Die Odyssee Deutsch [Reprint 2019 ed.] 9783486770353, 9783486770346

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German Pages 371 [372] Year 1936

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Table of contents :
Telemachos
Bei den Bölkerfürsten
Die Eltern
Auf der Insel am Ende der Welt
Die Irrfahrt
Am Rücweg
Der Abschied
Herrscher und Hirte
Unter den Freiern
Das Gottesgericht
Nachwort
Inhalt
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Die Odyssee Deutsch [Reprint 2019 ed.]
 9783486770353, 9783486770346

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Leopold Weber / Die Odyssee Deutsch

Leopold Weber

Die Odyssee Deutsch Mit io Abbildungen nach Holzschnitten von Ludwig von Hofmann

München 1936 Georg D. W. Callwey und R. Oldenbourg

Druck von Kästner & Callwey Ln München

Den Freunden Karl Alexander und Irma von Müller in Dankbarkeit zu eigen

Telemachos Aus dem Olymp Göttin, dich rufe ich an, Die du der Helden Beharren Im Leiden und Kampf mit dem Schicksal Verklärend zum Liede erhebst! Nenne ihn, Muse, den Mann mir, Den Städtezerstörer, der Ilions Stolze Feste gestürzt: Den Vielversuchten, der zahllose Völker und Städte befahrend, Menschenwesen wie keiner Jemals auf Erden erkannt, Den Furchtlosen, Vielgewandten, Den unüberwindlichen Dulder, Der, weithin über die Meere Vom Grimme Poseidons verstürmt, Einsam am Weltenende Den Tag der Heimkehr Sehnenden Herzens erharrte,

Aller Gefährten beraubt, Die sich an den Sonnenrindem Auf Phoibos' heiligem Eiland Selber den Tod gegessen In tierischer Gier. Längst schon waren die Führer Im furchtbaren Kampfe um Troja, Denen die Götter vergönnt, Der Stürme Gefahr zu bestehen, Die andem alle, daheim. Nur ihn hielt die Nymphe Kalypso, Die lieblich gelockte, zurück, Ewige Jugend in Wonne Dem sterblichen Manne verheißend, Daß er die Heimat vergesse, Der Göttin im Arm. Aber nun nahte im steten Kreislauf der Jahre die Zeit, Da ihm das eherne Schicksal Das Ende der Irrfahrt gesetzt. Und über der wolkenenthobenen Höhe des heiligen Berges Saßen im Himmelösaale, Sterblichen Augen im Glanze Des ewigen Äthers entrückt, Die Götter auf goldenen Stühlen Alle zusammen zum Rat— Außer dem einen, dem Eifrer Im finster starrenden Haar, Dem Bruder des donnernden Gottes, Poseidon, der unerbittlich Odysseus, den Dulder, verfolgte,

Seit er dem riesige» Sohne Des wilden Wogenbeherrschers, Dem ungeheuern Kyklopen Das Auge in seiner Stirne, Das einzige, ihm zerstört. Denn er war, der finstre Poseidon, Zu dunkelsarbigen Völkern Am Rande der Erde gezogen, Die Seele am Opferdampfe Der Frommen zu freun. Da hob der Vater der Welten Im Kreise der harrenden Götter Das lockenumwogte Haupt, Die Flammenstrahlen der Blitze In heiliger Hand, Segen und Grauen den Menschen Nach seines Geistes Ermessen Über die Erde zu streun, Und zürnend hallten die Worte Des Herrschers im Donnergewölk, Denn er gedachte des Mordes Am Führer des Volks Agamemnon: Wie ihn Aigisthos, der Buhle Seines treulosen Weibes, Als er aus Ilion heimkam, Am Herde des Hauses gefällt, Und wie Orestes danach, Der Sohn des gemeuchelten Helden, Als er zum Manne erwachsen, Den Mörder und Ehebrecher Zu Boden gestreckt Und der eigenen Mutter

Dm Dolch gestoßen ins Herz. „So häufen sie Übel auf Übel, Die Elenden unten auf Erden, Und immerzu dringt in die selige Stille des Äthers oben, Dem Jammer der Bettlerschar gleich, Der unbelehrbaren Toren Klagegeschrei! Denn schuld sind ihnen die Götter An all ihren Übeln allein, Als hätten wir nicht mit Sinnen, Mit Seele und Geist sie begabt, Daß sie zu scheiden vermöchten, Was ihnen schadet und frommt! Sie aber, im Neide einander Vernichtend, nützen es nur, Die heilige Ordnung zu stören Im Weltenall! So haben wir Götter vergebens Aigisthos gewarnt, Dem Weibe des Völkerfürsten Verführend zu nahn, Und dem trotzenden Frevler, Um ihn aus dem Taumel zu schrecken, Hermes, den Seelenerwecker, Den Himmelsboten gesandt: Erzwungen hat er sich ruchlos, Die Worte des Warners verachtend, Selber den traurigsten Tod!" Schweigend lauschte der Rede Zu Füßen des Vaters Athene, Sein teuerstes Kind.

Diese gedachte bekümmert Bei des olympischen Zeus Zürnenden Worten des Lieblings, Des leidengeübten Odysseus, Und fernehin schweifenden Geistes Sah sie ihn einsam sitzen, Vom Donner der Brandung umbraust, Über der ragenden Klippe Des Eilandes mitten im Meer, Und aus den endlosen Weiten Drang ihr das Seufzen des Dulders Über die wogende Wüste Des grauen Gewässers ans Ohr. Denn ihr war vom Vater verliehen, Der Parzen verworrne Gespinste Mit weisenden Händen zu richten, Aus daß im Geschick der Geschöpfe Der Wille des Höchsten erscheine, Sein ordnender Rat. Da hob sie das Antlitz, die Augen In sinnendem Glanze der Bläue Des Himmels gleich. „Unser Vater Kronion, Schirmer und Walter der Welt, Keiner wird jenen beklagen, Der, dem Strafgericht trotzend, Verderben sich selber erwählt! Was aber hat denn, sag mir, Odysseus verschuldet, der Dulder, Daß du der lieblich Gelockten, Kalypso, der Nymphe, erlaubst, Die Heimkehr dem Helden zu wehren

Wider des Schicksals Beschluß? Er aber sehnt sich im Elend, Von ferne den Rauch nur des Herdes über dem Land seiner Väter Einmal noch steigen zu sehen, Ehe er stirbt! Hat er nicht immer getreulich Während des Krieges vor Troja, Lämmer- und Rinderscharen, Unzählige, schlachtend, den Göttern Die Opferseuer gezündet? Sprich, warum zürnst du ihm, Zeus?" Da wiegte der Walter der Welten, Die Locken, die schimmernden, schüttelnd, Unwillig im Throne das Haupt, Daß rauschend die heilige Halle Ertönte, der himmlische Saal. „Welche Worte, o Tochter, Sind deinen Lippen entfiohn? Wie könnte ich jemals des teuren, Des einzigen Mannes vergessen, Des Weisesten weit über allen, Den Göttem vergleichbar an Rat? Hier aber gilt es gemeinsam Bedächtig erst zu erwägen, Wie wir am schicklichsten wohl Die helfenden Arme vom Himmel Dem fernhin Verschlagenen leihn: Beugen wird sich alsdann auch Jener endlich, so mein ich, Der ihn bisher unerbittlich Mit seinem Hasse verfolgt!

Denn wenig vermag selbst der wilde Wogenerreger allein Wider unsern, der Götter Gesamten Willen und Rat." Die Wange gestützt in die Rechte, Erwiderte darauf Athene, Die Tochter, ihm innig vertraut: „Vater, so dünktS meinem Sinne Am besten zu sein: Sende den Sohn, den geschwinden, Hermes, dm Boten des Himmels, Gebieten soll er der Nymphe, Den heimverlangenden Helden, Ohne zu zögern und zaudern, Aus der Haft zu entlassen Bei deinem Zorn, Daß er die Fahrt in die Ferne, Der Hilfe des Himmels vertrauend, ftber das Weltenmeer wage Zum Vaterland. Ich aber eile indessen Im stürmischen Flug durch die Lüfte Nach Ithakas felsigem Strand, Dem Knaben die Seele zu stärken, Telemachos, dem geliebten, Einzigen Sproß des Odysseus, Der unberaten im Hause Penelopeia, der traurigen Mutter, heranwächst, des Dulders Treuem Gemahl, Während der Freier Scharen, Die Fürstmsöhne, die vielm

Aus Ithaka und von deu Inseln, Ja selbst vom Festlande fernher, Schamlos die Arme bestürmen Und Tag für Tag schon seit Jahren Das Gut des verschollenen Königs, Die Herden der Schafe und Rinder Und wohlgemästeten Schweine In trunkenem Taumel verfchwelgen, Als wäre er tot. Aber ein schlimmes Erwachen Soll den Verblendeten werden, Wenn der zürnende Hausherr Unverhofft unter sie tritt!" Also sprach sie und schwang sich Dem Adler gleich ane der Höhe Zur Erde hinab. Der Gastsreund Über dem Festlande strich sie, Über den flurenfrohen Vielen Völkern der Griechen Achtlos, ohne zu ruhn, Bis ihr das meerverkündende Brausen der Brandung erscholl Und aus der dunkelblauen Unendlichen Fläche der Fluten, Mit zackigen Felsengipfeln Gleich einer Feste getürmt, Ithaka aufstieg, die Insel Im Glanze von Sonne und See. Da schwebte sie sachteren Fluges, Und stehe, nun stand sie verwandelt

Am Strande in Manneögestalt Und schritt, den Speer in der Rechten, Zum Hause des Herrschers hinan. Uber der Stadt in dem Tale Ragte es herrlich am Hügel Mit weithin schimmernden Säulen Unter dem goldenen Dach, Wie eine Watte des Eilands Vom hohen Meere zu schaun. Dorther hallte betäubend Stimmengeschwirr und Getöse, Als brauste der Sturmwind vom Berg: Die Schamlosen warens, die Freier, Im Hos vor der Halle des Königs Aus Rinderfellen gestreckt. Die kürzten die Zeit fich vorm Schmause Im Würfelspiel: Aus beinernen Bechern rollten Und klirrten klappernd die Knöchel Uber den Steinboden hin, Und lautes Gelächter und Lärmen Enttönte dem streitenden Schwarm. Einer nur saß inmitten Der festfrohen Freierscharen Finsteren Blicks Und unbeachtet von allen, Des Hauses Sohn, Telemachos, kummerbeladen, Und knirschend ballte der Jüngling Die Rechte zur Faust, Denn er gedachte fottwährend Seines verschollenen Vaters

In Sehnsucht und schmerzlicher Scham: Dem hätte wohl keiner gewaltsam Das Gut zu verschwelgen gewagt! Da schwoll ihm die tapfere Seele Von Racheverlangen und Trotz, Länger nicht, tatenlos leidend, Die Greuel im Hause zu schaun, Aber gleich lähmte ihm wieder Den Wagemut sorgendes Sinnen, Dem Frosthauch im Frühlinge gleich: Wie sollte ihm jemals gelingen, Dem unberatenen Jüngling, Die Scharen der Freier, die frechen, Der Mutter vom Hof zu verjagen Aus seiner eigenen Kraft? Hilseheischend erhob er Zum Himmel den klagenden Blick, Ob sich denn keiner droben Seiner Bedrängnis erbarme, Und ahnte es nicht, Daß sie vorsehend voll Güte Sein Flehen bereits ihm erfüllt! Denn schon stand sie im Tore, Die ihn zu stärken gekommen, Die göttliche Freundin des Vaters, Im Helm einem Helden gleich. Doch niemand nahte vom Hofe, Um ihr den Willkomm zu bieten, Wie stchs gebühren würde, Und als Telemachos endlich Den wattenden Wandrer gewahrte, Sprang er vom Sitze beschämt,

Eilte dem Gaste entgegen, Entnahm ihm die eherne Lanze, Den lastenden Schild von der Linken Und faßte nach seiner Hand. „Fremder Vater, vergib mir, Daß ich, in Sinnen versunken, Dich gleich zu begrüßen versäumt! Folge ins Haus mir zum Mahle, Und wenn du den Hunger gestillt Und die lechzende Lippe gelabt hast, Sprich mir, wonach dich verlangt!" Und über die Schwelle der Halle Führte er an der Rechten Zum Saale den unerkannten Göttlichen Gast, Lehnte die Lanze Athenes Dorthin, wo im Waffenbehälter Die Speere des Hausherrn starrten, Rings um di« Säule gereiht, Und setzte sich mit dem Fremden Abseits am Herde zum Tisch, Um unbeläftigt vom Lärme Schmausender Scharen zu forschen, Ob ihm der Wandrer etwa Gewisses zu sagen vermöchte Von seines Vaters Geschick. In goldener Kanne brachte Die ehrbare Schaffnerin Waffer Zum Waschen der Hände herbei, Der Vorschneider breitete sorgsam Brot und die Fülle des Fleisches Dem hungrig Harrenden hin,

Und mit dem Weinkruge eilte Geschäftig der Schenke heran. Aber kaum hatte die Göttin Vom Mahle gleich Menschen genossen Und aus dem blinkenden Becher Mit himmlischer Lippe geschlürft, Da drangen schon lärmend die Scharen Der Freier zum Schmaus in den Saal Und füllten auf prächtigen Sesseln Rings an den Tischen die Halle, Die Speisen schlingend und zechend, Dem Schwarme von Heuschrecken gleich, Der über die Saaten des Landmanns Verheerend sich senkt. Da neigte Telemachos näher, Damit es niemand vernehme, Zum Ohre des Fremden das Haupt. „Lieber, du scheinst ein verständiger Mann mir zu sein: So wirst du es mir nicht verargen, Daß ich den quälenden Kummer, Wenn ich die Schwelger dort schaue, Klage vor meinem Gast! Siehe, so treiben sies täglich, Und niemand ist hier im Hause, Der ihnen zu wehren vermag, Denn der gewaltige Herrscher, Dem sie die Habe verwüsten, Verschollen ist er seit Jahren, Und irgendwo bleichen, meine ich, Ferne auf fremder Erde Seine Gebeine wohl,

Oder die Wogen wälzen Die Knochen des Königs im Meer: Den Tag der Heimkehr, ich weiß es, Hat ihm der Tod geraubt!... Aber nun künde mir, Lieber, Von wannen du hierher kommst, Und welchen Eltern dein Leben Du zu verdanken dich rühmst?" Reich an erfindendem Geiste, Erwiderte Pallas darauf: „Mentes heiß ich, der älteste Sohn des Anchialos bin ich, Der über dem ruderberühmten Volke der Taphier herrscht. Gastfreunde find wir beide Schon seit den Zeiten der Väter, Odysseus, der König, und ich. Laörtes weiß «s, der Alte, Der Vater des herrlichen Helden, Der aber jetzt, wie «s heißt, Abseits der Stadt und den Seinen Im Schmerz um den Sohn, den entfemten, Einsam im Weinberge lebt, Kärglich gleich einem Knechte In schlechte Kittel gehüllt, Und niemanden hat er zur Pflege Außer der kraftlosen Greisin, Des Pächters ärmlicher Magd, Wenn er wankenden Ganges Von der ermüdenden Arbeit Im späten Abende kehrt. Aber nun sage mir, bist du

Etwa ein Sohn des Odysseus? Wundersam siehst du ihm ähnlich Am Wuchs und den sinnenden Augen, Wie ich als Jüngling ihn sah!" „Ja", sprach jener und seuszte, „Dn hast es erraten, ich bins! Doch wäre wahrhaftig mir besser, Der Sohn eines jeden andern Unter den Menschen zu sein Als des unseligen Mannes, Den ohne alles Verschulden Unablässig die Götter Verfolgen mit ihrem Grimm! Denn ruhen werden, ich weiß es, Die Unversöhnlichen nicht, Bis sie auch mich, den Letzten Des stolzen Geschlechtes, vertilgt, Und keiner vom Stamm des Verhaßten Im Lichte mehr lebt!" Die Hand auf die Schulter legte Ihm leise Athene und sprach: „Freund, nicht also gefrevelt! Glaube dem älteren Manne, Der manches im Leben erlitten: Von andrer Art find die Götter, Als dir im Unmute scheint! Cs ist nicht der Edle auf Erden Den himmlischen Mächten verhaßt: Die helfenden Hände reichten Sie immer noch dem Beherzten, Der sich in allen Gefahren, Die das Geschick ihm verhängte,

Ohne zu wanken, bewährt, Und wahrzusagen, ich wag es, Ohne ein Seher zu sein: Heimkehren wird euch Odysseus, Der unüberwindliche Dulder, Ehe ein Jahr noch vergeht, Mögen ihn wütende Wogen Verderbendonnernd umdrohen Oder ihn eherne Fesseln Umklirren in Feindesland! Dich aber mahne ich, Jüngling, Zagen und Zweifeln verscheuchend, Der mutigen Kraft zu vertrauen, Die nicht umsonst in die Brust dir Die Waltenden droben gelegt: Sprich zu den Freiern der Mutter, Ohne die Frechen zu scheuen, Wie es der Geist dir befiehlt, Daß nicht die Schamlosen wähnen, Ungestraft wüten zu dürfen, Als wäre kein rächender Richter Ihnen vorhanden im Haus!" Da faßte mit beiden Händen Der Jüngling des Gastes Hand. „Fremder Freund, das Vertrauen Hast du mir wunderbar wahrlich Wiedererweckt in dem Herzen Und haft den Verzagten beschämt, Daß er die waltenden Götter Gleich einem Knaben geschmäht, Der seine Schuld auf die Schultern Der andern im Unmute schiebt.

Bleibe, ich bitte dich, Lieber, Daß du mich länger noch lehrst!" Da wandle Athene das Antlitz, In himmlischer Hoheit erschimmernd, Dem Flehenden zu. „Hier als Gast zu verweilen, Geziemt auf die Dauer mir nicht, Dennoch, ich werde bei dir sein, So oft du der Stärkung bedarfst, Wenn auch das menschliche Auge Mich nicht zu erschauen vermag!" Da schwand sie dem staunenden Jüngling, Gleichwie die flüchtige Schwalbe Dem Blicke im Äther entrinnt, Und heiligen Schauer im Herzen, Erahnte Telemachos jetzt, Daß es die Freundin des Vaters, Die Göttliche selber gewesen, Die ihn also gemahnt. Indessen hatten im Saale Die lärmenden Scharen der Freier Dem Harfenschläger gerufen, Phemios, der nur gezwungen Vor den Verhaßten sang, Denn um den verschollenen Herrscher Grämte sich stets fein Herz. Traurigen Sinnes erhob er, Die Saiten rührend, das Lied, Wie auf der Heimfahtt der Helden Nach Ilions endlichem Sturz Pallas Athene im Grimme Das Rasen der Stürme entfesselt,

Vielen die Schiffe versenkt Und allen, denen sie grollte, Das Leben geraubt. Aber vom Söller hörte Die keusche Penelopeia Der klagenden Saiten Getön, Stieg im hüllenden Schleier Die Stufen zur Halle hinab, Und über die Schwelle tretend, Stand sie in schweigender Hoheit, Auf die Schultern der Mägde Zu ihrer Rechten und Linken Die Arme voll Anmut gestützt, Daß staunend die Männer verstummten, Und ihnen allen die Herzen Von neuem in Heißer Begierde Entbrannten nach ihrem Besitz. Da hob sie, die Tränen erstickend, Die aus dem Busen ihr drängten, Die Stimme, zum Harfner gewandt. „Phemios, viele Gesänge Hat Phoibos Apollon, der Gott, Der Hörer Herz zu entzücken, Euch, den Geliebten, verliehn, Warum nur gefällt dir kein andres Als dieses leidige Lied, Daß in der bebenden Brust mir Die Seele zerreißt! Denn ach, von allen auf Erden Hab ich am meisten verloren, Da mir der göttergleiche, Der unvergeßliche Gatte

Für immer im Elend entschwand!" Unter den Gästen erhob sich Vom Seffel Telemachoö, Schritt ihr entgegen und faßte Sanften Drucks ihre Hand. „Schilt nicht, Mutter, den Sänger: Er wählt nicht nach Laune sein Lied, Sondern wie es der Seele Phoibos Apollon befohlen, Der geisterregende Gott! So ruht auch das Schicksal des Vaters Im Rate der Götter allein, Und uns geziemt nicht zu rufen, Als hätten es wir zu entscheiden: Tot ist er schon! Darum, so rate ich, kehre Ruhig zur Arbeit am Webstuhl Droben im Söller zurück Und die Sorge, den Männern Hier im Saal zu gebieten, Liebe Mutter, laß mir, Denn dem Sohne gebührt sie, Mir, dem Erben im Haus!" Fest und freundlich gebietend, Sprach er also zu ihr, Der Obhut der Mutter entwachsen, Zum ersten Male als Mann. Da wich sie betroffen, der jähen Verwandlung des Jünglings staunend, Erfreut und bekümmert zugleich. Er aber wandte sich wieder Zum Kreise der Freier hin.

„Hört mich, die ihr in der Halle Zu üppigem Schmaus euch geschart: Lange genug hab ich schweigend Die ungeladenen Gäste Gelitten in unserm Haus: Morgen berus ich am Markte Zur Ratsversammlung das Volk, Im Angesicht aller zu sordern, Daß ihr mir Rechenschaft gebt, Mit welchem Rechte ihr Freier, Die Mutier ständig bedrängend, Wider den Willen des Hausherrn Die Sessel im Saale besetzt?" Da blickten sie einer zum andern Und bissen die Lippen verblüfft, Daß er mit solcher Kühnheit Vor ihnen zu reden gewagt. Aber der Sohn des Eupeithes, Der stolze Antinoos, zuckte Spöttisch die Achsel und ries: „Ein Dämon, Freunde, bedünkt mich, Hat dem Knaben, dem armen, Gänzlich den Kops verrückt! Will er am Ende am Markte Zum König über uns alle Sich küren lassen vom Volk?" Ihres Gelächters nicht achtend, Entgegnete ihm gelassen Telemachos draus: „König aus Ithakas Eiland Wie all meine Ahnen zu werden, Würd ich gewiß nicht verschmähn,

Denn es schiene mir wahrlich Das Schlechteste lange noch nicht, Gaben von euch zu empfangen, Statt daß ihr das Meine mir nehmt! Doch da mir solches versagt ist, Hört es nun alle und merkts: Herrscher im eigenen Hause Will ich zum wenigsten sein!" Da reckte unter den Freiern Eurymachos, Polybos' Sohn, Lauernden Auges den Kopf — Der Reichste war er an Gütern Außer dem Sohn des Eupeithes, Geschmeidigen Leibs und gewandten Geistes zugleich. „Wer uns künftig beherrschen soll", Sprach er, den Jüngling beschwichtend, „Lieber, das lassen wir füglich Die Sorge der Götter sein! Aber sage mir, Hausherr, Wer war denn der Fremde am Herde, Der uns so eilig verließ? Hat er aus fernen Landen Von dem verschollenen Vater Dir etwa Kunde gebracht?" Da stand vom Stuhl an der Tafel Telemachos unwillig auf. „Fremder Rede zu glauben, Eurymachos, hab ich verlernt! Den eigenen Sinnen nur trau ich, Die mir die Gnade der Götter Zu treuen Beratern gegeben,

Und ihrer weisenden Stimme In meiner eigenen Brust!" So sprach er und schritt im Unmut, Die lärmende Halle verlassend, Auf zierlich gewundener Stiege, Des Zimmermanns kunstvollem Werke, Zum Schlafgemache hinauf. Dort harrte sie seiner, die ehrbare Schaffnerin, lange schon, Eurykleia, die alte, Die ihn in den Windeln gewiegt. Den schimmernden Leibrock streifte er Schnell von den Schultem, warf ihn Dem Mütterchen in die Arme Und streckte zum Schlafe sich aus. Mit hurtigen Händen fing sie Das köstliche Festtagskleid: Die Falten sorgfältig glättend, Hing sie es ihm am Pflocke Uber dem Bette auf Und wartete noch eine Weile, Die Hände geduldig gekreuzt, Ob der Ermüdete etwa Weiterer Dienste bedürfe, Bis ihm Athene vom Himmel Leidenlösenden Schlummer Uber die Lider gesenkt. Da ging sie leis auf den Zehen, Behutsam die Türe verschließend, Zum Schlafgemache hinaus. Unten im Saal aber schwärmten Bei Saitenspiel und Gesang

Und schamlosem Scherz mit den Mägden Die unersättlichen Freier Bis tief hinein in die Nacht. Vor dem Volke Eben erst glänzten die Gipfel Der Insel im Frührote auf, Da hallten schon dumpf erdröhnend, Das Volk zum Rate zu rufen, Der Herolde Hörner am Markt. Geschäftig strömten die Scharen Aus allen Gassen herbei, Und der die Versammlung geboten, Telemachos, trat am Hügel Aus dem Palaste hervor, Den ragenden Speer in der Rechten, Uber der Schulter das Schwert, Iugendschönheit und Stärke Vom himmlischen Hauche AtheneS Zu höherem Glanze verklärt. So schritt er entschlossenen Geistes, Zwei schnelle Hunde zur Seite, Die wedelnden Hüter des Hofes, Zur Menge am Markte hinab, Die hochaufstaunend und murmelnd Dem mutig Blickenden wich, Und saß in den Sessel des Vaters Unter die Fürsten im Ring. Nun aber erhob sich der Älteste Aller in Ithaka, Aigyptios, unter der Bürde Zahlloser Jahre gebeugt.

„Wer ist es, der uns hier versammelt, Zum erstenmal seit der König, Der Vater des Volkes, Odysseus, Unsere Insel verließ? Will vor Gefahren er warnen, Welche uns alle bedrohn, Oder um Hilfe uns bitten In seiner eigenen Not? Aber was immer er wolle, Wenn es nichts Unrechtes ist, Möge Zeus ihm gewähren, Daß er es glücklich vollbringt!" Des heilverkündenden Wunsches Von Herzen froh, trat der Jüngling Sofort in die Mitte des Ringes Und nahm aus den Händen des Herolds Den Stille gebietenden Stab. „Aigyptios, du gerechter Ehrwürdiger Greis, Ich bin es, der Sohn des Odysseus, Der euch zum Rate berief: Nicht vor Gefahren zu warnen, Welche uns alle bedrohn, Sondern dem Volke zu klagen Mein unctträglicheö Leid! Denn zwiefachen Harm hat das Schicksal Im Zorne mir Armen verhängt: Verschollen ist mir der Vater, Und mein Erbe zettütten Mit unaufhörlichem Prassen Schamlos die Söhne der Fürsten, Die, wie ihr alle wißt,

Wider den Willen der Mutter Um die Hilflose frein. Was suchen sie nicht, so frag ich, Ikarioö auf, ihren Vater, Wie sichs nach Rechten gehötte, Daß er die Tochter dem Freier Mit ihrer Ausstattung gebe, Der beiden am besten gefällt? Doch nein, sie wollen nicht weichen, Dem Wespenschwarm gleich, der gierig Den lockenden Weinkrug umschwirtt, Bis er den letzten Tropfen Aus dem Gefäße gesaugt, Denn freilich, den vielen zu wehren Vermögen wir wenigen nicht! Volksgenossen, nun sagt mir, Ist denn ein Recht noch auf Erden, Wo solches geschieht?" In zornigem Schmerze warf er Das Zepter des Redners zum Grund, Und von Mitleid erfchüttett, Saß lautlos das Volk auf den Bänken Und blickte voll Bangen zugleich Zu den Beschuldigten auf. Doch wagte auch keiner von jenen Wider den Jüngling zu reden, Bis wütend der Sohn des Eupeithes, Der stolze Antinoos aufsprang. „Du lügst und du lästerst, Verleumder, Mit List das Volk zu gewinnen! Denn warum wir die Mutter Im Haufe dir dauernd bedrängen,

Das, Knabe, kündest du nicht! Hört und staunet, Genossen, Was uns zu hintergehen Die Schlauheit des Weibes ersann: Versprochen hatte die Falsche, Einen von uns, ihren Freiem, Sich zum Gemahle zu kiesen, Sobald sie Laörtes, dem Schwäher, Das Leichengewand, das große, Kunstvoll zu Ende gewebt, Daß er nicht bloß aus dem Brette Im Tode läge, der König, Der einst so vieles besaß. Aber was denkt ihr wohl, tat sie? Was sie bei Tage gewoben, Trennte sie auf bei der Nacht! So trog sie uns Monde um Monde, Bis eine der Mägde im Hause Der Herrin Geheimnis verriet. Da fanden wir die Verschlagne Beim Fackelschein über der Arbeit Im stillen Gemache allein, Und das Werk zu vollenden, Zwangen wir sie sogleich. Dennoch verstand ste's, mit zahllosen Ausflüchten immer von neuem Der Hochzeit sich zu eniziehn! Darum, Telemachos, werden, Was du auch immer dem Volke Uber uns jammerst und klagst, So lange dein Haus wir belagern, Bis aus dem Hause sie geht!"

Finstern Blicks zog der Jüngling Die Brauen zusammen und rief: „Soll ich sie, die mich geboren, Um euretwillen verstoßen Und der Rachegöttinnen Grauser Verfolgung verfallen, Vom Munde der Mutter verflucht? Wahrlich, da wollte ich lieber, Daß ihr mir alles und jedes, Was ich besitze, verfchwelgtet: Schlingt es hinab! Ich aber bete zum Gotte, Dem Vater im Donnergewölke, Daß er mir vollauf Rache, Die Frevler vertilgend, gewährt!" Und horch, kaum hat er's gerufen, Erbraust dem Volke zu Häupten Von Flügelschlägen die Luft: Zwei mächtige Adler stürzen, Immer einander umkreisend, Jählings vom Himmel herab, Dicht über den Köpfen der Menge Saufen die Aare hin Und fallen im Flug mit den krummen Krallen einander an, Brüst« und Hälfe zerfetzend, Daß weithin die Federn stieben Wie Flockengewirbel im Winter Uber die Menge am Markt. Da fährt entgeistert der Seher Vom Sitze empor, Mastors Sohn Halitherfes,

Die grauen Haare gesträubt. „Unselige, seht ihr das schreckliche Zeichen des zornigen Gottes? Weh euch! Odysseus lebt! Uber die Fluten fährt er, Er naht, die Insel betritt er, Den heiligen Boden der Heimat — Der Tag der Vergeltung bricht an! So wie die Aare droben Einer den andem zerfleischen, Richtet ihr Freier euch alle Im Wahnsinn wütend zugrund!" Erschrocken starrte die Menge Zu dem Entrückten empor, Der gleich einem warnenden Geiste Beschwörend die Hände erhob Und, Schaum vor dem Munde, entkräftet Zurück in den Sessel sank. Da suhr ihn mit grimmigem Schelten Eurymachos an. „Was faselst du, alberner Alter, Von jenem, der lange verschied? Denkst du uns etwa zu schrecken Mit deinem hohlen Geschrei? Adler fliegen in Menge Zu allen Zeiten nach Beute Frei umher in der Luft, Ohne vorbedeutende Zeichen den Menschen zu sein! Wahrsagen aber will ich dir Selber nun etwas, dem Seher: Schlimm gehen soll es dir, Graukopf,

Wenn du wie heute uns ferner Die Leute irrst und verstörst! Und du, Telemachos, höre: So wenig wir irgendeinen Im Volke der Ithaker scheuen, So wenig fürchten wir dich, Magst du auch noch so trotzig Toben und schelten am Markt! Drum rat ich dir freundschaftlich, Knabe, Füg dich dem Schicksal im Guten, Das nicht zu ändern ist!" Düster schaute Telemachos Unter der Stirne hervor. „Freilich seh ich es selber: Mit Ungerechten zu rechten, Ist verlorene Müh! So will ich nichts weiter als eines, Und dieses mir zu verweigern, Müßtet ihr Unmenschen sein: Stellt mir ein Schiff zur Verfügung, Daß ich am Festland der Griechen Unter den Freunden des Vaters Zu forschen und fragen vermöge, Ob ich nicht wenigstens etwas Von seinen Geschicken erfahre, Bevor mir auf ewig die Mutter Einer der Euren entführt!" Da lachte Eurymachos spöttisch. „Der Sohn des Odysseus bist du, Des vielgewandten, fürwahr: Freilich, das könnte dir taugen, Unter den Freunden des Vaters

So lange zu flehn und zu werben, Bis sie zur Hilfe dir schließlich Vom Festlande wider uns ziehn! Lieber, du hast dich verrechnet: Wir lassen dich nicht von der Insel, Bis sich die Mutter vermählt!" Hilflos im Kreis« der Höhnenden Blickte der Jüngling sich um, Ob sich denn keiner ermanne, Ihm beizustehen — und alle Schwiegen und schauten weg. Nur einer war's, der erhob sich, Mentor, der vielgetreue Gefährte und Freund des Odysseus, Dem er vorzeiten zur Obhut Das Haus und di« Seinen gegeben, Als er die Küste der Heimat Zum Kriege nach Troja verließ. Zomig funkelnden Auges Unter den buschigen Braue», Reckte der Graubart sich aus, Und grollend rollten die Worte Ihm aus der Tiefe der Brust: „So möge denn künftig kein König, Wie es Odysseus gewesen, Milde mehr sein und gerecht, Sondem er plage die Leute Immerzu bis auf das Blut, Um seine Güter zu mehren, Ohne die Götter zu scheu«! Doch meint nicht, ihr Wankelmütigen, Die ihr herauf zu mir gafft,

Den Freiem gelte mein Schelten, Jenen Ruchlosen — nein! Die Sinneberaubten Haben, Ins Haus des Gewaltigen dringend, Die eigenen Häupter verspielt! Euch schelt ich, die Undankbaren, Die Trägen, die Feiglinge, euch, Daß ihr nicht, der große Haufen, Dem Sohn eures Königs zu helfen, Euch wider das Häuflein der Frechen Einmütig all« empört!" Da stürmten entrüstet die Freier Auf von den Stühlen und schrien: „Unheilstifter, verfluchter, Willst du das Volk uns verhetzen, Mentor, verhaßter, hinweg!" Und Leiokritos' Stimme Gellte durchs wüste Geschrei: „Glaubst du etwa, wir zittern, Du Schwätzer in grauen Haaren, Vor deinem ohnmächtigen Drohn? Und käme Odysseus selber, Dem Tod in der Fremde entronnen, Die Seinen zu rächen, zurück, Er stürzte vorm eigenen Hause, Eh er die Gattin gegrüßt, Eh er die Schwelle beschritten, Von unsern Speeren gefällt! Laßt euch nicht spotten, Freunde: Sprengt mit den Waffen den Rat!" So jagten sie mit den Knechten Das Volk auseinander und schritten

Von neuem zum schwelgenden Schmaus. Aber Telemachos eilte, Den tobenden Scharen entweichend, Zum Tore ins Freie hinaus Und wanderte weitab von Menschen Zum Ufer des Meeres hinab, Bis die Dämmerung sachte Uber Wege und Stege Den hüllenden Schleier gesenkt. Da stand er einsam im Dunkel, Vom Donner der Wogen umdröhnt Und von dem klagenden Kreischen Der Möven allein umschrillt. Am Strande kniete er nieder, Wusch sich die Hände und hob sie Betend zum Himmel empor, Der helfenden Göttin zu rufen, Die ihn als Gastfreund gestärkt. Und schon trat sie dem Jüngling, Aus graulichem Dämmer tauchend, Zur Seite in Menschengestalt. „Mentor, woher, du Getreuer?" Ries staunend der traurige Jüngling, „Du einziger Freund unter allen, Der mir in Ithaka blieb?" „Ich ging dir nach, dich zu mahnen!" Entgegnete sie. „Den Knabenschuhen entwachsen, Hast du geredet im Rat: Nun gilt es nicht mehr, stch zu härmen, Mutig zu handeln gilts! Den drohenden Freiern zum Trotze,

Telemachos, fahren wir aus, Um nach dem Vater zu forschen In Pyloö, der prächtigen Feste Am sandigen Ufer der See Bei Nestor, dem hochberühmten Göttlichen Greis, Denn ihm sind von allen auf Erden Die meisten unter den Menschen Und ihre Geschicke bekannt. Um Hilfe hab ich deswegen Phronios' Sohn ersucht, Den edelgesinnten Noömon: Er leiht uns gerne sein Schiff! Eile nach Hause, so rat ich, Die Reise aufs schnellste zu rüsten, Daß wir den Freiern entkommen, Eh sie sich dessen versehn. Mit männernährendem Mehle Fülle uns viele Gefäße Und dichte Schläuche aus Bockshaut, Daß wir nicht Mangel leiden, Mit dunkelfunkelndem Wein. Ich aber rufe inzwischen Zum Schiffe hinab die Gefährten, Ruder und Segel zu richten Zu beschleunigter Fahrt!" Freudig folgte dem Rate Der Göttin der rasche Jüngling, Kehrte zurück in die Gaffen, Stieg zum Palaste hinauf Und ging durch die Scharen im Saale Eiligen Schritts.

Sie aber hoben die Humpen Voll dunkelfunkelnden Weines Mit lautem Gelächter ihm hin, Und Antinoos haschte Ihn geschwind bei der Hand. „Jüngling verwegener Worte, Was grollst du uns so? Gesiegt hast du heut, ich bekenn es, Im Redekampf über uns: Laß dir an solchen Taten Rühmlicher Rede genügen Und setze dich friedlich zu Tisch, Mitzutun bei dem Mahle, Daß auch für dich etwas abfällt, Den Hausherrn, beim üppigen Schmaus!" Aber verächtlich entriß ihm Der Jüngling die Rechte und rief: „Spottet und stopft euch die Bäuche Mit dem gestohlenen Gut: Erweisen wird es sich künftig, Ob ich zu reden nur weiß!" Da höhnten sie alle im Schwarme Dem unwillig Weichenden nach: „Wehe uns Elenden! hört ihr, Wie uns Telemachos droht? Heute noch fährt er wahrscheinlich, Da es am Schiffe ihm fehlt, Einsam im Kahne, sich Hilfe Vom Festland zu holen, davon, Und mit der zahllosen Flotte Des ganzen Griechenlands kommt er, Uns alle zu morden, zurück!"

Er aber schritt auö dem Saale Und stieg die steinernen Stufen Zum kühlen Keller des Hauses, Dem hochgewölbten, hinab. Da lagen in schimmernden Hausen Kostbare Erze verwahtt, Gold und Silber und Kupfer, Des Königs unendlicher Schatz: Mächtige Tonnen startten Voll duftenden Öles und Fässer Voll dunkelfunkelnden Weines Rings an den Wänden gereiht, Truhen voll köstlicher Kleider Und staubige Säcke mit feinem, Sorgsam gesiebtem Mehl. Dott traf er unter der Türe Die ehrbare Schaffnerin an, Eurykleia, die alte, Den Keller zu schließen bereit, Denn ihrer Wachsamkeit waren Die Schätze alle vettraut. „Watte, Mütterchen", sprach er, „Heut gibt es für dich noch zu tun! Fülle mir hurtig zwölf Krüge Mit unserem besten Wein Und von den Mehlsäcken gib mir So viele, daß es zur Zehrung Für mehrere Wochen am Meere Der Mannschaft des vollbesetzten Zwanzigruderers reicht. Denn heute noch fahr ich nach Pylos Am sandigen Strande der See, 4o

Um nach dem Vater zu forschen, OB ich Bei Nestor, dem Greise, Mir endlich Kunde verschaffe Von seinem Geschick!" ÜBer dem Haupt schlug die Alte Die Hände zusammen im Schreck. „Söhnchen, welch feindlicher Dämon Hat dich der Sinne BerauBt? Istö nicht genug, daß Odysseus, Der lieBe Herr, uns verschollen, Willst auch du noch das LeBen, Frevelhaft wagend, verlieren, Daß keiner von euch, ihren Teuern, Der trostlosen Mutter mehr BleiBt? Denn selBst wenn du allen Gefahren Aus hoher See und am Lande Glücklich entrinnen solltest, Wie willst du heimkehrend der Rache Der ruchlosen Freier entgehen? LieBer, ich Bitt dich, laß aB!" „Mütterchen, still", sprach der Jüngling, „Nicht ohne die Götter haB ich Solches Begonnen und will es Mit ihrer Hilfe vollenden, Wie es das Herz mich heißt. Du aBer schweige zu allen, Daß nicht die Mutter vorzeitig Im Grame um mich sich verzehrt Und mit zahllosen Zähren Ihr schönes Antlitz entstellt, Denn in zwölf Tagen schon hoff ich, Wenn alles nach Wunsch mir gewährt wird,

Wieder im Lande zu sein!" So sprachen sie unten im Keller, Und oben lärmten die Zecher In zügellos jauchzender Lust, Bis endlich die Völler wie üblich Mit viehischer Trunkenheit gänzlich Das Hirn sich erfüllt und betäubt Und, heimwärts taumelnd, mit Mühe Sich in den Gehöften zerstreut. Da hatte indessen der Jüngling Beim Dämmerscheine der Sterne Heimlich die Ladung vom Hause Zum Hafen hinab geschafft. Mit Mentors hohem Gebilde, Der Göttin an seiner Seite, Bestieg er das schnelle Schiff, Begrüßte die lieben Gefährten, Und sachten Fahrwind im Rücken, Den ihnen Athene gesandt, Rauschte der Kiel durch die Wogen Hinaus in die Nacht.

Bei den Bölkerfürsten Am Strande vor Pyloö Vom Lager des schlummernden Gatten Am Grunde der See Erhob sich sacht in der Grotte Die früherwachende Göttin Und glitt aus der dunkeln Tiefe Zum Dämmerlichte empor: Mit rosigen Wangen enttauchte Eos dem murmelnden Meer, Und Land und Lüste erglänzten Vom Widerscheine der Schönen In leisem Erglühn. Da dampfte gleich Hellem Gewölle Am Strand vor der Felsenfeste Von Pylos der Opferrauch, Und um die heilige Flamme Saßen auf Bretterbänken Die Scharen des Volkes gedrängt,

Dem finstergelockten Poseidon, Dem Meeresgotte, zu flehn. Schon waren die Lendenstücke, Mit des geschlachteten Stieres Weißem Fette umwickelt, Dem Wogengebieter verbrannt, Und unter den rüstigen Söhnen — Sechs an der Zahl — Teilte der Herrscher selber Das Fleisch zum Festschmause aus, Das sie an Spießen geröstet Uber der lodernden ©lut: Nestor, der Sohn des Neleus, Die hagern Schultern ein wenig Vom Alter nach vorne gebeugt, Silberne Locken in spärlichen Strähnen ums schmale Haupt, Aber die Falkenaugen Blitzenden Blickes im sättigen Greisengeficht. Da nahte der feiernden Menge Vom hohen Meere ein Schiff, Am Vordersteven im Helme Zwei Helden von stattlichem Wuchs. Es sanken die Segel am Maste, Und sachte zum Strande gesteuett, Knirschte der Kiel auf den Kies: Vom Borde stiegen die beiden, In Reisemäntel gehüllt, Und zu dem älteren Freunde, Der Göttin in Mentors Gestalt, Sprach der verständige Jüngling,

Odysseus' Sohn: „Banger Zweifel erfaßt mich, Mentor, mit einemmal: Wie soll ich, der Unerfahme, Dem Vielerfahrenen nahn Und zu dem Ruhmreichen reden, Der über drei Menschenalter Völkergeschicke gelenkt?" Aber die sinnreiche Tochter Des hochher donnernden Gottes Tröstete ihn. „Das lasse, Sohn, dich nicht sorgen! Wer Ehrfurcht im Herzen hegt, Allezeit darf er furchtlos Vor die Gewaltigen treten: Es weist ihm zu rechter Stunde Der Geist das richtige Wort!" Indessen halten auch jene Von

ferne die Fremden erspäht,

Und Peisistratos eilte, Der jüngste von Nestors Söhnen, Die Gäste geziemend zu grüßen, Faßte die Rechte der Göttin Und führte sie vor den Vater, Den hohen, im Silberhaar. Der reicht« freundlichen Blickes Ihnen dm Becher zum Willkomm, Mit würzigem Weine gefüllt. „Dem mächtigen Herrscher der Meere Haben wir Opfer gebracht: Spendet auch ihr nun dem Gotte, Eh ihr die Lippe euch letzt,

Dann setzt euch, willkommene Gäste, Nieder zum Mahle mit uns!" Und sie beteten beide, Telemachos und die Göttin, Und ließen sich nieder zum Mahl. Aber nachdem sie den nagenden Hunger völlig gestillt Und auch vom würzigen Weine Genossen nach Herzenslust, Erhob der Herrscher von neuem Bedächtig das Wort: „Nun kündet, woher ihr gekommen Und welch ein Gewerbe ihr führt: Nicht Handeltreibenden gleicht ihr, Die Waren tauschend und feilschend Um ihren Vorteil sich mühn! Eher, vermute ich, zieht ihr, Den Leib und das Leben wagend, Als mutige Männer um Beute Hinaus auf das hohe Meer!" Da senkte Telemachos seufzend Das Kinn auf die Brust. „Hochgepriesener Herrscher, Göttlicher Greis, Ein andres Gewerbe führt mich, Ein kummervolles, hierher!" Und auf die Kniee sank er Vor dem Könige hin. „Nestor, du Trost der Betrübten, Der Sohn des Odysseus ist es, Der, deine Füße umfassend, Gleich einem Gotte dir fleht:

Wenn jener dir jemals im Felde Vor Troja, der trotzigen Stadt, Als Freund zur Seite gestanden, Wie mir die Leute gesagt, So künde von seinen Geschicken Untrüglich dem bangenden Sohn, Was dir zu Ohren gekommen, Mag «s das Schlimmste auch sein! Denn furchtbarer ist nichts auf Erden, Als über das Schicksal der Lieben Im Dunkel des Ungewissen Die Tage dahinzuleben, Den traurigen Schalten im trüben Reiche der Toten gleich! Zieh mir vom Auge den Schleier, Lasse die Wahrheit mich schaun!" Von schmerzlichem Staunen erschüttert, Hob den knienden Jüngling Der göttliche Greis vom Grunde, Und ihm ins Angesicht spähend, Nickte und murmelte er: „Ja, er ist es, ich kenn «s Am Wuchs und am Klange der Stimme, Der Sohn des herrlichen Mannes, Mit dem ich einmütigen Sinnes Immer geredet im Rat, Die Zornentbrannten versöhnend, Wenn Zweifel und Zwist sich vor Troja Im Heere der Griechen erhob!" Und so wie das steigende Wasser Des Stausees, die Dämme zerreißend, Uber das Land sich ergießt,

Entströmte, vom Leide entfesselt, Den Lippen des Greifes die Rede In unaufhaltsamem Fluß: „Kind, mein Kind, o wie hast du Mit deinen mahnenden Worten Das Herz in der Brust mir bewegt Und trauervolles Gedenken An all die teuern Gefährten, Die Toten im Kriege vor Troja, Mir wiedererweckt! Ach, wie lange schon ward er Vom finstern Hades verschlungen, Achilleus, der Hort der Achaier, Der glänzende Göttersohn, Kaum daß er Patroklos' Mörder, Hektor, den tiefverhaßten, Um Ilions Mauern ihn schleifend, Hinab zu den Schatten gesandt! Und Ajaö, der Turm der Hellenen Im Toben der Schlacht, Dem feindliche Götter jählings Wütenden Wahnsinn verhängt, Daß er sich selbst mit dem Schwerte Grausam entseelt! Und mir zu unstillbarem Jammer Der tapfre Antilochos auch, Der liebste der Lagergenossen Dem großen Sohne der Thetis Nach seines Patroklos' Tode, Mein ältester Sohn! Und ach, als nach langen Jahren Dem wohlerwogenen Anschlag

Des weisen Odysseus endlich Die trotzige Troja erlag, Da ward auf der Fahrt in die Heimat Vom Fluche Pallas Athenes, Der bitter beleidigten Göttin, Das Heer der Achaier verfolgt: Denn der Sohn des Achilleus Hatte beim Sturm auf die Stadt Die Priesterin der Erhabnen, Kassandra, die hochgesinnte, Die Seherin vor dem Altare, Beim Haare niedergerissen Mit roher Faust Und sie, der Göttin trotzend, Die furchtbar vom Himmel her aufschrie, Im Heiligtume gefällt. Da sandte die zürnende Göttin Sofort den verderbenbringenden Dämon der Zwietracht den Fürste«, Daß sie, in Feindschaft geschieden, Ihre Geschwader zur Heimat Führten über die Flut, Dann ließ sie aus finsterm Gewölk« Die Stürme über sie los, Daß brüllend die Wogen erbrausten Und mit zerschmettertem Kiele Viele der furchtlosen Helden, Die glücklich allen Gefahren Entgangen im langen Krieg, Den Fischen zur Beute versanken Im brausenden Meer. Menelaoö war es, der letzte,

Der mächtige Rufer im Streite, Den ich in rastlosem Kampfe Mit Winden und Wogen gesehn: Dem rasenden Sturm zwar entkam er, Aber zu fremden Völkern Von unverständlichen Lauten Wurde er fernhin verschlagen, Und vor kurzem erst kehrte er Endlich zur Heimat zurück, Wo ihm zum traurigsten Tage Das Wiedersehn mit den Seinen Im teuren Vaterland ward, Denn da erfuhr er vom greulichen Morde am Bruder, dem großen Fürsten des Volks, Agamemnon! Doch habt ihr davon, so mein ich, Aus Ithaka auch schon gehört. Siehe, mein Sohn, das ist es, Was ich von jenen erfahren, Aber von deinem Vater Hat niemand mir Kunde gebracht! Eines nur hab ich bekümmert Von fahrenden Leuten vernommen — Freilich, das ist ja dir selber Am allerbesten bekannt: Wie schamlos die Freier im Hause Die Gattin des Helden bedrängen Und deine Güter verschweigen, Ohne die Götter zu scheun. 0 wollte doch Pallas Athene, Die himmlische Freundin des Vaters, Mit solcher Kraft dich beseelen,

Daß du wie jener Orestes, Den fernhin Entschwundenen rächend, Die Frevler zu fällen vermöchtest Und ewigen Ruhm dir erwirbst! Nun aber rat ich dir, Jüngling, Die Reise nach Sparta zu richten, Denn wenn einer auf Erden Etwas vom Vater erfahren, So ist es der König in Argoö, Menelaos, der am längsten In fernen Ländern gelebt!" So sprach er zum traurigen Sohne, Ohne zu ahnen, daß sie, Die Göttin, der er gerufen, Neben ihm stand. Indessen neigte die Sonne Zum Saume des Himmels sich schon, Und Pallas ermahnte den Jüngling, Ehe sie vollends gesunken, Zurückzukehren zum Schiff. Aber unwillig wehrend, Erhob sich der hitzige Greis. „Schande wär es mir wahrlich, Hieße es jemals von mir, Ich hätte den Allergeringsten, Der mir zu Gaste gekommen, Wegziehen lassen zu Nacht, Statt ihn zum Schlummer zu betten Auf lindem Lager im Haus! Und ich sollte es leiden, Daß mir der Sohn meines Freundes, Den ich zum erstenmal sehe,

Vor Tagesgrauen entweicht?" „Wohl denn", entgegnet« lächelnd Die Göttin dem eifemden Greife, „So bleibe, Telemachos, du! Mir aber ist unter Menschen Gesellig zu wohnen verwehrt!" So wie die lohende Flamme Jählings der Asche des Brandes, Des scheinbar entschlasnen, entfährt, Flog fie, im Dämmer erstrahlend, Vom Boden der Erde auf Und schwand den staunenden Augen Im Unermeßlichen weg. Da faßte der Greis erbebend, Den Blick zu den Stemen erhoben, Des Jünglings Arm. „Heil dir, Telemachos, Lieber! Noch ist dem Heldengeschlechte Großes zu schaffen beschieden, Dem solche Reisegeleiter Schirmend zur Seite gehn! Du aber droben, blauäugige Tochter des donnernden Zeus, Denn du bist es, ich fühl es, Die du dem Sohne wie vormals Dem Vater zur Seite stehst, Höre mich, Göttin, geloben, Morgen in aller Frühe Sollst du am Opfer dich freun: Die schönste Jungkuh der Herde, Nie noch vom Stiere berührt, Die Hörner von kunstreichen Händen

Mit schimmerndem Golde beschlagen, Schlachten wir dir zum Dank, Und sei uns, Erhabene, gnädig Auch künftig, wie du uns heute Mit deinem Erscheinen beglückt!" Aus dem Olympos aber In wolkenenthobener Höhe Vemahm es Athene und nickte Gewährung dem Betenden zu. Im Hause des göttlichen Greises Vom feiernden Volke verlassen, Lag in nächtigem Dunkel Die Stätte des Opfers am Strand, Und in die lautlose Stille Tönte leise vom Meere Wie fernes Stimmengemurmel Das Rauschen der Wogen allein. Im KönigSschloß waren die Leute Lange schon alle entschlafen, Nachdem sie den letzten Becher, Den Himmlischen spendend, geleert, Und hurtige Hunde liefen, Die grimmigen Hüter des Hauses, Verhalten knurrend im Kreise Ums hohe Gehöft. Zwei nur warens, die wachten Flüsternd im Zwiegespräche Vorn in der tönenden Halle, Die mutigen Jünglinge beide, Der Sohn des Odysseus und Nestors Jüngster, an adligem Sinne

Und Alter einander gleich. Und sie bedachten die Reise, Die ihnen im rollenden Wagen Durch Argos' reiche Gefilde Der Herrscher nach Sparta bestimmt, Während die Schiffsgefährten Am Strande erwarten sollten, Bis sie zurückgekehrt. Doch endlich entschliefen auch diese, Und hoch am Himmel fuhr einsam In ihrem Silbergefährt, Von dunklen Rossen gezogen, Die tief im Schleier verhüllte Heilige Mutter, die Nacht, Bis die Gestirne erblaßten Und niedergleitend die Göttin Mit ihren Rossen im leise Erschauernden Meere versank, Während ferne im Osten Von neuem im wachsenden Lichte Die rosige Herrin der Frühe Den schmeichelnden Wogen entstieg. Da war als erster von allen Der Herrscher im Hause erwacht: Vom Schlafgemache im Söller Stieg er die Stufen nieder, Trat aus der knarrenden Tür Und setzte sich draußen geruhsam Im heiter erblinkenden Morgen Auf dem geglätteten Steine Von glänzendem Marmor vors Haus. Eilig kamen die Söhne

Hervor zu den Kammern geschritten, Deö Vaters Gebote zu hören, Und er befahl dem Gesinde, Schleunig das Frühmahl zu richten, Aber das Opfer zuvor Athene, der Himmelsherrin, Wie ers geheißen, zu weihn. Da fühtten die Knechte des Königs Die schönste Kuh aus der Herde, Am Seile sie leitend, herbei. Mit Hammer und Zange nahte, Kunstvollen Schmiedewerks kundig, Im Schurzfell der rußige Meister, Wand um die Hörner dem Rinde Streifen von glitzerndem Golde, Schlug mit dem Hammer sie glatt, Und herrlich im Sonnenschein schimmernd, Stand, eine würdige Gabe Der Tochter des donnernden Gottes, Das Opfettier da. Heilige Gerste streute Vom Korbe aus buntem Flechtwerk, Gebete murmelnd, der Greis. Der älteste unter den Söhnen, Der starke Held Thrasymedeö, Hob das blinkende Beil, Während zwei von den Brüdem Die Kuh bei den Hörnern faßten, Daß sie ihm stille hielt: Krachend schlug tief in den Nacken Die Schärfe des Stahles, die Sehnen Mit wuchtigem Hiebe zerttennend,

Und wie vom Blitze getroffen Stürzte die Schöne lautlos Zum dumpf erdröhnenden Grund. Da flammte alsbald vom Altare Im Hof« das Feuer empor: Flehend streckten die Scharen Der fchöngegürteten Frauen Die Arme zum Himmel auf. Di« Spende des duftenden Weines Goß aus dem Henkelkruge Nestor in rötlichem Strahl, Und von den Gluten ergriffen, Verging in loderndem Rauche Der Leib des geschlachteten Tieres Der Göttin zum Ruhm. Inzwischen hatte im Hause Die jüngste der Königstöchter, Die reizende Polykaste, Dem Gaste das Bad bereitet Mit hurtiger Hand Und mit geschäftiger Anmut Dem Freunde des Vaters geholfen, Bis er im dampfenden Wasser Vom lästigen Staube der Reise Die Glieder sich rein gespült Und leidengelösten Geistes Dem labenden Bade entstieg. So schritt er in strahlender Jugend, Gleich einem Gotte des Morgens Die Herzen der Männer erfreuend, Zum stärkenden Mahle im Saal, Und Polykaste, die Schöne,

Sah in sachte erwachender Sehnsucht dem Scheidenden nach. Er aber stillte, vom heißen Drang in die Feme getrieben, Den Hunger im Kreise der Helden Mit freudiger Hast. Denn schon stampftm im Hofe, Im Zügel knirschend, die Hengste, Und Peiststratos schwenkte Die Peitsche über dem Haupte Mit ungeduldigem Knall. Den Becher zum Abschiedstrunke Bot dem Jüngling der Greis. „Heil zu der Reise!" rief er, „Und sie, die zu uns dich geleitet, Segne dein frommes Bemühn!" Zum Sitze neben dem Führer Schwang sich der Sohn des Odysseus Leichten Fußes hinauf. Vorwärts rissen im Sprunge Die raschen Rosse den Wagen, Und unter dem Dröhnen der Räder Rollten die Freunde zum Tore Im schnellen Gefährte hinaus. So trabten sie durch die Gefilde Den sonnigen Sommertag lang, Und unermüdlich schüttelten Uber dem nickenden Nacken Die mutigen Renner das Joch, Bis sie bei sinkender Sonne Zur Burg des edlen Diokles Auf Pherais Fluren gelangt.

