Die Naturalobligation: Rechtsfigur und Instrument des Rechtsverkehrs einst und heute - zugleich Grundlegung einer zivilrechtlichen Forderungslehre 9783161512117, 9783161494079

Götz Schulze beschreibt die dogmengeschichtliche Entwicklung der aus dem klassischen römischen Recht stammenden obligati

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German Pages 783 [785] Year 2008

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Widmung
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Teil A. Einleitung
Kapitel I. Einführung in das Thema
Kapitel II. Offene Fragen und Kontroversen
1. Freiwillige Erfüllung einer obligatorischen Forderung
2. Missbilligung der Pflichtbindung oder des Erfüllungszwanges?
3. Dogmatische Sonderprobleme
4. Rechtsgeschäftliche Gestaltungsfragen
Kapitel III. Die Fragestellung der Arbeit
Kapitel IV. Die Hauptthese
Kapitel V. Methoden und Grundlagen
1. Forderungsrecht und Rechtszwang
2. Moralische und rechtliche Forderung
3. Die Pflichtstruktur der obligatorischen Forderung
Kapitel VI. Gang der Untersuchung
Teil B. Historischer Teil
Kapitel I. Rechtshistorische Entstehung und Entwicklung
1. Die obligatio naturalis im Römischen Recht
a) Grundlagen der obligatio naturalis
aa) Die obligatio als rechtliche Grundfigur personaler Bindung
bb) Virtualisierung physischer Bindung und Verrechtlichung der vincula iuris
(1) Obligatorische Bindung als Reflex aus der Zwangsdrohung
(2) Obligatorische Bindung aus Treueversprechen (Wette)
(3) Obligatorische Bindung als Ergebnis einer stipulatio
cc) Natura im Recht der Obligationen
b) Die Entstehung der obligatio naturalis in hochklassischer Zeit
aa) Obligatio naturalis als Abbild der obligatio civilis (Abbildtheorie)
bb) Obligatio servi (obligatio „per abusionem“)
cc) Obligatio naturalis als Handlungsform der Peculienwirtschaft
dd) Verpflichtungen des Haussohnes, der gewaltunterworfenen Frau und der Kinder sowie des Mündels (rerum naturam)
c) Ausweitung des Anwendungsbereichs der naturalis obligatio
aa) Sittliche Verpflichtung (debitum naturale)
bb) Naturalis ratio und ius gentium
cc) Befreiung von der Rückgabepflicht (soluti retentio) und pactum nudum
d) Die Rechtsgrundlage der obligatio naturalis: Das ius naturale als Rechtsquelle?
e) Zusammenfassung
2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis des römischen Rechts
a) Germanisches Recht
aa) Spiel und Wette
bb) Der verwillkürte Vertrag (germanische Treue)
cc) Trennung von Schuld und Haftung
b) Frührezeption der römischen obligatio naturalis
aa) Glosse: Obligatio tantum naturalis
bb) Französische Schule: Aequitatis vinculum und wirkungsgeminderte Rechtspflicht
cc) Deutsche Schule: Typen der obligatio naturalis (plenae – minus plenae)
3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)
a) Das Moralprinzip der Vollkommenheit und der Pflichtbegriff
b) Pflichten in naturrechtlicher Betrachtung
aa) Der status naturalis als Grundlage für ein natürliches Privatrecht
bb) Verbindlichkeit und Zwang
c) Vollkommene und unvollkommene Pflichten
aa) Vormoderne Naturrechtslehren
(1) Die zwei moralischen Qualitäten einer Person (Grotius)
(2) Naturrechtlich systematisiertes Römisches Recht (Domat)
(3) Rechtsbindung kraft Sittlichkeit (Pufendorf )
(4) Rechtsbindung durch äußeren Zwang (Thomasius)
(5) Die uneigentliche Obligation (Gundling)
(6) Obligation naturelle: juridique et parfaite (Pothier)
bb) Aufgeklärtes Vernunftrecht
(1) Das Liebesband zwischen den Menschen (Wolff)
(2) Analytische Pflichtkonstruktionen (Achenwall, Höpfner, Sulzer, Mendelssohn)
(3) Pflichtbestimmung aus der Vernunft (Kant)
(a) Ausnahmslose Gültigkeit oder bloße Bestimmtheit der Pflicht
(b) Der ethische Gehalt der Rechtspflichten
(c) Rechtspflichten und Zwangsbefugnis
(d) Obligatorische Verbindlichkeit als Befugnis zur Einwirkung auf den Schuldner
(4) Die sittliche Pflicht der Wirklichkeit (Hegel)
d) Die Idee des vollkommenen Rechts (Alexy)
e) Unvollkommene Verbindlichkeiten im positiven Recht
aa) Rezeption im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794)
bb) Rezeption im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (1811)
cc) Rezeption im Code Civil (1804)
4. Spätes gemeines Recht und Pandektistik
a) Die Erneuerung der obligatio naturalis (Historische Rechtsschule)
b) Positivistische Differenzierungen (Brinz und Bekker)
c) Obligation des natürlichen Rechtsgefühls (Windscheid)
d) Anerkennung als randständige Rechtsfigur (Dernburg)
e) Die Rechtsprechung des Reichgerichts
aa) Spielverträge und Differenzgeschäfte
bb) Sittliche Pflichten
f) Die Naturalobligation als eine Schuld ohne Haftung
5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB
a) Gesetzgebungsverfahren und Beratung des BGB
aa) Anerkennung in Einzelfällen, aber „Begriff vermeiden“
(1) Vorbeschlüsse vom 3.10.1877
(2) Beschluss vom 24.2.1882 (1. Kommission)
bb) Aufnahme einer allgemeinen Regel zur sittlichen Pflicht in das Bereicherungsrecht
(1) Beschluss vom 18.12.1882 (1. Kommission)
(2) Beschluss vom 21.9.1892 (Vorkommission des Reichsjustizamts)
(3) Übernahme der 2. Kommission
cc) Anerkennung einzelner Regeln
(1) Verjährung
(a) Starke oder schwache Wirkung der Verjährung
(b) Unstreitig gestellte Grundsätze
(c) Regelungstechnik
(2) Ehevermittlung
(3) Spiel und Wette
(4) Verlöbnis
(5) Ausstattung des Kindes
b) Meinungsstreit nach Inkrafttreten des BGB (Überblick)
c) Die Lehre von den unklagbaren Ansprüchen
aa) Klagelose Ansprüche
bb) Nichtklagbare und unvollkommene Verbindlichkeiten
cc) Stellungnahme zu Stechs „unvollkommener Verbindlichkeit“
dd) Unvollkommene Verbindlichkeit und fehlende Einforderungsbefugnis
d) Heutiger Meinungsstand
aa) Begriffsvielfalt und grundsätzliche dogmatische Anerkennung
(1) Das nicht zwangsbewehrte Forderungsrecht
(a) Synonyme Begrifflichkeiten
(b) Schuld ohne Haftung
(c) Sittliche Pflicht und Treuebindung
(d) Unklagbarer Anspruch oder unklagbare Verbindlichkeit
(e) Unvollkommene Verbindlichkeit als Oberbegriff für unklagbare Verbindlichkeiten
(f) Sanktionslose Obligation, wirkungsgemindertes Schuldverhältnis, unvollkommen wirksame, uneigentliche oder unechte Verbindlichkeit
(g) Forderung aus einem Schuldverhältnisses im weiteren Sinne
(2) Der bloße Rechtsgrund
(3) Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung
(4) Rückforderungsausschluss (Rechtsschutzversagung im Kontext des § 814 BGB)
bb) Diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation
(1) Entstehung naturaler Forderungen aus gesetzlich bestimmten Vertragstypen
(2) Naturale Forderungen aus tatsächlichen Umständen
(3) Zuwendungen aus sittlicher Pflicht
(4) Naturalobligationen kraft vertraglicher Abrede
cc) Nicht (mehr) diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation
(1) Taschengeldgeschäfte des Minderjährigen (§ 110 BGB)
(2) Geschäfte des täglichen Lebens von geschäftsunfähigen Volljährigen (§ 105 a BGB)
(3) Heilung formnichtiger Verträge
(4) Zu Unrecht abgewiesene Klageforderungen (Einschränkung der res iudicata)
(5) Unverbindlichkeit
(a) Unverbindliche Konkurrenzverbote
(b) Unbillige Vertragsstrafen, § 343 BGB
Kapitel II. Historisch-rechtsvergleichende Begriffsgeschichte
1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation
a) Die objektive oder klassische Theorie
b) Die subjektive oder moderne Theorie
c) Regelungstechnische Differenzierung
2. Die Naturalobligation in den europäischen Kodifikationen
a) Die spontane freiwillige Leistung zur Erfüllung sittlicher Pflichten
aa) Französischer Code Civil
bb) Italienischer Codice Civile (1865 und 1942)
cc) Portugiesischer Código Civil (1966)
b) Objektiv sittliche Pflicht und unbeachtlicher Rechtsirrtum
aa) Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811)
bb) BGB
cc) Schweizerisches Obligationenrecht
dd) Niederländisches Burgerlijk Wetboek
c) Freiwillige Erfüllung einer Verbindlichkeit bei Kenntnis der Nichtschuld
d) Die Einordnung der sittlichen Pflicht (Naturalobligation) in das System
aa) Sittliche Pflicht als qualifizierte Nichtschuld
bb) Sittliche Pflicht als Schuld (causa)
Teil C. Systematischer Teil
Kapitel I. Thesen
1. Anerkennung der Naturalobligation als Rechtsfigur
2. Qualifikation der Naturalobligation als Rechtspflicht und subjektives Leistungsrecht
a) Freiwillige Schuldnerleistung
b) Autonome Erfüllungshandlung
aa) Abgrenzung
(1) Kein Rechtsgeschäft
(2) Keine Wollensbedingung
(3) Kein Gestaltungsrecht (Reurecht)
(4) Kein bloßes Rückforderungsverbot
bb) Autonome Erfüllungsentscheidung und Zwangsmotiv
cc) Unfreiwilligkeit bei alleinigem Zwangsmotiv
c) Der Anspruch aus einer Naturalobligation
d) Sekundäre, auf das positive Interesse gerichtete Leistungsrechte sind nicht durchsetzbar
e) Wirkungsgeminderte Leistungspflicht aus einer Naturalobligation
3. Formen und Vorkommen
a) Institutionelle Naturalobligationen (Gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse)
aa) Entstehungsgrund Vertrag (obligatio ex voluntate)
(1) Naturalobligation kraft gesetzlicher Anordnung
(2) Naturalobligation kraft Vereinbarung (gewillkürte Naturalobligation)
bb) Entstehungsgrund Gesetz (obligatio ex lege)
b) Feststellungsbedürftige Naturalobligationen (sittliche Pflichten)
aa) Rechtsbegründung durch richterlichen Feststellungsakt und obligatio ex societate
bb) Objektives Leistungspflichtverhältnis
cc) Integration sozialer Verhaltenserwartungen durch richterrechtliche Anerkennung (Transformation in das Recht)
dd) Bestandsschutz für gesellschaftliche Leistungspflichten (obligatio ex societate)
4. Integration der Naturalobligation in ein europäisches Rechtsinstrument
Kapitel II. Begriffsbestimmung
1. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit
a) Synonyme Begriffe
b) Keine Terminologische Unterscheidung nach Regelungstypen
2. Gründe gegen die Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“
a) Historische Gründe
aa) Unvollkommene Rechtspflichten
bb) Abgrenzung zu den leges imperfectae und den officia des römischen Rechts
b) Dogmatische Gründe gegen eine Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“
aa) Keine Dichotomie in der Pflichtstruktur
bb) Eine Positivierung von Rechtsgefühlen entspricht nicht dem Regelungskonzept der „sittlichen Pflicht“ des BGB
cc) Abwertende Konnotation
3. Gründe für die Verwendung des Begriffs Naturalobligation
a) Historischer Ursprung im römischen Recht
b) Das deskriptive Kompositum „Natural“ und seine reduktive Bedeutung
aa) Keine normative Implikation
bb) Funktionale Ausrichtung einer Forderung ohne Zwang
cc) Die reduktive Bedeutung von „natural“
c) Anschlussfähigkeit des Begriffs Naturalobligation
4. Naturalobligation und Naturalismus
a) Begriffsjurisprudenz und rechtsfreier Raum
b) Naturrecht und Naturalismus
aa) Naturalobligation und Naturzustände des Rechts
bb) Rechtsethischer Naturalismus und rationale Handlungstheorie
Kapitel III. Rechtstheoretische Grundlagen
1. Entstehung und Funktionsweise der obligatorischen Leistungsverpflichtung
a) Naturalistische Rechtsbindung
aa) Pfadabhängigkeit
bb) Neurobiologische Determination, psychologischer und soziobiologischer Selbstzwang
cc) Rationalistischer Naturalismus
(1) Steuerungs- und Kontrollvermögen
(2) Selbstbestimmung als Handlungsanreiz
(3) Verhaltensbindung kraft Identifikation
b) Vertrags- und Versprechensbindung
aa) Vertragsmodelle
(1) Obligatio und contractum (einseitige oder gekreuzte stipulationes)
(2) Das naturrechtliche Vertragsmodell ausgetauschter Versprechen
(3) Verpflichtung durch Willensvereinigung im Konsens
(4) Vertrag als emergente Erscheinung (Emergenz)
bb) Vertragsbindung durch Reziprozität
(1) Consideration-Lehre
(2) Causa-Lehre
(3) Konsens
cc) Einseitige Versprechensmodelle
(1) Verpflichtung durch kommissiven Sprechakt (institutionelle Rechtstatsache)
(2) Verpflichtung durch normative Selbstbindung
(3) Verpflichtung durch einseitiges Versprechen (Pollizitation)
(4) Verpflichtung durch den Willen: Das gewollte Sollen (analytische Sollenstheorie)
c) Obligatorische Bindung durch einseitige Festlegung
aa) Intrapersonale Pflichtentstehung
(1) Das notwendig interpersonale Rechtsverhältnis
(2) Pflichten gegen sich selbst und Selbstpaternalisierung
(a) Spielsperrverträge und Formabreden
(b) Behandlungsverträge mit psychisch Kranken und Patientenverfügungen
bb) Konsequentielle und obligatorische Pflicht
(1) Konsequentialistische Verhaltensbindung
(a) Erhalt der Versprechensabsicht, § 145 Hs. 1 BGB
(b) Obliegenheiten
(c) Mitwirkungs- und Kooperationspflichten
(d) Absichtsbindungen
(aa) Unverbindliche Absichtserklärung
(bb) Verbindliche Absichtserklärung mit Lösungsrecht
(cc) Das Rückrufrecht des Urhebers bei gewandelter Überzeugung, § 42 Abs. 1 UrhG
(dd) Das freie Widerrufsrecht des Verbrauchers, § 355 BGB
(ee) Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG (Corporate Governance Kodex)
(ff) Abbruch von Vertragsverhandlungen
(gg) Verbot widersprüchlichen Verhaltens
(2) Obligatorische Leistungsbindung und Recht-Pflicht-Korrespondenz
cc) Obligatorische Bindung durch Anerkennung des Gläubigerbefehls
(1) Der Gläubigerbefehl
(2) Die Anerkennung des Gläubigerbefehls
(3) Die Folgen der Anerkennung
(a) Die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers
(b) Die Spannung der Schuld
(4) Zwischenergebnis
dd) Stipulatio und Schuldverhältnis
ee) Stipulatio und Anerkennung als Verpflichtungsgrund
2. Strukturmerkmale der Leistungspflicht zur Abgrenzung und Integration außerrechtlicher Pflichten
a) Die Bestimmtheit der Leistungspflicht
aa) Unbestimmtheit als Kennzeichen moralischen Pflichthandelns
(1) Äußere Unbestimmtheit
(2) Unbestimmtheit als Folge intrinsischen Pflichthandelns
bb) Unbestimmtheit als Kennzeichen unverbindlichen Handelns
(1) Bestimmtheit als Indiz für rechtsgeschäftliche Erheblichkeit und Bindung
(2) Bestimmtheit als Indiz für Ernstlichkeit (Schein- und Scherzerklärung)
(3) Bestimmtheit als Inhaltserfordernis
cc) Der unverbindliche Vertrag (Vertrag ohne Forderung)
b) Die Unabweisbarkeit der Forderung (Schuldigkeit)
aa) Unabweisbarkeit bei sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht (Sanktionshypothese)
bb) Supererogatorische Handlungen (Schwächere und stärkere Pflichten)
cc) Anstandsrücksicht als supererogatorische Handlung?
(1) Die Pflichtstruktur der Anstandsrücksicht gegenüber der sittlichen Pflicht
(2) Übereinstimmung in der Pflichtstruktur
dd) Arbeitsrechtliche Zielvereinbarung und supererogatorische Handlung
ee) Befolgungsprivilegien für den Schuldner
ff) Naturalobligation und sanktionsloser Rechtsbruch
(1) Berechtigte Erfüllungschance
(2) Missbrauchsgefahr und Anreiz zum Rechtsbruch
(3) Erosion der Rechtsregel und verdienstvolle Legalität
c) Der Anspruch auf materiale Richtigkeit (minima moralia des Schuldrechts)
aa) Die sittlich-rechtliche Pflicht zur Anerkennung des Anderen
bb) Auswirkungen im schuldrechtlichen System
cc) Das Schuldverhältnis als prototypische rechtsethische Grundstruktur
3. Obligatorisches Leistungsrecht ohne rechtliche Zwangsbefugnisse
a) Zwang als analytisches Merkmal obligatorischer Leistungspflicht
aa) Geregelter und ungeregelter Zwang
bb) Zwang als Potentialität des Rechts (Zwangseignung)
cc) Der Standpunkt moderner Rechtstheorien
dd) Zwang als Anreiz und Mittel zur Pflichterfüllung
b) Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis (Autonomiekonzepte)
aa) Die Denkfigur der Selbstgesetzgebung
bb) Die Isolation der sich selbst bestimmenden Person
(1) Selbstprogrammierung nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit
(2) Selbstgestaltung durch den Willen (stat pro ratione voluntas)
(3) Selbstbestimmung als Rechtfertigung (volenti non fit iniuria)
c) Eigenständige Bewertung der Zwangsbefugnis
aa) Gewinn eines Differenzierungskriteriums
bb) Gläubigermacht
cc) Kommunikation und Rechtfertigungszwang
d) Der Sinn einer rechtlichen Entwaffnung des Gläubigers
aa) Die wirklichkeitsgestaltende Kraftrechtlicher Ordnung
bb) Die Funktionalität kategorischer Verhaltensanforderungen mit schwächerem Wirkungsgrad
cc) Pseudoobligation oder Begriffsdifferenzierung
e) Wirtschaftlicher Nutzen einer Rechtsposition ohne Zwang
aa) Ökonomische Folgenbetrachtung
bb) Anerkennung als Vermögenswert und Chance freiwilliger Erfüllung
cc) Eigener wirtschaftlicher Nutzen für den Schuldner (Glaubwürdigkeitsgewinn)
Kapitel IV. Rechtsdogmatische Einordnung
1. Die Grundentscheidung für die Rechtsfigur Naturalobligation
a) Die offene Ausgangslage: Eine vermiedene Entscheidung des BGB-Gesetzgebers
b) Mögliche Verklammerung unter der dogmatischen Rechtsfigur Naturalobligation
aa) Gesetzeswortlaut mit Sprachregelung („… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“)
bb) Systematischer Ausgangspunkt: § 241 BGB
cc) Art. 3 Buch 6 niederländisches BW als Vorbild
c) Naturalobligation als Behaltensgrund oder Rechtsschutzversagung(Kondiktionssperre)
aa) Rückforderungslage (fehlender Rechtsgrund)
(1) Unwirksamer Vertrag
(2) Der unwirksame, nicht nichtige Spielvertrag (schwache Unwirksamkeit)
bb) Rechtsschutzversagung (§§ 762 Abs. 1 S. 2, 814 BGB)
(1) § 817 S. 2 BGB als Leitbild für das Verständnis von § 814 BGB?
(2) Disfunktionalität eines generalpräventiven Rückforderungsausschlusses
(3) §§ 814 Hs. 1 und Hs. 2 BGB – Anwendungsfälle eines gemeinsamen Prinzips?
(4) Negativ- oder Positivkonstruktion geschwächter Leistungsrechte
2. Die Naturalobligation als Rechtsgrund
a) Die bereicherungsrechtliche Konzeption der Rechtsgrundlosigkeit
b) Bloßer Erwerbsgrund (causa acquirendi)
c) Sittlicher Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung
aa) Behaltensberechtigung kraft Sozialmoral
bb) Pseudorechtsgrund oder „echter“ Schuldgrund
3. Naturalobligation und Leistung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht
a) Rechtliche Funktionen von Leistungspflichten aus Sitte und Anstand
b) Dogmatisches Verständnis der Leistung aus sittlicher Pflicht
aa) Unentgeltlichkeit der Leistung
bb) Erfüllung mit oder ohne Schenkungsvereinbarung (§ 534 oder § 814 Hs. 2 BGB)
cc) Die Ausstattung (§ 1624 Abs. 1 BGB)
4. Naturalobligation und Forderungsstruktur
a) Die Forderungsstruktur der Naturalobligation
aa) Das Forderungsrecht nach Einzelbefugnissen
bb) Die Befugnisse aus einer Naturalobligation
(1) Die zu und aberkannten Befugnispositionen
(2) Die Naturalobligation ohne Erfüllungszwang
(3) Fehlende Zwangsbefugnisse (Zwangs- und Sicherungsmittel)
b) Naturalobligation und materiellrechtlicher Anspruch
aa) Die Forderung als der Anspruch des Schuldrechts
bb) Der Anspruch als Ermächtigung zur Zwangsdurchsetzung
cc) Der Anspruch als Realisationsform der Forderung
c) Abgrenzungen
aa) Naturalobligation und Sonderformen der Forderung
(1) Die betagte Forderung
(2) Die verhaltene Forderung und die „ausgesetzte Forderung“
(3) Die gehemmte Forderung
(a) Die verjährte Forderung und die Ausübung des Einrederechts
(aa) Entstehung einer Naturalobligation vor Einredeerhebung
(bb) Aufhebung der Einforderungsbefugnis nach Einredeerhebung
(b) Die durch ein pactum de non petendo gehemmte Forderung
(4) Die „unbestimmte oder unverbindliche Forderung“ (§§ 315, 317 BGB)
bb) Sonderformen des Rechtsgeschäfts
(1) Das aufschiebend bedingte oder befristete Rechtsgeschäft
(2) Das schwebend wirksame Rechtsgeschäft (Anfechtung, Widerruf und Rücktritt)
(3) Das schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte (Genehmigung)
(4) Das formfehlerhafte Rechtsgeschäft
(a) Das mündliche Vermächtnis als Naturalobligation?
(b) Nichtigkeit oder Heilung beim formfehlerhaften Vertrag
cc) Die Leistung auf ein nicht anerkanntes ausländisches Urteil
(1) Kollisionsrechtliche und materiellrechtliche Ausgangslage
(2) Mögliche Modifikation des Anerkennungsrechts
dd) Naturalobligation und antizipierte Konträrakte
(1) Durchschaute Mentalreservation, § 116 S. 2 BGB
(2) Scheingeschäft, § 117 BGB
(3) Die im Voraus erlassene Forderung
ee) Naturalobligation und Liberalität (Rückforderungsverzicht und Schenkung)
(1) Verzicht auf ein Rückforderungsrecht, § 814 Hs. 1 BGB
(2) Pflicht- und Anstandsschenkung, § 534 BGB
ff) Naturalobligation: Schuldänderung oder Haftungsbeschränkung?
gg) Naturalobligation und Tatsachenbindung
(1) Tatsachenerklärung als Zeugnis gegen sich selbst
(2) „Tatsachenverträge“
d) Kollisionsrechtliche Behandlung der Naturalobligation
5. Die Bestimmung im Einzelfall (zwei Grundfragen)
a) Die verjährte Forderung (§ 214 BGB)
aa) Fortbestand der Forderung
bb) Schwächung der Forderung
cc) Verzicht und Fallenlassen der Einrede
dd) Rechtslage nach Einredeerhebung
b) Ehevermittlung (§ 656 BGB)
aa) Lohnforderung statt bloßem Erwerbsgrund
bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges
c) Spiel und Wette (§§ 762 f. BGB)
aa) Forderungen statt „Nichtforderungen“
bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges
cc) Das Abzugsrecht bei der Pferdewette nach § 4 Abs. 2 S. 3 RennwLottG
d) Verlöbnis (§ 1297 BGB)
e) Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht (§§ 1624 Abs. 1 und 534, 814 Hs. 2 BGB)
aa) Leistungspflicht
(1) Gesellschaftliche Anforderung und richterliche Feststellung
(2) Leistungspflicht als Maßstabs- und Beurteilungsregel
bb) Die fehlende Durchsetzbarkeit sittlicher Pflichten
f) Die formfehlerhafte Vergütungsvereinbarung des Rechtsanwalts (§ 4 Abs. 1 RVG)
aa) Der formlose Parteikonsens (pactum nudum)
bb) Abgrenzung: § 814 Hs. 1 BGB, halbseitige Teilnichtigkeit und Heilung
cc) Erfolgshonorar und Gebührenunterschreitung
g) Die Ausfallforderung des Insolvenzrechts (§§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO)
aa) Die aufrechterhaltene Schuld
bb) Abgrenzung gegenüber der Nichtschuld § 814 Hs. 1 BGB
h) Die devisenrechtswidrige Forderung nach Maßgabe des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods
aa) Devisenforderung ohne prozessuales Klagerecht
bb) Einredebehaftete Devisenforderung
cc) „Nichtforderung“ oder naturale Devisenforderung
dd) Stellungnahme: Einstufung als Naturalobligation
i) Neue Anwendungsgebiete für ein gesetzgeberisches Gestaltungsmittel
aa) Anerkennung privater Schiedssprüche ohne Vollstreckbarerklärung
bb) Prostitutionsvertrag
(1) Die Entgeltforderung der Prostituierten
(2) Die Forderung des Freiers
cc) Unbenannte Verträge
(1) Atypischer Leistungszweck (Leihmutterschaft, Empfängnisverhütung, Fluchthilfe)
(2) Zweifelhafter Leistungszweck (Ämterkauf, unsinnige oder unmögliche Leistung)
dd) Freiwillige Selbstverpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand
(1) Unverbindlichkeit für beide Seiten
(2) Die Missverständlichkeit des Begriffs „Freiwillige Selbstverpflichtung“
(3) Auflösung der Paradoxie einer „freiwilligen Pflichtbindung“: Die Naturalobligation
ee) Gentlemen’s Agreements
Kapitel V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation
1. Privatautonomie und materiell-rechtliche Gestaltungsfreiheit
2. Rechtsgeschäftliche Entstehungsformen der Naturalobligation (ex voluntate)
a) Einseitiges Rechtsgeschäft
aa) Auslobung in Form einer Naturalobligation und Gewinnzusage, § 661 a BGB
bb) Das Vermächtnis als Naturalobligation
b) Entstehung durch zweiseitiges Rechtsgeschäft (Vertrag)
aa) Die Begründung der Naturalobligation
(1) Der ursprüngliche Abbedingung von Zwangsbefugnissen
(2) Die nachträgliche Umwandlung in eine Naturalobligation
bb) Die Aufhebung der Naturalobligation
cc) Die Umwandlung der Naturalobligation in eine Zivilobligation
(1) Schuldänderung und Schuldersetzung (Novation)
(2) Schuldergänzung durch abstraktes oder kausales Schuldversprechen
(3) Umwandlungsverbote und Formpflicht (Schenkungscausa)
c) Integritäts- und Leistungsschutz einer Naturalobligation (Minderung und Rücktritt)
d) Abgrenzung
aa) Fehlendes Leistungsversprechen (Unverbindlichkeitsabrede)
(1) Gefälligkeit und Absichtserklärung
(2) Schlichte Vereinbarungen und Verträge ohne primäre Leistungspflicht
(3) Unverbindlichkeitsabrede
bb) Unwirksames Leistungsversprechen (bindungsfeindliche Geschäfte)
3. Rechtsgeschäftliche Außengrenzen und innere Gestaltungsgrenzen
a) Ausschluss der Klagbarkeit als Vereinbarung einer Naturalobligation
aa) Der Rechtswegausschluss
bb) Klagbarkeitsausschluss, Abbedingung aller Zwangsbefugnisse (Naturalobligation) oder der Einforderungsbefugnis (Betagung)
cc) Leitlinien für eine zulässige Abbedingung von Erfüllungszwang
b) Gründe, die eine Abbedingung von Erfüllungszwang im Einzelfall rechtfertigen können
aa) Verbesserte Erfüllungschance bei fehlendem Zwang
bb) Wirtschaftlicher Nutzen freiwilliger Pflichterfüllung
cc) Besonderes Geheimhaltungsinteresse
c) Keine ausreichenden Gründe
aa) Selbstverständlichkeit der Erfüllung
bb) Geringes Leistungsinteresse des Gläubigers
cc) Geringe Durchsetzungschancen
dd) Die Geschäftsehre des Schuldners als Ersatz für den Haftungszugriff
4. Ehrversprechen und Gentlemen’s Agreement
a) Die Verpfändung der Geschäftsehre oder des Ehranspruches
aa) Ehrversprechen zur Bekräftigung einer Schuld
bb) Ehrversprechen zur Ersetzung einer Schuld
(1) Ehrversprechen betreffend die Erfüllung eines rechtsunwirksamen Vertrages
(2) Ehrversprechen als Ersatz für das Klagerecht
b) Das Gentlemen’s Agreement
aa) Bezeichnung und Begriffsbild
(1) Geistesgeschichtliche Grundlage
(2) Agreement statt contract
(3) Souveränität der Parteien
bb) Anwendungsgebiete und Erscheinungsformen
(1) Gentlemen’s Agreements im Völkerrecht
(2) Gentlemen’s Agreements im Wettbewerbsrecht
(3) Gentlemen’s Agreements im Zivilrecht
cc) Die Internationalität der Fragestellung
(1) „Can we outlaw ourselves entirely?“
(2) „Express honour-only clause“
(3) Internationale Diamantenindustrie
dd) Einordnung und Abgrenzung des Gentlemen’s Agreement aus deutscher Sicht
(1) Recht oder Nicht-Recht
(a) Geltungsvorrang des objektiven Rechts
(b) Nicht gerechtfertigter Rückzug ins Private
(c) Delegierte oder anerkannte Autonomie
(2) Dogmatische Einordnung im schuldrechtlichen System
(a) Nicht-Rechtsgeschäft
(b) Unwirksames Rechtsgeschäft
(c) Vertrag oh ne primäre Leistungspflicht
(d) Vertrag mit primärer Leistungspflicht (Naturalobligation)
c) Die paradoxale Struktur des Ehrversprechens (Gentlemen’s Agreement)
aa) Überhöhung rechtlich geschuldeter Verhaltensweisen
bb) Versprechen auf Ehre als Indiz für die Unehrenhaftigkeit
cc) Naturalobligation als Grenzpunkt einer gegebenenfalls noch zulässigen rechtsgeschäftlichen Gestaltung
Kapitel VI. Justiziabilität der Naturalobligation
1. Prozess- und Prozesshandlungsvoraussetzungen
2. Materielles Gegenrecht des Schuldners zur Befreiung von prozessualem Zwang
3. Fehlende Klagebefugnis (Ausschluss der Klagbarkeit)
4. Rückforderungsklage und Feststellungsbefugnis
Teil D. Zusammenfassung
Schluss
Literaturverzeichnis
Register
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Die Naturalobligation: Rechtsfigur und Instrument des Rechtsverkehrs einst und heute - zugleich Grundlegung einer zivilrechtlichen Forderungslehre
 9783161512117, 9783161494079

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I

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 134

II

III

Götz Schulze

Die Naturalobligation Rechtsfigur und Instrument des Rechtsverkehrs einst und heute – zugleich Grundlegung einer zivilrechtlichen Forderungslehre

Mohr Siebeck

IV Götz Schulze: Geboren am 8.10.1964 in Karlsruhe, 1986–1992 Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie in Würzburg, Lausanne und Heidelberg, Wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Lausanne und Heidelberg, Promotion 1997, Habilitation 2007, seit 1997 Rechtsanwalt, seit 2007 Privatdozent für Bürgerliches Recht einschließlich Europäisches Privatrecht, Internationales Privat und Verfahrensrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. e-ISBN PDF 978-3-16-151211-7 ISBN 978-3-16-149407-9 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

V

Für Suse Schulze, geb. Drauz 26.5.1939 – 18.12.2005

VI

VII

Vorwort Das Thema dieser Schrift wurde angeregt durch meinen verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Erik Jayme, der mich im Habilitationsverfahren betreut und gefördert hat. Ihm verdanke ich viele wertvolle Ratschläge und Hinweise. Sein erfahrenes Urteil und die weltoffene Menschlichkeit in der Begegnung haben mich geleitet, gestützt und sind mir Vorbild. Herzlich danken darf ich ferner Herrn Professor Dr. Christian Baldus für die freundliche Zweitbegutachtung. Seiner kollegialen Bereitschaft, kontroverse Ansichten im Dialog auszutragen, verdanke ich zahlreiche weiterführende Anregungen. Herrn Professor Dr. Winfried Brugger danke ich für sein Votum zum rechtstheoretischen Teil der Arbeit ebenfalls herzlich. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ihren Gutachtern danke ich für die Übernahme der Druckkosten, dem Verlag Mohr Siebeck für die freundliche Aufnahme in die Schriftenreihe. Die Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Sommersemester 2007 als Habilitationsschrift vor. Sie entstand während und nach meiner Zeit als Assistent am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht in Heidelberg. Neben meiner anwaltlichen Tätigkeit in Karlsruhe war nicht immer die nötige Ruhe zu finden, um das Projekt voranzutreiben. Dass es doch glückte, verdanke ich dem Verständnis und der Unterstützung meiner engsten Freunde und meiner Familie. Meiner Mutter widme ich dieses Buch in tiefer dankbarer Verbundenheit. Heidelberg, den 1.3.2008

Götz Schulze

VIII

IX

Inhaltsübersicht A. Einleitung

.......................................................

B. Historischer Teil

................................................

1 47

I. Rechtshistorische Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Die obligatio naturalis im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Spätes gemeines Recht und Pandektistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Historisch-rechtsvergleichende Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . 206 1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Die Naturalobligation in den europäischen Kodifikationen . 211

C. Systematischer Teil

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

I. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung der Naturalobligation als Rechtsfigur . . . . . . . . 2. Qualifikation der Naturalobligation als Rechtspflicht und subjektives Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formen und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Integration der Naturalobligation in ein europäisches Rechtsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit . . . . 2. Gründe gegen die Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründe für die Verwendung des Begriffs Naturalobligation 4. Naturalobligation und Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 239 240 251 261 262 262 267 273 279

X

Inhaltsübersicht

III. Rechtstheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entstehung und Funktionsweise der obligatorischen Leistungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturmerkmale der Leistungspflicht zur Abgrenzung und Integration außerrechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Obligatorisches Leistungsrecht ohne rechtliche Zwangsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsdogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundentscheidung für die Rechtsfigur Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Naturalobligation als Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Naturalobligation und Leistung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Naturalobligation und Forderungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Bestimmung im Einzelfall (zwei Grundfragen) . . . . . . . . . V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation . . . . . . . . . . 1. Privatautonomie und materiell-rechtliche Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgeschäftliche Entstehungsformen der Naturalobligation (ex voluntate) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsgeschäftliche Außengrenzen und innere Gestaltungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ehrversprechen und Gentlemen’s Agreement . . . . . . . . . . . . . . VI. Justiziabilität der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozess- und Prozesshandlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 2. Materielles Gegenrecht des Schuldners zur Befreiung von prozessualem Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Klagebefugnis (Ausschluss der Klagbarkeit) . . . . . . 4. Rückforderungsklage und Feststellungsbefugnis . . . . . . . . . . .

287 287 375 405 431 432 447 454 461 509 563 563 565 581 593 629 629 630 632 633

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

D. Schluss

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681

Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739

XI

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII

A. Einleitung

........................................................

1

I. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

II. Offene Fragen und Kontroversen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freiwillige Erfüllung einer obligatorischen Forderung . . . . . . 2. Missbilligung der Pflichtbindung oder des Erfüllungszwanges? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatische Sonderprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsgeschäftliche Gestaltungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11 16 19 24

III. Die Fragestellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Die Hauptthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 V. Methoden und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungsrecht und Rechtszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Moralische und rechtliche Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Pflichtstruktur der obligatorischen Forderung . . . . . . . . . .

35 36 38 41

VI. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

B. Historischer Teil

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

I. Rechtshistorische Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Die obligatio naturalis im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Grundlagen der obligatio naturalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die obligatio als rechtliche Grundfigur personaler Bindung . . bb) Virtualisierung physischer Bindung und Verrechtlichung der vincula iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Obligatorische Bindung als Reflex aus der Zwangsdrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Obligatorische Bindung aus Treueversprechen (Wette) . . . (3) Obligatorische Bindung als Ergebnis einer stipulatio . . . . . cc) Natura im Recht der Obligationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 52 52 53 54 57

XII

Inhaltsverzeichnis

b) Die Entstehung der obligatio naturalis in hochklassischer Zeit . . . aa) Obligatio naturalis als Abbild der obligatio civilis (Abbildtheorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Obligatio servi (obligatio „per abusionem“) . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Obligatio naturalis als Handlungsform der Peculienwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verpflichtungen des Haussohnes, der gewaltunterworfenen Frau und der Kinder sowie des Mündels (rerum naturam) . . . . c) Ausweitung des Anwendungsbereichs der naturalis obligatio . . . . aa) Sittliche Verpflichtung (debitum naturale) . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Naturalis ratio und ius gentium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Befreiung von der Rückgabepflicht (soluti retentio) und pactum nudum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Rechtsgrundlage der obligatio naturalis: Das ius naturale als Rechtsquelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 58 61 65 67 69 69 71 72 74 79

2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Germanisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Spiel und Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der verwillkürte Vertrag (germanische Treue) . . . . . . . . . . . . . cc) Trennung von Schuld und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frührezeption der römischen obligatio naturalis . . . . . . . . . . . . . . . aa) Glosse: Obligatio tantum naturalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Französische Schule: Aequitatis vinculum und wirkungsgeminderte Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Deutsche Schule: Typen der obligatio naturalis (plenae – minus plenae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 83 85 87 87 89 89

3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Das Moralprinzip der Vollkommenheit und der Pflichtbegriff . . . b) Pflichten in naturrechtlicher Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der status naturalis als Grundlage für ein natürliches Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbindlichkeit und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollkommene und unvollkommene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vormoderne Naturrechtslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die zwei moralischen Qualitäten einer Person (Grotius) . (2) Naturrechtlich systematisiertes Römisches Recht (Domat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsbindung kraft Sittlichkeit (Pufendorf ) . . . . . . . . . . (4) Rechtsbindung durch äußeren Zwang (Thomasius) . . . . . (5) Die uneigentliche Obligation (Gundling) . . . . . . . . . . . . . . (6) Obligation naturelle: juridique et parfaite (Pothier) . . . . . bb) Aufgeklärtes Vernunftrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 98 99 103 105 105 105 106 107 110 112 113 115

Inhaltsverzeichnis

(1) Das Liebesband zwischen den Menschen (Wolff ) . . . . . . . (2) Analytische Pflichtkonstruktionen (Achenwall, Höpfner, Sulzer, Mendelssohn) . . . . . . . . . . . . (3) Pflichtbestimmung aus der Vernunft (Kant) . . . . . . . . . . . (a) Ausnahmslose Gültigkeit oder bloße Bestimmtheit der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der ethische Gehalt der Rechtspflichten . . . . . . . . . . . (c) Rechtspflichten und Zwangsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . (d) Obligatorische Verbindlichkeit als Befugnis zur Einwirkung auf den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die sittliche Pflicht der Wirklichkeit (Hegel) . . . . . . . . . . d) Die Idee des vollkommenen Rechts (Alexy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unvollkommene Verbindlichkeiten im positiven Recht . . . . . . . . . . aa) Rezeption im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) . . . bb) Rezeption im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (1811) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rezeption im Code Civil (1804) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII 116 118 120 121 124 126 127 131 133 135 135 138 139

4. Spätes gemeines Recht und Pandektistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Die Erneuerung der obligatio naturalis (Historische Rechtsschule) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positivistische Differenzierungen (Brinz und Bekker) . . . . . . . . . c) Obligation des natürlichen Rechtsgefühls (Windscheid) . . . . . . . . d) Anerkennung als randständige Rechtsfigur (Dernburg) . . . . . . . . e) Die Rechtsprechung des Reichgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Spielverträge und Differenzgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sittliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Naturalobligation als eine Schuld ohne Haftung . . . . . . . . . .

140 143 147 151 152 152 152 155

5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Gesetzgebungsverfahren und Beratung des BGB . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennung in Einzelfällen, aber „Begriff vermeiden“ . . . . (1) Vorbeschlüsse vom 3.10.1877 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschluss vom 24.2.1882 (1.Kommission) . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufnahme einer allgemeinen Regel zur sittlichen Pflicht in das Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschluss vom 18.12.1882 (1.Kommission) . . . . . . . . . . . . . (2) Beschluss vom 21.9.1892 (Vorkommission des Reichsjustizamts) . . . . . . . . . . . . . . . (3) Übernahme der 2.Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anerkennung einzelner Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Starke oder schwache Wirkung der Verjährung . . . . . (b) Unstreitig gestellte Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ehevermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Spiel und Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 163 163 165 166 166 167 169 170 170 170 171 172 173 173

XIV

Inhaltsverzeichnis

(4) Verlöbnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Ausstattung des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstreit nach Inkrafttreten des BGB (Überblick) . . . . . . . c) Die Lehre von den unklagbaren Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Klagelose Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtklagbare und unvollkommene Verbindlichkeiten . . . . . cc) Stellungnahme zu Stechs „unvollkommener Verbindlichkeit“ dd) Unvollkommene Verbindlichkeit und fehlende Einforderungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Heutiger Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsvielfalt und grundsätzliche dogmatische Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das nicht zwangsbewehrte Forderungsrecht . . . . . . . . . . . (a) Synonyme Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schuld ohne Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Sittliche Pflicht und Treuebindung . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Unklagbarer Anspruch oder unklagbare Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Unvollkommene Verbindlichkeit als Oberbegriff für unklagbare Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Sanktionslose Obligation, wirkungsgemindertes Schuldverhältnis, unvollkommen wirksame, uneigentliche oder unechte Verbindlichkeit . . . . . . . . . (g) Forderung aus einem Schuldverhältnisses im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der (bloße) Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung . . . . . . . . . (4) Rückforderungsausschluss (Rechtsschutzversagung im Kontext des § 814 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehung naturaler Forderungen aus gesetzlich bestimmten Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Naturale Forderungen aus tatsächlichenUmständen . . . . (3) Zuwendungen aus sittlicher Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Naturalobligationen kraft vertraglicher Abrede . . . . . . . . cc) Nicht (mehr) diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Taschengeldgeschäfte des Minderjährigen (§ 110 BGB) . . (2) Geschäfte des täglichen Lebens von geschäftsunfähigen Volljährigen (§ 105 a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Heilung formnichtiger Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zu Unrecht abgewiesene Klageforderungen (Einschränkung der res iudicata) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Unverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unverbindliche Konkurrenzverbote . . . . . . . . . . . . . . (b) Unbillige Vertragsstrafen, § 343 BGB . . . . . . . . . . . . . .

174 176 176 179 180 181 184 186 188 188 189 189 190 191 192 193

193 194 195 196 196 197 197 198 199 200 201 201 202 203 203 204 204 205

Inhaltsverzeichnis

XV

II. Historisch-rechtsvergleichende Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . 206 1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Die objektive oder klassische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Die subjektive oder moderne Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Regelungstechnische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

2. Die Naturalobligation in den europäischen Kodifikationen . 211 a) Die spontane freiwillige Leistung zur Erfüllung sittlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Französischer Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Italienischer Codice Civile (1865 und 1942) . . . . . . . . . . . . . . . cc) Portugiesischer Código Civil (1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektiv sittliche Pflicht und unbeachtlicher Rechtsirrtum . . . . . aa) Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch . . . . bb) BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schweizerisches Obligationenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Niederländisches Burgerlijk Wetboek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Freiwillige Erfüllung einer Verbindlichkeit bei Kenntnis der Nichtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Einordnung der sittlichen Pflicht (Naturalobligation) in das System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sittliche Pflicht als qualifizierte Nichtschuld . . . . . . . . . . . . . . bb) Sittliche Pflicht als Schuld (causa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Systematischer Teil

211 211 217 220 223 223 225 226 228 230 233 233 234

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

I. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Anerkennung der Naturalobligation als Rechtsfigur . . . . . . . . 239 2. Qualifikation der Naturalobligation als Rechtspflicht und subjektives Leistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Freiwillige Schuldnerleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Autonome Erfüllungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kein Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Wollensbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kein Gestaltungsrecht (Reurecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kein bloßes Rückforderungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Autonome Erfüllungsentscheidung und Zwangsmotiv . . . . . cc) Unfreiwilligkeit bei alleinigem Zwangsmotiv . . . . . . . . . . . . . c) Der Anspruch aus einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sekundäre, auf das positive Interesse gerichtete Leistungsrechte sind nicht durchsetzbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wirkungsgeminderte Leistungspflicht aus einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241 243 243 243 244 244 245 245 246 247 248 250

XVI

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3. Formen und Vorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Institutionelle Naturalobligationen (Gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse) . . . . . . . . . aa) Entstehungsgrund Vertrag (obligatio ex voluntate) . . . . . . . . . (1) Naturalobligation kraft gesetzlicher Anordnung . . . . . . . (2) Naturalobligation kraft Vereinbarung (gewillkürte Naturalobligation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entstehungsgrund Gesetz (obligatio ex lege) . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellungsbedürftige Naturalobligationen (sittliche Pflichten ) aa) Rechtsbegründung durch richterlichen Feststellungsakt und obligatio ex societate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektives Leistungspflichtverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Integration sozialer Verhaltenserwartungen durch richterrechtliche Anerkennung (Transformation in das Recht) . . . . dd) Bestandsschutz für gesellschaftliche Leistungspflichten (obligatio ex societate) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 252 252 252 253 253 254 256 258 260

4. Integration der Naturalobligation in ein europäisches Rechtsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit . . . . 262 a) Synonyme Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Keine terminologische Unterscheidung nach Regelungstypen . . . 262

2. Gründe gegen die Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Historische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unvollkommene Rechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung zu den leges imperfectae und den officia des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Gründe gegen eine Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Dichotomie in der Pflichtstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eine Positivierung von Rechtsgefühlen entspricht nicht dem Regelungskonzept der „sittlichen Pflicht“ des BGB . . . . . . . . cc) Abwertende Konnotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3. Gründe für die Verwendung des Begriffs Naturalobligation a) Historischer Ursprung im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das deskriptive Kompositum „Natural“ und seine reduktive Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine normative Implikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktionale Ausrichtung einer Forderung ohne Zwang . . . . cc) Die reduktive Bedeutung von „natural“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anschlussfähigkeit des Begriffs Naturalobligation . . . . . . . . . . . .

267 267 269 271 271 272 272 273 273 273 274 275 277 279

4. Naturalobligation und Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

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XVII

a) Begriffsjurisprudenz und rechtsfreier Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naturrecht und Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Naturalobligation und Naturzustände des Rechts . . . . . . . . . bb) Rechtsethischer Naturalismus und rationale Handlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 280 282 283

III. Rechtstheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Entstehung und Funktionsweise der obligatorischen Leistungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Naturalistische Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Pfadabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neurobiologische Determination, psychologischer und soziobiologischer Selbstzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rationalistischer Naturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Steuerungs- und Kontrollvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Selbstbestimmung als Handlungsanreiz . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verhaltensbindung kraft Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrags- und Versprechensbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Obligatio und contractum (einseitige oder gekreuzte stipulationes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das naturrechtliche Vertragsmodell ausgetauschter Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verpflichtung durch Willensvereinigung im Konsens . . . (4) Vertrag als emergente Erscheinung (Emergenz) . . . . . . . . bb) Vertragsbindung durch Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Consideration-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Causa-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einseitige Versprechensmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verpflichtung durch kommissiven Sprechakt (institutionelle Rechtstatsache) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verpflichtung durch normative Selbstbindung . . . . . . . . . (3) Verpflichtung durch einseitiges Versprechen (Pollizitation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verpflichtung durch den Willen: Das gewollte Sollen (analytische Sollenstheorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Obligatorische Bindung durch einseitige Festlegung . . . . . . . . . . . aa) Intrapersonale Pflichtentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das notwendig interpersonale Rechtsverhältnis . . . . . . . . (2) Pflichten gegen sich selbst und Selbstpaternalisierung . . . (a) Spielsperrverträge und Formabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Behandlungsverträge mit psychisch Kranken und Patientenverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konsequentielle und obligatorische Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . (1) Konsequentialistische Verhaltensbindung . . . . . . . . . . . . . (a) Erhalt der Versprechensabsicht, § 145 Hs.1 BGB . . . . (b) Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 289 290 292 292 294 295 296 297 298 300 303 308 309 311 316 320 321 322 324 326 330 332 333 335 336 338 339 340 342 343 345

XVIII

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(c) Mitwirkungs- und Kooperationspflichten . . . . . . . . . . (d) Absichtsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Unverbindliche Absichtserklärung . . . . . . . . . . . (bb) Verbindliche Absichtserklärung mit Lösungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Das Rückrufrecht des Urhebers bei gewandelter Überzeugung, § 42 Abs. 1 UrhG . . . . . . . . . . . . . (dd) Das freie Widerrufsrecht des Verbrauchers, § 355 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG (Corporate Governance Kodex) . . . . . . . . . . . . . . (ff) Abbruch von Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . (gg) Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . . (2) Obligatorische Leistungsbindung und Recht-PflichtKorrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Obligatorische Bindung durch Anerkennung des Gläubigerbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Gläubigerbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Anerkennung des Gläubigerbefehls . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Folgen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einwirkungsbefugnis des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Spannung der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stipulatio und Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stipulatio und Anerkennung als Verpflichtungsgrund . . . . . .

347 349 349 351 353 353 355 357 358 359 359 362 363 366 367 369 370 372 373

2. Strukturmerkmale der Leistungspflicht zur Abgrenzung und Integration außerrechtlicher Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 a) Die Bestimmtheit der Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbestimmtheit als Kennzeichen moralischen Pflichthandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Äußere Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unbestimmtheit als Folge intrinsischen Pflichthandelns . bb) Unbestimmtheit als Kennzeichen unverbindlichen Handelns (1) Bestimmtheit als Indiz für rechtsgeschäftliche Erheblichkeit und Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bestimmtheit als Indiz für Ernstlichkeit (Schein- und Scherzerklärung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bestimmtheit als Inhaltserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der unverbindliche Vertrag (Vertrag ohne Forderung) . . . . . b) Die Unabweisbarkeit der Forderung (Schuldigkeit) . . . . . . . . . . . . aa) Unabweisbarkeit bei sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht (Sanktionshypothese) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Supererogatorische Handlungen (Schwächere und stärkere Pflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anstandsrücksicht als supererogatorische Handlung? . . . . . . (1) Die Pflichtstruktur der Anstandsrücksicht gegenüber der sittlichen Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Übereinstimmung in der Pflichtstruktur . . . . . . . . . . . . . .

376 376 376 378 379 380 381 382 382 387 387 389 390 390 392

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dd) Arbeitsrechtliche Zielvereinbarung und supererogatorische Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Befolgungsprivilegien für den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Naturalobligation und sanktionsloser Rechtsbruch . . . . . . . . (1) Berechtigte Erfüllungschance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Missbrauchsgefahr und Anreiz zum Rechtsbruch . . . . . . (3) Erosion der Rechtsregel und verdienstvolle Legalität . . . . c) Der Anspruch auf materiale Richtigkeit (minima moralia des Schuldrechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die sittlich-rechtliche Pflicht zur Anerkennung des Anderen bb) Auswirkungen im schuldrechtlichen System . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Schuldverhältnis als prototypische rechtsethische Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX 393 393 394 394 395 396 398 399 403 404

3. Obligatorisches Leistungsrecht ohne rechtliche Zwangsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 a) Zwang als analytisches Merkmal obligatorischer Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geregelter und ungeregelter Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwang als Potentialität des Rechts (Zwangseignung) . . . . . . . cc) Der Standpunkt moderner Rechtstheorien . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwang als Anreiz und Mittel zur Pflichterfüllung . . . . . . . . . b) Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis (Autonomiekonzepte) aa) Die Denkfigur der Selbstgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Isolation der sich selbst bestimmenden Person . . . . . . . . . (1) Selbstprogrammierung nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Selbstgestaltung durch den Willen (stat pro ratione voluntas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Selbstbestimmung als Rechtfertigung (volenti non fit iniuria) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenständige Bewertung der Zwangsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewinn eines Differenzierungskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigermacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kommunikation und Rechtfertigungszwang . . . . . . . . . . . . . d) Der Sinn einer rechtlichen Entwaffnung des Gläubigers . . . . . . . . aa) Die wirklichkeitsgestaltende Kraft rechtlicher Ordnung . . . . bb) Die Funktionalität kategorischer Verhaltensanforderungen mit schwächerem Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pseudoobligation oder Begriffsdifferenzierung . . . . . . . . . . . e) Wirtschaftlicher Nutzen einer Rechtsposition ohne Zwang . . . . . aa) Ökonomische Folgenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anerkennung als Vermögenswert und Chance freiwilliger Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigener wirtschaftlicher Nutzen für den Schuldner (Glaubwürdigkeitsgewinn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406 407 409 411 412 413 413 414 415 416 417 418 418 419 419 421 421 421 425 426 426 427 429

XX

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IV. Rechtsdogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 1. Die Grundentscheidung für die Rechtsfigur Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 a) Die offene Ausgangslage: Eine vermiedene Entscheidung des BGB-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Verklammerung unter der dogmatischen Rechtsfigur Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzeswortlaut mit Sprachregelung („… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“) . . . . . . . . . . bb) Systematischer Ausgangspunkt: § 241 BGB . . . . . . . . . . . . . . . cc) Art. 3 Buch 6 niederländisches BW als Vorbild . . . . . . . . . . . . c) Naturalobligation als Behaltensgrund oder Rechtsschutzversagung (Kondiktionssperre) . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rückforderungslage (fehlender Rechtsgrund) . . . . . . . . . . . . . (1) Unwirksamer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der unwirksame, nicht nichtige Spielvertrag (schwache Unwirksamkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsschutzversagung (§§ 762 Abs. 1 S. 2, 814 BGB) . . . . . . . (1) § 817 S. 2 BGB als Leitbild für das Verständnis von § 814 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Disfunktionalität eines generalpräventiven Rückforderungsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) §§ 814 Hs. 1 und Hs. 2 BGB – Anwendungsfälle eines gemeinsamen Prinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Negativ- oder Positivkonstruktion geschwächter Leistungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

432 434 435 436 437 438 439 439 440 443 443 445 445 446

2. Die Naturalobligation als Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 a) Die bereicherungsrechtliche Konzeption der Rechtsgrundlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bloßer Erwerbsgrund (causa acquirendi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sittlicher Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung . . . . . . . aa) Behaltensberechtigung kraft Sozialmoral . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pseudorechtsgrund oder „echter“ Schuldgrund . . . . . . . . . . .

448 449 451 452 453

3. Naturalobligation und Leistung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 a) Rechtliche Funktionen von Leistungspflichten aus Sitte und Anstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatisches Verständnis der Leistung aus sittlicher Pflicht . . . . aa) Unentgeltlichkeit der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erfüllung mit oder ohne Schenkungsvereinbarung (§ 534 oder § 814 Hs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Ausstattung (§ 1624 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

454 455 455 457 459

4. Naturalobligation und Forderungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . 461 a) Die Forderungsstruktur der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . 461 aa) Das Forderungsrecht nach Einzelbefugnissen . . . . . . . . . . . . . 461 bb) Die Befugnisse aus einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . 465

Inhaltsverzeichnis

(1) Die zu und aberkannten Befugnispositionen . . . . . . . . . . . (2) Die Naturalobligation ohne Erfüllungszwang . . . . . . . . . (3) Fehlende Zwangsbefugnisse (Zwangs- und Sicherungsmittel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naturalobligation und materiellrechtlicher Anspruch . . . . . . . . . . aa) Die Forderung als der Anspruch des Schuldrechts . . . . . . . . . bb) Der Anspruch als Ermächtigung zur Zwangsdurchsetzung . cc) Der Anspruch als Realisationsform der Forderung . . . . . . . . c) Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Naturalobligation und Sonderformen der Forderung . . . . . . (1) Die betagte Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die verhaltene Forderung und die „ausgesetzte Forderung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die gehemmte Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die verjährte Forderung und die Ausübung des Einrederechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Entstehung einer Naturalobligation vor Einredeerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Aufhebung der Einforderungsbefugnis nach Einredeerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die durch ein pactum de non petendo gehemmte Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die „unbestimmte oder unverbindliche Forderung“ (§§ 315, 317 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonderformen des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das aufschiebend bedingte oder befristete Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das schwebend wirksame Rechtsgeschäft (Anfechtung, Widerruf und Rücktritt) . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte (Genehmigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das formfehlerhafte Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das mündliche Vermächtnis als Naturalobligation? . (b) Nichtigkeit oder Heilung beim formfehlerhaften Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Leistung auf ein nicht anerkanntes ausländisches Urteil . (1) Kollisionsrechtliche und materiellrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mögliche Modifikation des Anerkennungsrechts . . . . . . . dd) Naturalobligation und antizipierte Konträrakte . . . . . . . . . . . (1) Durchschaute Mentalreservation, § 116 S. 2 BGB . . . . . . . (2) Scheingeschäft, § 117 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die im Voraus erlassene Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Naturalobligation und Liberalität (Rückforderungsverzicht und Schenkung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verzicht auf ein Rückforderungsrecht, § 814 Hs.1 BGB . . (2) Pflicht- und Anstandsschenkung, § 534 BGB . . . . . . . . . . ff) Naturalobligation: Schuldänderung oder Haftungsbeschränkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXI 465 468 469 472 472 473 474 475 476 476 477 478 480 480 481 484 488 490 490 491 492 493 493 495 497 497 498 499 499 499 500 501 501 502 502

XXII

Inhaltsverzeichnis

gg) Naturalobligation und Tatsachenbindung . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatsachenerklärung als Zeugnis gegen sich selbst . . . . . . . (2) „Tatsachenverträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kollisionsrechtliche Behandlung der Naturalobligation . . . . . . . .

505 506 506 507

5. Die Bestimmung im Einzelfall (zwei Grundfragen) . . . . . . . . . 509 a) Die verjährte Forderung (§ 214 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fortbestand der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schwächung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verzicht und Fallenlassen der Einrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtslage nach Einredeerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ehevermittlung (§ 656 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lohnforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spiel und Wette (§§ 762 f.BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Forderungen statt „Nichtforderungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Abzugsrecht bei der Pferdewette nach § 4 Abs. 2 S. 3 RennwLottG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verlöbnis (§ 1297 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht (§§ 1624 Abs. 1 und 534, 814 Hs.2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesellschaftliche Anforderung und richterliche Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Leistungspflicht als Maßstabs- und Beurteilungsregel . . . bb) Die fehlende Durchsetzbarkeit sittlicher Pflichten . . . . . . . . . f) Die formfehlerhafte Vergütungsvereinbarung des Rechtsanwalts (§ 4 Abs. 1 RVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der formlose Parteikonsens (pactum nudum) . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung: § 814 Hs. 1 BGB, halbseitige Teilnichtigkeit und Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erfolgshonorar und Gebührenunterschreitung . . . . . . . . . . . . g) Die Ausfallforderung des Insolvenzrechts (§§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die aufrechterhaltene Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung gegenüber der Nichtschuld § 814 Hs.1 BGB . . . h) Die devisenrechtswidrige Forderung nach Maßgabe des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods . aa) Devisenforderung ohne prozessuales Klagerecht . . . . . . . . . . bb) Einredebehaftete Devisenforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Nichtforderung“ oder naturale Devisenforderung . . . . . . . . dd) Stellungnahme: Einstufung als Naturalobligation . . . . . . . . . i) Neue Anwendungsgebiete für ein gesetzgeberisches Gestaltungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennung privater Schiedssprüche ohne Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prostitutionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509 510 511 515 516 517 517 521 522 522 523 524 525 528 528 529 529 530 530 531 532 535 535 536 538 539 540 541 542 543 547 547 548

Inhaltsverzeichnis

XXIII

(1) Die Entgeltforderung der Prostituierten . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Forderung des Freiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unbenannte Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Atypischer Leistungszweck (Leihmutterschaft, Empfängnisverhütung, Fluchthilfe) . (2) Zweifelhafter Leistungszweck (Ämterkauf, unsinnige oder unmögliche Leistung) . . . . . dd) Freiwillige Selbstverpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unverbindlichkeit für beide Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Missverständlichkeit des Begriffs „Freiwillige Selbstverpflichtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auflösung der Paradoxie einer „freiwilligen Pflichtbindung“: Die Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . ee) Gentlemen’s Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

548 550 551 551 553 554 556 558 560 561

V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation . . . . . . . . . . 563 1. Privatautonomie und materiell-rechtliche Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 2. Rechtsgeschäftliche Entstehungsformen der Naturalobligation (ex voluntate) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 a) Einseitiges Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auslobung in Form einer Naturalobligation und Gewinnzusage, § 661 a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vermächtnis als Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehung durch zweiseitiges Rechtsgeschäft (Vertrag) . . . . . . . aa) Die Begründung der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der ursprüngliche Abbedingung von Zwangsbefugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die nachträgliche Umwandlung in eine Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Aufhebung der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Umwandlung der Naturalobligation in eine Zivilobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schuldänderung und Schuldersetzung (Novation) . . . . . . (2) Schuldergänzung durch abstraktes oder kausales Schuldversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Umwandlungsverbote und Formpflicht (Schenkungscausa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Integritäts- und Leistungsschutz einer Naturalobligation (Minderung und Rücktritt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlendes Leistungsversprechen (Unverbindlichkeitsabrede) (1) Gefälligkeit und Absichtserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schlichte Vereinbarungen und Verträge ohne primäre Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unverbindlichkeitsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

566 566 567 568 568 568 569 571 571 572 572 573 575 577 577 577 578 579

XXIV

Inhaltsverzeichnis

bb) Unwirksames Leistungsversprechen (bindungsfeindliche Geschäfte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

3. Rechtsgeschäftliche Außengrenzen und innere Gestaltungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 a) Ausschluss der Klagbarkeit als Vereinbarung einer Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Rechtswegausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klagbarkeitsausschluss, Abbedingung aller Zwangsbefugnisse (Naturalobligation) oder der Einforderungsbefugnis (Betagung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Leitlinien für eine zulässige Abbedingung von Erfüllungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründe, die eine Abbedingung von Erfüllungszwang im Einzelfall rechtfertigen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbesserte Erfüllungschance bei fehlendem Zwang . . . . . . . bb) Wirtschaftlicher Nutzen freiwilliger Pflichterfüllung . . . . . . cc) Besonderes Geheimhaltungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine ausreichenden Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstverständlichkeit der Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geringes Leistungsinteresse des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . cc) Geringe Durchsetzungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Geschäftsehre des Schuldners als Ersatz für den Haftungszugriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

582 583

584 586 589 589 591 591 591 591 592 592 592

4. Ehrversprechen und Gentlemen’s Agreement . . . . . . . . . . . . . . 593 a) Die Verpfändung der Geschäftsehre oder des Ehranspruches . . . aa) Ehrversprechen zur Bekräftigung einer Schuld . . . . . . . . . . . . bb) Ehrversprechen zur Ersetzung einer Schuld . . . . . . . . . . . . . . (1) Ehrversprechen betreffend die Erfüllung eines rechtsunwirksamen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ehrversprechen als Ersatz für das Klagerecht . . . . . . . . . . b) Das Gentlemen’s Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bezeichnung und Begriffsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geistesgeschichtliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Agreement statt contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Souveränität der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendungsgebiete und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . (1) Gentlemen’s Agreements im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . (2) Gentlemen’s Agreements im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . (3) Gentlemen’s Agreements im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Internationalität der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Can we outlaw ourselves entirely?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Express honour-only clause“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Internationale Diamantenindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einordnung und Abgrenzung des Gentlemen’s Agreement aus deutscher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Recht oder Nicht-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

594 595 597 598 600 602 602 603 604 606 606 607 607 607 609 609 611 613 614 614

Inhaltsverzeichnis

XXV

(a) Geltungsvorrang des objektiven Rechts . . . . . . . . . . . . (b) Nicht gerechtfertigter Rückzug ins Private . . . . . . . . . (c) Delegierte oder anerkannte Autonomie . . . . . . . . . . . . (2) Dogmatische Einordnung im schuldrechtlichen System . (a) Nicht-Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unwirksames Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vertrag ohne primäre Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . (d) Vertrag mit primärer Leistungspflicht (Naturalobligation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die paradoxale Struktur des Ehrversprechens (Gentlemen’s Agreement) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überhöhung rechtlich geschuldeter Verhaltensweisen . . . . . . bb) Versprechen auf Ehre als Indiz für die Unehrenhaftigkeit . . . cc) Naturalobligation als Grenzpunkt einer gegebenenfalls noch zulässigen rechtsgeschäftlichen Gestaltung . . . . . . . . . .

615 617 617 618 618 619 621 623 624 625 626 627

VI. Justiziabilität der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1. Prozess- und Prozesshandlungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 2. Materielles Gegenrecht des Schuldners zur Befreiung von prozessualem Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Klagebefugnis (Ausschluss der Klagbarkeit) . . . . . . 4. Rückforderungsklage und Feststellungsbefugnis . . . . . . . . . . .

629 630 632 633

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

D. Schluss

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681

Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739

XXVI

XXVII

Abkürzungsverzeichnis ABGB ABl. AcP AJP/PJA AllgÖstGZ AmJCompL AnwBl Anwk-BGB ARSP AÖGZ AZP

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt Archiv für die civilistische Praxis Aktuelle juristische Praxis (Schweiz) Allgemeine österreichische Gerichtszeitung American Journal of Comparative Law Anwaltsblatt Anwaltkommentar zum BGB Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung Allgemeine Zeitschrift für Philosophie

BB BG BGE BGBl. BGH BGHZ BW Bull. civ.

Betriebsberater Bundesgerichtsentscheidung (Schweiz) Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Burgerlijk Wetboek Bulletin des Arrêts de la Cour de Cassation. Chambres civiles

CCfr Chicago LRev Conceptus

französischer code civil Chicago Law Review Conceptus

DB DJZ DNotZ DÖV DRW D. DZPhil DZWiR

Der Betrieb Deutsche Juristen Zeitung Deutsche Notarszeitung Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Rechtswörterbuch Dalloz Sirey Deutsche Zeitschrift für Philosophie Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Ebd. EdinLR EurRevPrivL

ebendort Edinbourgh Law Review European Review of Private Law

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

XXVIII FAZ FS GPR GrünhZ

Abkürzungsverzeichnis

GS

Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart (Grünhuts Zeitschrift) Gedächtnisschrift

Hk-BGB HKK Hg. HRG

Handkommentar zum BGB Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Herausgeber Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

ILP Insolvency Law and Practice Rev belge dr int Institut Belge de Droit comparé - Revue de droit international et de droit comparé ILR Iowa Law Review IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Ius Commune Ius Commune - Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte JA J Leg St. JherJhrb JhrbGDR JR JurA JURA JuS JZ

Juristische Ausbildung Journal of Legal Studies Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung

KJ KritBl KritV K&R

Kritische Justiz Kritische Blätter civilistischen Inhalts in zwanglosen Heften Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Zeitschrift für Kommunikation und Recht

LZ

Leipziger Zeitschrift

mN MünchKomm

mit Nachweisen Münchener Kommentar

N.I.L.R. NJW NJW-RR NVwZ NZM

Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht

ÖJZ

Österreichische Juristen-Zeitung

PhilJhrb

Philosophisches Jahrbuch der Görres Gesellschaft

Abkürzungsverzeichnis

PracL PECL PrALR

Practical Lawyer Principles of European Contract Law Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten

RabelsZ Rev hell dr int RHDI RG RGZ RIW RM RTD Rth

Rabels Zeitschrift für internationales Recht Revue hellénique de droit international Revue hellenique de droit international Rechtsgeschichte Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Reichsmark Revue trimestrielle de droit civil Rechtstheorie

SavZRom

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Romanistische Abteilung Der Staat Seuffert’s Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten

Staat SeuffA

XXIX

VersR VVDStRL

Versicherungsrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer

WM

Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - Wertpapiermitteilungen

ZEuP ZfRV ZGR ZGS ZHR ZIP ZMR ZPhilF ZRG ZRP ZRSoz ZVglRWiss ZZP ZZPint

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für Handelsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Wohnrecht Zeitschrift für philosophische Forschung Zeitschrift für Rechtsgeschichte Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für den Zivilprozess Zeitschrift für den Zivilprozess – internationaler Teil

1

A. Einleitung

2

I. Einführung in das Thema

3

I. Einführung in das Thema Eine Rechtspflicht ohne Zwang hatte Rudolf von Jhering für eine ungeheuerliche Idee gehalten, „ein Feuer das nicht brennt, ein Licht das nicht leuchtet“1. Heute dürfte die Trennung von Recht und Rechtszwang weniger kategorial beurteilt werden. Zu offensichtlich sind Verhaltensregeln sozial wirksam, die ohne rechtliche Erzwingungsmacht eingehalten werden und die doch unzweifelhaft im Bereich rechtlicher Erfassung liegen. Klassisches Beispiel nichterzwingbarer Geoder Verbote bilden die Regeln des Völkerrechts2. Auf nationaler Ebene werden Rechtsverhältnisse normiert und Geschäftsformen anerkannt, die ohne rechtliche Zwangsdrohung funktionsfähig sind. Zu denken ist neben den Rechtsverhältnissen des Familienrechts3 auch an den allgemeinen Rechtsgeschäftverkehrs. So ist etwa das sog. Gentlemen’s Agreement als rechtsgeschäftliches Instrument etabliert4. Neuerdings anzutreffen sind die sog. freiwilligen Selbstverpflichtun1

Jhering, Der Zweck im Recht, Band I, 3. Aufl. 1893, S. 322. Larenz, BGB Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 2 II b S. 37. Das entspricht einer klassischen völkerrechtlichen Sicht, die darauf abstellt, dass eine Instanz fehle, die den Vollzug der Normen garantiere. Der Rechtsnormcharakter des Völkerrechtssatzes wird deshalb bezweifelt. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 2. Aufl. 1975, S. 9 ff., Dahm, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 14. Jedoch ist auch das Völkerrecht nur in Teilbereichen ohne geregelte Zwangsdurchsetzung reguliert. Zu Formen der Selbst- und Kollektivdurchsetzung der zunehmend institutionalisierten Völkerrechtsordnung vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 35–41, der die Rechtnormqualität des Völkerrechtssatzes verteidigt und sich auf die Naturalobligation als eine ebensolche lex imperfecta stützt, (ebd. Rn. 32 u. Fn. 56). Zu Formen nichtphysischer Gewalt außerhalb rechtlicher Regulation Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, in: Schachtschneider (Hg.): Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 123–209. 3 Bspw. die Konzeption der elterlichen Sorge als subjektives Recht der Eltern ohne rechtliche Zwangsmacht, bei gleichzeitig belassener Eigenmacht in den Grenzen des § 1631 Abs. 2 BGB Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 57 VIII, Rn. 89; ebenso zum Umgangsrecht Peschel-Gutzeit, Umgangspflicht – Eine Naturalobligation?, NJW 2008, 1922, 1925. Das gilt ohne das Recht zur Eigenmacht ferner für andere innerfamiliäre Rechtsbeziehungen wie die Ehe und für eine Reihe von Ehevereinbarungen Hepting, Ehevereinbarungen, 1984, S. 348 f. (Geschäftszweck Ehe als „causa minor“, jedoch unter Begründung „echter Rechtspflichten“. Beispiele sind die vereinbarte Ehepflicht, die Überlassung der Haushaltsführung und Unterhalt (§§ 1360 S. 2, 1360 b BGB) oder das faktische Einvernehmen). 4 Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 16 ff.; B. Wessels, Gentlemen’s Agreement Regulating Business Relations under Dutch Civil Law, N.I.L.R. 1984, 214–254; H. Ominsky, Counseling the Client on „Gentleman’s Agreements“. Practical Lawyer, 36 (1990) Nr. 8, S. 25–39. 2

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gen5 und zu erwähnen ist auch der Handel auf Internetplattformen. Das Geschäftsmodell geht dahin, die Teilnehmer zu prüfen, sie nach Zuverlässigkeit zu bewerten, aber die Geschäftsabwicklung weitgehend dem guten Willen der Kontrahenten zu überlassen6. Aus der Schuldrechtsdogmatik stammt ferner die Figur der nicht zwangsweise durchsetzbaren Obliegenheit 7. Die Obliegenheit trifft den Belasteten nur akzidentell, wenn er sich zu einer bestimmten Handlung entschließt, insbesondere eigene Rechte oder Interessen verfolgt 8. Zu eigener Interessenwahrnehmung ist er nicht verpflichtet und kann bereits deshalb nicht zu entsprechenden Handlungen gezwungen werden9. Feste Bestandteile rechtsgeschäftlicher Praxis sind ferner einseitige Selbstbindungsformen wie etwa die sog. weiche Patronatserklärung, der Comfort Letter oder der Letter of Intent. Die Funktionsstruktur von Verhaltenskodizes, wie etwa der des Corporate Governance Kodex, zeigt ebenfalls, dass rechtlich geschützte Erwartungen nicht not5 Autoren der Selbstverpflichtungen sind Unternehmen oder Verbände der Wirtschaft, die sich gegenüber dem Staat verpflichten, vgl. Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Figur mit der Besonderheit, dass die Erfüllung unter der „Bedrohung“ möglicher staatlicher Regulation steht, so dass abstrakt betrachtet lediglich ein anderer Funktionsmechanismus als der der rechtssatzmäßigen Sanktionsdrohung vorliegt. Neuerdings werden sie auch in das Zivilrecht übertragen Mülbert, Selbstverpflichtungen zu künftigem Verhalten – Deutscher Corporate Governance Kodex, „Girokonto für Jedermann“, Selbstverpflichtung von Pfandbriefinstituten, in: Dauner-Lieb/Hommelhoff u.a. (Hg.), FS für Horst Konzen, 2006, S. 561 ff. 6 In diesem Bereich hat zwischenzeitlich ein intensiver Verrechtlichungsprozess stattgefunden. Von anderen Distanzgeschäften sind Online-Transaktionen kaum mehr unterscheidbar. Die Vertragspflichten sind erzwingbar, aber die Geschäftsabwicklung weist dennoch Besonderheiten auf. So findet auf Handelsplattformen wie etwa eBay bis zum Vertragsschluss aus einer Versteigerung keine persönliche Identifikation der Vertragspartner statt. Erst im Abwicklungsstadium legen diese ihre reale Identität offen. Hinzu kommt die mangelnde soziale Kontrolle der Akteure. Zum Ausgleich haben sich Bewertungssysteme der Handelsteilnehmer etabliert, die neue Rechtsfragen aufwerfen, vgl. Janal, Profilbildende Maßnahmen: Möglichkeiten der Unterbindung virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda, NJW 2006, 870 ff. Der Verrechtlichungsprozess hat sich aus einer gesellschaftlichen Normbildung heraus entwickelt, vgl. Ladeur, eBay-Bewertungssystem und staatlicher Rechtsschutz von Persönlichkeitsrechten. Recht und selbstorganisierte Regeln im Internet, K&R 2007, 85 ff. (zum Kündigungsrecht in den AGB von eBay bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten). 7 Zum Begriff der Obliegenheit Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 194, 224 ff., Staudinger/ Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 127. 8 Entsprechend bleibt die Rechtsposition des Begünstigten abhängig von dem Verhalten des Belasteten und ist insoweit schwächer als die obligatorische Pflicht. Bezugspunkt der Obliegenheit ist eine ungebundene (eigeninteressierte) Handlung des Belasteten, an die das Recht im Interesse des Begünstigten Anforderungen stellt. 9 Der Belastete unterliegt insoweit keiner primären Leistungs- oder sekundären Einstandspflicht. Der Handlungsvollzug wird, wie im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation, allein durch den drohenden Verlust eigener Rechtspositionen gesichert. Darin kann man ein lediglich schwächeres rechtliches Zwangsmittel sehen. Vgl. C. III. 1. c) bb) (1) (b), S. 345 ff.

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wendig mit einer Rechtsmacht zu ihrer Erzwingung korreliert sind. Das in § 161 AktG verankerte Comply-or-Explain-Prinzip überlässt dem Unternehmen die Entscheidung über den Grad der Kodex-Befolgung. Der Druck des Kapitalmarkts, der bei Befolgung mit Kurszuschlägen belohnt und bei Nichtbefolgung mit Abschlägen sanktioniert, soll die Befolgung sicherstellen10. Diese und weitere mögliche Beispiele stellen jedoch nicht den klaren theoretischen und praktischen Zusammenhang in Frage, der zwischen der Innehabung eines Rechts und der Zwangsbefugnis zu seiner Durchsetzung besteht. Danach legitimiert das subjektive Recht die Zwangsmacht ihres Inhabers und kontrolliert sie zugleich. Dem Privatrecht kommt die Aufgabe zu, individuelle Rechtspositionen zu schaffen, diese zu schützen und für ihre Durchsetzbarkeit zu sorgen. Die geordnete Zwangsausübung muss rationalisiert, begrenzt und staatlich legitimiert werden. Aufgabe des Prozessrechts, insbesondere des Vollstreckungsrechts, ist es, für die Realisierung von Forderungen und Rechten Sorge zu tragen und die Gläubigermacht zu begrenzen11. Mit der Naturalobligation werden nun die bereits im materiellen Recht vorgesehenen Ausnahmen einer solchen Rechtsfürsorge ins Licht gerückt. Es handelt sich um Rechtspositionen ohne eine staatliche Zwangsbewehrung; Forderungen, bei denen das Gesetz den Erfüllungszwang versagt12. Im geltenden Recht kommen aus dem BGB die verjährte Forderung (§ 214 BGB), die Lohnforderung des Ehemaklers (§ 656 Abs. 1 BGB), Forderungen aus Spiel und Wette (§§ 762 f. BGB), das Verlöbnis (§ 1297 BGB), die Ausstattung des Kindes (§ 1624 BGB) sowie die sittliche Pflicht und die Anstandsrücksicht (bspw. § 814 Hs. 2 BGB) in Betracht. Außerhalb des BGB sind zu nenen die formfehlerhafte anwaltliche Vergütungsabrede (§ 4 RVG12a), die Aus10

Die Unternehmen müssen einmal im Jahr mit der Entsprechenserklärung berichten, ob sie den Kodex einhalten und welche der „Soll-Empfehlungen“ des Kodex sie gegebenenfalls nicht befolgen, soweit sie Abweichungen für geboten halten. Krit. Nowak/Rott/Mahr, Wer den Kodex nicht einhält, den bestraft der Kapitalmarkt. Eine empirische Analyse der Selbstregulierung und Kapitalmarktrelevanz des Deutschen Corporate Governance Kodex, ZGR 2005, 252, 278. Zur Rechtsstruktur und der mittelbaren Bindung durch die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung vgl. Hommelhoff/Schwab, Regelungsquellen und Regelungsebenen der Corporate Governance: Gesetz, Satzung, Codices, unternehmensinterne Grundsätze. In: Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 51 ff. sowie unten C. III. 1. c) bb) (1) (d) (ee), S. 355 ff. 11 Bspw. Pfändungsbeschränkungen, §§ 850 ff. ZPO, oder die Schranken der Zwangsvollstreckung nichtvertretbarer Handlungen, § 888 Abs. 3 ZPO. 12 RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8 spricht von einer Missbilligung des Erfüllungszwanges; ähnlich in der Definition aber wechselnd bezogen auf Schuldund Anspruchsbegriff, Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT I, 1, 8. Aufl. 1995, § 7 III, S. 123 (Der Gesetzgeber verhalte sich gewissen Ansprüchen gegenüber neutral in dem Sinne, dass er ihre rechtliche Existenz zwar anerkenne, ihnen aber die Durchsetzbarkeit mittels staatlicher Gewalt versage. Man spreche bei solchen Schulden ohne Leistungszwang von Naturalobligationen, sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten). 12a An die Stelle von § 4 Abs. 1 S. 3 RVG wird zum 1.7.2008 ein neuer § 4 b RVG treten. Danach darf eine höhere als die gesetzliche Vergütung nicht gefordert werden. Damit entfällt

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fallforderung des Konkursgläubigers nach Zwangsvergleich und Restschuldbefreiung (§ 254 Abs. 3 InsO; § 301 Abs. 3 InsO) und ebenso Forderungen aus Devisenkontrakten, die gegen devisenrechtliche Bestimmungen nach Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton-Woods verstoßen und dadurch ihre rechtliche Durchsetzbarkeit verlieren. Rückblickend gehören ebenso die Differenzgeschäfte (§ 764 BGB a.F.) und das unverbindliche Börsentermingeschäft nicht terminfähiger Personen (§ 55 BörsG a.F.) hierher. Das gemeinsame Merkmal all dieser Rechtspositionen ist ihre geschwächte Wirkung aufgrund fehlenden Erfüllungszwanges13. Kennzeichen ist ihre rechtliche Durchsetzungsschwäche. Das bedeutet eine Differenzierung der Forderung nach Wirkungsgraden, die an jene zwischen Obliegenheit und Pflicht erinnert 14. Die „schwache“ Naturalobligation tritt neben die „starke“ Zivilobligation (§ 241 Abs. 1 BGB). Das im Schrifttum und in der Rechtsprechung verblassende Bild von der Naturalobligation lässt sich als Indiz für die Überwindung der aus dem klassischen römischen Recht stammenden Lehre und ihre heutige Bedeutungslosigkeit deuten15. Gleichwohl ist die Naturalobligation in zahlreichen Rechtsordnungen kodifiziert (Portugal, Frankreich, Italien, Niederlande) oder zumindest als fester Bestandteil in der schuldrechtlichen Dogmatik verankert (Österreich, Schweiz). Die weithin synonym verstandene „unvollkommene Verbindlichkeit“ hat der BGB-Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2001 aufgegriffen und als amtliche Überschrift für Spiel, Wette, Lotterie und Ausspielung eingefügt16. Diese Systematisierung ist überraschend, weil Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeiten nicht einen bestimmten Vertragtypus17 und die bisherige Naturalobligation, vgl. Kilian, Das Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren, NJW 2008, 1905, 1906. Die hier zu § 4 RVG gemachten Ausführungen beruhen durchgehend noch auf der bisherigen Rechtslage. 13 Die abgeschwächte Wirkung einer Forderung aufgrund fehlenden Erfüllungszwanges kennzeichne die Naturalobligation, RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8; ebenso bezogen auf Spiel und Wette Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 4 (zurückgesetzte Rechtswirksamkeit); Bamberger/Roth/Janoschek, BGB, 2003, § 762 Rn. 1 (nicht sittenwidrig, aber verminderte Wirksamkeit). Bezogen auf Ehevermittlung BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 314 f. – Ehevermittlung (wirkungsgemindertes vertragliches Schuldverhältnis), zust. Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 5. 14 Die „mindere Intensität“ der Obliegenheit, Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S. 104, 314 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 48; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2001, Einl. vor § 241 Rn. 44 ergibt sich jedoch aus ihrer konsequentialistischen Pflichtstruktur. Die Naturalobligation besitzt dagegen eine obligatorische Pflichtstruktur. 15 R. Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, 1897, S. 26 f. erklärte zum neuen Recht des BGB: „Wo Verbindlichkeit, da auch Klagerecht. Dadurch hat für uns die Unterscheidung zwischen klagbaren und klaglosen Rechten ihre wesentliche Bedeutung verloren.“ Stammler sah aber gleichwohl die Naturalobligation als von dem neuen Recht übernommen an und zählte dazu auch die sittliche Pflicht, ebd. S. 30 ff. 16 2. Buch, 8. Abschnitt, Titel 19: §§ 762 f. BGB 17 Anders als die Titelüberschriften des 8. Abschnitts („Einzelne Schuldverhältnisse“).

