weil über Hoffen ihm sein Werk gelungen. — Als Menelaos, mit mir Hand in Hand, Heimschiffend war bis Sunion gedrungen, Athens geheiligtem Gebirgesrand, Da schoß ein Pfeil, vom Sonnengott geschwungen, Auf Phrontis nieder, der am Steuer stand: Er starb, die Hand am Ruder noch, als Retter Berühmt von Schiffen aus dem Sturm der Wetter.
So sah sich Menelaos aufgehalten; Von ihm bestattet würd der Pilot, Und alle Totenbräuche ließ er walten. Als das Geschwader nun auf sein Gebot Fortsteurte durch des Meeres Purpurfalten, Da ward ihm eine bittre Schreckensnot Am Fuße der Malerischen Bergesspipe Verhängt vom Donnergott im Wolkensipe. Der hieß den Wind die Stimme laut erheben: Gleich wuchsen Wellen zu Gebirgen auf; Die einen trieb der Sturm, versprengt mit Beben, Rach Kreta fort, wo an des Jardans Laus Zu beiden Seiten die Kidonen leben. Ein glatter Fels steigt aus dem Meer herauf, Dicht bei Gortyn, wo von des Südes Stürmen Die Fluten sich gen West nach Phästos türmen.
An diesen Stein, den Wogen hoch umbranden, Geschleudert, rettet sich die Mannschaft kaum, Als schon am Riff die Schiffe berstend stranden, Indes die andern fünf von Wellenschaum Und Wind gepeitscht sich nach dem Rilstrom wandten. Hier birgt der König in der Schiffe Raum, Die auf dem Flusse rings verkehrend fahren, Viel Gut und Gold, gewonnen von Barbaren.
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Dritter Gesang.
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Inzwischen hat die Schandtat ohnegleichen Agisth begangen an des Atreus Sohn; Auf der Mykene Thron, der goldesreichen, Saß er nun manches Jahr dem Recht zum Hohn Und zwang das Volk durch Tyrannei zum Schweigen. Im achten erst hat den gerechten Lohn Orest, der von Athen herbeigeeilet, Dem schlauen Meuchler blutig zugeteilet.
Begrabend nun die Mutter und den feigen Ägisthos, gab er einen Opferschmaus
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Dem Volk bei der Beerdigung der Leichen. Denselben Tag zu seiner Väter Haus Kehrt Menelaos, der Rufer ohnegleichen, Und lädt aus schwer beladnen Schiffen aus Der fremden Länder wunderbare Gabe. Auch du, mein Freund, hab' Acht auf deine Habe,
Und hüte dich, zu lange zu verweilen, Daß nicht die Männer, die in dem Palast Die hausen, unter sich dein Gut verteilen Und du die Fahrt umsonst vollzogen hast. Jedoch zum Menelaos hinzueilen, Das rat' ich dir vorerst, mein teurer Gast, Der, jüngst vom Sturm zum fernsten Volk verschlagen, Nach Hause fand, wie's keiner konnte wagen. 320 Denn käm' ein Bogel diesen Weg geflogen, Er legt' ihn nicht zurück in einem Jahr, So schrecklich weit dehnt sich das Reich der Wogen. Steig' denn ins Schiff mit der Gefährtenschar! Doch wird von dir der Landweg vorgezogen, Dir biet' ich Rosse gern und Wagen dar, Und meine Söhne geb' ich dir zur Seiten, Daß sie zur hehren Sparta dich geleiten.
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Fleh' dort um volle Wahrheit den Gebieter;
Er wird dir nicht verhehlen, was er weiß, Denn seines Geistes Sinn ist klug und bieder.«
Er sprach's; das Abenddunkel nahte leis;
Pallas Athene nahm das Wort hinwieder;
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»Du sprachst ein rechtes Wort, mein edler Greis!
Doch Zeit ist's nun, die Zungen zu zerschneiden Und sich zur letzten Spende zu bereiten,
Um zu erfleh'n der ew'gen Götter Segen, Zumeist Poseidons. Mischt den Opferwein! Daß wir bann nächtlich unsrer Ruhe pflegen; Denn schon zerfließt der Tag in Dämmerschein,
Und nicht geziemend wär's, des Schmauses wegen Dahier zu sitzen in die Nacht hinein.«
So sprach die Tochter Zeus'; die andern ließen
Gehorchend Wasser auf die Hand sich gießen,
Die Knaben füllten flink zum Weingenusse
Hoch die Pokale, sie von Hand zu Hand Ringsum darreichend zu dem Weihegufse;
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Die Zungen wurden kleinzerstückt verbrannt;
Aufstand ein jeder zu des Festes Schlüsse Und goß des Trankes in den Opferbrand. Als sie die Göttin spendend so geehret
Und selbst getrunken, was das Herz begehret,
Brach jetzt die Göttin auf, die augenhelle,
Mit ihr der göttergleiche Telemach,
Um auf das Schiff zu geh'n, das segelschnelle. Doch vorwurfsvoll hob Nestor an und sprach, Die Fliehende festhaltend an der Stelle: »Zeus möge mich behüten vor der Schmach, Daß ich als Bettler nicht die Deckn hätte
Worauf ich mich und meine Freunde bette!
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Dritter Gesang.
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Doch sind der Tespiche mir im Palaste Genug und mmcher schöne Pfühl, davon Ein Lager zu benitei meinem Gaste. Nie werd' ich's drldm, daß Odysseus' Sohn, Des großen Manres, an der Schiffswand raste, So lang ich leb' int sitz' auf meinem Thron. Die Söhne Werder noch, komm' ich zu sterben, Den Gästen gastlih 'ein als Hauses Erben!« Des Zeus' helläuxig Kind versetzt die Worte:
»Wie du geredrt, teurer Greis, ist's gut: Daß Telemach zu deines Hauses Pforte Dir folgend dort m Schlafgemache ruht. Ich aber geh' Mick zum Landungsorte Und mach' den Fremden, die uns folgten, Mut. Sie sind gleich Tclenach in Jünglingsjahren; Dem Altern znmt es drum ihr Wohl zu wahren.« Die Nacht verbring' ich in dem Schiff, dem hohlen, Und eile mit d->m Morgengrauen davon, Bei den Kaukoren eire Zchuld zu holen, Nicht klein und mr geschuldet lange schon. Des Jünglings Frhrr jedoch sei dir empfohlen, Gib dein Gefätrt ihn mit und deinen Sohn, Spann' ihm dir bester Renner vor den Wagen, Die kräftigsten, der kauffchritt zu vertragen.« Sie sprach es krun, )a sah man sie entschweben Dem Adler glech, de: durch die Lüfte zieht, Und alle fesselt stciunmdes Erbeben; Den Nestor drmg.'s, als er dies Wunder sieht, Dem Telemach die Fwurdeshand zu geben, Indes das Wort ihm vcn der Lippe flieht: »Mein Freund, wrr chon als Knabe zu Gefährten Die Götter zäh^t, wird richt ein Feigling werden :
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Dritter Gesang.
Kein andrer war es aus des Himmels Hallen
Als sie, die Göttin mit dem Siegerkranz, Die Tochter Zeus', die vor den Griechen allen Odysseus einst umgab mit Ruhmesglanz. Laß, Mächt'ge, dir mein bittend Wort gefallen: Gedenke mein und meines Ehgespans, Der Sprossen nimm dich an aus diesem Bunde Und gib uns edlen Ruf im Völkermunde! Gestatte, daß auf deinem Altar prange Ein jährig Rind, ein breitgestirntes Tier, Noch nie gebändigt von des Joches Zwange; Um seine Hörner wind' ich goldne Zier!« So ruft der Greis in seinem frommen Drange Die Göttin an, und wird erhört von ihr. Dann führt der Rossebänd'ger mit dem Gaste Die Söhn' und Tochtermänner zum Palaste.
Als man die hehre Burg betreten wieder, Setzt' alles an der Wand in langen Reih'n Sich auf die prächt'gen Thron' und Sessel nieder. Zum Willkomm goß nun in den Mischkrug ein Den Labetrank der reisige Gebieter. Es hatte die Verwalterin den Wein Vom elften Jahrgang, der am besten mundet, Klug ausgesucht und säuberlich entspundet.
Der Greis vergießt des duft'gen Weins und wendet Sich zu der Donnrerstochter im Gebet; Als sie nun satt getrunken und gespendet, Und alles schlafgebeugt zur Ruhe geht, Wird Telemach vom Herrn ins Bett gesendet, Das kunstreich in der Säulenhalle steht, Der Haussohn liegt bei ihm, der kampfgestählte Peisistratos, der einzig unvermählte.
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Er selbst jedoch, der Rossebänd'ger, schreitet Ins Innre des Palastes, wo er mit Der Königin ruht, die ihm ihr Lager breitet. Als Eos nun erscheint mit frühem Tritt Und ihre Hand empor am Himmel gleitet, Steht Nestor auf und geht mit festem Schritt Bors Tor der Burg. Hier steh'n behau'ne Steine Hellglänzend und von ungetrübter Reine.
In alter Zeit, vor vielen Jahreswenden Saß Neleus' heil'ge Macht auf solchem Stein; Doch, da's ihn traf, in Todesnacht zu enden, Nahm Nestor als sein Sproß den Hochsitz ein. So saß er nun, das Zepter in den Händen, Der Griechenhort und um ihn her in Reih'n, Die Kinder alle, die zusammenkamen; Echephron, Stratios, Perseus sind die Namen,
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Aretos auch trat aus dein Schlafgemache Und Thrasymed, der göttergleiche Mann, Peisistratos zuletzt mit Telemache; Dem weisen sie den Sitz beim Vater an. Als alle sechs'versammelt unterm Dache, Da sprach der Rossebänd'ger und begann: »Helft Kinder mir Athenes Gunst gewinnen, Auf die vor andern Göttern geht mein Sinnen.« Denn sie erschien leibhaftig auf der Erde Mir gestern bei dem holden Opferschmaus. Drum frisch ans Werk! Geh' einer nach der Herde, Der weidenden, auf das Gefild hinaus, Daß mir das Rind hereingetrieben werde, Das ich bestimmt zum Opfer für mein Haus; Zum Schiff des Telemach eil' unverdrossen Ein andrer, daß er mir die Fahrtgenossen
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Vollzählig bis auf zwei hierher bescheide; Den Goldschmied ruf' ein Dritter mir ins Haus, Daß er des Rinds Gehörn mit Gold umkleide; Ihr andern harrt versammelt bei mir aus Und sagt den Mägden drin im Schloßgebäude,
Uns zu bereiten einen reichen Schmaus Und daß sie Sessel bringen hier zur Stelle, Auch Scheitholz und des Wassers frische Welle.« Er sprach's, die Söhne horchend seinem Worte Erfüllten ihm, was er zu tun gewillt: Die Schiffsmannschaft erschien vom Landungsorte, Es kam das Rind, getrieben vom Gefild; Der Schmied LaLrtes eilt zur Schlossespforte Und das Gerät zu schönem Kunstgebild, Ambos und Hammer trägt er in den Händen, Die Zange dann, die Arbeit zu vollenden.
Vom Gold, das Nestor gab, legt ein Geschmeide, Ein köstliches um das Gehörn der Schmied, Daß sich die Göttin an dem Anblick weide, Die selbst zum Fest erschien mit leisem Tritt. Es führen Stratios und Echephron beide Das Rind heraus am Hörne Schritt für Schritt; Die Gerste und in blumenbunter Schale Das Wasser trug Aret zum heil'gen Mahle. Als Thrasymedes jetzt sich rechtsum schwenkte Und vor dem Tier mit blankem Beile stand, Hebt an die Handlung. Seinen Arm besprengte Der Greis und, Gerste streuend mit der Hand, Schnitt er des Rindes Stirnhaar und versengte Die Locken in der Scheiter lichtem Brand, Indem er sein inbrünstig Fleh'n erneuet; Als alles nun gebetet und gestreuet.
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Schwang Thrasymedes hoch das Beil am Schafte; Die Schneide fiel herab aufs Wirbelbein, Daß weit der sehn'ge Rückenmuskel klaffte. Das Opfer sinkt entkräftet. Lautes Schrein' Ertönt, die Königin, die tugendhafte Eurydike, stimmt in den Wehruf ein; Auch ihre Töchter, Schwiegertöchter jammern, Und was an Frauen herbeikam aus den Kammern.