Freudig vom Hausherrn empfangen, Blieben sie dort über Nacht, Und frühauf am folgenden Tage Fuhren sie abermals weiter, Ohne zu rasten und ruhn, Bis weithin in flachem Gelände Üppige Weizenfelder Goldenen Fluten gleich wogten, Sanft vom Winde gewiegt. Da hatten das rossenährende Argos die Freunde erreicht, Und schon war die Sonne wieder Vom strahlenden Himmel gesunken Und Dämmerung hatte ihnen Die Pfade umdunkelnd verhüllt. Aber in schattiger Ferne Strebten aus Nebelschleiern Die zackigen Zinnen der Königsburg Uber den Mauern von Sparta, Ihrem Reiseziel, aus. Menelaos' Gast Fackelschein flammte zur Halle Des Königsschlosses hervor, Und Reigengesang und Stampfen Tanzender Scharen tönte Hinaus in die schweigende Nacht. Im hohen Saal des Palastes Thronte der Herrscher des Landes In prächtigem Purpurgewand, Stille sinnenden Auges Im sonnengebräunten Gesicht:

Mettelaos, wie ein Vater Vom Volke verehrt und geliebt. Denn zahllose Leiden hatten In langen Jahren den Herrscher, Das eigene Herz überwindend, Gerechtigkeit üben gelehrt. Jetzt aber saß er im Saale Unter den jubelnden Gästen, Von Freude die Sorgensurchen Im Antlitz verschönt, Denn er hatte ja heute Den jüngsten der wackeren Söhne, Den eine Magd ihm geboren, Megapenthes, den starken, Der Tochter des Freundes vermählt. Da trat in die tönende Halle Im Mantel aus wärmender Wolle Der treffliche Hüter des Tores Eilig zum Fürsten und sprach: „Mit dampsenden Rossen vorm Wagen, Warten zwei Fremdlinge draußen, Ob Ihr so späten Gästen Noch Einlaß gewähren wollt?" Aber voll Unwillens kam ihm Die Antwort vom Herren zurück: „Was fragst du, Graukops, so töricht? Soll nicht die Halle des Fürsten Jederzeit allen Bedürftigen Offen stehn, So wie der Herrscher im Himmel Dem Flehen seiner Geschöpfe Auch das Herz nicht verschließt?

Schleime dich, Alter, und führe Sofort mir die Fremden ins Haus!" Da schritten die Jünglinge beide Über die Schwelle alsbald Und wurden vom weifenden Herold Dem Herrscher zur Seite gesetzt. Der legte, di« Gäste begrüßend, Die besten Bisten vom Mahle Reichlich den Fremden vor Und hieß sie freimütig sagen, Wessen sie etwa bedürften, Sobald sie den Hunger gestillt. Aber Telemachoö schaute, Ohne ans Essen zu rühren, Voll scheuen Staunens im strahlenden Saale des Fürsten ringsum, Und flüsternden Lautes sprach er, Zum lieben Gefährten gewandt: „Peisistratos, trau ich den Augen? Wie schimmert die herrliche Halle Von glänzenden Erzen, vom Golde, Vom blinkenden Silber, vom blanken Schmucke aus Elfenbein! Wahrlich, mir ist, als wär ich Ins Haus der unsterblichen Götter Heute getreten als Gast!" Lächelnd hatte der König Der leisen Rede gelauscht, Und milde verweisenden Wortes Entgegnete er: „Jüngling, vergängliche Werke, Und wenns die gewaltigsten wären,

Vergleiche mir nicht mit der Götter Ewiger Herrlichkeit droben Im Hause des donnernden Zeus! Freilich, mit Reichtum gesegnet Haben die Himmlischen mich, So daß ich mächtig aus Erden Mit Recht euch erscheinen mag: Aber sie haben auch Schmerzen Ebenso reich mir gehäuft! Wie viele der teuern Gefährte», Die meinethalben zum furchtbaren Kriege vor Troja gezogen, Sind nicht mehr zurückgekehrt! Und ach, mein Bruder, der große Völkerfürst Agamemnon — Wie ihn der feige Aigisthos Am Herde des Hauses gemordet, Schaudemd Habens die Frommen Vernommen in aller Welt! Dennoch, wie sehr ich sie klage, Um einen vor allen andern Härmt sich immer mein Herz: Den Klügsten der Klugen im Rate, Den kühnsten Genossen im Kampfe, Den göttlichen Dulder Odysseus, Laörtes' Sohn!" Da hüllte das Haupt in den Mantel Telemachos schnell, Denn den Tränen zu wehren, Da seines Vaters gedacht ward, Vermochte er länger nicht. Staunend sah eö der Herrscher,

Und fernes Erinnern stieg ihm Zu dämmerndem Ahnen auf: Schaute nicht seltsam wahrlich Der weinende Jüngling jenem, Den er bejammerte, gleich? Helena Aber nun trat aus der Türe Des Frauengemachs Schwebenden Ganges die Fürstin, Menelaos' Gattin hervor, Die Tochter des Zeus und der Leda, Das herrlichste Weib auf der Welt, Vom Schöpfer im Schwanengefieder Mit feinem Geschöpfe gezeugt: Himmel und Erde gehörig, Zwiefach dem Menschengeschlechte Geboren zu Wonne und Weh, Sie, die das Völkerringen Um Ilions Feste entfacht, So wie die Gabe der Götter, Die Flamme am Herde des Hauses, Unbehütet die Stätten Mit zündenden Gluten verzehrt: Helena, die der gleißende Paris dem Gatten entführt, Bis der Fürst die Betörte Im Toben des Krieges um Troja Mit Hilfe aller Hellenen Dem Räuber wieder entrissen Und die reuige Schöne, Vom Manneswillen gebändigt,

Dem Herde zurückgebracht. Diese, die Herrliche, war es, Die nun aus der Kammer trat, Am Webstuhle niederzusitzen, Das Haupt mit den goldenen Flechten Sachte zur Seite geneigt, Während die eine der Mägde Den Knäuel aus bunter Wolle Im silberblinkenden Körbchen Behutsam hinter ihr trug Und die andre der Herrin Die goldene Spindel reichte, Die ihr die Königin Thebes Ferne im Land der Ägypter Zum Gastgeschenke verlieh«. Doch auf der Schwelle blieb sie Stutzend, die Fürstin, stehn, Da sie dem Gatten zur Seite Den trauernden Jüngling sah. „Welch ein Wunder erschau ich, Menelaoö, trauter Gemahl?" Enttönte melodisch die Stimme Den Lippen der staunenden Frau, „Ist es Odysseus, sag mir, Jünger um zwanzig Jahre, Der zu der Rechten dir sitzt? Oder ist es, errat ichs, Den er als Knäblein verlassen, Als er zum Kriege zog, Telemachos gar, sein geliebter, Einziger Sohn?" „So ist eö, erhabene Herrin,

Wie's deine Klugheit erkannt hat!" Fiel freudig Peisistratoö ein, „Nestors Sprosse, der Jüngste Des göttlichen Greises, bin ich: Telemachos zum Geleite Hat er hierher mich gesandt, Ob ihr uns zu künden wüßtet Von Odysseus' Geschicken, Da ihr als letzte von allen Nach Haus aus dem Kriege gekehrt. Denn spurlos ist er verschwunden, Und seinem Sohne haben Die trotzigen Scharen der Freier Haus und Habe besetzt, Um zur verhaßten Ehe Die ragende Mutter zu zwingen, Die um den Gatten sich grämt!" Da zog, das Auge in Tränen, Der Fürst den erbebenden Jüngling Erbarmend an seine Brust. „Sohn meines Freundes, so muH ich Zum ersten Mal« dich sehn! O wie gedacht ich vorzeiten, Wenn wir erst heimgekehrt wären, Ihm reichlich vergütend zu büßen, Was er um meinetwillen An endlosen Mühen erlitten, Und nun ist er weltenweit fern, Und freche Wichte, sie Wagens, In des gewaltigen Mannes Lager sich legen zu wollen! O daß die Götter doch endlich

Zur Heimat gelangen ihn ließen, Den schamlosen Freiem ein schnelles, Furchtbares Ende zu schaffen, So wie der grimmige Löwe, Vom Beuteg'ang im Gebirge Heimwärts streichend, das Hirschkalb, Das dreist der Höhle des Starken Im Dickichte nahte, zerreißt!" Stöhnmd vor Kummer stützte Der König die Stim in die Hand. Im Schmerz um den Vater vrrsunken, Saß Telemachos stumm, Und auch Peifistratos seufzte, Des tapferen Bruders gedenkend, Dem fich der Grabhügel wölbte Im Feindesland. Und wie im Hallengewölbe Bei trübem Wetter der Herdrauch, Mit graulichen Wolkenschwaden Das Leuchten der Fackeln verfinstemd, Uber den Häuptem zieht, Senkten sich Schattm der Trauer, Die Freude des Festes verdüstemd, Uber die Scharen im Saal. So wäre ihnen in Trübsal Der Tag zu Ende gegangen, Den sie mit Jauchzen begrüßt, Hätte nicht sie, die Fürstin, Die das Verderben mtfeffelt, Die treulos sich selber Getteu«, Die schuldig-unschuldige Schöne, Sinnreichen Geistes erfunden,

Wie sie die Herzen der Helden Erheiternd zu heilen vermöchte Vom freudeverscheuchenden Harm: Geheimnisvoll wirkende Mittel Hatte ihr in Ägypten Die Gattin Thons, Polydamna, Beim Abschied geschenkt. Von zauberkräftigen Ärzten Waren die Säfte gebraut: Wer immer nur wenige Tropfen Vom tröstenden Tranke gekostet, Dem schwanden Kummer und Schmerzen In sanfte Wehmut gelöst, Mochten ihm auch vor den Augen Vater, Mutter, der Bruder Oder die lieben Söhne Vor kurzem ermordet sein. Kräftige Heilsprüche murmelnd, Mischte sie mit dem Mittel Den Männem den würzigen Wein, Und als die tränentrüben Blicke ihnen alsbald In hellerem Lichte erglänzten, Erhob sie am Webstuhl die Stimme, Die Hände lässig im Schoße, Daß eö im Saale tönte Gleich lindem Wiegengesang. „O über uns schwache Geschöpfe, Denen des Schicksals Gewalt Wider den eigenen Willen Die armen Herzen bewegt! So hab ich Verworfene Unheil

Über uns alle gebracht, Da ich den edlen Gatten Wankelmütig verlassen Und Paris, dem Weiberverführer, Dem prunkenden Prahler, gefolgt! Doch wer von uns Weibern vermöchte Der Göttin zu widerstehen, Aphrodite, der Herrscherin Über der Frauen Gemüt, Wen» sie schmeichelnd die Fesseln Zu holder Verwirrung der Sinne, Die Schaumgeborene, schlingt? Dennoch, im innersten Busen Blieb ich bei aller Verblendung Auch in der phrygischen Fremde Den Freunden im Vaterland treu: Odysseus, er hat es erfahren, Da er einstmals auf Kundschaft, Listig in Lumpen gekleidet, Durchs Tor von Troja geschlichen, Zu kläglichem Bettler entstellt: Gabenheischend, die zitternde Rechte demütig gestreckt, Wankt« er durch die Gassen Inmitten der Feinde verwegen Zur Feste des Herrschers hinan, Und humpelnd strich er am Stecken Im Hof des Palastes umher. Da hatte ich trotz der Verkleidung Den Freund, den einst so vertrauten, Sofort erkannt Und winkte ihm wohl mit den Augen,

Aber verriet ihn nicht, Denn von Heimweh erschüttert Ward mir beim Anblick des Helden Das bitter bereuende Herz! Und glücklich enttann er wieder Mit wertvoller Kunde vom Feinde Den Troem in finstrer Nacht, Nachdem er die Wächter am Tore, Die trunkenen, niedergehaun!" Das hölzern« Roß Da nickte Menelaos finnend. „So ist es, wie du gesagt hast: Nach weise erwägendem Rate War an verwegenen Taten Keiner Odysseus gleich! Nicht Agamemnons, des Feldherm, Schlachtenführende Kunst, Nicht des gewaltigen Ajas Wütendes Ungestüm, Ja selbst nicht des großen Peliden Heerevemichtende Kraft Hatte di« trotzigen Troer Niederzuringen vermocht: Erst dem erfindungsreichen Geiste des edlen Odysseus Ward, dies zu etteichen, gewährt! Denn er war es, der uns gewiesen, Wie wir in die Stadt, di« dem Sturme In offenem Kampf widerstand, Einzudringen vermöchten Mit wagemutiger List.

Ha, wie jauchzten die Feinde Im Wahne, wir wären entwichen, Da unsre Schiffe die Küste, Als wollten sie heimwärts fahren, Verlassen im Nebel der Nacht, Und einsam im Frühsonnenscheine Das riesige Roß nur aus Holz, Auf Rädern errichtet, ragte, Das wir dem göttlichen Reiter Der Wogenhengste im Sturme, Poseidon, am Strande geweiht! Da schwärmten mit Paukenschallen Und hellem SiegeSgeschrei Die Scharen der Krieger aus Troja Zum ungeheuem Gebilde, Und schleunig spannten die jubelnden Jünglinge selbst sich davor, Zerrten die schwankende Beute, Am Seile gleich Saumtieren keuchend, Über das Blachfeld hin — Und ihr Verderben rollte Hinein in die Stadt! Denn in dem hohlen Bauche Des hölzernen Rosses verborgen, Hockten wir Fürsten des Heeres, Zum stürmenden Ausfall entschlossen, Sobald sie im Siegestaumel Sich trunken gezecht. Aber hätte Odysseus, Was er weise ersonnen, Nicht selber auch ausgesühtt, Mißlungen wäre der Anschlag

Im letzten Augenblick noch, Und keiner hätte die Heimat Jemals wiedergesehn! Denn der Priester Apollon-, Dekphobos, Priamos' Sohn, Nahte, von unheilverkündenden Zeichen beim Opfer gewamt: Helena zwang er, der Seher, Auf feines Gottes Geheiß, Mit lieblich lockender Stimme Die Fürsten bei Namen zu rufen Vor dem hölzeme» Roß. Da schmolz uns, vom Zauberklange Der heimischen Laute bezwungen, Im Dunkel des dumpfigen Kerkers Das leidengestählte Herz, Und Antiklos schnellte entschlossen, Der traulich trügenden Stimme Antwort zu geben, hoch! Aber mit nervigen Händen Die Kehle des Toren umklammernd, Ehe ein Laut ihr entronnen, Drückte Odysseus ihn nieder Und rettete uns. So danken wir deinem Vater, Telemachoö, Leben und Ruhm! Aber nun höre mich kündm, Was ich von seinen Geschicken Erfahren in fernem Land.

Der Meergreis Vom hohen Felsen Maleias, Dem Helligen Vorgebirge An Hellas' äußerstem Ende, Hatten uns auf der Heimfahtt Winde und Wogen verstürmt, Und irrend kreuzten wir immer, Von Küste zu Küste verschlagen, Waren tauschend und Schätze Uns mit dem Schwerte erwerbend, Unter anders redenden, Fremden Völkem umher: Von Phönikiens Strande, Wo sie Purpurgewänder Prächtig zu wirken verstehn, Zum Saume der Wüstenländer Voll finsterfarbiger Leute An Libyens leuchtenden Ufern Bis nach Ägypten hin. Dott ward ich vom König in Thebe Als Gastfreund gleich einem Gotte Voller Verehrung gegrüßt, Denn von den ruhmreichen Taten Der Griechen im Kampfe um Troja Hatte er staunend gehött. Mit vielen Geschenken beim Scheiden Vom Herrscher entlasten, lenkt ich, Frohen Höffens, in Bälde Die Heimat erreichen zu können, Die Flotte zum Vaterland. Aber noch hielten die Götter Den glücklichen Tag mir fern.

Pharos heißt ein« Insel, Vom Hafen Ägyptens in Thebe Manche Tagreise weit. Dort ließ ich di« Schiffe landen, Mit Süßwaffer uns zu versehn. Da sandte der Winde Gebieter, Der Zauberer Aialos, jählings Sein wildes Gesind über uns: Heulend rasten die Stürme Über die öde Insel Und hemmten der Flotte die Fahrt, Und als sie endlich nach Wochen, Vom Eilande weichend, verbraust, Hüllten in undurchdringliches Dunkel die Götter uns «in. Furchtbar bedrängte «ns Hunger, Denn unsere Vorräte waren Alle schon aufgezehrt, Und vom Fischfänge fristeten Wir unser Leben allein. So saß ich verzagt eines Abends, Unser Elend erwägend, In gramvollem Grübeln am Strand. Aber während ich also Bangen Zweifels voll sann, Entbrannte in rötlichem Dämmer Vom Scheine der sinkenden Sonne Des Nebels düsterer Dunst, Und plötzlich enttauchte den Fluten, In feuchten Flechten vom Haupte Bis zu den Hüften, ein Weib, Und sanft von der Woge geschaukelt,

So wie der Wasservogel Auf schwellenden Fluten sich wiegt, Rief sie durchs Rauschen der Brandung Dem scheu Erschauernden zu: „Mitleid, ihr Menschensöhne, Zieht mich vom Grunde des Meeres, Euch zu beraten, herauf. Eidothea, die Tochter Des mächtigen Meergreises bin ich, Der im Gewässer hier haust, Proteus', des schicksalkundigen, Dem in die Zukunft zu schauen Die Gnade der Götter vergönnt. Der wüßte es wohl euch zu weisen, Welch ein Verhängnis des Himmels Euch an der Heimfahtt hemmt. Freilich, Verschlagenheit braucht es Und Mut, den Meergreis zu fangen, Den Meister, in hundett Gestalten Wunderbar sich zu wandeln, Und, den Verfolger schreckend, Schnell sich ihm zu entzieh». Aber ich will eö euch lehren, Dem eigenen Vater zuleid: Stets um die Stunde des Tages, Wenn senkrecht die Sonne vom Himmel Zum Meere herniederglüht Und die wimmelnde Rotte der Robben, Um sich am Strande zu wärmen, Aus dem Gewässer quillt, Entsteigt der Alte den Wogen Und zählt bedächtig die Stücke

Seiner versammelten Herde, Ob nicht eines ihm fehlt. Dann legt er selber sich nieder, Der Hirte, zum Mittag-schlaf. Jetzt gilt es, ihn keck zu ergreifen Und ihn, der wütenden Tobens In Schreckensgestalten sich wandelt, Furchtlos niederzuhalten, Bis er ermattend die listigen Künste zu üben verläßt Und in der angeborenen Bildung euch Rede steht. Morgen vor Mittag erschein ich, Wenn du mir folgen willst, Um dich am Strande zum Lager Der Meerungeheuer zu führen, Und du, Menelaoö, wähle dir Drei deiner mutigsten Männer Zum Beistand beim schwierigen Werk!" Schwülen Scheines schimmerte Andern Tages die Sonne Durchs wogende Wolkenheer, Als ich am Strand mit den Meinen Voller Erwartung stand. Da tauchte auch schon Eidothea Hervor zu der schäumenden Flut, Vier Robbenfelle in Händen, Vom Blut der Geschlachteten feucht, Führte zum Lagerplatze Am sandigen Ufer uns hin Und hüllte uns in die Häute Bis über dem Haupte ein.

So lagen wir schaudernd im Blute Der Ungeheuer gebettet, Und der Gestank vom Trane, Der Felle erstickte uns schier. Da sahen wirs kläffend vom Meere Voll schwarzer Köpse schon schwimmen In weithin wimmelnden Scharen, Der Robben Heer! In dichtem Gedränge landend, Schoben sie raschelnd und rauschend Am Strande zu uns sich empor: Als wären wir ihresgleichen, Lagen sie neben uns nieder, Vom Trangeruche getäuscht, Und hinter ihnen erschien es, Als durch die Schlitze wir lugten, Im Silberhaar aus den Wogen: Des Herrschers bättiges Haupt! Zottigen Leibes entstieg er, Vom Wasser triesend, und schlappte Schwankend aus Flossensüßen Zur schrillenden Herde hin, Zählte die Robben einzeln, Eine jede berührend, Und streckte danach sich beruhigt Mitten unter uns aus. Da suhren wir vier aus den Fellen Mit gellendem Schlachtgeschrei Und fielen, die Arme und Beine Umklammernd, über ihn her. Zomigen Schnaubens rang er Unter dm Fäusten der Feinde,

Sich von uns zu befrein, Und plötzlich sich wandelnd, brüllte er Furchtbar mit wallender Mähne Und aufgerissenem Rachen Als riesiger Leu — Schwand, und raste als Drache Mit hochgeschwungenem Schweif, Schnellte als Pardel zum Sprunge, Uns zu entkommen, im Kreis, Brauste als kochender Sprudel, In zischendem Schwall uns bedrohend, Loderte glutenfauchend Als feurige Lohe auf — Aber unbeirrt hielten Wir den Schreckenden fest, Bis er endlich erlahmte Und stille haltend sich zeigte, Wiederum wie er gewesen, In seiner wahren Gestalt. Da keuchte er kampfeömüde. „Wunderliche, was wollt ihr, Daß ihr mich also bedrängt?" „Weise uns, Alter", gebot ich, „Wie können das Schicksal wir wenden, Das uns vom öden Strande Zur Heimat zu eilen verwehrt!" Und murmelnd murrte der Meergreis: „Gottvergessene Wichte, Sagt es nicht selbst euch der Geist? Unfrommen Herzens, so seid ihr In Hast aus Ägyptens Hafen Danklos von dannen gefahren,

Den» der Himmlischen droben Hat keiner von euch gedacht! Zurück die Reise gerichtet, Heißt es nunmehr sür euch, Aus daß ihr drüben in Thebe, Allen Unsterblichen opfernd, Euch die Erzürnten versöhnt!... Den Weg zum Heile gewiesen Hab ich euch, Menschensöhne: Was lockert ihr nicht eure Griffe, Was laßt ihr mich noch nicht los?" „Nicht eher, Alter", so sprach ich, „Denken wir dich zu entlassen, Als bis du uns von den Geschicken Der lieben Gesährten gesagt hast, Die uns der Sturm entsührt, Und meines eigenen Lebens Los danach mir enthüllt! Doch bei den rächenden Mächten Der Unterwelt mußt du mir schwören Daß du nicht listig uns lügst!" Da grollte der grimmige Meergreis: „Mären erfinden und trügen Mögt ihr Menschen einander: Wahrheit nur kündet mein Mund! Entkommen sind von den Fürsten, Nachdem sie viel Volkes verloren, Alle dem Sturm bis aus zwei, Uud einen nur von den beiden Haben erbittert die Götter Zum Hades hinabgesandt: Ajas, den Sohn des Otteus,

Den Namenögenossen des Großen Im Griechmheer. Und dieser auch wäre entronnen, Obwohl ihm Athme das Fahrzeug Am Felsen von Gyrai zerschmettert, Dmn die Klippe umklammemd Klomm er gerettet empor, Aber nun höhnte er herrisch, Zum Himmel das Antlitz gewandt, Allen Göttem zum Trotze Sei er dem Tode mtgangen Dennoch aus eigener Kraft! Da stürmte der finstre Poseidon Im Brausen der Fluten heran, Und mit des gewaltigm Dreizacks Wuchtig schmettemdem Hiebe Stürzte er ihn samt dem Felsen Hinab in die rasmde See. Aber der andre, der edle Dulder Odysseus, härmt sich, Von widrigen Winden verschlagen, Aus einsamem Eiland im Meere, Wo ihn die Nymphe Kalypso, Den Helden zum Gatten begehrend, Gefangen hält. Und dir, Menelaos, künd ich: Nach vielen Jahren des Glückes Wird dich der Bote der Götter, Hermes, mit sanfter Hand Hinweg von den Landen der Lebmden, Statt in des Schattenreichs Schauer, Zu den Gefilden hin führen,

Wo sich zu ewiger Ruhe Die Seligen alle versammeln In des Elysiums heiliger, Immerzu heiterer Luft. Denn so ist es dem Eidam Des waltendeu Gottes beschieden, Mit dem des Donnerers Tochter Das Lager als Gattin geteilt! Gezwungen von sterblichen Händen, Hab ich euch Rede gestanden, Nun aber entlockt ihr den Lippen Nimmermehr einen Laut!" Da ließen wir ihn aus den Haften Der Hände los, Und so wie der Hecht, dem Gesängnis Des Fischemetzes entsahrend, Zurück in die Fluten schnellt, Sprang er sofort vom Boden Im Bogen kopfüber ins Meer... Also hat mir, Telemachos, Von dem Geschick deines Vaters Der zottige Meergreis erzählt! Und mag er auch ferne noch weilen, Freue dich, Lieber, er lebt! Drum hebt eure Humpm, Freunde, Dem Jüngling zum Heilwunsche hoch, Daß ihm das Schicksal den Helden In Bälde heimkehren läßt!" Da leertm sie lärmend die Becher, Und sie verließen das Haus. Doch in der Halle des Fürsten Lag neben dem Sohne des Nestor

Telenrachos lange noch wach, Und zweifelnden Herzens erwog er, Ob jener wohl Wahrheit geredet, Der schicksalkundige Alte, Daß ihm der Vater noch lebe, Oder ob er mit schmeichelnden Worten die Freunde getäuscht, Indessen der Herrscher droben Neben der anmutatmenden Gattin in sanftem Vergessen Des stärkenden Schlummers genoß.

Die Eltern Im Rate der Freier Während Telemachos aber Nach dem verschollenen Vater Fern auf dem Festlande forschte, Schwelgten die schamlosen Freier, Ohne Arges zu ahnen, Alle Tage im Schloß, Denn sie glaubten, der Jüngling Hätte Laertes, den Ahnherm, Oder Eumaios, den Hirten, Den trefflichen Hüter der Schweine, In dem Gebirge besucht. In dichten Scharen versammelt Hatten sie fich eines Morgens Draußen vorm Königshaus, Schleuderten Speere und schwangen, Die Kräfte im Wettkampfe übend, Die sausenden Wurfscheiben weithin Über den hallenden Hof. Nur die Vomehmsten beiden,

Antilochos und der gewandte Eurymachos, Polyboe' Sohn, Saßen in leisem Gespräche Abseits dem lärmenden Hausen Neben der Hallentür. Da nahte hastigen Schrittes Der wackere Schiffsherr Noemon, Des reichen Phronios Sohn. „Wüßtet es ihr mir zu sagen", So sprach er die beiden an, „Wann vom Festland Telemachos Wiederzukehren gedenkt? Denn nun brauche ich selber Den Segler, den ich ihm geliehn." Da schauten st« erst voller Staunen Einer den andern an, Dann brach mit heftigem Schelten Der stolze Antinoos los: „Wie durftest du's, Elender, wagen, Ohne daß wir davon wußten, Den Kiel dem Knaben zu rüsten Zur Reise nach Griechenland?" Aber Eurymachos fiel ihm Hastig wehrend ins Wort. „Spare dein Zanken, Gefährte, Auf besser gelegene Zeit! Jetzt gilt es, schnell zu erfahren: Wann ist er vom Strande gestoßen, Wie viele Mannschaften find es, Die in das Schiff ihm gefolgt?" Und Noemon, der wackre, Erwiderte ihnen und sprach:

„Mein Zwanzigruderer ist «s, Den ich ihm freudig geliehn, Und würd er mich wiederum bitten, Ich würde es abermals tun, Denn wahrlich, ich müßte mich schämen, Wollte ich solches dem Sohne Des großen Odysseus verweigern, Der weisen Sinns wie kein andrer Uber uns allen geherrscht. Eines nur ist, was mich wundert: Mentor sah ich, den edlen, Das Schiff mit dem Jüngling besteigen, Und Mentor sehe ich täglich Unten am Markte gehn! Aber hier haben wohl, mein ich, Unserm Telemachos günstige Götter die Hände im Spiel!" Und trotzig entschlossenen Schrittes Ging er zum Tore hinaus. Da riefen die beiden eilig Vom Spiel die Gefährten herbei, Und Antinoos tobte Grimmig glühenden Blickes, Die schwarze Leber vom bittern Gifte der Galle gebläht. „So hat ers erzwungen, der Knabe, Wie er es keck uns verkündet: Unserm Verbote zum Hohne Ist er aus und davon, Daß er des Vaters Gefährten Drüben wider uns hetzt! Aber die Heimkehr verbittern

Will ich dem Burschen fürwahr: Schnell ein Schiff mir gerüstet, Daß ich entgegen ihm segle Und ihm daö Leben entreiße, Eh er die Insel erreicht!" Die Mutter Aber unbemerkt hatte Medon, der mutige Herold, Hinter der Säule des Vorraums Lauernd, die Freier belauscht. Aus flüchtigen Sohlen huschle er Heimlich über die Stufen Zum Söller der Frauen hinauf, Wo inmitten der Mädchen Die kluge Königin spann. Unwillig hob sie, als hastig Der Herold eintrat, das Haupt. „Was wollen die Frechen schon wieder, Daß du so stürmisch daherkommst? Mußt du den Mägden befehlen, Sofort vom Webstuhl zu weichen Und eilig daö Cffen zu richten Den widrigen Schlemmern im Haus? 0, gerne wollte ichs ihnen Mit eigenen Händen bereiten, Müßt ich, zum letztenmal wär es, Daß sie den Schlund sich gierig Im Haus des Odyffeus füllen, Und daß sie danach die Rache Der Götter allesamt fällt!" „Herrin, ach nein, es ist ärger",

Stieß es der Herold hervor, „Entwichen ist ihnen Telemachos, Um nach dem Vater zu fragen, Heimlich nach Griechenland, Und sie rüsten ihm tückisch, Wenn er zurückkehrt, den Tod!" Da wankten der Fürstin die Kniee, Und jammernd rang sie die Hände. „Wer hat mir den Knaben verleitet Zu solchem unsinnigen Werk, Offen dem tobenden Trosse Der tückischen Freier zu trotzen Und sein Leben zu wagen Aus der gefahrvollen Fahrt? Soll ich den Sohn auch verlieren, Wie mir der Gatte entschwand? Und ihr, nichtswürdige Weiber, Ihr wußtets und habts mir verhehlt! Ruft mir des Weinbergs Verwalter, Den treuen Dolios, rasch, Daß er Laertes, dem Ahnherrn, Vom drohenden Übel berichte, Ob er uns zu raten vermag!" Da fiel Eurykleia, die alte, Zu Füßen der Königin hin. „Schilt nicht, Tochter, die andern: Mir nur hat es Telemachos, Daß ich ihm helfe, vettraut, Und schwören hab ich ihm müssen, Es allen hier zu verschweigen, Damit nicht die Mutter vorzeitig Im Gram um ihn sich verzehtt

Und mit zahllosen Zähren Ihr schönes Antlitz entstellt! Töte mich, war es gefrevelt, Daß ich dem Jüngling gehorcht, Wenn es das zornige Herz dir, Herrin, also befiehlt, Aber dem Greise, dem müden, Melde vom Unheile nicht, Daß du den Kummer dem Ahnherrn, Dem so schon vom Leid überlasteten, Zwecklos nicht immer noch mehrst: Denn helfen wider die Freier Kann uns auf Jthaka keiner, Wenn es die Götter nicht tun. Drum, Töchterchen, taugt es dir besser, Nachdem du den Leib dir im Bade Vom Staube der Arbeit befreit, In festlich reinem Gewände Zur Himmelsherrin zu flehn, Der göttlichen Freundin des Vaters, Die nie in der Not ihn verlassen, Daß sie dem letzten Sprossen Vom Stamme der Arkeisiaden, Ihres Odysseus gedenkend, Das Leben bewahrt!" Traurig folgte dem Rate Des Mütterchens Penelopeia, Und kaum hatte sie alles, Wie sich- gebührte, vollbracht, Siehe, da senkte Athene Uber die leidenermatteten Lider der ruhenden Mutter

Sanft entrückenden Schlaf, Und vom Himmel her sandte sie, Um die Betrübte zu trösten, Ihr ein Traumgebild nieder In Iphtimes, der schönen, Ihrer Schwester Gestalt, Der Gattin des Fürsten von Pherai Am Festlande fern. Gleich einem Wölkchen, vom Winde Leicht durch die Lüfte geweht, Schwebte das Schattengebilde Im Dämmer des sinkenden Abends Zum hohen Palaste hinab, Und wie der Rauch durch die engen Ritzen der Türen quillt, Schlang sich's ins Schlasgemach oben, Durchs Schlüsselloch schlüpfend, hinein Und neigte im Schleier sich nieder Uber der Schlummernden Haupt. Da staunte die Fürstin im Schlafe, Der holden Erscheinung froh. „Liebste, wie trittst du aus einmal Ans Lager mir hin bei der Nacht, Die mich in langen Jahren Nie noch vom Festland besucht? Hast du von meinem Sohne Etwa daheim gehört?" Und das Traumgebild hauchte Ihr ins lauschende Ohr: „Die Göttin, die deinen Gatten Betreut hat, verkündet es dir: Ängste dich, Schwester, mitnichten

Und Halle int Herzen es fest — Nicht ein Härchen am Haupte Wird von dem Mördervolke Deinem Sohne verfehrt!" Da wand sich erbebend im Bette Die bange Schläferin auf. „O sage mir, wenn dich Athene In Wahrheit mir Armen gesandt, Ob mein Odysseus, der Dulder, Noch unter den Lebenden weilt!" Aber der Schatten entschwebte Schweigend dem stillen Gemach, Während die Schlummernde seufzend Zurück in die Kissen sank... Indessen hatten die Freier Heimlich in hüllender Nacht Das Fahrzeug im Hafen gerichtet Und stießen mordgierig vom Strand. Vor Ithakas felsigem Eiland Liegen zwei kleinere Inseln, Von tiefem Sunde getrennt, Dem Weg, den die Schiffer befahren Zum Festlande hin und zurück. Dort bargen in einer der Buchten Die lauernden Freier den Segler, Zum Überfall auf den Jüngling Im Hinterhalte bereit. Kalypso Herrscher im Donnergewölke, Erhabener Walter der Welt, Der du die Waage des Schicksals

In richtenden Händen hältst, Haft du des Dulders vergessen, Ferne den Menschen, im Meer? Über dem Felsen am Strande Starrt er, die Arme verschränkt, Als wär er dem Steine entwachsen, Gleich einem Gebilde des Grams, Die Augen nach Osten gewendet, Über die endlose Weite Der brausenden Wogen dorthin, Wo er die liebe Heimat, Das Land seiner Väter weiß. Und unter ihm vor der Grotte, Vom Laube der Silberpappeln Im Wehen des Windes umsäuselt Und von dunkelglühenden Rosenbüschen umrauscht, Sitzt die Göttin der Insel Auf der steinernen Schwelle, Die Wange gestützt in die Hand: Kalypso, die lieblich gelockte, Auswärts steht sie und seufzt. „Undankbarer, und dennoch Schmerzlich Geliebter du! Denkst du der seligen Nächte Unter dem Strahlen der Sterne Im hüllenden Dunkel der Grotte An meinem Herzen nicht mehr, Daß du den Armen der Liebe Wankelmütig entweichst, Durch Wald und Gebirge am Tage Immerzu ruhelos schweifst

Und des Nachts auf dem Lager, Der Lieben abgewandt, stöhnst? Ist dir die sterbliche Gattin, Die alternde, teurer als ich, Die Göttin, vom unvergänglichen Glanze der Schönheit umstrahlt? Willst du statt sanften Lebens In nie erlöschender Lust Kummer und Kämpfe dir lauschen Auf Ithakas vielzerklüftetem, Kargem, unfruchtbarem Land, Ewige Jugend verschmähend, Die an Kalypsos Seite Dem Gatten das Schicksal verleiht? Aber vergebens hoffst du, Heimwärts von hier zu entfliehen: Dir selber zum Besten, Verblendeter, Laß ich dich nimmermehr!" Da schoß es in hellem Glanze Hochher von Osten heran, Wie wenn die Morgensonne, Zum Meere herniederschimmernd, Die Strahlenstraße, die breite, Über die Wogen zieht, Und aus dem blendenden Lichtstrom Schwebte auf Flügelschuhen Der Bote der Götter zum Eiland Und hob gebietend den Stab. „Mit unwillkommener Kunde Bin ich, von Zeus, dem erzürnten, Dir, Kalypso, gesandt! Entlassen sollst du den Dulder,

Da du ihn wider den Willen Des Schicksals gefangen hältst!" Da stöhnte Kalypso, die Augen Von schwellenden Zähren gefüllt: „O ihr aus den heileren Höhen, Unverwundbaren Herzens Im Himmelösaal! Mir den Geliebten zu rauben, Wer gibt dazu euch das Recht? Habt ihr ihn den Wogen entrissen, Als er, vom Grimme Poseidons, Des Finftergelockten, verfolgt, Auf dem zerschmetterten Kiele Hilflos im Sturme trieb? Habt ihr den entkräfteten Helden, So wie die Mutter das Kindlein Am wärmenden Busen birgt, Aus tiefer Ohnmacht des Todes Zum Leben wiedererweckt? Aber ihr Grausamen droben, Die ihr euch Menschengeschöpsen, Vom Himmel herniedersteigend, Nach euerm Gelüsten vermählt, Neidisch mißgönnt ihr der Schwester Aus der einsamen Insel Das gleiche Glück!" Da blitzte Hermes, der Bote, Drohenden Blickes sie an. „Verwegene du, wie wagst du's, Schamlos die Götter zu schmähn? Müssen nicht wir auch im Äther, Des heitern Himmels Bewohner,

Dem Ratschluß des Schicksals uns fügen, Dem unersorschlich waltenden Ewigen Weltengesetz, Dem selbst der blitzeschleudemde Höchste Herrscher sich beugt? Und du, Armselige, denkst du, Wider den Willen der Götter, Wider des ehernen Schicksals Unabwendbaren Schluß, Den Helden bei dir zu halten In des verstockten Begehrens Herrischem Wahn? Törin, wohl denn, versuch es: Die erste nicht und die letzte Wärst du Trotzende wahrlich, Die der Schirmer der ewigen Ordnung in heiligem Zorn Hinab in die Unterwelt schleudert, Wo du, vom Lichte geschieden, Deine Empörung beseusztest, Dm trostlosen Schatten gesellt!" Da neigte erbebend die Nymphe, Vom Worte des Wamers gebändigt, Das bange Haupt. „Schrecklicher, schweige: weichen Muß ich eurer Gewalt! Hinweg, Hermeiaö, und künde es Droben dem donnernden Zeus: Des Waltenden Wille geschehe, Dem sein armes Geschöpf sich Nicht zu entziehen vermag!" Da schwang sogleich der geflügelte 92

Bote vom Boden sich auf, Und schimmernd entschwand er dem Blicke, Zur heiligen Heimstätte strebend, Im Himmelsraum. Aber Kalypso verhüllte Weinend im Schleier ihr Haupt... Abend war es geworden, Und dampfend wogten die Dünste Des Nebels vom Meere heran, Da kam der Dulder vom Felsen Müden Schrittes gegangen Und düsteren Blicks. Und stehe, es tritt ihm die Göttin Freundlichen Grußes entgegen Und faßt ihn sanft bei der Hand. „Freue dich, Freund, und grolle Der Überwundenen nicht, Daß, ach, die Verschmähte gewähnt hat, Sich Liebe erzwingen zu können: Ich gebe dich frei! So eile, das Floß dir zu zimmern, Das dich über des Ozeans Unermeßliche Fluten Zur Heimat zu führen vermag!" Aber der Vielerfahrene Stutzte und sah mißtrauend Der Göttin ins Angesicht. „Unergründliche, sage, Was sinnst du mir insgeheim, Daß du verwandelten Herzens, Was du mir immer verweigett, Auf einmal alles gewährst?"

Und leise im Schmerze lächelnd, Entgegnete sie: „Ungläubiger, hab ich dich jemals Hinterhältig getäuscht? Wollte ich tückisch dir schaden, Ich träfe mein eigenes Herz, Das, auch verschmäht, dem Geliebten Immer noch Treue hält. So höre es, Held, mich beschwören Bei meinem eigenen Haupt: Wie ichs geheißen, so halt ich es, Ohne zu trügen, dem Freund!" Da sank der Dulder Odyffeus Erschütterten Herzens aufs Knie, Und betend erhob er die Hände Zum Himmel in heißem Dank. Das Floß Wer ists, den in aller Frühe Die Göttin des Morgenrotes Staunend im Schweiße der Arbeit, Der mühevollen, erblickt, Und den die sinkende Sonne Immer am Werke noch sieht, Mit wuchtigen Schlägen des Beiles Die stürzenden Bäume zu fällen Im Inselwald? Nimmer ermattend schafft er, Das Herz von Hoffnung beflügelt, Das kunstvolle Floß zu erbaun. Schon sind die Stämme geschlichtet, Mit eisernen Banden umklammett,

Die Balken mit Bohlen gedeckt, Schon ist am Achtersteven Das lenkende Steuer befestigt, Der Mast in der Mitte errichtet, Und zur Fahrt in die Heimat Liegt das Schiff ihm bereit. Mit Körben und Krügen voll Vorrats An Speise und würzigem Wein Keuchen die Mägde der Nymphe Nieder zum hallenden Strand, Und die Göttin, sie schreitet, Abschied zu nehmen, hinab. Da streckt der Held ihr die Rechte Noch einmal, zum letztenmal hin. „Schilt mich nicht undankbar, Ewige, Die dem Tod mich entrissen Und ihre Umarmung, die Göttin, Dem Erdensohne gegönnt: Geschieden hat uns das Schicksal, Das, dem sterblichen Manne Leidlofes Glück am Herzen Des himmlischen Weibes verwehrend, Zurück zu den Seinen ihn weist!" Schweigend nickt sie, und seufzend Steht sie und sieht ihm nach, Wie er, das Fahrzeug besteigend, Vom Strande stößt, Das Segel am Mastbaume auszieht Und im hochausspritzenden Schaume der brandenden Wogen Hinweg in die Weite gleitet, Bis ihr am Himmelsrande

Der Dunst ihn völlig verhüllt. Da kehrt die Verlassene langsam, Gesenkten Hauptes zum leeren Lager der Grotte zurück. Im Sturme Er aber braust durch die Fluten, Vom heißen Verlangen des Herzens, Die Heimat zu finden, erfüllt, Auf dem gebrechlichen Floße Einsam in der unendlichen £>be des Ozeans. Schon sinkt ihm die Sonne im Rücken, Schon blinken am bleicheren Himmel Mit leisen Strahlen die Sterne, Da kehrt von dem Opserseste Beim Volke der Äthiopen Poseidon, der finstergelockte, Zum Strande des Meeres zurück: Weithin spähend erblickt er Den Dulder, der auf dem Floße, Dem Inselgesängnis entflohen, Zum Vaterland strebt, Und furchtbar ergrimmend stößt er Den ehernen Dreizack zum Grund. „Athene, du ränkespinnende Tochter des donnernden Zeus, Wähntest du listig den Liebling, / Während ich ferne geweilt, Den schändlichen, mir zu entführen, Der meinem Sohne das Auge, Das einzige, tückisch zerstört!"

Und hoch die Stimme erhebend, Daß Land und Lüfte erbeben, Ruft er vom Strand übers Meer: „Winde, Wolken und Wogen, Hört euern Herrn! Rückwärts das Fahrzeug geschleudert Bis ans Ende der Welt!" Erbangend vernimmt es im Nachen Der einsame Schiffer und sieht: Schwarzes Gewölle wälzt sich, Und heulend entsahren die Stürme Dem dunkel drohenden Schoß, Die Wasser schwellen und brausen Zu Flutengebirgen an, Vom Gipsel zum Grunde geschleudert, Knirscht in den Fugen das Fahrzeug, Das flattemde Segel zerreißt, Das Steuer entgleitet den Händen, Hagel prasselt, es schwinden Die Sterne in Nacht. Und seurigen Schlangen gleich schießen Im Rollen des Donners die Blitze: Getroffen vom zündenden Strahle, Erzittert der Mastbaum und wankt, Und krachend schlägt er auss Fahrzeug, Die Balken zertrümmernd, hinab. Es birst das Floß auseinander, Von den Wogen verschlungen, Versinkt der Held in der See, Und es schüttelt frohlockend Der Herrscher der Fluten das Haupt.

