Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift 3515123172, 9783515123174

Die Arbeit untersucht vier Strophen im Langen Ton (GA V,38-41) und den Zusammenhang der gemeinsam und unter Frauenlobs N

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German Pages 85 [88] Year 2019

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Table of contents :
Uta Störmer-Caysa: Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtragder Jenaer Liederhandschrift
Inhalt
Einleitung
1. Die erste Strophe: Wort sint der dinge zeichen, sam der meister giht (GA V,38)
1.1 Die Tugend nach dem Handeln benennen
Exkurs: Tugend
1.2 Was heißt: in der worte ringe?
1.3 Arbeitsübersetzung und neue Fragen
1.4 Und wenn es keine vindelsê gäbe?
1.4.1 vintel = afrz. ventaille
1.4.2 ventaille = Kinnschutz am Helm
1.4.3 ventaile, ventele ‚Trennwand, Lettner, Kanzel‘
1.5 Nicht vindelsê, sondern vündel, sihe (omd. vindel, sê)
1.6 Abschließendes zu vindel se
2. Die zweite Strophe: Hochvart, die kan nicht komen in snöder herzen wesen
3. Die dritte Strophe: Ist die Hochvart ein zeigen oder ein zeichen aller Dinge?
3.1 Arbeitstext und Verständnis
3.2 Wissensarten, literarische Anknüpfung und der Zusammenhang mit den anderen Strophen
3.3 Zweifel
4. Die vierte Strophe: hochvart und übermut, die sint vil ungelich
4.1 Arbeit am sprachlichen Verständnis
4.2 Ergeben das Oben, das Unten und Darüber eine dreiwertige Logik, und ist das aristotelisch?
5. Ein Strophenzusammenhang nach dem hochvart-Begriff: Wann ist er entstanden?
6. Unterschiede der hochvart-Strophen
Anhang: Exkurse
Exkurs zur ersten Strophe: Vergleich mit GA XIII,6 zum Thema vündeln
Exkurs zu mesotes und mâze, zweiwertigem und dreiwertigem Denken (zur vierten Strophe)
Textgrundlage und Wörterbücher
Zitierte Literatur nach Kurztiteln
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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift
 3515123172, 9783515123174

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR • MAINZ FRANZ STEINER VERLAG • STUTTGART

Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse

Uta Störmer-Caysa

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse Jahrgang 2018 Nr. 3

·

Uta Störmer-Caysa

Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

·

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR MAINZ FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART

·

Erweiterte Fassung eines in der Plenarsitzung vom 17. April 2015 gehaltenen Vortrags. Zum Druck genehmigt am selben Tag, ausgegeben im Dezember 2018.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN: 978-3-515-12318-1

© 2018 by Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz Alle Rechte einschließlich des Rechts zur Vervielfältigung, zur Einspeisung in elektronische Systeme sowie der Übersetzung vorbehalten. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne ausdrückliche Genehmigung der Akademie und des Verlages unzulässig und strafbar. Druck: Druckerei & Verlag Steinmeier GmbH & Co. KG, Deiningen Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany

Inhalt 1. Die erste Strophe: Wort sint der dinge zeichen, sam der meister giht (GA V,38)........................................................................................................................ 6 1.1. Die Tugend nach dem Handeln benennen ..................................................... 9 Exkurs: Tugend ..................................................................................................... 11 1.2. Was heißt: in der worte ringe? ............................................................................ 16 1.3. Arbeitsübersetzung und neue Fragen .............................................................. 17 1.4. Und wenn es keine vindelsê gäbe? ..................................................................... 19 1.4.1. vintel = afrz. ventaille ............................................................................... 20 1.4.2. ventaille = Kinnschutz am Helm ........................................................... 23 1.4.3. ventaile, ventele ‚Trennwand, Lettner, Kanzel‘ .................................... 25 1.5. Nicht vindelsê, sondern vündel, sihe (omd. vindel, sê) .................................. 27 1.6. Abschließendes zu vindel se ........................................................................ 29 2. Die zweite Strophe: Hochvart, die kan nicht komen in snöder herzen wesen ..... 30 3. Die dritte Strophe: Ist die Hochvart ein zeigen oder ein zeichen aller Dinge?... 39 3. 1. Arbeitstext und Verständnis .............................................................................. 39 3. 2. Wissensarten, literarische Anknüpfung und der Zusammenhang mit den anderen Strophen .................................................................................. 44 3. 3. Zweifel .................................................................................................................... 47 4. Die vierte Strophe: hochvart und übermut, die sint vil ungelich .......................... 49 4.1. Arbeit am sprachlichen Verständnis ................................................................ 49 4.2. Ergeben das Oben, das Unten und Darüber eine dreiwertige Logik, und ist das aristotelisch? ..................................................................................... 57 5. Ein Strophenzusammenhang nach dem hochvart-Begriff: Wann ist er entstanden? ............................................................................................... 60 6. Unterschiede der hochvart-Strophen ........................................................................ 64 Anhang: Exkurse ................................................................................................................ 65 Exkurs zur ersten Strophe: Vergleich mit GA XIII,6 zum Thema vündeln .......... 65 Exkurs zu mesotes und mâze, zweiwertigem und dreiwertigem Denken (zur vierten Strophe) .......................................................................................................... 69 Textgrundlage und Wörterbücher .................................................................................. 75 Zitierte Literatur in Kurztiteln ........................................................................................ 76

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Die folgende Untersuchung wendet sich vier Strophen zu, die ein hochvart-Bar bilden könnten und die ein Nachtragsschreiber der Jenaer Liederhandschrift zum Frauenlobkorpus rechnete, weshalb er sie jeweils an den Rändern von 105r und 105v eintrug.1 Sowohl der Zusammenhang der Strophen untereinander2 als auch die Zuschreibung - die erste Strophe gehört zu den Bausteinen des Autorprofils ‚Frauenlob‘3 - sind nicht ohne Wenn und Aber, und die Strophen so, wie sie überliefert sind, zu verstehen, ist alles andere als einfach. Meine Bemühungen um Verständnis sind in Verzweigungen und Optionen dokumentiert. Der Zusammenhang der Strophen hat notwendigerweise mit Urheberschaft zu tun. Er soll erwogen werden, ohne dass die kleine Studie sich anmaßen könnte, etwas zur komplizierten Autorschaftsdiskussion4 hinsichtlich Frauenlobs beitragen zu können. Die erste Strophe ist hinsichtlich ihrer Interpretationsmöglichkeiten besonders komplex, weshalb der erste Abschnitt umfangreicher geriet als die folgenden. Weil die Arbeit am Verständnis der Texte an mehreren Stellen einen textexternen Hintergrund erforderte oder ohne Vergleich mit anderen Strophen aus einem Frauenlobkorpus nicht sinnvoll weiterzutreiben war, sind in die folgende Darstellung Exkurse eingefügt, die diese gedanklichen Hilfslinien dokumentieren. Sie wurden teils graphisch ausgezeichnet und in den Text eingerückt, teils zur Wahrung des gedanklichen Zusammenhangs in den Anhang verschoben. Das hat nur pragmatische Gründe. Systematische Unterschiede sollen mit der unterschiedlichen Präsentation jener Hilfsüberlegungen nicht verbunden werden. 1 Digitalisat: https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/rsc/viewer/HisBest_derivate_0000 1155/Ms-El-f-101_105r.tif ?logicalDiv=log000030, letzter Zugriff 24.11.2017, 17.40 Uhr. 2 Der Zusammenhang ist hergestellt in GA V,38 bis V,41, auch schon bei Ettmüller 59–62. Ich benutze für die Zitate aus ediertem Text der GA bzw. von Ettmüller auch bei Einzelwörtern jeweils deren Normalisierungen, sofern es nicht um eine Handschrift geht und deren Schreibung beizubehalten ist; wenn es aber um die Ebene der Wörterbucheinträge geht, steht die dort übliche normalisierte Form. 3 Vgl. Huber, Wort, S. 134–167. 4 Die verzweigte Autorschaftsdebatte kann hier nicht angemessen nachgezeichnet werden. Grundsätzliches z.B. bei Bein, Kropik (mit einem Schwerpunkt auf dem Lied), Haferland, Quast (eher für Erzähltexte, S. 133–138). Für Frauenlob vgl. besonders Wenzel, S. 18–21. Die große Vorsicht, die in Wenzels Rückzug auf Tonautorschaft liegt, ist methodisch fast uneinholbar; allerdings kommt sie auch einem Denken vom Korpus her näher als dem Ringen um einen Strophenverbund, zu dessen Verständnis die Zeitebene der Zusammenstellung mit großer Wahrscheinlichkeit gehört.

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Uta Störmer-Caysa

1. Die erste Strophe: Wort sint der dinge zeichen, sam der meister giht (GA V,38) Die hochvart-Strophen im Langen Ton sind unikal überliefert. Bei der Eingangssentenz der in J ersten Strophe wort sint der dinge tzeichen, sam der meister giht ‚Worte sind die Zeichen der Dinge, wie der Meister sagt‘ (Wortlaut von J; in der GA: wort sint der dinge zeichen, sam der meister gicht, GA V,38,1)5 handelt es sich um eine allgemeine Überzeugung der Sprachtheorie im Mittelalter, die man sowohl auf Augustin zurückführen6 als auch mit Isidors Zusammenfassung der Lehren des Aristoteles aus ‚Peri hermeneias‘ begründen kann.7 Die Strophe hat mehrere inhaltliche Zentren; eines in der Sprachreflexion, worüber Christoph Huber ausführlich gehandelt hat,8 es ist um das wort zentriert. Ein zweites Thema wird, wie man seit Ettmüller annimmt,9 mit dem Signalwort vindelse ausgezeichnet und führt in die Poetik und Rhetorik.10 Die hochvart, die denjenigen Zusammenhang der Strophen auszumachen scheint, den vielleicht schon der Schreiber des Nachtrags in J gesehen hat, den auf jeden Fall aber die modernen Editoren sahen, diese hochvart also wird in der ersten Strophe eher nebenbei eingefügt. Der Text lautet in der kritischen Ausgabe von Stackmann:

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Wort sint der dinge zeichen, sam der meister gicht. da von muz icht ligen in der worte ringe, daz sich ie dem dinge gelichen muz an lut, an art oder an dem urspringe, wan ieslich ding sin nam tut melt: sus prüf ich daz besunder, Daz ieslich [] tugent ie nach ir tat genennet ist, nach listic list, die rechticheit nach rechte. sus man vürbaz vlechte ie nach ir tat der tugent ir namen. schande und ir geslechte hegen ouch ir recht ie nach ir tat. hie bi so wird ich munder

5 Entspricht J 46,1, neu ediert: Wenzel, Meisterschaft, S. 380f. 6 Augustinus, Principia dialecticae, PL 32, cap. V, Sp. 1410: Verbum est uniuscujusque rei signum, quod ab audiente possit intelligi, a loquente prolatum. Vgl. Ruef, S. 6; Meier-Oeser, S. 23f. 7 Isidor Etym. II,XXVII,5: Nomen est vox significativa secundum placitum, sine tempore, cuius nulla pars est significativa separata, ut Socrates. 8 Huber, Wort, S. 134–167, dazu zuletzt Wenzel, Meisterschaft, S. 176–179. 9 Ettmüller, Kommentar zu 59, S. 302. 10 Vgl. z.B. Kellner und Wenzel, Meisterschaft, S. 176–179.

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift



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Und var uf einen vindelse: hochvart ist uf der tugende le ein blünder kle, den nimmer me versalwet keiner schanden sne: ir nam tut melt nach hoher e, ir art und ouch hohez adel. daz nemt nicht vür ein wunder.

Wenn man in der digital verfügbaren Handschrift11 nachschaut, kann man (nicht immer mit Sicherheit, weil der Buchblock rechts beschnitten wurde und nun Buchstaben oder Teile davon fehlen, dafür setze ich |) lesen, wobei die Entscheidung zwischen cz und tz im Anlaut sehr schwer fällt:



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15



[W]ort sint der dinge tzeichen, sa| der meister gicht . da von můz icht . legen in der worte rynge daz sich e . dem dinge gelichen můz an lut an art . oder an dem vrspringe wan islic |. dinc syn nam tůt melt sus prub ich daz besunder . [d]az islich islich tug |e? e . nach ir tat genennet ist . nach listic list . die rechticheit nach rechte sus ma?/me?|vůr baz vlechte e nach ir tat die tug | e? ir nam scand vnd ir geslechte heg | e? ouch ir recht . e . nach ir tat . hi bi so werd ich munder . [v]nd var of eyne vindel se . houchvart ist of der tugenden le . eyn blůhender kle . den nymmer me . vůr salewet keine | r? scanden sne . ir nam tůt melt na | ? hoer e . ir vart vnd ouch hoez ade | daz nemt nicht vůr eyn wunder.

In Vers 11 steht nam, nicht namen, wie es Stackmann begreiflicherweise grammatisch und inhaltlich wünschenswert erschien, was er wegen seines grammatischen Verständnisses jedoch nicht kennzeichnete. Franziska Wenzel hat das bemerkt,12 und da Stackmann unmittelbar daneben die noch einigermaßen sichere tuge zu der tugent ergänzt hatte, war ihr das zuviel der Veränderung gegenüber

11 http://www.urmel-dl.de/Projekte/JenaerLiederhandschrift.html. Fol. 105rb (letzter Abruf 22.7.2017). 12 Wenzel, Meisterschaft, S. 380f.

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der Handschrift. Allerdings ist es schwer, hier auf sicheren Boden zu gelangen. Wenzel bietet:13 10



sus man vůrbaz vlechte e nach ir tat die tugent ir nam. scand und ir geslechte hege ouch ir recht e nach ir tat

In dem Satz, der in Vers 10 mit sus beginnt, behält sie einerseits handschriftliches die V. 11 bei, während Stackmann zu der konjiziert. Andererseits belässt sie es aber bei Stackmanns Ergänzungen des handschriftlichen ma/me zu man V. 10 und von tuge V. 11 zu tugent. Das ist begründungsbedürftig, weil nam leichter als Nominativ anzusetzen ist; ein Akkusativ nam mit e-Ausfall und Assimilation von mn kommt hd. selten vor,14 allerdings weist Lasch für das Mittelniederdeutsche auf Fälle von Synkopierung nach Nasal hin.15 Wenn man aber nam als Nominativ liest, gibt es im Text jetzt drei potentielle Subjekte, immer bleibt mindestens ein Nominativ ohne grammatische Funktion übrig: man vlechte: die tugent kann Akk. sein, nam nur eingeschränkt, aber ein Nominativ wäre funktionslos; der name vlechte — man ist ohne passende Funktion; die tugent vlechte mit md. die: nam und man werden dadurch grammatisch funktionslos. Auflösen lässt sich dieses grammatische Knäuel in zwei Varianten, die davon abhängen, ob man in Vers 10 ma[n] oder me liest: a) Wenn man in Vers 10 man liest, aber in Vers 11 die tugent, Akkusativ (anders als Stackmann): In diesem Fall muss man so vorgehen, wie es Eva und Hansjürgen Kiepe getan haben16 und wie wahrscheinlich auch Wenzel die Stelle versteht. Sie lesen tugent und nam als koordinierte Akkusative, nehmen also die oben erklärte Akkusativform für mhd. name in Kauf und übersetzen: „Und so verbinde man weiterhin immer nach ihrer Tat die Tugend [und] ihren Namen.“17 b) Wenn man me liest und bei mhd. mê bleibt: In diesem Fall wird man für den 10. und beginnenden 11. Vers von J sus me vůr baz vlechte e nach ir tat die tüge/ tugent ir nam aus grammatischen Gründen nam als Subjekt ansetzen, weil nur tat und tüge/tugent auch in anderen Kasus stehen könnten. Es ergibt sich in Prosawortfolge und in normalisiertem Mittelhochdeutsch: ir nam(e) vlechte 13 Diese Stelle: Wenzel, Meisterschaft, S. 381. 14 Die Form wäre eher bairisch erwartbar und ist jedenfalls regional markiert, Paul/Klein/ Solms/Wegera § M 10, S. 192. 15 Lasch, § 217.II, S. 121. 16 Kiepe/Kiepe, S. 30. 17 Das ist die Übersetzung von Kiepe/Kiepe ebd.

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

sus mê vürbaz ir tât (Dativ) die tugent (Akk.)/ die tüge (Akk). Die Bedeutung wäre: ‚So möge ihr Name die Tugend immer weiter mit ihrem Tun verflechten.‘ Stackmanns Entscheidung für tugent hat die statistische Wahrscheinlichkeit des häufigen Wortes für sich, und eine n-lose Form nach nd. Vorbild hätte auch Platz auf dem abgeschnittenen Rand.18

1.1 Die Tugend nach dem Handeln benennen Den sprachlogischen Teil der Strophe könnte man in Anbetracht der tiefgründigen und seriösen Forschung dazu für verstanden halten.19 Hubers wegweisende Arbeit hat zwei wichtige Stichworte vorgegeben: Etymologie20 und Derivation.21 Es ist nicht zwingend, einen Denker hinter lyrischen Strophen zu suchen, aber es ist, wie man an den sprachlogischen Versen sieht, immer wieder einmal möglich. Diese Möglichkeit entsteht aus der Zeitgenossenschaft eines Sängers, aus seinem Wissen von gelehrten Diskursen oder auch nur über Probleme, zu denen es auch gelehrte Diskurse gibt. Wenn für diese Strophe über die Zeichenhaftigkeit der Worte ein enger Bezug zur gelehrten Welt nachgewiesen werden kann, betrifft es den möglichen Zusammenhang der Strophen und ihre gemeinsame Zuschreibung an denselben Urheber, wenn man feststellen kann, ob ein solcher Bezug auch für die anderen Strophen vorliegt. Denn es ist wahrscheinlicher, dass derselbe Dichter in Strophen im gleichen Ton mehrmals theoretisch ähnliche Positionen verficht, als dass er sich zwar zweimal als gebildeter Zeitgenosse, aber als Anhänger gegensätzlicher Ansichten zeigt. Es ist bei einem Dichter, der seine Gelehrsamkeit mit Vergnügen ausstellt, auch ratsam, mit weiteren Anknüpfungen an die gelehrte Welt zu rechnen und also nach ihnen auch dort zu suchen, wo sie sich nicht durch Zitate aufdrängen, denn sonst bleibt möglicherweise Sinnpotential ungesehen. In diesem Sinn versucht dieser Beitrag, das intellektuelle Profil der ersten, der Wort-Zeichen-Strophe, weiter zu schärfen, um anschließend die drei folgenden Strophen besser mit diesem Vorbild vergleichen zu können. Dazu kehre ich noch 18 Ausschließen kann man aber nicht, dass Frauenlob in der Suche nach dem selteneren Wort zu tüge griff, das sonst (nach jetzigem Stand der Wörterbücher) nur selten und spät, nach der Mitte des 14. Jhs., belegt ist. Lexer II, Sp. 1558 mit zwei Belegen. Im Belegarchiv des Mittelhochdeutschen Wörterbuchs gibt es auf dem jetzigen Stand keine zusätzlichen Belege. 19 Huber, Wort S. 135–152; Kellner, vindelse, S. 269–271, Wenzel, S. 176f., RSM 1 /Frau/2/46–49 (Bd. 3, S. 334). Zu den einzelnen Aspekten vgl. auch die folgenden Fußnoten. 20 Huber, Wort S. 135–142; Ruberg, Etymologisieren, S. 329, Grubmüller, Etymologie, S. 212–219. 21 Huber, Wort, S. 140, S. 152f.

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einmal zu Hubers Stichwort der Derivation zurück: „Doch nimmt Frauenlob“, hatte er geschrieben, „gegenüber den lateinischen Texten eine bemerkenswerte Veränderung vor. Einhellig wird das Adjektiv vom Substantiv abgeleitet, bei Frauenlob umgekehrt.“22 Weiter weist Huber darauf hin, dass Frauenlob zusätzlich eine Verbindung zum Tun schaffe: „Auf das Verhältnis von Substantiv und Adjektiv projiziert er das von tugent und tat.“23 Das sind freilich Ansichten, die von einem festen Text ausgehen, und zwar auf einem Stand vor der Göttinger Ausgabe. Überlegenswert bleiben sie auch von veränderten textkritischen Voraussetzungen aus, denn die oben diskutierten Unsicherheiten der Textgestaltung betreffen die zu verfolgende Frage nicht. Allerdings müssen die folgenden Überlegungen notwendig unter dem (meines Erachtens nicht auflösbaren) Vorbehalt stehen, dass sie den denkenden Dichter der Strophe bei einem Wort nehmen, das vielleicht gar nicht von ihm stammt, sondern sich Veränderungen der Überlieferung verdankt. Es geht um die Stelle GA V,38, 7–9:

Daz ieslich [] tugent ie nach ir tat genennet ist, nach listic list, die rechticheit nach rechte.

Nun ist es nicht besonders wahrscheinlich, dass ein Dichter, der offenbar gerade einen theoretischen Flickenteppich produziert, auch nur Wissen be­nutzt, das in den lateinischen Wissenschaften zusammenhängt, hier also zunächst über den Zusammenhang von Wörtern, Sachen und Denken spricht und dann über Anschließendes wie Anschauung oder Spracherwerb. So zu verfahren hätte für ihn nicht viel Sinn, weil ja sein volkssprachliches Publikum ohnehin diese disziplinären Anschlussstücke nicht erwartete und den Zusammenhang nur oberflächlich verstünde. Assoziatives Wissen funktioniert aber anders als systematisches, auch, wo es sich aus solchem speist. Man muss damit rechnen, dass lateinisches Wissen über die im volkssprachlichen Text erwähnten Begriffe einfließt, das innerhalb der engeren Quellen nicht zu finden ist, weil es dort nicht seinen systematischen Ort hat – dass also in diesen Spruch zum Beispiel Wissen über den Begriff der Gerechtigkeit oder den der Tugend geriet, und zwar als assoziatives Wissen, weil reht und rehte unter anderem Gerechtigkeitsbegriffe sind, tugent neben vielem anderen auch Tugend heißen kann.

22 Huber, Wort, S. 152. 23 Huber, Wort, S. 153.

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

Mit dieser Überlegung geht es an die Feststellung, daz ieslich tugent ie nach ir tat genennet ist (V. 7). Nur Vers 8 nach listic list kann als Beispiel zu diesem allgemeinen Satz verstanden werden, weil sich listic grammatisch auf tat zurückbeziehen lässt, während es in Vers 9 die rechticheit nach rechte nicht angeht; rechte könnte allenfalls das Adverb sein,24 dann hätte man jedoch einmal eine attributive, einmal eine adverbiale Form nebeneinander. Das Wissen ist das Beispiel für eine Tugend und heißt nach dem wissenden Tun oder dem Tun des Wissens, je nachdem, ob man beim list an praktische oder theoretische Vernunft oder ein anderes Verstandesvermögen denkt.25 Jedenfalls heißt es nach einem Tun. Das steht in Vers 8. Das zweite Beispiel dagegen (rechticheit nach rechte, V. 9) spricht gar nicht vom Tun und vielleicht nicht einmal von einer Eigenschaft, denn rechte kann auch als Dativ des starken Neutrums aufgefasst werden. So oder so hieße die Gerechtigkeit nach dem Recht oder nach dem Rechten. Das scheint aber nun etwas ganz anderes zu sein, als sei der Begriff von Gerechtigkeit am rechten Tun gebildet. Wie angekündigt, spiele ich in dem folgenden Exkurs durch, was ein Dichter um 1300 problemlos über tugent im Sinne der Tugendlehre wissen und welche Begründungen von Gerechtigkeit er gehört oder gelesen haben könnte.

Exkurs: Tugend Die Tugend, vielleicht weiß das der Dichter, ist ein ehrwürdiger Begriff. Plato entwickelt in der ‚Politeia‘ (IV, 427e) eine Einteilung von Anlagen des Menschen, die sich später zum wirkmächtigen System der Kardinaltugenden entwickelt.26 Die Auffassung, es handele sich um eine Eigenschaft des Menschen oder seiner Seele, wird auch durch neutestamentliche Stellen nahegelegt.27 Die Stoa versteht Tugend eher als handlungsbezogenen Wissensmodus28 und bindet sie dadurch an die Verstandesvermögen. Aristoteles unterscheidet im zweiten Buch der Nikomachischen 24 So haben, scheint mir, Kiepe/Kiepe die Formen verstanden, wenn sie übersetzen „nach listig List, Gerechtigkeit nach rechtlich.“ Kiepe/Kiepe, S. 30. 25 Vielleicht hat Frauenlob eigens ein besonders polysemes Wort benutzt, eines, das nicht durch Übersetzungstradition immer schon bevorzugt einem bestimmten lateinischen Begriff zugeordnet wurde. Vgl. dazu Jost Trier: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, Bd. 1, Heidelberg 1931, S. 67 und S. 75. Schon im 11. Jh. bei Notker wird list zur Wiedergabe von Verstandes- und Vernunfttermini wegen seiner Allgemeinheit eher gemieden, vgl. dazu Weisweiler/Betz, S. 115f. 26 Platon, Politeia ed. Chambry/Rufener/Szlezák, Übersetzung von Rüdiger Rufener S. 313– 315: „Ich nehme an, wenn unsere Stadt richtig angelegt ist, dann ist sie auch vollkommen gut. ‚Notwendig‘, erwiderte er. Daraus ergibt sich, dass sie weise und tapfer und besonnen und gerecht ist. ‚Offenbar‘“. Vgl. Forschner, Kardinaltugenden, S. 331. 27 Vgl. Roland Kany, Tugenden und Laster, bes. S. 335f. 28 Vgl. Forschner, Kardinaltugenden, S. 316.

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Ethik (1103a) Verstandestugenden von moralischen Tugenden29 und bestimmt das Wesen der Tugend als Habitus der Wahl der Mitte zwischen Extremen (NE 1106b/1107a)30; ein Habitus entsteht aber aus wiederholtem Tun (NE 1114a).31 Neben diesen theoretischen und eher wissenschaftlichen Konzepten, die in verschiedenen Mischungen in der Theoriebildung des 13. Jahrhunderts wiederkehren,32 wirkt sich theoriegeschichtlich das Denkmuster der Allegorie aus, dem die Psychomachie des Prudentius eine klassische Form gegeben hatte: Wenn Tugenden und Laster wie Menschen miteinander kämpfen, werden sie als äußere Mächte vorgestellt, die auf den Menschen und seine Seele einwirken.33 Die charakteristische Verknüpfung von Handlung und Tugend gibt es zwar punktuell schon bei Isidor,34 systematisch gehört sie jedoch vor allem zur aristotelischen Linie der Begründung von Ethik, wie sie am klarsten bei Thomas von Aquin hervortritt.35 Wenn nach Frauenlobs Strophe jede Tugend nach ihrer Handlung benannt wird und zugleich das Benennungswort ein Zeichen für die bezeichnete Sache ist, dann wird in die hauptsächlich verfolgte etymologische und sprachlogische Gedankenführung der Strophe etwas eingeschleust, das aus dieser ethikgeschichtlichen Tradition stammt, nämlich die Begründung von Tugend aus dem aristotelischen Habitusbegriff (die wiederholte gerechte, mutige oder auf andere Weise gute Tat macht zu einer ebensolchen Tat geneigt).

29 Aristoteles, Nikomachische Ethik ed. Nickel/Gigon, Übersetzung von Olof Gigon S. 53–55: „Denn die einen Tugenden nennen wir verstandesmäßige, die anderen ethische: verstandesmäßige die Weisheit, Auffassungsgabe und Einsicht, ethische die Großzügigkeit und Besonnnenheit.“ 30 Aristoteles, Nikomachische Ethik ed. Nickel/Gigon, Übersetzung von Olof Gigon S. 75: „Die Tugend ist also ein Verhalten der Entscheidung, begründet in der Mitte in Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Überlegung bestimmt wird und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde. Die Mitte liegt aber zwischen zwei Schlechtigkeiten, dem Übermaß und dem Mangel.“ 31 Aristoteles, Nikomachische Ethik ed. Nickel/Gigon, Übersetzung von Olof Gigon S. 111: „Wenn man in solchen Dingen tätig ist, wird man selbst so. Das zeigt sich an denjenigen, die sich um irgendeinen Sport oder eine Arbeit bemühen; denn sie betätigen sich fortwährend darin. Nicht zu wissen also, dass aus der ausdauernden Tätigkeit die Eigenschaften entstehen, zeigt vollkommene Gefühllosigkeit.“ 32 Vgl. Ernst, Ausbau. 33 Achim Wesjohann wies darauf hin, dass die Salutatio virtutum des Franziskus von Assisi mit dieser Vorstellung arbeitet, sich also bewusst (wie auch in anderen Zusammenhängen) von metaphysischer Begründung und philosophischer Systematisierung der Ethik fernhält, wie sie bei den Dominikanern und, wenn auch eher reaktiv, auch bei den Franziskanern seit Gründung beider Orden am Beginn des 13. Jahrhunderts gepflegt wird. Vgl. Wesjohann, S. 192–194. Es gibt also auch außerhalb der volkssprachlichen Dichtung und innerhalb der lateinischen Theologie (und dort noch wesentlich früher) Bewegungen der Remetaphorisierung und Entsystematisierung, wie sie für Frauenlob kennzeichnend sind. 34 Vgl. die Herleitung der Gerechtigkeit, Isidor lib. lI, XXIV,6. 35 Einführend Maximilian Forschner, Thomas, S. 101–106.