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auch kein gesetzliches Mutterschuldverhältnis18 bezeichnen. Sie beschreiben vielmehr die aus Spiel- und Wettverträgen entstehenden Forderungen in ihrer spezifischen Eigenart19. Ferner erzeugt der Spielvertrag nur dann „unvollkommene Verbindlichkeiten“, wenn die Spielveranstaltung staatlich nicht genehmigt war (§ 763 S. 2 BGB20). Die Vorarbeiten für einen Europäischen Kodex des Zivilrechts erwähnen Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit nicht 21. Das stünde einer Rezeption als dogmatische Grundfigur nicht entgegen, lässt aber doch wenig Interesse und Bedarf erkennen. Der Grund für die neuzeitliche Zurückhaltung dürfte vor allem mit den weithin unklaren Vorstellungen zusammenhängen, die über die rechtliche Qualifikation und über die dogmatische Struktur dieser besonderen Obligationen bzw. Verbindlichkeiten bestehen. Historisch betrachtet hat diese Unsicherheit Tradition. Schon der römischrechtlichen obligatio naturalis lag kein einheitlicher Begriff zugrunde. Sklave und gewaltunterworfene Personen waren naturaliter betrachtet verpflichtungsfähig, aber nicht als Rechtsträger und Prozesspartei zugelassen. Ihre unter dem Gesichtspunkt der naturalis ratio anerkennungsfähigen Rechte und Verpflich18 Die Forderung (Schuld, Schuldverhältnis im engeren Sinne) entsteht aus Vertrag oder Gesetz. Von daher kann zur systematischen Unterscheidung der Entstehungstatbestände gegenüber der Forderung von Mutterschuldverhältnissen gesprochen werden. Der Begriff ist nicht identisch mit dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne, der die gesamte Rechtsbeziehung auch über den Vertrag hinaus erfasst; vgl. Behrends, Feste Regelungsstruktur oder auslegungsfähiges Pflichtenverhältnis. Exegesen zu den beiden Vertragsbildern des römischen Verkehrsrechts am Beispiel der bezifferten Gefahrübernahme für überlassene Sachen. In: Dufour, Rens, Meyer-Pritzl, Weniger (Hg.): Mélanges Schmidlin. Basel 1998, S. 31, 32. 19 Die systematische Differenz zwischen Vertrag und Forderung bleibt meist unbeachtet. Zutreffend bezüglich Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton-Woods vgl. Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 64 (Nicht der Vertrag, sondern die Forderung ist unklagbar). Die Titelüberschrift ist auch deshalb ungenau, weil es mit der Lohnforderung des Ehemaklers weitere unvollkommene Verbindlichkeiten im Besonderen Schuldrecht des BGB gibt (§ 656 BGB). 20 § 763 BGB gilt über seinen Wortlaut hinaus für jede Form staatlich genehmigten Spiels, Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 763 Rn. 3. 21 Die gegenwärtige Planung richtet sich auf die Ausarbeitung eines Gemeinsamen Referenzrahmens bestehend aus gemeinsamen Vertragsrechtsgrundsätzen und Definitionen aufbauend auf den Europäischen Vertragsrechtsprinzipien (Principles of European Contract Law: PECL) der Lando-Kommission sowie der Abfassung von Mustervorschriften. Nutzbar soll der Referenzrahmen sein als sog. optionales Instrument neben den nationalen Sachrechten der Mitgliedstaaten, vgl. die dritte Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 11.10.2004 zum europäischen Vertragsrecht, KOM (2004) 651 endg.; kritisch zur Zielvorstellung einer nur optionalen Geltung einheitsrechtlicher Regeln, Lando, Der Aktionsplan der EG-Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, RIW 2005, 1, 5 f.; Als Entwurfsprojekte für ein einheitliches Zivilgesetzbuch gilt neben den PECL der Entwurf eines europäischen Vertragsgesetzbuches, vgl. Gandolfi (Hg.), Code Européen des Contrats – Avant-projet, Mailand 2001; abgedruckt in: R. Schulze/R. Zimmermann (Hg.), Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 2. Aufl. 2002.

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tungen hatte die späte römische Sklavenhaltergesellschaft aufgegriffen und ausgeweitet. Naturalis ratio war zugleich aber auch eine generalklauselartige Gerechtigkeitsformel des ius gentium. Die Aberkennung gerichtlichen Erfüllungszwangs verselbständigt sich zu einem Rechtsinstrument aus allgemeinen Vernunft- und damit Billigkeitsgründen. Ratio naturalis erschien zugleich als Grundlage aller subjektiven Rechte und sein dogmatisches Prinzip drohte damit die Begrifflichkeit der obligatio naturalis aufzulösen. Bis heute ist der Zusammenhang von obligatio naturalis und ius naturale nicht sicher geklärt 22. Auch die Pandektistik hatte mit der von Savigny erneuerten obligatio naturalis ihre Mühe, was Alois Brinz dahin zusammenfasst: „Grund genug, dass dieses Zwischending zwischen Nichts und Etwas gleich anderen Übergangsbildungen der nach Einheit strebenden Theorie besondere Schwierigkeiten entgegenstellt.“23 Windscheids Trennung von subjektivem Recht und actio24 beruht gedanklich auf der Möglichkeit eines Rechts ohne Klage25. Dennoch erschwerte die Trennung von materiellem und prozessualem Recht die Anerkennung der naturalis obligatio26. Die Klagbarkeit wurde im Laufe der Zeit überwiegend als materiell-rechtliche Eigenschaft des subjektiven Rechts erkannt, was die Frage aufwarf, ob es „unklagbare Rechte“ wie die Naturalobligation dann überhaupt geben konnte. Die Naturalobligation war von einem prozessbezogenen Sonderfall zu einem materiellrechtlichen Sonderfall geworden. Noch heute gilt die Klagbarkeit als Brücke zwischen materieller Rechtsposition und deren praktischer Realisierung. Als Klagebefugnis wird 22 Wie überhaupt die Stellung des ius naturale als eigenständige Rechtsschicht nicht gesichert ist, vgl. Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224. 23 Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. Kritische Blätter civilistischen Inhalts in zwanglosen Heften, 1853, Nr. 3, S. 1, der freilich die obligatio naturalis „ohne Zweifel immer noch [für] eine obligatio“ hielt (ebd. S. 8). 24 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856, S. 39 (an die Stelle der actio tritt der Anspruch als „das Recht, von jemandem etwas zu verlangen“). 25 Die epochale Leistung Windscheids wird darin gesehen, dass die Befugnisse aus der Forderung und aus der Klage getrennt gedacht werden können, so dass sie zwar wie im Normalfall zusammen vorkommen können, aber nicht begriffsnotwendig zusammen vorkommen müssen, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 141; ders., ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘. In: Martinek, Schmidt, Wadle (Hg.): Vestigia iuris. FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 404. Allerdings deutet die römisch-rechtliche obligatio naturalis darauf hin, dass bereits das klassische römische Recht eine dahingehende Trennung gedanklich vollzog. Windscheid hat der obligatio naturalis kaum Beachtung geschenkt, was vermutlich mit seiner Vorstellung von einer nur „uneigentlichen Verbindlichkeit des natürlichen Rechtsgefühls“ zusammenhing, Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 267; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, S. 574. 26 Die Zwangsbefugnis konnte nun auch als notwendiger Bestandteil der materiellrechtlich verstandenen Forderung gedeutet werden. Damit war die Anerkennung der Naturalobligation als materiellrechtliche Rechtsfigur und als subjektive Rechtsposition gefährdet.

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sie bei der Forderung (§ 241 Abs. 1 BGB) oder beim materiellen Anspruchsbegriff (§ 194 Abs. 1 BGB) verankert. Die Privatrechtstheorie, die Rechte und Pflichten analytisch betrachtet und das Zwangselement rechtlich integriert, hat sich mit dem Fall der Naturalobligation nie eigens befasst. Die auf der Dichotomie von Recht und Klage aufbauende Lehre von den unklagbaren Ansprüchen 27 trennt Ansprüche mit und ohne Klagebefugnis und erkennt letztere als materiellrechtliche Rechtspositionen an 28. Diese Lehre hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Gläubiger einer Naturalobligation nicht nur die Klagebefugnis, sondern sämtliche, also auch die außergerichtlichen Zwangsbefugnisse (Selbsthilfe, Aufrechnung, Zurückbehaltung), fehlen. Sie hat darum die Naturalobligation in den Forderungsbegriff verlegt und betrachtet das naturale Recht-Pflicht-Verhältnis dort als einen „materiell-rechtlichen Torso“29. Damit verbunden ist die Auffassung, wonach die Naturalobligation eine bloße Leistungspflicht ohne korrespondierendes Leistungsrecht sei, was ihr den Charakter einer subjektiven Rechtsposition nimmt. Auch in der Lehre von Schuld und Haftung30 bildet die Naturalobligation einen anzuerkennenden Sonderfall, d.i. eine Schuld ohne Haftung31. An die Stelle einer angeblich defizitären Obligationsstruktur tritt hier das analytisch trennbare 27 Reichel, Unklagbare Ansprüche, JherJhrb 59/60 (1911) S. 408 ff. u. 38 ff.; Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161 ff., der die Bezeichnung unklagbare Verbindlichkeit als den präziseren Ausdruck bevorzugt. 28 Es gab zeitweilig drei Anwendungsfälle unklagbarer Ansprüche: §§ 1001 S. 1, 2022, 972 BGB, § 1394 S. 1 BGB a.F., § 375 HGB. Weitergehend aber Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95 („… für den Ausschluss der Klagbarkeit ist der Terminus unvollkommene Verbindlichkeit wohl begründet.“); Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III S. 77 ff. 29 Stech, (oben Fn. 27), S. 170; daran anschließend unter dem Gesichtspunkt der fehlenden materiellrechtlichen Einforderungsbefugnis, vgl. Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 134 u. für Spiel und Wette Rn. 168 f. und G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 420, der weitergehend das selbständige Klagerecht wieder allein dem Prozessrecht zuordnet. 30 In seiner ursprünglichen Form wurde das Privatrecht danach nicht nach Rechten und Pflichten, sondern nach Haftungsverhältnissen strukturiert. Als Begründer dieser Lehre gilt Gustav Hartmann, Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau, 1875, vgl. Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21, 35. 31 Als Schulden mit „unvollkommener Haftung“ oder gar „ohne Haftung“ statt der für unklar eingestuften Begriffe Naturalobligation oder unvollkommene Verbindlichkeit empfohlen von Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 V 2, S. 85; ebenso MünchKomm/ Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 49; Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, Einl § 241 Rn. 23. Allerdings versteht Gernhuber Haftung nicht als die Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers auf das Vermögen des Schuldners, sondern er setzt Haftung und Rechtszwang gleich (ebd., § 4 I 2, S. 65). Damit entspricht die Auffassung Gernhubers dem hier eingenommenen Standpunkt über die Naturalobligation als einer nicht erzwingbaren Schuld im Ausgangspunkt. Nur empfiehlt er den Begriff Schuld ohne Haftung.

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Haftungsverhältnis, das der Naturalobligation fehle. Einen Sonderweg ging Larenz. Bei der Naturalobligation stünden „Schuld“ und „Bindung“ außerhalb der Rechtsordnung32. Verunsicherung im Gebrauch der Rechtsfigur entstand ferner durch die unbestimmte Attribution „natural“, die sowohl präskriptiv naturrechtlich (natürliche Verpflichtung) als auch deskriptiv naturalistisch (Natur der Verpflichtung) verstanden werden kann. Mehrdeutig sind überdies die deutschen Übersetzungen der lateinischen „obligatio naturalis“ mit „natürlicher Schuld“ und dem eher rechtstechnisch geprägten Ausdruck „Naturalobligation“. Auch der im BGB nicht mehr fortgeführte Obligationenbegriff erschwert den Umgang mit der Denkfigur. Gleiches gilt für den parallel verwendeten Begriff der „unvollkommenen Verbindlichkeit“. Die Anknüpfung an das Vollkommenheitsideal des religiös geprägten Naturrechts erleichtert das Verständnis nicht und auch die Verknüpfung der historischen Quellen des spätklassischen römischen Rechts mit dem kanonischen Recht in den aufgeklärten Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts ist unübersichtlich. Sie führt zur Ausgrenzung des vollkommenen Rechts gegenüber der unvollkommenen Moral. Die damals gesuchte systematische Erfassung aller Rechte und Pflichten, insbesondere auch sittlicher und moralischer Positionen aus der lex naturalis wäre heute eine allgemein philosophische Frage der Ethik 33, die so nicht mehr gestellt wird34. Die Rede von der Vollkommenheit im Recht gab schon Hegel Anlass zu Kritik 35 und kann heute nicht mehr als allgemein verständlich gelten 36. 32 Larenz, Schuldrecht AT, Band I, 14. Aufl. 1987, § 2 III, S. 21 empfiehlt daher den Begriff der Konventionalschuld, wohingegen der Begriff Naturalobligation vermieden werden sollte. 33 Verschiedentlich werden noch dogmatische Parallelen zwischen ethisch-moralischen Normen und Rechtsnormen gezogen, P. Stemmer, Moralischer Kontraktualismus, ZPhilF 56 (2002) 1; E. Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, S. 43; aus Sicht einer „Wollensethik“ Hossenfelder, Der Wille zum Recht und das Streben nach Glück, 2000, S. 49. 34 Nörr hält die Einheit der Normenordnung heute nur noch für eine regulative Idee. Im römischen Recht sei dies noch anders gewesen. Er analysiert den Fall einer Freundschaftspflicht, bei dem sittliche Pflichten zu rechtlichen Sanktionen führten, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: Schermaier; Vegh (Hg.): Ars boni et aequi. FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267. 35 Der Begriff Vollkommenheit ist in der Ethik auf die moralische Vollkommenheit des Menschen gerichtet und bezeichnet die Tugend, vgl. etwa Kant, Eine Vorlesung über Ethik, G. Gerhard (Hg.), Nachdruck 1990, S. 263. Die objektive Vollkommenheit besteht in der Handlung, die subjektive in der Übereinstimmung der Handlung mit der Willkür des anderen (ebd., S. 34). Die Annahme vollkommener Pflichten der Rechtslehre und unvollkommener Pflichten der Morallehre hat damit schon bei Hegel Kritik hervorgerufen. Man könne ebenso das Umgekehrte sagen, da die „Rechtspflicht als solche nur eine äußerliche Notwendigkeit fordert“. Hegel, Philosophische Propädeutik I, Rechtslehre, Nachdruck 3. Aufl. 1959, § 32. 36 Einen neuen Vollkommenheitsbegriff aus der Idee des Rechts entwickelt Alexy in Anlehnung an Kant, Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der Kantischen Rechtsdefinition. In: Alexy, (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 106, siehe B. I. 3. d), S. 134ff.

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II. Offene Fragen und Kontroversen Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein ausgreifender Streit über den Fortbestand der Naturalobligation im BGB entbrannt, der keine allseits akzeptierte Klärung brachte und weithin nur ein unklares Bild hinterlies1. Am Ende überwog die Anerkennung. Heinrich Lehmann beschreibt 1927 die Naturalobligationen als eine „unvollkommen wirksame Verbindlichkeit“, die ein „Mittelding“ gegenüber einem voll wirksamen und keinem Forderungsrecht darstelle2. Im Schrifttum besteht auch heute keine Einigkeit darüber, ob die Rechtsfigur als Bestandteil der Privatrechtsdogmatik anzuerkennen ist. Die Gerichtspraxis greift immer wieder auf die Naturalobligation, die mit der „unvollkommenen Verbindlichkeit“ gleichgestellt wird, zurück 3. Sie zeigt dabei eine Kontinuität bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein4. Eine klare und einheitliche Linie fehlt aber auch hier.

1. Freiwillige Erfüllung einer obligatorischen Forderung Obligatorische Forderungen ohne Zwang werden rechtstheoretisch und rechtsdogmatisch kritisch beurteilt 5. Eine Forderung ohne Zugabe rechtlicher Durchsetzungsbefugnisse erscheint paradox. Der Schuldner steht unter einer 1 Die herrschende Meinung sah die Naturalobligation als im neuen Recht übernommen an. Fritz Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 212 und Fn. 1. Das vorläufige Ende der Diskussion liegt um die Mitte der dreißiger Jahre. Mit jeweiligen Überblicken zum damaligen Meinungsstand Schendel, Die natürlichen Verbindlichkeiten im BGB, 1927; Esswein, Unvollkommene Verbindlichkeiten, 1932, S. 8 ff.; Hoyer, Der gegenwärtige Stand der Lehre von den natürlichen Verbindlichkeiten, 1932, 12 ff.; Kaestner, Die rechtliche Natur der unvollkommenen Verbindlichkeiten, 1933, S. 6 ff. 2 Der Begriff sei aber durch den der unvollkommenen Verbindlichkeit zu ersetzen. H. Lehmann in: Stier-Somlo, Elster (Hg.): Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. 4. Band., 1927, S. 194. 3 Zuletzt BGH v. 12.4.2006 – III ZR 153/05 BeckRS 05541 (Umdruck S. 3); ferner bspw. BGH v. 9.4.1992 BGHZ 118, 70 = NJW 1992, 1834 – Natürliche Verbindlichkeit nach Zwangsvergleich; RG v. 17.12.1929 JW 1930, 1062 Nr. 7; OLG Celle v. 5.4.1968 OLGZ 1969, 1 – Naturalobligation bei vereinbartem Ausschluss der Klagbarkeit. 4 RG v. 11.12.1897 RGZ 40, 195; RG v. 7.2.1908 RGZ 67, 390; RG v. 7.4.1908 RGZ 68, 229; RG v. 8.11.1910 RGZ 74, 332; RG v. 6.12.1911 RGZ 78, 71; RG v. 21.1.1912 RGZ 78, 258; RG v. 23.2.1920 RGZ 98, 178. 5 Die dogmatische Frage, ob obligatorische Leistungspflichten ohne Zwang anerkannt

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kategorischen Leistungsanforderung, während dem Gläubiger die Zwangsbefugnisse versagt und obendrein die Eigenmacht verboten wird6. Der fehlenden Erzwingungsmacht des Gläubigers korrespondiert die notwendig freiwillige Erfüllungsleistung des Schuldners. Bleibt die Leistung damit eine gebundene Erfüllungshandlung oder ist sie eigenständig rechtsgeschäftlich zu deuten? Das freiwillige Leisten könnte als Schenkung, Anerkenntnis oder Verzicht verstanden werden. Einer Schenkung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht im Sinne des § 534 BGB liegt jedenfalls auch eine Schenkungscausa zu Grunde. Dem französischen Recht entspricht die Vorstellung, dass der Schuldner durch seine Leistung eine auf ihm lastende Pflicht persönlich anerkennt. Das einseitige Anerkenntnis „noviert“ die sittlich-moralische Pflicht und begründet eine klagbare Forderung des Gläubigers7. Die freiwillige Leistung lässt sich ebenso als Verzicht auf eine Rückforderung (§§ 397, 812 BGB) interpretieren. Die dogmatische Erfassung bereitet aber auch dann Schwierigkeiten, wenn die freiwillige Leistung nicht ein eigenständiges Schuldgeschäft konstituiert, sondern Erfüllung einer bestehenden Schuld bleibt. Darf der Schuldner etwa nochmals und gegebenenfalls konträr über die Erfüllung entscheiden? Besitzt er ein Reurecht8 oder ist er nur unter einer Wollensbedingung9 verwerden können verneint explizit Wieser, Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit. JR 1967, 321, 323. Das bloße Anrecht sei noch nicht als Forderung anzusehen. Hinzukommen müsse die als Zuständigkeit bezeichnete Zwangsbefugnis. Für J. Schmidt ist die Forderung dagegen mit der ‚Einziehungsbefugnis‘ bereits vollständig umschrieben. J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘. In: Martinek, Schmidt, Wadle (Hg.), FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 416 f.; ebenso und weiter differenzierend Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht. Zur funktionellen Bedeutung des § 241 S. 1 BGB, JR 1996, 492, 493, der die obligatio nur für eine rechtliche Struktur hält, zu der die actio als das Element des Zwanges hinzutreten kann. Avenarius schreibt die Aufgabe der actio nun § 241 Abs. 1 BGB zu. 6 Die Aufhebung der rechtlichen Zwangsbefugnisse umfasst auch die privaten Selbsthilferechte. Das Gewaltmonopol des Staates bleibt also bestehen und verbietet die Eigenmacht. Das erhält die ordnende Funktion nicht zwangsbewehrter Rechte; zu den seltenen Fällen belassener Eigenmacht im Kindschaftsrecht in den Grenzen des § 1631 BGB Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 3 IV 3, Rn. 38. Zu den Grenzen der gewaltfreien Erziehung AnwK-BGB/Rakete-Dombek, 2005, § 1631 Rn. 11 ff. 7 Die freiwillige Anerkennung der Rechtspflicht durch den wissenden Schuldner ist der Kern der subjektiven Theorie der aus der französischen Lehre stammenden ‚obligation naturelle‘, vgl. näher B. II. 1. b), S. 190. Das formlose Ausstattungsversprechen bezogen auf § 1624 BGB wird ebenfalls für klagbar gehalten, so dass Anerkenntnis oder Novation der sittlichen Pflicht auch im deutschen Recht verankert sind. 8 Ein Reurecht des Schuldners im Rahmen von Spiel und Wette, §§ 762 f. BGB, anerkennt Servatius, Ball im Netz ist Geld auf der Bank. Die zivilrechtliche Behandlung einer an sportliche Erfolge geknüpften Verzinsung von Sparguthaben, WM 2004, 1804, 1808. 9 Bei der Wollensbedingung hängt die Wirkung des Rechtsgeschäfts (bindende Forderung) von einer späteren Erklärung eines der Vertragspartner ab. Zur Unterscheidung von Potestativ- und Wollensbedingung und der prinzipiellen Zulässigkeit beider vgl. Staudinger/ Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 158–163 Rn. 14 ff.; AnwK-BGB/Wackerbarth, 2005, § 158 Rn. 6 – 8. Die Erklärung mit einer bloßen Wollensbedingung wird unter Hinweis auf den Kauf auf Probe (§ 454 BGB) weithin anerkannt (ebd. Rn. 7).

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pflichtet? Ist der obligatorische Pflichtbegriff einer naturalen Schuld etwa aufgebrochen und die unabweisbare Bindung zugunsten anderer (schwächerer) Pflichtstrukturen verändert? Zu denken ist an konsequentialistische Bindungen wie die Antragsbindung, an Obliegenheiten, Kooperations- und Mitwirkungspflichten sowie an die vertrauensrechtliche Absichtsbindung. Ebenso kommt die aus der Scholastik bekannte supererogatorische, d.h. die bloß angeratene Handlung in Betracht10. In Abgrenzung zur Zivilobligation kann freiwillige Leistung auch nur die Befreiung von Rechtszwang im Erfüllungszeitpunkt meinen. Der Schuldner entscheidet über die Vornahme der Erfüllungshandlung, ohne von der rechtlichen Zwangsmacht des Gläubigers bestimmt worden zu sein. Eine von Gläubigerzwang unbeeinflusste Handlungsentscheidung lässt sich jedoch nur feststellen, wenn der Schuldner die fehlende Zwangsmacht des Gläubigers positiv kannte (debitor sciens)11. Geht der Schuldner dagegen irrig von der Zwangsmacht des Gläubigers aus, so stellt sich die Frage, ob er die Leistung aus diesem Grunde zurückfordern darf. Der Rechtsirrtum über die Zwangsbefugnis des Gläubigers12 rechtfertigt die Rückforderung nicht. Die Leistung bleibt auch unter dieser Fehlvorstellung freiwillig, weil und soweit der Schuldner sich selbst zur Erfüllung entscheidet. Das subjektive Bedrohungsmotiv hebt mit anderen Worten die Freiwilligkeit seiner Leistungshandlung nicht auf. Die Regelungen in §§ 214 Abs. 2 S. 1, 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 814 Hs. 2 BGB deuten auf dieses Verständnis hin13. Die Auseinandersetzung mit dem Freiwilligkeitserfordernis führt letztlich zu der intrikaten Frage, ob die freiwillige Pflichterfüllung eine Form zivilistischen Gesinnungsrechts darstellt, weil und soweit sie die Handlungsmotive des Schuldners in der Vollzugssituation reguliert. Die Erfüllung könnte dann zwar moralisch für besonders wertvoll, rechtspositivistisch aber für eine unwissenschaftliche Grenzüberschreitung in ein anderes Normensystem zu halten und deshalb zurückzuweisen sein. In der Schuldrechtsdogmatik haben diese Fragen zu einer Ausweichstrategie geführt. Bei den Naturalobligationen werde nicht nur der Erfüllungszwang, sondern bereits die 10 Hruschka/Joerden, Supererogation: Vom deontologischen Sechseck zum deontologischen Zehneck, ARSP 1987, S. 93 u. Fn. 2; siehe näher unten C. III. 2. b) cc), S. 389. 11 Denn dann steht fest, dass ein Bedrohungsmotiv fehlte. Die Handlungsentscheidung des Schuldners wurde nicht durch Zwang bestimmt und ist darum freiwillig. § 814 Hs. 1 BGB verlangt solche positive Kenntnis, die sich hier aber auf die Kenntnis einer Nichtschuld und deren Erfüllung richtet. Das Fehlen des Bedrohungsmotivs folgt dann bereits aus dem Fehlen einer Schuld. Dagegen erfasst § 814 Hs. 2 BGB den irrtümlich angenommenen Rechtszwang bei Erfüllung einer Schuld, die nicht erzwingbar war. 12 Die geläufige Bezeichnung hierfür ist Klagbarkeitsirrtum, womit aber die übrigen Zwangsmittel (Selbsthilfe, Aufrechnung, Zurückbehaltung) begrifflich nicht mit erfasst werden. 13 Eine von der Rechtsordnung objektiv anerkannte Pflicht bildet den Kern der objektiven Theorie der französischen ‚obligation naturelle‘, vgl. näher B. II. 1. a) S. 206.

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Verpflichtung missbilligt14. Danach soll in den besagten Fällen eine Leistungspflicht gänzlich fehlen. Die Naturalobligation fiele danach in den Kreis von Sonderformen der Forderung, wie der betagten, der verhaltenen, der gehemmten oder der bedingten Forderung. Bei diesen ist die Leistungspflicht (im engeren Sinne das Einforderungsrecht des Gläubigers) aus bestimmten Gründen vorübergehend oder dauerhaft aufgehoben, ohne dass deshalb die Forderung untergeht. An die Stelle der Rechtsfigur Naturalobligation ist in Teilen des Schrifttums die Annahme eines „bloßen Erwerbsgrundes“15 oder gleichbedeutend eines „reinen Rechtsgrundes“16 getreten (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB). Zum Teil wird lediglich ein Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung bejaht17 oder gar nur eine Rechtsschutzversagung im Kontext des § 814 BGB anerkannt18. Der Fragenkreis ist hier in das Bereicherungsrecht verlegt. Zustandekommen, Wirksamkeit und etwaige Leistungsstörungen der fraglichen Geschäfte werden bei der Rückforderung oder dem Rückforderungsausschluss geklärt. Nach einer Lesart reflektieren die bereicherungsrechtlichen Wertungen der § 814 Hs. 1 und 2 BGB besonders geartete Rechtsgründe19. Die freiwillige Leistung auf eine Nichtschuld und die Leistung auf eine sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht erscheinen dann als Rechtsgründe 2. Klasse, die entweder erst durch die Leis-

14 Etwa Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 V 2, S. 85; MünchKomm/Thode, BGB, 4. Aufl. 2001, § 284 Rn. 18. 15 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 7 (rechtlich anerkannter Erwerbsgrund, causa acquirendi) und Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 812 Rn. 44 unter Hinweis auf RG JW 1917, 104. Ähnlich MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 49 (als Verpflichtungsgeschäft unwirksam, aber als bloßes Rechtsgrundgeschäft voll wirksam). Die Pflichten aus gesellschaftlicher Konvention werden ausdrücklich als objektiver Rechtsgrund im Sinne von § 812 BGB angesehen. Bezogen auf sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht ebenso Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 I 2, S. 90; Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 67 u. Fn. 84. 16 Die Einordnung der Naturalobligation in eine Gruppe sog. reiner Rechtsgründe, deren Eigenart darin besteht, dass die Leistungsbewegung auf einer bloßen (d.i. nicht verpflichtenden) Zweckvereinbarung beruht, Krawiliecki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 161 f.; Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 51 f. 17 Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 814 Rn. 8; AnwK-von Sachsen Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 10; MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 814 Rn. 1 u. 17 (jeweils bezogen auf sittliche Pflicht u. Anstandsrücksicht); Hk-BGB/R. Schulze, 5. Aufl. 2006, § 814 Rn. 1 (sittliche Verpflichtung); im Ausgangspunkt so auch Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15. 18 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 438; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. 19 Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 812 Rn. 71 (keine Rückforderung bei unvollkommener Verbindlichkeit oder wenn sie gesetzlich ausgeschlossen ist, z.B. gem. § 814 BGB); MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 814 Rn. 1 („ein die Kondiktion ausschließender Rechtsgrund“).

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tungshandlung entstehen 20 oder die eine als sittlich qualifizierte Nichtschuld betreffen und diese der rechtlichen Schuld gleichstellen 21. Die distanzwahrende Gleichstellung des bloßen Behaltensgrunds überwindet die Unterschiede von Sitte und Recht. Diese dogmatische Sicht schließt an eine klassische Tradition an, die in der Naturalobligation eine Pseudoobligation gesehen hat22. Aus anderer Sicht lassen sich die beiden Rückforderungsausschlüsse als Abstinenzwertung des Rechts ähnlich § 817 S. 2 BGB verstehen. Das ermöglicht es, die dogmatisch schwierige Frage nach dem Rechtsgrund auszublenden und die Rückforderung nach Wertungsgesichtspunkten zu beurteilen 23. Allerdings kehrt die Frage nach Struktur und Bedeutung des Rechtsgrundes wieder zurück. Mit der weithin akzeptierten Annahme, Grundlage des Rückforderungsausschlusses sei das in der Rückforderung liegende widersprüchliche Verhalten des Kondiktionsgläubigers24, entsteht die Frage nach dem Grund des Widerspruchs. Das factum proprium muss ganz offenbar selbst eine normative Wirkung entfalten, damit die Rückforderung als hierzu im Widerspruch stehend bewertet werden kann. Eine auf Systematik angelegte Dogmatik ist gehalten, diese normative

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So der rechtsgeschäftliche Erklärungsansatz, wonach in der Leistung eine Schenkung, ein Rückforderungsverzicht oder ein Schuldanerkenntnis zu sehen ist, vgl. Kaehler, Bereicherungsrecht und Vindikation, 1972, S. 187 f.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 184; König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985, S. 43 f. Wird dem Rückforderungsausschluss unter weiterer Abstraktion das Verbot widersprüchlichen Handelns (§ 242 BGB) zu Grunde gelegt, so erzeugt ebenfalls erst die Leistungshandlung den Rechtsgrund. Das Verbot der Rückforderung geht von der Leistungshandlung aus, ohne diese Wertung explizit zu machen. 21 Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15: „Der Mangel des rechtlichen Grundes wird hier indessen ausnahmsweise durch eine objektiv als bestehend erachtete sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht aufgewogen. Sie schafft für den Empfänger gewissermaßen den Rechtsgrund des Behaltendürfens, dh einen Erwerbsgrund“. Unklar Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 814, der im Falle einer natürlichen Verbindlichkeit einerseits § 814 Hs. 1 BGB für anwendbar hält (Rn. 1: Nichtschuld) andererseits aber einen Rechtsgrund bejaht und § 814 Hs. 2 BGB deshalb grundsätzlich nicht, sondern nur für den Fall einer Nichtschuld eingreifen lassen will (Rn. 11). 22 Obligation im status irrealis. Die Naturalobligation ist danach so zu behandeln „als ob“ es sich bei ihr um eine Zivilobligation handelt (zu dieser „als ob“- Betrachtung siehe unten C. IV. 2. c) bb), S. 453). Der Gedanke der Pseudoobligation klingt bereits bei der obligatio naturalis des klassischen römischen Rechts an. Die obligatio werde per abusionem verwendet, vgl. Cornioley, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain. Genf 1964, S. 31. Als uneigentliche Verbindlichkeit bezeichnet sie Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 267. Jhering, Der Zweck im Recht, Band I, 3. Aufl. 1893, S. 479 spricht von unechter Verbindlichkeit. 23 Es soll sich hier um ungerechtfertigte oder gar missbilligte Vermögenserwerbe handeln, vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 438; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 3; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. 24 Bspw. MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 1; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, § 6 I 1, S. 165.

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Wirkung zu erklären und für sie eine Antwort aus dem Recht der Güterbewegung zu geben, anstatt in das Bereicherungsrecht zu flüchten.

2. Missbilligung der Pflichtbindung oder des Erfüllungszwanges? Soweit die Rechtsfigur Naturalobligation grundsätzlich anerkannt wird, sind ihre Merkmale, und ihr Vorkommen wenig geklärt. Die rechtstheoretische und rechtsdogmatische Kardinalfrage, ob der Gesetzgeber die Leistungspflicht oder nur den Erfüllungszwang missbilligt, wird nicht gestellt und der Sinn dieser Unterscheidung praktisch nicht wahrgenommen. Eine dogmatisch einheitliche Erfassung der Naturalobligation findet ohnehin kaum noch statt 25. Jeweils im Kontext der potentiellen Fälle, insbesondere bei Ehevermittlung, Spiel und Wette, werden die fehlenden rechtlichen Durchsetzungsbefugnisse genannt, die verbunden mit dem Rückforderungsausschluss nach freiwilliger Leistung eine konstruktive Einheit bilden. Je nach der gesetzlichen Ausgestaltung, etwa dem Verbot der Schuldersetzung durch Schuldversprechen bei Ehevermittlung, Spiel und Wette (§§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB), werden Rückschlüsse auf eine angeblich defizitäre Struktur des Rechts gezogen. Gleichzeitig hat die Rechtsprechung aber Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung des Ehevermittlungsvertrages und damit eine Forderungsstruktur bejaht 26. Das gegenseitige Versprechen der Eheschließung (Verlobung), mit dem die Partner in das Gemeinschaftsverhältnis Verlöbnis eintreten (§§ 1297 ff. BGB), wollte der historische Gesetzgeber rechtskonstruktiv wie Ehevermittlung, Spiel und Wette ausgestalten. Das lässt eine Deutung zu, wonach Naturalobligationen kraft Vertrages begründet werden 27. Die Vertragstheorie konkurriert beim Verlöbnis mit der Vorstellung eines gesetzlichen Rechtsverhältnisses28, das als Institut der Vertrauenshaftung 25 Eine Ausnahme bildet M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS Medicus, 1999, S. 123–144; zur dogmatischen Auseinandersetzung auch K. Schreiber, Unvollkommene Verbindlichkeiten, JURA 1998, 270–273. 26 BGH v. 8.7.1957 BGHZ 25, 124, 126; BGH v. 25.5.1983 BGHZ 87, 309, 314 f.; OLG Koblenz v. 3.1.2006 NJW-RR 2006, 419 f. (Unmöglichkeit bei Vermittlung ungeeigneter Partner); OLG Koblenz v. 18.12.2006 NJW-RR 2007, 769 f. (Schlechterfüllung eines Partnerschaftsvermittlungsdienstvertrags bei völlig wertlosen Leistungen, die ohne Berührung der Persönlichkeitssphäre Dritter aufklärbar sind). 27 Zur herrschenden Vertragstheorie vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 8 I 3, Rn. 3, 5 ff., die gegen die vertrauensrechtliche Konstruktion einwenden, es bestehe kein Anlass, das System des Bürgerlichen Rechts mit einer Irregularität zu belasten. 28 Die neben der Vertrauenshaftungstheorie (nachfolgende Fn.) vertretene Tatsächlichkeitstheorie ist kaum noch anzutreffen, vgl. ansatzweise Bamberger/Roth/Lohmann, BGB, 2003, § 1257 Rn. 7 (geschäftsähnliche Handlung mit analoger Anwendung der § 104 ff. BGB).

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vereinnahmt wird 29. Das führt zu einem recht eigenartigen Vertrauensvertrag kraft Gesetzes. In einem weiter gefassten Begriffsfeld der Naturalobligation treten sittliche Pflichten hervor. Nach Auffassung des historischen Gesetzgebers beruht die maßhaltende Ausstattung des Kindes gemäß § 1624 BGB auf sittlicher Pflicht30 und ist dogmatisch als unvollkommene Verbindlichkeit ausgestaltet31. Die Anknüpfung an eine bereits erbrachte Leistung stellt sicher, dass nur ex post über Bestehen und Umfang des sittlichen Rechts zu befinden ist und keine verhaltenssteuernde Wirkung vom Gesetz ausgeht 32. Dank dieser auch §§ 534, 814 Hs. 2 BGB eigenen Regelungsstruktur werden sittliche Pflichten rechtlich erst relevant, sobald ihnen entsprochen wurde33. Das Ausstattungsversprechen nach § 1624 Abs. 1 BGB ist nicht formbedürftig34 und begründet einen durchsetzbaren, insbesondere also klagbaren Leistungsanspruch des Kindes. Fraglich ist, ob 29 Canaris, Das Verlöbnis als ‚gesetzliches‘ Rechtsverhältnis. Ein Beitrag zur Lehre von der Vertrauenshaftung, AcP 165 (1965) 1; ders., Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: ders., (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, 2000, 129, 181. 30 Vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 309 f. und passim. Der eingetretene Anschauungswandel beseitigt die gesetzliche Regelung nicht (cessante ratione cessat lex ipsa gilt nicht). Die dogmatische Grundlage wird verschiedentlich deshalb heute in einer familienrechtlichen „arteigenen causa“ gesehen, vgl. Staudinger/Coester, BGB, 13. Bearb. 2000, § 1624 Rn. 4; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 56 I 6, Rn. 7. 31 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 317. Das Gesetz ist aber so gefasst, dass die Zuwendung bereits vollzogen sein muss („Was einem Kind … zugewendet wird, …“). Die sittliche Pflicht zur Ausstattung wird daher nur ex post als Leistungspflicht verstanden und anerkannt. 32 Die Annahme einer Leistungsverpflichtung bleibt möglich, weil die Betrachtung der Pflicht von der Prospektive in die Retrospektive lediglich ihre Funktion ändert und sich von einer Steuerungs- bzw. Gestaltungsregel zu einer Maßstab- oder Beurteilungsregel wandelt. Typischerweise sind Delikts- und Rechtfertigungsregeln retrospektivisch gestaltet. Entschieden wird, ob pflichtwidrig oder pflichtgemäß gehandelt wurde. Die Feststellung der Pflicht ist in beiden Perspektiven dieselbe, so dass auch bei einer sittlichen Pflicht von einer Leistungspflicht im Rechtssinne gesprochen werden kann. Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie 22 (1991) 449, 451 f., der prospekivische und retrospektivische als zwei Seiten ein und derselben Medaille bezeichnet. Vergleichbar bezogen auf strafrechtliche Normen Renzikowski, Die Unterscheidung von primären Verhaltens- und sekundären Sanktionsnormen in der analytischen Rechtstheorie. In: Dölling, Erb (Hg.): FS für Karl Heinz Gössel, 2002, S. 1, 12 (prospektivische Verhaltenssteuerung und retrospektivische Sanktion). 33 Nach Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 96 stehen Sitte und Anstand als rechtliche Erwerbsgründe (causa) außerhalb des Rechts. Sie können aber um ein kausales Erfüllungsversprechen ergänzt und damit durchsetzbar gemacht werden. Für eine Inkorporation noch Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 231 ff. (wirkendes rechtliches Etwas) und im Sinne einer supererogatorischen Pflicht bereits Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, § 24, 5 (schwaches Gebot). 34 Sofern nicht der Ausstattungsgegenstand eine Formpflicht begründet, wie etwa im Falle einer Grundstücksübertragung, § 311 b Abs. 1 S. 1 BGB oder einem Leibrentenver-

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dies generell für sittliche Pflichten zu gelten hat, so dass etwa auch das formlos gegebene Unterhaltsversprechen des reichen Bruders gegenüber der verarmten Schwester dieser einen klagbaren Anspruch verschafft. Die gesetzgeberische Entscheidung in § 534 BGB spricht dagegen. Danach stellt die Erfüllung einer sittlichen Pflicht (zugleich) eine Schenkung dar. Das Erfüllungsversprechen ist also formbedürftig. Die Schenkungscausa tritt offenbar neben oder an die Stelle der sittlichen Pflicht 35. An mehreren Stellen im BGB erfahren „sittliche Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“ eine besondere Regelung (§§ 534, 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1425 Abs. 2, 1641 S. 2, 1804 S. 2, 2113 Abs. 2 S. 2, 2205 S. 3, 2330 BGB) und nehmen in § 814 Hs. 2 BGB auch bereicherungsrechtlich eine Sonderstellung ein. Die Naturalobligation auf der Grundlage des § 814 BGB führt zur Frage außerrechtlicher Verpflichtungsgründe und deren Integration in den Bereich des Rechts. Ist § 814 Hs. 2 BGB das Tor in den rechtsfreien Raum?36 Naturalobligationen könnten aus der Entgeltvereinbarung nach § 1 ProstG entstehen 37 und auch für Leihmutterverträge38, Verträge über heterologe Insemination 39, für den Ämterkauf (Verleihung einer Honorarprofessur gegen Geldspende für Bibliothek), das Hellsehen und Geistheilen oder für die Vereinbarung über die Benutzung empfängnisverhütender Mittel40 kommt die Naturalobligation in Betracht. In diesen Fällen ist über Gültigkeit oder Nichtigkeit des Vertrages zu entscheiden. Kann ein Vertrag auch ohne jegliche obligatorische Rechtssprechen, § 761 BGB, Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 56 II 2, Rn. 13–15. 35 Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht stellen eine eigenständige causa dar. Ihre Erfüllung bedeutet daher nicht ohne weiteres eine Schenkung, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 98. § 1624 Abs. 1 BGB und das formlos wirksame Erfüllungsversprechen sollen insoweit nur Ausdruck einer allgemeinen Regel sein; ebenso Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 232. 36 Manchot, Die sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Alt. 2 BGB – ein Tor zum rechtsfreien Raum? 2002. 37 Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, Einl § 241 Rn. 23; Rautenberg, Prostitution: Das Ende der Heuchelei ist gekommen! NJW 2002, 650, 651 (Keine Leistungsklage aber Anerkennung rechtlicher Bindung); nach altem Recht bereits Rother, Sittenwidriges Rechtsgeschäft und sexuelle Liberalisierung, AcP 172 (1972) 498, 507; für Telefonsexverträge bereits AG Aue NJW 1997, 2604 f. (§ 656 BGB analog); verneint von BGH NJW 1998, 2895, 2896. 38 OLG Hamm v. 2.12.1985, NJW 1986, 781 = VersR 1986, 243, 244 f. (sittenwidrig). Vgl. AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 175 (Kommerzialisierung der Fortpflanzung). 39 Anzuerkennen, wenn das Recht des Kindes auf eigene Abstammung sichergestellt ist und mögliche Konflikte zwischen sozialer und genetischer Abstammung ausgeräumt werden, Staudinger/Sack, BGB, 13. Bearb. 2003, § 138 Rn. 451; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 138 Rn. 48. 40 BGH v. 17.4.1986, BGHZ 97, 372, 379 = BGH VersR 1986, 656, 658 (Entscheidungsfreiheit ist in diesen Fragen nicht wirksam verzichtbar. Personale Würde und das Persönlichkeitsrecht stehen einer Bindung entgegen). Diese Verträge werden als sittenwidrig, weil im höchstpersönlichen Bereich liegend eingestuft, AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 180.

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bindung Bestand haben oder bedeutet die fehlende Bindung zugleich dessen Nichtigkeit41? Welche rechtstechnische Bedeutung hat die Unverbindlichkeit42? Dem BGB ist eine besondere Figur der „Unverbindlichkeit“ als Sonderfall der Vernichtbarkeit (gleich der Anfechtbarkeit) bislang nicht bekannt43. In diesem dogmatischen Neuland trifft man auch auf die Einschätzung, es handele sich um Gentlemen’s Agreements44. Soweit und solange die normative Struktur dieser Agreements aber nicht bestimmt werden kann, ist mit dieser Einstufung noch nicht allzuviel gewonnen.

3. Dogmatische Sonderprobleme Die möglichen Anwendungsfälle der Naturalobligation werfen je eigene dogmatische Fragen auf, die eine einheitliche Erfassung als Rechtsfigur erschweren. So ist das dogmatische Verständnis der verjährten Schuld seit der Trennung von subjektivem Recht und Klage bis heute umstritten. Windscheid gilt als Vertreter der sog. starken Wirkung der Verjährung, nach der die Forderung durch die Verjährung erlischt. Von Savigny und andere bejahten dagegen eine obligatio naturalis. Diese Auffassungen haben sich bis heute gehalten45. Der BGB-Gesetzgeber hat 41 Das Rechtsgeschäft wird über die Rechtsbindung (genauer über den sog. Rechtsbindungswillen) konstruiert und damit konstituiert. Rechtsgeschäfte ohne primäre Leistungspflichten kommen vor (bspw. Rahmenverträge). Sie sind systematisch aber nur schwer erklärbar, wie auch der dogmatische Streit um die mit der Schuldrechtsmodernisierung eingeführten Wirksamkeit des Vertrags in Fällen anfänglich unmöglicher Leistung (§ 311 a Abs. 1 BGB) belegt. Rechtsgeschäfte ohne eine bestehende Verbindlichkeit können wirksam sein, wie die §§ 315 ff. BGB zeigen. Meist wird von Unverbindlichkeit gesprochen (vgl. § 315 Abs. 3 S. 1 „nur verbindlich“, § 319 Abs. 1 S. 1 BGB „nicht verbindlich“). Ebenso im Zusammenhang mit der vertraglichen Vereinbarung von Wettbewerbsverboten nach §§ 74 ff. HGB. Vgl. St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 86 f., näher unten C. III. 2 a) cc), S. 382. 42 Unverbindlich ist ein bestimmtes Verhalten, wenn der Handelnde und seine Umwelt keine Bindungen für die Zukunft aus ihm ableiten. Als Kategorie ist die sog. Unverbindlichkeit dogmatisch bislang nur in Ansätzen bekannt und noch nicht ausgearbeitet; vgl. aber St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 86 f. 43 Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 149. 44 Beim Leihmuttervertrag sprechen sich gegen eine Sittenwidrigkeit und für eine mögliche Anerkennung als Gentlemen’s Agreement aus, Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 306 f.; Henke, Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts, 1991, S. 24: „Die Abmachung ist zwar rechtlich nicht bindend (schutzfähig im Sinne von zwangsfähig), aber wegen der Kinderlosigkeit der Ehe sozial achtenswert.“ Die Vermittlung von Leihmutterverträgen ist nach §§ 13 a – d AdoptionsvermittlungsG ausdrücklich verboten. „Gentlemen“ ist allerdings ein seltsamer Begriff für die betroffenen Mütter. 45 Vom Fortbestand der verjährten Forderung als Naturalobligation gehen aus: RG v. 17.12.1929 JW 1930, 1062 Nr. 7; OLG Düsseldorf v. 5.2.1991 NJW 1991, 2089, 2090; dezidiert Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, 2006, S. 470; Martinek in: Staudinger/Eckpfeiler, BGB, 2005, S. 763; Staudinger/Peters, BGB, 13. Bearb. 2003, § 194

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A. Einleitung

mit der Einredekonstruktion des § 214 Abs. 1 BGB zwei Rechtslagen für die Zeit nach dem Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist geschaffen. Jene vor und jene nach Einredeerhebung. Eine konsistente dogmatische Lehre muss die rechtliche Wirkung der Einrede für beide Zeiträume klären. Sie stößt dabei auf die Frage, ob schon das mit Zeitablauf ipso iure entstehende Einrederecht das Hauptrecht verändert oder ob erst durch die Einredeerhebung eine Rechtsänderung eintritt. Im ersteren Falle wirkt die Verjährungseinrede normativ, im zweiten ist sie aktionenrechtlich zu beurteilen. Eine normative Deutung wirft die Frage auf, welche Rechtswirkungen von der Einrede ausgehen. Hier muss die meist unerwähnt bleibende Bedeutung der Einrede vor ihrer Erhebung betrachtet werden. Sie besteht in der Rechtsmacht des Schuldners, die Einrede zu erheben. Die Frage spitzt sich praktisch zu, weil der Schuldner noch im Rückforderungsprozess mit dem Verjährungseinwand durchdringt, wenn er zur Leistung vollstreckungsrechtlich gezwungen worden war. Der BGH46 hat ein Freiwilligkeitserfordernis im Rahmen von §§ 813 Abs. 1 S. 2, 214 BGB entwickelt und die (nicht erhobene) Verjährungseinrede damit normativ gedeutet. Die Behaltensbefugnis des Gläubigers ist mit Verjährungseintritt von der freiwilligen Erfüllung des Schuldners abhängig47. Ebenso soll die Tenorierung eines Feststellungsurteils nach erhobener Verjährungseinrede dahin erfolgen, dass der Schuldner „zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist“ und nicht, dass er die Durchsetzung der Leistungspflicht verhindern kann48. Eine stimmige dogmatische Erklärung beider Rechtslagen fehlt bislang. Formfehlerhaft geschlossene Verträge lösen trotz der gesetzlich angeordneten Nichtigkeitsfolge (§ 125 BGB) Rechtswirkungen aus. Das zeigt sich insbesondere Rn. 10 (Naturalobligation als Verbindlichkeit minderen Rechts) und § 214 Rn. 34; Jauernig/ Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 20 (unvollkommene Verbindlichkeit); Enneccerus/ Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, 15. Aufl. 1960, § 227 Fn. 16; Staudinger/Dilcher, 12. Bearb. 1995, § 222 Rn. 2 (unvollkommener Anspruch); Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 72 spricht hier vom Hauptfall der Naturalobligation im BGB. 46 BGH v. 5.10.1993 NJW 1993, 3318, 3320. 47 Das Erfordernis der freiwilligen Schuldnerleistung entspricht funktional der fehlenden Klagbarkeit. Es ist statt mit der Einforderungsbefugnis (Leistensollen) mit der Behaltensbefugnis (Bekommensollen) des Forderungsrechts materiellrechtlich verknüpft. Näher C. I. 2. a) S. 241 ff. und C. IV. 4. c) aa) (3) (a), S. 480 ff. 48 BGH v. 10.11.1982 NJW 1983, 392. Das fortbestehende Gläubigerrecht, die Leistung zu fordern und das (dauerhafte) Schuldnerrecht, die Leistung zu verweigern können nicht ohne Widerspruch gleichzeitig angenommen werden. Sie heben einander normativ mit der Folge auf, dass die Einforderungsbefugnis des Gläubigers entfällt. Die Neutralisierung beseitigt die normative Wirkung der subjektiven Rechtsposition (fordern zu dürfen), aber erhält die Forderungsposition als potentielles Recht für den Fall, dass der Schuldner die Einrede fallen lässt oder auf sie verzichtet und leistet. Die Funktion dieser Rechtsposition nach erhobener Verjährungseinrede erschöpft sich in der Erfüllbarkeit, d.h. Rechtsgrund im Sinne des Bereicherungsrechts zu sein (Rechtfertigung der Behaltensbefugnis im Falle der Gleichwohlleistung).

II. Offene Fragen und Kontroversen

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in den gesetzlich geregelten Fällen der Heilung (bspw. §§ 311 b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 550 S. 2, 766 S. 3 BGB). Im Heilungskonzept findet die konsensuale Vereinbarung, das pactum nudum, eingeschränkte Anerkennung, weil es die Grundlage für das ex nunc wirksam werdende Geschäft bildet. Die Unwirksamkeitsfolge mit Heilungschance ist jedoch nicht zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz für alle formungültigen Rechtsgeschäfte erhoben. Wie in anderen europäischen Rechten49 ist das alternative Konzept der Naturalobligation auch im deutschen Recht noch verankert. Das anwaltliche Gebührenrecht hat die Naturalobligation bei bloßem Formfehler erhalten (§§ 4 Abs. 1 RVG, 3 Abs. 1 BRAGO a. F.) 50. Leistet der Mandant aufgrund der formlosen Vergütungsvereinbarung freiwillig und ohne Vorbehalt mehr, als er nach der gesetzlichen Regelung schuldet, so bildet die Vereinbarung den Rechtsgrund zum Behalten der gesamten Leistung51. Ebenso nur eine randständige Bedeutung kommt der durch Zwangsvergleich erledigten Restforderung des Insolvenzgläubigers zu, die nach bestätigtem Insolvenzplan, § 254 Abs. 3 InsO, sowie nach einer Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 3 InsO, ebenfalls als Naturalobligation fortbesteht52. Verstöße gegen devisenrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten des Internationalen Währungsfonds nach Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods führen nach der bisherigen Auffassung des BGH zum prozessualen Klageverlust („Exchange contracts … shall be unenforceable …“)53. Die besseren Gründe sprechen hier für die Anerkennung als Naturalobligation54. Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob ein ausländisches Urteil, das im Inland nicht anerkannt worden ist, ei49

Bspw. § 1432 des österreichischen ABGB, näher unten B. II. 2. b) aa), S. 223. Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn. 2; ähnlich Hartung/ Römermann/ Schons, RVG, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 98 (keine Rückforderung bei freiwilliger und vorbehaltsloser Mehrleistung). Das gilt entsprechend für die Honorarvereinbarung des Steuerberaters nach § 4 Abs. 1 S. 2 StBGebV auf die nicht gesondert eingegangen wird. Kilian, Die Leistung auf eine formwidrige Vergütungsvereinbarung – § 4 I 3 RVG, § 4 I 2 StBGebV als Sonderfälle der Kondizierbarkeit bei unvollkommener Verbindlichkeit, NJW 2005, 3104. In dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren (BR-Drs. 6/08) ist eine entsprechende Vorschrift nicht mehr enthalten (§ 4 b des Entwurfs); s.o. Fn. 12a. 51 Die Vereinbarung einer höheren als der gesetzlichen Vergütung ist zulässig. Der Rechtsirrtum des Mandanten über die (vermeintliche) Klagbarkeit der vereinbarten Vergütung nimmt der Leistung nicht die Freiwilligkeit und bleibt daher unbeachtlich, BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818 ff. Das entspricht § 814 Hs. 2 BGB. Keine Freiwilligkeit bei Klagedrohung oder Vorschussverlangen in auswegloser Lage, KG v. 14.10.2003 NJOZ 2004, 212 ff. 52 BGH v. 9.4.1992 BGHZ 118, 70 – natürliche Verbindlichkeit nach Zwangsvergleich; Andres/Leithaus, InsO, 2006, § 301 Rn. 10 (unvollkommene Verbindlichkeit). 53 Ansprüche, denen der prozessuale Klageschutz fehle. Wegen des öffentlich-rechtlichen Zwecks des Abkommens liege eine echte Sachurteilsvoraussetzung vor, BGH IPRspr. 1970, Nr. 101, S. 329, 330; WM 1977, 332, 333; zust. G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 421 (Klagebefugnis als prozessuales Recht); krit. Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 293; ders., Internationale Kreditverträge und das internationale Devisenrecht, JZ 1991, 335, 338. 54 Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 301 f. (unvollkommene Verbindlichkeit im 50

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nen Behaltensgrund für die darauf im Inland erbrachten Leistungen bildet. Einer Anerkennung als Naturalobligation steht die Auffassung gegenüber, die Rückforderung scheitere an § 814 BGB55. Nicht mehr diskutiert wird heute die Frage, ob Geschäfte beschränkt Geschäftsfähiger – wie noch die Pupillenobligation im römischen Recht56 – als Naturalobligation einzustufen sind. Das gesetzlich verankerte Genehmigungsmodell (§ 108 BGB) hat die naturalis obligatio als Schutzinstrument verdrängt 57. Erwägenswert bleibt die Frage nach der Entstehung einer bloß naturalen Obligation des Minderjährigen aus Taschengeldgeschäften (§ 110 BGB) sowie aus Geschäften des täglichen Lebens Volljähriger, die geschäftsunfähig sind (§ 105 a BGB) 58. Abgeschafft worden ist die Börsentermingeschäftsfähigkeit. Sie bedeutete einerseits eine Öffnung zum Handel mit hochspekulativen Termingeschäften für weite Bevölkerungskreise, verband diese aber andererseits mit dem Schutzinstrument der börsenrechtlichen Verbindlichkeit 59. Nach individuell-persönlichen Merkmalen (Nichtkaufmann und Informationsstand60) wurde entschieden, ob Sinne eines materiellrechtlichen Mangels der Forderung); ders., Internationale Kreditverträge und das internationale Devisenrecht, JZ 1991, 335, 341 f. 55 R. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2001, Rn. 3052; dagegen für eine eigene causa (Behaltensgrund) Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, S. 429. Richtigerweise ist nur die Anwendbarkeit des § 814 Hs. 1 BGB (wissentliche Leistung auf eine Nichtschuld) zu bejahen, weil die negative Anerkennungsentscheidung die Güterzuordnung für nicht rechtmäßig erklärt und die Gleichwohlleistung grundsätzlich auch keiner sittlichen Pflicht entspricht. Anderes kann sich bei einer Leistung im Urteilsland oder einem Drittland ergeben, welches das Urteil anerkennt. 56 Für die klassische Zeit ist eine naturalis obligatio des pupillus umstritten, siehe unten B. I. 1. b) dd) S. 68. 57 Zum Schutze des Minderjährigen wird die Entstehung rechtlich nachteiliger Verbindlichkeiten verhindert. Das Geschäft ist (schwebend) unwirksam. Dabei handelt es sich um eine Unwirksamkeit, die durch Genehmigung rückwirkend beseitigt werden kann; vgl. AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 108 Rn. 1. Daneben wird die Begründung einer Naturalobligation durch einen Minderjährigen als Rechtsnachteil angesehen, die gewisse den Schuldner belastende Wirkungen habe. Die Hingabe der minderjährigen Prostituierten soll „selbst als Naturalobligation“ gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen, Staudinger/Knothe, BGB, 13. Bearb. 2004, § 107 Rn. 23. 58 Taschengeldgeschäfte werden nach § 110 BGB rückwirkend gegenseitig vollständig wirksam und können dadurch aber auch den Minderjährigen mit entsprechenden Pflichten belasten. Zumindest hat der Gesetzgeber aus diesem Grunde bei § 105 a BGB die Behaltensbefugnis aus den Forderungen über die ausgetauschten Leistungen („in Ansehung von Leistung und Gegenleistung“) ex nunc fingiert. Gedacht war, nur die bereicherungsrechtliche Rückforderung auszuschließen, vgl. BT-Dr 14/9266, S. 43; die Naturalobligation hätte sich als Schutzinstrument vor Zugriffen in das Vermögen des Geschäftsunfähigen angeboten. Der Gesetzgeber ist aber einen anderen Weg gegangen; zu Recht insgesamt krit. Casper, Geschäfte des täglichen Lebens – kritische Anmerkungen zum neuen § 105a BGB, NJW 2002, 3425, 3427 f. 59 Krit. zur Tauglichkeit des Schutzkonzepts und den legislatorischen Zielen, vgl. Assmann, Börsentermingeschäftsfähigkeit, in: Kübler (Hg.), FS für Theodor Heinsius, 1991, 1, 2 ff. 60 Die Termingeschäftsfähigkeit kraft Information im Sinne von § 53 Abs. 2 BörsG a.F.

II. Offene Fragen und Kontroversen

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die Forderungen aus derartigen Geschäften einseitig durchsetzbar waren oder nicht. Fehlte die börsenbezogene Geschäftsfähigkeit blieben erlaubte Börsentermingeschäfte dem Differenz- und Spieleinwand ausgesetzt (§ 58 BörsG a.F.) 61. Die Geschäfte galten in Schrifttum und Rechtssprechung weithin als Naturalobligationen62. Die Anknüpfung an den Status der Person über das Merkmal der Terminfähigkeit ähnelt der der klassischen naturalis obligatio, die auch den Zweck verfolgte, bestimmte Personengruppen (Sklaven, Hauskinder, Ehefrauen, Mündel) in den Geschäftsverkehr zu integrieren. An die Stelle einer Naturalisierung der Forderung, dem „unverbindlichen“ Börsentermingeschäft (§§ 50 ff. BörsG a.F., § 764 BGB a.F.), ist nach den §§ 37 d ff WpHG63 nunmehr eine Verbraucherschutzregelung, die Schadensersatzhaftung bei unzureichender Information des Verbrauchers, getreten. Das neue Modell entspricht einem internationalen Rechtsstandard im Kapitalmarktrecht64. Diese Fallgruppe wird hier daher nicht mehr eigenständig behandelt65. wurde erst durch die Novelle vom 11.7.1989 (BGBl. I, 1412) eingeführt. Das Verbindlichkeitskonzept verbunden mit einer Börsenrechtssphäre sind im Börsengesetz von 1896 eingeführt worden. Vgl. zur historischen Entwicklung und einer neuen Kritik am Informationsmodell, F. A. Schäfer, Das neue Recht der Finanztermingeschäfte – Plädoyer für seine Abschaffung, in: Fuchs/Schintowski/Zimmer, FS für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, 2004, S. 689, 703. 61 Die Differenzierung der Geschäfte nach dem jeweiligen Vorliegen der besonderen Geschäftsfähigkeit findet nur auf der Ebene erlaubter einseitiger oder zweiseitiger Geschäfte statt. Eine weitere Differenzierung zwischen erlaubten und verbotenen Börsentermingeschäften (§ 63 BörsG a.F.) entscheidet dann über die börsenspezifische Wirksamkeitsfrage. Daran schließt sich die allgemeine Wirksamkeitsfrage (§§ 134, 138 BGB) an. 62 Schwintowski, Das Optionsgeschäft: Naturalobligation oder vollkommene Verbindlichkeit? ZIP 1988, 1021, 1022; H.P. Westermann, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Börsentermingeschäften, in: Beuthien (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 675–683 (unvollkommene Verbindlichkeit); Schwark, BörsG, 2. Aufl. 1994, § 55 Rn. 11–18 (sittliche oder Anstandspflicht); abl. Joeres, Rückforderungsausschluß bei unverbindlichen Termingeschäften durch Beendigung der Geschäftsbeziehung? In: Horn (Hg.), FS für Herbert Schimansky, 1999, S. 667, 670. 63 Zur Abschaffung der weltweit einzigartigen statusbezogenen Termingeschäftsfähigkeit durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. I 2002, S. 2010, Casper Das neue Recht der Termingeschäfte, WM 2003, 161–168. 64 Das folgt dem Trend eines Informations- und Schutzmodells für das gesamte Verbrauchervertragsrecht, Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 225 ff. Die Schwächen sind gleichwohl unübersehbar. Schön hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Termingeschäften das Informationsmodell schon deshalb zweifelhaft ist, weil sich dieses Geschäftsfeld durch die begrenzte Rationalität der schutzbedürftigen Akteure auszeichnet. Das Hauptrisiko der Termingeschäfte (wie auch bei Spiel und Wette) ist nicht die fehlende Information über Risiken, sondern die Selbstüberschätzung des AnlegerHasardeurs, Schön, Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer neuen Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. I, Heldrich, Prölss, Koller (Hg.), 2007, S. 1191, 1210. 65 Soweit Differenzgeschäfte auch nach der Reform dem Spieleinwand (§ 762 Abs. 1 S. 1 BGB) unterworfen sind, werden sie bei Spiel und Wette mit abgehandelt.

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A. Einleitung

4. Rechtsgeschäftliche Gestaltungsfragen Zu klären ist die Frage, ob eine Naturalobligation rechtsgeschäftlich, insbesondere durch eine vertragliche Vereinbarung begründet werden kann. Das Schrifttum66 und die wenigen Urteile bejahen das im Grundsatz67. Gewillkürte Naturalobligationen kommen in Betracht, wenn der Erblasser ein Vermächtnis anordnet, aber dessen Klagbarkeit ausschließt 68. Ferner, wenn Vertragsparteien den Ausschluss des Rechtszwanges zur Durchsetzung der von ihnen begründeten oder zwischen ihnen bestehenden Forderungen anfänglich oder nachträglich vereinbart haben. Eine Frage der Auslegung ist es, ob der vereinbarte Ausschluss der „Klagbarkeit“ eine Naturalobligation begründen sollte 69. Ebenso führt der Abschluss eines Gentlemen’s Agreements zur Frage, ob nicht durchsetzbare Naturalobligationen begründet werden70 oder ob nach dem Willen der Parteien jegliche Bindung entfallen sollte. Die Anerkennung derartiger Vereinbarungen ist oftmals zweifelhaft71. Die Naturalobligation ist in rechtsgeschäftlicher Hinsicht abzugrenzen gegenüber dem antizipierten Forderungserlass (§ 397 BGB)72, der Stundungsab66

Vgl. etwa Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95; MünchKomm/ Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 44; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, 2003, § 241 Rn. 24; Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 1999, § 397 Rn. 25 (Klagbarkeitsverzicht). 67 RG v. 7.2.1908, RZ 67, 390, 392 (Ausschluss des Klageweges); RG v. 23.2.1920 RGZ 98, 176, 178 (Schuldversprechen gegenüber der Geliebten für den Fall anderweitiger Heirat); RG v. 17.12.1929, JW 1930, 1062 Nr. 7; OLG Celle v. 5.4.1968, OLGZ 1969, 1 Ausschluss des Klageweges verstoße im Regelfall gegen § 138 BGB); OLG Celle v. 31.7.1970, NJW 1971, 289, 290 (Vereinbarung eines obligatorischen Güteversuchs vor der Handwerkskammer). 68 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95. 69 BGH v. 12.4.2006 – III ZR 153/05 BeckRS 05541 (Umdruck S. 3). 70 Aus dem Begriff selbst lässt sich das nicht erschließen. Er ist ambivalent. Die Bezeichnung agreement statt contract spricht für eine bloße Vereinbarung abgestimmter Absichtserklärungen und gegen eine obligatorische Versprechensbindung. Die Bezeichnung Gentlemen spricht dagegen eher für ein Versprechen, dessen Vollzug aber als derart selbstverständlich angesehen wird, dass es keiner rechtlichen Zwangsbewehrung bedürfen soll. 71 Es ist eine Auslegungsfrage, ob gesetzliche Bindungsverbote auch die Bindung aus einer Naturalobligation erfassen. Wird etwa eine Rechtsbindung in höchstpersönlichen Angelegenheiten (etwa der sexuellen Selbstbestimmung) ausgeschlossen, so kann auch eine Rechtsbindung aus einer Naturalobligation nicht anerkannt werden. So etwa BGH v. 17.4. 1986, BGHZ 97, 372, 379 = BGH VersR 1986, 656, 658 (Vereinbarung über die Benutzung von Verhütungsmitteln). Die Anerkennung von Pflichten ohne Zwangsbewehrung bleibt aber in anderen Fällen durchaus möglich, wie etwa bei Verträgen über die heterologe Insemination, vgl. AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 179. 72 Zu dieser Form eines antizipierten Konträrakts vgl. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 1999, § 397 Rn. 25: Kein Behaltensrecht im Falle der Gleichwohlleistung. Abzugrenzen hier ferner die (unentgeltliche) Behandlung von Arztkollegen und deren Angehörigen, BGH NJW 1976, 2344; BGH NJW 1977, 2120 (nachträglicher Verzicht auf die Gegenleistung) sowie von Spielsperrverträgen, BGH v. 15.12.2005 NJW 2006, 362. Die rechtliche Wirkung einer solchen Sperre ist es, dass die Spielbank die Einsätze des Spielers aus der abredewidrig

II. Offene Fragen und Kontroversen

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rede und der Stillhalte- oder Nichtangriffsabrede (pactum de non petendo)73. Der Ansatzpunkt für die dogmatische Differenzierung liegt in der Frage, welche Befugnisse der Gläubiger jeweils verliert. Der Erlass lässt die Forderung entfallen. Bei der gestundeten Forderung fehlt dem Gläubiger vorläufig das Einforderungsrecht. Die Forderung ist nur erfüllbar (§ 271 Abs. 2 Hs. 2 BGB) und vermittelt eine Behaltensbefugnis (§ 813 Abs. 2 Hs. 1 BGB). Beim pactum de non petendo ist nach der normativen Wirkung des klagebrechenden pactums und der durch sie begründeten Einrede zu fragen. Inhalt und Reichweite der Einrede sind durch Auslegung zu ermitteln. Nach den Annahmen des sog. Rechtswirkungsdenkens74 hat das pactum eine unmittelbare rechtliche Wirkung. Der Gläubiger darf nach Einredeerhebung75, die Forderung nicht mehr geltend machen. Die Geltendmachung ist vertragswidrig. Tut er es dennoch, macht er sich nicht lediglich schadensersatzpflichtig, sondern ihm fehlen die Einforderungs- und damit auch die materielle wie prozessuale Klagebefugnis. Das pactum hat sich also auf die Forderung unmittelbar ausgewirkt, ohne sie deshalb zu zerstören. Dagegen behält die naturale Forderung „volle Wirksamkeit“76, nur lässt sie sich nicht zwangsweise durchsetzen. begründeten Spielschuld zurückzahlen muss. Konstruktiv erreicht der BGH diese Wirkung aber über eine Schadensersatzverpflichtung aus einer verletzten Leistungspflicht der Spielbank. Diese (einseitige) und kompensationslos übernommene Leistungspflicht ist auf die Unterlassung von Spielverträgen mit spielsüchtigen Spielern gerichtet und mit einer Vermögensfürsorgepflicht verbunden, die auf ein Abhalten dieser Personen vom Spiel gerichtet ist. Meines Erachtens wird durch den Sperrvertrag das Zustandekommen von Spielverträgen faktisch unterbunden, so dass weder eine Zivil- noch eine Naturalobligation entsteht, und die Leistungen bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln sind, vgl. G. Schulze, Verträge zum Schutz gegen sich selbst, in: Mansel ua. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, S. 1357 ff., vgl. unten C. III. 1. c) aa) (2) (a), S. 338 f. 73 Es ist durch Auslegung der Abrede festzustellen, ob die Einrede das Forderungsrecht erfasst und dem Schuldner damit die Einrede der Nichtfälligkeit gibt, oder, ob die Einrede nur das prozessuale Klagerecht betrifft und damit die Einrede der Klagbarkeit vermittelt (d.h. die prozessuale Geltendmachung ausschließt), G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 424 ff.; zust. MünchKomm/Krüger, BGB, 4. Aufl. 2003, Bd. 2 a, § 271 Rn. 18. 74 Grundlegend Gmür, Rechtswirkungen in der Privatrechtsgeschichte. Theorie und Geschichte der Denkformen des Entstehens und Erlöschens von subjektiven Rechten und andern Rechtsgebilden, Bern 1981; Wacke, Das Rechtswirkungsdenken, in: Chr. Hattenhauer (Hg.), FS für Heinz Holzhauer, 2005, S. 367–394. 75 Soll bereits mit Abschluss des pactums die materiellrechtliche Einredewirkung gelten, so handelt es sich um eine nachträgliche Stundungsvereinbarung. Die Spezifität des pactums de non petendo liegt in der vom Schuldnerhandeln abhängigen Verbotswirkung durch Einredeerhebung. Die Forderung bleibt fällig und verliert erst durch die Einredeerhebung die Einforderungsbefugnis, so im Fall BGH v. 14.6.1989, NJW-RR 1989, 1048. 76 Die verbreitet anzutreffende Rede von der vollwirksamen Forderung wird dogmatisch nicht ausgearbeitet. Jedenfalls wird der vollen Wirksamkeit explizit keine einfache oder schwächere Wirksamkeit gegenübergestellt. Volle Wirksamkeit kennzeichnet den Unterschied zwischen einer erfüllbaren Forderung mit oder ohne Einforderungsbefugnis. Einfach wirksam ist danach die betagte oder einredebehaftete, erfüllbare Forderung.

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A. Einleitung

Die Vereinbarung, wonach der Rechtsweg für die Geltendmachung einer Forderung zwischen den Parteien ausgeschlossen sein soll, ist eine im gewerblichen Lotteriespiel gebräuchliche Abrede. Neben ihrer praktischen Gefährlichkeit für die schwächere Partei77 erreicht sie rechtstheoretisch einen kritischen Punkt. Der völlige Ausschluss gerichtlicher Kontrollmöglichkeit entzieht dem „angewendeten“ Rechtssatz wie auch der getroffenen Vertragsvereinbarung die staatlich-rechtliche Geltungsgrundlage. Der Rechtswegausschluss ähnelt anderen Gestaltungsformen außergerichtlicher Streitbeilegung wie etwa der Schiedsabrede verbunden mit der Wahl nichtstaatlichen Rechts (§ 1051 Abs. 1 ZPO)78 sowie der Schiedsabrede mit Ermächtigung zur Entscheidung nach Billigkeit (§ 1051 Abs. 3 ZPO) oder auch der Mediationsabrede79. Mit der Naturalobligation bleibt die Forderung dagegen voll justiziabel, wenngleich primär im Rückforderungsstreit. Weitere rechtsgeschäftliche Sonderfälle sind abzugrenzen. Zunächst ist beim verabredeten Schwarzkauf von Grundstücken die Frage zu klären, ob im Hinblick auf die Heilungschance ein wirkungsvermindertes Rechtsgeschäft in Gestalt einer Naturalobligation anzuerkennen ist 80. Dabei muss das bewusst formfehlerhaft geschlossene Geschäft (gewollte Unwirksamkeit) von der durchschauten Mentalreservation (§ 116 S. 2 BGB), von der Simulation (§ 117 Abs. 1 BGB) und von der Naturalobligation abgegrenzt werden81. Ferner ist im Bereich des öffentlichen Rechts neben den öffentlich-rechtlichen Vertrag ein Handlungsinstrument getreten, welches als „freiwillige Selbstver77 Der Ausschluss des Rechtswegs ist aufgrund des zwingenden Charakters von § 13 GVG nicht zulässig. Die Abrede kann auch nicht dahin verstanden werden, die Parteien hätten den Anspruch als unvollkommene Verbindlichkeit ausgestalten wollen (so noch das Vordergericht OLG Schleswig), BGH MDR 1971, 657. 78 Auch außerhalb des Schiedsrechts ist die Frage virulent und wird insbesondere im Europäischen Vertragsrecht diskutiert, vgl. zu Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs der VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 15.12.2005 (Rom I-E), P. Mankowski, Der Vorschlag für die Rom I-Verordnung: IPRax 2006, 101, 102; Text abgedr. ebd. 193 ff.; zur Überwindung des Geltungsproblems instruktiv, Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 2005. 79 Habscheid, Die außergerichtliche Vermittlung (Mediation) als Rechtsverhältnis, AJP/ PJA 2001, 938 ff. Im internationalen Kontext vgl. Eidenmüller, Hybride ADR-Verfahren bei internationalen Wirtschaftskonflikten, RIW 2002, 1 ff.; Koch, Mediation im internationalen Streit, in: Bachmann (Hg.), FS Peter Schlosser, 2005, S. 399, 404. 80 BGH v. 13.11.1998 NJW 1999, 351 (Teilnichtigkeit bei Kenntnis der Formunwirksamkeit); OLG Jena v. 14.7.1999 NJW-RR 1999, 1687 (offen unwirksam vereinbarter Grundstückskauf). Die rechtsgeschäftliche Instrumentalisierung der Heilung ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen und dennoch nicht verboten. Das heilbare Geschäft bleibt aber bis zur Heilung unwirksam. Das ist zwingendes Recht. Eine bindende Vereinbarung scheitert hier deshalb und hindert daher auch die Entstehung einer gewillkürten Naturalobligation. 81 Wacke, Mentalreservation und Simulation als antizipierte Konträrakte bei formbedürftigen Geschäften, insbesondere bei Testamentserrichtung und Heirat. In: Beuthien (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 651, 653.

II. Offene Fragen und Kontroversen

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pflichtung der Wirtschaft“82 bezeichnet wird. Dahinter stehen Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaftsverbänden oder einzelnen Unternehmen, nach denen bestimmte Standards wie etwa die Reduzierung von Verpackungen oder von FCKW-Anteilen in Spraydosen eingehalten werden sollen. Anders als im Zivilrechtsverkehr besteht hier die Zwangswirkung bereits im Stadium der Pflichtbegründung. Die mittelbare Zwangsmacht des Staates durch angedrohte staatliche Regulierung wird im gebundenen Handlungsvollzug einer Selbstverpflichtung instrumentalisiert und begrenzt83. Der fiskalisch handelnde Staat soll kein Recht aus der Selbstverpflichtung auf Einhaltung bestimmter Standards bei der Produktion erwerben. Die Betonung der Freiwilligkeit legt die Annahme nahe, dem Selbstverpflichter sei auch die Entscheidung über die Pflichterfüllung überlassen worden. Dann aber ist die Bindung nach dem Satz des Widerspruches aufgehoben oder auf eine Art innerer Gewissensbindung in Geschäftsangelegenheiten reduziert. Die verbreitete Annahme rechtlicher Unverbindlichkeit widerspricht offen dem erweckten Eindruck und der abgegebenen Erklärung, eine Pflicht zu übernehmen. Kann die Rechtsfigur Naturalobligation dieser Auflösungserscheinung des Rechts (Röhl) 84 entgegengestellt werden? Ferner verdient die Bezeichnung „freiwillige Selbstverpflichtung“ eine nähere Betrachtung. Alle Formen rechtsgeschäftlicher Bindung beruhen auf dem freien Willen der Teilnehmer am Rechtsgeschäftsverkehr und sind auf einen selbstbezüglichen Verpflichtungsakt zugeschnitten. Anhand der Strukturmerkmale obligatorisch, konsequentialistisch, interpersonal, intrapersonal lässt sich feststellen, dass mit der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ kein eigenständiges Pflichtenstrukturmodell gewonnen wurde. Eigenständige Züge sind nur im Hinblick auf das (mittelbare) Zwangsmoment der gesetzlichen Normierung auszumachen. Schließlich ist auf den schillernden Begriff „Gentlemen’s Agreement“ und die damit umschriebenen Absprachen einzugehen. Die gemeinhin unterstellte Abnormität und die notgedrungen schwammigen Beschreibungen erschweren

82 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001; Schendel, Selbstverpflichtungen der Industrie als Steuerungsinstrument des Umweltschutzes, NVwZ 2001, 494. 83 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 221; Klemmer, Das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung – eine kritische Zwischenbilanz, in: Rengeling (Hg.), Instrumente des Umweltschutzes im Wirkungsverbund, 2001, S. 153–156. 84 Röhl rechnet die nicht mehr zählbaren Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu den Auflösungserscheinungen staatlichen Rechts, weil der Staat auf eigene Normsetzung verzichte und die Zivilgesellschaft in die Bresche springen lasse. Ferner schössen Ethikkommissionen und Codes of Conduct ins Kraut. Auffällig und besonders interessant sei die Tendenz, Streitigkeiten von den Gerichten fern zu halten. Von Staats wegen werde eine neue konsensuale Streitkultur [sic!] gefordert und gefördert. „vieles ist beweglicher und flüssiger geworden“, Röhl, Auflösung des Rechts, in: Lorenz (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 1161, 1166.

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A. Einleitung

die dogmatische Erfassung derartiger Abreden85. Das Gentlemen’s Agreement ist – wie die Ergebnisse des XV. Kongresses der Internationalen Akademie für Rechtsvergleichung in Bristol 1998 86 zeigen – weltweit im Rechtsgeschäftsverkehr bekannt und gebräuchlich. Einheitliche Vorstellungen über das rechtstechnische Verständnis dieser Vereinbarung bestehen aber auch in der rechtsvergleichenden Betrachtung nicht. Von den dogmatischen Strukturen, etwa der Abgrenzung von Agreement zu Contract87, bis zu rechtstheoretischen Grundfragen reicht das Spektrum der Diskussion. Can we outlaw ourselves entirely? fragt der Generalberichterstatter Bernhard Rudden und resümiert aus 15 Länderberichten, die zwischen einer Einordnung als „nichtrechtliche Absprache“ und der vertraglichen Begründung von Naturalobligationen schwanken88. Die meist skeptische Haltung gegenüber Gentlemen’s Agreements resultiert einerseits aus der häufig unterstellten Täuschungsabsicht der selbsternannten „Gentlemen“ sowie aus der vorschnellen Gleichsetzung zu Absprachen im Unrechtsbereich, etwa verbotenen Kartellabsprachen oder sonstigen Abreden im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Dahinter tritt die Frage hervor, ob es ein zwingendes Rechtsgebot gibt, das dazu verpflichtet, in Formen des Rechts zu handeln. Eine Absprache, die von allen Fesseln des Rechts befreien will, würde hiergegen verstoßen. Ein solches Gebot der Rechtlichkeit, das in § 242 BGB zu verankern wäre und das das Verhältnis der Ethik zum Recht reguliert 89, könnte der privaten Gestaltungsentscheidung zu außerrechtlichen und zugleich schuldersetzenden Ehrenvereinbarungen grundsätzlich entgegenstehen90. Die Funktionsweise

85 Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 524 (im Einzelfall „von den Nachbarlinien aus Vertrag, Naturalobligation und Gefälligkeitsabrede in Funktion und Wirkung zu erschließen“. Nähe zur Unterscheidung des amerikanischen Rechts zwischen Agreement und Contract); Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 117 („schlichte Einigung“ mit faktischer Durchsetzungschance); dagegen Emmerich, der dies etwas überraschend als „überflüssig und methodisch kaum vertretbar“ beurteilt, AcP 183 (1983) 807, 808. 86 Generalbericht Rudden, The Gentleman’s Agreement in legal theory and in modern practice, European Review of Private Law, 1999, 199 – 220. 87 Dies entspricht der in der deutschen Vertragsrechtsdogmatik immer wieder erwogenen Anerkennung einer einfachen Vereinbarung neben dem Vertrag als rechtsgeschäftliche Handlungsform. Unter den Begriffen pactum (Mayer-Maly), Vertrag ohne primäre Leistungspflicht (Wolf ) und der (erlaubten) kartellrechtlichen Absprache im Zusammenhang mit der Ausweitung des kartellrechtlichen Vertragsbegriffs, ist diese Diskussion geführt worden, vgl. Willoweit, Abgrenzung und Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969. 88 Rudden, The Gentleman’s Agreement in legal theory and in modern practice, European Review of Private Law, 1999, 199. 89 Das ist eine rechtsethische Grundsatzfrage, die hier nur in die Diskussion um Gentlemen’s Agreements einbezogen, nicht aber im eigentlichen Sinne verfolgt oder gar beantwortet werden kann. 90 Nach dem kantischen Postulat des öffentlichen Rechts ist die Person a priori aus Vernunftgründen verpflichtet, aus dem natürlichen in einen rechtlichen Zustand überzutreten.