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Jetzt heben sie den Kopf des Tieres wieder, Und Thrasymedes sticht den Hals ihm auf, Das schwarze Blut strömt in die Schüssel nieder, Die Perseus hält, zu hemmen seinen Lauf; Der Geist verläßt die todesmüden Glieder. Das warme Fleisch zerlegen sie darauf; Die Lenden wickeln sie, zerstückt in Schnitte In Fetthaut doppelt ein, wie's heischt die Sitte. Der Greis ergreift die fleischbeladnen Lenden Und legt sie auf die Scheiter, deren Brand Ein Jüng'rer schürt, den Fünfzack in den Händen. Als er die Lenden alle so verbrannt, Gießt er dazu des Purpurweines Spenden. Die andern teilten nun den Rest gewandt; Sie aßen von dem Innern und besteckten Mit Fleisch den Spieß, den sie ans Feuer reckten. Inzwischen hat die schlanke Polykaste — Als jüngste Tochter einst zur Welt gebracht —Ein Bad bereitet ihres Vaters Gaste Und ihn gesalbt mit sorglichem Bedacht, Damit er von den Müh'n der Reise raste. In Kleid und Mantel von erlesner Pracht Verhüllt sie ihn; er schreitet aus der Pforte, Gleich einem Gotte, zu dem Völkerhorte.
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Sie zogen jetzt vom Spieß die saft'gen Schnitte,
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Und alle setzten sich zum Opfermahl; Aufwärter nahten mit behendem Tritte Und reichten Wein in goldenem Pokal; Held Nestor sprach in seiner Gäste Mitte, Als sie gestillt die Durst- und Hungerqual: »Frisch auf ihr Söhne! Schirrt an mein Gefährte Für Telemach die mähnig schönen Pferde!
Er spracht, sie folgten willig dem Geheiße Und schirrten an das hurtige Gespann; Die Schaffnerin zur Zehrung auf die Reise Bringt Brot und Wein und allerlei heran, Was gottgenährten Fürsten dient als Speise. Peisistratos, der scharenkund'ge Mann, Läßt auf den Wagen, auf den kunstvoll reichen Erst Telemach, den wackern Jüngling steigen,
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Er folgte nach, die Zügel in den Händen, Indem er mit der Geißel, die er schwang, Zum Lauf antrieb die Rosse, die behenden; Sie rannten lustig das Gefild entlang Von Pylos weg und ihren stolzen Wänden Und schüttelten ihr Joch in scharfem Gang Den Tag hindurch; doch als man Pherä nahte, Da sank die Sonn', es dunkelten die Pfade. Sie lenkten zu Diokles hier die Schritte Ortilochs Sohn und fuhren bei ihm vor; Er nahm die Fremden auf nach Freundes Sitte Und öffnete des Hauses wirtlich Tor. Als Eos nun erschien mit frühem Tritte Und ihre Hand am Himmel streckt' empor, Da schirrten sie von neuem an die Pferde Und stiegen auf ihr prächtiges Gefährte;
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Odyssee.
Dritter Gesang.
Sie trieben unter dem Gedröhn der Wände Zum Tor hinaus das mutige Gespann,
Das angefeuert freudig und behende Den Wettlauf durch die Weizenflur begann; Und unter raschen Hufen ging zu Ende
Der Weg; sie langten an dem Zielpunkt an, Als abendlich die Dämmerstunde nahte,
Die Sonne sank und dunkelten die Pfade.
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Vierter Gesang. Teleinach bei Menelaos.
Sie halten Lakoniens, In der bei Der König
still im schluchtenreichen Tale wo die Königsfeste ragt, seiner Kinder Hochzeitsmahle heut mit vielen Freunden tagt;
Der lieben Tochter gibt er zum Gemahle Achilleus Sohn; er hatt' es zugesagt Dem Männerbrecher einst in Trojas Gauen, Und freute sich es nun erfüllt zu schauen.
Sie auszustatten, gibt er ihr viele Rosse Und schöne Wagen mit in reicher Zahl Und schickt dem Manne sie mitsamt dem Trosse, Der in der Myrmidonenstadt befahl. Dem jüngsten Sohn auch gilt das Fest im Schlosse. Dem Megapenthes, dem zum Ehgemahl Der Vater eine Sparterin erkoren. Von einer Sklavin war der Sohn geboren, Da Helena'n, die ihrem Ehgemahle Die liebliche Hermione gebar — Der Aphrodite Bild in güldnem Strahle —, Kein zweites Kind von Zeus beschieden war. So schmauste nun im hochgewölbten Saale Der Nachbarn und der Freunde frohe Schar; Es läßt ein Sänger seiner Zither Klänge Erschallen durch das festliche Gepränge;
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Odyssee.
Vierter Gesang.
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Und den Gesang anstimmt mit droll'gen Possen Und Gaukelspiel ein flinkes Tänzerpaar, Das ringsum schwärmet durch die Festgenossen. Als Telemach nun vorgefahren war,
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Nahm ihn und Nestors Sohn mitsamt den Rossen Des Königs Marschall Eteoneus wahr, Und botschaftbringend bog er seine Schritte Zum Menelaos in des Saales Mitte.
Und ftügelschnell sprach er zum Völkerhorte: »Gebieter du, mit göttlicher Gewalt! Zwei Fremde halten an des Schlosses Pforte, Den Söhnen Zeus' vergleichbar an Gestalt; Gib mir Entscheid mit deinem Herrscherworte: Soll ich ihr hurtiges Gespann alsbald Ausschirren oder den Besuchern sagen, Sich anderwärts Bewirtung zu erfragen?« Ergrimmend sprach der Held in blonden Haaren: »Nie gabst du mir so unverständ'gen Rat, Denn albern sprichst du! Hast du in den Jahren Der Wanderfahrt mit mir in Rat und Tat Nicht oft der Menschen Gastlichkeit erfahren, Bis Zeus aufhörte mit der Leidenssaat? Schnell, öffne dem Besuch des Gastmahls Türen Und laß' zum Stall die led'gen Rosse führen!«
Er sprach's; der Marschall winket den Genossen; Sie stürmen fort; als sie die Fremden sah'n, Entschirrten sie zuerst den warmen Rossen Den Hals und banden sie an Krippen an, In die sie reichlich Weizenkörner gossen; Auch weiße Gerste ward dazu getan; Den Wagen schoben sie zum Toressaume Und leiteten die zwei zum Wohnungsraume. Schelling, Odyssee.
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Wie nun das Paar des Königs Tor durchschreitet,
Erblickt es staunend des Palastes Pracht, Der gleich dem Mondlicht, das vom Himmel gleite:, In sanftem Schimmer sonnenähnlich lacht, Ein labend Bad wird jeglichem bereitet Und er gesalbt mit sorglichem Bedacht, In Wolle dann gehüllt die schönen Glieder, So setzen sie sich zum Atriden nieder.
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Die Dienerin jetzt zeigte sich im Saale Mit Wasser in dem goldnen Henkelkrug, Das sie abgießend in die Silberschale Herum zum Handbesprengen gab; dann schlug Sie auf daselbst den saubern Tisch zum Mahle. Die zücht'ge Schaffnerin auch kam und trug Das Brot herbei und manch Gericht zur Speise, Davon ausreichend in gefälliger Weise.
Zerstücktes Fleisch auf hochgehobner Schale Bringt der Zerleger vieler Art herein Und stellet vor die Gäste Goldpokale. Jetzt naht mit Gruß der blonde Held den zwei'n: »So labet euch zugreifend an dem Mahle, Und dien' es euch zu fröhlichem Gedeih'n; Doch habt ihr euch gesättigt nach Behagen, Nach eurer Abkunft werd' ich euch befragen. Ihr seid nicht aus versunkenem Geschlechte, Ihr stammt aus gottgenährter Fürstensaat, Denn nicht solch edlen Schlag erzielen Schlechte!« Er sprach's, und als die Bratenschüssel naht, Die ihm gebührt nach Königs Ehr' und Rechte, Nimmt er das Stück, des Rindes feisten Grat, Und reicht's den Gästen, die mit schnellen Händen Zur Zehrung sich des leckren Mahles wenden.
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Vierter Gesang.
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Als sie vom Mahl genossen nach Verlangen, Sprach Telemach das Wort zu Nestors Sohn, Sein Antlitz beugend dicht an dessen Wangen, Um zu begrenzen seiner Stimme Ton: »Geliebter meiner Seele, sieh das Prangen Des Erzes um des Königs hehren Thron, Und wie das Gold, das Silber an den Wänden, Bernstein und Elfenbein das Auge blenden;
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So leuchten wohl des Himmels hohe Zinnen, Wo der olympische Gott das Zepter hält; Erstaunen fesselt Augen, Herz und Sinnen, Unsagbar Großes ist hier aufgestellt.« Jetzt rüstet sich, antwortend zu beginnen Der König, dem ins Ohr die Rede fällt, Und spricht: »o hütet euch nicht zu vergessen, Daß sich mit Zeus kein Sterblicher kann messen, Da dessen Burgen unvergänglich ragen. Ob eifernd sich mit mir an Geld und Gut Ein andrer messen kann in unsern Tagen, Was kümmert's mich; ich bracht's in meine Hut Im achten Jahr zu Schiff mit vielen Plagen; Denn, fortgetrieben von der Meeresflut Nach Kypros, Phönike, dem Nilesstrande, War ich zu Völkern an der Erde Rande,
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Erembern und Sidoniern verschlagen, Nach Äthiopien und nach Libyens Gau'n,
Wo Mutterschafe dreimal jährlich tragen, Am Lamme schon die Hörner sind zu schau'n; Kein Hirt, kein Wirt hat Liber Not zu klagen, Er kann auf die gefüllten Euter bau'n, Nie fehlt das Fleisch, nie Milch und Käs zur Speise. So sammelt' ich viel Schätz' auf weiter Reise. b*
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Doch während ich mich wand auf irren Pfaden, Ward in der Heimat hingemeuchelt roh Mein Bruder, von dem eignen Weib verraten! Nun bin ich nimmer des Besitzes froh! Schon habt ihr wohl von diesen Missetaten Durch eure Väter oder anderswo Bescheid erlangt; so ward mein Haus verheeret, So sehr's an Wonn' und Gütern sich vermehret. Ein Dritteil würde mir zum Frohsein reichen, Könnt' ich die Männer wohlbehalten schau'n, Die fern der Argosflur, der rossereichen, Hinsanken in der Troja weiten Gau'n, Und wenn zu Tränen alle mich erweichen — Denn im Gemach hab' ich gesessen, traun, Gar oft und weinend mich erquickt am Kummer,
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Bis bald erinüdet ich versank in Schlummer — Doch Einer ist's, den wir am herbsten missen, Odysseus, der vor allen stritt und litt; Von seines Schicksals Ende nichts zu wissen, Ob er noch lebt, ob er zum Hades schritt, Verdirbt den Schlaf mir und im Mund den Bissen. Wie heiß mag ihn der Greis Laertes mit Penelope, der züchtigen, beweinen Und Telemach, den er verließ als Kleinen!«
Er sprach das Wort, das in dem Jüngling Sehnen Und Herzensgram imt seinen Vater weckt, So daß er zum Versteck der raschen Tränen Die Augen mit dem Purpurmantel deckt. Der König merkt's: soll er es nun erwähnen, Ausforschen, was ihm Telemach versteckt? Soll er ihm Zeit gewähren, sich zu fassen? Er schwankt, was hier zu tun sei, was zu lassen.
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Vierter Gesang.
Aus ihrem duftigen Gemache schreitet, Indes der Held im Herzen dies erwägt, Gleich Artemis, die durch die Fluren gleitet, Die Königin, den schmucken Sessel trägt Adreste her und zu den Füßen breitet Ein weicher Vlies sich, den Alkippe legt; Von Phylo läßt sie sich das Körbchen reichen, Das herstammt aus den Schützen ohnegleichen,
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Mit denen die Paläste sind beladen Der Thebästadt in dem Ägypterland. An Polybs Frau dort hatten sie zum Baden Zwei Silberwannen als Geschenk gesandt, Zu denen sie dreifüß'ge Kessel taten Und zehn Talente Golds. Als Gegenpfand Hat diese eine Spindel dann zum Weben Von lauterm Gold an Helena gegeben,
Dazu noch einen Korb im Silberstrahle Eiförmig ausgebauscht mit goldnem Rand. Als nun die Königin erschien im Saale, Reicht ihr die Phylo diesen in die Hand, Ein Knäuel lag und Wollgarn in der Schale, Das veilchenblau sich um die Spindel wand. Auf einen Schemel stiitzend ihre Sohlen, Sprach Helena zu dem Gemahl verstohlen:
»Kannst du mir, gottgenährter Held, erzählen, Woher das Jünglingspaar sich rühmt 311 sein, Das wir bewirten heut in unsern Sälen. Jst's Wahrheit? ist es trügerischer Schein? Ich kann mein Staunen nicht im Herzen hehlen, Nie drang ein Bild so treffend auf mich ein: Der eine Jüngling ist, so möcht' ich meinen, Odysseus' Sohn, den der verließ als Kleinen,
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Vierter Gesang.