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

Was die Gerechtigkeit angeht, möchte man zunächst unter iustitia nachsehen, denn iustitia ist durch die biblische Fundierung (Ps. 84,11)36 und den Einfluss des Augustin, der in ‚De civitate Dei‘ in verschiedenen Anläufen darüber nachgedacht hatte, an den Frieden gebunden und gehört zu den zentralen Fürstenaufgaben, was gut in den Kontext der hôchvart passen könnte. Der erste Versuch, so vorzugehen, indem man wegen der Etymologie bei Isidor bleibt, schlägt aber fehl: Isidor begründet die Gerechtigkeit (im Abschnitt über die Kardinaltugenden) zwar auch vom Handeln, geht also so vor, wie Frauenlob vorgehen zu wollen versprochen hatte; er benutzt aber für den Vorgang das Gerundium iudicando, also nicht zweimal exakt denselben Wortstamm: Iustitia [est in rebus], qua recte iudicando sua cuique distribuunt.37 Dass hinter Frauenlobs Bindung der Gerechtigkeit an das Rechte nicht zwingend eine Rechtsphilosophie oder Gesellschaftstheorie stehen und man nicht in diesen theoretischen Segmenten suchen müsste, wenn man den engeren Bereich der Sprachreflexion verlassen will, lehrt ein Blick zu Frauenlobs Zeitgenossen Eckhart. Ihn zwingen exegetische Notwendigkeiten und in der Folge theologisch-metaphysische Bedürfnisse, von der Herleitung von Gerechtigkeit zu sprechen. Eckhart erklärt lateinisch und deutsch, dass der Gerechte nicht durch das gerechte Handeln gerecht werde, sondern durch die Teilhabe am ungeteilten Göttlichen, das auch die Gerechtigkeit ist.38 Eckhart führt das in der Predigt Q 6 über Sap. 5,16 Iusti vivent in aeternum auch für ein deutschsprachiges Publikum aus.39 Frauenlob dagegen schlägt die neuplatonisch-metaphysische Begründung aus. Er nennt auch nicht den Gerechten, sondern das Recht oder das Rechte - das ist sprachlich nicht unterscheidbar - als Quelle der Namensgebung, also hier: der Begriffsbildung, der Gerechtigkeit. Erst im Vergleich zu Eckhart wird klar, dass er damit einerseits eine neuplatonisch-mystische Linie der Begriffsverwendung mit einfachen Mitteln abwählt, andererseits den Begriff der Gerechtigkeit an eine Eigenschaft bindet, die ihrerseits selbsterklärend und nicht erklärungsbedürftig zu sein scheint.

Nach diesem flüchtigen Blick in theologisch-philosophische Denktraditionen der Tugend bleibt noch rätselhaft, warum der Dichter der Strophe programmatisch sagt, der Begriff einer Tugend sei nach dem tugendhaften Handeln gebildet, ohne zu bemerken, dass der in der Strophe folgende Gedanke, wonach der Begriff der Gerechtigkeit dem Rechten, also dem positiven Recht oder dem allgemein Gebilligten, folge, schlechterdings nicht als Beispiel für jenen allgemeinen Satz erscheinen könne. Man ist damit an einer Weiche des Verstehens, denn dass hier kein Theoretiker spricht, scheint erwiesen. Aber dennoch muss man sich entscheiden, ob man eine 36 Vgl. Schreiner, besonders S. 68–70. 37 Isidor Etym. lib. lI, XXIV,6. Das platonische Erbe des suum cuique fehlt bei Frauenlob ganz. 38 In der Vorrede zur Genesisauslegung heißt es: Deus autem iustitia est; omne citra solum iustum est. Expos. libri Genesis cap. 6,222. Meister Eckhart ed. Sturlese/Rubino I, S. 148. 39 Eckhart, DW I, S.99–115.

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möglicherweise vermittelte - Vertrautheit mit den skizzierten gelehrten Hintergründen annimmt, wenn auch nicht im Sinne des Spezialistentums, oder ob man auch das für unwahrscheinlich hält. Meine Studie vertritt die erste Ansicht, weil ich für die zweite weniger Argumente finde. Die Strophe unterstellt, dass Gerechtigkeit grundsätzlich als persönliche Tugend aufgefasst und an intersubjektives Handeln gebunden ist, nicht an besondere urteilsfindende Strukturen und auch nicht an vordefinierte und von einer Gruppenzugehörigkeit des Subjekts abhängige Handlungsspielräume. Inhaltlich würde man dann vielleicht an eine Stelle bei einem lateinischen Autor denken, dem es nicht um iustitia und iustum und deren deutsche Übersetzungswörter geht, sondern einen anderen Gerechtigkeitsaspekt. Aequitas und aequus passen inhaltlich gut. Das sieht man z.B. an dem lateinischen Passus aus Isidors Etymologien:40 Die römische aequitas ist handlungsgebunden und beschreibt eher die einzelne Tat als eine Herrschertugend oder ein davon hergeleitetes soziales Regelwerk.41 Die Stelle würde auch noch das Ausweichen auf das Adjektiv erklären: Auch Isidor schließt hier Abstraktum und Adjektiv ohne weitere Erklärung miteinander kurz (ab aequitate, hoc est ab eo quod sit aequalis). Aber es ist nicht zu leugnen, dass man vom Wort aequus her nicht ohne weiteres auf rehte käme. Dieses Problem löst sich (wenn auch die Wortartenverschiedenheit wieder aufbräche), wenn nahe Bekanntschaft mit Anselm von Canterbury und dessen Gerechtigkeitsbegriff in ‚De veritate‘42 unterstellt wird.43 Denn Anselm entwickelt in dieser Schrift seinen Begriff der rectitudo, welcher schwer zu übersetzende Begriff, der vom Wortkörper her aber ohne Zweifel mit dem Rechten viel zu tun hat, eine grundsätzliche Ausrichtung des Menschen auf das höchste Wahre und Gerechte meint, das in Gott liegt. Die Ausrichtung äußert sich beim handelnden Menschen in verschiedenen Formen, z.B. als Geradlinigkeit und Wahrhaftigkeit im Bezug zum Wahren. Anselm begründet, warum diese verschiedenen Anwendungsfelder von rectitudo wesenhaft identisch sind. Auf diesem Argumentationsweg bestimmt er die iustitia als eine Richtigkeit des Wollens, die um ihrer selbst willen bewahrt werde.44 Das Wollen 40 Isidor Etym. X,7 zum Stichwort aequus: Aequus est secundum naturam iustus dictus, ab aequitate, hoc est ab eo quod sit aequalis. 41 Niemann, S. 35 beschreibt das Verhältnis von aequitas und iustitia so: „Im römischen Rechtsdenken entwickelten sich die zwei Kategorien ‚Justitia‘ und ‚Aequitas‘. Erstere wurde als Einhaltung der Gesetze verstanden, letztere als das menschliche Handeln betreffend, das auf Basis des Abwägens erfolgte. Die Attribute der Aequitas waren die Waage und das Füllhorn, nie das Schwert.“ 42 Anselm, De veritate ed. Schmitt. 43 Ich verdanke diesen Hinweis Stefan Seit. Gern nehme ich die Gelegenheit, mich für nützliche und bereichernde Gespräche zu bedanken. 44 Iustitia igitur est rectitudo voluntatis propter se servata. Anselm, De veritate ed. Schmitt, cap. 12, S. 82.

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ist nach Anselms Erklärung im 4. Kapitel derselben Schrift dem Tun, das sich ohne weitere Reflexionsstufen aus ihm ergibt, vorgeordnet und unmittelbar auf ein Sollen bezogen, das sich wiederum ohne tiefgestaffelte menschliche (also irrtumsfähige) Schlussfolgerungen unmittelbar aus der göttlichen Weltordnung herleitet.45 In der Frauenlobstrophe wird gleichwohl, wie oben bereits erörtert, die aristo­ telische Denkfigur der habituellen Festigung von Eigenschaften durch ähnlich gerichtete Taten verwendet, eine Denkfigur, die Anselm nicht kennt. Sie ist im späten 13. und beginnenden 14. Jahrhundert sehr verbreitet und mehr oder weniger selbstverständlich. Denkbar wäre es, einen bewussten Rückbezug auf Anselm inmitten der zeitgenössisch üblichen, aristotelischen Denk- und Ausdrucksformen gestaltet zu sehen. Das mag jemandem, der das Theorem erkannte und zuordnen konnte, als Komplexitätsreduktion, als Rückkehr zu den einfachen Antworten aus dem Dickicht der sprachlogischen und metaphysischen Zergliederung erschienen sein. Selbstverständlich kann man die Quellensuche aus systematischen Gründen ablehnen und in Rücksicht auf das mögliche Publikum unterstellen, dass es einen gelehrten Hintergrund niemals gegeben hat, sondern sich ein Spruchdichter in deutschen, semantisch offenen Wörtern aus dem Feld des Tauglichen und dem Feld des Richtigen ausdrückte. Man gerät dadurch aber, jedenfalls für diese Strophe, rasch in Begründungsnöte. Warum sind dann ausgerechnet Klugheit und richtiges Handeln, traditionelle Gegenstände der Tugendlehre, Beispiele für das Taugliche? Oder, wenn man tugent noch allgemeiner mit ‚Eigenschaft‘ übersetzen wollte: Warum soll eine menschliche Eigenschaft nach Taten benannt werden und dies ein Beispiel sinnvoller und nachvollziehbarer Benennung sein (‚blind‘, nur zum Beispiel, ist ja auch keine Tat, der Begriff der Blindheit auch nicht von einer Tat abgeleitet)?46 Und inwiefern wäre ir tat in V. 7 das Tun einer tugent? Das Tun einer Eigenschaft? Mit subjektivem Genitiv scheint das unannehmbar, mit objektivem läuft es wieder auf die Habitus-Lehre hinaus, an die man ja gerade nicht denken wollte. Kurz, mir scheint es viel schwieriger, einen Sinn zu erschließen, wenn man alles gelehrte Wissen über Tugend und Recht aus den Entsprechungen von tugent und reht ausklammert. Und selbstverständlich konnte der Hörer den Dichter auch ohne Isidor, Anselm, Augustinus und Aristoteles verstehen – umrisshaft und der Grundrichtung der Argumentation nach, so, wie Meister Eckhart ohne Thomas von Aquin und Dietrich von Freiburg gehört werden konnte.

45 Anselm, De veritate ed. Schmitt, cap. 4, S. 46 über den Teufel: Si enim semper voluisset quod debuit, numquam peccasset, qui non nisi peccando veritatem deseruit. 46 Diese Gegenprobe verdanke ich dem gründlichen Nachfragen von Wolfgang Achnitz, dem ich dafür sehr herzlich danke.

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1.2 Was heißt: in der worte ringe? Die Ring-Metapher hat der Forschung Schwierigkeiten bereitet.47 Und um eine Metapher muss es sich handeln, wenn verschiedene Beziehungen zwischen Ding und Bezeichnung im Umkreis eines Wortes liegen können. Huber neigt nach langer Überlegung, in welchem Maße denn begrifflich oder metaphorisch zu lesen sei, zuletzt zur Auflösung im Sinne von ‚Siegelring‘, wie sie Lütcke zuerst aufgebracht hat.48 Auch der Vorschlag von Eva und Hansjürgen Kiepe, man könne an den Fassreifen denken, weil er in sprachlogischen Schriften wiederholt als Beispiel vorkomme, scheint mir nach wie vor erwägenswert.49 Aber ‚Ring‘ zu lesen ist nicht zwingend. Man könnte auch mhd. ringe ‚Leichtigkeit‘ lesen, was auf interessante Parallelen führt, denn dann besteht eine Ähnlichkeit zu einer Metapher Meister Eckharts: Bei Meister Eckhart gibt es in Predigt Q 70 (DW III, 194,5-9) ein Substantiv kleine für die mentale Entsprechung eines erkannten Objektes: Sol diu sêle iht erkennen, daz ûzer ir ist, als einen engel, swie lûter daz sî, daz muoz si tuon mit einem kleinen bildelîne âne bilde. [...] aber sich selben bekennet er [der Engel, U.StC.] sunder ‚kleine‘ und sunder bilde und sunder glîchnisse.50 Lauri Seppänen setzt in seinen Untersuchungen zum Paradisus animae intelligentis, einer Predigtsammlung aus dem Umkreis Eckharts, die Verwendung des Substantivs mhd. cleine geradezu als Übersetzungswort für species intelligibilis an;51 man wird vielleicht etwas vorsichtiger sein wollen und eher konstatieren, dass Eckhart statt eines Übersetzungswortes, das offenbar nicht vorgeprägt vorlag (auch die großen spätmittelalterlichen Wörterbücher haben diesen zeitweise wichtigen scholastischen Begriff offenbar

47 Vgl. Lütcke, S. 40f.; Kissling, S. 298f.; Huber, Wort, S. 149f.; Ruberg, S. 329f. 48 Huber, Wort, S. 150f. Lütcke, S. 40 übersetzt zwar einerseits ohne weitere Begründung „Im Begriff des Worts, in der worte ringe [...]“ , aber er ist, soweit ich sehe, auch der erste, der einige Seiten weiter S. 62 auf die Stelle in Heinrichs von Mügeln ‚Der meide kranz‘ hingewiesen hat, an der die Grammatik sagt Name ist myns Insigels ring. Die Stelle: Der meide kranz ed. Stackmann, V. 181. Im Glossar dort S. 254 sind viele Belege aus Der meide kranz für rinc in weiter, umschließender Bedeutung angeführt. Vielleicht darf man diese Wortverwendung als Rezeptionszeugnis für Frauenlob auffassen, aber damit bewegt man sich nicht auf sicherem Boden. 49 Kiepe/Kiepe, S. 30. 50 Die Stelle gehört zu den wichtigsten für die Bildlehre Eckharts, in der es um die Abbildlichkeit und Ebenbildlichkeit des Menschen gegenüber Gott geht; es spielt eine zentrale Rolle, dass bilde wie lat. imago sowohl das Urbild als auch das Abbild bezeichnen kann (sachliche und sprachliche Differenzierungen gibt es freilich dennoch). Vgl. stellvertretend für die reiche Literatur: Wilde; Sturlese. 51 Vgl. Seppänen, S. 243.

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nie aufgenommen), eine metaphorische Umschreibung wählt. Er braucht aber im Gedankengang genau das, was lateinisch in seiner Zeit species intelligibilis heißt. Die species intelligibilis ist ein neuplatonisch inspirierter, aber zugleich auf der aristotelischen Kategorienlehre fußender Begriff, der die Ordnungen des Seins und des Erkennens miteinander verbindet: eine Art wesenhaften Gedankendinges, das durch die geschaffene Seinsordnung schon immer in dem Ding steckt und von ihm abgezogen werden kann.52 Augustin hatte den Begriff species intelligibilis eher beiläufig in De civitate Dei XI,27 verwendet, nachdem er erklärt hatte, dass auch niederen Lebewesen mentale Repräsentationen von memorierten und erkannten Sachverhalten zugeschrieben werden müssen. Dann geht er zur spezifisch menschlichen Erkenntnis von moralischen Sachverhalten über: Habemus enim alium interioris hominis sensum isto longe praestantiorem, quo iusta et iniusta sentimus, iusta per intellegibilem speciem, iniusta per eius privationem.53 In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und um 1300 gibt es eine lebhafte Auseinandersetzung um die erkenntnistheoretische Frage, wie die Erkenntnis in den Geist gelangt. Darin wird die species eher aristotelisch aufgefasst, insbesondere im Anschluss an De anima.54 Der vom anderen, neuplatonischen Traditionsstrom her einfließende augustinische Begriff ist der des verbum interius oder verbum mentis, den Augustin in De Trinitate XV,15 im Hinblick auf die Erkenntnis des Ewigen und Ungeschaffenen diskutiert.55 Wenn man so liest und das ringe für eine Metapher für die species intelligibilis hält, dann wäre nicht weniger klar als unter dem Bild eines Siegelrings, dass in dem Begriff ein mentales Abbild des Dinges steckt, das auf verschiedene Weise abbildlich geworden sein kann.

1.3 Arbeitsübersetzung und neue Fragen Die bisherigen Überlegungen führen zu dem folgenden Übersetzungsversuch: ‚Wörter sind Zeichen für die Dinge, wie der Meister sagt. Deshalb muss etwas in der Leichtigkeit des Wortes liegen, das notwendig jeweils im Klang, in der Wesensart oder nach der Herkunft dem Ding gleicht, denn sein Name zeigt jedes Ding an.56 52 Vgl. Spruit, Bd. 1, S. 4–24 und S. 175–255. Zu den zusammengeführten Traditionslinien vgl auch Lee, S. 70. 53 Augustinus: De civitate Dei, ed. Dombart, Bd. 1, S. 500, 18–21. 54 Vgl. Lee, S. 19–27, S. 63–70. 55 Augustinus: De trinitate II ed. Mountain/Glorie, S. 497–500. 56 Im Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe S. 236 ist melt angesetzt und vermutungsweise als Partizip zu melden gestellt. Der Satz bleibt immer grammatisch eine Ver-

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(weiter ab Mitte v. Vers 6): So überprüfe ich es einzeln, dass jede Tugend immer nach ihrer Betätigung benannt wird: nach wissender das Wissen, die Gerechtigkeit nach dem Rechten. (weiter ab Vers 10 mit man, nam Akk.): So verflechte man den Namen, die Tugend je nach ihrem Tun.57 (weiter ab Vers 10 mit me, nam): So möge ihr Name die Tugend immer weiter mit ihrem Tun verflechten. Die Schande und ihre Nachkommenschaft hege (Singular), was ihr zukommt, auch ein, jeweils nach ihrem Tun. (weiter ab Vers 12 Mitte): Dabei werde ich munter und fahre hinaus auf eine Finde-See ?? Hohe Lebensweise ist ein blühender Klee auf dem Hügel der Tugenden, den nie ein Schnee der Schande fahl werden lässt. Ihr Name bekundet die Ausrichtung am Hohen, ihre Wesensart und auch ihren hohen Rang. Das soll euch nicht wundern.‘

Die ?? markieren, was jenseits der bisherigen Optionen unklar bleibt und zum nochmaligen Durchdenken anregt. Heißt ab der Mitte von Vers 12 der gedichtete Text ‚Dabei werde ich munter und fahre hinaus auf eine Finde-See‘? So steht es in der Handschrift und bei Franziska Wenzel,58 mit einer kleinen Abweichung im Genus auch bei Stackmann, wie oben abgedruckt. Zur vindelsê gab es in der bisherigen Editionsgeschichte noch keine Alternati59 ve. Das ist erstaunlich, denn die Annahme von inventio-Bildlichkeit seit Ettmüller60 steuert das Verständnis vielleicht an anderen Möglichkeiten vorbei. In dem Wort sieht man in der Handschrift deutlich einen Zwischenraum: vindel se. vindel se könnte durchaus, da die Wortfuge im Mhd. noch nicht konsequent gehandhabt

legenheit, auch wenn man ein Funktionsverbgefüge mit Akkusativ unterstellt, aber melde tuon gibt es, auch in passender Bedeutung (nicht nur als ‚Gerücht‘, so BMZ II, 135) und etwa gleichzeitig, vgl. MHDBDB mit Suchstrategie ‚melde + tuon‘, dort mit Genitiv: Ottokars Reimchronik ed. Seemüller, V. 88378: tuo wir der sach dhein melde; ähnlich später auch bei Füetrer, Lannzilet ed. Lenk Str. 627.1: Des tet der portner mellde. 57 Vgl. Kiepe/Kiepe, S. 30: „Und so verbinde man weiterhin immer nach ihrer Tat die Tugend [und] ihren Namen.“ 58 Wenzel S. 381 behält in ihrer Edition im vindelsê-Vers die Lesart der Handschrift bei, die das Femininum überliefert. 59 Die Strophe war in den Editionen von Bernhard Joseph Docen (Frauenlobteil S. 268–286), und von der Hagen (Frauenlobteil S. 337–352) nicht enthalten; sie ist vor Stackmann nur von Ettmüller und von Eva Kiepe/Hansjürgen Kiepe ediert worden (Kiepe/Kiepe, S. 30f.), die jeweils vindelsê in den Text setzen. Zur Editionsgeschichte der in J versammelten Texte vgl. Haustein. 60 Ettmüller, Erläuterung zu Strophe 59, S. 302. Ähnlich Huber, Wort, S. 157, Stackmann im Kommentar zu V,38. GA II, S. 755, BMZ II (1866), S. 233.

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wird, ein Kompositum sein, das nach bekannten Regeln, wenn auch mit einem nördlichen -el-Suffix61 für den ersten Bestandteil, gebildet wurde. Das nächste Bild ist klarer. Einen Hügel der Weisheit gibt es in der pseudovergilischen ‚Ciris‘,62 einen Hügel der Tugenden bei Johannes Cassianus63. In der Schriftkommentierung scheint das Bild einen festen Ort zu haben: Hieronymus verwendet es im Jesaja-Kommentar64 und differenziert dabei je nach besonderer Tugend zwischen Berg und Hügel; bei Beda Venerabilis wird im Genesis-Kommentar das Bild vom Berg der Tugend erklärt, das die Höhe der Tugend bezeichne.65 Frauenlobs Klee wächst also auf einem exegetischen Gemeinplatz. Poetisches befindet sich nicht im assoziativen Kreis dieser Metapher, aber dass die hochvart im Bild aus der Tugend erwächst, klärt ihren Begriff, denn sie ist offenbar nicht nur eine Bewegung, sondern auch ein Zustand: Der Klee befindet sich in Ruhe. Die Bilder verlangen, wiederum (zugleich aristotelisch und thomistisch) die Konzeption eines tugendhaften Habitus zu unterstellen, in dem sich die wiederholte Handlung verfestigt. Wenn die hochvart im weiteren Gang dieser Strophe und in den folgenden erklärt werden soll, dann läge es nahe, die Stelle und var uf auf diese gewohnheitsmäßige Bewegung nach oben zu beziehen. Dann dürfte man aber vindel se nicht mehr als mhd. vindelsê lesen und sich ein Gewässer vorstellen, weil die Sprachbewegung vom Hügel zur See eine Abwärtsbewegung nachzeichnet (die später nidervart heißen und abgelehnt werden wird).

1.4 Und wenn es keine vindelsê gäbe? Wenn es das Wort vindelsê nicht gibt, was könnte dann zugrundeliegen? An die Normalisierung und das Verständnis als wendelsê (nach ahd. wentilseo ‚Weltmeer‘, ursprünglich die Vandalensee), hatte schon Ettmüller gedacht, sie aber als sinn-

61 Zu einer parallelen Bildung (vireldach ‚Feiertag‘) und der mnd. Heimat dieser Bildungsweise vgl. Thomas Klein, Verbreitung, S. 98. 62 V. 8: et placitum paucis ausa est ascendere collem (von der sapientia). Ciris ed. Lyne, Textteil S. 69. 63 Johannes Cassianus ed. Petschenig, Coll. 10, cap. 6, S. 292: sed non in illa claritate qua illis apparuit, qui cum ipso possunt in praedicto uirtutum monte conscendere, id est Petro, Iacobo et Iohanni. 64 Hieronymus ed. Adriaen, lib. I, cap. 2,14, S. 36: sicut in bonam partem pro uarietate uirtutum montes appellantur et colles [...] 65 Beda, Hexaemeron ed. Migne, , PL 91, lib. 4, cap. 19, Sp. 179: Sed et juxta intelligentiam spiritale, quia Sodoma flammas vitiorum, Segor modicam adhuc inchoationem bonorum operum, mons altitudinem virtutum designat, necesse est ut [...].

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widrig verworfen.66 Die Suche nach anderen Auswegen aus dem vindel se-Problem führt auf folgende Möglichkeiten:

1.4.1 vintel = afrz. ventaille Die erste, in zwei Varianten zu denkende fußt auf der Beobachtung, dass der Schreiber gerade das Wort munter als munder geschrieben hatte, als er sich an die vindelsê begab. Die Lautform munder ist durch den Reim auf besunder aber gleichsam gesiegelt, sie muss vom Dichter stammen und nicht vom Schreiber.67 Er hat so gereimt. Wenn der Schreiber, wie man seit Bartsch annimmt,68 im niederdeutschen Raum hochdeutsch geschrieben hat, konnte er die Konsonantenverbindungen mhd. nd und mhd. nt auch nicht gut unterscheiden, weil der Unterschied seine heimische Aussprache nicht betraf. Das bedeutet: vindel sê kann auch vintel sê oder vintelsê heißen. Dieser Einfall führt auf die verschiedenen deutschen Graphien und die schon im Französischen homonymen Bedeutungen für frz. ventaille. Das Wort bezeichnet als (von lat. ventaculum hergeleitetes69) Femininum einen Schutz aus Kettengeflecht für Kinn und Mund, das an der Panzerhaube befestigt wird, metonymisch auch die ganze Panzerhaube.70 Überwiegend als Maskulinum und seltener als Femininum bezeichnet ein anderes ventaille, ventele auch eine Schutzmauer, einen Teil einer Schleuse, den Lettner und die Kanzel;71 offenbar wird das Wort für verschiedene abgrenzende Bauwerke verwendet und im Kirchenraum (metonymisch?) auch auf vom Lettner berührte Plätze (Chorraum und Kanzel) bezogen. Diese zweite Gruppe leitet sich von lat. ventalia her.72

66 Ettmüller S. 302 als Erläuterung zu seiner Strophe 59, Vers 13: „an wendelsê, mare Vandalicum (Ostsee), ist jedenfalls nicht zu denken, da sich nicht absehen lässt, was Heinrich dort finden sollte. Der ausdruck vindelsê, oder vielleicht richtiger vündelsê bezeichnet den see der fünde, der erfindungen, also den geist, mit und in dem die erfindungen gemacht werden.“ 67 Objartel S. 148f. dokumentiert für die Strophen des Meißners in J, dessen Werk vielfältige Verbindungen zu dem Frauenlobs hat, auch den Reim wandel : mantel (in den angleichenden Schreibungen mantel : wantel und mandel : wandel). 68 Vgl. Bartsch, S. 91; Thomas Klein, Verbreitung, S. 73; zur Einordnung und parallelen Fällen Klein, Niederdeutsch und Hochdeutsch, S. 204–207; zuletzt mit Vergleich der vorliegenden engeren regionalen Einordnung Czajkowski, bes. S. 35–38. 69 Vgl. Du Cange, Bd. 6, Sp. 1475f. 70 Tobler-Lommatzsch 11, Sp. 187. 71 Tobler-Lommatzsch 11, Sp. 189. 72 Du Cange, Bd. 8, Sp. 273a.

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In den deutschen Ritterroman ist das Wort als Sachbezeichnung für den Teil der Rüstung übernommen worden, es kommt durchaus nicht selten vor.73 Aber Frauenlob als gelehrtem Dichter wäre freilich auch das seltenere französische oder lateinische ventele/ventalia jederzeit zuzutrauen.74 Immer ergibt sich für die Frauenlobstelle aber ein Betonungsproblem, dem ich im Folgenden nachgehe, um grundsätzlich zu klären, ob dieser Fremdwortgebrauch an der Frauenlobstelle denn grundsätzlich in Frage kommt. Die Formen für ventaille sind in deutschen Texten nach dem Ausweis der Über­ lieferung durch das 13. und 14. Jahrhundert hindurch und noch im 15. in Betonung und Lautung offenbar variabel; sie entfernen sich, wie es bei entlehnten Wörtern häufig ist, von der Aussprache und vom Betonungsmuster der Herkunftssprache. Da iterierende Varianten wie zum Beispiel ein apokopiertes oder vorhandenes e in kaum einer Edition verzeichnet werden, aber die Silbenstruktur und damit den rhythmischen Fall eines Verses verändern, ist einige Sicherheit im Befund nur für Volltextkollationen erreichbar, die für ältere Editionen jedoch in der Regel nicht mehr zugänglich sind. Eine sehr freundlich und hilfreich beantwortete Anfrage bei Michael Stolz und seinem Berner ‚Parzival‘-Projekt nach den vier Belegen für das Wort ventaille im ‚Parzival‘75 führt denn auch auf handschriftliche Verhältnisse, die in Lachmanns Lesartenapparat nicht annähernd abgebildet werden. Die 16 Textzeugen, die für die erste Stelle (44,4) das Wort vinteile oder eine Entsprechung dazu überliefern, verteilen sich (mit Ausnahme der zwei, die es nicht kennen und etwas anderes schreiben: wemteylen Q und vinculen W) auf zwei Typen des überlieferten Wortlauts: si enstríchte dér Fintálen bánt D (so auch O, R, T, U, V, Z, Fr 21)76 und si entstrícht im dér phintéilen bánt G (so auch m, n, o, L). Der erste Typ tendiert, wie ich es oben schon markiert habe, unter der Voraussetzung von Elision am Versanfang zur Betonung des Fremdworts auf der zweiten Silbe. Nur im Fragment 21 sieht es so aus, als sei ein deutsches Diminutiv anzusetzen und folglich zu betonen Sí enstrícte der pfíntelein bánt. Ganz unsicher ist M, wo der Artikel fehlt: Sí onstrícte phintéilen bánt oder Si onstrícte phíntèilen bánt oder Sí onstrícte phínteilen bánt? In der Erwägung dieser Möglichkeit zweifelt man auch an der bisherigen Mehrheitsdeutung: Ist denn die bisher für den D-Typ vorausgesetzte 73 BMZ III, 325 vintâle, vinteile mit Belegen aus Wolframs Parzival und Willehalm, Ulrichs von Zatzikhofen Lanzelet, Heinrichs von dem Türlin Krone. Wolfgang Achnitz verdanke ich den Hinweis auf Rudolf von Ems, Alexander ed. Junk, 21233. 74 Vgl. Suolahti; Rosenqvist. Mit solchen Wortformen hatten schon die zeitgenössischen Schreiber Schwierigkeiten, wie Stackmann am Beispiel von gepartiret zeigt, vgl. Stackmann, S. 388. 75 Vgl. Suolahti, Bd. 2, S. 322. 76 Die Siglen entsprechen den im Parzivalprojekt unter Leitung von Michael Stolz verwendeten. Vielen Dank an ihn und seine Mitarbeiter!

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Elision, die den Vers auftaktig macht, immer zwingend? Monophthong e in der zweiten Silbe und einfacher folgender Konsonant in R lassen eher Abschwächung vermuten, was allerdings die Elision zwischen Sy und en- unterliefe; wenn jedoch Abschwächung zu denken ist, muss man wohl lesen Sý entstríctte der fíntelen bánd. Auch im Typ mit ime/im gibt es solche Ausnahmen: Mit vier Hebungen heißt der Vers in n wohl: Su enstrícket ʹȷ me der fántelen bánt. Die nächsten drei ‚Parzival‘-Stellen (256,9; 260,12; 575,19)77 mit dem Fremdwort fasse ich zusammen. Immer bleibt Dreisilbigkeit mit mutmaßlicher Betonung auf der zweiten Silbe die Dominante, aber immer gibt es auch Ausnahmen. Für 256,9 haben zwei Handschriften (M und Z) eine zweisilbige Variante. Man kann entweder mit Elision und Hebungsprall lesen: er enstrícte díe finttéiln sýn M, oder aber ohne Elision: ér enstrícte die fíntteiln sýn. Das kommt mir wahrscheinlicher vor, weil der andernfalls anzusetzende Hebungsprall formal ins Leere liefe und semantisch nicht gestützt wäre. Auch Q ér enstrúcte die sínteiln séin geht sicher auf eine Vorlage mit finteiln zurück. Was hat der Schreiber wohl gelesen? Ein sonst nicht bekanntes Kompositum sin-/sint- + -teil? Dann hat er wohl vor sich hingesprochen ér enstrúcte die sínteiln séin. Oder war es ein reines graphisches Versehen? Dann dachte und hörte er fínteiln. Für 260,12 gibt es in der Handschrift W eine Graphie, die für Abschwächung spricht und die Betonung auf der ersten Silbe nahelegt: Die víntelèn er fúr sich bánt. W schreibt an einer anderen Stelle, 575,19, wiederum eine Form, die an das Diminutiv angelehnt ist: vnd dar zů die vintelein – das kann man eigentlich nur alternierend lesen und vínteléin betonen.