Leukothea Aber während Poseidon, Der Rache froh, Den Rossen mit Wellenmähnen, Seinem Gespanne ruft Und durch die Wogen nach Osten Von dannen rauscht, Taucht aus dem tobenden Meere, Dem Tod in der Tiefe entfliehend, Des Dulders triefendes Haupt. Würgend speit er das Wasser, Das salzige, das er im Sinken, Nach Atem ringend, geschlungen, Zu Mund und Nase hinaus Und sucht im Tosen des Sturmes, Mit rüstigen Armen rudernd, Nach dem zertrümmerten Floß, Erlangt einen treibenden Balken Und schwingt sich keuchend hinauf. So schießt er, mit Händen und Füßen Am schwankenden Stamme geklammert, Dem Reiter gleich aus dem Rosse, Das seinem Zügel entstürmt, Weiter und weiter nach Westen Die lange Nacht und den Tag durch Zum Ende der Welt. Da türmt es sich dunkel im Dämmer, Mit steilem Gewände ein Eiland Gleich einem wehrenden Felswall, Und schiffezerschleißende Riffe Ragen, den Schwimmer bedrohend, Rings aus der schäumenden See!

So hat er vergebens der Göttin, Der himmlischen Freundin, gefleht, Und am Gestein zu zerschellen, Ist ihm vom Schicksal bestimmt! Siehe, da schwebt- ihm zur Seite, So wie die weiße Möwe Im Wind übers Master streicht: Die Wogenjungfer, dem Meere In flutenden Flechten enttaucht, Und flüsternd dringt ihre Stimme Durchs Dröhnen und Donnern des Wetters Dem einsamen Dulder ans Ohr: „Ino, die Tochter des Kadmos, Naht dir, sreundlich gesinnt, Sie, die, vom finstergelockten Poseidon verfolgt so wie du, Als Mädchen im Meere ertrunken Und am Grund des Gewässers Im Schwarme der Nereiden Als Leukothea, die lichte, Zu ewigem Leben erwacht. Nimm meinen heiligen Schleier, Reiße die Kleider vom Leib Und stürze, dem Tuche vettrauend, Dich getrost in die See, Und wenn es dich rettend dem Arme Des grimmigen Gottes entrissen, Dann lege es hinter dich nieder, Hebe die Hände und bete, Aber blicke nicht um Und meide es frommen Gemütes, Zu spähen, was mit dem Schleier

Dir im Rücken geschieht, Denn eö ziemt nicht den Menschen, Der Götter Geheimnis zu schaun!" Da löst er die Arme vom Stamme, Das Zaubergewebe erhascht er, Das sie ihm bietet, und schaudernd Starrt er ins Toben ringsum. Aber mahnend ertönt eö ihm Wiederum aus dem Getös: „Tor, was zagst du und zauderst? Pallas Athene ist es, Die aus der Höhe des Himmels Der Hilfebereiten gerufen, Daß sie dir Rettung bringt!" Da zerrt er die Kleider entschlossen Vom frostdurchschauerten Leib, Schlingt das Tuch um die Schultern, Gleitet vom Stamm in die See, Und gleich einem Segel zieht ihn Der Schleier durchs Wogengewühl Stracks den ragenden Riffen Der steilen Felsinsel zu. Vergebens will der Erschrockne Rückwärts strebend entweichen: Unwiderstehlich vom Zuge Des Tuches vorwärts gerissen, Sieht er die Klippen steigen, Hört er die Brandung erbrüllen — Da schwindet erschöpft ihm die Kraft: In Ohnmacht versinken die Sinne, Und gleich einem leblosen Leibe Treibt er im Sturme zum Strand.

Auf der Insel am Ende der Welt Schiffbrüchig Am Klippengewände ScheriaS Bäumten die Wogen sich Hochauf Und schrien, Und das dunkelbrausende Meer spie Den göttlichen Dulder Odysseus Zum flachen Strande am Strom. Im düsterroten Erglühen Der sinkenden Sonne erhob er, Vom Schwall der Gewässer betäubt, Das wellengepeitfchte, vom Tange Und Schlamme triefende Haupt, Entkrümmte den Rücken der Welle, Die ihn ans Ufer gespült, Hinter sich warf er den rettenden Schleier der Nereide Und kroch zum Dickichte hin, Wühlte sich unterm Gesträuche Ins modernde Laub, dem Tiere,

Das sich ein Lager scharrt, gleich, Und bebte, vom Froste geschüttelt, Im Blätterbett, Bis ihm die starren Glieder Des pochenden Blutes Wärme Linde durchströmte und löste, Und des Leidvollen Seele Ermattet in Schlas versank... Uber ihm aber wachte Die Göttin, die ihn dem Grollen Des Erderschüttrers zum Trotze Im wütenden Sturme bewahrt: Uber des Göttergebirges Zackigem Gipfel saß, Das Haupt in den stützenden Händen, Pallas Athene und sann, Wie sie zur heimischen Insel Ihren Liebling geleite, Den Seinen das Elend zu wenden Und das Gericht an den Freiern Mit strafendem Schwert zu vollzieh«. Da dünkte der Sinnenden solches Am besten zu sein: Gleich dem Habichte spähend, Der abwärts zum Beuteflug gleitet, Schwebte vom schimmernden Gipfel Die Göttin nieder ins Dunkel Zur Stadt der frommen Phäaken Am Strande Scherias hinab.

Erweckung Über den Wipfeln der Bäume, Der weithinschattenden, blinkten Die Giebel des Schlosses auf. Dort ruhte der Gattin zur Seite Des Herrschers heilige Kraft. Dort schlief, hinter Riegeln gesichert, Die Königstochter, die junge, Auf lindem Lager allein. Aber Türe und Tore Wehren den Himmlischen nicht. In Nausikaas Kammer erglänzten Die göttlichen Augen Atheneö Dem Strahlen von Sternen gleich, Die aus des Nebels wogender Hülle heimlich erglühn, Und wie Windeöhauch rührte es Sacht der Erkorenen Ohr. Da ward der Jungfrau im Traume, Ihre vertrauteste Freundin Trete zu ihr an das Bett. „Sorglos schlummerst du, Schwester, Und denkst durchaus nicht der Pflichten, Wie der Erblühten gebührt! Denn viele sindö, die verlangen, Ins Haus dich als Gattin zu führen Unter den trefflichen Söhnen Der Fürsten in unserem Land. Auf denn, schirre den Wagen, Zum Strand an der Mündung des Stromes Treibe die Mäuler im Morgen, Gewänder und Linnen zu waschen, 103

Daß dir am Tage der Hochzeit, Reinlich in Truhen geschichtet, Schimmer der bräutliche Schatz!"... Im Dämmer des Morgens reckte, Dem dunklen Meere entstiegen, Eos die rosigen Finger, Um ihm die Himmelsbahn, Dem heiteren Knaben, zu weisen, Der aus der Tiefe ihr folgte, Dem jungen Tag. Da fuhr erwachend vom Lager Naustkaa auf und trat, Des mahnenden Traumes gedenkend, Zum König mit schmeichelndem Wort: „Väterchen, laß mir den Wagen, Laß mir die munteren Mäuler, Daß ich am Strand mit den Mägden Die endlos wachsende Menge Unsrer Wäsche bezwinge, Die mir seit langem sich häuft!" Lächelnd nickte der Vater Ihr die Gewährung zu, Denn was sie verschwieg, er verstand es: Wie sie, nach Mädchenart, Sich zu bekennen scheute, Daß sie dabei der Vermählung Gedenke im zärtlichen Herz. Am Strome Da rollte in aller Frühe Durch blühender Wiesen Gelände Das schnelle Fürstengesährt.

Die Geißel schwang über den Mäulern Fröhlich das Königökind, Und gleich dem Gezwitscher von Vögeln, Die, dicht aneinander gerückt, Nimmermüde im Neste Die Schnäbel, die hungrigen, regen, Schwirrte munter im Morgen Der Mägde Geschwätz ... Am Strande des schäumenden Stromes Knieten bald ihre Scharen, Am Boden mit hurtigen Händen Uber die Wäsche gebückt: Weithin hallte und schallte Emsiges Plätschern und Pochen An des Gewässers Saum, Und als die Sonne zu Mittag Vom Scheitel des Himmels fich senkte, Glitzerten zahllos im Sande Linnengewänder und Laken Zum Trocknen gebreitet am Strand, Schneeflocken gleich, die des Lenzes Sonne zu tilgen versäumt. Da reckte die Königstochter Unter den rastenden Mädchen Zu heiterem Spiele den Ball: Von Händen zu Händen kreuzte Der Bunte die Lüfte und schnellte, Vom Ungeschicke geschleudert, Ins nahe Dickicht hinein ... Im Blätterbette vergraben, Schreckte aus bleiernem Schlafe Der göttliche Dulder empor:

Stimmen riefen, es tönten Lachende Laute wie Jauchzen Der Schwalben im Himmelsblau, Und erbangend besprach sich Also mit seiner Seel« Der göttliche Held: „Wehe uns, innig Geliebte! Zu welchem Lande der Menschen Hat uns der Grimm Poseidons, Des Wogengebieters, verstürmt? Sind es Barbaren, die grausam Ihren Götzen den Fremden Schlachten als Opsertier, Oder sindö solche, denen Des Gastrechtes Heiligkeit gilt? Doch Zaudern ziemt nur dem Zagen, Denn seinem Schicksal entgeht nicht, Wer ihm zu weichen versucht!" Mit nervigen Händen brach er Den Zweig des Olbaums vom Stamme, Die Blöße des Mannes zu hüllen, Und reckte sich auf. Lauschend hielten im Spiele Die Jungfrauen ein: Knarrte es nicht im Geäste? Rührten die Wipfel droben In dem Gebüsche sich nicht? Tritte hören sie krachen, Und aus dem Dickichte dringt es Nackten Leibes hervor, Schlammbesudelt die Glieder, Das Haupt und die mächtigen Schultern

Von Tang und von Blättern starrend: Ein Ungetüm! Kreischend vor Schrecken stieben Die Dirnen hinweg: „Der Dämon!" Gellt ihr Geschrei. Aber die Königstochter — Mut in die Seele haucht ihr Die himmlische Freundin des Helden — Gelassen steht sie und hartt Dunkelforschenden Auges, Wie sich das Wunder entwirrt. Stille hält der Entstellte Und streckt die offene Rechte, Wie es dem Bittenden ansteht. „Göttliche du! Denn götterähnlich erscheint mir Dein Antlitz fürwahr, Da ich im grauen Gewässer Der wogenden öde des Meeres Lange Tage und Nächte Einsam steuernd geirrt! Näher zu treten wehrt mir, Dem nackten Manne, die Scham — Höre von ferne mich an: Betet ihr hier auf dem Eiland Zum hochhindonnernden Gotte, Zu Zeus, dem Vater der Welt?" Den Blick von der Ungestalt drüben Unwiderstehlich gefesselt, Staunt sie der Red« und spricht, Im Busen von des Erbarmens Sanfter Flamme erfaßt:

„Edel enttönen die Worte Deiner häßlichen Hülle! Kein Niedriger bist du, bedünkt mich, Den zu verachten erlaubt ist! Freue dich, du Betrübter, Denn zu der frommen Phäaken Gütergesegnetem Lande, Die betend zum hochhindonnernden Gotte die Hände erheben, Hat das Geschick dich geführt. Alkinoos heißt unser König, Der allverehrte, mein Vater, Und welchem Verfolgten gelingt, Der Mutter Arete am Herde Flehend die Knie zu rühren, Daß sie schützend die Hände Ausö Haupt dem Bedrängten legt, Heilig gilt er dem Fürsten Und jedem im Volke als Gast!" Zögernd, so wie die Tauben, Vom stürmenden Geier vertrieben, Den lockenden Lauten des Wärters Zum Futterplatz wiederum folgen, Rückt der Schwarm der Gescheuchten, Dem Ruse der Herrin gehorchend, Stockenden Schrittes heran. „Schämt euch", schilt sie, „ihr Mädchen! Welch Schreckbild schuf aus dem Elend Deö Mannes euch eure Angst? Reicht dem Bedürftigen eilig Reine Gewänder vom Vorrat Aus der getrockneten Wäsche,

Mantel und Leibrock, und Sohlen auch Unter den wegmüden Fuß!" „So wendet die Augen weg, Iungfraun", Bittet der göttliche Held, „Daß ich dem Leib die Besudlung Vom furchtbaren Kampf mit den Wogen Im reinen Gewässer des Stromes Abzuwaschen vermag!" ... Über die abendkühlen Fluren rollen im Dämmer Die knarrenden Räder zurück. Lose liegen die Zügel Der Königstochter im Schoß. Neben dem Wagen hin schreitet Hohen Ganges der Gast: Hat ein Gott ihn verwandelt, Seit er dem Bade enttaucht? Stattlich ragen die Schultern, Vom schimmernden Mantel umkleidet, Locken umringeln in bräunlichem Glanze das stolze Haupt, Und fernehin dringend strahlen Unter der Stirne die Augen, Dem Blicke des beutespähenden Löwen der Wüste gleich. Die Zinnen der Stadt erglänzen Vor ihnen im Abendlichte, Da hemmt sie der Maultiere Schritt. „Halte nun hier eine Weile Und folge von ferne mir nach, Denn es verbietet die Zucht mir, Den Fremden durchs gaffende Volk iog

Zum Hause der Eltern zu führen, Daß nicht die Lästerzungen Der ungezogenen Menge Zu zischeln hätten am Markt!" Weiter rollen die Räder, Sie aber wendet im Zwielicht Das Haupt nach dem Fremden um: Keinen hat sie wie diesen An Wuchs und Würde und Weisheit Unter dem sestsrohen Volke Ihrer Phäaken gesehn! Mögen die Götter ihn gnädig Zur Halle des Vaters geleiten, Daß sie als Gastfreund ihn grüße Am heimischen Herd .. ♦ Einsam folgt aus der Ferne Zweifelnden Herzens der Held: Wer Völkern und Fürsten geboten, Bitter ist Bettlerlos dem! Werden ihm unwirsch am Tore Die Wächter den Weg nicht verwehren? Wird ihn nicht freches Gesindel, Den Hilseheischenden, höhnen Und gleich einem lästigen Hunde Ihn aus den Mauern hetzen, Eh ihm der Königin rettendes Knie zu erreichen gelingt? Da ist ihm die himmlische Freundin Ungesehen genaht: In heiligen Götternebel Hüllt sie dem Blicke der Menschen Des Helden erhabne Gestalt!

Ungehemmt von den Hütern, Tritt er durchs offene Tor Und wandelt spähend die Gassen Im Lärme der lungernden Menge Zum Schlosse des Königs hinan. Im Königsschlosse Erlesen vor allen Völkern Im weiten Erdenkreis war Das fromme Volk der Phäaken Durch Zeus', des Gebietenden Gunst: Aus der Gewalt der Kyklopen, Des greulichen Riesengeschlechts, Hatte der rettende Gott sie Aufs einsame Eiland im Meere Zum Ende der Welt hin entführt, Frei vom furchtbaren Zwange, Ihrem Verlangen zu leben Nach eigener Herzenslust. Da war nicht Winter, noch Weh war! Lieblich nährend entquollen Die Früchte in ewigem Wechsel Dem immer grünenden Laub, Und Waffen klirrten im Wettspiel Jubelnder Jünglinge nur. Herrlich strahlte am Hügel Des Herrschers stolzer Palast, Als hätte den Strahlen der Sonne Milde des vollen Mondes Sanfter Glanz sich gesellt. Geschenke der Götter ragten, Riesige Rüden aus Gold,

Als Wächter die Feind« zu schrecken, Ewiger Dauer davor. Von Silbersäulen getragen, Hob sich der schimmernde Giebel. Am Estrich, im flimmemden Glanz« Der glatten Fliesen, spiegelte Sich des Schreitenden Fuß, Von bläulichem Erze blinkte Der Wände prächtiger Fries, Und in der Halle hielten Uber den Hausaltären Iünglingsgestalten aus Marmor In den erhobenen Händen Flammende Fackeln beim Fest. Gärten umrauschten, von Brunnen Berieselt, Haus und Gehöfte, Und Wohlgeruch wogte ums Schloß ... Am Golde des Giebels verglühte Eben der Sonne Licht, Und leiser tönte vom Tale Das Lärmen der staubigen Stadt. Im Hochsitz der tönenden Halle Thronte der mächtige Herrscher Unter den Mannen beim Mahl, Und abseits saß unter den Mägden, Vom Schnurren der Spindeln umschwirrt, Aret«, die Herrin am Herde, Vom Frühreis der herbstlichen Jahre Die dunklen Haare beglänzt. Da tönten Tritte vom Tore, Erklangen über der Schwelle, Hallten am Estrich — und staunend ns

Starrten die Tafelgenossen, Weil niemand kam! Doch plötzlich schreckte Arete Im Sessel zurück, Denn siehe, zu Füßen ihr kniete Im Glanze der bräunlichen Locken Gewaltigen Wuchses ein Mann. „Gewähre dem Flüchtlinge, Fürstin, Dem grausam vom Schicksal Verfolgten, Hier am Herde zu ruhn!" Und in die Asche setzte sich Schweigend der Schutzerflehende, Wie es die Sitte heischt, hin. Da sprach in der lautlosen Stille Mit weise wägendem Worte Alkinoos' heilige Macht: „Von Leiden geläutert, langten Einst unsre Ahnen hier an: Die ließens den Enkeln als Erbe, Allen vom Schicksal Verfolgten Helfende Brüder zu sein. Bist du in Wahrheit ein solcher, So sei als Gast uns gegrüßt, Doch ist uns ein Gott, wie ich meine, Um unser Herz zu erforschen, Aus hüllendem Nebel genaht, So künde es, daß wir erfüllen, Was uns die Ehrfurcht befiehlt!" Im Aschensitze am Herde Schüttelte traurig die Locken Der leidenerfahrene Held. „Bewahre dich Zeus vor dem Frevel,

Mich Elenden also zu grüßen, Der als ein Bettler vor dir steht, All seiner Freunde beraubt! Mantel und Leibrock und Sohlen Unter die wegmüden Füße Lieh mir am Strande des Stromes Der Königstochter Erbarmen: Als Nackten wars mich die wütende Woge des Meeres ans Land!" Da stieg der König vom Throne Zum Trauernden nieder und hob ihn Liebreich vom Boden aus. „Freue dich, Fremdling, und trinke Zum Willkomm vom würzigen Weine, Dem Trost der Betrübten, zuvor, Dann teile das Mahl mit den Freunden Und weile, so lang es dich freut!" Aber nachdem Odysseus Durst und Hunger gestillt, Neigte sich, freundlich fragend, Zu seinem Gaste der Fürst. „Künde es nun deinem Witte, Wofern dir zu reden genehm ist, Von wannen kommst du uns her?" Da seufzte der göttliche Dulder. „Kalypso heißt eine Göttin Auf einsamer Insel im Meere, Die sich dem Blicke der Menschen In heiligem Nebel verhüllt. Mich aber nahm, den Gestrandeten Rettend, die Nymphe auf, Und ewige Jugend verhieß mir

Die Hehre, wenn ich für immer Als Gatte verbliebe bei ihr. So hielt sie vergeblichen Höffens Mich lange Jahre in Haft, Bis endlich der Ratschluß der Götter Ihr Herz, so vermut ich, bewegt, Denn plötzlich verzichtend, entließ sie Zur Heimfahrt den Lagergenossen Aus kunstvoll gefertigtem Floß. Da sandte der finstre Poseidon Mir Schiffbruch in furchtbarem Sturm, Aber die rasenden Wogen Spieen zu meinem Glücke mich An euern gastlichen Strand. Doch was ich früher an Drangsal Aus fernen Fahrten erduldet, Erlaßt mir, es euch zu verkünden, Daß nicht von neuem im Leide Stärker das Herz mir entbrennt!" ... Erloschen waren im Schlosse Lange die Fackeln schon, Da lag in der Halle des Hauses Auf weichem Pfühle, bedeckt Von der wärmenden Wolle des Mantels, Schlaflosen Auges der Gast, Denn weit weg verlangte die Seele Und wollt es bekümmert nicht leiden, Daß er der süßen Ruhe Aus lindem Lager genieße, Während ihm hilflos daheim Die einsame Gattin sich grämte, Und ihre üppigen Freier,

Den Sohn, den unmündigen, kränkend, Die herrliche Habe verpraßten, Sein Königsgut. Also sehnt' er sich ruhlos Die Nacht durch, wie er zur Hilse Das Herz des Herrschers bewege, Daß er ein Fahrzeug ihm rüste Über des Ozeans Wogen Nach Ithakas selsigem Strand. Aber im Schlafgemach tauschte Vertrauliche Worte indessen Der König mit seinem Gemahl. „Wundersam dünkt dieser Gast mich, Der gleich einem Geist uns genaht, Die lockenumschattete Stirne Von göttlichem Glanze umwoben, Wie wenn aus Himmelshöhen Der heilige Lichtstrahl die dunkle Wetterwolke verklärt. Wär er ins Haus uns gekommen, Um die Tochter zu frein, Wahrlich, mit Freuden gäbe Unser Kind ich ihm hin!" Und in der einsamen Kammer Träumte die Tochter des Königs, Die Glieder vom schmeichelnden Schlafe Linde gelöst: Am Strande des Stromes führt sie Der Fremde an seiner Hand, Und willigen Herzens folgt sie In endlose, unbekannte Weilen vertrauend dem Gast. n6

Am Markte Aus den errötenden Wolken Hob Eos, die früherwachende, Eben das schimmernde Haupt. Schritte ertönten im Schlosse: Es scharten sich um den König Emsig die Knechte im Haus, Und durch die Gassen im Tale Eilte geschäftig der Herold, Der treffliche — weithin war er Dm Menschen mit Namen bekannt — Pontonoos: schallender Stimme Rief er zur Raisversammlung Das Volk auf dem Markte am Strand... Uber dem Meere flammten Die Mähnen der Sonnenrosse Am Himmelssaume empor, Da lärmte die Menge am Hasen Dem Starenschwarm gleich, der im Herbste Unter dem Laubdach der Linde Stürmisch ratschlagt und zankt. Ruhe gebietend, teilte Mit weisendem Stabe der Herold Die wimmelnden Hausen, bis endlich Alle sich niedergelassen Auf schöngeglätteten Stemm, Dm Sitzm in weitem Kreis. Da faßte der König die Rechte Des Fremden, erhob sich und sprach: „Seltm, Phäakm, erscheint uns Hier an der Küste ein Gast, Dm bis ans Weltmende

Die Wut der Stürme verjagt! Preisen wir also die Götter, Daß sie uns endlich vergönnen, Des Gastrechts Gebote zu üben, Wie es die Väter gepflegt! Ein lange Erwarteter bist du, Fremder Freund, uns gekommen: Sprich nun, wonach dich verlangt, Daß wir vom lastenden Kummer Das liebe Herz dir bestem!" Schweigend stand eine Weile Der Dulder, das Haupt geneigt, Kreuzte die Arme und hob es. „Hart ist das Leid des Verlaßnen: Wie von des Wintersturmes Schneidender Kälte gefriert ihm Im Kummer zu Eise das Herz! Da hat lind wie des Lenzes Lebenerweckender Odem Mir die erstarrte Seele Euer Erbarmen gerührt, Und Hoffnung erblüht mir von neuem In der verödeten Brust! Eines ist ja, was ewig Das Sehnen im Kreise mir umtreibt, Wie unaufhörlich vom Strome Das Rad der Mühle gerollt wird: Einmal nur noch im Leben Die teuere Heimat zu schaun, Ehe die Nacht des Hades Mich für immer verschlingt!" Also sprach er, verstummte,

Und auf die Schulter legte Dem Dulder der König die Hand. „Lieber, so soll es geschehen: Seefahrer, rudergeübte, Sind wir von jeher gewesen! So hat es die Gnade der Götter Den Ahnen und Enkeln gewährt: Steuerlos gleiten, vom Wunsche Gefügig gelenkt, uns die Schiffe, Um alle zum Eiland Verirrten Uber die Fluten zu schaffen Zum heimischen Strand. Aber das lasse uns traulich In künftigen Tagen erwägen Und verweile inzwischen, Die Ungeduld zähmend, bei uns, Bis daß du von Grund aus erkannt hast, Wie wir Phäaken die Gäste Ehren in unserm Land!" Da sprangen sie, Beifall lärmend, Aus von den Sitzen, und freudig Schwärmte die Menge vom Markte Zum muterquickenden Mahl. Beim Frühmahl Da schallte alsbald auch im Schlosse Der Schmausenden Stimmengeschwirr, Vom Sange der Vögel im Wettstreit Aus schimmerndem Laube umtönt. Weinsrohen Antlitzes thronte Unter den Seinen im Saale Alkinoos' heilige Macht.

Neben dem Könige spähte Sorgenden Auges die Gattin, Daß keinem die Fülle fehle Weder am Fleisch noch am Trank, Und neben dem Könige lehnte Schweigend im Sessel der Gast. Da trat auf die Schwelle der Halle Der treffliche Herold und führte Stützend den Greis an der Rechten Zur Säule inmitten des Saales, Den Sänger im Silberhaar. Dem halten die Götter im Alter Die Augen, die leuchtend die bunte Fülle des Lebens getrunken, Mit ewigem Dunkel bedeckt, Auf daß der geblendete Blick ihm Nach innen gerichtet sich wende Und er, unverwirrt nun Vom täuschenden Glanze des Tages, Im göttlichen Spiegel der Seele Das Erdengetriebe gewahre, Geläutert vom Trug. Diesem nun reichte der Herold Die silbertönende Harfe, Die Freude zu würzen beim Fest. Sinnend stand er, die blinden Augen zum Himmel erhebend, Als wollt er ins Unsichtbare Des Götterreichs droben schauen, Griff in die Saiten und sang Den Gästen die liebliche Märe, Wie Ares', des ewigen Kriegers,

Allen Gewalten des Himmels Wild widerstrebende Kraft, Vom sanften Reize der zarten Aphrodite bezwungen, Sich der hold anlächelnden Kypriö in Liebe gesellt, Und wie indessen unsichtbar Das kunstvoll gefertigte Netz Des Himmelsschmiedes Hephaistos Sich um die Glieder der beiden Weltvergessenen wand, Daß sie, von Zaubersesseln In holder Umarmung gefangen, Den Himmlischen allen enthüllt, Ein herrlicher Anblick sich boten: Die Anmut, vereint mit der Kraft! Er aber, der zum Gelächter In eifersüchtigem Zorne Sie zu erheben gehofft, Stand beschämt von der Schönheit Allüberstrahlender Macht. Freudiger Beisall schallte Rings im Saale dem Sänger. Nur der Gastsreund, er lehnte Im Sessel neben dem König Unbewegten Gesichts. Wettkämpfe Aber nachdem sie die Freude Des Frühmahls vollauf genossen, Traten am Strande des Hafens, Dem Gast ihre Künste zu weisen,

Zum Wettkampf die Jünglinge an. Da schwang Elatreus die Scheibe, Die saufenden Schwunges emporstieg, Hinter den andern weit Zu Boden dröhnte und endlich, In dichter Wolke des Staubes Rollend, erlahmte und lag. Aber Euryalos rang Mit dem unwillig weichenden Gegner, Daß, von der Sonne umschimmert, Am nervigen Rücken die Muskeln Wechselnden Spieles erglänzten, Im Schweiße der Arbeit gespannt. Unter den hurtigen Springern Schnellte der flinke Amphialoö Manneshoch in die Lüfte, Als hätte die hallende Erde Aus ihrer Haft ihn entlassen, Einem Geschoß gleich dahin. Klytoneos stürmte im Wettlaus, So wie die Taube flüchtig Dem hungrigen Habicht enteilt, Den Kampfgenossen mit wirbelnden Füßen zum Ziele voran. Und Laodamas streckte, Im schrecklichen Faustkamps des Gegners Erkrachende Backe treffend, Mächtigen Schwunges ihn hin. Beifall erbrauste und dröhnte, Aber der Gastfreund verharrte Unbewegten Gesichts. Ärger stachelte spornend

Über den Gleichmut des Fremden Der hitzigen Jünglinge Geist, Und die Gefährten hetzten: „Geh ihn, Laodamaö, an!" Da wandte sich spöttisch zum Gast« AlkinooS' Sohn. „Allzu gering, mein Lieber, Ist es wohl, was wir leisten, Um auch nur eines Blickes Würdig vor dir zu sein! Sicherlich bist du in allem Ein unübettroffener Meister: So zeige uns, was du vermagst!" Ihm erwidette freundlichen Ernstes darauf der Held: „Lieber, nimms nicht als Mißgunst, Wenn der in Sorgen Versunkne, Uber seinem Geschicke Zweifelvoll brütend, der Gegenwart Gänzlich vergißt. Aber am wenigsten schickte stchö, Wollt ich eö wagen, der Gast, Mit meines Wittes Gefährten Die Kräfte zu mesien im Kampf!" Hier lachte höhnisch der kecke Ringer Euryalos auf. „Hinter der lammfrommen Rede Duckt sich, bedünkt mich, die Furcht!" Da rückte der Dulder die Braum Dichter zusammm, und dunkel Stieg ins Gesicht ihm das Blut: Die mächtigm Arme mtblößmd,

Ergriff er die schwerste der Scheiben, Di« selten einer der Kämpfer Im Wettspiele sich erwählte, Und beugte zum Wurse sich vor. Schnurgrade schwirrte die Scheibe Über den Köpfen hin, schlug Ferne am Strand aus die Klippen Und sprang zerschellend ins Meer. Laut aufschrie dem gewaltigen Wurfe ringsum das Volk. Aber der Fremde rückte Den Leibgutt und reckte im Grimme Flammenden Auges sich auf. „Unleidlich, ihr Jünglinge, habt ihr Das duldende Herz mir empört! Ihr habt mich gefordert: hier steh ich, Einem jeden bereit, Mit der Faust, mit den ringenden Armen, Wie ihr es immer begehtt! Und schwerlich wird auch dem Besten Unter euch allen beschieden, Mich zu bezwingen im Kampf, Es sei denn, daß etwa die Schenkel Im huttigen Laus aus die Dauer Dem älteren Manne versagen, Von der furchtbaren Arbeit Im stürmenden Meere erschöpft!" Beschämt verstummte der Jünglinge Prahlende Schar, Und Alkinoos strafte Die Ungezognen sofort. „Des Gastgebots Heiligkeit habt ihr,

Laodamas du und der Ringer, Mit Lästerzungen verletzt! Bei meinem Zorne gebiet ich, Bittet dem Fremden es ab, Ob er um meinetwillen Verzeihung den Toren gewährt!" Und schnell, vom Tadel des Vaters In seinem Gemüte gebändigt, Nahte Laodamas ihm. „Vergib mir die Kränkung, Gastsreund, Die nicht mit böser Absicht Dem Unbedachten entfahren: Dem Jüngling verzeihe der Mann, Denn es brannte auch jenem Die Flamme der Ehrsucht, so mein ich, Ungezügelt wie uns jetzt Einst in der Brust!" Aber Euryaloö bot ihm Am Silbergehäng zur Versöhnung Das schimmernde Schwert. Da lächelte leise der Dulder Besänftigt den Reuigen zu. „Der Wille kränkt, nicht das Wort tuts: So schwinde es spurlos dahin, Gleichwie des Schellenden Rede Der Wind in den Lüften verweht! Doch merkt es euch künftig, ihr Jungen, Daß ihr nicht Schaden erleidet: Mancher erscheint, vom Unglück Ohne Verschulden bezwungen, In niederen Mannes Gestalt, Aber unter dm Lumpen

Schlägt ihm höher als vielen Im Purpurgewande das Herz!" Der Städtezerstörer Nun aber glitten am Himmel Die finstem Roste der Nacht Riesigen Wuchses aufwärts, Und ihre Schalten sanken, Das Licht verscheuchend, aufs Land. Da flammten im Schlosse die Fackeln Über den Hausaltären In den erhobenen Händen Der Iünglingögestalten aus Marmor, Und vor der Türe tanzten, Den Reigen schlingend, die Knaben, Warfen die Bälle, die bunten, Hoch in die Lüfte und fingen, Den Rücken wendend, die Stürzenden Wiederum auf. Da hauchte dem Sänger, dem blinden, Athene den Sinn in die Seele, Daß er das Lied vom Kampfe Um Ilions Feste erhob: Hochauf rauschten die Saiten, Und der Gesang erbrauste Den Wogen im Sturme gleich! Vom Zorn des Achilleus erklang es, Wie er unendlichen Jammer Dem Heere der Griechen erregt, Wie vor dem Skäischen Tore In männermordender Feldschlacht Die Leichen der Helden sich häuften,

Wie der entsetzliche Hektor Den Brand in die Schiffe geschleudert, Und wie Achilleus selber, Der Göttinnensohn, Mit den unnahbaren Händen Seinen Patroklos rächend, Dem serneher fliegenden Pfeile Des weibischen Paris erlag, Bis endlich die List des Odyffeus Die trotzigen Troer täuschte, Daß sie die Feinde, im Bauche Des hölzernen Roffes verborgen, Jauchzend zur Stadt hinein zogen, Und Ilions herrliche Feste Nach zehn langen Jahren des Krieges In lodernden Flammen verging. Also brauste zum Klange Der silbernen Saiten der Sang. Aber indeffen staunte Der König verstohlen den Fremden An seiner Seite an: Denn kaum hatte der Harfner Die Stimme erhoben und Trojas Tönenden Namen genannt, Da wandte das Antlitz der Gast ab, Hüllte das Haupt in den Mantel, Und den verdunkelten Augen Entquollen zähe die Tränm, Dem Tropfen des Harzes gleich ... Geendet hatte der Sänger Das seelenerschütternde Lied. Lautlos saßen die Männer,

Und unberührt standen die Becher: Den Heldentaten der Vorzeit Sannen die Schweigenden nach. Da sprach in der Stille der König, Zum Harfenspieler gewandt: „Dank sei dir, seliger Sänger: Die Herzen erhoben hast du Uns allen wie mit des Weines Göttlich berauschender Glut. Einen nur seh ich im Saale, Gram in die Seele gegossen Hat ihm das beglückende Lied! Künde uns, trefflicher Gastfreund, Ist dir ein trauter Gesippe Etwa vor Troja gefallen Oder ein teuerer Freund, Der oft unserm Herzen noch näher Als der Verwandte ist? Wie, oder hast du gar selber Einst vor den Mauem gekämpft? Willst du auch so von uns scheiden, Unerkannt, wie du uns kamst? Hehl es nicht länger dem frommen Verlangen der Freunde, sag an: Welchem der weitum wohnenden Völker bist du entstammt? Mit welchem Namen benannten Die Eltern den lieben Sohn?" Da stand im Saale der Fremde Hochausgereckt, Einem Unsterblichen ähnlich, Der unter Irdische tritt.

„Unziemlich wäre es, wollt ich Länger die Auskunft euch weigern: Nicht eines Niedrigen Scham ists, Die mir bisher gewehrt hat, Euch meinen Namen zu nennen! Den Himmel erreicht hat mein Ruf: Der Ilions Feste gestürzt hat, Jener Odysteus — ich bins!"... Unter den Mägden schreckte, Die Hand aus der Lehne des Sessels, Die Königstochter empor. Sprachlos starrten zum Gaste Alle im Saale aus, Aber voll stolzen Jubels Ries es der König vom Thron: „So sei meine Seele gepriesen, Daß sie von Anbeginn an Im Fremdling die edle Abkunft Des duldenden Helden erahnt! Heil uns Glücklichen, Freunde, Daß uns das Schicksal vergönnt, Den größten der Griechen zu schauen, Von dessen unsterblichen Taten Gleichwie von fernen Mären Das Lied der Sänger erklingt! O rede uns, göttlicher Gaftfreund, Von deinen Geschicken, sag an: In welche unendlichen Weiten Bist du verschlagen gewesen, Daß keinerlei Kunde von dir Seit dem Ende des Krieges Der Menschen Geschlechter erreicht?"

Die Irrfahrt Ilions Untergang Da zog der göttliche Dulder Die Brauen zusammen und sprach: „Weitgepriesener König, Alkinoos, herrlicher Held! Freudigen Herzens kann er Von seinem Kummer berichten, Wer ihn überwunden hat, Aber schwer wirds dem Manne, Vom Leide zu sprechen im Leid! Selig zu preisen wahrlich Seid ihr frommen Phaaken, Kennt ihr die Furchtbare nicht, Die aus der Unterwelt Tiefen Sich dem Geschlechte der Menschen Vertraulich gesellt hat — die Schuld! Gefällig dienend, so naht sie Dem leisen Ruf des Gedankens, Doch schnell zur Riesin erwachsend,

Erwürgt sie als Herrin den Knecht. Gewaltige Taten hatte Das Volk der Hellenen vor Ilions Ragender Feste gewirkt, Aber auch Hände und Herzen, Vom Wüten des Krieges entfesselt, Mit Frevel befleckt. Gefallen war Troja: im Brande Flammte die herrliche Stadt! Von zehn langen Jahren des Kampfes Erbittert, tobte der Haß: Vor dem Altare riß er, Der rasende Sohn des Achilleus, Priamos, den erhabenen, Herrschenden Greis in dm Staub Und spaltete ihm mit dem grausamen Erze das göttergeliebte Haupt im Silbergelock. Todesröcheln und Jammern Klang von den Gassen und hallte Zum blutroten Himmel empor! Da wog uns ein grimmiges Schicksal In unbestechlichen Händen Der hochhindonnernde Gott: Hadernd trennten alsbald sich, Kaum daß den Sieg sie gewonnen, Die Fürsten im Feindeölande, Und unser Unheil begann. Kampf mit den Kikonen Zwölf stattlichm Schiffen gebot ich, Mit tapfern Gefährten bemannt.

Troja verlassend, gedacht ich, Die Beute mir noch zu mehren, Bevor ich nach Hause gelangt. Beim Volke der kühnen Kikonen Auf Jsmaros' üppigem Strande Landeten wir und schlugen, Die Weiber raubend und plündernd, Die Männer hinaus zu der Stadt. Da erregte ein Gott mir Den Widerstand der Gefährten! Umsonst war mein Warnen und Drohn: Trotzig verweilten die Toren In der eroberten Stadt, Bis ferneher Waffenlärm schallte Und unermeßliche Scharen Der Nachbarn und Bundesgenossen Wider uns stürmten in Wut. In scharfem Kampfe entrannen Mit Mühe wir zu den Schiffen, Doch zehn der Gefährten blieben Von jedem Fahrzeug als Leichen, Hunden und Geiern zum Fraße, Am Strande der Feinde zurück. Um die Gefallenen klagend, Schifften wir schleunig weiter, Da faßte am Vorgebirge Maleias uns heulend der Sturm Und trieb uns, in Hagelschauern Die flatternden Segel zerfetzend, In die unendlichen Räume Des Weltenmeeres hinaus. Neun Tage lang und neun Nächte

Ruderten wir int Sturme, Dem Tod zu entgehn, Bis endlich am zehnte» Tage Die Wut der Winde verstummte: Da waren wir weit weg von Menschen Zu Wundergeschöpfen verschlagen, Wie sie kaum jemand gesehn. Die Lotophagen Sachten Gemurmels glättete Rings um uns sich die See, Und vor den Ermatteten tauchte In holdem Grün eine Küste Aus dem Meere herauf. Palmbäume rauschten, die breiten Wipfelfittiche regend, Festliche Scharen schritten In weißen Gewändem am Strande Leidengelösten Blickes, Erdenentrückten Wesen Im Elysium gleich. Den Landenden traten sie lächelnd Entgegen und boten uns freundlich In zierlich geflochtenen Körben Schimmernde Früchte zum Gruß: Die Lotophagen, so waren Die Wundersamen benannt, Denn von dem Safte des Lotos Voll kräfteerzeugenden Zaubers Lebten die Stillen allein. Aber die göttliche Freundin Goß in die Seele mir Argwohn,

Und Unheil erahnend, wies ich Die lockenden Gaben zurück. Da hatten zwei der Gefähtten Schon von den Früchten gekostet, Und Wahnsinn hatte die Sinne Ihnen sogleich verwirtt: Mit ausgebreiteten Armen Stürzten, vor Wonne lallend, Den Fremden sie an die Brust, All ihrer Lieben vergessend, Ewig bei ihnen zu wohnen In unvergänglicher Lust. Schellend rissen die Stammelnden Wir mit Gewalt zurück, Warfen gefesselt die Weinenden Unter die Ruderbänke, Und eilig gebot ich, die Kiele Vom Unheilsstrande zu stoßen Zur Weiterfahtt. Am Feuerberge So segelten wir von neuem, Die teure Heimat zu suchen, Ins Unbekannte hinaus. Sanften Hauches wehte Von Süden der warme Wind, Und leise rauschend und murmelnd Tönte die See um die Borde, Bis hinten am Saume des Himmels Der lockende Strand den Augen, Völlig verschimmemd, entschwand, Und wandermüde die Sonne

Im weiten Gewässer versank. Da schwebte lautlos Gewölke Gleich schattenden Riesenvögeln Aus schwarzen Schwingen heran: Finster ward es, und hilflos Vom Winde dahingetrieben, Harrten wir bangen Herzens, Was uns ferner an Prüfung Das grausame Schicksal beschert. Da flog es wie Wipfelrauschen Uber die Fluten her, Wohlgeruch wehte von Blüten, Und plötzlich knirschten die träge Gleitenden Kiele auf Kies. Es lüftete leise den Schleier Die traurige Göttin der Nacht: Schattengestalten ragten Baumhoch im Düster vor uns, Und als der Dämmerung filbernes Wagengeschirr im Gewölke Uns zu Häupten erblinkte, Erkannten wir es, wo wir waren: In die Bucht eines Eilands, Mit dichtem Walde bestanden, Hatte der Wind uns geweht! Ins Schweigen des Dickichtes tönte Der Silberquellen Geriesel Und hochher das einsam gellende Klagen des Geiers allein. Freudigen Herzens stiegen Die Freunde sofort vom Bord, Die durstige Lippe zu laben

Mit des Süßwassers frischem Schmerzlich entbehrten Trunk. Ich aber spähte begierig Westwärts über die Wogen, Denn dort ragte im Meere, Mit steilem Gewänd, ein Gebirg: Rauch stieg vom Gipfel, als qualmte Ein ungeheuerer Meiler, Und rauher Stimmen Getöse Drang unheildrohend von drüben. War es nicht jener Berg dort, Von dem uns die Sänger berichten, Daß aus der Esse der Unterwelt Feuer und Rauch ihm entwogt? Welcherlei Völker mochten Dröhnender Stimme Hausen Jenseits im wilden Geklüft? Und in der Seele entbrannte Mir die Begier, zu erforschen, Eh ich von dannen führe, Welch ein Geheimnis im Lande Unseren Blicken sich barg. „Unersättlicher!" schallen Erschrocken mich die Gefährten, „Hast du an dem, was wir litten, Immer noch nicht genug?" Aber den festen Vorsatz Mir in der Brust zu erschüttem Vermochten sie nicht! Die Kecksten unter den Kühnen Nahm ich im Boot mit, und rüstig Ruderten wir und staunten: iz6

Immer steiler erhob sich, Bis in den Himmel wachsend, Vor uns der Berge Gewänd! Da ward uns, zu Zwergen, zu winzigen Wichteln schrumpften wir ein, Und gleich einer Nußschale schwankte, Auf schwellenden Wogen geschaukelt, Zum Felsenstrande das Boot. Bei den Kyklopen Vergebens schweiften nach lebenden Wesen rings in der öde, Als wir an Land gestiegen, Die suchenden Blicke umher. Nur hoch herab von dem Grate Grollte es dumpfen Murrens Wie fernes Donnergeroll, Und über uns gähnte im Berge Finster ein Höhlengehäuö, Der Vorhof vom wehrenden Walle Unübersteiglich getürmter Felsenblöcke umwölbt. Speisesäcke und Schläuche Voll würzigen Weines am Rücken, Klommen wir mühsam empor: Zum offenen Eingänge führten Herdenspuren am Lehmgrund, Den Tritten gleich riesiger Schafe In dichtem Gedräng. Klopfenden Herzens schritten Wir in die Höhle hinein. Zur Dämmerung hellte das Dunkel z37

Allmählich dem Auge sich auf: Da ragten rings an den Wänden Manneöhoch Milchgefäße, Banges Blöken von Lämmern Und zarter Zicklein Gemecker Tönte von hinten zum sperrenden Gatter des Stalles hervor, Inmitten aber, da hob sich Von Laub und Reisig ein Lager Übermenschlichen Maßes, Drauf hatte, so wiesens die Spuren, Der Riesenleib eines Unholds Vor kurzem im Schlafe geruht. Erbleichend blickten die Freunde, Und bebend entfuhr es den Lippen: „Hinweg von dem Orte des Grauens, 0 lieber Herr!" Da grollte das Toben schon näher Vom zackigen Grate herab, Der Boden erbebte, und Tritte Stapften gleich Donnerschlägen Draußen vom Berge heran. Klappernd erklangen der Herde Zahllose Hufe, und rauschend Drang es hinein in den Hof. Behutsam lugt ich zur Höhle, Die Freunde im Rücken, hervor, Und in den Adern stockte Jählings uns allen das Blut.

Polyphemos Die höchsten Tannen des Waldes An Wuchs überragend, türmte Ein Ungeheuer sich dort: Der Büffelschädel voll Zotteln Hing herab auf die Brust, Und aus dem Wollengewirre Der niedern Stirne glühte Droben ein Auge allein! Ins Land der wilden Kyklope», Der menschenfreffenden Riesen, Waren wir Armen gelangt! Einen gewaltigen Felsblock, Zwanzig Gespanne hätten Ihn nicht von der Stelle bewegt, Stieß er mit seinem Fuße, Den Ausgang sperrend, ins Tor, Brummend — wie Branden des Meeres Am Felsenstrand klang es — trieb er, Die Böcke vom Stalle scheuchend, In ihr Gehäuse die Herde Und schnaubte heran: Ins Dämmer der Höhle drang es, Auf zottigen Schultern sich bückend, Als hätte aus Wettergewölk sich Ein Schreckensanilitz geballt, Und langsam folgte dem Haupte Der ungeheuere Leib. Die Hauzähne bleckend, hockte Das Ungetüm nieder am Grund, Blies in die Glut am Herde, Daß es wie Sturmgeheul brauste,

Fachte, die Asche wirbelnd, Die Funken zu lohendem Brande Und lockte die Mutterschafe, Die strotzenden Euter vorm Feuer Ihnen zu melken, herbei. Da sah er, das eine Auge Inmitten der Stirne fürchterlich Rollend, die Gäste stehn, Und grunzend brach es zum Schlunde Des Ungeschlachten hervor: „Was für ein Zwergengefindel Zittert dort hinten versteckt? Zum Fraße hat Vater Poseidon, Der graue Beherrscher des Meeres, Sorglich dem Sohne wohl Vorrat An Menschenfleische geschickt!" Zu brechen drohten beim Dröhnen Der dräuenden Worte den Freunden Die Kniee unter dem Leib. Da trat ich vor den Entsetzlichen, Ihn zu beschwören, hin. „Scheue die Götter, Riese, Denen kein Frevel entgeht: Das Gastgebot heilig zu halten, Gebietet der Walter der Welt! Männer rühmlichen Rufes Sind dir, Hausherr, genaht: Ilions stolze Feste Haben wir niedergezwungen — Gewähre uns Frieden, Kyklop!" Da grölte der Gräßliche grinsend: „Was kümmern mich eure Kämpfe?