Als ihn vom Haus mein greuliches Verbrechen Nach Ilion trieb mit der Achäer Schar,
Um es in blutigem Waffenkampf zu rächen.« So Helena. Der Held im blonden Haar Hob an, erwidernd jetzt das Wort zu sprechen: »Was du mutmaßest, acht' auch ich für wahr, Da so sein Blick, sein Haupt mit lock'gen Haaren, So seine Füße, seine Hände waren.
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Als ich Odysseus im Gespräch erwähnte, Und wie er fiir mich rang in hartem Streit, Da merkt' ich, daß des Jünglings Wimper tränte Und er den Saum von seinem Purpurkleid Sich vor die Augen hob, indem er wähnte, Vor mir zu bergen des Gemütes Leid.« Peisistratos, sich zu dem Völkerhorte Hinwendend, sprach einfallend jetzt die Worte:
»Atride, gottgenährter Volksgebieter! Er ist der Sohn Odysseus', wie ihr sprecht! Doch seines Herzens Sinn ist still und bieder, Und auf dich loszuschwätzen ungefragt, Das wäre seiner Eigenart zuwider; Denn was uns kündend deine Stimme sagt, Erklingt uns wie ein göttliches Geheiße. Mich sandte Nestor ab auf diese Reise, Damit ich Telemach zu dir geleite; Denn sein Verlangen, dich zu seh'n, war groß, Daß du mit Rat und Tat ihm gingst zur Seite; Bedrängnisreich ist eines Knaben Los, Wenn ihm der Vater wegzog in die Weite Und ihn zurückließ schütz- und schirmeslos, Denn keiner aus denl Volt rührt nur die Hände, Daß er vom Jüngling das Verhängnis wende."
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Der blonde Held versetzt: »So ist gekommen, O Götter, in mein Haus des Mannes Sohn, Der mir zu lieb viel Drangsal übernommen! Wie ich einst, zu seiner Leiden Lohn Ihn zu empfah'n mit ehrendem Willkommen, Wenn der Gewittergott vom Wolkenthron Uns durch die salz'ge Flut auf schnellem Kiele
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Gefördert hätte nach dem heimischen Ziele.
Ich hätt' ihm eine Stätte dann bereitet Im Argosland für seine Heldenkraft Und Hab' und Sohn aus Ithaka geleitet, Nebst seinem Volk, in meine Nachbarschaft; Denn eine Stadt, auf die mein Reich sich breitet, Hätt' ich geräumt und ihm als Sitz geschafft: So hätte Freund zum Freunde sich gefunden Und Eintracht herzerfreuend uns verbunden, Bis um uns woben Wolkennacht die Keren. Nun hat ein Gott, von Eifersucht betört, Ach! ihm allein versagt der Heimkunft Ehren.« Er sprach's, und allen, die das Wort gehört, Erweckt es Schmerz und sehnliches Begehren; Nicht Telemach bloß weint; es wird gestört Das Antlitz Helenas vom Fall der Zähren; Der König selbst kann nicht den Tränen wehren. Auch Nestors Sprosse fühlt sein Aug' erweichen, Denn es gemahnt' ihn, und er dachte nach Wie jäh sein Bruder einst den wucht'gen Streichen Des Memnon auf dem Schlachtgefild erlag, Der Eos' Schooß entsprang, der strahlenreichen. Gedenkend dessen, hob er an und sprach: »Von Nestors greisem Haupt hab' ich erfahren,
Als wir in seiner Burg beisammen waren,
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Und dein erwähnten in den Zwiegesprächen, Du seist, o Atreus' Sohn, an klugem Sinn Den Erdgebornen allen überlegen; So nimm denn meinen Ratschlag willig hin: Sich nach der Abendmahlzeit aufzuregen Durch lautes Jammern, scheint mir kein Gewinn, Auch Morgen tagt's! ich tabV es ja mit Nichten, Daß wir den Toten unsre Schuld entrichten:
Denn dies ist doch zuletzt allein die Ehre Fürs Menschenkind, daß unser Aug' ihm taut Und man vom Haupte sich die Locken schere. Entrissen ward auch mir — dir wohl vertraut — Ein teurer Bruder beim Argeierheere, Antilochos; ich hab' ihn nie geschaut; Doch rühmt man ihn, daß er vereinte beides: Im Rennlauf stark und int Gewog des Streites.« Die Antwort gab der Held mit blonden Haaren: »Du sprachst, o Sohn, mit sinnigem Verstand, Wie's kaum vermocht' ein Reiferer an Jahren. Du zeigst als echter Sprosse dich verwandt Dem Manne, der, in Wort und Tat erfahren, Des Glückes Vollmaß bei Kronion fand, Der seinen Pfad zu fröhlichem Gedeihen Bei der Geburt gesegnet und beim Freien. Auch jetzt hat er dem Nestor es beschieden, Sein Greisenalter in Behaglichkeit Dahinzubringen in des Hauses Frieden, Mit seinen Söhnen, die in Lanzenstreit Und Klugheit all die andern überbieten! So taucht den Kummer in Vergessenheit! Besprengt die Hand zu neuem Schmaus, und morgen Berichte Telemach uns seine Sorgen!«
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Er sprach es, dienstbemüht erschien im Saale Der Kämm'rer in des großen Königs Haus, Die Hände netzend aus der Wasserschale, Und alles labt sich am bereiten Schmaus; Doch Helena tritt sacht an die Pokale; Ein andres Mittel dachte sie sich aus: Sie mischt, die Tochter Zeus', dem Wein der Zecher Ein Trünkchen bei, bewährt als Sorgenbrecher.
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Denn wer von diesem Trank zu sich genommen, Kennt weder Gram noch Groll den ganzen Tag; Und wär' ihm Vater, Mutter umgekommen, Nicht eine Träne weint' er ihnen nach: Sogar dem Mörder würd' er unbeklommen Zuschau'n, der neben ihm mit Schwertesschlag Todbringend wütet', auch wenn der die Schläfe Des Bruders, ja des Lieblingssohnes träfe. Die Polydamna hat das Kraut gesendet Der Helena, das solche Wunder schafft, Vom Nilland her; denn dessen Boden spendet In üpp'ger Fülle manchen Pftanzensaft, Zu gutem Werk, zu bösem bald verwendet; Denn jeder ist dort Arzt, in Wissenschaft Erfahrner als die andern Erdgenossen; Dies Volk ist sicher Päons Stamm entsprossen.
Als Helena das Trünkchen eingegossen Und einzuschenken nun des Weins befahl, Kam neu das Wort von ihrem Mund geflossen: »Hör' mich, du Herrscher durch der Götter Wahl, Und ihr, die jugendlichen Heldensprossen! Zeus teilt der Leiden, teilt der Freuden Zahl Uns zn in ewig wechselnden Gestalten; Denn schrankenlos ist sein erhabnes Walten.
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Vierter Gesang.
So freut des Mahles euch in unsern Sälen Und lindert durch Gespräch die Traurigkeit: Ich will, was eurem Frohsinn dient, erzählen. Vom Held Odysseus, seinem Leid und Streit, Will ich nur eines jetzt zur Schilderung wählen: Den kühnen Strauß, den er zu jener Zeit, Da ihr, Achäer, in trojanschen Landen In Trübsal läget, tapfern Muts bestanden.
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Er hatte Striemen sich mit eignen Händen, Unwürdige, gegeißelt auf die Haut, Mit schlechten Hadern sich bedeckt die Lenden: Entstellt zum Knecht, so hat er sich getraut, Den Schritt zur Stadt des grimmen Feinds zu wenden. Nicht war's der Mann, den man zuvor geschaut, Mit Tritt und Blick, die einem Bettler glichen, Kam er zu Trojas weitem Bau geschlichen.
Den Troern allen blieb er so verborgen; Von mir doch wurde, wer er war, erkannt; Ich mühte mich umsonst ihn auszuhorchen, Denn jeder Frag' entzog er sich gewandt. Ein labend Bad ließ ich ihm nun besorgen, Und salbt' ihn selbst und pflegt' ihn und umwand Die wunden Schultern mit geschmeid'gem Kleide. Als dies gescheh'n und ich mit heil'gem Eide
Ihm schwor, den Troern nichts zu offenbaren, Bis er der Stadt entronnen unversehrt, Gerettet sei zu den Achäerscharen, Da hat er mich den ganzen Plan gelehrt, Mit dem die Griechen umgegangen waren. Dann brach er sich, mit spitzem Schwert bewehrt, Die Bahn, totbringend vielen Troer-Mannen, Und nahm mit sich viel Wissenschaft von dannen.
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Odyjse e.
Vierter Gesang.
Laut jammerten die andern Troerfrauen; Doch Freude wogt' in mir, weil längst es mich Zurückzog nach der Heimat fernen Gauen, Dem Tage fluchend, da mich einst beschlich Mit Blendwerk Aphrodite, von den Auen Der Väter mich vertrieb, daß ich im Stich Die Tochter ließ, dem Mann den Rücken kehrte, Dem nichts zu äußerm fehlt noch innerm Werte.« Die Antwort gab der Held mit blonden Haaren: »Du sprachst, o Weib, mit sinnigem Verstand: Mit vielen, die berühmte Helden waren, Hab' ich verkehrt und ihren Sinn erkannt Und wandernd manches fremde Land befahren; Doch unserem Odysseus ähnlich fand Ich keinen je an weisheitsvollem Mute, Wie er auch dies bestand mit kaltem Blute,
Als wir, die Herrscher von Achajas Gauen, Beisammen hockten in dem Riesenroß, Das wir gezimmert hatten, Tod und Grauen Zu tragen nach des Priams Stadt und Schloß, Da kamst auch du, das Bildwerk anzuschauen, Und das Geleit gab dir Tei'phobos; Ein Gott gewiß hat dich den Weg geheißen, Um den Trojanern Ehre zu erweisen. Du selbst befühltest dreimal in der Runde Die Flanken des verräterischen Bau's, Uns Helden all in des Verließes Grunde Riefst du und jedes Namen sprachst du aus, Als käm' der Ton aus seiner Gattin Munde, So täuschend drang der Ruf ins ficht'ne Haus, Daß Diomed und ich, emporgefahren, Schon Willens waren, uns zu offenbaren;
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Vierter Gesang.
Wir schwankten, ob wir sprängen aus der Enge, Ob wir den Gruß erwiderten von dort; Odysseus aber wehrt' es uns mit Strenge Und hielt uns Toren fest im dunkeln Ort. Still saßen wir Achäer im Gemenge, Und alle schwiegen; als zum Gegenwort Antitlos dennoch regte seine Zunge, Fiel ihn Odysseus an in einem Sprunge, Und mit den Händen, die sich nervicht spannen, Preßt' er zusammen des Antiklos Mund, Daß Rettung wir Achäer all gewannen, Und ließ ihn los nicht eher als znr Stund', Da Pallas endlich dich geführt von dannen.« Erwidernd gab der kluge Jüngling kund: »Atride, gottgesandt das Bolk zu hüten! Nur um so schlimmer des Geschickes Wüten:
Denn wär' ihm auch das Herz umwehrt mit Eisen, Bestimmt war's doch, daß es im Tode brach, Und dem Berhängnis konnt' ihn nichts entreißen! Doch laßt uns jetzt aufbrechen und gemach Das Lager suchen, daß im Schlaf, dem leisen, Wir uns erquicken für den nächsten Tag!« Er sprach cs kaum, da rief den Dienerinnen Die Königin, rasch in der Halle drinnen
Ein Mit Der Und Die Sie Ein Den
Bett von Purpurpfühlen zu bereiten Teppichen, zur Decke dann darauf Mäntel dichte Wolle hinzubreiten, aus dem Saal sah man in flinkem Lauf Mägde mit der lichten Fackel schreiten, schlugen schnell das prücht'ge Lager auf, Herold führt dahin die Fahrtgenossen, Telemach und Nestors edlen Sprossen.