Es herrscht bei den Schreibern offenbar eine große Unsicherheit bei diesem Fremdwort, schon in der Graphie: f oder ph im Anlaut, i oder ei in der ersten Silbe, a, e oder ei/ai in der zweiten Silbe, Betonung irgendwo. Das Wort war offenbar im 13. Jahrhundert nicht unbekannt, aber es blieb lautlich, im Betonungsmuster und in der Graphie sehr elastisch, obgleich ich nur Belege angeschaut habe, in denen eine ähnliche Bedeutung (die des Kinnschutzes) zu unterstellen ist. Deutsche Texte, die eher das klerikal-gelehrte ventaille, ventele für ein trennendes Bauwerk oder einen Teil davon oder aber als Bezeichnung für die Kanzel aus dem Französischen übernähmen, habe ich nicht gefunden – vielleicht ist aber Frauenlob das eine Beispiel dafür. In jedem Fall handelt es sich um einen Bereich des ursprünglich an die französische oder lateinische Fremdsprache gebundenen, höfischen oder klerikalen Sonderwissens, über das nicht die gesamte Sprachgemeinschaft, auch nicht das gesamte Publikum und nicht jeder Schreiber, ohne weiteres verfügte. Es passt ins Bild, dass im ‚Willehalm‘ 408,4 zwei Schreiber sogar fantasien für finteilen schreiben.78 Es handelt 77 Die Stellen bei Suolahti, Bd, 2, S. 322. 78 Vgl. Lachmanns Apparat zur Stelle und Suolahti Bd. 2, S. 349. Das Wort fantasie wiederum kommt auch bei Frauenlob vor, und zwar im Minneleich (III,4,1: Sprich diner fantasien zu).

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sich um die für die Sachgeschichte der finteile wichtige Stelle, an der die Ausrüstung des alten, aber kampfstarken Heimrich von Narbonne beschrieben wird: ohne ventaille und barbiere, also ohne Schutz für Kinn und Wangen, mit einem altertümlichen Helm mit Nasenband.79 Das heißt: Angesichts der vorgeführten Graphien der ‚Parzival‘-Handschriften scheint mir vintel für die ventaille möglich, denn mhd. fintele ist ja bezeugt, zweisilbe Varianten wie finteil sind es auch. Aber führt eines der Lexeme auf einen sinnvollen Satz? Das lässt sich nur im Zusammenhang mit der anschließenden Hochvart-Passage betrachten.

1.4.2 ventaille = Kinnschutz am Helm Die vom ventaculum herrührende ventaille bezeichnet um 1200 eher einen vom Helm getrennten, zu bindenden Rüstungsteil, der das Gesicht schützt und im Laufe des 13. Jahrhunderts in verschiedenen Varianten mit dem Helm verschmilzt, bis sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts das Klappvisier durchsetzt, das die Funktion der ventaille mitübernimmt und dadurch ebenfalls mit diesem Wort bezeichnet werden kann.80 Trotzdem weisen die deutschen Texte einen Schwerpunkt auf dem Denotat ‚Kinn- und Mundschutz‘ aus. Durch dieses Wort würde das Ritterwesen in die Strophe importiert. Es ergäbe sich (zur besseren Übersicht steht der Vorschlag in normalisiertem Mittelhochdeutsch):



hie bî sô wird ich munter und var ûf eine vintâl, sihe: hôchvart ist ûf der tugenden lê ...

Die 1. Sing. Ind. Präsens auf -ë- ohne Hebung ist in der 5. Ablautreihe md. häufig81 und auch in Großes md.-nd. Handschriften bezeugt.82 Kontraktion von -ehe- zu -ē und Reim auf altes ê ist ebenfalls md. nicht ungewöhnlich.83 Stackmann ediert nach W, wo das Wort fanthasien heißt; in der Weimarer Handschrift F heißt es vocasia. Ich teile diesen Fund mit, weil er erhellt, wie weit Überlieferung abweichen kann und welchen Zufällen sie unterworfen ist, wenn der sprachliche Befund über das dem Schreiber Geläufige hinausgeht. 79 Willehalm ed. Lachmann (5. Ausgabe 1891), 408,1–7: Dô kêrte künec Cernubile/ gein dem der wîz sô den snê/ ime strîte truoc den bart,/ mit der finteilen niht bewart./ Heimrîch was undern ougen blôz:/ diu barbier ez niht umbeslôz:/ sîn helm et hete ein nasebant. Vgl. Vorderstemann, S. 345. 80 Vgl. Siebel, S. 98–102. Zum Afrz. vgl. Tobler-Lommatzsch 11, Sp. 187. Entlehnungswege werden bei Vorderstemann, S. 345f. erwogen. 81 Weinhold, Mhd. Gramm. § 347, S. 352; Paul/Klein/Solms/Wegera § E 34, S. 46. 82 Große § 153, S. 105. 83 Paul/ Klein/ Solms/ Wegera § L 80, S. 139f.

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Nun hängt das weitere Verständnis davon ab, ob man varn mit der Präposition ûf liest oder ûfvarn. Mhd. varn ûf mit persönlichem Ziel ‚sich (in Krieg oder Fehde) wenden gegen‘ ist gut belegt (z.B. ûf röuber varn Wilhelm von Wenden 5910).84 Zunächst setze ich probeweise diese Bedeutung an. Bei Konrad von Würzburg, also einem zeitlich und stilistisch vergleichbaren Autor, gibt es die Wendung mit unpersönlichem Ziel. Der Halbsatz heißt bei Konrad: daz ich behabe mîn êre/ unde ir iuwer gelt bewarnt/ dar ûf die leiden vînde varnt/ mit gewalticlîcher hant (Partonopier 18842–18845). Man müsste für dieses Verständnis von varn ûf eine Metonymie ansetzen; das Ich wendet sich gegen einen gerüsteten Gegner, von dem es nur einen Teil des Helms benennt: ‚und wende mich gegen einen Kinnschutz‘. Frauenlob spielte, wenn die Stelle so gemeint wäre, mit den Richtungswörtern: ‚Auf etwas fahren‘ wäre eben nicht mit einer Richtung nach oben verbunden, wie man aus den primären Bedeutungskomponenten konstruieren könnte: Dass semantische Erwartungen durchkreuzt würden wie für hochvart, passt gut. Die etwas mühsame Metonymie muss nicht stören, wenn man es mit einem Dichter zu tun hat, der gesuchten Ausdruck im Zweifel vorzieht. Aber wer ist der gerüstete Gegner? Er kommt sonst im Bild nicht vor und wäre assoziativ nur dann unterzubringen, wenn man einen anderen Dichter fände, der dezidiert eine Gegenposition zu den sprachlogischen Prämissen der Strophe vorgebracht hätte. Für den Moment wüsste ich nichts Passendes anzugeben, aber hier wäre eine Möglichkeitsstelle offenzuhalten. Schließlich wird man transitives ûfvarn erwägen, also übersetzen:85 ‚und fahre die Ventaille auf ‘. Das ist in der Übersetzung ein Wagnis, denn diese Bedeutung habe ich so früh nirgends finden können. Aber gesetzt, es handele sich um eine okkasionelle Bildung: Man handelt sich damit sogleich wieder Unstimmigkeiten ein. Eine Ventaille hindert ja das Sehen nicht, sondern erschwert allenfalls das Gesehenwerden. Zudem würde bei diesem Verständnis eine sprachliche Parallele zwischen Aufheben und hoher Lebensart (ûfvarn und hôchvart) entstehen, die aber semantisch ins Leere läuft. Damit scheint die ventaille, solange man keine sprachlogisch-spruchdichterliche Polemik anschließen und die ventaille auf einen Gegner deuten kann, zunächst nicht als Konkurrenz der vindelse in Betracht zu kommen.

84 Zu varn mit Präpositionen BMZ III, S, 245f. Ulrich von Eschenbach ed. Toischer, V. 5910, S. 166. 85 Der Einfall stammt von Wolfgang Achnitz, dem ich dafür und für den Austausch darüber herzlich danke.

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1.4.3 ventaile, ventele ‚Trennwand, Lettner, Kanzel‘ Denkt man nicht an den Rüstungsgegenstand, sondern an das zweite, homonyme afrz. ventaille, ventaile, ventele, ein Wort, das zwar im allgemeinen als Maskulinum, aber bisweilen auch als Femininum vorkommt,86 so hat man bereits im Französischen die belegte Schreibung ventele auf seiner Seite und zugleich auch eine Bedeutung ‚Kanzel‘,87 die immer mit einer Aufwärtsbewegung assoziiert werden muss. Das varn + ûf wäre dann in der räumlichen Grundbedeutung zu verstehen. In gleicher Normalisierung wie eben Geschriebenes könnte man also auch übersetzen: ‚dabei werde ich munter, steige auf eine Kanzel, sehe... .‘ Das gibt guten Sinn, und ein persönlich gegenwärtiger Gegner muss nicht mehr hinzugedacht werden: Das Ich stilisiert sich als Prediger, wenn es verkündet, dass das Aufwärtsstreben, hôchvart, etymologisch gedacht werden und richtig als etwas Gutes aufgefasst werden soll. Diese Umwertung des Begriffs würde im Sprachbild mit einer Aufwärtsbewegung ûfvarn verbunden. Denn Frauenlob hat gleichsam die Wahl, an welchen Dichtergebrauch er sich anschließen soll: Das Wort wird im höfischen Roman sehr unterschiedlich verwendet.88 Von den 5 hôchvart-Belegen in Hartmanns ‚Iwein‘ haben vier eine superbia-nahe Bedeutung,89 einer steht eher für die konkrete Anmaßung und Aneignung einer Herrschaft: Laudine sagt zu Iwein, sie sei mit ihm bewart/ vor aller vremden hôchvart 2325f. - also: vor den Wirkungen fremder Unternehmungslust. Bei Heinrich von dem Türlin ist die hôchvart durchgängig ein positiv bewerteter Bestandteil der Adelskultur, der sich eher auf Repräsentation als auf Intentionen bezieht: Krone vv. 10119-10123: Do die vürsten alle warn chomen, Die den hof heten vernomen, Mit mänlicher hohvart, wan beitet seinr zuovart [...].; vv. 16756f.: Vnd da von zerstört wart Dirre freuden

86 Tobler-Lommatzsch 11, Sp. 189. 87 Vgl. Albert, bes. S. 180f. Albert bringt mehrere, in dieser Bedeutung unstrittige Beispiele aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, die jedoch zugleich einen regionalen Schwerpunkt (in der Gegend um Valenciennes) aufweisen; er vermutet S. 181 mundartliche oder dialektale Herkunft dieser Form. 88 Gegen die einseitige Orientierung an Spruchdichtung, also eine Betonung der Abweichung von einem superbia-nahen Sprachgebrauch bei der Verwendung von mhd. hôchvart, hatte sich auch Huber, Wort, S. 157 gewandt. 89 Hartmann, Iwein ed. Benecke/Lachmann, vv. 713–715: mirn wart von iu niht widerseit, und habent mir lastelîchez leit/ in iuwer hôchvart getân; vv. 4962f.: mich sterket vaste dar an/ iwer reht, und sîn hôchvart; vv. 5659–5662: ich suoche den künec Artûs/ und vinde ouch kempfen dâ ze hûs/ der mich vor dîner hôchvart/ durch sîn selbes tugent bewart; vv. 6038– 6040: unde enhât daz niht verlorn/ durch hôchvart noch durch trâkheit/ daz si niht selbe nâch iu reit. Die negative Bewertung der bezeichneten Haltung wird von der umgebenden Geschichte mitgeprägt, beispielsweise im ‚Gregorius‘ (305, 2196).

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hochfart [...].90 Ebenso verwendet Ulrich von Zatzikhoven im ‚Lanzelet‘91 das Wort: ez schein an sîm gezelde sîn tugentlîchiu hôhvart vv. 2834f., swaz uns iender ist geseit von hôhvart oder von schalle – daz sult ir merken alle – des was ze Dôdône mê [...] 9230-9233. Während sich der positive Sinn durch Etymologie und allgemeine Richtungsmetaphorik begründen lässt, ist das beim negativen Sinn des Übersetzungswortes nicht der Fall – vielleicht greift deshalb auch die letzte Strophe des Bars GA V,41 (Hochvart und übermut, die sint vil ungelich) den Unterschied wieder auf und erklärt ihn genauer. Hier wird übermuot ausdrücklich an den Engelssturz und also an die superbia gebunden, darauf wird unten noch genauer eingegangen werden. Die Pointe der Bildlichkeit der ersten Strophe bestünde, wenn das Verständnis von ûfvarn mit der positiven Bewertung der hôchvart verbunden ist, bei Annahme von afrz. ventele = Kanzel darin, dass ein Ich auf eine Kanzel steigt, also an einen Ort, der mit geistlicher Autorität verbunden ist, um gerade von dort aus einen Begriff der Volkssprache, der ein ritterliches Ideal benennt, vom Übersetzungswort deutschsprachiger Didaxe abzugrenzen. Nicht nur der Name des Ritterideals, sondern auch das Ideal selbst erscheint vernunft- und erkenntniskonformer als die — das wird implizit vorausgesetzt — eingebürgerte falsche Gleichsetzung zwischen hôchmuot und übermuot, also als die Verdammung ritterlicher Lebensweise als gegen die christliche Demut gerichtet. Das ist recht stimmig, aber es setzt voraus, dass das Publikum mit dem Wort ventele auch eine Kanzel verbindet. Für Hörer, denen die altfranzösische Vokabel vertraut ist, dürfte es kein Problem sein, die anderen Bedeutungsvarianten (also Trennwand oder Lettner) auszuschalten, weil sie durch die Präposition ûf auf horizontale Bewegung hingewiesen werden. Dennoch wird die Kenntnis des Wortes im deutschen Sprachgebiet nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können, weil es keinen besonderen Anreiz gibt, das Wort zu übernehmen (anders als bei den Bezeichnungen der höfischen Kampfkultur). Diese Erwägung schwächt wiederum die Überzeugungskraft des Vorschlags beträchtlich. Er hat den Vorzug stimmiger Bildlogik, aber den Nachteil, dass diese Stimmigkeit an ein nicht im ganzen deutschen Sprachgebiet verständliches Fremdwort gebunden wäre.

90 Krone I ed. Knapp/Niesner. Vgl. auch Krone II ed. Ebenbauer/Kragl vv. 29807–29809: Zū hant ein hoff gebotten wart, Der mit micheler hochfart, Deswar, wart fùr gekert. 91 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet ed. Kragl. Die textkritischen Auszeichnungen werden im Zitat übernommen.

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1.5 Nicht vindelsê, sondern vündel, sihe (omd. vindel, sê) Meine letzter Vorschlag versteht ûf varn als ‚sich plötzlich aufrichten, aufspringen‘ (wie Êrec 659892: er vuor ûf von der bâre, Vorauer Alexander 1138 (1151)93 mit zorn er ûf fuor).94 Man müsste dann das handschriftliche vindel als Verbum, nämlich als Form von vündeln, auffassen. Zum leichteren Verständnis zunächst in normalisiertem Mittelhochdeutsch: und var ûf eine, vündel, sihe: hôchvart.... = ‚und ich fahre einsam hoch, entdecke und sehe: hôchvart‘... In einer korpusabhängigen Normalisierung ähnlich derjenigen der Göttinger Ausgabe läse sich das so: und var uf eine, vündel, se: hochvart.... Zu se für mhd. sihe 1. Sg. Präs. von sëhen waren schon oben Überlegungen angestellt worden:95 Die Form ist md. nicht anstößig. Ob man sich ‚regional nicht ungewöhnlich‘ zugleich mit ‚für den dorther stammenden Dichter durchaus erwartbar‘ übersetzt, ist eine schwierige Frage. Es gibt in einer Gegenstrophe ein Parallel- und zugleich Kontrastbeispiel, in dem das Kontraktionsprodukt aus -ehe- auf æ reimt:96 GA V, 121 G vv. 13-19, wo es von der glose heißt

Sit daz sie unvermuret stet und ieslich sin sie wol bevet,97 der text mir jet, swer ir list spet, daz er den sin nicht überset. hie drische ich, daz du hast gemet.

92 Zählung und Lautung der Ausgabe: Erec ed. Mertens. 93 Zählung und Textgestalt der Edition von Elisabeth Lienert (in Klammern Kinzels Zählung, vgl. Alexander ed. Lienert, S. 35). 94 Wilhelm Müller fasst diese Bedeutung wohl mit der allgemeinen Aufwärtsbewegung zusammen, denn er bringt einen Passionalbeleg Pass. K 448,16 daz er ûf vûr wol gesunt und übersetzt mit ‚aufstand‘, BMZ III, 246. 95 Vgl. vorn Anm. 79, Anm. 80. 96 Zwierzina, Mhd. Studien II, S. 286–295 und Paul/Klein/Solms/Wegera § L 80, S. 140 geben an, dass dieser Reim am ehesten bei ostfränkischen und Deutschordens-Dichtern vorkommt. 97 Stackmanns Ausgabe hat hier einen Punkt, ich finde ein Komma nach dem Satzbau einleuchtender.

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‚Weil sie unvermauert dasteht und jeder Verstand sie leicht erfasst (mhd. bevâhen),

sagt (mhd. giht, von jëhen) mir der Text: Wer ihre Klugheit anschaut (mhd. spëhen), dass der den Sinn nicht übersieht (mhd. sihet, von sëhen). Hier dresche ich, was du gemäht (mhd. mæjen) hast.‘ Thomas hat nicht nur aus inhaltlichen Erwägungen, sondern auch aus diesen landschaftlich gebundenen Reimen geschlossen, dass die Strophe nicht echt sei;98 Wachinger folgt ihm darin,99 auch Stackmann kennzeichnet die Strophe als Gegenstrophe. Rettelbach arbeitet Bezüge in der Vergoldungsmetaphorik heraus, sieht die Strophe aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der, wie er in dem Aufsatz nachweist, fremden und parodistischen ‚Selbstrühmung‘, sondern eher als locker dazugehörige Ergänzung von J.100 In dieser nach allgemeiner Auffassung fremden Strophe reimt aber über h kontrahiertes ē auf æ und ë. Bewusst so? Weil ein Verstoß imitiert werden und dem Dichter vorgeworfen werden soll? In der ein Walther-Motiv aufnehmenden,101 in C unter Boppes Namen überlieferten Strophe im Neuen Ton ‚ich saz ûf einer grüne‘ (GA VII,15) reimt V. 6 und V. 12 ger : swer, also ē < mhd. ë mit Dehnung auf mhd. æ.102 Ist die Zuschreibung dieser Strophe dann unter diesem Gesichtspunkt zu überdenken? Für die ē : ê - Reime zeigt Morungens Vorbild, dass das Skandalon nicht so groß gewesen sein kann: sêt 3. Sg. Ind. Präs. auf gêt in ‚Diu vil guote‘ (MF 136,30f.).103 Andere Reime verschiedener e-Qualitäten104 sind in den Frauenlobkorpora mehrfach bezeugt: Nur wenige Verse zuvor reimte (vv. 10 und 11) vlechte : geslechte, also das ë des Konj. Präs. in der 3. Sg. auf Umlaut-ę, das in der Lautqualität als geschlossener, i-artiger gilt.105 Die in F überlieferte Strophe GA XI,15 (Swen Ere cleiden wil) reimt v. 1 und v. 17 Swen : geschen (aus geschehen).106 Der Reim den : spen < spëhen, also von gedehntem ē < ë auf kontrahiertes ëhe, taucht im Grünen Ton in einer Strophe auf, die C Boppe zuschreibt (Einz brachte [...] zwei durch eine, GA VII,6,): nature, wisheit sint durch den, / den nicht kunde ummevahen [...] : die dri in einem got wir spen (8-10).107 Der Fall liegt zwar nicht in grammatischer,

 98 Thomas, S. 16.  99 Wachinger, Sängerkrieg, S. 274. 100 Rettelbach, bes. S. 182, S. 190. 101 Vgl. Wenzel, Souveränität, S. 179–184. 102 Dieser Reim auch in GA VI,8 ( J 65, Ettm. 325), vgl. Thomas, S. 191. 103 Joesten, S. 43 weist auf Morungens Reim sê : owê MF 128,4 hin und listet S. 43f. eine Reihe anderer thüringischer Belege aus literarischen Texten. 104 Vgl. für Frauenlob Thomas, S. 172–175. 105 Vgk. Paul/Klein/Solms/Wegera, § L 28. Dieser Reim taucht bei Frauenlob mehrfach auf, aber sonst besonders vor Liquid und Verschlusslauten, vgl. Thomas, S. 172f. 106 Vgl. Thomas, S. 174. 107 Vgl. Thomas ebd., S. 174f. Thomas weist S. 175 Anm. 257 darauf hin, dass die abweichende Lesart der Kolmarer Liederhs. t aus dem 15. Jh. (vgl. GA I, S. 102f.), nämlich vnverwent : gespent, möglicherweise als lectio difficilior aufzufassen sei.

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aber in stilistisch-systematischer Hinsicht ähnlich wie beim Reim von vindel sē = mhd. vündel, sihe auf mhd. ê. Beide Reime liegen nicht im Zentrum der in den Frauenlobkorpora gewöhnlichen Reimformen, sind aber darin belegt.

Das Verbum vündeln ist als substantivierter Infinitiv bei Wittenwiler im Ring in der Bedeutung ‚nachforschen‘ belegt108 und einmal in Frauenlobs Kurzem Ton in der Strophe XIII,6, die in der Weimarer Liederhandschrift überliefert ist und voller Rätsel steckt.109 Stackmann gibt die Bedeutung von vündeln im Wörterbuch an mit „Erfinden im Bereich der Dichtkunst“.110 Ist das eine zirkelschlüssige Übersetzung? Steckt die Dichtkunst wirklich schon in dem Wort oder eher zufällig in der textuellen Umgebung? Das kann für die Beurteilung der vindel se-Stelle wichtig sein. Ein kleiner Exkurs zur Strophe XIII,6 steht im Anhang dieser Untersuchung. Ich nehme den Ertrag vorweg: In dem Bild eines Webstuhls, das die Strophe GA XIII,6 aufbaut, muss das vündeln nicht zwingend auf die rhetorische inventio oder auf das Erfinden bezogen werden. Zwar geht es um der worte vündeln, aber der Bezug auf das Wort muss noch einmal eigens benannt werden, steckt also nicht mit genügender Genauigkeit schon im Verb.111 Eine engere Einschränkung von vindel- auf die Bedeutung ‚Erfindung‘ oder auf die Übersetzung von inventio kann man folglich mit der im Anhang gemusterten Strophe im Kurzen Ton nicht begründen, weil sie dazu einerseits zu stark von Sprach- und Wortgebrauch in einem allgemeineren Sinne handelt, andererseits die Metaphorik zu stark ins Textile abbiegt.

1.6 Abschließendes zu vindel se Es zeigte sich im Vergleich der Verwendungsweisen von vündeln, dass mit dem Verbum der Prozess beschrieben wird, der zu dem Gefundenen oder Herausgefundenen führt. Das heißt für die vindel se-Stelle: Die See des Herausfindens ist als mögliche Metapher nicht plausibler geworden, aber die Gründe derer, die an sie 108 Röcke gibt in Wittenwiler ed. Röcke S. 180 als handschriftlichen Text aus cgm 9300, 24vb: Daz sibend ſam der lerer spricht/ Jst das zweiueln īn der gſchrift/ Jst daz er sich nicht betragen/ Lat an fundlen vṅ an fragen. Die Stelle entspricht ed. Wießner 3904–3907 (bei Röcke mitabgedruckt), wo der Umlaut gekennzeichnet ist: an fündlen und an fragen 3907. 109 Stackmann schreibt daher im Kommentar: „Der ursprüngliche Wortlaut scheint stark entstellt zu sein“. GA II, S. 998. Vgl. unten S. 65–68. 110 GA Wörterbuch, S. 445. 111 Röll 2004, S. 270–272 versteht fündeln dagegen in der Analyse derselben Strophe durchaus als eine fachsprachliche Vokabel der Rhetorik und Poetik.

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glauben, sind auch nicht völlig entkräftet. Keinesfalls handelt es sich aber um eine privilegierte und besonders wahrscheinliche Verständnisweise. Die Variante var ûf, vündel, sihe, in der Normalisierung der GA var uf, vündel, se, ist für GA V,38,13 von allen erwogenen Möglichkeiten diejenige, für die man weder Konjekturen noch abweichende Lesungen der Handschrift noch die Annahme eines hapax legomenon braucht. Sie ist auch sinnvoll, denn die Lesung von vündel als Verbform lässt sich nicht nur innerhalb des Frauenlobkorpus begründen, sondern sie passt auch zu der bei Wittenwiler bezeugten Bedeutung – man könnte problemlos übersetzen: ‚ich schrecke allein hoch, finde heraus und sehe ein‘. Ab der Mitte von Vers 12 ergäbe sich dann: ‚Dabei werde ich munter und schrecke allein hoch, finde heraus und sehe ein: Hohe Lebensweise ist ein blühender Klee auf dem Hügel der Tugenden, den nie ein Schnee der Schande fahl werden lässt. Ihr Name bekundet die Ausrichtung am Hohen, ihre Wesensart und auch ihren hohen Rang. Das soll euch nicht wundern.‘

2. Die zweite Strophe: Hochvart, die kan nicht komen in snöder herzen wesen Die zweite Strophe des Bars in J ist am Anfang (6 Verse auf fol. 105r am unteren Rand, der Spruch geht am Rand von 105v weiter) besonders schwer zu lesen, denn die Umwendezone des Blattes ist abgegriffen, und wie bei Wort sint der dinge zeichen waren auch hier die weggeschnittenen Ränder teilweise noch beschrieben. Den Buchstabenbestand in J verwandelt Stackmann als V,39 in den folgenden edierten Text:



5



10



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Hochvart, die kan nicht komen in snöder herzen wesen. ir wurzelvesen, die han naturen durchsüzet, daz sie nicht engrüzet niur hoher mut und edeler sin. wan die hochvart büzet kein missetat, die kan ir nicht verdienen noch verschulden. Ouch wizzet, al untugent, die [...] heizet billich nider: den ist sie wider. die hochvart kan nicht swachen, sie kan hoher machen und aber hoher, immer hoch. nicht mit nideren sachen ist sie gezogen. ir süzer site kan allez adel vergulden:

Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift



Ein edelez tier, ein edeler boum, die haben von art ouch edelen goum 15 – unertic soum birt nideren zoum –, ein ertic grunt, kern edelen roum; alsus die hochvart sunder troum an allen edelen herzen tut ir melden und ir hulden.

In der Handschrift ist das mutmaßliche Wort komen im noch erkennbaren m durchgeschnitten; in Vers 3 lese ich in J hant natu|; im Vers 6 schreibt die Handschrift kan er, Vers 7 beginnt in J mit ouch wizzent, in Vers 16 heißt es in der Handschrift nur bir. Ansonsten lese ich den Text wie Stackmann. Dass daraus unter Umständen andere Wörter und andere Sätze entstehen, wird sich im Folgenden ergeben. Denn die Strophe gibt viele Verständnisschwierigkeiten auf, insbesondere in den Versen 14 bis 17.112 Einen Anhaltspunkt, wie man sie zumindest teilweise auflösen könne, liefert eine korrigierte Verschreibung in Vers 7. Hier hatte der Nachtragsschreiber in J auf fol. 105v nach al vntugent. die bis dicht an den Schriftblock des schon fertigen Hauptcorpus weitergeschrieben, und zwar die deutlich zu lesende Silbe hie. Die hat er möglicherweise danach zu tilgen versucht – es sieht wie der Versuch einer Rasur aus. Darunter schreibt er auf neuer Zeile weiter: heizet. Die Verschreibung und Korrektur scheint zu dokumentieren, dass der Schreiber ein ē, z.B. in hēt, vor sich hatte und Übung damit, diesen Laut – je nach Wort und Etymologie – unterschiedlich umzusetzen, oft in ie oder ei (entsprechend mhd. ie und mhd. ei).113 Das betrifft den Schreiber; jedoch zeigen auch die Reime, dass die nd.-hd. Sprachgrenze das Verständnis möglichst wenig hindern soll. Vielmehr betritt man, wie sich sogleich zeigen wird, beim Versuch der Bedeutungserschließung wie von selbst bald das eine, bald das andere Sprachgebiet. Die Verse 2–5a in der GA (ir wurzelvesen,/ die han naturen durchsüzet,/ daz sie nicht engrüzet/ niur hoher mut und edeler sin) bedeuten: ‚Ihre (der hohen Lebensweise) Wurzelfasern haben die Natur mit Süße durchdrungen, so dass nichts sie so freundlich empfängt wie Hochherzigkeit und Edelsinn.‘ Durchsüßen: Die Natur ist also durch die Grundlagen der Lebensweise zu beeinflussen. Das ist nicht der Naturbegriff des Alanus, der eher den Menschen als die Gattung betrifft (denn der Mensch soll im ‚Anticlaudianus‘ als Gattungswesen besser neu geschaffen werden).114 Das ist insofern auffällig, als Frauenlob Alanus 112 Vgl. Stackmann im Kommentar, GA II, S. 756. 113 Zu den mnd. e-Lauten und ihren Graphien vgl. Lasch § 110–117, S. 77–80. 114 Zu Frauenlobs Rezeption des Naturbegriffs des Alanus vgl. Vgl. Krayer S. 26–54; Huber, Alanus, S. 136–199; Krewitt S. 29f., Grubmüller, natûre.