II. Offene Fragen und Kontroversen

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der Diamantenindustrie in den USA91 zeigt, unter welchen spezifischen Voraussetzungen obligatorische Absprachen auch unter „Gentlemen“ rechtlich anerkennungsfähig sein können. Dabei ist die paradoxale Struktur des im Gentlemen’s Agreement angelegten „Ehrversprechens“ zu beachten. Die instrumentelle Verpfändung der Ehre ist eher als Indiz für eine sittenwidrige Gestaltung zu werten, denn als Kennzeichen für eine selbsterweiternde Autonomie der Parteien92. Die Ehre soll nicht die rechtliche Bindung stabilisieren und ergänzen, sondern an ihre Stelle treten. Rechtszwang unter „Gentlemen“ wird nicht lediglich für überflüssig gehalten, sondern als unerwünscht abbedungen. An die Stelle obligatorischer Schuldigkeit tritt damit bloßer „good will“. Aus der Selbstverständlichkeit der Vertragserfüllung wird dadurch zugleich ein meritorischer Akt. Der Kantische Satz: „wo die Ehrlichkeit Ehre erwirbt und wo es ein Punkt der Ehrbegierde wird, ehrlich zu sein, … da ist schon Korruption der Sitten, da ist die Ehrlichkeit selten“93 gilt auch hier. Die Naturalobligation könnte sich daher als taugliche rechtsdogmatische Grundlage für derartige Versprechenstatbestände erweisen94 und gegen die eigenliebige Einbildung des Verdienstlichen den Gedanken der Pflicht aufrechterhalten (Kersting)95. Die Grenzen der Privatautonomie können nicht privatautonom verschoben werden96. Der Parteiwille konkurriert mit dem Gesetzgeber aber muss sich ihm in-

Der Grund dafür lasse sich analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältnis … entwickeln, vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 424 (AB 157). Vgl. grundlegend Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893, 896. Dagegen wurde eine solche Pflicht von Fichte abgelehnt, der demgegenüber aber die Teilnahme aller am Rechtsverkehr für eine Bedingung des Rechts hielt. Fichtes Rechtsbegriff konstituiert das Recht moralunabhängig als Gemeinschaft zwischen freien, sich einander anerkennenden und ein Recht auf gleiche Handlungsfreiheit zugestehenden Wesen, Kersting, Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral, in: Merle (Hg.), Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 21, 25. 91 Lisa Bernstein, Opting Out of the Legal System: Extralegal Contractual Relations in the Diamonds Industry, J. Leg. St., 21 (1992) 115–157. 92 Das Reichsgericht hat in der berühmten Edelmann-Entscheidung den Erfüllungsanspruch daher verneint, RG v. 21.5.1927 RGZ 117, 121, 122; näher unten C. V. 4. a) bb) (1), S. 598 f. 93 Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Gerhard (Hg.), Nachdruck 1990, S. 242. 94 Bahntje verneint dies, weil der soziologischen Pflichtenbeziehung des Gentlemen’s Agreements der Status der Naturalobligation als rechtliche Verbindlichkeit entgegenstehe, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 202 ff. 95 Bezogen auf die Gefahren supererogatorischer Pflichttatbestände kommt Kersting zu dem Schluss: Das Streben nach Verdienst muss in der Pflichterfüllung aufgehen, um nicht durch eigenliebige Einbildung des Verdienstlichen den Gedanken der Pflicht zu verdrängen. W. Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 120. 96 Eine Dispositionsbefugnis, die ihre zwingenden Grundlagen überwinden könnte, ist ein Missbrauch dieser Befugnis. A.A. Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 305 f.

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soweit unterordnen97. Die Grenze zulässiger rechtlicher Gestaltungsfreiheit liegt hier in der Begründung von Naturalobligationen.

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Dies gilt jedenfalls soweit durch den Parteiwillen keine gleichwertigen Rechtssysteme an die Stelle des staatlichen Rechts und staatlicher Gerichte treten. G. Schulze, Rez. Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, RabelsZ 71 (2007) S. 852, 866; a.A. Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 2005, der die Wahl nichtstaatlichen Rechts auch vor staatlichen Gerichten befürwortet. Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs der VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 15.12.2005 (Rom I-E), wonach „auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts“ gewählt werden können, ist wieder gestrichen worden, dazu krit. Schinkels, Die (Un-) Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Wahl der UNIDROIT Principles nach Rom I, GPR 2007, 106.

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III. Die Fragestellung der Arbeit Die Begrenztheit des juristisch-gedanklichen Instrumentariums lässt es gerechtfertigt erscheinen, sich der klassischen Rechtsfigur der Naturalobligation noch einmal grundlegend zuzuwenden. Welche Bedeutung kommt dieser Denkfigur im System des Schuldrechts zu? Lässt sich die Naturalobligation als Bestandteil des geltenden Privatrechts ausweisen und in ein europäisches Rechtsinstrument integrieren? De lege lata stellt sich die Frage, wie der BGBGesetzgeber die Naturalobligation gesehen und eingeordnet hat. Danach bedarf der Klärung, ob die Rechtsfigur Naturalobligation auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in den genannten Fällen zugrundegelegt werden kann1 und ob sich dies empfiehlt. Die Gründe des Gesetzgebers oder der Vertragsparteien, den Erfüllungszwang einer Forderung aufzuheben sind nicht abschließend bestimmt und folgen auch keinem einheitlichen Prinzip oder Rechtsgedanken. Bei dem fehlenden Erfüllungszwang handelt es sich um ein Gestaltungsmittel zur funktionalen Differenzierung der Forderung. In Betracht kommen sowohl individualrechtliche als auch rechtspolitische Gründe. Der erheblich geschwächte Wirkungsgrad des Forderungsrechts zwingt die Marktteilnehmer zu riskanten Vorleistungen oder Handgeschäften und wirkt so einer Geschäftsausweitung nach den Regeln des Marktes ökonomisch entgegen. Dieser selbstregulierende Wirkungsmechanismus dürfte auch heute nicht als überholt einzustufen sein 2. Gleichzeitig markieren Rechte ohne Zwang einen Grenzbereich zwischen sozialer Regel und Recht. Die sozial anerkannte Regel könnte in einem ersten Schritt als Naturalobligation in das Recht integriert werden. Wo liegen hier künftige Anwendungsgebiete? Die praktische Bedeutung der Naturalobligation wird man nicht überschätzen dürfen. Kategorische Leistungsforderungen ohne Zwangsbefugnisse haben einen schwächerem Wirkungsgrad. Sie besitzen 1 Eine Anknüpfung an vorpositive Begriffe, zu denen auch der Begriff Naturalobligation gehört, ist nichts Außergewöhnliches, vgl. Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, S. 25. Die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie und positivem Recht, zwischen Dogmatik und Kodifikation wird zunehmend zugunsten historisch-wissenschaftlicher Durchdringung beantwortet, vgl. Schermaier, „Dem Deutschen thut das Studium der Römer noth …“, JZ 2006, 330, 338. 2 Mit ihm lässt sich in Fällen begrenzter Rationalität auch ein Schutzkonzept für den schwächeren Vertragspartner verwirklichen, das durch schadensersatzbewehrte Informationspflichten nicht erreicht werden kann, vgl. C. III. 3. d) bb), S. 421.

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aber in einzelnen Sachbereichen eine erkennbare Funktionalität. Es lohnt sich also zu untersuchen, ob eine „Wiederkehr ihrer rechtlich-gedanklichen Struktur“3 sinnvoll oder gar erforderlich erscheint. Wie wenig andere Rechtsfiguren diente die Naturalobligation oftmals als Probierstein neuer Lehren und als Argument in dogmatischen Grundsatzstreiten. In einem Programm, das das Römische Recht in seiner zeitgenössischen Ausformung aufgreifen und in einem gemeineuropäischen Privatrecht erneuern will4 , darf die Naturalobligation als klassische Rechtsfigur des Zivilrechts5 daher nicht fehlen.

3 Mayer-Maly, Die Wiederkehr von Rechtsfiguren, JZ 1971, 1, 3; erneuert bezogen auf die Rechtsbeziehungen von Sklaven, Spengler, Zugleich Person und Sache – vielleicht Arbeitstier oder Unternehmer: Rechtliche Aspekte der römischen Sklaverei. In: Krause/Veelken/Viehweg (Hg.), GS für Wolfgang Blomeyer, 2003, S. 271, 282 f. Die Trennung der Ordnungsstruktur Obligation von deren Durchsetzung ist ein grundsätzlicher Gedanke, der das Schuldvertragsrecht des BGB durchzieht. Beispiel für diese Struktur ist die Naturalobligation, Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht. Zur funktionellen Bedeutung des § 241 S. 1 BGB, JR 1996, 492. 4 R. Zimmermann, Europa und das römische Recht, AcP 202 (2002) 243; ebenso Schermaier, „Dem Deutschen thut das Studium der Römer noth …“, JZ 2006, 330, 331 u. 339; Knütel nennt als Gründe für das Fortleben des römischen Rechts die Herausbildung von Rechtslösungen ohne störende gesetzgeberische Eingriffe aus vernünftiger und natürlicher Anschauung unter Beachtung leitender Prinzipien aus der Sachproblematik heraus; Regeln, die etwas evident Richtiges haben. Zu den Prinzipien gehören insbesondere die bona fides und die Freiheit des civis Romanus. Sie führen zur Durchsetzung von Vertragstreue und Verlässlichkeit, Knütel, Römisches Recht und deutsches Bürgerliches Recht. In: Ludwig (Hg.): Die Antike in der europäischen Gegenwart, 1993, S. 42, 66. 5 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, S. 68 bedauert in § 6 „Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen“ den Verlust der Naturalobligation mit ihrer Differenzierung zwischen durchsetzbaren und nichtdurchsetzbaren obligationes. An deren Stelle orientiere sich das heutige Recht im Übermaß am vereinfachenden Schema „Vertragsgültigkeit – Vertragsnichtigkeit“. Ebenso Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 382.

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IV. Die Hauptthese Die Naturalobligation ist als eine dogmatische Rechtsfigur des Schuldrechts anzuerkennen. Das Gesetz versagt in Fällen der Naturalobligation den Erfüllungszwang gegenüber dem Schuldner, bejaht aber die Leistungspflicht. Der Gläubiger einer Naturalobligation besitzt das Recht auf die Leistung, das Recht zum Behalten der Leistung und das Verfügungsrecht über die geschuldete Leistung. Damit handelt es sich um eine vollwirksame Forderung und um ein subjektives obligatorisches Leistungsrecht. Differenzierungsmerkmal gegenüber der betagten und der gehemmten Forderung ist die Forderbarkeit (Einziehungs- oder Einforderungsbefugnis) der Naturalobligation. Differenzierungsmerkmal gegenüber der Zivilobligation ist die fehlende Befugnis des Gläubigers, die Forderung im Wege der Leistungsklage oder unter Einsatz von materiell-rechtlichen Zwangsbefugnissen zu sichern oder durchzusetzen. Unter einer Naturalobligation verstehe ich mithin das schuldrechtliche Leistungspflichtverhältnis, das mit rechtlichen Zwangsmitteln nicht einseitig durchsetzbar ist. Im Anschluss an Fritz Klingmüller lässt sich formulieren: Das Leistensollen des Schuldners ist nicht erzwingbar1. Die Naturalobligation empfiehlt sich als dogmatische Rechtsfigur zur Integration in ein europäisches Rechtsinstrument. Naturalobligationen sind systematisch auf der Ebene der Forderung (Schuldverhältnis im engeren Sinne) anzusiedeln (§ 241 Abs. 1 BGB) 2. Die Forderung unterteilt sich danach in durchsetzbare und nicht durchsetzbare Forderungen, Zivil- und Naturalobligationen 3. Naturalobligationen lassen sich weiter nach den Bedingungen ihrer Setzung in zwei Formen einteilen: in rechtlich anerkannte, gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse (institutionelle Naturalobligation) und in richterrechtlich festgestellte Leistungspflichtverhält1

Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 268. Der Vertrag ist ein möglicher Entstehungsgrund der Naturalobligation. Bei der Naturalobligation handelt sich also nicht etwa selbst um einen Vertrag. Missverständlich PWW/ Brinkmann, BGB, 2006, Vor § 145 Rn. 5 und auch AnwK-BGB/Schulze, 2005, Vor §§ 145 – 157 Rn. 12. 3 Die Naturalobligation bildet aufgrund des fehlenden Erfüllungszwanges einen selbständigen Forderungsbegriff. Begriffsbildung nach der allgemeinen Regel durch die nächsthöhere Gattung und den eigentümlichen Unterschied (per genus proximum et differentiam specificam), Adomeit, Rechtstheorie für Studenten: Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitologie, 1998, S. 26. 2

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nisse. Bei letzteren muss die „sittliche Pflicht“ als abstrakte Regel wie eine empirische Tatsache festgestellt werden. Entstehungsgründe der Naturalobligation sind danach Vertrag, Gesetz und die richterliche Feststellung eines außerrechtlich im Rahmen der Sozialordnung entstandenen Leistungspflichtverhältnisses (obligatio ex voluntate, ex lege und ex societate).

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V. Methoden und Grundlagen Eine Wiederbelebung der Rechtsfigur Naturalobligation steht unter dem Verdacht, „Begriffsjurisprudenz“ zu treiben und an ontologische Vorstellungen vorrechtlicher Begriffe anzuknüpfen. In der Tat sind die Auseinandersetzungen um den Begriff Naturalobligation bis heute geprägt von einer seinshaften Vorstellung „der Naturalobligation“, die in rechtsfreien Räumen eine Existenz zu besitzen scheint1. Über Begriffe und ihre Bedeutung wird nach Wittgenstein nur noch in der Weise gesprochen, als es um ihren Gebrauch in der Sprache geht 2. Das gilt auch hier. Ergänzend ist zu sehen, dass es sich bei der Wortbedeutung von „Naturalobligation“ um ein Interpretationskonstrukt handelt3, dessen Verwendung vorgeschlagen und empfohlen, aber nicht bewiesen werden kann. Die Naturalobligation selbst bildet keinen eigenen Rechtsgeschäftstypus, neben Vertrag, Versprechen oder Willenserklärung, sondern spezifiziert die Forderung als Folge eines Vertrages oder eines gesetzlichen Schuldverhältnisses nach dem Merkmal der einseitigen zwangsweisen Durchsetzbarkeit 4. Eine präzise Ausdrucksweise geht dahin, dass etwa aus Spiel- und Wettverträgen Naturalobligationen (statt Zivilobligationen) entstehen. Mit der Gebrauchs- und Bedeutungsgeschichte des Begriffs Naturalobligation werden geistesgeschichtliche Hintergrundvorstellungen berührt. Schon die römisch-rechtlichen Wurzeln zeigen, dass die Verpflichtungsfähigkeit als natürliche menschliche Eigenschaft verstanden wurde, die in der obligatio na1 Manchot, Die sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Alt. 2 BGB – ein Tor zum rechtsfreien Raum? 2002. 2 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe Bd. 1, 1984, S. 262. Zu dieser pragmatischen Sicht sind auch die Geisteswissenschaften übergegangen. Nach dem sog. linguistic turn wird keine andere Quelle des begrifflichen Seins anerkannt als ihre Sprachverwendung. Vgl. Putnam, Die Bedeutung von „Bedeutung“, 3. Aufl. 2004, 21 ff.; Rorty, Gefangen zwischen Kant und Dewey. Die gegenwärtige Lage der Moralphilosophie, DZPhil 49 (2001) 179, 191; Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27, 77. 3 Lenk, Interpretationskonstrukte, 1993, 351; Grasnick, Argumentation versus Interpretation, JZ 2004, 232, 234. 4 Auf die systematische Differenz des Konzepts der Unwirksamkeit, die beim Vertrag ansetzt und dem der unvollkommenen Verbindlichkeit, die die aus dem Rechtsgeschäft resultierende Forderung modifiziert, weist Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 63 im Zusammenhang mit der Interpretation des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton-Woods zu Recht hin.

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turalis rechtliche Anerkennung fand. Wachgerufen werden ferner Naturzustandsvorstellungen des Rechts, die von der stoisch-idealen Welt über die gewalttätige Natur bis hin zu soziobiologischen Imaginationen über gesellschaftliche Verhaltensbindungen reichen. Am Ende steht die Orientierung an den im BGB verwendeten Sprachbildern bei der Naturalvollstreckung, der Naturalrestitution, der natürlichen Person, dem natürlichen Besitz usf. Das Attribut natural legt danach eine auf sich selbst verweisende Betrachtung nahe. Objekt der Selbstbetrachtung ist die Forderung und ihre Eigenschaften. Damit verbunden ist die reduktive Bedeutung des Attributs natural. Es wird nur auf die natürlichen oder naturalen Eigenschaften der Forderung gesehen. Das meint jene, die mit der spezifischen Beschaffenheit untrennbar verbunden und darum begriffsnotwendig sind. Die Attribution „natural“ kennzeichnet also die Recht-PflichtBeziehung in ihrer Struktur (unter den bedeutungsgleichen Begriffen Obligation, Forderung oder Verbindlichkeit) und die Funktionsweise obligatorischer Rechtsbindung5. Die Forderung muss daher analysiert und von ähnlichen Pflichtformen (Obliegenheiten, Absichtsbindungen, Tatsachenverträge usw.) unterschieden werden. Das führt zu den Strukturmerkmalen der Relationalität, der Bestimmtheit, der unabweisbaren Handlungsanforderung und der materialen Wertung. Wie zu zeigen ist, gehört der Rechtszwang nicht zu den notwendigen Merkmalen. „Natural“ zeigt damit an, dass die akzidentiellen rechtlichen Zwangsbefugnisse als bloß hinzutretende Merkmale hier fehlen.

1. Forderungsrecht und Rechtszwang Die Bedenken gegen die Anerkennung einer Leistungspflicht ohne Rechtszwang lassen sich ausräumen, wenn der Zwang von der Pflicht isoliert werden kann. Eine nicht durchsetzbare Leistungspflicht ermöglicht rechtlich geordnete Handlungsvollzüge. Es sind Pflichten, die „an sich“ auch hätten erzwungen werden können. Sinnvoll ist das, wenn Rechtszwang aus pragmatischen Gründen nicht anzuwenden sein soll, etwa weil die Zwangswirkung im Kontext des betroffenen Sachbereichs nicht gewünscht oder nicht funktional erscheint. Der fehlende Zwang ist danach also nur das gestalterische Element einer Gesetzgebung, die aus unterschiedlichen Gründen auf Erfüllungszwang 5 Auch in diesem Punkt stimmen die Begriffsbedeutungen von Naturalobligation und unvollkommener Verbindlichkeit in historischer Sicht weitgehend überein. Die Unvollkommenheit konnte meinen: Die notwendige Grenze, die nur unter Aufhebung seines Begriffs überschritten werden kann. So in der Lehre des schottischen Scholastikers Johannes Duns Scotus (1266 – 1308), vgl. mit Nachweisen Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Ritter, Gründer, Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1121. Daneben wurde sie von Scotus aber auch als mindere Intensität in der Strebsamkeit nach Vollkommenheit verstanden (ebd.). Siehe dazu unten B. I. 3. a), S. 94.

V. Methoden und Grundlagen

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verzichtet oder diesen missbilligt. Für diese Gestaltung bietet sich die Naturalobligation als Rechtsfigur an. Die Analyse muss sich daher der rechtstheoretischen Grundlagen im Hinblick auf die fehlende Zwangsmacht versichern. Wie entsteht und wie funktioniert eine obligatorische Leistungsverpflichtung? Gibt es ein Modell für die obligatorische Bindung, das ohne Zwangsmacht gedacht werden kann? Wie muss man sich das Verpflichten und Verpflichtetwerden zu einer Leistung in einem naturalistischen Sinne vorstellen und welche Rolle kommt dem Rechtszwang hierbei zu? Werden Pflichten durch die Zuweisung von Zwangsbefugnissen begründet6, oder bilden Zwang und Drohung nur einen besonders starken Handlungsanreiz für den Pflichtigen? Wie lässt sich die Autonomie des Schuldners mit willensbrechenden Zwangsbefugnissen des Gläubigers vereinbaren? Die Selbstbestimmung durch den Willen (stat pro ratione voluntas) 7 und die antizipierte Einwilligung in den nötigenfalls gewaltsamen Zugriff (volenti non fit iniuria) 8 werden als Legitimationsbegründungen für die Zwangsanwendung gegeben9. Nun 6 Das generelle Zwangserfordernis, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 45 ff. u. 64 f. ist später von Kelsen dahin relativert worden, dass eine Ermächtigung zur Vornahme von Sanktionen genügt, vgl. Kelsen, Geltung und Wirksamkeit des Rechts, 1965, abgedruckt in: Jabloner/Zeleny (Hg.), Hans Kelsens stete Aktualität, Wien 2003, S. 5, 15 7 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, S. 6. Gegen den vielfach erhobenen Vorwurf formal libertären Gerechtigkeitsdenkens verteidigt von M. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 25. 8 Ulpian D. 47, 10, 1, 5 a.E. (Ist derjenige, welcher einen Nachteil erleidet, damit einverstanden, so kann er daraus keine Ansprüche herleiten); bei Kant in der Rechtslehre, Staatsrecht, wird die Einwilligung in eine Nachteilszufügung vertragsrechtlich gedeutet und zur Legitimation staatlicher Gewalt gegen den Einzelnen herangezogen, Kant, Metaphysik der Sitten Werkausgabe Band VIII, Weischedel (Hg.),1989, S. 432, (A 166): nie kann Jemandem Unrecht getan werden, „indem, was er über sich selbst beschließt (volenti non fit iniuria)“; vgl. zur zentralen zivilrechtlichen Bedeutung Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts, AcP 200 (2000) 273, 284: Der Grundsatz Volenti non fit iniuria erklärt die Bindungswirkung vertraglicher Versprechen und legitimiert den staatlichen Zwang zur Durchsetzung vertraglicher Verpflichtungen. Bei Ohly, „Volenti non fit iniuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002, S. 204 ff. bleibt die Bedeutung des Grundsatzes für die Dogmatik dagegen offen. Auf der „Nahtstelle von Vertrags- und Deliktsrecht“ anerkennt Ohly die widerrufliche Einwilligung als eigenständige Form einer rechtsgeschäftlichen Handlung ohne Bindung neben dem bindenden Gestattungsvertrag in Fällen unwiderruflicher Einwilligung. 9 Der Leistungswillen wird damit sublim bis in das Erfüllungs- und Vollstreckungsstadium hinein perpetuiert. Die Kritiker halten dies für eine Fiktion, H. Hofmann, Das Recht des Rechts und das Recht der Herrschaft, in: Willoweit (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, 2000, S. 247, 266 (bei gut begründeter Rechtsauffassung des Schuldners ist der Rekurs auf seinen Willen wenig plausibel); F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, Wien 1967, S. 69 (auch der Fortbestand der Bindung müsste vom Willen abhängen). Einen vom Leistungswillen isolierbaren Verpflichtungswillen anerkennt deshalb A. v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1, 1910, 170 Fn. 155. Auch der Verpflichtungswille ist zwar änderbar, dem Schuldner droht in diesem Falle aber ein Selbstwiderspruch: die Änderbarkeit seines Verpflichtungswillens.

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A. Einleitung

fällt bei der Naturalobligation die rechtliche Zwangsmacht des Gläubigers weg. Kann die Figur dennoch auf den genannten zwangslegitimierenden Grundlagen aufbauen und welchen Sinn hat dies? Bietet die bereits im klassischen römischen Recht anzutreffende Vorstellung der Naturalobligation im status irrealis (obligatio per abusionem10) und die Begriffsbildungen als „uneigentliche“ (Windscheid) oder „unechte“ (Jhering) Verbindlichkeit eine Antwort? Lässt sich durch eine Pseudoobligation („eigentlich keine Obligation, aber zu behandeln als ob“) das Paradoxon einer Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis auflösen?

2. Moralische und rechtliche Forderung Der rechtliche Terminus Naturalobligation wie auch jener der unvollkommenen Verbindlichkeit wirft bereits historisch bedingt die Abgrenzungsfrage auf, wodurch sich Rechtsnormen von moralischen Normen unterscheiden. Die unvollkommene Verbindlichkeit hat hierfür einen dogmengeschichtlich bedeutsamen Beitrag geleistet. Entscheidend ist danach, welche Rolle die subjektiven Beweggründe des Schuldners bezogen auf die Erfüllung der Pflicht spielen. Meint Freiwilligkeit bei der Naturalobligation die Erfüllung der Pflicht aus innerer Überzeugung? Handelt es sich um Pflichten zur Handlung aus Achtung vor dem Gesetz? Überschreitet die Naturalobligation also die Grenze von Recht und Moral? Im Hinblick auf eine abweichende Pflichtstruktur sind Selbstverpflichtungen zu erörtern, die der Pflichtige sich selbst auferlegt und deren Einhaltung nur er fordern kann. Die Gewissenspflicht wird derart selbstbezüglich (solitär) begründet gedacht. Sie bietet sich auch als Modell für eine von äußerem Zwang freie Pflichtenstellung an. Vor allem angelsächsische Autoren vertreten ein solches Pflichtkonzept im „forum internum“ und sprechen entsprechend auch von einer moral obligation11. Die Gebundenheit wird in der Introspek10 Gradenwitz, Natur und Sklave bei der naturalis obligatio. Festgabe der juristischen Fakultät zu Königsberg. Königsberg, 1900, (Nachdruck Frankfurt 1970), S. 146. Honsell hält die Bezeichnung naturalis obligatio daher auch für eine contradictio in adiecto, Naturalis obligatio, Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 367; Spengler, Zugleich Person und Sache – vielleicht Arbeitstier oder Unternehmer: Rechtliche Aspekte der römischen Sklaverei. In: Krause (Hg.), GS für Wolfgang Blomeyer, 2003, S. 271, 277; Cornioley, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain, Genf 1964, S. 17 (uneigentliche Verbindlichkeit). 11 Jayme/Ehrenzweig, Private international law: a comparative treatise on American international conflicts law, including the law of admiralty. Special part: obligations (contracts, torts). Bd. 3, Leyden 1977, S. 142 f.; den übersetzten Begriff Moralobligation verwendet Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 500 ff., als Oberbegriff für Naturalobligationen, sittliche Pflichten und Sonderfälle, worunter er zeitweilig unklagbare Ansprüche, verjährte Forderungen und durchsetzbare

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tion wie eine interpersonale Relation konstruiert. Sie beruht auf der Kantischen Trennung zwischen der intelligiblen und der sinnlichen Welt sowie auf der empirischen Beobachtung, dass Menschen sich bisweilen auch selbst (d.h. intrapersonal) Pflichtstellungen auferlegen. Das Schuldrecht stellt indes auf das Rechts„Verhältnis“ und auf das Individuum in einer Sozialbeziehung ab. Eine autark und introspektiv gedachte Person im Selbstverhältnis wird selbst bei der einseitigen Obligationsbegründung, die ohne eine Mitwirkung des Gläubigers erfolgen kann, nicht angenommen (§ 311 Abs. 1 a.E. i.V.m. §§ 82, 397 (str.12), 443, 657, 661 a, 1939 i.V.m. 2147 BGB)13. Die Pflichtenstruktur des Rechts muss interpersonal in einer Außenweltbeziehung gedacht werden. Sie stellt eine bildhafte Verknüpfung zwischen der Handlungsteuerung des Schuldners und dem Interesse des Gläubigers her und führt zu einem an den Gläubiger „gebundenen“ Willen des Schuldners. Diese Bindung kann stärker (obligatorisch) oder schwächer (konsequentialistisch) sein. Auch die nur konsequentualistische Bindung bedeutet eine außerweltliche Interessenverknüpfung zwischen dem Erklärenden und dem Dritten. Dagegen sind solitäre Pflichtbegründungskonzepte, die auf intrapersonalen Bindungen aufbauen und in denen Gläubiger und Schuldner außerweltlich ein und dieselbe Person sind, mit der Dogmatik der schuldrechtlichen Forderung nicht kompatibel14. Wer sich selbst gegenüber die Vornahme einer Handlung verspricht, bekundet einen Vorsatz und gibt eine handlungsbezogene Absichtserklärung ab15. Die Vorstellung eines reinen „Innenrechtsverhältnisses“ steht allein der heute ganz überwiegend abgelehnten wertpapierrechtlichen Kreationstheorie nahe, die die wertpapierrechtliche Verbindlichkeit einseitig im Kreationsakt entstehen lässt16. Die Vorstellung eines aber unklagbare Ansprüche zusammenfasst. Thomas Schelling, Ethics, Law and the Exercise of Self-Command, in: ders., Choice and Consequence, Cambridge 1994, S. 83 – 112, 93 ff. Menschen verhalten sich bisweilen so, als ob zwei oder mehrere „Selbste“ alternierend die Oberhand hätten. 12 Für einen einseitigen Verzicht Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, 2004, S. 379. 13 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 Rn. 1. Als dogmatisch überholt gelten die auf der Kreationstheorie aufbauenden und noch vom BGB-Gesetzgeber als einseitige Rechtsgeschäfte anerkannte Annahme der Anweisung gem. § 784 BGB sowie die Inhaberschuldverschreibung gem. § 793 BGB; vgl. MünchKomm/Hüffer, BGB, 4. Aufl. 2004, § 784 Rn. 2 und § 793 Rn. 2. Enger Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 15, der § 657 BGB als einzige Ausnahme von § 311 BGB anerkennt. Art. 2:107 PECL ermöglicht hingegen ein nur einseitiges Versprechen. Eine Sonderstellung nehmen das Forderungsrecht des Dritten beim Vertrag zu Gunsten Dritter, § 328 BGB sowie die Bindung an den Vertragsantrag ein, § 145 Hs. 1 BGB. 14 Eine Ausnahme bildet außer der bereits genannten Gewissensbindung die sog. Verzeihung. Sie ist ein rein innerer Vorgang, wenngleich auf eine Außenweltbeziehung bezogen, §§ 532, 2337, 2343 BGB. Vgl. BGH v. 5.7.1984, BGHZ 91, 273 280. 15 Von der Pfordten, Normativer Individualismus und das Recht, JZ 2005, 1069, 1079. Die notwendige Fremdbeziehung zeigt sich im (auch) fremden Geschäft und in der Dichotomie von Fremd- und Eigengeschäftsführung bei der GoA (§§ 677, 687 BGB). 16 MünchKomm/Hüffer, BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 793 Rn. 24 f.

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A. Einleitung

Schuldverhältnisses in der eigenen Person ist ferner bei der Eigentümerhypothek wirksam, die sich jedoch prinzipiell in eine Eigentümergrundschuld umwandelt (§ 1177 Abs. 1 BGB). Im Übrigen sind Selbstpaternalisierungen, bei denen der Schuldner nur sich selbst treu bleiben muss, äußerlich entweder dualistisch als Verträge angelegt (Spielsperrverträge17, Behandlungsverträge mit psychisch Kranken: sog. „Ulysses Contracts“, einseitige Aufhebbarkeit gewillkürter Formerfordernisse18)19 oder es handelt sich um einseitige Erklärungen, die keine obligatorische, sondern nur eine konsequentialistische Bindung hervorrufen. Eine Bindung aus intrapersonal wirksamen Selbstbestimmungsakten erlangt bei Erklärungen wie etwa der Patientenverfügung („Patiententestament“) Bedeutung, die ohne eine außerweltliche Interessenverknüpfung entsteht. Die Naturalobligation muss sich rechtstheoretisch überdies abgrenzen lassen gegenüber sog. supererogatorischen Handlungen, wie sie vornehmlich im Bereich der philosophischen Ethik diskutiert werden. Neben die geschuldete obligatorische Pflichthandlung tritt die gute und angeratene sowie die weniger gute und abgeratene Handlung. Gestellt wird damit die Frage nach dem deontologischen Status derjenigen Handlungen, die weder geboten noch verboten sind, die wir aber auch nicht einfach als indifferente bloß erlaubte Handlungen bezeichnen wollen 20. Unterhalb der Schwelle des Notwendigen steht das Ratsame (Freundlichkeit, Anstandsregeln aus sozialer Konvention) 21. Die rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers, eine Forderung zwar anzuerkennen, sie aber nicht mit rechtlichen Zwangsmitteln zu bewehren, könnte für eine solche Deutung sprechen. Die freiwillige Erfüllung des Schuldners würde dann eine supererogatorische Pflichthandlung bedeuten. Die Naturalobligation bekäme damit einen anderen Pflichtenstatus. Ihre Befolgung bliebe der wertenden Beurteilung des Pflichtigen anheim gestellt 22. Vermeiden ließe sich damit 17 BGH v. 15.12.2005 NJW 2006, 362 bejaht einen Vertrag mit obligatorischer Leistungspflicht, zust. Schimmel, Der Schutz des Spielers vor sich selbst, NJW 2006, 958; im Ergebnis auch Wagner-von Papp JZ 2006, 470, 473 anders noch BGH NJW 1996, 248; für eine bereicherungsrechtliche Lösung G. Schulze, Verträge zum Schutz gegen sich selbst, in: Mansel u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, 1577, 1580 ff. 18 Dazu eingehend Wagner-von Papp, Die privatautonome Beschränkung der Privatautonomie, AcP 205 (2005) 342, 345 ff. 19 Thomas Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 27: „Selbstbindung in der Form der Begründung einer durchsetzbaren vertraglichen Verpflichtung gegen sich selbst ist dem Recht jedoch fremd. … Das deutsche Recht verfolgt nicht das konsequentialistische Konzept, die langfristige Bindung temporal akkumuliert zu Lasten der Spielräume je gegenwärtiger freiwilliger Selbstbindung zu schützen“. 20 Hruschka, Das deontologische Sechseck in der Jurisprudenz, in: Krause (Hg.), GS für Wolfgang Blomeyer. 2003, S. 775, 788; Joerden, Logik im Recht, 2005, S. 217. 21 Köhl, Praktische Notwendigkeiten und moralisches Verpflichtetsein, PhilJhrb 110 (2003) 1, 8. 22 Eine solche Freiheit in der Pflichtbefolgung nach guten Gründen lag möglicherweise

V. Methoden und Grundlagen

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das sanktionslose Unrecht, das im obligatorischen Schuldmodell mit der Entwaffnung des Gläubigers droht. Der Gesetzgeber ist diesen Weg, wie § 814 Hs. 2 BGB belegt, aber offenbar nicht gegangen 23.

3. Die Pflichtstruktur der obligatorischen Forderung Die im Begriff der Naturalobligation eingeschlossene coincidentia oppositorum von Sitte und Recht hat im deutschen Schrifttum verbreitet zu der Empfehlung geführt, den Begriff ganz aufzugeben und stattdessen die jeweils aufgeworfenen Sachprobleme gesondert und ohne systematische Verklammerung zu lösen 24. Hintergrund dieser Kritik dürften die Schwierigkeiten der Zuordnung der Naturalobligation sein. Ist sie „innerhalb“ oder „außerhalb“ des Rechts anzusiedeln? Wie sind die Rechtbegriffe „sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht“ zu verstehen und praktisch anzuwenden? Um diese Fragen klären zu können, muss zunächst die grundlegende Pflichtstruktur des obligatorischen Rechts bestimmt werden. Ein naturalistisches Bild von Struktur und Funktionsweise der Forderung ist heute allenfalls noch in der Vorstellung der vincula iuris, also der eines gefesselten Schuldners bekannt. Die Obligation wird als Selbstverständlichkeit und institutionell überformt keiner Erklärung mehr für bedürftig gehalten 25. Das verlangt eine neuerliche Bestandsaufnahme26. Die Lehre greift weithin auf die bereits der Pflicht zum Erweis eines beneficium im römischen Recht zugrunde. Häufig wird allerdings zu Unrecht diese schwache Pflicht als ein Kennzeichen von ethischen Pflichten überhaupt eingestuft. So etwa Nörr, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: In: Schermaier; Vegh (Hg.): Ars boni et aequi. FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267, 279. Gerade die ethische Pflicht ist jedenfalls seit Kant kategorisch, d.h. unbedingt und unabweisbar. 23 In der heutigen Rechtsdogmatik werden supererogatorische Pflichtformen (angeratene und abgeratene Verhaltensweisen, Verdienstlichkeit) nicht anerkannt. Dies gilt auch für die hierfür am ehesten in Betracht kommende „Anstandsrücksicht“ als schwächere Pflichtform (etwa in § 814 Hs. 2 BGB). Ein Unterschied in der Pflichtstruktur gegenüber der sittlichen Pflicht lässt sich nicht feststellen. Vgl. unten C. III. 2. b) cc), S. 390 ff. u. C. IV. 3, S. 455 ff. In Betracht kämen supererogatorische Pflichthandlungen aber etwa für die rechtliche Erfassung von arbeitsrechtlichen Zielvereinbarungen, die mit Bonussystemen gekoppelt sind. Die verdienstvolle Mehrleistung ist nicht geschuldet, sondern nur angeraten und mit Verdienst verbunden.. Zu den Schwierigkeiten einer Ableitung aus dem Direktionsrecht vgl. Hümerich, Zielvereinbarungen in der Praxis, NJW 2006, 2294 ff. 24 Etwa Staudinger/J. Schmidt, 13. Bearb. 1995, Einl. zu §§ 241 ff Rn. 289 ff. 25 Vgl. Armin Ehrenzweig/Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Band I/1, Allgemeiner Teil, Wien 1951, § 41 S. 135: „Die durch Rechtsnormen bestimmte obligatorische Pflicht über das, was einer soll“. 26 Einen naturalistischen Verpflichtungsansatz fordert J. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 1985, S. 111; ähnlich J. Köndgen, nach dem das Spezifikum des Schuldvertrages, die Erzeugung normativer Verhaltenserwartungen durch Selbstbindung des Versprechenden, dem Systematisierungs- und Abstraktionsbedürfnis des 19. Jahrhunderts geopfert worden sei. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 90. Die Naturalobligation

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A. Einleitung

Entstehungsgründe der Obligation, Gesetz und Vertrag (§ 311 BGB), zurück, anstatt für die Obligation selbst ein Erklärungsmodell zu entwickeln 27. Aber auch beim Vertrag gehen die Vorstellungen über die Entstehung der Bindung über die Parömie „pacta sunt servanda“ meist nicht hinaus. Als Modellvorstellungen der Vertragsbindung lassen sich unterscheiden: Das römische Stipulationsmodell (stipulatio und contractum), das ältere Vertragsmodell auf Grundlage ausgetauschter Versprechen (translative Versprechensübertragung), das jüngere Vertragsmodell auf der römisch-rechtlichen Grundlage des Konsenses (vereinigte Willen) und das reine Versprechensmodell (Pollizitation 28 und Konsequenzialismus29). Daneben haben sich andere Selbstbindungsformen in der Praxis als „Absichtsbindungen“ etabliert (etwa der Letter of Intent, die Haftung bei grundlosem Abbruch von Vertragsverhandlungen, die Bindung aus widersprüchlichem Verhalten, d.i. das Verbot des venire contra factum proprium). Diese schwachen Bindungsformen beruhen auf einer konsequentialistischen Bindungsstruktur und konkurrieren mit dem Konzept der Vertrauenshaftung 30. Handlungsbezogen geht es um die dogmatisch nur schwer fassbaren vertrauensbegründenden „facta propria“ (meist geschäftsähnliche Handlungen), die den späteren rechtsgeschäftlichen Handlungsspielraum (das „venire“) normativ verengt haben. In den Worten moderner Handlungs- und Kommunikationstheorien31 entsteht die obligatorische Rechtsbindung durch die Umwandlung fremder in eigene Handlungsgründe. Die Umwandlung geschieht durch individuelle persönliche Anerkennung. Aus der Anerkennung eines Leistungsbefehls in Bezug auf eigenes Handeln resultiert der eigene Handlungsgrund. Er beschränkt sich inhaltlich auf die Befolgung des Befehls und die Verfolgung des fremden Leistungswürde damit nicht lediglich ein Beleg für die im Schuldrecht angelegte Trennung von Recht und Zwang sein, so Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht. Zur funktionellen Bedeutung des § 241 S. 1 BGB, JR 1996, 492, 494. 27 Vgl. Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem. JuS 1992, 537, 541 Die verbindlich machende Wirkung des Schuldvertrages lasse sich nicht allein dadurch erklären, dass beide Vertragsschließenden – je für sich – die schuldvertraglichen Rechtswirkungen wollen. Ein einheitliches Bild bei der Lösung dieser tiefgründigen Problematik habe sich noch nicht ergeben. 28 R. Zimmermann, Vertrag und Versprechen. Deutsches Recht und Principles of European Contract Law im Vergleich. In: St. Lorenz (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 467, 472. 29 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981. 30 BGH v. 22.2.1989 WM 1989, 685 (Schadensersatz bei schuldlosem Abbruch von Vertragsverhandlungen); Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In: Canaris/Heldrich (Hg.): 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, 2000, S. 129, 171; dagegen erklärt Köndgen diese Fälle im Modell eines rechtssoziologischen Konsequentialismus, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 1 Fn. 1, 10 und 106. 31 Peter Baumann, Handlung, Willensbildung und Macht, Conceptus, XXVIII (1995) 21–42; zuletzt Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27–83.

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interesses unter Ausschluss je eigener entgegenstehender Handlungsgründe. Ein rationalistisches Bindungsmodell durch Manipulation der eigenen Präferenzordnung kann der Forderung zugrunde gelegt werden. Es beruht auf der Annahme, dass die gewillkürte Festlegung einer Rangfolge von Handlungsoptionen möglich ist32. Die Befolgung des Forderungsbefehls ist Ausdruck autonomer Selbstbestimmung des Schuldners, nicht aber heteronomer Gläubigermacht. Den fremden Befehl hat der Schuldner als für sich maßgeblich anerkannt und muss ihn deshalb befolgen. Die Erfüllung der Rechtspflicht ist eine vernünftige Entscheidung. In diesem – bereits in der römisch-rechtlichen stipulatio angelegten – Verpflichtungsmodell lässt sich auch ein Recht des Gläubigers auf eine obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners33 begründen. Bereits Kant hat dem Gläubiger nur eine Einwirkungsbefugnis auf die „Kausalität des Schuldners“ gegeben und ist an dieser Stelle möglicherweise missverstanden worden 34. Die von v. Savigny rezipierte Auffassung eines Herrschaftsrechts über den in der Leistungshandlung vergegenständlichten Schuldnerwillen führt zu einer Autonomieverletzung des Schuldners, die Kant nicht gebilligt haben würde. Der Gläubiger darf (nur) auf den Willen des Schuldners einwirken und ihn zur Leistung anhalten 35. Der Schuldner muss die Leistung erbringen, weil er im Versprechen den Leistungsbefehl anerkannt und sich zu eigen gemacht hat 36. Die durch Anerkennung eines Befehls bewirkte Homologisierung normativer Willensinhalte macht den Schuldner rechtlich wehrlos. Er vermag der Einwirkung auf seinen Willen grundsätzlich nichts mehr aus eigenem Recht entgegenzusetzen. Damit wird der Gedanke des Rechtszwangs aus der Perspektive des Schuldners auf die primäre kommunikative Ebene rechtlicher Auseinandersetzung übertragen. Nicht erst die Wehrlosigkeit gegenüber vollstreckenden Rechtsakten des Gläubigers37, sondern bereits die Wehrlosigkeit gegenüber kommunikativ eingeforderten Leistungsvollzügen kennzeichnet die Perspektive des Schuldners. Die Aufforderung zur Leistung ist die primäre Form der Einwirkung auf den Schuldner. An die Kommunikationsfunktion des obligatorischen Forderungsrechts schließen sich die weitergehenden Zwangsbefugnisse nur an. 32 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 21; Raz, The Moralty of Freedom, Oxford 1986, S. 340 ff. 33 Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, Wien 1967, S. 152, 154 ff. 34 Siehe dazu mit Nachweisen unten B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 127. 35 Darin liegt das subjektive Recht. Koziol, (oben Fn. 33) S. 156 weist zu Recht darauf hin, dass der zentrale Anknüpfungspunkt der Leistungspflicht der Wille des Schuldners ist, was sich insbesondere auch in § 888 ZPO und § 354 Abs. 1 der österr. Exekutionsordnung (EO) zeige. Ebenso kommt im „Leistensollen des Schuldners“ bei Gustav Hartmann, Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau, 1875, S. 117 der Schuldnerwille zum Ausdruck. 36 In Abwandlung der bekannten Kurzbeschreibungen der Schuldnerpflicht lässt sich dahin formulieren: Der Schuldner soll, weil er will, was der Gläubiger will (zum analytischen Sollen näher unten C. III. 1. b) cc) (4), S. 330 f. und C. III. 1. c) cc) (1) S. 362 ff. 37 So Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 3, S. 66.

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VI. Gang der Untersuchung Die Arbeit beginnt in Teil B mit der Entstehung der obligatio naturalis im klassischen römischen Recht und beschreibt die Weiterentwicklung und Ausdehnung des Begriffes bis in die justinianische Zeit hinein (B. I. 1). Damit verbunden ist der geistesgeschichtliche Hintergrund, die Rezeption stoischer Lehren in der sabinianischen Rechtsschule und die römisch-rechtliche Rechtsquellenlehre des ius naturale. Nach einem Blick in das germanische Recht der Verwillkürung und der frühen Rezeption des römischen Rechts (B. I. 2) ist die zweite große historische Entwicklungslinie mit dem aufgeklärten Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts zu betrachten (B. I. 3). Die unvollkommene Verbindlichkeit leitet sich aus dem Vollkommenheitsideal des Naturrechts und der kanonischen Rechtsquellenlehre her. Die Übertragung des Vollkommenheitsgedankens in den Bereich des positiven Rechts ist verschlungen und gibt Anlass zu Missverständnissen. Die Rezeption der naturalis obligatio im gemeinen Recht und im BGB sowie der heutige Meinungsstand führen zu der Frage, ob Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit sachlich zu trennende Rechtsfiguren und Begrifflichkeiten sind (B. I. 4 u. 5). Bereits die rechtsvergleichende Umschau (B. II.) spricht gegen eine Differenzierung. Sodann wird in Teil C die Hauptthese der Arbeit entwickelt und die Begriffsgeschichte abgeschlossen (C. I. u. II). Zur Absicherung der Thesen und der Rede von einer „naturalen“ Leistungspflicht, folgen rechtstheoretische Erörterungen über die Möglichkeit eines subjektiven Rechts ohne Zwangsbefugnis. Danach bedarf die obligatorische Pflichtenstruktur der Präzisierung, weil ein zwangloses Forderungsrecht auf einer klaren Modellvorstellung über die Entstehung und Wirkung von Rechtsbindung aufbauen muss. Vorgeschlagen wird ein rationalistisches Modell auf der Grundlage der römisch-rechtlichen stipulatio (C. III.1 u. 2). Die Abgrenzung gegenüber der moralischen Forderung und die Erörterung der Frage nach der Integration „außerrechtlicher Pflichten“ im positiven Recht über die „sittliche Pflicht“ (§ 814 Hs. 2 BGB) schließen sich an. Danach werden zivilprozessuale Aspekte erörtert und rechtspolitische Überlegungen über die Funktionalität von Naturalobligationen als gesetzgeberisches Steuerungsmittel und als rechtsgeschäftliches Instrument angestellt (C. III. 3.). Im rechtsdogmatischen Teil C. IV. der Arbeit geht es darum, die Forderung ohne Zwangsbewehrung als Bündel subjektiver Rechtspositionen auszuweisen, wobei die Zwangs- und Sicherungsbefugnisse entfallen. Der Gläubiger besitzt

VI. Gang der Untersuchung

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einen materiell-rechtlichen Anspruch ohne einseitige Durchsetzungsmacht. Der Schuldner erfüllt aus rechtlicher Sicht freiwillig. Die bereicherungsrechtliche Einordnung der Naturalobligation (Rechtsgrund, Rückforderungsausschluss, Rechtsirrtum) und die Formen und Vorkommen solcher atypischen Leistungspflichtverhältnisse werden vorgestellt. Sodann erfolgen Abgrenzungen gegenüber ähnlichen Rechtsfiguren, wie der Obliegenheit, dem Konzept der Heilung formfehlerhafter Rechtsgeschäfte, den Schwebezuständen der (Un-) Wirksamkeit, unverbindlichen Handlungsformen und rechtlichen Bindungswirkungen aus Tatsachen (Tatsachenvergleich, tatsächliche Verständigung). Die Lehre von Schuld und Haftung, die Bedeutung des Merkmals Klagbarkeit und die sog. klaglosen Ansprüche führen zu der dogmatischen Auseinandersetzung über den Anspruchsbegriff und das Verhältnis von Forderung und Anspruch. Das Paradoxon einer Forderung ohne Verbindlichkeit bei Spiel, Wette und Verlöbnis wird in eine Verbindlichkeit ohne Zwangsmittel überführt. Der Normzweck der einzelnen Naturalobligationen und die Frage nach der Zulässigkeit rechtsgeschäftlich begründeter Naturalobligationen führen im Teil C. V. zum Gentlemen’s Agreement. Die Naturalobligation bildet den Grenzpunkt zulässiger privatautonomer Gestaltung im Hinblick auf anzuerkennende Leistungsversprechen im Rechtsgeschäftsverkehr. Die Erörterung prozessrechtlicher Fragen zur Justiziabilität (C. VI.) führen zum Schluss der Arbeit (D.).

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B. Historischer Teil

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I. Rechtshistorische Entstehung und Entwicklung 1. Die obligatio naturalis im Römischen Recht1 a) Grundlagen der obligatio naturalis Die obligatio ist sehr viel älter als die Komposita obligatio naturalis und obligatio civilis. Für das Verständnis der Naturalobligation und ihr Verhältnis zur Zivilobligation ist der Begriff der obligatio als Ausdruck rechtlicher Gebundenheit von grundlegender Bedeutung 2. aa) Die obligatio als rechtliche Grundfigur personaler Bindung Die obligatio (lat. ligare: binden) entwickelte sich aus dem Deliktsrecht 3. In Fällen von Privatunrecht (iniuria in der Kategorie der delicta privata4) erhielt der Verletzte das Recht, den Täter zu binden, d.h. zu fesseln, um an ihm Vergeltung zu üben. Jener dagegen bekam bereits in altrömischer Zeit die Befugnis, sich 1 Text und Übersetzung der zitierten Digestenstellen bis Buch 27 stammen aus Behrends/ Knütel/Kupisch/Seiler, Corpus Iuris Civilis, Bde II – IV, 1995 – 2005 im übrigen aus Otto/ Schilling/Sintenis, Das Corpus Iuris Civilis in’s Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter, Bde I. – IV., Nachdruck 1984. 2 Weitgehend ausgeblendet bleiben hier die sozialpolitischen, ökonomischen und moralphilosophischen Deutungen der rechtshistorischen Überlieferung des Obligationenbegriffs. Diesen Fragen und der neuzeitlichen Rezeptionsgeschichte widmet sich Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 256 ff. 3 So etwa Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, S. 131 ff.; dagegen wendet Behrends ein, dass der Aufschub der Fälligkeit innerhalb der Obligation das Produkt einer sehr alten Geschäftsform, der sponsio-stipulatio sei, während für das Delikt die sofortige Unterworfenheit unter die Rechtsfolge urwüchsig sei (fur semper in mora), vgl. Behrends, Das Vindikationsmodell als „grundrechtliches“ System der ältesten römischen Siedlungsorganisation. Zugleich ein Beitrag zu den ältesten Grundlagen des römischen Personen-, Sachen- und Obligationenrechts. In: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Symposion Franz Wieacker, 1991, S. 1, 44. An der ursprünglich deliktischen Grundlage der obligatio hält im Grundsatz fest Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 2 u. 11, S. 197 f. u. 200 (nicht weniger wahrscheinlich als eine Entwicklung der obligatio aus dem förmlichen Leistungsversprechen der sponsio-stipulatio). Der deliktische Ursprung der „obligatio“ wird heute allenthalben rezipiert, etwa bei Imhof, Obligation und subjektives Recht, Basel 2003, S. 9 f.; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 20 u. 22 f. 4 Im Unterschied zu den Straftaten gegen die Allgemeinheit (crimina publica), vgl. Kaser,

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B. Historischer Teil

durch eine entsprechende Geldzahlung von der Bindung zu lösen 5. Die Zahlung des Lösegeldes ist Sühneleistung und Mittel zur Abwehr körperlicher oder sachlicher Haftung6. Ökonomisch betrachtet kauft der Schuldner seinem Gläubiger die Schuldhaft und die Gewaltbefugnis ab. In der aufkommenden Geldwirtschaft wird damit das deliktische Sühneverfahren rationalisiert und zu einem Geldgeschäft entwickelt7. Als Haftungsgeschäft könnte es dann auch zur Sicherung stipulierter Leistungsversprechen eingesetzt worden sein. Für den Perspektivenwechsel durch die Verknüpfung des Versprechens mit der Lösegeldzahlung kommen zwei Erklärungsansätze in Betracht. Das Versprechen konnte die Funktion des Delikts übernommen haben, so dass die Bindung (obligatio) unmittelbar aus dem Versprechensakt entstand. Die Erfüllungsleistung entspricht dann funktional der Lösegeldzahlung und befreit den Schuldner von seiner Versprechensbindung, bzw. von dem obligatorischen Band, das die Einhaltung des Versprechens sichert. Dieser dem heutigen Gedanken der Selbstbindung durch Vertragsversprechen verwandten Sichtweise steht die weniger abstrakte Vorstellung gegenüber, man habe im Versprechensbruch ein Delikt gesehen8. Danach führt erst die Nichterfüllung des Versprechens zur Bindung. Die Geldzahlung löst das Band aus dem Unrecht des Vertragsbruches. Im Haftungsgeschäft wird vereinbart, dass für den Fall der Nichterfüllung die Zugriffsgewalt durch eine bestimmte Geldzahlung abgelöst werden kann. Die Zahlung entspricht in heutiger Vorstellung einer sekundären Einstandspflicht und der Ersatzleistung für die ausgebliebene Leistung. Die obligatio beschreibt danach nicht die Versprechensbindung, die rechtlich nicht eigenständig erfasst wird9, sondern die ersatzrechtliche Folge aus dem Versprechensbruch: das

Der Privatrechtsakt in der römischen Rechtsquellenlehre, in: Behrends, u.a. (Hg.), FS für Franz Wieacker, 1978, S. 90, 95 ff. 5 Grundlage ist Tafel III 1 – 3 des Zwölftafelgesetzes, wonach bei gerichtlich entschiedenen Fällen eingestandener Geldschuld dreißig Tage Rückzahlungsfrist gewährt wurden, Text mit Übersetzung bei Flach/Flach, Das Zwölftafelgesetz, S. 70. 6 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 3 u. 9, S. 198 u. 200. 7 Die rationalisierende Verwandlung einer Sühneleistung in ein Geldgeschäft und die Ablösung grausamer Rechtspraktiken durch eine Ökonomisierung der Schulden hielt Max Weber für den Motor eines anethischen antiken Kapitalismus, Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Aufl., 1972, Rechtssoziologie § 5, S. 472. 8 Die Frage, ob es im römischen Recht bereits eine Versprechensbindung bzw. Leistungspflicht gegeben hat, wird für die ursprüngliche Form der obligatio gemeinhin verneint. Die Ablösung der Zugriffsgewalt durch Geldzahlung ist eine bedingt entstehende Last für den Versprechenden; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 20, S. 202. 9 Das Versprechen ist in dieser Vorstellung Teil des Verletzungstatbestandes und damit Voraussetzung für die Entstehung der obligatio. Die Bindungswirkung ist nur eine Frage der Projektion. Sie wird im Vertragsbruchmodell retrospektiv auf den Versprechenstatbestand projeziert. Diese Verbindungslinie könnte dafür sprechen, dass sich die stipulatio aus der obligatio entwickelt haben könnte, vgl. dazu nachfolgend im Text und Fn. 15.

I.1. Römisches Recht

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Haftungsverhältnis10. Welche modellhafte Vorstellung richtig, entwicklungsgeschichtlich früher und wahrscheinlicher ist, kann und muss hier dahinstehen. Ebenso sind die aus dem altrömischen Schuldrecht gezogenen Schlüsse für die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts nicht zu verfolgen11. Der in der Mitte des 19. Jahrhunderts geführte Streit über die Frage, ob aus dem subjektiven Forderungsrecht eine Herrschaft des Gläubigers über den Schuldner folgt, nimmt an dieser Stelle ihren Ausgangspunkt12. Alois Brinz hatte gegen Friedrich Carl v. Savigny die obligatio als Ausdruck eines bloßen Haftungsverhältnisses hervorgehoben und damit die Vorstellung zurückgewiesen, der Gläubiger erwerbe durch das Vertragsversprechen ein Stück Freiheit des Schuldners13. Die Folgen dieses Streits sind bis heute in der Lehre von Schuld und Haftung präsent14, wenngleich ihr Ursprung selten explizit erwähnt wird. Nach beiden Modellannahmen jedenfalls konnte eine Person zur Erbringung einer Leistung „gebunden werden“ und das obligatorische Band auch instrumentell einsetzen.

10 Grundsätzlich und beispielhaft Hägerström, Recht, Pflicht und bindende Kraft des Vertrages, in: Olivecrona (Hg,), Sonderveröffentlichung des 1941 (posthum) veröffentlichten 1. Teils des 2. Bdes „Der römische Obligationenbegriff“, Uppsala 1965, S. 129: „Da das Bindende nichts anderes als die Unterwerfung ist, hat man auch die Mystik übersehen, von welcher der römische Obligationsbegriff durchdrungen ist, und [hat] fälschlich das rechtliche obligare mit verpflichten übersetzt. Die moralische Verpflichtung erzeugte nach römischer Anschauung keine Macht über die Person des Verpflichteten. Die bloße Abmachung – pactum conventum – schenkt keine civilis actio.“ 11 Zur Disputation im 19. Jahrhundert über das ursprüngliche altrechtliche römische Schuldrecht vgl. etwa Josef Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, I. Buch, Abschnitt 1, 2. Aufl. 1919, S. 9 ff. und mit der Deutung als Delikt, ebd. S. 45. Sie haben auch als Grundlage für einen rechtsethischen Nihilismus gedient, vgl. zum urwüchsigen Rache und Sühnegedanken bei Friedrich Nietzsche und Max Weber eingehend Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, 273 ff. und 299 ff. 12 Wagner, Rudolph von Jherings Theorie des subjektiven Rechts und der berechtigten Reflexwirkungen, AcP 1993, S. 319, 324; ferner Lehmann, Sachherrschaft und Sozialbindung?, Ein Beitrag zu Gegenwart und Geschichte des zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs, 2004, S. 205; zum Streit über das Ursprungsverhältnis obligatio oder nexum, vgl. auch Hartung, vorherige Fn., S. 259 ff. 13 v. Savigny, Obligationenrecht, Bd. 1, 1851, S. 4: „Obligation ist die Herrschaft über die Handlung einer fremden Person.“. Dagegen sieht Alois Brinz in der Schuld die Grundlage der Obligation allerdings nicht bloß als passives Geschuldetsein, sondern als „das Recht auf Macht“, Brinz, Besprechung von: Friedrich Carl v. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851. KritBl Nr. 3, (1853) S. 9 f. Vgl. dazu im Einzelnen B. I. 4. a) und b), S. 144 ff. sowie zur Lehre von Schuld und Haftung, B. I. 4. f), S. 156 ff. 14 Vgl. Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung. In: Coing/Wilhelm (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, 1982, S. 21, 30.

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Die sich mit der obligatio entwickelnde stipulatio15 ist frühgeschichtlich ein eidliches Versprechen, das die Bindungswirkung ursprünglich aus der Sakrationsfolge zog, also daraus, dass derjenige, der sein Versprechen brach, der Schwurgottheit verfiel und friedlos wurde. Diese sakralrechtliche Sanktion wurde aber schon früh von der privatrechtlichen Verfolgbarkeit verdrängt, die bereits in den Zwölftafeln aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. zugrundegelegt ist16. Die ebenfalls bereits zu dieser Zeit bekannte sponsio-stipulatio gilt neben dem nexum17 als die älteste Form des Schuldvertrages. bb) Virtualisierung physischer Bindung und Verrechtlichung der vincula iuris Die Institutionen des Gaius (um 160 n. Chr.) sollen das zeitlich früheste Zeugnis für den Terminus obligatio als rechtliche Verpflichtung sein18. Ungeachtet der verschiedenen Obligierungsgründe und Formen wandelt sich die physische Bindung des gefesselten Schuldners entwicklungsgeschichtlich also offenbar in eine an den Geschäftstatbestand, etwa die stipulatio, gekoppelte virtualisierte Bindung um. Auch diese Entwicklung wird unterschiedlich erklärt. (1) Obligatorische Bindung als Reflex aus der Zwangsdrohung Eine Leistungspflicht, die wir heute als materiell-rechtliche Bindung anerkennen, entstand danach möglicherweise nur reflexhaft aus der Verknüpfung eines Geschäftstatbestandes mit der Drohung physischer Bindung im Sinne einer personalen Verknechtungsform19, also mit der Gewalt- oder Zwangsdrohung. Die Ausbildung der Prozessmöglichkeit zur Realisierung der physischen Bindung ist 15

Behrends hält die Ableitung rechtsgeschäftlicher Bindung aus einem deliktischen Selbsthilfekonzept für unrichtig und geht davon aus, dass die sponsio-stipulatio als „Mutterfigur des Vertragsrechts“ anzusehen ist, (oben Fn. 3), S. 1, 46; vermittelnd Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 2: Die Entwicklung der obligatio aus der sponsio-stipulatio als dem direkten Leistungsversprechen ist nicht weniger wahrscheinlich als ein deliktischer Ursprung. 16 Kaser, Das römische Privatrecht, I, 2. Aufl. 1971, S. 168 f.; Knütel, Verlöbnis einst und heute, in: Mansel, u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, S. 1487. 17 Das nexum als schuldvertragliche Gestaltung hält Behrends ebenso für eine Fehldeutung, vgl. oben Fn. 3, S. 1, 44 u. 46; zum nexum dagegen Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 39 Rn. 1 u. 2, S. 243. 18 Dumont, Obligatio in: Mélanges Philippe Meylan, 1963, I, 77, 85 ff. Einordnung der obligatio unter die res incorporales (Gai 2, 14) und die summa divisio in vel contractu vel delicto (Gai 3, 88). A.A. Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht. Zur funktionellen Bedeutung des § 241 S. 1 BGB, JR 1996, 492, 493: „Obligatio wurde als Begriff erst durch die Institutionen Justinians in die Rechtsliteratur eingeführt (Inst. 3, 13; Paulus D. 44, 7, 3 pr.).“ 19 Unterwerfung unter die Hausgewalt (manus) des Gläubigers; Behrends, oben Fn. 3, S. 1, 47.

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eine entscheidende Vorbedingung für diese vergeistigte Gestalt der obligatio20. Die Furcht vor gerichtlichem Zwang wird hier als Bindungsmoment verstanden. Die obligatio ist danach eine hauptsächlich psychologisch bestimmte Handlungssteuerung. Einer pragmatisch denkenden Rechtsanschauung könnte dies durchaus genügen. (2) Obligatorische Bindung aus Treueversprechen (Wette) Behrends hält die Annahme eines aus der drohenden physischen Bindung folgenden Reflexes für zu unterbestimmt, um die obligatorische Bindung zu erklären. Er geht deshalb von der Wette als ursprünglicher Form der Schuld aus. Der Schuldner konnte sich durch ein Persönlichkeitszeichen (festuca) selbst zum Wetteinsatz für die abgegebene Leistungszusage machen. Der Einsatz der eigenen Person erklärt die „Treue“ als eine Form der Selbstbindung. Sie soll aus dem fidem facere per festucam entstanden sein 21. Inwiefern für diese Deutung der Schuld eine Treubindung oder religiös sakrale Vorstellungen wirksam waren, kann hier nicht verfolgt werden. Die sponsio-stipulatio hatte ursprünglich unbestritten sakrale Grundlagen 22. Desgleichen kann der Frage nicht nachgegangen werden, ob mit der obligatio statt einer geistig ideellen Bindung (Treue) nur ein (reales) Haftungsverhältnis gemeint war, wie es die Lehre von Schuld und Haftung als Ausgangspunkt ihrer dogmatischen Überlegungen annimmt 23. Nach Auffassung von Falcone soll der Unterschied zwischen der rechtlichen obligatio und dem außerrechtlichen officium bei Gaius im prozessualen Schutz gelegen haben 24. Das impliziert eine Gebundenheit unabhängig von Prozess- und Zwangsdrohung, weil der prozessuale Schutz nur ein Zusatz ist. Diese These lässt aber offen, worauf die Bindungsvorstellung der obligatio inhaltlich beruht25. 20 Kupisch, Zum Rechtsgrund i.S. des § 812 BGB bei Erfüllung. Eine rechtsdogmatische und rechtsgeschichtliche Untersuchung, NJW 1985, 2370, 2375. 21 Vgl. auch unter Hinweis auf die parallele germanische Geiselbürgschaft Behrends, oben Fn. 3, S. 1, 50 f.; dazu unten B. I. 2. a) cc), S. 87. Zur besonderen Bedeutung der Treue im römischen Vertragsrecht, etwa bei Ulpian vgl. Schiavone, Ius. L’invenzione del diritto in Occidente, Turin 2005, S. 374 ff. 22 Beide Sichtweisen schließen einander nicht aus, sofern dem Versprechensempfänger aus dem Geschäft bereits der Haftungszugriff für den Fall der Nichtleistung zugestanden hat. Genau dies aber verneinen Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 11, S. 200. Die Wette als Grundstruktur der frühen Formen des Streitverfahrens werden allgemein anerkannt, vgl. Kurylowicz, Das Glücksspiel im römischen Recht, SavZRom 102 (1985) 185, 189 ff. m.w.N. 23 Vgl. näher B. I. 4. a) und b), S. 144 ff. sowie zur Lehre von Schuld und Haftung, B. I. 4. f), S. 156 ff. Zur Bedeutung der Haftung und des Haftungsverhältnisses im römischen Recht, Dumont, Obligatio, in: Mélanges Philippe Meylan, 1963, I, 77, 87. 24 Falcone, Obligatio est iuris vinculum, Turin 2003, S. 99 ff. u. passim. 25 Falcone geht offenbar davon aus, dass die Bindungsfaktoren Freundschaft, Treue, Notwendigkeit beiden Begriffen zugrunde liegen, (vorherige Note), ebd. S. 99.

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(3) Obligatorische Bindung als Ergebnis einer stipulatio Flume geht davon aus, dass obligatio zunächst nur den Rechtsakt des Verpflichtungsgeschäfts (stipulatio) und erst später auch die Verpflichtung selbst bezeichnet hat26. Die Bedeutung von obligatio als Verpflichtung und damit als das Ergebnis des obligierenden Tatbestandes habe sich erst später entwickelt 27. Obligatio meine entsprechend das einzelne Verpflichtetsein, die Forderung, nicht aber – in heutiger Terminologie – das Schuldverhältnis als Ganzes28. Die Obligation umfasst im klassischen System des römischen Rechts allein das primäre Leistungsprogramm des Schuldners. Dabei sind die primären Leistungspflichten zunächst nicht unmittelbar erzwingbar und durchsetzbar, sondern werden mittelbar durch Klage (actio29) gerichtet auf eine Geldzahlung verfolgt (condemnatio pecuniaria)30. Der Zwang, den die Klage hier ausübt, geht dahin, dass der Beklagte prozess- und verurteilungsabwendend leistet31. Mit der Streitbefestigung (litis contestatio) oder auch erst mit dem Geldurteil wandelt sich die auf eine primäre Leistung gerichtete Obligation in eine sekundäre Geldschuld um32. Vermutlich erst in nachklassischer Zeit 33 wird die Sachkon-

26 Es sei anzunehmen, dass die ursprüngliche Bedeutung des Terminus obligatio den Obligationsakt, also die Stipulation bezeichnet habe. Die Einordnung der obligatio unter die res incorporales (Gai 2, 14) und die summa divisio in vel contractu vel delicto (Gai 3, 88) dürften nicht den Blick dafür versperren, daß der Terminus sinnvollerweise nicht anders verstanden werden könne als in der Beziehung auf den Stipulationsakt. Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis. 1990, S. 27. 27 Wobei es sich aber nicht notwendig um eine Neuerung des Gaius gehandelt haben müsse. Flume, vorherige Fn., S. 27. Ebenso Dumont, Obligatio, in: Mélanges Philippe Meylan, I, 77, 85. 28 Flume, oben Fn. 26, S. 27; a.A. Kunkel/Honsell, Römisches Recht, 4. Aufl. 1987, S. 212. 29 Wörtlich übersetzt Handlung. Sie kann nur gegen eine nach Zivilrecht (ius) verpflichtete Person gerichtet werden. Actio ist damit die Geltendmachung eines Rechts zu dessen Bewährung der Richter verpflichtet ist, vgl. eingehend Behrends, Die Trichotomie „actio, petitio, persecutio“, in: FS für Wolfgang Sellert, 2000, S. 11, 13 f. u. Fn. 5. 30 Entwicklungsgeschichtlich beruht dies auf dem Gedanken des Haftungsgeschäfts, d.h. der Haftungslösung durch Geldzahlung, vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, I, 2. Aufl. 1971, S. 149. 31 Behrends, oben Fn. 29, S. 11, 13; Rütten, Zur Entstehung des Erfüllungszwangs im Schuldverhältnis. In: Lange (Hg.), FS für Joachim Gernhuber, 1993, S. 939, 952 f. 32 Vgl. Rütten, Zur Entstehung des Erfüllungszwangs im Schuldverhältnis. In: Lange (Hg.), FS für Joachim Gernhuber, 1993, S. 939, 942. 33 Die klagbare primäre Leistungspflicht ist erst eine spätere Entwicklungsstufe der Obligation. Im 4. nachchristlichen Jahrhundert tritt neben die condemnatio pecuniaria auch die Möglichkeit einer Vollstreckung von Naturalleistungstiteln mit Einzelzwangsvollstreckung, Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, S. 495 (Urteil) und S. 512 (Vollstreckung); Münch, Anspruch und Rechtspflicht, 2003, § 3 II 3; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 23.

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demnation für einzelne Obligationen 34 zugelassen. Der justinianische Prozess eröffnet nun auch die Naturalvollstreckung durch direkte Zwangsmittel35. Die noch sehr enge Verknüpfung von materieller Leistungspflicht und prozessualem Zwang zeigt sich auch in der Ausgestaltung von Schadensersatzpflichten. Ein Verstoß gegen primäre Leistungspflichten wird durch eine sekundäre Einstandspflicht ergänzt. Der Unterschied zwischen obligatio und actio könnte darin gelegen haben, dass erst die actio die Sekundäransprüche „erzeugt“. Die Grundlage der Einstandspflicht für eine nicht gehörige Primärleistung ist dann nicht die obligatio, sondern die actio, denn der Prätor begründet die Einstandspflicht und gewährt die Sekundäransprüche (praestare). Eine ausgeurteilte Geldleistung, wie etwa Verzugszinsen, wurde entsprechend nicht in obligatione, sondern officio iudicis (über den Richter) geschuldet und auch eine Leistung an Erfüllungs statt konnte nach klassischer Lehre nur gerichtlich mit Hilfe der exceptio doli gegenüber der fortbestehenden obligatio geltend gemacht werden 36. Die Klage soll aus diesem Grunde ein Teil des materiellen Rechts und der obligatio als Durchsetzungsmittel zugeordnet gewesen sein 37. Ob die gedankliche Trennung von materiellem und prozessualem Recht damit bereits der römischen Jurisprudenz zu verdanken und nicht erst der Windscheid’schen Erkenntnis über die Trennung von materiellem Recht und actio im 19. Jahrhundert zuzuschreiben ist, kann hier nicht tiefer erörtert werden. Die unbestrittene Funktionalisierung der actio als rechtliches Gestaltungsmittel zwingt nicht zur Annahme einer vom Prozess bereits gedanklich getrennten materiellen Rechtspflicht. Sie lässt beide Sichtweisen zu. Für eine bereits vollzogene Trennung im römischen Recht könnte aber auch die Rechtsfigur der obligatio naturalis sprechen. Als obligatio ohne den Schutz der actio hätte die obligatio naturalis – materiell-rechtlich gedacht – keine sekundären Einstandspflichten begründen können. Die durch den Prozess und die actio regulierte sekundäre Ebene wäre unerreichbar geblieben. Das erscheint im Hinblick auf die adjektizische Haftung des Herrn aus obligationes naturales seines Sklaven keine überzeugende Annahme zu sein 38. Die adjektizische Haftung 34 Die Sachkondemnation wurde jedenfalls bei Obligationen zugelassen, die auf Rückgabe einer Sache (restituere) oder auf Verschaffung von Eigentum (dare) gerichtet waren, Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 770, 771 f. Weitergehend und für eine allgemeine Anerkennung der Sachkondemnation, Kaser, Das Römische Privatrecht, II, 2. Aufl., 1975, S. 343 f. 35 Nehlsen-van Stryk, Grenzen des Rechtszwanges: Zur Geschichte der Naturalvollstreckung, AcP 193 (1993) 529, 538. 36 Behrends, Die Trichotomie „actio, petitio, persecutio“, in: FS für Wolfgang Sellert, 2000, S. 11, 12 u. Fn. 4, S. 30 Fn. 32. 37 Behrends, vorherige Fn., S. 11, 12 f.; dagegen geht Honsell davon aus, dass obligatio und actio gleichwertige Begriffe waren, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 374 (Celsus D. 44, 7, 51: nihil aliud est actio quam ius quod sibi debeatur iudicio persequendi). 38 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 49 Rn. 4 – 15, S. 309 ff., siehe näher nachfolgend im Text S. 63 ff.

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konnte Leistungs- und Einstandspflichten umfassen und trat neben die naturale Obligation des Gewaltunterworfenen selbst 39. Die Klage gegen den Herrn konnte die sekundäre Einstandspflicht des Sklaven damit wohl nicht begründen, sondern nur adjektizisch nachvollziehen und gegen den Herrn wirken. Die Funktion der obligatio naturalis, Inhalt und Bemessung der Haftung des Herrn praktisch bestimmen zu können, lässt folglich die Annahme einer sich bereits abzeichnenden Loslösung des Rechts von der Klage als nicht gänzlich fern liegend erscheinen40. Die Aufspaltung in primäre Leistungs- und sekundäre Einstandspflichten konnte entsprechend bereits in der obligatio verankert werden und musste nicht mehr auf die Dichotomie obligatio und actio zurückgeführt werden41. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die stipulierte Leistung und die ersatzweise forderbare Lösegeldzahlung erstarkten entwicklungsgeschichtlich zu echter Rechtsverbindlichkeit (obligatio ex contractu) mit klagbarer Leistungspflicht in personam42. Dabei tritt zum ablösbaren Zugriffsrecht des Gläubigers (Haftungsgeschäft) die Pflicht des Schuldners zur Erfüllungsleistung hinzu. In dieser Zeit beginnt die Rezeption stoischer Gedanken43. Die obligatio beschreibt nun neben der Haftung die Schuld und bezeichnet ferner das Recht-Pflicht-Verhältnis als Ganzes. Dieses findet bei Gaius bildhaften Ausdruck im iuris vinculum und dient auch in Justinians Institutionen als Definition der obligatio 44 und als Kennzeichen vergeistigter Rechtsbindung45. 39 Wacke, Die libera administratio peculii – Zur Verfügungsmacht von Hauskindern und Sklaven über ihr Sondergut, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 251, 292. 40 Dabei kann auch auf die Feststellung Falcones zu den Verpflichtungsbegriffen officium und obligatio bei Gaius verwiesen werden. Die rechtliche obligatio ist durch den prozessualen Schutz gekennzeichnet, durch den sie sich von außerrechtlichen Pflichten unterscheidet. Falcone, Obligatio est iuris vinculum, Turin 2003, S. 99. Die obligatio naturalis als Rechtspflicht ohne prozessualen Schutz musste die Prozessfunktion in den Rechtsbegriff integrieren und damit von der actio lösen. 41 Das bleibt jedoch eine notwendig spekulative Schlussfolgerung, weil es offenbar keine Belege für sie gibt. 42 Dahin verstehen lässt sich auch die Definition in Justinians Institutionen 3, 13 pr. „obligatio est iuris vinculum“. Das vollständige Zitat lautet: „obligatio est iuris vinculum, quo necessitate abstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura.“: Das Schuldverhältnis ist ein rechtliches Band, durch das uns nach dem Recht unseres Gemeinwesens der Zwang auferlegt wird, irgendeine Leistung zu erbringen. 43 Bund, Rahmenerwägungen zu einem Nachweis stoischer Gedanken in der römischen Jurisprudenz. In: Harder; Thielmann (Hg.) Festgabe für Ulrich von Lübtow, 1980, S. 127, 145: „Unser Überblick zeigt eine trotz aller Unsicherheiten und Einschränkungen im Detail merkliche Präponderanz der Stoa unter den Juristen der Republik“. 44 Kaser, Das Römische Privatrecht, I, 2. Aufl. 1971, S. 148; ders., Römisches Privatrecht, 16. Aufl. 1992, S. 154. 45 Die obligatio als Beispiel für den Übergang von einer materiellen zu einer immateriellen Auffassung in der römischen Rechtsentwicklung nennt etwa Kaser, Ius gentium, 1993, S. 119 f.: „Schon aus der Einordnung als res incorporales geht hervor, dass Denkformen bekannt waren, bei denen die äußeren Umstände der physischen Welt als Mittel der bildlichen

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cc) Natura im Recht der Obligationen Im Recht der Obligationen meint ‚natura‘ nach Auffassung Kasers nicht die Natur im physischen Sinn. Obligation sei kein Begriff der Körper und Naturkräfte, sondern eine normative Gegebenheit mit bindender Wirkung unter Personen (iuris vinculum)46. Natura meine die Natur der Obligation im Sinne ihrer rechtlichen Eigenschaften47. Es geht mit anderen Worten um die Natur des Rechtsgebildes Obligation. Folglich ist die Fähigkeit, sich einem anderen zu verpflichten oder von jemandem verpflichtet zu werden, nicht eine natürliche menschliche Fähigkeit (per naturam), sondern eine rechtliche Zuschreibung aufgrund des Rechtsstatus der Person. Allerdings dürfte der Begriff Naturalobligation und das ius naturale im römischen Recht auf natürliche Fähigkeiten, wie etwa die zu geschäftlichem Handeln, zumindest Bezug genommen haben und eine Verankerung der Prädikation natural im menschlichen Willen, bzw. in der menschlichen Vernunftbegabung daher wahrscheinlich sein. Kaser nimmt diesen Aspekt auch auf und hält die Natur für ein Motiv bei der Rechtsbildung. Die Frage, ob die Natur weitergehend als Rechtsquelle gegolten hat, werde ich unter d) näher erörtern.

b) Die Entstehung der obligatio naturalis in hochklassischer Zeit Pernice und Betti vermuten, dass Seneca (4 v. Chr. – 65 n.Chr.)48 nicht durchsetzbare Schuldpflichten bereits kannte und ihm die Konzeption der obligatio naturalis vertraut gewesen sein könnte49. Grundlage ist ein Beispiel aus dem 6. Buch des Werks „de beneficiis“, in welchem Seneca die für die römische Gesellschaft zentrale Frage des gegenseitigen Gebens und Nehmens von unentgeltlichen LeisVeranschaulichung eine Rolle spielten („Entstehung“ und „Erlöschen“ einer Obligation“); ebenso Chiusi, Realität und Vorstellung. In: Schermaier/Rainer/Winkel (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, Wien, 2002, S. 101, 108; zur Entstehungsgeschichte vgl. Guarino, Obligatio est iuris vinculum. In: Iuris vincula. Studi in onore di Mario Talamanca, Bd. IV, Neapel, 2001, S. 345–352. 46 Kaser, Ius gentium, 1993, S. 119 f. 47 Dies Verständnis lege ich auch dem heutigen Begriff der Naturalobligation zu Grunde, siehe unten C. II. 3. b), S. 273 ff. 48 Zu dem bedeutenden römischen Philosophen und Rhetoriker vgl. Maurach, Seneca, Leben und Werk, 4. Aufl., 2005. Seneca war bei der Erziehung des späteren Kaisers Nero mit dem Kerngedanken eines Lebens nach der zweiten Natur praktisch gescheitert. Das secundum naturam vivere besteht in der Selbstbeherrschung (Unterdrückung der Begierden, Unempfindlichkeit gegen Schicksalsschläge, Todesbereitschaft). Hierdurch soll der Mensch Freiheit nach dem Gesetz der Natur gewinnen. Zu dieser Naturrechtskonzeption der späten Stoa, die aus der empirisch beobachteten Natur, Gebote einer naturgemäßen Lebensweise ableitet, vgl. Kullmann, Antike Vorstufen des modernen Begriffs des Naturgesetzes. In: Behrends/Sellert (Hg.), Nomos und Gesetz, 1995, S. 36, 75 u. 108. 49 Pernice, Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Labeo, Teil E, Bd. 3.1, 1892, Nachdruck 1963, S. 253 u. Fn. 2; Betti, La struttura dell’obbligazione romana, Mailand 1955, S. 29.