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So ruhten sie vor dem Palaste beide; Der König aber war im innern Raum
Gebettet an des schönsten Weibes Seite. Als Eos nun mit ihrem Rosensaum, Das frühe Kind, umwob des Himmels Breite, Erwacht der Schlachtenrufer aus dem Traum, Legt seine Kleider an, vom Lager springend, Und nimmt das Schwert, es um die Schulter schwingend.
Sandalen band er um die schönen Zehen Und schritt hervor aus seinem Schlafgemach, 310 Ein Bild der Hoheit, herrlich anzusehen. Er setzte nieder sich zu Telemach Und sprach: »Nun magst du's, Jüngling, mir gestehen: Wem strebst du über weite Meere nach? Bist du in eig'ner Sache hergefahren? Kamst du, die Wohlfahrt deines Volks zu wahren?« Antwort gab Telemach mit sinn'gem Munde: »Atride! gottgesandter Bölkerhort! Ich suche mir von meinem Vater Kunde Zu schaffen; dieses trieb vom Haus mich fort. Denn Haus und fette Fluren geh'n zugrunde, Weil zügellos in meiner Wohnung dort Unholde, feindliche, verheerend Hausen, Des Vieh's gehörnte Heerden mir verschmausen.
Es sind der Mutter üpp'ge Freierscharen; Von ihnen wird mein Hab' und Gut vertan, Drum mögest du mir, Herrscher, offenbaren: Sein traurig Los, ob's deine Augen sah'n, Ob du's von irren Wanderern erfahren! Ich fleh' dich, deine Knie' umfassend an: Erzähl' 0 Menelaos! Ach der Arme Geboren ward er nur zu Leid und Harme!
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Odyssee. Vierter Gesang.
Daß deine Rede nicht aus Mitleid schone! Was du geschaut, bericht' es treulich mir, Beschwörend beug' ich mich vor deinem Throne! Wenn je durch Taten oder Worte dir Mein Vater sich verband zu Dank und Lohne, Als euch vereinte Not und Kampfbegier Im Troerland, des magst du heut gedenken Und mir der Wahrheit lautre Labe schenken!« Erwidernd nahm das rasche Wort dagegen Von Zorn entflammt der Held in blondem Haar: »So will sich in das Bett des Recken legen, O Götter, eine schlaffe Memmenschar! Denk' dir die Hirschkuh, die in den Gehegen Des Löwen barg ihr zartes Säuglingspaar. Das neugeborne, dann in Waldes Schluchten Nach Nahrung späht und in der Täler Buchten: Wenn dann der Leu zurück durchs Dickicht schreitet Und findet im Versteck die Zwillingsbrut, Das Schreckliche, was er ihr dann bereitet, Vollzieht Odysseus einst am Freierblut, Nehmt ihr, die ihr mit Zeus das Schicksal leitet, Athene! Phöbos! ihn in eure Hut. Denn wenn Odysseus in Gestalt und Miene Einst vor den kecken Freiern so erschiene,
Wie wir ihn auf den Lesbischen Geländen Im Ringkampf mit Philomeleid geschaut, — Den er zu Boden warf mit wucht'gen Händen, Daß die Achäer ihn umjauchzten laut — Rasch würde dann ihr Lebensschicksal enden, Und keiner ginge mehr nach Freit' und Braut! Doch was du forschest, will ohn' Arg und Dichten Getreulich ich nach Proteus' Spruch berichten.
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Odyssee.
Vierter Gesang.
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Am Strand Ägyptens bin ich lang gesessen, So sehr Verlangen ich nach Hause trug,
Weil ich der Opferpflichten war vergessen, Und festgebannt mich sah durch Götterfluch (Nie mög' ein Menschenkind sich so vermessen!). Es liegt dort auf des Meeres weitein Bug, Umschlungen rings von lautem Wogenspiele Ein kleines Eiland grade vor dem Nile.
Man nennt es Pharos, nur so weit gelegen Vom Strome, daß ein segelnd Schiff es leicht Erreicht im Tag, wenn günst'ge Winde fegen. Ein gutgeschützter Hafen dort gereicht Zum Halt den Schiffern, die zu landen pflegen, Bevor ihr Schiff durchs große Weltmeer streicht, Um sich zur Fahrt mit Waffer zu versehen. Hier sah ich nutzlos zwanzig Tag' vergehen.
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Denn landwärts wehten immerfort die Winde, Nie bliesen fördernd sie zum Weltmeer hin; Schon war Gefahr, daß Mut und Speise schwinde, Da kam vom Himmel eine Retterin: Von Eidothee, des grauen Proteus Kinde, Ward ich bemerkt, als ich in trübem Sinn Umherging, da der Hunger fortgetrieben Die Freunde, deren keiner mir geblieben. Sie stellten eßbegierig allerwegen Den Fischen mit gekrümmter Angel nach. Teilnehmend trat mir Eidothee entgegen; Und redete mich freundlich an und sprach: »»Bist du so unverständig oder trügen Entschlusses, Wandrer aus der Fremde, sag'! Findst du vielleicht am Elend ein Behagen, Daß du ablehnst, der Not dich zu entschlagen?
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Das Herz schon schwindet den Genossen allen; Kennst du den Ausweg nicht in deinem Wahn?«« Sie sprach's; ich ließ die Antwort drauf erschallen: »»Wer du auch seist, ich sag' es gern dir an: Nicht find' ich am Verweilen ein Gefallen; Ich habe, fürcht' ich, Unbill angetan Den Mächten, die den Himmelsraum bewohnen; Sie sind's, die strafend mein Vergehen lohnen. Da ihr doch, Götter, alles wißt, so rate Und sprich: wer hat von euch mich festgebannt? Wie find' ich durch das Fischgewühl die Pfade, Die mich heimführen zu dem Vaterland?«« Ich sprach es und die Göttin gab in Gnade Die Antwort: »»Wandrer du, von fernem Strand! Was du begehrst, will ich ohn' Arg und Dichten, Wie ich es kenne, dir getreu berichten.
So hör: ein Gott Ägyptens, graugestaltet, Hält im Geklüft der Buchten hier die Wacht; Als treuer Diener des Poseidon waltet Er aller Gründe bis zum tiefsten Schacht; Mein Vater Proteus ist es, der so schaltet, Und hätt'st du ihn in deine Macht gebracht, Er würde schnell durchs Fischgewühl die Pfade Dir öffnen nach dem heimischen Gestade. Er ist mit Zeus vertraut und würd' auch gerne Verkünden dir, was sich daheim zutrug — Ob's böse waren oder gute Sterne — Indes das Schicksal dich so weit verschlug Und du gefahrvoll weiltest in der Ferne.«« Sie sprach es; ich versetzte drauf und frug: »»Nun unterrichte mich! Wie soll's gelingen, Den greisen Meereskönig zu bezwingen?
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Vierter Gesang.
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Wie kann ich unbemerkt ihn überraschen, Daß er nicht schon vorahnend mir entweicht? Denn einen Gott zu fangen und zu haschen, Ist wahrlich einem Sterblichen nicht leicht.«« Ich sprach's und in den Worten, in den raschen, Gab mir die Göttin Antwort wohlgeneigt: »»Ich will, o Fremdling, gern ohn' Arg und Dichten, Was du begehrest, dir getreu berichten: Erklomm den Gipfelpunkt am Himmelsbogen Der Sonnengott in seinem Tageslauf, Taucht bei des Westes Hauch aus krausen Wogen Der Greis und sucht die Felsenwölbung auf,
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In der er schlummert, und mit ihm gezogen Kommt aus der Flut der Robben dichter Häuf, Die hingestreckt an des Gebieters Seiten Weithin des Meeres Salzgeruch verbreiten.
Dorthin, sobald der Tag beginnt zu lichten, Geleit' ich dich und leg' dich in die Reih' Der Männer, die den Schiffsdienst dir verrichten, Erwähle von den mutigsten dir drei! Des Greises Schreckenskunst laß dir berichten: Erst zählt er, ob die Schar vollzählig sei, Und legt, erkennt er seine Robben wieder, Sich, wie der Hirt zu seinen Schafen, nieder. Gewahrt ihr, daß er nieder sich gelassen, Erhebt euch! eure Pflicht ist nun: Gewalt; Es gilt den Sträubenden noch derber fassen, Wie vielfach er auch wechsle die Gestalt: In Wasserbäche, wilde Feuermassen, In alles, was auf Erden knecht und wallt, Wird er sich wandeln; aber ohne Beben Bezwingt durch Kraft sein tückisch Widerstreben!
Schelling Odyssee.
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Doch wenn er aus dem schreckenden Gewände Zurück sich schuf in seine Urgestalt Und euch anspricht, dann löset ihm die Bande! Und fragt ihn, wessen Gottes Zorngewalt Dich festhält, edler Kämpfer, an dem Strande, Und was du zu beginnen hast, um bald Durchs Fischgewühl hindurch die feuchten Pfade Zu finden nach dem heimischen Gestade.«« Kaum sprach fie’§, da entschwand sie in den Wogen, Die hoch aufwallten. Zu den Schiffen hin Ging ich und wechselnde Gedanken flogen, Indem ich wanderte, mir durch den Sinn. Wie ich beim Usersand, in den gezogen Die Schiffe standen, angekommen bin, Erschien die Nacht ambrosisch und wir ruhten Nach unserm Abendschmaus am Rand der Fluten.
Als Eos kam mit frühem Rosentritte, Ging ich das weite Meer entlang am Strand Und zu den Göttern sandt' ich manche Bitte. Drei Schiffsgefährten, mir durch Mut bekannt Und Kraft der Arme, folgten meinem Schritte. Indes war Eidothee vom Jnselrand Hinab zum tiefen Schlund der See geschwommen, Wo sie der Robbenfelle vier entnommen.
Sie trug zu ihres Vaters Schlummerstätte Die frischen Bälge, höhlte listig hier Vier Lagerstellen in des Sandes Glätte, Und als wir schnell ihr folgten, wurden wir Vom Balg bedeckt ein jeder in sein Bette Hineingelegt. Nicht zu ertragen schier War unser Lauerdienst, da tran'ge Gase Zuströmten aus dem Fell in Mund und Nase.
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Wem wär's auch wohlig unter Meereshunden? Doch Eidothee in ihrem klugen Sinn Hat einen Trost für unsre Qual gefunden: Sie strich Ambrosia uns um Mund und Kinn, Vor deren Duft der Trangeruch geschwunden. So brachten wir den Morgen duldend hin, Bis aus der Brandung kroch die Robbenrotte Sich reckend reihweis in dem Kies der Grotte. Des Mittags kam der Meergreis aus den Fluten, Und schritt durch seiner Robben feiste Reihn; Er rechnet, ohn' ein Arges zu vermuten, Uns in die Zahl der Ungeheuer ein Und legt, geborgen vor der Sonne Gluten, Sich lässig in das feuchte Bett hinein. Wir springen auf, indem wir ihn umringen Und unsre Hände schreiend um ihn schlingen.
Er übt die Künste seiner tiff gen Rache Und nimmt das Mähncnhaar des Löwen an, Er dräut als Panthertier und zischt als Drache, Dann zeigt er uns des Ebers grimmen Zahn; Urplötzlich macht er sich zum Wasserbache Und strebt als grüner Waldbaum himmelan. Wir halten ihn, nicht wankend im Entschlüsse, Bis ihm der Kampf gereicht zum Überdrusse.
Da hob er an: »»Von wem hast du empfangen Der Götter diesen Ratschlag, daß du mich Mit Hinterlist, den Fliehenden, gefangen? Was heischest du von mir? Sohn Atreus', sprich!« Und ich versetzte: »»Meergreis, mein Verlangen Ist wohl bekannt dir; du verstellest dich: Du weißt, wie mir die Heimkehr ist verschlossen Und schon der Mut entschwindet den Genossen.
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Vierter Gesang.