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nachweislich kennt, hochschätzt und motivisch zitiert.115 Aber so wie in dieser Strophe heranzugehen ist im Horizont mittlerer Bildung auch keineswegs unmöglich, denn der Gedanke, dass die Lebensweise und die Gewohnheit auf die Natur des Menschen zurückwirken und sein Leben gemäß seiner vernünftigen Natur fördern oder einschränken, wird von verschiedenen Autoren behandelt; man könnte z.B. an Cicero denken, der im 5. Buch von ‚De finibus‘ über die Natur des Menschen nachdenkt und den Einfluss des alltäglichen Verhaltens auf die Fähigkeit, nach seiner Natur zu leben, genauer: seiner Vernunftnatur zu folgen, einräumt.116 Es könnte durchaus einen Unterschied ausmachen, ob man sich Frauenlob oder den Dichter, der hier in Frauenlobschen Formen dichtet, als einen Gelehrten auf der Höhe der Zeit vorstellt, der auch in der Lage ist, eigene Akzente zu setzen (so stellte es sich für die erste Strophe dar), oder ob ein Dichter mit dem üblichen Lektürepensum klassischer Autoren ausgekommen wäre, um in einer Strophe eine bestimmte Position zu vertreten. Das ist hier in der zweiten Strophe der Fall: Die Auffassung von der verändernden Kraft der wiederholten Tat könnte durchaus im Grundzug aristotelisch sein und dem entsprechen, was Thomas von Aquin in seiner theologischen Summe (I-II qq. 49-56) über den habitus lehrt, und das ist wissenschaftlich um 1300 noch keineswegs veraltet; aber in der Allgemeinheit, in der das Bild von der durchsüßten Natur formuliert wird, würde es hinreichen, Cicero gelesen oder gehört zu haben und sich mehr oder weniger bewusst an dessen stoischen Grundsätzen gebildet zu haben. Im Bild wird zuerst die Vorstellung einer Pflanze aufgerufen, deren Wurzeln die Natur versüßen, weshalb die Natur der Boden sein muss. Nun werden Hochherzigkeit und Edelsinn personifiziert, und sie grüßen jemanden, dessen Name ein Femininum ist. Diese Dritte muss also gleichfalls personifiziert gedacht sein. Grammatisch liegt die nature als Bezugswort am nächsten, auch wenn sie sich gewissermaßen eilends aus der Erde in eine Person verwandeln muss, denn es stehen bei dieser Auffassung in Vers 3 und Vers 4–5 zwei ganz verschiedene Bilder für Natur nebeneinander. Es wäre aber nichts an bildlogischer Konsequenz gewonnen, wenn man an die syntaktisch weiter entfernte Hochvart als die Begrüßte dächte, denn die Hochvart hat Wurzeln, sie ist also in Vers 1 und 2 unter dem Bild einer Pflanze dargestellt, während die Begrüßung einer Person gilt. Man muss also vernünftigerweise dabei bleiben, dass die Natur zuerst von Wurzeln der pflanzenhaft vorgestellten hohen Lebensweise durchsüßt, gleichsam gedüngt, und danach als allegorische Figur in Anspruch genommen wird. Daz in Vers 4 muss einen Zweck oder eine Folge einleiten (so dass …). Dann ist es als Ausdruck besonderer Auszeichung gemeint, wenn Hochherzigkeit und Edelsinn die durch den Einfluss 115 Vgl. ebd. und Bartel, S. 167. 116 Cicero de finibus V,25–40, ed. Atzert S. 398–418.

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der hohen Lebensweise verbesserte Natur begrüßen. Die unversüßte Natur ist also nicht die reine Menschennatur (vor dem Sündenfall), sondern es wird eine zum Guten wie zum Bösen geneigte menschliche Natur unterstellt. Die Süße ist theologisch ein geläufiges Attribut der Gotteserfahrung.117 Mit dieser gelehrten Metapher wird das edle Handeln also assoziativ mit der Gotteserfahrung in Verbindung gebracht, es wurzelt in dieser. Den mit v. 5b und v. 6 folgenden Satz über das Verhältnis von hochvart und Missetat (wan die hochvart büzet/ kein missetat, die kan ir nicht verdienen noch verschulden) erklärt Stackmann im Kommentar zur Strophe so: „hochvart kommt nicht in die Lage, für missetat zu büßen“.118 Es spräche aber auch nichts gegen die Grundbedeutung ‚ausbessern‘: ‚Denn die hohe Lebensart bessert nie eine Missetat‘. Wenn man wie Stackmann handschriftliches er in Vers 6 als Schreibvariante von ir versteht, was für J ohne weiteres möglich ist, kommt man an bei: ‚Diese [hinwiederum] kann nichts, was zu ihr (der hohen Lebensart) gehört, verdienen oder verursachen‘. Das Pronomen die ist ebenso wie ir grammatisch mehrdeutig, aber im Kontext einfacher auf die Missetat zu beziehen; ir infolgedessen auf die hochvart. Die eigentliche Schwierigkeit dieser Strophe steckt im Verständnis der Verse 13–19 mit ihrem erlesenen Tiradenreim auf -oum, dessen Reimwörter nicht ganz leicht zuzuordnen sind. Es handelt sich um Lexeme, die überwiegend eindeutig119 117 Die Süße Gottes kommt schon im AT vor, z.B. Ps 20,10–11: iudicia Domini vera iustificata in semet ipsum/ desiderabilia super aurum et lapidem pretiosum multum/ et dulciora super mel et favum redundantem. Sie wird aber im Mittelalter überwiegend auf das NT und Christus bezogen. In den wirkmächtigen Hoheliedpredigten Bernhards von Clairvaux werden die zwei überwiegend benutzten lateinischen Vokabeln (suavis, dulcis und ihre Ableitungen) sogar kombiniert: Bernhardi Opera I, Sermo 9, Abschnitt IV, S. 45,15f. Das Zitat steht in einer Auslegung von Meliora sunt ubera, die die Geschlechterrollen umkehrt und die ubera auf den Bräutigam bezieht: Gemina, inquam, dulcedo suavitatis exuberat in pectore Domini Iesu, longanimitas videlicet in exspectando, et in donando felicitas. Vgl. Ohly, Nägel, bes. S. 62. 118 GA II, S. 756. 119 Zum germ. Lehnwort soum vgl. unten und Anm. 125–130. Probleme der Zuordnung gibt es bei goum. Die unten vorgeschlagene Zuordnung von goum zum Lemma goume stf. bleibt, auch wenn die Bedeutsamkeit des lautlichen Kriteriums durch den Reim verbürgt ist, immer Vorschlag und Interpretation, weil ‚Gaumen‘ schon ahd. mit verschiedenen Diphthongen oder doch Schreibungen belegt ist (giumo, goumo, guomo, vgl. AWB IV,296f., zu den möglichen Erklärungen vgl. Etymol. Wörterbuch d. Ahd. IV,562f., daher auch mhd. guome, goume ‚Gaumen‘, vgl. den Artikel von Jingning Tao in MWB II, Sp. 1026– 1027). Tao, dem ich für den hilfreichen Austausch zu der Stelle herzlich danke, weist mich darauf hin, dass im Kreuzleich II,17,1–3 auch boum : goum : soum gereimt wird und in der Kombination mit jehen eher an den Gaumen und Geschmack zu denken sei; die Überlegung wird unten an anderer Stelle nochmals aufgenommen. – Zu dem Wort und seinem Ansatz im Lexikon vgl. auch Thomas, S. 182f. , besonders Anm. 289.

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auf Wörter mit germ. au zurückgehen. Und im Bemühen um diese Reime ergibt sich zunächst eine sprachliche Irritation, die sich zwar sehr gut zu Gisela Kornrumpfs Ermunterung fügt, man müsse stärker ins Niederdeutsche schaun, wenn man Frauenlobstrophen verstehen wolle,120 die aber andererseits Zweifel daran erregt, dass man hier die Strophe eines hochdeutschen Muttersprachlers vor sich habe: Am Ende des Verses 16 glaubt man einen Vorteil davon zu haben, eher mnd. zu denken: Der Satz ergibt mit mnd. tōm ‚Geschlecht‘ einen viel besseren Sinn, nämlich: ‚Ein Saumtier von unedler Art trägt (oder doch Konjunktiv und hyperkorrekt? dann: trage) bzw. im speziellen Sinn: gebiert (bzw. Konj.: gebäre) ein niederes Geschlecht.‘ Es handelt sich gerade um denjenigen Reimpartner, der in den -oum-Reimen des Kreuzleichs (II,17,1-3) keine Parallele findet. Die Bedeutung ‚Geschlecht‘ passt gut in den Gedankengang, denn zuvor war ja von edlen Tieren die Rede, denen ebenfalls das Streben nach dem Edlen innewohnt. Die mhd. Gegenprobe muss demgegenüber einen Sinnverlust hinnehmen: ‚Ein Saumtier von unedler Art trägt/ trage einen niederen Zaum‘.121 Im Mnd. gibt es klare Belege für die Bedeutung ‚Nachkommenschaft, Geschlecht‘,122 aber von den in Wörterbüchern gelisteten Belegen her ist mhd. zoum ein Pferdewort, und die Verwendung in der menschlich-familiären Bedeutung ist nicht nachzuweisen.123 Es wäre also schön, für zoum an tōm und also, zumindest hinsichtlich der Bedeutung, mnd. denken zu dürfen.124 Dafür braucht man das in verschiedenen 120 Gisela Kornrumpf hat sich mit den Textpartien, die der Schreiber des Frauenlobnachtrags verantwortet, und mit der Soester Parallelüberlieferung zu einigen Strophen davon textkritisch befasst. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „die Vorlage von N3 und das Soester Fragment A Repräsentanten eines Stranges mitteldeutsch-niederdeutscher Frauenlobüberlieferung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts“ sein müssen. Vgl. Kornrumpf, Grundstock, S. 74–78, Zitat S. 78. 121 So fasst die GA die Stelle auf, vgl. GA Wörterbuch, S. 500. 122 Vielleicht daher ist die Bedeutung ‚Nachkommenschaft‘ für Fedor Bech, der zuerst Vorschläge unterbreitet hat, die auf die hier vorgestellte Deutung hinauslaufen, nicht weiter begründungsbedürftig, vgl. Fedor Bech II, S. 10: „... zoum aber kann kaum etwas anderes bedeuten als das ags. team und das mnd. tôm = progenies, Nachkommenschaft [...]“; die GA kehrt aber zu mhd zoum = ‚Zaum‘ zurück, vgl. GA Wörterbuch, S. 500. 123 Vgl. BMZ III, S. 943f. Auch die 94 Belege im Belegarchiv des Mittelhochdeutschen Wörterbuchs enthalten keinen mit der Bedeutung ‚Nachkommen, Geschlecht‘, vgl. http:// www.mhdwb-online.de/konkordanz.php?lid=240081000&seite=1, Zugriff 16.10.16, 16.37. 124 Kretschmann S. 232 führt nd. gôm-Reime an (nach Ettmüller und in dessen Zählung): gôm : rôm : magetôm 286,1ff. und 150,1,5; Minneleich 14,4 goum : ruom : magetuom. Für den letzten Reim muss goum = mhd. guome unterstellt werden, vgl. Anm. 117. Der erste Beleg gehört zu einer von Thomas mit sprachstilistischen Argumenten für eher unecht erklärten (Thomas S. 81) und in GA Supplement als VIII,201 (A1) abgedruckten

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germanischen Sprachen belegte und also früh entlehnte soum ‚Saumtier‘;125 mnd. sôm, some.126 Dieser Reim scheint wiederum über die nd.-hd. Sprachgrenze gut transportabel. Einige Unsicherheiten bleiben: Auch wenn das DWB das metonymische Verhältnis zwischen Last und Tier als ganz selbstverständlich voraussetzt,127 scheint nach den Belegen bei Schiller-Lübben mnd. das einsilbige sôm öfter die Last zu bezeichnen als das Tier.128 Was die Lautung und den reinen Reim angeht, so spricht die Bezeugung in mehreren germanischen Dialekten129 dafür, dass die Entlehnung aus griechisch σάγμα oder mlat. sagma, sauma130 im Mnd. und Mhd. behandelt wurde wie nichtentlehntes germ. au, woraus folgen würde, dass das Wort auf normales mhd. -oum, mnd. -ôm reimt. Die Annahme, hier werde für Publikum auf beiden Seiten der md. - nd. Sprachgrenze gedichtet, wäre an sich nicht so spektakulär, wenn nicht das Reimwort tōm nahelegte, den Dichter eher unter den Niederdeutschen als unter den Mitteldeutschen zu suchen – oder aber: eine Rezeptionssituation zu unterstellen, in der den Hörern die mnd. Wortverwendung geläufig war. Es passt jedenfalls vieles zu einem Interesse an mnd.-mhd. Reimen: Zunächst ist unter den Möglichkeiten, goum (V. 14) zu verstehen, diejenige mit der mnd. Entsprechung gôm die einleuchtendste:131 Mnd. gôm und goum sind Strophe, in der das Reimschema verlangt, dass guom (oder dreimal Monophthong) zu sprechen sei. Ettmüllers 150,1 entspricht GA V,102,1: Maget, wib und vrouwe, da lit aller selden goum. Das Reimwort im zweiten Vers ist boum, und die mhd. und mnd. belegte Bedeutung ‚Sorge, Aufmerksamkeit‘ (Schiller-Lübben II, S. 132, GA Wörterbuch, S. 131) ergibt Sinn. Da es im gut bezeugten Kreuzleich II,17,1–3 mhd. goum eher metonymisch für ‚Mund‘ steht als übertragen für ‚Aufmerksamkeit‘, ist goum = guom(-e) (wie in der angeführten Strophe im GA Supplement, VIII,201, A1, V. 2) wohl am ehesten die Art, wie Frauenlob selbst reimt. Von der Wirkungs eines Vorbilds gedacht (ohne dass damit ein Echtheitskriterium aufgestellt werden sollte) ergibt sich die Überlegung: Wenn Nachahmer vom Mnd. dachten und entsprechend auf das bei Frauenlob beliebte Wort gôm zugriffen, mussten sie ihrerseits zwangsläufig mit der Bedeutung ‚Sorge, Aufmerksamkeit, Augenmerk‘ arbeiten. 125 Vgl. DWB XIV, Sp. 1908–1910, hier Sp. 1908. 126 Schiller-Lübben IV, 289. Das Wort für den Stoffrand ist nicht nur im Mhd., sondern auch im Mnd. homonym, vgl. DWB XIV, Sp. 1905, BMZ II, S. 363, Schiller-Lübben ebd. 127 DWB XIV, Sp. 1908: „mnd. sôm, some Schiller-Lübben 4, 289a“. 128 Schiller-Lübben IV, 289. 129 Vgl. DWB XIV, Sp. 1908f. Die Begründung liegt vermutlich in dem Sp. 1909 nachgewiesenen metonymischen Gebrauch der Bezeichnung im Mittellateinischen. 130 DWB XIV, Sp. 1908. 131 Das Wörterbuch der GA räumt im Sinne der oben Anm. 115 vorgestellten Vermischung für das Lemma goum stM.? eine Überlagerung mit mhd. guome ein und schlägt für Vers 14 vorsichtig vor: „gemeint vielleicht: zeigen edles Streben“, ebd., S. 131. Stackmann hatte im Apparat noch an mhd. goume = guome ‚Gaumen‘ gedacht und übersetzt: „haben ihrer Natur nach Verlangen nach edler Nahrung“, GA II, S. 756.

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bei Schiller/Lübben (mit nemen) als ‚Obacht (geben)‘ aufgeführt,132 und diese Bedeutung gibt es, synonym zu goume haben, auch im Mhd. (zu goume stf.133). Dann hätte man nur das Problem, die schwache Form edelen erklären zu müssen, aber sie könnte der Genitiv eines substantivierten Adjektivs sein; schwache Flexion ist in solchen Fällen (ohne Artikel) auch sonst belegt.134 Das Substantiv vesen (V. 2) gibt es auch mittelniederdeutsch,135 und den Reim dorsōtet : engrōtet : bōtet (Vv. 3-6) kann man wie die mhd. Entsprechungen verstehen, also mnd. grōten ‚grüßen‘136 und mnd. bōten ‚ausbessern‘,137 auch wenn es außerdem die mnd. Verben bōten (entspricht mhd. bôzen) und grōten ‚groß machen‘ gibt, die jedoch ō2 haben statt ō1. Mnd. ō-Qualitäten mit je verschiedenem Etymon sind immer in Gefahr, in den Mundarten nicht zu reimen,138 so dass wahrscheinlich der Reim niederdeutschen Hörern die richtige Bedeutung vorgab.139 Auch die Reime des zweiten Stollens sind einer Übertragung ins Niederdeutsche (oder umgekehrt) besonders freundlich; an der Bedeutung änderte sich nichts: nedder : wedder, swaken: maken : saken und verscholden : vergolden : holden. Grundsätzlich gilt das auch für den Abgesang und die Verse 13 bis 19. Dass die lautgesetzlich entsprechenden Wörter im Mhd. und Mnd. nicht immer die gleiche Bedeutung haben,140 ist in gewissem Maße erwartbar; das gilt aber vor allem für die restlichen Reime des Abgesangs. Die md.-mnd. Geltung der Reime setzt sich in den beiden letzten reimenden Versen fort. Roum bezeichnet mhd. die Sahne bzw. den Rahm. Für die Bedeutung ‚Rahm‘ gibt es eine direkte Entsprechung im mnd. rôm141 (und auch im mnl. rome, room142). Das Wort reimt, ohne dass diese Bedeutung dort wirklich plausibel 132 Schiller-Lübben II, S. 132. 133 BMZ I, 559, MWB II, 882. 134 Vgl. Paul/Klein/Solms/Wegera, § S 105, S. 360. 135 Schiller-Lübben V, S. 245f. 136 Schiller-Lübben II, S. 156. 137 Schiller-Lübben I, S. 405. 138 Lasch § 159, S. 95. 139 Umgekehrt würde, ausgehend vom Mhd., eine konsequente Umstellung auf das aus germ. au entstandene mnd. ō2 nicht gelingen, weil ein entsprechendes Lemma *sōten mit ō2 < germ. au fehlt. Wenn man niederdeutsch denkt, sind die Formen von bōten und grōten durch den Reim mit sōten = mhd. süezen in ihrer Aussprache auf die jeweilige ō1 -Entsprechung und damit auf die so gebildeten Wörter und ihre Bedeutungen festgelegt. 140 Thomas Klein, Umschrift, S. 227–229 beschreibt diese Konstellation als relativ häufig und zeigt an Beispielen die geläufige Praxis, im Konflikt die Bedeutung eher zu opfern als den Wortkörper. 141 Schiller-Lübben III, S. 504. 142 Middelnederlandsch Woordenboek, http://gtb.inl.nl/iWDB/search?wdb=MNW&actie=article&id=47036, Abfrage 11. Juni 2017, 20.20. Auch dieses Reimwort ist also dem sprachlichen Transfer freundlich.

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wäre, bei Wolfram im Parzival-Prolog143 ebenfalls auf troum, dem mnd. drôm entspricht.144 Aus dieser prominenten Stelle ergaben sich mehr oder weniger überzeugende, zur Spiegelmetapher passende Bedeutungsangaben,145 wobei das BMZ sich der schwer verständlichen Metapher sehr behutsam nähert und sie nicht vereindeutigend übersetzt.146 Wenn man den vorhandenen Spekulationen zu dieser Parzivalstelle nicht noch eine weitere hinzufügen will, müsste man für Wolfram bei der sicher bezeugten Bedeutung ‚Rahm‘ und der möglichen dialektalen Vermischung mit mhd. râm ‚Schmutz, Ruß, Rost‘ bleiben.147 In der Metapher die (nämlich der Spiegel und der Traum des Blinden) gebent antlützes roum Pz I,22 kann man mit der Sahne, dem Besten an der Milch, mehr anfangen: ‚Der Spiegel und der Traum des Blinden‘, der diesen ja, anders als sein wacher Zustand, sehen lässt, ‚geben die Sahne‘, das heißt das Beste, ‚des Angesehenen wieder, aber der unkla143 Parzival ed. Lachmann, 5. Auflage 1891, I,20–24: zin anderhalp ame glase/ geleichet (Lesarten: gelichent, gelichet), und des blinden troum. /die gebent antlützes roum,/ doch mac mit stæte niht gesîn/ dirre trüebe lîhte schîn. Zu der Stelle unlängst: Philipp Giller: Die Lesbarkeit der Welt – Überlegungen zur Poetik des höfischen Romans, Diss. (Masch.) Mainz 2016, Kap. 2.1, S. 67. Die Arbeit ist im Druck und erscheint (unter dem Namen Philipp Friedhofen) voraussichtlich 2019. 144 Schiller-Lübben I, S. 581; DWB XIV, Sp. 1436f. 145 Vgl. Lexer II, Sp. 516 „schimmer, vorstellung, täuschendes bild“. Die Paraphrase ‚trügerisches bild, wahn‘ stammt, wie Zarncke in BMZ II.1, S. 775 noch zitiert, von Karl Lachmann. Vgl. Lachmann, Eingang, S. 237: „Roum scheint im Titurel (51) durch kranken schîn ausgedrückt zu werden; es muss ungefähr das triegerische Bild oder den Wahn bedeuten.“ Martin, Parzivalkommentar, S. 7 führt unter Berufung auf Müllenhoff (leider ohne Nachweis) die Bedeutung ‚Schimmer‘ weiter. Wohl in diesem Sinne hat Schirok in der 2. Auflage der Studienausgabe nach der 6. Auflage der Edition von Lachmann übersetzt: „Die [Spiegel und Traum des Blinden] vermitteln […] Vorstellungen von Gestalten“. Schirok, S. CV. 146 Zarncke weist auch aus, dass ein weiterer lyrischer Beleg nur durch eine Konjektur von Lachmann entstand, BMZ II.1, S. 775. 147 Dass Ernst Martin, Parzival-Kommentar, S. 7 die Verbindung zu mhd. râm ‚Schmutz, Ruß, Rost‘ für völlig irrig hält, ist der Überprüfung würdig, denn die thüringische urkundliche Schreibsprache des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts belegt eine gesprochene Monophthongierung von mhd. ou und Weiterentwicklung zu ā (im Süden), die auch in der ostfränkischen, bairischen und schwäbischen Schreibsprache ähnlich nachweisbar ist, vgl. Bach, I, § 17, S. 79f. Also muss man auch mit hyperkorrekten Schreibungen rechnen, denn in dem literaturfreundlichen südthüringischen Raum bleibt mhd. â normalerweise als /a/ bestehen. Auch ob Wolfram den Reim trām : rām nicht für akzeptabel gehalten hätte, kann erwogen werden. Zu Reimen von mhd. â auf mhd. ou, besonders im Bairischen, vgl. Weinhold, Mhd. Grammatik, § 125, S. 118. In den Handschriften der Spiegelrechte gibt es im ganzen deutschen Sprachgebiet des öfteren a-Schreibungen für germ. au, wg. au in ‚Strom‘. Nach Große, § 46 S. 36 stammt diese ursprünglich mundartlich gestützte Schreibung aus dem Ostfälischen des Sachsenspiegels. Vgl. auch DWB XIV, Sp. 63.

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re, leicht vergängliche Anschein hält nicht an‘. Es wäre nicht überraschend, wenn Frauenlob oder ein Dichter, der wie Frauenlob dichten will, an eine Wolframsche Metapher anschlösse. Für kern fehlt leider die Parallelüberlieferung, die darüber Zeugnis abgäbe, ob man gern lesen dürfe (dann könnte roum auch eine Verbform sein). Vorsichtshalber bleibe ich wie Stackmann148 bei kern, nehme aber ein Kompositum gruntkern an,149 weil zahlreiche Komposita mit grunt als Bestimmungswort überliefert sind150 und das Wortbildungsmuster spontan verständlich gewesen sein muss. Daher verstehe ich Vers 17 so: ‚Ein grundlegender/ in den Grund gepflanzter (übertragene/ wörtliche Bedeutung) Kern von edler Art bringt (bzw. mit Konjunktiv: bringe, entsprechend birt oder bir aus Vers 16) die crème de la crème hervor‘. Insgesamt ergibt sich folgendes Verständnis: ‚Hohe Lebensart, die kann nicht in das Sein verächtlicher Herzen kommen. Ihre Wurzelfasern, die haben die Natur mit Süße durchdrungen, so dass nichts sie (näher liegt der Bezug auf die Natur, aber es könnte auch die hochvart sein) freundlich empfängt als Hochherzigkeit und Edelsinn. Denn die hohe Lebensart bessert nie eine Missetat. Diese [hinwiederum] kann nichts für sich verdienen oder verursachen. (V. 7) Denkt auch daran: Alle stimmen zu, dass alle Untugenden niedrig genannt werden. Denen ist sie feind. Die hohe Lebensart kann nicht mindern, sie kann erhöhen und wieder erhöhen, für immer hoch machen. Sie ist nicht mit niedrigen Beweggründen aufgezogen. Ihre süße Gewohnheit kann allen Adel vergolden: (V. 13) Ein edles Tier, ein edeler Baum, die haben von Natur aus Acht auf die Edelen. Ein Saumtier mit schlechtem Stammbaum gebiert auch niedrige Nachkommen. Ein grundlegender/ in den Grund gepflanzter Kern von edler Art bringt (bzw. mit Konjunktiv: bringe) die crème de la crème hervor. Es ist keine Einbildung: So leistet die hohe Lebensart bei allen edlen Herzen ein Kundtun und und ein Geneigtmachen.‘ Noch einmal sei daran erinnert, dass diese Sinngebung ab Vers 13 einen Dichter unterstellt, der mhd. verständliche Verse auf mnd. Grundlage dichtet (nicht umgekehrt, was z.B. im Interesse eines Mäzens hätte liegen können).

148 Stackmann in GA II, S. 756 zum Vers: „grunt, kern zwei asyndetisch aufgereihte Subjekte, als Prädikat dazu das haben aus v. 14 zu ergänzen“. 149 Fedor Bech II, S. 10 las kernedeln. 150 Vgl. Lexer I, 1102–1104.

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3. Die dritte Strophe: Ist die Hochvart ein zeigen oder ein zeichen aller Dinge? 3.1 Arbeitstext und Verständnis Die dritte Strophe über die hochvart beginnt in der Handschrift J mit dem Vers: Houchuart ist aller gůten dinge ein tzeigen wol. (105v). Stackmann liest und schreibt zeichen (GA V,40, Bd. I, S. 412). So hatte schon Ettmüller konjiziert.151 Franziska Wenzel übernimmt diese Konjektur.152 Aber dafür gibt es inhaltlich in der Strophe keinen Anhaltspunkt; diese setzt sich mit Zeichenhaftigkeit vielmehr nicht auseinander. Ob der Zusammenhang zu GA V,38,1: Wort sint der dinge zeichen von einem anderen als dem letzten Schreiber intendiert ist, steht nicht fest. Um so mehr muss man zuallererst versuchen, mit dem überlieferten Wortlaut zurechtzukommen. Zum besseren Verständnis füge ich, ehe ich darauf näher eingehe, den Text der Göttinger Ausgabe und der Handschrift ein, damit der Weg zu einem Arbeitstext und der daraus entstehenden Arbeitsübersetzung plausibel wird. Text von GA V,40:

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Hochvart ist aller guten dinge ein zeichen wol. die nideren sol man uz den hohen scheiden, sus mac man in beiden ir recht und ouch ir art gegeben. daz spriche ich mit eiden, daz alle tugende hochvertic sint. nu prüve ein ieslich eine:



Ein ieslich milter mut versmehet kargen sin, ein karc gewin unkargen mut versmehet. 10 swen die manheit wehet, der schamt sich zegelicher tat. alle tugent sus nehet der hochvart, wan ir erbeschrin ist sie, die süze, reine. Die triuwe kan versmehen wol untriuwe und ir argez hol. 15 der maze zol versmehen sol unmaze, daz zimt ir vür vol. sus blüt die hochvart sunder dol uz aller tugent und vromt ir adel, daz ez wirt so gemeine. 151 Ettmüller Spruch 61, S. 61f., der Vers S. 61. 152 Wenzel, Meisterschaft, S. 382.

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Zum Vergleich die Schreibungen der Handschrift J, fol. 105v, linker Rand (mit aufgelösten Nasalstrichen, r-Kürzeln und ohne Schaft-s):

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[H]ouchuart ist aller gůten dinge eyn tzeigen wol . die nideren sol . man vz den hohen scheiden . sus mac man in beiden . ir recht vnd ouch ir art gegeben daz sprech ich mit eyden . daz alle tugent houchuertich synt . nu prube eyn islich eyne [e]yn islich milter můt vůr smehet kargen syn . eyn kerch gewin vnkergen můt ver smehet . wem die manheit wehet . der schamt sich tzegelicher tat . alle tugent sus nehet . der houchvart . wan ir erue . scrin ist sie die suze reyne . [d]ie truwe kan versmehen wol . vntruwen vnd ir argez hol . der mazen tzol versmehen sol . vnmazen daz tzimt ir vůr vol. sus blůet die houchuart sunder dol . vz aller tugent vnd vrumt ir adel daz iz wirt so gemeyne .

Wenzel übernimmt die inhaltlichen und fast alle grammatischen Vorschläge von Stackmann, sie beseitigt aber bis auf die u/v-Regelung dessen Normalisierung zugunsten der handschriftlichen Graphie.153 Wenn man ein Verständnis dieser Strophe entwickelt, wird man am besten von der Handschrift und dort vom Schluss ausgehen (Vers 18 und 19): sus blůet die houchuart sunder dol / vz aller tugent vnd vrumt ir adel daz iz wirt so gemeyne. Wieder entspringt (wie in der ersten Strophe) die hochvart der Tugend, wieder mit einer Pflanzenmetapher. Das kann bewusste Anknüpfung sein oder das Weiterdichten eines Bildes. Dort war die Hochvart ein blühender Klee, der auf dem Hügel der Tugend wuchs; hier ist sie die Blüte, die aus der Tugend wächst. Den Rest des letzten Verses (und vrvmt ir adel, daz ez wirt so gemeyne) erklären Stackmann und Haustein im Wörterbuch mit „dass er, der Adel, ihr, der Tugenden, gemeinsamer Besitz wird“.154 Der Bezug von ez auf adel leuchtet ein, aber warum: Besitz der Tugenden? Die Einschränkung scheint nicht hinlänglich gestützt. Das 153 Wenzel J 48, S. 382. Da die Abweichungen zu Stackmanns Text keine sinntragenden Varianten ergeben, wird hier nicht nochmals der vollständige Text dargeboten. 154 Wörterbuch zur GA, S. 3.