Was kümmert uns, die Kyklopen, Der Götter Narrengeschlecht? Stärker sind wir als jene, Die ihren Geschöpfen auf Erden Die Iammergeschicke bereiten, Wie'S ihren Launen gefällt! Einen Gebieter nur kenn ich: Mein Gott ist der Bauch!" Mit zottiger Pranke langte er Stracks in die Schar der Gefährten: Wie Spreu im Sturme zerstiebend, Stürzten sie schreiend davon! Da hatte er zwei von den Jammernden Schon bei den Füßen erwischt, Schwenkte sie Hündlein gleich auswärts, Und schmetternd schlug er die Schädel, Daß das Gehirn herausspritzte, Wider die Felsenwand. Gierig erbrüllend, riß er Die Leiber zu Fetzen und stopfte Die blutigen Stücke hastig Hinein in den gähnenden Schlund, Dem Löwen gleich über der Beute, Der die knirschenden Knochen Grimmen Gebisses malmt. Lautlos sahn wirs geschehen, Von Entsetzen gelähmt! Indessen hatte er durstig Den größten Kübel voll Schafmilch Zum Maule erhoben und spülte, Bis auf den Grund ihn leerend, Die Reste des Fraßes hinab,

Warf sich aufs laut erkracheude Reisig des Lagers und grunzte, Halb fchon vom Schlafe entrückt: „Morgen zum Frühmahle greif ich Mir wieder solch leckeres Paar!" Das Schwert aus der Scheide riß ich, Mich auf den Schnarcher zu stürzen Und die rächende Klinge Bis an das Heft ihm zu stoßen Mitten durchs schwarze Herz. Da hemmte den Schritt mir die himmlische Freundin Pallas Athene, Und dem Rasenden rief sie Die Besinnung zurück: Mußte nicht erst der Unhold, Den Sperrblock draußen entfemend, Er selber den Ausgang uns öffnen, Bevor wir es wagen durften, Wider ihn anzugehn? Bekümmerten Herzens wich ich Zu den Gefährten zurück: Die harrten, voller Verzweiflung Dicht aneinander gedrängt, Wem unter ihnen der Freffer Das schreckliche Schicksal bereite. Ich aber sann die Nacht durch, Bis die Dämmerung anbrach, Nimmer rastenden Geistes Auf unsere Rettung bedacht, Und meine Seele rief ich Also ermutigend an: „Durchs Grauen des Todes sind wir, l42

Geliebte, oft schon geschritten, So laß uns auch diesmal erwägen, Wie wir, dem Wagemute Klugheit vermählend, den furchtbaren Fängen des Untiers entgehn!" Da reckt sich gähnend der Riese, Glotzenden Auges packt er Wiederum zwei der Gefährten Und schmettert sie an die Wand. „Dulde, mein Herz!" so knirscht ich, Als ihr Todesschrei schrillte, „Du hast ja so viel schon geduldet! Blutige Rache am Frevler Schaffen den Freunden wir bald!" Inzwischen hatte der Hirte Die Herde hinausgetrieben, Ließ sie, den Felsenspund lösend, Ins Freie wimmeln, und warf ihn Wiederum sperrend ins Tor. Ums Auge des Unholds „Auf, Gefährten!" so ries ich, Kaum daß die Schritte des Starken Draußen verdröhnten, „ans Werk, Eh uns der Hausherr zurückkehrt, Denn tot ist schon, wem der Mut stirbt, Bevor ihm sein Ende genaht!" Die Keule des Wirtes lehnte Uber uns an der Wand, An Größe dem Mastbaum des Lastschiffs, Des zwanzigrudrigen, gleich: Die wies ich den Freunden und hieß^sie z43

Zum Pfahle das Ding behauen, Mit scharfer Spitze versehn, Daß wir ihn schwingen könnten Gleich einem kiesigen Speer. Abend war es geworden, Bis wir die Arbeit vollbracht Und unter dem Miste der Schafe Die wuchtige Waffe versteckt. Mit feiner Herde stapfte Hungrig der Hirte heran, Und wieder entriß er uns grinsend Zwei der Gefährten zum Fraß. Da winkte ich flüsternd den Freunden, Ihr Angstgeschrei stillend, „Getrost! Das waren die letzten der Lieben, Die sich der Unhold geholt!" Der Weinschläuche einen ergreifend, Trat ich, die Stimme zur Freundlichkeit Zwingend, vors schmatzende Scheusal Und hob einen Weinschlauch empor. „Torheit wäre eö, Riese, Dir Uberstarkem zu trotzen! Besser bedünkt michs, begütend Mit dieser köstlichen Gabe Dich zum Freund zu gewinnen, Daß du uns fürder verschonst! Wein schmeckt auf Menschenfleisch, mein ich, Dem Dürstenden besser als Milch: Sieh hier im Ziegenschlauche Die dunkelsunkelnde Labe, Dem Nektar der Götter vergleichbar An herzerhebender Wonne —

Trinke, Kyklop!" Da glühte ihm in der Stirne Gierig das Auge auf, Den Schlauch entriß er mir hastig Und schüttete bis auf die Neige Des Weines Flut in den Schlund. Lüstern die Lefzen schleckend, Brüllte der Greuliche: „Mehr!" Und zwei der Schläuche noch leerte Der unersättliche Säufer, Bis ihm die Flut des Weines Den Leib bis zum Halse erfüllt. Da lallte er schwankenden Schädels Über die Schulter herab: „Sage mir doch, wie heißt du, Winziger Spender des Weines, Du närrisches Wichtlein drunten, Daß ich es doch auch wisse, Wem ich die Gabe verdank!" Und ich, vorsehenden Geistes Das Künftige wägend, sprach: „Ich bin der Niemand, mein Teurer, Denn Niemand, so nannten die (Ettern Bei der Geburt ihren Sohn, Niemand, so rufen mir alle Geschwister, Gevattern, Gefährten Von klein auf im Heimatland!" Da grinste das trunkene Untier. „So höre denn, wackerer Niemand: Als Lohn für die Labe freß ich Als allerletzten dich selbst!" Vom Rausch überwältigt, sank er i45

Aufs krachende Lager zurück, Und aus dem Schlunde des Völlers Brach mit dem Tranke der Fraß. Da zerrte ich schnell mit den Freunden Den Pfahl unterm Miste hervor, Und vier der Gefährten erhoben Mit mir den gewaltigen Baumstamm, Stachen ihn in die Herdglut, Bis die Spitze erflammte, Und stießen dem schnarchenden Räuber Sie mitten ins Auge hinein! Wie wenn in der Schmiede der rußige Meister das glühende Eisen Ins Wasser des Bottichs hineinsenkt, So zischte eö fürchterlich, Dampswolken quollen, von Funken Gleich knisternden Blitzen durchsprüht, Und gräßlich erbrüllend schnellte Der Schläfer vom Lager aus, Dem Raubtiere gleich, das tödlich Der Wurfspieß des Hirten getroffen, Schlug mit den Armen um sich, Als wollte den Berg er zerschmettern, Und tobte wund und geblendet, Vergeblich mit greifenden Händen Die hurtig Entrinnenden haschend, Im Dunkel den Wänden entlang. Dann schoß er hinaus zur Höhle, Und in die nächtliche Stille Dröhnte des Blinden Gebrüll: „Hilfe, zu Hilfe, Kyklopen! Polyphemos ruft!" l46

Da ward es, als bräche der Unterwelt Grauen auf einmal herein: Von Klüften zu Klüften heulte Greulicher Stimmen Getös: „Bruder, wir kommen, hier sind wir! Sprich, Polyphemos, Alter, Wer hat dir ein Leides getan?" „Niemand!" greinte er, „Niemand Hat mir ein Leides getan, Niemand hat mir mit Arglist Schmerzen und Schaden geschafft: Der Augenstern in der Stirne, Der einzige, ist mir zerstört!" Da schüttelten sie ihre Schädel Verdutzt unter dumpfem Gebrumm. „Bruder, was brüllst du, wenn niemand Dir ein Leides getan? Wider das Schicksal zu helfen, Wenn es dir Schaden bestimmt hat, Vermögen wir nicht! Bete zum Vater Poseidon, Der dich in der dunklen Grotte Am Grunde des Meeres gezeugt hat, Die riesige Nymphe umarmend, Die wilde Genossin der Wale, Ob er, ein Wunder wirkend, Den Augenstern dir erhellt!" Und im ergrauenden Dämmer Dröhnten der Riesen Tritte, Wie des Gewitters Drohen Fernabziehend vergrollt.

Die Flucht Nun stöhnte der Unhold, die Lüfte In wütendem Schmerze erschütternd, Draußen im Hofe allein. Da flochten wir eilig im Dämmer Mit Ruten vom Lager des Riesen Die Schaft zu drill aneinander, Und unter das mittlere band ich Je einen der lieben Gesährten. Dann griff ich vorm Eingang zur Höhle Den Widder, den größten der Herde, Und horchte, den Widerstrebenden Fest in den Händen, hinaus. Über den Felsen erflammte Eben das Morgenrot. Die Herde zur Weide zu ruft», Schickte nach seiner Gewohnheit Sich der Geblendete an, Und die Scharen der Schaft Drangen hervor zu dem Stall. Da wars den Bock ich zu Boden, Und in die dichte Wolle Des Felles am Bauche hing ich Mit Händen und Knien mich ein: Zappelnden Fußes sprang er Vom Grunde mit mir in die Höh, Und taumelnd trug er mich langsam Über den weiten Hos. Im Tore hockte der Blinde, Die trottenden Tiere am Rücken Und an den Seiten betastend, Daß ihm nicht im Gedränge i48

Einer entwische von uns, Während die Herde die Freunde, Vor seinem Griffe geborgen, Unter dem Bauche trug, Bis endlich als letzter von allen, Beschwert von der Last meines Leibes, Schwankend der Widder herbeikam, Und er, den Liebling erspürend, Kläglich die Stimme erhob: „Böcklein, mein trautestes, braves, Trübselig kommst du geschlichen, Das immer den Seinen als Führer Fröhlich zur Weide voransprang! Trauerst auch du ums erloschene Auge des lieben Herrn, Das mir der Bösewicht tückisch, Der listige Niemand, zerstört?" Unter dem Bauche des Bockes Baumelnd, hört ich sein Greinen Mit grimmiger Lust, Und als ich zum Tore dem tastenden Unholde glücklich entschlüpft, Ließ ich mich sallen und eilte, Den Freunden unter den Schafen Die Fesseln zu lösen sogleich. Die Fersen gen Himmel schleudernd, Stürmten mit mir die Besreiten Uber die Halde hinab, Sprangen ins Fahrzeug und stießen Dm Kahn in die rettende See. Da reckte ich mich im Boote, Und schallender Stimme ries ichs i49

Zum Brüller am Berge empor: „Menscheufressender Frevler, Ein Abscheu allen auf Erden Und in dem Himmel, Kyklop! Nicht Feiglinge waren's, jetzt weißt du'ö, Denen du, Gottvergeßner, Die lieben Gefährten geraubt hast: Lebe nun ewig in Nacht!" Aufheulend riß einen Felsblock Der Riese vom Boden und warf ihn Den schnell Entrudernden nach. Über den bange Geduckten Schwirrte der Block hin und sauste, Beim Haare das Fahrzeug treffend, Hart vor uns in die Flut: Mächtig wallte das Meer auf, Über die Planken stürzte In steilem Guffe die Woge Und trieb die entsetzten Schiffer Zum Unheilseiland zurück. Da legten wir uns in die Riemen, Daß schier die Ruder zerbarsten, Und mit Mühe gewannen Wir wieder die offene See. Doch kaum dem Verderben entronnen, Sprang ich aufs neue vom Sitz, Vergebens vom angstvollen Flehen Meiner Gefährten bestürmt. „Wissen sollst du's, Verruchter, Wer dir das rollende Auge, Die Freunde rächend, geraubt: Nicht, wie du Tölpel voll Torheit

Dem Truge geglaubt hast, der Niemand! Odysseus, der Städtezerstörer, Bin ich, weitum auf Erden Durch kühne Taten bekannt!" Da warf der Kyklop sich zu Boden Und raufte verzweifelt fein Haar, „Odysseus!" schrie er, „Odysseus! So hat es mir vormals die Mutter, Dem Meere enttauchend, geweiöfagt, Einst würde ferne von Osten Der Überwinder mir kommen, Einer mit Namen Odysseus! Da glaubte ich aber, ein Riefe, Bis an den Himmel reichend, Sollte als Gegner mir nahn, Und nun: ein winziges Wichtlein Hat mir mit Arglist das Auge Verbrannt in der Stirne — ein Wurm!" Vor Wut und Schmerzen erbrüllend, Wand er sich wiederum hoch, Und abermals fauste vom Berge Ein Felsblock gewaltig uns nach, Doch hinter uns schlug jetzt, das Fahrzeug Fehlend, der Stein in die Flut, Und die entstürzende Woge Trieb uns weiter hinweg. Da heulte der Ungeschlachte Sein Fluchgebei hinter uns her. „Vater im Abgrund des Meeres, Wühle sie auf, die Gewässer! Triff mit dem rächenden Dreizack Die Schiffe der flüchtenden Frevler,

Daß sie, das Land der Väter Nimmer erblickend, ersaufen Im Toben der schäumenden See! Doch wenn dem Ränkeschmiede Errettet zu werden bestimmt ist, Daß er nach zahllosen Leiden Im fischedurchwimmelten Weltmeer Als trauriger Bettler in Lumpen Spät erst die Heimat betritt!" So klang in der Ferne verhallend, Das Rufen des Riesen uns nach, Wir aber ruderten rüstig Zurück in die bergende Bucht, Wo die Gefährten hartten Und schaudernd das Schicksal vernahmen Der vom Kyklopen Verschlungnen In seinem finstern Gehäus. Aber noch ärgere Leiden Waren uns Armen bestimmt, Denn ach! es hatte Poseidon Des Sohnes Gebet gehött!" . . . Die Stirn in die Hände stützte Traurig Odysseus und schwieg. Die Wangen gerötet, blickte, Der sinnenden Mutter zur Seite, Die Königstochter, und leise Entrang sich, die Seele erleichternd, Ein Seufzen der schwellenden Brust. Atemlos lauschten die Hörer, Hatten doch einst ihre Ahnen Unter der Wut der Kyklopen Gleiches gelitten wie er.

„Weiter, Gastfreund, berichte!" Drängle den Dulder der Fürst. „Erlasse mirs, König!" bat er, „Allzuviel ist es an Wundem, An endlosen Abenteuern, Was uns in allen Weiten Ein hartes Schicksal gehäuft: Lügen des länderdurchirrenden Bettelmanns möchten die meisten Unter den Menschen es heißen, Die, von den Göttern beglückt, Ihres Besitzes daheim sich In sicherer Ruhe freun!" Ihm entgegnete daraus, Die Rede verweisend, der Fürst: „Göttlicher Dulder, wer wagte wohl, Dich einen Lügner zu heißen, Wenn er erzählen dich hört? Wirre Gespinste nur sind es, Von denen uns jene berichten, Törichte Fabelein! Aber des Weisen Worte Enthüllen im Talengedränge Des Lebens verborgenen Sinn, Und wie sich die Menschen selber Ihre Geschicke bereiten, Die Unberatnen, drum, Lieber, Laß dich erbitten und sprich!" Beim Herrn der Winde „Wohl denn", erhob Odysseus, Vom Herrscher genötigt, das Wort,

„So hört mich von Wundermären Berichten, da ihrs begehrt. Ferne im Westen kreist einsam Ein Eiland am Ende der Welt, Das keines irdischen Wesens Fuß vor uns noch betrat. Vom Strande steigt steilen Gewändes Eine gewaltige Burg: Kein Lüftchen wagt ungeheißen Um ihre Zinnen zu wehn, Und stille liegt vor dem Strande Einem entschlummerten Ungetüm Ähnlich die träge Flut. Im Weltmeere irrend, waren Wir einstmals dem äußersten Ende Der windbewegten Gewässer Achtlos genaht. Da zog es unsere Schiffe Wie mit des Magnetbergs Gewalt Uber die reglose Fläche Zur ragenden Götterburg hin, Bis unsre Kiele zum Strande Unter ihr angerauscht. Weit offen standen im Schlöffe Tore und Türen, doch niemand Nahte, die Gäste zu grüßen, Und nirgends tönte ein Laut. So schritten wir zögernden Fußes Und scheuen Blickes ins Schloß. Da strahlten Decken und Wände Von lauterem Golde im Saal, Und hinten aus hohem Throne

Saß ein gewaltiger Greis, Die Augen im ehernen Antlitz Reglos den nahenden Fremden Entgegengewandt, Neben ihm, auf die Lehne Des Sessels die Arme gestützt, Dunkelgelockten Hauptes Ein Weib, gleich Heres erhabenem Bilde aus Elfenbein, Und unter dem Throne standen Gleich Göttergestalten die Söhne Und Töchter, zwölf an der Zahl, Wie der Gestirne Gefolge Um Sonne und Mond geschart. Vor Ehrfurcht erschauemd, warfen Wir auf die Knie uns hin, Und in die Stille dröhnte Die Stimme des Starken vom Thron: „Weltenferne hause ich Hier auf dem einsamen Eiland, Der Stürme gebietender Herr: Aialoö rufen die Völker Auf Erden mir im Gebete! Was sucht ihr Sterblichen hier?" Und ich, die Hände erhebend, Sprach zu ihm so: „Gewaltiger, der du die Winde Nach deinem Gefallen entfesselst Und sie wiederum zähmst, Odysseus bin ich, der Dulder, Uber das Meer vom Grimme Deines Gesindes gefegt:

Hilfe von dir zu erflehen, Knie ich, o Herr, vor dir: Gewähre uns glückliche Heimkehr In Gnaden, erhabener Greis!" Da hieß er zuvor die Gefährten Zur Halle hinausgehn und sprach: „Selten, Odysseus, geraten Gaben der Götter den elenden Menschen zu ihrem Heil! Doch will ich es dir nicht verweigern: Siehe den Schlauch hier, den vollen, Dahinein hab ich die Horde Der wütenden Winde mit zwingendem Zauberspruche gebannt Und will euch mit lindem Wehen Zur Heimat geleiten lassen, Doch hütet euch wohl, im Vorwitz Die Fesseln zu lösen, eh ihr Die Heimat vollends erreicht!" Also sprach er und winkte Mir mit dem Haupte, zu gehn. Da stürzten wir stracks in die Schiffe, Und als wir vom Strande gestoßen, Füllte sofort unsre Segel Der Fahrwind, und gleich einem Schwarme Von Schwänen gesträubten Gefieders Schwamm die Flotte davon. Es ruhten die Ruder. Vom Borde Schauten, der Arbeit entbunden, Heiter herab die Gefährten Uber des stillen Meeres Weithin blinkende Bahn.

Ich aber saß am Steuer, Unter den Füßen die widrigen Winde gefesselt im Schlauch, Des Schlafes Erquickung verschmähend, Gar so sehr strebte das Herz mir, Der Väter Land zu erreichen, Von Sehnsucht und Sorge bewegt. Fremde Küsten und Eilande Flogen im Sonnenscheine, Im Dämmerstrahle der Sterne Dem Immerwachen vorüber, Und siehe, endlich gewahrten wir Griechenlands Vorgebirge, Vom Glanze des Himmels umblaut, Und als sich nächtiges Dunkel Aufs Wasser herab gesenkt, Da grüßten winzige Fünklein, Freundlichen Sternen gleich winkend, Im Norden am Himmelssaum: Die Wachtfeuer warens der Unsern An Ithakas heiligem Strand! Vom Herzen fiel mir die Sorge, Und in sanftem Ermatten Sank ich im Angesichte Der teuren Heimat in Schlaf. Kaum aber glitt mir das Steuer Aus der erschlaffenden Hand, Ach, da erwachte, vom Grimme Des Wogenbeherrschers geschürt, Der Neid in der Brust der Genossen, Der Scheelsucht heimlich gehegter, Lange verhaltener Groll.

„Warum nur wird dieser Odysseus Von Göttern und Menschen immer Vor allen andern geehrt? Der Grausame, der uns im Kriege Jederzeit in die Reihen Der Vorderkämpser gehetzt! Hat er nicht tollkühnen Geistes Den Tod der Gefährten verschuldet In des Kyklopen Gehaus? Freunde, so heißen wir freilich In den Gefahren ihm stets, Aber die Beute enthält er, Von Habgier besessen, uns vor! Was birgt er, das Steuer behütend, So sorgsam unter dem Sitz? Gastgeschenke hat sicher, Schätze von Gold und von Silber Des Aialos Gunst ihm verlieh«: Sollen als Habenichtse Zur Heimat wir kehren, und er Im Überfluß schwelgen? Mitnichten! Her mit den Schätzen geschwind!" Dem Schlummernden unter den Füßen Stahlen den Schlauch sie hinweg, Lösten die Fesseln — und fuhren, Bleich vor Entsetzen, zurück: Zischend entquoll dem Schlunde Des bauchigen Balges der Dampf! Vom Qualme umwogt, entsausten Gräßliche Fratzen dem Schlauch, Stoben gen Himmel und sagten, Über den Fluten wirbelnd,

Die Herde des Wettergewölkes Mit wildem Geheule heran. Aus süßem Schlummer schreckte ich Jählings am Steuer aus: Blitze zuckten und krachten, Ins nächtige Dunkel geschleudett, Grell durch der Winde Geheul, Und um die taumelnden Schiffe Raste empört die See. Da losch mir die Hoffnung im Herzen, Und ins Umnachtete griff mir Mit ihren gierigen Krallen Kalt der Verzweiflung Gespenst: Die Freunde, die falschen, verfluchend, Die gleich einer Herde von Schafen Um den Verratnen sich drängten, Wollt ich schon, all meine Leiden Auf einmal für immer zu enden, Vom Borde mich stürzen, da hielten Scham und Trotz mich zurück, Feige die Last des Lebens Von den Schultern mir schüttelnd, Ins ewige Dunkel zu fliehn! An Borde und Bänke geklammert, Brausten wir hilflos hin, Der Heimat, der eben erblickten, Unwiederbringlich entführt, Und als nach endlosen Tagen Und Nächten die Stürme versaust, Siehe, da lagen wir wieder, Als hätte ein Traum uns genartt, Am selben Orte, von wo wir

Voll froher Hoffnung gefahren: Am Strande des kreisenden Eilands Vor Aialos' Burg. Und wiederum stieg ich zum Herrscher Im Zauberschlosse hinan, Schweren Herzens den Unfug Ihm der Gefährten zu klagen Und zum Erbarmen von neuem Ihn zu bewegen mit uns. Da scholl vom hohen Gestühle Die richtende Donnerstimme Des riesigen Greifes herab. „Gottverhaßte, wie wagt ihrs, Abermals herzutreten Vor meinen Thron? Weh, wem der Himmlischen Segen Im frevelnden Herzen zum Fluch wird: Weichet, Menschengewürm! Elenden Todes zu sterben, Einen nur ausgenommen, Ist es euch allen verhängt!" Die Lästrygonen Und wahrlich, nicht Leeres hatte Der göttliche Greis uns gedroht! Vom Volke der Lästrygonen, Der steineschmetternden Riesen, Habt ihr gewiß gehört: Ein ödes Gebirge, starrt es, Ihr Eiland, mitten im Meer, Gleich einem schmalen Silberband Schlängelt sich zwischen steilem 160

Felsengewände die Bucht Vielfach gewundenen Weges Zum einzigen Hafen im Land. An die Küste der Furchtbaren trugen, Nachdem der Greis uns vertrieben, Feindliche Wogen uns hin. Da warnte mich meine Seele, Das Schiff in des Meerbusens Mündung, Des unbekannten, zu wagen, Aber die andern alle, Elf meiner Kiele fuhren, Mein Winken und Warnen verachtend, Trotzig vorüber und schossen, Wie beutegierige Ratten In die offene Falle, In ihr Verderben hinein, Denn kaum, daß sie gelandet, Traten rings aus den Schluchten Riesige Ungestalten Nackten Leibes hervor, Als hätten sich ragende Felsen Aus dem Gewände gelöst, Und stürzten in brüllendem Hausen Den Schiffen entgegen zum Strand. Aus wuchtigen Fäusten schwirrte Der Bergblöcke Hagel herab, Von schmetternden Schlägen getroffen, Kochte die See aus, und krachend Versanken die berstenden Kiele Samt der Mannschaft: nicht eines Von den elf Schiffen entrann. Mit Mühe entkam ich selber

Auf meiner Fahrzeuge letztem Dem weithin prasselnden Hagel Der Blöcke aufs offene Meer; Da warf ich in der unendlichen Ode des Ozeans, Die Schicksalsschranken des trotzigen Eigenwillens erkennend, Menfchenermessen von mir, Und den Göttern ergeben, Beschloß ich, von Winden und Wogen Vertrauend mich tragen zu lassen, Wie es im himmlischen Rat mir Die Waltenden droben bestimmt. An des Schattenreichs Marken Aber es neigte der Herrscher Im Wettergewölke der Klage Des zornigen Bruders sein Ohr, Dem ich den Liebling, den Riesen, Des Augenlichtes beraubt. Weiter nach Westen trieben uns Wind und Wogen von dannen, Milder blinkte und matter Im Schleier des Dunstes das Licht, Als wäre die strahlende Sonne Mit einem andern Gestirne Stilleren Glanzes vertauscht, Bis endlich am Himmelssaume Eine Küste erdämmerte Und ein stattliches Eiland Sich aus der See erhob, Weithin von Lorbeerwäldem

Und den Schattengestalten Dunkler Zypressen umstarrt. Dort stieg aus den schweigenden Wipfeln Ferneher eine Säule Bläulich blinkenden Rauchs. Am Borde vorne, im Haufen Bange zusammengedrängt, Baten mich die Gefährten, Des üblen Empfangs am Strande Der Lästrygonen gedenk: „Wende, Odysseus, den Segler, Dem Dämmerland kehre den Rücken, Das mit dem Gaukelgebilde Gastlicher Stätte uns trügt!" Ich aber schalt die Verschüchterten Finsteren Blicks: „Freche Toren im Glücke Und Feiglinge seid ihr im Unglück, Eines nur seid ihr nicht: Männer, die steten Mutes Ihrem Schicksale stehn!" Drohend geschwungenen Schwertes Zwang ich die Zagen, zu landen, Und mit der Hälfte der Mannschaft Befahl ich dem vielgewandten Eurylochos, zu erspähen, Ob nicht im Wald, wo der Rauch stieg, Labe den Leidenden werde, Denn grausamer Hunger hatte Ihren Geist so geschwächt, Daß viele am Strande lagen Gleich sterbenden Fischen, vom Meere

An die Küste gespien. Speise für die Erschöpften Schleunig zu schaffen, drang ich Ins Dickicht des Waldes auf Jagd, Und mir bescherte die Göttin Des silberblinkenden Bogens, Am Quelle den riesigen Hirsch, Den Zwölfender niederzuwerfen Mit weithin wirbelndem Speer. Die wuchtende Last am Nacken, Froh, die Gefährten zu letzen, Kehrte ich eilig um. Da hört ich von fern schon ihr Schreien „Eurylochos", toste es, „rede, Wo sind die Genossen geblieben? Was hat dir die Zunge gelähmt?" Und im Getümmel sah ich, Als ich näher gekommen: Schaum vor dem Munde, lag er Zu Boden gestreckt! Grauenergriffen irrten In ihren Höhlen die Augen, Und all unser Drängen und Drohen Entriß dem verängstigten Manne Stöhnen und Stammeln allein: Nach langem Wandern habe sie Harfengetön gelockt Und einer Frauenstimme Süß bezaubernder Sang, Die tönte über dem Tale Zu eines goldenen Schlosses Offenem Tore hervor: l64

Dm lieblichen Lauten folgten Außer Eurylochos alle, Aber was weiter geschehen, Versagte die stockende Zunge Zu melden, von Schrecken verstört. „Auf, meine Mannen!" rief ich, „Nun gilt kein Ermatten mehr: Mir nach, den Gefährten zu helfen Oder gemeinsamen Todes Mit ihnen unterzugehn!" Aber in murrendem Haufen Trotzten fie mir. „Verdorben sind jene Unseligen, Deinem Gebote gehorchend, Sollen auch wir noch mit ihnen Zugrund gehn, weil ins Verderben Du sie gestürzt?" „So bleibt, ihr Elenden!" schalt ich, „Ich aber verlasse nimmer Meine Genossen in Not!" Kirke Auf engem Pfade der Wildnis Folgt ich der Spur der Gefährten, Uber der Schulter den Bogen, Den Speer zum Kampfe bereit, Und flehte sorgenden Herzens, Von den Gefährten verlassen, Die Hilfe der Götter herbei. Da ward mir, als stürzte vom Himmel In hellem Streife ein Stern, Und aus dem Dunkel des Dickichts

Trat leuchtend ein Jüngling hervor, Den Botenstab in der Rechten, Flügelschuhe am Fuße, Die Schritte der Schenkel beschwingend, Und aus den Augen traf mich, Mitleid und Hilfe verheißend, Gütigen Glanzes der Blick. „Ärmster, der du vom Grimme Des Wogenerschüttrers verfolgt wirst, Städtezerstörer, getrost! Noch sind nicht alle, Odysseus, Unter den Göttern dir gram: Siehe, dir hat mich Athene, Die himmlische Freundin, gesandt, Den Boten des Höchsten, Hermeiaö, Daß sie den Liebling bewahrt! Wisse, zum Strande der Kirke, Der Zauberin voller Anmut, Hat dich die Woge gespült: Süße Lieder entquellen, Die Sinne betörend, den Lippen, Arglist aber und Tücke Birgt in der Tiefe die Brust! Verfallen sind die Gefährten, Da sie der Trügenden trauten, Ihrer Gewalt, Du aber nimm das Wunderkraul, Das ich dir biete: Moly Wirds von den Göttern genannt, Schwarz die Wurzel, dem dunklen Schoße der Erde entsprossen, Milchweiß aber die Blüte,

Milden Glanzes im Licht. Eile, die Freunde zu lösen, Und fürchte dich nicht! Denn wer immer das Heilkraut Mutigen Herzens bewahrt, Vor allem feindlichen Zauber Der Heillosen ist er gefeit!" Also sprach er und schwand mir, Als hätte feine Gestalt sich In Luft gelöst! Und horch, da zitterte auch schon Der Saiten Silbergetön her, Schmelzenden Lautes erhob sich Der Zauberin Stimme und schwoll, Die Wipfel erbebten im Walde, Und vom Gesänge umrauscht, Tönten im Widerhalle Berge und Tal. Zum Dickicht hinaus trat ich zögernd: Vor mir erhob sich am Hügel Der Zauberin hoher Palast, Und über der weiten Wiese Wimmelten Tiere der Wildnis, Gleich einer friedlichen Herde Untereinander gemengt. Mächtige Löwen schritten, Die zottigen Mähnen schüttelnd, Mit Scharen von Wölfen gemischt, Pardel farbigen Felles Schlichen zwischen der Wildeber Hauerbewehrtem Schwarm, Und als sie den Fremden ersahen,

Rannte, mich zu umringen, Eiligen Laufes die ganze Zahllose Herde herbei: Die Schädel kummervoll schwingend, Schienen sie stummen Winkens Vom Schlöffe hinweg mich zu weisen, Und zu den traurigen Tieraugen Quollen ihnen die Tränen Wie menschlichen Wesen hervor. Ich aber schritt durch die wehrenden Scharen, dem Gotte vertrauend, Zum hohen Hause hinan, Und als ich den Speer an das Tor schlug, Verstummten Spiel und Gesang, Schritte erklangen im Schlöffe, Und aus der Türe trat, In goldenen Flechten schimmernd, Stolzen Wuchses ein Weib: Aus dunklem Gewände hob sie Die hellen Arme, und lockenden Auges grüßte sie mich. „Willkommen, Wandrer, in Kirkes Gastlichem Haus! Es funkelt im Festpokale, Den Durst dir zu löschen, die Wonne Der Menschen und Götter, der Wein, Und hurtig solls dir bereit sein, Das muterquickende Mahl!" So führte sie mich an der Rechten Zum Saale hinein an den Tisch Und nötigte mich, zu trinken, Mit liebevoll mahnendem Wort.

Willig griff ich zum Becher, Und heimlich warf ich das Heilkraut, Moly, das lösende, milde, In den betäubenden Wein, Erhob den Humpen und trank ihr Den Heilgruß zu. Da glühte im Schattenauge Gierig die Bosheit ihr auf, Vom Sessel sprang sie, die Flechten Gleich einer Mänade gesträubt, Den Zauberstab zückte die Hexe, Und wild ergellte ihr Schrei: „Menschenhülle, entfalle: Werde zum Tier, das du bist!" Und schwieg — und starrte mich ratlos, Den Unverwandelten, an. Da fuhr ich erbittert vom Tisch auf Und riß aus der Scheide das Schwert. „Nieder vor mir, du Scheusal In holder Frauengestall! Nimmermehr frevelst du fürder: Der Untaten Ende ist da!" Zu Boden stürzte sie stöhnend, Die Augen mit beiden Händen Im Grauen verhüllt. „Wer bist du, an dem mein Zauber Machtlos zerbricht? Entsetzlicher, Schone meiner: halt ein!" Da rief ich, die Schärfe des Schwertes Uber den lockenentblößten Nacken gestreckt: „Gleich jetzt, ohne zu zögern,

Befreie mir die Gefährten, Und ohne Ränke zu spinnen, Lasse zur Heimat uns zieh»! Bei den Himmlischen droben Und bei der Unterwelt Mächten Schwöre eö mir oder stirb!" Da hob sie die zitternde Rechte Empor zu den Göttern im Himmel, Und mit der Linken die Erde, Die Decke der Unterwelt, rührend, Schwor sie, von Arglist zu lassen Und die Gefährten alle Mir sofort zu befrein. Durch die tönenden Hallen Eilte mit mir sie zum Hofe Und führte mich in den Stall: Dort grunzte, in engen Kosen Zusammengepfercht, voll Kummers Der Eber schwärzliche Schar, Und gleich, wie sie mich ersahen Der Heillosen an der Seite, Stürzten sie winselnd heran Und strebten am trennenden Gatter, Die Pfoten streckend, zu Haus, Als wollten sie hilfeheischend Mit klappernden Hauern mir klagen, Was ihnen zuleide geschehn. Den Zauberstab zückte Kirke Und tat die Gattertür aus. „Werdet, ihr Tiergestalten, Wiederum, was ihr wart!" Da sanken ihnen vom Leibe

Die borstigen Hüllen herab, Und aus den gleitenden Fellen Fielen die lieben Gefährten Mir um den Hals Und schluchzten, vom Übermaße Erschüttert an Leid und an Lust, Daß der Zauberin selber Die ränkesüchtige Seele Gerührt ward, da sie uns sah. Da wälzten sich von der Wiese Die Tiere in buntem Gewimmel Freudigen Brüllens herbei: Entzaubert vom Stabe der Göttin, Umdrängten mich, Tränen im Auge, Greise und bärtige Männer Und blühender Jünglinge Schar, Und die Erlösten verhieß mir Kirke, zur Heimat zu schaffen Aus schnell gezimmertem Schiff. Indessen harrten am Strande Die Freunde meiner in Angst, Und gleichwie die Kälber blöckend In Freudesprüngen am Abend Den von der Weide kehrenden Müttern entgegenjagen, So stürzten mir die Genossen, Dem weither Jauchzenden, zu Und folgten mir reuigen Herzens Durchs Dickicht zu Kirkes Schloß. Eurylochos nur blieb einsam, Des Schiffes zu hüten, zurück Und klagte, seine Gefährten

Verloren wähnend, uns nach. Kirke jedoch, wie sie vormals Uns Unheil mit Arglist gesonnen, Suchte verwandelten Wesens Nunmehr uns Liebes zu tun. Den silberfüßigen Mägden, Den Nymphen voll Anmut, gebot sie, Im dampfenden Bade den Wandrern Den staubigen Leib zu waschen Und die gesäuberten Glieder Zu salben mit duftendem £>I. Da hallte vom Klange der Becher, Vom Lautengetön und Gesänge Alle Tage das Haus! Der Leiden in Lust vergessend, Lebten wir sorgenenthoben Im Dämmerlande der Kirke, Den Himmlischen gleich, die Kummer Künftiger Tage nicht kennen, Und wenn der Gott des Vergessene Vom dunklen Wagen der Nacht Schlummerspendend des Mohnes Heiligen Saft auf die sinkenden Lider den Müden geträuft, Lag ich im schmeichelnden Arme Der Göttin mit goldenem Haar. So rannen, in Wonne schwindend, Monde um Mond den Berückten Wie flüchtige Stunden weg. Aber im Herzen nagte mir Dennoch heimlich der Gram, Dem Wurm gleich, der ungesehen

Innen im Holze frißt. In Kirkes Armen gedacht ich Meiner Lieben daheim, Der fernen Gattin, des Sohnes, Den ich als Knäblein zurückließ, Und endlich brach mir die Sehnsucht Aus der gequälten Brust. Da mahnt ich am Lager die Göttin, Länger nicht in den Fesseln Erschlaffender Lust uns zu halten, Sondern gewogenen Sinnes, Wie sie es uns geschworen, Ins Vaterland uns zu entlassen Mit günstig wehendem Wind. Da schüttelte sie die schimmernden Flechten mitleidigen Blicks. „Wüßtest du, Ärmster, was alles Dir zu erleiden verhängt wär, Eh du nach Haufe gelangtest, Nimmer begehttest du heim! Den Mächten des Hades gehorsam, Die Marken des Schattenreichs hütend, Herrsche ich hier: Mein Brot, du hast es gebrochen, Vom Weine getrunken, des Lagers Wonnen mit mir geteilt — Zurück von der Insel der Kirke Führt dich kein Weg außer einem, Den nie ein Sterblicher trat!" „Jeden beschreite ich", rief ich, „Wenn er zurück zu den Lieben Ins Land der Väter mich fühtt!"

„So wisse", sprach sie, „Odysseus, Durchs Grauen der ewigen Nacht nur Gelangt ihr vom Dämmerlande Wieder zum Tageslicht! Zum fernen Gestade fahren Mußt du am Ende der Erde über des brausenden Ozeans Länderumgürtende Flut, Dorthin, wo der greuliche Rachen Der Unterwelt klafft, Wo in der sinstem Tiefe Der schäumende Acheron braust, Und des kalten Kokytos Eisschollen wälzender Strom Hinab in den kochenden Strudel Des Periphlegeton stürzt! Unter die Toten steigen Mußt du, hinab in des Hades Lebenschlingenden Schlund, Und rufen mußt du der furchtbaren Göttin der Hölle drunten, Daß sie gnädigen Sinnes Teiresias, dem Seher, Dir zu nahen erlaube, Der einst im böotifchen Theben Den Heldengeschlechtern die Zukunst Immer untrüglich enthüllt, Ob der dir zu weisen vermöchte, Wie du der Heimsahtt Gefahren Wagenden Herzens entrinnst!" Da hüllt ich ins Linnen des Lagers Gramvoll das Haupt, i?4

Und in Grauen versank mir Das erschütterte Herz. Schmeichelnd schlang sie die Arme Mir um die Schulter, die schlimme Bettgenossin, und sprach: „Warum nur, Unbändiger, willst du Durchaus den Todesweg gehn? Weile bei mir, der Gegenwart Froh, und vergiß es, Geliebter, Was das Geschick dir nicht gönnt!" Da riß ich das Tuch mir vom Haupte. „Kirke mit goldenen Flechten, Daß ich der Heimat vergäße, Die Seele reissen müßte ich Mir aus der Brust! Zwingt mich der Weg zu den Meinen, Durchs Dunkel des Todes zu gehn, Wohl denn, so will ich ihn schreiten, Wie es das Schicksal bestimmt!" Da lehrte mich Kirke, erkennend, Daß sie den Vorsatz zu wenden Nimmermehr mir vermöge: Zum Strande der Unterwelt würden Die Winde, sobald sie es hieße, Das Schiff uns wehn — Der Höllengöttin zu rufen, Lehrte die Zauberin mich, Und dem tosenden Heere Der zahllosen Toten wehrend, Mir Leben zu wahren und Leib.

Zum Strande des Hades Verdrießlich stiegen zu Schiffe Mit mir die Gefährten und murrten, Der frohen Gelage gedenkend, Die zu verlassen ich zwang. Aber Kirke, die Zauberin, Hielt, uns geleitend, ihr Wort: Frischen Hauches erfüllte Das Segel sofort der Wind, Und durch die schäumenden Wogen Lenkte ich westwärts das Schiff. Erschrocken sahns die Genossen, Scharten sich um mich und schalten: „Das Steuer gewendet, Odysseus! Wohin, Wahnsinniger, führst du, Der Heimat entfernend, den Kiel?" Da enthielt ich die Wahrheit Länger den Zagenden nicht. „Den Ratschluß des Schicksals hat Kirke Insgeheim mir enthüllt: Wer um das Teuerste werbe« will, Darf das Schwerste nicht scheuen — Über den Hades nur führt uns Zurück in die Heimat die Fahrt!" Zu Boden brachen sie nieder Und rauften das Haar auf dem Haupt. „Unselige wir! wem ward es Je von den Göttern verhängt, Zweimal durchs Grauen des Todes Gehen zu müssen, als uns?" Aber das Fahrzeug rauschte Unaufhaltsamen Laufes

Dem Unentrinnbaren zu. Nebel quollen und strömten Gleichwie in Schleier verhüllte Gespenster über uns hin, Hinter uns sank im Lande Der Menschen die Sonne ins Meer, Und das Schreien im Schiffe Verstummte, von des Verderbens Dumpfer Gewißheit erdrückt. Da dunkelte sie, die Küste Des Totenreiches, heran, Und schneller zog uns zum Strande Die heftiger strudelnde Flut: Von niederm Gesträuche spärlicher Weiden und Erlen umstarrt, Dehnte sich lautlos vor uns In endloser L>de das Land. Fernher nur drang in die Stille Das Donnern stürzender Ströme Aus unterirdischem Schlund. Im Totenreiche Schaudernd entwankten die Freunde Dem landenden Schiffe und warfen, Weiter zu gehen verweigernd, Sich nieder am düstern Strand, Bis zwei sich endlich ermannten, Von meinem Schellen beschämt: Die Schulter mit Scheiten beladen, Schleppten die beiden am Stricke Die Opfertiere, die Kirke Uns mitgegeben beim Abschied,

Fleckenlos schwarze, den finstem Mächten des Hades genehme, Das Mutterschaf und den Bock. Drohend schwoll das Getöse Der Ströme zum Donnergebrüll, Dampfwolken stoben im Sturme, Hüllten in wildes Gewirbel Die bange Taumelnden ein, Unter den Füßen begann uns Schwankend der Grund zu beben, Und jählings gähnte die Erde Weitaufgeristen vor uns: Der Rachen der Unterwelt fauchte, Vernichtung schnaubend, uns an! Zur Retterin droben, Athene, Ächzte die Seele mir auf, Dann riß ich die Freunde entschlossen Hinab mit mir in die heillose Ewige Finsternis. Auf steilem Gefälle stürzten Den Höllenschlund wir hinab, Vom Gischte der Ströme umwettert, Durch ragender Klippen Gewirr, Bis endlich der strauchelnde Fuß uns Auf ebenen Grund stieß und stand. Da wölbte sich uns zu Häupten, Zur Höhle geweitet, in schauriger Stille der Felsen Gewänd: Der Ort wars, wohin uns die Göttin, Den Geistern zu rufen, entsandt. Da trieb ich hastig die Freunde, Die Scheite den Schultern entschüttend, I78

Das Opferfeuer zu zünden, Und hieß sie die Grube graben, Wie es mich Kirke gewiesen, Ellenweit im Geviert. Drein goß ich den Toten die Gabe, Milch mit Mehle gemischt, Mit Wein und mit goldgelbem Honig, Und rief in der Unterwelt Vorhof Beschwörenden Wortes die Seelen Der Abgeschiedenen an, Beim Haupt meiner Lieben gelobend, Wenn ich heimgekehrt wäre, Ein jähriges Rind, ein nie noch Vom Stiere der Herde berührtes, Ihnen zu schlachten zum Dank, Der Seele aber des Sehers, Dem Geiste des Teiresias, Schwarzen Vlieses den stärksten Widder der Herde zu weihn. Drauf kehrt ich den Opfertieren Zum Abgrunde unten die Köpfe, Schnitt die Gurgeln entzwei, Ließ das Blut in die Grube Rinnen und hieß die Gefährten Schleunig das Fell ihnen abziehn, Die Leiber ins Feuer werfen, Und flehte zur Höllengöttin, Den Rücken der Furchtbaren wendend, Daß sie die Heere der Toten Aufsteigen laste zu mir. Angstvoll entflohn ins Geklüfte, Fernhin von mir, die Gefährten,

Ich aber saß im Scheine Des Feuers vorm Blut in der Grube, Die Scharen der Schatten erwartend, Über den Knien das Schwert. Da klagte es aus der Tiefe, Wie wenn vom Wehen der Luft Die Windharfe aufseufzt, und graulichen Schwaden des Herbstnebels gleich, Die über die frostigen Fluren Im späten Abende ziehen, Quoll eö zu mir herauf. Lockige Häupter entwirrten sich, Greisengesichter enttauchten Gramgebeugt dem Gewühl, Blutbefleckt blinkten Gebilde Der Krieger, wundenzerfleischt! Dichten» Gewölke gleich füllte Unter Surren und Sausen Das Felsengewölbe sich an: So wie der Motten schwirrende Schwärme zum Lichte streben, Strömten vors Feuer sie hin. Und in der Brust erbebte mir Hochaufklopfend das Herz, Daß beinahe der zitternden Rechten das Schwert entfiel, Denn als erste erblickte ich Sie, die ich lebend vor Jahren Im Vaterlande verlassen: Gebeugten Hauptes die Mutier Im grauen Gewoge, und schon Reckt ich verlangend die Arme,

Doch ach, es lähmte die Stimme Mir Kirkeö strenges Gebot, Allen Erblichnen zu wehren, Bis Teirestas', des Sehers, Erhabener Geist mir genaht! So streckt ich die Schärfe des Schwertes Scheuchend den Schatten entgegen: Da stob, wie vom Winde gewirbelt, Die flüchtige Schar auseinander, Und stolzen Ganges entstieg er Dem Schlunde der Hölle, der Seher, Das Zepter in bleicher Hand. Starren Auges ins Antlitz Mir schauend, erkannte er mich, Und seinem Munde enttönte Dumpfen Gemurmels das Wort: „Laß mich vom Blute, Odysteus, Dem lebenwärmenden, schlürfen, Daß ich dein Schicksal wahrhaft Dir zu enthüllen vermag!" Über die Grube sich beugend, Sog er mit lechzender Lippe, Reckte sich langsam auf, Und im erstorbenen Antlitz Erstrahlte, sonnengleich leuchtend, Des Sehers Blick. „Den Sterblichen habe ich warnend Den Weg des Geschickes gewiesen, Solang ich im Lichte gelebt, Bis des Hades Gewalt mir Lähmend die Lippe verschloß: Dem ewigen Schlafe entzwungen,

Kündet es dir der Tote, Was ihm von deiner Heimfahrt Gefahren die Seele erschaut! Gaukelgeftalten, sehe ich, Tauchen in Meeresstille Am Eiland aus sonniger Flut: Holder Gesang der Sirenen Hallt, in den Tod die Betörten Zum Klippengewände zu ziehn! Es ragen zur Rechten des Schiffers Die kreisenden Klippen, zur Falle Zusammenzuschlagen bereit! Und will er zur Linken entweichen Durch des gespaltnen Gebirges Brausenden Meeresschlund, Heult aus der Höhle vom Felsen Der gräßlichen Skylla Gebell, Und am Grunde des Strudels Lauert die grause Charybdis Mit aufgerissenem Rachen, Den Kiel zu verschlingen voll Gier! Wer aber dem doppelt drohenden Unheil glücklich entgangen, Dem glänzt aus der glatten See Die Insel des Sonnengottes, Ein seliges Eiland, empor, Und Hellem Gewölke gleich leuchtend, Wandelt im Felsengelände Die Wonne des himmlischen Herrschers, Helios' Herde am Strand! Doch wehe dem frevelnden Wichte, Der sich am heiligen Eigen

Des Fernhintreffers vergreift: Nimmer naht er dem heimischen Herde, die Gattin zu grüßen, Nimmer umschlingen die Kinder Dem lieben Vater das Knie, Nimmer bestattet ihn trauernd Treuer Gefährten Schar!. .. Gewiesen ist dirs, Odysseus, Nun wahre dich, wie dus vermagst: Denn selber erst schafft sich das Schicksal, Das Unabwendbare wandelnd, Des Willens zeugende Kraft!" Also sprach er, ins Auge Den Blick mir bohrend, ich aber Entgegnete ihm: „Feige schreckte, dem Verhängnis Ins Antlitz zu schaun: Zu dulden, ohne zu weichen, Hat mich das Leben gelehtt!" Da losch ihm das Licht seiner Augen, Und zum Abgrunde kehrend, Entschwand er im Hausen dem Blick. Nun aber trieb ich die Geister, Der Mutter die Gasse zu bahnen, Vom rauchenden Blute zurück, Und gleich einem Nebelgebilde, Das über das Meer schwebt, glitt sie Zum Feuer heran. Uber die Grube sich beugend, Sog sie mit lechzenden Lippen, Das matte Auge erglomm, Wie wenn im trüben Gewölle

Des Dämmers spärlicher Schimmer Beim Nahen des Morgens erwacht, Und eben vernehmbar klang es, Zitternd gleich zärtlichem Zirpen Des Heimchens am Herd: „Bist du es, Söhnlein, Odysseus, Um den, vergeblich im Harme Harrend, das Herz mir brach? Was suchst du, dem Lichte entwichen, Allzu Verwegener, ach! Bei uns in der Abgeschiedenen Trauriger Schar? Eile, Odysseus, eile, Hilft den Deinen zu bringen In bitterer Not! Kummervoll wehrt die treue Penelopeia der srechen Freier drängendem Schwarm! Im Hinterhalt lauern feindliche Krieger, dem kühnen Knaben, Deinem Telemachos, tückisch Das blühende Leben zu rauben Mit mordendem Erz. Vom Alter gebeugt und vom Grame, Entfloh aus dem Königspalaste Dein Vater Laertes aufs Land, Nimmer die Frevel der Freier, Machtlos erduldend, zu schaun! Eile, die Armen, eile, Den Herrscherreif dir zu retten, Odysseus, mein Sohn!" Und wie, in der Asche ersterbend,

Der letzte Funke verglüht, Erblich der Weichenden wieder, Vom Tode beschattet, der Blick. Dreimal sprang ich vom Boden, Die Arme zur Teuem streckend, Und immer entglitt sie mir wieder, So wie der Schleier im Winde Den haschenden Händen entflieht. Mächtiger schwoll das mahnende Wispern und Stöhnen der Stimmen Im Schattengedränge, und plötzlich Ragte der Völkersürft vor mir, Der uns zum Kampfe vor Ilions Stolze Feste geführt, Atreus' Sohn Agamemnon, Rot vom Blute beronnen Das hohe Haupt und die Brust! Zum Verstümmelten sah ich In jähem Erschrecken auf, Und schmerzübermannt entrang sich Meinen Lippen der Ruf: „Wehe, so haben vergebens Durch zehn lange Jahre des Krieges Die Götter dem Griechenheere Unversehrt dich bewahrt! Welch grausamer Feind, o Feldherr, Hat die Gestalt, die hehre, Dir so schändlich entstellt?" Gramvoll stand er, nachdem er Vom Opfertranke geschlürft, Seufzte tief auf und sprach: „Nicht im Gefechte zu fallen

Ward mir vergönnt, Gefährte: Mich fällte, Odysseus, mein Weib! Das Beil ihres Buhlen schlug mich, Kaum daß ich heimgekehrt war, Am Herde des Hauses zu Boden, Dem wehrlosen Opsertier gleich! Und von Knechten gemeuchelt, Stöhnten die lieben Gesellen Alle im Blute um mich! So fuhren die Helden, die Ilions Ragende Feste gestürzt, Von Mörderhänden geschlachtet, Zum Hades hinab! Denn nichts ist, Odysseus, auf Erden Grausamer als das Weib, Wenn eö die Bande gebrochen Der frommen Scheu, Ein reißendes Raubtier in schändlicher, Unersättlicher Lust! Glücklicher du, dem die Gattin Ferne aus Ithakas Insel, Die keusche Penelopeia, Des Hauses Ehre bewahrt!" So wich er klagend vom Feuer, Und wimmelnde Kriegerscharen Drangen in unabsehbaren Reihen heran wie zur Schlacht: Die Kampfgenossen, die vielen, Aus des Skamandros Gefilden Vor Trojas Mauern gefällt, Und ihnen allen voran schritt Er, den des weibischen Paris

Tückischer Pfeil unö entrissen, Der Hort der Achaier, Achilleus! Im Schattengesichle brannten Feurig funkelnd die schrecklichen, Feindescheuchenden Augen Wie einst in der Wut des Gefechts. Da hob sich im Schmerze der Sehnsucht Und im Stolze mein Herz. „Heil dir, Herrlicher", ries ich, „Der selbst im Reiche der Toten Gebietend, ein König, erscheint!" Da schüttelte düstern Blickes Die salben Locken der Held, Und rauhen Lautes entrang siche Des Herrschers Brust: „Lobe mir nicht, Odysseus, Im dunklen Hades mein Los! Auf kargem Acker wollte ich Lieber mit schaffenden Armen Als Knecht mich mühn, Denn tatenlos allen Toten, Den schwankenden Schatten gebieten, Den leeren Gebilden der Luft! Du aber künde mir, Trauter, Denn es blüht ja die Wange Vom Lebenssäfte dir noch, Künde mir, Städtezerstörer, Was habt ihr droben im Lichte Rüstigen Willens gewirkt, Seit ich des weibischen Paris Tückischem Pfeile erlag? Ist Troja gestürzt? Sind di« Griechen

Glücklich zur Heimat gekehrt? Lebt mir der Vater noch, rede, Peleus, der göttliche Greis? Wächst mir der Sohn, das Alter Des kraftlosen Ahnen behütend, Zu ruhmvollen Taten heran? Wie, oder trotzen noch immer Den Stürmen des Griechenheereö Die starken Türme der Stadt?" „Mächtiger Geist, von dem vielen Weiß ich nur wenig zu sagen", Seufzend entgegnete ichs, „Denn vom erzürnten Poseidon Mit all meinen Schiffen verschlagen, Irre ich jahrelang schon Im fischedurchwimmelten Weltmeer, Seit dem unseligen Tage, Da sich am Strande der Feinde Hadernd die Fürsten getrennt, Und nun hat die Not mich zum Seher Im Höllenschlunde getrieben Um rettenden Rat. Dieses jedoch, Pelide, Kann ich zum Troste dir künden: Erstorben war unter den Griechen Die Tugend der Tapferkeit nicht, Als ein schlimmes Geschick uns Die Hilfe deiner unnahbaren Hände für immer geraubt! Denn durch die Kraft der Achaier Ist Troja in Trümmer gestürzt, Und uns allen voran hat

Die trotzige Burg der Feinde Dein trefflicher Sohn gestürmt!" In freudigem Schimmer erglühte Des Helden erstorbneö Gesicht, Wie von dem Widerscheine Der untergegangenen Sonne Der hohe Hügel noch einmal Im Dunkel des Abends erglimmt, Und willigen Geistes schritt er Zurück in die ewige Nacht. Da sah ich im Schattengewühle, Das unaufhörlich herausquoll, Riesigen Wuchses einsam Einen Gewaltigen stehn, Und ich erkannte erschauernd Die finstern Züge des Feindes, Des Teuersten einst meinem Herzen Im Griechenhecr: Ajas, der Große, er war es, Der sich, am Ruhme gekränkt, Das mordende Erz in des Ehrgeizes Blind auffahrender Wut Selber ins Herz gestoßen, Da die Achaier statt ihm Mir, dem behenderen Manne, Den Preis im Wettkampf erkannt Um des gefallnen Peliden Prächtigen Waffenschmuck. Da ries ich begütenden Wortes Den reglos Ragenden an: „Ajas, Turm der Hellenen Im Toben der Schlacht,

Weh, daß wir beiden damals Im Waffenspiele die Speere Gegeneinander gekehrt! 0 hätten doch dir die Achaier Die Rüstung des Helden verliehen, Und lebtest du Edler uns noch! Tyche, die Herrin des Zufalls, Hat uns entzweit, die tückische, Ajas, nicht unser Herz! Nahe, Genosse des Krieges, Vom labenden Blute zu schlürfen, Daß wir versöhnt der Vergangenheit Großer Taten gedenken, Die wir gemeinsam gewirkt!" Aber vergebens rief ich Mit gütlichen Worten dem Geist. Unbeugsamen Starrsinnes stand er, Wie er im Lichte gelebt, Und schweigend stieg er zum Schlunde Des Hades wieder hinab. Da ward mir, als wälzte sich graues Gewoge des Meeres vor mir, Und Gesichten gleich, die der schlummernden Seele der Traum enthüllt, Glitten vom Grund die Gestalten Der heiligen Vorzeit herauf, Von denen allein die Sage Im Liede der Sänger noch weiß: Die Ahnen der Menschengeschlechter, Mit denen die Götter selber, Die Himmelssitze verlassend, Gemeinschaft gepflegt!