Ta ihr doch alles kennt, so sprich und rate: Wer von den Göttern bannt mich an den Strand? Wie find' ich durch das Fischgewühl die Pfade, Die mich heimführen nach dem Vaterland?«« Ich sprach's, der Greis versetzt: »»Der Götter Gnade Hätt'st du mit wohlgefäll'gem Opferbrand Gewinnen sollen, daß du schnell gezogen Zur Heimat wärest durch die Purpurwogen. So lange wird das Schicksal dir verwehren Die Einkehr in den herrlichen Palast, Nicht eher dir das Wiederseh'n gewähren Der Deinigen in heimatlicher Rast, Bis du zum Strome, den die Wolken nähren, Dem Nile dich zurückgewendet haft Und heil'ge Hekatomben wirst bereiten; Dann werden dich -die Götter heimgeleiten.«« Der Alte sprach's, mein Herz war wie zerschlagen: Noch einmal sollt' ich über See die Fahrt, Die schreckensreiche, nach dem Nilstrom wagen! Doch zwang ich mich: »»was du geoffenbart, O Greis««, begann erwidernd ich zu sagen, »»Vollführen werd' ich's in getreuer Art! Doch dies noch künd', ob lebend durch die Meere Nach Haus gelangten die Achäerheere
Von Troja, wo ich mich von ihnen kehrte, Mit Nestor steuernd nach dem Vaterland? Starb aus den Heldenscharen ein Gefährte, Sei's auf der Seefahrt, sei's im Friedensstand Bei seinen Freunden auf der Heimatserde? Gib mir die Wahrheit ohne Hehl bekannt!«« Ich sprach's; der Meeresfürst hob an zu sagen: »»Warum, Atride, stellst du solche Fragen?
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Nicht jedes sollst bu auszuforschen trachten Und nicht ergründen meine Wissenskraft: Bald würden Tränen deinen Blick umnachten Erlangtest du von allem Wissenschaft; Du kennst sie selbst, die starben in den Schlachten,
Und manchen hat die Heimkehr hingerafft, Doch viel' entkamen; von den Führern allen Der eh'rnen Scharen sind nur zwei gefallen; Ein Lebender sitzt auf dem Meer gefangen. —
Gescheitert war mit seiner Schiffe Zahl Ajas und sinkend unter See gegangen, Da rettet' ihn Poseidon noch einmal Und liest ihn zum gyrä'schen Fels gelangen; So wär' er noch entsloh'n der Todesqual Und Pallas' Grolle, hätt' er nicht verblendet Ein Trutzwort frevelhaft emporgesendet:
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Er rief, er brauche nicht die Göttersippe, Um zu entkommen aus dem Meeresschlund; Kaum ward dies Wort der eitlen Prahlerlippe Dem Gott, der ihn gerettet hatte, kund, Schlug er den Dreizack wuchtig auf die Klippe, Das; krachend sie zerbarst bis aus den Grund; Ins Meer entfiel der Felsblock abgebrochen, Auf dem Ajas die Läst'rung ausgesprochen; So ward er von dem Wogengischt verschlungen Und starb dahin, ersäuft von Salzesflut. Doch deinem Bruder war's zu Schiff gelungen Zu fliehen, unter Heres Schutz und Hut. Nun zum Gebirg Maleia vorgedrungen, Erfaßt' ihn wirbelnd des Orkanes Wut, Und weithin durch das Fischgewühl verschlagen, Ward stöhnend er zum fernen Land getragen,
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Vierter Gesang.
Das einst Thyestes ward als Sitz zuteile Und jetzt Agisth, dem Sohn, ist untertan. Hier wendete sich seine Fahrt zum Heile, Die Götter dreh'n zum Fahrwind den Orkan, Und leiten ihn nach Haus, er springt in Eile Vom Schiff ans Ufer, faßt' es küssend an, Und von dem holden Bild des Heims umfangen, Vergießt er heiße Tränen von den Wangen.
Ihn Im Mit Ein Und Der
sah ein Späher von der Bergesspitze Dienst Agisths, gedungen zu der Wacht zwei Talenten Golds, der auf dem Sitze Jahr schon für den Frevler zugebracht Umschau hielt, daß nicht in jäher Hitze König ihn befalle bei der Nacht.
Er meldet jetzt, verlassend seine Spähe, Dem Herrscher eilig Agamemnons Nähe. Verruchte List ersann Agisth verstohlen: Er legt der Stärksten zwanzig in sein Haus Als Hinterhalt. Nachdem er dort befohlen, Ihm festlich zuzurichten einen Schmaus, Zog er, den König prangend einzuholen, Mit Wagen, Rossen vor das Tor hinaus, Und Agamemnon, fern von argen Sorgen Entschloß sich gern der Ladung zu gehorchen.
Gefeiert von des Wirtes Gleißnerlippe, Wird er erdolcht, als er genoß das Mahl, Dem Stier gleich, den man totschlägt an der Krippe, Auch sein Gefolg gemordet allzumal; Doch sank mit ihnen auch die Meuchlersippe Als Leichen in den blutbedeckten Saal.«« Er sprach's; mir war als wenn das Herz mir breche, Still weinend saß ich auf dem Sand der Fläche;
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Odyssee. Vierter Gesang. Ich wünschte mich dem Leben zu entschlagen, Nicht mehr zu schau'n der Sonne lichte Bahn; Doch als ich, wälzend mich in Weh und Klagen, Mein Herz gesättigt, hub der Meergreis an, Der wahrheitspendende, das Wort zu sagen: »»Atride, hänge nicht dem bittern Wahn Beständig nach, da nichts die Tränen frommen, Such' schnell zurück zum Vaterlaud zu kommen! Den Frevler wirst du lebend noch erreichen Und zur Bestattung kommst du sicherlich, Fiel er zuvor von des Orestes Streichen.«« Er sprach's, und neuen Mutes fühlt' ich mich Und in das wunde Herz die Hoffnung schleichen; Ich sprach: »»nicht mehr nach Diesem frag ich dich, Sag' an den Dritten, den man hält gefangen, Und wär' er tot, nicht scheu' ich zu erbangen.«« Ich sprach's; er säumte nicht mich zu belehren: »»Im Jnselschlosse der Kalypso fand Ich des Laörtes Sohn in bittern Zähren, Weil ihm die Rückkehr in sein Vaterland, Nach Ithaka, die Nymphe sucht zu wehren. Sein Auge sucht umsonst den fernen Strand, Weil's ihm an Schiffen fehlt und an bereiten Gefährten, über's Meer ihn zu geleiten. Doch dir wird sich das Schicksal anders wenden: Hör' mich, du gottgenährter Völkerhort! Nicht auf der Argosftur wirst du vollenden Dein Los, gemach in Müdigkeit verdorrt; Du ziehst geleitet einst von Götterhänden Zum Erdenende nach Elysium fort, Wo blonden Hauptes Nhadamanth befehligt Und mühelos das Leben uns beseligt.
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Odyssee.
Vierter Gesang.
Dort sprüht nicht Schnee, nicht Hagel dir entgegen. Kein Regen prasselt, kein Gewitter kracht, Nicht Stürme gibt es, die das Feld durchfegen, Weil stets der West, vom Ozean entfacht, Mit leisen Schwingen, die sich kühlend regen, Dir schmeichlerisch um Stirn und Wange lacht, So bleibst du dem gemeinen Los entwunden, Weil du mit Zeus als Eidam bist verbunden.«« Kaum sprach er's, da entschwand er in den Wogen, Die hochaufwallten. Zu den Schiffen hin Bin ich mit meinen Tapfern jetzt gezogen Und schweigend ging ich, da durch meinen Sinn Beim Wandern wechselnde Gedanken flogen. Wie ich zum Ankerplatz gekommen bin, Erschien die Nacht ambrosisch und wir ruhten Nach unserm Abendschmaus am Rand der Fluten.
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Als Eos nun erschien mit frühem Tritte Und himmelwärts erhob die Rosenhand, Da lenkten zu den Schiffen wir die Schritte Und zogen sie alterst vom Ufersand Ins heil'ge Meer; der Mast ward in die Mitte Nun eingelassen, daß er aufwärts stand; Dann spannten wir die bausch'gen Segel wieder Und setzten reihweis uns zum Rudern nieder.
Die Meereswogen stießen wir, die grauen, Mit starkem Schlag, bis abermals der Strand Des gottgenährten Niles war zu schauen; Hier schifften wir uns aus, ich ließ am Land Zu Hekatomben die Altäre bauen, Und als ich so versöhnt durch Opferbrand Die Himmlischen, hab' ich ein Mal errichtet Dem Bruder, das von seinem Ruhm berichtet.
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Vierter Gesang.
Die Schiffe wurden rückwärts nun gewendet, Ich kehrte rasch zum heimischen Palast, Da mir die Götter guten Wind gesendet. — Du aber halt' in meinem Saale Rast, Bis sich der elfte, zwölfte Tag vollendet, Daß ich alsdann, wie sich's mit einem Gast Geziemt, dich wohlversorgt mit reicher Spende, Drei Rossen und Gefährt, nach Hause sende,
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Auch noch mit einem herrlichen Pokale; Du mögst daraus den Göttern Opfer weih'n Und mein gedenken froh bei jedem Mahle.« Der kluge Jüngling fiel erwidernd ein: »O rede mir nicht zu in deinem Saale, Atride, lange Zeit dein Gast zu sein! Gern süß' ich Jahre lang auf deinen Pfühlen, Zur Mutter selbst würd' ich kein Heimweh fühlen; Denn dir zu lauschen, ist mir schönste Labe; Doch in der heil'gen Pylos harren mein In Unlust Freunde; willst du eine Gabe Mir widmen, mag es dann ein Kleinod sein; Die Rosse lass' ich dir zur stolzen Habe, Da du beherrschest weite Länderei'n, Wo Steinklee, Gras und Weizen sich vermehren, Auch Spelt und Gerste mit den breiten Ähren;
Kein Blachfeld gibt's, wo Rosse gern verkehrten, Auf Ithaka, noch saf'tge Wiesenau'n, Nur Bergland streckt sich dort mit Ziegenherden, Doch lieblicher als Flachland anznschau'n. Zur Trift und Rennbahn ist bequem den Pferden Der Inseln keine, die ins Meer sich bau'n, Doch Ithaka am wenigsten von allen Geschaffen, mut'gen Rossen zu gefallen.«
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Odyssee.
Vierter Gesang
Der Jüngling sprach's. Mit sinnigem Gemüte Reicht ihm der Schlachtenrufer seine Hand Und spricht ihn lächelnd an im Ton der Güte: »Wer so, wie du, die rechten Worte fand, Der stammt, mein Sohn, aus wackerem Geblüte; Ich andre das bestimmte Liebespfand; Ich kann's ja: von des Schlosses Kostbarkeiten Tie köstlichste soll dich nach Haus begleiten: Ein Mischkrng ist's von blendend reiner Weiße Aus Silber, eingefaßt mit Gold am Rand, Den mir Sidoniens König auf der Reise Einst gab, als ich bei ihm Bewirtung fand, Ein edles Werk, in bildnerischer Weise Geformt durch des Hephästos eigne Hand. Der sei aus meines Hauses Schatz gespendet Und dir als Angebinde zugewendet.
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Odyssee.
Achter Gesang.
Ihm hat die Muse, die ihm Liebe spendet, Gemischt ein trübes und ein frohes Los: Den Stern der Augen hat sie ihm geblendet Und macht' ihn durch der Stimme Wohllaut groß. Pontonoos hat sich ihm zugewendet Und bringt ihn mitten in des Gastmahls Schoß, Rückt an die Säule, an die hochgebaute, Den schmucken Thron ihm, hängt sodann die Laute Beim Sänger auf an seines Kopfes Ende Und zeiget ihm, wie sie nach seiner Wahl Vom Pflock zu heben sei durch seine Hände; Den Brotkorb nebst dem Tisch zu seinem Mahl Auch stellt er hin und im Pokal die Spende Des Weins, zu trinken was sein Herz befahl, Es hoben nun die Gäste rings im Hause Die Hände gierig zu dem leckern Schmause;
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Als sie sich satt gelabt an Trank und Speise Und ihn der Hauch der Muse nun durchklang, Stimmt an der Sänger jenes Lied zum Preise Der Männer, das damals zum Himmel drang, Und er erwählt aus diesem Sangeskreise Des Wortgefechtes heißen Waffengang, In dem Odysseus und Achill sich maßen, Als sie am blühnden Mahl der Götter saßen.
Wie Agamemnon aufeinander fahren Die Edelsten sah im Achäerrat, Da freute sich der Herr der Männerscharen, Weil, als er Pythos Tempel einst betrat, Vom Gott ihm prophezeiht die Zwiste waren. Und hier begann das Unheil in der Tat Auf Troer und auf Danaer 311 rollen Nach des Olympiers hohem Rat und Wollen.