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Wort gemeine kann sich auch auf die vorauszusetzende soziale Gruppe beziehen, vor der die Wertediskussion geführt wird: ‚So blüht die hohe Lebensweise unangefochten aus jeder Tugend heraus, und ihr Adel schafft es, dass er auf diese Weise für alle zugänglich wird.‘ Wenn man so liest, schließt die Strophe mit dem Gedanken: Die Blüte der Tugend ist sichtbar und wird durch die Sichtbarkeit Gemeingut. Es geht dann um die Wirkung in die Breite einer sozialen Gemeinschaft. Mit dieser Vermutung beginnt nun die Lektüre der Strophe von vorn:

[H]ouchuart ist aller gůten dinge eyn tzeigen wol . die nideren sol man vz den hohen scheiden. (Vv. 1-3 nach J 105v)

Wie soll man tzeigen auffassen? Es kommen mhd. zeigen (so schreibt die Handschrift) und mhd. zeichen (so lesen Ettmüller, Stackmann und Wenzel, alle drei gehen offenbar von der md. verbreiteten spirantischen Geltung von inlautendem -g- und hyperkorrekter Schreibung aus)155 in Frage. Beide Lesarten führen auf sinnvolle Sätze, die sich aber nicht in gleichem Maße logisch an die Gedanken der Strophe und der Strophenfolge, wenn sie denn, zumindest partiell, von einem Dichter beabsichtigt war, anknüpfen lassen. Denn das bisher übliche Verständnis ‚ein Zeichen‘ führt, wie sich gleich erweisen wird, auf inhaltliche Probleme: In der Strophe GA V,38 wurde erklärt, dass Worte Zeichen der Dinge sind. Dann könnte man mit demselben Zeichenbegriff in dieser Strophe nur metasprachlich aussagen, dass hochvart ein Zeichen guter Dinge ist: ‚hochvart‘, das Wort hochvart, ist ein Zeichen für Gutes. Auf der Objektebene stimmt der Satz dagegen nicht, denn die hochstehende Lebensweise ist kein Zeichen im zuvor erklärten Sinn. Die folgenden Verse führen aber auf die Objektebene zurück, auf den Unterschied zwischen Hohen und Niederen, Großzügigkeit und Geiz. Der Zeichenaspekt wird, anders als in der ersten Strophe, in der es am Ende noch einmal um die Bezeichnung geht (ir nam tut melt GA V,38,18), nirgends wieder aufgenommen. Das weckt doch starke Zweifel an der Lesart zeichen in Vers 1 dieser dritten Strophe. Wenn man aber mit der Handschrift mhd. ein zeigen liest, substantivierten Infinitiv also, dann schließt sich inhaltlich ein thematischer Kreis innerhalb der Strophe, wie es auch in Wort sint der dinge zeichen war: Im ersten Vers würde gesagt, dass die hohe Lebensweise ein Vorzeigen des Guten und damit ein Beispiel sei; dann würden Anwendungen gezeigt, um am Schluss wieder auf den Aspekt des 155 Paul, Bd. 1, T. 2 (Lautlehre), § 176, S. 299, § 185, S. 307–309.

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Beispielhaften und seiner Wirkung zurückzukommen. Das scheint mir gedanklich plausibler als der Sprung vom Zeichen zur Unterscheidung des Richtigen vom Falschen. Unterwegs mag man zwischen Handschrift und Stackmanns Text noch über den getilgten Dativ im zehnten Vers stolpern: wem die manheit wehet, der schamt sich tzegelicher tat heißt Vers 10 f. in J 105v; swen die manheit wehet, der schamt sich zegelicher tat bietet die GA V,40,10f. Stackmann hat den überlieferten Dativ wem mutmaßlich deshalb in einen Akkusativ verwandelt, weil er dem Schreiber unterstellte, vom nd. Zusammenfall von Dativ und Akkusativ auszugehen, der beim ungeschlechtigen Pronomen besonders häufig vorkommt.156 Ein Experiment mit w für b im Anlaut (mhd. bæhen ‚erhitzen‘) macht die Sache aber nicht besser, denn als Objektskasus würde man dennoch einen Akkusativ erwarten.157 Andere e-Qualitäten sind eher unwahrscheinlich, denn das æ ist ja durch Reim gesichert. Man wird also hier besser beim Vorschlag der GA bleiben. Wenn man diese Unsicherheit des Schreibers, zwischen Dativ- und Akkusativendung zu unterscheiden, einmal akzeptiert, muss man sich allerdings auch fragen, ob es in den Versen 8 und 9 nicht sinnvoller wäre zu edieren: ein karc gewin / unkargem mut versmehet: ‚großzügigem Denken ist ein kleiner Gewinn verächtlich‘. Das hätte inhaltlich viel für sich, denn die wechselseitige Verachtung der Rechenhaften für die Großzügigen und umgekehrt, auf die eine Übersetzung mit dem Akkusativ unkargen hinausläuft, erzeugt eine Symmetrie der Ansichten, die zur klaren Bewertung von Oberem und Unterem nicht passt. Es ist wahr, dass damit ein weiterer Eingriff in den handschriftlich überlieferten Text nötig ist; aber er ist klein, leicht zu begründen, und er erzeugt einen viel sinnvolleren Text. Die Formen vntruwen, mazen und unmazen in den Versen 14, 15 und 17 sind in ihren Sätzen offenbar keine Adverbien, sondern die schwachen Nebenformen der Substantive.158 Die Form vntruwen in Vers 14 ist sicher als schwa156 Vgl. Lasch, § 263, S. 144; § 401, S. 211, § 410, S. 220. Ein Akkusativ macht den Satz grammatisch unauffälliger, wenn man wie Stackmann wehet V,40,10 zu mhd. waehen ‚schmücken‘ stellt. Ettmüller hatte swem diu manheit waehet (Spr. 61, S. 62) in den Text gesetzt, ebenfalls ‚schmückt‘ verstanden und den Dativ für altertümlich erklärt. Vgl. Ettmüllers Erklärung zu 61.10 seiner Zählung, S. 302. 157 Es gibt offenbar keinen Dativ als Objektskasus zu mhd. bæhen swv., vgl. MWB online zum Lemma: http://www.mhdwb-online.de/wb.php?buchstabe=B&portion=80&link_ lid=10665000#10665000 (Abruf am 04.01.2018, 19.31) Auch die Belege in der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank sind sämtlich mit Akkusativen konstruiert, vgl. http://mhdbdb.sbg.ac.at zu bæhen. Dazu auch DWB I, Sp. 1076–1097. 158 Paul/Klein/Solms/Wegera, § M 36.3. Das Adverb wird auch im Mnd. so gebildet, wo ebenfalls der Übertritt starker Feminina in die schwache Flexion zugrundezulegen wäre, vgl. Lasch, § 377 Anm. 2, S. 199. Im md.-nd. Überschneidungsgebiet sind die Verhältnisse entsprechend, vgl. Große, § 123, S. 86.

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che Nebenform des Akkusativ im Singular aufzufassen,159 weil versmâhen/ versmaehen in der Strophe auch mit Akkusativ konstruiert wird (vůr smehet kargen syn V. 8). Der in Vers 15 beginnende Satz könnte, je nach Auffassung der Kasus hinter den schwachen Nebenformen, syntaktisch verschieden gebaut werden: Der zol der mâzen (schwacher Genitiv) wird die unmâzen (schwacher Akkusativ) abwerten; oder: Der mâzen (schwacher Dativ) soll ein Tribut an die Unmaße (mhd. der unmâzen, schwacher Dativ) verächtlich sein. Da die Strophe, wie später zu entwickeln sein wird, auch für das zentrale Wort karc in den Versen 7–9 die Bedeutung verschiebt, liegt die zweite Variante, also die grammatische Variation und semantische Verschiebung von versmâhen, näher: Zunächst verwendet der Dichter das Wort mehrmals transitiv: Jemand behandelt etwas verächtlich; dann mit Dativ der Person: Jemandem erscheint etwas als verächtlich; das Objekt der Missachtung steht im ersten Syntagma im Akkusativ, im zweiten im Nominativ. Ob betontes Enjambement vom ersten zum zweiten Vers (Wol/ die nideren sol/ man uz den hohen scheiden) anzusetzen sei, kann man überlegen;160 ich schlage es (ohne dass besonders viel daran hinge) aus inhaltlichen Gründen vor, weil die Unterschiedenheit in logischen und erkenntnistheoretischen Zusammenhängen häufig vorkommt161 und eine Verstärkung in einem solchen Kontext in sich sinnvoll ist. So komme ich auf der Basis von Stackmanns Text und mit seiner Normalisierung zu folgendem abgewandelten Arbeitstext:

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Hochvart ist aller guten dinge ein zeigen. Wol die nideren sol man uz den hohen scheiden, sus mac man in beiden ir recht und ouch ir art gegeben. daz spriche ich mit eiden, daz alle tugende hochvertic sint. nu prüve ein islich eine:

Ein islich milter muot versmehet kargen sin, ein karc gewin unkargem mut versmehet. 159 Vgl. zum Adverb triuwen ‚fürwahr‘, das als erstarrter schwacher Dativ auszufassen ist, Paul/Klein/Solms/Wegera § M36.3. 160 Beispiele für andere Abtrennungen adverbialer Ausdrücke bei Kretschmann, S. 254. Das Enjambement ist insgesamt nach Kretschmar S. 252 (mit Beispielen nach grammatischen Funktionen S. 252–255) ein häufiges Gestaltungselement bei Frauenlob. 161 Der Vocabularius Ex quo aus dem 15. Jahrhundert, der für die Geschichte der Übersetzung gelehrter Texte eine hervorragende Quelle ist, bucht scheiden unter anderem als Übersetzungswort für differre, discingwere und disiungere, die sämtlich in die Geschichte der philosophischen Wortverwendung von ‚Unterscheiden‘ und ‚Unterschied‘ im Deutschen gehören, vgl. Glossenwörterbuch, S. 602; Knebel.

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swen die manheit wehet, der schamt sich zegelicher tat. alle tugent sus nehet der hochvart, wan ir erbeschrin ist si, die süze, reine.



Die triuwe kan versmehen wol untriuwen und ir argez hol. der mazen zol versmehen sol unmazen, daz zimt ir vür vol. sus blüt die hochvart sunder dol uz aller tugent unt vromt ir adel, daz ez wirt so gemeine.



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Übersetzung: ‚Hohe Lebensweise ist das Aufzeigen alles Guten. Man soll die Niederen wohl von den Hohen unterscheiden. So kann man ihnen beiden ihr Recht einräumen und ihre Eigenart zugestehen. Das sage ich und schwöre darauf, dass alle Tugenden nach oben gerichtet sind. Nun möge ein jeder für sich überprüfen: Jedes großzügige Denken verachtet Knauserigkeit. Ein kleiner Gewinn ist dem nicht knauserigen Sinn verächtlich. Wen Tapferkeit schmückt, der schämt sich feiger Tat. So führt alle Tugend in die Nähe der hohen Lebensweise, denn sie (der Bezug ist inhaltlich, nicht grammatisch zu wählen: die Tugend) ist die Truhe, in der ihr Erbe liegt, die schöne und reine. Die Verlässlichkeit vermag Unzuverlässigkeit und ihre verhängnisvolle Höhle sehr zu verachten. Der Angemessenheit soll es verächtlich sein, dem Unmaß Zoll162 zu entrichten. Das gehört sich für sie voll und ganz. So blüht die hohe Lebensweise leidenthoben aus jeder Tugend, und sie befördert ihren Adel, so dass er auf diese Weise allen zur Verfügung steht.‘ Leider bleiben nach der Übersetzung noch viele Fragen ungelöst, nicht nur wegen der grammatisch uneindeutigen Bezüge der Pronomina am Schluss.

3.2 Wissensarten, literarische Anknüpfung und der Zusammenhang mit den anderen Strophen Der Grundgedanke, dass eine lobenswerte Haltung zum Leben sich am leichtesten durch Nachahmung (der das Vorzeigen dient) verbreitet, stimmt, wie sich noch genauer erweisen wird, zu der in der vierten Strophe (V,41: Hochvart und übermut, die sint vil ungelich) zugrundegelegten Auffassung der hochvart und der Tugenden als habitus. Wie das Zeigen genau wirkt, wird andererseits nicht genauer be162 Ettmüller verstand mhd. zol, zolle ‚Klumpen‘, vgl. ed. Ettmüller S. 299 zu 47,16. Stackmann und Haustein unterscheiden die Grundbedeutung ‚Abgabe‘ von einer Verwendung mit verblasstem metaphorischem Sinn: GA III (Wörterbuch), S. 499.

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sprochen, so dass ein gelehrter Kontext auch nicht zwingend vorauszusetzen wäre. Ähnlich lose schließt die Strophe an moraltheologische Modelle für das Erkennen von richtigem und falschem Leben an. Die Unterscheidung von Hohem und Niederem, Tugend und Untugend würde scholastisch zur discretio gehören, die – je nach theologischer Tradition – eher als discretio spirituum aufgefasst wurde, also als ein inneres Urteilsvermögen über Handlungsvorschläge, die für den Handelnden von außen zu kommen scheinen, oder als elementares Urteilsvermögen über Gut und Böse,163 das im 13. Jahrhundert, inbesondere in der dominikanischen Tradition, immer stärker in die Nähe der prudentia rückt.164 In der Strophe ist diese Unterscheidung durch Erfahrung erlernbar und durch Beispiel imitierbar, der Akzent liegt also auf dem Praktischen. Das Wort für den Akt der Unterscheidung ist scheiden, transitiv mit der Präposition ûz; mit diesem Wortstamm ist man ganz im jahrhundertelang Geläufigen für alles mit Ein- und Abgrenzung einhergehende Bescheidwissen, das mit Begrifflichkeit und Definition arbeitet, und zwar sowohl in der säkularen Dichtungstradition als auch in der lateinisch-deutschen gelehrten Literatur: Berühmte Beispiele sind Freidanks bescheidenheit und Meister Eckharts rede der underscheidunge.165 Mit der Unterscheidung gibt der denkende Mensch den Objekten seiner Anschauung, den Hohen und Niederen, nicht nur ir reht, also ein richtiges Abbild, sondern auch ir art – das mutet wie eine Nachbildung des Zusammenhangs von differentia specifica und genus proximum an, der im 5. Kapitel des ersten Buches der Topik des Aristoteles (102a-102b) entwickelt und im 8. Kapitel desselben Buches (103b) wiederaufgenommen wird.166 Allerdings wäre, um so zu dichten oder diese Verse zu verstehen, logische Ausbildung nicht zwingend notwendig. Tugenden und Untugenden werden einander in einer zweiwertigen Logik gegenübergestellt. Das ist insofern bemerkenswert, als die vierte Strophe eine drei163 Vgl. Cabassut, Discrétion. Ein konziser und brauchbarer Überblick auch bei Brantl, S. 118f. Egidi, S. 107 nennt auch das (nicht begrifflich gefasste) Gegenteil von närrischem und unweisem Verhalten in einer Strophe im Flugton (der narre unwîse denkt nach GA VI,9,1 falsch) discretio. Da man sich aber in den Beispielen (ein Mann verspricht sich Falsches von Schmeicheleien einer Frau; ein Mädchen lässt sich verführen und riskiert ihren Ruf ) nicht auf der Ebene der grundsätzlichen Unterscheidung von Gut und Böse, sondern eher auf der von kontextgebundenen Entscheidungen der praktischen Vernunft (prudentia) bewegt, wäre ich hier vorsichtiger, auch wenn Frau Egidi ohne Zweifel Recht damit hat, die geläufigsten Äquivalente der deutschen Abstrakta (sapientia und stultitia) zu vermeiden, die wiederum ganz andere Diskurse aufriefen. 164 Vgl. Müller, Moral, S. 168f. 165 Zu den scheiden-Bildungen als Entsprechungen des lateinischen Wortfeldes von discretio im intellektuellen Wortschatz vgl. Trier, S. 89f. 166 Aristoteles. Topik. Übers. und kommentiert von Tim Wagner und Christof Rapp. Stuttgart 2004, S. 49–52, bes. S. 50f.; S. 54–55.

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wertige Tugendauffassung entfaltet, die gut zur wissenschaftlichen Auffassung des späten 13. Jahrhunderts stimmt (dazu unten). Antithetisch stehen einander ab Vers 6 milte und karger sin, kerge und unkerge, manheit und zageliche tât, triuwe und untriuwe, mâze und unmâze gegenüber. Hier ist das Gegenteil einer richtigen immer eine falsche Haltung, Handlungsweise oder Eigenschaft. Am Anfang dieser Reihe stehen zwei verschränkte Aussagen, bei denen dieselbe Eigenschaft – karc zu handeln oder zu denken – einmal polar, einmal graduell verwendet wird. Karc ist zunächst eine Person in ihrem Denken; diese kerge wird der milte entgegengesetzt und ist also ein Laster: V. 6: Ein islich milter muot versmehet kargen sin. Anschließend erscheint ein Gewinn karc, also geringfügig; wenn jetzt die Großzügigkeit den kleinen Gewinn verschmäht (V. 7–8: ein karc gewin/ unkargem mut versmehet), entsteht durch die Engführung von Bewertung und Skalierung im Wort karc der verbindende Gedanke, dass der Erfolg des Geizigen ohnehin klein sei. Bei dem hol der untriuwe drängt sich eine andere, spruchdichterliche Parallele auf, nämlich die zum Rätselspruch des Marners über den wurm in einem hol (Strauch XV,9,1, Willms 7,9). Dort ist es die unzuverlässige Zunge, die erraten werden sol. Wenn die untriuwe hier in der Frauenlob zugesprochenen Strophe ein hol hat, wird sie für den, der den Marner im Ohr hat, im Bild ebenfalls zum Drachen, und die Unzuverlässigkeit verbindet sich mit der Zunge. Man kann überlegen, ob die überwiegend binäre, also traditionell volkssprachliche Auslotung von Richtig und Falsch mit dem Aufruf der Marnerstelle zusammenhängt: gewissermaßen als eine Selbsteinordnung, als Auskunft, wie der Strophendichter vorgeht und wo er seine Bezüge sieht. So zeigt sich in der Strophe eine Auffassung von gehobener Lebensweise, die sich thematisch gut mit der ersten und der letzten Strophe über hochvart verbinden lässt, sich aber in der weniger engen Anbindung an einen gelehrten Hintergrund von beiden unterscheidet und für den Fall, dass man die volkssprachlichen Formulierungen auf lateinische Lehren zurückprojizierte, auch nicht voll und ganz mit den theoretischen Positionen der Strophe aufginge. Diese dritte Strophe Hochvart ist aller guten dinge ein zeigen verwendet mehr das allgemeine Repertoire der volkssprachlichen Konzeption von rechter Lebensweise. Die Bezüge von GA V,40 zu GA V,38 stellen sich im Wesentlichen über den Begriff der hochvart her. Der Aspekt des Zeichens wird nicht weiterverfolgt, sondern es geht um das Einüben in Tugend und rechte Lebensweise durch Beispiele. Trotzdem müsste man inhaltlich einen Zusammenhalt nicht bezweifeln; es werden keine weiterführenden Gedanken vorgebracht, aber auch keine Gegenpositionen.

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3.3 Zweifel Was an der Strophe hingegen verwundert und den Eindruck ihrer Sonderstellung im Bar vertieft, sind ihre kunstlosen Reime. Sie verstoßen insofern gegen eine ästhetische Erwartung, als viele Strophen Frauenlobs, auch solche im Langen Ton, syntaktisch notwendige und bedeutungstragende Wörter binden,167 z.B. danc : twanc : gelanc : ganc : banc : sanc V,26,13-18; tage : sage : trage : zage : jage : behage V,30,13-18; gestalt : gewalt : alt : drivalt : galt : gezalt V,59,13-18. Dagegen sind in der dritten hochvart-Strophe GA V,40 mehrere Reimwörter syntaktisch und inhaltlich entbehrlich: wol in Vers 1, mit eiden in Vers 5, wol in Vers 13. Auch sunder dol in Vers 18 hat etwas von einem Verlegenheitsreim. Dass die Reime der Verse 1 und 2 im Tiradenreim der Verse 13–18 wiederkehren, so dass in der Strophe nur 5 Reime erklingen statt 6, gibt es in den anderen Strophen des Bars nicht.168 Der Junge Meißner der späten Kolmarer Liederhandschrift reimt in seinem ersten Ton, der Frauenlobs Langem Ton fast entspricht,169 in vier Strophen der Peperkornschen Ausgabe so.170 Die Strophen nach Frauenlobs Vorbild im Langen Ton, die in das Supplement zur GA aufgenommen wurden, weisen dieses Reimschema nicht auf.171 In die GA aufgenommen sind mit solchen Reimen: GA V,44 = J 52, GA V,45 = J 53, die beide im Soester Fragment überliefert sind (A 5 und A 6), und auch in GA V,49, einer in der Manessischen, Weimarer und Kolmarer Liederhandschrift überlieferten Strophe, die aber in J fehlt und in C einer Regenbogen zugeschriebenen Gegenstrophe folgt (V,110 G).172 Auch in dieser Strophe V,49 (Ez muz verderben dicke ein ellenthafter mut), die Ettmüller (bei ihm 41) als die Programmstrophe eines Bars verstanden hatte,173 reimt mhd. lâzen auf mhd.

167 Zu üblichen und zu seltenen Reimen bei Frauenlob Kretschmann, S. 232–238. 168 Zu den sechs Reimklängen Brunner, Spruchtöne, S. 70. 169 Den Nachweis, dass gegenüber dem Langen Ton Frauenlob der 17. Vers fehlt, führt Brunner, Die alten Meister, S. 270. Vgl. auch Peperkorn, S. 6–10. 170 Peperkorn B I,52 (Mir ist ein fraüwe gefallen in minß hertzen grunt), B I,59 (Wer anderes nü von dir singet oder seit), wahrscheinlich sind auch B I,37 (Der zuversicht ich armer sonder han) und B I,69 (Von einem apfel all dis welt in schaden kam) so aufzufassen. 171 GA Supplement II, S. 349f. 172 Vgl. GA II, S. 764, zu der Strophe vgl. Wachinger, Sängerkrieg, S. 206. In einer Landschaft, in der kurzes o und kurzes a lautlich nicht wohlunterschieden sind, könnte womöglich auch V,96 dazuzählen. 173 Vgl. Ettmüller, Kommentar S. 298, GA II, S. 765.

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hazzen (Verse 6 und 12)174 und gibt es den aequivoken Reim rut (mhd. ruowet) : wünschelrut (mhd. ruote).175 Der Zweifel, ob man es nicht mit der Strophe eines anderen Dichters zu tun habe, wird bestärkt durch die Tatsache, dass die in J dritte Strophe des Hochvart-Bars innerhalb ihrer bereits berichteten Besonderheit auch noch denselben ‚Webfehler‘ enthält, der für Rettelbach gleichsam der Leitfehler der Selbstrühmungsstrophe ist, wenn er auch hier nicht im mehrfachen Reim steht:176 Das Reimwort wol steht in Vers (GA) V,40,1 und kehrt identisch in Vers 13 wieder. Auch sol aus Vers 2 wird in Vers 16 identisch wiederholt. Das ist, darüber hat Rettelbach ausführlich gehandelt, eine hörbare Lizenz und bei Frauenlob sonst nicht üblich.177 Die Strophe V,40 Hochvart ist aller guten dinge ein zeigen vervielfältigt diesen Anstoß: Weil nicht nur ein Reimwort identisch wiederholt wird, sondern deren zwei, die untereinander reimen, kommt zu den zwei identischen Wortwiederholungen noch der ästhetische Effekt, dass der ganze Reim identisch reproduziert wird. Die Möglichkeit, dass die Reimwiederholung durch Zusammenfall oder unvollkommene Umsetzung mnd. Reime entstanden sein könnte, möchte man allerdings nach der Analyse der zweiten Strophe grundsätzlich einräumen. So beseitigte es vielleicht den stärksten Anstoß, wenn am Anfang Wal : sal /schal

174 Nach Thomas, S. 192 findet sich der Reimtyp, den er an Ettmüller 384 = GA XI,14 im Neuen Ton festmacht (mâzen : hazzen : strâzen, Stackmann GA I konjiziert hazzen zu grâzen), „nur in der schlechten Überlieferung F“ — man könnte aber auch sagen: Er ist bei Frauenlob ausnahmsweise belegt. Zur Kürzung von mhd. â in lâzen, die den Einzelfall erklären könnte, vgl. Paul/Klein/Solms/Wegera § L 37. Beim Jungen Meißner findet man quantitativ unreine Reime mit mhd. a : mhd. â auch in anderen Umgebungen mehrfach, vgl. Peperkorn, S. 16. 175 Nach Rettelbach, S. 178 zeigt sich im Regelwerk des Meistersangs, was formbewusste Dichter in Minnesang und Spruchdichtung außerhalb bestimmter Sprachspiele implizit befolgten: dass aequivoke Reime in der Regel zu meiden seien. Zwierzina, Mittelhochdeutsche Studien V, Abschnitt ‚Der rührende Reim‘, S. 286–313, hat das Phänomen bei seiner Behandlung des rührenden, also auch die Konsonanten der letzten Silbe umfassenden Reims (zu dem er auch identische Reime mit Ausnahme identischer Ableitungen und einige Formen grammatischer Reime zählt) beschrieben. Wenn man seine Beispiele auf aequivoke Reime hin liest, stellt er die Verhältnisse so dar, als sei dieser rührende Reim nur von wenigen Autoren und mit besonderer Gestaltungsabsicht verwendet worden. Aus Gottfrieds ‚Tristan‘ führt er ebd. S. 298 Anm. viele Belege an (z.B. herberge : berge Tr ed. Ranke 5501f., habe ‚Besitz‘ : habe ‚Hafen‘ Tr ed. Ranke 8857f., die Zählung bei Zwierzina weicht ab). Konrad von Würzburg dagegen habe den rührenden Reim gemieden, auch wenn er ihn in einem Lied einsetze, ebd. S. 297f. Dass identische Reime als Mangel an Kunstfertigkeit gewissermaßen auf natürliche Weise verpönt sind, hebt er hervor, S. 300. 176 Rettelbach, S. 179. 177 Vgl. Rettelbach, bes. S. 180f. Rettelbach schreibt ebd. und Anm. 18 allerdings, dass im Frauenlob-Korpus der Göttinger Ausgabe sonst kein identischer Endreim zu finden sei.

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gehört würde, später aber wol gereimt. Denn ein reimbedingtes Ausweichen auf dialektale Formen gibt es öfter, Kretschmann stellt eine ganze Liste zusammen.178 Wie soll man von hier aus weiterdenken? Folgende Varianten erscheinen denkbar: – Man unterstellt, dass Frauenlob auch langweilige Strophen mit kunstlosen Reimen produziert hat, zumal, wenn er sich einem Thema wiederholt zuwandte. – Oder man unterstellt, dass ein Nachahmer das Frauenlobische Thema hochvart, das an einer spezifischen Besetzung eines Begriffs hängt, durch ein Zitat dieses sprachlichen Leitmotivs aufgreift, aber die Strophe (weshalb auch immer, es könnten auch dialektale Umsetzungsprobleme beteiligt sein) schlechter gelingt. Vorläufig, aber das ist eher ein Geschmacksurteil, halte ich die Strophe für eine Nachbildung durch einen weniger mit schulmäßiger Wissenschaft verbundenen Denker und anders reimenden Dichter.

4. Die vierte Strophe: hochvart und übermut, die sint vil ungelich 4.1 Arbeit am sprachlichen Verständnis Auch die vierte Strophe des potentiellen Bars in der Jenaer Liederhandschrift teilt die in der ersten Strophe entwickelte positive Besetzung des sonst häufig negativ, nämlich als superbia-Übersetzung179, besetzten Begriffs der hochvart.180 In der vierten Strophe Hochvart und übermut, die sint vil ungelich (GA V,41,1 = J 49,1) wird das Verhältnis von hochvart zur superbia erstmals explizit besprochen. Dabei besetzt übermut die Stelle der superbia. Hochvart wird eigens davon abgegrenzt. Der Text heißt bei Stackmann, GA I, S. 413 = GA V,41:

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Hochvart und übermut, die sint vil ungelich. hochvart ist rich der edelen, hohen tiure, aller tugent stiure. hochvart versmehet nidere dinc, die sint ungehiure, die schande und al ir hegenheit. hei, welch ein stolzez künden!

178 Kretschmann, S. 231–232. 179 Vgl. Huber, Wort, S. 159 mit Belegen. 180 Davon geht auch Kellner, S. 271 aus.

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Hin, übermut valsch! wes vermizzestu dich her, sit daz din ger die hohen und die nideren smehen unde wideren tar unde wil ane underscheit? da von muz ich videren din art, din wesen, din eben grunt zun schanden und zun sünden. Hochvart ie edelen herzen zam, hochvart ist niderverte gram, daz saget ir nam gar sunder scham. hin, übermut, an selden lam, du holzeloser witze ein stam! von dir quam, daz der engels val bleib bi des jamers gründen.

Franziska Wenzel ediert die Strophe nach J folgendermaßen (S. 382f., nach J fol. 105v):

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Houchvart und ubermůt, die sint vil ungelich. houchvart ist rich der edelen, hohen tiure, aller tugent stiure. houchvart versmehet nyder dinc, die sint ungehiure, die schande und al ir hegenheit. hey, wellic eyn stoltzez kunden!

Hyn ubermůt, valsch! wes vermizzestu dich her, sit daz din ger die hoen und die nyderen 10 smehen und wideren dar und wil an underscheit? davon můz ich videren din art, dyn wesen, dyn evegrunt tzůn scanden und tzůn sunden. houchvart e edelen hertzen tzam, houchvart ist nyderverte gram, 15 daz saget ir nam gar sunder scham. hin, ubermůt, an selden lam. du holtzesloser witze eyn stam! von dir kam, daz der engeles val blieb by des jamers grunden.

Im Digitalisat der Handschrift lese ich (105v unter dem Haupttext; die Diakritika über n sind in der Hs. überwiegend Striche):181 181 https://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/rsc/viewer/HisBest_derivate_00001155/MsEl-f-101_105v.tif, letzter Abruf 7.8.17, 10.39.

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[H] ouchvart vnd vber můt die sint vil vngelich . houchvart ist rich . der edelen hohen tivre . aller tugent stivre . houchuart ver smehet nyder dinc die sint vngehivre . die schande vnd al ir hegenheit . hey wellic eyn stoltz ez kunden.



[H] yn vber můt valch wes ver mizzestu dich her . sit daz din ger die hoen vñ die nyderen smehen vñ wideren tar vñ wil an vnderscheit . da von můz ich videren din art dyn wesen dyn eve grunt tzun scanden vnd tzůn sunden.



[H] ouchuart e edelen hertzen tzam . houchvart ist nyder verte gram . daz saget ir nam gar sunder scham . hin vber můt an selden lam . du holtzeloser witze eyn stam . von dir kam . daz der engeles val blieb by des iamers grunden.