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tungen behandelt 50; Leistungen, die freiwillig erbracht werden, die aber nicht einklagbar sind. Seine Beispiele hielt Seneca selbst für eher lebensfern 51; sie dienten der Schulung des Scharfsinns52. Ein Hinweis auf die Naturalobligation könnte in dem Fall zu sehen sein, indem der Darlehensgeber das Haus des Darlehensnehmers anzündet und dieser deshalb das ausgereichte Darlehen nicht zurückzahlen muss. Die Darlehensschuld könne – so Seneca – mit dem Schaden aufgewogen werden53. Der Fall gehört in den Bereich der Einreden (exceptio doli) und der Aufrechnung (compensatio), die der Darlehensnehmer hier dem Rückzahlungsverlangen entgegensetzen kann. Er wird aber von Seneca untechnisch nach den Rechtsfolgen gewürdigt. Der Darlehensgeber könne seinen Rückzahlungsanspruch nicht mehr durchsetzen. Die Schuld bleibe aber an sich bestehen54. In der Abwandlung, wenn der angerichtete Schaden niedriger als die Darlehensschuld anzusetzen sei, spricht sich Seneca dafür aus, bei diesem Ergebnis zu bleiben. Es entsteht damit eine nichtdurchsetzbare Darlehensschuld auch bezüglich des die Schadenshöhe übersteigenden nicht kompensierten Teils55. Pernice und Betti schließen daraus, dass die obligatio naturalis als eine gerichtlich nicht durchsetzbare Schuld bereits bekannt gewesen sein könnte. Die den Schaden übersteigende Darlehensschuld bleibt bestehen, ist aber undurchsetzbar. aa) Obligatio naturalis als Abbild der obligatio civilis (Abbildtheorie) Der terminus technicus ‚obligatio naturalis‘ und die rechtstechnische Erfassung lassen sich erst geraume Zeit nach Seneca im hochklassischen römischen Recht nachweisen. Die obligatio naturalis steht hier im sachlichen Zusammenhang mit der römischen Sklavenhalterwirtschaft. Dieser Zusammenhang ist unbestritten, jedoch besteht keine einheitliche Meinung zu der Frage, ob die rechtstechnisch ausgebildete Sklavenschuld (obligatio servi) auch der entstehungsgeschichtliche Ausgangspunkt der naturalis obligatio war56. Der in der romanistischen Litera50 Benef. 6,1; zit. nach der dt. Übersetzung Seneca, Naturwissenschaftliche Untersuchungen. In acht Büchern, 1990, S. 128 ff. 51 Vgl. unter Hinweis auf Benef. 6,1; Fuhrmann, Seneca und Kaiser Nero, 1997, S. 283; Bürge, Zwischen Eigenmacht und Recht: Zur Praxis der lex Iulia de vi (privata) von Seneca bis Marc Aurel, in: Schermaier (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, Wien 2002, S. 65, 66. 52 Benef. 6,4,1: So, wenn der vor Gericht erfolgreiche Patronus die Frau des verteidigten Klienten vergewaltigt und deshalb der Klient von der Dankesschuld für die erwiesene Wohltat befreit sei; ferner Benef. 6,4,4 : der Fall, dass der Verpächter dem Pächter die Saat niedertritt und Sträucher umhaut und der Pächter, trotz offener Pachtzinsen, das Landgut verlassen darf, weil der Verpächter die Leistung verhindert hat. 53 Benef. 6,4,2. 54 Benef. 6,4,6 (manet beneficium quamvis non debeatur, sicuti quaedam pecuniae, de quibus ius creditori non dicitur, debentur, sed non exiguntur). 55 Statt zu dem Normalfall zurückzukehren, in dem zwei unabhängige Klagen einander gegenüberstehen, vgl. Bürge, (oben Fn. 51), S. 70 f. 56 Dafür spricht außer den im Text genannten Digestenstellen die zeitlich frühere und

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tur geführte Streit57 über diese Frage kann und muss hier unbeantwortet bleiben. Soweit sich unterschiedliche Schlussfolgerungen für die Begriffsbildung ergeben, weise ich auf den Meinungsstand hin 58. Die Sklavenschuld wurde in der sabinianischen Schule in der Zeit einer bereits weit entwickelten Sklavenhaltergesellschaft gebildet. Erstmals gebraucht wurde der Begriff vermutlich bei Priscus Iavolenus (53 -120 n.Chr.) 59, aufgegriffen und dogmatisch erschlossen60 hat ihn dessen Schüler Salvius Julianus (98–178 n. Chr.). Julian verwendet den Ausdruck ‚naturalis obligatio‘ für gerichtlich nicht durchkeinem Interpolationsverdacht ausgesetzte Gaius Stelle, Institutionen des Gaius III 119 a: „Fideiussor vero omnibus obligationibus, id est sive re sive verbis sive litteris sive consensu contractae fuerint obligationes, adici potest. At ne illud quidem interest, utrum civilis an naturalis obligatio sit, cui adiciatur; adeo quidem, ut pro servo quoque obligetur, sive extraneus sit, qui a servo fideiussorem accipiat, sive ipse dominus in id, quod sibi debeatur.“ vgl. Kaser, Das Römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, S. 480 u. Fn. 14; Perozzi, Interpretazione di Gai III.119 a, Studi Bonfante, Vol. 1, Mailand 1930, 72 ff. So bereits Gradenwitz, Natur und Sklave bei der naturalis obligatio. Festgabe der Juristischen Fakultät zu Königsberg für Schirmer, 1900 (Nachdruck 1970), S. 139, 178; Bonfante, Diritto Romano, IV, Le obbligazioni, Mailand 1979, 225; Rotondi, Quelques considérations sur le concept d’obligation naturelle et sur son évolution, Revue trimestrielle de Droit Civil 77 (1979) 1, 3. 57 Dagegen nahm Siber an, dass in klassischer Zeit alle Obligationen iure gentii, also auch die klagbaren, obligationes naturales waren, und erst die Byzantiner klaglose Schulden „naturales“ nannten, weil diese nur auf dem vinculum aequitatis beruhen sollten (Paulus D. 46, 3, 95, 4); Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis. Leipzig 1926, S. 1, 79. Dies kann hier schon wegen des vielfachen Interpolationenverdachts Sibers nicht untersucht werden. Schließlich geht Cornioley, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain. Genf 1964, S. 73, 76 ff. davon aus, dass die Naturalobligation ursprünglich als Kennzeichen für den Entstehungstatbestand einer Obligation gedient habe. Von Natur aus, d.h. ohne Gesetz, ohne Formzwang, kraft der allgemein sittlichen Bindung der fides; im Gegensatz zur Stipulation. Erfasst worden seien das mit formfreier Zahlung begründete Darlehen und die Konsensualkontrakte, die mit bonae fidei iudicium geschützt waren. Erst in der späteren Klassik habe sich der Begriff Naturalobligation auf die klaglose oder jedenfalls nicht erzwingbare Obligation verengt. Cornioley läßt aber die landläufige und in den Quellen stark vorherrschende Bedeutung der n.o. als unerzwingbare Obligation für das klassische Recht gelten. Er hält die unerzwingbare Obligation nur nicht für die ursprüngliche Bedeutung; krit. dazu Rez. Kaser, SavZRom 83 (1966) 461, 468: Die Sklavenschuld als den Hauptfall der naturalis obligatio anzusehen, ist nicht zu erschüttern. 58 Überblick über den Meinungsstand auch bei Landolt, Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 13 ff., 17 ff. und 22 ff. 59 D. 35, 1,40, 3. Der Erbe soll an den testamentarisch freizulassenden Sklaven zahlen. Javolen bejaht dies, „weil nach dem Willen des Testators eher eine bloß natürliche als eine zivile Schuld zu berücksichtigen sei.“ Die Schuld bestand hier nicht in erkennbarer Abhängigkeit von einem peculium. Vgl. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 158; ebenso Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 4. 60 Sofern man im römischen Recht von einer Dogmatik sprechen mag, denn es geht auch hier nicht um einen systematischen Begriff als Entscheidungsvorgabe, sondern um eine Figur, die dienlich war für eine sinnvolle Falllösung. Vgl. Baldus, Auslegung und Analogie im 19. Jahrhundert, in: Europäische Methodenlehre, hrsg. von Karl Riesenhuber, Berlin 2006, § 3, Rn. 11.

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setzbare Verbindlichkeiten, wie besonders die Schulden von Sklaven und Hauskindern, und hat ihn insoweit technisch geprägt 61. Damit waren die aktiven wie die passiven Verbindlichkeiten dieser Personen gemeint62. Begrifflich ist die naturalis obligatio der civilis obligatio nachgebildet 63. Die Begriffsbildung entspricht einem Nachahmungsvorgang, der bei den klassischen Juristen häufig zu beobachten war. In Fällen, in denen eine rechtliche Grundlage fehlte, berief man sich auf eine Herleitung aus dem ius naturale64. Das Abbilden einer Rechtsfigur des ius civile und ihre Zuordnung zum ius naturale im prätorischen Recht wird als Rechtsadaptionismus bzw. als Ausdruck eines evolutionären Adaptionismus eingestuft65. Man kann auch einfach von analoger Regelbildung sprechen66. Begrifflich führt dies zu der Gegensatzbildung civilis – naturalis, wie sie vergleichbar auch zur Unterscheidung verschiedener Formen der Fristberechnung (Komputation), des Besitzes, der Verwandtschaft und des Eigentumserwerbs zu beobachten ist. 61 Iulian-Pomponius D. 12, 2, 42 pr.; Iulian D. 46, 1, 7; D. 46, 16, 3 u. 4; Pomponius D. 12, 6, 19 pr.; Africanus D. 12, 6, 38 pr. – 2; D. 46, 1, 21, 2–3; vgl. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 157; zu den Stellen ders., Das Römische Privatrecht I, 1971, S. 480 f. und RP II, S. 335. 62 Ulpian D. 44, 7, 14 pr. „Sevi ex delictis quidem obligantur et si manumittantur obligati remanent: ex contractibus autem civiliter quidem non obligantur et obligant“. 63 Was die Entstehung der obligatio naturalis angeht, ist dies allgemeine Meinung, vgl. Kaser, Das Römische Privatrecht, I, 2. Aufl. 1971, S. 480; umstritten ist der Entstehungszeitpunkt. Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 9 hält es für nicht glaublich, dass erst im 1. bis 2. Jahrhundert die Sklavenobligation aufgekommen sein soll. Vielmehr sei davon auszugehen, dass bereits in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik die obligatio servi existiert habe. Für die Entstehung in hochklassischer Zeit Kaser, RP II, 2. Aufl. 1975, S. 335; ebenso Pernice, Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Labeo Teil E, Bd. 3.1, 1892, Nachdruck 1963, S. 257, der dabei auf die Sakralrechtsfähigkeit des Sklaven abstellt, die erst in hadrianischer Zeit anerkannt worden sei. Ein Zusammenhang der obligatio naturalis mit dem Peculiarsystem lehnt Pernice ab (S. 258). Die Fähigkeit, sakrale Verbindlichkeiten durch Gelübde und Eid zu übernehmen, führt zu einer sittlichen Verpflichtung, wie sie dem weiten Begriff in späterer Zeit entsprach, vgl. unten c). 64 Gradenwitz, Natur und Sklave bei der naturalis obligatio. Festgabe der Juristischen Fakultät zu Königsberg für Schirmer, 1900 (Nachdruck 1970), S. 139, 153; Bretone, I fondamenti del diritto romano. Le cose e la natura, Bari 1998, S. 27; anders Kaser, Ius gentium, 1993, S. 59, der die Hinwendung zu einer „Natur“ der Obligation dem ius gentium zuordnet. 65 So Fögen, Zufälle, Fälle und Formeln. Zur Emergenz des synallagmatischen Vertrags, Rechtsgeschichte, 6/2005, S. 84, 87. Der Konsensualvertrag sei ausschließlich Produkt des prätorischen Rechts durch Abbild des Realvertrages. Ähnlich Kaser, Ius gentium, 1993, S. 62: Sicherlich ist die naturalis aequitas, die abwägende und ausgleichende Sach- und Fallgerechtigkeit, in der vorklassischen und klassischen Periode das Wirkungsfeld vornehmlich des Prätors bei seinen honorarrechtlichen Schöpfungen. 66 Das ist allerdings nicht mit der Analogie im heutigen methodologischen Sinne zu verwechseln, die eine äußere Systematisierung des Rechts impliziert, an der es im römischen Recht gerade fehlte, vgl. zu den Anfängen und Wurzeln eines methodischen Analogieschlusses im römischen Recht, Baldus, Auslegung und Analogie im 19. Jahrhundert, in: Europäische Methodenlehre, hrsg. von Karl Riesenhuber, Berlin 2006, § 3, Rn. 10 f.

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Die Gegenüberstellung civilis – naturalis legt auch die Zuordnung der obligatio naturalis zum ius gentium nahe67. Das ius gentium ist das Recht, das die natürliche Vernunft für alle Völker bestimmt hat. Es umfasst die allen Völkern gemeinsamen Einrichtungen und Rechtsgrundsätze, insbesondere solche, die auf das Walten der natürlichen Vernunft zurückzuführen (naturalis ratio) und häufig mit rechtsphilosophischer Reflexion verbunden sind68. Im ius gentium nimmt die obligatio naturalis die Stellung einer nicht klagbaren Verpflichtung ein69. Die Gegensatzbildung deutet ferner darauf hin, dass natural eine (rechtserhebliche) Tatsache beschrieb70 und nicht ohne weiteres mit Naturrecht gleichzusetzen war 71. bb) Obligatio servi (obligatio „per abusionem“) Der mit der naturalis obligatio verbundene pragmatische Zweck lag in der funktionellen Integration von Sklaven in den Geschäftsverkehr. Der rechtliche Status des Sklaven als eine Sache stand seiner Verwendung prinzipiell im Wege. Der Sklave konnte nicht als Rechtssubjekt und damit als Träger von obligatorischen Rechten oder Pflichten anerkannt werden. Zur Legitimation der obligatio servi könnte deshalb der Rekurs auf sein Menschsein gedient haben. Der Sklave ist homo, aber nicht auch persona. Die Annahme, der Mensch sei ein biologisches, aber kulturfähiges Naturwesen, traf auch auf den Sklaven zu. 72 In 67 Zumindest sofern das ius naturale nicht als eigenständige Rechtsschicht neben ius civile und ius gentium anerkannt wird, vgl. dazu näher unten S. 75 ff. Die Zuordnung der obligatio naturalis zum ius gentium ist allgemeine Meinung. Vgl. Honsell, Naturalis obligatio, Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 374, 376; bereits Savigny, Obligationenrecht, Bd. I, 1851, S. 23. 68 Kaser, Ius gentium, 1993, S. 5. D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 3 weist zu Recht darauf hin, dass beim ius gentium mit dem (angenommenen) übereinstimmenden Gebrauch der Völker ein positivrechtliches Moment zur natürlichen Vernunft hinzutritt. Ein positivrechtliches Moment fehlt dem ius naturale, was zumindest aus heutiger Sicht gegen seine Stellung als Rechtsquelle spricht. Vgl. näher unten, B. I. 1. d), S. 79 ff. 69 Die These Sibers, wonach die naturales obligationes in klassischer Zeit klagbare Verpflichtungen des ius gentium gewesen seien, wird heute weithin abgelehnt, Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, 2 unter Hinweis auf Paulus D. 50, 17, 84, 1 („Is natura debet, quem iure gentium dare oportet …, cuius fidem secuti sumus“). Ablehnend Fuchs, Naturalobligation und unvollommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 124; zum Streit vgl. oben bei Fn. 57. 70 So etwa bei der naturalis possessio im Gegensatz zur civilis possessio, Sturm, Stipulatio Aquiliana, 1972, S. 273, 281: „Tatsache der körperlichen Sachbeherrschung ohne juristische Qualifikation“. 71 Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224 (strikt zu trennen) 72 Behrends, Der römische Weg zur Subjektivität: Vom Siedlungsgenossen zu Person und Persönlichkeit. In: Fetz (Hg.), Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, 1999, S. 204, 242 f.

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einem naturalistischen Sinne standen Bürger und Sklaven damit auf derselben Stufe, was durch die stoisch-ethische Überzeugung belegt wird, wonach alle Menschen (rerum natura) von Geburt frei sind73. Naturalistisch betrachtet besaß der Sklave mithin die natürliche Fähigkeit, Verträge zu schließen. Ob in der Begriffsbildung der ‚obligatio naturalis‘ deshalb auch ein „julianischer Kompromiss“ gesehen werden kann, und zwar eine Fusion von klassischem Realismus mit vorklassischem Spiritualismus74, kann und muss hier offen bleiben. Ein stoisch naturrechtliches Verständnis ist nicht fernliegend75, aber auch nicht zwingend76. Die Rechtsfigur ‚obligatio naturalis‘ wurde als obligatio nur im status irrealis anerkannt. Die römische Jurisprudenz sprach von einer Begriffsverwendung „per abusionem“77. Die sprachliche Distanzierung „per abusionem“ sperrt sich gegen die Erweiterung des Obligationenbegriffs. Ein eigenes Recht78 für und gegen den vor Gericht nicht parteifähigen Sklaven kann es nicht geben. Dessen 73 Bezogen auf die durch das ius naturale verfasste Rechtsgemeinschaft aller Lebewesen (societas omnium animantium). Hier herrscht nach spätstoischer Überzeugung das „ius humanum“, an dem auch der Sklave teilhat. Nach Huwiler, Homo et res. Skizzen zur hellenistischen Theorie der Sklaverei und deren Einfluss auf das römische Recht, in: Ankum/Feenstra u.a. (Hg.), Mélanges Felix Wubbe, Fribourg, 1993, S. 207, 268, ist das ius humanum in der Sache nicht verschieden vom ius naturale bei dem spätklassischen Ulpian (Ulp. 50,17,32: „… quia, quod ad ius naturale attinet, omnes homines aequales sunt.“). Ebenso Honsell, Naturalis obligatio, Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 377: Sklaven hatten nur nach ius civile keine Rechtspersönlichkeit, wohl aber nach ius naturale. 74 Wie sie auch in der Obligationenlehre des Gaius mit der Klassifikation der obligatio zu den „res incorporales“ die Hochklassik auszeichnet. So die mehrfach vorgetragene These von Behrends, Die Gewohnheit des Rechts und das Gewohnheitsrecht, in: Willoweit (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, 2000, S. 19, 98 f. (zur Entstehung der theoretischen Grundlagen des Gewohnheitsrechts); ders., Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassisch-republikanischen Verfassungsdenken. In: Behrends/Sellert (Hg.): Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches. S. 9, 69 f. (zum Vertragsbegriff und dem Verhältnis von Vertrag zur Obligation als dessen Kern). 75 Die natura stelle ein fundamentales Prinzip dar, das in der Rechtsordnung anerkannt werde, aber auch eine eigene normative Kraft besitze, Bretone, (oben Fn. 64) S. 106; Chiusi, Realität und Vorstellung. In: Schermaier (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, 2002, S. 101, 106. 76 Vgl. näher nachfolgend im Text unter d). 77 Unter Bezug auf Ulpian D. 15, 1, 41 und Iulian D. 46, 1, 16, 4; Cornioley, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain. Genf 1964, S. 31; Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 367 (Begriff sei contradictio in adiecto, was auch im Begriff „unvollkommene Verbindlichkeit“ zum Ausdruck komme); Spengler, Zugleich Person und Sache – vielleicht Arbeitstier oder Unternehmer: Rechtliche Aspekte der römischen Sklaverei. In: Krause, Veelken, Viehweg (Hg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. GS für Wolfgang Blomeyer, 2003, S. 271, 277; Gradenwitz, (oben Fn. 64), S. 146. 78 Das ist eine erst seit Windscheids Trennung von actio und subjektivem Recht zulässige Redeweise. Gleichwohl zeigt sich in der naturalis obligatio eine Vorform dieser Trennung. Vgl. näher dazu nachfolgend im Text.

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fehlende Rechts- und Parteifähigkeit wird offenbar überwunden durch den Bezug zum ius naturale, das den Sklaven in seinem Menschsein erfasst. Der fehlende Rechtsstatus führt zu der Vorstellung einer missbräuchlichen Begriffsverwendung. Man kann damit auch von einer Pseudo-Obligation sprechen, die zu behandeln war „als ob“ es sich um eine obligtio civilis handelte. Das Menschsein und die Vernunftbegabung genügten den römischen Juristen, für die funktionale Gleichstellung des Sklaven. Die Einschätzung Honsells, wonach bei der obligatio naturalis aufgrund des Zusatzes „per abusionem“ keine Verpflichtung, sondern nur eine causa geschaffen worden sei79, wird dem gedachten status irrealis nicht gerecht 80. Der abusive Gehalt des auch bei der obligatio naturalis verwendeten „debere“ liegt möglicherweise nur darin, dass nicht nach ius civile geschuldet wird81. Die „als ob“-Betrachtung löst die mögliche Paradoxie eines klagelosen Rechts und den von Honsell erhobenen Vorwurf der contradictio in adiecto auf. Nach Inhalt und Sinn derartiger unklagbarer Abmachungen hatten die Partner auf gleiche Weise miteinander abzurechnen wie bei rechtlich erzwingbaren Verträgen. Dazu musste der aus dem Vertrag folgende Pflichtenstatus (Entstehung einer Leistungspflicht, Übertragung, Erfüllung usf.) nach den rechtlichen Regeln der obligatio bestimmt werden. Die obligatio naturalis hat die Funktion einer Recheneinheit82. Der Formelteil einer auf bona fides gegründeten Vertragsklage in dem um 130 n.Chr. durch Iulianus im Auftrag von Kaiser Hadrian festgelegten Edictum Perpetuum lautete nach der Rekonstruktion von Otto Lenel83: „… quidquid ob eam rem Stichum si liber esset ex iure Quiritium, Ao. Ao, dare facere oporteret ex fide bona … dumtaxat de peculio … condemnato … “ (was der Sklave Stichus aus dem Vertrag schulden würde, wenn er ein Freier wäre nach dem Recht der Quiriten … beschränkt auf den Wert des peculium).

Die Gleichstellung des Sklaven mit dem quiritischen Freien wurde fingiert. Die aus den Vereinbarungen mit Sklaven entspringenden Naturalobligationen ließen sich ferner durch Pfand oder Bürgschaft sichern84. Ebenso konnten sie 79 Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 375. 80 Paradox ist der Begriff eines klagelosen Rechts ohnehin nur dann, wenn das zuerkannte „Recht“ die Zwangsmacht seines Inhabers zur Durchsetzung voraussetzt. Das ist eine rechtstheoretische und jedenfalls aus heutiger Sicht im Ergebnis zu verneinende Frage, siehe unten C. III. 3. a) dd), S. 412. 81 Ein abusives ius civile. Vgl. Longo, Filius familias se obligat? Il problema della capacità patrimoniale dei filii familias, Mailand 2003, S. 8. 82 Longo, „Actio“ contro il „fideiussor servi“ e „actio de peculio“ contro il „dominus“, Labeo 44 (1998) S. 377, 412. 83 Das Edictum Perpetuum, 3. Aufl. Leipzig 1927, S. 282. 84 Die naturalis obligatio konnte Grundlage einer Bürgschaft (fideiussio) sein (Iul. D. 46, 1, 16, 3), Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV,

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durch zivile Obligationen ersetzt (noviert) werden85. Schließlich konnte mit und gegen Naturalobligationen aufgerechnet werden86. Diese durchgehende Funktionalisierung der obligatio naturalis lässt sich mit der Annahme, es habe sich bloß um eine causa gehandelt, nicht vereinbaren. Die causa besitzt nicht die Funktionalität einer Forderung, sondern bezeichnet nur den Behaltensgrund. Die technische Konstruktion als formula ficticia macht eine dogmatische Deutung der Sklavenschuld streng genommen zwar entbehrlich87. Darin liegt möglicherweise gar der Zweck der Fiktion. Eine bloße causa folgt aus der Fiktion jedoch ebenso wenig. Die Anerkennung einer Sklavenschuld hatte insbesondere den Sinn, Inhalt und Umfang der Haftung des Herrn zu bestimmen. Diese Stellung als Rechengröße und Bindeglied für die Herrenhaftung setzt die Annahme eines Obligationsverhältnisses voraus, welches aus dem eigenen geschäftlichen Handeln des Sklaven entstanden war. Eben dieses wurde mit der obligatio naturalis erreicht. Aus der Haftung auf das Peculium und der Notwendigkeit Soll und Haben im Peculium zu bestimmen, erhalten die Naturalobligationen „den Effekt von Obligationen“.87a Es kommt danach also weniger darauf an, dass der Sklave aus der obligatio naturalis selbst verpflichtet wurde, als vielmehr, dass und mit welchem Inhalt eine Verpflichtung des Sklaven entstanden war, die dann in den Grenzen des Peculienrechts für und gegen den Herrn gerichtlich durchgesetzt werden konnte. Die Formel belegt meines Erachtens daher auch den Rechtscharakter der obligatio naturalis insofern, als in Rom als Recht nur galt, wofür es eine Formel gab, und nur über das verhandelt wurde, was in der Formel stand (ubi remedium, ibi ius) 88. Neapel 2001, S. 365, 381; Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 9; Mantello, ‚Beneficium‘ servile – ‚debitum‘ naturale, 1979, S. 74, Waldstein, Rez. Mantello, SavZRom 98 (1981) 479, 481; ebenso Wacke, Faktische Arbeitsverhältnisse im Römischen Recht? Zur sog. „notwendigen Entgeltlichkeit“ besonders bei Arbeitsleistungen vermeintlicher Sklaven, SavZRom 108 (1991) 123, 134. 85 Die naturalis obligatio konnte noviert werden (Ulp. D. 46, 2, 1), Honsell, (vorherige Fn.), S. 365, 381 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 33 Rn. 7. Ein Spezialfall ist die Novation einer Sondergutsforderung durch den Sklaven ohne den Willen des Herrn (Florentin D. 46, 2, 16). Danach hat die Novation keine verfügende nachteilige Wirkung für das Sondergut. Sie ersetzt nicht die bisherige Sondergutsforderung, sondern tritt als weitere (naturale) Forderung hinzu. Vgl. Wacke, Die libera administratio peculii – Zur Verfügungsmacht von Hauskindern und Sklaven über ihr Sondergut, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 251, 260. 86 Die naturalis obligatio konnte zur Aufrechnung gestellt werden (Ulp. 16, 2, 6: „Etiam quod natura debetur, venit in compensationem“), Honsell, (oben Fn. 74), S. 365, 381; Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 72. 87 Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Prof. Baldus. 87a Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, KritBl 1853, Nr. 3, S. 46. 88 R. Zimmermann, Law of Obligations, 1990, S. 6; der umgekehrte Satz: „ubi ius, ibi remedium“ ist neuzeitlich, vgl. Einl. § 89 PrALR 1794: Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann. Fögen, Zu-

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cc) Obligatio naturalis als Handlungsform der Peculienwirtschaft In der republikanischen Jurisprudenz ab dem Jahr 50 v. Chr. wurde das ehedem unbedeutende Ersparnisvermögen unfreier Menschen (peculium) zu einem scharfsinnig konstruierten Rechtsinstitut fortentwickelt89. Der Eigentümer, bzw. Herr eines Sklaven90 konnte über ein bei diesem gebildetes Sondervermögen91 eigenwirtschaftliche Interessen verfolgen. Der Sklave bewirtschaftete und verwaltete im eigenen Namen das peculium, das weiterhin im Eigentum und Besitz des Herrn stand92. Die Überlassung des Sonderguts war widerruflich und fiel in den Nachlass des Herrn93. Das peculium bildete die Grundlage für eine sich ausweitende Verwendung von Sklaven im Geschäftsverkehr, die nicht mehr nur Hausknechte und Arbeiter, sondern Betriebsleiter, Geschäftsführer und selbst Sklavenhalter waren94. Der Dominus haftete „dumtaxat de peculio“ aus Geschäften des Sklaven, die dieser im eigenen Namen und auf eigene Rechnung für das Peculium führt95. Diese adjektizistische Haftung des Herrn „de peculio de in rem verso“ war auf den Wert des peculiums beschränkt96. Die Haftung ging bis zur Obergrenze des Aktivbestandes des peculiums97. Von diesem Wert wurde vorweg abgezo-

fälle, Fälle und Formeln. Zur Emergenz des synallagmatischen Vertrags, Rechtsgeschichte, 6/2005, S. 84, 96. 89 Huwiler, (oben Fn. 73) S. 207, 264 f. 90 Wacke empfiehlt, in diesem Zusammenhang nicht vom Eigentümer, sondern vom Herrn zu sprechen, weil der dominus nicht notwendig der Eigentümer des Sklaven sein musste, wie insbesondere bei den Untersklaven. Maßgeblich war, wer den Sklaven hielt, Wacke, Die libera administratio peculii – Zur Verfügungsmacht von Hauskindern und Sklaven über ihr Sondergut, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 251, 254 f. u. Fn. 12. 91 Das einem Hauskinde oder Sklaven von seinem Gewalthaber zu faktisch selbständigem Haben eingeräumte Sondergut, vgl. Wacke, (vorherige Fn.), S. 251, 252 u. zu den Voraussetzungen der Sondergutsbestellung S. 252 Fn. 3. Ebenso Huwiler, (oben Fn. 73), S. 207, 264 f.: Das dem Sklaven von seinem Herrn gewidmete Vermögen, welches von jenem in eigener Verantwortung und buchhalterisch vom Herrenvermögen getrennt verwaltet und bewirtschaftet wird (Ulpian D. 15,1,5,4). 92 Es bleibt eine faktische Inhaberschaft (Detention), vgl. Javolen D. 41, 2, 24: „… peculium, quod servus civiliter quidem possidere non potest, sed naturaliter tenet, dominus creditor possidere“; Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 252. 93 Das galt stets auch für das peculium des Hauskindes, Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 253. 94 Das zeigt sich auch am Untersklaven (servus vicarius), vgl. Sturm, Sklavenkasse entscheidet über Eigentumserwerb. Zu Gaius D. 41, 1, 43, 2 und Ulpian D. 7, 1, 25, 1, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, S. 223, 241. 95 Sie können nicht auf das Stellvertretungsrecht zurückgeführt werden. Wacke spricht von faktischen Eigengeshäften, Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 262 u. 312. 96 Paulus D. 11, 5, 4, 1: Rückforderung eines Spielgewinns, den der Sklave gemacht hatte, nur soweit es sich im Sondergut befindet. Ferner Ulpian D. 15, 1,9,2 und zuvor oben im Text in der Ediktsformel. 97 Ohne dass die Existenz eines Sonderguts (mit positiven Saldo) Voraussetzung für die Haftungsklage gewesen wäre; Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 255.

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gen, was der Gewaltunterworfene seinem Herrn (naturaliter) schuldete, etwa aus einem erhaltenen Darlehen (sog. Deduktionsprivileg) 98. Im Außenverhältnis trat die Haftung des Herrn neben die naturale Obligation des Gewaltunterworfenen selbst99. Der Sklave war zwar somit nicht vermögensfähig (i.e. nicht rechts- und prozessfähig), aber dennoch für eigene Rechnung geschäftsfähig. Er konnte im eigenen Namen Verträge schließen und sich „sibi habere licere“ versprechen lassen100. Der Herr konnte umgekehrt auch einklagen, was dem Sklaven ‚geschuldet‘ wurde101. In Bezug auf das peculium war der Sklave somit – wie die anderen gewaltunterworfenen Personen auch – sondergutsfähig102. Allerdings bedurfte der Gewaltunterworfene zu jedem das Sondergut unmittelbar mindernden Rechtsgeschäft der Zustimmung seines Herrn, die dieser generell oder im Einzelfall und auch nachträglich als Genehmigung erteilen konnte (sog. libera administratio peculii)103. Ohne Zustimmung vorgenommene Verfügungsgeschäfte wirkten zwar zum Vorteil, aber nicht zum Nachteil des Gewalthabers104. Die Anerkennung eines Obligationsverhältnisses durch Abbildung der civilis obligatio diente primär105 also nicht dem Sklaven selbst106. Insbesondere gelang es dem Herrn auf diese Weise, die Geschäftstüchtigkeit des Sklaven zu mobilisieren, die Endkontrolle über dessen Geschäfte zu behalten und seine eigene Haftung wirksam zu beschränken107. Spengler 108 hält es 98 Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 257 f. Ebenso wurde aber hinzugerechnet, was der Herr dem Sondergut schuldet, ebd. 258. 99 Es handelt sich mithin nicht um ein Handeln für den Herrn aufgrund Mandats; vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 49 Rn. 2, S. 309. Die naturale eigene Verpflichtung des Sklaven wird von Wacke nur beiläufig erwähnt, Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 271. 100 Ulpian D. 45, 1, 38, 6 dazu Sturm, Stipulatio Aquiliana, 1972, S. 275 ff.; ders, (oben Fn. 94), in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, S. 223, 234. 101 Zur entsprechenden Formel siehe zuvor oben; vgl. Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – Bd. IV, Neapel 2001, S. 365, 376. 102 Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 255. 103 Vgl. grundlegend Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 258 ff. 104 Unter Hinweis auf die parallele Gestaltung der Rechtsgeschäfte Minderjähriger nach heutigem gemeineuropäischem Recht, Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 259. Beim Abschluss von Rechtsgeschäften unterlagen Gewaltunterworfene prinzipiell keinen Beschränkungen. Sie konnten frei entscheiden, ob, mit wem und zu welchen Bedingungen sie Verträge eingehen wollten. Nur bei der Durchführung der Verträge hatte der pater familias das letzte Wort, ebd. S. 265 f. 105 Zweck und Vorteil zugunsten des Sklaven ergaben sich aus der dadurch geschaffenen Möglichkeit und Konstruktion des Freikaufs unter Einsatz des Pekuliarvermögens. Das Streben nach Freiheit wurde als Antriebsmotiv ökonomisch nutzbar gemacht. Siehe nachfolgend im Text. 106 Auch die aktive Sklavenobligation vermehrte nur das Pekuliarvermögen, das dem Herrn zugewiesen war. Gradenwitz, (oben Fn. 64), S. 139, 171. 107 Zur Ausnutzung der Geschäftstüchtigkeit bei gleichzeitig bevormundender Kontrolle vgl. Wacke, (oben Fn. 90), S. 251, 266, näher oben Fn. 87. 108 Spengler, (oben Fn. 97), S. 279.

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für möglich, den Sklaven in der „Peculienwirtschaft“ als Ein-Mann-GmbH zu betrachten und verweist auf Ernst Immanuel Bekker, der das römische peculium gar für die dogmatische Deutung der Aktiengesellschaft fruchtbar gemacht hat109. Die mit der obligatio naturalis bereitgestellte Obligationsstruktur diente dazu, die Geschäfte geordnet abwickeln und den Schuld- und Haftungsinhalt entsprechend bestimmen zu können. Alle adjektizischen Klagen sind bloße Abwandlungen der regelmäßigen Klagen aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen. Die Klagformeln nennen den Abhängigen als den, der das Geschäft vorgenommen hat, und den Unternehmer (Gewalthaber) als den, der daraus verurteilt werden soll. Alle Kontrakts- oder Quasikontraktsklagen konnten durch diesen Subjektswechsel (sog. Umstellung der Subjekte) in der Formel als adjektizische Klagen gestaltet werden110. Der Sklave wuchs somit in eine primär fremdnützige Teilrechtsfähigkeit hinein. Bezogen auf die Naturalobligation diente dies nicht seinem Schutz, sondern allein seiner Funktionalisierung im Geschäftsverkehr111. dd) Verpflichtungen des Haussohnes, der gewaltunterworfenen Frau und der Kinder sowie des Mündels (rerum naturam) Zeitlich nicht sicher abgrenzbar, zeitgleich oder später112, treten neben die Sklavenschuld Schulden anderer gewaltunterworfener Personen. Die Verpflichtungen des Haussohnes113, der gewaltunterworfenen Frau und der Kin109 E. I. Bekker, Zweckvermögen, insbesondere Peculium, Handelsvermögen und Actiengesellschaften, ZHR 4, 1861, 499 – 567. 110 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 49 Rn. 2, S. 310. 111 Huwiler, (oben Fn. 73), S. 264. Der Sklave musste ferner für die zur Verfügung Stellung des Peculiums eine Rente bezahlen. Der Gewinn aus den Geschäften blieb rechnerisch bei ihm und er konnte ihn schließlich zum Freikauf verwenden, was dann auf eine Selbstamortisation des Unfreien hinauslief, ebd., S. 265; auf die Funktionalisierung der obligatio naturalis in der Peculienwirtschaft mit Sklaven verweist auch Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, Paris 1993, n. 7. 112 Gradenwitz hält die Sklavenschuld für die ursprüngliche Form der naturalis obligatio. Im Titel de peculio ist öfters filius vel eingeschoben, wie teils die chiastische Stellung, teils die Thatsache zeige, dass meist der servus allein steht, Gradenwitz (oben Fn. 64) S. 139, 165; ebenso Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 71; Thomas verteidigt die naturalis obligatio pupilli zumindest als klassisch, Naturalis obligatio pupilli. In: Becker/Schnorr von Carolsfeld (Hg.), Festgabe für Ulrich von Lübtow, 1970, S. 457, 479; Flume meint, ob in klassischer Zeit eine naturalis obligatio des pupillus angenommen worden sei, könne offenbleiben. Nach Gai 3, 118 könne das Stipulationsversprechen des pupillus auch wenn aus ihm keine Verpflichtung und auch keine naturalis obligatio entstehe Grundlage der Sponsions- und der Fidepromissionsbürgschaft sein, Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, 1990, S. 33. Für eine spätklassische Naturalobligation spricht Paulus D. 44, 7, 43 „… pupillus sine tutoris auctoritate non obligatur iure civili“. Jedenfalls in justinianischer Zeit hat sich die Lehre von der Naturalobligation des inpubes endgültig durchgesetzt, Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klassischen römischen Recht, 1953, S. 89–106. 113 Nach dem Senatusconsultum Macedonianum aus dem Jahre 112 n. Chr. haftete der

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der114 sowie des Mündels gelten kraft „natura“. Sie werden ebenso als obligationes naturales anerkannt115. Der pater familias pflegte seinen Haussöhnen ein peculium einzuräumen. Das peculium blieb, wie bei den Sklaven, Vermögen des Hausvaters; es grundlos ganz oder teilweise einzuziehen hatte aber die Sitte missbilligt116. Geschäfte innerhalb des Personenkreises, insbesondere zwischen dem dominus und der gewaltunterworfenen Ehefrau und den Kindern wurden ebenfalls als obligationes naturales bezeichnet. Ihre Anerkennung könnte auf der Annahme beruht haben, dass das ius naturale auf den Trieb zur geschlechtlichen Paarbildung und der Nachkommenpflege abstellt117. Im Verhältnis zu Dritten tritt wie bei dem Sklaven die aus den natürlichen Anlagen des Menschen abgeleitete Verpflichtungsfähigkeit hervor118. Handlungsfähige Personen ohne selbständige Vermögensfähigkeit werden in Haussohn neben einem Bürgen auf die Rückzahlung von Darlehen nur noch naturaliter, Gradenwitz, (oben Fn. 64), S. 139, 178. Der Haussohn erhielt eine Einrede gegen das Rückzahlungsverlangen. Der Haussohn war anders als Sklaven, gewaltunterworfene Frauen und Kinder (pupilli) rechts- und handlungsfähig und konnte verklagt werden. Seine Unterschutzstellung durch Gewährung eines Einrederechts bedeutet die Setzung einer obligatio naturalis, nicht lediglich eine Vollstreckungsbeschränkung, abweichend Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 33 Rn. 8, S. 205 (obligationes naturales sind nur die Forderungen und Schulden im Innenverhältnis zwischen Sohn und dem eigenen pater familias). Die obligatio naturalis ist also auch in diesem Bereich durchaus instrumentell eingesetzt worden, vgl. Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. KritBl, 1853, Nr. 3, S. 43. Die senatus consulta sind die Beschlüsse des römischen Senats, die im 1. und 2. Jhrt. n. Chr. an die Stelle der Volksgesetze (leges) traten, Kaser/Knütel, ebd. § 2 Rn. 10, S. 27. 114 Paul. D. 44, 7, 43 „… pupillus sine tutoris auctoritate non obligatur iure civili“, Thomas, Naturalis obligatio pupilli. In: Becker, Schnorr von Carolsfeld (Hg.), Sein und Werden im Recht. Festgabe für Ulrich von Lübtow, 1970, S. 457, 458. 115 Kaser, Das Römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, S. 481; Longo, Filius familias se obligat? Il problema della capacità patrimoniale dei filii familias, Mailand 2003, S. 17; Mantello, Beneficium servile – debitum naturale, Sen. de ben. 3.18.1 ss. – D. 35,1,40,3 (Iav. 2 ex post. Lab.), 1979, S. 156 ff.; Huwiler, (oben Fn. 73) S. 207, 251. 116 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 60 Rn. 16, S. 378; zustimmend Wacke, Die libera administratio peculii – Zur Verfügungsmacht von Hauskindern und Sklaven über ihr Sondergut, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 251, 252 Fn. 5, der die Entziehung als eine im sozialen Leben rechtfertigungsbedürftige Maßnahme der Hausdisziplin sieht. 117 Das könnte folgen aus Ulpian D. 1, 1, 1, 3. (Übers: … Hieraus [aus dem ius naturale] leitet sich die Verbindung des männlichen Geschlechts mit dem weiblichen ab, die wir Menschen Ehe nennen, ebenso die Erzeugung und Erziehung der Kinder, und wir sehen ja, dass auch die übrigen Lebewesen, selbst die wilden Tiere, nach der Kenntnis dieses Rechts eingestuft werden.) 118 Aus der Gemeinschaftsgebundenheit aller Lebewesen, wie sie etwa in Ulpian D. 1, 1, 1, 4 zum Ausdruck kommt: „Völkergemeinrecht [ius gentium] ist das Recht, das die menschlichen Völkerschaften befolgen. Dass es vom Naturrecht abweicht, ist leicht einzusehen, weil dieses allen Lebewesen, jenes nur den Menschen untereinander gemeinsam ist.“ Zu den unterschiedlichen philosophischen Traditionen, die den beiden Texten von Ulpian (siehe auch vorherige Fn.) möglicherweise zu Grunde liegen, Winkel, Einige Bemerkungen über ius na-

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den Geschäftsverkehr integriert. Zu Verfügungen jeglicher Art bedurften Hauskinder, wie die Sklaven, der Ermächtigung ihres Gewalthabers: die Verleihung der libera administratio peculii119. Nur unter dieser Voraussetzung entstand aus dem Geschäft mit dem Dritten eine Verpflichtung120. Die vorsichtige Einbeziehung des Personenkreises in den Geschäftsverkehr nach Maßgabe ihrer Verstandesfähigkeit diente vor allem auch ihrem eigenen Schutz.

c) Ausweitung des Anwendungsbereichs der naturalis obligatio Kennzeichnend für die spät- und nachklassische Zeit gilt der Prozess der Ethisierung und Humanisierung des Rechts121. Mutmaßlich in dieser Zeit kommt es zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der obligatio naturalis. Das zeigt sich zunächst im debitum naturale, das einer sittlichen Pflicht ähnelt. Die Tendenz zur Verbreiterung des Anwendungsbereichs folgt ferner aus dem zunehmenden Rekurs auf den Vernunftgedanken, der als naturalis ratio die Rechtsbildung beeinflusst. aa) Sittliche Verpflichtung (debitum naturale) Das im Binnenverhältnis zwischen Herrn und Sklaven, Vater und Kindern, Eheleuten sowie Vormund und Mündel anerkannte debitum naturale weist auf ein naturrechtlich begründetes Recht-Pflicht-Verhältnis zwischen diesen Personen hin. Die Gleichsetzung von debitum naturale mit der obligatio naturalis ist erst für die justinianische Zeit anerkannt122. Sie entspricht nicht mehr ohne weiteres der klassischen Vorstellung und der technischen Verwendung einer obligatio per abusionem, sondern weitet das ethische Grundmotiv, die naturrechtliche Anerkennung jedes Menschen als frei geboren und damit als potentielles Rechtssubjekt, hin zu einem Billigkeitsrecht aus.

turale und ius gentium, in: Ars boni et aequi. FS für Wolfgang Waldstein, Schermaier/Végh (Hg.), 1993, S. 443 ff. 119 Wacke, (oben Fn. 116), S. 251, 309. 120 Longo, Filius familias se obligat? Il problema della capacità patrimoniale dei filii familias, Mailand 2003, S. 274 ff. 121 H. Hattenhauer, Die Sklaven Gottes, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 59, 66 lässt diese Entwicklung mit Augustus beginnen und weist auf den neben der Stoa wachsenden Einfluss des Christentums hin. 122 Kaser, Ius gentium, 1993, S. 77: Das naturale debitum … ist nicht die zwar erfüllbare, aber nicht prozessual durchsetzbare naturalis obligatio, sondern eine besondere auf dem Näheverhältnis zwischen Herrn und Sklaven bestehende, diesem günstige Bindung. Aus der naturalis ratio ergibt sich, dass die Schuld vor der Zahlung bestanden hat und durch sie erloschen ist.

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Das Institut der Sklavenfreilassung und die Rechtsstellung des Freigelassenen (Libertus) zeigen, dass das debitum naturale und die mit ihr in justinianischer Zeit gleichgestellte obligatio naturalis eine primär sittliche Verpflichtung zum Ausdruck brachten. Das aus dem ius gentium abgeleitete Rechtsinstitut der Freilassung setzte voraus, dass der Sklave die natürlichen Eigenschaften eines Freien besaß. Nur wer die biologischen Anlagen eines Menschen hatte, konnte freigelassen werden, d.h. kraft Rechtsakts volle Rechtsfähigkeit erlangen. Ferner blieb der Freigelassene zur Leistung von Diensten verpflichtet, die als naturalis obligatio dem früheren Herrn geschuldet wurden123 und Pflichten aus nachwirkender Dankbarkeit für die Freilassung bedeuteten124. Hatte der Gewalthaber bei Beendigung des Gewaltverhältnisses durch Emanzipation oder Freilassung dem bisher abhängigen Sklaven das Sondergut (peculium) als freies patrimonium überlassen, so konnten daneben auch klagbare Ansprüche unter den Parteien erwachsen125. Auf die Freilassung hatte ein tüchtiger Sklave allenfalls eine Art moralische Anwartschaft, der auch durch letztwillige Freilassung entsprochen werden konnte126. Möglich war aber ebenso ein förmlicher Freilassungsvertrag. Darin verpflichtete sich der Herr, den Sklaven freizulassen, sobald dieser die vereinbarte Leistung erbracht hatte127. Ein solcher Freikaufvertrag soll nach den Kategorien des klassischen Rechts nur eine soziale Tatsache

123 Der Freigelassene schuldet natura seinem Patron operas, Ulpian, D. 12, 6, 26, 12; dazu Waldstein, Zur Frage der condictio bei irrtümlicher Leistung nichtgeschuldeter operae, in: Benöhr/Hackl/Knütel/Wacke (Hg.), Festgabe für Max Kaser, 1986, S. 319, 322; ebenso hat Thomas die Echtheit der naturalis obligatio in dieser Stelle verteidigt, Thomas, Naturalis obligatio pupilli, Festgabe für Ulrich v. Lübtow, 1970, 479: Die natürliche Verbindlichkeit ist nicht kompilatorisch. Zu Tryphonin D. 12, 6, 64, wonach eine Zahlung im irrigen Glauben an eine einklagbare Schuld nicht zurückverlangt werden kann, weil mit der Leistung an einen Freigelassenen eine vorher begründete naturrechtliche Schuld anerkannt wird, Kaser, Ius gentium, 1993, S. 77. Die Aussage dieser Stelle steht dem heutigen § 814 Hs. 2 BGB nahe, wonach der Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit der Schuld unbeachtlich ist. Hausmaninger sieht hierin anders als Kaser nicht nur ein debitum naturale, sondern einen Fall der Naturalobligation, Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 228; vgl. ferner unten B. I. 4. c), S. 149 Fn. 570 und B. II. 2. b) bb), S. 226 f. 124 Nur bei freiwilliger Freilassung entstand die Schuld, so dass bei fideikommissarischer Freilassung durch eine dritte Person (Übernehmer) keine operae geschuldet wurden, Finkenauer, Freilassung durch Nachlassübernahme – zur addictio bonorum libertatis causa, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 19, 22. 125 Wacke, Faktische Arbeitsverhältnisse im Römischen Recht?, SavZRom 108 (1991) 123, 135. 126 Testamentarische Freilassung oder formlos durch Fideikommiss, Knütel, Rechtsfragen zu den Freilassungsfideikommissen, in: Symposium für Hans Josef Wieling, 2006, 131, 132 ff. Zu dem Sonderfall, der letztwillig angeordneten Freilassung durch Nachlassaddiktion nach der Kaiserkonstitution constitutitio divi Marci (Marc Aurel), Finkenauer, (oben Fn. 124), S. 19 ff. 127 Behrends, Prinzipat und Sklavenrecht, in: Immenga (Hg.), Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 53, 56.

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mit allein moralischer Kraft gewesen sein128. Die Freikaufverpflichtung selbst konnte nicht eingeklagt werden. Sie wurde aber auch nicht als naturalis obligatio des Herrn gegenüber dem Sklaven eingestuft129. Praktisch erfolgte der Freikauf über eine dritte Person. Seit Mark Aurel (161 – 180 n. Chr.) war anerkannt, dass der Sklave von einem Dritten mit dem Geld aus dem Sklavenpeculium freigekauft werden konnte. Der Sklave erteilte dem Dritten den Auftrag (mandatum), ihn, den Sklaven, von seinem Herrn freizukaufen. Gelang der Kauf, so konnte der Sklave gegen den neuen (treuhänderischen) Herrn aus dem mandatum auf Freilassung klagen130. Das Klagerecht aus dem Freikaufsauftrag durchbricht den Grundsatz fehlender Klagebefugnis des Sklaven. bb) Naturalis ratio und ius gentium Die Ethisierung des spät- und nachklassischen römischen Rechts, der eine starke Ausweitung des ius gentium in den Quellen entspricht131, führte zu einer Ausweitung des „Anwendungsbereichs“ der naturalis obligatio. Umstritten ist die Klassizität des weiten Begriffsfeldes132. Die rein funktionelle (fiktive) Gleichstellung des Sklaven und anderer gewaltunterworfener Personen ist in der humanisierten justinianischen Zeit zugunsten einer materialen Gleichstellung aufgewertet. Die naturalis obligatio wird mit der naturalis ratio verknüpft. Das ius gentium als das völkerübergreifende Vernunftrecht liefert hier die Grundlage für die Ausweitung des Anwendungsbereichs der naturalis obligatio.

128 Paulus D. 2, 14, 27, 2: in pactis factum versatur (ein pactum besteht aus Tatsachen), vgl. Behrends, (vorherige Fn.), S. 53, 57. 129 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 16 Rn. 1–9, S. 111 f. 130 Vgl. Behrends, (oben Fn. 127), S. 53, 60 f. Das Peculiengeld stand rechtlich dem Herrn zu. „Kauf mit eigenem Geld des Sklaven“ lässt sich nur im status irrealis verstehen, Ulpian D. 40, 1, 4, 1: An eigenes Geld des Sklaven kann man nur glauben, wenn man die Augen fest schließt; alles hängt hier von dem Erfolg ab. Bis zum Abkauf kann der Herr das Peculium einziehen. Ferner liegt eine Unterschlagung des Herrenvermögens (furtum) vor. Streng genommen berechtigt der Sklave damit seinen Herrn, die Herausgabe des aus dem Freikauf Erlangten zu verlangen und damit seine Rückholung in den Sklavenstand. 131 Dies auch wegen der Masseneinbürgerung aller freien Reichsbewohner in Folge der Constitutio Antoniniana im Jahre 212 n.Chr., vgl. Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 223. 132 Siber, (oben Fn. 57), S. 1, 82 und Cornioley (oben Fn. 57), S. 31 halten den weiten Begriff aus dem ius gentium für den ursprünglichen und klassischen; ebenso von Savigny, Obligationenrecht, I, 1851, S. 52 ff.; Siber, ebd., S. 1, 82, schließt daraus jedoch, dass es keinen Begriff der naturalis obligatio im justinianischen Recht gegeben habe. Dagegen dürfte die überwiegende Auffassung diese Begriffserweiterung der nachklassischen Zeit zuordnen, Kaser, Römisches Privatrecht, I, 2. Aufl. 1971, S. 481, u. II, 2. Aufl. 1975, S. 335; im Ergebnis ebenso Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365; Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 124.

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cc) Befreiung von der Rückgabepflicht (soluti retentio) und pactum nudum Die soluti retentio gilt als gemeinsames Kennzeichen der obligatio naturalis im justinianischen Recht133. Danach ist ein Leistungsempfänger aufgrund einer ihn berechtigenden obligatio naturalis von der bereicherungsrechtlichen Rückgabepflicht befreit. Die Behaltensberechtigung folgt aus der Erfüllbarkeit der obligatio naturalis. Die Erfüllbarkeit (solutum) setzt eine Schuld (debitum) voraus134. Das Behaltensrecht (soluti retentio) konnte sich etwa aus einer formlosen Vereinbarung, einem pactum nudum, ergeben. So genügte die mündliche Darlehensvereinbarung als Verbalkontrakt, um eine obligatio naturalis zu begründen, die durch Hingabe des Geldes erfüllt wurde135. Die obligatio naturalis ex pacto gilt überwiegend als unklassisch136. Ebenfalls als unklassisch angesehen werden die obligationes naturales aus sittlicher Pflicht137. Für eine aus Dankesschuld erbrachte Leistung (Arbeitsdienste eines Freigelassenen) kann kein Entgelt im Wege der condictio indebiti 133 Julian und ihm folgend Ulpian haben die Nichtkondizierbarkeit ungeschuldet geleisteter operae officiales mit dem natura debere begründet; vgl. Waldstein, (oben Fn. 123), S. 319, 322; Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klassischen römischen Recht, Der Ursprung der Haftungsbefreiung durch Wegfall der Bereicherung, 1953, S. 7. 134 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit. 1905, S. 19. 135 Bei der Darlehensschuld liegt die Natürlichkeit im Realakt der körperlichen Geldhingabe, wie bei der traditio zur Übereignung in Gai. 41.1.9.3. Diesen Willen gelten zu lassen entspricht der naturalis aequitas. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 157 f. und Fn. 636: Paulus D. 50, 17, 84, 1: „Von Natur aus schuldet, wer nach ius gentium deshalb zu leisten verpflichtet ist, weil wir ihm kreditiert haben.“; Paulus D. 45, 1, 126, 2: „Wenn wir die als Darlehen hingegebene Geldsumme (außerdem) stipulieren, entstehen nicht zwei Obligationen, sondern nur eine, die aus dem Verbalkontrakt des Darlehens. Wenn aber zuerst gezahlt und dann stipuliert wird, ist nicht anzunehmen, dass von der ‚Naturalobligation‘ abgegangen worden wäre“. 136 Iulian D. 46, 1, 16, 4; Ulpian D. 46, 3, 5, 2. Ferner beim Verzicht auf den zivilen Formalakt der stipulatio in Paulus D. 12, 6, 15 pr. und Paulus D. 19, 2, 1. Das formlose Zinsversprechen hält Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 71 für unklassisch. Das Heilungskonzept des BGB hat hier seinen Ursprung, vgl. Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario. Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 375; zur Abgrenzung vgl. unten C. IV. 4. c) bb) (4), S. 452. 137 Die Stellen Ulpian D. 5, 3, 25, 11; Ulpian D. 12, 6, 26, 12; Ulpian D. 12, 6, 32, 2; Paulus D. 12, 6, 60 nimmt Landolt als Subkategorie zum Gegenstand seiner Untersuchung und verteidigt sie als klassisch aus sabinianischer Schule. Er entwickelt aus ihnen eine Theorie der rechtlichen anerkannten sozialen Pflicht, die keine obligatio im klassischen Sinne, sondern ein officium gewesen sei. Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 11 u. 223. Eine sittliche oder moralische Pflicht und ein universales Moralsystem waren dem römischen Rechtsdenken in der heutigen Form wohl nicht geläufig (str.). Die Anwendungsfälle zeigen, daß die Beurteilung als sittenwidrig oder unehrenhaft weniger auf abstrakten sittlichen Maßstäben als auf fallbezogenen Rechtsgedanken beruhte, D. Schwab, Sittlichkeit. Zum Aufstieg und Niedergang einer rechtlichen Kategorie. In: Dorn, Schröder (Hg.), FS für Gerd Kleinheyer, 2001, S. 493, 494; bez. einer Freundschaftspflicht zur Übernahme eines Mandats aber Nörr, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: In: Schermaier; Vegh (Hg.) FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267, 270 (sozialethische Konzepte des Paulus).

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verlangt werden, d.h. das Erbrachte kann wertmäßig nicht zurückgefordert werden138. Ebenso wird der Frau, die dem Mann eine Mitgift (dos) bestellt in der irrigen Meinung, dass sie hierzu rechtlich verpflichtet sei, die condictio indebitii versagt, weil ein sittlicher Grund übrig bleibt, aufgrund dessen das Geleistete nicht zurückverlangt werden kann139. Auch die Zahlung im irrigen Glauben an eine einklagbare Schuld kann nicht zurückverlangt werden, wenn mit der Leistung an einen Freigelassenen der Leistende seine vorher begründete Naturalobligation erfüllt140. Der in diesen Fällen hervortretende Rechtsgedanke einer Behaltensberechtigung aus sittlichem Grund ist in § 814 Hs. 2 BGB erhalten geblieben141. Ebenso ließ die Verjährung der Klage, die nur eine seltene Ausnahme war, und auch die zu Unrecht abgewiesene Klage eine naturalis obligatio übrig142. Im Falle des Verlusts der bürgerlichen Rechtsstellung (capitis deminutio) blieben zuvor eingegangene Verpflichtungen als obligationes naturales bestehen, so dass hierauf erbrachte Leistungen nicht zurück gefordert werden konnten143. Dagegen waren Wetten grundsätzlich gültige und klagbare Verträge144. Spiele waren als reines Glücksspiel verboten145 hingegen als Kampfspiel erlaubt, aber in der Höhe des Einsatzes beschränkt146. 138

Ulpian D. 12, 6, 26, 12. Ulpian D. 12, 6, 32, 2. 140 Tryphonin D. 12, 6, 64. Gradenwitz meint, Ulpian habe die Sklavenschuld mit der natürlichen Billigkeit (naturalis aequitas) vermengt, (oben Fn. 64) S. 166. 141 Wacke, Faktische Arbeitsverhältnisse im Römischen Recht?, SavZRom 108 (1991) 123, 151. 142 Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 380 f. und ebenso Savigny, Obligationenrecht I, 1851, S. 96 ff. Dabei verweisen Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 4 Rn. 12 f., S. 50 f. darauf, dass erst Kaiser Theodosius II. durch ein Gesetz von 424 n.Chr. eine allgemeine Verjährung einführte, die zum Erlöschen des Rechts führte. Offengelassen von Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, 2006, S. 471. 143 Kaser, Ius gentium, 1993, S. 158: im Falle eines Verlust der bürgerlichen Rechtsstellung (capitis deminutio) bleibt eine eingegangene Verpflichtung bestehen, Ulpian D. 4, 5, 2 „…manent obligati naturaliter“. 144 Marcian D. 11, 5, 3: Erlaubte Wetten in Stipulationsform bei Wettkämpfen, die dem sportlichen Können dienen sowie Ulpian D. 19, 5, 17, 5, 1, wonach eine klagbare Forderung aus einer gültigen Wette entstand. Im Falle der inhonesta causa sponsionis hatte der Gewinner keinen Anspruch auf den Gewinn. Er konnte aber die Rückgabe des eigenen Einsatzes fordern. Das entspricht rechtstechnisch der Nichtigkeit. Vgl. Kurylowicz, Das Glücksspiel im römischen Recht, SavZRom 102 (1985) 185, 205 f.; Großfeld/Rothe, Spiel und Wette in Literatur und Recht, ZVglRWiss 98 (1999) 209, 220. 145 Paulus D. 11, 5, 2, 1 sowie Ulpian D. 44, 5, 2, 1 wonach die Klage aus einer Forderung auf Erfüllung einer Spielschuld (aus einem verbotenen Spiel) durch exceptio aus dem Edikt „De aleatoribus“ ausgeschlossen wurde, vgl. Kurylowicz, (vorherige Fn.), SavZRom 102 (1985) 185, 206. 146 Vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 421 f.; Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, 168. 139

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Die naturalis obligatio erscheint danach in einem erweiterten Anwendungsbereich als Reserveschuldgrund. Das Begriffsverständnis ist in dieser Vorstellung in das gemeine Recht übergegangen. Er wird auch heute noch auf Fälle verwandt, in denen eine causa für das Behaltendürfen besteht147. Die naturalis obligatio ist danach zugleich Grundlage jeder obligatio, was ihre eigenständige Begrifflichkeit gefährdet. Nach heutiger Auffassung hat das römische Recht keine Theorie der obligatio naturalis entwickelt. Insbesondere waren alle Leistungen auf eine causa praeterita, eine frühere Schuld, unkondizierbar, nicht nur solche, die einer sittlichen Pflicht entsprachen. Es habe daher – wie Honsell feststellt – keiner weiteren Ausbildung einer Theorie der unvollkommenen Verbindlichkeit bedurft148.

d) Die Rechtsgrundlage der obligatio naturalis: Das ius naturale als Rechtsquelle? Einigkeit besteht heute darüber, dass das ius naturale bereits in klassischer Zeit anerkannt war und es sich im Corpus Iuris Civilis nicht um Einfügungen aus nachklassischer Zeit handelt149. Die in der Romanistik streitige Frage geht aber dahin, ob das ius naturale eine eigenständige Rechtsquelle darstellte, was verschiedentlich bejaht wird150. Nach anderer Auffassung war das ius naturale lediglich Verpflichtungsmotiv bei der Regelbildung. Regeln unter der Attribution natural sind danach dem ius gentium zuzuordnen151. Diese tektonische Grund147 Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – Bd. IV, Neapel 2001, S. 365, 375, der generell nur eine causa anerkennt vgl. zuvor oben im Text. 148 Honsell, vorherige Fn., S. 365, 377; dagegen Landolt, Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 234. 149 Waldstein, Bemerkungen zum ius naturale bei den klassischen Juristen, SavZRom 105 (1988) 702, 710 (bei Gaius anerkannt); ders., Ius naturale im nachklassischen römischen Recht und bei Justinian, SavZRom 111 (1994) 1, 3; ders., „Ius gentium“ und das Europäische „ius commune“, in: Index 26 (1998) 453 ff. 150 Waldstein, (vorherige Fußn.), S. 3, 6: Bestätigt wird die Trichotomie der Rechtsquellen nach Ulpian D. 1, 1, 1, 2: privatum ius tripertium est: collectum etinem est ex naturalibus praeceptis aut gentium aut civilibus (ius naturale, ius gentium und ius civile); Behrends (oben Fn. 74), S. 19, 42, der das ius naturale mit dem ius gentium zum ius commune verbunden sieht, weil beide universal gelten. Das den Menschen angehende ius naturale sei bei Ulpian in dem Ausdruck „Ius commune“ enthalten: (D. 1, 1, 6 pr.). Ius commune entspreche bei Cicero der Bezeichnung „ius humanum“. Ebenso auch Landolt, Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 202 ff. 151 Vgl. auch die Begründung bei Kaser, Ius gentium, 1993, S. 58: „Das ‚ius naturale‘ ist … von Haus aus kein juristischer Systembegriff, weil es auf keinem rechtsdogmatischen Kriterium beruht“; zustimmend Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224 f. Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. Aufl. 1999, S. 50 und Kunkel/Honsell, Römisches Recht, 4. Aufl. 1987, S. 378 f. weisen nur darauf hin, dass die klassische Schultheorie keinen einheitlichen Begriff des ius naturale ge-

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lagenfrage lässt sich hier nicht klären und kann auch nicht in der gebotenen Breite behandelt werden. Dennoch liefert die Naturalobligation als Rechtsfigur des klassischen römischen Rechts einen Hinweis für die Grundfrage nach den Rechtsquellen des römischen Rechts. Inwieweit bei der rechtlichen Strukturierung der Rechtsschichten ein spezifisches Weltbild wirksam war, wie dies insbesondere von Behrends angenommen wird, muss hier offen bleiben. Die kontrovers gezeichneten historischen Entwicklungslinien des römischen Rechts152 können weder verfolgt noch kritisch hinterfragt werden. Für die allein aufzuwerfende rechtstheoretische Fragestellung spielen sie jedoch auch keine entscheidende Rolle. Behrends geht davon aus, dass der Schlüssel zum Verständnis der römischen Rechtsquellenlehre in dem rechtstheoretischen System bestehend aus institutio und ius einerseits sowie natura und factum andererseits, liegt. Die Stellung des ius naturale als eigenständige Rechtsquelle soll sich danach wie folgt ergeben: dem ius zugehörig gewesen seien alle im zivilrechtlichen System anerkannten privaten Rechte, die zu einer institutionellen Rechtsordnung (institutio) zählten. Deren Rechtsregeln entstammten dem ius gentium und dem ius civile, welches sich aus dem gewohnheitsrechtlichen mos maiorum und der staatsrechtlichen lex publica zusammengesetzt habe. Unter natura habe man im klassischen System die Sphäre der nicht rechtlich strukturierten und darum als natürlich bezeichneten menschlichen Gesellschaft verstanden153. Gemeint gewesen seien die von allen Mitgliedern der Gesellschaft zu beachtenden Werte des menschlichen Zusammenlebens154. Das sog. factum entstamme dem Bereich der natura und habe diejenigen Wertungen und Rechte aufgenommen, die nicht förmlich im System anerkannt gewesen seien. Der Prätor habe dadurch den Wertungen in der sozialen Wirklichkeit rechtliche Geltung verschaffen können. Die Ordnung des Rechts (ius) habe er dagegen nicht ändern oder ergänzen dürfen. Die prätorischen ediktalen Rechte seien deshalb „in factum“ konzipiert gewesen. Entsprechend sei

bildet habe, sondern verschiedene Spielarten auftraten. Nicht eindeutig ist das Urteil von Winkel, Einige Bemerkungen über ius naturale und ius gentium, in: FS für Wolfgang Waldstein, Schermaier, Végh (Hg.), 1993, S. 443, 449: „Das ius naturale hatte jedoch keine wirkliche unmittelbare Geltung und bildete nach wie vor nur einen Bereich der Rechtsphilosophie, weit entfernt von praktisch-juristischer Bedeutung.“ 152 Für die von Behrends inspirierte Konzeption Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, 2005, S. 87 ff.: Die veteres hätten das ius gentium als „pflichtenhaltiges, solidarisches Naturrecht“ begriffen, die Juristen der Folgezeit hätten die Konzeption eines ius gentium als „Zivilisationsrecht“ hiergegen gesetzt. Gegen die dem von Behrends gezeichneten Gesamtbild zugrundeliegende Einordnung des Serv. Sulpicius Rufus Cuena Boy, Nota di lettura zu Ferdinando Bona, L’ideale retorico ciceroniano ed il „ius civile in artem redigere“, SDHI 46, 1980, 282–382. 153 Behrends, Die Trichotomie „actio, petitio, persecutio“, in: FS Sellert, 2000, S. 11, 33. 154 Die dem Einzelnen als natürlichem Mitglied der zivilisierten Menschheit abgeforderten Werte. Vgl. Behrends, (vorherige Fn.), S. 11, 20.

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etwa die exceptio doli ein in factum entwickeltes Abwehrmittel gewesen155, das ebenso wie die actio de dolo als prätorischer Klagetyp (persecutio) dem Wert der Wahrhaftigkeit rechtlich Geltung verschafft habe. Sowohl das ius als auch die in factum konzipierten Rechte der natura hätten der Gleichheit (aequitas) gedient. Allerdings habe auch hier eine prägnante Unterscheidung gegolten. Die Regeln der institutio hätten der civilis aequitas, die der natura der naturalis aequitas entsprochen. Die Regeln der bürgerlichen Rechtsgleichheit stehen den Regeln der natürlichen Rechtsgleichheit gegenüber. Es sei die Aufgabe des Gerichtsmagistrats gewesen, die formalen Regeln der institutio durch die Werte der naturalis aequitas zu ergänzen und gegebenenfalls zu korrigieren156. Die naturalis aequitas habe im Namen der Pflicht zur Wahrhaftigkeit auch das Vertrauen auf das gegebene Wort geschützt. So sei etwa der Tausch kein anerkannter Vertrag und daher vom Rechtssystem nicht mit wechselseitigen Obligationen ausgestattet worden. Folglich sei er auch nicht klagbar, aber durch die naturalis aequitas geschützt gewesen157. Überträgt man dieses konzeptionelle Verständnis auf die obligatio naturalis, so könnte es sich um Verpflichtungstatbestände gehandelt haben, die aus dem Bereich der „natura“, der gesellschaftlichen Wertordnung entstanden waren. Rechte und Pflichten, die rechtlich nicht präformiert und im System nicht anerkannt waren, die aber „in factum“ zur Anerkennung kraft Richterrechts gelangten. Im heutigen Verständnis also etwa sittliche Pflichten oder Anstandsrücksichten, wie sie von § 814 Hs. 2 BGB erfasst werden. Das System der adjektizischen Haftung, bei der die obligatio naturalis als Rechengröße für die Haftung des Herrn diente, dürfte eher gegen ein solches Gesamtverständnis sprechen. Integrieren lässt sich aber die Entwicklung der obligatio naturalis hin zu einem Reserveschuldgrund und Instrument des Billigkeitsrechts. Sucht man nach einer Antwort auf die Frage nach dem Rechtsquellencharakter des ius naturale, so sprechen im Ausgangspunkt für beide Sichtweisen gute Gründe. Zunächst ist zu sehen, dass weder die Natur noch die Götter als recht155

Behrends, (oben Fn. 153), S. 11, 14 f. u. Fn. 6. Behrends, „Die Gewohnheit des Rechts und das Gewohnheitsrecht“, in: Willoweit [Hg.], Die Entstehung des Rechts als historisches Problem, 2000, S. 19, 32 ff. 157 Behrends sieht in der Naturrechtsrezeption nachgerade einen autopoietischen Reproduktionsprozess des Rechts. Die communia naturae atque legis versteht er im Sinne einer zweiten Natur, die besagt, dass die durch das Recht bereitgestellten Formen, in denen sich der Mensch selbst behaupten und für „Empfangenes“ Vergeltung suchen kann, den Naturprinzipien nachgestaltet sind. Die zweite Natur verwirklicht den Zweck, „… Formen der Rechtsdurchsetzung in Geltung zu setzen, in denen sich diese Tendenzen [Selbstbehauptung und Vergeltung durch Gewalt] ohne ihre Existenz leugnen zu wollen, in friedlicher Weise verwirklichen können. Die Naturkraft der Selbstbehauptung wirkt … nur noch in Form des menschlichen Antriebs, die eigenen Rechte rechtsförmlich durchzusetzen. In ihrer ursprünglich gewaltsamen Naturform ist sie dagegen jetzt verpönt.“ Behrends, Selbstbehauptung und Vergeltung und das Gewaltverbot im geordneten bürgerlichen Zustand nach klassischem römischem Recht. SavZRom 119 (2002) 44, 54. 156

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setzende Institutionen anerkannt waren und daher keinen Geltungsgrund für eine eigene Rechtsschicht lieferten158. Andererseits kann die Natur auch in einem abgeschwächten Sinne als normgebend verstanden werden. Einem solchen ethischen Naturalismus muss kein gott- oder naturbezogenes Weltbild explizit zugrunde liegen. Dem ethischen Naturalismus genügt die empirische Beobachtung natürlicher Abläufe oder Verhaltensweisen, aus denen regelhafte Vorbilder abgeleitet und daran ausgerichtete Normen teleologisch entwickelt werden. Ius naturale bezeichnet bei Gaius entsprechend immer Einzelnormen des geltenden Rechts, die unter dem Gesichtspunkt ihres natürlichen Ursprungs betrachtet werden159. Nun sind Gebote, zu deren Befolgung jeder Mensch naturaliter für verpflichtet gehalten wird, sei es, weil er aus Triebgründen gehalten oder veranlasst werde, nach heutigem Verständnis soziobiologische Gesetzmäßigkeiten. Sie besitzen also keinen normativen Gehalt. Sie als eigenständige Rechtsschicht anzuerkennen überschreitet mit anderen Worten die Sein-SollenDichotomie des Rechts. Diese Ebenenüberschreitung kann auch nicht durch die Vorstellung vermieden werden, der Mensch sei im ius naturale Herr seiner selbst geblieben und werde in dem Lebens- und Sachbereich des ius naturale nicht durch die Selbstsetzung von Zwecken (zivil-) determiniert160. Der naturalistische Fehlschluss bleibt in der Vorstellung eines triebgesteuerten und zugleich rechtlich handelnden Menschen bestehen. Andererseits ist es durchaus denkbar, dass die römische Jurisprudenz unaufgeklärt und darum ganz unbewusst einem naturalistischen Fehlschluss unterlegen ist161. Ein reflexives Verständnis von den selbst gebildeten Normen wird man den Römern nicht ohne weiteres unterstellen dürfen. Die Zerstörung des Naturrechtsglaubens hat jedenfalls ihre Wurzel erst in der philosophischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts162. Aus der neuzeitlichen Erkenntnis163 ergibt sich nicht, dass 158

Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224. 159 Waldstein, (oben Fn. 149), S. 702, 706. 160 Behrends, (oben Fn. 156), 2000, S. 19, 42 f. bez. des Rückforderungsausschlusses von Verlobungsgeschenken. Die Schenkung diente dem Triebgebot. Hierzu sei man naturaliter verpflichtet gewesen (d.h. aus Triebgründen gehalten oder veranlasst). Man sei zwar Herr seiner selbst, aber doch nicht durch Selbstsetzung (zivil) determiniert, sondern von inneren Trieben hingerissen. 161 So in der Sache auch Kaser, Ius gentium, 1993, S. 121: Die Natur im nichtnormativen Sinne hat normative Implikationen und ist ein rechtsbildender Faktor (ebenso wie die guten Sitten). 162 D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 3 zeigt die in der Scholastik fortbestehende Parallelität von ius gentium und ius naturale, wobei das ius gentium ausschließlich auf die menschliche Rechtsordnung bezogen wurde und unter den Oberbegriff des ius naturae fiel. 163 Sie lautet: „Daraus, daß etwas ist, folgt nicht, und kann nicht folgen, daß etwas sein soll. Der Schluß von dem Sein auf das Sollen ist logisch ein Trugschluss“, Kelsen, Zum Begriff der Norm, in: Dietz/Hübner (Hg.), FS für Hans Carl Nipperdey, Bd. I., 1965, S. 57, 61. Grundlage ist die These von David Hume, dass aus Seinsaussagen keine Sollensaussagen ab-

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auch schon die skeptische klassische römische Jurisprudenz der Natur jeden normativen Gehalt abgesprochen hat. Stoisch naturrechtlichen Vorstellungen dürfte es entsprechen, in der Natur mehr als nur ein Motiv für die eigene Regelbildung zu sehen. Die obligatio naturalis könnte ihren präskriptiven Gehalt daher durchaus einer Vorstellung verdanken, die im aristotelischen Sinne ein reales Naturbild nach einem idealen Naturbild hin bewertet und daraus normative Verhaltensanforderungen, Ge- und Verbote, ableitet. Die gegenüber Normativierungen der Natur skeptische Haltung des klassischen Realismus konnte in abgeschwächter Form zumindest noch von Geboten des ius naturale sprechen. Gebote, die keiner rechtlich institutionellen Verstärkung bedurften, da sie ihre verhaltenssteuernde Kraft von Natur aus besitzen. Die Gebotserfüllung beruht hier nicht auf der Drohung mit einer künstlich geschaffenen Sanktion, sondern auf der Erwartung einer natürlichen (im heutigen Verständnis naturgesetzlichen) Sanktion164. Die das Binnenverhältnis von Herr und Sklave, Mann und Frau, Vater und Kind betreffenden debita naturale lassen sich auf diese Weise als Triebgebote erklären. Die Verhaltenssteuerung und Präferenzbildung wird bei ihnen auf natürlich-instinkthaftes Verhalten zurückgeführt, ist animalisch, deterministisch aber aus heutiger Sicht damit nur noch deskriptiv zu verstehen. Etwas anderes gilt für diejenigen Naturalobigationen, die auf der zuerkannten Fähigkeit des Sklaven, der Ehefrau und des Haussohnes beruhen, Verpflichgeleitet werden können, Treatise on Human Nature (1739), Buch III, Teil I, Abschn. 1. Darauf aufbauend die These des naturalistischen Fehlschlusses nach Moore, vgl. Höffe, Naturrecht ohne naturalistischen Fehlschluss. Ein rechtsphilosophisches Programm, 1980 S. 10; oftmals wird von dem Humeschen Gesetz gesprochen, das in sprachphilosophischer Sicht besagt, dass man aus einer Prämissenmenge, die nur deskriptive Sätze enthält, niemals einen normativen Satz logisch korrekt als Konklusion ableiten kann. Borchers, Träume von Tatsachen und Tugenden: Stärken und Schwächen des tugendethischen Naturalismus, in: Lütge/ Vollmer (Hg.), Fakten statt Normen?, 2004, S. 60, 64. 164 Für diese naturalistische Rechtsbetrachtung spricht Ulp. D. 1,1,1,3: Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit. Die Einbeziehung der Tiere beruhte nach Ansicht von Kaser auf der Erfahrung, daß gewisse Erscheinungen des menschlichen Zusammenlebens Entsprechungen in der Tierwelt haben. Tiere haben einen eigenen Willen und folgen dabei einem angeborenen Instinkt. Aus solchen Beobachtungen hat bereits die altgriechische Philosophie auf zwingend gebotene Verhaltensregeln geschlossen, die die Tiere zwar nicht aus verstandesmäßiger Einsicht, aber aus ihrer Veranlagung ebenso als verbindlich einhalten wie die Menschen. Die Natur diente als Veranschaulichungsmittel für den elementaren Rechtsunterricht. Da es nur wenige Beziehungen rechtlicher Art gibt, für die sich vergleichbare soziale Erscheinungen bei Tieren beobachten lassen, ist die Reichweite solcher Parallelen von vornherein gering. Vgl. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 67 ff., 70 f. Von einer solchen Rechtsbindung kraft natürlicher Veranlagung ist die natürliche Vernunft des Menschen, wie sie ratio naturalis in spätklassischer Zeit anerkannt wurde, nicht weit. Das ius gentium bezeichnet dann den engeren, ausschließlich auf die menschliche Rechtsordnung bezogenen Bereich, während das ius naturale umfassend alle Lebewesen erfasst. Vgl. zu dieser von der Scholastik rezipierten Sicht, D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 3.

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tungen auch im Außenverhältnis „natural“ zu begründen. Die Gebotserfüllung ist in diesen Fällen keine naturnotwendige Folge eines wie auch immer geformten Versprechens165. Hier fungiert der Naturgedanke also stets nur als Legitimation für die Ausweitung des rechtlichen Handlungsbereiches zugunsten dieser Personen und ist damit – wie Kaser annimmt – ein Motiv bzw. eine Rechtfertigung für die Regelbildung. Richtig ist auch, dass nur das ius gentium ein positivrechtliches Moment insoweit besitzt, als es zur naturalis ratio zusätzlich den übereinstimmenden Gebrauch der Regel bei allen Völkern unterstellt166. Das Argument ist aber nur dann stichhaltig, wenn Rechtsquellen positivistische Elemente aufweisen müssen. Das ist eine neuzeitlich rechtstheoretische Auffassung, die in römischer Zeit nicht gegolten haben muss. Sieht man die naturalis ratio167 als die maßgebliche natürliche Grundlage eines Versprechens an, wie dies möglicherweise in spätklassischer Zeit geschah168, hätte das ius naturale also die Qualität einer eigenen Rechtsquelle auch in den Fällen der Verkehrsgeschäfte mit Dritten erreicht. Aus heutiger Sicht haben Kaser und die ihm folgende Lehre daher Recht. Die Natur ist nur Verpflichtungsmotiv. In spätklassischer Zeit könnte ihr zwar eine mindestens schwache Normativität zugewiesen worden sein. Sie wäre unter heutigen Prämissen insoweit auch echte Rechtsquelle gewesen. Für eine zeitgemäße Deutung der Naturalobligation sind diese historischen Wurzeln aber jedenfalls nicht mehr übertragbar und insofern ohne Belang.

e) Zusammenfassung Die römischrechtliche Quellenlage zur obligatio naturalis ist insoweit unsicher, als über die Klassizität des weiten, aus dem ius gentium und ratio naturalis abgeleiteten Begriffs keine Einigkeit besteht. Auch wird man sagen können, dass das römische Recht keine feststehende Theorie der obligatio naturalis entwickelt hat. Die Ausweitung des Begriffs auf eine aequitas naturalis führt zu einer schwer fassbaren Obligation aus Billigkeitsgründen, die als Re165

Anderenfalls wäre die Einhaltung jeden Versprechens ein biologischer Automatis-

mus. 166 D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 3 (bezogen auf die in der Scholastik fortgeführte Dichotomie von ius gentium und ius naturale). 167 Naturalis ratio ist die angeborene Einsicht in das, was natürlich ist. Gaius unterstreicht dabei die allgemein-menschliche Vernunft, aus der sich über die körperliche Folgerichtigkeit hinaus bisweilen der Ansatz zu einer Verhaltensnorm ableiten läßt, vgl. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 61. 168 Das Eingehen von Verbindlichkeiten als natürlicher Vorgang hält Cornioley unter Hinweis auf Gaius D. 4, 5, 8 bereits für klassisch, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain. Genf 1964, S. 137. Kaser geht davon aus, dass dem Sklaven die naturalis ratio erst in der Spätzeit zugeschrieben wurde, Ius gentium, 1993, S. 12; ders., Römisches Privatrecht, II, 2. Aufl. 1975, S. 335.

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serveschuldgrund ein Behaltensrecht vermittelte. Die Weite des Begriffs gab auch in der Rezeption Anlass zu Missverständnissen und Kritik169. Sofern man sich aber auf den engeren Begriff als den „unstreitigen“ Kern festlegt, lassen sich klare Kriterien formulieren170. Der Begriff wird am häufigsten im Zusammenhang mit der Sklavenschuld verwendet. Es ist von einer herkömmlichen Obligation auszugehen, welche insbesondere auch durch ein Leistungsversprechen171 begründet werden kann172. Das Adjektiv „naturalis“ bezieht sich auf den natürlichen Ursprung der Pflichtentstehung. Das ist die willensgesteuerte Handlung und – ggf. in einer späteren Entwicklungsstufe – die menschliche Vernunft (ratio naturalis). Naturalis drückt also die systemische Ursprünglichkeit des Bindungstatbestandes und deren rechtliche Anerkennung aus. Ob diese Anerkennung auch dem ius naturale als einer eigenen Rechtsschicht zuzuordnen ist, oder nur Motiv der Rechtsbildung war, kann offen bleiben. Eine actio wurde jedenfalls nicht de iure naturale gewährt. Hinzukommen musste die Anerkennung durch das ius civile. Daran fehlte es173. Wie die Peculienhaftung zeigt, folgt aus der fehlenden actio jedoch nicht, dass auch keine Einstandspflicht für eine nicht gehörige Primärleistung be- oder entstehen konnte174. Eine Trennung von actio und Forderung, wie sie Windscheid im 19. Jahrhundert vollzieht, bereitet sich hier vor. Die sprachliche Distanzierung, wonach die obligatio naturalis den Obligationenbegriff „per abusionem“ verwendet, kann als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass eine Gleichstellung von obligatio civilis und naturalis faktisch 169 Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 10; ferner zur Rezeptionsgeschichte unten B. I. 4. S. 140 ff. 170 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit. 1905, S. 72 (beschränkt auf die obligatio servi). 171 Das konnte jedoch kein formgebundenes mündliches Versprechen, insbesondere also keine stipulatio des klassischen Rechts sein, weil diese nur nach ius civile begründet werden konnte; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 7 Rn. 20. 172 Für den engeren Begriff im Bereich der Sklavenschuld kann dies als unbestritten bezeichnet werden. Vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 33 Rn. 7 f., S. 205; so etwa auch Landolt, Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 234 ff. 173 Behrends, Die Trichotomie „actio, petitio, persecutio“, in: FS für Wolfgang Sellert, 2000, S. 11, 14 und passim. Auch die als persecutio bezeichneten prätorischen Klagen konnten nur einen durch das ius geschützten Klaginhalt ergänzen oder abändern; Landolt meint, daneben sei das natürliche Element des Konsenses ein Kennzeichen der naturalis obligatio gewesen, Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 234 ff.. 174 Honsell hält die begriffliche Streitfrage, ob es sich bei der naturalis obligatio lediglich um ein nicht durchsetzbares Schuldverhältnis handle oder um eine echte Obligation, welche jedoch ihre Wirkungen erst durch Erfüllung entfalte für überholt (Rückfall in Begriffsjurisprudenz). Es handele sich um eine terminologische Frage, aus der keine sachlichen Entscheidungen abgeleitet werden könnten, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – Bd. IV. Neapel 2001, S. 365, 368; heute könne man überall dort von Naturalobligation sprechen, wo zwar kein prozessualer Zwang zur Leistung bestehe, aber die erbrachte Leistung nicht (indebite solutum) … zurückgefordert werden kann. Es bestehe keine Verpflichtung, wohl aber eine causa des Behaltendürfens, ebd., S. 369.