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Odyssee. Achter Gesang.
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Als dies im Lied vortrug der Sangesrecke, Verhüllt Odysseus schamhaft sein Gesicht Mit seines Mantels großer Purpurdecke, Damit das Naß, das durch die Wimpern bricht, Verborgen bleibe hinter dem Verstecke. Wie jener nun einhält mit dem Gedicht, Enthüllt der Held sich, wischt sich ab die Zähre Und gießt des Weines zu der Götter Ehre. Als jener neu anhebt die Heldenlieder Auf der Phäaken Beifall und Begehr,
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Verbirgt sein Angesicht Odysseus wieder, Weil neue Trauer weckt die trübe Mär: Die Träne rollt von seinem Antlitz nieder, Doch unbemerkt den Gästen rings umher; Der König nur hört seines Nachbars Stöhnen Und spricht das Wort zu den Phttakensöhnen:
»Hört mich, die ihr das Volk fürsorgend leitet! Gemeinsam haben Herz und Sinne wir Gelabt am Mahl, vom Saitenspiel begleitet: Nun brechet auf! es sei dem Fremdling hier 100 Das Schauspiel eines Probekampfs bereitet, Daß er den Seinen einst zu unsrer ZierBericht', wie unbesiegbar wir im Ringen, Im Faustkampf sind, im Wettlauf und im Springen!« Er ging, und alle folgten seinem Tritte; Des Sängers Laute hing am holznen Stiel Der Herold auf und führt' ihn durch die Mitte Der edelsten Phäaken nach dem Ziel: Zum Marktplatz lenkten sie die muntern Schritte, Um anzustaunen dort das Kampfesspiel, Und hinter ihnen kamen hergezogen Des Volksgetümmels hochgeschwollne Wogen.
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Odyssee. Achter Gesang.
Viel Kämpfer traten vor von edlem Namen,
Elatreus, Okyal, Akroneos; Eretmeus, Nauteus, Agchial, Prymneus kamen, Mit Pontens, Proreus, Anabesineos, Thoon, Amphial, entstammt aus Tektons Samen, Und gleich dem Gott des Kriegs, Euryalos, Naubolides, als schönster Mann gepriesen: Laodamas verdunkelte noch diesen,
Des Königs Sohn, der mit der Brüder zweien. Mit Halios und Klytoneos, dem edlen Held, Zum Wettlauf vortrat aus der Kämpfer Reihen. Ein Markstein war zum Ablauf hingestellt, Und in gestrecktem Lauf ward von den dreien Mit Staub erfüllt das schnelldurchmessne Feld. Wie groß ein Mann bemißt das Stück der Brache, Woraus er pflügend sich ein Saatfeld mache,
Mit solchem Vorsprung kam gestürmt zum Ziele Klytoneos siegreich vor den andern zweien. Die übrigen begannen nun die Spiele Und ließen sich auf harten Ringkampf ein, Und Euryal blieb Sieger über viele; Im Sprung gewann den Preis des Amphial Bein; Elatreus war der beste Scheibenschwinger, Laodamas im Faustkampf Allbezwinger. Als ausgefochten waren diese Gänge Und jeder sich erfreut an Kampf und Strauß, Sprach jetzt das Wort Laodamas zur Menge: »Geht, Freunde, hin und fragt den Fremdling aus, Ob ihm auch solch ein Probekampf gelänge; Sein Äußres scheint mir wohlbestellt von Haus, Die Beine straff, die Arme derb zum Packen, Und stämmig ausgebildet Brust und Nacken;
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Odyssee.
Achter Gesang.
Auch scheint die Jugend ihm noch nicht entflogen, Doch haben ihm Bedrängnis und Gefahr Das Lebensmark wohl vor der Zeit entzogen; Denn nichts ist, für den Tapfersten sogar, Aufreibender als Kampf mit Meereswogen.« Jetzt sagt' erwidernd Euryal: »fürwahr, Du sprachst vernünftig, dir zu Ehr' und Lobe; Geh', red' ihn an und reiz' ihn selbst zur Probe«.
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Der Königssohn, als er aus Freundes Munde Das Wort vernahm, schritt mitten durch den Schwarm
Und sprach Odysseus an: »Tritt in die Runde, Erprobe, fremder Vater, deinen Arm! Du hast gewißlich eines Kampfspiels Kunde; Versuch' es und laß fahren deinen Harm; Denn aus des Armes, aus des Schienbeins Stärke Erblüh'» dem Mann die rühmlichsten der Werke! Nicht lang mehr wirst du nach der Heimfahrt stöhnen! iso Schon segelsertig liegt dein Fahrzeug hier, Geführt zu werden von Phäakcnsöhnen.« Odysseus gab Bescheid: »was fordert ihr Zum Kampf, Leodamas, mich unter Höhnen; Mein Herz erfüllt der Gram, nicht Streitbegier; Ein Dulder steh' ich an des Marktes Hallen Und fleh' zum König und den Bürgern allen!«
Er sprach's; doch Euryal begann zu schmähen: »So scheint der Kämpfe keiner dir bekannt, Worauf sich Männer mannigfach verstehen! ieo Zählst wohl zu denen, die von Strand zu Strand Auf schnellen Booten nach Geschäften spähen, Mit ihren Ruderknechten unverwandt Durch Fracht und Rückfracht schnöden Lohn erraffen? Das wohl verstehst du — nicht den Streit der Waffen!«
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Odyssee.
Achter Gesang.
Mit hohem Blick sah nach dem Königssohne Odysseus seitwärts hin und gab Bescheid: »Nicht schön war deine Red'; aus ihrem Tone Spricht, Fremdling, Trotz und Unbesonnenheit: Bedenk', daß Zeus nicht leicht die volle Krone Der Anmut einem Sterblichen verleiht; Nur selten sind vereinigt ihre Wonnen: Geist, Wohlgestalt, der Rede süßer Bronnen. Dem einen Mann ist Schönheit nicht zu eigen, Doch formt ein Gott ihm der Gedanken Fluß; Wer ihn erblickt, grüßt ihn mit Beifallszeichen Und lauscht auf ihn mit sinnigem Genuß; Er führt bescheiden seiner Rede Reigen In sicherm Takt zum wohlbedachten Schluß; Ein Strahl der Hoheit hebt ihn aus den Massen, Die ihn bewundern, zieht er durch die Gassen.
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Ein andrer zeigt des Wuchses schönste Blüte, Doch keine Anmut krönt der Lippen Rand; So bist auch du gebaut, als ob die Güte Der Götter dich geformt mit eigner Hand, Doch ausgehöhlt im Kopf und im Gemüte! Du hast in mir entfacht des Grimmes Brand: Unbillig war's, in unbedachtem Schwätzen Für einen Kampfesneuling mich zu schätzen.
Der besten einen glaubt' ich mich zu achten, So lang ich über Jugendmut gebot; Doch zaudr' ich jetzt, ob mich nicht kraftlos machten Die Leiden, die Ich trug in langer Not; Denn ich versuchte mich in Männerschlachten Und ward von Meeresschrecknissen umdroht; Trotz alledem will ich den Wettstreit wagen, Weil mir am Herzen deine Worte nagen.«
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Odyssee.
Achter Gesang.
Kaum war den Lippen dieses Wort entflossen, Da sprang er auf, vom Mantel noch umwallt, Und hob, sich drängend durch die Spielgenossen, Hoch einen Stein von wuchtiger Gestalt, Dem keines gleichkam von den Wettgeschossen. Nun schwingt sein Arm mit wirbelnder Gewalt Die mächtige Scheibe sausend längs den Rücken Der Seefahrtsmeister, die sich duckend blicken.
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Weit überflog der Stein die Zeichenstangen Der andern Werfer, bis er niederfiel. Athene kam in Mannsgestalt gegangen, Und rief, indes sie zeichnete das Ziel: »Ein Blinder könnt' es selbst mit Händen langen, Wie du die andern schlugst im Diskosspiel; Sei sieg'sgewiß, o Fremdling, denn dein Zeichen Steht weit voran, kein Streiter wird's erreichen.« Der Dulder, dem das Herz in Freuden sprühte, Daß er im Kampfkreis einen Freund ersah, Begann nun mit erleichtertem Gemüte Und sprach: »ihr Jünglinge, kommt, tretet nah Und schleudert jetzt, ihr der Phäaken Blüte, Auch einen Wurf zu meiner Scheibe da! Gleich schwirrt ein zweiter hin aus meinen Händen; Vielleicht noch weiter werd' ich ihn entsenden.
Und sollte Kampflust irgendwen beseelen — Zu arg ist das mir angetane Leid — So mög' er selbst die Kampfesart sich wählen, Zum Faustkampf steh', zum Ringkampf ich bereit, Zum Wettlauf selbst soll mir der Mut nicht fehlen: Euch alle, Männer, fordr' ich auf zum Streit, Laodamas nur will als Feind ich meiden; Mit einem Gastfreund steht's nicht an zu streiten,
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Achter Gesang.
Denn wer zur Fehde reizt den Wirt, in dessen Behausung er als Fremder wird verpflegt, Der handelt unbedacht und pflichtvergessen, Da er den Baum, der ihn beschützt, zersägt. Mit jedem andern will ich gern mich messen; Mir schau' ins Aug', wer solch' Verlangen trägt: Kein Männerkampf ist fremd mir; auch den Bogen, Den schmucken, bin zu spannen ich erzogen! Dräng' eine Schar von Kämpfenden und Rossen Im Schlachtgetümmel feindlich auf mich vor, Und hätt' ich viel mitzielende Genossen, Der Mann, den ich zum Ziele mir erkor, Er sänk' als erster durch die Brust geschossen! 9tur gegen einen, Philoktet, verlor Ich stets die Wette, wenn in Trojas Landen Wir Griechen straff zum Schuß die Bogen spannten.
Kein andrer dürft' im Pfeilwurs mich erreichen, Soviel die Erde tapfre Männer nährt; Nicht denk' ich mich den Helden zu vergleichen, Die in der Vorzeit sich im Kampf bewährt: Gern will ich Herakles im Ruhme weichen; Auch bin ich nicht wie Eurytos geehrt; Die wagten ja, von Zuversicht besessen, Mit Göttern selbst wetteifernd sich zu messen, Doch Eurytos kam nicht zu hohen Jahren: Ihn schlug Apoll, den er gereizt zum Streit. Im Lanzenwerfen auch bin ich erfahren, Kaum schwingt ein Bogenschütz den Pfeil so weit; Doch könnt' ein Mann aus den Phäakenscharen Besiegen mich in Laufes Schnelligkeit, Weil schlechte Kost und Kampf mit wilden Wogen Mir aus den Knieen hat das Mark gesogen.«
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Achter Gesang.
So redet' er, daß alle sprachlos waren, Alkinoos allein gab ihm Bescheid: »Mit Freuden hörten wir dich offenbaren Den Schmuck, den dir die Tapferkeit verleiht; Ein Schmähwort ist dir, Fremdling, widerfahren, Indes wir uns geübt in Spiel und Streit: Du zürntest drum; doch wär's kein Mann von Sitte, Wer künftig deine Tugend dir bestritte.
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Vernimm denn jetzt ein Wort aus unserm Munde! Wenn du dereinst mit Kindern und Gemahl Zu Hause sitzest an der Tafelrunde Und Helden feierst in dem eignen Saal, Gib ihnen dann von unsrer Tugend Kunde Und nenne dort der Künste reiche Zahl, Wie Zeus sie dem phäakischen Geschlechte Verliehen hat zu angestammtem Rechte. Nicht sind wir stolz, der Fäuste Kraft zu zeigen, Ter Kampf der Ringer nicht ist unsre Zier; Doch an Behendigkeit der Knöchel weichen Und in des Schiffes Lenkung keinem wir. Geschätzt vor allem ist des Tanzes Reigen, Der Laute Klang, die Lust der Tafel hier, Die Wechselpracht der Kleider, die wir tragen, Das warme Bad, des Ruhebetts Behagen.
So schwingt euch auf zu taktbewegtem Tritte, Die ihr im Volk des Tanzes Meister seid! Der Fremdling soll in seiner Freunde Mitte Erzählen einst, wie wir in Leichtigkeit Zum Lauf und Tanz beflügeln unsre Schritte; Auch mög' er rühmen uns zu Haus, wie weit Voran wir sind den Völkern in der Runde In Sangeskunst und in der Schiffahrtskunde! Schelling, Odyssee.