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Für das Verständnis könnte wichtig sein, dass man den unter Vers 11 tar vñ getilgten Text, zu dem Stackmann im Apparat vermerkt „Verschmutzung, darunter vermutlich älterer Text“182, zumindest am Anfang im Digitalisat mühelos lesen kann; da stand dar, das ist sicher lesbar, und danach sieht man ein nach oben ausgreifendes Zeichen oder ein übergeschriebenes Kürzungszeichen für vnde über vn, wie es auch sonst in der Handschrift und im Nachtrag verwendet wird. Jedenfalls ist der Schreiber durch die nd. Lautung in seiner Vorlage beirrt worden, hat den Irrtum aber bemerkt. Da man die niederdeutsch-hochdeutsche Kompetenz der Schreiber auch für andere Formen mehrfach festgestellt hat,183 wäre es also sinnvoll, Stackmanns Verständnis von hsl. e = mhd. ie = nd. e im Vers 14 ohne Kennzeichnung in den Text zu setzen: Hochvart ie edelen herzen zam.184 Nicht unbedingt nötig wäre im Vers 5 die Normalisierung gegen die Handschrift, wenn endungsloses nider mit 182 GA II, S. 757 im Apparat zu V,41. 183 Bartsch, S. 46f., S. 77, S. 91–93; Klein, Verbreitung, S. 94; Czajkowski, S. 32f., S. 37f. 184 Klein, Niederdeutsch und Hochdeutsch, S. 217 (Tabelle) hat in sechs von neun untersuchten Texten der niederdeutsch-hochdeutschen Schriftsprache e-Varianten für mhd. ie gefunden. Die untersuchten Handschriften reichen vom letzten Viertel des 12. bis zum letzten Viertel des 14. Jahrhunderts (vgl. ebd., S. 206f.). Interessant ist der Befund, dass die e-Schreibungen in den frühen Hss. die Ausnahme bilden, in den späten aber häufig werden oder sogar überwiegen (ebd., S. 216). – Einzelne e-Schreibungen für mhd. ie (mit unterschiedlicher Etymologie, wie auch bei Klein) verzeichnet für den Nachtragsschreiber von J schon Bartsch, S. 48f.

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der Endung -e (als Entsprechung für das mhd. -iu des Neutrums Pl., das omd. und nd. Schreiber üblicherweise meiden185), versehen wird. Endungslose Nebenformen sind ja überregional möglich.186 In Vers 13 ist keine Konjektur nötig, wenn man das Spatium zwischen eve (= mhd. êwe) und grunt aus der Handschrift übernimmt und demzufolge grunt als Verbum, nämlich mhd. grüenet ‚grünt‘ auffasst. Ein besonderes Verständnisproblem stellt Vers 6 dar. Hegenheit wäre hapax legomenon;187 man könnte aber ganz zwanglos darin eine hyperkorrekte Schreibung sehen, denn h-Schwund im Wort- und Silbenanlaut ist im Mnd. weithin vorauszusetzen,188 und die Schreibung houchgeherten ( J39,1 = V31,1,) scheint mir auch hierher zu gehören und mit ‚hochgeehrten‘ wiederzugeben zu sein. Diese Überlegung führt auf die Auffassung von handschriftlichem hegenheit als nd. egenheit,189 mhd. eigenheit, was auch ein sinnvolles Verständnis ermöglicht. Am Ende des 6. Verses kann man noch püfen, ob wegen des deutlichen Spatiums zwischen stoltz und ez zwei Worte zu lesen seien, und für hey wellic dürfte man angesichts der im Digitalisat studierbaren Gewohnheiten des Schreibers wohl auch hey wellit lesen, Pronomen mhd. er und Verbform. Aber mir ist es (auch mangels eines grammatischen Maskulinums in der syntaktischen Umgebung) nicht gelungen, mit diesen Alternativlösungen einen sinnvollen Satz zu bilden, allenfalls mhd. stolz, ës kunden (= ‚davon zu künden‘, Genitiv von ëz) macht einen gewissen, aber auch keinen besseren, Sinn. Das Wort nach übermut heißt in der Handschrift valch. Alle bisherigen Editoren lesen mhd. valsch, jeder neue fasst den Satz anders auf als die Vorgänger: Während Ettmüller den Falsch personifiziert und anredet (valsch, wes vermizzest dû dich her, Ettmüller 62,7), behandelt Stackmann ihn als nachgestelltes Attribut (GA V,41,7 Hin, übermut valsch!) und Wenzel als koordiniertes Substantiv (Hyn übermůt, valsch, J 49,7). In der Tat ist es verlockend, valsch anzunehmen, zumal es auch ein mnd. Adjektiv valk gibt, das (wie mhd. vals, valsch) auch ‚falsch‘ heißt und gleichsam mechanisch in valch umgewandelt worden sein könnte.190 In adjektivischem Gebrauch ist das geläufig: die superbia ist vitiosa, gehört zu den Lastern. Das spräche für die syntaktische Auflösung, die Stackmann gewählt hat. Man muss aber auch daran denken, dass das valch der Handschrift auch mnd. vallich sein191 und mhd. vellec ‚zum Fallen geneigt, fallend‘192 entsprechen kann. Dieses 185 Dazu Klein, Niederdeutsch und Hochdeutsch, S. 220. 186 Auch Grosse, S. 88 bucht einige endungslose Akkusative. 187 Vgl. Stackmann GA II, S. 757 zur Stelle. 188 Vgl. Lasch, § 350, S. 187. 189 e-Belege in diesem Wort, das mnd. auch eigenheit heißen kann: Schiller-Lübben I, S. 636. 190 Schiller-Lübben V, S. 192, S. 195. 191 Schiller-Lübben V, S. 194f. 192 BMZ III, S. 225.

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Verständnis ist dann in die Oben-unten-Metaphorik eingebunden: übermut ist vellec als der Hochmut, der vor dem Fall kommt. Mit den vorgeschlagenen Veränderungen (und etwas anderer Interpunktion an einigen Stellen) würde eine von Stackmanns Text ausgehende, seine Normalisierung benutzende Strophe heißen:

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Hochvart und übermut, die sint vil ungelich. hochvart ist rich der edelen, hohen tiure, aller tugent stiure. hochvart versmehet nider dinc, die sint ungehiure, die schande und al ir eigenheit. hei, welch ein stolzez künden! Hin, übermut valsch/ vellec! wes vermizzestu dich her, sit daz din ger die hohen und die nideren smehen unde wideren tar unde wil ane underscheit? da von muz ich videren din art. din wesen, din ewe grunt zun schanden und zun sünden. Hochvart ie edelen herzen zam, hochvart ist niderverte gram, daz saget ir nam gar sunder scham. hin, übermuot, an selden lam, du holzeloser witze ein stam! von dir quam, daz der engels val bleib bi des jamers gründen.

Bei mhd. stiure stf. scheint ein Genetiv nur den Urheber oder die Instanz der Hilfe zu bezeichnen, nicht dasjenige, womit ausgestattet wird. 193 Es ergibt sich jedoch für die Übersetzung im ersten Stollen immer noch eine Wahl: ‚Hohe Lebensart und Überhebung, die gleichen einander nicht. Die hohe Lebensart ist reich an edlem, hohem Wert und an Ausstattung durch alle Tugend‘ (Vers 4 hängt wie Vers 3 von rich ab) oder: ‚ist reich an dem edlen, hohen Wert und ist die Gabe aller Tugend‘ (Vers 4 setzt nach ist in Vers 2 an: ‚ist reich und ist Gabe‘) oder ‚ist reich an edlem, hohem Wert, der Ausstattung durch ganze Tugend‘ (Vers 4 hängt als Attribut von tiure ab). Diese Möglichkeiten sind inhaltlich gleichwertig. 193 Vgl. BMZ II.2, S. 650 b, Lexer II, Sp. 502; Belegarchiv des MWB zum Lemma (http:// www.mhdwb-online.de/konkordanz.php?lid=159660000&seite=3, Abruf 6.01.18, 16.12)

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Auch im zweiten Stollen ergeben sich Wahlmöglichkeiten in den Versen 7 und 8, die aber rascher zu erledigen sind. Denkt man an einen Reim mhd. hër : gër, ergibt sich ‚Wieso kommst du so stolz hierher, während das Begehren, das zu dir gehört, es wagt und ohne Verstand die Hohen und die Niederen in Schande bringt und den umgekehrten Weg gehen lässt?‘ Das müsste man als parallele Konstruktion auffassen, also so, dass die Reihenfolge der Hohen und Niederen auch die der Bewegungen bedeutet: Die Hohen kommen durch superbia nach unten, die Niederen scheinbar nach oben. Keine wirkliche Alternative bietet die Auffassung mit Langvokal (also mhd. hêr : gêr): ‚Was tust du vornehm, weil dein Wurfspieß es wagt .... ‘. Denn zwar tritt Superbia auf Darstellungen im Gefolge der ‚Psychomachia‘-Bebilderung oft auf einem Pferd und mit Waffen auf,194 aber wieso die Waffe ein heroischer Wurfspieß sein soll und wie er die Hohen erniedrigt und die Niederen höher scheinen lässt, wäre schwer zu begründen. Diese Variante bleibt also im Folgenden unberücksichtigt. Die letzte Wahlmöglichkeit bietet sich im Verständnis des Wortes videren in Vers 11 und in der daraus entstehenden Bildlichkeit und Sinngebung der Verse 11 und 12. Die Pole des Verständnisses von videren liegen bei ‚befiedern‘ mit anschließender Pfeilbildlichkeit, z.B. des Beförderns, und bei ‚erdichten‘. Nimmt man an, es sei ‚mit Federn versehen‘ und das Bild vom Pfeil (weniger vom Lebewesen, dessen Federn man ihm ja nicht erst gibt) zu unterstellen, dann ergibt sich eine Metapher des eiligen Wegbeförderns (weggeschossen wie ein befiederter Pfeil).195 Man müsste dann da von muz ich videren /din art (Verse 11–12) so verstehen, dass das Verschwinden der übermut vom Schauplatz der Auseinandersetzung vom Ich abhängt und nach oben gedacht wird. Eine verwandte Vorstellung verwendet Thomasin für die unmâze:

Ir geschôz ist âne veder gar, daz geloubet wol vür wâr. dâ von schiuzt si von dem zil verre, swerz verstên wil. si schiuzet minner ode mêr   danne daz schuzzil ger.

Thomasin ed. Rückert/Neumann vv. 9961-9966.

194 Vgl. Evans, Sp. 16–17. 195 Ähnlich auch im BMZ III, S. 288.

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Wenn die Metapher so aufzulösen wäre, befände sich im Hintergrund der Deutung eine wirkmächtige Tradition, die den Pfeil als Wort auffasst, und man wäre berechtigt, darüber nachzudenken, ob diese Tradition mitgemeint ist. Die Pfeilmetapher ist in einer alten (auf Homer und Pindar zurückgehenden und über Gregor von Nazianz in die Patristik hineinreichenden) Deutungsgewohnheit mit dem Wort, dem Sprechen und Singen besetzt.196 Die Verwendung der Pfeilmetapher für das dichterische Wort folgt bei Homer, so erklärt es Joachim Latacz, der Überlegung, das Dichterwort werde ausgesandt und verbreite sich „wie der gefiederte Pfeil [...] nach Reichweite und Richtung“,197 sei also von vornherein adressiert, kontrolliert und grundsätzlich unumkehrbar. Die Metapher von Worten als Pfeilen ist offenbar langlebig und von verschiedenen literarischen Traditionen weitergegeben worden.198 Sie findet sich auch biblisch (Ps. 63,4: tetenderunt sagittam suam verbum amarissimum, wo der ganze Psalm von der Pfeilmetaphorik lebt; und Jer. 9,8 sagitta vulnerans lingua eorum dolum locuta est). Wirkungsmächtig ist auch Horaz, der die Bogen- und Pfeilmetapher in der Ars poetica (350) mit den Worten nec semper feriet, quodcumque minabitur, arcus (‚und nicht immer wird der Bogen das Ziel, das er droht zu treffen, erreichen‘) explizit auf Dichter und Dichtung bezieht.

Einerseits ist ein solcher Deutungshintergrund für einen gelehrten oder nach dem Anschein von Gelehrsamkeit strebenden Dichter sehr erwünscht. Aber beim Ausbuchstabieren des Bildes gerät man auf unsicheres Gelände: Das Ich verschafft der Hybris Flügel wie einem plumpen, ungeflügelten Pfeil — jedoch nicht, um besser zu treffen, sondern, um sie wegzuschicken.199 Schlimmer noch: Das Pfeilbild macht die Hybris zum Pfeil, und wenn man den Pfeil als Dichtungsgleichnis kennt, ist die Dichtung oder das gesprochene Wort im Bild mit der Hybris zusammengefallen. Geht das an? In der Strophe eines Dichters? Skepsis ist sicher geboten. Weniger Probleme bekommt man mit dem zweiten Verständnis des transitiven videren, das sich etwa als ‚wahrheitsunbekümmert ausschmücken‘ wiedergeben ließe. Die Bedeutungsangabe ‚lügen‘ im BMZ200 ist nicht ideal, deshalb führe ich meinen Verständnisvorschlag am Beispiel vor: 196 Stellen und Parallelen bei Kuhn, S. 44–47. 197 Vgl. Latacz; Zitat S. 30. 198 Nach Ansicht von Bretzigheimer, S. 16 will Ovid die Sinnebene ‚Dichtung‘ auch in einer vordergründig mythisch bebilderten Stelle über den Pfeilschuss des Amor einräumen (Ovid, Ars amatoria ed. Hollis 1,1,21–30). 199 So auch die Interpetation der Stelle in BMZ III, S. 288. 200 BMZ III, S. 288.

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Im ‚Renner‘ wird eine erzählte Geschichte metaphorisch befiedert, was ihr in dem Kontext etwas Lügenhaftes und Wirklichkeitsverfälschendes gibt, wobei man vielleicht an die Schreibfeder denken soll und im Kontext offenbar bei der Bedeutung ‚erdichten‘ ankommt: Sô die liute ie mêre geliegent: Wenne daz ein mensche nie gesach Und daz vil lîhte ouch nie geschach, Daz vidert ez und machet ez niuwe. War bistu kumen, einveltigiu triuwe, Der man wîlent unser alten Ân allez kunterfei sach walten?

Hugo von Trimberg, Renner ed. Ehrismann, vv. 4418-4424201

Und diese Art der Verwendung lässt sich nun gut und ohne weitere Irritationen auf die Strophe übertragen. Man müsste die Verse 11 und 12 da von muz ich videren/ din art. din wesen, din ewe grunt zun schanden und zun sünden dann übersetzen als: ‚Daher werde ich deine Eigenart in eine Metapher fassen: Dein Wesen, dein Gesetz treibt zur Schande und zur Sünde hin aus‘. Das Bild wäre nicht von einer Pfeilmetapher, sondern von einer Pflanzenmetapher bestimmt, in der Sünde und Schande die Wuchsrichtung vorgeben. Für meine anschließende Übersetzung gebe ich dieser Variante den Vorzug. Im 18. Vers ist das Adjektiv holzelôs mit dem bildgebenden Stamm verbunden. So sieht es das Wörterbuch der GA, wo der Sinn ‚du, dem es gänzlich an witze fehlt‘ vorgeschlagen wird.202 Dann ist die Metapher aber auch ganz weginterpretiert. Ein waldloser Stamm steht allein; dieser allein dastehende Stamm steht für die witze, den Verstand, der sich auf sich selbst verlässt. Die Gemeinsamkeit der parallel zu schauenden Stämme würde das rechte Denken verbürgen, aber der Verstand, der allein dasteht, gewissermaßen ohne das Korrektiv des Waldes, entspricht der übermut. Wenn man soviel an überliefertem Wortlaut stehenlassen möchte, dass das Bild noch verstanden werden kann, dann führt das auf ‚du Stamm waldlosen Verstandes‘: Die Selbstgenügsamkeit der Hybris wird thematisiert, indem es als der Stolz des einzelnen Baumes dargestellt wird, anders zu sein als der ganze Wald. Die gleichwertigen Verzweigungen und die bisherigen Entscheidungen vorausgesetzt, würde die Übersetzung lauten: 201 In derselben Bedeutung verwendet Hugo das Bild nochmals: Hugo von Trimberg, Renner ed. Ehrismann, 18349–18352: Der ez ze ôren bringen wölte/ Mit der wârheit als er sölte,/ 18351 Der mit slehten worten ez widerte/ 18352 Und ez mit lügen etswâ niht viderte [...]. 202 GA Wörterbuch, S. 161 unter holzelôs.

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‚Hohe Lebensart und Überhebung, die gleichen einander nicht. Die hohe Lebensart ist reich an edlem, hohem Wert und an Ausstattung durch alle Tugend/ reich an dem edlen, hohen Wert und ist die Gabe aller Tugend/ ist reich an edlem, hohem Wert, der Ausstattung durch ganze Tugend. Die hohe Lebensart verschmäht das Niedere, das nicht geheuer ist: die Schande und alles, was zu ihr gehört. Ha, welch stolzer Anspruch/ welch Stolz, darüber zu sprechen! (ab Vers 7) Weg, Überhebung, du führst zum Fall! Wieso kommst du so stolz hierher, während das Begehren, das zu dir gehört, es wagt und ohne Verstand die Hohen und die Niederen in Schande bringt und den umgekehrten Weg gehen lässt? Daher werde ich deine Eigenart in eine Metapher fassen: Dein Wesen, dein Gesetz treibt zur Schande und zur Sünde hin aus. (ab Vers 13) Die hohe Lebensart stand edlen Herzen immer gut an. Hohe Lebensart ist über Abstiege bekümmert, das sagt ihr Name, dessen man sich überhaupt nicht schämen muss. Hinweg, Überhebung, du hinkst auf dem Glücksbein, du Stammbaum waldlosen Verstandes! Von dir ging es aus, dass der Fall des Engels in den Abgründen des Jammers andauerte.‘

4.2 Ergeben das Oben, das Unten und Darüber eine dreiwertige Logik, und ist das aristotelisch? Dieser Spruch arbeitet mit einer ganzen Anzahl räumlicher Bilder. Da die hohen und die nideren, offensichtlich ist das ja eine soziale Skalierung, gleichermaßen den Angriffen der oder des übermuot ausgeliefert sind (Vv. 8-11), ist es klar, dass die hochvart nicht einfach ein Attribut der hohen sein kann. Sozial gibt es eine zweiwertige Differenzierung von oben und unten; ethisch ist die Richtungsskala aber dreiwertig: Es gibt unten, oben und darüber. Außerdem ist vart nicht muot: Es hätte das Wort mhd. hôchmuot ja gegeben, man könnte es in dem Spruch sehr einfach einwechseln, denn die hochvart steht nirgends im Reim. Wenn das Wort auch lexikalisiert und verfestigt ist: -vart unterstellt ein bewegtes Subjekt des Tuns (das kein Mensch sein muss) in einem räumlichen Bezugssystem. Das ist im Lateinischen auch so: in via zu sein wird hochterminologisch verwendet, aber es trägt zugleich die verblasste Metapher der Reise eines (hier allerdings regelmäßig menschlichen) Subjektes fort. Mhd. muot/-müete dagegen, ob hôch- oder über-, sind Vokabeln der Innensicht. Sie sind das auch in Denksystemen, für die – wie Frauenlobs Zeitgenosse Eckhart es in unterschiedlichen Bildern sagt – das Edelste in der menschlichen Seele und das Göttliche vom gleichen Geist sind. Allerdings werden Tugenden und Laster, obgleich die Ethik des 13. Jhs. sie mehrheitlich als Haltungen der Seele behandelt, zugleich seit der Psychomachia des Prudentius als auswärtige Mächte vorgestellt, die dem Menschen oder seiner Seele räumlich entgegenzutreten scheinen. Dass die Fähigkeit, sittlich zu handeln oder das Gegenteil 57

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zu tun, zugleich als innere Möglichkeit und als Leitung von außen begriffen werden kann, wird sich auch in den Bildern für übermut ab Vers 17 spiegeln, die unten besprochen werden. In der Strophe wird entfaltet, dass eine Einstellung, übermuot, die Bewegung hochvart stört, also der Entfaltung hoher Lebensweise im Weg ist. Trotz des verschiedenen metaphorischen Kerns der Vorstellungen werden hochvart und übermut im ersten Vers verglichen, was ihre Vergleichbarkeit voraussetzt und eine Antithese herstellt. Dieses Arrangement ist historisch durchaus bemerkenswert, denn erst mit der Auffassung der Tugend als habitus, wie sie von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik (1105a)203 entwickelt und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von bedeutenden Gelehrten, z.B. bei Thomas von Aquin, in theologisch-philosophische Systeme übernommen wird,204 denkt die scholastische Ethik die Tat nicht nur von innen nach außen (über Tugenden und Laster, Willen und Entschluss), sondern auch vom äußeren Tun des Subjekts nach innen (über die Gewohnheit, die zur Haltung wird). Es könnte sich also daran zeigen, dass eine erst in der Aristotelesrezeption erworbene Auffassung von der Ausstattung des Menschen und seinem sittlichen Handeln zugrundeliegt — freilich ist das in aller Vorsicht zu erwägen und für den Fall, dass auch die in der Strophe benachbarte Metaphorik dazu passt. In dem einfachen Vorrat an Bestimmungen in dem Spruch werden die Gegensätze zwischen innen und außen, dem Tun und dem Denken ungleichmäßig auf die vordergründig diskutierten Raum- und Richtungsmetaphern verteilt. Es gibt eine hochvart und eine nidervart (V. 14), beide bezeichnen einander feindliche Lebensweisen. Diese hochvart wird in Beziehung zu den Tugenden gebracht. Der Satz ist grammatisch bemerkenswert polyvalent; es steht eigentlich nur fest, dass ein Zusammenhang zwischen hochvart und Wert (tiure) einerseits, Tugend andererseits besteht. Ob dieser Zusammenhang gedanklich jeweils von der hochvart zu organisieren sei oder ob tiure und tugent voneinander abhängen, ist grammatisch unterbestimmt, es ist also nicht von Bedeutung. Jedenfalls hat eine hochstehende oder hoch angesehene Lebensweise eines implizit mitgedachten Menschen etwas, wofür sie geschätzt wird: tiure. Die Bewertenden bleiben ungenannt.

203 Übersetzung von Olof Gigon in: Aristoteles NE ed. Nickel/Gigon, S. 67: „Bei den Tugenden handelt es sich nicht nur darum, daß die Tat sich irgendwie verhalte, also daß sie gerecht oder besonnen vollzogen werde, sondern daß auch der Handelnde in einer entsprechenden Verfassung handle: erstens bewußt, dann auf Grund einer Entscheidung, und zwar einer solchen um der Sache selbst willen, und drittens, wenn er im Handeln sicher und ohne Wanken ist.“ 204 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I-II q. 55 art. 1 (Utrum virtus humana sit habitus); verallgemeinernd Kluxen, S. 218f.

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Während die nidervart als Gegensatzbegriff zur hochvart konstruiert wird, gibt es im Text keinen nidermut und keinen hochmut, sondern nur übermut. JanDirk Müller hat vor einigen Jahren am ‚Nibelungenlied‘, wo mhd. übermuot ein Schlüsselwort ist, herausgearbeitet, dass sich die theologisch-geistliche Besetzung des Begriffs superbia und der aus weltlicher Lebenshaltung gedachte übermuot als „Überschuß an Kräften“205 noch um 1200 nicht ohne weiteres verrechnen lassen. Bei Frauenlob wird der Engelssturz aber im letzten Vers eigens erwähnt, seine Verwendung von übermut orientiert sich also an der superbia, die er von der hochstrebenden Lebensweise abgrenzen will. In dem Teilsatz sit daz din ger/ die hohen und die nideren/ smehen unde wideren/ tar unde wil ane underscheit (GA V,41,8-11) wagt das Begehren etwas. Wenn jemand Begierden entwickelt, die aus dem/ der übermut folgen, bringt sie/er die Hohen in Schande, handelt also als ihr Widersacher. Darin steckt für den Fall, dass man sich für ‚Begehren‘ entscheidet, eine kleine theoretische Komplikation. Denn ein allgemeines, nicht auf Sinnlichkeit eingeengtes Begehren ist einer der Grundbegriffe der aristotelischen Seelenlehre:206 das Strebevermögen, das in den scholastischen Entwürfen (z.B. bei Thomas) überwiegend appetitus heißt.207 Dass dieser Hintergrund mitzudenken sei, erscheint mir angesichts der Dreiwertigkeit der Ortsangaben (unten, oben, darüber) durchaus wahrscheinlich. Denn unten und oben sind in ihrer Symbolik ubiquitär; sie sind im Allgemeinen zweiwertig. Das gibt es ja auch in dieser Strophe: hochvart ist niderverte gram (GA V.41,14). Nach der Einführung der/des übermut wird aber die hochvart in dem Koordinatensystem der symbolischen Vertikalität zur Mitte, und die Mitte zeigt das Richtige an. So denken aber Spruchdichter (und Theologen), die zum rechten Leben anleiten wollen, um 1300 noch nicht lange; im Gegenteil ist der Übergang von der zweiwertigen Logik des Bösen und Guten, des Lasters und der Tugend zur dreiwertigen Logik des fehlerhaften Zuviel und fehlerhaften Zuwenig, zwischen dem man, wie es bei Aristoteles steht,208 die rechte Mitte suchen muss, einer der bedeutendsten geistesgeschichtlichen Paradigmenwechsel des späteren 13. Jahrhunderts. Bedeutsam muss man ihn auf zwei Ebenen nennen: zum einen, weil 205 Vgl. Müller, Spielregeln, S. 237–242, Zitat S. 237. 206 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 6. Buch, Kap. 2, 1139a. In der Übersetzung von Olof Gigon: „Drei Dinge in der Seele beherrschen das Handeln und die Wahrheitserkenntnis: Wahrnehmung, Vernunft, Streben.“ Aristoteles NE ed. Nickel/Gigon, S. 239. 207 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I q 80 art. 1 co. Zu Thomas vgl. Newmark, S. 72–74. Über Albertus Magnus vgl. Anzulewicz, S. 146f. 208 Aristoteles, NE 1107a, Übersetzung von Olof Gigon, ed. Nickel/Gigon S. 75: „Die Tugend ist also ein Verhalten der Entscheidung, begründet in der Mitte im Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Überlegung bestimmt wird und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde.“

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man den rechten Weg, die rechte Mitte, immer erst suchen muss; das ist eine sehr kunstfreundliche, insbesondere erzählfreundliche, Ansicht von der conditio humana. Zum anderen, weil das moralische Urteil über menschliche Handlungen damit auf eine grundsätzliche Weise entschematisiert wird. Der Wandel vom bipolaren Tugend-Laster-Denken zur Dreiwertigkeit sittlicher Entscheidung vollzieht sich in der Volkssprache als Verschiebung und Überformung des schon früher belegten Konzepts der mâze durch das verwandte, aber anders gedachte Konzept der aristotelischen Mitte. Am Ende dieser Abhandlung ist als Exkurs II eine genauere und quellennähere Erklärung dieses Vorganges eingefügt, der — obgleich hinreichend komplex — für das Verständnis der Strophe GA V,41 doch nur eine Hilfsfrage stellt: Wie nah ist die Strophe an der Gelehrsamkeit des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, und wie nah verwandt ist sie darin der Strophe GA V,38 über die Worte als Zeichen der Dinge, für die eine enge Bindung an die lateinische Bildung feststeht? In der Strophe GA V,41 findet die Hinwendung zum mindestens dreiwertigen Denken in der Vertikalen statt. Es ist der mittlere Bezugspunkt, der für das Richtige steht, wenn zugleich von hôchvart und nidervart, also einer Bewegung eines Subjekts, die Rede ist (wogegen übermut zunächst eine Gesinnung auszudrücken scheint, die Folge einer räumlichen Lage ist). Das Bild des Richtigen wird vom handelnden Subjekt aus entwickelt (nicht mehr im Sinne des alten mâze-Konzepts vom Gegenstand her). Es eröffnet sich ein Entscheidungsraum, der von auszuschlagenden Handlungsweisen gesäumt wird (nidervart und übermut). Das entspricht der Leitmetapher der aristotelischen Konzeption des richtigen Handelns. Woher aber diese Übereinstimmung stammt, ist schwer zu sagen. Denn sie könnte einerseits unmittelbares Bildungsgut sein. Diese Bildsprache passt zu einem Dichter, der Cicero und Ovid kennt und vielleicht auch eine Aristotelesvorlesung gehört hat. Aber weil auch Bildsprache eine Sprache ist, kann sie über Muster tradiert werden und sich von dem biographischen Ursprung der Gelehrsamkeit unbeschadet entfernen. Es wäre auch möglich anzunehmen, dass der Dichter das mâze-Konzept von vielen volkssprachlichen Vorbildern kennt und sich dabei insbesondere an denjenigen Mustern orientiert, die für ihn nach Bildung und Modernität als vorbildlich gelten, deren Urheber mâze unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwandtschaft mit der aristotelischen Mitte betrachten und vorführen.