Alkmene erschaut ich im Schleier Der Tiefe enttauchen, die Stolze, Vom Donnergotte beglückt, Den höchsten der Helden auf Erden, Herakles' Kraft zu empfangen In sterblichem Schoß. Leda erblickt ich, die Sanfte, Gleich einem Sterne leuchtend, Der sich der zeugende Zeus, Da sie sich badend erquickte, Im Schwanengefieder gesellt. Semele sah ich flüchtigen Fußes schweben und schwinden, So wie die abendrote Wolke im Dämmer erlischt: Die selig unselige Schöne, Die, von der eifersüchtigen Here tückisch gestachelt, Den Gott zu umarmen begehrte In seiner Himmelsgestalt, Und im verzehrenden Feuer Des Unverhüllten verging! Minos, den Unbestechlichen, Sah ich auf hohem Throne, Umringt von flehenden Schatten, Den unerbittlichen Alten, Zum Richter den Toten bestellt, So wie er als erster auf Erden Die Willkür der Menschen beugte Unter das zähmende Recht. Unsere Vorväter sah ich, Die einst zu Gästen der Götter

Im Himmelösaale Erhobnen, Die Allzuvermessenen, ach, Da sie die frevelnden Hände Nach Allmacht auf Erden gestreckt, Tief in die Qualen der Hölle Von den Ergrimmten gestürzt. SisyphoS wälzte den Bergblock, Den ewig am Gipfel den» Griffe Entgleitenden Stein. Tantalos stand, im Teiche Bis zum Kinne versenkt, Aber der lechzenden Lippe, Wenn sie zum Nasse sich neigte, Entwich versiegend die Flut, Und über dem Haupte ihm schnellten Die schattenden Zweige hinweg, So oft er, vom Hunger gepeinigt, Die Hände zur lockenden Fülle Der Früchte im Laube erhob. Tityoö sah ich, den Sprossen Der Riesen gebärenden Erde, Die Glieder in Banden am Boden, Und Geier rissen dem Frevler Mit scharfen Schnäbeln die Leber Im zuckenden Leibe entzwei, Der Leto gewaltsam beschlafen, Die heilige Mutter des Lichtgotts, Die Lagergenossin des Zeus. Jetzt aber scholl aus dem Abgrund Schrilles Schreckensgeschrei, Und wie von Wettergewölke In nächtiges Grauen gehüllt,

Entstieg der stöhnenden Tiefe, Des Löwen Fell um die Schultern, Der Schalten des furchtbaren Helden, Der von der ächzenden Erde Die Ungeheuer der Vorzeit In rastlosem Ringen getilgt: Herakles' Scheinbild! denn selber Ward er nach seinem Tode Auf des Olympos Höhen Unter die Götter entrückt, Da ihm das Feuer, vom giftigen Hemd des Kentauren entzündet, Das Sterbliche läuternd verzehrt. Drohenden Blickes schritt es, Den Bogen gespannt, das Gespenst, Umschwirrt vom Krächzen der Geister In bange flatterndem Schwarm, Und dem Gebilde enttönten Die Worte, vom Himmel entsandt: „Dulder Odysseus, es grüßt dich, Den Schicksalsgefährten im Hades, Der in den klammernden Armen Den wütenden Höllenhund einst Zum Lichte des Tages emportrug, Um gleich dir zu vollenden, Was das Geschick ihm geschafft!" So tönte es aus dem Gebilde, Und es zog mir vorbei. Da riß sichs vom Abgrunde unten Entsetzlichen Heulens los, Die Ungeheuere kündend: Der gräßlichen Gorgo Haupt,

Das lebenlähmende, reckte Sich zum Schlunde hervor! Und von Grauen ergriffen, Hielt ich nicht länger stand: Den Freunden schrie ich und rannte, Dem greulichen Antlitze weichend, Empor durch die tosende Enge Der steilaussteigenden Kluft, Bis uns das Dämmerlicht droben, Rettung verheißend, erblinkte Und die Entronnenen barg." ... So sprach der Held und verstummte, Von des Erlittnen Gedenken Übermächtig bewegt. Es schwiegen erschüttert die Männer, Und vom Sitze am Herde Sah reglos die Königstochter Ins düstre Auge dem Gast. Da wandte Alkinoos endlich Zum Dulder sich um und sprach: „Sieh, wie begierig, Odysseus, Die Blicke der Hörer im Saale Am Munde dir hängen: enthalte Der wundersamen Geschicke Weiteren Wandel, Geliebter, Den bange Lauschenden nicht!" Die Stirne senkend, schüttelte Sachte der Dulder das Haupt. „Allzulang würde es währen, Wollt ich euch all meiner Irrsahrten Fülle berichten noch heut: Schlafenszeit ist es, schon flackern

Trüb in der Halle die Fackeln, Und der Mittemacht Sterne Funkeln vom Himmel herab!" Da standen sie auf von den Sitzen Und suchten ihr Lager aus, Aber lange noch lagen sie Schlaflos im Schweigen der Nacht, Und wie Schattengeflüster Schwirrte es ihnen im Ohr.

Verlockung Im Saale des Königsschlosses Hatten sich die Phäaken, Kaum daß ihr Tagwerk geschafft war, Um Odysseus versammelt, Begierig, seine Erzählung Zu Ende zu hören, und also Sprach ihn Alkinoos an: „Künde nun, Städtezerstörer, Wie kamst du vom Totengestade Zu uns zurück?" „Menschenkraft hätte es nimmer Allein zu vollbringen vermocht!" Erhob er die Rede von neuem: „Es lenkte die Gnade der Götter Uber die Totengewässer Durch Nacht und Nebel das Schiff, Bis langsam die dichte Decke Des fahlen Dunstes zerrann Und abermals unseren Augen

Im Silberdämmer das Eiland Der Zauberin Kirke erschien Und, hinter uns gleitend, im Schleier Der Dämmerlüfte versank. Abseits enttauchte dem Meere Gleich einem steilen Felsen Die Burg des Gebieters der Winde Und entschwand unserm Blick. Helleren Glanzes erstrahlte Die Sonne aus heiterem Blau, Und jauchzend grüßten die Freunde Das lange vermißte, das freudige Lebenzeugende Licht. Da plötzlich erschlafften die Segel, Vom wehenden Winde verlassen, Zu glitzerndem Glaste zerrannen Die hüpfenden Wogen ringsum, Und Meeresstille lagerte Über der blauen Öfce Der glatten See. Femeher läutend, klang es Wie lauteren Glases Getön, Und am Himmelörand tauchte Mit leuchtender Felsenküste Ein einsames Eiland herauf: Die Insel wars der Sirenen, Vor denen im Todesschlunde Des Sehers Geist mich gewarnt! Abseits zu rudern wollt ich Den Freunden gebieten, da hoben sich Frauengestalten am Strande, Wundersam wie aus der Sonne

Goldenem Glanze gewoben, In heiliger Dreizahl empor, Und unüberwindlich erwachte Des Forschens Verlangen mir wieder, Vor der Gefahr uns sichernd, Dem Abenteuer zu stehn. Amre und Füße befahl ich Mir an den Mast zu fesseln, Und die Gefährten sollten Sich die Ohren verstopfen Mit des erweichten Wachses Dicht verschließendem Pfropf, Und von den Banden die Glieder Eher mir nicht befrein, Als bis wir dem Felsenstrande Uns weitweg wieder entfernt. Also gesichert, rauschte Unter den Schlägen der Ruder Das Schiff dem Eilande zu. Da winkten am Strande die Schwestem Mit ladenden Armen uns her, Und ihren Lippen entströmte Lockenden Lautes der Sang: „Göttlicher Dulder, Sei uns gegrüßt, Nach endlosen Leiden Auf langer Irrfahrt Am gastlichen Strand! Wir singen dem Hohen, Wir hegen die Helden: In ewiger Wonne Löst sich das Weh!

Denn hier weilen Götter, Mit Sterblichen wandelnd, Hier grüßen den Herrscher, Den lange Vermißten, Seiner Getreuen Jubelnde Scharen, Von gütigen Geistern Aus Not und Bedrängnis Zum Eiland der Seligen Freundlich entführt! Siehst du in blauen Schatten des Berges Der Lieben Gebilde, Die Gattin, den Sohn? Folge dem frohen Ruf der Sirenen, Lande, Odysseus, Labe dein Herz!" Da glaubt ich, vom trügenden Zauber Bezwungen, im fernen Geklüfte Die Meinen mir winken zu sehn: Schleunig zu landen, rief ich, Am Seile voll Ungeduld reißend, Den Freunden zu, Aber vergebens schallte Den tauben Ohren mein Schrein: Dem lockenden Eiland vorüber Schifften sie unbeirrt! Und es schrumpften die Schönen Zu dürren Gespenstergerippen, So wie im Herbste der Blätter Schmuck dem Geäste entfällt,

Hohngeschrei gellte aus hohlen Hexenschädeln uns nach, Die Sonne erlosch, zu grünem Dämmer erdunkelte drohend, So weit wir sahen, die See, Und jählings ausheulend jagten Die Winde uns über die Flut. Zwischen Verderben und Tod Da sah ich, nachdem mich die Freunde Vom Mastbaum wieder gelöst, Neues Unheil uns nahn: Donner der Brandung erdröhnte, Und wildes Gewände türmte Sich überall auf! Zur Rechten ragten die Riffe Der Kreisenden Klippen und malmten, Unter der Felsen Gekrach Zusammenprallend, den Vogel, Den flüchtigen selber, im Flug. Zur Linken stieg ins Gewölke Das Doppelgebild eines Bergpaars, Und durch den Kluftweg dazwischen Brauste und brüllte in schäumendem Steilen Sturze die See! Vom Felsengewänd aber gellte Geheul aus der Höhle droben Wie hundertstimmig kläffendes Bellen und Hundegewinsel, Und unter dem Wassersturz gähnte Des Ungeheuers Charybdis Allesverschlingender Schlund!

Die Ruder entglitten den zitternden Händen der bangen Genossen, Und führerlos schwankte das Fahrzeug Zwischen Verderben und Tod. Da ries ich entschlossenen Sinnes, Lieber im Kamps mit dem Schicksal Unterzugehen als wehrlos Der Feigen Geschick zu erleiden: „Freunde, die Herzen hoch! Habe ich nicht schon aus größerer Not beherzt euch gerettet, Als uns der Menschenfresser Im finstern Höhlengehäuse Hilflos gefangen hielt?" Die Ruder gebot ich den Bebenden Frischen Mutes zu fassen, Den Steuermann hieß ich, das Fahrzeug Hatt an dem Felsen zur Linken, Woher das Hundegeheul scholl, Hinab in die strudelnde Enge Spähenden Blickes zu lenken, Sobald sich der Rachen des Untiers Beuteschlingend geschloffen, Eh es aufs neue gierig Ergähne vom Grund. Ich selber aber griff hastig Zum schärfsten der Speere im Schiff Und trat mit dem Schild überm Haupte Dicht zum Borde heran. Da schossen zur Höhle droben Die Drachenschädel der gräßlichen Skylla aus Schuppenhälsen,

Ein halbes Dutzend, hervor, Und zwölf Tatzen auf einmal Fuhren mit Tigerkrallen Zu uns in die Tiefe Hinab, Zu zweit je einen der schreienden Freunde packend, und rissen Die kläglich mit zappelnden Gliedern Um Rettung Rufenden hoch. Aber vergebens warf ich Zur unerreichbaren Höhe Rachedürstend den Speer: Vom Strudel ergriffen, neigte Das Schiff sich vornüber und stürzte In die Enge hinab. Die Sonneninsel Vom Heulen und Zischen des wirbelnden Dampfes der Brandung umwettert, Schöffen wir abwärts in Nacht Uber den Rücken des gurgelnden Ungeheuers dahin, Bis uns ins brausende Dunkel Allmählich des Tages Licht brach Und stilleren Stroms das Gewässer Uns der verderbendrohenden Enge ins Freie enttrug. Da atmete ringsum beruhigt, So weit die Blicke uns reichten, Im Sonnenscheine die See, Mitten im Meer aber strahlte Die Felseninsel des Gottes, Des großen Phoibos Apollon,

Einem Smaragd gleich im grünen Glanze der üppigen Matten, Von Herdengeläute umtönt, Und auf den Höhen wandelten Lichte Frauengestallen Mit schlanken Getten in Händen, Helios' Töchter, vom Vater Zum Hüten der Rinder bestellt. Der Hilfe des Himmels dankend, Stürzten wir nieder aufs Knie, Und ich hieß die Gefähtten Mit Eiden geloben, so lange Wir immer am Eilande weilten, Die Herde heilig zu halten, Des Fernhintreffers Besitz. So landeten wir und flehten Zum Gotte, den Wogenverstürmten Gastliche Rast zu gewähren Auf seinem geweihten Grund. Am Strande ums Feuer gelagett, Stärkten wir uns am eilig Zubereiteten Mahle Und klagten der Freunde Verderben, Bis die Gefähtten entschliefen, Toten gleich die ermatteten Glieder im Sande gestreckt. Da schritt ich einsam am Ufer, Die Schlummerentrückten betreuend, Und spähte voll Sehnsucht zum Himmel, Ob nicht der Morgen erdämmre, Denn Bangen bedrängte und trieb mich, Des Sonnengotts Nähe vermeidend,

Das Land zu verlassen, sobald uns Das Tageslicht käm! Aber da wehte Gewölke, Die Sterne verdunkelnd, empor, Im wachsenden Heulen des Windes Wälzten sich Wellenkämme, Und als unter Regengeprassel Das Auge des Tages erglomm, Brüllte in Sturmeswüten Rings um die Insel die See. Im Felseneiland gefangen, Harrten wir Tage um Tage Vergebens, daß sich das Wetter Erheitre, denn unaufhörlich Wühlte Poseidon, im Grimme Mit dem gewaltigen Dreizack Den Grund des Meeres erschütternd, Die Wogen zum Sturme aus, Und aus dem grauen Gewölke Ergoß sich in heftigen Strömen Des Regens rauschende Flut. Schon war der Vorrat am Ende, Mit dem uns Kirke beim Scheiden Zur Fahrt in die Feme versehn, Schon strich ich im Küstengeklippe Vögel zu schießen umher, Da andres Wild in den Felsen Nicht zu erjagen war. Schon senkten am Ufer der Flüsse, In Reihen fischend, die Freunde An krummer Angel den Köder Hinab in den trüben Strom,

Und in den Augen glühte, Sobald die Rinder im Regen Brüllend die Stirnen erhoben, Nur mit Mühe bemeistert, Ihnen die Helle Gier, Und oftmals sah ich im Haufen Zusammengerottet sie sitzen In leise geführtem Gespräch. Da stieg mir im Herzen die Furcht auf, Daß sie, der Eide vergessend, Sich an der Herde vergriffen, Vom grausamen Hunger geplagt. Die Menge verlassend, schritt ich, Um fern von ihr zu erwägen, Wie ich, die Zagen vertröstend, Dem Unheil zu wehren vermöchte, Aber da sandte Poseidon Dem in Kummer Versunknen Uber die müden Lider Tiefen, betäubenden Schlaf. Und Eurylochos hatte Schleunig die maulende Menge Um sich versammelt und rief: „Freunde, fetzt heißt es geschwind sein! Die Rinder gepackt und geschlachtet, Da sich der Mann mit dem herrischen, Harten, erbarmungslosen Herzen im Busen entfernt!" Und als ich, erwachend, zurückging, Schlug mir das Brüllen der Rinder Und der Gefährten Jubel Unheilverkündend ans Ohr:

Zum Lager hin stürzt ich und prallte Voll Grauen zurück! Blutige Felle, entrissen Ihren unsterblichen Leibern, Wälzten sich zwischen den Zellen Dumpfen Stöhnenö herum, Und vor den Feuern hockte Trunkenen Auges die Menge Und schlang der heiligen Herde Frisch geschlachtetes Fleisch, Das an den Spießen zuckle, Ohne des Greuels zu achten, Gottvergessen hinab. „Unselige!" schrie ich verzweifelnd, „Hat euch ein feindlicher Dämon Völlig der Sinne beraubt? Gierigen Tieren gleich sreßt ihr Euch selber den furchtbarsten Tod!" Helios Während sie aber — so hat es mir Später Kalypso erzählt — In schwelgender Gier sich vergaßen, Schwebte vom Bergesgipfel Helios' älteste Tochter, Der lichten Lenzwolke gleich, Klagend zum Sitze des Vaters, Des Fernhintreffers, hinan. Das Antlitz vom Grimme verdunkelt, Eilte er dröhnenden Schrittes Stracks in der Seligen Saal, Und flammenden Auges drohte er,

Wenn sie, die Frevler schützend, Den Mord an den Meuchlern nicht rächten, Eher daö All auf ewig In Nacht zu versenken, als länger Der Menschen Meintaten leidend, Leuchtend am Himmel zu zieh». Da sänftigte Zeus, der Vater, Begütenden Wortes den Sohn: „Letos trefflicher Sprosse, Sei mir getrost! Nimmermehr wird um elender Sterblicher willen Zwietracht Die seligen Götter entzwein: Treffen soll die Verruchten Unser Schreckensgericht, Und leuchten soll uns auch fürder Zu ewig währender Wonne Dein lebenlabendes Licht!" Den finstern Scharen der Wolken Gebot er, vom Himmel zu weichen, Und als die Gefährten am Morgen Nach wüstem Gelage erwachten, Glänzte zum Spiegel des reinen Äthers geglättet die Flut. Des Sonnengottes Rache Verloren war bei der frechen Rotte mein warnendes Wort: Mit blutigen Rinderleichen Unheilschwanger beladen Glitt vom Gestade das Schiff, Aber kaum war uns im Rücken

Die Küste der Insel versunken Und nichte als Meer und als Himmel Rings umher zu erspähn, Da brach die Rache der Götter Über die Frevler herein: Nacht ward es mitten am Tage, Und grollend rollten Kronions Donner von ferne heran, Es heulte der Wind auf und peitschte Zu stürmenden Wogen die See, Das Dunkel zerreißend, zuckten Die zackigen Blitze des Gottes Hinter den Flüchtenden her, Und jählings schnellte der Feuerstrahl Schmetternd in unser Schiff. Schweselqualm wallte und dampfte, Den Atem erstickend, empor, Krachend stürzte, das Segel Mit sich reißend, der Mast, Schlug dem Manne am Steuer, Den Scheitel malmend, aufs Haupt, Über den Bord herein brachen Brüllend die Wogen gleich grauen Gespenstem gebäumt, Und das Fahrzeug, es barst! Den Mastbaum umklammernd, sah ich Rings um mich die Gefährten Gleich tauchenden Wafferkrähen Entschwinden im Toben der See! Da wandte der Wind sich und jagte Mich mit dem Balken zurück, An Helios' Eiland vorüber

Dem wilden Gewände entgegen, Hinein in die schreckliche Enge, Wo die Entsetzlichen hausten, Charybdis der Skylla gesellt. Emporgeschleudert vom Wirbel, Erhascht ich den Stamm eines Feigenbaums Droben am Fels, und den klammernden Füßen entglitt der Mast: So hing, einer Fledermaus gleichend, Die am Gesimse sich einkrallt, Ich in der Luft überm Abgrund, Und als mir der Balken, im Schwalle Wiedergespien, herausschoß, Ließ ich mich fallen, erhaschte ihn Glücklichen Griffes und schwamm, Vom Strudel zurückgewirbelt, Hinaus auss offene Meer, Bis mir nach langen Tagen Und bangen Nächten der bergende Strand der Kalypso erschien! Wie mich die Himmlische aber, Zum Gatten begehrend, in Haft hielt, Und wie sie endlich unwillig Dem Machtwort der Götter sich fügte Und mich heimwärts entließ, Das, gütige Gastfteunde, habt ihr Gestern von mir schon gehört. Von allen, die wir gemeinsam Aus Ithakas Hafen einstmals Zum Kriege nach Troja gefahren, Der einzige, der sich gerettet, Der letzte, stehe ich hier!"

Der Abschied Dank Also beschloß seiner Leiden Erzählung der göttliche Held. Da wandle der Fürst sich im Sessel Zum lauschenden Volke und rief: „Unendliche Mühsal, Freunde, Gilt es, dem Manne zu büßen, Der solche Drangsal erduldet Und dennoch den nimmer ermattenden Mut zum Kamps sich bewahtt! Frevelhaft wäre es wahrlich, Ihn, der uns sein Sehnen enthüllt, Länger im Lande zu halten, So sehr es uns alle verlangte, Er bliebe für immer bei uns. Auf denn, Freunde, und rüstet Dem Vielgeprüften das Fahrzeug, Sobald die Sonne im Osten Von neuem dem Meere entsteigt,

Daß ihr zur Reise bereit seid Im hüllenden Schleier der Nacht, Um ihn, dem Blicke Poseidons, Des grimmigen Gottes, verborgen, Heimlich im Schiffe zu schaffen Zum Heimatland!" Aber nun hob Arete, Am Herde sitzend, das Haupt. „Hört auch im Kreise der Männer Das Mahnen der Hausmutter an: Nimmer geziemt uns, den Gastfreund, Den uns die Götter gesandt, Wie ihn die Woge zum Strand warf, Der Habe beraubt, zu entlassen: Kostbare Kleinode liegen, In Laden geschichtet, uns allen, Purpurgewänder, Geschmeide Und goldne Gesäße in Menge, Von Künstlerhänden gefügt! Tut eure Truhen auf, Freunde, Dem herrlichen Dulder zu danken, Daß wir mit Ehrengeschenken Ihm reicher die Schätze ersetzen, Die das Geschick ihm entriß!" Und von den Bänken brauste Beifall ringsum im Saal. Da neigte sich schon vom Scheitel Des nächtigen Himmels die Scheibe Des Mondes zum glitzernden Meer: Zu scheiden mahnte die späte Stunde der Gäste Schar, Und bald lag in Schlummerstille

Des Herrschers Halle und Haus ... Einer nur schlief nicht, Odysseus! Den Kops aus den Kissen reckte er Immer wieder empor, Die Morgenröte erharrend, Die ihm den Tag, den ersehnten, Der Heimkehr zu bringen verhieß. Und in der Kammer wachte Die Königstochter, die Seele Von Freude bewegt und von Schmerz, Da ihr die Frühe den Helden, Dem sie zur Heimkehr geholfen, Für immer entfernte, den Freund! Zwiesprache Der Morgenstern glänzte am Rande Des dunklen Meeres herauf, Und Eos' rötliche Flechten Wehten im Osten empor, Da hallte der Strand von Rufen, Von Klirren und Hammergedröhn, Und ehe noch Phoibos, der Herrscher, Die strahlenden Rosse befeuernd, Die Hälfte des Sonnenpfadeö Droben am Himmel durchrollt, Lag schon das Schiff, zur Abfahrt Von hurtigen Händen gerichtet, Im Hafen dem Dulder bereit, Und froh des vollendeten Werkes, Schritten die Männer zum gastlichen Hause des Herrschers hinan. Da stand vor der Tür, mit der Schulter

Leicht an den Pfosten gelehnt, Die Königstochter, von Trauer Das zärtliche Auge umwölkt, Und als Odysseus herantrat, Grüßte sie mit versuchenden Worten den Dulder und sprach: „So ist der Tag denn gekommen, Der uns den kaum gewonnenen Freund schon wieder entführt! Und immer seltener, fürcht ich, Wirft du unsrer gedenken, Wenn du im heimischen Hause Am Anblick der Lieben dich labst, Bis du im Wechsel der Monde Ganz uns allmählich vergißt!" Ihr erwiderte darauf, Die Rede verweisend, der Gast: „Fürchtest du solches in Wahrheit, So wär es gefrevelt an mir, Denn wahrlich, nicht eines Mägdleins Leicht bewegliche Seele Birgt mir die duldende Brust! Wisse, wird mir denn wirklich Der Irrfahrten Ende gewährt, Daß ich zum lieben Lande Der Väter glücklich gelange An Ithakas felsigen Strand, Zu Gattin und Sohn, zu den Teuern, Die mich als Toten, so mein ich, Schon beweinen daheim, Immer werd ichs von neuem Den nimmermüd Lauschenden künden,

Wie mir, dem Nackten, am Strome Alkinoos' Kind, Mutigen Geistes begegnend, Als Erste Hilfe gebracht hat! Und so werden sie nie Am Altare den Himmlischen opfem, Ohne zu danken, daß du Rettend dem Armen genaht, Ja, wenn einst unsre Asche Längst im Winde verweht ist, Wirst du im Liede der Enkel, Wie du mir liebreich erschienen, In ewiger Jugend noch blühn!" So sprach er und schritt in die Halle, Aber Nausikaa barg, Getröstet im trauernden Herzen, Des Helden beglückendes Wort. Aufbruch Geschlachtet war lang schon im Hofe Dem Schirmherrn der Fremden, dem Vater Im Donnergewölke, der Stier. Rauschend tönte zur Harfe, Die Lust am Mahle erhöhend, Des Sängers Lied. Aber Odysteus wandte Immer wieder nach Westen Ungeduldig das Haupt, So wie der pflügende Landmann, Der unermüdlich die Furchen Im Acker von früh an gezogen, Das Sinken der Sonne ersehnt. 2l4

Da endlich, als sie den Hunger Nach Herzenslust alle gestillt Und auch das Opfer des Trankes, Den Bechern entschüttend, gebracht, Standen sie auf von den Sitzen, Und Alkinoos sprach: „Die unerbittliche Stunde Des Scheidens ist nun genaht: Den Gast zu entlassen, geziemt uns, Den zu betreuen die Götter Dem frohen Volk der Phäaken Als ihrem Werkzeug erlaubt. Kehre denn glücklich, Odysseus, Die Deinen beglückend, zurück, So wie du alle im Saal hier, Die Herzen erhebend, erfreut!" Da reckte Odysseus die Hände Zum Segensgebete empor. „Höret mich droben, Hüter des Gastrechts, Ihr Himmelsherrscher Auf seligen Höhn: Verschonet mit Leid Fürsten und Volk Und laßt die Geschlechter Der frommen Phäaken, Die sich des Fremdlings Als Freunde erbarmten, Zu ewig währendem Ruhme erblühn!" Und in die wachsenden Schatten Der Dämmerung trat er hinaus.

Hinter ihm trugen die Knechte Der rudergeübten Phäaken Die Ehrengeschenke der Edlen Aus jeglichem Hause zum Strand. Dort hatten sie schon auf dem Schiffe Die Ruhestatt ihm gerichtet. Schweigend betrat er das Fahrzeug Und streckte aufs Lager sich hin. Vom Uferstein lösten die Schiffer Das haltende Tau, Weitaus holten die Ruder, Und so wie der Hengste Gespann, Vom Hiebe der Peitsche getroffen, Steilauf sich bäumt und dahinbraust, Hob sich vorne der Bord: Zum Hasen hinaus schoß das Fahrzeug, Und mächtig aufrauschend rollte, Dunkel und groß, vom Strande Die Meereswoge ihm nach. Da senkte mit sanftem Hauche Pallas Athene die Seele Ihres Geliebten in Schlaf. Heimfahrt Schneller glitt als der Habicht, Der hurtige Vogel, das Fahrzeug, Vom Wunsche gelenkt, durch die Nacht. Aber in süßem Vergessen All seiner Leiden schlief er Wandermüd auf dem Schiffe, Der zahllose Jahre kämpfend Und sorgend im Elend durchwacht.

Schon glomm im Osten des Meeres Leise die Dämmerung auf, Schon glänzte im Widerscheine Der rosenwangigen Göttin, Der wogenenttauchten, die See, Schon blinkte die Heimatinsel Gleich bläulichem Schattengebilde Ferneher aus der Flut, Und immer noch ruhte er reglos, Vom Fittich der himmlischen Freundin In Schlummer geweht... Von steilen Felsen umfangen, Ist eine tiefe Bucht Auf Ithakas bergigem Eiland, Phorkyö, dem Meergreis, geweiht. Dott baden im stillen Gewässer Scheue Najaden allein, Dort wölbt sich im Felsen die Grotte, Von dichtem Efeu umgrünt, Und eines Olbaums Silberlaub Flüstett im Winde davor. Dott blinken am Fuße des Felsens Die Opfergaben der Frommen: Urnengefäße, zum Neste Von fleißigen Bienen erwählt Und emsig von ihrem Schwarme Im Sonnenscheine umsummt. Dorthinein rauschte durchs Felsentor Schnellen Laufes das Schiff Und stürmte vom Schwünge der Ruder Zur Hälfte des knirschenden Kieles Am Strande hinaus.

Da hoben sie sachte den Helden, De» schlummerentrückte«, vom Bord Und legten ihn, sorgsam bettend, Nachdem sie die Ehrengeschenke Im Innem der Grotte geborgen, Aufs Lager von lindem Fell. So schlies er dem srohen Erwachen Am heimischen Strande entgegen In göttlicher Hut. Sie aber wandten den Segler Und fuhren singend zur Insel Am Weltenende zurück. Scherias Not Vom Grunde des Meeres aber Hatte der finstre Poseidon Odysieus, den tiefverhaßten, Im Heimatlands erspäht, Und aus der Rücksahtt das Fahrzeug Der srohen Phäaken ersehn. Da schoß er ergrimmt aus der Tiefe Im Wogengespanne zum Strande Und rief, auf den Dreizack die Rechte Drohend gestemmt: „Herrscher über den Wolken, Höre mich, Bruder Zeus! Wohl hab ich Odysseus, den Dulder, Mit meinem Hasse verfolgt, Denn büßen sollte die Schandtat An dem verstümmelten Sohne Der Freche mir nach Gebühr, Doch nimmermehr hätte ich wahrlich,

Deinem Gebote trotzend, Dem Helden die Heimkehr auf ewig Wider das Schicksal verwehrt! Nun aber haben es Menschen Meiner zu spotten gewagt Und vor der Zeit den Verhaßten Meiner Rache entführt, Daß ich, dein Bruder, zum Hohne Im Himmel und aus der Erde Allen geworden bin!" Da klang aus der Höhe die Stimme Des waltenden Zeus. „Mächtiger Wogengebieter, Du ältester unter uns allen Von Urzeiten her, Wie könnte Menschenvermessen Den Ruhm dir, Gewaltiger, schmälem, Der du die Meere bewegst? Doch sei es, wenn du die Verwegnen, Die wider dich sich erdreistet, Zu strafen begehrst! Aber das Volk der Phäaken Ganz zu verderben, verbiet ich, Der Schirmer des heiligen Gastrechtö, Da sie sich des Fremden erbarmt!" Indessen hatte das Fahrzeug Beinahe die heimische Insel, Scheria, wieder erreicht, Und es entströmten die Scharen, Ihre Genossen zu grüßen, Freudigen Mutes der Stadt. Da plötzlich stand und erstarrte

Mitten im Meere das Schiff, Masten und Segel und Mannschaft, Jählings alles zu Stein. Und vor den entsetzten Augen Der Menge am Strande türmte sich Donnernd vom Grunde des Meeres Rings um das einsame Eiland Ein Felsengebirge herauf, Mit unübersteiglichen Wänden Den Weg zu den Menschenlanden Dem Volke auf ewig verwehrend, Am Ende der Welt. Telemachos' Rückkehr So hatte die himmlische Freundin Mit weisem Erwägen den Liebling, Den leidengeübten Odysseus, Nach zehn langen Jahren des Irrens Zur lieben Heimat geführt, Und nun bedachte sie sorgend, Wie sie zum Kampfe ihn rüste, Der seiner auf Ithaka harrte Wider die schamlosen Freier, Die ihm das Haus besetzt. Denn auf dem Festland noch weilte Der Sohn, nach dem Vater zu forschen In Spartas Königspalaft. Neben Peisistraios war er Endlich in Schlummer gesunken, Da fuhr er jählings vom Lager Aus tiefem Schlafe, vom hatten Schlage des Herzens erweckt,

Und starrte erschrocken ins Schweigen Der finstern Nacht: Gleich kaltem Hauche des Windes Wehte es über ihn hin, Und aus dem Dunkel tönte es Leise ans lauschende Ohr: „Unheil, Telemachos, droht dir: Dem Drängen der Freier erwehrt sich Die einsame Mutter nicht mehr! Es lauern die Feinde vorm Sunde, Des Lebens dich zu berauben, Im Inselversteck! Drum eile, nach Hause zu kehren, Daß du, den Gegnern entgehend, Daheim nach dem Rechten siehst!" „Bist du es", ries er erschauernd, „Schützende Freundin des Vaters, Die unsichtbar das Gewissen In der Tiese der Brust mir Zu rechter Stunde erweckt?" Und mit dem Fuße stieß er Sachte Peisistratos an. „Lieber, mich leideis nicht länger: Laß uns die Heimsahrt rüsten, Da ich nun alles erfahren, Wonach ich zu fragen kam!" ... Träumenden Auges enttauchte, Die Fackel der Frühe entfachend, Mit schlummergeröteten Wangen Die Morgengöttin dem Meer: Vom Lager an Helenas Seite Sprang der Gatte empor,

Warf um die Schultem den Mantel Und schritt hinab in den Hof. Da trat mit dem treuen Gefährten Telemachos vor den Herrscher Reisebereit. „Züme nicht deinem Gaste, Der ohne Hut seine Lieben Im Heimatlande verließ, Wenn ihn so früh schon vor Tage Zur Reise die Unrast treibt!" Und gütigen Wortes erwiderte Also dem Jüngling der Fürst: „Ferne ist es mir, Freunde, Euch den Entschluß zu verargen: Mir ist der Hausherr verhaßt, Der seinen Gast vergewaltigt Mit eigensüchtigem Drängen Der Zärtlichkeit, Statt seinen Willen zu achten, Wie wahre Freunde es tun." .... Im Hofe scharrten die Hengste Mit ungeduldigem Hufe Vor dem Gefährte schon, Die Mähnenschüttelnden zügelte Mühsam vom Sitze Peisistratos, Und Telemachos harrte, Den Fuß auf dem Tritte des Wagens, Da schritt zum Hause der König Mit der Gemahlin hervor, Der anmutatmenden Fürstin, Von Megapenthes, dem Sohne, Und dem Gesinde gefolgt,

Die glänzenden Gaben in Händen, Die sie dem Gaste bestimmt: Den goldmen Doppelbecher, Den Kelch aus lauterem Silber Reichte der Herrscher ihm hin, Aber Helena legte Mit holdem Lächeln dem Jüngling Das kostbarste ihrer Gewänder Zum Korbe des Wagens hinein, Das strahlte in reichem Schmucke, Gleichwie aus Sternen gestickt. „Liebes Kind, dies Gewebe, Jahrelang sorgsam verwahrt, Am frohm Tage der Hochzeit Gibs von der Freundin des Vaters Der Trauten zum Brautgeschenk!" Da neigte sich dankend der Jüngling, Sprang in den Wagen und rief: „0 ihr, die ihr des Odyffeus In herzlicher Freundschaft gedenkt, Wenn mir die Götter vergönnten, Daß ichs dem Heimgekehrten, Dem Vater einst weism dürfte, Wie ihr im Sohn ihn geehrt, Froher als all meine Tage Würde mir dieser sein!" Und unter dem Heilrus der Freunde Raffelte dröhnend der Wagen Zum offenen Tore hinaus, Durch Argos' üppige Fluren Der Feste des Nestor zu.

Theoklymenos An Pyloö' sandigem Strande Hatten die Schiffsgefährten Von Tag zu Tag ihren Herren Erwartet voll Ungeduld. Da sahen sie: auf der Straße In wirbelnder Wolke des Staubes Rollte ein Wagen heran, Und sie erkannten die beiden Reisegesellen alsbald. Aber nun hielt aus dem Wege Zur Feste des göttlichen Greises Plötzlich das schnelle Gefährt, Und Telemachoö legte Die Hand auf die Schulter dem Freund. „Peisistratos, sieh meinen Segler: Laß uns nicht länger säumen, Lenke, die Feste vermeidend, Graden Weges zum Schiff, Denn dein Vater, so fürcht ich, Kehr ich zuvor bei ihm ein, Den Gast so schnell zu entlasten, Entschließt er sich kaum!" Und Peisistratos nickte. „Freund, so mag es wohl sein, Denn eigenwilligen Geistes Ist er in seiner Güte Und leicht vom Widerspruche In seiner Liebe verletzt!" ... Freudig sprangen vom Borde, Als das Gefährt ihnen nahte, Die Mannen dem Herren entgegen,

Von ihren Sorgen befreit, Richteten Mastbaum und Segel Und lösten das haltende Tau, Während zur Feste des Vaters Peisistratos weiterfuhr. Da stürzte in rasendem Laufe Vom Lande ein Flüchtling heran, Und vor Telemachos warf er Sich auf das Knie. „Erbarme dich meiner, o Jüngling! Der Enkel des hochberühmten Melampus bin ich, des Sehers, Von meinen Feinden in Argos Wegen Totschlags am Räuber Meines Erbes verfolgt! Mit leeren Händen vermag ich Nicht Lohn für die Hilfe zu bieten, Aber die Gabe des Ahnen, Künftige Dinge zu deuten, Die auch dem Enkel gewährt ward Und manchem in Nöten gefrommt hat, Führ ich mit mir als Entgelt!" Und Telemachos neigte Sich freundlich zum stehenden Mann. „Nicht Gold noch Silber begehr ich, Ärmster, im Unglück von dir: Auch mir sind, Schicksalsgenosse, Das Erbe der Ahnen zu rauben, Schamlose Frevler bereit. So folge getrost mir zum Schiffe, Und in Ithaka sollst du Als Gastfreund willkommen mir sein!"

Da hißte» sie hurtig das Segel, Und Telemachos setzt« Selber ans Steuer sich hin, Um fernab dem Sund, wo die Feinde Lauernd im Hinterhalt lagen, Mit Vorsicht das Fahrzeug zu lenken Uber die Spitzigen Inseln Zu Ithakas felsigem Strand.

Herrscher und Hirte Heimatmorgen Auf IthakaS heiligem Eiland Glänzte im Frühsonnenscheine Das Felsengebirg, Und aus dem Meere dampften In lichtem Gewoge die Scharen Des Morgennebels empor. Im Dunkel der Grotte erwachte Odysseus, der Dulder, und starrte, Vom tiefen Schlafe noch trunken, Verstört ins Zwielicht und streckte Hastig die Hände umher: Wo war er nur? In des Kyklopen Greulichem Höhlengehäus? Auf Kirkes verzaubertem Eiland? In der Kalypso Gewalt? Und als er sich endlich besonnen, Sprang er jählings vom Lager Und griff sich mit beiden Händen Lautaufstöhnend ans Haupt.

„Verraten von den Phäaken Und ausgesetzt!" Da sieht er die Ehrengeschenk« Im Dämmer der Grotte schimmem, Zählt sie mit zitternden Fingern — Doch kein einziges sehlt! Zur Höhle hinaus stürzt Odysseus, Ob seiner das Fahrzeug der Freunde Etwa am Vorgebirg warte — Und leer ist der Strand! Verzweiselt hebt er die Arme Zum Himmel empor. „Wohin hat ein Grausamer droben Von neuem mich Armen verbannt, Nachdem er mit lieblicher Hoffnung Das trauende Herz mir getäuscht?" Rollenden Auges blickt er Rings im Gelände umher, Sieht die Felsen, die Bäum«, Di« Buchten der teuern Heimat — Und kennt sie nicht! Da tritt aus dem blinkenden Nebel Am Hirtenstabe ein Jüngling In hellen Locken, ein Stirnband, Von Golde glitzernd, ums Haar, Gleich einem Königssohne Zum Hüten der Herden entsandt. Und schnell überlegend naht ihm Odysseus, wie er von jenem Sich Auskunft gewinne, und spricht, Die Wahrheit dem Unbekannten Mit klugem Erfinden verkleidend,

Den Stillestehenden an: „Jüngling, der gleich einem Gotte Dem Staunenden plötzlich erscheint, Ein Schutzbedürftiger bin ich: Von Kreta, der Insel des Minos, Mußte ich schleunig flieh«, Weil ich Orstlochos drüben, Des Königs gewaltsamen Sohn, Den Raub meiner Rinder rächend, Im Hinterhalte gefällt. Phönikische Kauffahrer nahmen Gegen Entgelt mich ins Schiff, Um mich nach Argos zu schaffen Oder nach Pylos zu Nestor, Meinem älteren Freund. Aber vom Sturme verschlagen, Ließen sie hier am Lande, Der Kreter Verfolgung wohl fürchtend, Im Schlaf den Betrognen zurück, Und nun bitt ich dich, Lieber, Sage mir wahrhaft zum ersten, Zu welch unwittlichem Strande Hat daö Geschick mich geschafft?" Und der Hirte erwidette Ihm, auf den Stab gestützt: „Ein steiniges Eiland ists freilich Und mühevoll zu bebaun, Doch reisen Früchte und Trauben Dem fleißigen Landmanne wohl: Auch ihr auf Kreta habt sicher Ithakas ruhmreichen Namen Im Liede der Sänger gehött!"

Da zuckte der Dulder zusammen, Doch schnell sein frohes Erschrecken Im Busen bezähmend und zweifelnd, Schüttelte er das Haupt. „Jüngling, du scherzest, so scheint mir, Auf Ithaka war ich vorzeiten, Aber ganz anders dünkte Als dieses mich damals das Land, Da Odysseus noch König, Der Arkeisiade, war, Dem jetzt, wie es heißt, die Freier Um Penelopeia, die Gattin, Haus und Habe verwüsten, Während er auswätts weilt. Sage mir, soll ich dir glauben, Was weißt du in Wahrheit davon?" Da lächelte leise der Hirte, Und siehe, nun stand statt des Jünglings Ein Weib erhabenen Wuchses, Pallas Athene selber, Die himmlische Freundin, vor ihm. „Was staunst du, o Vielgewandter, Ob der Verwandlung mich an? Auch wir sind uns kunstvoll zu bergen Und uns zu enthüllen geschickt, Denn wie du von allen auf Erden Der Erste an Klugheit bist, So bin ich an Weisheit die Größte Im Hause des waltenden Zeus! Drum bleiben wir ewig verbunden, Odysseus, geduldiger Held, Der, zähe und nimmer verzagend,

Den eigenen Augen nur trauend, Sein Schicksal besteht! Aber nun schaue im Kreise Mit unverblendetem Blicke, Ob dich der Hirte getäuscht!" Und wie sie winkte, rollten, Nähe und Ferne entschleiernd, Die lichten Hüllen des Nebels Zurück in die See — Und jetzt erkannte Odysseus Sein Vaterland! Da stürzte der Dulder schluchzend Zum Boden, der ihn geboren, Die Arme breitend, als wollt er Die Erde mit ihnen umsangen, Und küßte den Heimatgruvd. So lag er erschütterten Herzens Nach langem Irren im Elend Dem Sohn gleich, der heimgefunden An seiner Eltern Brust. Aber nachdem er sich endlich Dem Boden wieder entrafft, Sprach er, die Tränen der Wehmut Trocknend, zur Göttin gewandt: „Erhabene, die du mich liebreich In allen Gefahren behütet Und mich, dem grimmigen Gotte, Dem Finstergelockten, entziehend, Zum Lande der Väter geleitet, Nun erst heißtS, mich beraten, Denn wie fange ichs an, Der eine gegen die vielen,

Mein Eigen zurückzugewinnen Und sie aus dem Hause zu jagen, Di« Scharen der schamlosen Freier, Ohne daß sie mich fällen, Ehe mein Schwert sie erreicht?" Und sachte das Haupt bewegend, Entgegnete sie: „Was fragst du mich, Vielerfahrner, Und hast es doch selbst schon bedacht, Unter dem Volke zu forschen, Wer dir etwa noch anhängt Oder, den Herren verratend, Dem wüsten Schwarme der prassenden Freier sich zugesellt. Hast du es aber erfahren, So greife kühn zu den Waffen, Den Frevlern das Leben zu rauben, Und scheue die Übermacht nicht. Siehe, schon fährt vom Festland, Von mahnendem Ahnen getrieben, Dein Sohn zur Heimat zurück, Du aber steige, so rat ich, Zunächst zum Gehöfte des Hirten Eumaios am Berge empor, Und daß dich im Vaterlande Vorzeitig keiner erkenne, Wandle ich dir die Gestalt!" Aus dem Gewände zog sie Die Zaubergerte und rührte Sachte den Scheitel ihm: Da schwanden ihm von den Schultern Mantel und Leibrock sofort,

Es sanken die bräunlichen Locken Von dem enthaarten Haupt, Die blühenden Wangen verschrnmpften Zu Runzeln, von Stoppeln umstarrt, Und in häßlichen Lumpen, Den Bettlerranzen am Buckel, Stand vor der Göttin ein Greis! Der wankte, wie sie ihn gewiesen, Am Stabe humpelnd, zum Hose Des Schweinehirten empor. Eumaios Vor dem Gehöft« am Hügel Saß er im Sonnenscheine, Der Herrscher über den Herden, Eumaios im Stoppelbart, Der gleich einem König im Kreise Der grunzenden Borstentiere Den Unterhirten gebot. Jetzt aber hockte er einsam Über der Schwelle der Hütte Und schnitt sich aus rohem Leder Derbe Sohlen zum Wandern Aus steinigem Wege zurecht, Während vier seiner Rüden Grimmig funkelnden Augeö Am Zaun des Gehöftes sich reckten In zottigem Fell. Denn zum Weiden getrieben Hatten die Knechte die Herde Droben im Eichenwald. Da singen sachte am Gatter

Die Hunde zu ftmmtt an, Und plötzlich schaffen sie pfeilschnell Zur offenen Pforte hinaus Und fielen mit wütendem Bellen Einen Bettelmann an: Der warf den Stab aus der Rechten, Daß er die Rüden nicht reize, Und setzte auf einem Steine Sich nieder am Wegesrand. Aber Eumaios schleuderte Hastig aus seinen Händen Das Leder, und heftig scheltend, Um sie vom Greise zu scheuchen, Sprang er den Hunden nach. „Fremder Vater, das fehlte In all meinem Unglück mir noch, Daß mir den wehrlosen Alten Die wütenden Rüden zerriffen Zu ewig währender Schmach! Komm nur, daß ich dich speise, Denn wahrlich, ein frommeres Werk ists, Leidenbelastete laben, Als täglich den Unverschämten, Die Zeus von der Erde vertilge, Den üppigen Freiern die fettesten Meiner Mastschweine senden, Wie ichs Unseliger muß!" So fühtte er in die Hütte Odysseus, den unerkannten, Seinen König hinein, Warf frische Zweige dem Wandrer, Dem müden, zum Sitze auf

Und deckte sie mit dem dichten Felle der wilden Geiß, Entfachte das Feuer am Herde Und briet zwei eben geschlachtete Zarte Ferkel am Spieße Dem Gast und sich selber zum Schmaus. „Nimm nun vorlieb, Geselle, Mit dem, was ein armer Hirte Dir zu bieten vermag! Ja, wäre mein lange verschollner, Mein alter Herr noch im Land, Da hätten wir keinen entlassen, Der elend nahte wie du, Ohne ihn reich zu bewirten, Und zum Abschied geworden Wär ihm Gastgeschenk! Aber nun zehren die Habe Des gütigsten unter den Fürsten Die unersättlichen Völler Mit ihren Feftschmäusen auf, Daß uns, den bekümmerten Knechten, Nichts zu verschenken mehr bleibt! O Troja, du tiefverhaßte, 0 du verfluchte Stadt, Die uns des lieben Herren, Des teuren Königs beraubt!" „Schlimm, fürwahr", sprach der Fremde Und starrte ins Feuer hinein, „Aber sage mir, Lieber, Was sind das für mächtige Leute, Die euch das Leben verleiden Mit ihrem Übermut?"