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Achter Gesang.
So laßt die Leier wiederum erklingen, Hol' einer schnell sie her aus meinem Saal!« Der König sprach's, da eilte zu vollbringen Der Herold, was der Göttliche befahl, Worauf ans Werk die Kampfesrichter gingen, Zum Amt berufen durch des Volkes Wahl, Neun an der Zahl und eingeübt seit Zeiten, Die Spiele wohl zu ordnen und zu leiten.
Sie glätteten den Platz zu sicherm Tritte Und weiteten zum Reigentanz den Rand, Es naht der Herold sich mit flinkem Schritte Und legt die Leier in des Sängers Hand, Um welchen, stehend in des Kreises Mitte, Der heil'ge Tanz der Jünglinge sich wand; Odysseus fühlt in sich des Staunens Regung, Als er gewahrt die slittcrnde Bewegung. Jetzt hub der Sangesmeister an und weckte Alls Brust und Leier wonnereichen Klang, Indem er die Umarmung, die versteckte, Des Ares mit der Aphrodite sang, Wie jener schnöd Hephästos' Bett befleckte, Mit vielem Gold der Göttin Gunst errang, Und wie der Sonnengott das Paar beisammen Ertappt' und Meldung tat dem Gott der Flammen.
Als der vernommen sein entehrtes Bette, Entkeimte seinem Bllsen gift'ge Saat; Er ging und stellt' in seiner Schmiedestätte Den mächt'gen Amboß auf zur Rachetat; Auf diesem hämmert' er sich eine Kette Von feinem, unzerreißbar starken Draht, Worauf er heimwärts zu der Kammer schreitet, In der sein trautes Eh'bett war bereitet.
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Odyssee.
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Achter Gesang.
Er spannt' hier von den Pfosten um die Betten Und aufwärts dann zu dem Gebälk am Dach Ein Spinngewebe von so zarten Ketten, Daß Götter selbst, eintretend ins Gemach, Nichts von dem Truge wahrgenommen hätten. Nachdem er vorbereitet so den Schlag, Sucht' er, zum Scheine nur, die schöngebaute Stadt Lemnos auf, die er am liebsten schaute.
Der goldne Ares hatte keine Binde Bor seinem Aug', als er Hephäst zur Erd' Entweichen sah; er rafft sich auf geschwinde Zu des berühmten Meisters Haus und Herd Im Liebesrausch, daß er Kytheren finde. Vom mächtigen Vater war zurückgekehrt Die Göttin just, als ihre Hand berührte Der Gott des Kriegs und so die Rede führte:
»Komm', Liebchen, daß wir uns zur Ruhe legen; Dein Mann, Hephästos, ging nach dem Gestad Der Insel Lemnos auf entlegnen Wegen Und sucht durch rauhe Sintier seinen Pfad.« Sie war nicht abgeneigt, der Ruh' zu pflegen, Und stieg zu Bett mit ihm nach seinem Rat. In Schlummer sanken bald die Ungewarnten, Bis des Allkünstlers Bande sie umgarnten.
Sie fühlten die Umschlingung ihrer Glieder Und sah'n entrinnungslos sich festgebannt; Schon kam der armesstarke Meister wieder; Er hatte plötzlich seinen Schritt gewandt, Weil ihm der Sonnengott, der spähend nieder Geschaut, des Anblicks Kunde zugesandt. Er stand im Vorhof, und in wildem Grimme Erhob er tobend fürchterlich die Stimme: 11*
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»Komm', Vater Zeus, von des Olympos Zinne, Kommt, todesfreie Götter, insgesamt, Und werdet des maßlosen Frevels inne! Ich Lahmer bin zu ew'ger Schmach verdammt; Denn Aphrodite ist in schnöder Minne Für Ares, den Verderbensgott, entflammt, Weil rund und rührig ihm die Glieder schwellen, Mich Lahmheit und Verkrüppelung entstellen.
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Doch keinen kann ich dessen schuldig sprechen Als nur mein Elternpaar; o wär' ich nie Von ihm gezeugt mit solcherlei Gebrechen! — Schaut nun, wie jene beiden Knie an Knie
In meinem Bett der Wollust sich erfrechen! Mir springt die Brust; doch werden fürder sie, Ob schon verbuhlt, nicht mehr zusammenkriechen, Um hier, und wär's ein Weilchen nur, zu liegen. Umsponnen bleiben sie von meinen Netzen, Und abgesperrt von jedem Weg zur Flucht, Bis mir der Vater alles wird ersetzen, Was ich als Freier seiner saubern Frucht Ihm gab an Brautgeschenken und an Schätzen; Schön ist sie, doch im Herzen ganz verrucht.« So rief Hephäst; die Götter, schnell zur Stelle, Betraten zahlreich seine ehr'ne Schwelle.
Poseidon und der Helfer Hermes springen Herbei, der Fernhintreffer trat heran; Sie alle kamen, die das Gute bringen, Die Götterfrau'n nur schämten sich zu nah'n. Als jene nun, eintretend, in den Schlingen Kunstvoll gefangen die Verliebten sah'n, Entfesselt' aus der sel'gen Götter Munde Sich ein Gekicher endlos in der Runde.
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Achter Gesang.
Und von den vielen, die zu schauen kamen, Sprach der zu jenem: »bös ist das Gedeihen Der Frucht, die man erzieht aus schlechtem Samen. Oft holt der Schleichende den Schnellen ein: So wurde von Hephäst gehascht, dem Lahmen, Der Gott des Kriegs, der flinkste mit dem Bein, Und büßt die Ehe jetzt, die er gebrochen.«
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Dies ward und andres hin und her gesprochen.
Apoll, Kronions Sohn, begann und wandte
Zu Hermes sich: »Gefiel's dir, im Verein Mit Aphrodite durch so harte Bande Geknebelt und aufs Bett gestreckt zu sein?« Bescheid gab ihm der himmlische Gesandte: »Mär' dieses Los vor allen Göttern mein! Und wenn die Fessel dreimal enger wäre, Gern ruht' ich bei der goldenen Kythere!« Er sprach's, Gelächter schallte durch die Reihen Der Himmlischen, Poseidon lachte nicht, Er strebte, die Gefangnen zu befreien, Weshalb er bittend zu Hephästos spricht: »O gib zurück die Freiheit diesen zweien; Ich bürge dir mit meines Wortes Gewicht, Daß Ares vor dem göttlichen Gerichte Die Buße, welche du verlangst, entrichte.« Antwortend sprach der armesstarke Meister: »Du Erdumgürtler, heische dieses nicht: Nichts taugen könnte mir ein Bürgschaftsleister Für einen Taugenichts und Bösewicht; O sprich, wo bliebe denn mein Recht, entreißt er Sich durch die Flucht der Haft und Zahlungspflicht? Wie könnt' ich's vor den ew'gen Göttern finden Und dich zu meinem Schuldner mir verbinden?«
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Odyssee.
Achter Gesang.
Jetzt gab der Erderschüttrer zum Bescheide: »So sei's denn, daß, wenn Ares dir entweicht, Ich selbst die Buße, die er schuldet, leide.« »Dein Wort mißachten wäre mir nicht leicht«, Versetzt Hephäst, und gibt sie ledig beide. Wie seinen Fesseln nun das Paar entsteigt, Da hüpft' es auf voll Lust, sich frei zu schauen, Und Ares wandelte nach Threkes Auen.
Doch Aphrodite stieg auf Paphos nieder, Die lächelnde; dort grünet ihr ein Hain, Und von Altären wogen hin und wieder Die Düfte wunderbarer Spezerei'n. Hier wuschen Chariten die schönen Glieder Und salbten sie mit jenem Balsam ein, Von dem die himmlischen Gestalten tauen, Und kleideten sie, herrlich anzuschauen.
Das war der Inhalt der gesungnen Lieder; Odysseus war im Herzensgrund erfreut, Und Freude strahlt von den Phäaken wieder. Laodamas und Halios gebeut Alkinoos, der treffliche Gebieter, Daß dieses Brüderpaar vereinigt heut' Allein des Tanzes Reigen führen sollte, Weil sich kein dritter ihnen messen wollte. Sie eilten, das Befohlne zu verrichten: Der eine, der sich weit nach hinten bog, Nahm in die Hand den Ball, den purpurlichten, Gewirkt von Polybos, und warf ihn hoch Bis in der Wolken schattenkühle Schichten, Worauf der andre springend aufwärts flog lind ihn im Falle fing mit kühnem Greifen, Eh' seine Sohlen noch den Boden streifen.
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Achter Gesang.
Als sie genug geworfen mit dem Balle, Begannen sie zu tanzen auf dem Plan Und kreisten auf der Erde, die uns alle Ernährt, in vielgestaltiger Flugesbahn; Die Knaben gaben rings mit Hellem Schalle Den Takt zum Tanzen händeklatschend an; Laut war das Festgebraus. Zum Völkerhorte Sich wendend, sprach Odysseus jetzt die Worte:
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»Als dein Besitztum hast du mir gepriesen, Erlesner Fürst, der Tänzer beste Schar: Mit Staunen seh' ich, was du sprachst, bewiesen;« Ter König nun, der froh des Wortes war, Ließ das Gebot von seinen Lippen fließen An der Phäaken ruderfrohe Reih'n: »Horcht auf, die ihr das Volk fürsorgend leitet: Zum Abschied sei dem Fremdling hier bereitet, Was Brauch ist, edlen Gästen 511 gewähren; Tenn wacker scheint und sinnig sein Verstand. Zwölf hehre Fürsten sind's, die herrschend mehren In meiner Obhut das Phäakenland; Es soll ein jeder nun dem Gast verehren, Sorgsam geglättet, Mantel und Gewand, Laßt uns vom Gold auch ein Talent abwägen, Um zu den Kleidern Köstliches zu legen!
Die Fülle dieser Gaben überbringe Man ihm vereinigt dann in meinem Haus, Damit er, sie besitzend, guter Dinge Sich niedersetze zu dem Abendschmaus; Und der Beleid'ger Euryal erringe Verzeihung sich und gleich' die Kränkung aus, Durch Wort und Tat« — so mahnte der Gebieter, Und Beifall tönt von den Phäaken wieder.
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Achter Gesang.
Sie schickten, daß man die Geschenke bringe,
Und Euryal sprach seinen Vater an: 400 »Du willst, daß ich Verzeihung mir erringe: Abbitte sei dem Fremdling denn getan: Ich schenk' ihm dies mein Schwert mit eh'rner Klinge: Von Silber ist der Griff, aus frischem Zahn Des Elefanten schön gesägt die Scheide; Das dien' ihm als ein würdiges Geschmeide.« Er spricht's und reicht das Schwert hin mit den Worten: »Du mögst dich, fremder Vater, dessen freu'n; Ist hier ein böses Wort geschleudert worden, So sollen es die Stürme rasch zerstreu'n! Und möge dir, verläßt du unsre Pforten, Der Heimat Bild, der Gattin sich erneu'n, 410 Da du, in ferner See umhergeschlagen, Des Leides viel im Herzensgrund ertragen!« Der Antwort war Odysseus schnell beflissen: »Der du versöhnlich mir das Schwert verehrt, Ich möchte dich auch froh und glücklich wissen! Von euch, ihr Götter, sei ihm Heil beschert, Und mög' er nie sein schmuckes Schwert vermissen.« Jetzt schwang er um die Schulter sich das Schwert. Der Sonnengott begann den Strahl zu senken; Und nun erschien die Fülle von Geschenken,
Die man zum Abschied zugedacht dem Gaste; Herolde trugen sie in edlem Gang, Des Königs Söhne standen am Palaste Und nahmen die Geschenke in Empfang. Indem ein jeder ein's davon erfaßte, Bewegten sie sich den Palast entlang, Dem Zug voran der Vater und Gebieter; Und bei Arete ließen sie sich nieder.
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Arete sah die Gaben mit Entzücken, Und zu ihr sprach des Königs heil'ge Macht: »Von allen Truhen, die das Haus dir schmücken, Sei jetzt die zierlichste hierher gebracht; Daß wir hinein in saubern Falten drücken Gewand und Mantel in der reinsten Pracht, Und laß zum Feuer, zu dem glutenhellen, Ten Kessel wohlgefüllt mit Wasser stellen, Damit der Fremdling nach des Bades Labe, Wenn er, also vereinigt allzumal, Geschaut des Volkes Spenden, Gab' an Gabe, Mit froherm Mut sich setze zu dein Mahl Und mehr Genuß am Lied des Sängers habe. Ich auch verehr' ihm diesen Prachtpokal: Er soll daraus den Göttern Opfer schenken In seinem Haus und täglich mein gedenken.