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5. Ein Strophenzusammenhang nach dem hochvart-Begriff: Wann ist er entstanden? Wenn man sich fragt, was die 4 Strophen J 46 bis J 49 (GA V,38–GA V.41) zusammenhält, so fällt zunächst das Kriterium ins Auge, das auch für einen Schreiber, vielleicht den Nachtragsschreiber von J, vielleicht den Produzenten seiner Vorlage, wichtig gewesen sein könnte: dass diese vier Strophen einen positiven hochvart-Begriff haben209 und hochvart mhd. nur im Umkreis des Ritterlichen in diesem positiven Sinn der ursprünglichen Richtungsmetaphorik belegt ist: Nur in der höfischen Epik, zum Beispiel im ‚Armen Heinrich‘, finden sich Belege für die allgemeine Bedeutung ‚gehobener Lebensstil‘.210 Dagegen gehört das Wort in Übersetzungstexten eher ins superbia-Umfeld.211 Der einheitliche hochvart-Begriff wird für die Zusammenstellung der Strophenfolge mutmaßlich ein Leitmerkmal gewesen sein. Da sich andererseits im Durchgang durch die Strophen auch Unterschiede gezeigt haben, muss man zunächst einmal die Entscheidung zur Aufnahme ins Frauenlobkorpus von J zu verstehen suchen: Galt vielleicht der hochvart-Gebrauch der vier Strophen in J für die Zeitgenossen als frauenlobisch, als Zuschreibungsgrund, oder war er er im Gegenteil dazu geeignet, die Sonderstellung im Korpus von J zu begründen, die zum Randnachtrag statt in den Haupttext führte? Das Wörterbuch der GA weist die Verwendung von hochvart in dem Bar in J schon quantitativ als beherrschend in den Frauenlobkorpora aus - das Wort kommt also sonst kaum vor. Es bucht aber auch zwei Belege, die unter Umständen abweichen könnten:212 hochvart, nu grin! in GA VIII,25,19, einer Strophe im Zarten Ton,213 und hochvart zu armer gülte GA VII,1.214 Die erste der beiden Stellen, hochvart, nu grin! in GA VIII,25,19 ist für die hochvart gerade unter Zuschreibungsaspekten sehr interessant. In der sehr pole-

209 Huber, Wort, S. 159–163, S. 198f. 210 Den positiven Aspekt hat Fasbender herausgearbeitet, bes. S. 398. 211 Vgl. Huber, Wort, S. 159 mit Belegen. 212 Vgl. Wörterbuch zur GA, S. 160. 213 Die Gründe für die Aufnahme in die Frauenlobkorpora von J und F könnten hier nach GA II, S. 931 spezielle und punktuelle Bezüge sein. 214 Das Verständnis der Strophe ist schwierig, und in dem Vers mit hochvart steckt eine Konjektur. Stackmann setzt den Text nach J stellenweise in Cruces. Die Strophe entfernt sich in F in den Wörtern und Formen recht weit von J. Im Wörterbuch haben sich Stackmann und Haustein unter den schwierigen Umständen zu dem Verständnis von hochvart in VII,19,16 als „zur Schau gestellte hochvart, die ohne ausreichende materielle Grundlage ist“ durchgerungen. GA Wörterbuch, S. 160.

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mischen Strophe, über deren Autorschaft es verschiedene Ansichten gibt,215 reimt der Imperativ grin auf mhd. wîn (V. 18) und mhd. dîn (V. 20). Es handelt sich also ohne jeden Zweifel um das Verbum mhd. grînen, das ganz überwiegend für Unmutskundgebungen verwendet wird.216 Die Strophe entwirft ein polemisches Zerrbild eines Menschen, ehe der Sprecher die hochvart auffordert: nu grin, also vielleicht : ‚nun weine, hochvart‘; oder stärker: ‚nun heule auf, hochvart‘. Dieser Kontext sichert, dass die hochvart für die richtige Lebensweise steht, von der der affensin (V. 16) abweicht. Von wem die Strophe auch stammt – sie ist sich mit den vier hochvart-Strophen der Jenaer Liederhandschrift im hochvart-Begriff einig. Beim Vergleich der Verwendungsweisen von hochvart ergab sich zufällig und zusätzlich, dass grinen, in GA VIII,25,19 das Wort dafür, was hochvart tun soll, ebenfalls ein seltenes Wort in Frauenlobsammlungen ist und in einer weiteren, in C unter Regenbogens Namen überlieferten Gegenstrophe (GA V,117 G: Der wage simz, der künste bimz, nimz unde gimz) in deutlich abweichendem Sinn verwendet wird. Das könnte (falls man sich auf die Überlieferung verlassen kann) bedeuten, dass die zugehörige Strophe GA V,117 G von einem anderen Autor stammt als GA VIII,25,19.217 Diese polemische Strophe GA VIII,25 Nu merke, tunkel biderman zeigt ein Wortverwendungsmuster, das Zugehörigkeiten schafft und andere verhindert: Sie verwendet hochvart im Sinne des vierstrophigen Bars in J; und sie unterscheidet sich im Gebrauch von mhd. grînen von GA V,117 G, die einen anderen Urheber gehabt haben muss, ob er Regenbogen hieß, wie C ansetzt, oder wie immer. Die Übereinstimmung kann vieles bedeuten, beispielsweise, dass eine Region eine Vorliebe für einen bestimmten Gebrauch hat, dass sich jemand dem Wortgebrauch eines Vorbildes oder einer vorbildlichen Gruppe anschließt; ein Sonderfall dessen liegt vor, wenn es sich um denselben Dichter handelt. Die Übereinstimmung sagt also nicht viel. Die Abweichung dagegen ist interpretatorisch ergiebig, weil es un215 Wachinger, Sängerkrieg, S. 270–272 behandelt die Strophe Nu merke, tunkel biderman als eine Frauenlobstrophe, auf die sich die Gegenstrophe Ettmüller 155 = GA V,120G Sich biuxt in einer vremder rede ein talken korn beziehen könnte. Huber, Wort, S. 138 folgt ihm darin. Stackmann zeichnet als zweifelhaft aus und verweist auf einen Widerspruch zwischen Thomas‘ Editionsvorbereitungen, mit denen er arbeitet, und Thomas, S. 13. Rettelbach, S. 185 überlegt, ob diese unsichere Strophe GA VIII,25 nicht auch dem Autor der ‚Selbstrühmung‘zuzuschreiben sei, weil in V,119 G (= J 14: Heinrich, e diner zit ist vrouwen lob gewest) , einer Gegenstrophe aus dem Umkreis der Selbstrühmung, von narren win (V,119 G 12) und torensin (ebd.) die Rede ist und in VIII,25,16 (= J 83,16 = F 80,16) der affensin vorkommt und ein ähnlicher, boshafter Ton herrscht. 216 BMZ I, S. 576; GA Wörterbuch, S. 133. 217 Nach Rettelbach, S. 185 (wo die Übereinstimmung der Autorschaft an ‚Selbstrühmung‘ und Nu merke, tunkel biderman erwogen wird), kommt also auch ein anderer Autor als der der ‚Selbstrühmung‘ in Frage.

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wahrscheinlich ist, dass ein Dichter einen wichtigen Begriff innerhalb derselben Bedeutungssphäre gegensätzlich bewertet oder dass er ein im Reim, also an betonter Stelle, verwendetes Verb in gegensätzlichem Sinn einsetzt. Nicht auf den ersten Blick verständlich ist der letzte hochvart-Beleg im Korpus der GA. Er steht in einer Strophe, deren Überlieferung besonders schwierig ist, GA VII,19 = J 75 = F 184 Wie, waz man strafen möchte.218 Der Abgesang der Strophe heißt in der GA (VII,19,13-19):

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Zu gach wil afterriuwe; vervriundet vint wirt selten gut, wan an im ist kein triuwe. hochvart zu armer gülte, uf wise tat tum ammetman, vil rede muz dicke lüge uz lan: swa man die spürt, durch recht man sie wol schülte.

Das Wörterbuch der GA erklärt hochvart hier als „zur Schau gestellte hochvart, die ohne ausreichende materielle Grundlage ist“.219 Es geht in den die hochvart-Stelle umgebenden Versen um ein Zunichtemachen des Guten durch Übertreibung (zu gach V. 13, vil rede V. 18), Unvorsicht (vervriundet vint V. 14) und Unerfahrenheit (tum ammetman V. 17). Eine solche Gedankenfigur ist für hochvart zu armer gülte V. 16 ebenfalls vorauszusetzen. Das schließt ‚Hoffart‘ als Bedeutung aus und macht hochvart zum positiven Wert: ‚Lebensweise der Oberen, aber armseliges Belohnen (der anderen)‘ oder, weil die Handschrift uz schreibt: ‚Lebensweise der Oberen bei armseligem Wohlstand‘. Damit möchte man sich zufriedengeben und als Ergebnis festhalten, dass durch die doppelte Überlieferung unter Frauenlobs Namen in GA VII,19 eine Strophe vorliegt, die unabhängig von dem möglichen hochvart-Bar einen positiven hochvart-Begriff für Frauenlob verbürgt. Aber die Überlieferung macht einen Strich durch diese Rechnung, denn in F (50v) heißt die Stelle220

hoffart auß armer golde . auß weyser tat tut uil manig man uil rede an lüg verpringen kan wo man es spúrt durch recht man es verscholde .

218 Von den zahlreichen Verständnisproblemen der Strophe und von der starken Differenz zwischen J und F muss ich vorläufig absehen. Ich hoffe, darauf zurückkommen zu können. 219 GA Wörterbuch, S. 160. 220 Die unpaginierte Wiedergabe bei Morgenstern-Werner (zu 50v) stimmt mit dieser Lesung überein.

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Hier ist sogar ein anderer Reimpartner eingeführt (man : kan). Syntaktisch könnte man in folgende Prosareihenfolge auflösen: Uil manig man tut hoffart auß armer golde, auß weyser tat: ‚Viele Leute werden überheblich wegen armseliger Einkünfte, wegen klugen Handelns‘. Das Wort verpringen ‚ums Leben bringen‘ steht nur hier und fehlt in J: ‚Viel reden kann auch ohne Lügen ums Leben bringen‘. Hoffart ist nun zwingend etwas Ablehnenswertes geworden; möglicherweise war es dieser Begriff, der den tiefgreifenden Umbau der Reime und Sätze in der Strophe erforderte. Aber sicher ist das nicht; es wäre ebenso möglich, dass F etwas – wie immer unkenntlich gewordenes – Altes bewahrt; das wäre jedoch mit den anderen durchmusterten hochvart-Strophen, wem immer sie jeweils angehören, nicht zusammenzubringen.

6. Unterschiede der hochvart-Strophen Die zweite und die dritte Strophe zur hochvart in J (GA V,39 Hochvart, die kan nicht komen in snöder herzen wesen; GAV,40 Hochvart ist aller guten dinge ein zeigen) haben innerhalb der Zusammenstellung von J jeweils ein Alleinstellungsmerkmal, aber es ist nicht dasselbe. In der zweiten Strophe gab es, wie oben entwickelt, die bemerkenswerten Tiradenreime auf -oum, die besser aufgehen, wenn man sie niederdeutsch und monophthongisch entstanden denkt. Es gibt Hinweise darauf, dass es sich um eine auf mnd. Grundlage gedichtete mhd. Strophe handelt. Anzeichen für solchen Transfer kann man in den anderen Strophen aber nicht (oder im Fall der dritten Strophe: nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit) ablesen. Die dritte Strophe unterscheidet sich von den anderen dreien und von der überwiegenden Anzahl der im Langen Ton überlieferten und in die GA aufgenommenen Strophen durch die Reime. Es fehlt ein Reimklang, und es taucht ein identischer Reim auf. Denkt man an mnd. Einfluss und räumt man ein, dass wol/ wal in derselben Strophe einmal auf -o-, einmal auf -a- reimen könne, ist das Skandalon etwas gemindert. Die erste und vierte Strophe schließen sich also zum einen durch die Abwesenheit solcher Besonderheiten zusammen. Zudem eint die beiden eine gemäßigte Teilhabe an den Ergebnissen gelehrter Diskussionen des späten 13. Jahrhunderts. Drittens gibt es durch die Metapher des viderens, des wahrheitsunbekümmerten Ausschmückens, auch in der letzten Strophe einen selbstreflexiven Rückgriff auf die Praxis des Benennens, die – auch wenn man, wie oben ausgeführt, an der vindelse zweifeln muss – zu den Grundthemen der ersten Strophe gehört.

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Wenn die erste und vierte Strophe nun ein engeres Band zusammenschließt, als diese beiden mit den inneren Strophen verbindet, und wenn außerdem das Besondere der zweiten Strophe nicht zwingend auch das der dritten Strophe sein muss, ist eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Strophen kaum zu vermuten. Da die zweite Strophe auf eine Weise reimt, aus der man auf einen Transfer aus dem Mnd. ins Mhd. schließen könnte, in den anderen Strophen solche Sedimente jedoch nicht freigelegt werden konnten, wird man in aller Vorsicht auch an mindestens zwei Autoren denken müssen, die am mnd.-mhd. Dichtungstransfer in unterschiedlicher Richtung teilnahmen. Interessant bleibt, dass der zweite und vielleicht auch der dritte Dichter, falls es ihn gegeben hat, so viel von Frauenlob wissen, dass sie an seine Besonderheit der Wortverwendung von hochvart anknüpfen können, als habe nicht nur sein Versbau Vorbildwirkung, sondern auch sein Lexikon.

Anhang: Exkurse Exkurs zur ersten Strophe: Vergleich mit GA XIII,6 zum Thema vündeln Die Strophe GA XIII,6 (entspricht Ettmüller 178) wird sowohl von Hübner als auch von Baldzuhn221 als mittlere Strophe in der Folge XIII,5 – XIII,6 – XIII,7 angesehen. Gert Hübner hatte die Strophe mit den beiden in F zuvor und danach aufgezeichneten so verbunden und hergestellt:222 Die herren han ein list erdacht, damit sie wenen sich erwern. Swaz künste wirt für sie gebracht, sie jehen alle: „ir wellet hern Den alten meister Erewin: der funt, der was do auch sin.“ ob ouch wol die sprache ist min, so treit er doch daz kriegen hin. Sus ist erloubet, ob wir mügen, zu cleiden aller < ... > bracht, Kan unser fuge da getügen. 221 Hübner, Lobblumen, S. 69; Baldzuhn, S. 87 Anm. 17. 222 Hübner, Lobblumen, S. 69.

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der sprache spehe an sie flacht Vor uns der alten meister kunst, gesundert doch von in herabe. der worte fündeln, daz er habe vor uns, blibe in der alten gunst. Swer der materjen cleide gab von pfelle, samit, rich gewant, Durchblümet ende, urhab mit sprüchen ganz, vin, rich erkant: Danc habe sin herze und sin sin. komt aber der materjen such, cleide ich sie in ein niuwez tuch [v 8 fehlt].

Patricia Harant ediert die zweite und dritte Strophe auch neu223 und macht einige wenige Konjekturen von Stackmann rückgängig. Die mittlere Strophe heißt bei ihr:224 Sust ist erlaubet, ob wir mugen, zu claiden aller schanden [...] pracht, kan unser fuge dar getugen. der sprache spehe an sie flacht vor aus der alten meister kunst. gesundert doch von in herab der worte vundeln, das er hab[] vor aus, pleibe in der alten gunst.

Es ist klar, dass es hier um Poetologisches geht, und Hübner und Harant haben das je unterschiedlich erklärt.225 Aber das heißt noch nicht, dass dieses Thema auch den einzelnen Vokabeln schon eingeprägt sei. Um hier für das vündeln angesichts der doch bedeutungsverändernden Konjekturen und der unterschiedlichen Lesungen schon des ersten Wortes weiterzukommen, bietet sich ein Blick in die digitalisierte (einzige) Handschrift (F, fol. 74v.)226 an, in die Stackmann intensiver als sonst eingegriffen hat, wobei seine Konjekturen mehrheitlich schon von Ettmüller stammen. Gerade Punkte vertreten schräge, das Diakritikon über n ist in der Hs. ein Strich; ich beschränke mich in diesem Exkurs in dienender Funktion auf die 223 Harant, S. 112–118. 224 Harant, S. 112. 225 Hübner, Lobblumen, S. 69f. 226 http://ora-web.swkk.de/digimo_online/digimo.entry?source=digimo.Digitalisat_anzeigen&a_id=3576, Zugriff 26.06.2015, 23.18 Uhr (die Strophe auf Bild 163).

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mittlere Strophe (XIII,6). Wie ich in beinahe vollständiger Übereinstimmung mit Elisabeth Morgenstern-Werner227 lese, steht da Sust iſt erlaubet, ob wir mugen zuclayden aller ſchanden pfat pracht kaṅ vnnſer füge dar gelugen der ſprache ſpehṅ an sie flacht Vor auß der alten meiſter kunſt . geſundert doch von In her ab der worte fundelṅ das er habe vor auß playbe in der alten gunst.

Daraus ergibt sich für mich, wenn ich phat pracht im zweiten Vers als Korrektur auffasse,228 folgender (zum leichteren Verständnis normalisierte) Text: Sust ist erloubet, ob wir mugen zuocleiden aller schanden [] braht, kan unser fuoge, tar geluogen. Der sprâche spehen an si flaht vorûz der alten meister kunst, gesundert doch von in her abe der worte vündeln, daz ir habe vorûz blîb in der alten gunst.

GA XIII,6: ist erloubet, ob wir mügen zu cleiden alter schanden [] bracht, Kan unser fuge da getügen: der sprüche spehe an sie flacht Vor uns der alten meister kunst. gesundert doch von in herabe der worte fündeln, daz er habe vor uns, blibe in der alten gunst.

Es besteht gar kein Zweifel, dass nach der Handschrift mugen auf mhd. luogen, md. lūgen ‚herausragen‘ reimt, d.h. alte Kürze auf alte Länge, wie immer man sich die Aufführung dieses Reimes denkt;229 aber ein t- für tügen wie bei Stackmann steht einfach nicht da. Das überlieferte dar in Vers 3 halte ich für ein unerkanntes 227 Morgenstern-Werner (unpaginiert), entsprechend 74v. 228 Sollte pfat das Wort der Vorlage sein und als lectio difficilior aufzufassen, dann müsste man an mhd. phaht (lat. pactus) denken und entsprechend übersetzen: ‚wenn wir das Gesetz aller Schande zu überdecken vermögen‘. Der Schwund des geschriebenen h vor t kommt besonders im Mittelfränkischen vor und hat wohl Gründe in der dialektalen Aussprache. Vgl. Paul/Klein/Solms/Wegera, § L 110, S. 162. Da sich unter den Belegen des BMZ solche mit diesem h-Schwund befanden, setzt Lexer auch ein Lemma phât als Verweis auf phaht an, Lexer II, S. 231. 229 Nach Thomas, S. 192 gibt es in den Frauenlobkorpora der Handschriften Reime mit unterschiedlicher Vokalqualität vor einfachem Verschlusslaut „nur in der schlechten Überlieferung F“; er gibt aber andere Belege. Kornrumpf, Konturen, S. 40 weist darauf hin, dass Frauenlob in V,76 (nur in F) auch mit fuogen : betrugen 3. Pl. Prät. : clugen (mhd. uo : mhd. u : mhd. uo) reimt, in diesem Fall mit doppelter o-haltiger Graphie, was vermutlich etwas über die lautliche Realisierung aussagt.

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Relikt der nd. Elemente der Vorlage von F.230 Die Auffassung des überlieferten er als ir im vorletzten Vers führt auf eine sehr viel sinnvollere Lesart und lässt sich schreibsprachlich leicht begründen.231 In dem Satz Der sprâche spehen.... verstehe ich spehen, nicht kunst als Subjekt, und zwar deshalb, weil daz spehen flacht problemlos auch Subjekt und Prädikat des Satzteils gesundert doch von in... sein kann, während die Annahme von kunst als Subjekt eine Ellipse in den letzten drei Versen ergibt. Die eben vorgeschlagene Gestalt der Strophe führt auf folgende Übersetzung: ‚Ansonsten gibt es keine Einschränkung, wenn unsere Komposition, sofern wir den Lärm der Schande überdecken können, herauszuragen vermag und wagt. Das Betrachten der Sprache webte ihr schon im Voraus die Kunst der alten Meister ein und (webte) trotz der Trennung von ihnen das Forschen nach Worten nach unten fort, so dass ihr (der Worte) Besitz von vornherein dadurch dauerhaft wird, dass die Alten ihn [uns] gönnen.‘ Die Strophe entwirft meiner Meinung nach ab Vers 4 ein Bild, in dem die Betrachtung als allegorische Figur vor dem Webstuhl sitzt, in dem die Sprache als Gewebe aufgespannt wurde. Oben ist die Kunst der alten Meister eingewebt, und von diesem Stück gehen Kettfäden nach unten. Die Betrachtung webt der Sprache auch das vündeln oder vündelen ein, und zwar von oben nach unten; das kann im Bild so gemeint sein, dass man beim vündeln an die Kettfäden denken soll, oder so, dass Sprache und Text sich immer fortsetzen, und weil der vertikale Webstuhl der geläufigste ist, setzen sie sich nach unten fort. Jedenfalls führt vündeln der Worte zu deren habe, man erforscht oder sucht und findet, was man dann hat, wenn auch mit freundlicher Genehmigung früherer Besitzer. In diesem Webstuhlbild muss das vündeln nicht zwingend auf die rhetorische inventio oder auf das Erfinden bezogen werden (schon gar nicht auf das Fingieren), aber es ist schon die Suche nach dem richtigen Wort gemeint.232 Ob es das aber auch bedeutete, wenn nicht der worte dabeistünde, ist schlicht nicht zu beantworten.

230 Vgl. Hacker, S. 391, Kornrumpf, Konturen, S. 40. 231 Paul/Klein/Solms/Wegera § 26. 232 Vgl. (mit Bezug auf diese Strophe) Röll S. 271: „fündeln wird eine Neubildung Frauenlobs sein, der einen großen Bedarf an ungewöhnlichen Wörtern hatte, ein poetischer Terminus, abgeleitet von vunt, inventum.“

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Exkurs zu mesotes und mâze, zweiwertigem und dreiwertigem Denken (zur vierten Strophe) In der Moraltheologie und Ethik des Mittelalters gibt es eine starke Tradition zweiwertigen Denkens von Gut und Böse, Tugenden und Lastern. Religiöse, zum Teil biblisch gestützte, Polarisierungen wie Himmel und Hölle, Heiligkeit und Sünde, Gnade und Strafe scheinen duale Ordnungssysteme zur Beurteilung menschlicher Handlungen zu erfordern. Wenn es um den Menschen geht, dann lässt die bipolare Vorstellung, dieser stehe zwischen Sünde und Laster, Gut und Böse, das Moment der Entscheidung besonders hervortreten; geht es um Gott und sein Gericht über die Seele, dann legt die binäre Entscheidung über Erwählung oder Verdammnis eine starke ontologische Differenz zwischen Schöpfung und Geschöpf zugrunde, und die absolute Willensfreiheit Gottes wird betont. Die Zweiwertigkeit der Entscheidung zwischen Tugenden und Lastern wird durch die Psychomachia des Prudentius in lange nachwirkende Bilder gebracht; die Zweiwertigkeit göttlicher Entscheidung über die Seele wird in einer breiten Bildtradition von Weltgerichtsdarstellungen gefestigt. Seit jeher stand die holzschnittartige Eindeutigkeit solcher Bewertung menschlichen Handelns in einem Spannungsverhältnis zu den Mitteln der Beurteilung menschlicher Handlung, wie sie die Rhetorik und mit ihr die (besonders kanonistische) Rechtswissenschaft lehrt, der es auch auf die näheren Umstände und Bewandtnisse und auf die Intention ankommt. Beiden Wissenschaftstraditionen waren Konstellationen des Sowohl-als-Auch (unschuldige Schuld), des Weder-Noch (mildernde Umstände) oder der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Entscheidung (unzuständige Entscheidungsinstanz oder falsche Rechtsform) immer geläufig gewesen. Sie brauchten schon dafür eine mindestens vierwertige Entscheidungsmatrix; die Umstände konnten zu weiterer Differenzierung zwingen. Auch wenn die Nikomachische Ethik des Aristoteles, in der das Konzept der richtigen Mitte zwischen einem Zuwenig und einem Zuviel in europaweit wirksamer Weise entwickelt worden war, erst im 13. Jahrhundert bekannt wird, gibt es für die Wissenschaft und Literatur bis etwa 1200 schon wichtige Autoritäten, die nicht das bipolare, sondern ein dreiwertiges Modell von Tugend und richtigem Handeln bevorzugen. Es sind große lateinische Schulautoren: Horaz vertritt die Ansicht, dass das Richtige zwischen zwei Fehlern liege.233 Auch bei Cicero, der im Mittelalter als stoischer Philosoph hoch geschätzt wird, liest man die Emp-

233 Horaz, Epistulae 1,18,9 (an Lollius): Virtus est medium vitiorum et utrimque reductum (Übers.: Die Tugend ist die Mitte zwischen Fehlern und beiden fern). Horaz ed. Fairclough, S. 368.

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fehlung der Mitte;234 und der wirkungsmächtige Ovid dichtet seine mythische Phaeton-Geschichte so, dass die Abweichung vom empfohlenen Mittelweg235 im mythisch-wörtlichen Sinn in den Tod führt. Diese literarische Tradition benutzt eine Vorstellung von der Entscheidung zum Richtigen, die in vielem dem Aristotelischen Mesotes-Begriff des abzuwägenden und zu erkennenden Rechten entspricht, welcher wiederum dem lateinischen Mittelalter erst später bekannt wird. Das zugrundeliegende Denkmuster zeigt den Entscheidenden nicht mehr zwischen zwei Wegen, einem rechten und einem falschen, von denen er einen beschreitet, sondern zwischen zwei Irrwegen, zwischen denen der rechte Weg liegt; aus dem Bivium ist ein Trivium geworden. Solche anderen, mehrwertigen Modelle menschlichen Handelns greifen im Laufe des 12. Jahrhunderts auch auf die Theologie und Philosophie über. So findet zum Beispiel in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein Wilhelm von Conches zugeschriebener Traktat (das ‚Moralium Dogma Philosophorum‘) viel Beachtung; er wird, zum Teil noch im 12. Jahrhundert, auch in mehrere Volkssprachen übersetzt.236 In ihm wird an Beispielen mehrmals der Gedanke ausgedrückt, das Richtige liege als das rechte Maß zwischen einem Zuwenig und einem Zuviel. Dieses Modell setzt mehr auf Besinnung und Abwägung denn auf Entscheidung, betont mehr die intellektuelle Erkenntnis des rechten Weges als den Willen, ihn zu beschreiten. Die ganz außergewöhnlich schnelle Verbreitung dieses Traktates bis in die Volkssprachen hinein zeigt, dass ein Bedürfnis nach Differenzierung der Gegenstände der Entscheidung bestand, dass das einfache Gut und Böse als defizitär gesehen wurde, zumal die Aufwertung der Vernunft auch in Glaubensdingen, die Anselm von Canterbury, Abälard, Hugo und Richard von St. Victor je auf ihre Weise gelehrt hatten, auch nach einer Reformulierung der Lehre von der sittlichen 234 Cicero De officiis 1,130 (bei der Diskussion von Anmut und Würde, venustas und dignitas): In plerisque rebus mediocritas optima est (Übers.: In vielen Dingen ist die Mitte zu halten das beste.) Ed. Nickel S. 106–108: „Eadem ratio [wie, daß man auf Körperpflege achten soll] est habenda vestitus, in quo, sicut in plerisque rebus, mediocritas optima est.“ Übers. von Rainer Nickel ebd. S. 109: „Genauso ist auf die Kleidung zu achten, bei der es wie bei den meisten Dingen am besten ist, nicht zu übertreiben.“ 235 Ovid Met. 2,137: Medio tutissimus ibis (Übers.: Du fährst am sichersten in der Mitte). Ed. Sanderson, S. 30. 236 Holmberg, S. 10 erwähnt außer den von ihm erwähnten beiden Übersetzungen auch spätere: eine italienische und eine isländische Übersetzung sowie die breite Verwendung des Textes in einer französischen, einer italienischen und einer deutschen Dichtung: den Moralités des Alart von Cambrai, dem Tresor des Brunetto Latini, einer Versfassung des Werner von Elmendorf; es handelt sich dabei um diejenige Dichtung, an der sich einst die Kontroverse zwischen Gustav Ehrismann und Ernst Robert Curtius über die Nähe des ritterlichen Tugendkanons zur lateinischen Moralphilosophie und -theologie entzündet hatte, die in dem Sammelband von Eifler dokumentiert ist.

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Handlung verlangte. Übersetzungen beweisen, dass dieser Impuls auch außerhalb der Schulwissenschaft wirkte und die Laien ein Bedürfnis nach verstandesmäßiger Differenzierung verspürten.237 Die Wissenschaft ihrerseits baut die Plurität der zu prüfenden Optionen noch aus: Stephan Ernst berichtet aus zwei Pariser Handschriften des von ihm edierten Speculum universale des Radulphus Ardens,238 dass es darin nicht nur je zwei verwandte Fehler im Umkreis einer Tugend gebe, sondern dass zwischen zwei Fehlern auch je zwei zusammengehörige und einander ergänzende Tugenden liegen, von denen jede ohne die andere zum Laster geraten könne:239 Z.B. bedürfe die prudentia der simplicitas, damit sie nicht allein zu bösartiger List werden könne, die simplicitas aber der prudentia, weil sie allein unter Umständen zur Dummheit führe.240 An den Beispielen zeigt sich, dass das Konzept der Mitte gleichsam verdoppelt ist, indem auch die an und für sich schon gute Haltung als fragil und der rechten Handhabe bedürftig erscheint, so dass zwei solche Tugenden an ihrem Rand als gefährdet gelten und in ihrer Mitte wiederum das Bessere umschließen. Als in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Aristotelische Schrift nach der anderen in lateinischer Sprache bekannt und von Gelehrten kommentiert wurde, festigte sich durch die Autorität des Aristoteles diese dreiwertige Grundansicht von der menschlichen Entscheidung zu künftigem Handeln; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist eine Auffassung, die sich an der Nikomachischen Ethik orientiert, weithin üblich.241 Im Unterschied zu der alten bipolaren Unterscheidung von Tugend und Laster sind das Zuviel, das Zuwenig und das maßwahrende Richtige nicht jeweils schon aus sich selbst als richtig oder falsch bestimmt, sondern sie tun 237 Die volkssprachliche Rezeption moraltheologischer Ansichten und Entwicklungen spielt auch in erzählender Dichtung und in der Lyrik eine Rolle, vgl. dazu Ohly, Der Verfluchte; Huber, Wort; Dahlgrün. Zur Übersetzungsliteratur vgl. Henkel/Palmer. 238 Radulphus Ardens ed. Heimann. 239 Ernst, Schlangen, S. 48f. 240 Ernst, Schlangen, S. 51. 241 Albertus Magnus leitet in ‚De anima‘ die Erörterungen zur einsichtsfähigen Seele mit der Ankündigung ein, er werde zunächst Aristoteles und Plato referieren und danach seine Ansicht darlegen. Er schlägt seinen Brüdern dazu folgende Haltung vor: Rogo autem nostros socios, ut dubitationes, quae hic inducentur, diligenter attendant, ut, si invenerint earum perfectam solutionem, grates deo referant; si autem non invenerint, hoc ad minus lucri reportabunt, quod scient dubitare de rebus mirabilibus et altis et ad scientiam divinam multum proficientibus. Albertus Magnus, De anima, ed. Stroick, Opera omnia 7.1, S. 177, Z. 64–69. Übersetzung von Albert Fries in: Albertus Magnus ed. Fries, S. 5: „Ich bitte aber meine Mitbrüder, die hier auftretenden Schwierigkeiten sorgsam zu bedenken; gelangen sie dafür zu einer befriedigenden Lösung, sollen sie Gott Dank sagen; gelingt es aber nicht, so sollen sie wenigstens das als Vorteil verbuchen, daß sie lernen, solch wunderbare und erhabene, auch für die Theologie bedeutsame Wirklichkeiten kritisch zu befragen.“

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sich vom handelnden Subjekt aus als Fluchtpunkte seiner Zukunftsprojektion auf, wenn es eine Handlung plant.242 Das handelnde Subjekt spielt bei der Festlegung des Richtigen immer eine Rolle, denn es ist sein Entscheidungsspielraum (nicht der der menschlichen Gattung überhaupt), den die mesotes-Lehre modelliert (vgl. NE 2.9., 1109a- 1109b).243 In der volkssprachlichen Literatur trifft die Vorstellung von der Tugend in der rechten Mitte, wenn sie rezipiert wird, auf den schon vorgeprägten Gedanken des rechten Maßes und der Angemessenheit, die mhd. mâze.244 Dieser Begriff berührt den aristotelischen Denkansatz, aber er entspricht ihm in seinem Vorstellungskern nicht. Thomasin von Zerklaere schreibt im ‚Welschen Gast‘: diu mâze sol sîn an allen dingen, von der mâze mac niht misselingen. der ist gar ein unsælec man der sîn gevert niht mezzen kan. Wizzet daz diu mâze ist   des sinnes wâge zaller vrist. diu rehte mâz diu hât ir zil enzwischen lützel unde vil. swer mit der mâz kan mezzen wol, der tuot ez allez als er sol.  