Da seufzte der Hüter der Herden. „Ein Herrscher war einst über allen, Doch seit uns der Edle entschwunden, Dünkt sich ein jeder der Gecken, Der Fürstensöhne im Lande, Der Krone würdig zu sein Und will seine Gattin zum Weibe, Daß er das Zepter des Königs Führe vor allem Volk! Längst ist des Helden Mutter Verschieden im Harm um den Sohn, Die Stadt hat sein Vater verlassen Im Grame, Laertes, der Greis, Und dem Knaben Telemachos, Dem nach dem Leben sie trachten, Sproßt ja kaum noch am Kinne Flüchtig der erste Flaum! Wer will ihnen wehren, den Frechen? Denn die schwankende Menge Folgt den Stärkeren stets, Den Guten gleichwie den Bösen, Dem eigenen Vorteil zulieb, Und eine Hoffnung nur lebt mir, Die letzte im Herzen noch: Verhaßt ist den Richtenden droben Alle Gewalttat fürwahr, Und um so furchtbarer werden Die Götter den Frevel bestrafen, Je länger den Greuel sie dulden Im Herrscherhaus! Denn selbst dem wildesten Räuber Schlägt das Gewissen, so heißt es,

Das Ärgste zu üben verwehrend, In der verhärteten Brust, Jene aber, die scheuen Weder Menschen noch Gott!" Mühsam schluckte am Mahle, Sein Herz bezwingend, Odysseus Und sann den Freiern Verderben, Finster in Schweigen gehüllt. Doch endlich erhob er, dem Hirten Den Mut in der Brust zu beleben, Wieder das Wort: „Warum denn, Gefährte, verzweifeln, Ehe das Unglück gewiß ist? Oft kehrten verschollen Gewähnte Unerwartet den Ihren Nach langen Jahren noch heim. Und weil ich gar viele Länder Im Elende kennen gelernt, Müßt ich vielleicht auch von jenem Dir zu verkünden, mein Freund, Euerm trefflichen König, Wenn du mit Namen ihn nennst!" „O schweige", murrte Eumaios, „Euch Landfahrer kenne ich wohl: Mit solchen Mären, da haben Unzählige deinesgleichen, Odysseus' Heimkehr verkündend, Um reicher beschenkt zu werden, Die trostlose Gattin getäuscht! Erzähle mir lieber, Geselle, Wie bist du ins Elend geraten? Denn bessere Tage, so mein ich,

Hast du vorzeiten gesehen, Wie mir dein Angesicht sagt, So sehr es auch Alter und Armut Und ewige Sorge ums Dasein Jetzt entstellt haben mag, Erkennt doch der kundige Landmann Leicht an der dorrenden Stoppel, Wie sie im Safte geblüht! Lang sind im Sommer die Tage, Und dem Berichte zu lauschen Vom Leide, das andre getroffen, Ist ja betrübten Leuten Im eigenen Schmerze ein Trost!" Da sann der Erfindungsreiche, Wie er, in Mären spiegelnd, Seiner Geschicke Wechsel, Ohne sich selbst zu verraten, Dem wackern Hirten enthülle, Und stützte das Haupt in die Hand. „Wirst dus dem Bettler wohl glauben, Der hier das Brot mit dir bricht? Ein Königesohn bin ich aus Kreta Von einem Nebenweibe Des mächtigen Idomeneus, Aber dem Vater der Liebste Unter all seinen Kindern, Freilich den neidischen Brüdern Aus echter Ehe verhaßt. Freudig zog ich als Jüngling, Wie uns der Vater geboten, Zum Kriege nach Ilion, Und unter den Heldenscharen

Traf ich alsbald auch Odyffeus, Den du so sehr betrauerst, Den König der Ithaker, an. O, ich denke ihn heut noch, Wie er mit wehendem Roßbusch, Die Scharen der Seinen erregend, Voranschritt im Sturme der Schlacht, Denn oftmals haben wir beide Seite an Seite gekämpft! Aber als wir vom Kriege Endlich heimgekehrt waren Und mein Vater gestorben, Vom hohen Alter erschöpft, Schlossen die feindlichen Brüder Mich von der Herrschaft aus. Da zog ich, wenig bekümmert, Auf Abenteuer zu Schiff, Denn nicht auf den Schätzen zu fitzen Und feilschend die Güter zu mehren, Trieb mich der Geist in der Brust, Sondern mit Segel und Ruder Das weite Meer zu befahren Und im Schlachtengetöse, Im Schwirren der Pfeile und Speere, Mutig die Kräfte zu messen Mann wider Mann — Freilich greuliche Dinge Für ein erschlafftes Geschlecht! So war ich einst in Ägypten Am heiligen Strome gelandet, Stellte, die Schiffe zu hüten, Wachen am Strande aus,

Und die Gefährten ermahnend, Sich aller Gewalt zu enthalten, Bevor wir die Feinde erkundet, Beschlichen wir heimlich im Dunkel Thebe, die schlummernde Stadt. Aber die Toren fielen, Meine Befehle mißachtend, Über die Schlafenden her, Die Männer mordend, die Weiber Inö Lager am Strande schleppend Zur schändlichen Lust! Und am anderen Morgen Starrte, von Waffen blitzend, Das lichterfüllte Gefild, Und gräßlich hallten die Lüfte, Gleichwie im Sturme ergellend, Vom Rachegeschrei. Da sandle Zeus den erzitternden Freunden die schmähliche Flucht, Doch keiner entrann dem Tode, Rings von den Feinden umstellt, Und mich nur verschonte der Herrscher, Da ich, die Unschuld beteuernd, Zu Füßen ihm fiel. So lebte ich neun lange Jahre Ferne dem Vaterland, Nach Kräften in all seinen Kriegen Dem fremden Könige dienend, Biö er im zehnten endlich Sich auf mein Bitten erbarmte Und mich zur Heimat entließ. Schon sah ich nach Wochen der Reise

Bei günstig wehendem Wind Die Kreidefelsen von Kreta Steil aus den Fluten steigen, Da sandte der finstre Poseidon, Die Wogen erregend, uns Sturm, Und vom Blitze Kronions Aus dunklem Gewölke getroffen, Zerschellte zu Trümmern das Schiff. An einen Balken geklammert, Trieb ich Tage um Tage, Den Tod des Ertrinkens erwartend, Im fischedurchwimmelten Meer, Bis endlich thesprotische Männer, Vom Steven des Schiffes spähend, Mich in den Wogen gewahrten Und aus dem Wasser mich zogen An den rettenden Bord. Und dort, bei dem König des Landes Glaub es, Ungläubiger, mir — Hörte ich von Odysseus, Der erst vor wenigen Wochen Als Gastfreund bei ihnen geweilt, Und sah mit eigenen Augen Die Schätze, die er dem Herrscher Zu treuen Handen gelassen, Da er zum Heiligtume Des Donnerers in Dodona Im Schiffe gefahren war, Das Dankopfer für die Heimkehr Dem Gotte zu bringen bedacht. Aber ihn selber zu grüßen, Vergönnte das Schicksal mir nicht.

Denn der Thesprotenherrscher Hatte das Schiff schon gerüstet, Um mich nach Kreta zu schaffen, Zum Vaterland. So stieg ich, mit schönen Geschenken Vom liebreichen Wirte entlasten, Frohen Herzens an Bord. Da hatte der Anblick der Schatze Die Gier in den Herzen der rohen Ruderknechte erregt, Und als ich, am Hinterdeck ruhend, In Schlummer gesunken war, Stürzten sie brüllend im Haufen Uber den Wehrlosen her: Hände und Füße mir fesselnd, Riffen ste mir die Gewänder Vom Leibe und hüllten höhnend In diese Lumpen mich ein, Um mich als Knecht zu verkaufen, Sobald sich Gelegenheit bot. Nun lag ich im Hohlraum des Schiffes Gefesselt, in hilflosem Grimm, Aber die Schurken zerbrachen Alle Bande der Scheu Und fuhren als Küstenräuber, Die Inseln plündernd, umher, Bis sie gestern, dem Sturme Auf offenem Meere entweichend, Den Hafen hier aufgesucht, Und als die dunkle Nacht kam, Hatten sich die Vertierten Toll und trunken gezecht!

Da zerrte ich mit den Zähnen Die Fesseln von Händen und Füßen Mir heimlich los, Ließ mich vom Borde gleiten, Schwamm lautlos rudernd zum Strande, Und nun hast du mich hier!" „O Götter", staunte Eumaios, „Wie haft du mit deinem Berichte, Gastfreund, das Herz mir gerührt! Denn bei all deinen Leiden Gedachte ich stets des geliebten, Des unvergeßlichen Herrschers, Der auch wohl einsam im Elend Die Lande durchirrt und traurig, Von Türe zu Türe schleichend, Sein Brot sich erbettelt wie du! Doch was du von des Odysseus Heimkehr gefabelt, das, Alter, Glaub ich dir nimmermehr!" Da reckte der Bettler die Rechte, „So wahr mir mein Leben lieb ist, Schwöre ichs dir: Ehe ein Mond noch vergangen, Wirst du als rächenden Richter Odysseus im Hause sehn! Doch du willst es nicht hören, Schweigen wir also davon, Und erzähle auch du nun, Daß ich dich besser erkenne, Von deinen Geschicken mir etwas, Wie ich es getan!" Da seufzte der wackere Hirte:

„Verschwiegen hab ichs bis heute, Doch wunderbar wahrlich ward mir, Da du zum Tore hereinkamst, Bei deinem Anblick die Seele Zutiefst im Busen bewegt. Als wäre ein alter Freund mir Aus ferner Fremde genaht, Und da du zu reden anhobst, Mahnten mich Weise und Laute, Als hätt ich dir oft schon gelauscht! Und so hast du die Lust mir, Von lange vergangenen Dingen Dir zu erzählen, geweckt. Doch wer meine Eltern gewesen Und woher ich gekommen, Wie soll ich es wahrhaft dir sagen, Ists doch auch mir wie ein Traum? Ich weiß nur, als Kindlein hab ich In hohen Gemächern gespielt Und in seidenem Bette geschlafen, Mit weichem Pfühle gedeckt! Vor meinem Vater beugten Alle in Ehrfurcht das Knie, Und die Leute im Hause Hießen mich KönigSsohn! Da lockte mich einst die Alte, Die mich wusch und mich pflegte, Frühmorgens zum Hafen hinab, Nachdem sie unter dem Mantel, Was sie an kostbaren Kleinoden Raffen konnte, versteckt. Dort sprach sie geschwind mit den Schiffern

In unverständlichen Lauten, Trug mich zum Segler hinein, Vom Strande stießen sie schleunig, Und den Lautaufschreienden Schlugen sie, bis sie die Stimme Mir in der Kehle erstickt. Da hatt ich zum letztenmale Das Land meiner Väter gesehn! Ferne an Libyens Küste Verkauften die Seeräuber mich, Und so ward ich als Sklave, Schimpf und Schläge erleidend, Wie es den Unfreien geht, Von Lande zu Lande verhandelt, Bis Laertes, der Alte, Den Jüngling von fünfzehn Jahren Auf Ithakas Eiland erwarb. Da hatte sich freilich das Schicksal Meiner erbarmt, Denn als der Bart mir gewachsen, Setzte mich über die Herden Der erdaufwühlenden Schweine Odysseus zum Hüter ein, Und wie einen jüngeren Bruder Hielt er mich, seinen Knecht! Drum gäbe ich beide Augen, Ohne zu zögern, hin, Kehrte der liebe Herr mir Endlich zur Heimat zurück!" Da nickte, zu Boden blickend, Der greise Bettler und sprach: „So hat denn das Schicksal uns beide

Gleichermaßen im Leben Mil harten Händen gezaust! Doch hat es dir auch zum Entgelte, Wie du ja selber sagst, Den gütigen Herren gegeben, Und daß er in Bälde heimkehrt, Euch eure Leiden zu büßen, Lieber, ich weiß es gewiß!" So redeten sie miteinander, Zeit und Stunde vergessend, Bis von den Gipfeln der Berge Die Sonne schwand. Da tönte das Trappen der Herde, Gegrunz und Gequiek und das Bellen Der hurtigen Hunde vom Wald: Ins Hoftor trieben die Knechte Die wimmelnden Scharen der Schweine, Und in die Koben drängten, Zum wärmenden Lager verlangend, Die Borstentiere hinein. Aber die Hirten traten, Froh des vollendeten Tagwerks, In die Hütte zum Mahl. Da saß Odysseus, der Dulder, Unter den eigenen Knechten, Als Bettler mit ihnen schmausend Und mancherlei fragend und forschend, Bis der Kienspan erlosch Und aus der Laubstreu sich alle Zum Schlummer niedergelegt. Nur der getreue Eumaioö Langte den wollenen Mantel,

Den rauhen, vom Nagel herab, Hängte das Schwert um die Schulter, Griff nach dem scharfen Speer, Dem Schrecken des Wolfs und des Räubers, Und während, im Stalle geborgen, Die Säue mit ihren Ferkeln Und die Mastschweine schnarchten, Schritt er zur Hütte hinaus, Draußen im Felde die Eber, Die hauerbewehrten, zu hüten In dunkler Nacht. Dort hockte er unter dem Felshang, Vorm kalten Winde geschützt, Die Herde des Herren bewachend, Ohne die Augen zu schließen, Bis droben über den Gipfeln Am helleren Saume des Himmels Die Morgenröte erglomm. Die Landung Indessen rauschte von Süden, Dem Hinterhalte entgangen, Der Segler des Sohnes heran, Und Telemachos lenkte Das Schiff in die einsame Bucht. Den Helm und die Lanze ergriff er Und ries eö, vom Borde steigend, Den Freunden zu: „Ich geh/ nach dem Meinen zu sehen, Zum Hüter der Schweineherden, Dem wackem Cumaios hinauf! Ihr andern segelt inzwischen

Zum Hafen der Stadt hinein Und tragt mir die Ehrengeschenke In Mentors, des trefflichen, Haus, Dich aber, flüchtender Fremdling, Vertrau ich dem tapfern Peiraios, Dem ältesten meiner Gefährten, Zum Schutze in Ithaka an, Da ich im eigenen Hause Den Gast vor der Unbill der Freier, Wie sichs gebührte, zu schirmen Leider ohnmächtig bin! O daß doch Zeus sie im Zorne Mit zündendem Blitze vertilgte, Eh ihr den Hafen erreicht!" Und siehe, kaum hat erö gerufen, Da saust ihm zur Rechten ein Habicht, Die kreischende Krähe in Krallen, Hoch überm Walde hin, Und jauchzend reckt sich im Segler, Zum Himmel weisend, der Seher Theoklymenos auf. „Heil dir, Jüngling, es hat dich Uber den Wolken droben Der Waller der Wellen gehört: Der mächtige Herrscher der Lüfte, Der stolze Habicht zerreißt Die häßliche Krähe zu Fetzen In seinem gewaltigen Fang — Kein König des Eilandes, künd ich, Wird jemals in Ithaka fein Als aus Arkeisios' Samen, Als aus euerm Geschlechte

Immerdar wie bisher!" Da sah der Jüngling zum Gastfreund Erglänzenden Auges empor. „Möge der Geist dich nicht trügen, Der solches zu deuten dir gibt!" Und rüstigen Schrittes stieg er Den steilen Felspfad hinan, Den gestern sein Vater gegangen Als Bettler, in Lumpen gehüllt. Vater und Sohn Droben am Berg in der Hütte Bereitete grade Eumaios Das Frühmahl am Herd mit dem Bettler, Mit seinem Gaste allein, Denn zu Felde getrieben Hatten die Hirten das Vieh. Da hörte Odysseus hurtige Schritte vom Tale her, Und aus der Türe spähend, Sah er: es rannten die Rüden Mit freudigem Wedeln der Schwänze Einem Behelmten entgegen Weithin zum Tore hinaus. „Gefährte, schau aus", ries der Bettler, „Ein gut im Hause Bekannter Will dich, scheint mir, besuchen, Denn die wachsamen Hunde, Sie verbellen ihn nicht, Sondern in Freudensprüngen Schmeicheln sie ihm um die Wette Und hüpfen an ihm hinan!"

Da trat auf die Schwelle der Hütte, Den er als Knäblein in Windeln Zum letztenmal auf dem Arme Getragen, fein lieber Sohn! Und Eumaios, er stürzte Lautaufschluchzend hinzu, Griff nach der Rechten des Jünglings, Küßte ihm Hände und Antlitz, Und unter Lachen und Weinen Rief der getreue Hirt: „Telemachos, teuerstes Kindchen, So wie die liebe Sonne Nach trüben Tagen in Wolken Erfüllt mich mit Wonne dein Anblick, Du meiner Augen Licht! Gepriesen seien die Götter, Die dich den hinterlistig Lauernden Feinden entfühtten Und glücklich dich heimgebracht!" Vom Sitz war indessen der Bettler Hastig beiseite gewichen, Den Platz dem Jüngling zu räumen, Und startte ihm bohrenden Blickes Ins Angesicht. Aber Telemachos drückte Ihn mit der Hand auf der Schulter Sachte und freundlich zurück. „Bleibe nur, Alter, am Herde Geruhig so wie zuvor: Den Greis vom Sitz zu verdrängen, Schande wär es mir wahrlich, Dem jüngeren Mann!

Vater Eumaios, sage, Woher ist der Gast dir gekommen, Den ich noch niemals gesehn?" „Ein ehrlicher Alter ist es", Rief eifrig der wackre Hirt, „Unsägliches, Söhnchen, hat er An Leiden im Leben erlitten Und auch wie dein herrlicher Vater Vor Trojas Toren gelegen Im männermordenden Kampf!" „Trauriges Los", sprach der Jüngling, „Wie dauert der Arme mich! So will ich für seine Blöße Beffre Gewänder ihm senden, Und wohl sein soll er fichö lassen Bei dir, solang's ihm gefällt. Denn bei den Freiern drunten, Den frechen, um Gaben zu stehen, Dazu rat ich ihm nicht. Du aber eile zur Mutter Sofort hinab in die Stadt, Daß um den Sohn ihr nicht bang sei, Wenn sie es etwa erfragt hat, Ich sei zum Festland gefahren In des Noemon Schiff!" „Gewiß, mein Söhnchen, das will ich!" Rief geschäftig der Hirte, Band sich schleunig die Sohlen Unter die Füße zum Wandem, Und schon schritt er am Stabe Feme seinem Gehöft, Während Telemachos seufzend

Am Herde sich niedersetzte, Das Haupt in die Hände gestützt. Aber kaum war der Hirte Im Morgennebel verschwunden, Da fingen plötzlich die Hunde Kläglich zu winseln an, Verkrochen sich zittemden Leibes Hinter den Zaun ins Versteck, Gleich als spürten sie witternd Ein Ungeheueres nahn — Und als Odysseus aufsah, Ragte, vom schrecklichen Glanze Des ewigen Äthers umschimmert, Athene, die Göttin, im Tor, Winkte ihm mit dem Haupte, Und wie vom Winde getragen, Wehte ihr Wort ihm ans Ohr: „Enthülle dich nun dem Sohne, Ihm allein, keinem andern, Daß ihr der Freier Verderben, Gemeinsam beratend, erwägt!" Und schwand, wie der Lichtstrahl, zum Himmel Entzückend, der Erde erlischt. Und als Telemachos endlich, Aus seinem Sinnen erwachend, Vom Herde sich wandte, da stand Statt des armseligen Greises Vor ihm im schimmernden Mantel Hoheitstrahlend ein Held! Geblendeten Blickes starrte Erbleichend der Jüngling ihn an Und warf sich jählings, die Augen

Mil beiden Händen verhüllend, Vor ihm zu Boden hin. „Schrecklicher, wer von den Himmlischen Immer du bist, Der, die Gestalten wandelnd, Die Hütte als Bettler betreten, Sei uns gnädig, o Gott!" Da zog Odysseus den Bangen Vom Boden an feine Brust. „Kein Himmelsbewohner ist es, Telemachos, der vor dir steht: Dein Vater bin ich, mein Knabe, Der nach endlosem Irren, Nach zwanzig Jahren im Leide Zurück zu den Lieben kehrt!" Aber Telemachos sträubte Sich angstvoll in seinem Arm. „Nimmermehr bist du Odysseus, Ein Dämon bist du, der tückisch Mich Unerfahrenen trügt!" Doch mit den nervigen Händen Hielt ihn der Vater fest. „Ich bin es, Odysseus, dein Vater, Der dich auf den Knien gewiegt! Nicht meine Kraft ist es, Knabe, Die Leib mir und Angesicht wandelt, Sondern das Werk ists der Hehren, Der himmlischen Freundin Athene, Die unser Haus beschirmt!" Da sank Telemachos weinend Seinem Vater ans Herz... Schon war der Morgen geschwunden,

Und die Sonne des Mittags Glühte vom Himmel herab, Da hatten sie endlich, vom Elend Der langen Jahre berichtend, Die Herzen einander erleichtert, Und nun rieten sie eifrig In ergrimmendem Geiste Gemeinsam der Freier Verderben, Aber Odyffeuö beschloß, Der Hilfe Athenes vertrauend, Als Bettler unter den Freiern Unerkannt selbst zu erkunden, Wie es im Haufe stand, Und zum Kampf der Entscheidung, Dem schrecklichen, sich zu rüsten Wider die Übermacht. Die Verfolger Am Hafen hartten die Freier In aller Frühe schon Auf der Gefährten Rückkehr, Die dem Jüngling das Leben Im Hinterhalt rauben gewollt. Da brauste mit vollen Segeln Ein stolzes Fahrzeug zum Strand, Doch als es näher gekommen, Sahn sie, ein andres war es Als das ersehnte Schiff, Und mit den Zähnen knirschte Zornig Eurymachos. „Kennt ihr den Bug und die Borde, Rahen und Ruder und Deck?

Der Segler ifts des Noemon! Verflucht! dem Tode entgangen Ist der trotzige Bursch: Nun müssen wir schleunig zum Sunde Botschaft den Freunden senden, Daß sie umsonst auf ihn lauern, Da er schon heimgekehrt ist!" Aber der Sohn des Nisos — Vom weizenreichen Dulichion War er zum Freien gekommen — Der sanfte Amphinomos schüttelte Sachte den Kops. „Die Botschaft können wir sparen, Denn sie wissen eö schon!" Und mit der Rechten wies er Zum Saume des Himmels hin: Dort rollte schwankend das Raubschiff Im Schaume der Wogen heran, Antinoos vorne am Steven, Der sprang, eh sie vollends gelandet, Mächtigen Satzes vom Bord, Und zu heimlicher Rede Rief er die Freunde herbei. „Genarrt hat er uns, an der Nase, Der Milchbari, geführt! Heut in der Frühe ersahen Vom Gipfel des Vorgebirges Unsre Späher sein Schiff, Wie es im heftigen Winde Den Spitzen Inseln vorüber Stracks nach Ithaka lief, Und vergebens setzten wir

Eilig dem Fliehenden nach. Doch warte nur, Hähnchen, dir rupf ich, Eh dir zu üppig der Kamm schwillt, Die Federn alle noch aus: Denn fallen muß er, bevor er Das Volk uns völlig verhetzt, Murren sie ja und maulen Am Markt schon seit manchem Jahr, Mit ganz unleidlichen Lasten Würden von uns sie beschwert! Aber das laßt uns morgen Reiflich im Rat überlegen, Und heute laßt uns wie immer, All ihr Gehaben verachtend, Odysseus zu Gaste gehn!" So zogen sie lachend und lärmend Im Schwarme hinauf zum Palast. Doch kaum hatten die Hände Zum leckern Mahl sie erhoben, Da eilte Penelopeia Stürmischen Schritts in den Saal, Denn ihr hatten der Hirte Und Medon, der mutige Herold, Die Heimkehr des Sohnes gekündet, Und Phemios hatte, der Sänger, Unter die Freier sich mischend, Am Strand ihre Reden erlauscht Und der Mutter den Mordplan Gemeldet in Hast. An allen Gliedern erzitternd, Schlug sie den Schleier heftig Vom Angesichte zurück.

„Du also bist der Verruchte, AntinooS, du! Der tückisch den Sohn des Odysseus Zu töten begehrt! Denkst du es, Schamloser, nimmer, Wie oft du als Kindlein kosend Aus seinen Knien gehockt Und bettelnd die kleinen Hände Um Leckerbissen erhoben, Die er dir, liebevoll lächelnd, Ins lüsterne Mäulchen schob? Und nun sinnst du zum Dank ihm Den scheußlichen Mord an dem Sohn!" Dunkelroten Gesichtes Sah der Gescholtene auf, Dem bittern Wott zu erwidern Mit wachsendem Grimm, Aber Eurymachos hielt ihn Beschwichtend am Arme zurück. „Teuerste Fürstin", ries er, „Schändlich verleumdet hat jemand Unseren Freund fürwahr! Traue den Reden der Horcher, Erhabene Herrin, nie, Die Zwietracht zu zeugen nur streben, Denn Lauscher und Lügner ist eins! Und wisse, so lange ich lebe, Wird niemand auf Ithaka wagen, Deinem TelemachoS je Ein Haar auf dem Haupt zu versehren, Der unter all meinen Freunden Bei weitem der liebste mir ist!"

So sprach er, und in dem Herzen, Dem schwarzen, erwog er dabei, Ihn rasch aus dem Wege zu räumm, Um die Mutter zu srein ... Indessen eilte Eumaios, Nachdem er die Botschaft vollbracht, Zurück zu dm Schweinen am Berge Und tras in der Hütte am Herde, So wie er beide verlassen, Telemachos und dm Bettler, Den Greis im Lumpmgewand.

Unter den Freiern Zur Stadt Vom Lager beim Schweinehirten Sprang, als der Morgen ergraute, Telemachos auf, Weckte die Schlafgenossen, Den Gast und den wackem Eumaios, Und sprach, zu beiden gewandt: „Höret, was ich euch sage, Ich habe mich anders bedacht: Aus meinem Eignen die Vettler Alle im Land zu erhalten, Vermag auf die Dauer ich nicht, Drum rat ich dir, Alter, lieber Heute noch weiterzugehn Und dir in der Stadt, wo dichter Die Menschen beisammen wohnen, Für deines Leibes Notdurft Reichere Gaben zu flehn!" Da nickte der Bettler bedächtig. „Wer wollte den Rat dir verargen?

Verständig hast du geredet, So wie ein Hausvater muß! Auch scheu ich die Scharen der Freier, Der trotzigen, keineswegs, Denn was sollte der sürchten, Der nichts zu verlieren hat?" „Wohl denn, ehrlicher Alter", Sprach zum Vater der Sohn, „Doch warte noch eine Weile, Bis die Sonne den frostigen Nebel der Frühe vertreibt, Der dem dürftig gewandeten Greis« zu schaden vermöchte, Daß dich alsdann Eumaios, Wenn sich die Lüfte erwärmen, Stützend geleite zur Stadt! Ich aber eile zur Mutter, Daß sie mit eigenen Augen Heil im Hause mich sieht, Denn eher schweigt ihr im Herzen Die Sorge nicht um den Sohn!" Sprachs und schritt aus der Hütte. Und als die steigende Sonne Mit siegreichen Strahlen den nächtigen Nebel zerstreut und die Gipfel Im Glanze ringsum enthüllt, Folgte ihm auf dem Wege Der wackre Hüter der Herden Mit seinem humpelnden Gaste, Dem Bettler am Stecken, nach. So legten sie, langsam wandernd, Die steile Strecke zurück,

Bis sie am Fuß des Gebirges Zum Heiligen Haine gelangten Nahe den Toren der Stadt, Wo sich die Wege kreuzten Im Küstenland. Dort rauschte im Schatten der Pappeln Reinen Gewässers die Quelle, Vom Ahnherrn der Arkeisiaden In unvordenklichen Zeilen Sorgsam in sauber geglättete Marmorsteine gefaßt Und den behütenden Geistern, Den lieblich gelockten Dryaden, Frommen Dankes geweiht. Da hörten sie helles Gemecker Hinter sich hallen und sahn: In dichter Wolke des Staubes, Von zahllosen Husen gewirbelt, Zog eine Ziegenherde Vom Berge zu ihnen herab, Und vor ihnen stapfte am Stabe Melantheus, der schwärzliche Hirt, Und schielte aus stechenden Augen Die Wanderer an. „Wahrlich", so rief er höhnisch, „Das alte Sprichwort hat recht: Immer gesellt sich der Gleiche Dem Gleichen gern! Schaut nur die beiden drüben: Ein Taugenichts führt den andern Liebreich zur Lumperei! Wo hast du den aufgegabelt,

Eumaios, du trauriger Wicht, Den Bettler mit gierigem Bauche, Den Strolch im Lumpengewand? Der will wohl beim Gastmahl der Freier Die Schultern am Pfosten reiben, Statt daß er im Schweiße der Arbeit Ehrlich sein Brot sich verdient! 0 ich wollte dich ziehen, Bekäme ich dich in die Hände, Du fauler, gefräßiger Hund!" Und blitzschnell die Ferse erhebend, Stieß er sie in die Weiche Dem Bettler aus aller Kraft — Vergebens! Odysseus wankte Und wich dem wuchtigen Stoße Keinen Fußbreit vom Weg. Nur seine Rechte zuckte, Den rächenden Stab zu schwingen Und ihm das Haupt zu zerschmettern Mit mächtigem Streich. Doch entschlossen, zu dulden, Bis ihm die Rache reife, Zwang er die zitternde Faust. Aber der biedre Eumaios Hob erbittert die Hände Zum heiligen Haine empor. „O ihr, im Dunkel des Waldes, Töchter des donnernden Zeus, Wolltet ihr doch euerm Vater Flehend das Herz bewegen, Daß er Odysseus die Heimkehr, Dem rechten Herren, gewährt!

Wie würde der Feigling sich ducken, Der jetzt in frevelm Vermessen Den Greis zu mißhandeln wagt, Der Trunkenbold, der an der Tafel Unsrer Bedränger schwelgt, Der Nichtsnutz, der Herdenverderber, Der treulose Hirt!" „Warte, du grober Lümmel!" Geiferte grimmig Melantheus, „Den Trunkenbold tränk ich dir ein, Wenn ichs den Freiern berichte, Wie du die Edlen schmähst!" Und während die andern am Wege Ihn vorbeiziehen ließen, Zog, mit den Fäusten fuchtelnd Und serneher immer noch scheltend, Der Hirt mit der Ziegenherde Zum Hos des Palastes hin, Trieb in die Ställe die Tiere, Trat in die Halle und setzte Sich an die Tafel zum Schmause Eurymachos gegenüber, Der den schwarzen Verräter Gerne zur Seite sich hielt. Doch als in die Schüssel er langte, Sah er zusammenfahrend Mitten im Kreise der Zecher Beim Mahle Telemachoö sitzen, Den, wie er wähnte, die Mörder Längst im Sunde ereilt, Und neben ihm einen andern, Den er nicht kannte, dm Flüchtling,

Den Peiraios zum Hause Des Odysseus geführt. Argos Nunmehr nahten auch jene, Die mit Melantheus gestritten. Da schallte aus dem Palaste, Lieblich die Lüste erfüllend, Der Harfe Getön und Gesang, Und der Bettler blieb stehen Und starrte reglos und stumm, Ohne die Augen zu wenden, Zum schimmernden Schlosse empor. „Du staunst", sprach Eumaioö, „wie billig! Das hohe Haus des Odysseus Ist es, das du hier stehst: Eine gewaltige Feste, Dem Sturme der Feinde zu trotzen, Mit hohen Mauern und Zinnen Von Ahnen und Enkeln gefügt. Doch, Alter, nun ziemt uns nicht länger, Die Zeit zu vertrödeln vorm Tor!" „Wohl", sprach der andre und nickte, „Geh nur hinein zu den Freiern, Und ich folge dir nach, Um bei den Stolzen zu betteln Ums liebe Brot! Freilich bedünkt es mich sauer, Denn auch ich habe früher Bei solchen üppigen Festen Im Ehrensitze gethront! Doch wer vermag das Verlangen

Des hungrigen Magens zu zähmen, Dm die Götter als Zwingherrn Den elenden Mmschen gesetzt?" So spricht er im Bettlergewande, Und niemand naht, ihn zu grüßen, Des Hauses Herrn. Da hört er es sachte winseln, Und neben dem Tore erblickt er, Uber dem Miste gestreckt, Von Ungeziefer zerfreffen, Einen uralten Hund: Der will seinen Kopf erhebm, Da er den Fremden gewahrt, Und seinen lieben Herren Im Bettlergewande witternd, Wedelt er leis mit dem Schwanz, Aber zu schwach von Kräften, Senkt er betrübt die Behänge Und sinkt zurück auf den Mist. Die Träne wischt aus dem Auge Sich heimlich Odysseus und spricht: „Wie kommt es doch, sag mir, Eumaios, Daß jener Hund auf dem Unrat, Von edler Gestalt noch im Alter, Also verwahrlost liegt?" „Ach du armseliger Argos", Seufzt der getreue Hirt, „Wie bist du doch kaum noch zu kennen! Das war einst der vornehmste Spürhund Unter der Meute des Fürsten, Voll Eifer und feurigem Mut! Aber so gehts, wenn der Herr fehlt,

Und die Seinen die Sorge Um den Verschollnen verzehrt, Während der Schwarm der Bedränger Die Ordnung im Hause zerstört, Denn da versäumen die Mägde, Die faulen, im Stalle das Vieh, Und aus die trägen Knechte Ist grad so wenig Verlaß, Weil mit der heiligen Freiheit Der Mensch sogleich auch die Hälfte Seiner Tugend verliert!" Und in die Halle schritt er Dem Bettler voraus. Aber Argos, nachdem er Noch einmal den Herren erblickt, Streckte erzitternd die Glieder: Die schwarze Wolke des Todes Umhüllte ihn, und er verschied. Da folgte schweigend Odysseus Seinem Gefähtten ins Haus. Um milde Gaben Dott hatte der Sänger die Harfe Beiseite zur Säule gestellt, Und als den Bettler Telemachos Langsam hereinhumpeln sah, Wintte er gleich Cumaios, Daß er dem Greise die Schüssel Voll von Brot und Gebratnem Zur Türe hinübertrüg. Da saß auf der Schwelle Odysseus, Sein Mahl verzehrend, und sann,

Die Scharen der Männer musternd, Wie er danach am besten Der Freier Gesinnung erforsche, Ob unter ihnen etwa Irgendein Redlicher sei, Den er verschonen möchte, Und wer am ärgsten die andem Stachle zu frevlem Tun. So stand er, nachdem er gegessen, Vom Steine der Schwelle auf Und schlich von Tische zu Tische, Den Ranzen in seiner Linken, Die Rechte bittend gestreckt. Da gaben sie unterschiedlich, Der wenig, der andere mehr, Und alle fragten verwundett, Wer denn der Bettler wäre, Den sie zum erstenmal sahn. „Ich bins, ich fühtte den Fremden", Rief Eumaios hinüber, Der neben Telemachos saß, „Mein Lagergenosse war er, Der arme entkräftete Alte, Die letzte Nacht!" Da fuhr der stolze Antinoos Heftig scheltend vom Stuhl. „Was fällt dir ei», du verfluchter Tagedieb droben am Berg? Fehlt es hier etwa an Gästen? Liegt dir am Gut deines Herren So wenig, du Lumpenkerl, Daß du den lästigen Burschen

Auch noch zum Schmause schleppst?" „Nicht ich habe ihn mir geladen", Entgegnet« ruhig der Hirt, „Sondern es haben den Armen Die Götter ins Haus mir gesandt, Die zu verletzen, Unbändiger, Fromme Leute sich scheu»!" Aber Telemachos lachte Ingrimmig auf. „Laß nur Antinoos schelten, Er meinte ja so gut: Wie ein Vater, so ist er Um mein Vermögen besorgt! Doch scheut euch darum nicht, ihr Freier, Aus der Fülle des Meinen Dem elenden Greise zu geben, Westen er immer bedarf, Denn es ist nicht verschwendet, Was um der Götter willen Einer den Armen schenkt!" Da humpelte heischend der Bettler Weiter von Tische zu Tisch, Und zum andernmal trat er, Um ganz sein Herz zu ergründen, Vor Antinoos hin. „Lieber, gib du auch ein wenig Dem bedürftigen Manne, Daß ich dein Lob verkünden Unter dem Volke kann! Du prangst nun in blühender Jugend Und in der Fülle der Macht, Aber frohere Tage

Habe auch ich einst erlebt, Bevor mich als Kriegsgefangnen Die Feinde nach Kypros führten Und nach Ägypten verkauft!" „Du Schwätzer in grauen Haaren!" Rief Antinoos drohend, „Ein Ägypten und Kypros Geb ich dir, Lügenbeutel, Daß du meiner in Schmerzen Lang noch gedenken sollst, Wenn du nicht augenblicklich, Du Schandkerl, vom Tische mir weichst!" Vom Boden schwang er den Schemel Über das Haupt empor, Und langsam trat von der Tafel Odysseus zurück. „Herrlich an Haupt und an Gliedem Bist du gebildet fürwahr, Aber wie unähnlich ist doch, O Götter, dem Äußem dein Herz!" Da sauste der Schemel und krachte Dem Bettelmann an die Schulter Dicht unterm Halse hin, Doch unerschütterlich stand er Gleich einem Fels in der Brandung Und wiegte nur sachte das Haupt, Dem Frechen Verderben sinnend, Und Telemachos biß sich, In Wut erbebend, die Lippe, Aber er schwieg.

Im Frauevgemache Da hatte vom Söller droben Penelopeia erlauscht, Wie jener den Bettler geworfen, Und ries erbleichend vor Zorn: „Feind bin ich jedem der Freier, Doch unter allen am ärgsten, So wie die Schande selber Haß ich Antinoos! Hat er an Freveltaten Noch nicht genug gefügt, Daß er, Odysseus' Gedenken Im Hause des Herrlichen schändend, Uns Gäste zu Krüppeln schlägt? Rust mir sosott Eumaios, Dm Hüter der Schweine, hierher, Daß er von jenem mir sage, Dem jammerwürdigen Greis!" Da keuchte alsbald der Hitte Die Stiege empor und rief: „O hätt ich doch nimmer vom Berge Dm Bettler zur Stadt geleitet, Wie mich Telemachos hieß, Er säße mir ruhig am Herde, Traulich das Mahl mir teilend, Und niemand tät ihm ein Leid! Herrin, in all meinem Lebm Hab ich an sinnreichen Redm Keinen erfunden wie ihn: Wie kürzt« er mir die Stunden, Von seinen Leiden berichtend, Die ihm, dem Königssohne,

Ein schlimmes Geschick beschert! Seite an Seite hat er Mit unserm lenem König Vor Trojas Toren gekämpft Und, wie er sagt, erst neulich Bei dem Thesprotenherrscher Von Odysseus vernommen, Er sei dort im Lande gewesm Und nach Ithaka kehre Er in Bälde zurück!" „Geschwind!" rief Penelopeia, „Hole ihn mir herauf, Daß ich mit «igmen Ohren Es höre, was er vom Gatten, Von meinem Odysseus mir weiß!" Aber ohne den Fremden Kam der getreue Eumaios Nach einer Weile zurück. „Herrin, er läßt Euch sagen, Geme besuchte er Euch, Doch erst, wenn die leidigm Gäste Das Haus geräumt bei der Nacht, Daß sie nicht Argwohn schöpfm Und von neuem ihn schlagm, Und Ihr von seinem Besuche Nichts als Ungemach habt!" Da nickte Penelopeia. „Verständigen Sinnes ist er, Dein armer Freund: So hätte Odysseus selber Es weisen Geistes bedacht! Drum meine ich, Lügmmärm

Tischt mir ein solcher nicht auf! Doch nun rührt euch, ihr Mädchen, Und richtet mir daö Gewand: Denn in den Saal will ich gehen Und Telemachoö strafen, Weil es unleidlich mir ist, Daß er den Gast zu schlagen In unserm Hause erlaubt!" Da hallte lautes Gelächter Unten vom Hofe her, Und neugierig stoben die Mägde Alle im Schwarme zur Tür. Der Faustkampf Ameios, „Hammelverzehrer", Hieß ein Bettler der Stadt, Groß und breit in den Schultern, Feisten Leibes, gefräßig Und über die Maßen faul, Aber Iros, so riefen Spöttisch die Freier ihn, Weil fie als Boten ihn brauchten, Denn zu anderer Arbeit Taugte der Träge nicht. Dieser nun war in die Halle, Um Gaben zu heischen, getreten, Und als er den Greis in Lumpen, Am Boden hockend, erblickte, Fuhr er ihn wütend an. „Heb dich von dannen, Schurke, So schnell die Füße dich tragen! Was erfrechst du dich hier,

In meinem Bereiche zu betteln? Siehst du nicht, wie sie mir winken, Dich aus dem Schlöffe zu prügeln Mit Schlägen der schrecklichen Faust?" Finster blickte Odysseus Unter den Brauen hervor. „Elender, hab ich dir jemals Etwas zuleide getan? Ist nicht Raum auf der Schwelle Für uns beide genug? Was schiltst du und schmähst du gehässtg, Als hätt ich ums Brot dich gebracht? Und prahle mir nicht mit den Fäusten, Sonst, sag ich dir, könnte es sein, Daß auch ich Alter noch einmal Die Lenden mir gütten würde, Um die Unzucht zu strafen, Die du im Haus hier begehst!" „Mit mir willst du'ö, Haderlump, wagen?" Rief der andre ergrimmt, „Alle Zähne im Maule, Du Schwätzer, schlag ich dir ein Wie der Sau, die auf fremden Fluren ihr Fressen sucht! Komm an, und diese im Saale Sollen uns Zeugen sein!" Da brauste der Gäste Gelächter, Daß droben die Decke erdröhnte, Und Antinoos rief: „0 Freunde, welch ein Vergnügen Bereiten die Götter uns zu, Die beiden erbosten Bettler

Gleich mächtigen Recken der Vorzeit Im Kampf mit de» Fäusten zu sehn!" Und von den Kohlen am Herde Hob er den Ziegenmagen, Mit Fett gefüllt und mit Blute, Die würzig gebratene Wurst. „Auf, auf, ihr wackeren Helden, Da, seht den köstlichen Kampfpreis, Der wird dem Sieger im Wettstreit, Und wer von euch beiden den andern Zu Boden schlägt, Der soll auf der Schwelle der Halle Als Lumpenkönig uns thronen, Und kein andrer soll fürder Im Saale hier betteln dürfen Als dieser Edle allein!" Aber Odysseus stellte sich Ängstlich mit Vorbedacht. „Ihr Lieben, ein Fremdling bin ich, Und jener ist allen im Saale Wohlbekannt und vettraut! Nicht eher will ich es wagen, Die Faust wider ihn zu erheben, Bis ihr mir heilig verheißt, Daß ihr nicht Iros zuliebe Anders entscheidet, als recht ist, Und daß ihr mich, sollte ich siegen, Nicht etwa am Leibe verletzt!" Da gelobten ihm alle, Gerechtigkeit walten zu lassen, Und Telemachos rief: „Ehrlicher Alter, vettrau drauf,

Wer dir feindlich begegnet, Der Hais mit dem Herren des Hanfes, Der hat es mit mir zu tun!" Nun zogen die Bettler beide Die Lumpengewänder vom Leibe, Aber die Freier blickten, Da sich der Fremde entblößte, Gegeneinander verblüfft. „Schaut nur, welch mächtige Schenkel, Schaut, welch gewaltige Arme Der greise Schurke enthüllt! O armer Iros, wir fürchten, Es möchte dir übel ergehn!" Und jener begann, da er hinsah, An allen Gliedem zu zittem, Und zögerte, von der Schwelle Hinaus in den Hof zu schreiten, Bis ihn Antinoos zornig, Daß er vorwärts stolperte, In den Rücken stieß. „Willst du dich feige verkriechen, Da es zum Kampfe kommt, So senden wir dich gefesselt, Du Großmaul, sofort nach Epeiroö Zum Schrecken des Menschengeschlechtes, Zum Könige Echetos hin, Daß er, dich gräßlich verstümmelnd, Vom Halse das Haupt dir haut!" Als nun Iros verspürte, Daß kein Entrinnen war, Raffte er Geist und Sehnen Zusammen, so gut es ging,

Stürzte sich auf den Gegner Und hämmerte mit den Fäusten Aus allen Kräften des Leibes Mächtig wider ihn los. Aber Odysseus wehrte, Langsam dem Wütenden weichend, Mit Armen und Schultem sich schützend, Die fuchtelnden Fäuste ab Und bedachte indessen, Wie er ihn fällen könne, Ohne daß er den Freiern Vorzeitig Argwohn errege, Wenn er mit einem Streiche Gleich zu Tode ihn schlüg. So hieb er blitzschnell, die Blöße Des keuchenden Gegners erspähend, Mit halber Kraft Und traf des Kinnbackens Knochen, Daß das Gebein erkrachend Ihm im Munde zerbarst. Jämmerlich schreiend stürzte Iros zu Boden hin, Den Grund mit den Füßen schlagend Gleich dem Fisch, der am Sande Zuckend und zappelnd umherschnellt, Und aus Mund und aus Nase Brach ihm in Strömen das Blut. Aber Odysseus faßte Ihn bei den Füßen und schleifte Den Heulenden über den Hof, Lehnte ihn mit dem Rücken An den Torpfosten hin

Und legte den Stecken des Bettlers Ihm in den Schoß. „Da sitze du nun und scheuche Die Schweine und Hunde vom Hof Und hüte dich künftig, zu geifern, Daß dirs nicht schlimmer noch geht!" „Wacker, munterer Alter!" Jauchzten die Gäste und lachten Aus vollem Halse, bis ihnen Schier der Atem verging, „Recht ist dem Lumpenkerle Durch deine Fäuste geschehn, Dem Prahlhans, der uns schon lange Mit seinen geschwollenen Sprüchen Lästig geworden ist!" So zogen sie alle im Haufen Zum Schmause zurück in den Saal Und trugen mit lautem Lärmen Dem Bettler den köstlichen Kampspreis Zum Sitz auf dem Steine der Schwelle, Die schmorende Ziegenwurft. Aber der sanfte Amphinomos, Nisos' Sohn, Brachte ihm einen Becher, Gefüllt bis zum goldenen Rand. „Trinke nun, fremder Vater, Nach dem ermüdenden Streite Freudig vom stärkenden Wein, Und möge die Gunst der Götter Dir bessere Tage vergönnen, Als du bisher gesehn!" Da nahm Odysseus den Becher,

Und sachte sprach er zu ihm: „Lieber, du scheinst mir verständig Und guten Herzens zu sein! Merke dir, was ich dir sage, Der alte erfahrene Mann: Kein Wesen ist unter der Sonne So eitel und unbeständig, Wie es die Menschen sind, Trotzig im Glück, und im Unglück Ebenso schnell verzagt! Darum überhebe sich niemand Im Ubermule der Macht Und hüte sich, daß er die Hände Sich nicht mit Frevel befleckt! Graut dir denn nicht vor den Greueln, Die täglich im Haus hier geschehn, Wie sie die Güter verschwenden Und Mutter und Sohn bedrängen, Als könnten sie solches treiben In Ewigkeit ungestraft? Wie, wenn ein Gott Odysseus, Den Totgewähnten, zur Heimat Auf einmal zurückkehren ließe, Wie würden sie da bestehn? Amphinomos, lasse dich warnen: Der Bessere, der sich mit Bösen Verbündet, er teilt auch ihr Los!" Da blickte der Jüngling zu Boden, Und traurig ging er beiseite Mit lies verwundeter Seele. Aber den warnenden Worten Folgte er dennoch nicht.

Der Mutter Mahnen Schon war die Sonne gesunkm, Und die Dünste der Dämmerung Sickerten sacht in den Saal, Da sieht von der Schwelle Odysseus: Die Türe vom Gang her geht auf, Und tief verhüllt in dem Schleier, Schreitet sie unter die Gäste, Gleich einem Geistergebilde, Die er vor zwanzig Jahren Zum letztenmale gesehn — Und Telemachos eilt ihr, Vom Stuhle springend, mtgegen, Sie aber weist zum Bettler Mit vorwurfsvoller Gebärde: „Das also muß ich am Sohne Zu all meinen Sorgen erleben, Daß er den wehrlosen Alten, Ohne vom Sitz sich zu rühren, Schändlich mißhandeln läßt!" „Mutter", spricht leise der Jüngling, „Manchmal, mein ich, ists weiser, Dm Zorn in der Brust zu bezähmm, Als daß man die Zügel chm läßt! Und sorge dich nicht um dm Alten, Dmn siehe, die Götter habm Im furchtbaren Kampfe der Fäuste Dem Greise dm Sieg verlichn!" Indessen war Lärmm und Lachm Ganz in der Halle verstummt: Voller Begierde gafften Die Freier die herrliche Frau an,

Die, wie aus Marmor gemeißelt, Strenge im Saale stand. Und Eurymachos reckte Die Arme weit aus und rief: „0 sähen dich so die Hellenen Auf dem Festlande auch, Versammelt wär hier in Bälde, Um dich zum Weibe zu werben, Das ganze Griechenland wohl." Sie aber wandte das Antlitz. „Du spottest meiner und weißt es: Geschwunden ist mir die Schönheit, Die Anmut und aller Liebreiz, Gleichwie der Geist mir stecht, Seit mir der Unvergeßliche, Mein Odysseus entschwand. Ach, der Weise, er fühlte, Welch ein Elend uns drohe, Abschiednehmend gewiß! Nicht alle, so sprach er, werden Heil aus dem Kriege kehren, Denn auch die Troer wissen Im Tosen der wütenden Schlacht Speere und Schwerter zu schwingen, Und fällt mir das Todeslos dott, So bleibe im Haus bei dem Sohne, Bis er zum Manne erwachsen, Dann magst du nach deinem Gefallen Dem Freier als Gatten folgen, Der dir als Bester erscheint, Denn es soll nicht mein Schatten Störend im Lichte dir stehn!

So sprach der Geliebt«, zuvor schon Alles bedenkend, und schied, Mir aber brach im Harme Schier das Herz in der Brust! Und nun werben die Gäste, Das Gut des Sohnes vergeudend, Um mich zur Heirat zu zwingen, Die mehr als der Tod mir verhaßt ist! O daß ich ihn nimmer erlebte, Den unerträglichen Tag!" So schritt sie zur tönenden Halle, Die Augen in Tränen, hinaus. Und von der Schwelle blickte Schweigend der Bettler ihr nach. Die Mägde Finster war es geworden, Und die Hausdirnen trugen Die Feuergesäße, beim Feste Den Freiern zu leuchten, hinein. Dann blieben sie, schwatzend und lachend Und mit unzüchtigen Blicken Verstohlen die Zecher lockend, Am Herde versammelt stehn. Da trat ergrimmend Odysseus Vor die Verweilenden hin. „Was wollt ihr hier noch im Saale? Ist es etwa so Sitte Hier in des Königs Haus, Daß mit den trinkenden Männern Die Mägde gemein sich machen Bis tief hinein in die Nacht?"