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anerkannt war. Der Kunstgriff liegt in einer „als ob“ Betrachtung. Die obligatio naturalis wird in den status irrealis versetzt und lediglich so behandelt „als ob“ es sich um eine obligatio civilis handelte (Pseudoobligation)175. Die klassische Jurisprudenz konnte damit eine Begriffserweiterung des Obligationenbegriffs hin zu einer Forderung auch für und gegen vor Gericht nicht parteifähige Personen formal ablehnen und dennoch die Gleichstellung vollziehen. Der rechtliche Grund für die fehlende Klagbarkeit liegt darin, dass eine actio nur von und gegen Personen gerichtet werden konnte, die nach ius civile verpflichtet waren. Nur sie konnten rechtlich selbständig handeln und waren damit im heutigen Sprachgebrauch rechts-und parteifähig sowie geschäfts- und prozessfähig. Folglich schieden actiones von und gegen Sklaven aus. Dasselbe galt für gewaltunterworfene Kinder, Frauen und Mündel. Auch die Rückforderung erbrachter Leistungen war von und gegenüber diesen Personen prozessual nicht möglich. Über die Einräumung eines Sonderguts (peculium) durch den Gewalthaber konnte dieser Personenkreis dennoch eigene Geschäfte schließen und Naturalobligationen begründen, die vorbehaltlich seiner Zustimmung (libera administratio peculii) wirtschaftlich für und gegen den Herrn wirkten und aktiv wie passiv klagbar waren. Die obligatio naturalis diente dabei als Rechengröße und Bindeglied für die Haftung des dominus. In dieser Funktion setzt sie die Annahme eines Obligationsverhältnisses voraus. Auf diese Weise ließen sich nicht rechtsfähige und nicht parteifähige, wohl aber geschäftsfähige Personen in den Kreis potentieller Gläubiger und Schuldner aufnehmen und in den Geschäftsverkehr integrieren. Insoweit galt die Naturalobligation wie eine Zivilobligation mit der Maßgabe, dass die Haftung auf den Wert des peculiums begrenzt war. Das zeigt das potentiell mögliche vollständige Funktionsäquivalent zwischen Zivil- und Naturalobligation. Der aus Sicht des ius spezifisch rechtliche Mangel konnte aber nicht nur in der Person, sondern – wie beim formlosen Zinsversprechen – auch im Verpflichtungsgrund liegen. Die naturalis obligatio ist also nicht auf den Sonderfall einsichtsfähiger, aber im Rechtssinne unselbständig handelnder Menschen beschränkt. Sie meint in einer weiteren Abstraktionsstufe insgesamt Verpflichtungen, aus denen aus bestimmten Gründen nicht geklagt und nicht vollstreckt 175 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 33 Rn. 7 f., S. 204: Anerkennung rechtlicher Wirkungen der naturalis obligatio, die „…faktisch wie Verbindlichkeit aussieht, rechtlich aber keine ist“. Der mögliche Widerspruch im Begriff einer faktischen Verbindlichkeit wird bei Kaser/Knütel durch den status irrealis („so aussehen, als ob“) vermieden. Im status realis könnte von einer natürlichen oder faktischen Gebundenheit in einem präskriptiven Sinne nicht ohne naturalistischen Fehlschluss gesprochen werden. Aufgeworfen ist damit die schwierige Frage, ob die rechtliche Anerkennung einer bloß faktischen Gebundenheit von der herkömmlichen Vorstellung rechtlicher Gebundenheit zu unterscheiden ist. Meines Erachtens reicht jeweils nur die rechtliche Anerkennung unterschiedlich weit. Es ist eine Entscheidung des Rechts, ob und in welchem Umfange Rechtsfolgen an bestimmte Realien geknüpft werden.

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werden kann, die aber im Übrigen doch dieselben rechtlichen Wirkungen haben wie die institutionelle obligatio civilis. Funktional kennzeichnet „obligatio naturalis“ damit die obligatorische Gebundenheit des Schuldners ohne einen gerichtlichen Schutz für den Gläubiger.

2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis des römischen Rechts a) Germanisches Recht Den germanischen Volksrechten ist die Naturalobligation weder begrifflich noch in einem rechtstechnisch entwickelten Sinne bekannt gewesen176. Der Einfluss des germanischen Rechts auf die Rechtswissenschaft insbesondere um die Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat möglicherweise aber auch auf die theoriengeschichtliche Entwicklung der Naturalobligation ausgestrahlt. Hinweise darauf ergeben sich unter dreierlei Aspekten: Die Regelung von Spiel und Wette, die Wette als Urform vertraglicher Pflicht sowie die Trennung von Leistungspflicht (Schuld) und durchsetzbarem Zugriffrecht (Haftung). aa) Spiel und Wette Die geschichtliche Entwicklung der rechtlichen Anerkennung und Ausgestaltung von Spiel und Wette ist hier nicht im Einzelnen zu verfolgen177. In diesen heute verbreitet als Naturalobligationen eingestuften Fällen hatte das römische Recht – anders als v. Savigny und die ihm folgende Pandektistik annahmen – keine obligatio naturalis gesehen. Vielmehr entstanden entweder durchsetzbare Forderungen (virtutis bzw. honesta causa) oder keine Forderungen (inhonesta causa)178. Im germanischen Recht waren Wettordnungen nicht einklagbar. Die Wette war danach in alter Zeit verbindlich und rechtwirksam, vermittelte aber

176 Heinrich Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.): Gedenkschrift für Ludwig Mitteis. 1926, S. 1, 80; zustimmend Kurylowicz, Das Glücksspiel im römischen Recht, SavZRom 102 (1985) 185, 217; Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 17. Aufl. 1985, S. 17; auch im Deutschen Rechtswörterbuch werden Kompositen mit „Natural-„ erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts verzeichnet, DRW, Bd. 9, Speer (Hg.), 1992–1996, Stichwort: Natural. Keine Einträge auch im HRG. 177 Vgl. eingehend Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 422 ff. 178 Paulus D. 11, 5, 4, 1–3 bezüglich der Glücksspiele von Sklaven. Auf den Ausgang erlaubter Sportspiele, die sich durch Geschicklichkeit und Gewandtheit auszeichnen, konnten klagbare Wetten abgeschlossen werden. Das römische Verbot des reinen Glücksspiels folgt aus C. 3.43; Paulus D. 11.5.2.1 u. Marcian D. 11. 5. 3. Vgl. Kurylowicz, Das Glücksspiel im römischen Recht, SavZRom 102 (1985) 185, 192 ff. und oben bei Fn. 144.

I.2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis

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keine Klagebefugnis179. Der Grund lag in dem praktischen Umstand, dass der Wettende den Wetteinsatz bereits erbracht hatte. Erwies sich seine Behauptung als unrichtig verfiel der Wetteinsatz; erwies sie sich als richtig, erhielt er ihn zurück. Für Leistungsklage und gerichtliches Urteil blieben kein Raum180. Die Wette wurde aus diesem Grunde als „Verwillkürung“ im Sinne einer rein privaten Abwicklung verstanden; sie war verbindlich, aber nicht klagbar181. Das germanische Recht kannte mit der Wette also rechtswirksame, aber nicht klagbare Verbindlichkeiten. Dagegen waren Spielschulden bis in das hohe Mittelalter klagbar. Zur Bekämpfung der Spielsucht wurden sie erst ab dem 14. Jahrhundert in nichtklagbare Verbindlichkeiten überführt182. Der Grundsatz entwickelte sich, dass niemand mehr als er bei sich führt, verspielen dürfe. Die weitergehende Forderung sollte nicht rechtsbeständig sein183. Darüber hinaus wurde auch das ursprünglich bestehende Selbsthilferecht beseitigt. Es hatte dazu gedient, den Verlierer zur Bezahlung seiner Spielschuld mit dem, was er bei sich hatte, zu nötigen184. Damit waren die fehlende Klagbarkeit sowie der Rückforderungsausschluss als dogmatische Strukturelemente, wie sie in die §§ 762 f. BGB eingingen, bereits angelegt. bb) Der verwillkürte Vertrag (germanische Treue) Der Vertragsbegriff des germanischen Rechts könnte seine Grundlage in der Verwillkürung gehabt haben. Unter ‚sich verwillküre‘ (sich verwilligen, wilkoren, lat. arbitrari185) war typischerweise die Vereinbarung einer Strafe zu verstehen, die für den Fall der Nichteinhaltung eines Versprechens zu zahlen war 186. Dieses auch als Selbstverpflichtung bezeichnete Strafgedinge war aber bereits eine speziellere Begriffsverwendung der Verwillkürung. In einem ursprünglicheren, weiteren und grundlegenderem Verständnis galt:187 179 Vgl. HRG, Erler/Kaufmann/Werkmüller [Hg.], Bd. 38: Wertpapiere – Wormser Reformation, 1995, Stichwort Wette. 180 Otto v. Gierke, Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht (1910), Neudruck 1969, S. 273. Von Jhering hatte die Nichtanerkennung von Spiel- und Wettverträgen gefordert, weil sie für den Verkehr völlig belanglos seien, vgl. mN G. Wagner, Rudolph von Jherings Theorie des subjektiven Rechts und der berechtigten Reflexwirkungen. AcP 193, 319, 326. 181 Großfeld/Rothe, Spiel und Wette in Literatur und Recht, ZVglRWiss 98 (1999) 209, 220 f. Darin lag allerdings keine Eigenart der Wette. Vgl. nachfolgend im Text bb). 182 Breßler, Schuldknechtschaft und Schuldturm. Zur Personalexekution im sächsischen Recht des 13.–16. Jahrhunderts, 2004, S. 352 Fn. 15. Für Spielschulden wurde keine Hilfe im Wege der Überantwortung des Schuldners an den Gläubiger gewährt (ebd. S. 352). 183 Wilda, ZfdR Bd. 2 (1839) S. 133, 153 m.w.N. 184 Vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 423. 185 Wilhelm Ebel, Die Willkür, 1953, S. 12. 186 Ebd. S. 16 187 Ebd. S. 21.

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„Die Verwillkürung ist ihrem Rechtsinhalt nach das dem älteren und ältesten Recht eigentümliche Gebilde, vermittels dessen der Willkürer – oder die mehreren gegenseitig – selbst die Rechtsfolge (Sanktion) für den Fall setzt, dass eine von ihm aufgestellte Behauptung sich als unrichtig herausstellt.“

Das bedingte Selbsturteil weist Wilhelm Ebel an Hand von Quellen des langobardischen, alamanischen und fränkischen Rechts nach188. Als ihre Urform lag es dem Schuldvertrag im germanischen Recht möglicherweise insgesamt zu Grunde189. Diese Selbstgesetzgebung im Wege der ‚Rechtsetzung durch Selbsturteil‘ galt aber nur in alter Zeit. Das Selbsturteil ersetzte weitgehend den noch nicht vorhandenen staatlichen Rechtszwang und Rechtsschutz:190 „Ihre Kraft lag in der Bindung an das eigene Wort. War dieses Wort in dingfähiger Versammlung gesprochen und gefestigt, besaß es gleichen Wert wie die Rechtweisung der Dinggemeinde.“

Die dem Selbsturteil zugrunde liegende Wortbindung ist weithin als germanische Treue überliefert und als mores germana symbolhaft übersteigert worden. Die klassische Belegstelle für die germanische Treue findet sich bei Tacitus „Germania“, worin dieser über den Germanen berichtet, der im Würfelspiel seine Freiheit einsetzt, sie verliert und bereitwillig die Knechtschaft erduldet, weil ihm das gegebene Wort heilig ist191. Die materielle Grundlage der Vertragsbindung liegt daher im germanischen Treueversprechen192. Insgesamt soll das Selbsturteil als ein rechtliches Selbstverhältnis in späterer Zeit verdrängt und nur noch im unselbständigen Strafversprechen wirksam gewesen sein. Wilhelm Ebel fasste die Verwillkürung dahin zusammen, dass193 „Die Eierschalen ihrer Herkunft aus dem Selbsturteil, ihr Wesen als res iudicata, die Nichtgerichtsfähigkeit ihres Bruches, gingen mit der Bildung neuer Gewalten und Gerichte verloren.“

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Ebd., S. 28 ff. Mitteis, Politische Verträge im Mittelalter, ZRG 67 (1950) 126 f.; Ebel, Die Willkür, 1953, S. 37 f. hier offengelassen, ob Verträge schlechthin wie ein Urteil wirken und damit selbst objektiv Recht setzen. S. 75 („Denkform des germanischen Rechts“) und S. 76. 190 Ebel, vorherige Fn., 1953, S. 76 f. 191 Germania, c.24: Tacitus sagt: Ipsi fidem vocant. Und das nennen sie auch noch Treue. Übersetzung nach Luig, Samuel Stryk (1640–1710) und der „Usus modernus pandectarum“, in: Stolleis (Hg.), Die Bedeutung der Wörter. FS für Sten Gagnér, 1991, S. 219, 334, der sich gegen die Übersetzung von Mauersberger, Tacitus Germania, S. 65: „sie selbst nennen es Treue“ ausspricht. Zum Treuegedanken und der daraus abgeleiteten Klagbarkeit des pactum vgl. auch Nehlsen-van Stryk, Grenzen des Rechtszwanges: Zur Geschichte der Naturalvollstreckung, AcP 193 (1993) 529, 548. 192 Vgl. Siegel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht – Eine germanistische Studie, 1873, Nachdruck 1969, S. 21 f. 193 Ebel, (oben Fn. 189), S. 77. 189

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Das vertragliche Versprechen entsprach nach seiner Grundstruktur der Wette. Die Behauptung, dass ein bestimmtes künftiges Ereignis eintreten werde, wurde mit einer bedingten Selbstverurteilung für den Fall verbunden, dass es nicht eintritt. Die Wette bildet so eine Art Urform für die Entstehung einer Handlungspflicht durch Selbstverpflichtung. Die Wette zeigt dabei das Gegenmodell zu einer Verpflichtung nach der römisch-rechtlichen stipulatio. Die stipulatio leitet die Handlungspflicht obligatio aus dem Antwortverhalten des Schuldners ab. Die Bindung, die ursprünglich aus einem Unterwerfungsritual vermutlich mit sakralen Vorstellungen gefolgert wurde, resultierte aus der Anerkennung des Gläubigerbefehls194. Die Wette aus germanischer Sicht leitete die Bindung dagegen aus einer autark gedachten Selbstverpflichtung, dem Selbsturteil durch Verwillkürung, her195, deren Grundlage die Treue des Versprechenden ist196. Die Setzung einer Sanktion für den Fall der Unrichtigkeit einer eigenen Behauptung entspricht noch heute der Definition der Wette197. Der Wetteinsatz zur Bekräftigung der Behauptung entspricht funktional der Sanktion für den Fall der Nichteinhaltung des Versprochenen. Das Wettverhältnis ohne eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit und die fehlende Durchsetzbarkeit des Wettversprechens sind mithin bereits im germanischen Recht angelegt gewesen. cc) Trennung von Schuld und Haftung Die Struktur des Verpflichtungsgeschäfts im germanischen Recht zeigt zugleich eine Trennung von Leistungspflicht (Schuld) und durchsetzbarem Zugriffrecht (Haftung). Von der Germanistik ist diese Trennung als eine historische Wurzel vertraglicher Bindung herausgearbeitet worden. Sie sollte zum

194 Der Gläubiger ist Initiator des Obligierungsprozesses. Er kann den Schuldner nicht ohne dessen Zustimmung binden, aber auch der Schuldner kann sich nicht ohne Mitwirkung des Gläubigers verpflichten. Zur Verpflichtung durch Anerkennung gegenüber der Verpflichtung durch konsequentialistische Treue siehe unten C. III. 1. c) bb), S. 340 ff. 195 Behrends geht allerdings davon aus, dass auch im römischen Recht die Wette Ausgangspunkt einer rechtsgeschäftlichen begründeten obligatio durch stipulatio ist. Behrends, Das Vindikationsmodell als „grundrechtliches“ System der ältesten römischen Siedlungsorganisation, in: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Symposion für Franz Wieacker, 1991, S. 1, 50 f.; siehe auch oben B. I. 1. a) bb) (2), S. 53. Bei der stipulatio geht der Vorgang des Verbindlichmachens von einer Frage bzw. einem Befehl des Gläubigers aus, auf die der Schuldner reagiert. Bei der Wette handelt dagegen der Schuldner und es bedarf keiner aktiven Mitwirkungshandlung des Gläubigers. 196 Heinrich Siegel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht – Eine germanistische Studie, 1873, Nachdruck Aalen 1969, S. 20 197 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 5 (Richtigkeit einer Behauptung); MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 7 (Bekräftigung einer Meinung); AnwK-BGB/Schreiber, 2005, § 762 Rn. 8 (Bekräftigung einer Behauptung).

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Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts198 als ‚Lehre von Schuld und Haftung‘ in das geltende Recht übertragen werden199. Die Naturalobligation galt ihr als Paradebeispiel für die Möglichkeit und die Erforderlichkeit der Trennung: eine Schuld ohne Haftung 200. Die Vertragshaftung wurde bereits in germanischer Frühzeit durch eine Personen- oder Sachhaftung sichergestellt, wobei das Leistungsversprechen und die Sanktion getrennt voneinander gedacht werden (Vergeiselung, Verfallpfand) 201. Das lässt vermuten, dass eine Verknüpfung von Versprechens- und Vollstreckungsinhalt nicht die Regel und auch keine automatische Folge des Versprechens war. Das Verfallpfand konnte frei bestimmt werden. Die Naturalvollstreckung mit erzwingbarer Naturalerfüllung war entsprechend nur bei Klagen um Liegenschaften bekannt202. Das schuldvertragliche Versprechen wurde mithin gedanklich von dem Selbsturteil getrennt. Mit dem Versprechen bindet (verwillkürt) sich der Schuldner selbst und begründet die Schuld. Das Selbsturteil kann daneben eigenständig als eine bedingte Haftungsfolge gesehen und rechtlich ausgestaltet werden.203 198 Paul Puntschart, Schuldvertrag und Treuegelöbnis des sächsischen Rechts im Mittelalter; ein Beitrag zur Grundauffassung der altdeutschen Obligation, 1896, weist zahlreiche Gelöbnisse nach sächsischen Rechtsquellen nach, die zur Begründung eines Schuldvertrages mit persönlicher Schuldhaftung erforderlich waren. Otto von Gierke, Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, insbesondere die Form der Schuld- und Haftungsverhältnisse, 1910, S. 73 erkannte zwar, dass in der zweiten Hälfte des Mittelalters die leibliche Haftung die normale gesetzliche Folge der Schuld war, hielt aber an der ursprünglichen Trennung von Schuld und Haftung als ureigenes Prinzip des germanischen Rechts fest. Krit. ablehnend Breßler, Schuldknechtschaft und Schuldturm. Zur Personalexekution im sächsischen Recht des 13. – 16. Jahrhunderts, 2004, S. 356 Fn. 32: Für die Notwendigkeit eines gesonderten Treuegelöbnisses zur Begründung einer Haftung mit dem Körper ergäben sich aus Puntscharts Beispielen keine Hinweise und Gierkes Ziel sei es gewesen, dem römischrechtlich geprägten Obligationenrecht deutschrechtliche Ideen entgegenzusetzen. 199 Vgl. näher dazu unten B. I. 4 f), S. 156 ff. Zu den germanisch-rechtlichen Ursprüngen skeptisch Ogris, HRG, IV, Kaufmann/Werkmüller (Hg.), 1990, Stichwort Schuld, Sp. 1505, 1507 f.: „Wenn die Nichterfüllung eines Vertrages in der Frühzeit als Delikt gegolten hat, so muss daraus auch ein Zwang zur Erfüllung entstanden sein. Aus der Schuld hätte sich die Haftung damit unmittelbar ergeben“. Gegen einen notwendig deliktischen Ursprung im römischen Recht, Behrends, oben Fn. 195) S. 1, 46 (vgl. oben B. I. 1. a) bb) (2), S. 53). Zur Entwicklung der Lehre von Schuld und Haftung Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21; Mitteis/ Lieberich, Deutsches Privatrecht, 6. Aufl. 1972, S. 127 ff. 200 Staudinger/Weber, BGB, 11. Aufl. 1967, Schuldverhältnisse, Einl. K 5, S. 133. 201 v. Gierke, Schuld und Haftung im älteren Deutschen Recht, Breslau 1910, Neudruck 1969, S. 50 ff.; 59 ff.; zum sog. Haftungsvertrag auch Staudinger/Weber, BGB, 11. Aufl. 1967, Schuldverhältnisse, Einl. K 1, S. 131. 202 Vgl. Nehlsen-van Stryk, Grenzen des Rechtszwanges: Zur Geschichte der Naturalvollstreckung, AcP 193 (1993) 529, 536 f.; vgl. auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 27. 203 Zu der sich daraus entwickelnden Lehre von Schuld und Haftung näher unten B. I. 4. f) S. 156 ff.

I.2. Germanisches Recht und Frührezeption der obligatio naturalis

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b) Frührezeption der römischen obligatio naturalis Die Rezeptionsgeschichte des älteren gemeinen Rechts bis zu Hugo Grotius (1583 – 1645) bietet dogmengeschichtlich nur wenige weiterführende Gesichtspunkte. Die Rezeption übernimmt das weite Begriffsverständnis der obligatio naturalis des justinianischen Rechts als Ausdruck allgemeiner und ursprünglicher Verpflichtung. Die Naturalobligation der Frührezeption ist zugleich aber auch der Vorläufer einer sich naturrechtlich ausbildenden unvollkommenen Verbindlichkeit. Mit dieser werden im entwickelten Naturrecht scholastische Grundlagen fortgeführt 204. Das naturrechtliche System integrierte das ältere gemeine Recht und überformte es205. Mit Grotius setzt die Trennung von natürlichem und positivem Recht ein 206. Eine nähere Auseinandersetzung mit den religiösen Grundlagen und den Pflichtlehren der Vollkommenheit soll daher erst im Rahmen des naturrechtlichen Abschnitts erfolgen 207. Das ältere gemeine Recht der Frührezeption ist zunächst noch sehr stark dem antiken römischen Recht verbunden. aa) Glosse: Obligatio tantum naturalis Die frühe gemeinrechtliche Rezeption des römischen Rechts wurde durch die Glosse seit dem 13. Jahrhundert in Bologna, Padua und Perugia, ferner in Montpellier und Orléans vollzogen und erlangte durch die Kommentare ab der Mitte des 15. Jahrhunderts große praktische Bedeutung im Rechtsleben 208. Sie zeichnet noch kein klares Bild von der Naturalobligation. Die Glossa ordinaria des Accursius (1185 – 1263) 209 unterteilt die obligatio nach den zwei Wurzeln naturalis und civilis. Die naturale Wurzel bildet die grundlegendere Begriffsebene. Die obligatio naturalis vermittelt stets die Befreiung von der Rückgabever204 Die deutliche naturrechtliche Kontinuität zur iberischen Spätscholastik, namentlich bei Vázquez und der Schule von Salamanca, zeigt Seelmann, Theologische Wurzeln des säkularen Naturrechts – Das Beispiel Salamanca. In: Willoweit (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, 2000, S. 215, 221 f. 205 Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, in: Koziol, (Hg.), Im Dienste der Gerechtigkeit. FS für Franz Bydlinski, Wien 2002, S. 473, 474. 206 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 18. 207 Siehe unten B. I. 3. c), S. 88 ff. 208 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit – unter besonderer Berücksicht der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. 1967, S. 115 unterscheidet entsprechend die Phase der Frührezeption in Verbindung mit dem kanonischen Recht ab dem 13. Jahrhundert und die Phase der Vollrezeption als weltliches Recht seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, ebd. S. 124; ebenso Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 6. Aufl. 1972, S. 6 f. 209 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit – unter besonderer Berücksicht der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. 1967, S. 63; zu Accursius und der Glossa ordinaria im Kontext mittelalterlichen Rechtsentwicklung, Lange, Römisches Recht im Mittelalter, 1997, S. 335 ff. u. 345 ff.

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pflichtung und grundsätzlich auch die vis exigendi. Die obligatio civilis entstammt dem ius civile, das nach dem römischen Kontraktsystem die Klagbarkeit zu- oder abspricht 210. Das als Grundlage allen Rechts verstandene ius gentium schließt das ius naturale mit ein 211. Die naturale Verpflichtung ist damit dem weiten Begriff der römischen obligatio naturalis nachempfunden. Jede Obligation besitzt aber grundsätzlich beide Elemente, ein naturales und ein ziviles, wobei das zivile Element unter Umständen entfallen kann und dann die nur naturale Schuld (obligatio naturalis tantum) übrig bleibt. Die systematische Erschließung orientierte sich also an den Wertungen des ius civile. Dieses entscheidet, ob eine obligatio naturalis das Attribut „naturalis tantum“ erhält. Naturalis tantum wird so zum Kennzeichen eines engeren, eigentlichen oder technischen Begriffs der Naturalobligation. Es ist die vom ius civile nicht anerkannte obligatio civilis. Ein speziell an der Sklavenschuld ausgerichteter, funktionaler Begriff der Naturalobligation wurde von den Glossatoren dagegen nicht ausgearbeitet 212. bb) Französische Schule: Aequitatis vinculum und wirkungsgeminderte Rechtspflicht Die Vertreter der französischen Schule, Cujacius und Donellus 213, lösten sich von der Rechtsquellenlehre des römischen Rechts und dessen Einteilung. Cujacius (1522–1590) stellt dem aequitatis vinculum das iuris vinculum gegenüber, wobei aequitatis sich zu iuris entwickeln kann 214. Die aequitas ist Quelle allen Rechts, die für sich bereits eine Bindung (vinculum) begründet. Das iuris vinculum stellt nur eine entwickelte Form dieser naturalen Bindung dar. Die Rechtsbindung vervollkommnet die ursprüngliche noch unvollkommene Pflicht 215. Hugo Donellus (1527–1591) unterscheidet obligatio perfecta und obligatio imperfecta. Sowohl die obligationes perfectae als auch die obligationes imperfectae bedeuten Rechtspflichten. Ferner unterteilt er die obligatio in drei Arten:

210 Accursius ad tit. Inst. (3, 13) de obligationibus; Text Corpus iuris civilis Justinianei cum commentariis Accursii, Neudruck Osnabrück 1966; Klingmüller deutet diese Einteilung als die Macht der Gesetzgebung, die obligatorische Verhältnisse in ihren Rechtswirkungen mehr oder weniger intensiv ausgestalten kann, Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 105. 211 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 108 f. 212 Klingmüller, (vorherige Fn.), S. 109. 213 Zur französischen Schule und ihren beiden berühmtesten Vertretern, vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 4. Aufl. 2004, Rn. 1179 ff., 1184 ff. 214 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 110 f. 215 Zu der hier zugrunde liegenden Pflichtenlehre der Vollkommenheit näher unten B. I. 3. a), S. 94 sowie zu der entsprechenden Unterscheidung in unvollkommene und vollkommene Pflichten seit Grotius, vgl. B. I. 3 c) aa) S. 106.

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naturalis, civilis nuda und civilis cum re. Zu den unvollkommenen Rechtspflichten gehören die obligatio naturalis tantum und die obligatio civilis nuda. Die obligatio tantum naturalis ist Rechtspflicht216. Donellus sieht den Unterschied der unvollkommenen gegenüber der vollkommenen Obligation im fehlenden Klagerecht. Die obligatio verliert mit dem Klagerecht also nicht zugleich den Charakter einer rechtlichen Obligation. Die Existenz bindender Rechtswirkungen lässt sich nicht deshalb leugnen, weil wichtige Rechtswirkungen entfallen. Auf ein plus oder minus der Rechtswirkung soll es nicht ankommen 217. cc) Deutsche Schule: Typen der obligatio naturalis (plenae – minus plenae) Hubertus Giphanius (1534–1609) unterscheidet obligatio civilis und obligatio naturalis. Bei letzterer geht er vom Wort „naturalis“ aus und unterteilt diese ihrerseits in drei Typen 218. Typ 1 ist die juristisch-technische obligatio naturalis, der zwar die actio fehlt, die aber dennoch eine Reihe von Rechtswirkungen äußert. Typ 2 ist die obligatio naturalis im philosophischen Sinne, die vom ius civile ganz ignoriert wird. Beispiele für sie sind die Dankesschuld gegenüber dem Wohltäter, die Pflicht zum Gehorsam der Kinder gegen die Eltern, der Gehorsam der Schüler gegen die Lehrer und andere. Diese Pflichten zeichneten sich dadurch aus, dass sie nicht durch Erfüllung erlöschen, sondern fortdauern 219. Und schließlich Typ 3 erfasst Pflichten zur Erfüllung in einem realen Sinne und damit die Pflicht zur Naturalerfüllung 220. Giphanius lehnt dagegen die Auffassung ab, dass aus einem nudum pactum eine naturalis obligatio im juristisch-technischen oder im philosophischen Sinne erwachse221. Die primäre Zweiteilung in obligatio naturalis und civilis findet sich auch bei Samuel Stryk (1640–1710), dessen Hauptwerk, der „Usus modernus pandec-

216 Hugo Donellus, Commentariorum de jure civili liber XII, in: Scipio Gentilis (Hg.), Commentariorum de jure civili liber I. c 1. Francoforti apud Moenum 1595, fol. 3.: „De naturali obligatione hoc scriptum esse apparet. Natura enim debere & natura seu jure naturali obligare, idem valent.“ 217 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 114 sieht die Stätte der Naturalobligation damit für immer neben ihrer Schwesterklasse, den vollkommenen Obligationen, solange die Grundsätze unseres Rechtssystems aufrecht erhalten bleiben, gesichert. 218 Hubertus Giphanius, Lecturae Altorphinae, Frankfurt 1605, Commentarii ad tit. Dig. de oblig. et action., I, 14, S. 569 ff. 219 Giphanius, (vorherige Fn.), S. 572 n. 9 und 574 n. 28. 220 Giphanius, (vorherige Fn.), S.. 575 n. 32. 221 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 121.

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tarum“222 für eine ganze rechtliche Epoche namensgebend steht 223. Zu dieser Epoche können jedenfalls224 auch die nachfolgend B. I. 3. c) aa) (1) – (6) als vormoderne Naturrechtslehren behandelten Vertreter gezählt werden 225. Stryk unterteilt die obligationes naturales ihrerseits in obligationes plenae und minus plenae. Gemeint ist damit die Unterscheidung zwischen rechtlichen und ethischen Verbindlichkeiten 226. Die obligatio naturalis teilt sich also in rechtliche und nichtrechtliche Verbindlichkeiten. Die obligatio naturalis plenae ist Rechtsverbindlichkeit, die obligatio naturalis minus plenae moralische Verbindlichkeit. In scholastischer Tradition werden hier Pflichtlehren aus der göttlich geprägten lex naturalis entwickelt. An diese recht unklaren Vorstellungen schließen die neueren naturrechtlichen Lehren an 227. Das Naturrecht übernimmt die Aufgabe, Recht und Ethik zu trennen und die religiösen Überformungen abzustreifen 228. Erst am Ende dieses Prozesses, der sich an der Universalmaxime der Vollkommenheit entfaltet, wird es wieder möglich, die ethisch-moralische Verbindlichkeit von der römisch-rechtlichen Naturalobligation zu trennen 229.

222 Samuel Stryk, Specimen Usus moderni pandectarum, 1690, ad. Dig. 44, 7, 5.; Stryk rechtfertigt die überlieferten Rechtssätze mit der naturalis ratio und löst sich von dem römisch-rechtlichen Text und der gemeinrechtlichen Literatur, vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit – unter besonderer Berücksicht der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. 1967, S. 220. 223 Zu den sehr weit auseinander liegenden Epochenbeschreibungen vgl. Luig, Samuel Stryk (1640–1710) und der „Usus modernus pandectarum“, in: Stolleis (Hg.), Die Bedeutung der Wörter, FS für Sten Gagnér, 1991, S. 219 ff. 224 Nach Auffassung von Köbler, Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte, 1988, S. 238, endet die Epoche erst an der Wende zum 19. Jahrhundert, womit die hier als aufgeklärtes Naturrecht beschriebene Zeitspanne ebenfalls dazu zu rechnen ist. 225 Die vorrangige Stellung des römischen gegenüber dem einheimischen Recht, wie sie aus § 3 der Reichskammergerichtsordnung (1495) abgelesen und als epocheprägend eingestuft wurde, dürfte im 18. Jahrhundert deutlich geschwächt, wenn nicht gar in ihr Gegenteil verkehrt worden sein, vgl. Luig, (oben Fn. 223), S. 219, 221 f. Stryk zählt zu den Vertretern eines Vorrangs des römischen Rechts, der aber im Einzelfall „ratio naturalis“ überwunden werden kann, ebd. S. 227 f. 226 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 125. Mit Verweis auf Johann Ortwig Westenberg (1667 – 1737), der diese Gliederung ebenfalls bejaht. 227 Klingmüller, (vorherige Fn.), S. 125 sieht die Diskussion über die nur noch undeutlich erkennbaren Naturalobligationen „tatsächlich auf einen toten Punkt gefahren“. 228 Für eine Abgrenzung des Naturrechts als Teil des geltenden Rechts gegenüber der Religion und der Moral als Teile einer Sittenlehre, vgl. J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 103. 229 Klingmüller, (oben Fn. 226), S. 126 hat daher das 18. Jahrhundert weithin ausgespart. Es ist aber für das Verständnis des heute benutzten Begriffs der sog. unvollkommenen Verbindlichkeit von zentraler Bedeutung. Diese Begriffsbildung rückt im naturrechtlichen Jahrhundert in den Vordergrund. Dabei stehen weniger rechtspraktische als vielmehr theoretische Fragen zur Diskussion.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten) Kennzeichnend für die Auseinandersetzungen um die obligatio naturalis ab der Mitte des 16. Jahrhunderts ist die doppelte Perspektive des Begriffs. Die obligatio naturalis kennzeichnet sowohl die Verpflichtung des ius gentium aus der natürlichen Vernunft in der Tradition des römischen Rechts als auch die moralische Gewissensbindung durch das Naturgesetz im Sinne des kanonischen Rechts230. Die Pandektistik des 19. Jahrhunderts trennt entsprechend zwischen der römischrechtlichen und der naturrechtlichen obligatio naturalis. Die römischrechtliche wird auf die Ehrenpflicht, das praeceptum iuris „honeste vivere“ (Ulpian D. 1, 1, 10, 1) 231, zurückgeführt, während die naturrechtliche als kanonisch-germanische Gewissenspflicht der christlichen Morallehre zugeschrieben wird232. In den Naturrechtslehren steht hinter dem Begriff ferner auch eine konzeptionelle Vorstellung. Mit der obligatio naturalis konnte die religiöse Gebundenheit des Menschen aus dessen ursprünglicher Verschuldung gegenüber Gott abgeleitet werden 233. Das derart begründete Herrschaftsverhältnis hat universellen Charakter. Es rechtfertigt natürliche Pflichten des Menschen und repräsentiert mit der Verschuldung gegenüber Gott den Urgrund, das principium obligationis, allen Rechts. Als obligatio in conscientia war sie religiöse Bindung und zugleich Basis für soziales Handeln 234. Begrifflich drückt die obligatio naturalis des Naturrechts damit die rechtliche Valenz religiöser Bindung aus. Aus der Perspektive des Rechts ist sie dessen religiös geprägte allgemeine Grundlage235. 230 Die mittelalterliche Naturrechtsdiskussion hatte neben dem ius naturae auch – dem römischen Recht folgend – den Parallelbegriff des ius gentium fortgeführt und diesen in das überwölbende Naturrecht integriert, D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 3; Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, in: Stratenwerth, u.a. (Hg.), FS für Hans Welzel, 1974, S. 7, 21, sieht im Vernunftrecht beginnend bei Grotius eine Verschmelzung der scholastischtheologischen Innerlichkeit mit der romanistischen Pragmatik. Zur Trennung von ius naturale und ius gentium in der römischen Rechtsquellenlehre siehe oben B. I. 1. d), S. 75 ff. 231 „Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere.“ Zu diesen Geboten des Rechts vgl. Manthe, Beiträge zur Entwicklung des antiken Gerechtigkeitsbegriffes II: Stoische Würdigkeit und iuris praecepta Ulpians, SavZRom 114 (1997) 1, 23. 232 Vgl. C.F. Rosshirt, Ueber die Verwandlung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843 – 1844) S. 275, 279. 233 Zur theologischen Herleitung eines Obligationsverhältnisses des Menschen gegenüber Gott vgl. Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 19 ff. 234 Hartung, vorherige Fn., S. 81, der sich dabei im Wesentlichen auf Pufendorf stützt. Zu Pufendorf nachfolgend im Text. 235 Das naturrechtliche Konzept der obligatio naturalis diente der Erklärung des Rechts überhaupt. So etwa noch bei Gottlieb Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, Leipzig 1785, S. 243, der eine natürliche Verbindlichkeit bejaht, die Vollkommenheit

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Für die naturrechtliche Entwicklungslinie der obligatio naturalis hin zu einem zivilrechtlich nicht einklagbaren nexum conscientiae, einer Gewissenspflicht236, hat sich die Bezeichnung unvollkommene Verbindlichkeit gebildet. Der Begriff unvollkommene Verbindlichkeit wird erst im späten, säkular aufgeklärten Naturrecht näher ausgeformt 237. Hans Hattenhauer nennt sie die „obligatio naturalis“ der Vernunftrechtler238. Ursprünglich wurde ungeschieden nur von der obligatio naturalis gesprochen 239. Ausgangspunkt der naturrechtlichen Linie hin zur unvollkommenen Verbindlichkeit ist das namensgebende, ursprünglich religiöse Moralprinzip der Vollkommenheit. Die Einteilung in vollkommene und unvollkommene Pflichten bedeutet im religiösen Recht eine Abstufung nach Wertigkeiten und impliziert einen göttlichen Idealzustand 240. Das Naturrecht schließt die Moralität ein. Gerechtigkeit ist Tugend und zugleich Inbegriff von Rechtsprinzipien 241. Im 17. und 18. Jahrhundert verliert die Einteilung ihre wertende Differenz und dient vornehmlich zur Unterscheidung von Recht und Sitte. Anders als die obligatio naturalis des römischen Rechts entsteht die unvollkommene Verbindlichkeit des Naturrechts primär aus einem theoretischen und nicht aus einem rechtspraktischen Interesse. Maßgebend war ein zweifaches Erkenntnisinteresse. Einmal galt es den Verpflichtungsgrund und die Quelle für die obligierende Kraft von Gesetzen zu bestim„aller empfindenden, vorzüglich der vernünftigen Wesen“, zu befördern. Hufeland sieht darin nicht nur eine Pflicht zur Rechtsbefolgung, sondern eine Pflicht zur Zwangsdurchsetzung eigener Rechte, vgl. näher unten bei Fn. 313. 236 Johannes Selden, De Jure Naturali et Gentium, juxta Disciplinam Ebraeorum liber I. London 1640, C 4, Sp. 107 („… ut Christiani dicimus, ex nexu conscientiae seu conscientiae foro, is qui violarat proprie esset adstrictus.“ zit. nach Hartung, oben Fn. 233, S. 68 Fn. 121). 237 Erst durch seine Verdeutschung und mit dem Aufkommen des Verbindlichkeitsbegriffs im 18. Jahrhundert wird die obligatio naturalis von der unvollkommenen Verbindlichkeit abgelöst. Das PrALR (1794) spricht erstmals von Verbindlichkeit. Verbindlichkeit ist ein im 18. Jahrhundert aufgekommenes Kunstwort, das noch das lateinische Vorbild (obligatio) erkennen lässt; vgl. Bucher, ‚Schuldverhältnis‘ des BGB: ein Terminus – drei Begriffe, in: Canaris, u.a. (Hg.), Festschrift für Wolfgang Wiegand, 2005, S. 93, 105 u. 109. 238 H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 89. Diesen zweiten historischen Ausgangspunkt nimmt auch M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien, u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 125. 239 Obligatio naturalis war ein Grundbegriff des Naturrechts im 17. Jahrhundert. Eigenständig begrifflich gefasst wurde er von Ludovicus Molina (1535 – 1600), der die natürliche Verpflichtung als eine Gewissensbindung versteht. Sie fordert von den Menschen die Befolgung natürlicher gerechter Normen und ist zivilrechtlich nicht einklagbar, vgl. Hartung, oben Fn. 233, S. 50 u. 53. 240 Bei Thomas von Aquin als ius naturae primaevum, vgl. D. Schwab, oben Fn. 230), S. 1, 2. 241 Wie schon in der mittelalterlichen Philosophie hinderte das nicht Erwägungen darüber anzustellen, ob alles sittlich Gebotene durch Zwang durchgesetzt werden muss oder ein Bereich freiwilliger Pflichterfüllung verbleiben soll. D. Schwab sieht hierin das Grundproblem des neuzeitlichen Naturrechts, oben Fn. 230), S. 1, 2.

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men (Gott, Vernunft, weltlicher Herr als Gesetzgeber) 242. Zum andern ging es um den Versuch einer Systematisierung aller Pflichten des Menschen, die unter der überwölbenden Vollkommenheit erfasst wurden 243. Die neuzeitliche Segmentierung in verselbständigte normative Systeme (Recht, Gesellschaft, Religion) nimmt hier ihren Anfang244. Die Pflichtlehren der Vollkommenheit verstehen sich noch in einem umfassenden Sinne, was ihr Verständnis aus heutiger Sicht erschwert. Gleichzeitig werden die Grundlagen für die Ausbildung von Strukturmerkmalen des Pflichtbegriffs gelegt. Dogmengeschichtlich gibt die mit Kant endende Diskussion Aufschluss darüber, welche notwendigen Eigenschaften eine Pflicht haben muss, um als obligatorische Rechtspflicht (Verbindlichkeit, Obligation) anerkannt zu werden. Ferner geht es um die Frage, worin sich ethisch moralische Pflichten von Rechtspflichten unterscheiden und ob beide eine gemeinsame Grundlage im göttlichen Recht, im natürlichen Recht oder im Sittengesetz besitzen. Die Betrachtung löst sich von den Anwendungsfällen unvollkommener Verbindlichkeiten und geht hin zu der aufgeworfenen Grundlagenfrage nach einer theoretisch befriedigenden und ebenso naturalistisch bildhaften Vorstellung der Rechtspflicht selbst.

a) Das Moralprinzip der Vollkommenheit und der Pflichtbegriff Das auf Aristoteles zurückgehende dynamische (entelechiale) Prinzip der Vollkommenheit versucht das Wesen eines Gegenstands durch die adäquate Erfassung seines Zwecks zu bestimmen. Es meint mit vollendet bzw. vollkommen (teleion) das Ganze, alles, bezogen auf menschliches Verhalten das Gutsein im höchsten Grade, die vollkommenste Tugend 245. Gleichzeitig ist 242 Im Geiste der Scholastik ging es um das Beweisprogramm für den Nachweis des göttlichen Ursprungs allen Rechts, namentlich um das menschliche Bewusstsein moralischer Schuld und einer daraus resultierenden Verpflichtung gegenüber Gott, dem Mitmenschen und sich selbst, vgl. Hartung, oben Fn. 233, S. 81. 243 Den Obligationenbegriff außerhalb des positiven Rechts zu denken hält Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 125 für den Grundirrtum des Naturrechts und sieht hierin den Grund dafür, dass das besonders gestaltete Rechtsgebilde Naturalobligation nicht mehr deutlich erkannt werden konnte. Die Gleichsetzung der obligatio naturalis mit moralischer Verbindlichkeit hat hier ihren Ausgangspunkt, (ebd. S. 123). 244 Entsprechend setzt sich auch die Vorstellung eines Vorrangs des positiven Rechts gegenüber dem Naturrecht erst in dieser Zeit durch, J. Schröder, Politische Aspekte des Naturrechts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Begründung des staatlichen Rechtserzeugungsmonopols, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, 19, 30. 245 F. Ricken, Stichwort: teleion (vollkommen), in: O. Höffe (Hg.), Aristoteles-Lexikon, 2005, S. 574 f. Eine noch frühere Erwähnung der „vollkommenen Tugend“ findet sich bei Hesiod (Werke 276 – 280, etwa 700 v. Chr.), die zugleich die älteste Quelle für den Begriff der Gerechtigkeit darstellt. Dike, Tochter des Zeus und der Themis, verkörpert die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist die „vollkommene Tugend, nicht Abend- noch Morgenrot seien so staunenswert“. Vgl. Honsell, Naturrecht und Positivismus im Spiegel der Geschichte. In: Kramer/Schuhmacher (Hg.), FS für Hans-Georg Koppensteiner, Wien 2001, S. 593 f.

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auch der antike Naturbegriff auf Vollkommenheit angelegt. Nach den platonischen Ideen meint „Natur“ die „Vollformen und Musterbilder der Sinnendinge“246. Damit stellt sich die Natur zugleich als Norm dar, die ihrer Zweckverwirklichung dient 247. Der Mailänder Bischof Ambrosius (339–397) 248 legte seiner christlichen Pflichtenlehre den lateinischen Pflichtbegriff „officium“ zugrunde. Officium wurde neben dem eher rechtstechnisch verstandenen Begriff der obligatio verwendet 249. Er wurzelt in der Stoa und führt über Cicero (106–43 v. Chr.) in die christliche Lehre. In seiner 386 n. Chr. verfassten Schrift „De officium ministrorum“ unterscheidet Ambrosius die Pflichttypen: perfecta officia und media officia. Perfecta sind jene Pflichten, die aus der Barmherzigkeit und der Hilfsbereitschaft folgen. Sie werden als Ratschläge (consilia) erteilt. Ihre Befolgung und Ausgestaltung sind der freien Wahl des Pflichtigen überlassen. Mit ihnen lässt sich Gnade und Verdienst erwerben 250. Die media officia sind dagegen Schuldigkeiten und dienen der Vermeidung von Sünde. Sie umfassen die Verbote des Dekalogs sowie die praecepta iuris des römischen Rechts251. Die scholastische Tradition unterschied nach der Äußerlichkeit des Rechts und der Innerlichkeit der Moral. Das äußere Recht betrifft die gute Handlung für andere oder für die Gesamtheit der anderen (ad alterum). Es ist für das gute Zusammenleben maßgebend, bleibt aber unvollkommen. Die Innerlichkeit der Moral bezieht sich auf den guten Wert einer moralischen Handlung. Sie meint das Gute schlechthin und assoziiert damit den Gedanken der Vollkommenheit 252. Die innere Gewissensbindung steht dabei nicht isoliert für sich, sondern bietet mit der Gewissenspflicht zu Wahrhaftigkeit und

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Platons metaphysischer Vollkommenheitsgedanke ist auf das von allen zu Erstrebende ganz und gar Gute gerichtet. Alles Seiende besitzt eine innere Tendenz, ein Streben zu analogischer Vervollkommnung, zur Verähnlichung an sein in der Idee wahrhaft Seiendes, ideales Selbst, vgl. Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1115, 1116. 247 Miaofen Chen, Zum Begriff der Natur der Sache. Von Ralf Dreiers Begriffsanalyse zu Philippa Foots Normbegründung. In: Alexy (Hg.): Integratives Verstehen, 2005, S. 63. 248 Vgl. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. 1978, S. 466 f.; zu Ambrosius, v. Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, 6. Aufl. 1986, S. 128 ff. 249 Zum Verhältnis von officium und obligatio Falcone, Obligatio est iuris vinculum, Torino 2003, S. 99 (bei Gaius habe die obligatio einen prozessualen Bezug), vgl. oben B. I. 1. a) bb) (2), S. 53. 250 Es handelt sich mithin um supererogatorische Werke, W. Kersting, Stichwort: Pflicht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 407; zur Supererogation unten C. III. 2. b) bb), 389. 251 Ulpian D. 1, 1, 10, 1., siehe oben Fn. 231. 252 Vgl. G. Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, S. 37 f. Aus diesem Grund hat Hegel die spätere Umkehrung in die vollkommene Rechtspflicht und die unvollkommene Moralpflicht für sinnwidrig gehalten, vgl. dazu unten B. 1. 3. c) bb) (4), S. 131 f.

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Treue die Grundlage für die Bindung an das Versprechen 253 und damit an die rechtliche Vertragsobligation 254. Die neuzeitlichen Pflichtlehren des Naturrechts gehen in ihrem begrifflichen Rahmen auf Ambrosius zurück 255. Nach der kanonisch-mittelalterlichen Lehre der Vollkommenheit sollten die Menschen zu einem vollkommenen christlichen Leben geführt werden, es sollte ihnen das Ideal des guten Menschen vor Augen gestellt und der Weg dorthin gezeigt werden 256. Damit war die christliche Tugendethik umrissen, auf deren Grundlage auch die (natur-) rechtlichen Pflichten entworfen und systematisiert wurden 257. Vollkommene und unvollkommene Tugend standen komparativ nebeneinander. „Unvollkommenheit“ meinte eine mindere Intensität in der Strebsamkeit nach Vollkommenheit. Daneben hatte Unvollkommenheit aber auch eine formal begriffliche Bedeutung. Sie kennzeichnet die Grenze, die nur unter Aufhebung des Begriffs überschritten werden kann 258. Die unvollkommene Verbindlichkeit wird danach funktional umschrieben. Es handelt sich um eine auf ihre notwendigen Merkmale reduzierte Verbindlichkeit. Gemeint sind die mit der Verbindlichkeit untrennbar verbundenen Eigenschaften, die bestehen bleiben müssen, um noch von einer Verbindlichkeit sprechen zu können 259. 253 Bei Thomas von Aquin ist Vertragsbruch Lüge: „Mendacium est, si quis non impeat, quod promisit“ (Summa theologiae, Secunda secundae, qu. 110, art. 3, 5). Die spanischen Juristen der Spätscholastik sehen im Treubruch eine Sünde und entwickeln ein nicht notwendig annahmebedürftiges Versprechen, vgl. zum Streit über die Annahmebedürftigkeit, Zimmermann, Vertrag und Versprechen, in: Lorenz, u.a. (Hg.): FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 467, 468. 254 Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, in: Stratenwerth, u.a. (Hg.), FS für Hans Welzel, 1974, S. 7, 20. 255 Kersting, Stichwort: Pflicht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 407. 256 Pseudo-Engelhart von Ebrach, Das Buch der Vollkommenheit, Karin Schneider (Hg.), Berlin 2006 (Vorwort: Verbreitete Sammlung kleiner geistlicher Prosatexte, Dicta und Exzerpte, die zu einem guten Teil aus mystischem, speziell dominikanischem Schrifttum stammen. Mehrere Bearbeitungen und eine reiche Überlieferung bis ins 16. Jahrhundert hinein bezeugen die langanhaltende Beliebtheit und Verbreitung dieser Erbauungstexte). Zur göttlichen Vollkommenheit im mittelalterlichen Denken vgl. vgl. Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1120–1123. 257 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 163. In der Lehre des schottischen Scholastikers Johannes Duns Scotus (1266 – 1308): Dem Naturrecht liegt eine vom bloß Faktischen getrennte Norm (Gottes Wille) zu Grunde, vgl. Seelmann, Theologische Wurzeln des säkularen Naturrechts – Das Beispiel Salamanca. In: Willoweit (Hg.): Die Begründung des Rechts als historisches Problem. 2000, S. 215, 218. 258 So bei Duns Scotus, vgl. mit Nachweisen Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1121. 259 Das entspricht auch meinem Begriffsverständnis der Naturalobligation für den heutigen Gebrauch. „Natural“ meint danach eine Selbstbeschreibung der notwendigen Eigenschaften einer Obligation. In Anlehnung an Miaofen Chen, Zum Begriff der Natur der

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Bei der Ausrichtung des Denkens nach Vollkommenheit ist zu sehen, dass es bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein keinen strengen Gegensatz zwischen natürlichem und positivem Recht gab, sondern das positive aus dem natürlichen abgeleitet wurde260. Das religiös geprägte natürliche Recht bildete Ursprung und Maßstab für das positive Gesetz261 und setzte so den Orientierungspunkt für das Vollkommenheitsstreben. Im Anschluss an Christian Wolff (1679–1754)262 hat man im 18. Jahrhundert mit allem Nachdruck betont, dass der Mensch dazu bestimmt sei, sich ständig zu vervollkommnen263. Die Vollkommenheit als Moralprinzip wird zu einem Schlüsselterminus der deutschen Aufklärung. Auch das Recht dient der sittlich-moralischen Vollkommenheit. Sittlichkeit und Moralität264 entscheiden deshalb auch über die rechtliche Kategorienbildung, weshalb das stärkere durchsetzbare Recht als das vollkommene und das schwächere undurchsetzbare als das unvollkommene Recht angesehen wird. Beide dienen der Verwirklichung eines christlich guten und tugendhaften Lebens. Der Vollkommenheitsbegriff war indes selbst nicht eindeutig bestimmt. Wolff veranschaulichte ihn an Beispielen aus der Architektur, etwa an Fragen der optimalen Fassadengestaltung 265. Strukturmerkmal der Vollkommenheit Sache. Von Ralf Dreiers Begriffsanalyse zu Philippa Foots Normbegründung. In: Alexy (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 63, 68. Näher unten C. II. 3. b), S. 273. 260 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 18; D. Schwab, Der Staat im Naturrecht der Scholastik, in: Klippel (Hg.), Naturrecht und Staat, 2006, S. 1, 2. 261 Die Glaubenslehre konnte sich auch auf eine apriorische Gültigkeit eines natürlichgöttlichen Gesetzes berufen, wie es im Römerbrief als Maßstab des göttlichen Gerichts erhalten ist. Römerbrief 2, 14–15: „Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, dass in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen.“ (Luther-Bibel, 1985). 262 Wolff sah eine den einzelnen treffende fundamentale Verpflichtung zur Vervollkommnung (perfectio), Wolff, Philosophia practica universalis, 1751 (1971), I. 2. § 128. Vgl. näher unten B. I. 3. c) bb) (1) S. 116. 263 Hinske, Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie, in: Ciafardone, Die Philosophie der deutschen Aufklärung, 1990, S. 407, 424 f.; auch der Wolff Gegner Crusius meint, das Streben nach der eigenen Vollkommenheit sei noch ursprünglicher als die Suche nach dem Glück, Christian August Crusius, Anweisung vernünftig zu leben, Leipzig 1744 §§ 111 f., in: ders., Die philosophischen Hauptwerke, Bd. 1, Tonelli (Hg.), 1969. 264 Die Trennung von Sittlichkeit und Moralität geht auf Kant zurück. Die Termini werden auch und wurden ursprünglich synonym benutzt, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Regenbogen, Meyer (Hg.), 1998, Sittlichkeit, S. 608. 265 Die Wolffschen Anleihen an der Baukunst sind ein Beleg für die Annahme, dass ästhetische Vollkommenheit und rechtliche Vollkommenheit eine psychologisch gemeinsame Basis im Schönheits- und Gerechtigkeitssinn haben, wie dies Albert A. Ehrenzweig, Ästhetik und Rechtsphilosophie. Ein psychologischer Versuch. In: Fischer, u.a. (Hg.), GS für René Marcic, 1974, S. 3 ff. darlegt. Für eine postmoderne Theorie der Rechtsvergleichung Erik Jayme, Narrative Normen, 1993, S. 36; ders., Identité culturelle et intégration: Le droit international privé postmoderne – Cour général de droit international privé, Recueil des Cours

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und das leitende Prinzip der damit angestrebten ‚perfectio‘ war der auf Leibniz zurückgehende ‚consensus in varietate‘ 266. Diese Übereinstimmung in der Mannigfaltigkeit setzt die Kenntnis der Ziele des Handelns voraus267. Wolff wendete die Vollkommenheitsvorstellung auf den Menschen an, übertrug sie aber auch auf Ethik und Recht. Von Natur aus sei der Mensch verpflichtet, die Handlungen zu begehen, welche seine Vollkommenheit befördern 268. Auf Ethik und Recht bezogen ergänzt Wolff: „Der Inbegriff der sittlichen Gesetze ist das Prinzip der Vollkommenheit“269. Wolff kann von vollkommenen Rechtspflichten sprechen, weil er Rechts- und Moralpflicht gleichsetzt. Durchsetzbare Rechte hat der Mensch von Natur aus auf alle Handlungen, die nötig sind, seine sittlichen Pflichten nach dem Prinzip der Vollkommenheit zu erfüllen 270. Eine andere Ausrichtung des Vollkommenheitsgedankens erfolgte durch den Wolff-Schüler Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762) 271. Nach Baumgarten sind Zielsetzungen, die dem Vollkommenheitsstreben eine sachliche Richtung geben, nicht notwendig. Es genügt die thematische Gemeinsamkeit (Zusammenstimmung), die die Vollkommenheit als einen Brennpunkt (focus) paralleler Lichtstrahlen beschreibt, welche in einen Punkt zusammenlaufen272. Entsprechend zu verstehen ist die Unvollkommenheit. Sie meint den Mangel an völliger Übereinstimmung oder das Fehlen eines Konsenses überhaupt273. Eben1995, S. 9, 31; Jayme, Betrachtungen zu einer postmodernen Theorie der Rechtsvergleichung, in: ders., Rechtsvergleichung, 2000, S. 103 ff. 266 Schwaiger, Vollkommenheit als Moralprinzip bei Wolff, Baumgarten und Kant, in: Oberhausen (Hg.), Vernunftkritik und Aufklärung: Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts, 2001, S. 317, 318. 267 Das zeigt den teleologischen Charakter in der Begriffsbildung, Schwaiger, (vorherige Fußnote), S. 317, 321 f. u. Fn. 16–18. 268 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754, § 42; dazu Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends, Diesselhorst (Hg.), Libertas, Symposion Franz Wieacker, 1991, 209, 214. Allgemein bestimmt Wolff die moralische Qualität des Handelns mit Bezug auf den Vollkommenheitsbegriff: „Was unsern so wohl innerlichen, als äusserlichen Zustand vollkommen machet, das ist gut; hingegen was beyden unvollkommener machet, ist böse“, zit. nach Hüning, Gesetz und Verbindlichkeit. Zur Begründung der praktischen Philosophie bei Samuel Pufendorf und Christian Wolff. In: Graul/Wolf (Hg.), GS für Dieter Meurer, 2002, S. 525, 534. 269 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754, § 43. 270 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754, § 82; zu den natürlichen Grundlagen der Pflicht bei Wolff vgl. Hans-Ludwig Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 28. 271 Zu Baumgarten Ursula Niggli, in: Baumgarten, Die Vorreden zur Metaphysik, 1998, S. XVIIXLV. 272 Der Konsens verschiedener Realitäten zu einer fokussierten einheitlichen bereitet den ästhetischen Vollkommenheitsbegriff Baumgartens vor, Schwaiger, (oben Fußnote 19), S. 317, 325. 273 Baumgarten, Metaphysica, Halae Magdebvrgicae 1757, § 121, S. 34 f., Schwaiger, (oben Fußnote 266), S. 324 Fn. 22 und Fn. 5. Wolff hatte die Unvollkommenheit noch als die Gegenläufigkeit der Tendenzen bei der Erlangung ein und desselben Dinges definiert, Wolff, Onto-

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falls auf Baumgarten geht die Unterscheidung in eigennützige und fremdnützige Vollkommenheit, der eine Selbstvervollkommnung als Zweck an sich selbst und eine Selbstvervollkommnung als Mittel (zum Zwecke anderer) entspricht 274. Diese Differenzierung kehrt in den unvollkommenen und vollkommenen sittlichen Pflichten gegen sich und andere in Kants Ethik wieder 275. Eine unvollkommene Verbindlichkeit wird als Rechtsfigur zunächst nicht ausgeformt. Die im klassischen Naturrecht sich noch überlagernden Normbereiche des Rechts und der Ethik werden begrifflich durch die Unterscheidung in vollkommene und unvollkommene Pflichten gesondert, „weil der Unterschied zwischen vollkommener und unvollkommener Verbindlichkeit 276 „bey der Gränzenbestimmung zwischen der eigentlichen Rechtswissenschaft und der Sittenlehre in vorzügliche Erwägung kommt“.

Zu dieser „eigentlichen Rechtswissenschaft“ gehört das Naturrecht als vernunftmäßig erschlossenes Universalrecht neben dem Gesetzes- und Gewohnheitsrecht 277. Gemeint ist also das Naturrecht als Teil des geltenden Rechts und seine Abgrenzung gegenüber Religion, Sitte und Moral. Unter dem Blickwinkel der Sittenlehre geht es entsprechend um die Ausgrenzung des Naturrechts mit Hilfe der Kategorie der vollkommenen Rechtspflicht.

b) Pflichten in naturrechtlicher Betrachtung Die naturrechtlichen Pflichtlehren sind ferner nur vor dem Hintergrund zweier Grundannahmen zu verstehen. Das ist einmal die Vorstellung, das Privatrecht habe eine vorpositive Grundlage, den sog. status naturalis (aa), und zum anderen die Annahme, es bestehe ein theoretischer Zusammenhang zwischen Verbindlichkeit und Zwang (bb). logia, 2. Aufl. 1736, § 504 S. 391 (Neudruck 1962), dazu Schwaiger, (oben Fußnote 266), S. 318 u. Fn. 4. 274 Baumgarten, Ethica philosophica, 1763 (Nachdruck 2000), § 10 S. 4. 275 Tugendlehre, Erste Einteilung der Ethik nach dem Unterschiede ihrer Subjekte und ihrer Gesetze, Kant, Metaphysik der Sitten Werkausgabe Bd. VIII, Weischedel (Hg.),1989, S. 546, (A 59). Kant hatte an Baumgarten das fehlende sittliche Moment kritisiert. Die Forderung, dass sich der Mensch als Zweck und als Mittel vervollkommnen müsse, könne lediglich eine praktische, aber keine sittliche Vollkommenheit begründen, Schwaiger, oben Fn. 266, S. 317, 328. Kant hatte die eigene Vollkommenheit und die fremde Glückseligkeit als jene einzigen Zwecke ausgemacht, die zugleich Pflichten seien. Kant, Metaphysik der Sitten Werkausgabe Bd. VIII, Weischedel (Hg.), 1989, S. 515 f., (A 13 f.). Das Wort Vollkommenheit werde in der Transzendentalphilosophie und in der Teleologie unterschiedlich gebraucht und sei mancher Missdeutung ausgesetzt. Es hat für Kant daher letztlich keinen rechtstechnischen Gehalt. 276 Johann Christian Georg Schaumann, Kritische Abhandlung zur philosophischen Rechtslehre, 1795, Nachdruck 1969, S. 50. 277 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 103.

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aa) Der status naturalis als Grundlage für ein natürliches Privatrecht Ausgangspunkt naturrechtlicher Rechtsvorstellung ist der status naturalis. Eine Art gesellschaftlicher Urzustand, aus dem heraus das Recht sich entwickelt278. Die Vorstellungen schwankten bereits in der Antike zwischen der Löwengesellschaft und einem paradiesischen Ideal menschlicher Gemeinschaft 279. Der im römischen Recht umschriebene Bereich des unter den Bürgern geltenden Zivilrechts hat sich als Freiraum der Untertanen im 17. und 18. Jahrhundert erhalten und einen „natürlichen Privatrechtsbegriff“ ausgebildet, der noch im 19. Jahrhundert galt 280. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts vollzieht die Mehrzahl der deutschen Naturrechtler bei der Beschreibung und der Funktion des Naturzustandes einen Paradigmenwechsel281: weg von Hobbes radikaler Konzeption eines wilden Kriegszustandes aller gegen alle hin zu einer vorstaatlichen Gemeinschaft, die die kontraktuelle Entstehung des Staates als naturgegebenen oder aber natürlichen Vergesellschaftungsprozess begreift. Die erste Phase des 17. und beginnenden 18. Jahrhundert beschreibt einen grundsätzlich friedlichen Naturzustand 282. Im 18. Jahrhundert wird der menschliche Vergesellschaftungstrieb als Grundlage einer kontraktuellen Staatsgründung erkannt283. Der Trieb zur Vergemeinschaftung (sog. Hang zur Geselligkeit) hat die Menschen zu einem Leben in Gemeinschaften veranlasst, die sie über Familien und Stam278 Klippel, Das „natürliche Privatrecht“ im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit, 1997, S. 221, 228 f. weist zu Recht darauf hin, dass die Einteilung in status naturalis und status civilis nicht der Abgrenzung von Privat- und Öffentlichem Recht diente, sondern der politischen Theorie des aufgeklärten Absolutismus geschuldet war. Auch für das Zivilrecht kam es auf die Anerkennung durch den Staat und damit den Willen des Herrschers an. 279 Die Antike unterschied: 1. den epikureischen Naturzustand: Freiheit, Gleichheit, Vereinzelung, Barberei, Recht- und Friedlosigkeit, 2. den aristotelisch-thomistischen Naturzustand: das Goldene Zeitalter (Vollendung des Menschen nach göttlich-natürlichen Gesetzen) und 3. den stoisch-patristischen Naturzustand: Paradiesischer Idealzustand nach natürlichem Recht. Hofmann, Stichwort: Naturzustand, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6: Mo – O. Basel 1984, Sp. 653. 280 Luig, Natürliches Privatrecht. Die Rolle des Privatrechts in den naturrechtlichen Gesellschaftsentwürfen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: R. Schulze (Hg.), Europäische Rechtsund Verfassungsgeschichte, 1991, 103, 106 f. u. passim. 281 Rolin, Der Ursprung des Staates. Die naturrechtlich-rechtsphilosophische Legitimation von Staat und Staatsgewalt im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, 2005, S. 16. 282 Zu Pufendorfs Bild friedlicher Gemeinschaftlichkeit (socialitas) vgl. Medick Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith, 1973, 83 ff.; und vgl. H. Hofmann, Stichwort: Naturzustand, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6: Mo – O. Basel 1984, Sp. 654 f. (bei Locke handelt es sich um einen ungesicherten Friedenszustand, bei Rousseau nimmt der Naturzustand idyllische Züge an und geht bei Pufendorf in einen Kulturzustand des Menschen über). 283 Rolin, Der Ursprung des Staates. Die naturrechtlich-rechtsphilosophische Legitimation von Staat und Staatsgewalt im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, 2005, S. 16

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mesgemeinschaften 284 hin zu Staatsgemeinschaften geführt hat285. Eine obligatio naturalis beschreibt danach Bindungstatbestände, die auf natürlichen Vergesellschaftungsprozessen beruhen. Bei Wolff ist Ursprung der obligatio naturalis die Natur, die im Wesen des Menschen und der Dinge ihren hinreichenden Grund hat. Der Mensch stellt sich kraft eigener Vernunft unter das teleologisch gedachte und auf Vollkommenheit abzielende natürliche Gesetz. Das natürliche Gesetz ist die Grundlage der obligatio naturalis 286. Den natürlichen Pflichten (obligationes naturales) korrespondieren natürliche angeborene Rechte, die iura connata287. Das sind die natürliche Gleichheit, die Freiheit, das Recht sich zu wehren oder zu verteidigen und das Recht zu strafen 288. Natürliche Pflichten des Menschen sind Gott zu ehren und zu gehorchen, sich selbst zu lieben, zu erhalten und zu vervollkommnen, andere Menschen wie sich selbst zu lieben, niemanden zu schädigen, jedem das Seine zuzuteilen sowie anderen Dienste der Menschlichkeit und Wohltätigkeit zu erweisen. Auch auf die Vertragsgemeinschaft findet das Bild des ursprünglichen Zustandes Anwendung. Die Vertragsgesellschaft in dem Naturzustand des friedlichen und natürlichen Zusammenlebens erlaubte die Begründung von Herrschaftsverhältnissen, so z.B. die des Mannes über die Ehefrau, des Vaters über die Kinder, des Herrn über die Diener 289. Die libertas naturalis war endlich auch disponibel, d.h. der einzelne konnte durch Vertrag auf sie

284 Die societas domestica (einträchtiges Zusammenleben einer Vielzahl von Familien) ist des Menschen ursprünglicher wahrer status naturalis: „Jeder nur unter der Freyheit der patribus familias lebet.“ Johann Jacob Schmauß, Neues Systema des Rechts der Natur, 1754 (Nachdruck 1999), S. 456 f. 285 Aus diesen Gesellschaften sind dann „ganz natürlich Staaten und Republiken entstanden“, Johann Georg Sulzer, Vermischte Philosophische Schriften, 1773 (Nachdruck 1974) S. 392. 286 Erst Kant sieht im Gesetz einen Akt der Selbstgesetzgebung durch die Vernunft. Es wird nicht mehr nur, wie bei Wolff, mit Hilfe der Vernunft erkannt und kraft Einsicht befolgt. Wolff hängt noch der Vorstellung vom vorherbestehenden natürlichen Gesetz an. Hüning, Gesetz und Verbindlichkeit. Zur Begründung der praktischen Philosophie bei Samuel Pufendorf und Christian Wolff, in: Graul/Wolf (Hg.), GS für Dieter Meurer, 2002, S. 525, 535 u. 537. 287 Die Pflichtenkataloge der maßgeblichen Naturrechtslehrer des 18. Jahrhunderts stimmen insoweit überein: Johann Gottlieb Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 2. Aufl. 1738, (Nachdruck 1994), S. 319; Gottfried Achenwall, Stephan Pütter, Anfangsgründe des Naturrechts (Elementa iuris naturae), 1750 (dt. Übs. Jan Schröder, 1995), S. 82; Johann Jacob Schmauss, Neues Systema des Rechts der Natur, Göttingen 1754 (Nachdruck 1999), S. 458. 288 Zur Bedeutung des natürlichen Privatrechts für die Herausbildung von Freiheits- und Menschenrechte aus natürlichen Urrechten, vgl. Klippel, Das „natürliche Privatrecht“ im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit, 1997, S. 221, 242 f. 289 Etwa Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften, 1790.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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verzichten 290. Ein derart natürliches Privatrecht postuliert die bindende Kraft von menschlichen Handlungen und Verträgen unabhängig von einem Gesetzgeber. Ihre bindende Kraft ist bereits vorrechtlich im status naturalis vorhanden 291. Die verbindende Kraft des Rechts stammt von der Natur292 und nicht von den bürgerlichen Gesetzen 293. Das Verständnis unvollkommener und vollkommener Pflichten übernimmt im aufgeklärten Naturrecht den Entwicklungsschritt von der Natur zur Kultur und damit zum Recht. In der rechtlich verfassten Gesellschaft ist Vollkommenheit erst in der staatlich verfassten Gemeinschaft erreicht. Dem status naturalis ist ein status civilis entgegengesetzt, der nach den Präzisierungen Kants seine Grundlage im öffentlichen Staatsrechts hat 294. Die öffentlichen Gesetze schützen die bürgerlichen Rechte des Mein und Dein, weil sie mit der notwendigen Macht versehen sind, die diese Rechte auch durchzusetzen vermag295. Erst in einer weiteren Entwicklungsstufe und als Reaktion auf das Kantische Postulat des öffentlichen Rechts296 setzt sich im beginnenden 19. Jahrhundert die Auffassung durch, dass ein auch den Staat bindendes Privatrecht existiert297. Vom Staat werden alle gesellschaftlichen Verhältnisse des Menschen erfasst und damit auch das 290

Johann Gottlieb Heineccius, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts, 2. Aufl. 1738, (Nachdruck 1994), S. 322: „… es gab kein festeres Bd, die Menschen in jenem Naturzustand miteinander zu verbinden, als die Heiligkeit der Verträge“. 291 Das entspricht Kants Privatrecht im natürlichen Zustand, welchem er den bürgerlichen Zustand gegenüberstellt: „Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustand geht nun das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst, im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins, mit allen anderen, aus jenem heraus, in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austeilenden Gerechtigkeit, übergehen. Der Grund dafür lässt sich analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältnis … entwickeln“. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 424 (AB 157). Zum Vorläufer dieses Postulats bei Hobbes im sechzehnten Satz des Naturrechts; d.i. das naturrechtliche Gebot, sich dem Spruch eines Schiedsrichters zu fügen, vgl. Hruschka, Kriterien eines bürgerlichen Zustandes in Kants Rechtslehre, in: Hettinger, u.a. (Hg.), FS für Wilfried Küper, 2007, S. 183, 192. 292 Klippel, Das „natürliche Privatrecht“ im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit, 1997, S. 221, 233 f., dort auch das Meinungsbild zu Kants Vernunftnatur als bestimmendes Element des Naturrechts. 293 Zur Theorie der natürlichen Verbindlichkeiten: Adolph Dieterich Weber, Systematische Entwicklung der Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit und deren gerichtliche Wirkung, 4. Aufl. Leipzig 1811, S. 9 ff. 294 Der bürgerliche (gesetzliche) Zustand. Hruschka, Kriterien eines bürgerlichen Zustandes in Kants Rechtslehre, in: Hettinger, Zopfs, Hillenkamp, u.a. (Hg.), FS für Wilfried Küper, 2007, S. 183, 185 f. u. 189. 295 Hruschka, vorherige Fn., S. 183, 189 mN. 296 Kant, (oben Fn. 291), S. 424 (AB 157). 297 Damit steht die Ausbildung der Lehre vom subjektiven Recht in Verbindung. Ikadatsu, Der Paradigmawechsel der Privatrechtstheorie und die Neukonstruktion der Vertragstheorie in seinem Rahmen, 2002, S. 79 geht davon aus, dass das Kantische Privatrecht aus dem ersten Teil der Metaphysik der Sitten mit dem Ziel geschrieben worden sei, den Begriff des subjektiven Rechts zu rechtfertigen.

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Leben im Staat298. Das natürliche Privatrecht beansprucht danach ebenso im Staate Geltung299. Der naturrechtliche Begriff des Privatrechts ist damit zwar noch nicht aus seiner vorrechtlichen Verankerung gelöst, aber im staatlichen Recht insoweit integriert, als der Staat es rechtlich respektieren muss. Adolph Dieterich Weber hat in dieser späten Phase des naturrechtlichen Denkens eine systematische Darstellung der Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit vorgelegt, die er dem Recht zuordnet. Obligationen, die rechtlich nicht anerkannt würden (obligationes plane destructae), dürften nicht zum Kreis natürlicher Verbindlichkeiten gezählt werden 300. Zuwendungen aus bloßer Menschenliebe („officia humanitatis“) sieht er als natürliche Verbindlichkeiten an, die zu Schenkungen im Rechtssinne führen301. Schließlich zeigt Weber auf, dass Naturalobligationen sich nicht allein durch den Wegfall des Klagerechts auszeichnen. Bei ihnen sei vielmehr von der „umfassenderen Substraktion aller Zwangsmittel“ auszugehen 302. Die natürliche Verbindlichkeit ist bei Weber eine naturrechtliche Verbindlichkeit und gehört deshalb selbstverständlich zum Recht. Ihr Kennzeichen ist das Fehlen jeglicher Zwangsmittel zu ihrer Durchsetzung. Das natürliche Privatrecht ergänzte die Wissenschaft des geltenden Privatrechts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es erlaubte eine menschenrechtliche Fundierung des Privatrechts, diente als Grundlage für die Verrechtlichung neuer Sachgebiete und unterstützte die Forderung nach einer Kodifikation des Privatrechts. Das natürliche Privatrecht erfüllte eine Klammer- und Komplementärfunktion und wurde von der Historischen Rechtsschule nicht völlig verdrängt303. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass das öffentliche Recht auch die Grundlage für das Privatrecht bilde. Über die Rechte des einzelnen sollte allein der Staat entscheiden. Ein vorrechtlich gedachtes, natürliches Privatrecht musste in dem einsetzenden Gesetzespositivismus auch methodologisch suspekt erscheinen304. Mit 298

Klippel, (oben Fn. 292), S. 221, 237. Klippel, (oben Fn. 292), S. 221, 234 unter Hinweis auf Pörschke, Tieftrunk und Zachariä. 300 Sie verdienten es nicht, mit anderen Obligationsarten zusammen genannt zu werden Weber, (oben Fn. 293), S. 143 ff.; zustimmend Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 126. 301 Weber, (oben Fn. 293), S. 143 ff. Der Ausschluss der Rückforderung konnte so auf eine rechtliche causa zurückgeführt werden und musste nicht aus einem religiös-moralischen Grund gerechtfertigt werden. 302 Weber, (oben Fn. 293), S. 153 u. 156 f. unter Verweis auf das Fehlen einer Zwangsverbindlichkeit im naturrechtlichen Sinne; krit. Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 129. 303 Rechtfertigen ließen sich damit vernunftrechtliche Grundsätze für eine Gesetzgebungstheorie zur Fortentwicklung des Privatrechts, etwa bezüglich des „geistigen Eigentums“, oder zur Ausbildung eines Arbeitsrechts, vgl. Klippel, (oben Fn. 292), S. 221, 244 ff. 304 Krit. zu der Annahme, dass in Deutschland im späten 19. Jahrhundert ein Gesetzes299

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Klippel lässt sich sagen, dass die der politischen Theorie des Liberalismus verbundene Vorstellung eines dem öffentlichen Recht vorausgehenden natürlichen Privatrechts zum Ende des 19. Jahrhunderts praktisch nicht mehr akzeptiert wurde305. bb) Verbindlichkeit und Zwang Ausgehend von Thomas Hobbes (1588–1679) und Christian Thomasius (1655– 1728) galt der Rechtszwang, die vis coactiva, als notwendiges Merkmal der Verbindlichkeit 306. Die Rechtspflicht ist äußere Pflicht, die aus Furcht vor äußerem Zwang befolgt werden muss307. Die Überwindung dieser zwangszentrierten Sichtweise des Rechts ist erst das Verdienst des aufgeklärten Vernunftrechts. Christian Wolff entwickelt die Vorstellung einer Rechtsverbindlichkeit ohne Zwang. Das Sittengesetz stellt ein vorrechtlich entstandenes Normensystem dar308, welches in das „positive“ Naturrecht überführt wird. Die sittliche Pflicht wird so zum Bestandteil des Rechts. Im vernunftrechtlichen Denken entsteht die obligatorische Bindung aus der sittlichen Pflicht, die ihren religiösen Ursprung abstreift309. Die Einhaltung des Versprochenen ist unabweisbare Verpositivismus vorherrschend gewesen sei, J. Schröder, Gab es im deutschen Kaiserreich einen Gesetzespositivismus?, in: FS für Gerhard Otte, 2005, S. 571, 579 f. 305 Klippel, (oben Fn. 292), S. 221, 248 ff. m. Nw. 306 Nach Hobbes kann die Souveränität und natürliche Freiheit des Einzelnen nur durch physischen Zwang überwunden werden, der metaphorisch im Leviathan verkörpert ist, Diesselhorst, Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, 1988, S. 25 ff.; die Zwangsgewalt als eine Bedingung der Gesetzlichkeit anerkennt unter kritischer Abwendung von Grotius ebenso Johannes à Felden, Annotata in Hugonis Grotium De Jure Belli et Pacis I. c 1. § 9. 1653, S. 15 f. („Locum obligationis substituimus vim coactivam, obligatio enim à quâdam vi coactiva oritur. … lex est enunciatio universalis praescribens facienda vel omittenda in aliqua societate cum vi coactivâ conjuncta.“). 307 Zu Thomasius Lehre und dessen Fortentwicklung namentlich durch Gundling näher mit Nachweisen unten B. I. 3. c) aa) (4), S. 110 ff. 308 Bereits Augustinus spricht ausdrücklich vom Naturgesetz (lex naturalis), wenn er das Sittengesetz meint. Das Naturgesetz ist bei der Schaffung des Menschen in diesen als Gottes Gesetz hineingelegt worden. Hier ist die Vorstellung von der göttlichen Einrichtung der Welt in die rationale Seele des Menschen als lex naturalis gefasst, vgl. Kullmann, Antike Vorstufen des modernen Begriffs des Naturgesetzes. In: Behrends/Sellert (Hg.), Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, 1995, S. 36, 105. Zum engen Verhältnis von Sitte, Recht und Moral in den klassischen Naturrechtslehren, H. Schmidt, Die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht, 1973, S. 76; das Verhältnis von Sitte und Recht im Naturrechtsdenken offen gelassen von D. Schwab, Sittlichkeit. Zum Aufstieg und Niedergang einer rechtlichen Kategorie. In: Dorn/Schröder (Hg.), FS für Gerd Kleinheyer, 2001, S. 493, 495; Mayer-Maly, Recht und Gerechtigkeit, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft, 1999, S. 5, 8 stellt das Naturrecht mit dem Sittengesetz gleich: „Was dem Sittengesetz, der lex naturalis, widerstreitet, kann als Recht nicht gelten“. 309 Pufendorf führt die Verbindlichkeit auf einen göttlichen Befehl und Willen zurück. Wolff sieht dagegen Gott zwar als den Vater der Natur an, entwirft aber eine natürliche Ver-

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bindlichkeit 310. Kant ist verantwortlich für das Verständnis eines aus Vernunft und Freiheit metaphysisch begründeten Sittengesetzes, welches die gemeinsame Grundlage seiner Rechts- und Tugendlehre bildet311. Er überwindet damit die Zwangsbedingung des Rechts durch das Freiheitspostulat. Das Recht als Ausprägung des Sittengesetzes legitimiert den Zwang312. Gottlieb Hufeland (1760–1817) hatte einen weitergehenden Zusammenhang von Verbindlichkeit und Zwang angenommen. Er vertrat eine natürliche Pflicht jedes Einzelnen sich zu vervollkommnen und folgerte daraus eine Verpflichtung, die eigenen vollkommenen Rechte durchzusetzen 313. Die Erzwingung eigener Rechte ist danach nicht bloß erlaubt, sondern unter dem Gesichtspunkt der Vollkommenheit geboten. Das rechtliche System wird normativ auf den Vollkommenheitsgedanken hin entworfen und durch individuelle Recht-Pflichtstellungen durchgesetzt. Kant hat ein solches materiales teleologisches Prinzip des Rechts verworfen 314 und die Vollkommenheit des Rechts nicht mit einer Pflicht, sondern nur mit der Befugnis zu zwingen korreliert 315. Repräsentant für die Ausformung nicht erzwingbarer, aber gleichwohl obligatorischer Rechtspflichten ist der französische Naturrechtsgelehrte RobertJoseph Pothier (1699–1772). Pothier wird noch heute als Begründer der in Frankreich, Italien und Portugal herrschenden subjektiven Lehre von den „obligations naturelles“ erwähnt. Er erkennt Gewissenspflichten als obligatorische Rechtspflichten an. Davon werden die unvollkommenen Pflichten gegenüber Gott, die obligations imparfaites, abgegrenzt316.

bindlichkeit, die „auch jener erkennen müsse, der Gott nicht erkennet“, Hüning, Gesetz und Verbindlichkeit. Zur Begründung der praktischen Philosophie bei Samuel Pufendorf und Christian Wolff, in: Graul/Wolf (Hg.), GS für Dieter Meurer, 2002, S. 525, 530 u. 534. 310 Darunter versteht Kant die Notwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 327 (AB 20). 311 Vgl. oben B. I. 3. S. 96 bei Fn. 264. 312 Entsprechend rechtfertigt die Notwendigkeit der Pflichterfüllung auch die Erzwingbarkeit der Naturalerfüllung, Nehlsen-van Stryk, Grenzen des Rechtszwanges: Zur Geschichte der Naturalvollstreckung, AcP 193 (1993) 529, 546 f. 313 Hufeland, Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, Leipzig 1785, S. 243: „Verhindere, dass deine Vollkommenheit nicht gemindert, d.h. dir nicht ein Theil derselben genommen werde.“ Daraus folgen dann „alle Verbindlichkeiten, andere zu zwingen“. 314 Kant lehnt Hufelands Auffassung ab, dass „die Befugniß zu zwingen sogar eine Verbindlichkeit dazu, welche uns von der Natur selbst aufgelegt sei, durchaus zum Grund haben“ solle, Kant, Rezension von G. Hufelands Versuch über den Grundsatz des Naturrechts, Allgemeine Literaturzeitung (1786), in: Akademie Ausgabe Bd. VIII, S. 125, 128 f. ; vgl. näher Hoffmann, Kant und das Naturrechtsdenken, ARSP 2001, 449, 452 ff. 315 Dazu eingehend unten B. I. 3. c) bb) (3), S. 121. 316 Zu Person und Lehre Pothiers näher unten B. I. 3. c) aa) (6) S. 113 ff.