Thomasin ed. Rückert/Neumann 9931-9940

Hier wird sowohl die Nähe als auch die sachliche Verschiedenheit deutlich:245 Die ältere Auffassung denkt in Isidorschen Traditionen etymologisch, sieht die Verwandtschaft mit ‚Maß‘ und ‚messen‘ und ergreift daher die mâze gleichsam im zu Regulierenden als dessen inneres Maß, das für alle vom Subjekt abgetrennten Dinge auch nicht vom Subjekt abhängt. Dieses rechte Maß ist von der Sache bestimmt, nicht vom handelnden Menschen; es entspricht eher der rhetorischen 242 Vgl. Aristoteles NE II.6, 1106b/1107a, wo von der „Mitte in Bezug auf auf uns“ die Rede ist, Übersetzung Gigon. 243 Übersetzung Gigon ebd. S. 87: „Da es nun mühselig ist, genau die Mitte zu treffen, so muss man in zweitbester Fahrt, wie es heißt, das geringste der Übel wählen. Das wird am ehesten auf dem von uns angegebenen Wege möglich sein. Man muss aber beobachten, wozu wir von uns aus am geneigtesten sind. Denn der eine ist es zu diesem, der andere zu jenem. Dies zeigt sich an der Lust oder dem Schmerz, den wir empfinden.“ 244 Zur Wort- und Begriffsgeschichte bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts vgl. Rücker. 245 Rücker (ebd.) S. 323 wertet das 8. Buch des Wälschen Gastes, in dem es um die mâze geht, als „einzigen Ansatz zu einer gelehrt-schulmäßigen Darstellung der ‚mâze‘ in der mittelhochdeutschen Literatur bis um 1220“. In einer Fußnote (Anm. 81 S. 329) warnt Rücker vor der Gleichsetzumg von Thomasins mâze mit temperantia oder mesótēs: „Wenn alle jene Begriffe auch in einer Tradition stehen, so sind sie doch noch nicht identisch.“

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Angemessenheit als der aristotelischen Mitte. Die im Begriff steckende bildliche Vorstellung ist die, einen Gegenstand vor sich anzuvisieren und dann herauszufinden, was ihm gemäß sei. Das Zuwenig und Zuviel sind ein Zuwenig-für-Dies und Zuviel-für-Das. Ähnlich verhält es sich auch bei Frauenlobs Zeitgenossen Hugo von Trimberg, der den mâze-Begriff im Sinne eines inhärenten richtigen Maßes246 und der Vermeidung von Extremen verwendet.247 Die aristotelische Mitte trägt dagegen die Vorstellung in sich, dass der Handelnden seinen Spielraum erkundet und dann einen Weg wählt, der die Extreme vermeidet. Das Mitte-Finden ist hier vom Subjekt und seinem Handeln aus gedacht, und es hat eine anthropologische Dimension, insofern das Subjekt auch zugleich Gattungswesen ist. Also geht es immer um eine einzelne Entscheidung vor dem Hintergrund der sittlichen Ausstattung des Menschen. Es liegt auf der Hand, dass sich die beiden Konzepte in der Tugend- und Lasterlehre vermischen können, weil eine Tugend als anzustrebender Gegenstand auf dem Weg des Menschen vorgestellt werden kann, der auf beiden Seiten von Lastern gesäumt wird; dann fallen inneres Maß des Angestrebten, mhd. mâze, und richtiger Weg zwischen den Extremen, mesotes, in eins. So weisen im Ergebnis seit dem Ende des 12. Jahrhunderts sowohl die Anreicherung des mhd. mâze-Konzepts mit der Vorstellung eines Spielraums als auch eine mehrwertige Vorstellung von Tugenden und Fehlern immer auf lateinisches Bildungsgut hin: darauf, dass die Autoren das andere, neue Herangehen vom Subjekt aus kennen und verstanden, also Aristoteles gelesen oder über ihn gehört haben; oder darauf, dass die Vorstellung der rechten Mitte aus Horaz, Cicero und Ovid übernommen wurde. Ein Zusammenhang mit gelehrten Denkmustern248 scheint mir für die hochvart-Strophe GA V,41 auch wegen einer Parallele im Werk plausibel, in der sich,

246 Hugo von Trimberg ed. Ehrismann, Vv. 9487–9490 über das inhärente, wesensgebundene Angemessene bei Tieren, der Mensch als animal rationale ist schon mitgemeint:

Got allen tiern hât gegeben/ Ir mâze wie si süln leben:/ Swer denne wil ûz der mâze streben,/ Vür wâr des leben stêt niht eben.

247 Hugo von Trimberg ed. Ehrismann, Vv. 9579–9584: Wizzet swer sich über trinket/ Und über wachet, daz er winket/ Dem tôde daz er kumt ê der zît./ Wie manic mensche in der erden lit, / Daz manic jâr noch hête gelebt, Hêt ez der mâze niht widerstrebt! – Nebenbei bemerkt markiert Hugo auch für die hôchvart eine Gegenposition zu Frauenlob, denn er verwendet das Wort Vv. 275–278 konsequent im Sinne von superbia: Gein allen guoten dingen/ Kan diu hôchfart bringen./ Daz Lucifer ein tiufel wart,/ Daz kam von sîner hôchfart. 248 Margreth Egidi hat an einer Strophe im Grünen Ton (GA VII,40: Nu wachet, senden herzen) dargestellt, wie die Vorstellung der Vermeidung von Fehlern, die in den Extremen liegen, auch auf die Liebe übertragen wird; der Spruch handelt davon, ohne das Wort mâze oder einen konkurrierenden Begriff zu benutzen. Egidi, S. 131.

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wie mir scheint, das aristotelische mit dem rhetorischen Muster vermischt und beide mit dem alten Tugendwort mâze belegt werden.249 Die Weimarer Liederhandschrift überliefert einen Spruch im Langen Ton, den die Göttinger Ausgabe als V,90 aufgenommen hat und der beginnt: Die maze ist zwischen gut und arc ein kieserin (GA V,90,1). Er gehört seinerseits wiederum zu einem Verbund von Strophen, die von der mâze handeln (GA V,90, GA V,91 und GA V,92).250 Die Tugend, angemessen zu handeln, wird hier als Urteilsinstanz zwischen Gut und Böse erklärt. Sie kann als tugent (v. 7) nicht selbst zwischen Gut und Böse liegen, sonst wäre sie halb böse. Sie kann auch nicht in einem binären System des Guten und Bösen gedacht sein, auch wenn die Entscheidung des Willens oder der Vernunft zum Guten hin durch Gewohnheit (und damit Tugend) befestigt wird, denn dann hätte es keinen Sinn, dass diese Tugend ausgerechnet mâze heißt. Es werden in den folgenden Versen des ersten Stollens noch zwei Begriffsbestimmungen geliefert: si kan ouch sin/ ein mittel aller dinge GA V,90,2-3 und die maze strichet uf ir zil GA V,90,5. Ein Mittel aller Dinge sein, nicht etwa finden, zu können, bedeutet unter systematischem Aspekt: Das Mittlere liegt nicht in Objekten des Urteils, sondern in den Handlungsmöglichkeiten, die als Dinge bezeichnet werden: Ein Mittel sein und gleichzeitig eine Tugend sein kann nämlich nicht das Objekt des Handelns, sondern nur das (gewohnheitsmäßige und richtige) Handeln selbst. Dann ist das Gute die Mitte und liegt rundherum der Fehler, ganz im Sinne der aristotelischen Mesotes-Lehre. Die maze strichet uf ir zil: Die Tugend des rechten Maßes orientiert sich an ihrem Zweck — also wie die rhetorische Angemessenheit, und hier fällt sie mit dem Inhalt der alten volkssprachlichen mâze zusammen. Es scheint, als wolle diese Strophe über die mâze nicht die Unterschiede der einzelnen Konzeptionen vom Handeln im rechten Maß hervorheben, sondern gerade den Zusammenfall vom Ergebnis her; aber wenn man aufs Wort und auf den Satz schaut, dann spiegeln diese zugleich, dass sich der Dichter der möglichen Verschiedenheit der Standpunkte bewusst ist. Falls der Zusammenhalt mit den beiden in F folgenden Strophen, die sich auch mit der mâze beschäftigen, ursprünglich ist, könnte man annehmen, dass die theoretischen und 249 Franziska Wenzel findet für die Berührung dieses Spruchs mit der aristotelischen Konzeption der Mesotes die schöne Metapher, dass „diese Überlegungen hier durchquert werden“. Wenzel, S. 219, Anm. 489. 250 Stackmann setzt für diese drei Strophen einen Zusammenhang an (und kennzeichnet ihn in der GA), wogegen Franziska Wenzel auch die Möglichkeit erwägt, V,90 = F 143 rückwärts zu beziehen. Sie lässt eine thematische Einheit „Gesinnungslenkung, Gesinnungsstabilität und Morallehre“ (Wenzel, S. 212) von F 127 bis F 143 reichen (ebd.) und dann einen größeren Bereich der Tugendlehre folgen (F 144–153, Wenzel S. 220), in dem wiederum zuerst die mâze-Strophen stehen, so dass ein Übergang zum vorigen Thema entsteht. Wenzel kennzeichnet diesen Übergang S. 220 mit „F143/144–153“.

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im 13. Jahrhundert neu dazugekommenen Aspekte besonders im zweiten Spruch des Bars behandelt werden (GA V,91), die Vereinbarkeit der subjektzentrierten Mesotes-Konzeption mit der traditionellen der volkssprachlichen mâze wiederum im dritten (GA V,92).

Textgrundlage und Wörterbücher BMZ - Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Bände 1-4. Leipzig 1854–1866. Du Cange, Carolus Du Fresne: Glossarium ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis, erweiterte Aufl. Niort 1883–1887. GA: Göttinger Ausgabe – GA: Frauenlob (Heinrich von Meißen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. von Karl Stackmann und Karl Bertau. 1. Teil: Einleitungen, Texte. Göttingen 1981. 2. Teil: Apparate, Erläuterungen. Göttingen 1981. – GA Supplement: Sangsprüche in Tönen Frauenlobs. Unter Mitarbeit von Thomas Riebe und Christoph Fasbender hg. v. Jens Haustein und Karl Stackmann. Bde. 1–2, Göttingen 2000. – GA Wörterbuch: Wörterbuch zur Göttinger Frauenlobausgabe. Unter Mitarbeit von Jens Haustein redigiert von Karl Stackmann. Göttingen 1990. Lexer - Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke/Müller/Zarncke. Bde 1–3. Stuttgart 1872–1878. RSM - Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts. Hg. v. Horst Brunner und Burghart Wachinger unter Mitarbeit von Eva Klesatschke, Dieter Merzbacher, Johannes Rettelbach und Frieder Schanze. Bde. 1-16, Tübingen 1986-2009. Schiller/Lübben: Karl Schiller, August Lübben: Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Bde. 1–6, Bremen 1875–1881. Tobler-Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. Albert Toblers nachgelassene Materialien. Bearbeitet und hg. v. Erhard Lommatzsch. Weitergeführt von Hans Helmut Christmann. Vollendet von Richard Baum unter Mitwirkung von Brigitte Frey. Bde. 1–11, Stuttgart 1925–2002.

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in der deutschen Literatur des Mittelalters. Colloqium Exeter 1997, Tübingen 1999, S. 3–17. Hacker, Franz: Untersuchungen zur Weimarer Liederhandschrift F. In: PBB 50 (1927), S. 351–393. Haferland, Harald: Wer oder was trägt einen Namen? Überlegungen zur ‚Anonymität‘ in der Vormoderne und in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters. In: Stefan Pabst (Hg.): Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit, Berlin, Boston 2011, S. 49–72. Hamm, Berndt: Promissio, pactum, ordinatio. Freiheit und Selbstbindung Gottes in der scholastischen Gnadenlehre, Tübingen 1977. Harant, Patricia: Poeta Faber. Der Handwerks-Dichter bei Frauenlob. Texte, Übersetzungen, Textkritik, Kommentar und Metapherninterpretationen, Erlangen 1997. Hartmann, Gregorius ed. Paul/Wachinger: Hartmann von Aue: Gregorius. Hg. von Hermann Paul. 15. Auflage v. Burghart Wachinger, Tübingen 2004. Hartmann, Iwein ed. Benecke/Lachmann: Iwein. Eine Erzählung von Hartmann von Aue. Mit Anmerkungen von Georg Friedrich Benecke und Karl Lachmann, 4. Aufl. Berlin 1877. Haustein, Jens: J und seine frühen Editionen. Mit einem Editionsanhang (B. Chr. B. Wiedeburg an J. J. Bodmer und J. J. Breitinger), in: Jens Haustein, Franz Körndle (Hgg.): Die ‚Jenaer Liederhandschrift‘. Codex – Geschichte – Umfeld. Berlin, New York 2012, S. 205–235. Heinrich von Mügeln, Der meide kranz: Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. 2. Abteilung. Hg. von Karl Stackmann, mit Beiträgen von Michael Stolz, S. 47–203. Henkel/Palmer: Nikolaus Henkel und Nigel Palmer: Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter. 1100–1500. Zum Rahmenthema des Regensburger Colloquiums. Ein Forschungsbericht. in: Dies. (Hgg.): Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500. Regensburger Colloquium 1988, Tübingen 1992, S. 1–18. Hieronymus ed. Adriaen: S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars I, Opera Exegetica, Commentarium in Esaiam Libri I–XI, ed. Marc Adriaen, Turnout 1963. Holmberg, John: Das Moralium dogma philosophorum des Guillaume de Conches. Lateinisch, altfranzösisch und niederfränkisch, Uppsala 1929. Horaz ed. Fairclough: Horace. Satires, epistles and ars poetica. Ed. and transl. Rushton Fairclough, London 1970. Huber, Alanus: Christoph Huber: Die Aufnahme und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen. Untersuchungen zu Thomasin von Zerklaere, Gottfried von Straßburg, Frauenlob, Heinrich von Neustadt, Heinrich von St. Gallen, Heinrich von Mügeln und Johannes von Tepl, München 1988. Huber, Wort: Christoph Huber: Wort sind der dinge zeichen. Untersuchungen zum Sprachdenken der mittelhochdeutschen Spruchdichtung bis Frauenlob. München 1977. Hübner, Hofhochschuldozenten: Gert Hübner: Hofhochschuldozenten. In: Sangspruchdichtung um 1300. Akten der Tagung in Basel vom 7. bis 9. November 2013. Hg. von Gert Hübner und Dorothea Klein, Hildesheim 2015, S. 69–87.

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Hübner, Lobblumen: Gert Hübner: Lobblumen. Studien zu Genese und Funktion der ‚geblümten Rede‘, Tübingen 2000. Hugo von Trimberg ed. Ehrismann: Gustav Ehrismann: Der Renner Hugos von Trimberg. Bde. 1–4, Tübingen 1908–1912. Isidor, Etymologien: Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum Libri XX, Bde. I–II, hg. v. Wallace Martin Lindsay, 7. Aufl. Oxford 1987. Joesten, Maria: Untersuchungen zu ahd. (as.) ë, i vor u der Folgesilbe und zur 1. Pers. Sg. Präs. Ind. der starken e-Verben (Kl. IIIb, IV, V), Gießen 1931. Johannes Cassianus ed. Petschenig: Johannes Cassianus, Collationes XXIIII, ed. Michael Petschenig, Wien 2004 (CSEL 13). Johnson, Peter: Die höfische Literatur der Blütezeit. 1160/70-1220/30, Tübingen 1999 (= Bd. 2.1 zu Joachim Heinzle (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit). Kany, Roland: Tugenden und Laster als Gliederungselemente angewandter Ethik im antiken Christentum. In: Markus Vogt, Wilhelm Korff (Hgg.): Gliederungssysteme angewandter Ethik. Ein Handbuch. Nach einem Projekt von Wilhelm Korff, Freiburg, Basel, Wien 2016, S. 332–355. Kellner, Beate: Vindelse. Konturen von Autorschaft in Frauenlobs ‚Selbstrühmung‘ und im ‚wîp-vrowe–Streit‘. In: Elizabeth Andersen, Jens Haustein, Anne Simon, Peter Strohschneider (Hgg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, Tübingen 1998, S. 255–276. Kiepe/Kiepe: Eva Kiepe und Hansjürgen Kiepe (Hgg.): Gedichte 1300–1500. Nach Handschriften und Frühdrucken in zeitlicher Folge herausgegeben, München 1992 (Epochen der deutschen Lyrik, hg. v. Walther Killy, Bd. 2). Kissling, Helmut: Die Ethik Frauenlobs, Halle 1926. Klein, Niederdeutsch und Hochdeutsch: Thomas Klein: Niederdeutsch und Hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit. In: Raphael Berthele, Helen Christen, Sibylle Germann, Ingrid Hove (Hgg.): Die deutsche Schriftsprache und die Regionen. Entstehungsgeschichtliche Fragen in neuer Sicht, Berlin, New York 2003, S. 203–229. Klein, Umschrift: Thomas Klein: Umschrift – Übersetzung – Wiedererzählung. Texttransfer im westgermanischen Bereich. In: Werner Besch, Thomas Klein (Hgg.): Der Schreiber als Dolmetsch. Sprachliche Umsetzungstechniken beim binnensprachlichen Texttransfer in Mittelalter und Früher Neuzeit. Sonderheft zur Zeitschrift für deutsche Philologie 127 (2008), S. 225–262. Klein, Veldeke: Thomas Klein: Heinrich von Veldeke und die mitteldeutsche Literatursprache. Untersuchungen zum Veldeke-Problem. In: Thomas Klein, Cola Minis: Zwei Studien zu Veldeke und zum Straßburger Alexander. Amsterdam 1985, S. 1–121. Klein, Verbreitung: Thomas Klein: Zur Verbreitung mittelhochdeutscher Lyrik in Norddeutschland (Walther, Neidhart, Frauenlob). In: ZfdPh 106 (1987), S. 72–112. Klinck, Roswitha: Die lateinische Etymologie des Mittelalters, München 1970. Kluxen, Wolfgang: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, 3. Aufl. Hamburg 1998.

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Meier-Oeser, Stephan: Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin, New York 1997. Meister Eckhart DW I: Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke. Hg. im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bd 1. Hg. v. Josef Quint, Stuttgart 1936. Martin, Parzival-Kommentar: Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Hg. und erklärt von Ernst Martin. Zweiter Teil: Kommentar, Halle 1903. Mausser, Otto: Mittelhochdeutsche Grammatik auf vergleichender Grundlage mit besonderer Berücksichtigung des Althochdeutschen, Urgermanischen, Urwestgermanischen, Urindogermanischen und der Mundarten, 1.–3. Teil, München 1933. Meister Eckhart lat. Studienausgabe: Loris Sturlese, Elisa Rubino (Hgg.): Meister Eckhart. Studienausgabe der lateinischen Werke. Bd. 1, Stuttgart 2016. Mettke, Heinz: Mittelhochdeutsche Grammatik, 8. Aufl., Tübingen 2000. Morgenstern-Werner, Elisabeth (Hg.): Die Weimarer Liederhandschrift Q 564 (Lyrik-Handschrift F), Göppingen 1990. Müller, Moral: Jörn Müller: Natürliche Moral und philosophische Ethik bei Albertus Magnus, Münster 2001. Müller, Spielregeln: Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998. Nerger, Karl: Grammatik des meklenburgischen Dialektes älterer und neuerer Zeit, Leipzig 1869. Newmark, Catherine: Passion – Affekt – Gefühl. Philosophische Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant, Hamburg 2008. Niemann, Christina: Iustitia Enim Immortalis Est. Justitia-Darstellungen in Ostwestfalen-Lippe in der Frühen Neuzeit, Bremen 2012. Objartel, Georg: Der Meißner der Jenaer Liederhandschrift. Untersuchungen, Ausgabe, Kommentare, Berlin 1977. Ohly, Nägel: Friedrich Ohly: Süße Nägel der Passion. Ein Beitrag zur theologischen Semantik, Baden-Baden 1989. Ohly, Der Verfluchte: Friedrich Ohly: Der Verfluchte und der Erwählte. Vom Leben mit der Schuld, Opladen 1976. Ottokars Reimchronik: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins hg. v. Joseph Seemüller. MGH Deutsche Chroniken 5.1. und 5.2, München 1980. Ovid, Ars amatoria ed. Hollis: Publius Ovidius Naso. Ars amatoria. Hg. V. Adrian S. Hollis, Oxford 2003. Ovid, Metamorphosen ed. Sanderson: Publii Ovidii Nasonis Metamorphoses. Ed. William Sanderson, Leipzig 1977. Paul, Hermann: Deutsche Grammatik. Bde. 1–5, Halle 1959. Paul/Klein/Solms/Wegera: Hermann Paul. Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Aufl. neu bearb. von Thomas Klein, Hans-Joachim Solms und Klaus-Peter Wegera. Mit einer Syntax von Ingeborg Schröbler, neubearbeitet und erweitert von Heinz-Peter Prell, Tübingen 2007.

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Gerd Schwerhoff ): Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter, Köln, Weimar, Wien 2011, S. 64–124. Seppänen, Lauri: Studien zur Terminologie des Paradisus animae intelligentis, Helsinki 1964. Siebel, Gunter: Harnisch und Helm in den epischen Dichtungen des 12. Jahrhunderts bis zu Hartmanns ‚Erek‘. Ein Beitrag zur Verwertbarkeit der Dichtung für die Realienforschung, Hamburg 1969. Spruit, Leen: Species intelligibilis. From Perception to Knowledge. Bd. 1–2. Leiden, New York, Köln 1994. Stackmann, Karl: Frauenlob, Ettmüller und das Mittelhochdeutsche Wörterbuch. In: Dietrich Huschenbett, Klaus Matzel, Georg Steer, Norbert Wagner (Hgg.): Medium Aevum deutsch. Beiträge zur deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. Festschrift für Kurt Ruh zum 65. Geburtstag, Tübingen 1979, S. 335–34. Sturlese, Loris: Mystik und Philosophie in der Bildlehre Meister Eckharts. Eine Lektüre von Predigt 16a Quint. In: Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler (Hgg.): Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Bde. 1-2, Tübingen 1992. Bd. 2, S. 349–361. Suolahti, Hugo: Der frz. Einfluß auf die deutsche Sprache im 13. Jh. Teile I und II, Helsinki 1929 und 1933. Thomas von Aquin, Summa Theologiae: Sancti Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Ordinis Praedicatorum Summa Theologiae, Cura Fratrum eiusdem Ordinis, Bde. 1–5, Madrid 1951–1965 [Text nach der Editio Leonina, vgl. Bd. 1, S. XX]. Thomas, Helmuth: Untersuchungen zur Überlieferung der Spruchdichtung Frauenlobs. Leipzig 1939. Thomasin: Der Wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria, hg. v. Heinrich Rückert. Mit einer Einleitung und einem Register von Friedrich Neumann, Berlin 1965 (Neudruck der Ausgabe Coburg 1852). Trier, Jost: Die Idee der Klugkeit in ihrer sprachlichen Entfaltung. In: Ders.: Aufsätze und Vorträge zur Wortfeldtheorie, Paris 1973, S. 79–92. Ulrich Fuetrer: Lannzilet. Aus dem ‚Buch der Abenteuer‘. Str. 1–1122. Hg. v. Karl-Eckhard Lenk, Tübingen 1989. Ulrich von Eschenbach ed. Toischer: Ulrich von Eschenbach: Wilhelm von Wenden. Hg. von Wendelin Toischer, Hildesheim 1968 = Neudruck Prag 1876. Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text – Übersetzung – Kommentar. Studienausgabe. Hg. von Florian Kragl. Berlin, New York 2009. VdHagen: Friedrich Heinrich von der Hagen: Deutsche Liederdichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts. 2. Teil, Leipzig 1838. Vorderstemann, Jürgen: Die Fremdwörter im „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach, Göppingen 1974. Wachinger, Sängerkrieg: Burghart Wachinger: Sängerkrieg. Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts, München 1973. Wachinger, Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift: Burghart Wachinger: Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift. Zur Corpusüberlieferung

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Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift

von Frauenlobs Spruchdichtung. In: Ders.: Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin, New York 2011, S. 217–230. Weinhold, Bairische Grammatik: Karl Weinhold: Bairische Grammatik, Berlin 1867. Weinhold, Mhd. Grammatik: Karl Weinhold: Mittelhochdeutsche Grammatik. 2. A. Paderborn 1883.

Weisweiler, Josef/Betz, Werner: Deutsche Frühzeit. Kap. 4: Wissenschaft. In: Friedrich Maurer, Heinz Rupp (Hgg.): Deutsche Wortgeschichte. 3. Aufl., Bd. 1 Berlin, New York 1974, S. 104–120.

Wenzel, Meisterschaft: Franziska Wenzel: Meisterschaft im Prozeß. Der Lange Ton Frauenlobs – Texte und Studien. Mit einem Beitrag zur vormodernen Textualität und Autorschaft, Berlin 2012. Wenzel, Souveränität: Franziska Wenzel: Souveränität in der Sangspruchdichtung. Intertextuelle und intradiskursive Phänomene bei Walther und Frauenlob. In: Gert Hübner, Dorothea Klein (Hgg.): Sangspruchdichtung um 1300. Akten der Tagung in Basel vom 7. bis 9. November 2013. Hildesheim 2015, S. 167–194. Wesjohann, Achim: Mendikantische Gründungserzählungen des 13. und 14. Jahrhunderts. Mythen als Element institutioneller Eigengeschichtsschreibung der mittelalterlichen Franziskaner, Dominikaner und Augustiner-Eremiten, Berlin 2012. Wilde, Mauritius: Das neue Bild vom Gottesbild. Bild und Theologie bei Meister Eckhart, Freiburg (Schweiz) 2000. Wittenwiler ed. Röcke: Heinrich Wittenwiler: Der Ring. Hg. v. Werner Röcke unter Mitarbeit von Annika Goldenbaum, Berlin, Boston 2012. Zwierzina, Konrad: Mittelhochdeutsche Studien. I: ZfdA 44 (1900), S. 116; II: ZfdA 44 (1900), S. 249–316; III: Zfda 44 (1900), S. 345–406; IV: ZfdA 45 (1901), S. 19– 100; V: ZfdA 45 (1901), S. 253–313; VI: ZfdA 45 (1901), S. 317–419.

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weitere Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse Jahrgang 2017 1. Werner Jacobsen Die Pfalzen Karls des Großen. Revi sionen und neue Fragen. ISBN 978-3-515-11674-9 176 S. (inkl. 71 s/w-Abb.), € 24,– 2. Winfried Schmitz (Hrsg.) „Die Sklaverei setzen wir mit dem Tod gleich“ – Sklaven in globalhistorischer Perspektive. Beiträge der Tagung vom 14. Januar 2016 in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz ISBN 978-3-515-11675-6 115 S. (inkl. 13 Farbabb.), € 18,– 3. Andrew Weeks Valentin Weigel (1533–1588) – Ein Ketzer in neuer Perspektive. Zum Abschluss der Neuedition seiner ‚Sämtlichen Schriften‘ ISBN 978-3-515-11950-4 26 S., € 6,–

Jahrgang 2018 1. Johannes Fried (Hrsg.) Karl der Große. Wissenschaft und Kunst als Herausforderung. Beiträge des Kolloquiums vom 26. Februar 2014 in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. ISBN 978-3-515-12096-8 156 S. (inkl. 41 Farb- bzw. s/w-Abb.), € 22,– 2. Heinrich Hettrich / Karin Stüber Infinitivische Konstruktionen im gveda und bei Homer. ISBN 978-3-515-12097-5 130 S., € 20,– 3. Uta Störmer-Caysa Vier Strophen über hochvart im Frauenlobnachtrag der Jenaer Liederhandschrift ISBN 978-3-515-12318-1 85 S., € 15,–

EINZELVERÖFFENTLICHUNGEN 12. Marc Lienhard Spannungsfelder einer Identität: Die Elsässer ISBN 978-3-515-10438-8 2013. 196 S., € 20,– 13. Wolfgang Kleiber Schwarzwälder Namenbuch. Die Schwarzwaldromania in sprachlicher und außersprachlicher Sicht. Mit Beiträgen zur Archäologie und Anthropologie ISBN 978-3-515-11045-7 2015. 168 S. (inkl. 34 Farbabb.), € 20,–

Preisänderungen vorbehalten

14. Ursula Verhoeven (Hrsg.) Ägyptologische „Binsen“-Weisheiten I– II. Neue Forschungen und Methoden der Hieratistik. Akten zweier Tagun-gen in Mainz im April 2011 und März 2013 ISBN 978-3-515-11127-0 2015. 489 S. (mit zahlreichen s/w- und Farbabb.), € 49,– 15. Svenja A. Gülden, Kyra van der Moezel, Ursula Verhoeven (Hrsg.) Ägyptologische „Binsen“-Weisheiten III. Formen und Funktionen von Zeichenliste und Paläographie. Akten der internationalen und interdisziplinären Tagung in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz im April 2016 ISBN 978-3-515-12265-8 2018. 332 S. (mit zahlreichen s/w- und Farbabb.), € 36,–

ISSN 0002-2977