Aber die kecke Melantho, Schwarz von Haaren und Brauen — Wie ihre Tochter hatte sie Penelopeia gehalten Und vor den andern verwöhnt, Dennoch hatte die Falsche, Die gütige Frau verratend, Sich an die Freier gemacht, Und mit Eurymachos buhlte sie Lange schon insgeheim — Jetzt warf Melantho trotzig Den Lockenkopf auf und rief: ,/Flegel, dir hat wohl der Weinrausch Völlig die Sinne bewölkt, Oder schwindelt das Hirn dir, Weil du den Iros besiegt? Du! hier sitzen etwelche, Stärker und stolzer als jener, Die dich zu Boden schlagen, Daß du dich nimmer erhebst, Wmn du uns Mägde zu meistem Dich unterstehst!" Da knirschte es flüsternd der Fremde Den Frechen hin: „Soll ichs dem Hausherren klagen, Daß er, aus finsterm Brüten Erwachend, mit Hieben der Peitsche Euch in die Kammern jagt?" So scheucht er, die Schamlosen schreckend, Vom Herde zur Tür sie hinaus Und tritt an die Feuergefäße, Die schwelenden Flammen zu schüren,

Aber anderwärts schweifen, Des Herzens Bitterkeit stachelnd, Seine Gedanken und drängen Alle zur rächenden Tat. Da blickt Eorymachos spöttisch Zum Greise im Feuerschein. „Freunde, ich fürchte, wir haben Den Alten da drüben verkannt: Schaut nur, wie ihm die Glatze In himmlischem Glanze erstrahlt! Ob sie ihm etwa von innen Der Geist so herrlich erhellt, Und am Ende, Gefähtten, Im Bettler ein Gott sich verbirgt? Da heißt «ö, beizeiten sich vorsehn! Höre mich, Fremdling, ich will dich Ins Haus zu mir nehmen und reichlich Nahrung und Lohn dir geben, Wenn du mir arbeiten magst. Doch freilich, dir taugt es wohl besser, Wie dus von jeher gewöhnt bist, Müßig nmherzugehn Und, wie Götter es Pflegen, Dich an den Opfergaben Frommer Menschen zu freun!" Da entbrannte im Busen Dem Bettelmanne das Herz, Und vor dem Spötter reckte Der Greis voll Stolzes sich auf. „Wollten wir beide, Eurymachos, Du und ich um die Wette Über dem Felde im Herbste

Hinter dem Ochsengespanne, Mit dem Pfiuge den Acker Zu Schollen ausbrechend, schreiten Vom Morgen bis in die Nacht, Da würde es bald sich erzeigen, Wer grader die Furchen zöge Und länger die Arbeit erlitte! Du aber dünkst dich der Erste An Mut und an Manneskräften, Doch wenn Odysseus plötzlich Unter euch Freier träte, Allzu enge, befürcht ich, Erwiesen sich für die Flüchtenden Türen und Tor im Gedräng!" Da zog unterm Tische Eurymachos Zomig den Schemel hervor Und schleuderte wuchtigen Schwunges Ihn nach des Bettlers Haupt. Der aber warf sich behende Vor Amphinomos' Sessel Nieder aufs Knie, Und das Geschoß, «s schwirrte Dem Schenken ans Handgelenk, Der grad mit der Kanne voll Weines Uber die Schwelle schritt: Mit gellem Schmerzensschrei fiel er Rücklings zu Boden hin, Klirrend entrollte die Kanne Seiner gelähmten Rechten, Und über die Diele ergoß sich Des Weines würzige Flut. Fluchend sprangen die Freier

Rings von den Stühlen und tobten. „Welch ein verderblicher Dämon Hat uns den Unverschämten, Den hungrigen Abfallverschlinger, Den Freudeverstörer beschert? Daß dich der Geier hole, 0 du erbärmlicher Greis! Jagt ihn sofort mit den Fäusten Hinaus aus Halle und Hos!" Da dröhnte ins Schelten und Drohen Telemachos' Rufen hinein: „Weg die Hände vom Alten! Seid ihr unsinnig geworden, Daß ihr den Armen beschuldigt, Den ihr gereizt und verhöhnt habt, Bis die Geduld ihm riß? Oder verdammt ihr ihn etwa, Weil er dem Schemel auswich, Den der hämische Spötter, Eurymachos nach ihm warf?" Und Amphinomos trat ihm Helfend zur Seite und sprach: „Mit Recht, so bedünkt es mich, Freunde, Tadelt Telemachos uns: Bekümmerte Greise zu kränken, Jünglingen, wie es wir sind, Steht es am wenigsten an! Drum laßt mir den Alten in Frieden, Und da es schon späte Nacht ist, Geziemt uns, den Göttern zu spenden Und zur Ruhe zu gehn!"

Um die Waffen im Saale So wankten die Trunknen im Haufen Zu ihren Gehöften heim, Und den verhallenden Schritten Lauschten, allein gelassen, Bis kein Laut sich mehr regte, Vater und Sohn. Da stand Odysseus entschlossen Vom Steine der Schwelle auf. „Ferne sind sie! nun gilt es, Den Saal von Waffen zu räumen, Ehe uns jemand sieht, Daß die Gegner vergeblich Nach Speeren und Rüstungen greifen, Wenn es zum Kampfe kommt, Denn der Tag der Vergeltung Ist es, der morgen uns naht!" Da jauchzte die mutige Seele Des rachedurstigen Jünglings, Und von dem Söller rief er Die ehrbare Alte herab: „Mütterchen, halt mir die Mägde In ihren Kammern fest, Derweil ich hier mit dem Fremden Das Rüstzeug zum Speicher schaffe, Damit es im Dampfe des Herdes Nicht roste und mir verdirbt, Denn ich will es durchaus nicht, Daß die geschwätzigen Dinger Die Nase in alles stecken, Was hier im Haufe geschieht!" „Söhnchen, die Hündinnen will ich

In ihren Winkeln schon halten!" Rief die Alte erfreut, „Wie schön, daß du nun für das Dein« Bedächtig zu sorgen beginnst, Aber der Apfel fällt ja — Sagt ichs nicht stets deiner Mutter? — Niemals vom Stamme weit!" Mit eiligen Schrittchen tappte Die Alte im Eifer davon, Und mit den Waffen beladen, Schritten die beiden Gesippen Hinaus in den dunklen Gang. Da stammt es gleich einer Fackel Im Finstern vor ihnen auf Und lodert ihnen zu Häupten, Daß weitum die Räume erglimmen In feurigem Glanz. „Vater", flüstert erfchauewd Telemachos, „wehe, was wird das? Die Wände erglühen, die Säulen, Der Boden, als brenne das Haus!" „Stille", gebietet Odyffeus, „Grüble dem Wunder nicht nach: Die Weife der Wallenden droben Ist es: ein Gott ist uns nah!" So trugen sie wortlos die Waffen Zum Speicher unter dem Dach, Und als sie die letzten geborgen, Erlosch auch im Gange das Licht. Da mahnte Odyffeus den Jüngling, Daß er zur Ruhe gehe, Denn mit der Gattin zu reden, Verlangte ihn endlich allein.

Die Gatten Und aus der Kammer schritt sie, Von der Men begleitet, Die kluge Penelopeia, Um selbst nach dem Bettler zu sehn, Setzte sich abseits dem Herde In ihren Seffel, mit Silber Und Elfenbein eingelegt — Des weitum berühmten Künstlers, Ikmalios' Wunderwerk wars — Stemmte den Fuß auf den Schemel, Und auf die Lehne die Arme Leichthin stützend, gebot sie Der ehrbaren Schaffnerin. „Stelle den Stuhl dem Bettler Nahe zu mir heran Und breite des wolligen Widders Weiches Vlies ihm darüber, Daß er bequem darin sitze, Wie seinem Alter gebühtt, Denn ich begehre den Fremdling Nach meinem Gatten zu fragen Und es selbst zu ergründen, Ob er die Wahrheit spricht, Oder wie alle die andern, Nur um Gewinn zu erwerben, Mit tröstlichen Mären mich trügt. Du aber gehe und hüte Inzwischen das Feuer am Herd!" Wie es die Herrin geheißen, Tat eilig die eifrige Alte Und holte den Bettler herbei.

Da saß er betn Weib gegenüber, Ein fremder Mann, Der lange Ersehnten so nahe Und dennoch fern! Langsam erhob sie die Rechte Und stützte darans das Kinn. „Dn Ärmster, von deinen Geschicken Hat mir der Hirte erzählt, Und wie dn mit meinem OdyssenS Gemeinsam vor Troja gekämpft. Sprich mir davon, wie wnrdest Dn erstmals mit ihm bekannt?" „Ans Kreta schon, Herrin, dem Eiland Des Minos, das mich gebar", Sprach schnell besonnen der Bettler, „Das war eines Tages, bevor wir Znm Kriege nach Troja fnhren, Da stieß eine stolze Motte In unsern Hafen zum Strand: Dm hohlen Schiffen entstiegen Viele gewaltige Männer, Und ihnen allm voran ging Der Herrscher in blinkendem Helme, Odysseus aus Ithaka! Mit Freudm nahmm die Heerschar Der lieben Bundesgenossen In unfern Häusern wir aus, Und es währte nicht lange, Da ward mir dein Gatte, ich darf es Ohne zu lügm sagm, Znm liebstm Freund. Als treue Gesellm schrittm

Im Schlachlenfturme wir stets, Und wie Odysseus mich schirmte Im Schauer der Pfeile und Speere, So habe auch ich ihn beschützt! Dann freilich hat uns das Schicksal, Als Troja erstürmt war, getrennt, Und wie es mir seither ergangen, Das siehst du am Bettler hier!" Sinnend senkte die Kluge Die dunklen Wimpern und sprach: „So weißt du dich wohl zu erinnern, Was für Gewänder und Waffen Damals Odysseus trug?" Und ob dem Argwohn der Gattin Lächelte heimlich der Dulder, Aber sich weislich verstellend, Zögerte er. „Da müßte ich erst mich besinnen, Denn zwanzig Jahr sind vergangen, Seit ich ihn dort gesehn. Doch trug er, wenn das Gedächtnis Nicht gänzlich mich trügen sollte, Einen Mantel von Purpur, Innen gefüttert mit Fell, Und eine goldene Spange Hielt ihn am Halse zusammen, Mit einem wunderbaren Getriebenen Bildwerk versehn: Ein Rehlein zappelte angstvoll Zwischen den Pfoten des Spürhunds, Und alle staunten, wie gierig Dem Rüden die Augen glühten,

Und wie das zierliche Tierlein, Das bunlgefleckte, sich bange, Gleich als wär es lebendig, Unter ihm sträubte und wand. Unter dem Purpur aber Glänzte hell wie die zarte, Innere Schale der Zwiebel Der prächtige Leibrock hervor, Und hinter dem Helden her ging, Ob er zur Ratsversammlung Oder zum Schmause schritt, Immer ein älterer Herold, Bucklig, mit schwarzem Krauskops Und kluge blitzenden Blickes Im dunkelbraunen Gesicht: Der beste Freund des Odysseus, Es hieß Eurybates der Held!" Da stürzten der Fürstin die Tränen Stromweis über die Wangen, Wie, von den Sonnenstrahlen Des Lenzes gelöst, der verharschte Schnee von den Gipfeln schmilzt. „Nun weiß ich eö, daß du in Wahrheit Meinen Odysseus gekannt! O Freund, die Gewänder hab ich Mit meinen eigenen Händen Dem teuersten Manne gewirkt Und ihm beim Scheiden die Spange Selbst an den Mantel geschlossen, Bitterlich weinend, als wüßt ich, Daß es zum letztenmal ist, Denn ich werde ihn niemals,

Nimmermehr Wiedersehn!" Jammernd rang sie die Hände, Und ihr schluchzendes Klagen, Wie mit des Messers Spitze Stach es dem Dulder ins Herz. Aber die Augen starrten Unbewegt in den Höhlen, Trocken und hart wie aus Horn, Während er zu der Gattin Die tröstenden Worte sprach: „Teuerste Herrin, schone Dein holdes Leben und stille Der Tränen verheerenden Strom: Nahe ist dir Odysseus — Ehe der Mond noch gewechselt, Wirst du ihn bei dir sehn!" „O wolltens die Götter gewähren, Was ich zu glauben nicht wage", Weinte sie vor sich hin, „Aber gar bald müßt es werden, Soll er zu spät nicht kommen, Denn die entsetzliche Hochzeit, Wie darf ich sie länger verschieben, Da sie das Leben zu rauben Meinem Telemachos drohn? Doch über dem eigenen Grame Vergeß ich, du Armer, dein Leid! Mütterchen Eurykleia, Richte dem Wandermüden Das warme Fußbad am Herde, Du aber, lieber Fremdling, Wenn du den Leib dir erfrischt hast,

Wende dich wieder zu mir, Denn mich verlangt es, noch länger Deiner Rede zu lauschen, Die wie mit lindem Balsam Das wunde Herz mir erquickt!" Und ganz in ihr Sinnen versinkend, Lehnte sie sich im Sessel, Zu Boden blickend, zurück. Indessen hatte die Alte In der ehernen Wanne Kochendes Wasser mit kaltem, Daß sie die Füße ihm wasche, Wohlabgemessen gemischt, Und schon hatte Odysseus, Auf dem Stuhl vor ihr sitzend, Seine Schenkel entblößt: Da fällt ihm an seiner Wade Die Narbe der Wunde ins Auge, Die ihm vor langen Jahren Der Eber im Walde gehauen Mit scharfem Zahn, Und in den Schalten streckt er, Um sie zu verbergen, den Fuß. Aber die Alte bückt sich, Hebt ihn mit zittrigen Händen, Spült — und belastet das Bein Und läßt es erschrocken fallen, Daß hell die Wanne erklingt. „Die Narbe!" stammelt sie heiser, „Der Herr! — Odysseus — du bist es!" Und schon will sie der Fürstin, Vor Freude erbebend, schrein,

Da hält er, die Kehle umklammernd, Mit beiden Händen sie fest. „Amme, willst du mich verderben, Den deine Brüste gesäugt? Niemand im Haus darf es wissen, Wer in dem Bettler sich birgt, Daß es nicht ruchbar werde Und die Schänder des Hauses, Die schamlos frevelnden Freier, Dem Tag der Vergeltung entgehn!" Und die Hände am Halse Lockernd, läßt er fie los. „0 lieber Herr, ich will schweigen, Wie wenn ich im Grabe läge!" Flüsterte sie, „Du weißt ja, stark ist die Seele, Unerschütterlich standhaft Mir in der gebrechlichen Brust! 0 daß ich sie doch schon im Blute Am Boden sich wälzen sähe, Die gottverfluchten Gesellen, Die uns das Elend gebracht! Und auch die frechen Dirnen, Die greulichen, nenn ich dir gleich, Die mit den Gästen buhlen, Daß du am Halse die Huren, Wie sies verdient haben, hängst!" „Mütterchen, lasse das gut sein", Sprach er, der Eifrigen wehrend, „Bis ich den Kampf erst bestanden Mit de» zahllosen Scharen Der übermütigen Feinde,

Den furchtbaren, der mir noch droht!" Und seine Blöße bedeckend, Schritt er zur Fürstin zurück. Da hob sie, aus wehvollem Brüten Endlich erwachend, das Haupt. „Höre mich, Freund meines Gatten: Was ich vor allen verschlossen, Dir will ichs anvertraun! In langen schlaflosen Nächten Hab ich es oftmals bedacht: Wie könnt ich den Tag der Hochzeit, Den schrecklichen, mir noch entfernen, Ohne den Sohn zu gefährden, Bis sich ein Waltender droben Am Ende doch meiner erbarmt? Und als ich betend die Hände Zur himmlischen Freundin des Gatten, Zu Pallas Athene erhoben, Da fiel mir sein Bogen ein, Der in der Kammer der Kleinode, Seit er geschieden, hängt: Wie, wenn ich den zum Wettpreis Um meine Hand ihnen setzt«? Denn so leicht ihn zu spannen Und sicher den Pfeil zum Ziele Durch zwölf Ohre der Beile Hintereinander zu schnellen, Wie es Odysseus getan, Dürfte selbst ihrem Stärksten Nicht leicht zu vollbringen sein!" Da glänzten die Augen des Dulders Im gramvollen Antlitz auf.

„Mit Recht wirst du, teure Herriu, Vor allen Frauen auf Erden Als Klügste gerühmt! Es hat mir Odysseus in Kreta Von diesem Bogen erzählt, Dm er daheim gelassen, Weil er als Angedenken An den gewaltigen Iphitos Überaus wert ihn hielt, An Herakles' Freund und Gefährten, Der ihn deinem Gatten geschenkt. Aber selbst jener Mächtige Spannte mit Mühe ihn nur!" Da neigte Penelopeia Ties aus die Brust das Haupt. „Dennoch bebt mir im Busen Voll bangen Zweifels das Herz, Denn die unbeständige, Treulose Göttin des Glücks, Oft gönnt sie dem minderen Manne, Was sie dem Besten versagt, Ach, und mich ängstigen Träume, Vorbedeutende, oft! So lag ich die letzte Nacht noch In tiefem Schlaf, und mir ward, Ich fütterte Gänse im Hose, Die schnattemd sich um mich scharten. Da schoß ein riesiger Adler Plötzlich vom Himmel herab Und fiel mit Schnabel und Krallen Über die Flüchtenden her, Bis alle am Boden lagen,

Zu blutigen Fetzen zerfleischt, Und aus Häusern und Hütten Rannten, die Hände ringend, Frauen und Kinder im Haufen Laut wehklagend herbei!" Da stand der Bettler vom Stuhl auf. „Heil dir, freue dich, Fürstin! Der Traum bedeutet dir Glück: Die Gänse, die du gefüttett, Das sind die üppigen Freier, Aber Odysseus der Adler, Der sie alle zerreißt!" „0 wär es doch, wie du es deutest", Seufzte Penelopeia, „Wie wollt ich dich köstlich bekleiden Mit stattlichem Mantel und Leibrock Und dich speisen und tränken Und wie meinen Vater dich ehren! Aber nun schwelen die Flammen Schon trüb in den Feuergefäßen, Und Zeit wirds, zur Ruhe zu gehn. Rufe der ehrbaren Alten, Die dir die Füße gewaschen, Daß sie das Lager dir richte Auf weichem Pfühle im Saal!" So sprach sie und schritt zum Söller, Aber Odysseus streckte, Pfühle und Polster verschmähend, Auf dem geflickten Mantel Am bloßen Boden sich aus.

Nachtruhe So lag er, ohne zu schlafen, Stützte das Haupt auf und starrte Zur Luke hinaus in die Nacht. Da hört er «s rascheln und raunen: Über die Stiege schleicht es, Flüstemd und leise lachend, Auf sachten Sohlen hinab, Und beim Sternenlicht, sieht er, Schwärmen in dunklen Scharen Die Dirnen über den Hof hin, Der schändlichen Lust zu frönen Mit ihren Buhlen vorm Tor. Und so wie die wachsame Hündin Bellend die Jungen behütet, Um sich mit bleckenden Zähnen Dem Gegner entgegenzuwerfen, Spornt ihn der zornige Mut, Den Zuchtlosen nachzustürzen Und sie niederzuhaun. Aber die Wut bezähmend, Spricht er dem tobenden Herzen Beschwichtigend zu: „Dulde, mein Liebes, Schwereres Haben wir ja schon erlitten, Als uns vor den Augen der Riefe, Der scheußliche Menschenfresser, Die schreienden Freunde verschlang, Als die entsetzliche Skylla Mit gierigem Griffe der Krallen Uns sechs der Gefährten entriß, Als die gräßliche Gorgo,

Ihr Haupt dem Hades enthebend, Uns ins Auge gestarrt! Dulde, mein Herz, und harre, Bis sich die Zeit uns erfüllt!" Und wie er dem Frevel der Freier Ein furchtbares Ende bereite, Brütet er, plant und verwirft, Und immer düstrer umschattet Der Zweifel des Dulders Geist: Wie soll er gegen die vielen, Die zahllosen Scharen der Feinde, Allein mit dem lieben Sohne Den Kampf bestehn? Und selbst wenn er diese besiegte, Werden nicht ihre Väter Mit allen ihren Gestppen Das Volk zur Rache entflammen, Und das Geschlecht des Arkeisios Bis auf den letzten vergehn? Da weht es mit sanftem Hauche Ihm über die heiße Stim, Und aus dem Dunkel glänzt es, Tin göttliches Augenpaar. „Kleinmütiger, warum sorgst du, Was grämst du dich so, Als könnten Menschen das Schicksal Mit ihrem Grübeln meistem, Ohne den ewigen Mächten In ihrer Brust zu vettraun? Die über Länder und Meere Dich durch die Schrecken der Hölle Heil zur Heimat geführt,

Ich bins, die zur Seile dir sein wird Beim Kampf um dein Königtum!" So tönts, und die göttlichen Augen Schwinden im Nebel der Nacht. Da fällt ihm von dem befreiten Herzen der Sorgen Last, Und der himmlischen Hilfe Getrost seine Seele vettrauend, Sintt er, umringt von Feinden, In linde lösenden Schlaf. Aber im Frauengemache Droben am Söller fähtt Aus sanftem Schlummer erschrocken Penelopeia empor. „O daß mich der Sturmwind entführte, Oder Artemis' tödlicher Pfeil mich dem Tage entrisse, Der mich des ungeliebten Gatten schnöde Begierde, Zu sättigen zwingt! Eben noch war mir so selig, Mein Liebster läge bei mir In holder Eintracht wie früher, Eh er nach Ilion fuhr, Aber ein grausamer Dämon Schreckte mich aus dem süßen Trug« der Sinne auf, Und auf dem leeren Lager Weine ich nun wie zuvor!" So jammert Penelopeia In Sehnsucht um ihren Gemahl Gleich des Pandareos Tochter,

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Die als Nachtigall schluchzend Dm Tod ihres teuern Kindes, Bis sich der Morgm rötet, In schmelzenden Tönm klagt.

Das Gottesgericht Verkündigung Vom Frieden des Schlummers umfangen, Ruhte in traumloser Tiefe Die Seele des göttlichen Dulders Und trank, ihrer Sorgen vergessend, Zu neuem Kampfe sich Kraft, Bis ferneher aus dem Osten Die graue Dämmerung herschlich Uber das murmelnde Meer, Und Plötzlich die Wolken weithin Uber dem Lande flammten In loderndem Frührotschein. Da reckt« erwachend der Bettler Vom hatten Lager das Haupt, Sah die Lüfte entbrennen, Das Kommen des Tages verkündend, Und schritt hinaus in den Hof. Aber vom Söller her, hött er, Weint die Herrin noch immer, Wie er zu Nacht sie verlassen, 302

Ohne Ruhe zu finden, Um den verschollnen Gemahl. Und zu den Bergen erhebt er Die Augen schmerzlichen Blicks. „Vater über den Wolken, Im Feuermantel verhüllt, Hörst du der Kummervollen Endlose Klage nicht, Die, das Herz mir zerreißend, Um Hilfe zum Himmel fleht?" Da hallte aus hohem Äther Ein Donnerschlag, Daß dumpf der Boden erdröhnte, Rollte, langsam vergrollend, Uber den Bergen hin, Und im Winkel des Hofes Ward eine Stimme laut: Dort stand ein Weib an der Mühle, Die Tags und Nachts von den Dirnen Der Reihe nach weitergedreht ward, Das ließ, in die Höhe fchauend, Verwundert die Arme ruhn. „Kein Wetter am Himmel und dennoch Donnert der waltende Zeus? Ein Zeichen des Zornes, so hoff ich, Menschenherzen voll Bosheit: Euer Maß, es ist voll! 0 daß es den Freiern doch gälte, Den gottvergeßnen Gesellen, Di« mich unselige Alte, Uber Vermögen zu schaffen, Hierher an die Mühle gestellt!"

Und durch den Hof schritt Odysseus, Der vorbedeutenden Dinge Von Herzen froh, Schob den rasselnden Riegel Der ragenden Pfotte zurück, Und die Flügel des Tores Taten dem Tage sich auf. Neumondmorgen Nun fing es sich allenthalben Im Haufe zu rühren an: Uber die Stiege trappte Als erste die ehrbare Alte, Eurykleia, und schalt. „Heraus aus den Kammem, ihr Mägde, Faules, verschlafenes Volk! Heut werden sie früh schon erscheinen, Die üppige» Schlemmer, zum Mahl, Den Tag des Neumonds zu feiern, Phoibos Apollons Fest: Tragi mir sofort vom Brunnen Frisches Wasser in Fülle, Spritzt die Böden und kehrt sie, Spült Kannen und Becher und hängt mir Die prächtigen Purpurdecken Uber die Sessel im Saal!" Da stoben die Dirnen in Scharen Aus ihren Kammern hervor, Von Scheuern, Schaben und Putzen Schallte geschäftig das Haus, Aber vom Hofe her krachten Die Hiebe der blitzenden Beile:

Dort hackten die Knechte die Scheite Zu Feuerholz klein. Und als die Sonne am Himmel Hellen Scheines erschien, Drangen mit ihren Herden Die Hirten zum Tore hinein, Melantheus mit seiner meckernden Ziegenherde voran. Der höhnte, den Bettler erblickend: „Lumpenkerl, immer noch hier? Warte nur, bis wir beide Recht aneinander geraten Und du meine wuchtigen Fäuste Zu verkosten bekommst!" Hinter ihm trieb Eumaios Den stolzen Freiern zum Festschmaus Der grunzenden Borstentiere Wohlgemästetes Paar. „Wie ist es dir, Gastsreund, ergangen, Seit ich vom Hofe schied? Achten sie dich nun im Hause Ein wenig mehr als zuvor, Da du den Iros, den fetten, Den Hammelsresser, gefällt?" Und als letzter von allen Nahte der Rinderhirt, Kurzen, stämmigen Wuchses, Von breiter Brust: Philoitioö hieß man den Biedem, Der war auf der schwankenden Fähre Vom Festland herübergeschwommen, Wo er die Herden hütete,

Die Odysseus gehörten Drüben im Weidelande Des Kephallenenvolks. Die Kuh und zwei blökende Kälber Band er zum Mauerring Und sprach, den Bettler betrachtend, Also Eumaios an: „Sage mir, guter Geselle, Wer ist denn der Graukops dott? Selbst unter den Lumpen erkennt man, Was für ein mächtiger Kämpe Der vormals gewesen ist. Seltsam, wie an den Verschollnen, Den lieben Herm er mich mahnt!" Und raschen Schrittes trat er, Die offene Rechte ihm bietend, Vor den Bettelmann hin. „Fremder Vater, du hast es Übel im Haus hier getroffen: Einen Greis sich zur Schande In Lumpen einhergehen lassen Hätte er nimmermehr, mein ich, Odysseus, der herrliche Held, Der einst unser König gewesen Im felsigen Ithaka. Ach, Freund, gedenk ich des Edlen Und seh ich die Wittschaft der Freier, Entbrennt mir das Herz in der Brust, Und einem andern Gebieter, Da ich frei von Gebutt bin, Hätt ich mich lange verdingt, Wenn ich nicht immer noch hoffte,

Daß uns doch noch am Ende Ein Gott den Teuem errettet Und ihn zur Heimat fühtt!" Da faßt seine rauhe Rechte Odysseus und hält sie fest. „Höre mich, du getreuer Wackerer Knecht deines Herrn: Beim Vater der Götter, der heute Aus heiterm Himmel gedonnett Und bei dem heiligen Herde, Zu dem ich mein Elend geflüchtet, Schwöre ichs dir: Mit eigenen Augen wirst du Odysseus in Bälde sehn, Wie er gegen die Freier Im Saale die Waffen erhebt!" „Ha", ruft blitzenden Blickes Der biedre Philoitios, „Dann flehte ich nur noch um eines: Daß mir die Götter vergönnten, Im Kampf ihm zur Seite zu stehn Und an der Räubettotte Blutige Rache zu nehmen, Wie es das Herz mir verlangt!" Der Opferprophet Indessen hatte am Markt sich Die Menge zur Feier geschatt Und zog in endloser Reihe Mit lautem Gesang durch die Gassen Zum heiligen Hain des Apollon Uber den Hügel hinan.

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Aber die Freier waren In Antinoos' Hause Versammelt zu schändlichem Rat, Wie sie Telemachos töten Und ihn verräumen könnten, Bevor das Volk von der Feier Wieder nach Hause gekehrt. Da sah Leiodes, der Priester, Der ihr Opferprophet war Und auch um die Fürstin sreite, Uber sich einen Adler Stürmischen Fluges nahn, Der wandte sich jählings, und gellenden Schreies schoß er zur Linken Ihnen zu Häupten dahin. „0 schaut", rief der Priester erschrocken, „Das unheilkündende Zeichen, Den schnellen Boten des Zeus, Der uns zur unrechten Seite Mit gräßlichem Kreischen fliegt! Freunde, hört aus mein Warnen: Der Vater der Götter verbietet Uns heute das blutige Werk!" Und Amphinomos nickte. „Im Grunde der Seele hat es Mir immer davor gegraut: Furchtbar bedünkt mich der Vorsatz, Den letzten der Arkeisiaden, Den mutigen Knaben zu morden Und ein Königsgeschlecht Von der Erde zu tilgen, Das seit Menschengedenken

Aus Ithakas felsigem Eiland Des Volkes Geschicke geführt!" Aber Aniinoos murrte: „Wir oder der trotzige Bursche, Heißt es: es muß geschehn! Und wenn es heute nicht fein soll, Führen wir morgen es aus!" Da stimmten dem Stolzen die andern Mit mächtigem Schallen bei, Und dann schritten sie alle Im Schwarme zum Schlosse hinauf. Beim Feftschmauö Dort war zum Empfange der Freier Die Halle bereits gerichtet, Und als sie sich auf den Sesseln Zum Mahle niedergelassen, Reichte der Rinderhirte Im kunstvoll geflochtenen Korbe Das köstliche Weizenbrot, Und der Hüter der Schweine Schenkte die Humpen voll. Aber Telemachos blickte Zum Vater im Bettlergewande, Der auf dem Steine der Schwelle Mit Ranzen und Stecken saß, Und laut seine Stimme erhebend, Gebot er, dem Greise drüben Stuhl und Tischchen zu bringen, Daß er sein Mahl gemächlich Verzehre wie andre auch. Da bissen sich aus die Lippen

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Die Freier in stummer Wut, Daß es der Jüngling wagte, Den Sitz im Saal dem Verhaßten, Dem Bettelmanne zu bieten, Den sie erst gestern bedroht. Und einer der Ihren aus Same, Ein Fürstensohn, Ktesippos hieß er, In Motten gewandt und verwegen, Lachte voll Hohn. „Wacker, mein Freund, nun wissen wirs, Wer dir als Ehrengast gilt! Da will auch ich nicht zurückstehn Und ihm als Würze zum Schmause Eine Zuspeise senden, Daß er sich sreuen soll!" Nach einem Kuhfuße griff er, Der aus der Anrichte lag, Und schleuderte weitausholend Das hatte Geschoß nach ihm. Aber der Bettler beugte Geschwind zur Seite das Haupt, Hinter ihm an die Mauer Klatschte der Knochen hin, Und ruhig lehnte der Dulder Den Kopf zurück an die Wand, Nur ein schreckliches Lächeln Zog langsam über sein starres Angesicht und erstarb. Doch Telemachos schnellte Zornig vom Sitze auf. „Dein Glück war es, Ktesippos, wahrlich, Daß du den Alten gefehlt:

Übel wärs dir bekommen, Hätte dein tückischer Wurf ihn Am Haupte auch nur gestreift! Denn die Halle des Königs, Meines Vaters Palast Ist kein Wittshaus, wo jeder Nach Lust und eignem Belieben Unfug erlauben sich mag! Und wer sich künftig am Armen Irgend versündigen sollte, Und wenn es der Vornehmste wäre, Ich treib ihn hinaus zu der Tür!" Da startten sie ihn, als wär er Von Sinnen gekommen, an, Bis Agelaos endlich, Der Sohn des Damastor, die Stille, Zum Jüngling gewendet, brach. „Mein Lieber, eins, scheint mir, vergißt du, Wenn du gar so als Hausherr Auf deine Rechte pochst: Wiste, wir Freier haben Hier auch noch etwas zu sagen, Und so verkünd ich dir, Knabe, Unser aller Beschluß: Am Narrenseil führen soll uns Deine Mutter nicht mehr! Bevor die Sonne dott oben, Die jetzt im Mittage steht, Hinter dem Bergrücken schwindet, Muß sie den Gatten sich wählen, Oder wir werfen die Lose, Wem sie unter den Freiem

Zum Herde zu folgen hat!" Und wiederum schaute zum Vater Telemachos fragenden Blicks: Sollten fies länger noch leiden, Ohne das Schwert zu zieh»? Aber Odyffeus senkte Die Wimpern über die Augen Und rührte sich nicht. Wahrzeichen An Telemachos' Seite Saß Theoklymenos, Der Seher, der sich vor Pylos Zu ihm geflüchtet aufs Schiff. Wenig nur trank er vom Weine, Berührte die Speisen kaum, Und als sich die Luft im Saale Höher und höher hob, Und immer frecher die Worte Von Tische zu Tische flogen, Wandte er seufzend die Augen Und blickte zum Himmel auf. Da sträubt sich das Haar auf dem Haupt ihm, Und sein Geist wird entrückt: Die Sonne, sieht er, verschleiert Ihr leuchtendes Angesicht, In fahlem Dämmer senkt eö sich Gleich einer Wetterwolke Finster herab aus die Halle, Die Wände, sie triefen von Blut, Und aus dem Boden quellen Bleiche Geistergebilde,

Ringen lautlos die Hände, Weisen zur Unterwelt nieder, Und der Gespenster Gewimmel Wächst und wogt, bis es völlig Die nächtige Halle erfüllt. Aber die Gäste, sieht er, Schlingen das rohe Fleisch In blutigen Stücken hinunter, Stürzen in Strömen den Wein, Grinsen verzerrten Gesichtes Mit gräßlich zuckenden Lippen, Und ohne daß sie es wissen, Tropfen dabei die Tränen Über die Wangen hinab, Das Todesahnen der bange Erbebenden Seele verratend Tief in der Brust. Da springt er entsetzt vom Tische. „Unselige, seht ihr es nicht, Wie sich die Lüste verfinstern, Wie euch der Geister Gewimmel, Unendlichen Jammer verkündend, Mit warnendem Winken umwogt? Flieht, was die Füße euch tragen, Eh euch das Unheil erreicht!" So rüst er und stürzt aus der Türe Grauengeschüttelt hinweg. Da lachen die Freier, deuten Zur Stirne gegeneinander Und höhnen Telemachos. „Saubere Gäste sind es, Die du uns zum Schmause bescherst:

Dort der verworfene Bettler, Der windige Taugenichts, Und jener, dem das Gehirn sich Schwindelnd im Schädel drcht, Daß er am lichten Tage Lauter Gespenster sieht!" Der Bogen des Odysseus Da raffte sich Penelopeia Droben am Söller auf, Und zur Kammer der Kleinode Schritt sie, den Mägden rufend, Vor die eherne Tür, Schob dm rostigen Riegel Mit beiden Händen zurück, Und die gewaltigen Flügel Wichen dem Drucke, vom dumpfen Klange des Erzes erdröhnend, So wie auf blumigen Auen Der Stier aus röhrendem Halse, Die Stirne erhebend, brüllt. Suchenden Blickes trat sie Zur kostbaren Kammer hinein, Und über den schimmernden Schätzen, Den Kannen, Kelchen und Ketten, Gewahrte sie oben am Nagel Odysseus' Bogm und Köcher: Mit bebmden Händen hob sie Die teuem Waffen herab, Setzte sich auf dm Schemel Und weinte in bitterm Weh. Dann stand sie seufzend vom Stuhl auf,

Der Not der Stunde gehorchend, Und den Mägden gebot sie, In der Kiste aus Eisen Die Kampsgeräte des Königs, Die klirrenden Äxte, zum Wettstreit Hinter ihr herzutragen: So schritt sie hinab in den Saal. Staunend sahn sie die Freier, Die Waffen des Helden in Händen, Entschlossenen Schrittes nahn. „Hört mich, ihr ruchlosen Männer, Die ihr uns täglich beraubt, Ihr zwingt mich, heute noch einen Von euch zum Gatten zu wählen Wider des Herzens Gebot: Wohl denn! doch nimmermehr werd ich, Das Weib des großen Odysseus, Dem minderen Manne folgen, Dem, sich mit jenem zu messen, Die Kraft versagt! Da seht seinen mächtigen Bogen Und die gefiederten Pfeile: Die pflegte er durch die Ohre Von zwölf Äxten zu schnellen Mit unfehlbarem Schuß. Stelle, mein Sohn, die Beile, Wie dus von klein auf gelernt hast, In der Grube des Estrichs Hintereinander auf, Ihr aber versucht eure Künste, Und wem eö am besten gelingt, Der mag mich dem Hause des Gatt«

Entreißen mit roher Faust, Deö Heißgeliebten, Getreuen, Den ich nimmer vergesse, Doch ach, um den Hals ihm die Arme Werde ich nie wieder schlingen, Und im Traume nur wird mir, An glückliche Zeilen mich mahnend Und den Schmerz mir erneuernd, Sein Schattengebilde noch nahn!" So sprach sie, und in dem Schleier Verhüllte sie ihr Gesicht. Aber die beiden Hirten, Da sie den Bogen des Herren, Den wohlbekannten, erblickten, Weinten, von unaushaltsamem Schmerz um den Teuern bewegt, Bis Antino os wütend Die Faust aus den Tisch vor sich schlug. „Ihr Iammerkerle von Knechten, Heult draußen Wenn

ihrS

im Hofe, ihr

Narren,

nicht lassen könnt,

Aber hier in der Halle Stört nicht die Freude des Festes Und reizt mir die Fürstin nicht, Immer noch ärger zu trauern! Wir aber, Freunde, mein ich, Stellen uns mutig dem Wettkampf, Den uns die Herrin geboten, Ob nicht, Odysseus es nachzutun, Einem von uns gelingt!" Denn der Stolze war sicher, Ihm wärs vor den andern beschert.

Teleniachos hatte indessen Die Ätte hervorgeholt, Pflanzte sie hintereinander In die Grube des Estrichs, Stampfte den Boden fest, Und rief, den Bogen ergreifend: „Wohlan, ihr hochmütigen Männer, Jetzt gilis dem gewaltigen Wettkampf Um das in den Landen der Griechen Am meisten begehtte Weib! Da werde auch ich dabei fein, Denn wer dürfte mirs weigern, Mit euch um die Mutter zu werben, Daß sie, gewinn ich den Preis mir, Dem Sohne im Haufe verbleibt!" Den Pfeil auf die Sehne legend, Zog er mit aller Macht: Bis unter die Haare stieg ihm In die Stirne das Blut, Und dreimal war es vergebens, Doch immer bester gelangs ihm, Und als er zum viettenmal anzog, Wär es ihm wohl geglückt, Hätte er nicht den Vater Mit heimlichem Winken der Augen Ihm wehren gesehn. Da ließ er den Pfeil und den Bogen Mürrisch zu Boden gleiten, Als wäre er ihm entfallen Aus der erschlaffenden Hand. „Mag es ein Stärkrer versuchen!" Rief er, „die Kraft seines Vaters

Fehlt dem entarteten Sohn!" „So war es wohl zu erwarten!" Höhnte Antinoos, „Aber nun laßt uns der Reihe nach, Wie uns der Schenke di« Becher Herumreicht, zum Wettkampfe treten, Von rechts nach links!" Da kams an den Opferpropheten Leiodes, der faßte den Bogen, Der Arbeit wenig gewohnt, Ruckte und riß, bis der Schweiß ihm Über das Antlitz rann, Doch die Sehne nur regte er, Aber der starke Bogen Beugte sich keineswegs, Und in den Sessel sank er, Gänzlich ermattet, zurück. „Freunde, ich kann ihn nicht spannen! 0 diese Unheilswaffe, Mir ahnt, die bringt uns noch alle Miteinander in Not, Wenn ihr vom fruchtlosen Werben Um die Fürstin nicht laßt!" „Was krächzest du, Unglücksrabe?" Schalt ihn Antinoos, „Du freilich bist nicht, die Kräfte Mit Männern zu messen, geboren! Drum schone die zarten Hände Zum Opferdienst am Altare Und schwatze nicht, zager Schwächling, Vor uns hier albemeö Zeug!" Da traten sie einer zum andem

Der Reihe nach an, Doch wie sehr sie sich plagten, Daß schier die Adern der Stirne Ihnen vor Anstrengung sprangen, Selbst ihren Stärksten gelangs nicht, Des Bogens Holz zu bewegen Um einen Finger breit nur. So kam es denn an die letzten, Den stolzen Sohn des Eupeithes Und an Polybos' Sohn. Eurymachos griff »ach der Waffe, Wandte sie hin und her, Das Holz mit den Händen betastend, Und schüttelte endlich das Haupt. „So freilich kanns nicht gelingen: Starr ist der Bogen vor Alter, Drum biegt er sich nicht! Holt eine Scheibe Fettes, Leute, geschwind mir herbei, Laßt sie am Feuer erwärmen Und reicht sie mir, daß ich ihn reibe, Bis er geschmeidig wird! Dann, Penelopeia, soll dir, Du Ränkespinneritt, denk ich, Die Schadenfreude vergehn!" Aber während Melantheus Um das Rinderfett rannte, Schritten die beiden Hirten, Ihr trauriges Herz zu erleichtem, Zur Hallentüre hinaus, Und unbemerkt folgte der Bettler Den Knechten nach.

Im Sternenlicht vor dem Brunnen Traf er die Einsamen an, Wie sie ihr Leid einander In leiser Zwiesprache klagten, Und langsamen Schrittes trat er Auf die Bekümmerten zu. „Um euern alten Herren, Hör ich, ihr Hirten, euch jammern, Doch was würdet ihr tun, Wenn er nun plötzlich inmitten Der trotzigen Freier erschiene, Und er, der eine, im Saale Den furchtbaren Kampf begänne Wider die Übermacht?" „Wenn das uns der Himmel gewährte", Rief Philoitios rasch, „Und wenn uns die Waffen fehlten, Mit unsem Knütteln wahrlich Schlügen wir wacker drein!" Und der Schweinehirt grollte: „Mit meinen bloßen Fäusten Würgt ich das ruchlose Volk!" „So seht mich an", rief der Dulder, „Der sich im Bettlergewande Dem Blicke der Feinde verborgen: Hier steht euer Herr!" Und aus den Lumpen erwuchs er, Enthüllt von der himmlischen Freundin, In angeborener Bildung Der hohen Heldengestalt. Da stürzten die Hirten beide, Wie vom Blitze geblendet,

Zu Boden nieder vor ihm, Und seine Knie umklammernd, Küßten sie jauchzend und schluchzend Die Hände ihm und das Gewand. Aber Odysieus hob sie Liebreich vom Boden empor, Und einen zog er um den andern, Die beiden an seine Brust, Bis sie den Sturm in den Herzen, Dm lieben Herren umarmend, Endlich ein wenig gestillt. „Höret nun", sprach Odysseus, Welch einen Plan ich erdacht: Wenn um den Bogen der Bettler Die Jünglinge bitten wird, Eumaios, dann achte der Freier Verbot nicht und bringe ihn mir, Lause zu Eurykleia, Die mich an der Narbe erkannt hat, Und im Namm des Herrm Gebiete du ihr, die Mägde Alle in ihren Kammern Fest verschlossen zu halten, Und sich darum nicht zu kümmern, Wenn etwa Kampsgetöse, Waffmgeklirr und Ächzen Vom Saale her tönt. Du aber, Philoitios, riegle Sorgsam das Außentor ab Und verrammle es vollends, Daß der Gewalt «s nicht weiche! Dann kehrt in die Halle zurück."

So sprach er, und zu den Freiem Ging er wieder hinein. Übet dem Herdfeuer hatte Indessen Eurymachos bort Dm eingefetteten Bogen Mit beiden Händen gerieben, Und nun erhob er ihn, Zielte und zog die Sehne Aus allen Kräften heran. Vergebens! Zur Hälfte hatte er Kaum ihn gespannt, Da schnellte ihm aus der erlahmenden Rechten die Sehne, und seitab Schwirrte zum Grunde der Pfeil. Knirschend vor Wut und Beschämung, Warf er den Bogen hin, Und in den Händen verbarg er, Gramvoll stöhnend, das Haupt. „0 Götter, das hätte ich nimmer, Nimmermehr hätt ichs geglaubt, Daß wir hinter Odysseus So weit zurückstehn an Kraft! Wie wird nun die Menge am Markte Des schmachvollen Ausgangs sich freun, Und sich die Märe verbreiten Unter den Völkern ringsum: Die sich Odysseus' Gattin Zum Weib zu gewinnen dachten, Kläglich mußten sie weichen, Weil seinen Bogen nicht einer Von ihnen zu spannen vermocht!" „Getrost, Eurymachos", trotzig

Rief es Antino öS, „Warum so verzagten Herzens? Der törichten Menge die Mäuler Stopfen werden wir schnell! Denn nicht, well die Kräfte uns fehlten, Geriet es so übel uns heut, Sondern weil wir die Feier Des himmlischen Bogenschützen, Des großen Gottes Apollon, Mit solchem Wettkampf, so mein ich, Unbedachtsam entweiht! Drum füllt uns die Becher von frischem, Daß wir zur Sühne ihm spenden Und für ein bessres Gelingen Morgen vorm Mahle flehn!" Da stimmten sie rings an den Tischen Erleichterten Herzens ihm bei, Aber der Bettler erhob sich Und hinkte näher heran. „Lieber, mit großem Verstände, Scheint mir, hast du gesprochen! Doch nun gewährt mir die einzige Bitte dem greisen Mann: Die Kunst, mit dem Bogen zu schießen, Hab ich in besseren Zeiten Als Knabe schon eifrig geübt, So daß ich als Schütze berühmt ward Weitum im Kreterland! Und nun gelüstet- mich mächtig, Noch einmal es zu versuchen, Ob mich dar Alter völlig Der früheren Kraft beraubt!" 323

„Was fällt dir ein, du verrückter, Abfallschlingender Flegel?" Schrie ihn Aniinoos an: „Willst du mit uns dich messen, Du trauriger Lumpenhund, Um uns zum Gefpötte zu machen In aller Welt?" Und auf den Schweinehirten, Der schon nach dem Bogen gegriffen, Um ihn dem Bettler zu bringen, Drangen mit drohendem Schreien Und mit erhobenen Fäusten Die Freier ein allzumal. „Werft sie, die Unverschämten, Beide zur Halle hinaus!" Da trat die Fürstin voll Unmuts Vor den tobenden Schwarm. „Laßt ab, denn ein Gast ist dieser Gleich allen andern im Saal, Mag er die Lumpen der Armut, Der unverdienten, auch tragen Und ihr in Purpurgewändern Als Erben der reichen Eltern Prassen an unserm Tisch! Fürchtet ihr etwa, es könnte Solch ein elender Greis Eher den Bogen spannen Als ihr in blühender Jugend, Die Ersten auf Ithaka? Oder glaubt ihr am Ende, Sollte ihm solches glücken, So unwahrscheinlich es ist,

Daß er zum Weib mich begehren Dürfte als Siegerpreis?" Aber Telemachos legte Ihr auf die Schulter die Hand. „Mutter, in deine Gemächer Rat ich dir, kehre zurück, Denn sich um dieses zu kümmern, Ist deine Sache nicht! Mein ist der Bogen des Vaters Nach Sohnesrecht, Und über ihn zu verfügen Habe ich ganz allein! Eumaios, du bringst ihn dem Alten, Daß feine Kunst er uns weife, Weil ich, der Hausherr, es will!" Da trug ihn der wackere Hirte Durch die murrende Menge Der übermütigen Freier Vor den Bettelmann hin. Und wie es Odysseus geboten, Verließ er mit seinem Gesellen Die Halle, und eilig kehrten, Nachdem sie den Auftrag vollzogen, Die beiden zurück in den Saal. Da schritt auch Penelopeia, Den Worten des Sohnes gehorchend, Wieder zum Söller empor, Warf sich unwillig aufs Lager, Und siehe, Athene senkte sie, Sanft ihre Seele dem Toben Unten im Saale entführend, In tiefen traumlosen Schlaf.