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c) Vollkommene und unvollkommene Pflichten Vor dem Hintergrund des religiös geprägten, auf natürlichen Verhältnissen aufbauenden und auf Vollkommenheit ausgerichteten Naturrechtsdenkens lassen sich die Pflichtlehren nach ihren Hauptvertretern gegliedert in vormoderne und aufgeklärte Lehren näher betrachten. aa) Vormoderne Naturrechtslehren Die vormodernen Naturrechtslehren ab dem beginnenden 17. Jahrhundert, namentlich des Hugo Grotius und Samuel Pufendorfs entwickeln ihre Pflichtdifferenzierungen einheitlich von der Rechtsquellenlehre des kanonischen Rechts aus. Danach bildet die lex naturalis die Grundlage allen Rechts. Sie fließt unmittelbar aus der lex divina und gilt als Emanation der lex aeterna. Die lex naturalis ist als eine göttliche Schöpfung in der Natur geoffenbart 317. Sie formt das positive Recht. Die Natur wird auf diese Weise normativ verstanden. (1) Die zwei moralischen Qualitäten einer Person (Grotius) Hugo Grotius (1583–1645) unterscheidet das strenge, mit Gewalt forderbare Recht von den liebreichen, billigen Rechten der Moral. Er sieht in beiden Rechtspositionen natürliche moralische Qualitäten der Person318. Grundlage ist die soziale Natur (appetitus societatis) und die natürliche Vernunft (ratio naturalis) des Menschen. Die Ordnung der Natur enthält die Prinzipien des moralisch Erforderlichen. Gott gebietet die moralisch notwendigen Handlungen und verbietet die moralisch unzuträglichen319. Der Wille Gottes entspricht den bestehenden natürlichen Rechtsverhältnissen. Auf jenen kommt es damit streng genommen nicht mehr entscheidend an, denn auch wenn kein Gott als Gesetzgeber vorausgesetzt würde, müssten diese Ge- und Verbote kraft der Natur des Menschen gelten320. Der doppelte Rechtsursprung bestehend aus einer ratio-

317 Zur Hierarchie der Rechtsquellen des kanonischen Rechts, die auf Thomas von Aquin, Summa theologica, (1266–1273) im Kapitel„De iure“ zurückgehen, vgl. H. Hattenhauer, Bellum inter leges et consuetudines, in: Saar/Roth/Chr. Hattenhauer (Hg.), FS für Heinz Holzhauer, S. 112, 118; ders., Europäische Rechtsgeschichte, 1992, S. 289. 318 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis (1625), I c 1, 4 („qualitas moralis personae competens ad aliquid juste habendum vel agendum“). 319 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis (1625), I c 1, 4 („… ab auctore naturae Deo talem actum aut vetari aut praecipi“). 320 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis (1625), Praefatio, S. ii („…etiamsi daremus, quod sine summo scelere dari nequit, non esse Deum, aut non curari ab eo negotia humana: cujus contrarium cum nobis partim ratio, partim traditio perpetua, inseverint …“).

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nalen Naturordnung und einem entsprechenden göttlichen Willen ermöglicht erstmals eine Art Moralpragmatik 321. Was Menschen – der Strenge nach auf eine vollkommene Weise – mit Gewalt voneinander verlangen dürfen sind Schuldigkeiten. Sie beruhen auf den officia necessitatis. Jeder muss sie für den Erhalt des gemeinsamen Lebens fordern und ihnen entsprechen. Es ist die moralische Qualität der Person, kraft der sie das Recht gegen Widerstände durchsetzen darf (perfecta facultas). Dieser Rechts- und Pflichtenkreis bildet das Naturrecht im engeren Sinne322. Dagegen entsteht das moralische Recht ohne Zwangsbefugnis aus den Pflichten der Mitmenschlichkeit, den officia humanitatis323. Plastisch spricht Grotius auch vom „Recht ohne Erpressung“324. Damit hat er die von Ambrosius stammende Pflichtenlehre in eine rechtliche Systematik überführt 325. Die Prädikation ist aber umgekehrt. Vollkommenheit bezieht sich auf die Rechtsmacht facultas326. Die officia necessitatis sind durchsetzbares Recht (perfecta facultas). Die officia humanitatis sind nach ihrer schwächeren Funktionalität „minus perfecta facultas“. An diese lebensweltliche Ausrichtung von Moral und Recht hin zu einem perfekten Recht im Dienste der Moral knüpfen die späteren aufgeklärten Lehren an. (2) Naturrechtlich systematisiertes Römisches Recht (Domat) Für die sich in Frankreich und Italien entwickelnden Lehren der Naturalobligation ist der französische Romanist Jean Domat (1625 – 1696)327 bedeutsam 328. In seinem Hauptwerk, „Les lois civiles dans leur ordre naturel“ (1689), werden 321

Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 56. 322 W. Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 434. 323 Hugo Grotius, De jure belli ac pacis (1624), 1, 1, 4. Nach G.A. Tittel, Erläuterung der theoretischen und praktischen Philosophie nach Herrn Feders Ordnung. Natur und Völkerrecht (1786), S. 6 versteht Grotius und die ihm folgende Naturrechtslehre darunter Pflichten und Rechte der Menschen, deren Ausübung auf Gewissen, Tugend und Redlichkeit, liebreicher und billiger Gesinnung beruht (officia humanitatis). 324 Vgl. mit Nachw. W. Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 434 f. 325 Siehe oben S. 95 mit der Zweiteilung in Pflichten bzw. Aufgaben, officia perfecta und minus perfecta. 326 Ebenso Heidbrink, Grenzen der Verpflichtung. Zum Verhältnis von Verantwortung und Pflichten, in: Langbehn (Hg.), Recht, Gerechtigkeit und Freiheit. FS für Wolfgang Kersting, 2006, S. 239, 243 der aber die Umkehrung der Vorzeichen Pufendorf zuschreibt. 327 Zu Leben und Werk, vgl. Holthöfer in: Stolleis, Juristen – Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 1995, S. 173 ff. Auf Domat geht auch die Lehre von der „cause“ im französischen Vertragsrecht zurück; vgl. Mayer-Maly, Der Konsens als Grundlage des Vertrages. In: Hübner u.a. (Hg.): FS für Erwin Seidl. 1975, S. 118, 125. 328 Auf der Grundlage der römisch-rechtlichen Grundsätze Domats entwickeln Aubry/

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die justinianischen Rechtsbücher in ein naturrechtlich geordnetes Rechtssystem gebracht. Domat orientiert sich dabei an Grotius. Er entwickelt einen Naturrechtsbegriff, der das römische Recht als ratio scripta zur Grundlage hat. Naturrecht ist nach Domat das auf seine eigenen Prinzipien zurückgeführte römische Recht329. Daneben tritt an einzelnen Stellen das kanonische Recht, das die römisch-rechtliche Wertung aber nicht verändert330. Die Schriften Domats gehören zu den Hauptquellen des ancien droit, auf dem der französische Code Civil beruht. Domat sah in der „obligation naturelle“ eine „obligation civile imparfaite“. Das einzige Kennzeichen fehlender Perfektion liege im fehlenden Klagerecht des Naturalgläubigers331. Eine eigenständige Pflichtenlehre entwickelt Domat für diese obligation naturelle nicht. Sie ist Bestandteil des Rechts. Die Pflichten seien ganz gleich332. Die Begriffsbildung entspricht sachlich der obligatio naturalis römischer Provenienz333 und bildet die Grundlage für ein rechtliches Verständnis „sittlicher Pflichten“ im deutschen Recht, namentlich in § 814 Hs. 2 BGB334. (3) Rechtsbindung kraft Sittlichkeit (Pufendorf ) Samuel Pufendorf (1632–1694) übernimmt die grotianische Zweiteilung der Rechtspositionen in die erzwingbare facultas und die zwanglose aptitudo. Er ergänzt die Pflichtenlehre um einen zweigeteilten Pflichtenstatus. Geschuldet wird als erzwingbare Schuldigkeit oder als freiwillig abzutragende Leistung. Vollkommene Pflichten (debere ex iure perfecto335) dienen der Erhaltung des gesellschaftlichen Seins. Sie orientieren sich am Prinzip der Koexistenz und sind Pflichten der Notwendigkeit. Unvollkommene Pflichten (debere ex iure imperfecto) dienen der Errichtung einer guten und solidarischen Gemeinschaft. Es sind officia humanitatis seu caritatis336. Verstöße werden nicht im juridiRau, Cours de droit civil francais, vol. 4, 4. Aufl. Paris 1871, § 297 n. 1, die objektive Theorie der Naturalobligation (siehe näher unten B. II. 1 a), S. 189 f. 329 Holthöfer (oben Fn. 327) S. 174. 330 Holthöfer (oben Fn. 327) S. 174. 331 Jean Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, 1689, liv. I, tit. I, n. 39 ; zitiert nach Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, Paris 1973, n. 11 ; ebenso Ripert, La règle morale dans les obligations civiles, 4. Aufl., Paris 1949, S. 7 f. 332 Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, 1689, liv. I, tit. I, n. 39 ; zitiert nach Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, Paris 1973, n. 11. 333 Siehe zur französischen Lehre näher unten B. II. 2. a) aa), S. 211. 334 Vgl. näher unten B. II. 2. b) S. 225. 335 Genauer: „… ex jure proprie dicto exiguntur, quaeque adeo justitia stricte dicta dirigit.“ Pufendorf, De jure naturae et gentium, I, 1759 (Nachdruck 1967), 3. § 4. 336 Sie dienen dem Gutsein der Gesellschaft. Im einzelnen: Officia pietatis, officia reverentiae, grati animi humanitatis, beneficente. Grundlage ist eine „diversitas praeceptorum juris naturalis quorum alia ad esse, alia dumtaxat ad bene esse societatis faciunt“ (Differenz der

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schen Sinne, sondern nur im ethischen Sinne beklagt; ihre Einhaltung ist freiwillig337. Der vollkommenen Rechtspflicht steht die unvollkommene Moralpflicht zur Seite. Pufendorf hebt die innere Zusammengehörigkeit von Moral, Sitte und Recht hervor. Alles positive Recht verpflichtet (nur) aufgrund seiner Übereinstimmung mit dem Naturgesetz338. Das Naturgesetz zeigt sich in der natürlichen Vernunfterkenntnis des Menschen (ex lumine rationis339). Seine Grundlage ist der göttliche Wille und das göttliche Recht340. Durch die Vernunft hindurch wirkt also der göttliche Gesetzgeber, der die Menschen verpflichtet, ihr Handeln den moralischen Normen konform zu gestalten341. Recht ist auf diese Weise eine moralische Qualität menschlicher Handlungen342. Alle Rechtsgebote besitzen bei Pufendorf moralische Kraft, oder wie Welzel 343 formuliert, die sittlich verpflichtende Kraft des Wertes344. Die religiös induzierten Werte betreffen die Gemeinschaft der Menschen. Die notwendige Gemeinschaft muss die Koexistenz ihrer Mitglieder organisieren und sichern sowie ihren Bestand erhalten. Die gute Gemeinschaft soll Tugendhaftigkeit und Vollkommenheit fördern. Pufendorf hatte damit rechtliche von theologischen Anschauungen unterschieden. Das Naturrecht besitzt zwar weiterhin eine theologische Basis345 und verschafft der legalen Ordnung ihre Legitimation. Es ist aber von der Vorschriften des Naturrechts, von denen die einen dem Sein, die andern dem Gutsein der Gesellschaft dienen), Pufendorf, De jure naturae et gentium, I, 1759, (Nachdruck 1967), 1, § 7, 7. 337 Kersting, Stichwort: Pflicht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 410. 338 Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 12 (sog. Pflichten der Bequemlichkeit). 339 Pufendorf, De officio hominis et civis juxta legem naturalem libri duo, 1682, S. ii (zit. nach Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 31 Fn. 26. 340 „…ad autorem naturae Deum referuntur“, Pufendorf, De jure naturae et gentium, 1759, I, (Nachdruck 1967), 20, § 3 (S. 151). 341 Pufendorf, Appendix [zur Epistola ad J. A. Scherzerum] In: Eris Scandica, S. 74 (zit. nach Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 36 Fn. 37. 342 Die Moral begründet eine doppelte Bindung des Menschen: die Vertragstreue und die Bindung an die politische Ordnung. Mit letzterer drängt sie den Mitmenschen in ein gesellschaftliches Verpflichtungsverhältnis, Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, 1972, S. 87 f. 343 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 163. 344 Das unterscheidet die obligatio, die eine innere Verpflichtung auferlegt, von der coactio, die äusseren Zwang bedeutet. Pufendorf, De iure naturae et gentium, I, (Nachdruck 1967), 6 § 5. 345 In dem theologischen Ableitungszusammenhang der natürlichen Verpflichtung aus einer moralischen Verschuldung des Menschen gegenüber Gott unterscheidet sich Pufendorf von Hobbes, der den Naturzustand als gesetzlosen Bereich menschlichen Handelns versteht. Zu Pufendorfs Kritik der atheistischen Position Hobbes, vgl. Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 46 f.

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Moraltheologie als unmittelbarer Grundlage aller Gesetze gelöst346. Hierin wird das besondere Verdienst Pufendorfs gesehen 347. Die durch die Vernunft vermittelte religiös sittliche Pflicht des Individuums bildet lediglich die Grundlage der obligatio und impliziert eine natürliche Verpflichtung zur Sozialität 348. Vor diesem Hintergrund bildet Pufendorf die Untergliederung obligatio naturalis und obligatio civilis349. Sie lautet:350 „Wir nennen also eine natürliche Verbindlichkeit, welche uns nur allein vermöge des natürlichen Gesetzes obliegt. Bürgerlich heißen wir diejenige, so sie sich [auch] auf bürgerliche Gesetze und obrigkeitliche Gewalt stellt.“

Jeder civilen obligatio liegt eine natürliche obligatio zu Grunde. Das Umgekehrte gilt nicht. Zur Fessel der natürlichen Freiheit (vinculum naturalis libertatis) tritt nur gegebenenfalls die Fessel des Rechts hinzu (vinculum iuris). Die obligatio naturalis gilt bereits im Naturzustand als die Bindung des Gewissens, die einen göttlichen Gesetzgeber denknotwendig macht und die dann auch unter der Herrschaft der Zivilgesetze idealer weise bestehen bleibt351.

346 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 102, was Pufendorf nicht daran hinderte noch Pflichten gegen sich und gegen Gott anzuerkennen, De officio, lib. 1, cap. IV, S. 24 ff. (gegen Gott) und lib. 1, cap. V, S. 27 ff. (gegen sich selbst) (zit. nach. Schröder, ebd.). 347 Das wird ihm historisch als bleibender Verdienst zugesprochen, vgl. Klaus-Peter Schröder, Der Dreißigjährige Krieg, das Alte Reich und Samuel von Pufendorf (1632–1694), Vom Sachsenspiegel zum Grundgesetz, 2001, S. 63, 73 f. Darauf stellt auch maßgeblich Hägerström ab, Recht, Pflicht und bindende Kraft des Vertrages. Nach römischer und naturrechtlicher Anschauung. In: Olivecrona (Hg.), Sonderveröffentlichung des 1941 (posthum) veröffentlichten 1. Teils des 2. Bdes „Der römische Obligationenbegriff“. Uppsala 1965, S. 1, 59 ff; ebenso Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 164. 348 Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 49. 349 Beide Gattungen von Verbindlichkeiten, die natürlichen und die bürgerlichen, sind nach Pufendorf aufeinander bezogen. Ohne bürgerliche Verbindlichkeiten könne ein Staat ebensowenig bestehen wie ohne natürliche. Es entspreche der menschlichen Art, dass man Wohltaten nicht einseitig und unerwidert empfange, H. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 90; Hartung weist für die Grundlagen des obligatio naturalis-Konzepts bei Pufendorf und auf Franciscus Suarez (1548 – 1619) hin. Vorherige Fn., S. 61 ff. 350 Pufendorf, Acht Bücher vom Natur- und Völkerrecht, Bd. II, 4, 1., Übersetzung, Nachdruck 1998 [Einfügung und Hervorhebung GS]. 351 Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 80 f.

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(4) Rechtsbindung durch äußeren Zwang (Thomasius) Christian Thomasius (1655 – 1728)352 löst das natürliche von dem göttlichen Gesetz in einem weitergehenden Sinne ab. Er unterscheidet die Pflichten nach ihren Wirkungsweisen und teilt sie in obligationes externae und obligationes internae ein. Äußere Pflichten wirken durch die Furcht vor dem Zwang desjenigen, der die Macht hat, Furcht zu erzeugen (imperium)353. Sie liegen den positiven Gesetzen zugrunde, die mit der vis cogendi ausgestattet sind. Innere Pflichten folgen aus dem göttlichen und dem natürlichen Recht; sie wirken innerlich als Rat (consilium) und gehören nicht zum positiven Gesetz 354. Die Unterscheidung nach „außen“ und „innen“ hat mehrere Bezugspunkte. Äußere Pflichten wirken durch äußeren Zwang und lenken durch die Furcht. Sie dienen dem friedlichen (äußeren) Zusammenleben. Innere Pflichten verpflichten durch Ratschlag und Tugend. Das Verhalten wird von der Tugend gelenkt und folgt dem Zwang des Gewissens355. Innere Pflichten dienen der Vervollkommnung der Person selbst. Sie gebieten ein ehrenhaftes Leben nach den Regeln der Sittlichkeit (honestas) und verlangen ein Wohlwollen gegenüber den Mitmenschen nach den Regeln des sich Geziemenden (decorum)356. Die Pflicht ist bei Thomasius somit ein psychologisch-empirisches Phänomen, das nach inneren und äußeren Einflüssen unterscheidet 357. Die Furcht vor dem äußeren Zwang bildet zugleich ein analytisches Merkmal des Rechtsbegriffs. Das menschliche Gesetz könne nur in Bezug auf einen (rechtmäßigen) Befehl und die hinter ihm stehende Macht begriffen werden. Die Rechtspflichten werden daher auch einfach als Zwangspflichten bezeichnet 358. Nur 352 Luig bezeichnet ihn als den Begründer der deutschen Frühaufklärung, in: Stolleis, Juristen, 1995, S. 613. Nicht behandelt wird das Frühwerk, in dem Thomasius an Pufendorf anknüpft, vgl. Hartung, oben Fn. 349, S. 84 ff. 353 Der Herrscher ist Quelle des Rechts und Ursprung der obligatio. Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium, I, 1, § 100, Halle 1718 (Nachdruck Aalen 1979); Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 20. Eingehend Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius-Schule, 1968, S. 41 ff. 354 Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium, I, 5, § 34 (S. 152): „Lex naturalis & divina magis ad consilia pertinet, lex humana proprie dicta non nisi de norma imperii dicitur“. Vgl. Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbildung in der Thomasius-Schule, 1968, S. 43. 355 Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium I, 4 § 90. und 5 § 21 und § 25. 356 Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium I, 5 § 25 (S. 150): „…quod quae homo facit ex obligatione interna & regulis honesti & decori, dirigantur a virtute in genere, & ab iis homo dicatur virtuosus, non justus; …“; Luig, Das Privatrecht von Christian Thomasius zwischen Absolutismus und Liberalismus, in: Schneiders (Hg.), Christian Thomasius 1655 – 1728, 1989, S. 148, 153 f. 357 Das Naturrecht wird aus einer Affektenlehre deduziert, Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 95; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, 13 ff. 358 Die Pflicht entsteht gleichsam erst aus dem Zwang, krit. Welzel, Naturrecht und mate-

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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sie begründen eine Recht-Pflicht-Korrespondenz. In ihr sieht Thomasius das „principium iusti“. Den Gewissenspflichten stehe dagegen kein Recht eines anderen gegenüber. Die sittlich-moralische Pflicht des Einzelnen (honestum et decorum) ist innere Gewissenpflicht. Sie begegnet noch heute im katholischen Beichtwesen359 sowie dem Gelübde und Versprechenseid des Codex Can. 1200 § 1. Ein moralisches, natürliches oder göttliches Recht bildet bei Thomasius noch die normativen Grundlagen für das positive Recht und verweist darauf, dass durch Rechtsetzung die moralischen Normen nicht veränderbar sind360. Das Ehrenhafte und Wohlwollende wird aber streng geschieden und in das forum internum verwiesen. Wie Welzel feststellt, verliert das Naturrecht als bloßer Ratschlag in dieser vorpositivistischen Konzeption seinen Rechtscharakter361. Eine auf Moral oder Barmherzigkeit gründende unvollkommene Verbindlichkeit (obligatio naturalis) war nach diesen Grundannahmen im positiven Recht nicht zu verankern. Die rechtliche und die moralische Persönlichkeit, der justus homo und der virtuosus homo, stehen bei Thomasius unverbunden nebeneinander362. Thomasius und die ihm folgenden Naturrechtslehren bis einschließlich Kant sehen die Verpflichtungsweise und den Inhalt einer Pflicht in einem wechselbezüglichen Verhältnis zueinander. Nur was erzwungen werden darf, gehört zum Recht. Danach gibt das äußere Zwangskriterium an, was zur Sitte und was zum Recht gehört. Thomasius verwandelt so das gesamte natürliche, vollkommene und göttliche Recht (lex naturalis) in die aus dem Blickwinkel des Rechts unvollkommene Sittlichkeit. Er wechselt von einer ethischen Gesamtbetrachtung aller Pflichten in eine rechtliche Perspektive über. Aus dem Blickwinkel des Rechts stehen den vollkommenen Rechtspflichten die unvollkommenen Gewissenspflichten gegenüber. Letztere besitzen keinen Rechtscharakter und sind somit nicht einmal unvollkommenes Recht 363. Dagegen wird das Recht seiriale Gerechtigkeit, 1962, S. 166 Fn. 18; Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 96 (Zwangsverpflichtung); Zippelius, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2003, S. 31 (Zwangspflicht). 359 Der Begriff des Forum internum entstand in der spätmittelalterlich verrechtlichten Beichtpraxis, Bergfeld, Zur Jurisprudenz des forum internum. Ius Commune XVI (1989) 133, 134. 360 Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium, I, 5, § 53 – 55; Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 96. 361 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, 104; das Naturrecht umfasste nach Thomasius nur noch ideell normative Elemente des Rechtsbegriffs, Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 165; Luig, Das Privatrecht von Christian Thomasius zwischen Absolutismus und Liberalismus, in: Schneiders (Hg.), Christian Thomasius 1655–1728, 1989, S. 148, 157. 362 Hartung, oben Fn. 360, S. 98. 363 Thomasius sprach von Naturrecht im weiteren Sinne, aber maßgeblich ist nurmehr das Trennende von Sitte und Recht und nicht das Gemeinsame, vgl. Larenz, Sittlichkeit und Recht, in: ders., Reich und Recht in der deutschen Philosophie, 1943, S. 169, 335.

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nerseits nicht mehr ethisch, sondern aus Macht, Zwang und Furcht heraus begründet. Die Vorstellung einer reinen Zwangspflicht begünstigt die bis heute im Positivismus und Neukantianismus anzutreffende Annahme, die Zwangsausübung sei das leitende Kriterium der Unterscheidung von Recht und Sittlichkeit364. Auch die entsprechende Reinheits- oder Isolierbarkeitsvorstellung, wonach sich das Recht ohne eine Verankerung in der Sittlichkeit denken lasse, hat bei Thomasius ihren Ausgangspunkt. (5) Die uneigentliche Obligation (Gundling) Gegen seinen Lehrer Thomasius365 betont Nicolaus Hieronymus Gundling (1671–1729)366 wieder eine Einheit von Moral und Recht. Das umfassende Naturgesetz ist ein jussum imperantis. Es evoziert sowohl interne als auch externe Obligationen367. Die innere Pflicht gehe auf die Natur des Menschen. Die Furcht vor dem notwendig eintretenden Nachteil sei Folge der inneren Pflichtstellung. Bei der äußeren Pflicht hingen Nutzen und Nachteil von fremder Entscheidung ab368. Die Rechtsnorm übe selbst keinen Gewissenszwang aus369. Die menschliche Willensfreiheit werde durch das Naturgesetz umgrenzt und halte den Menschen zur Erfüllung der göttlichen Moralgebote an 370. Gundling entwickelt daraus ein eigenständiges theoretisches Modell des Rechts. Er unterscheidet das Recht im engeren, eigentlichen Sinne von dem Recht im weiteren, uneigentlichen Sinne. Zum Recht im eigentlichen Sinne gehört die äußere vollkommene Pflicht. Sie folgt dem Vernunftgebot und ist darauf gerichtet, den äußeren Frieden zu suchen. Zielvorstellung ist der Friedenszustand und mit ihm die Selbsterhaltung des Menschen 371. Auch die Vertragstreue ist friedens364

Krit. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 165. Weitere Vertreter der Hallenser Naturrechtsschule sind die hier nicht eigenständig behandelten Georg Beyer (1665 – 1714), Jakob Friedrich Ludovici (1671– 1723), Justus Henning Böhmer (1674 – 1749) und Johann Gottlieb Heineccius (1681 – 1741) vgl. Rüping, Die Hallesche Schule des Naturrechts, 2002; krit. zur Frage ob sie eine Schule bilden, Hartung, oben Fn. 360, S. 124. Dort auch zu den Lehren von Justus Henning Böhmer S. 116 ff. und zu Johann Gottlieb Heineccius S. 120 ff. 366 Stintzing/Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, III. Abteilung, 1. HalbBd, 1898, S. 122 ff.; Jaumann, Art. Gundling. In: Killy (Hrsg.), Literatur Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 4, 1989, S. 428f. 367 Hartung, oben Fn. 360, S. 112 f. 368 Hironymus Gundling, Jus naturae ac Gentium connexa ratione novaque methodo elaboratum et a praesumptis opinionibus a iisque ineptiis vacuum, 1736, I §§ 48, 49 und 55; zit. nach Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 26. 369 Anders Justus Henning Böhmer (1674–1749), der die Gewissensbindung hinzutreten lässt und darin eine Maximierung des Rechtszwanges sieht, vgl. m.N. Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 120. 370 Hironymus Gundling, Jus naturae ac Gentium nova methodo, 1715, I, § 45, S. 14. 371 Hironymus Gundling, Jus naturae ac Gentium nova methodo, 1715, I, § 53 – 56, S. 15. 365

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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stiftend und danach ein juridisches Prinzip372. Zum Recht im uneigentlichen Sinne zählt dagegen die obligatio interna, die unvollkommene Pflicht. Anders als bei Thomasius gehört sie zum Recht, wird aber distanzierend als „uneigentlich“ gekennzeichnet. Der bereits im römischen Recht verwendete status irrealis der obligatio naturalis373 hat damit auch in der vernunftrechtlichen Entwicklung Fuß gefasst. Die „uneigentliche Verbindlichkeit“ wird in der Pandektistik namentlich von Windscheid als Terminus technicus später aufgegriffen374. Den Pflichtbegriff versteht Gundling psychologisch-empirisch und setzt damit die thomasische Deutung fort, vollkommenes Recht werde über das Merkmal der äußeren Zwangsmacht reguliert. (6) Obligation naturelle: juridique et parfaite (Pothier) Für die Lehre von den natürlichen Verbindlichkeiten im französischen Recht ist neben dem oben behandelten Domat der aus Orléans stammende französische Rechtsanwalt, spätere Richter und Privatgelehrte Robert-Joseph Pothier (1699–1772)375 von zentraler Bedeutung. Pothier unterscheidet in seinem 1761 erschienenen „Traité des obligations selon les règles tant du for de la conscience que du for extérieure“376 zunächst die obligations parfaites von den obligations imparfaites. Imparfaites sind diejenigen Pflichten, die wir nur gegenüber Gott haben und deren Erfüllung nicht verlangt werden kann. Dazu zählen etwa die Pflichten, Almosen zu geben und sich für erhaltene Wohltaten dankbar zu erweisen 377. Entsprechend gewährt die obligation imparfaite kein Forderungsrecht, sondern bedeutet eine religiöse Pflicht gegenüber Gott. Parfaite dagegen sind all jene Pflichten, deren Erfüllung von jemandem verlangt werden darf. Das bestimmende Merkmal der vollkommenen Pflicht ist die Ein372

Hartung, oben Fn. 360, S. 115. Zur Begriffsverwendung der obligatio naturalis im römischen Recht „per abusionem“ oben B. I. 1. b) bb) S. 61, der übersetzt wurde als uneigentliche Verbindlichkeit, Cornioley, Naturalis obligatio. Essai sur l’origine et l’évolution de la notion en droit romain, Genf 1964, S. 462. 374 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2., 9. Aufl., 1906, § 287 f.; in Anlehnung hieran spricht Jhering von der „unechten Verbindlichkeit“, Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 3. Aufl. 1893, S. 479. 375 Luig, Robert-Joseph Pothier und die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen unter der Geltung des Code civil, ZEuP 2002, 489 – 507. 376 Die Traités dienten methodisch in der Tradition von Charles Dumoulin der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Herstellung einer Synthese aus römischem und kanonischem Recht sowie dem „droit français“, das seinerseits das „droit coutumier“ und die Gesetzgebung des Königs umfasste, Luig, Robert-Joseph Pothier und die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen unter der Geltung des Code civil, in: ZEuP 2002, 489, 490. 377 Pothier, Traité des obligations, Paris 1761, n. 1, Œuvres. Nouvelle édition, publié par Siffrein, Bd. 1, 1821, p. 304 ss; Laurent, Principes de droit civil français, tome 17, 3. éd., 1879, n. 4 (devoirs de charité et de reconnaissance). 373

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B. Historischer Teil

forderbarkeit von einer anderen Person. Das Recht auf Erfüllung ist entweder im Wege gerichtlicher Klage durchsetzbar oder es kann „dans le for de l’honneur et de la conscience“ geltend gemacht werden 378. Im ersteren Falle handelt es sich um eine obligation civile beruhend auf einem iuris vinculum, im letzteren um eine obligation naturelle aus einem solius aequitatis vinculum. Beide sind obligations parfaites. Pothier führt hier den thomasischen Gedanken des principium iusti, der Recht-Pflicht-Korrespondenz fort 379. Das Einforderungsrecht als Merkmal der Interpersonalität („Verlangenkönnen“) bildet für Pothier das Kennzeichen der vollkommenen Obligation, zu der auch die Naturalobligation zählt. Die obligation naturelle ist danach eine interpersonal wirksame, rechtliche obligation parfaite. Ihr fehlt die äußere Zwangsmacht, aber der innerlich wirkende Zwang des Gewissens genügt, um sie als obligation juridique und damit als echtes Forderungsrecht anzuerkennen380. Pothier nennt Fälle schwacher Rechtsgründe (défaveur de la cause), Verträge unter Beteiligung von Personen, denen die Geschäftsfähigkeit nicht zuerkannt ist (etwa der Ehefrau, die unter der manus des Mannes steht) oder die verjährte Forderung 381. Pothier nimmt wie Domat römisch-rechtliche Grundsätze auf. Grundlage der französischen

378 Pothier, (vorherige Fn.), n. 173 u. 175; R.Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 2., 1929, S. 25, 27. 379 In der deutschen Dogmatik zu § 241 Abs. 1 BGB sind die Recht-Pflicht-Korrespondenz und das Merkmal der Forderungsberechtigung (gleichbedeutend auch Anrecht oder Einziehungsbefugnis), vgl. H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 45 f. (Forderungsberechtigung im Sinne von „Verlangenkönnen“) anerkannt. Vgl. zur Recht-PflichtKorrespondenz näher unten C. III. 1.c) bb) (2) S. 359 und zur Forderungsstruktur C. IV. 4. a) aa) S. 461 ff. 380 Dieser Unterschied zwischen der obligation imparfaite und der obligation naturelle bei Pothier ist wenig beachtet worden. Stattdessen wurde die Differenzierung imparfaite – naturelle mit der Begründung als wertlos angesehen, als die aequitas für beide Pflichtarten gilt, so etwa Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 191 mwN. Auch M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 126 hat die formale Vollkommenheit der Naturalobligation bei Pothier nicht berücksichtigt. Der von ihm gewählten Unterscheidung in sittliche Pflichten (Naturalobligationen) und Schuldverhältnisse ohne Durchsetzungsbefugnisse (Unvollkommene Verbindlichkeiten), ebd., S. 139 f., liegt daher m.E. eine künstliche Trennung zugrunde. Siehe dazu unten C. II. 1., S. 262. 381 Pothier, (oben Fn. 377), n. 192 u. 196 ; dazu Laurent, Principes de droit civil français, tome 17, 3. éd., 1879, n. 4. Damit steht Pothier nicht weit von der objektivrechtlichen Theorie entfernt, die in der Nachfolge Domats von Aubry/Rau, Cours de droit civil français, vol. 4, 4. Aufl. Paris 1871, § 297 n. 1 aufgegriffen wurden. Darauf hat Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Schreiber (Hg.), Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 2., 1929, S. 25, 29 zutreffend hingewiesen. Zur verbleibenden Differenz vgl. unten B. II. 1. a), S. 206.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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Theorie der obligation naturelle bildet bis heute deren Einstufung als obligation juridique382. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vormodernen Naturrechtslehren den Begriff der unvollkommenen Verbindlichkeit herausbilden, aber unterschiedlich klassifizieren. Hugo Grotius und Samuel Pufendorf bereiten die Begriffsbildung vor, indem sie die Pflichten der Mitmenschlichkeit, die officia humanitatis, als minus perfecta facultas einstufen 383. Der vollkommenen Rechtspflicht steht die unvollkommene Moralpflicht zur Seite. Domat rezipiert die römisch-rechtliche obligatio naturalis unter der Kategorie der obligation imparfaite, weil ihr die Klagbarkeit fehle. Mit der von Thomasius vollzogenen Trennung von Zwangsrecht und Moral rückt die Unvollkommenheit als Klassifikationsmerkmal fehlender Rechtlichkeit in den Blick. Das positive Recht wird von der lex naturalis gelöst und verselbständigt. Die lex naturalis ist unvollkommene, sittliche Pflicht ohne Rechtscharakter384. Gundling integriert die unvollkommene Pflicht wieder in den einheitlich gedachten Bereich von Sitte und Recht. In Abwendung von Thomasius gehört sie als uneigentliches Recht zum Recht. Pothier greift die auf Thomasius zurückgehende Recht-PflichtKorrespondenz als principium iusti auf. Die zwanglose obligatio naturalis gibt aber ebenso einforderbare Rechte gegen andere Menschen und ist danach juridique et parfaite. Die obligation imparfaite ist dagegen rein religiöse Pflicht gegenüber Gott. Ein bleibender Grundzug des vormodernen naturrechtlichen Denkens und der pflichtentheoretischen Systematisierungsversuche sind das negative Prinzip der Koexistenz zum Bestand der Gemeinschaft und das positive Prinzip der guten Gemeinschaft. Für ersteres werden vollkommene Rechte und Pflichten begründet, während letzteres nur unvollkommene Rechte und Pflichten kennt 385. bb) Aufgeklärtes Vernunftrecht Im aufgeklärten Vernunftrecht setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Geltungsgrund des Naturrechts unmittelbar die Natur des Menschen ist386. Entsprechend sind der Verstand bzw. die menschliche Vernunft als Rechtsquelle 382

Mit dem Streit zwischen subjektiver und objektiver Theorie, vgl. B. II. 1., S. 206 ff. Den naturrechtlichen Ausgangspunkt der unvollkommenen Verbindlichkeit bei Grotius zu nehmen rechtfertigt sich auch aus dem mit ihm einsetzenden Prozess der Positivierung und Verselbständigung des Rechts, J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 98 ff. Sie ist eine Vorbedingung unseres modernen Gesetzesverständnisses. 384 J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 103: Sittlichkeit (honestas) und Sitte (decorum). 385 W. Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 435. 386 Mittelbar blieben weiterhin Gott und die göttlich schöpferische Natur als Ursprünge des Rechts bestehen, J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 99. 383

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B. Historischer Teil

anzusehen387. Die Pflichtlehren der Vollkommenheit ändern sich durch diesen Prämissenwechsel. Die Pflichten werden nach Vernunftkriterien entworfen. Dabei treten die sittlichen Pflichten in den Vordergrund. (1) Das Liebesband zwischen den Menschen (Wolff) Die Naturrechtslehre des Christian Wolff (1679–1754) leitet die Rechts- und Moralordnung unmittelbar aus der Natur ab388. Ausgangspunkt seiner Deduktionen ist das freundschaftliche Liebesband zwischen den Menschen 389. Die Liebe390 erzeuge die natürliche Verbindlichkeit (obligatio naturalis), das gemeinsame Wohl mit vereinigten Kräften zu befördern. Diese natürliche Verbindlichkeit ist zunächst eine unvollkommene Verbindlichkeit. Aus ihr entsteht eine „vollkommene Verbindlichkeit“ und zwar das subjektive Recht des Bedürftigen auf Hilfeleistung. Jedem steht danach von Natur aus ein Recht zu, „…sich andere zu gewissen Gewährungen verbindlich zu machen, so dass dieselben, wo sie nicht wollen, zur Ausrichtung ihrer Schuldigkeit können gezwungen werden“391.

Nun soll aber nach Wolff nicht alles was die Moral „unvollkommen“ verbindlich macht, auch „vollkommen“ mit Hilfe staatlichen Rechts durchsetzbar sein 392. Unvollkommene Pflichten sind solche, die den anderen bei der Erreichung seines Vollkommenheitszieles unterstützen (officia humanitas). Es handelt sich um Pflichten, die von Natur aus in ihrem Umfang nicht abgrenzbar sind, deren nähere Bestimmung dem individuellen Gewissen überlassen bleibt. Sie geben von sich aus kein klagbares Recht. Das positive Recht kann diese Pflichten jedoch näher umschreiben, durch Sanktionen bekräftigen und dadurch erzwingbar machen. Unvollkommene Rechte können so zu vollkommenen erzwingbaren Rechtspflichten werden 393. 387 Verstand und Vernunft als kognitives menschliches Vermögen hat insbesondere bei Kant eine spezifische Ausformung erlangt. Siehe dazu unten B. I. 3. c) bb) (3) bei Fn. 434. 388 Dahinter steht zwar ein göttliches Prinzip, nicht aber ein die Verpflichtung begründender göttlicher Wille. Vgl. Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 138. 389 Alle Menschen sind kraft der Natur durch ein freundschaftliches Liebesband miteinander verknüpft, Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends, Diesselhorst (Hg.), Symposion Franz Wieacker, 1991, S. 209, 210. 390 Der eher irritierende Liebesbegriff bei Wolff bedeutet nach Luig in der Sache nichts anderes als eine rationale Sozialmoral. Das Liebesgebot ist nicht auf den Erweis von Diensten, sondern auf die Teilnahme am Tausch in der Marktgesellschaft gerichtet, (vorherige Fn.), 209, 211 u. 214. 391 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754 (1969), Vorrede S. 14. 392 Luig, oben Fn. 389, 209, 212 u. 216. 393 Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium, 1754 (1969), Institutionen § 61 und § 82, vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 29.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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Das von Wolff propagierte natürliche Privatrecht ist eine „Pflichtenlehre von den guten und schlechten Handlungen“394. Nichts darf Recht sein, was nicht mit der Moral übereinstimmt395. Die sittliche Handlungsnotwendigkeit ist eine Wirkung der natürlichen Verbindlichkeit und folgt nicht aus dem Zwang396. Die obligatio naturalis wirkt auf die moralische Disposition des Menschen ein und bestimmt dadurch Ethik und Naturrecht gleichermaßen 397. Von Bedeutung ist die Erzwingbarkeit lediglich als Unterscheidungsmerkmal natürlicher Rechtspflichten gegenüber natürlichen Moralpflichten398. Die Vollkommenheit wird auf diese Weise unmittelbar mit der rechtlichen Durchsetzbarkeit verknüpft und nicht nach religiöser oder moralischer Wertigkeit bestimmt. Die den einzelnen treffende Verpflichtung zur Vervollkommnung (perfectio)399 ist unvollkommene Liebespflicht. Wolff kann nur von vollkommenen Rechtspflichten sprechen, wenn sie mit der Befugnis zu zwingen verbunden sind400. Ebenso stellt auch das Wort „unvollkommen“ auf die äußere Erzwingbarkeit ab. Man muss Liebespflichten erfüllen, auch wenn man nicht gezwungen werden kann401. Die Wolffsche Naturrechtslehre ist in der Rechtslehre weithin rezipiert worden. Der Wolff Schüler Daniel Nettelbladt (1719 – 1791) erklärt in seinem schematischen Abriss des juristischen Studienprogramms die natürliche Rechtslehre zur Propädeutik der gesamten Rechtswissenschaft 402. Ebenso führt Joachim Georg Darjes (1714–1791) alle zivilen Rechts- und Obligationsmuster auf das naturrechtliche Grundprinzip Wolffs zurück403. Das Rechtssystem steht danach in struktureller Verwandtschaft zum moralischen Norm-

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Es besteht also nicht aus einem System von Rechten, sondern wird aus einer Pflichtenlehre entwickelt, vgl. Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Symposion Franz Wieacker, 1991, S. 209. 395 Die Wolffsche Lehre bedeutet daher einen Naturrechts- und einen Moraluniversalismus, Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 139 und S. 148. 396 Wolff, Verbesserte Erklärung der Verbindlichkeit, 1740 (1981) in: Gesammelte kleine philosophische Schriften. In: Thomann (Hg.), Gesammelte Werke 1. Abt. Bd. 21.6., S. 40. 397 Grundlage ist die religiös und moralisch verschuldete Wesensstruktur des Menschen. Vgl. m.N. Hartung, oben Fn. 395, S. 137. 398 Luig, (oben Fn. 394), S. 209, 212. 399 Wolff, Philosophia practica universalis, 1751 (1971), I. 2. § 128. 400 Wolff, Philosophia practica universalis, 1751 (1971), I. 2. § 235:„Jus perfectum dicitur, quod conjunctum est cum jure cogendi alterum, si obligationi suae satisfacere noluerit.“, vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 27 f. 401 Luig, (oben Fn. 394), S. 209, 216. 402 Nettelbladt, Abhandlung von dem ganzen Umfange der natuerlichen und der in Teutschland ueblichen positiven gemeinen Rechtsgelahrtheit, 1772, 2. Abschnitt, § 18, S. 20. 403 Darjes, Discours ueber sein Natur= und Voelckerrecht, 1762, I, 4. ad §§ 152 ff. S. 272 ff.; vgl. Hartung, (oben Fn. 395), S. 150 ff.

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komplex. Zivilrechte sind die Realisierung von Naturrechten404. Das führt zu einer weitgehenden Moralisierung der Rechtsverhältnisse. Das von Johann Stephan Pütter (1725–1807) mit Gottfried Achenwall (1719–1772)405 gemeinsam verfasste und 1753 in Göttingen erschienene Naturrechtslehrbuch Elementa juris naturae entwickelt das Naturrecht in Anlehnung an Wolff unter dem Begriff der moralischen Verpflichtung nach dem Gebot der Selbstvervollkommnung406. Das moralische Gesetz im Herzen des Menschen ist Ausdruck der moralischen Verpflichtung und der sozialen Pflichten. Ein leitender Gedanke der auch der Kantischen Rechts- und Moralphilosophie zu Grunde liegt. (2) Analytische Pflichtkonstruktionen (Achenwall, Höpfner, Sulzer, Mendelssohn) Die Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts ist bestrebt, die bestimmenden Merkmale für die Unterscheidung vollkommener gegenüber unvollkommenen Pflichten präzise herauszuarbeiten. Wie Achenwall (1719–1772) im Anschluss an Wolff hervorhebt, sind äußere, erzwingbare Rechtspflichten grundsätzlich zugleich innere, auf den Willen Gottes zurückgehende, mit dem natürlichen Verstand erkennbare Gewissenspflichten407. Die vollkommene Verbindlichkeit verpflichtet zugleich innerlich und äußerlich. Die innere, moralische Gewissenspflicht bildet sozusagen den Kern einer sie umschließenden äußeren Rechtspflicht. Diesen inneren Kern bezeichnet Achenwall als obligatio naturalis. Die Naturrechtspflicht ist demgegenüber die vollkommene, äußere, auf Furcht vor Zwang beruhende Pflicht408. Achenwall verändert die Einteilung in äußere und innere Pflichten hin zu einer Binnendifferenzierung der einheitlich betrachteten sittlich-rechtlichen Pflicht. Der innen/ außen Unterschied ist auf die Einheitsvorstellung bezogen. Es sind zwei Seiten ein- und derselben Rechtspflicht.

404

Hartung, (oben Fn. 395), S. 155. Zur Person Hruschka, Das deontologische Sechseck bei Gottfried Achenwall im Jahre 1767: zur Geschichte der deontologischen Grundbegriffe in der Universaljurisprudenz zwischen Suarez u. Kant, 1986, Heft 2, S. 3. 406 Pütter/Achenwall, Elementa juris naturae additis juris gentium europaearum practici primis lineis, (Anfangsgründe des Naturrechts), 1753, 5. § 171 ff. 407 Achenwall, Prolegomena Juris naturalis, 7. Aufl. 1774, § 98 und § 89. Wobei Achenwall auch Handlungen anerkennt, die allein äußere Pflichten betreffen und nur aus Furcht vor dem Zwange entstehen. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 31 f. 408 Achenwall, Jus naturae, 7. Aufl. 1774, § 51 Ziff. 2. 405

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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Ludwig Julius Höpfner (1743–1797) 409 stellt erstmals pragmatisch auf die psychologische Wirkung der Erzwingbarkeit ab. Er differenziert innere und äußere Rechtspflicht unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtungskraft:410 „Bey den vollkommenen Pflichten ist immer ein starker Beweggrund mehr, als bey den unvollkommenen; der Gedanke: Dein Mitmensch ist befugt, Dich zu zwingen.“

Bei den zwangsbewehrten vollkommenen Pflichten besteht mithin größere Sicherheit, dass sie erfüllt werden, als bei den unvollkommenen Pflichten411. Höpfner sieht im Zwang dennoch kein pflichtenbegründendes Merkmal, sondern erfasst die Funktion des Zwanges als Handlungsanreiz für den Schuldner. Er ist bestrebt, durch Pflichterfüllung den Zwang zu vermeiden. Damit wird der Zwang zu einem Sicherungsmittel der Pflichterfüllung. Bei Johann Georg Sulzer (1720–1779) tritt das Merkmal der Bestimmtheit der Pflicht hervor. Kennzeichen der unvollkommenen Liebespflicht sei ihre Unbestimmtheit. Sulzer grenzt in dem 1773 erschienen „Versuch einen festen Grundsatz zu finden, um die Pflichten der Sittenlehre und des Naturrechts zu unterscheiden“ nach der praktischen Universalisierbarkeit der Pflicht ab. Er nennt dies die Gesetzesfähigkeit der Pflicht. Die Gesetzesfähigkeit zeige sich an einem konkret bestimmbaren Pflichtinhalt412. Sulzer gelangt damit gleichsam formal zu einer vollkommenen Rechtspflicht. Die unvollkommene Pflicht kann niemals durch ein Gesetz befohlen werden. Ihr konkreter Inhalt sei nur aus den persönlichen Umständen des Pflichtigen heraus erkennbar. Erst aus der Kenntnis des eigenen Vermögens, der eigenen Kräfte und Fähigkeiten könne sie genau bestimmt werden413. Die Einteilung aller Pflichten in zwei Pflichtklassen ist damit auf das Bestimmtheitsmerkmal reduziert. Sie dient zugleich der Beschränkung von Zwangsmacht aus einem liberalen Interesse heraus414. 409 Plohmann, Ludwig Julius Friedrich Höpfner (1743–1797). Naturrecht und positives Privatrecht am Ende des 18 Jhs., 1992, der Höpfner gar als Begründer der Trennung von Recht und Moral einstuft (S. 48). Krit. dazu Wesener, Aequitas naturalis, ‚natürliche Billigkeit‘, in der privatrechtlichen Dogmen- und Kodifikationsgeschichte. In: Beck-Mannagetta (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly zum 65. Geburtstag, Wien 1996, S. 81, 95. 410 L.J.F. Höpfner, Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker, 6. Aufl. 1801, S. 332. 411 Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 439 mit dem Hinweis, dass auch der frühe Kant den in der Zwangsvermeidung liegenden motivationspsychologischen Unterschied im Auge gehabt habe, als er die Prinzipien der vollkommenen und der unvollkommenen Pflichten entwarf. Kant spricht hier vom stärkeren Gesetz der Schuldigkeit gegenüber dem schwächeren der Gütigkeit. 412 Zitiert nach dem Abdruck in J.G. Sulzer, Vermischte Philosophische Schriften, 1773, S. 389, 390. 413 Sulzer, Versuch einen festen Grundsatz zu finden, um die Pflichten der Sittenlehre und des Naturrechts zu unterscheiden, (vorherige Fußn.), S. 392. 414 Lübbe-Wolff, Historische Funktionen der Unterscheidung von Recht und Moral. In:

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Moses Mendelssohn (1729–1786) hat das Bestimmtheitskriterium weiter verfeinert. Er fragt nach dem Entscheidungsspielraum des Pflichtigen. Gibt es mehrere Pflichterfüllungsmöglichkeiten (sog. „Collisionsfall“), deren Auswahl bloß dem Pflichttragenden zusteht, so ist die Pflicht unvollkommen. Sofern kein Collisionsfall vorliegt und die Schuld nur auf eine ganz bestimmte Art erfüllt werden kann, ist die Pflicht vollkommen415. Nach Mendelssohn kann aber prinzipiell jede unbestimmte Liebespflicht zu einer Zwangspflicht werden, weil es hierfür nur einer geeigneten Gesetzgebung aus der Vernunft bedürfe 416. (3) Pflichtbestimmung aus der Vernunft (Kant) Immanuel Kant (1724–1804) bestimmt den Status einer Rechtspflicht über die Feststellung ihrer Vollkommenheit. In seiner 1785 erschienenen Grundlegung zur Metaphysik der Sitten knüpfte er die Vollkommenheit zunächst an das Merkmal der ausnahmslosen Gültigkeit einer Pflicht. In der Metaphysik der Sitten aus dem Jahre 1797 änderte er dies zugunsten des von Sulzer und Mendelssohn benannten Bestimmtheitsmerkmals ab. Der Grund für die Unbestimmtheit einer unvollkommenen Pflicht ist ihre Ausrichtung nach einem allgemeinen Zweckprinzip. Kennzeichnend ist ein Handeln aus Maximen und der subjektiven Triebfeder eines Handelns aus Pflicht (unten (a)). Der Unterschied zwischen vollkommener und unvollkommener Pflicht, zwischen Recht und Moral, zeigt sich bei Kant auf der subjektiven Ebene der Regelbefolgung. Zu der formalen Übereinstimmung der Handlung mit dem Sittengesetz (Legalität) muss für die moralische Pflicht der Wille hinzutreten, aus Achtung vor dem Gesetz zu handeln (Moralität). Sittlichkeit und Moralität werden erst auf der gemeinsamen Grundlage des Sittengesetzes unterscheidbar (unten (b)). Die Rechtspflicht ist eine bestimmte und darum vollkommene Pflicht. Nur sie rechtfertigt die Anwendung von Zwang (unten (c)). Die rechtliche Verbindlich-

Jorgensens u.a. (Hg.), Tradition und Fortschritt in den modernen Rechtskulturen, ARSP – Beiheft Nr. 23, 1985, S. 43, 49; Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 90. 415 Moses Mendelssohn, Von vollkommenen und unvollkommenen Rechten und Pflichten, 1781, Ges. Schriften (Jubiläumsausgabe) 3/1, 1972, S. 281 f.; die unvollkommene Pflicht ähnelt damit der supererogatorischen Handlung der Scholastik, vgl. Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 95. Zur Supererogation siehe unten C. III. 2. b) bb), S. 389. 416 Moses Mendelssohn, (vorherige Fn.), S. 284. Mit der Rückführung der Liebespflicht auf den Bezugspunkt einer allumfassenden Vernunft zeigt sich bei Mendelssohn eine Kontinuitätslinie mit der iberischen Spätscholastik (Schule von Salamanca), die ein wichtiges Moment in der Entwicklung zu einem säkularen Naturrecht darstellt, Seelmann, Theologische Wurzeln des säkularen Naturrechts – Das Beispiel Salamanca. In: Willoweit (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem. 2000, S. 215, 221.

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keit begründet die allgemeine Befugnis zur Einwirkung auf den Schuldner, was auch Zwangsmittel mit einschließt (unten (d)).

(a) Ausnahmslose Gültigkeit oder bloße Bestimmtheit der Pflicht Erzwingbar und daher vollkommen ist diejenige Pflicht, die „keine Ausnahme zum Vorteil der Neigung verstattet“417. Die Zwangsmöglichkeit dient Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) als Kompass zur Bestimmung der Frage, ob eine Pflicht gegen sich oder gegen andere in ihren Maximen generalisierbar ist und damit ausnahmslose Gültigkeit besitzt. Erzwingbar ist sie, wenn sie ausnahmslos gilt. Gestattet sie Ausnahmen, so handelt es sich um eine unvollkommene Pflicht. Die Verschiebung des Zwangskriteriums in die Rechtsfolge418 ermöglicht Kant zugleich die Bildung seiner vierten Pflichtenklasse, die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst419. Eine Pflicht gegen sich selbst ist nicht äußerlich erzwingbar. In der Rechtsfolge steht das Zwangskriterium dem aber nicht entgegen. Damit war der Vollkommenheitsbegriff nicht mehr im strengen Sinne mit dem Zwangsmerkmal korreliert. Die Pflichtenbegründung nach dem Kriterium der ausnahmslosen Gültigkeit hat Kant in der Metaphysik der Sitten (1797) jedoch geändert. Maßgeblich ist nun das von Sulzer und Mendelssohn bereits verwandte Bestimmtheitsmerkmal. Abgestellt wird auf die Bestimmtheitsdifferenz der Pflichtarten420. Die Rechtspflicht ist eine Handlungsnorm, die inhaltlich genau bestimmt und darum vollkommen genannt wird. Tugendpflichten sind unvollkommen, weil sie auf einem Zweckprinzip beruhen. Die Zweckorientierung macht sie notwendig unbestimmt und daher unvollkommen. Nur das subjektive Zweckprinzip wird 417

Kant, Akademieausgabe Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 422, wobei Kant sich in einer Textanmerkung die Einteilung der Pflichten für die spätere Metaphysik der Sitten ausdrücklich vorbehält und das Kriterium der Ausnahmslosigkeit dann auch zugunsten der Bestimmtheit wieder aufgibt (siehe nachfolgend im Text). 418 Die Verknüpfung des Zwangsmerkmals mit der ausnahmslosen Gültigkeit bedeutet die Aufgabe des Zwangskriteriums, weil die Zwangsbefugnis nur die Folge der Gültigkeitsfeststellung ist, aber für die Gültigkeit selbst keine Bedeutung hat. 419 Kant unterscheidet in der Tugendlehre vollkommene Pflichten gegen sich und andere und unvollkommene Pflichten gegen sich und andere, Erste Einteilung der Ethik nach dem Unterschiede ihrer Subjekte und ihrer Gesetze, Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 546, (A 59). Zu den vollkommenen Pflichten gegen sich zählen etwa die physische und die moralische Selbsterhaltung und die Selbsterkenntnis. Eine vergleichbare Einteilung der Pflichten gegen sich und andere findet sich bereits bei Christian Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754, §§ 132 f., der die Pflichten gegen sich selbst unter der Selbstliebe zusammenfasst, vgl. dazu Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends, Diesselhorst (Hg.), Libertas, Symposion Franz Wieacker, 1991, 209, 219. 420 Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 105 u. 108.

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von den Maximen gesteuert und gebietet die verdienstlich gute Handlung. Die unvollkommene Verbindlichkeit nennt Kant daher Tugendpflicht (officium ethicum)421 „… weil Tugend moralische Stärke (des Vorsatzes und der That) ist, alles was Pflicht im größtmöglichen Maaße thut.“

Das ethisch Erforderliche ist nicht durch ein objektives Verfahren definierbar, sondern folgt dem kategorischen Imperativ, der als ethische Grundregel a priori von jedem verlangt:422 „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Kant verknüpft den gesetzesmäßigen Zweck mit der Maximenbildung. Das Handeln aus Maximen ist notwendig subjektiv und unbestimmt:423 „Die Schuldigkeit (natürliche gegen Menschen) hat ein bestimmt maaß, die Liebespflicht keines.“

Die Differenz von Rechtspflicht und Tugendpflicht liegt danach in vollkommenen Handlungsnormen gegenüber unvollkommenen Zweckprinzipien. Die ethische Pflichterfüllungssituation besitzt die prinzipienbedingte Undeutlichkeit des Mehr oder Weniger. Konstitutive Faktoren für moralisches Handeln sind außer der Unbestimmtheit des Handlungsfeldes die Unbestimmtheit der Quantität und Qualität der geforderten Handlungen. Es ist immer eine Handlung denkbar, die noch verdienstvoller oder dem Zweck noch angemessener ist424. Moralität findet also keine Grenze in sich, sondern bedeutet ein prinzipiell unbegrenztes Optimierungsgebot. Kants Ethik ist daher Gesinnungsethik425.

421 Kant, Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten, 2. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Akademieausgabe Bd. XXIII, 1955, S. 371, 394. 422 Kant, Akademieausgabe Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 421. Zum kategorischen Imperativ des Rechts, der ohne Maximenbildung auskommt unten bei Fn. 428. 423 Kant, Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Akademieausgabe Bd. XX, 1942, S. 157. 424 Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 107. In (moralischen) Handlungsgeboten sieht Kersting daher auch heute eine wesentliche Gefahr für den Liberalismus, Kersting, Der liberale Liberalismus, 2006, S. 32 f; Rez. krit. Brugger, JZ 2006, 1120. 425 Eine moralische Handlung muss aus dem Motiv heraus geschehen, sie wegen ihrer Moralkonformität auszuführen, Köhl, Kants Gesinnungsethik, 1990, S. 115. Der subjektive Antrieb beruht dabei auf dem Gedanken der Achtung. Kant identifiziert das moralische Gefühl in der Grundlegung als ein Gefühl der Achtung. „Achtung“ ist bei ihm der Titel für die spezifisch moralische Motivationsquelle. Moralische Handlungen geschehen aus der Achtung für das moralische Gesetz und haben die Funktion einer Theorie moralischer Motivation, ebd., S. 118.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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Die äußeren Rechtspflichten beruhen ebenso wie die inneren Tugendpflichten auf dem Sittengesetz. Sie fixieren aber einen nach Vernunftmaximen generalisierten Zweck und machen damit die individuelle Maximenbildung überflüssig:426 „Alle Verbindlichkeit setzt nämlich ein Gesetz voraus. Geht dieses Gesetz bestimmt und unmittelbar auf eine Handlung, so dass die Art wie? und der Grad wie viel? in ihr ausgeübt werden soll im Gesetz bestimmt ist, so ist die Verbindlichkeit vollkommen (obligatio perfecta) und das Gesetz ist stricte obligans; es bleibt uns keine Wahl übrig weder für Ausnahmen, wenn das Gesetz in seiner Allgemeinheit gültig ist noch für das Maas der Befolgung desselben. Gebietet aber das Gesetz nur nicht unmittelbar die Handlung sondern nur die Maxime der Handlung, lässt es dem Urteil des Subjects frey, die Art wie und das Maas in welchem Grad das Gebotene ausgeübt werden solle, nur dass so viel als uns unter den gegebenen Bedingungen möglich ist davon zu thun nothwendig sey, so ist die Verbindlichkeit unvollkommen und das Gesetz nicht von enger, sondern nur weiter Verbindlichkeit (late obligans)“.

Es kommt427 „… nur auf die Form der Obligation [an], ob sie stricte (vollkommen bzw. streng) oder late (unvollkommen bzw. weit) sey, ….“

Das äußerlich wirkende Recht entsteht aus der Gesetzgebung der Vernunft, die den Pflichtinhalt nach dem kategorischen Imperativ des Rechts428 ohne Rücksicht auf ein Handeln nach Maximen festlegt. Kant unterscheidet Rechtspflichten und Tugendpflichten nach den Triebfedern, die die Gesetzgebung mit dem Gesetz verbinden. Eine unter beliebig vielen möglichen Triebfeder ist die Pflicht429. Die Moral verlangt nun, dass die Pflicht die einzige Triebfeder ist, um praktisch wirksam zu werden, während das Recht auch andere Triebfedern zulässt. Das Recht begnügt sich bei der Befolgung seiner Gebote mit der Legalität, während die Sittlichkeit auch die Moralität fordern muss. Die Pflichthandlung aus Pflicht 430 „… hat ihren moralischen Wert nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß von dem Prinzip des Wollens, nach welchem die Handlung, unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens, geschehen ist.“

426 Kant, Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten, 2. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Akademieausgabe Bd. XXIII, 1955, S. 371, 394. 427 Kant, (vorherige Fn.), 395. 428 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 338 (AB 34). „… handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne“. 429 Wobei die Sittlichkeit die Pflicht zur Triebfeder macht. 430 Kant, Akademieausgabe, IV, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1903, S. 399 f.

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Das Erfordernis intrinsischen Pflichthandelns aus Pflicht ist damit die differentia specifica der Moral gegenüber dem Recht431. Bei der Rechtspflicht bleibt die Gesinnung des Pflichtigen dagegen gleichgültig432. Die Rechtspflicht reguliert nicht die Erfüllungsmotivation, während die Tugendpflicht gerade auf diese Motivation abstellt und auf ihr aufbaut. Dem Recht genügt mit anderen Worten ein Verhalten, das mit der Rechtsnorm äußerlich übereinstimmt, denn die Rechtsordnung soll nach Kant nicht sittlich sein; sie soll aber Sittlichkeit ermöglichen433.

(b) Der ethische Gehalt der Rechtspflichten Kant leitet vollkommene Rechts- und unvollkommene Tugendpflichten einheitlich aus dem Sittengesetz her. Unter Sittengesetz versteht er eine allgemeingültige praktische Regel, die von religiösen Voraussetzungen gelöst aus der bloßen Vernunft434 entwickelt wird435. Die formale gesetzgebende Regel richtet sich auf Freiheitsermöglichung durch sittliches Handeln. Das Sittengesetz ist 431 Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 894; Höffe, Königliche Völker. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie, 2001, S. 112: Kant meint mit der Unterscheidung von Legalität und Moralität nur eine subjektive Differenz; W. Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 25: Die spezifische Differenz von Recht und Moral ist von Kant motivationspsychologisch ausgelegt. Sie zeigt sich einzig und allein „in Ansehung der Triebfeder“. 432 Höffe, Ist Kants Rechtsphilosophie noch aktuell? in: ders. (Hg.), Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 279, 281. 433 Dreier, Kants Republik. In: Dreier (Hg.), Symposion für Hasso Hofmann, 2005, S. 151, 157; ebenso Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 894; das entspricht zugleich der freiheitsstiftenden und freiheitswahrenden Funktion des Rechts, vgl. Petersen, Kants „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ – kritisches Spätwerk oder „Erzeugnis eines gewöhnlichen Erdensohnes“?, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hg), FS für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1249, 1259 f. 434 Die Vernunft ist bei Kant dem Verstand übergeordnet. Sie steuert diesen. Der Verstand ordnet das sinnliche Anschauungsmaterial durch Sinneseindrücke und Denkformen (Kategorien wie Raum und Zeit sowie Kausalität) und bildet Verstandesbegriffe. Die Vernunft ist das Vermögen, Prinzipien aufzustellen, um dadurch die Verstandesbegriffe zu einem höheren Ganzen unabhängig von jeder Erfahrung zu ordnen, vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Bd. 1, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. III, 1988, S. 311 ff. (A 298 – 302, B 355 – 359); vgl. Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Regenbogen, Meyer (Hg.), 1998, Vernunft, S. 705. 435 Die Metaphysik der Sitten wird durch das Sittengesetz strukturiert. Das Sittengesetz beruht auf der Annahme einer Kausalität durch Freiheit. Das Gesetz der Kausalität durch Freiheit gebietet kategorisch ohne Rücksicht auf empirische Zwecke. Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl. 1982, Sittengesetz, S. 640. Die Freiheit ist prima causa und Seinsgrund des moralischen Gesetzes (ratio essendi). Das Sittengesetz folgt aus der Freiheit, weil es selbige voraussetzt. Zum anspruchsvollen Beweisprogramm Kants über die Notwendigkeit der Freiheitsvoraussetzung für den vernünftigen Willen, Henrich, Die Deduktion des Sittengesetzes, in: Schwan (Hg.), Denken im Schatten des Nihilismus, FS für Wilhelm Wei-

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Grundlage des Rechts436 und der Moral437. Die religiöse göttliche Instanz zeigt sich noch im Gewissen jedes einzelnen Menschen. Es kommt für die Pflichtbegründung aber weder auf einen göttlichen Willen noch auf ein göttliches Gesetz an438. Der göttliche Wille bleibt nur als regulative Idee in der aus dem Sittengesetz und damit der Vernunft deduzierten Pflichtenlehre bestehen439. Die Vorstellung apriorischer Vernunft ist auf eine vorgegebene natürliche Pflicht streng genommen nicht mehr angewiesen. Der Gedanke ursprünglicher Verschuldung wird durch das Freiheitspostulat abgelöst. Kant fasst das Naturrecht von der selbstgesetzgebenden Vernunft aus neu und zerstört damit das naturrechtlich-philosophische Konzept der naturalis obligatio440. Kants Pflichtenlehre hat kein inhaltliches Kriterium der Vollkommenheit hervorgebracht. Die unterschiedliche Bestimmungsreichweite bringt keine Wertstufung zum Ausdruck. Unvollkommene Pflichten sind keine Pflichten minderer moralischer Dringlichkeit441. Umgekehrt besitzen alle Rechtsgebote dieselbe sittlich verpflichtende Kraft442. Die Rechtspflicht besteht nach Kant selbst dann, wenn der äußere Zwang, den die juridische Gesetzgebung mit ihr verbindet, „weggelassen wird“ 443. schedel, 1975, 55, 68. Kant schwanke zwischen logischer Ableitung und tautologischer Behauptung, ebd. 436 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 336 (AB 33) definiert: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Das Sittengesetz wird bis heute als vorrechtliche Grundlage von der Rechtsprechung anerkannt. BVerwG v. 3.5.2007 NJW 2008, 95: „Zutreffend ist das VG davon ausgegangen, dass sich die Grundsätze der … Rechtsstaatlichkeit aus dem Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Rechten jedes Einzelnen ergeben, …“ 437 Hier meint Sittengesetz das einer Ordnung (objektiv) entsprechende Verhalten, während die Moralität das den Einzelnen betreffende subjektiv ethische Verhalten betrifft. Vgl. etwa Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Regenbogen, Meyer (Hg.), 1998, Sittlichkeit, S. 608 und ferner zur Position Hegels unten B. I. 3. c) bb) (4) S. 132. 438 Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 201. 439 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 334 (AB 29, 30): „Das Gesetz was uns a priori und unbedingt durch unsere eigene Vernunft verbindet, kann auch als aus dem Willen eines höchsten Gesetzgebers , d.i. eines solchen, der lauter Rechte und keine Pflichten hat (mithin dem göttlichen Willen), hervorgehend ausgedrückt werden, welches aber nur die Idee von einem moralischen Wesen bedeutet, dessen Wille für alle Gesetz ist, ohne ihn doch als Urheber desselben zu denken.“ 440 Zutreffend Hartung, oben Fn. 438, S. 194. 441 Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 438. 442 Höffe, Königliche Völker. Zu Kants kosmopolitischer Rechts- und Friedenstheorie, 2001, S. 112. 443 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 325 (AB 15); vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte,

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(c) Rechtspflichten und Zwangsbefugnis Kant führt seine Pflichtdifferenzierung und die Abgrenzung von Recht und Moral nicht über das Zwangselement444. Es geht ihm in dem bekannten Zitat aus der Metaphysik der Sitten445, „Recht und die Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei.“

um die Funktion der Rechtsnorm zur Legitimation von Zwang446. Auch Hufeland, an dessen Naturrechtslehren Kant sich orientierte, sah die Aufgabe des Naturrechts in der Bestimmung der Rechtmäßigkeit des Zwangs 447. Die mit Hilfe des Autonomietheorems generierte Rechtsnorm bildet somit die notwendige Bedingung für die Zuerkennung von Zwangsbefugnissen448. Die „Befug1966, S. 48. Zur Doppelstellung von rechtlicher und ethischer Pflicht im Hinblick auf die Vertragserfüllungspflicht (pacta sunt servanda), vgl. unten C. III. 1. b) aa), S. 297. 444 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 168; Kersting: Weil wir nach Kant durch das Rechtsgesetz zur Beachtung der Handlungsnormierung verbunden sind, ist seine Befolgung legitim erzwingbar. Die Erzwingbarkeit baut auf dem Rechtsgesetz auf, ist aber kein konstitutiver Bestandteil des Begriffs der rechtlichen Verbindlichkeit, Die Verbindlichkeit des Rechts, in: ders, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 30; Höffe, Der kategorische Rechtsimperativ, in: Höffe (Hg.), Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 41, 56; zu Kants Kritik an der Auffassung Hufelands, es bestehe unter dem Gesichtspunkt der Vollkommenheit eine Pflicht zur Durchsetzung eigener Rechte Hoffmann, Kant und das Naturrechtsdenken, ARSP 2001, 449, 453 f. Andere Auffassung Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 195 (das Recht bezieht seine Verbindlichkeit allein aus der Möglichkeit äußeren Zwanges) ebenso R. Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1986, S. 21; Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der kantischen Rechtsdefinition, in: ders. (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 99, die den Zwang als Bedingung der Rechtlichkeit einstufen. Den für die äußere Gesetzgebung erforderlichen Zwang versteht Alexy jedoch im Sinne einer sozialen Wirksamkeit des Rechts, so dass das Zwangserfordernis sehr abgeschwächt erscheint und insbesondere auch alle jene „Zwangsmomente“ aufnimmt, die außerhalb positivrechtlicher Sanktion liegen. Insbesondere also gesellschaftliche Zwangsformen. 445 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 340 (AB 36). 446 Die gewaltsame Unrechtsabwehr ist zulässig, wodurch die Zwangsanwendung legitimiert wird, Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2001, S. 57, Ähnlich Höffe, Der kategorische Rechtsimperativ, in: Höffe (Hg.), Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 41, 56, nach dessen Auffassung Kant überhaupt nur die grundlegendere Frage nach der moralischen Erlaubnis von Zwang beantworte. 447 Die Rechtmäßigkeit des Zwangs sei „ganz unabhängig von der physischen Möglichkeit, Zwang auszuüben“ zu betrachten, Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften, 1790, Einleitung I. § 8, S. 5. 448 Das Autonomietheorem beschreibt Rechtszwang als Befugnis unter der Idee der transzendentalen Freiheit. Die erzwungene Handlung ist „als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammenstimmend“. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 338 (AB 35). Der Zwang begrenzt danach die empirische Willkür derjenigen, die die Freiheit stören. Diese handeln selbst nicht nach dem Gesetz der Freiheit, sondern gegen ihre eigene autonome Gesetzgebung als Sinnenwesen. Der Rechtszwang bewirkt daher nicht Heteronomie, sondern

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nis zu zwingen“ meint die Eignung der Norm, mit Zwangsbefugnissen ausgestattet werden zu können (Potentialität des Rechts), nicht bereits die Einräumung einer solchen Befugnis (Potentialität der Macht)449. Jegliche Rechtsnorm muss mit einer Zwangsbefugnis verknüpfbar sein, die Möglichkeit zur Zwangsausübung (Zwangsbefugnis) ist dagegen nicht vorausgesetzt450. Nach Kant umfasst Zwang im Übrigen auch den Selbstzwang des Gewissens sowie den gesellschaftlichen Zwang451. Die Pflicht ohne Zuerkennung bloß rechtlicher Zwangsmittel lässt sich damit noch immer als Rechtspflicht anerkennen.

(d) Obligatorische Verbindlichkeit als Befugnis zur Einwirkung auf den Schuldner Kant hat sich zu unvollkommenen Verbindlichkeiten oder Naturalobligationen nicht geäußert. Sein Verbindlichkeitsbegriff und sein Verständnis der vertraglichen Obligation im Privatrecht sind für die Begründung einer nicht zwangsbewehrten Rechtspflicht, wie sie mit der Naturalobligation in einem rechtstechnischen Sinne hier vorgeschlagen wird, aber aufschlussreich. Sie zeigen eine obligatorische Rechtsbindung ohne eine physische Herrschaftsmacht des Gläubigers über den Schuldner. Unter einer Verbindlichkeit versteht Kant „die Notwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“ 452. Der Schuldner muss handeln und dennoch handelt er frei453. Das gebundene Pflichthandie Achtung der sittlichen Freiheit des anderen. Vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 45. 449 Diese Sichtweise ergibt sich auch aus Kants Rechtsbegriff. Ob das, was die Gesetze „wollten, auch Recht sei“ bleibe dem Rechtsgelehrten verborgen. Hierzu bedarf es eines (philosophischen) Rechtsbegriffs, den Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 336 (AB 33) definiert als: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ 450 Allerdings ist Kant namentlich von Feuerbach in dessen auf das Strafrecht ausgerichteten Rechtslehre wohl dahin interpretiert worden; vgl. Paul Johann Anselm Feuerbach, Kritik des Natürlichen Rechts als Propädeutik zu einer Wissenschaft der Natürlichen Rechte, Altona 1796, 1 2, S. 52 „Jedes Recht begründet Zwangsrechte, darin besteht sein Wesen, ohne welches es aufhört ein Recht zu seyn. Es kann kein Recht durch Vernunft geben, ohne dieses Prädicat.“ Vgl. näher Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 211 ff. 451 Kant, Handschriftlicher Nachlaß, Rechtsphilosophie, Akademieausgabe XIX, 1971, Reflexion 6663; dazu Köhler, Zur Begründung des Rechtszwangs im Anschluß an Kant und Fichte, in: Kahlo (Hg.), Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis, 1992, S. 93, 100. 452 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 327 (AB 20). 453 Die Antinomie von Freiheit und Bindung löst sich in der autonomen Selbstgesetzgebung als frei gedachtes Pflichthandeln auf. Vgl. zu dem noch heute anerkannten Autonomiekonzept unten C. III. 3 b) aa), S. 413.