Gemahlin des Laertessohns, du hehre, Was dieser Jüngling sprach, ist nicht genug; Vernimm auch mich, daß sich dein Trost vermehre: Mein Wort ist Wahrheit ohne Hehl und Trug. Der Gastestisch, der Herd, den ich verehre, Zeus selbst bezeug's, der mich hierher verschlug: Odysseus weilt schon in den heimischen Auen, Vielleicht bemüht, die Untat zu durchschauen, Damit der Frevler Züchtigung gelinge. Ich sagt's dem Sohn schon auf dem Ozean, Wo mir's verkündet eines Vogels Schwinge.^ Jetzt sprach die Königin den Fremdling an: »O wenn dein Ausspruch in Erfüllung ginge, Du würdest Gaben viel von mir empfah'n, Daß jeglicher auf dich hindeutend wiese Und dich als Glücklichen der Menschen priese.^
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Odyssee.
Siebzehnter Gesang.
So liefen die Gespräche zwischen ihnen, Mit Speer und Scheib' indes und viel Gebraus War vor dem Tor der Freierschwarm erschienen. Sie werfen auf den Flächen vor dem Haus, Die ihnen auch zu andrer Kurzweil dienen, Bis nahte sich die Stunde für den Schmaus. Die Hirten alle von dem Felde brachten Des Mastviehs fetten Zoll herbei zum Schlachten.
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Beim Freierschwarm war Medon hochgeachtet Und gern bei ihren Schmauserei'n gesehen: Der sprach: »die ihr manch' edles Spiel vollbrachtet, Befleißigt euch, nun andrem vorzusteh'n, Indem das Mahl ihr zu bereiten trachtet; Rechtzeit'ges Schmausen bürgt für Wohlergeh'n!» Er sprach es und dem Wort gehorsam standen Sie auf, indem sie zum Palast sich wandten.
Und angelangt in dem Palast, entkleiden Sie sich der Prachtgewänder in dem Saal; Nun geh'n ans Werk sie, schlachten und zerschneiden Der Ziegen, Schafe, Schweine fette Zahl, Dazu die Kuh, entstammend üpp'gen Weiden; Hiervon bereiten sie das leck're Mahl. Indessen wandert von des Hofes Säuen Odysseus stadtwttrts mit dem Hirt, dem treuen.
Das Zwiegespräch begann so anzuheben, Der wack're Hirt: »da nach der Stadt zu geh'n Der Herr dich hieß und dieses ist dein Streben (Ich würde gern als Wacht des Hofs dich seh'n, Doch wag' ich dem Befehle, der gegeben, Aus Furcht vor Scheltung nicht zu widersteh'n), Wohlan denn, schon ist Mittag! Neigt der Schimmer Der Sonne, wird die Kälte nur noch schlimmer.
Elender Fremdling, bist du denn von Sinnen?
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Odyssee.
Achtzehnter Gesang.
Statt dich nach einem Obdach umzusehen, Das dir vielleicht ein Schmied am Herde weist, Verstrchst du in Gesellschaft hier 51t stehen Und plauderst viel unnütze Worte dreist! Wie? ließest du den Wein zum Kopf dir gehen? Ist so geschwätzig angelegt dein Geist? Stieg etwa dir zu Kopf dein Sieg, der neu’fte, Da Jros dir erlag im Kampf der Fäuste?
Ob nicht ein andrer dir 311 stehen wage ? Der stärker streitet als der Bettelmann, Den Schädel ringsum dir in Trümmer schlage Und dich, den Triefenden von Blute, dann Mit Schimpf und Schänd' aus dem Palaste jage! « »Dem Telemach dort werd' ich,« so begann Odysseus, »was du faselst, anvertrauen; Der wird dich, Hündin, gleich in Stücke hauen.
Bon Schreck gelähmt, entstoben jetzt die Mägde: Sie sah'n als ernstgemeint die Drohung an. Odysseus, der die Feuerpfannen pflegte, Bedachte, sich nmschauend, seinen Plan; Und was er so umsichtig überlegte, War nicht bestimmt, 311 bleiben ungetan. Die Freier aber ließen es nicht bleiben, Sich spöttisch an dem fremden Mann zu reiben. Es sollte so noch heftiger erwachen Des Helden Schmerz — so war Athenes Plan. Zuerst spricht Eurymach und reizt zum Lachen: »Der edlen Fürstin Freier! hört mich an! Den hat ein Gott geschickt zum Hellemachen; Denn traun, wenn richtig meine Augen sah'n, Das Feuer ist es nicht, was Licht entsendet, Nein, seine Glatze, die in Reinheit blendet.«
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Odyssee.
Achtzehnter Gesang.
Jetzt hob er an, zum Helden sich zu wenden: »Verdüngest bu dich, Fremdling, wohl als Knecht? Wenn ich dich nähme, würd' ich dich entsenden Nach ferner Flur und lohnte dich nicht schlecht, Auch würd' ich Kost das ganze Jahr dir spenden, Dort Pflanze Bäume, sammle Dorngeflecht Für Hecken an; ich würde deinen Rücken Mit Kleidung, deinen Fuß mit Sohlen schmücken.
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Doch du wirst solche Feldesarbeit meiden, Da du gelernt nichts hast als Büberei'n, Und lieber müßig deinen Wanst dir weiden Mit dem Ertrage deiner Bettelei'n.« So er. Odysseus sprach, ihn zu bescheiden: »Möcht' uns, o Eurymach, beschieden sein, In langen Frühjahrstagen als Genossen Alls gras'ger All zu eifern unverdrossen, Die Arbeit wär' in brüderlichem Schwingen Der schöngebognen Sensen rasch vollbracht, Und nüchtern, um das Werk zustand zu bringen, Verblieben wir bis in die späte Nacht. Das Pflügen auch, wie sollt' es mir gelingen, Hätt' ich im Joche zweier Ochsen Pracht Von roter Farbe, wohl genährt zum Werke, Von gleicher Kraft und unbeugsamer Stärke!
Wenn so vier Morgen wären umzubrechen, Und wiche dann die Scholle meinem Pflug, Dir würde wahrlich in die Augen stechen Der Ackerfurchen schnurgerader Zug. Und wenn uns heute noch, um sich zu rächen, Ein Gott heimsuchte mit des Krieges Fluch, Der im Besitz von Speer und Schild mich träfe Und eines Helms zum Schutze meiner Schläfe,
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Odyssee.
Achtzehnter Gesang.
Ich würd' als Vordermann der Kämpfer streiten, Dn höhntest nicht mehr, wenn du mich geschaut. Da wenig Tapfre steh'n an deinen Seiten, Bist du erfüllt von Stolz, der keinem traut. Doch würd' ein Gott Odysseus heimwärts leiten: So breit der Zimmermann die Tür gebaut, Sie würde, fürcht' ich, dennoch im Gedränge Der Fliehenden dir, Eurymach, zu enge!«
Er sprach's, erregter noch begann zu schelten Schiefblickend Eurymach in zorn'ger Hast: Elender, wart', ich werd' es dir vergelten, Was du in Ungebühr gesprochen hast; Denn scheulos plauderst du im Kreis der Helden. Hat Weinrausch sinnverwirrend dich erfaßt? Ist von Natur dein Geist von niederm Schlage? Stieg dir zu Kopf des Jros Niederlage?"
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Er sprach's und langte nach dem Schemel nieder: Ausweichend läßt zum Knie Amphinomos' Odysseus schnell hinsinken seine Glieder; Vom Wurf getroffen, läßt der Schenke los Die Kanne; tönend hallt's im Saale wieder: Er selbst, geschleudert von dem Wurfesstoß, Fällt heulend rücklings auf den Boden nieder. Es lärmt der Schwarm im Hause hin und wieder. Und mancher sprach zu seinem Nachbarn leise: »O wäre doch der Fremdling irgendwo Verdorben, eh' er kam, auf seiner Reise, Dann lärmten wir und eiferten nicht so Um einen Bettler in erregter Weise. Man wird ja nicht mehr seines Mahles froh, Und ärger wird's nur.« Ihn zu unterbrechen, Begann der hehre Telemach zu sprechen:
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Odysse e. Achtzehnter Gesang. »Ihr Rasenden, es zeugt von Trank und Schmause, Was ihr da treibt; euch reizt ein böser Geist! Geht nach dem Mahl zum Schlafen jetzt nach Hause, Wenn's euch gefällt: ich bin's nicht, der es heißt:« Der Jüngling sprach's, aufhörte das Gebrause, Indem ein jeder sich die Lippen beißt, Anstaunend das gesprochne Wort, das kühne. Doch Amphinom erhob sich jetzt zur Sühne: ->Der Sprecher zeigte, daß er billig denke: Drum bändigt eurer Gegenrede Hast Und sorgt, daß niemand mehr den Fremdling tränke, Auch keiner von den Leuten im Palast. Wohlan! die Becher fülle neu der Schenke; Und wer geopfert, geh' dann heim zur Rast, Der Fremdling aber sei in Hut genommen Bon Telemach, bei dem er angekommen.«
Er sprach's, und laute Beifallsrufe klangen: Als Herold mischt' im Kelche jetzt den Wein Der Mulios, der mit Amphinom gegangen Kam aus Dulichion, und er reicht in Reih'n Die Becher, alle nahmen nach Verlangen, Bedacht, vom Wein den Himmlischen zu iveiffn ; Worauf dann, wer getrunken und gespendet, Nach Haus sofort sich und zur Ruhe wendet.
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Neunzehnter Gesang Mdyffeus bei Penelope.
Odysseus blieb, versenkt in tiefes Sinnen, Im Saal und dachte mit Athene nach, Wie mit dem Freiermord sei zu beginnen, Bis er zu Telemach entschlossen sprach, »Die Kriegesrüstung schasse gleich nach innen In sichre Hut und zu den Freiern sag', In sanfter Red' ablenkend ihre Fragen : Die Waffen hab' ich aus dem Rauch getragen;
Denn als zum Krieg Odysseus fortgezogen, Da waren alle blank und fteckenrein; Jetzt sind sie von des Dampfes Qualm beflogen Und büßten völlig Glanz und Schimmer ein. Noch eines sei von dir, mein Sohn, erwogen, Daß ihr nicht, uns mißehrend, euch beim Wein Zum Hader laßt und blut'gem Kampfe reißen; Denn anzulocken pflegt den Mann das Eisen.
Der Sohn befolgte, was ihm war gehießen, Und sprach, herrufend seine Pflegerin: »Sorg', Eurykle, die Mägde zu verschließen In ihrem Raum, da ich gesonnen bin, Des Vaters schöne Waffen, die wir ließen Im Rauche schwärzen, nach der Kammer hin Zu bringen. Bormals war ich unerfahren, Jetzt will ich vor dem Qualme sie bewahren,«
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Neunzehnter Gesang.
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Die Antwort ward gegeben von der Alten: »O lerntest du, mein Kind, dich umzuseh'n Im Haus und deiner Güter recht zu walten! Doch darf aus ihren Kammern keine geh'n, Wer soll dir denn zum Werk die Fackel halten?« Der Jüngling gab zurück: »das wird geschehen Vom Fremdling; wer sich will zum Munde führen Mein Korn, mag auch für mich die Glieder rühren.« Er sprach's, sein Wort verlor sich nicht im Winde; Die treue Pflegerin vernahm's und schloß Die Türen ab des Eingangs zum Gesinde. Odysseus aber und sein treuer Sproß Bemächtigten der Rüstung sich geschwinde Und trugen in das obere Geschoß Viel Helme, scharfgespitzte Schlachtenspeere Und große Schilde, wohlgewvlbt zur Wehre.
Athene schritt voraus mit goldner Schale, Aus der ein sonnengleiches Licht entfällt. Zum Vater spricht der Sohn: »mit einem Male Ist wunderbar der ganze Raum erhellt, Die Säule schimmert wie im Feuerstrahle, Der Balken glänzt, es glüht das Deckenfeld; In dem Gemach muß auf und nieder wallen Der Götter einer aus des Himmels Hallen!«