Aber Odysseus setzte Vor den Äxten am Estrich Sich im Stuhle zurecht, Strich mit prüfenden Fingern Seinen geliebten Bogen, Ob ihn nicht etwa das Alter Oder der Wurm geschädigt, Und so wie der Meister der Harfe Zum Spiele die Saiten stimmt, Ließ er versuchend die Sehne Surren mit fingendem Ton. Dann spannte er ihn im Sitzen Leichthin mit lässiger Hand, Daß sich die Enden beinahe Miteinander berührten, Und durch die Ohre schwirrte Vom ersten bis zu dem letzten, Ohne zu fehlen, der Pfeil. „Nun, Telemachos", rief er, „Hab ich zu unrecht mein Schießen Gerühmt und dir Schande gebracht?" Und winkte ihm mit den Augen, Daß er begreife: fetzt gilis! Da warf sich sofort der Jüngling Das scharfe Schwert um die Schulter, Und neben den Vater trat er, Den Speer in der Rechten, hin. Der Saalkampf Währenddem saßen die Freier Stumm vor Staunen und starr, Daß es mit leichter Mühe

Dem lumpigen Bettler gelungen, Was ihnen allen mißglückt. Da griff in den Köcher Odysseus Von neuem hinein. „Sicheren Schusses hab ich Ein Ziel erreicht! Nun suche ich mir ein zweites, Wie sichs kein Schütz noch gesetzt, Ob mir an seinem Festtag Der Fernhintreffer Apollon Ehre verleiht!" Sprachs, und den Bogen spannend, Schoß er den scharsen Pfeil Antinoos in die Gurgel, Daß ihm die eheme Spitze Aus dem Genick hinten drang: Rücklings stürzte er röchelnd, Und mit den Füßen stampfend, Stieß er den Tisch um, daß Schüsseln Und Becher zu Boden klirrten Und sich der Wein mit dem Blute, Den Estrich besudelnd, ergoß. In jähem Entsetzen stürmten Die Freier auf von den Stühlen, Rannten in Wut und Verwirrung Durcheinander und schrien, Denn sie glaubten, er habe Ihn aus Versehen getroffen: „O du Unheilsgeselle! Reißt ihm den Bogen weg Und schlagt ihn zu Tod mit den Fäusten, Der uns den Edelsten aller,

Den tapfersten Jüngling der Insel, Der freche Tölpel, gefällt!" Da warf von den mächtigen Schultem Odysseus das Bettlergewand Und sprang auf die hohe Schwelle Mit Bogen und Köcher empor. „Ha, ihr Hunde, ihr wähntet, Nimmermehr kehrte ich heim, Die Freveltaten zu rächen, Die ihr an den Meinen verübt! Was gafft ihr? erkennt ihr mich noch nicht? Der Hausherr, den ihr geschmäht habt, Mit Schemeln und Knochen geworfen, Ist über euch Schurken gekommen: Der Tag der Vergeltung ist da!" Grauenergriffen starrten Den Heimgekehrten sie an, Zur Wand zurück wichen sie schaudemd, Und ihre Blicke irrten, Wie sie sich bergen könnten, Ratlos rings durch den Saal. Aber einer ermannte sich Mühsam, des Polybos Sohn, Und die Hände erhebend, Rief er Odysseus zu: „Habe mit den Verführten, Großer König, Erbarmen: Ja, wir haben gefehlt! Doch der das Ärgste verbrochen, Nun liegt er am Boden im Blute, Der stolze Antinoos! Lasse daran dir genug fein,

Und was wir an dir gesündigt, Ersetzen wir zehnfach dir!" Aber Odysseus schüttelt« Finsteren Blickes das Haupt, „Allzuspät kommt die Reue!" Und griff nach dem rächenden Pfeil, „So wie ihr mitsammen gefrevelt, Büßt ihr mir insgesamt!" Da griff auch der andre zum Hieber: „Freunde, der Schreckliche ruht nicht, Bis er uns alle vettilgt! Auf denn, zieht eure Schwetter, Packt statt der Schilde die Tische, Denn als einzige Rettung Bleibt uns verzweifelter Kampf!" Mit gräßlichem Schreien sprang er, Den blitzenden Stahl in der Rechten, Seinen Genossen voran Und wankte und stürzte, die Leber Vom spitzen Geschosse durchbohtt, Und mit den Fingern krallend, Griff er im Staube des Estrichs, Stöhnend vor Schmerzen, umher, Bis dem im Krampfe zuckenden Leibe das Leben entwich... Umsonst war das Warnen des Bettlers: Amphinomos, sanfter Jüngling, Du siehst den Gefähtten fallen, Du greifst nach dem Schwette, du schwingst Du rennst und stürzst, denn Telemachos Springt von der Seite her, stößt dir Den Speer in die Weiche und flieht,

Die Lanze im Stiche lassend, Zur Schwelle der Halle zurück. „Vater", ruft er, „ich hole Vom Speicher uns mit den Hirten, Eh du die Pfeile verschossen, Harnische, Helm und Speer, Denn ungerüstet zu streiten Wider die Menge der Gegner, Haben sie erst sich besonnen, Im Haufen uns anzugreifen, Geht auf die Dauer nicht!" Und durch das enge Pförtchen Des Saals in der Seitenwand Schlüpft er mit beiden Hirten Und eilt zum Speicher hinauf. Aber die Freier halten sich Hinter den Tischen und Bänken Bange lauernd geduckt, Und sowie einer das Haupt hebt, Zum Angriff hervorzustürmen, Surrt die Sehne sofort, Und vom Pfeile getroffen, Schlägt er die Stirn in den Staub. So schießt Odysseus, die Scharen Der Feinde vom Leibe sich haltend, Bis sich der Köcher ihm leert. Da keucht der Sohn mit den Knechten Waffenbeladen heran. — „Nun ist unser Ende gekommen!" Ächzt, in der Hallenecke Kauernd, Damastors Sohn. „Noch nicht, Herr", flüstert Melantheus, 33o

Und sachte kriecht er herbei, „Die Pforte ließen sie offen Zum Speicher, seht ihr es wohl? Ich wagö, ich husche hinüber, Derweil sie sich wider euch rüsten, Und bringe euch Waffen herab!" ... Indessen sind vor Odysseus, Nachdem der letzte der tödlichen Pfeile der Sehne entfchwirrt, Der Sohn und die Hirten getreten Mit drohend geschwungenem Speer: Den Bogen legt er beiseite, Den schimmernden Harnisch schnallt er Sich um die Brust geschwind, Stülpt den Helm mit dem Roßbusch Schnell sich über das Haupt, Greift nach der ragenden Lanze — Da prallt er zurück: Speerspitzen, sieht er, blinken Hinten im Hausen der Freier, Helme und Hämische blitzen, Und durch die Adern rieselt Kalt dem Helden der Schreck. „Freunde, wahrlich, nun heißt es, Das Herz in die Hände nehmen: Ein Schuft von Verräter hat sie Mit Waffen versehn!" Und Telemachos schlägt sich Mit der Hand vor die Stirn. „Vater, ich bin es, der schuld ist, Ich selber bin es allein: Das Pförtchen zu schließen hab ich

Völlig vergessen vor Hast!" „Da schleicht er, der schwarze Schurke!" Knirscht Eumaios und weist Zur Türe hinüber, wo eben Melantheus gebückten Hauptes In den Gang hineinhuscht. „Schnell ihm nach", ruft Odysseus, „Meine getreuen Knechte, Und ihm den Garaus gemacht!" ... In mächtigen Sätzen rumpelt Melantheus die Stiege empor, Springt in den Dämmer des Speichers, Spähenden Blickes reißt er Ein Schwert, einen Harnisch, zwei Helme Vom Nagel droben herab. Da hört er, es rascheln Tritte, Und wie er erschrocken zurücksteht, Stürzen die Hirten beide Wütend über ihn her, Stoßen ihm in den Rachen Den Knebel, sein Schreien zu stopfen, Schnüren ihm Hände und Füße, Bis das Blut daraus spritzt, Uber dem Rücken zusammen Und ziehen ihn über den Balken Am Seile zur Decke empor. „Nun baumle du, allen Verrätem Zur Warnung, unter dem Dach, Von schrecklichen Schmerzen gefoltert, Bis wir, dich abzutun, kommen, Ehe das Frührot erscheint!" Und die beiden, sie rennen

Die Stiege hinab in den Saal Und springen zur hohen Schwelle Dem Herren zuhilse hinauf. So stehen die wenigen Männer, Das Häuflein der vier ganz allein, Den Schild vor die Brust geworfen, Die Speere zum Schüsse bereit, Und wider sie wogen der Gegner Zahllose Scharen heran — Und stutzen und stocken, und drohend Schallt ihr Geschrei: „Mentor, du Gottverfluchter, Hinweg mit dir! Wie wagst du es, unseren Feinden Dich zu gesellen, du Wicht!" Über die Schulter schaut eilig Der Dulder — und sieht die himmlische Freundin hinter sich stehn: Die göttlichen Augen winken Ihm Zuversicht zu, Und wie es jählings erschienen, Schwindet dem Blick das Gebild. — „Ha, nun ist er entwichen, Als hätt ihn der Boden verschlungen!" Ruft es vom Saale herauf, „Verloren gibt er die Freunde: Auf denn, nicht länger gezaudert, Hebt eure Waffen, schießt!" In Scharen sausen die Speere, Doch allzu hastig geschleudert, Verfehlen die meisten das Ziel: Der kracht in den Pfosten der Türe,

Der schlägt in die Pforte, der splittert Zurück vom Steine der Wand. Nur Kiesippos' schwirrende Lanze Streift des Sauhirten Schulter, Und Amphimedons Wurfspieß Ritzt dem mutigen Jüngling Leichthin das Handgelenk. Aber nun schwingen die andem Zielend die Todesgeschoffe, Und kein einziges fehlt: Vier von den Feinden fallen Schreiend übereinander, Rings um die Winselnden weichen Bestürzt die Gefährten zurück, Und jene von drüben rennen, Die Schwerter geschwungen, hinzu, Entreißen die Lanzen den Leibern Und schleudern sofort sie aufs neu. „Da, nimms für den Kuhfuß!" Philoitios Brüllt es, und Ktesippos rasselt, Den Spieß im Bauche, zum Grund. Odysseus ereilt Agelaos, Stößt ihm ins Zwerchfell den Speer. Telemachos hat Amphimedon Zu Boden gerissen, schlägt ihm Vom Rumpf mit dem Schwerte das Haupt. Polybos flieht, in den Rücken Saust ihm Eumaios' Geschoß. Und nun schüttelt, den Blicken Im Dunkel der Decke verborgen, Athene die blitzeschwangre Furchtbare Wehr ihres Vaters,

Des Donnrers im Wettergewölke Grauenverbreitenden Schild. Von Angst gelähmt und Entsetzen, Erzittert die Horde der Frevler, Die Waffen entfallen den Händen, Und so wie die Rinderherde, Vom Wespenschwarme verfolgt, Uber die Weide davonrast, Rennen sie hierhin und dorthin, Rettung suchend, in wildem Getümmel den Wänden entlang. Über die Leichen der Freunde Stolpert und stürzt der Freund, Schädel krachen, vom Blute Strömt der Boden ringsum! Und siehe, einer bleibt stehen Und wirft sich Odysseus zu Fuß. „Schone meiner, o König! Schuldlos bin ich, der Priester, Leiodes, der Opferprophet: Me habe ich wider die Deinen Schnöde Gewalt gebraucht, Sondern zu Mäßigung immer Die trotzigen Freunde gemahnt!" Aber das Schwert schwingt Odysseus. „So hast du doch wohl als Priester An jedem Festtag die Hände Frommen Gebetes erhoben, Daß ich den Tag der Heimkehr Nimmer erleben möge, Und daß gewiß meine Gattin Als Beute dir zufallen soll!"

Und in den Nacken schmettert er Ihm das rächende Schwett, Daß von den Schultem des Priesters Der Schädel zu Boden springt... Da ist es stille geworden Von Kampflärm und Schlachtgeschrei. Reglos liegen die Haufen Der Feinde umher in der Halle Uber den Boden gestreckt, Fischen gleich, die, aus den Netzen In Menge geschüttelt, am Sande Im Sonnenbrände des Mittags Ihr Leben verlechzt. Aber Odysseus schreitet Zwischen den Scharen der Leichen Spähenden Auges umher, Ob sich nicht unter ihnen Etwa ein Lebender birgt. Da raschelts im hintersten Winkel, Und aus den Toten taucht Bleichen Gesichts, die zettrümmette Harfe in bebenden Händen, Der Sänger und sinkt aufs Knie. „Töte mich, König, im Grimme, Wenn es dir also gefällt! Aber beim großen Gotte, Dessen Gunst mich zum Liede Begeistett, schwöre ichs dir: Nie hab ich um schnöden Votteil Schmeichelnd den Freiern gesungen, Sondem nur, weil die rohe Gewalt den Unwilligen zwang!"

„Vater, so ifte!" ruft der Jüngling, Die Treue gehalten hat er Uns immer, der Mutter und mir! Ach, und Medon, der Herold, Der Wackre, wo ist er hin? O weh, ich fürchte, wir haben Im blinden Zorne des Kampfes Den Biedern selber gefällt!" „Söhnchen, noch leb ich!" tönt es Dumpf unter einem der Tische, Und aus dem Rinderfelle, Darin er sich bange geborgen, Wickelt geschwind sich der Herold Und springt zum Verstecke hervor. Da küßt die geretteten Diener, Den Göttern dankend, Odysieuö Und gebietet dem Sohne, Eurykleia zu rufen, Die ehrbare Schaffnerin. Reinigung Sie kommt: mit zitternden Knien Eilt sie die Stiege hinab Und sieht ihren Herren im Saale Unter den Leichen schreiten, Haupt und Schultern besudelt Vom männermordenden Kampf, Dem Löwen gleich, der gesättigt Vom Mahl am geschlagenen Stiere Funkelnden Auges einhergeht, Die Mähne, die Brust und die malmenden Backen vom Blute befleckt.

Gell auf jauchzt sie, vom schrecklichen Anblick grimmig erfreut. Da hebt Odysseus die Hand auf, Der Greisin wehrend, und spricht: „Stille, Alte, nicht also! Ergangen ist über die Gegner Der Götter gerechtes Gericht! Danke den Himmlischen droben, Doch zähme die vorlaute Zunge, Denn Sünde ists, vor den Scharen Erschlagener Feinde zu jubeln In ausgelassener Lust! Geh nun hinauf zum Söller, Öffne die Kammern der Mägde Und hole mir jene herunter, Die mit den Freiern gebuhlt." „Zwölf sinds von unfern Fünfzig", Zetert die grimmige Greisin, „0 wie haben die Huren Uns alle gehöhnt und gepeinigt Und, die Herrin verachtend, Ihren Geboten getrotzt!" „Sie sollen den Saal uns säubern Von Unrat und Blut und die Toten Vors Tor auf die Gasse tragen. Dann führt sie zum hinlern Hofe, Telemachos und ihr Hirten, Und tut sie ab mit dem Schwert!" Da kamen sie traurig gegangen, Die Mägde, mit hängenden Köpfen, Schaudernd sahn sie die Haufen Der Erschlagenen liegen,

Schleiften mit schlotternden Händen Die Leichen der Lustgenossen Zur Halle hinaus vors Tor, Und kehrten mit Eimern voll klaren Wassers vom Brunnen zurück: In mächtigem Schwalle ergossen Uber den Unrat am Boden Die Fluten sich durch den Saal, Von Tischen und Bänken wuschen Und rieben die Dirnen das Blut, Und nachdem sie die Diele Wieder trocken gewischt Und die Geräte in Ordnung, Wie fichs gehörte, gestellt, Bis jede Spur von dem Kampfe Im Saale geschwunden war, Trieb sie der Jüngling im Haufen Zur Halle hinaus in den Winkel Des Hofes hinter dem Haus Und sprach, zu den Hirten gewendet: „Den ehrlichen Tod durch das Schwert Sollen die Huren nicht haben: Hängt sie unter dem Dache Alle der Reihe nach auf!" Also erlitten sie droben, Dem Schwarme von Zugvögeln gleich, Die in den kunstvoll gestellten Schlingen des Jägers verzappeln, Den kläglichsten Tod. Und nun holten die Hirten Melantheus vom Speicher herab Und hieben dev schwarzen Verräter

In Stücke, den schändlichen Knecht. Indessen hatte Odysseus Fluchabwendenden Schwefel Im Silbergesäße entzündet Und mit dem heiligen Dampfe, Die Rachegeister vertreibend, Rings in der Halle geräuchert, Bis sie vom Dunste des Mordes Völlig gereinigt war. Da eilten, den Herrn zu begrüßen, Die treugebliebenen Mägde, Vor Freude weinend, herbei. Aber die Alte hatte Das warme Bad ihm bereitet, Daß er vom Haupt und den Gliedern Den Schweiß und das Blut sich wasche, Und ihm den köstlichen Leibrock Samt dem schimmernden Mantel, Wie er dem König gebührte, Draußen zurechtgelegt. Gestärkten Leibes entstieg er Der ehern tönenden Wanne, Und nachdem er den Purpur Sich um die Schultern geworfen, Schickte er, um die Gattin Nunmehr herabzurufen, Die Greisin zum Söller empor. Erkennung „Töchterchen, Teure, erwache!" Uber die Herrin gebeugt, Rufts Eurykleia und rüttelt

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Penelopeias Arm. Die fährt aus dem Schlafe erschrocken Und starrt ihr verstört ins Gesicht. „Grausame, warum weckst du Aus süßem Vergessen mich auf, Darein ein Gott mich, die Seele Dem Grame entführend, versenkt?" „Dein Trauern zu enden", jubelt Die Greisin, „wecke ich dich: Jauchze, Geliebte, vom langen Leide endlich befreit! Der als Bettler den Bogen Zum Wettkampfe im Saale erhoben, Heimgekehrt ist unser Herr, Und alle bis auf den letzten Der Freier hat er gefällt!" Da springt sie, vor Freude erglühend, Vom Lager auf, Aber gleich wieder erbleichend, Stöhnt sie und sinkt zurück. „Alte, du lügst, unmöglich, Ganz unmöglich istö ja!" „Komm nur", drängt sie die Greisin, „Schau ihn mit eigenen Augen, Daß er in seine Arme Endlich die Gattin nimmt!" Zögernden Fußes schreitet sie, Hoffnung und Furcht im Herzen, Die knarrende Stiege hinab, Und neben der ragenden Säule Sieht sie im Saale ihn sitzen, Vom Purpurmantel umschimmert,

Den ftädtestürmenden König, In stolzer Kraft, Und will ihm mtgegenstürzen, Die Arme um ihn zu schlingen In seliger Lust — Und Zweifel bestürmen verwirrend Ihr das erschütterte Herz: Wie, wenn ein feindlicher Dämon, Nachdem er die Freier vertilgt hat, In der Gestalt des Gatten Die Vettrauende trügt? So geht sie gesenkten Blickes An Odysseus vorüber, Und stille setzt sie sich seitab Zum Feuer am Herde hin. „Mutter", ruft stutzend der Jüngling, „Du grüßt nicht den Gatten, du fällst ihm Voll Glückes nicht um den Hals, Der uns nach zwanzig Jahren Des Elends heimgekehrt ist? 0 du Kaltsinnige, Böse, Hast du denn statt des Herzens Einen Stein in der Brust?" Sie schüttelt die Flechten und sinnend Schaut sie ins Feuer hinein. „Weiß ichs denn, wer jener Mann dott, Der meinem teuren Odysseus So gleich sieht, in Wahrheit ist? Sind nicht Unsterbliche oft schon Zur Erde niedergestiegen, Um Menschentöchter zu täuschen, In angenommner Gestalt,

Wie der Donnergott selber Amphitryons Weibe genaht?" „Schilt, mein Sohn, nicht die Mutter", Spricht milde verweisend der Dulder, „Allzuviel hat sie erlitten, Um ohne Argwohn zu sein! Lasten wir sie in Ruhe Reiflich es selbst überlegen Und mich alsdann besragen, Daß sie den Gatten erkennt, Denn mancherlei Dinge gibtö ja, Die sind nur uns beiden bekannt! Du aber ruf das Gesinde Derweil im Saale zusammen, Denn nun gilts die Gesippen Mit klugem Erfinden zu täuschen, Denen wir ihre Freunde Hier in der Halle gefällt: Vom Tode der Freier erfahren Dürfen vor morgen sie nicht, Daß sie nicht etwa im Dunkel Heimlich den Hof uns umzingeln Und zündende Fackeln schleudern, Bis sie über dem Haupte Das Haus uns niedergebrannt, Und wir in Rauch und Flammen Hilflos zugrundegehn! Drum soll der Sänger die Harfe Zum Tanze ettönen lasten, Und die Knechte und Mägde Im Reigen springen und stampfen, Daß jedermann, draußen am Tore

Vorübergehend, sich denkt, Da feiert Penelopeia Gewiß mit einem der Freier, Am Leben des Gatten verzweifelnd, Das Hochzeilsfest!" Alfo befiehlt er. Sie folgen Freudig den Worten des Herm: Im flammenden Glanze der Fackeln Erstrahlt die Halle, die Diele Erdröhnt vom Stampfen der Füße, Und Jauchzen, Lärm und Gelächter Hallt hinaus in die Nacht. Aber Odysseus schreitet Zur einsamen Gattin am Herd. „Wunderliche, noch immer Willst du mich nicht erkennen? Wohlan, so lasse ein Bett mir Im Vorsaal der Halle bereiten, Daß ich der Gattin ferne, So sehr ich nach ihr mich gesehnt hab, Liege im eigenen Haus!" „Wunderlicher", erwidert Zu Boden blickend die Frau, „Wenn du wirklich Odysseus, Wie du behauptest, bist, Hast du nicht selber zu weisem Erwägen stets mich gemahnt? Mein ich doch manchmal, du seift es, Und wieder erscheinst du mir fremd!" Und mit dem Haupte winkt sie Die ehrbare Alte herbei. „Mütterchen, lasse die Mägde

Das Bett des Odysseus vom Söller Heruntertragen und richt es Dem Helden im Saale hier!" Da wendet betroffen der Dulder Auf ihre Worte sich um — Es war aber mit dem Lager Ein letztes Geheimnis verbunden, Nur ihnen beiden bekannt: In den Stamm eines Olbaums, Die Mittelstütze des Hauses, Hatte Odysseus das Bette, Als wär es damit verwachsen, So fest und kunstvoll gefügt, Daß es, ohne die Balken Oder den Baum zu brechen, Keiner entfernen konnte, Wär er auch noch so geschickt — „Frau, wie redest du?" ruft er, Im Herzen verwundet, „wer hat mir Das Bett zu zerstören gewagt, Das ich mit solcher Liebe Und unermüdlicher Arbeit Zum Ehelager uns Gatten Gezimmert in glücklicher Zeit?" Und staunend startt er: von Schluchzen Geschüttelt, sitzt sie im Sessel, Springt vom Stuhl auf, und weinend Fällt sie ihm um den Hals. „Mein Herr, mein Geliebter, du bist es, Jetzt hab ich dich wahrlich erkannt: So unverletzt ist das Lager, Wie ich unverletzt dir

Die Gattentreue gehalten Aller Bedrängnis zutrotz! Folge mir, du mein Ersehnter, Tritt in dein Schlafgemach ein, Das so lange vergebens Seines Herren gehartt!" ... Im Laube der Bäume flüstert Leise der Wind ums Haus, Hoch vom nächtigen Himmel Leuchtet der Mond herein, Und des Ehegemaches Heilige Heimlichkeit hütend, Ragt die göttliche Freundin Pallas Athene vorm Tor. Aber die endlich Vereinten, Nachdem sie in holder Umarmung Die Sehnsucht der Liebe gestillt, Enthüllen in nimmermüden Gesprächen eines dem andern, Was sie in langen Jahren Erlitten, einander fern. Wie sie von den Freiern bedrängt ward, Und, an Erfindung reich, Den Tag der verhaßten Hochzeit Den Schamlosen Jahre um Jahre Immer wieder verschoben, Erzählt ihm die Gattin und hängt Lauschend an seinen Lippen, Da er von den Abenteuern Aus der endlosen Irrsahtt Am Land und im Meere berichtet: Vom finstern Kyklopen, der ihm

Die liebsten der Freunde verschlungen, Vom hohen Gebieter der Winde, Aiolos, dem Erzümten, Von Kirke, der heillosen Hexe, Vom Grauen im Höllengrunde, Vom lockenden Sang der Sirenen, Von der entsetzlichen Skylla Und der Charybdis raffendem Unersättlichem Schlund, Von des Sonnengotts Rache Am Frevel seiner Gefähtten, Von der lieblich gelockten Kalypso auf fernem Eiland, Und wie ihn Pallas Athene Dem Liebesverlangen der Nymphe Zum Land der Phäaken entfühtt, Und wie ihn die gastfrohen Männer Im Schiffe zur Heimat geschafft. „Aber, Geliebte", spricht er, „Zu Ende gegangen sind wir Den Weg unsrer Leiden noch nicht: Morgen heißt es, zum Kampfe Wider die Rächer uns rüsten, Denen wir die Gesippen Im Saale erschlagen haben, Denn wider uns werden sie sicher Die schwankende Menge empören, Und besiegen wir sie, Dann steht mir, so hat es der Seher Im Totenreich mir gewiesen, Weitere Arbeit bevor: »Wenn du, Odysseus", so sprach er,

,Heil aus den harte» Kämpfen Endlich zur Heimat gekehrt, So wird dir unter den Deinen In Ruhe und Glück zu weilen Dennoch nicht eher gewährt, Als bis du die Geister der vielen, Die du des Lebens beraubt hast, Dir wieder im Hades versöhnst. Ein Ruder nimm auf die Schulter Und wandre weit über Land, Jahrelang immer nach Osten, Bis dir ferne in Reichen Anders redender Menschen, Die nie noch vom Meere vernahmen Und flutenbefahrenden Schiffen, Ein Mann begegnet und fragt, Was du für eine Schaufel Uber der Schulter trägst. Dann stoß in die Erde das Ruder, Bete zum finstergelockten Poseidon, dem Wogengebieter, Daß er vom Grolle läßt, Wende dich um und wandre Den langen Weg in die Heimat, Ohne zu rasten, zurück. Dort bringe das Opfer den Toten Am festlich bekränzten Altare, Und ungestört wirst du fürder Mit deinem Weib und dem Sohne Beglückt, ein Beglückender, herrschen, Bis dich, den Hochbetagten, Ein sanfter Tod von der Erde

Dem trauernden Volke entführt!*" Da schlingt ihm Penelopeia Den Arm um den Hals und ruft: „O wenn uns ein frohes Alter Das Leben doch krönen soll, So laß uns ums andre nicht sorgen: Mit dir will getrost ich es tragen, Was bis dahin uns das Schicksal An trennendem Harme verhängt!" So reden sie untereinander, Des Überstandenen froh, Ohne im Eifer zu achten, Wie die Stunden entschwinden Und abwärts unter den Sternen Die fchlummerfpendende Göttin Den Wagen schon niederlenkt. Da hebt die himmlische Freundin, Athene, lächelnd das Haupt, Und wie eine Mutter liebreich Um ihre Kinder bemüht, Gebietet sie göttlichen Winkes Der dunklen Nacht, die eilenden Rosse am Himmel hemmend, Stille zu stehn, Und Eos, der Früherwachenden, Unten im Meere zu weilen, Bis die Gatten einander Die Fülle des Herzens entladen Und in erquickendem Schlummer Neue Kraft sich geschöpft.

Di« Schatte« Aber während sie droben Einander im Arme ruhn, Ziehen fernab der Heimat Liber den dunkelrollenden Fluten des Ozeans, Gleich Schwärmen von Fledermäusen In grauem Gewoge flatternd, Die Schatten der jüngst Erschlagnen, Die Seelen der trotzigen Freier, Von Hermes, dem Totenhitten, Lenkenden Stabes gefühtt, Durch die unendlichen Weiten Dem Sonnentore vorüber Zum Ende der Welt. Unter dem Felsen von Leukas, Dem letzten im Lande der Menschen, Den des TageSgestimeS Schwindende Strahlen erhellen, Schwirren die Flüchtigen schon, Gleiten durchs Reich der Träume Voll gaukelnder Luftgebilde Und strudeln gleich Wolkenschwaden, Die von den Bergen sinken, In der Unterwelt gähnenden, Alles verschlingenden Schlund, Und zur Aöphodeloswiese, Dem stille» Gelände der Schatten, Schwärmen sie hin. Dott stehn um des stolzen Peliden Ragende Heldengestalt Seine Gefähtten, die mit ihm 35o

Im Kriege vor Troja gekämpft: Patroklos, an des Freundes Schulter liebend gelehnt, Ajas, die blutige Lanze In der gewaltigen Faust, Antilochos, einst der geschwindeste Springer im Griechenheer, Agamemnon, der mächtige Feldherr vor Ilion, Und sie gedenken der Taten, Die sie im Lichte vollbrachten, In schmerzlicher Lust. Da enttönt es den Lippen Agamemnons, des Königs, Klagenden Lauts, dem verhallenden Hauche des Windes gleich: „O ihr glücklichen Freunde, Denen im Kampfe zu fallen Vorm Feinde die Götter vergönnt! Euch haben mit hohen Ehren Betrübte Gefährten bestattet Und unter Trauergesängen Den Grabhügel euch gewölbt! Und als du, Pelide, im Felde, Vom tückischen Pfeile getroffen, Im Staube hingestreckt lagst, Haben wir über der Leiche Racheschnaubend gestritten, Bis wir den trotzigen Troern Den teuern Toten entrissen Und ihn zu unsern Hütten Am hallenden Strande gebracht.

Da tauchte sie, deine Mutter, Thetis, die Göttin, jammernd Empor aus dem schäumenden Meer, Vom Schwarme der Nereiden Klagend und schluchzend umringt, Daß über die Lande das Weinen Bis in den Himmel scholl! Mich aber haben die Meinen Am eigenen Herde gefällt, Und ich, der die Griechenheere Als euer Feldherr geführt hat, Unbeweint ward ich verscharrt!" So klagt er, und aufwärts blickend Hebt er die Brauen verwundert, Denn von der Oberwelt nieder Wogen Scharen Erschlagner In dichten Haufen heran, Und vor die Schatten tritt er, Auskunft begehrend, hin. „Wo hat auf der Erde droben Ein Schlachtengewitter getobt, Daß ihr in solcher Menge Auf einmal zum Hades euch wälzt?" Doch aus den schwebenden Scharen Blickt es mit bleichen Augen, Und eine Stimme haucht: „Kein Schlachtengewitter war es, Nicht Heere haben gestritten In männermordendem Kampf: Einer nur wars, der mit wenigen Seiner getreuen Gefährten In den Tod uns gesandt,

Odysseus, der göttliche Dulder, Um dessen Gattin wir freiten, Mit Raub und Mord sie bedrohend! Sie aber hielt unerfchüttett, Mit klugen Künsten uns täuschend, Die Treue dem Angetrauten, Und in unseren Freveln Fuhren wir alle dahin! So hat die Ehre der Frauen, Die Klytaimnestra, den Gatten Ruchlos erschlagend, geschändet hat, Penelopeia gerächt!" Laerles Indessen hatten die Gatten, In süßen Schlummer versunken, Der stärkenden Ruhe genossen, Und der Hemmung enthoben, Die ihr Athene verhängt, Lentte die dunklen Rosse Vom Himmel nieder die Nacht. Da tauchte, im rosigen Glanze Der lieblichen Wangen erglühend, Die Göttin der Morgenröte Zum murmelnden Meere hervor, Und vom Lager sprang eilig Der göttliche Dulder aus. „Bleibe du, Penelopeia, Mit allem deinem Gesinde Ruhig im Hause zurück, Und kümmett euch nicht, wenn drunten Am Markte sich Lärmen erhebt.

Den Sänger und Medon, den Herold, Laß ich zum Schutze euch hier, Aber wir andern ziehen In vollen Waffen zum Pächter, Zu Dolios, dem getreuen, Der meinen Vater behütet, Hinaus aufs offene Land Und rufen die Knechte zusammen, Daß wir dem Sturme der Feinde, Wenn sie vom Tode der Freier In aller Frühe erfahren, Kräftig begegnend stehn!" Also gebot er, und ehe noch Neritons ragenden Gipfel Die Strahlen der Sonne erreicht, Schritten im Morgenlichte Telemachos und die Knechte, Von Odysseus geführt, In den Rüstungen klirrend, Zum Tore ins Freie hinaus Und schlichen auf heimlichen Pfaden, Im Dickicht sich bergend, hin. Aber als das Gehöfte Im Felde sie auftauchen sahn, Sprach stille stehend der Dulder: „Geht nun ohne mich, Freunde, Zum Hause hinein und bereitet Uns hurtig das Morgenmahl, Während ich draußen im Fruchthain Dolios bei der Arbeit, Dm Pächter, aufsuchen will Und vor allem im Garten

Den lieben Vater begrüßen, Der sich ja täglich dort abschafft, Wie mir die Gattin geklagt hat, Der tiefbekümmerte Greis!" Und in den kühlen Schatten Der lichtumfloffenen Bäume Voll prangender Früchte trat er, Und lange schritt er vergebens, Den wackern Pächter zu finden, Forschend im Haine umher. Da sah er am Ende des Gartens Tiesgebückt einen Alten, Um ein Bäumchen die Erde Mühsam auflockernd, stehn: In vielfach geflicktem Kittel, Bis über die Knie die schlotternden Schenkel in rauhe Stiefel Aus rohem Leder gehüllt, Die Silbersträhne des Hauptes Im Schweiße vom Scheitel gesunken Über das bleiche Gesicht! Und in den Adern stockte Erstarrend Odysseus das Blut: Das war er, im Knechtögewande, Der greise König Laerles, Sein teurer Vater, er wars! Tränen rollten in heißen Tropfen dem Sohne herab, Und zweifelnd stand er: sollte er Schnell in die Arme ihn schließen Oder, ihn nicht zu erschrecken, Mit verstellenden Worten

Fürs erste dem Greise nahn? Da trat er, sein Herz bezwingend, Znm Ahnungslosen und sprach: „Fremder Vater, so srüh schon An der ermüdenden Arbeit? Wahrlich, dich so zu sehen, Im Schweiße des Angesichts schaffend, Tut mir im Innersten weh, Erkenn ich doch trotz der schäbigen Hülle, dir dich entstellt, Die Züge des Adels im Antlitz Und an den Heldengliedern Der vom Alter gebeugten, Einst so hohen Gestalt! Solch einem edeln Greise Gebührte es, statt in der Sonne Schwitzend und stöhnend zu schaffen, Einem Taglöhner gleich, Im warmen Bade des Morgens Den alten Leib zu erquicken Und nach genossenem Mahle In sanftem Schlummer zu ruhn! Doch nun künde mir, Lieber, Ob ich aus diesem Eiland, Zu dem der Sturm mich verschlagen, Wirklich in Ithaka bin, Wie mir ein Wanderer sagte, Den ich am Wege gefragt, Denn dann hätten die Wogen Mich zu dem Gastfreund getragen, Odysseus, dem Sohn des Laerteö, Den ich bei mir vor Jahren

Mil offenen Armen empfing Und ihn mit vielen und schönen Geschenken beim Abschied entließ!" Da streckte langsam Laerles Den hagern Leib in die Höhe Und weinte laut. „Freilich, sremder Mann, bist du In Ithaka hier! Aber ein andres ward es, Als es vormals gewesen, Seit es Odysseus verlassen, Mein unglückseliger Sohn! Räuber und Mörder haben Die Herrschaft an sich gerissen: Die hausen hier, unsre Güter Vergeudend, mit roher Gewalt, Und die Geschenke verschwendet Hast du an deinen Freund! Denn spurlos ist er verschollen Seit vielen Jahren schon! Es haben in fernen Meeren Längst wohl die Fische das Fleisch ihm Vom weißen Gebeine genagt, Oder Raubtiere haben Die Leiche in Stücke gerissen, Und niemand hat ihm die letzte Ehre der Toten erwiesen, Weder Vater noch Mutter, Weder Gattin noch Sohn, Und ihm die Augen geschlossen Zum ewigen Schlaf!" So jammerte er, vor Kummer

Zu Boden sinkend, raffte Den Staub von der Erde und streute sich Ihn übers Haupt. Aber Odysseus schnaubt«, Von heftigem Schmerze erschüttert, Da er ihn hinsinken sah, Zog ihn vom Grund aus und drückte Den Teuern an seine Brust. „Vater, ich hab dich getrogen: Ich bin es ja selber, dein Sohn ists, Der in den Armen dich hält! An den Ruchlosen hab ich Furchtbare Rache genommen: Alle sind sie gesallen Vor unsern Speeren und Schwertern Beim üppigen Festschmaus im Saale, Und frei von den Frevlern sind wir!" Da sah ihm der Greis erzitternd Ins betränte Gesicht, Und stammelnd entkamen die Worte Dem zuckenden Mund: „Trüb sind die Augen vor Alter Und Herzeleid mir geworden: Bist du in Wahrheit Odysseus, Mein lieber Sohn, Welche Zeichen zu weisen Weißt du mir, daß ich das Wunder Dir glauben kann?" „Fühle die Narbe hier, Vater, Von der gewaltigen Wunde, Die mir, dem Jüngling, im Walde Der wütende Eber gehaun!

Und wer unter allen auf Erden Außer Odysseus vermöchte Die Bäumchen dir aufzuzählen, Die zwölf voll Birnen und Äpfeln, Die du dem frohen Knaben Einst zum Geschenke gemacht, Als du im Garten ihn liebevoll Führtest an deiner Hand, Und die das Dach ihres Laubes Nunmehr zum Himmel erheben In voll erwachsener Kraft!" Da erschlafften dem Greise Die Glieder alle am Leibe, An der Brust seines Sohnes Sank er in Ohnmacht hin, Und als er in seinen Armen, Atem holend, erwachte Und seines Glückes bewußt ward, Hob er die zitternden Hände Zum Himmel empor. „Hört es, ihr Frevler alle, Die ihr das Recht verhöhnt: Noch find die rächenden Götter Uber den Wolken nicht tot!" Aber Odysseus führte Den wankenden Vater am Arme Zum Hause des Pächters zurück. Der war mit seinen sechs Söhnen Eben vom Felde gekehrt: Jauchzend eilten sie alle Dem lieben Herren entgegen, Und nachdem sie am Frühmahl

Hastig den Hunger gesättigt, Rüsteten sie sich zum Kampf. Denn ihre Späher kamen Vom Walde gelaufen und keuchten: Von der Stadt her hätten sie Zahlreiche Scharen in Waffen Drohend heranziehen sehn. Die Gegner Dott war Offa, die Göttin, Die rasche, die das Gerücht Mit züngelnder Rede herumträgt, Kaum daß der Morgen ergraute, Mit unheilverkündendem Raunen Von Hause zu Hause gehuscht. Von bangem Ahnen ergriffen, Strömten zum Königsschloffe In immerzu wachsenden Scharen Der Freier Gesippen hinan Und fanden sie alle im Haufen Erschlagen draußen vorm Tore, Mit Zweigen dem heiligen Lichte Des Himmels verhüllt. Da gellte das Weherufen Vom Hügel herab zu der Stadt, Da hallten der Herolde Hörner, Da lief die Menge am Markte Zusammen mit lautem Gelärm, Und Antinooö' Vater, Der Alte im Silberbarte, Das Antlitz bis über die Stirne Von Wut und Rachedurst glühend,

Schwang das Zepter und schrie: „Ward nicht dieser Odysseus Zum Unheil nur uns geboren? Hat er uns nicht die tapsersten Jünglinge einst zum Kriege Nach Troja treibend verschleppt Und keinen, nicht einen von allen Den Müttern wiedergebracht? Und nun, da er, auf die eigene Rettung einzig bedacht, In Lumpen heimgekehtt ist, Überfällt er beim Festschmaus Die Letzten, die uns geblieben, Gierig nach ihrem Besitze, Und schlachtet gleich Opsettieren Die edelsten Sprossen der Insel, Die lieben Söhne uns hin! Auf, an die Waffen alle, Wem noch ein Funken von Ehre Im zornigen Herzen sprüht, Wen noch der weißen Haare Auf unserm Haupte erbarmt!" Und Mitleid erfaßte die Menge, Da sie den Alten schäumen Und schluchzen im Schmerze sahn. Aber nun trat aus dem Volke Medon, der Herold, hervor, Der vom Königspalaste Dem Hausen zum Markte gefolgt. „Männer Jthakas, hött mich: Ich warne euch! Im Felle des Rindes lag ich

Unter dem Tische versteckt Während des Kampfes und lugte Bang« zur Hülle hinaus: Da sah ich mitten im Toben Hinter Odysseus' Rücken Pallas Athme, die Göttin, In überirdischem Glanze, Und über dem Haupte ihm hielt sie Schützend den Strahlenschild! Wider die Himmlischen streiten Muß, wer wider Odysseus Die Waffen ergreift!" Und Halitherses erhob sich, Der graue Seher, vom Sitz. „Wer hat denn am Tod eurer Söhne, Ihr Väter, die Schuld? Ist es etwa Odysseus, Dem sie, während er fern war, Um die geliebte Gattin Mit wüstem Drohen gefreit? Nein, ihr Verblendeten, wahrlich, Sie selber sind es, und ihr seids, Die ich, die Frechen zu zügeln, Vergebens gemahnt!" Er rieft und die Mehrzahl der Männer Ging vom Markte mit ihm. Aber die andern traten Mit wildem Geschrei um EupeitheS Und rannten nach seinem Gebote, Um sich zu wappnen, hinweg. Da sah vom hohen Olympos Auf die wimmelnde Menge

Pallas Athene, zu Füßen Des Vaters sitzend, herab, Und zum Waller der Welten Erhob sie also das Wort: „Wie denkst du, dies zu entscheiden: Sollen sie drunten in ewiger Zwietracht sich weiter zerfleischen, Oder beliebt es dir, Vater, Ihren Zwist zu versöhnen Mit deiner Allmacht Gebot?" Und vom erhabenen Throne Tönte des Göttervaters Stimme nieder zu ihr: „Meine Gedanken sind ja Stets die deinen, mein Kind, Drum tue nach deinem Ermessen, Was dich das Rechte dünkt!" Ahnherr und Enkel Vorm Hause des Pächters harrten Die Männer der nahenden Gegner, Zum Kampf der Entscheidung bereit. Da trat auch LaerteS, der Alte, Verjüngt an Antlitz und Gliedem, Vor die freudig Erstaunten In klirrendem Waffengewand. „Wie konntet ihr glauben, ich würde Unter den Frauen und Kindern Feig in der Kammer hocken, Wenn es ums Letzte geht? Wo Sohn und wo Enkel streiten, Zu siegen oder zu sterben,

Gehört auch der Ahne hin!" Und während die Speere der Feinde Näher und näher blitzten, Siehe, da stand unter ihnen Mentor plötzlich und rief: „Nun gilt es, Telemachos, zeige, Ob dir im Arm und im Herzen Die Kraft deiner Väter noch lebt!" Und zu Laertes gewendet, Sprach sie, die Göttin, die ihnen In Menschengestalt sich gesellt: „Dir, Alter, gebührt es als erstem, Die Waffe zum Kampf zu erheben, Ob dir die Gnade der Götter Das Ziel zu erreichen verleiht!" Mut und Stärke durchströmte Die Glieder des Greises: Eupeithes Sah er im Haufen der Feinde Brüllend vorneweg stürmen, Und mächtigen Schwunges entschwirrte Laertes' Rechten der Speer. Durch den Helm in den Schädel Klirrte das spitze Erz, Und vor die Füße den Freunden Sank Eupeithes entseelt. Lautauf gellte Odysseus, Und er und Telemachos fielen Gleich hochher stürmenden Adlern Uber die Weichenden her.

Gottesfriede Da krachte ihnen zu Häupten Ein Donnerschlag, Zischend schlug zwischen ihnen Der zündende Strahl in den Grund, Und die Geblendeten stürzten, Freunde und Feinde, alle Wie tot hin, vom Schlage betäubt. „Genug des Mordens!" erdröhnte Der Göttin gebietende Stimme, „Hütet euch, Volksgenossen, Daß ihr, in Haß und Hader Gegeneinander wütend, Nicht den Vater erzürnt, Der euch zur Wamung den Blitzstrahl Vom heitern Himmel gesandt! Beugt euch dem Willen des Höchsten Und reicht euch über den Toten, Die ihrem Frevel gefallen, Die Bruderhand!" ... Da stand sie alsbald am Markte, An Wuchs und an Antlitz in allem Mentor, dem trefflichen, gleich, Und Fürsten und Volk beschworen, Die Hände zu ihr erhebend, Des Friedens ewigen Bund, Während die Göttin, nachdem sie Das Werk der Versöhnung vollendet, Den staunenden Augen der Menge, Gm Himmel fahrend, entschwand.

Nachwort Die Art einer Nachdichtung der Odyssee, wie ich sie hier gewagt habe, mag manchem Verehrer Homers als ein Frevel erscheinen, hervorgegangen aus Mangel an Ehrfurcht vor der Überlieferung. Doch glaube ich für mein Teil nicht, sie zu entbehren. Nur verbinde ich diese Ehrfurcht vor dem Gewordenen mit der Ehrfurcht vor dem Werdenden, das heißt vor der unversieglich weilerquellenden Schöpferkraft des Lebens. Und ich meine, grade Homer ist uns ein Beispiel für eine solche umfassende Art der Ehrfurcht. Denn auch er hat ja erst, indem er die Lieder seiner Vorgänger, die Uberlieferung, weiterbildete und umbildete, seine gewaltigen Epen zu gestalten vermocht. Eines nun vor allem hat mich an seiner unvergleichlich hohen Darstellung mit bewundemder Liebe erfüllt: das im tiefsten Grunde wesensverwandte Schicksalsempsinden der altgriechischen Seele mit der deutschen bei aller Verschiedenheit der geschichtlichen Entwicklung und der dadurch bedingten Abweichungen im einzelnen: sind wir doch mit ihr im letzten Geschwister des gleichen nordischen Geistes. Dieses Verwandte hervorzuheben, das Abweichende zurück­ treten zu lassen und so die Vergangenheit in erneuernder Lebendigkeit mit der Gegenwart zu verbinden, das war meine Absicht bei dieser Arbeit. Freilich, ob es mir gelungen ist, die Absicht zu verwirklichen oder nicht, darüber habe nicht ich zu entscheiden, und auf den Vorwurf unter Berufung auf das Verhältnis zwischen Jupiter und dem Ochsen muß ich mich gefaßt machen: daß mir noch nicht zustehe, was Homer erlaubt war. So bleibt mir denn nichts übrig, als mein Schifflein getrost weiterzusteuern und gelassen abzuwarten, ob es strandet oder das hohe Meer zu erreichen vermag. Endlich noch eine kurze „technische" Bemerkung. Ich bin mir wohl bewußt, bei der Gestaltung der Namen und ihrer Betonung nicht immer folgerichtig verfahren zu sein, und ich muß bekennen, daß ich diese Schwierigkeit nicht zu meistern

vermocht habe, wie übrigens, so weit mein Wissen reicht, die Übersetzer Homers auch nicht. Wohl habe ich mich dabei in der Hauptsache bemüht, dem Griechischen zu folgen, um die ur­ sprüngliche Färbung nicht allzusehr zu verwischen, z. B.MenölaosstaltMeneläoö,Telömachos statt Tölemach betont, aber als gesucht wäre es mir erschienen, um der bloßen Folgerichtigkeit willen statt der uns völlig vertrauten Hölena das für eine Göttin doch etwas hausbacken anmutende Helöne oder gar statt Odysseus Odysseüs zu brauchen, und so habe ich unter anderm den göttlichen Sauhirten Eümaios, der Vosfischen Übersetzung folgend, in einen unserm Rhythmusempfinden genehmeren Eumaloö verwandelt. Auch hier heißt es eben für mich, falls ich mich versündigt haben sollte, die Folgen solchen eigenmächtigen Entscheiden-, in mein Schicksal ergeben, zu tragen. Herzlichen Dank schulde ich neben manchem andem besonders Herrn Dr. Hermann Rinn für die wertvollen Ratschläge, mit denen er mich bei der Durchsicht des Manuskriptes unterstützte. Leopold Weber

Die Verlage haben noch besonders dem Askanischen Verlag in Berlin zu danken für die freundliche Genehmigung zur Nachbildung einer Anzahl Holzschnitte Ludwig v. Hofmanns aus seiner großen numerierten Ausgabe der Übersetzung der Odyssee von I. H. Voß.

Inhalt Telemachos................................................................. Auf dem Olymp.......................................................... Der Gastfreund .......................................................... Vor dem Volke..........................................................

7 7 14 28

Bei den Völkerfürsten.......................................... Am Strande vor Pylos............................................... Im Haufe des göttlichen Greifes............................... Menelaoö' Gast.......................................................... Helena ......................................................................... Das hölzerne Roß...................................................... Der Meergreis ..........................................................

43 43 53 58 62 68 71

Die Eltern .............................................................. Im Rate der Freier.................................................. Die Mutter................................................................. Kalypso ..................................................................... Das Floß..................................................................... Im Sturme................................................................. Leukoihea.....................................................................

81 81 84 88 94 96 98

Auf derInfel amEnde derWelt...........................101 Schiffbrüchig..................................................................... 101 Erweckung......................................................................... 103 Am Strome..................................................................... 104 Im Königsfchloffe......................................................... ui Am Markte..................................................................... 117 Beim Frühmahl..............................................................119 Wettkämpfe..................................................................... 121 Der Städtezerstörer..........................................................126 DieIrrfahrt................................................................ 130 Ilions Untergang ..........................................................130 Kampf mit den Kikonen..................................................131 Die Lotophagen..............................................................133 Z69

Am Feuerberge ............................................................. 134 Bei den Kyklopeu......................................................... 137 Polyphemos..................................................................... 139 Ums Auge des Unholds..................................................143 Die Flucht.........................................................................148 Beim Herrn der Winde.................................................. 153 Die Lästrygonen............................................................. 160 An des Schattenreichs Marken...................................... 162 Kirke.................................................................................165 Zum Strande des Hades..................................................176 Im Toienreiche............................................................. 177 AmRücktveg................................................................. 196 Verlockung .....................................................................196 Zwischen Verderben und Tod..........................................200 DieSonneninsel............................................................. 202 Helios .............................................................................206 Des Sonnengottes Rache..............................................207 Der Abschied .............................................................210 Dank................................................................................ 210 Zwiesprache.................................................................... 212 Ausbruch ........................................................................ 214 Heimfahrt........................................................................ 216 Scherias Not . ............................................................. 218 Telemachos' Rückkehr..................................................... 220 Theoklymenos................................................................. 224 Herrscher undHirte..................................................... 227 Heimatmorgen.................................................................227 Eumaios .........................................................................233 Di« Landung .................................................................247 Vater und Sohn.............................................................249 Die Verfolger.................................................................254 Unter den Freiern..................................................... 259 Zur Stadt .................................................................... 259 Argos................................................................................264

Um milde Gaben............................................................. 266 Im Frauengemache......................................................... 270 Der Faustkampf.............................................................272 Der Mutter Mahnen..................................................... 279 Die Mägde.....................................................................281 Um die Waffen im Saale..............................................286 Die Gatten.....................................................................288 Nachtruhe........................................................................ 298 Das Gottesgericht..................................................... 302 Verkündigung.................................................................302 Neumondmorgen............................................................. 304 Der Opferprophet ......................................................... 307 Beim Festschmaus......................................................... 309 Wahrzeichen.....................................................................312 Der Bogen des Odyffeus..............................................314 Der Saalkampf.................................................................326 Reinigung........................................................................ 337 Erkennung........................................................................ 340 Die Schatten.................................................................350 Laettes............................................................................ 353 Die Gegner . ................................................................. 360 Ahnherr und Enkel......................................................... 363 Gottesfriede.....................................................................365 Nachwort..................................................................... 367

LEOPOLD WEBER

Die Götter -er Edda 2., neu bearbeitete Auflage, 184 Seiten 8°. 1934 Kartoniert Mk. 2.80, gebunden Mk. 3.60 „In freien, stabreimdurchsetzten Rythmen und in einer Sprache, die den Geist Thules atmet, ohne in falscher Weise altertümelnd zu sein, hat Leopold Weber den Stoff gestaltet." Reichszeitung der deutschen Erzieher.

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Unsere Heldensagen 234 Seiten 8°. 1934 Geb. Mk. 3.80 „Aus jeder Erzählung reden Geist und Zauber einer gewaltigen Mythe, reden in der Sprache eines Dichters, der die Sätze formt, als schneide er in Holz, als meißle er in Stein." Leipziger Neueste Nachrichten.

R. Oldenbourg München 1 und Berlin