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B. Historischer Teil

deln schränkt seine Freiheit nicht ein. Nach dem Gedanken der Selbstgesetzgebung ist sie vielmehr Ausdruck seiner Freiheit 454. Die ‚Notwendigkeit‘ der freien Handlung meint die Unabweisbarkeit der Handlungsaufforderung (d.i. die obligatorische Pflicht). Die Vernunft fordert die freie Handlung des Schuldners und sie fordert sie kategorisch. Kant betont, dass es nicht darauf ankomme, ob der Schuldner „aus Einsicht oder aus freien Stücken“ handelt455. Vielmehr sei die zwangsweise Durchsetzung gerade auch gegen den aktuellen Willen des Schuldners erlaubt456. Kant anerkennt damit die große praktische Bedeutung des Zwanges und gibt ihm als willensbrechendes Instrument gegen die Behinderung der Freiheit des Gläubigers Raum457. Eine sittliche Pflicht des Gläubigers zur Durchsetzung seines Rechts besteht aber grundsätzlich458 nicht459. Das Zwangsmoment ist in den obligatorischen Pflichtbegriff des Rechts integriert, ohne deshalb dessen Voraussetzung zu sein. Auf den Begriff der Obligation geht Kant ohne eine Differenzierung in natürliche oder zivile, unvollkommene oder vollkommene Verbindlichkeit ein. Durch Vertrag kann der Mensch „die Willkür des anderen zu einer bestimmten That“

als etwas Äußeres erwerben. Im konsensualen Vertragsschluss erwirbt der eine und veräußert der andere ein Stück Willkürfreiheit 460. Der Erwerb meint aber nicht, dass der Gläubiger die physische Herrschaft über eine bestimmte Handlung des Schuldners erlangt, wie dies noch Christian Wolff angenom454 Mit der Erzwingung wird die Freiheit nach allgemeinen Gesetzen verwirklicht. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989,S. 338 (AB 35): Der Zwang der einem Unrecht (d.i. einem Hindernis der Freiheit) entgegengesetzt wird ist als „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d.i. recht.“ 455 Kant, (vorherige Fn.) S. 338 (AB 35): „tätlich eingeschränkte“ Vernunft. 456 Kant, (oben Fn. 454) S. 339 (AB 36): „Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger hat ein Recht, von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so bedeutet das nicht, er kann ihm zu Gemüte führen, dass ihn seine Vernunft selber zu dieser Leistung verbinde, sondern ein Zwang, der jedermann nötigt, dieses zu tun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, also auch mit der seinigen, nach einem allgemeinen äußeren Gesetze zusammen bestehen: Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei“. 457 Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 45. 458 Ausnahmen können unter dem Gesichtspunkt der Achtung vor dem Gesetz bestehen, vgl. Schütze, Subjektive Rechte und personale Identität. Die Anwendung subjektiver Rechte bei Immanuel Kant, Carl Schmitt, Hans Kelsen und Hermann Heller, 2004, S. 283 (Die sittliche Perspektive bleibt dem Rechtsverwirklichungsmodell eingeschrieben. Erst der verantwortungsvolle Umgang mit dem (subjektiven) Recht sorgt für die Ausbildung von Selbstachtung). 459 Eine natürliche Verbindlichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung subjektiver Rechte lehnt Kant in Auseinandersetzung mit Hufeland ausdrücklich ab, siehe oben Fn. 235 u. Fn. 313. 460 Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893, 896.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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men hatte461 und v. Savigny seinem Obligationenbegriff zugrunde legte. Vielmehr geht es Kant nur um die Berechtigung zur Einwirkung auf die Willkür des Schuldners462. Das zeigt sich in den Ausführungen über die vertragliche Erwerbung einer aktiven Obligation463. In den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre erläutert er diesen Erwerbungsakt durch Vertrag. Kraft des Vertrages wird danach „eine Tat“ des anderen erworben und zwar in der Weise, dass dem Gläubiger eine aktive Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des Schuldners zusteht. Die aktive Obligation ist aber nicht selbst Macht, sondern ein Recht und zwar die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers auf den Schuldner:464 „Dieses mein Recht aber ist nur ein persönliches, nämlich gegen eine bestimmte physische Person, und zwar auf ihre Kausalität (ihre Willkür) zu wirken, mir etwas zu leisten, …“

Die Einwirkungsbefugnis ist auf die „Kausalität der Person (ihre Willkür)“ gerichtet. Kant versteht unter der Kausalität einer Person, bzw. deren Willkür, das natürliche Begehrungsvermögen im Sinne des praktischen Handlungsantriebes465. Das ist das, was heute meist als Willen bezeichnet wird466. Der Wille des Schuldners ist Objekt der Befugnis. Sie geht aber nur dahin, auf ihn einzuwirken und nicht auch dahin, ihn zu beherrschen. Die Einwirkungsbefugnis ist mit anderen Worten ein Recht gegen den Schuldner und nicht ein Recht an der Person des Schuldners467. Nach der kantischen Vertragslehre stellt sich der 461 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1754, S. 377 ff., vgl. Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends/ Diesselhorst (Hg.), Libertas, Symposion Franz Wieacker, 1991, S. 209, 231 f. 462 Zu diesem Ergebnis gelangt zutreffend auch Hans Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Geltungsmacht. Zu Herleitung und Struktur einer Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen. 2004, S. 25 f. und Fn. 16. (S. 26: „Der Gläubiger erlangt aber insofern Macht – und doch ein Herrschaftsrecht – über den schuldnerischen Willen, als er von ihm nunmehr Erfüllung der eingegangene Verpflichtung verlangen kann.“). Ebenso wie oben erwähnt Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893, 896. 463 Die Ausführungen gehören zur Vertragslehre im ersten Teil der Allgemeinen Rechtslehre, dem Privatrecht, und dort im Zweiten Hauptstück „Von der Art, etwas Äußeres zu erwerben“ im Zweiten Abschnitt „Vom persönlichen Recht“, § 20. 464 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 386 (AB 102). 465 Willkür ist die tatsächliche Fähigkeit, eine Handlung vorzunehmen oder nicht, einschließlich des Wissens über diese Fähigkeit, Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der Kantischen Rechtsdefinition, in: ders. (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 100. 466 Kant reserviert „Wille“ für den vernünftigen Willen, „von dem die Gesetze ausgehen“, und benutzt infolgedessen „Willkür“ um das Begehrungsvermögen zu bezeichnen (was man heute umgangssprachlich als Wille bezeichnen würde). Hruschka, Die Würde des Menschen bei Kant, ARSP 88 (2002) 463, 468 Fn. 26. 467 Die Vorstellung eines Rechts am Schuldner, die sich aus der Herrschaft über eine Tat des Schuldners in der Lehre v. Savignys zwangsläufig ergab, nahmen Teile der gemeinrechtlichen Lehre im 19. Jahrhundert Anstoß und bereiteten damit die Lehre von Schuld und Haf-

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B. Historischer Teil

Schuldner durch sein einseitiges Versprechen (promissum) unter ein Sollensgebot. Das Gebot bestimmt den Inhalt der aus der Obligation fließenden Einwirkungsbefugnis des Gläubigers. Die Willensvereinigung betrifft sodann das Vertragsabschlussverfahren. Es geht bei ihr mit anderen Worten „nur“ um die Vorstellung eines zeitgleichen Austausches gegenseitiger Versprechen, was unter dem Begriff der Übertragungscausa aus der grotianischen Versprechenslehre stammt468. Es ist nicht zu leugnen, dass das kantische Verfahren der Konsensbildung durch Willensvereinigung und die Vorstellung einer Willensgemeinschaft der Vertragspartner469 prinzipiell auch die Vorstellung einer Willensherrschaft zulassen würden470. V. Savigny471 hatte entsprechend angenommen der Gläubiger erwerbe ein Stück Handlungsfreiheit („Freiheitspartikel“) des Schuldners. Diese Lehre ist als „Sandhaufentheorie der Freiheit“ in die Rechtsgeschichte eingegangen472. Kant meinte aber nur das Recht auf Einwirkung auf den Willen. Der erworbene Gegenstand ist die aktive Obligation und mithin das Recht auf Vornahme der geschuldeten Leistung473. Nach heutiger Diktion erwirbt der Gläubiger die Einforderungsbefugnis im Sinne von § 241 Abs. 1 BGB474. Er kann auf den Willen des Schuldners auch durch die Formen des Rechtszwanges tung vor. Dazu unten S. 134 ff. Kants Obligationentheorie wurde deshalb als unausgereift eingestuft von J. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. Überlegungen zur Rechtfertigung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit bei Schuldverträgen, 1985, S. 102. 468 Vgl. dazu näher unten C. III. 1. b) aa) (2) u. (3), S. 300 ff. 469 Vgl. dazu näher Peter König, Kap. 7, §§ 18 – 31, Episodischer Abschnitt, §§ 32 – 40; in: O. Höffe, Immanuel Kant, Metaphyische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 133, 137; Petersen, Kants „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ – kritisches Spätwerk oder „Erzeugnis eines gewöhnlichen Erdensohnes“?, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hg), FS für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1249, 1253. 470 Hier setzt die These von Ikadatsu, Der Paradigmawechsel der Privatrechtstheorie und die Neukonstruktion der Vertragstheorie in seinem Rahmen, 2002, S. 79 an, der die Rechtfertigung des Begriffs des subjektiven Rechts als Grundanliegen der kantischen Rechtslehre versteht. Historisch betrachtet knüpft die Lehre vom subjektiven Recht zwar an Kant an, womit sich allerdings nicht sagen lässt, dass es schon Kant entscheidend um ihn gegangen wäre. 471 v. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851, Bd. 1, S. 4: „Obligation ist die Herrschaft über die Handlung einer fremden Person.“ 472 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 339; J. Schmidt bezeichnet dies im Anschluss an Fritz Schulz zustimmend als „Sandhaufentheorie“ der Freiheit, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. Überlegungen zur Rechtfertigung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit bei Schuldverträgen, 1985, S. 104 f. und Fn. 362. 473 Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893, 896. 474 Die analytische Aufspaltung des Forderungsrechts in einzelne Befugnisse geht auf Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 142 („die Befugnisse des Gläubigers, die man unter dem Namen Forderung zusammenfasst“) zurück und ist heute verbreitet (Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 118 sog. Bündelungstheorie, krit. Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 115 (erleichtert uU die Analyse). Siehe im einzelnen unten C. IV. 4. S. 461 ff.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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einwirken und also Zwang anwenden. Kant mag diese gewaltsame Einwirkung vor Augen gehabt haben, weil er betont, dass es nicht darauf ankomme, ob der Schuldner aus Einsicht oder freien Stücken handele475. Die primäre Form der Einwirkung findet aber bereits auf der Ebene der Kommunikation statt. Schon die Leistungsaufforderung wie auch das Anhalten zur Leistung sind Einwirkungen auf den Willen des Schuldners. Das schafft Raum für die Anerkennung einer Obligation, deren Einwirkungsbefugnisse auf die kommunikativen Funktionen des Aufforderns und Anhaltens zur Leistung beschränkt sind, wie ich das für die Naturalobligation als dogmatische Rechtsfigur des Schuldrechts im zweiten Teil der Arbeit vorschlage. (4) Die sittliche Pflicht der Wirklichkeit (Hegel) Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) lehnt eine Pflichtendifferenzierung unter dem Gesichtspunkt der Vollkommenheit ab. Die Einteilung nach vollkommenen Rechtspflichten und unvollkommenen Moralpflichten hält er für missverständlich476. Was nach dem Recht gefordert werden könne, sei Schuldigkeit mit äußerlicher Notwendigkeit. Pflicht aber sei etwas, insofern es aus moralischen Gründen zu beobachten sei477. Eine Rechtspflicht verbindet damit die äußere Notwendigkeit mit moralischen Inhalten, ohne deshalb aber Vollkommenheit auszudrücken. Hegel hält es ferner für falsch, die Sitte als unvollkommen zu bezeichnen. Man könne ebenso das Umgekehrte sagen und das Recht für unvollkommen halten, da die „Rechtspflicht als solche nur eine äußerliche Notwendigkeit fordert“478. Die Sittlichkeit zeigt sich nach Hegel in einer objektiven Form. Sie ist verkörpert in den gesellschaftlichen In-

475 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 338 (AB 35) und S. 339 (AB 36). 476 Peperzak, Hegels Pflichten- und Tugendlehre. Eine Analyse und Interpretation der Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 142–156. In: Siep (Hg.): G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts,. 2. Aufl. 2005, S. 167, 170. 477 Hegel, Philosophische Propädeutik I, Rechtslehre, Moldenhauer (Hg.), 1959, § 32. 478 Hegel, Ebenda. Damit knüpft Hegel an die scholastische Tradition an, die die Äußerlichkeit des Rechts als Handlung für andere oder die Gesamtheit der anderen ansah, während die Innerlichkeit den guten Wert einer moralischen Handlung schlechthin bezeichnete, vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, S. 37 f. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass Hegels Konzeption der objektiven Sittlichkeit einen völlig anderen Ausgangspunkt nimmt. Die Bindung folgt aus dem sittlichen Sein der Wirklichkeit verbunden mit der negativen Freiheit des Subjekts, von ihr abzuweichen. Sie ist wohl auch deshalb nicht mehr mit der Sittlichkeit des Subjekts und der daran anknüpfenden Lehre von den unvollkommenen Pflichten zu vereinbaren. Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, Hoffmeister (Hg,), 1995, § 150: Der Mensch muß in einem sittlichen Gemeinwesen, um tugendhaft zu sein, nichts anderes tun, als „…was in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist. Die Rechtschaffenheit in das Allgemeine …“

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B. Historischer Teil

stitutionen, in welche das Subjekt eingebunden ist (Ehe, Familie, Staat) 479. Die Institutionen werden von den einzelnen als Bedingungen ihres eigenen vergesellschafteten Handelns anerkannt, so dass sie sich affirmativ auf diese beziehen und dadurch zugleich den entscheidenden Beitrag zur Reproduktion dieser Verhältnisse liefern480. Die objektive Sittlichkeit fundiert das Recht insgesamt und steht in keinem Stufenverhältnis nach Vollkommenheit. Ebenso lehnt Hegel die Auffassung ab, die Rechtspflichten würden über den Zwang konstituiert. Für sich genommen sei Zwang unrechtlich481. Rechtmäßiger Zwang setzte eine Unrechtshandlung voraus. Die Rechtspflicht ist dagegen aus der sittlichen, wirklich gewordenen Vernunft begründet. Die Vernunft legitimiert den Rechtszwang: „Das abstrakte Recht ist Zwangsrecht, weil das Unrecht gegen das Recht eine Gewalt gegen das Dasein meiner Freiheit in einer äußerlichen Sache ist; … Das abstrakte oder strenge Recht sogleich von vornherein als ein Recht definieren, zu dem man zwingen dürfe, – heißt es an einer Folge auffassen, welche erst in dem Umwege des Unrechts eintritt.“ 482.

Das Recht ist mithin Zwangsrecht, aber nicht in dem Sinne, dass es aus dem Zwange entsteht, sondern als eine von der Vernunft gewährte Befugnis zum Zwecke der Unrechtsabwehr gegen Freiheitsbeschränkungen483. Die Zwangsbefugnis des Rechts ist bei Hegel daher ebenso nur eine funktionale Eigenschaft zum Schutz der Freiheit. In der Idee der Freiheit verbinden sich Recht und Sittlichkeit. Die Moralphilosophie des 19. und 20. Jahrhunderts hat für das „Lehrstück von den unvollkommenen und vollkommenen Pflichten“ und für eine Metaphysik der Vollkommenheit484 keine ernsthafte Verwendung mehr485. Die Ab479

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, Hoffmeister (Hg,), 1995, §§ 142– 145, dazu Hüning, Die Sittlichkeit der Ehe, in: Langbehn (Hg.), Recht, Gerechtigkeit und Freiheit. FS für Wolfgang Kersting, 2006, S. 287, 290 ff. 480 Hüning, (vorherige Fn.), S. 287, 293. 481 Gewalt oder Zwang zerstört sich in ihrem Begriffe unmittelbar selbst und ist abstrakt genommen unrechtlich; Hegel, oben Fn. 479, § 92. 482 Hegel, oben Fn. 479, § 94. 483 Hegels Einordnung des Rechtszwanges entspricht sachlich damit auch der aus dem Recht begründeten Zwangsbefugnis nach dem Satz des Widerspruches, Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989,S. 338 (AB 35): Der Zwang der einem Unrecht (d.i. einem Hindernis der Freiheit) entgegengesetzt wird ist als „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmend, d.i. recht“. 484 Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1126: Kant hat die Metaphysik der Vollkommenheit zu ihrem einstweiligen Ende gebracht, weil er an ihre Stelle das funktionale Bestimmtheitserfordernis gesetzt hat (dazu zuvor oben S. 108 f.). 485 Das materiale Vollkommenheitsdenken tritt im 20. Jahrhundert immer weiter zurück und weicht dem Funktionalismus oder technischen Perfektibilismus. – F. Mauthner, Wörter-

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

133

lehnung des Naturrechts durch die historische Rechtsschule dürfte hieran maßgeblichen Anteil gehabt haben486. V. Savigny setzt an die Stelle unvollkommener Rechtspflichten den römisch-rechtlichen Terminus der obligatio naturalis487. Die Unterscheidung der Pflichten in vollkommen/unvollkommen wird nur noch vereinzelt und ohne systematische Ausformung verwendet 488. Die sukzessive Aufgabe naturrechtlichen Denkens und eine Integration des Naturrechts in das positive Recht im 19. Jahrhundert489 nimmt der Vorstellung unterschiedlicher Rechtsquellen (Natur und Gesetz) ihre Grundlage. Mit Schwab kann man sagen, dass an die Stelle des Naturrechts nun aber ein Recht außerhalb des Rechts tritt, das als (gesellschaftliches) Recht der guten Sitten bis heute besteht490. Die historische Entwicklung zeigt, dass die Rede von der „unvollkommenen Verbindlichkeit“ missverständlich blieb und keinem klaren dogmatischen Konzept zuzuordnen war. Die Pflichtlehren der Vollkommenheit sind für das heutige Verständnis der schuldrechtlichen Figur „unvollkommene Verbindlichkeit“ insofern von Bedeutung, als sie die Aufgabe des Begriffes nahe legen. d) Die Idee des vollkommenen Rechts (Alexy) Auf der Grundlage der Kantischen Vernunftlehre nimmt Robert Alexy die Vorstellung von Recht und Vollkommenheit wieder auf. Vollkommenheit sei Ausdruck einer Idee von etwas. Eine praktische Idee ist nach Kant das, was ein „Maximum zum Urbilde aufstellt“ und die möglichst weitgehende „An-

buch der Philosophie, 2. Aufl. 1924, S. 372 (Vollkommenheit) hat den Begriff zu einer Wortleiche erklärt, die nicht mehr totgeschlagen werden müsse. 486 Vgl. Larenz, Sittlichkeit und Recht, in: ders., Reich und Recht in der deutschen Philosophie, 1943, S. 169, 333 f. 487 Friedrich Carl von Savigny, Landrechtsvorlesung. Drei Nachschriften, 1826 (Nachdruck 1998). 3. Buch: Obligationen, Natur und Inhalt der Obligation, § 31, 1. Begriff und Arten. S. 422. 488 Zu den noch vereinzelten Bezugnahmen ohne Übernahme des gesamten Pflichtenkonzepts bei Mill und Dilthey vgl. Kersting, Stichwort: Unvollkommene/Vollkommene Pflichten, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7: P – Q. Basel 1989, Sp. 439. 489 Zum bleibenden Einfluss des Naturrechts unter veränderten Rahmenbedingungen und dem maßgebenden Einfluss des Kantischen Freiheitsgedankens, vgl. Rückert, Kant-Rezeption in juristischer und politischer Theorie (Naturrecht, Rechtsphilosophie, Staatslehre, Politik) des 19. Jahrhunderts, in: Thompson (Hg.), John Locke und Immanuel Kant, 1991, S. 144 ff.; ders., Zur Legitimation der Vertragsfreiheit im 19. Jahrhundert, in: Klippel (Hg.), Naturrecht im 19. Jahrhundert, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit, 1997, S. 135, 150 ff., Rückert arbeitet hier die wesentlichen Positionen der vertragsrechtlichen Legitimation heraus und zeigt die naturrechtlichen Implikationen. Die Pflichtenlehren sind nicht mehr erwähnt. 490 D. Schwab, Sittlichkeit. Zum Aufstieg und Niedergang einer rechtlichen Kategorie. In: Dorn, Schröder (Hg.), FS für Gerd Kleinheyer, 2001, S. 493, 518 ff.

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B. Historischer Teil

näherung zur Vollkommenheit“ fordert491. In Entsprechung zu dem normtheoretischen Prinzipienbegriff geht es nach Alexy um die Maximierung der als Ideen vorgestellten Rechtssicherheit und des Friedens. Die Idee des Rechts umfasse sowohl die Friedensidee als auch die Idee des gerechten Rechts. Die Idee der Vollkommenheit sei die abstrakteste Idee, gleichsam die Idee der Idee. „Bezieht man sie [die Idee der Vollkommenheit] auf das Recht, entsteht die Idee des vollkommenen Rechts. Im Begriff des vollkommenen Rechts ist das Spannungsverhältnis von positivem Recht und Naturrecht dadurch aufgehoben, dass das gesamte positive Recht dem Naturrecht entspricht. Kant spricht von der vollkommen gerechten bürgerlichen Gesellschaft. Vollkommenheit ist hier die Verbindung von größtmöglicher Freiheit als auch der Idee der größtmöglichen Sicherheit. Die Idee des Rechts ist ein überwölbender Begriff, d.h. er fasst verschiedene konkurrierende Prinzipien in sich und fordert als Idee ihre optimale Realisierung, wobei die ideale optimale Realisierung ihre vollkommene Realisierung wäre.“492

Damit erhält das vollkommene Recht einen auf die Funktion des Rechts bezogenen Inhalt, der nicht als Sitte oder Moral ausgezeichnet ist. Der Ansatz steht mit den naturrechtlichen Pflichtenlehren in keinem expliziten Zusammenhang und dient nicht der Abgrenzung von Sittlichkeit und Recht. Vielmehr charakterisiert Alexy die Aufgabe des Rechts und die Spannung zwischen faktischem und angestrebtem Rechtszustand. Es gehört, so Alexy, zur Natur der Ideen und ihrer Vollkommenheit, dass sie in der Wirklichkeit nur approximativ realisiert werden können. Der Verweis auf die Idee des vollkommenen Rechts sage wenig darüber aus, was das Recht in der Wirklichkeit sei. Eine mögliche Antwort wäre die Annahme einer unendlichen Kluft zwischen vollkommener Idealität und vollständiger Faktizität493. Im Spannungsfeld vom realen zum idealen Recht sieht auch Thomas Bonacker den gegenwärtigen rechtstheoretischen Entwicklungsstand. Das Recht werde auf einen idealisierten Zustand hin entworfen, hinter dem es stets zurückbleiben müsse494. Der uralte Glaube an das Absolute lebt also auch heute noch fort. Albert A. Ehrenzweig hat bezogen auf die Gerechtigkeitsidee festgestellt, dass der Grund hierfür im psychologisch verankerten Gerechtigkeitssinn

491

Kant, Kritik der reinen Vernunft, Weischedel (Hg.), Werksausgabe III., S. 323 (B 372). Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der Kantischen Rechtsdefinition. In: ders. (Hg.), Integratives Verstehen. Zur Rechtsphilosophie Ralf Dreiers, 2005, S. 95, 106. 493 Alexy, (vorherige Fn.), S. 95, 107. Zu Alexys Verständnis des idealen Sollens in Bezug auf die Diskursprinzipien Bäcker, Die diskurstheoretische Notwendigkeit der Flexibiltät im Recht, in: Bäcker/Baufeld (Hg.), Objektivität und Flexibilität im Recht, 2005, S. 96, 101. 494 Im Hinblick auf einen modernen rechtstheoretischen Naturalismus, vgl. Bonacker, Die Unvollkommenheit des Rechts. Was kann die soziologische Rechtstheorie von der Dekonstruktion lernen? ZRSoz 22 (2001) 259, 261. 492

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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zum Ausdruck komme495. Der mithin auch im Rechtsbegriff eingeschlossene Dualismus von Faktizität und Idealität soll nach Alexy für die Rechtsanwendung bedeutsam sein. Die Vernunftprinzipien richteten sich auch an den Rechtsanwender496. Eine nach dem Grade ihrer approximativen Erfüllungschance vorzunehmende Unterscheidung vollkommener und unvollkommener Verbindlichkeiten im Zivilrecht erscheint auf dieser theoretischen Grundlage nicht ausgeschlossen. In die Diskussion über die Begriffsalternative unvollkommene Verbindlichkeit oder Naturalobligation werde ich diesen Gedanken wieder aufnehmen und zurückweisen (unten C. II. 1.). Insgesamt wird man sagen können, dass die unvollkommene Verbindlichkeit ein spezifischer Terminus des Naturrechts des 17. und vornehmlich 18. Jahrhunderts war, der vor dem Hintergrund einer zunächst religiös verstandenen Vollkommenheitsvorstellung zu verstehen ist. Lässt man die Differenzierungen im Einzelnen außer Betracht so ist die unvollkommene Verbindlichkeit im Sinne einer sittlichen Pflicht zu verstehen. Folgt man dem Kantischen Gesinnungskriterium, so ist die unvollkommene Verbindlichkeit Gewissenpflicht 497. Sie ist vom Recht getrennt der Moral zuzuordnen.

e) Unvollkommene Verbindlichkeiten im positiven Recht aa) Rezeption im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) Eine allgemeine Vorschrift über unvollkommene Rechte findet sich in § 86 Einl PrALR im Abschnitt über die „Quelle des Rechts“ 498: „Rechte, welche durch die Gesetze nicht unterstützt werden, heissen unvollkommen, und begründen keine gerichtliche Klage oder Einrede.“

Damit waren die natur- und vernunftrechtlichen Forderungen gemeint, die nicht erzwungen werden konnten499. Das unvollkommene Recht und die obli495 Albert A. Ehrenzweig, Ästhetik und Rechtsphilosophie. Ein psychologischer Versuch, in: Fischer u.a. (Hg.), Dimensionen des Rechts. GS für René Marcic, 1974, S. 3, 16. 496 Alexy, (oben Fn. 492), S. 95, 109. 497 Kant weist dem Gewissen allerdings noch einen anderen Ort zu. Das Gewissen sei ein Instinkt und nicht bloß ein Vermögen der Beurteilung. „Es hat eine treibende Gewalt, uns vor den Richterstuhl wider unseren Willen wegen der Rechtmäßigkeit oder der Unrechtmäßigkeit unserer Handlungen zu fordern. Der Instinkt geht dahin, sich selbst nach moralischen Gesetzen zu richten bzw. nach moralischen Grundsätzen rechtskräftig zu urteilen. Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Gerhart (Hg.), (Nachdruck 1990), S. 142 f. 498 Text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Hans Hattenhauer (Hg.), zweite, erweiterte Auflage, 1994. 499 Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1842, S. 30 (Ziff. 1); Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1853, Bd. 1, Einl. § 86 Anm. 93 (nach dem Moralgesetz entstanden, aber von dem bürgerlichen Rechte nicht anerkannt).

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B. Historischer Teil

gatio naturalis wurden dabei teilweise als synonyme Begriffe verstanden500 teilweise aber auch unterschieden501. Eine Einredewirkung wurde dem unvollkommenen Recht in Ausnahmefällen zuerkannt502. Die Doktrin des Preußischen Privatrechts hat die Kategorie der unvollkommenen Verbindlichkeit 503 vornehmlich504 im Anschluss an §§ 577, 578 PrALR I 11 aufgestellt. Sie lauten:505 „Wegen Spielschulden findet keine gerichtliche Klage statt“ „Was aber jemand in erlaubten Spielen verloren und wirklich bezahlt hat, kann er nicht zurückfordern. (Tit. XVI. Sect. II.)“

Der Verweis führt zu § 179 PrALR I 16 im Abschnitt II: ‚Von der Zahlung‘506: „War bey dem Zahlenden eine, wenn auch nur unvollkommene Pflicht zur Zahlung vorhanden: so findet keine Rückforderung statt, wenn gleich derselbe, wegen eines vorhandenen positiven Gesetzes, zur Zahlung wider seinen Willen nicht hätte angehalten werden können.“

Die unvollkommene Pflicht in § 179 führt zu einem Rückforderungsausschluss. Sie gilt als ein Unterfall der bloß moralischen Verbindlichkeit (§§ 178, 181 PrALR I, 16507), die ebenso eine Rückforderung ausschließt, § 178: 500 Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1842, S. 168 (Ziff. 1); Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1853, Bd. 1, Einl. § 86 Anm. 93 und Bd. 2, I 16 § 178 Anm. 30. 501 Rehbein/Reincke, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Bd. 1, 4. Aufl. 1889, Einl. § 86 ALR Fn. 54 a. 502 Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1853, Bd. 1, Einl. § 86 Anm. 93 (Diese Regel erleide Ausnahmen in ALR I, 16 §§ 178, 179 …). 503 Das Wort Verbindlichkeit in einer Kodifikation wird erstmals im Preußischen Allgemeinen Landrecht verwendet. Ein Kunstwort, das im 18. Jahrhundert aufgekommen ist, vgl. E. Bucher, ‚Schuldverhältnis‘ des BGB: ein Terminus – drei Begriffe, in: Bucher u.a. (Hg.), FS für Wolfgang Wiegand, 2005, S. 93, 105. 504 Zu den unvollkommenen Verbindlichkeiten gehört neben der Spielschuld auch das nur schriftliche Schenkungsversprechen. § 1063 PrALR I, 11: „Schenkungsverträge sollen gerichtlich abgeschlossen werden.“ § 1064 PrALR I, 11 „Aus einem außergerichtlichen, wenn auch schriftlichen Schenkungsvertrage, kann daher in der Regel auf Erfüllung nicht geklagt werden.“ § 1065 PrALR I 11: „Ist hingegen eine geschenkte bewegliche Sache oder Summe dem Geschenknehmer bereits übergeben worden, so findet deren Rückforderung aus dem Grunde der Ermangelung eines gerichtlichen Vertrages nicht statt.“ § 1066 PrALR I 11: (ebenso für die unbewegliche Sache). Aus diesen Regelungen folgte nach der Doktrin des Landrechts auch die Anerkennung einer ‚societas leonina‘ als einer wirksamen obligatio naturalis, vgl. Hingst, Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte, 2003, S. 309. 505 Erster Theil, Titel 11: ‚Von den Titeln zur Erwerbung des Eigenthums, welche sich in Verträgen unter Lebendigen gründen‘, Abschnitt VI: ‚Von gewagten Geschäften und ungewissen Erwartungen‘. 506 Erster Theil, Titel 16: ‚Von den Arten, wie Rechte und Verbindlichkeiten aufhören‘. 507 Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Bd. 2, 1853, I 16 § 178 Anm. 30; Adolph Dieterich Weber, Systematische Entwicklung der Lehre von der natürlichen Ver-

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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„Soll … eine ohne Vorbehalt geleistete Zahlung widerrufen werden: so muß ausgemittelt seyn: 1) daß für die Person des Zahlenden gar keine, auch nicht eine bloß moralische Verbindlichkeit zur Zahlung vorhanden gewesen sey; 2) dass der Empfänger dadurch einen Vortheil erlangt habe, zu welchem er gar kein Recht hatte; 3) dass die Zahlung aus einem wirklichen Irrthume geschehen sey.“ § 181: „Sind endlich zwar die übrigen in 178 bestimmten Erfordernisse vorhanden; es kann aber nicht nachgewiesen, oder sonst aus den Umständen klar entnommen werden, dass die Zahlung wirklich aus Irrthum geschehen sey: so ist das Geschäft nicht nach den Regeln von Zahlungen, sondern von Schenkungen zu beurtheilen.“

Die moralische Verbindlichkeit nach § 178 PrALR und die unvollkommene Pflicht des § 179 PrALR stehen in der Rechtsfolge einander gleich508. Die moralische Pflicht wurde dabei als sittlich-gesellschaftliche Pflicht verstanden 509 und auch als obligatio naturalis bezeichnet510. Im Rahmen der Vorarbeiten zum BGB wird die „unvollkommene Verbindlichkeit“ als „geltendes Recht“ bezeichnet511. Das Leistungsversprechen zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht wurde vom Reichsgericht unter Hinweis auf die vorgenannten Normen als selbständig bindend anerkannt. Es sei nicht Schenkung, darum formlos gültig und klagbar und unterliege nicht den beson-

bindlichkeit und deren gerichtliche Wirkung, 4. Aufl. 1811, S. 9 ff. u. 37 f. Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, 83. Zur Theorie der natürlichen Verbindlichkeiten und deren Anerkennung im PrALR: Das Landrecht habe die unvollkommene Verbindlichkeit ausdrücklich in einem sog. natürlichen Privatrecht anerkannt. Es postuliere die bindende Kraft von menschlichen Handlungen und Verträgen unabhängig von einem Gesetzgeber. Die verbindende Kraft folge aus der Natur und nicht von den bürgerlichen Gesetzen. Darin liegt ein Hinweis für das Bild, wonach das ALR die soziale Aufgabe des Privatrechts, das im Schutz des Schwächeren als allgemeiner Grundzug anerkannte, besonders ausgeprägt war, Luig, Das Privatrecht im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, AcP 194 (1994) 521, 528 f. 508 Die Erläuterung der moralischen Verbindlichkeit bei Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, Bd. 3, 2. Aufl. 1843, S. 338 ff. (ad b) stellt beide gleich. 509 Allerdings konnte die innere moralische Pflicht als internalisierte äußere sittlich-gesellschaftliche Pflicht angesehen werden, so dass der Unterschied zwischen Moral und Sittlichkeit nur in den inneren Sanktionen (Gewissensbiss) gegenüber den äußeren gesellschaftlichen Sanktionen hervortritt. 510 Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Bd. 2, 1853, I 16 § 178 Anm. 30. 511 Darauf verweisen auch die Motive zum 1. Entwurf (Mot. II, 1888, S. 833), die eine entsprechende Regelung noch ablehnten (ebenso Prot. zum Entwurf I, 1495, abgedruckt bei Jacobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse Bd. III, 1983, S. 766). § 814 Hs. 2 BGB in seiner heutigen Fassung wurde erst später im Gesetzgebungsverfahren von der Vorkommission des Reichsjustizamtes in der 88. Sitzung vom 21.9.1892 (Prot. RJA 591) in bewusster Abkehr dieser Beurteilung eingefügt (§ 739 im 2. Entwurf) und zwar mit Rücksicht auf das geltende Recht; vgl. Jacobs/Schubert, aaO., S. 837.

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B. Historischer Teil

deren Rückforderungsregeln des Schenkungsrechts512. Die unvollkommene Verbindlichkeit ist ein anerkannter Schuldgrund und kann in eine vollkommene Verbindlichkeit umgewandelt werden513. V. Savigny ging davon aus, dass der Begriff der obligatio naturalis im Landrecht nicht besonders bestimmt, aber ebenso wie im Römischen Recht zu nehmen sei514. Er verstand die Naturalobligation weit und zählte hierzu insbesondere auch die obligationes ex iure gentium. Damit gehörten die Spielschulden sowie allgemein die Befreiung von der Rückgabepflicht (soluti retentio) zu den Naturalobligationen. bb) Rezeption im Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (1811) Franz von Zeiller (1751–1828), der maßgeblichen Einfluss auf die Kodifikation des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für die gesamten deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie (ABGB) hatte, trennt im Kantischen Sinne zwischen ethischer und juridischer Gesetzgebung und beschränkt den eigentlichen Rechtsbegriff auf das sog. äußere und vollkommene Recht 515. Im österreichischen ABGB soll die „vernunftrechtliche obligatio naturalis“ nur durch die Annahme eines „uneigentlichen Rechts“ erfolgen. § 1432 ABGB schließt die Rückforderung einer Leistung aus, wenn „die Forderung bereits verjährt war oder sie nur wegen eines Mangels der Förmlichkeiten ungültig ist, 512 Das RG hat hier aber § 181 PrALR I, 16, wonach bei Kenntnis (ohne Irrtum) eine Schenkung anzunehmen war, übergangen. RG v. 9.11.1881, RGZ 6, 227: Mehrseitige Gläubigererlassvereinbarung mit dem anschließendes Versprechen gegenüber einem dieser Gläubiger, den erlassenen Betrag zu bezahlen; ebenso RG LZ 1908, S. 608. 513 Die Umwandlung wird meist in Anlehnung an das römische Recht als Novation bezeichnet, unten B. I. 5. d) bb) (4), S. 200 Fn. 842. 514 Friedrich Carl von Savigny, Landrechtsvorlesung. Drei Nachschriften, 1826 (Nachdruck 1998). 3. Buch: Obligationen, Natur und Inhalt der Obligation, § 31, 1. Begriff und Arten. S. 422.; Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 178: „Doch so sehr man auch bestrebt war, an der einheitlichen Gestaltung der Obligationswirkungen im PrALR festzuhalten, es kehrte doch die vertriebene Naturalobligation mit Hilfe der Theorie oder der Rechtsprechung wieder zurück.“ 515 Das natürliche Privatrecht, 2. Aufl. Wien 1808, §§ 8–11. Vgl. Gilardeau, Der Einfluss des Gedankengutes Kants auf das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch durch Franz von Zeiller, ZfRV 123, 131: „Die Unterscheidung von Rechtspflicht und moralischer Pflicht lautet: (1) Die Rechtspflicht integriert nicht das Motiv der Handlung. Die Intention des Individuums ist ohne Bedeutung, solange sein Handeln mit den Vorschriften der rechtlichen Bestimmungen konform ist. (2) Die Rechtspflicht definiert sich durch äußerlichen Zwang. Die moralische Verpflichtung ihrerseits ist von jeder äußerlichen Sanktion unantastbar.“ Zeiller habe daher den Zwang als das Kriterium par excellence für eine juristisch gültige Handlung angesehen; ferner Wesener, Aequitas naturalis, ‚natürliche Billigkeit‘, in der privatrechtlichen Dogmen- und Kodifikationsgeschichte. In: Beck-Mannagetta (Hg.) FS für Theo MayerMaly. Wien 1996, S. 81, 96.

I.3. Aufgeklärtes Naturrecht (Unvollkommene Verbindlichkeiten)

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oder zu deren Eintreibung das Gesetz bloß das Klagerecht versagt.“ Das Gesetz erwähnt eine gesonderte sittliche Pflicht nicht. Die obligatio naturalis ist in der österreichischen Zivilrechtsdogmatik für die Fälle des § 1432 ABGB als Rechtsfigur bis heute fest verankert516. Dabei gelten die positiven Normen insgesamt als unter den Anforderungen der Gerechtigkeit stehend. Auf diese Grundlagen verweist auch § 7 ABGB (natürliche Rechtsgrundsätze)517. cc) Rezeption im Code Civil (1804) Im französischen Code Civil von 1804 finden die „obligations naturelles“ ebenfalls Eingang, und zwar in Absatz 2 des Art. 1235 Code Civil (franz. CC): (1) … (2) La répétition n’est pas admise à l’égard des obligations naturelles qui ont été volontairement acquittées.

Das französische Verständnis dieser obligations naturelle beruht auf den Lehren von Domat und Pothier, die in eine objektive und eine subjektive Theorie der Naturalobligation münden. Hierauf gehe ich sogleich in der historischrechtsvergleichenden Betrachtung näher ein (B. II.) und belasse es daher hier nur bei dem Hinweis.

4. Spätes gemeines Recht und Pandektistik Die gemeinrechtliche Rezeption des römischen Rechts, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert vollzogen wird518, zeichnet sich durch eine systematische und wieder primär rechtspraktische Betrachtung der obligatio naturalis aus. Ausgangspunkt ist das römische Recht in seiner historisch entwickelten und zugleich möglichst authentischen Form519. Das Meinungsbild zur Naturalobligation in den gemein516 Koziol in Koziol/Welser, Grundriss des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. Wien 2002, S. 169. Siehe unten B. II. 2. b) aa), S. 223. 517 Mayer-Maly, Die natürlichen Rechtsgrundsätze als Teil des geltenden österreichischen Rechts. In: Fischer u.a. (Hg.), GS für René Marcic. 1974, S. 883 ff.; Waldstein, Ist das ‚suum cuique‘ eine Leerformel? In: Miehseler u.a. (Hg.): FS für Alfred Verdross, 1980, S. 285, 308, der dies bereits für das römische Recht annimmt: Auch bei den zahllosen Einzelentscheidungen der römischen Juristen gehe es um die Gewinnung der richtigen Entscheidung. 518 Die Rezeptionsgeschichte des älteren gemeinen Rechts bis zum entwickelten Naturrecht bei Grotius (oben B. I. 2 b), S. 87 ff. 519 Das gilt nicht nur für die historische Rechtsschule, sondern für die Pandektistik allgemein, vgl. H. H. Jakobs, Die Begründung der geschichtlichen Rechtswissenschaft, 1992, S. 12. Savigny wendet sich mit der Historisierung rechtspolitisch gegen die allgemeine Tendenz der „gränzenlosen Erwartung von der gegenwärtigen Zeit“, v. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1840, S. 4 f.

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B. Historischer Teil

rechtlichen Lehren des 19. Jahrhunderts lässt sich in zwei Grundströmungen einteilen520. Savigny und die historische Rechtsschule orientieren sich an den römischen Rechtsquellen521. Die obligatio naturalis ist eine Obligation des ius gentium, die vom strengrechtlichen ius civile nicht anerkannt wird. Häufig ist die Rede von der vom ius civile nicht bestätigten Obligation des ius gentium. Zu den maßgebenden Vertretern dieser Auffassung gehören v. Savigny, Puchta, v. d. Pfordten, Arndt und v. Erxleben. Eine zweite Meinungsgruppe geht auf Brinz zurück, der sich von der römischen Rechtsquellenlehre löst und das Merkmal der Klagbarkeit als bloße Gestaltungsmöglichkeit des Gesetzgebers erkennt. Ihm folgen Bekker und Schwanert. Davon jeweils getrennt zu sehen sind Windscheid und Dernburg522.

a) Die Erneuerung der obligatio naturalis (Historische Rechtsschule) Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) verwirft das naturrechtliche Verständnis der obligatio naturalis. Völlig verkannt werde der römische Begriff des jus gentium und dessen Eigenschaft, positives Recht zu sein 523. V. Savigny unterscheidet die Obligationen nach den römischen Rechtsquellen ius gentium und ius civile. Die Rechtsentstehung de iure gentii beruht auf der prägenden Kraft der menschlichen Vernunft (naturalis ratio). Alle Obligationen, die das ius gentium hervor bringt, sind danach Naturalobligationen. Sie werden vom ius civile aber entweder bestätigt oder bleiben ausnahmsweise unbe520 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit. Eine historisch-dogmatische Untersuchung. 1905, S. 130 ff. unterscheidet eine Ius-gentium-Theorie, eine außerjuristische und eine spezifisch juristische Theorie; M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS Medicus, 1999, S. 123, 129 ff. (Zweiteilung). 521 Ausgangspunkt sind die Lehren von Gustav Hugo (1764–1844), der die historische Perspektive des Naturrechts hervorhebt und das römische Privatrecht als historischen Ursprung der modernen Rechtsverhältnisse einstuft, Hugo, Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des Privatrechts, 4. Aufl. 1819, S. 6 u. 141. Kritisch zur sog. Nachrezeption durch v. Savigny, Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 17. Aufl. 1985, S. 315. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit – unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Aufl. 1967, S. 129 spricht von positivistischer Rezeption. 522 Die Bezeichnungen Klingmüllers, „ius gentium-Theorie“ einerseits und „spzezifischjuristische-Theorie“ andererseits (Klingmüller, oben Fn. 520, S. 130 und S. 140) übernehme ich nicht. Diese Theoriebezeichnungen stehen quer zu der objekiven und subjektiven Theorie, wie sie unter Bezug auf Domat und Pothier im französischen und italienischen Schrifttum bis heute unterschieden werden (vgl. dazu B. II. 1., S. 206 ff. u. 207 ff.). Auch sind diese Theoriebezeichnungen heute nicht mehr aussagekräftig, wenngleich die ius gentium-Theorie noch anklingt, etwa bei Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV, 2001, S. 365, 382 (zur obligatio naturalis beim Formmangel). 523 v. Savigny, Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, Bd. I, 1851, S. 123 f.

I.4. Spätes gemeines Recht und Pandektistik

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stätigt524. Die bestätigten Naturalobligationen sind klagbar, die nicht bestätigten klaglos. Die klaglosen Naturalobligationen wären – so die hypothetische Annahme – nach dem ius gentium ebenso klagbar. Da das ius civile sie aber nicht anerkennt, bleiben sie obligationes naturales im engeren und eigentlichen Sinne525. Die Anerkennung durch das strengrechtliche ius civile bildet für Savigny mithin das Unterscheidungskriterium der beiden Obligationsformen526. „Obligatio civilis ist eine solche, die durchs jus civile anerkannt ist. Naturalis die sich aufs jus gentium gründet und nicht durchs jus civile anerkannt ist.“

Die obligatio naturalis fällt nicht in die Schnittmenge der Rechtsmassen ius gentium und ius civile. Sie impliziert eine doppelte Entscheidung. Die obligatio naturalis muss vom ius gentium hervorgebracht (anerkannt) werden und sie darf vom ius civile nicht rezipiert werden. Die positive erste Entscheidung trifft das ius gentium, die zweite negative Entscheidung das ius civile. Die Negativauswahl aus dem Kreis der vom ius gentium anerkannten obligationes zeigt zugleich die Stellung und Funktion des ius civile. Es verleiht die Klagbarkeit als ein Privileg527. Der Grund dieser Privilegierung528 kann nach v. Savigny aber auch bereits im ius gentium liegen. Die civilis obligatio könne „1. Eine blos positive Erfindung seyn, oder 2. Ihren Grund schon im jus gentium haben, und nun durchs jus civile anerkannt seyn. Beides macht im Wesen der civilis obligatio kein Unterschied, auch in der Benennung nicht.“529

524 Das ist der wiederkehrende Gedanke der zu dem Namen Ius gentium-Theorie führte, Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 134 mwN. 525 Die Teilmenge der nicht klagbaren Obligationen des ius gentium ist begriffsbildend, so dass alle Obligationen des ius gentium (Naturalobligationen im weiteren Sinne) unspezifisch sind und nicht mehr als Naturalobligationen angesprochen werden. 526 v. Savigny, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck: 1993), S. 202. 527 Zur Stellung des ius civile als Privileg aus dem römischen Bürgerrecht vgl. Wieacker, Ius. Die Entstehung einer archaischen Rechtsordnung im archaischen Rom. In: Immenga (Hg.): Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 33, 47 f.: „Ius civile sind richtige ritualisierte Handlungen, weil sie in den von der frühen Gesellschaft geübten und anerkannten Formen vollzogen und entweder hingenommen oder als richtig festgestellt wurden (ex iure Quiritium). Im Regelfall ließen die frühesten römischen Gemeinschaften es beim hingenommenen rituellen Vollzug offenbar genügen, weil sich diese Formen in beständiger Überlieferung als soziale Regelungsmechanismen bewährt hatten und insofern auch inhaltlichen Gerechtigkeitserwartungen entsprachen.“ 528 Dazu Huwiler, Homo et res: Skizzen zur hellenistischen Theorie der Sklaverei und deren Einfluss auf das römische Recht, in: Ankum (Hg.), Mélanges Felix Wubbe, Freiburg/ Schweiz 1993, S. 207, 241 f.: „Im römischen Staat tritt die res publica in Verbindung zur lex aeterna und hat daher Anspruch auf ewige Geltung. Das alte römische Staatswesen hatte unvergleichliche Erfolge hervorgebracht, was seine Richtigkeit und Gerechtigkeit außer Frage stellte. Staat und Gesellschaft sind ununterscheidbar zur societas civilis verbunden und durch die römische Bürgerschaft repräsentiert.“ 529 v. Savigny, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck: 1993), S. 202.

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B. Historischer Teil

Ferner hält v. Savigny die obligatio civilis in ihren indirekten Wirkungen mit jenen der obligatio naturalis für identisch. Auch bei der naturalis obligatio seien Zwangsmittel vorhanden, aber nur „indirecte“. Indirekt seien alle Zwangsmittel außer der Klage. Im Einzelnen sind dies die soluti retentio530, die compensatio531 und die Möglichkeiten der Verstärkung der Schuld durch „Accessionen der Obligatio“. Dahin gehören die Verpfändung, die Novation, die Bürgschaft und die Fidejussio in Form eines Constitutum 532. V. Savigny kommt daher zu der Annahme: „Jede Civilis Obligatio ist der Wirkung nach eine Naturalis Obligatio“.

und unterscheidet „Civilis obligatio, die mit einer Klage auf Erfüllung verbundene; naturalis obligatio, die wegen Mangel der Ankerkennung ohne Klage gebliebene.“533

Die nachträgliche Umgestaltung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis hält v. Savigny ohne weiteres, etwa durch eine abgeschwächte Einrede, für zulässig. Eine per exceptionem gegründete Ungültigkeit könne so beschaffen sein, dass nur der civile Theil „salva naturali Obligatione“ angegriffen werde 534. Dieser Fall komme vor bei dem Senatusconsultum Macedonianum 535, dann bei einer verjährten Klage und endlich bei dem Fall des rechtskräftigen aber un530 Die Behaltensberechtigung an der Erfüllungsleistung (Befreiung von der Rückgabepflicht). 531 Das meint die Kompensation bzw. die Aufrechnung. 532 Das Konstitut war eine formfreie Zahlungszusage bezogen auf eine bereits bestehende Zahlungsverbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit wurde durch das Konstitut nicht noviert, sondern blieb unberührt, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 46 Rn. 2, S. 296; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl., 1997, S. 339. Als eigenständige Schuld ähnelt das Konstitut dem kausalen (akzessorischen) Erfüllungsversprechen. Man kann von einer Selbstverbürgung sprechen; Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 68. 533 v. Savigny, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck: 1993), S. 203 f. 534 Savigny hält in einer theoretischen Einteilung dafür, dass Obligationen in vier Zuständen vorkommen können. „1. Eine C.O. [civilis obligatio] die ganz voll existirt. 2. Eine C.O. die per exceptionem aufgehoben ist, bei der das naturale aber fortdauert. 3. Eine Civilis Obligatio wo auch das naturale aufgehoben ist, also eine inanis Obligatio 4. Eine bloße obligatio nulla.“ Bei der Obligatio inanis stehe ein anderes Recht, die exceptio, entgegen und die obligatio könne durch Wegschaffung dieser exceptio wieder hergestellt werden. Die naturalis obligatio könne nur auf eine Weise aufhören, nämlich ipso jure. Bei einer nulla obligatio ist nichts wiederherzustellen möglich. v. Savigny, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck: 1993), S. 204. 535 Durch diesen aus dem Jahre 112 n. Chr. stammenden Senatsbeschluss (sog. Macedonianum) wurde der Haussohn in eine sklavenähnliche Stellung gedrängt, indem er nur noch naturaliter haftete. H. Gradenwitz, Natur und Sklave bei der naturalis obligatio. Festgabe der Juristischen Fakultät zu Königsberg für Schirmer, 1900 (Nachdruck 1970), S. 139, 178. Die senatus consulta sind die Beschlüsse des römischen Senats, die im 1. und 2. Jhrt. n. Chr. an die Stelle der Volksgesetze (leges) traten, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 2 Rn. 10, S. 27.

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richtigen Urteils, wo „…durch Irrtum des Richters der Schuldner absolvirt wird“536. Die Gründe für eine anfängliche oder nachträgliche Klaglosigkeit entsprechen den Gründen für die fehlende Anerkennung durch das strengrechtliche ius civile. Das gilt nach Savigny in Fällen mangelhafter Form, bei fehlender oder eingeschränkter Rechtsfähigkeit, bei den sog. strengen Konsequenzen im Civilrecht wie etwa der Verjährung, die im ius gentium nicht anerkannt werde, sowie bei diversen „eigenthümlichen Verhältnissen des Klagerechts“537, wie etwa dem unrichtigen aber rechtskräftigen Urteil. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass v. Savigny unter obligationes naturales diejenigen Obligationen des ius gentium rezipiert, denen das ius civile aus zum Teil nicht klar erkennbaren und jedenfalls nicht einheitlich erfassbaren Gründen die Klagbarkeit nimmt538. Die Naturalobligation besitzt die Funktionalität einer Zivilobligation. Die weiteren Vertreter der historischen Rechtsschule sind diesen Grundsätzen gefolgt 539.

b) Positivistische Differenzierungen (Brinz und Bekker) Die dogmatische Erfassung dieser Naturalobligationen blieb schwierig, wie Alois Brinz 1853 in der Rezension von Savigny’s, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, feststellt: „Grund genug, dass dieses Zwischending zwischen Nichts und Etwas gleich anderen Übergangsbildungen der nach Einheit strebenden Theorie besondere Schwierigkeiten entgegenstellt.“540 Brinz baut die fortan anerkannte Gegenposition auf, indem er die Rechtsquellendogmatik mit den daraus abgeleiteten Differenzierungen verwirft. Die Gleichsetzung von obligatio naturalis und obligatio iure gentium sei nicht gerechtfertigt. Das ius gentium sei bei Savigny in Wirklichkeit identisch mit der naturalis ratio. Aus der natürlichen Vernunft als einem sehr

536 v. Savigny, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck: 1993), S. 203; v. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, Bd. I, 1851, S. 96 f. 537 v. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851, I, S. 52 ff. 538 Darin liegt die wesentliche Kritik von Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 136. 539 Puchta hat sich der Auffassung Savignys ausdrücklich angeschlossen, so dass auf dessen Ausführungen hier nur pauschal verwiesen werden soll, Georg Friedrich Puchta, Pandekten, 5. Aufl. 1850, 6, 1 § 237, S. 347 ff. 540 Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. KritBl, 1853, Nr. 3, S. 1. Einen parallelen, inhaltlich im Ergebnis übereinstimmenden Ansatz verfolgte der in Utrecht lehrende Niederländer Holtius, Über die Lehre der Naturalis Obligatio im römischen Recht, 1844, übersetzt von Sutro, in: Abhandlungen civilistischen und handelsrechtlichen Inhalts, 1852, S. 1. Auf dessen Abhandlung wurde Brinz erst später aufmerksam, vgl. Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 144 Fn. 4.

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weichen und dehnbaren Element lasse Savigny die naturalis obligatio entstehen. Das natürliche Rechtselement umfasse bei ihm drei voneinander unabhängige Gründe, den freien Willen des Schuldners, die grundlose Bereicherung aus fremdem Vermögen und die Rechtsverletzung. Diesem stelle Savigny die civilen Gründe für eine Klaglosigkeit entgegen: die mangelhafte Form, die mangelhafte Rechtsfähigkeit, die strenge Konsequenz im Civilrecht, die im ius gentium nicht anerkannt ist, und die eigentümlichen Verhältnisse des Klagerechts541. Eine solche Systematisierung lehnt Brinz ab, denn die Vernunft gelte überall, auch im ius civile. Eine Anerkennung im ius gentium bei gleichzeitiger Nichtanerkennung im ius civile hält er für widersprüchlich. Brinz verwirft deshalb aber nicht etwa die Rechtsfigur „obligatio naturalis“, sondern entwickelt in den „7 Sätzen über die naturalis obligatio“ ein eher analytisches Verständnis der naturalis obligatio und kommt dabei zu durchaus ähnlichen Ergebnissen542: (1) Die naturalis obligatio sei keine eigene Art der Obligation. Ihr fehle nur etwas. Dieselben Obligationen könnten civiles oder naturales sein (emptio venditio, locatio conductio, mutuum, stipulatio) 543. (2) Auch die obligationes ex iure civilis ließen eine naturalis obligatio entstehen, denen die Klagbarkeit fehlen könne544. (3) Die naturalis obligatio könne ursprünglich entstehen oder als Überbleibsel übrig bleiben (naturaliter obligatur oder naturale debitum manet). (4) Die Mangelhaftigkeit liege auf der Seite der Personen, nicht etwa im Geschäft selbst. Das (formlose) pactum nudum sei nicht als obligatio naturalis anzuerkennen. Die obligatio entstehe erst aus Inhalt und Form des Kontrakts. Der Stipulatio, der es „irgendwie an der nöthigen Form gebricht, sei auch keine naturalis stipulatio.“ 545 (5) Wo eine naturalis obligatio übrig bleibe, könne die civilis obligatio nur getilgt, nicht aber erfüllt worden sein.546

541 Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. KritBl, 1853, Nr. 3, S.32. 542 Brinz, (vorherige Fn.), S. 39 – 50. 543 Damit wird auch die obligatio naturalis auf das positive Recht zurückgeführt. Ein eigener Rechtsentstehungsgrund entfällt, zustimmend Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 146 544 Damit hebt Brinz den systematischen Zusammenhang der Rechtsquellen zueinander auf. 545 Brinz, (oben Fn. 19), S. 43. Dagegen hatte v. Savigny aus der formfehlerhaften Vereinbarung eine obligatio naturalis hervorgehen lassen, siehe zuvor oben. 546 Die Erfüllung führt also stets zum Untergang der Forderung.

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(6) Der Grund, weshalb Obligationen auch klaglos aufrechterhalten werden, sei überall Vernunft (ratio) 547 oder Billigkeit (aequitas) 548. (7) Die naturalis obligatio sei zahlbar (erfüllbar), aber nicht klagbar. Sie habe außer der Klage alle übrige Wirksamkeit der Obligation. Die Einheitlichkeit dieser Wirkungen entspringe aus dem einen Gedanken der Zahlbarkeit. Das Fehlen der actio lasse die obligatio nicht untergehen. Sie sei ein selbständiges, in die Willkür des Gläubigers gelegtes Zwangsrecht zur Zahlung; die actio sei die zweite und höhere Stufe der Obligation; sie erst erhebe die Obligation, die bis dahin fast ganz beim Schuldner gelegen habe, vollends zu einem Gut und Recht des Gläubigers. Dagegen sei die Zahlbarkeit die notwendige Vorstufe der actio und „… nicht ganz ohne Zwangsrecht“. Eine Schuld welche kompensiert werden könne, gebe auch das Recht zur Kompensation und könne bald in Gestalt einer Retention, bald in der einer Einrede zwangsweise wirken.“549 Brinz schreibt der Naturalobligation – wie bereits Savigny – ein allseitiges Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht zu. Er schlägt vor, die Naturalobligationen in zwei Klassen zu trennen und zwar in solche, „die ohne Jurisprudenz und vor ihr da sind“ 550, und solche, „welche durch die Jurisprudenz vermittelt, zum Theile sogar geschaffen werden“551. Die Naturalobligation wird hier also nicht mehr aus einem spezifischen Rechtsgrund (ius naturale bzw. ius gentium) heraus entwickelt, sondern in verschiedene Anwendungsfälle nach Vernunft und Billigkeit aufgelöst. Zur älteren Grundform der obligatio naturalis zählt Brinz die Sklavenschuld und die Schulden der unter der manus stehenden abhängigen Personen. Zur zweiten, neueren Form zählt er die nachträglich klaglos gewordenen Obligationen. Mit Nachdruck unterscheidet Brinz daneben zwischen officium und obligatio. Die officia weist er in die Ethik. Mit der obligatio naturalis hätten sie nichts zu tun 552. Brinz dürfte unter den officia sitt547

Vernunft versteht Brinz „als eine geistige Kraft, welche Gegebenes anzunehmen und aus demselben das Nothwendige zu folgern zwingt. Sie ist kein Sondergut des ius gentium oder des Rechts überhaupt, wohl aber ein unentbehrliches Werkzeug zur Weiterbildung der Jurisprudenz zur Weiterführung und Entwicklung des Rechts.“ Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, KritBl, 1853, Nr. 3, S.48. 548 Brinz, (vorherige Fn.), ebd.:„Die Billigkeit ist … das Gegengewicht gegen eine offenbare Ungleichheit, zu welcher das Recht durch den Zufall der Umstände herabsinkt.“ 549 Brinz, (oben Fn. 547), S.49. 550 Brinz, (oben Fn. 547), S. 50. 551 Brinz, (oben Fn. 547), S. 58: „Die Jurisprudenz setzte … vermittelt Interpretation, das factum zum ius um“; ebenso Ernst Immanuel Bekker, Über die Naturalobligationen, in: JhrbGDR 4 (1860) S. 386, 407. 552 Brinz, Lehrbuch der Pandekten, Bd. III/2, 2. Aufl. 1888, S. 589 f.; vgl. Mayer-Maly, De se queri debere, officia erga se und Verschulden gegen sich selbst. In: Medicus, Seiler (Hg.): FS für Max Kaser, 1976, S. 229, 264; zu Verbindungen beider Begriffe, aber ohne Zusammenhang zur Naturalobligation, Nörr, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: Schermaier u.a. (Hg.), FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267, 272.

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liche Pflichten verstanden haben, ohne diese aber näher – wie im Naturrecht geschehen – zu spezifizieren und abzugrenzen 553. Der Standpunkt von Brinz geht zusammengefasst dahin, die Naturalobligation bei mangelnder Rechts- oder Handlungsfähigkeit, wie vormals bei Sklaven und den der Hausgewalt unterworfenen Personen, insbesondere herangewachsenen Kindern 554, anzuerkennen. Gleichfalls bejaht Brinz die Entstehung einer obligatio naturalis wegen der „eigenthümlichen Verhältnisse des Klagerechts“, insbesondere bei Verjährung und irriger Freisprechung eines wirklichen Schuldners. Er sieht hierin Fälle einer unbillig strengen Consequenz des Civilrechts555, die durch Anerkennung einer fortbestehenden obligatio naturalis gemildert werden. Die Entstehung einer obligatio naturalis wegen Formverletzung und damit aus einem nudum pactum lehnt er dagegen ab. Brinz Ausführungen zur Trennung der actio von der Zahlbarkeit (Erfüllbarkeit) nehmen bereits die Windscheid’sche Trennung der actio von dem subjektiven materiellen Recht556 im Ansatz vorweg. Bereits Alois Brinz hat die obligatio als eigenständige Rechtsposition und der Sache nach unabhängig von der Klage anerkannt. Ernst Immanuel Bekker wendet sich ebenso gegen Savignys Dualität der Rechtsquellen und gegen die Vorstellung einer vom ius civile nicht anerkannten obligatio iure gentium. Die Vernunft lasse sich nicht einzelnen Rechtsquellen zuordnen. Bekker zieht daraus den Schluss, dass jeder vom Civilrecht anerkannten Obligation auch das naturale Element eigen sei557. Die naturalis obligatio 553 Die gemeinrechtliche Rezeption der Abgrenzung von Recht und Sitte dürfte nicht nach der ursprünglichen römisch-rechtlichen Dichotomie zwischen obligatio und officium erfolgt, sondern von der naturrechtlich christlichen Gewissenspflicht geleitet gewesen sein. So etwa C.F. Rosshirt, Ueber die Verwandlung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843 – 1844) S. 275, 279: „… denn wir glauben, daß bei uns nicht mehr der Gedanke der obligatio naturalis, d.h. der Ehrenpflicht entscheidet, sondern vielmehr der canonische und germanische Gedanke der Gewissenspflicht. Oft mögen beide Gedanken zusammentreffen, oft aber auch nicht; jedenfalls aber ist die Gewissenspflicht auf das Verhältnis der christlichen Moral gegründet, und daher ist immer zu prüfen, was die christliche Moral hier lehre.“ 554 Allerdings liege es näher, in diesen Fällen andere als natürliche Gründe anzunehmen. Wie sich am Haussohn (filiusfamilias) zeige, könne nicht die mangelhafte Handlungs- oder Rechtsfähigkeit für die Klaglosigkeit ausschlaggebend gewesen sein, die dieser in vollem Umfange besaß. Es hätten offensichtlich andere Gründe vorgelegen, Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, KritBl, 1853, Nr. 3, S. 43. 555 Brinz gehört damit wie Savigny zu den Vertretern der sog. schwächeren Wirkung der Verjährung, die eine obligatio naturalis übrig lässt, vgl. Lehrbuch der Pandekten, Bd. 1, 2. Aufl. 1873, S. 404. Brinz, (vorherige Fn.), S. 36. 556 Jedenfalls liegt in ihnen eine klare gedankliche Vorbereitung dieses epochalen Gedankens. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856, S. 39: An die Stelle der actio trete der Anspruch als „das Recht, von jemandem etwas zu verlangen.“ 557 Ernst Immanuel Bekker, Die Wirkung der Klagenverjährung, in: JhrbGDR 4 (1860)

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existiert für Bekker mithin nur aufgrund ihrer Anerkennung durch das positive Recht. Nicht allen so bezeichneten Verhältnissen komme gleiche Wirksamkeit zu, sondern alles hänge von ihrer Ausgestaltung im positiven Recht ab558. Entsprechend seien nicht alle obligationes naturales in gleicher Weise konstruiert und wirksam: „nur in der fehlenden Klagbarkeit sind sie sich gleich“559. Dieser positivistischen Sicht stimmt auch Schwanert zu. Alle positiven Wirkungen, welche die obligatio naturalis mit der obligatio civilis gemein habe, beruhten nicht auf einer Anerkennung durch das ius naturale (resp. ius gentium), sondern einheitlich auf der des ius civile560. Nicht alle Naturalobligationen haben eine gleich umfängliche Wirksamkeit561. Damit ist etwa auch die Frage, ob die passiven Zwangsbefugnisse wie Zurückbehaltung oder Aufrechnung mit und gegen Naturalobligationen gegeben werden, eine Frage der Zweckmäßigkeit und der gesetzgeberischen Entscheidung. Die Naturalobligation wird nach dieser Meinungsgruppe nicht mehr aus einer Theorie heraus erklärt, sondern zu einer Rechtsfigur funktionalisiert. Sie beruht auf einer Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers. Diese Sicht lässt sich als technische Naturalobligation kennzeichnen 562. Ich greife diesen Ansatz und die positivistische Differenzierung im dogmatischen zweiten Teil der Arbeit wieder auf.

c) Obligation des natürlichen Rechtsgefühls (Windscheid) Bernhard Windscheid (1817–1892) erkennt die Naturalobligation als Rechtsfigur an. Er wendet sich aber ebenfalls gegen Savignys Interpretation aus den Rechtsqellen des römischen Rechts. Die Bedeutung der Naturalobligation liege nicht in der im Civilrecht nicht bestätigten Obligation des jus gentium, sondern in der Obligation des natürlichen Rechtsgefühls, welches in dem positiven Rechte noch keine Anerkennung gefunden habe, und die doch das positive Recht sich nicht entschließen könne, ganz unberücksichtigt zu lassen 563. Das natürliche Rechtsgefühl bleibt dabei mit der Ehrenpflicht (honestas) römisch408, 416 („die naturalis obligatio ist ebenso gut ein Product des jus civile wie die directe Klage“). 558 Bekker, Über die Naturalobligationen, in: JhrbGDR 4 (1860) S. 386, 407. 559 Bekker, (vorherige Fn.), S. 386, 402. 560 Hermann August Schwanert, Die Naturalobligationen des Römischen Rechts, 1861, S. 47. 561 Schwanert, (vorherige Fn.), S. 48. 562 So Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 149. 563 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856, S. 41. Auch diese Bezugnahme auf das Rechtsgefühl ist römisch-rechtlich unterlegt. Die römische honestas (Ehrenhaftigkeit und daraus folgend die Ehrenpflicht) galt als Grundlage der obligatio naturalis. Dieser Zusammenhang wurde als Rechtsgefühl übersetzt, etwa C.F. Rosshirt, Ueber die Verwandlung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843–1844) S. 275, 278: „Ihre [der Römer] obliga-

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rechtlich unterlegt564. Die verschiedentlich vertretene Aufgabe des Begriffs565, weil die naturalis obligatio von der christlich-naturrechtlichen „Gewissenspflicht des canonischen und deutschen Rechts verdrängt worden sei“566, übernimmt Windscheid nicht. Die naturalis obligatio könne alle Rechtswirkungen, außer dem Klagerechte haben, ohne sie haben zu müssen567. Aus der Vielzahl der nach natürlicher Auffassung gegebenen natürlichen Verbindlichkeiten kann das Recht einzelne in dieser oder jener Beziehung als Verbindlichkeiten gelten lassen568. Windscheid wählt die Bezeichnung „uneigentliche Verbindlichkeiten“ und drückt damit die weniger strenge rechtliche Betrachtung aus. Der status irrealis des römischen Rechts und die betonte Distanz zwischen der eigentlichen obligatio civilis und der uneigentlichen obligatio naturalis kehren hier wieder569. Zu den „uneigentlichen Verbindlichkeiten“ zählt Windscheid auch die sittliche Pflicht, die er als objektivrechtlichen Schuldgrund anerkennt 570. Der bis heute nicht eindeutig geklärte Streitfall betrifft die verjährte Schuld. Windscheid gilt als Vertreter der sog. starken Wirkung der Verjährung, nach der die Forderung vollständig erlischt571. Grundlage ist die Aussage572, dass die Verjährung „… den Anspruch und damit das Resultat der Obligation vernichtet.“ tio naturalis war auf eine juristische honestas, auf ein Rechtsgefühl gegründet, dessen Bestätigung sie im iure gentium fand“. 564 Die römisch-rechtliche Ehrenpflicht (honeste vivere) wird von dem praeceptum iuris des römischen Rechts abgeleitet: Ulpian D. 1, 1, 10, 1: Iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere. 565 C.F. Rosshirt, Nachträge: obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843 – 1844) S. 135: Der Begriff der natürlichen Verbindlichkeit müsse gänzlich vermieden werden. 566 So C.F. Rosshirt, Ueber die Verwandlung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843 – 1844) S. 275, 278. Ders., ebd. S. 279 (Zitat oben Fn. 563). 567 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 267; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, S. 574. 568 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, S. 578. 569 Eine Begriffserweiterung des Obligationenbegriffs hin zu einer Forderung ohne Erfüllungszwang kann so abgelehnt und dennoch die anerkennende Gleichstellung als Pseudoobligation vollzogen werden, (siehe näher oben B. I. 1. e), S. 66). 570 Die objektivrechtliche Sicht zeigt sich in der Irrtumsregel, die den Klagbarkeitsirrtum für unbeachtlich erklärt. Grundlage dieser Auffassung sind Ulpian D. 12, 6, 26, 12, Ulpian D. 12, 6, 32, 2 und Tryphonin D. 12, 6, 64 (siehe oben B. I. 1. S. 73 und Fn. 137). So auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 1. Aufl. 1865, § 289, Anm. 3; ebenso Schwanert, Naturalobligationen, 1861, S. 118 ff.; Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 154 weist Windscheids uneigentlichen Verbindlichkeiten aus dem natürlichen Rechtsgefühl als eine „zu unbestimmte Auffassung“ zurück. 571 Dahn, Über die Wirkung der Klagverjährung bei Obligation, 1855, S. 10; Bekker, Die Wirkung der Klagenverjährung, in: JhrbGDR 4 (1860) S. 408, 416. 572 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856, S. 41.

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Andere gingen im Anschluss an v. Savigny von einer schwachen Wirkung aus, die dem Gläubiger eine obligatio naturalis belässt573. Windscheids Trennung von Rechtsanspruch und Klage574 sowie die daraus folgende Umstellung der Klagenverjährung in die Anspruchsverjährung legten es nahe, wie vormals die Klage nun auch Anspruch und Recht entfallen zu lassen. Windscheids Einstellung ist aber keineswegs eindeutig. Für das Verbleiben einer obligatio naturalis nach Verjährung fehle es an der gehörigen Begründung. Mehrfach betont Windscheid, dass die auf natürlichem Rechtsgefühl beruhende Obligation im positiven Recht nicht auch immer notwendig anerkannt werden müsse: 575 „Es ist nicht zu leugnen, daß das natürliche Rechtsgefühl die verjährte Schuld nicht weniger als Schuld anerkennt; der rechtliche Mann erfüllt sie, obgleich sie verjährt ist. Es ist auch wahr, daß die naturalis obligatio des römischen Rechts gerade die auf dem natürlichen Rechtsgefühl beruhende Obligation ist. Aber es ist nicht wahr, daß jede auf dem natürlichen Rechtsgefühl beruhende Obligation auch von dem positiven Recht wenigstens bis zu einer gewissen Grenze anerkannt werde.“

Die Ausführungen Windscheids beziehen sich auf die Rechtswirkungen, die aus der erhobenen Verjährungseinrede folgen. Er fährt fort: 576 „Wenn man nach den Gründen für die hier verteidigte Ansicht fragt, so ist zu antworten, daß ein besonderer Beweis für dieselbe nicht geführt zu werden braucht; denn es ist eine entschiedene Anomalie, wenn eine zerstörliche Einrede nicht die ganze Obligation wegnimmt. Sie ist also als die richtige anzunehmen, bis ein Gegenbeweis gegen dieselbe geführt ist, und dieser kann nicht geführt werden.“

Windscheids „starke Wirkung“ der Verjährung ist also nur auf dem Argument der Darlegungslast für das Fortbestehen der Forderung als obligatio naturalis aufgebaut. Das ist nicht allzu viel. Auch stellt Windscheid auf die Wirkung der erhobenen Einrede ab. Nichts gesagt ist damit zu der Frage, ob eine Naturalobligation bereits mit Vollendung der Verjährung ex lege entsteht. So hatte es v. Savigny angenommen und damit den Erwerb des Einrederechts als maßge-

573 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 5, 1841, S. 379; Puchta, Pandekten, 4. Aufl. 1848, § 92; Brinz, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 1, 2. Aufl. 1873, S. 404 „… darum weil der Anspruch selbst, nicht blos die Klage verjährt, [ist die stärkere Wirkung] noch nicht zweifellos. Denn hier wie anderwärts kann er [der Anspruch] selbst aber gleichwohl nicht ganz untergehen, d.h. trotzdem er selbst untergeht als naturalis obligatio aufrecht bleiben.“ 574 Wobei Anspruch und Actio funktional identisch sind. Der Anspruch wird aber materiellrechtlich verstanden. Windscheid hatte das selbst noch nicht klar ausgesprochen. So aber Windscheid/Kipp, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 43 Nr. 6a. Dies Verständnis ist bis heute herrschend, Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 35; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 15 Rn. 67, S. 302 f. 575 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 268. 576 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 268; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. 1906, S. 575.

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bende Zäsur angesehen 577. Auch Windscheid schlug später in den Beratungen zum BGB folgende sprachliche Fassung vor, die eine schwache Wirkung und ein Fortbestehen als obligatio naturalis nahe legen: 578 „Die Vollendung der Verjährung bewirkt, dass aus dem Anspruche weder Klage erhoben, noch eine Einrede entgegengesetzt werden kann.“

Die 1. Kommission wies den Antrag zurück, weil er im Dunkeln lasse, welche Wirkungen von dem Anspruche übrig blieben 579. Die Einschätzung, wonach sich Windscheid durchgesetzt habe und die starke Wirkung Gesetz geworden sei, ist also nicht erst im Hinblick auf die später Gesetz gewordene Regel (§ 222 Abs. 1 BGB a.F., § 214 Abs. 1 BGB) unzutreffend, sondern verkennt bereits die Auffassung Windscheids580. Aufzulösen ist damit ferner ein Missverständnis in der Annahme von H. Roth581: „Die Motive zum BGB sind Windscheid gefolgt (Mugdan I, S. 540), trotz ersichtlich abweichender Regelung im Gesetz selbst, dem nunmehr unbestritten die ‚schwächere‘ Verjährungswirkung zugrundeliegt.“ Windscheid hatte im laufenden Gesetzgebungsverfahren ‚seine‘ Verjährungskonzeption einer starken Wirkung aufgegeben, so dass der Hinweis auf Windscheid in den Motiven nicht im Widerspruch zum Gesetz steht 582. Eine Einredelehre, insbesondere eine einheitliche dogmatische Vorstellung über die Einredewirkung fehlt aber gleichwohl583. Die zerstörliche Einrede, die die ganze Obligation wegnimmt, zeigt sich bei Windscheid als eine legislatorische Entscheidung. Sie ist nicht mehr die systemgebundene Konsequenz einander überschneidender Rechtsquellen. Die divergierenden Ansatzpunkte für die dogmatische Erfassung der Verjährung sind im

577 V. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851, Bd. 1, S. 56. 578 Zu § 194 Abs. 1 des Teilentwurfs zum Allgemeinen Teil abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1044 (Nr. 106). 579 Jakobs/Schubert, (vorherige Fn.), S. 1045. Der Vorschlag erwecke außerdem den Gedanken, die Verjährung lasse eine obligatio naturalis im Sinne des römischen Rechts fortbestehen (ebd.). Ohne nochmalige Diskussion ist die heutige Formulierung eines Gegenrechts für den Schuldner gewählt worden (§ 222 Abs. 1 BGB a.F. und § 214 Abs. 1 BGB:„ist berechtigt … zu verweigern“) vgl. ebd., S. 1136 (E II § 187) u. S. 1138 (Revision E II, Ziff. X.). 580 Unrichtig daher Akio Ebihara, Savigny und die gemeinrechtliche Verjährungslehre des 19. Jahrhunderts, SavZRom 110 (1993) 602, 637. 581 Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Recht, 1988, S. 55. 582 Vgl. dazu ferner unten B. I. 5 a) cc) (1), S. 171. 583 Bei § 222 Abs. 1 BGB a.F. hatte man sich bewusst gegen eine Verwendung des Terminus Einrede ausgesprochen, weil Begriff und Bedeutung der Einrede nicht als eindeutig geklärt angesehen werden könnten, ebd., S. 1045 (Prot. I, S. 390). Die materiellen Wirkungen des Leistungsverweigerungsrechts sind im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr weiter erörtert worden. Zu den daraus folgenden Schwierigkeiten in der Erfassung peremptorischer Einreden Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Recht, 1988, S. 320.

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Gesetzgebungsverfahren zum BGB nicht klar erkannt worden 584. Der Zeitablauf (Vollendung der Verjährung) bei v. Savigny einerseits und die Einredeerhebung bei Windscheid entsprechend seiner ursprünglichen Auffassung andererseits, werden nicht unterschieden. Die Rechtslagen vor und nach der Einredeerhebung bleiben in der Analyse der Verjährungswirkung daher bis in das BGB hinein kaum beachtet.

d) Anerkennung als randständige Rechtsfigur (Dernburg) Die Funktionalisierung der obligatio naturalis als Rechtsfigur und eine weitgehende Loslösung von den historischen Erklärungs- und Systematisierungsversuchen entwickelt sich zum ‚Mainstream‘ der Pandektistik. Heinrich Dernburg (1829–1907) 585 fasst die Auffassung der späteren Pandektistik dahin zusammen586: „Gewisse Verbindlichkeiten respektiert die bürgerliche Gesellschaft theils mit Rücksicht auf mercantilen Kredit und Ruf, theils als Postulate der Sitte und des Anstandes, während ihnen der Staat aus rechtspolitischen Gründen den Weg der Klage verschließt. Sie sind also dem Staate fremd; dennoch sieht er sich veranlasst, eine gewisse Eigenwirkung solcher sogenannter Natürlicher Verbindlichkeiten auf seine Ordnungen anzuerkennen.“

Die Anerkennung als randständige Rechtsfigur bedeutet gleichzeitig eine Verlagerung der Naturalobligationen in den Grenzbereich der Rechtsordnung zu anderen Sozial- oder Moralordnungen. Die sich daraus ergebende Wechselwirkung zwischen gefühltem und gesetztem Recht ist kennzeichnend für Dernburg. In Anlehnung an Windscheid hält er die natürliche Verbindlichkeit für eine Gefühlsreaktion, die sich zeigt, wenn das Gesetz die Klagbarkeit versagt und dennoch eine gewisse rechtliche Verbindungskraft besteht587.

584 Ebenfalls nicht berücksichtigt von Akio Ebihara, Savigny und die gemeinrechtliche Verjährungslehre des 19. Jahrhunderts, SavZRom 110 (1993) 602, 635. 585 Luig, Heinrich Dernburg. Ein „Fürst“ der Spätpandektistik und des preußischen Privatrechts, in: Heinrichs/Franzki/Schmalz/Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, 1993, S. 231–247. 586 Dernburg, Pandekten. Bd. 2, 1897, § 4, Anm. 10. 587 Dernburg, Lehrbuch des preußischen Privatrechts, Bd. 2, 1. Abt., 1878, S. 4; Der von Dernburg herausgestellte mögliche Antagonismus von Rechtsgefühl und positivem Recht ähnelt auch der Abgrenzung ius gentium – ius civile bei v. Savigny. Ratio naturalis und ius gentium sind von der Vorstellung eines Rechtsgefühls in der Sache nicht fern. Vgl. zur Deutung als Rechtsgefühl auch M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 130.

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e) Die Rechtsprechung des Reichgerichts Die reichsgerichtliche Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des BGB erkannte die Naturalobligation als Rechtsfigur an. Allerdings verwendet sie die Bezeichnung nicht einheitlich. Zwischen Naturalobligationen, natürlichen Verbindlichkeiten, sittlichen Pflichten und unvollkommenen Verbindlichkeiten wird nicht klar unterschieden588. aa) Spielverträge und Differenzgeschäfte Das Reichsgericht verneinte die Rückforderbarkeit der Leistung bei Differenzgeschäften. Zahlungen zur Tilgung von Schulden aus Differenzgeschäften könnten nach gemeinem Recht nicht zurückgefordert werden. Das Differenzgeschäft sei den erfüllbaren Spielgeschäften zuzurechnen. Sie seien nicht klagbar, aber böten eine genügende causa für die Erfüllung589. Die obligatio naturalis aus einer Spielschuld ist damit zumindest implizit anerkannt590. bb) Sittliche Pflichten Die Rechtsprechung zum gemeinen Recht und zum Preußischen Allgemeinen Landrecht hält die sittliche Pflicht für einen objektiven Schuldgrund (causa). Im Einklang mit der gemeinrechtlichen Lehre 591 bejaht das Reichsgericht etwa die sittliche Pflicht, auch den durch einen Zwangsvergleich erlassenen Forderungsteil zu bezahlen592. Das vom Schuldner in einem solchen Falle trotz Fehlens eines klagbaren Anspruches Geleistete stelle keine formbedürftige Schenkung dar. Die Leistung aus sittlicher Pflicht sei entgeltliche Leistung593. Sie sei formlos erfüllungswirksam und könne nicht zurückverlangt werden.

588 Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 2., 1929, S. 25. 589 RG v. 24.4.1897 RGZ 39, 163, 164. 590 Allerdings formuliert das Reichsgericht im Hinblick auf den wirtschaftlichen und sittlichen Wert oder Unwert dahin, dass Spiel- und Differenzgeschäft einer vom Rechte als Verpflichtungsgrund anerkannten Grundlage entbehren, ebd. S. 164. 591 Vgl. Windscheid und Schwanert, Die Naturalobligationen des Römischen Rechts, 1861, S. 47; ebenso Puchta, Institutionen, Bd. 3, 10. Aufl., 1893, § 268, Anm. h; Dernburg, Pandekten. Bd. 2, 1897, § 5, Anm. 7. 592 RG v. 7.10.1899, RGZ 42, 118 ff. 593 RG v. 7.10.1899, RGZ 42, 118, 120.

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Ebenso entschied das Reichsgericht zu § 178 PrALR I, 16594. Dabei erkannte es die Möglichkeit an, eine Natural- in eine Zivilobligation umzuwandeln595. In dem entschiedenen Falle war aufgrund einer wirtschaftlichen Krisensituation des Schuldners eine mehrseitige Gläubigererlassvereinbarung geschlossen worden. Der Schuldner hatte anschließend gegenüber einem der Gläubiger das Versprechen gegeben, diesem den erlassenen Betrag später doch zu bezahlen. Das Reichsgericht hielt das (formlos gegebene) Zahlungsversprechen für eine klagbare Forderung596. Entsprechend entschied es später auch über ein Zahlungsversprechen nach Zwangsvergleich im Konkursverfahren 597. Der rheinische Senat des Reichsgerichts, der auf der Grundlage des Art. 1235 Abs. 2 CCfr (obligations naturelles) 598 zu entscheiden hatte599, verneinte dagegen die Klagbarmachung durch formloses Erfüllungsversprechen. Unter Berufung auf Pothier600 hielt der Senat ein mündliches Testament zwar naturaliter für verbindlich, wenn diesem nur mangels der vorgeschriebenen Form die Klagbarkeit fehlte. Jedoch sei das spätere Versprechen des Erben, eine solche natürliche Verbindlichkeit zu erfüllen, nicht klagbar601. Die Leistung aufgrund einer natürlichen Pflicht stelle vielmehr eine Schenkung dar, mit der Folge, dass auch das Versprechen formbedürftig gewesen sei602.

594 Rückforderungsausschluss bei Erfüllung einer „bloß moralischen Verbindlichkeit“, RG v. 9.11.1881, RGZ 6, 227 ff. allerdings unter Außerachtlassung des § 181 PrALR I, 16. Vgl. dazu mit Text oben unter B. I. 3. e) aa), S. 138. 595 Zur Frage, ob die Umwandlung in eine Zivilobligation noch nach dem römischen Vorbild als Novation der Naturalobligation bezeichnet werden kann, vgl. B. I. 5 d) bb) (4), S. 200 Fn. 842. 596 RG v. 9.11.1881 RGZ 6, 227, 230. 597 RG v. 2.7.1907, LZ 1908, S. 608; Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 2., 1929, S. 25, 26 f. 598 Text und französische Doktrin siehe unten B. II. 2. a) aa), S. 211. 599 Der II. Zivilsenat des Reichsgerichts war seit 1879 einheitlich zuständig für Revisionen die Reichsgebiete betrafen, in denen der Code Civil galt. Dies betraf 1/6 des Reichsgebiets und etwa 8 Mio Bürger, Norbert Gross, Vom Code Civil zum BGB – eine Spurensuche, JZ 2004, 1137, 1140. 600 Zu Pothier in der Rechtsprechung des RG, Luig, Robert-Joseph Pothier und die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen unter der Geltung des Code civil, ZEuP 2002, 489, 492 ff. und zu der mit ihm verbundenen subjektiven Theorie der obligation naturelle, siehe unten B. II. 1. b), S. 190. 601 RG v. 27.2.1883, RGZ 8, 314, 315 (aber mit der Abgrenzung, dass bloße Gebote der Sittlichkeit oder des Anstandes eine natürliche Verbindlichkeit nicht zu begründen vermögen). 602 RG v. 27.2.1883, RGZ 8, 314, 315; ferner RG v. 5.3.1886, Zeitschrift für das französische Zivilrecht, 17 (1883) 28, 29 (Unterhaltsversprechen gegenüber einem nichtehelichen Kind); ebenso RG v. 10.5.1889 und RG v. 10.12.1889 ohne Fundstelle genannt bei Schmidt, oben Fn. 597, S. 25, 31.

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Unter der Herrschaft des BGB ist das Reichsgericht diesem Standpunkt zum französischen Recht zunächst nicht gefolgt. Es hat sich der gemeinrechtlichen Lehre und der Auffassung des Reichsgerichts zum PrALR angeschlossen. Die sittliche Verpflichtung zur Leistung bedeute eine entgeltliche Leistung. Sie stehe daher der Annahme entgegen, die Parteien hätten sich über eine unentgeltliche Zuwendung geeinigt. Der Schenkungsvertrag setze die Einigung über die Unentgeltlichkeit im Sinne von Freigebigkeit voraus. Sobald auch nur eine Partei das Bewusstsein gehabt habe, eine sittliche Pflicht zu erfüllen, fehle der Schenkungscharakter. Das darauf gegebene Erfüllungsversprechen sei formfrei und also gerichtlich durchsetzbar603. Die sittliche Pflicht bildete den objektiven Schuldgrund (causa). Das Reichsgericht ist von dieser Linie später wieder abgerückt604. In der bis heute maßgebenden Leitentscheidung aus dem Jahre 1929605 hat es darauf abgestellt, dass eine Zuwendung unentgeltlich sei, wenn ihr nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Gegenleistung gegenüberstehe. Eine Gegenleistung könne nur in der Befreiung von einem rechtlichen Anspruch liegen, nicht aber in der Befreiung von einem moralischen Anspruch. In dem entschiedenen Fall hatten die Erben eines Holzgroßhändlers zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Vormundschaftsgerichts versprochen, an die beiden nichtehelichen und unter Vormundschaft stehenden Kinder des Erblassers je 4.000 RM zu zahlen. Die bevormundeten Kinder hatten vom Erblasser zwar bereits Abfindungssummen erhalten, die aber durch die Inflation völlig entwertet gewesen waren. In der Befreiung von der deshalb fortbestehenden mo-

603 RG v. 3.5.1913, JW 1913, 855 Nr. 2; RG v. 21.4.1917, JW 1917, 710 Nr. 7; RG v. 26.5.1920 Recht 1920, Nr. 2356 (der Zuwendende oder der Zuwendungsempfänger musste das Bewusstsein für das Bestehen einer sittlichen Pflicht haben). Zustimmend Schmidt, Fn. 597, S. 25, 37 ff. (mit Wärme zu begrüßen). Die Entgeltlichkeit der Erfüllung einer sittlichen Pflicht bejaht auch Siber, Die schuldrechtliche Vertragsfreiheit, JherJhrb 70 (1921) 223, 275 ff., der ein sittliches Bewusstsein aber generell für nicht erforderlich hält. Auf die Anerkennung einer sittlichen Pflicht durch den Zuwendenden sollte es danach nicht ankommen (ebd. S. 277). 604 RG v. 17.2.1919, RGZ 94, 325 (2. LS) hat ausdrücklich offengelassen, ob diese Auffassung [vorherige Fn] richtig sei. RG v. 22.2.1923 – Az. IV 200/22 hat bereits gegenteilig angenommen: „Seien Vertragsparteien darüber einig gewesen, dass das Leistungsversprechen einer sittlichen oder Anstandspflicht entsprochen habe, so schließe das die Einigung über seine Unentgeltlichkeit in sich. Die aus einem solchen Grunde gemachten Zuwendungen seien als unentgeltliche gewollt, weil sie nicht um einer Gegenleistung willen gemacht seien. Ihr Schenkungscharakter sei in § 534 BGB anerkannt.“) (ohne Fundstelle zitiert in RGZ 125, 380, 383). 605 RG v. 30.9.1929, RGZ 125, 380.

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ralischen Verbindlichkeit sieht das RG keinen Vermögensvorteil für den Leistenden606. Sodann stellt es fest607: „Sind beide Teile darüber einig, dass der Zuwendung zwar keine rechtliche, wohl aber eine sittliche oder Anstandsverpflichtung zugrunde liege, so besteht Einigkeit nicht über die Entgeltlichkeit, sondern über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung. Das wird vom Bürgerlichen Gesetzbuch dadurch anerkannt, dass es für Schenkungen und unentgelt liche Verfügungen … gewisse Sondervorschriften aufstellt. § 534 BGB …“

Die Argumentation des Reichsgerichts beruht auf der Entscheidung des BGBGesetzgebers zu § 534 BGB. Dieser geht von Pflicht- und Anstandsschenkungen und damit von unentgeltlichen Zuwendungen und entsprechend formbedürftigen Verpflichtungen aus. Der Schenkungscharakter wird aber in der Tat eher dekretiert als anerkannt608. Das Reichsgericht sah sich an diese Deutung gebunden und wies die Klage der nichtehelichen Kinder mangels notarieller Beurkundung des Schenkungsversprechens ab.

f) Die Naturalobligation als eine Schuld ohne Haftung Die aus Pandektistik und Germanistik hervorgegangene Lehre von Schuld und Haftung befasste sich nicht eigentlich mit der Naturalobligation und der rechtlichen Behandlung sittlicher Pflichten. Jedoch diente die Naturalobligation als Beleg für ihre Grundthese, wonach Schuld und Haftung zwei getrennte Elemente der obligatio sind. Die Entstehung der Lehre fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und dabei in die Übergangszeit vom gemeinen Recht zum BGB609. Sie prägt bis heute die Dogmatik des Schuldrechts 610. Die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts geführte Diskussion über die Definition des subjektiven Rechts und der Obligation hatte ihren zentralen Ausgangs-

606 RG v. 30.9.1929, RGZ 125, 380, 383. Darüber wird man heute im Einzelfall anders denken. Maßgeblich dürfte das Bestehen einer realistischen Erfüllungschance sein. Bereits Bockelmann, Die Behandlung unvollkommener Verbindlichkeiten im Vermögensstrafrecht, in: Engisch/Maurach (Hg.), FS für Edmund Mezger, 1954, S. 363, 364 anerkennt den Vermögenswert von Naturalobligationen. Siehe dazu unten C. III. 3. e), S. 426. 607 RG v. 30.9.1929, RGZ 125, 380, 383. 608 Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 69 hält „die Etikettierung des Gesetzgebers als Schenkung“ für falsch. Der Gesetzgeber verfolgt jedoch wohl ein Schenkungskonzept, in dem er die Schenkung aus sittlicher Pflicht und Anstandsrücksicht für Schenker und Beschenkten besonders attraktiv ausgestaltet und sie damit von der herkömmlichen Schenkung deutlich abhebt. Daran kommt man de lege lata nicht vorbei (näher unten C. IV. 3. d), S. 455). 609 Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21. 610 Vgl. etwa Staudinger/Olzen, BGB, 2005, Einl zu §§ 241 ff Rn. 235 – 250; zu dem zu Grunde liegenden Schulenstreit, Staudinger/Weber, BGB, 10/11. Aufl. 1967, Einl. § 241 Rn. 33, 111.

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punkt im Begriff der Freiheit611. Das von Savigny entwickelte Privatrechtskonzept unterschied zwischen natürlicher und rechtlicher Freiheit. Savigny sah in der Obligation eine Erweiterung der Freiheit über ihre „natürliche Gränze hinaus, als Herrschaft über eine fremde Person“612. Die rechtliche Freiheit bedeute eine Beschränkung der „natürlichen Freiheit“ des Schuldners, die nicht weiter anerkannt und geschützt werden dürfe, als es „… das wahre Bedürfnis des Verkehrs erfordert, …“ 613 Die rechtliche Freiheit erscheint als ein Herrschaftsinstrument. Die an den Lehren Kants orientierte Interpretation der obligatio führte v. Savigny614 zur Annahme einer Willensherrschaft des Gläubigers über eine bestimmte Handlung des Schuldners615. Dogmatische Einwände gegen diese Vorstellung der Obligation als Herrschaftsverhältnis erhob erstmals Alois Brinz in seiner 1853 erschienenen Rezension von Savignys Obligationenrecht und fragte provokativ: „Wie nun aber mag über eine Handlung geherrscht werden?“616. Auch die Vorstellung von einer Zwangsmacht des Gläubigers, den Schuldner durch Klage zu einer Handlung zu bewegen, hält Brinz für nicht entscheidend617: „Die Obligation ist nicht selbst Macht, aber ein Recht auf Macht; … alles Recht ist nicht selbst Macht, aber in seinem Zweck liegt es, verwirklicht zu werden; diese Verwirklichung ist eine Sache des pysischen Könnens; ob es zur Machtanwendung kommt ist quaestio facti … die Existenz des Rechts ist von der Macht unabhängig.“

611 Hofer, Freiheit ohne Grenzen? Privatrechtstheoretische Diskussionen im 19. Jahrhundert, 2001, S. 205 ff. 612 v. Savigny, Das Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts, 1. Bd, 1951, S. 5. 613 Ebenda, S. 7 f. 614 Der unausgesprochene Bezug Savignys zur Freiheitsethik Kants drängt sich bei dem Gedanken der Willensherrschaft auf und wird allgemein angenommen, vgl. Diestelkamp, oben Fn. 609, S. 30; Coing, Zur Geschichte des Begriffs ‚Subjektives Recht‘, in: Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 1962, 46 ff.; Kiefner, Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, in: Blühdorn (Hg.), Philosophie und Rechtswissenschaft – zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrhundert, 1969, S. 4 ff. 615 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 339; v. Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851, Bd. 1, S. 4: „Obligation ist die Herrschaft über die Handlung einer fremden Person. Die Leistung des Schuldners löst diese Herrschaft. Die Klage ist Ausdruck der Herrschaftsmacht des Gläubigers: die dem Gläubiger zur Seite stehende Exekutivgewalt der Gerichte.“ und ebd. S. 7: „dass dem individuellen willen ein Gebiet angewiesen ist, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen hat.“ Im Anschluss daran hat Windscheid das subjektive Recht als Willensherrschaft verstanden, Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 7. Aufl. 1891, § 37, 2, S. 88. 616 Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. KritBl, 1853, Nr. 3, S.3. 617 Brinz, (vorherige Fn.), S.8.

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Der Naturalobligation fehlte eben jenes Zwangsmoment und sie wurde doch allenthalben und insbesondere auch von Savigny als Obligation anerkannt. Die Naturalobligation war damit der Beleg für die These, dass nicht Herrschaft, Macht und Zwang die Vorstellung der Obligation prägen mussten, sondern die Innehabung eines Rechts. Ohne Zweifel sei die obligatio naturalis obligatio618. Wie Brinz später präzisierte, komme der Zwang der Obligation nicht in einem äußerlichen Verhältnis zum Ausdruck619: „… – nach meiner Auffassung kommt sie von innen, aus dem Begriff der Obligation, der keine bloße Verpflichtung, sondern Haftung ist, …“

Brinz griff hier Windscheids Gedanken der Trennung von materiellem Rechtsanspruch und Klage vor620. Die Forderung bleibt bei ihm aber noch actio: „Als Forderung stellt sich die obligatio auf die Seite des Gläubigers. Dass es aber ein bloßes ‚Anfordern‘ bedeuten solle, können wir unserer Sprache nicht zumuthen; … Im Zweikampf lebt das ‚Fordern‘ als ein streitiger Act noch fort.“621

Brinz verlegt sich auf die passive Seite der Obligation. Pflicht, Verbindlichkeit und Schuld sollen das „Wesen der obligatio“ besser zum Ausdruck bringen622. Bindung, die Zwang erlaubt, entsteht erst, wenn der Schuldner seine Schuld nicht gehörig erfüllt, also das vinculum iuris nicht voraussetzungsgemäß löse. Die obligatio konnte danach nur ein bedingtes Herrschaftsrecht sein. Die Lehre von Schuld und Haftung nimmt mit dieser Kritik an v. Savignys Obligationenbegriff ihren Ausgangspunkt. Ebenso wie Brinz betrachtet Ernst Immanuel Bekker die Obligation vom Schuldner aus und beschreibt sie knapp 20 Jahre später als „Zustand des Gebundenseins“623. Brinz greift diesen Gedanken in der Publikation „Zum Begriff der obligatio“ im Jahre 1874 auf 624. Die Obligation sei nicht Forderung oder Schuld, sondern Gebundenheit, Haftung des Schuldners625. Die Obligation beschreibt danach den recht618

Brinz, (oben Fn. 616), S.8. Brinz, Obligation und Haftung, AcP 170 (1886) 371, 377. 620 Ohne dass Windscheid in seinem 3 Jahre später erschienenen epochalen Werk auf Brinz Bezug genommen hätte; auch zu der späteren praktischen Nichtbeachtung von Brinz durch Windscheid, Diestelkamp, oben Fn. 609, 1982, S. 21, 24 u. 31 Fn. 66. 621 Brinz, Rezension von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts. KritBl, 1853, Nr. 3, S. 10. 622 Brinz, (vorherige Fn.), S. 9 f. 623 Bekker, Die Actionen des Römischen Privatrechts, Bd. 1, 1871, S. 2. 624 Distelkamp stuft diesen Beitrag als das Geburtsjahr der Lehre von Schuld und Haftung ein. Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21, 24. Wegen der einseitigen Betonung des Haftungsverhältnisses ließe sich bei der Brinz’schen Haftungslehre eher von Haftung und Schuld sprechen. Die zentrale Stellung der Schuld, neben die die Haftung tritt, ist erst Karl v. Amira zuzuschreiben, Ebd., S. 25 und nachfolgend im Text. 625 Brinz, Der Begriff der obligatio, GrünhZ 1, 1874, S. 11 ff.; ders., Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2/1, 2. Aufl. 1879, S. 4. 619

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lichen Zustand, in dem sich der Schuldner gefesselt vorfindet. Auch darin liegt ein Macht- und Herrschaftsverhältnis. Die Macht folgt aber aus dem Zustand des Gebundenseins, der den Zugriff ermöglicht. Das Zwangsmoment ist ganz auf das Haftungsverhältnis verlagert626. Brinz fragte nicht mehr, worauf die Obligation gerichtet sei, sondern worin sie bestehe627. Die obligatio wird hier zu einem deskriptiven Begriff. Als Haftungsverhältnis ist sie Rechtstatsache628. Die Leistungs- und Einstandspflicht des Schuldners besitzt nur noch die tatbestandliche Funktion, das Haftungsverhältnis zu aktualisieren, also den Zugriff zu eröffnen oder ihn zu versagen. Die Schuld verliert dadurch ihre grundlegende Bedeutung für die Begriffsbildung629 und wird durch andere Begriffe, wie etwa den des Haftungsgeschäfts 630, ersetzt. In Abkehr vom pandektistischen Obligationenbegriff (Forderung und Schuld) entwickelte Brinz ein System der Haftungen (Gebundenheiten), innerhalb derer er nach Sachund Personalhaftung unterschied631. Eigenständige Bedeutung behielt der Schuldbegriff nur für die Fälle der Naturalobligation. Als Schuld ohne Haftung nahm sie eine Sonderstellung ein. Mit ihr ließ sich dreierlei zeigen. Erstens, dass die Schuld aus sich heraus keine Herrschaftsmacht des Gläubigers gewährt. Zweitens, dass die Schuld gegenüber der Haftungsmacht und dem Zwang getrennt zu betrachten ist und schließlich, dass die haftungslose Schuld als Ausnahme die Regel der Haftungsverhältnisse belegen konnte 632. Die Na626 Der Zwang, der von der Haftung ausgeht, ist für Brinz nicht identisch mit den Zwangsmaßnahmen des Gläubigers und dem staatlichen Zwangs- und Vollstreckungsrecht. Haftung sei nicht selbst Gewalt, ja es sei für sie nicht einmal charakteristisch, dass sie mit Gewalt zum Ziele komme. Die Gewalt komme „von innen, aus dem Begriffe der Obligation, die keine bloße Verpflichtung, sondern Haftung ist“, Brinz, Obligation und Haftung, AcP 170 (1886) 371, 377 und passim. Dagegen für eine separate Zurverfügungstellung von Zwangsmitteln durch den Staat, Rümelin, Obligation und Haftung, AcP 68 (1885) 151, 152 ff. 627 Brinz, Der Begriff der obligatio, GrünhZ 1 (1874) S. 11, 13. 628 Diese Vorstellung ist romanistisch geprägt und Ausdruck der bis heute in verschiedenen Zusammenhängen beibehaltenen aktionenrechtlichen Betrachtung des Rechts. Dahinter steht die Frage, ob eine normative oder eine streitbezogene prozessuale Deutung bestimmter Rechtspositionen ratsam ist. Unklar ist bis heute das Verständnis der bürgerlich-rechtlichen Einrede geblieben, was bei der Verjährung zu erheblichen dogmatischen Ungereimtheiten führt, vgl. H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Recht, 1988, S. 51, 302 (Gestaltungsbeklagtenrecht mit materiell-prozessrechtlichem Zwittercharakter). 629 Diestelkamp, oben Fn. 624, S. 21, 33. 630 Das Haftungsgeschäft tritt im germanischen und im römischen Recht neben die Schuldbegründung, vgl. Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 IV, S. 23; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 32 Rn. 10; krit. zur Ursprünglichkeit des Selbsthilfeprinzips durch Haftungsvertrag Behrends, Das Vindikationsmodell als „grundrechtliches“ System der ältesten römischen Siedlungsorganisation. Zugleich ein Beitrag zu den ältesten Grundlagen des römischen Personen-, Sachen- und Obligationenrechts. In: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Symposion Franz Wieacker, 1991, S. 1, 43. 631 Auch das Pfandrecht als eine Sachhaftung gehörte nach Brinz daher in das System der Haftungen, Diestelkamp, oben Fn. 624, S. 21, 23. 632 Brinz, Obligation und Haftung, AcP 170 (1886) 371, 380 ff.

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turalobligation diente als Probierstein für diese theoretischen Überlegungen zum Bau der Obligation633. Die Pandektisitik stand der Brinz’schen Haftungslehre skeptisch bis ablehnend gegenüber634. Der Germanist Karl von Amira griff sie unter der Klassifizierung „Schuld und Haftung“ auf. Er sah in der Obligation zwar wieder primär die Schuld. Die Haftung trat aber als eigenständiges und schuldverstärkendes Element hinzu635. Die Frage, ob der BGB-Gesetzgeber die Trennung von Schuld und Haftung vollzogen hatte, war im Anschluss an die dahingehende These des Romanisten Hermann Isay636 im sogenannten Schulenstreit kontrovers beurteilt, im Ergebnis aber überwiegend abgelehnt worden637. Die herrschende Meinung638 hielt den Obligationenbegriff der gemeinrechtlichen Lehre und damit das subjektive Recht für die Grundlage des Schuldverhältnisses639. Das Schuldrecht war als ein System von Forderungen und Verbindlichkeiten konzipiert, nicht als ein solches von Haftungen. Gegenstand der Leistungspflicht sei eine bestimmte Handlung des Schuldners

633 Hartmann, Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau, 1875, S. 37 ff.; Ernst v. Schwind, Wesen und Inhalt des Pfandrechts. Eine rechtsgeschichtliche und dogmatische Studie, 1899, S. 5. Auf Hartmann und v. Schwind geht die partielle Annahme einer Realschuld, d.h. die Haftung mit einer individuell bestimmten Sache, zurück (Grundschuld und Bodmereivertrag), vgl. Vgl. Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21, 44. 634 Etwa Rümelin, Obligation und Haftung, AcP 68 (1885) 151; weitere Nachweise bei Diestelkamp, oben Fn. 624, S. 21, 24 f. 635 von Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Bd. 1: Altschwedisches Obligationenrecht, 1882, S. 22 ff. unter Bezugnahme auf Brinz, ebd. S. 40 Anm. 3 und passim. Das altgermanische Treuegelöbnis konnte die Haftungsfolgen als eigenständige Elemente zur Verstärkung der Schuld umfassen, vgl. Puntschart, Schuldvertrag und Treuegelöbnis des sächsischen Rechts im Mittelalter; ein Beitrag zur Grundauffassung der altdeutschen Obligation, 1896; von Gierke, Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, insbesondere die Form der Schuld- und Haftungsverhältnisse, 1910, 1, 3 f. 636 Isay, Schuldverhältnis und Haftungsverhältnis im jetzigen Recht, JherJhrb 48 (1904) 187, 189; v. Schwerin, Schuld und Haftung im geltenden Recht, 1911, S. 4 ff. 637 Zum sog. Schulenstreit zwischen Germanistik und Romanistik Staudinger/Weber, BGB, 10/11. Aufl. 1967, Einl. § 241 Rn. 33, 111. 638 Heinrich Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung nach Reichsrecht, JherJhrb 50 (1906) 55 – 85 und nachfolgend nur für einzelne Institute anerkannt, Julius Binder, Zur Lehre von Schuld und Haftung, JherJhrb 77 (1926) 75 – 187; näher Diestelkamp, Die Lehre von Schuld und Haftung, in: Coing (Hg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, 1982, S. 21, 27.; Gustav v. Mandry, Rez. A. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2/1, 1871, Kritische VjSchr. 14 (1872) 374, 387, sah zumindest die betagte Obligation für einen Fall der Schuld ohne Haftung an. Mandry war Nachfolger v. Kübels in den Kommissionen der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Planck, Gustav von Mandry (Nachruf) in: DJZ 1902, S. 287. 639 Paul Puntschart, Der Grundschuldbegriff des deutschen Reichsrechtes in Gesetz und Literatur, Eine kritische Studie, FS der Universität Graz 1900, S. 11 „Die obligationenrechtlichen Grundbegriffe des BGB sind die der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre“. Ebd.

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(§§ 241 BGB ff.), nicht aber, „etwas“ aus dem Vermögen des Schuldners zu erhalten640. Die Lehre von Schuld und Haftung ging auch nicht in die Gesetzgebung ein. Der Begriff des Schuldverhältnisses, der an die Stelle des Obligationenbegriffes getreten war, wurde als wissenschaftliche Streitfrage nicht näher bestimmt641. Die Lehre fand Eingang in privatrechtliche Nebengebiete wie das Seerecht 642, in die Dogmatik der Eigentümerhypothek (Eigentümergrundschuld 643) sowie in das Gesellschaftsrecht 644. Den Gedanken reiner Haftungsverhältnisse griff noch einmal Julius Binder auf. Überall wo von Rechtspflichten die Rede sei, handele es sich in Wirklichkeit nur um Haftungen mit Leib, Leben, Vermögen, Freiheit und Ehre645. Pflicht ist für Binder das Bewusstsein, einer Norm gehorchen zu sollen, und deshalb ein mentales Phänomen646. Für die rechtliche Anerkennung der Naturalobligation bliebe danach kein Raum647. Die Lehre von 640 Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 24; bereits Hartmann, Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau, 1875, S. 117 hatte das Leistensollen als das wesentliche Moment der Obligation angesehen. 641 Motive Bd. II, 1888, S. 2; Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 43: „Der Entwurf enthält sich einer Begriffsbestimmung des Schuldverhältnisses … Eine solche aufzustellen ist nicht Sache des Gesetzes, bleibt vielmehr der Wissenschaft vorbehalten. Es wäre höchstgefährlich, durch einen gesetzlichen Ausspruch, dem über den Begriff und das Wesen des Schuldverhältnisses in der Wissenschaft bestehenden Streite vorzugreifen“. 642 Für die Bodmereischuld haften gem. Art. 680, 697 AHGB nur Schiff und Ladung (selbständige Sachhaftung). Entsprechend die Entscheidung RG v. 21.3.1892, RGZ 32, 4 in der das Schiffsvermögen als Sondergut (peculium) eines Reeders angesehen wurde, „…das als solches in selbständigen rechtlichen Beziehungen stehen kann.“ 643 Die Grundschuld wurde im Anschluss an Ernst v. Schwind als selbständige Sachhaftung verstanden, v. Schwind, Wesen und Inhalt des Pfandrechts. Eine rechtsgeschichtliche und dogmatische Studie, 1899. 644 Die Verselbständigung der Haftung von Inhalt und Umfang der Verbindlichkeit bei den Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH, AktG, Kommanditgesellschaft u.a.), Isay, Schuldverhältnis und Haftungsverhältnis im jetzigen Recht, JherJhrb 48 (1904) 187, 197; v. Schwerin, Schuld und Haftung im geltenden Recht, 1911, S. 10 f.; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2002, S. 11 f. und passim. 645 Julius Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, 1912, S. 45: Die Pflicht ist kein juristischer Begriff. Pflichten gibt es nur in der Ethik. Abzulehnen ist auch die zivilrechtliche Pflicht. Das sittliche Bewußtsein verlangt die Unterwerfung unter das Recht, das selbst sittlich indifferent ist. Ebd. S. 48; ders., Zur Lehre von Schuld und Haftung, JherJhrb 77 (1926) 75; ders., JherJhrb 78 (1927/28) 163, 164. 646 Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 189; Hans-Ludwig Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 118, weist darauf hin, dass Binder als erster deutlich erkannt habe, dass man den Pflichtbegriff aus dem Recht eliminieren muss, wenn man es auf den Zwang gründet. Daraus folgt umgekehrt, dass die Pflicht als Rechtspflicht erhalten bleiben und die Naturalobligation als Rechtsfigur anerkannt werden kann, wenn das Recht nicht auf den Zwang gründet. Staatlicher Zwang allein vermag den Menschen als Person nicht zu verpflichten, dazu näher unten C. III. 3, S. 405 ff. 647 Binder hat diesen Schluss allerdings nicht gezogen. Er erwähnt vielmehr die Natural-

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Schuld und Haftung wird heute als Bestandteil der Schuldrechtsdogmatik in der Weise anerkannt, dass diese Ordnungsbegriffe eine analytische Darstellung des Schuldverhältnisses ermöglichen648. Die Haftungsfrage fokussiert das materielle Zugriffsrecht des Gläubigers auf das Vermögen des Schuldners. Typisch sind individuelle Haftungsfreizeichnungen, gesetzliche Haftungshöchstgrenzen und institutionelle Haftungsbeschränkungen durch Rechtsformenwahl des Gesellschaftsrechts. Die Naturalobligation stimmt mit den Prämissen der Lehre von Schuld und Haftung insofern überein, als das Pflichtverhältnis (die Schuld) von den Zwangsbefugnissen gelöst betrachtet wird. Für die Lehre der Naturalobligation ist es jedoch ganz gleichgültig, ob die Zwangsbefugnisse in ein eigenständiges Haftungsverhältnis integriert werden, welches mehr oder minder unabhängig von der Schuld gestaltet sein kann und welches angibt, auf welche Vermögensgegenstände der Gläubiger zugreifen kann. Ebenso ist die Ausformung des Haftungsverhältnisses als Sach- und / oder Personalhaftung für die Erfassung der Naturalobligation ohne Bedeutung. Die Frage, ob die Einforderungsbefugnis des Gläubigers ein analytisches Merkmal der Schuld oder bereits Ausdruck einer primären Personalhaftung ist, lässt sich damit nicht beantworten. Es ist daher zwar richtig, die Naturalobligation als eine Schuld ohne Haftung649 einzuordnen, gleichzeitig ergeben sich daraus aber auch keine weitergehenden Erkenntnisse für das Verständnis der Naturalobligation.

obligation als eine haftungslose Schuld, Zur Lehre von Schuld und Haftung, JherJhrb 77 (1926) 75, 79. 648 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 IV, S. 21 – 24; AnwK-BGB, Krebs, 2005, § 241 Rn. 16; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 49; Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, Einl zu §§ 241 ff Rn. 244 ff.; weitergehend Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 55 (für die verjährte Forderung nach Einredeerhebung); so bereits Otto Schreiber, Schuld und Haftung als Begriffe der privatrechtlichen Dogmatik, 1914, S. 53, der aber 1928 bereits bekannte, dass „heute die Lehre von Schuld und Haftung in der großen Mehrzahl der juristischen Werke als überwunden behandelt und nicht weiter beachtet wird.“ in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 5, 1928, Stichwort: Haftung, S. 97. 649 Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts Bd. II, Schuldrecht, 11. Aufl. Wien 2000, S. 10 f.; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, § 4 V. 2, S. 85; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 49; Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, Einl zu §§ 241 ff Rn. 244.

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5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB Für eine Integration bestimmter Personengruppen, wie Sklaven oder Leibeigene, in den Geschäftsverkehr bestand seit der Aufklärung kein Anlass mehr650. Der pragmatische Zweck einer Verrechtlichung von „an sich“ rechtsfernen Personen oder Verhältnissen blieb ohne Verwendung. In Betracht kamen noch Sonderfälle, die in den Protokollen zum BGB nach drei Fallgruppen unterschieden werden651. Erstens könne im Gesetzbuch „eine Obligation, welche nach allgemeinen Grundsätzen begründet sein würde, durch eine positive Bestimmung nur in unvollkommener Weise reprobirt [verworfen652]“ werden. Hierzu zählten etwa Spiel und Wette entsprechend der Regelung in § 577 PrALR I, 11. Zweitens könne „eine Sittlichkeitspflicht in unvollkommener Weise als Rechtspflicht anerkannt„ werden. Hierfür kamen das Verlöbnis 653 wie auch die sittlichen Pflichten in Anlehnung an § 178 PrALR I, 16 (die bloß moralische Verbindlichkeit) 654 in Betracht. Drittens könne „an eine Thatsache die nicht vollkommene Aufhebung einer Obligation geknüpft werden“, wie dies insbesondere für die verjährte Forderung diskutiert wurde. Das Adverb unvollkommen kennzeichnet das gesetzgeberische Handeln. Eine Obligation unvollkommen zu verwerfen, unvollkommen anzuerkennen oder unvollkommen aufzuheben ist eine gesetzgeberische Gestaltung. Ihr Gegenstand ist die Obligation (Forderung), die auf diese Weise selbst unvollkommen wird. Dem Begriff unvollkommene Verbindlichkeit kommt damit keine inhaltliche Aussage mehr zu. Er ist nicht Ausdruck von Sittlichkeit, Unbestimmtheit und fehlender Durchsetzbarkeit. Das Attribut unvollkommen könnte ohne Bedeutungsverlust durch unvollständig ersetzt werden. Dieser positivistische Ansatz ist kennzeichnend für das Verständnis des BGB-Gesetzgebers. Durch die überwiegende Ablehnung von Savignys Theorie aus den römischen Rechtsquellen war ein positivistisches Begriffsbild entstanden. Es geht um die unvollkommene Aberkennung, Zuerkennung oder Aufhebung des Obligationsstatus. Die Obli650 H.-J. Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, n: Zimmermann, u.a. (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. 1999, S. 159, 163 sieht in der Abschaffung der Sklaverei eine Errungenschaft spätmittelalterlicher Kanonistik. Zur Pönalisierung der Sklaverei in der Aufklärung Klippel, Persönliche Freiheit und Vertrag im deutschen Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Kervégan/Mohnhaupt (Hg.), Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung in Rechtsgeschichte und Philosophie. 1999, S. 121, 131. 651 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 41. 652 Einfügung GS, vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, P – STD, 1983, Stichwort: reprobieren, veraltetes Rechtswort: etwas verwerfen, zurückweisen. 653 Das Versprechen künftiger Heirat war nach §§ 75, 82 ALR II, 1 klagbar. 654 Zu den entsprechenden Vorschriften im PrALR siehe oben B. I. 3. e) aa), S. 135.

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gation bleibt im Kern bestehen. Das ist eine moderne rechtstechnische Sichtweise, die bis heute vorherrscht, die aber durch die sprachliche Nähe zur naturrechtlichen Unvollkommenheit missverständlich bleibt 655.

a) Gesetzgebungsverfahren und Beratung des BGB Die Materialien geben zu der Grundlagenfrage, ob die Naturalobligation im Entwurf anerkannt werde, keine ganz eindeutige Antwort. Sie deuten aber auf eine Anerkennung als dogmatische Rechtsfigur hin oder lassen dies zumindest offen656. aa) Anerkennung in Einzelfällen, aber „Begriff vermeiden“ Im Jahre 1879 hatte Franz Philipp von Kübel (1819–1884) in einem Schreiben an den Vorsitzenden der 1. Kommission Eduard von Pape (1816–1888) eine vorläufige Gliederung des Schuldrechts mitgeteilt. In dem Allgemeinen Theil im 1. Abschnitt führte v. Kübel die ‚Naturalobligation‘ unmittelbar im Anschluss an die Eingangsvorschrift „Vom Wesen der Obligation“ auf657. Der später beschlossene „vorläufige Entwurf der allgemeinen Bestimmungen des Rechts der Schuldverhältnisse“ enthielt dagegen keine allgemeine Bestimmung über die Naturalobligation mehr658. Gleiches gilt für den von v. Kübel schließlich vorgelegten Teilentwurf des Schuldrechts im Jahr 1882. Die 1. Kommission hatte am 24.2.1882 beschlossen, keine Vorschriften „in Ansehung der sogenannten Naturalobligation“ aufzunehmen. Es sollte „bei den Vorbeschlüssen vom 3.10.1877 sein Bewenden behalten“659. (1) Vorbeschlüsse vom 3.10.1877 Diese Vorbeschlüsse sind in der späteren Rezeption nicht beachtet worden. Möglicherweise waren sie nicht öffentlich bekannt und zugänglich. Sie werfen das Schlaglicht auf die Gesetzgebungsgeschichte. Danach wurde eine positive Grundentscheidung über die Anerkennung der obligatio naturalis getroffen,

655

Das ist ein Grund, weshalb ich den synonymen Begriff Naturalobligation vorziehe, siehe unten C. II. 2., S. 267 ff. 656 Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 133 f. hält die Materialien (ebenfalls) für sehr aussagekräftig und stützt hierauf seine Anerkennung von Naturalobligation und unvollkommener Verbindlichkeit. 657 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 21. 658 Beschluss vom 29.12.1880, vgl. Jakobs/Schubert, (vorherige Fn.), ebenda. 659 Jakobs/Schubert, (oben Fn. 657), S. 41.

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aber gleichzeitig auch entschieden, den Ausdruck natürliche Obligation zu vermeiden. Die Anerkennung folgt zunächst daraus, dass ein der Vorkommission unterbreiteter Vorschlag, die Verbindlichkeiten nicht anzuerkennen660, mit folgender Begründung zurückgewiesen wurde: „Der Gesetzgeber kann sich unmöglich des Rechts begeben, einer Obligation nur die Klagbarkeit zu entziehen oder vorzuenthalten, ihr aber die übrigen Wirkungen oder Eigenschaften einer Obligation ganz oder zum Theil zu belassen, oder beizulegen.“

Die Anerkennung einer sittlichen Pflicht als unvollkommene Obligation im Gesetzbuch wurde ausdrücklich verworfen661: „Das Gesetzbuch darf den Grundsatz nicht anerkennen, daß aus der Ethik, dem Naturrechte oder dem allgemeinen Rechtsbewusstsein eine unvollkommene Obligation der bezeichneten Art herzuleiten ist.“

Die partiell positive Grundentscheidung wurde durch eine Sprachregelung ergänzt. Diese lässt die dahinter stehende und hier interessierende Sachentscheidung offen. Mit Mehrheitsbeschluss (6 gegen 5 Stimmen) erledigte die Vorkommission den Vorschlag auf Nichtanerkennung dahin662: „… wenn das Gesetzbuch von einer Obligation oder einem Schuldverhältniß redet, [soll] darunter nur die klagbare Obligation oder ein solches Schuldverhältniß verstanden werden, bei welchem die Erfüllung der Verbindlichkeit erzwingbar ist, und der Fall [soll] von der gedachten Bezeichnung nicht betroffen werden, in welchem das Gesetz der Obligation zwar die Klagbarkeit entzieht oder vorenthält, gleichwohl ihr die übrigen Wirkungen und Eigenschaften der Obligation ganz oder zum Theil belässt oder beilegt und für Fälle solcher Art [soll] der Ausdruck „natürliche (uneigentliche, unvollkommene) Verbindlichkeit oder Obligation vermieden werden.“

Die Sprachregelung belegt die prinzipielle dogmatische Anerkennung der Rechtsfigur. Bei Verwendung der Worte Obligation bzw. Schuldverhältnis soll nur die klagbare und erzwingbare Verbindlichkeit gemeint sein und in den gesetzlich geregelten Fällen soll der Ausdruck vermieden werden. Diese Beschlusslage spiegelt eine ausgeprägte Begriffsjurisprudenz wider. Im Streben nach begrifflicher Klarheit versucht sie die bestehenden Unsicherheiten zu überspielen. In den Vorbeschlüssen wird man auch einen fehlenden Konsens in der Frage sehen müssen, ob eine nicht klagbare und nicht erzwingbare Obligation rechtskonstruktiv als Obligation anzusehen ist. Der fehlende

660 „Verbindlichkeiten, deren Erfüllung nicht mit gerichtlicher Klage erzwungen werden kann (uneigentliche, natürliche Verbindlichkeiten, obligationes tantum naturales), sind in dem Civilgesetzbuche nicht anzuerkennen“. Abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 45. 661 Jakobs/Schubert, (vorherige Fn.), S. 45. Zu späteren Änderung dieser Einschätzung und Aufnahme des § 814 Hs. 2 BGB siehe unten S. 168. 662 Jakobs/Schubert, (oben Fn. 660), Bd. I, S. 46 (Hervorhebung GS).

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Konsens wird durch die Sprachregelung überdeckt 663. Das knappe Abstimmungsergebnis deutet ferner an, dass, wie es abschließend heißt, die Richtigkeit der einzelnen Ausführungen in der gedruckten Motivierung des Vorschlages auf Nichtanerkennung „dahingestellt bleiben könne und müsse“. (2) Beschluss vom 24.2.1882 (1. Kommission) Die 1. Kommission war dem Vorbeschluss gefolgt und hatte am 24.2.1882 festgelegt, keine Regeln über die Naturalobligationen 664 aufzunehmen. Sie fügte hinzu665: „In allen diesen Fällen, mit welchen übrigens wegen ihrer Irregulariät thunlichst Maß zu halten ist, muß aus dem Gesetz selbst deutlich erhellen, welche Wirkungen einer Obligation im Einzelfalle vorhanden seien, indem die einzelnen Fälle in dieser entscheidenden Beziehung eine verschiedene Beurtheilung zulassen und erfordern, so daß allgemeine Regeln sich verbieten.“

Statt allgemeine Regeln aufzustellen, sollten die jeweiligen Obligationswirkungen in den fraglichen Fällen gesondert geregelt werden. Die Motive zum ersten Entwurf halten fest:666 „Nur in wenigen Fällen erkennt der Entwurf das Bestehen einer unvollkommenen Obligation an, indem durch positive Bestimmung einer Obligation, welche nach allgemeinen Grundsätzen begründet sein würde, nur in unvollkommener Weise reprobirt ist (Spielund Wettvertrag, §§ 664, 665), eine Sittlichkeitspflicht nur in unvollkommener Weise als Rechtspflicht anerkannt (§ 1500)1 [= Ausstattung des ehelichen Kindes]. An die Verjährung die nicht vollkommene Aufhebung des Schuldverhältnisses geknüpft ist (§ 182 Abs. 2). Der Entwurf stellt hiernach keine allgemeine Regel über unvollkommene Obligationen auf und vermeidet auch den Ausdruck unvollkommene oder natürliche Obligation. Insbesondere ist der Grundsatz, dass aus der Ethik, dem Naturrechte oder dem allgemeinen Rechtsbewusstsein eine unvollkommene Obligation (mit soluti retentio) herzuleiten ist, nicht anerkannt.“

Diese Textstelle zeigt, dass zwischen einer unvollkommenen und einer natürlichen Obligation sachlich nicht unterschieden wurde. Ferner, dass der sittlichen Pflicht kein eigener Rechtsstatus zugewiesen, sondern diese ebenso als unvollkommene Obligation angesehen wurde. Schließlich bezeichnet die 663

Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 149 geht ebenso davon aus, dass die Festlegung auf die „klagbare Obligation“ nur für die Sprache des BGB von Belang sei. Für die Struktur „des“ Schuldverhältnisses seien solche terminologischen Festlegungen völlig irrelevant. 664 So sei die Frage, ob eine Naturalobligation zur Aufrechnung verwendet werden könne ohne Bedeutung, weil der Entwurf keine Naturalobligationen kenne, Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 58. 665 Jakobs/Schubert, ebd., Schuldverhältnisse Bd. I, S. 41. 666 Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 3 f. Einfügung in [ ] durch Verf.

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Nennung von Spiel, Wette, Verlöbnis und Verjährung die ausnahmsweise anerkannten Einzelfälle. Otto v. Gierke bringt diese Ambivalenz im 1. Entwurf zum BGB zum Ausdruck667: „Dem ganzen Gedankensystem des Entwurfs entspreche es, dass es den Begriff einer natürlichen Verbindlichkeit grundsätzlich verwirft. Doch sieht er sich gleichwohl gezwungen, tatsächlich eine Anzahl von Naturalobligationen anzuerkennen“.

bb) Aufnahme einer allgemeinen Regel zur sittlichen Pflicht in das Bereicherungsrecht Zahlreiche Stimmen in der späten Pandektistik hatten den natürlichen Verbindlichkeiten den Rechtscharakter rundweg abgesprochen668. Die Aufnahme der „sittlichen Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“ in das Bereicherungsrecht (§ 814 Hs. 2 BGB) zeigt die gegenläufige Entscheidung des BGB-Gesetzgebers. (1) Beschluss vom 18.12.1882 (1. Kommission) In der Sitzung vom 18.12.1882 wurde die bereicherungsrechtliche Grundnorm des 1. Entwurfs § 737 E I669 unter dem Titel ‚Leistung einer Nichtschuld‘ beraten. Unter § 737 Abs. 4 E I670 wurde eine § 814 Hs. 1 BGB entsprechende Regelung erörtert: „Hatte der Leistende zur Zeit der Leistung Kenntniß davon, dass die Verbindlichkeit nicht bestand, so ist die Rückforderung ausgeschlossen.“

Zur Sprache kam, ob auch die Rückforderung einer Leistung ausgeschlossen werden sollte, wenn durch sie einer Sittlichkeitspflicht genügt werde. Die Kommission verneinte dies; sie wollte die Rückforderung zulassen. Es liege „kein Bedürfniß vor, die … Frage im Gesetze zu entscheiden“ 671. Die 1. Kommission sah keine Notwendigkeit, eine allgemeine Regelung betreffend Sittlichkeitspflichten aufzunehmen. Die schmale Begründung legt die Annahme nahe, dass die Kommission die Rückforderbarkeit für selbstverständlich hielt und sich damit gegen die Naturalobligation entschied672. Allerdings diskutierte sie den Fall 667

Otto von Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, 1889, S. 203. Vgl. den Überblick über den Meinungsstand bei Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 1, 5. Aufl. 1928, Vorbem. 4 b zu a zu § 241. 669 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 758 (§ 737 E I) = §§ 1 und 2 Teilentwurf – Obligationenrecht, S. 761 (§ 1 TE), S. 765 (§ 2 TE). Sachlich entspricht die Norm dem heutigen § 812 BGB. 670 Wortgleich § 1 S. 2 Teilentwurf des Obligationenrechts. 671 Jakobs/Schubert, oben Fn. 669, III, S. 766. 672 Eine Ablehnung der Naturalobligation an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt stützt die Erläuterung in Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 833 Fn. 1: „Anders preuß. ALR 668

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gesondert, bei dem es zweifelhaft sei, ob das Gesetz eine besondere Bestimmung aufzunehmen habe, die die Rückforderung ausschließt. Es sei streitig geworden, ob der Gemeinschuldner, der nach Beendigung des Konkurses durch Akkord mehr gezahlt habe, als er nach dem Akkorde zu zahlen hatte, zur condictio indebiti berechtigt sei. Eine entsprechende Bestimmung673, die „an und für sich nicht unstatthaft“ sei, lehnte die Kommission aber ab 674: „Allein die Bestimmung könne sich nicht empfehlen. Mit der Anerkennung solcher unvollkommenen Rechtspflichten sei Maß zu halten, damit sichtbare Irregularitäten möglichst vermieden würden. … In den meisten Fällen werde die condictio indebiti schon aus dem Grunde nicht statthaft sein, weil der Schuldner in Kenntniß seiner Nichtverpflichtung gezahlt habe. Treffe dieser Grund nicht zu, so liege kein Anlaß vor, von der Regel abzuweichen, dass eine Verbindlichkeit, welche das Gesetz nicht anerkenne, in keiner Beziehung als Rechtspflicht gelte. Nach dem Gesetzbuche würde die condictio indebiti in dem beregten Falle für zulässig zu erachten sein. Sollte aus Gründen des Konkursrechts, was übrigens in keiner Weise erhelle, etwas Anderes gelten, so möge bei der Revision der Konkursordnung das Nöthige vorgesehen werden“

Die Begründung dieser Ablehnung zeigt noch einmal das Verständnis der 1. Kommission. Einzelfälle konnten prinzipiell anerkannt werden, weswegen die Regelung „an und für sich nicht unstatthaft“ war, aber es bestehe kein Bedürfnis für eine gesetzliche Regel. (2) Beschluss vom 21.9.1892 (Vorkommission des Reichsjustizamts) Knapp 10 Jahre später beriet die Vorkommission des Reichsjustizamts 675 das Bereicherungsrecht. Sie beschloss § d Abs. 2 S. 2676: „Ist die Leistung zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit erfolgt, so ist die Rückforderung auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer Anstandsrücksicht entsprach.“

I, 16 §§ 178, 179; österr. G. B. § 1432; code civil Art. 1235; schweiz. Bd. Ges. Art. 72 Abs. 2; … Diese Parallelstellen sind Regelungen der obligatio naturalis. 673 Jakobs/Schubert, (oben Fn. 669), III, S. 766 f. Vorgeschlagen worden war: „Das zur Erfüllung einer durch Zwangsvergleich (im Konkurse) erloschenen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.“ 674 Jakobs/Schubert, ebd., III, S. 767. Entsprechende sondergesetzliche Regelungen finden sich heute für den gekürzten Teil der Forderung nach bestätigtem Insolvenzplan, § 254 Abs. 3 InsO (vormals Zwangsvergleich, § 8 Abs. 2 VerglO a.F.) sowie nach der Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 3 InsO. Als natürliche Verbindlichkeit anerkannt von BGH v. 11.5.1978 BGHZ 71, 309; BGH v. 9.4.1992 BGHZ 118, 70 = NJW 1992, 1834 (jeweils zum Zwangsvergleich). 675 Vgl. zu dessen Mitgliedern Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995, S. 32 ff. 676 Im Anschluss an die Grundregel (entsprechend § 812 Abs. 1 BGB), vgl. Jakobs/Schubert, ebd., III, S. 836 (Prot. des RJA S. 588).

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Begründet wurde diese § 814 Hs. 2 BGB entsprechende Regelung „unter Rücksicht auf das geltende Recht“. Damit waren die Rückforderungsausschlüsse bei unvollkommener Pflicht und bei bloß moralischer Verbindlichkeit gemäß §§ 178 und 179 PrALR I, 16 gemeint677. Ein weiterer Grund war die auf v. Savigny zurückgehende Erwägung, dass678: „…der Staat und seine Organe nicht zur Durchführung eines vom Standpunkte der Sittlichkeit oder der Gebote des Anstands verwerflichen Verhaltens ihre Hilfe gewähren dürften.“

Verwerflich ist wohlgemerkt die Rückforderung, nicht etwa die Leistung679. Diese ist sittlich geboten. Die Erfüllung sittlich gebotener Leistungspflichten wird damit rechtlich anerkannt. Nach vorstehender Erwägung in Gestalt einer Rechtsschutzversagung kraft sittlichen Rechts680. Das den Schuldner treffende Leistungsgebot ist so stark, dass es dessen Rückforderung zu einem unsittlichen Akt werden lässt. Das Rückforderungsverbot kraft Sittlichkeit tritt an die Stelle des Rechtsgrundes. Neben dieser findet sich aber auch noch eine weitere Begründung. Bei der Norm (d.i. § 814 Hs. 2 BGB) handele es sich um eine Irrtumsregelung. Der Rechtsirrtum über die Durchsetzbarkeit einer tatsächlich nicht durchsetzbaren Schuld bleibt unbeachtlich681. Die sittlichen Leistungspflichten wurden einer rechtlichen Regelung unterworfen. Die Motive sprechen von der Minderheit, die eine allgemeine Regelung ablehne. Nur bei Spiel und Wette und ähnlichen Instituten habe man die Naturalobligation in gewissen Grenzen anerkannt682. Die Mehrheit wollte stattdessen die allgemeine Regel, 677

Siehe oben B. I. 3. e) aa), S. 135 f. mit Gesetzestext. Jakobs/Schubert, ebd., III, S. 837 (Prot. des RJA S. 591). 679 Das unterscheidet § 814 Hs. 2 grundlegend von § 817 S. 2 BGB. Im Rahmen des § 817 S. 2 BGB hat der Leistende bereits mit seiner Leistung gesetzes- oder sittenwidrig gehandelt und es fehlt ein Behaltensrecht des Empfängers. Jedoch ist der Leistende selbst nicht schutzwürdig und verliert deshalb die Kondiktion. Die heutige Interpretation des § 817 S. 2 BGB lässt über den Wortlaut hinaus auch den einseitigen Verstoß des Leistenden für die Kondiktionssperre genügen, krit. MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 817 Rn. 9 und 16. 680 Die Rechtsschutzversagung hält nicht eine rechtswidrige Güterlage aus generalpräventiven Gründen aufrecht, sondern sie stützt sich auf das bessere Recht des Empfängers, siehe näher unten C. IV. 1. c) bb), S. 445 f. 681 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 761 und S. 763 (Vorschlag und Diskussion zur Änderung von § 737 E I, wonach der entschuldbare und unentschuldbare Tatsachen- oder Rechtsirrtum unbeachtlich ist). Zur lehrsatzartigen Bedeutung des § 814 Hs. 2 BGB für den sog. Klagbarkeitsirrtum, siehe unten B. II. 2. c), S. 232 f. 682 Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S.1177 („Es überschreite die Aufgabe des BGB, welches nur rechtliche Verpflichtungen regeln wolle, auf das Gebiet der Ethik hinüberzugreifen, und es sei ein Widerspruch in sich selbst, daß das BGB einer Verpflichtung, die es als eine rechtliche nicht ansehen wolle, doch wiederum in gewissem Umfange rechtliche Wirksamkeit verleihe.“). 678

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die die Rückgängigmachung einer sittlich gebotenen Leistung mit rechtlichen Mitteln ausschließen sollte. So weit müssten Recht und Moral in Einklang gebracht werden683. (3) Übernahme der 2. Kommission Der 2. Entwurf enthielt sachlich unverändert § 739 E II, der ohne weitere Beratung wie folgt beschlossen wurde684: „Die Rückforderung des zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleisteten ist ausgeschlossen, wenn der Leistende gewusst hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet war, oder wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach.“

Mit sprachlich geringfügigen Änderungen ging § 739 E II als § 814 Hs. 1 und Hs. 2 BGB in das BGB ein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorkommission des Reichsjustizamtes bezüglich der Behandlung sittlicher Leistungspflichten einen Wechsel vollzog. Gegen die Vorbeschlüsse, die eine rechtliche Anerkennung ablehnten, wurden sie aufgenommen und in der Kontinuität des PrALR fortgeführt. Offen blieb die dogmatische Einordnung sittlicher Leistungspflichten. Neben § 814 Hs. 1 BGB konnte auch § 814 Hs. 2 BGB die Leistung einer Nichtschuld meinen und nur die Rückforderung versagen685. Aber auch die Deutung des § 814 BGB als allgemeine Irrtumsregelung lag den Erwägungen zugrunde. Der Klagbarkeitsirrtum (Irrtum über die zwangsweise Durchsetzbarkeit der Schuld) setzt das Vorliegen eines objektiven Rechtsgrundes voraus. Dafür dürfte ferner sprechen, dass auf die rechtsvergleichenden Ergebnisse zum preußischen, österreichischen, schweizerischen und französischen Recht in einer Fußnote zum Ergebnis der 1. Kommission ausdrücklich Bezug genommen wird686. Die einmal anerkannte sittliche Pflicht wird aber selbst unter der Prämisse einer Nichtschuld so behandelt, „als ob“ es sich um eine nicht einseitig durchsetzbare Rechtspflicht gehandelt hat. Im Ergebnis besteht damit kein Unterschied.

683

Mugdan, (vorherige Fn.), S.1178: „Die sittliche, rechtlich nicht erzwingbare Verpflichtung bleibe bestehen, da es der Gewissenhaftigkeit und dem Anstandsgefühle des Verpflichteten überlassen bleibe, ob er eine Leistung mache wolle“. 684 Jakobs/Schubert, (oben Fn. 681), III, S. 855. 685 Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 135. 686 Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 833 Fn. 1 und hier oben S. 147 Fn. 21. Die genannten fremden Regeln anerkennen die Naturalobligation in einem objektivrechtlichen Sinne (causa) und bejahen eine von inneren Beweggründen unabhängige Rechtsverbindlichkeit, vgl. dazu unten B. II. 2. b), S. 223 ff.

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cc) Anerkennung einzelner Regeln Die Motive zum ersten Entwurf hatten die einzelnen Fälle genannt, in denen unvollkommene Obligationen ausnahmsweise anerkannt werden sollten. Die Materialien zu diesen Vorschriften belegen, dass die Gesetzesverfasser hier (unvollkommene) Obligationen und nicht etwa nur, wie diese heute verbreitet angenommen wird, Behaltens- bzw. Rechtsgründe oder Rückforderungsverbote anerkannten. (1) Verjährung Die Einführung der Anspruchsverjährung687 war mit der Frage verbunden, welche Wirkung die Verjährung auf den Anspruch haben sollte. Die sog. starke Wirkung führt zum Erlöschen von Anspruch und Forderung. Die sog. schwache Wirkung belässt eine Rechtsposition, die auch als Naturalobligation oder unvollkommene Obligation bezeichnet wurde 688. Ferner war fraglich, ob die Verjährung mit Zeitablauf kraft Gesetzes oder kraft Einredeerhebung eintreten und schließlich welche Wirkungen durch das Gesetz und welche erst durch die Einredeerhebung ausgelöst werden sollten. (a) Starke oder schwache Wirkung der Verjährung Die Vorlage von Gebhard zur Anspruchsverjährung sah vor, dass die vollendete Verjährung den Anspruch zwar vollständig, aber erst mittelbar durch Erhebung einer Einrede aufheben sollte 689. In ihrer Sitzung vom 12.10.1877 beschloss die 1. Kommission dagegen, dass690: „1. durch die vollendete Verjährung der Anspruch vollständig aufgehoben wird. 2. Der Richter darf die Verjährung nicht von Amts wegen berücksichtigen.“

Es sei noch nicht zu übersehen, ob die in der Vorlage enthaltene Unterscheidung zwischen Aufhebung ipso iure und ope exceptionis für das Gesetzbuch sich empfehle691. Es sollte der Wissenschaft überlassen bleiben, die starke Wirkung an den tatbestandlichen Verjährungseintritt oder an die Einredeerhebung

687 An Stelle der Klagenverjährung, vgl. 1. Kommission, Beschluss v. 10.10.1877, Jakobs/ Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 1003. 688 Zur gemeinrechtlichen Diskussion dieser Frage siehe oben B. I. 4. c), S. 148 f. 689 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1001 690 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1004. 691 Ebenda, S. 1004.

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zu knüpfen692. Sodann hat aber die 1. Kommission in der Sitzung vom 3.2.1882 zu § 194 des Teilentwurfs zum Allgemeinen Teil auf die Anträge von Windscheid und Planck erkannt, dass die Zuerkennung einer starken Wirkung nicht beibehalten werden könne 693: „In der Sache bestand Einvernehmen, dass die Verjährung nicht schlechthin wie Zahlung wirken könne, sondern der Anspruch in zwiefacher Hinsicht noch als wirksam betrachtet werden müsse; er müsse anerkennungsfähig sein oder mit anderen Worten, der Verzicht auf die Verjährung müsse mit der Wirkung zulässig sein, dass der Anspruch ungeschwächt fortbestehe, und die Rückforderung des zum Zwecke der Erfüllung einer verjährten Schuld Hingegebenen müsse ausgeschlossen sein. Die Antragsteller leiteten aber aus dem Fortbestehen dieser Wirkungen ab, dass es nicht gerechtfertigt sei, von einer Aufhebung oder gar wie der Entwurf (und entsprechend dem früher gefassten Beschlusse …) von einer vollständigen Aufhebung des Anspruchs durch Verjährung zu reden.“

Das ist ein klares Votum für die schwache Wirkung der Verjährung und für die Entstehung einer Naturalobligation. Wie allerdings die schwache Wirkung regelungstechnisch umzusetzen war, blieb offen. Die Kommission unterscheidet nicht mehr zwischen den gesetzlichen und den durch Einredeerhebung eintretenden Wirkungen. Auch die zweite Kommission greift diese Frage nicht mehr auf. (b) Unstreitig gestellte Grundsätze Was die Wirkung der Verjährung anging, so bestand bereits in der ersten Kommission Einvernehmen, dass sie nicht schlechthin „wie Zahlung“ wirken könne. Der Anspruch müsse noch in „zwiefacher Hinsicht … als wirksam betrachtet“ werden. Einmal soll die Anerkennungsfähigkeit des verjährten Anspruches bestehen bleiben. Das eröffnet die Möglichkeit des Verjährungsverzichts mit der Folge, dass der Anspruch ungeschwächt fortbesteht. Zum Zweiten soll der Gläubiger von der Rückforderung befreit sein (soluti retentio) 694. Einig war man sich ferner, dass die Bedeutung der Verjährung aufgrund „einer näheren juristischen Betrachtung“ die sei, dass 695 „… wider den Willen des Verpflichteten weder diesem die dem Anspruch entsprechende Leistung abgerungen, noch der Anspruch dazu verwendet werden könne, ein von dem Verpflichteten gestelltes Verlangen abzulehnen.“

692

Ebenda, S. 1004, (Prot. I 388). Ebenda, S. 1044. Das ist insofern überraschend, als Windscheid als Vertreter der starken Verjährungswirkung gilt. Davon ist er offenbar im Gesetzgebungsverfahren zum BGB abgerückt. 694 Ebenda, S. 1044. 695 Ebenda. 693

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Die Durchsetzung des Anspruchs wider den Willen des Schuldners und die einseitige Zurückbehaltung wegen des Anspruchs sollten wegfallen. Dagegen blieb der Anspruch anerkennungsfähig (novierbar) und erfüllbar. Der Gläubigerposition waren mithin lediglich die Zwangsmittel genommen. (c) Regelungstechnik Die verbleibende Rechtsposition des Gläubigers wurde begrifflich nicht erfasst. Den Begriff Naturalobligation hat die 1. Kommission ablehnend erwähnt696. Die Schwächung der Forderung durch ein Gegenrecht für den Schuldner (Einredelösung) wurde zunächst ebenfalls zurückgewiesen, weil Begriff und Bedeutung der Einrede unklar seien. Außerdem müsste das Gesetz über die theoretische Bedeutung der Einrede Bestimmungen aufnehmen, die für das Gesetzbuch nicht geeignet seien697. Die 2. Kommission nahm in § 187 E II die Einredelösung dann doch auf. Sie wählte eine materiellrechtlich formulierte Einrede, um damit deren Rechtswirkung auszusprechen. Der Richter durfte die Einrede aber nicht von Amts wegen berücksichtigen. Dem Schuldner wurde mit Fristablauf (Eintritt der Verjährung) das Gegenrecht der Einrede zuerkannt, dessen Geltendmachung (Einredeerhebung) in sein Belieben gestellt war698: „Nach Vollendung der Verjährung ist der Verpflichtete berechtigt, die Befriedigung des Anspruchs zu verweigern“.

Damit waren die vorgenannten Ziele verwirklicht, ohne dass die dogmatischen Grundlagen vertieft oder gar geklärt worden wären. Entsprechend wird in Mugdans Motiven erklärt, der Gesetzgeber habe die Frage bewusst offengelassen, ob die verjährte Forderung als Naturalobligation einzustufen sei699.

696 Die abgelehnten Anträge Ziff. 1 von Windscheid („Die Vollendung der Verjährung bewirkt, dass aus dem Anspruche weder Klage erhoben, noch eine Einrede entgegengesetzt werden kann“) und Ziff. 2 von Planck („Die vollendete Verjährung schließt die Geltendmachung des Anspruchs aus.“) „… erweckten den Gedanken, die Verjährung lasse eine obligatio naturalis im Sinne des römischen Rechts fortbestehen.“ Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1045 (Prot. I 390). 697 Die Anträge Ziff. 3 und Ziff. 4 auf Zuerkennung einer „aufhebenden Einrede“ oder nur einer „Einrede“ wurden damit ebenso abgelehnt, Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1045 (Prot. I 390). 698 Diese Fassung geht auf einen Antrag von Börner zu § 187 Abs. 1 E II zurück; Jakobs/ Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1138. In der Fassung des § 222 Abs. 1 BGB a.F. (jetzt § 214 BGB) ist der Verpflichtete berechtigt, die Leistung zu verweigern. 699 Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich. Bd. I, Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil. 1899, S. 541.

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(2) Ehevermittlung Die Heiratsvermittlung war von der 1. Kommission nicht eigens geregelt, sondern vorbehaltlich der Sittenwidrigkeit nach den Umständen des Einzelfalls als vollwirksamer Vertrag angesehen worden700. Erst die Reichstagskommission regelte das Lohnversprechen des Ehemaklers in Anlehnung an Spiel und Wette wortgleich dahin, dass durch das Versprechen „eine Verbindlichkeit nicht begründet wird“701 (§ 656 Abs. 1 BGB). Weder eine Bestimmung, welche den in Rede stehenden Vertrag für schlechthin nichtig erklärt sei angemessen, noch dessen volle Wirksamkeit702. Da nach dem Beschluss über den Sprachgebrauch unter Verbindlichkeit allein die durchsetzbare Verbindlichkeit verstanden werden sollte, führt deren Negation zur nicht durchsetzbaren Verbindlichkeit und damit zur unvollkommenen Verbindlichkeit bzw. zur Naturalobligation. (3) Spiel und Wette Das gemeinsame Prinzip von Spiel und Wette sollte in einer Vorschrift geregelt werden703. Die Gesetzesbegründung verweist auf die Erwägungen im Rahmen der Verjährung und die allgemeinen Grundsätze in Ansehung der sogenannten Naturalobligation704. Der Spiel- und Wettvertrag erscheine wirksam und rechtsverbindlich, wenn nicht das Gesetz ihn besonders reprobiere (verwerfe). Die Reprobation sei aber dahin zu beschränken, dass die Rückforderung des Geleisteten ausgeschlossen werde705. Das dogmatische Verständnis der Gesetzesverfasser lautete danach706: 700

Die Gültigkeit unter Vorbehalt der Landesgesetze wurde ebenfalls abgewiesen, Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 3; Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 511. 701 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 9. 702 Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 1292 f.; krit. Jung, Der Ehemaklerlohn – Eine historische Untersuchung, 1991, S. 283 f. (eine Mindermeinung auch im 19. Jahrhundert). 703 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 441 f. 704 Verweisungen auf Prot. I 446 u. 447 (der spätere § 241 BGB) und auf § 156 E I (§ 222 BGB); Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 442 mit Fn. 4 u. 5. 705 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 442; Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 644 (in gewissem Maße rechtsverbindlich). Mugdan, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 360. 706 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 442; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 359.

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B. Historischer Teil

„Das Gesetz versagt einem nach den allgemeinen Grundsätzen gültigen Schuldverhältniß aus besonderen Gründen die Anerkennung bis auf einen gewissen näher von ihm bestimmten Theil – ein besonderes residuum.“

Spiel- und Wettverträge bringen Forderungen hervor, denen Rechtswirkungen bis auf das Behaltensrecht des Empfängers aberkannt werden. Das „residuum“ meint den verbleibenden Kern der Spiel- und Wettforderung, also nicht einen gesetzten Rückforderungsausschluss für eine an sich rechtsgrundlose Leistung707. Für das Verbleiben einer restlichen Forderung spricht auch708 die mitgeteilte Diskussion über den Einwand, der Rückforderungsausschluss bei Spiel und Wette sei entbehrlich, weil die wissentliche Leistung einer Nichtschuld (der spätere § 814 Hs. 1 BGB) die Forderung ebenso ausschließe. Der Einwand wurde zurückgewiesen, weil die Leistung in Unkenntnis der fehlenden Durchsetzbarkeit, etwa durch den ahnungslosen Erben, der offene Spielschulden begleicht, sonst von diesem mit der condictio indebiti zurückgefordert werden könnte709. (4) Verlöbnis Nach dem Landrecht war das Versprechen, einander künftig zu heiraten, auch klageweise erzwingbar (§§ 75, 82 PrALR II, 1). Rudolf v. Jhering hatte daraus abgeleitet, dass dem Verlöbnis ein echtes Schuldversprechen zugrunde liegen müsse710 und auch das gemeine Recht verstand den Vertrag zumindest als ein auf die künftige Eingehung einer Ehe gerichtetes, obligatorisch wirkendes pactum de contrahendo711. Der auf die künftige Abschließung einer Ehe gerichtete 707 Ebenso M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 133 f., der hier auch der verwendeten Bezeichnung „unvollkommenes Rechtsverhältniß“ besondere Bedeutung zumisst. Dies halte ich aufgrund der Wortlautfassung, wonach durch Spiel und Wette „eine Verbindlichkeit nicht begründet“ wird, für weniger aussagestark. 708 Für die residuale Erhaltung einer Forderung mag auch die sprachliche Abwandlung gegenüber § 862 des Dresdner Entwurfs, der der 1. Kommission als Ausgangspunkt zugrunde lag, sprechen. Während im BGB nur von „Verbindlichkeit“ die Rede ist, hieß es dort noch, durch Spiel und Wette werde „… eine Forderung nicht begründet“, vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 438. Andererseits ist aber die Entscheidung für den Begriff des Schuldverhältnisses an Stelle des Begriffs der Obligation und damit auch der Forderung unabhängig von Spiel und Wette getroffen worden. 709 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 442 f.; Mugdan, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 360. 710 JherJhrb 18 (1871) S. 42. 711 Es war als bloßes pactum aber nicht erzwingbar, vgl. Begründung des Vorentwurfs von Planck, bei Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB. Familienrecht. Bd. 1, 1983, S. 180 f.

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

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Vertrag (Verlöbnis) sollte nach dem von Gottlieb Planck vorgelegten Vorentwurf zum Familienrecht aber weder einen Anspruch auf Vollziehung der Ehe noch auf die Entschädigung wegen Nichterfüllung oder einseitigen Rücktritts vom Verlöbnisse gewähren712. Von der 1. Kommission war das negative Interesse der Verlobten dann jedoch aufgenommen worden. Ferner wurde die im 1. Entwurf in § 1224 E I eingestellte Formulierung kritisiert: „Durch das Verlöbnis wird eine Verbindlichkeit der Verlobten zur Eheschließung nicht begründet.“

Das klinge wie eine Aufforderung zur Entlobung713. Die Kritiker hielten dafür, dass die Vorschrift das Rechtsbewusstsein des deutschen Volkes, den guten Geschmack und das sittliche Gefühl verletze. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren entschied man sich daher für die in § 1297 Abs. 1 BGB Gesetz gewordene Fassung: „Aus einem Verlöbnis kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden.“

Bis zuletzt war aber streitig geblieben, wie die Verlobung materiellrechtlich zu bewerten war. Der Abgeordnete Gröber stellte zur 1. Lesung im Reichstag am 24.4.1896 den Antrag, § 1280 Abs. 1 E II dahin zu fassen: „Das Verlöbniß begründet die Verpflichtung zur Eheschließung; diese Verpflichtung ist jedoch nicht klagbar.“

Der Antrag wurde abgelehnt. Die Kommissarien v. Mandry und Planck empfahlen, es bei der bisherigen Fassung, „kann nicht … geklagt werden“, zu belassen. Die Frage nach der rechtlichen Natur des Verlöbnisses sei der Wissenschaft zu überlassen714. Das fand allgemeine Zustimmung. Eine Festlegung durch den Gesetzgeber besteht daher im Ergebnis nicht.

712 Strätz spricht dagegen von einem Weg prinzipieller Entrechtlichung im 19. Jahrhundert, den der Gesetzgeber fortgesetzt habe, Staudinger/ Strätz, BGB, 13. Bearb., Vorbem. zu §§ 1297–1302 Rn. 46. Das kommt in den Motiven zum 1. Entwurf deutlich zum Ausdruck, vgl. Motive, Bd. IV, Amtliche Ausgabe, 1888, S. 2–4 und entspricht auch der Vorstellung des Entwurfverfassers Planck, Knütel, Verlöbnis einst und heute, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/ Kohler/ Hausmann (Hg.), FS für Erik Jayme, Bd. 1, 2004, S. 1487, 1496 f. 713 v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, 1889, S. 236; Knütel, Verlöbnis einst und heute. In: Mansel/Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann (Hg.), FS für Erik Jayme, Bd. 1, 2004, S. 1487, 1496. 714 Als seine persönliche Ansicht bezeichnete Planck die Auffassung, dass das Verlöbnis eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung nicht begründe, vgl. Bericht von Heller v. 24.4.1896, abgedruckt in Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. I, 1987, S. 20.

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B. Historischer Teil

(5) Ausstattung des Kindes Zu den im Einzelfall anerkannten unvollkommenen Verbindlichkeiten zählte ferner die Regelung über die Ausstattung des Kindes (§ 1624 BGB). Das Kind erhält keinen durchsetzbaren Anspruch auf eine angemessene Ausstattung gegen seine Eltern. Werden aber aus den in § 1624 Abs. 1 BGB aufgezählten Zwecken (Verheiratung, Erlangung einer selbständigen Lebensstellung, zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder Lebensstellung) Zuwendungen gemacht, so entsprechen sie sittlicher Pflicht. § 1624 Abs. 1 BGB ist ein gesetzlich vertypter Fall einer nicht durchsetzbaren, aber gleichwohl bestehenden sittlichen Pflicht 715. Nach Auffassung des Gesetzgebers ist § 1624 (gleichlautend bereits in § 1500 E I) dogmatisch als eine unvollkommene Verbindlichkeit ausgestaltet716. Das Gesetz sei aber so gefasst, dass die Zuwendung bereits vollzogen sein muss („Was einem Kind … zugewendet wird, …“). Die sittliche Pflicht zur Ausstattung kann daher nur rückblickend (ex post) als eine Leistungspflicht anerkannt und festgestellt werden717.

b) Meinungsstreit nach Inkrafttreten des BGB (Überblick) Die Auffassung darüber, ob das BGB die Naturalobligation übernommen habe, bleibt nach dessen Inkrafttreten widersprüchlich. Zwar ist man sich im Ausgangspunkt wohl darin einig, dass die Begrifflichkeit des BGB der des Gemeinen Rechts entspricht718. Für die Naturalobligation ergibt sich daraus jedoch schon deshalb nichts, weil in das BGB die Bezeichnung Naturalobligation bewusst nicht aufgenommen worden war.

715 Motive, Bd. IV, Amtliche Ausgabe, 1888, S. 718. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 309 f. und passim. 716 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 317 und der Verweis bei der Aussage über unvollkommene Verbindlichkeiten in Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 3 f. auf § 1500 E I. 717 Der parallel geregelte speziellere Aussteueranspruch der ehelichen Tochter (§§ 1620– 1623 BGB a.F.) wurde mit Wirkung zum 1.7.1958 durch das GleichberechtigungsG v. 18.6. 1957, BGBl. I 609 aufgehoben. Der Ausdruck Mitgift ist umgangssprachlich, vgl. Erman/ Michalski, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1624 Rn. 3. 718 So etwa Puntschart, Der Grundschuldbegriff des deutschen Reichsrechtes in Gesetz und Literatur, FS der Universität Graz, 1900, S. 11.

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

177

Das BGB kenne keine natürlichen Verbindlichkeiten sagen Siber 719, Hellwig 720 und Reichel 721 sowie eine Gruppe weiterer Autoren722. Aus romanistischer Warte stützt sich diese Ablehnung auf die von Teilen nicht akzeptierte Begriffserweiterung der obligatio naturalis im justinianischen Recht 723. Naturalobligationen ergäben keinen Begriff; ein solcher lasse sich nur durch Beschränkung auf die klaglosen Obligationen gewinnen, was als unhistorisch abzulehnen sei724. Auch Ehevermittlung, Spiel und Wette sowie das Differenzgeschäft begründeten keine Naturalobligationen. Im Hinblick auf den Wortlaut („wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“) sei ein Forderungsrecht nicht anzuerkennen. Die Bedeutung erschöpfe sich in der soluti retentio und der Unwirksamkeit von Sicherungsrechten725. Dagegen bejaht die zunächst wohl herrschende Meinung eine Naturalobligation für die verjährte Forderung (§ 222 BGB a.F. [= § 214 BGB]), bei der Ehevermittlung, bei Spiel und Wette sowie dem Differenzgeschäft (§§ 656, 762 u. 764 BGB) und für die sittliche Pflicht §§ 814, 1624 BGB in dem Sinne, dass ein materiell-rechtlicher Anspruch entsteht, der aber nicht klagbar, sondern nur erfüllbar ist726. Oertmann727, Mahler 728 , Klingmüller 729, Planck730, Lehmann731 719

Gesetzespositivistisch Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis, 1903, S. 48: „Im BGB sind natürliche Verbindlichkeiten nicht vorhanden“; aber auch ausdrücklich verneint für sittliche Pflichten ders., Naturalis obligatio, in: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, 83: „Eine Unterscheidung von unvollkommenen Rechtspflichten und den sittlichen Pflichten ist nicht erfolgt. Sittliche Pflichten erfordern eine Gesinnung und sind dem Zwange so unzugänglich, dass schon der Versuch widersinnig und herabwürdigend erscheint.“ 720 Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 13; bereits ablehnend ders., Über die Grenzen der Vertragsmöglichkeit, AcP 86 (1896) 223, 227 (bez. Verlöbnis). 721 Reichel, Unklagbare Ansprüche, JherJhrb 59 (1911) S. 408, 420. 722 Kowalski, Die Naturalobligation, 1906, S. 44; Döring, Natürliche Verbindlichkeiten im BGB, 1908, S. 9 u. 24; Kaestner, Die rechtliche Natur der unvollkommenen Verbindlichkeiten, 1933, S. 32. 723 Vgl. oben B. I. 1. c), S. 69 ff. 724 Siber, Naturalis obligatio, (oben Fn. 719), S. 1, 84. 725 Kowalski, Die Naturalobligation, 1906, S. 13 (vor Erfüllung ist die Naturalobligation ein juristisches Nichts); ebenso Döring, Natürliche Verbindlichkeiten im BGB, 1908, S. 24. 726 Die Annahme herrschende Meinung zu sein bei Oertmann, Natürliche Verbindlichkeiten im BGB, AÖGZ 1902, S. 199, 201 f.; ferner Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 3. Aufl. 1907, Vorbem. IV, S. 6 f. Mahler, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1904, S. 32 u. 56.; umfassend Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 87 ff. 727 Oertmann, Natürliche Verbindlichkeiten im BGB, AÖGZ 1902, S. 199, 201 f. 728 Mahler, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1904, der aber eine Naturalobligation bei der verjährten Forderung verneint, S. 62. 729 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 215 ff. 730 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 3. Aufl. 1907, Vorbem. IV, S. 6 f. 731 Der Naturalobligation fehle die Klagbarkeit und die Vollstreckbarkeit. Ihr können aber sonstige Wirkungen des Forderungsrechts zukommen: 1. Erfüllbarkeit (genauer: Aus-

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B. Historischer Teil

und andere732 erkennen die Naturalobligation als Rechtsinstitut des BGB an733. Eine Ausdehnung auf weitere Fallgestaltungen, wie § 110 BGB oder die Erfüllung eines formnichtigen Vertrages, wird diskutiert, aber praktisch einhellig verneint734. Auch Andreas von Tuhr folgt der anerkennenden Auffassung im Grundsatz. Er sieht in den Naturalobligationen aber „rechtliche Verpflichtungen ohne Recht“. Die sittliche Pflicht begründe eine unvollkommene rechtliche Verbindlichkeit. Was fehle, sei die Berechtigung zum Verlangen der Leistung und nicht bloß die Berechtigung zu ihrem Erzwingen 735. V. Tuhr unterscheidet analytisch zwischen Forderung („Verlangenkönnen“) und Zwang („Erzwingenkönnen“). Allerdings hält er auch reine Rechtspflichten für möglich, die ohne eine korrespondierende Forderungsbefugnis bestehen. Die reine Pflicht bewahrt das Korrespondenzkriterium obligatorischer Pflichten736 insofern, als an die Stelle des Berechtigten Gott oder eine religiöse Instanz tritt. Den Status einer reinen Rechtspflicht besitzt nach v. Tuhr auch die Naturalobligation. Strukturell entsprechen sie den der Ethik zugerechneten solitären Gewissenspflichten, die ohne korrespondierende Rechtsposition eines anderen gedacht werden737. schluss des Rückforderungsrechts, vgl. etwa § 814), 2. Anerkennbarkeit (§§ 812 Abs. 2, 814), 3. Sicherbarkeit (Pfänder und Bürgen, § 223) und 4. Aufrechenbarkeit (§ 390 S. 2); Lehmann in: Stier-Somlo/Elster (Hg.): Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Vierter Bd, 1927, S. 194. 732 Von der Trenck, Die naturalis obligatio im B.G.B., 1905, S. 7; Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910, S. 49; Schendel, Die natürlichen Verbindlichkeiten im BGB, 1927, S. 83 ff.; Esswein, Unvollkommene Verbindlichkeiten, 1932, S. 60; Hoyer, Der gegenwärtige Stand der Lehre von den natürlichen Verbindlichkeiten, 1932, S. 25. 733 Weitumfassend etwa bei Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910, S. 22 ff. (Spiel-, Wett- und Freiwerberlohnschuld; Rechte aus dem Verlöbnis; übermäßig hohe Vertragsstrafen; Leistungen im Sinne der §§ 814, 817; Verbindlichkeiten aus formlosen Bürgschafts-, Schenkungs- und Grundstücksübereignungsversprechen; die verjährte Schuld). 734 Kuhn, Welche Erscheinungen kennt das BGB, die den gemeinrechtlichen Naturalobligationen gleichartig oder ähnlich sind?, 1903, S. 114 ff.; Badt, Die Naturalobligationen im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1903, S. 54 ff. Für § 110 BGB im Grundsatz bejaht von Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910, S. 55. 735 Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 109 Fn. 58 u. S. 127 (rechtliche Verpflichtung ohne korrespondierende Forderung). 736 Danach entstehen Pflicht und Recht für Schuldner und Gläubiger notwendig gleichursprünglich im Verpflichtungsakt, dazu unten C. III. 1. c) bb) (2), S. 359. Mit den bloßen Obliegenheiten stehen reine Pflichten nicht gleich, weil jene die Erfüllung dem Eigeninteresse des Handelnden überlassen und es an einer obligatorischen Pflichtenbindung im Sinne einer unabweisbaren Handlungspflicht im auch-fremden Interesse fehlt (Gedanke des § 687 Abs. 1 BGB). Näher dazu unten C. III. 1 c) bb) (1) (b) S. 345 und C. III. 1. c) cc) (4), S. 370 u. Fn. 411. 737 Damit überschreitet v. Tuhr die Grenze rechtlicher gegenüber gesellschaftlich-ethischen sowie religiösen Verpflichtungsverhältnissen, wie sie insbesondere von dem Romanisten Pothier herausgearbeitet worden war. Ethische, religiöse oder wohltätige Pflichten gehö-

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

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Auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat nach dem Inkrafttreten des BGB die Naturalobligation als Bestandteil des BGB anerkannt. Nähere Ausführungen zur Dogmatik sind selten. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1929 findet sich folgende Einschätzung 738: „Das Recht des BGB kennt Ansprüche, die der Klagbarkeit ermangeln (Naturalobligationen), z.B. Ansprüche aus Spiel und Wette (§ 762), ferner verjährte Ansprüche (§ 222 Abs. 2 BGB), die aber erfüllt werden können. Solche Ansprüche können auch durch Vereinbarung der Parteien begründet werden. Allerdings wird bei derartigen Abreden häufig zweifelhaft sein, ob eine vertragliche Bindung ernstlich gewollt ist und die vertragliche Leistung nicht in das reine Belieben des Kontrahenten, der die Leistung zusagt, gestellt ist.“

Die nähere Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten der Naturalobligation in Rechtsprechung und Lehre erfolgt im dogmatischen Teil739.

c) Die Lehre von den unklagbaren Ansprüchen Hans Reichel empfiehlt, „mit dem Begriffe der natürlichen Verbindlichkeit für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs reinen Tisch zu machen und den Begriff Naturalobligation ohne Vorbehalt außer Kurs zu setzen“ 740. Der Nutzen, den diese schillernde Nomenklatur, unter der ein jeder sich denken könne, was er wolle, für die Dogmatik des Bürgerlichen Gesetzbuches gestiftet habe, sei verschwindend gering; der Schaden dagegen, den sie angerichtet habe, beträchtlich. Man brauche auf das prinzipienlose Durcheinander nur einen flüchtigen Blick zu werfen, um einzusehen, dass hier jede Grenze verwischt und jede Orientierung verloren sei741. Reichel hat mit seiner Kritik am Konzept der Naturalobligation aber die von ihm herausgearbeiteten „klaglosen Ansprüche“ vor Augen, die er in die Diskussion einführt: „Würde man die klaglosen Ansprüche mit der romanistischen naturalis obligatio erklären, würde man das Bekanntere durch das Unbekanntere erklären. Es ist als wollte man dem Kurzsichtigen den Blinden zum Führer geben.“

ren in die Gruppe der obligations imparfaites. Die obligation naturelle dagegen ist eine obligation parfaite und juridique. Das Forderndürfen bringt die notwendige Interpersonalität der Obligation parfaite zum Ausdruck, vgl. B. I. 3. c) aa) (6), S. 114. In der deutschen Dogmatik zu § 241 Abs. 1 BGB wird die notwendige Interpersonalität durch das Merkmal der Einforderungs- oder Einziehungsbefugnis ausgedrückt. 738 RG v. 17.12.1929 JW 1930, 1062 Nr. 7 (schriftliche Zahlungsvereinbarung mit dem Landesfinanzamt, die Anzeige von Steuerstraftaten mit 5 % von den nachversteuerten Beträgen und verhängten Strafen zu belohnen). Siehe ferner oben B. I. 4. e) bb), S. 152 ff. 739 Unten C. IV. und V. 740 Reichel, Unklagbare Ansprüche, JherJhrb 59 (1911) S. 408, 420. 741 Reichel, (vorherige Fn.), S. 408, 420.

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B. Historischer Teil

Diese schroffe Ablehnung dient Reichel zur Etablierung der von ihm geformten Kategorie klagloser Ansprüche. Mit ihnen rückt er das Merkmal der Klagbarkeit als eine isolierbare rechtliche Befugnis in den Vordergrund, das als Differenzierungs- und Einteilungskriterium dient. Für Reichel sind Forderung und Anspruch im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB identisch742. Es könne deshalb nach Ansprüchen mit und ohne Klagerecht unterschieden werden. Reichel vollzieht damit die Windscheid’sche Trennung von Recht und Klage von dem in das BGB eingestellten Anspruchsbegriff her (§ 194 Abs. 1 BGB). aa) Klagelose Ansprüche Die Naturalobligationen gehören für Reichel nicht zu den klagelosen Ansprüchen. Bei Spiel, Wette, Differenzgeschäft, Ehemakelei und formlosen Versprechen fehle es nach dem klaren Wortlaut an einer Verbindlichkeit und damit am Anspruch selbst. Sie stünden den nichtigen Verträgen gleich743. Auch die soluti retentio sei kein stützkräftiges Argument für das Dasein einer naturalen Verbindlichkeit mit Anspruch. In den Fällen der §§ 814, 817 könne man sicher nicht behaupten, es sei eine Schuld im Rechtssinne beglichen worden. Reichels Begründung ist auch im Weiteren eher rhetorischer Art. Zweifelhafter liege die Entscheidung, wenn das Gesetz wie beim Verlöbnis von „nicht klagen können“ spreche (§ 1297 Abs. 1 BGB). Die Entstehungsgeschichte zeige, dass die Gesetzesworte nichts ergeben: „… ja man darf sagen, sie wollen nichts ergeben“ 744. Reichel hält die einseitige Durchsetzbarkeit des Anspruches und damit auch der Forderung für ein notwendiges Begriffsmerkmal745. Sein Wortspiel lautet746: „Ein Anspruch, der aller und jeder Zwangsmacht gegenüber dem Pflichtigen entkleidet wäre, ein so anspruchsloser Anspruch hätte auf den Namen des Anspruchs keinen Anspruch.“

Die klaglosen Ansprüche sind nur deshalb nicht selbstwidersprüchlich, weil außergerichtlicher Zwang bei ihnen möglich bleibt. Die Klagbarkeit als die gerichtliche Form von Zwang ist eine fakultative Eigenschaft des materiell-rechtlichen Anspruches. Die klaglosen Ansprüchen zeichnen sich dadurch aus, dass

742

Reichel, oben Fn. 740, S. 408, 410 mit Fn. 2 und 3 zum Streitstand in dieser Frage. Reichel, (oben Fn. 740), S. 408, 410 (arg.: Wortlaut der §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB) u. S. 425. 744 Reichel, (oben Fn. 740), S. 408, 425 f. 745 Reichel, (oben Fn. 740), S. 408, 411 spricht von der rechtlichen Selbstbewährungsmacht und unterscheidet zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Zwangsbehelfen (S. 414). Hierzu aus heutiger Sicht unten C. IV. 4. a) aa), S. 419 ff. 746 Reichel, (oben Fn. 740), S. 408, 411: „Das Forderungsrecht wäre überhaupt kein subjektives Recht, wenn es Ohnmacht wäre. Denn alles subjektive Recht ist rechtliche Macht.“ 743

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

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sie die Befugnis zu außergerichtlichem, rechtlichen Zwang vermitteln (Aufrechnung, Zurückbehaltung, Selbstbefriedigungsrechte). Die Naturalobligation, der alle, also auch die außergerichtlichen Zwangsbefugnisse fehlen, lässt sich deshalb nicht sinnvoll in die Lehre klagloser Ansprüche integrieren. bb) Nichtklagbare und unvollkommene Verbindlichkeiten Jürgen Stech hat den Gedanken einer isolierbaren Klagbarkeit unter dem Terminus „nicht klagbare Verbindlichkeit“ übernommen. Diese bleibe außergerichtlich erzwingbar. Das Klagerecht entfalle 747. Die Klagbarkeit ist auch bei Stech eine fakultative Eigenschaft der materiellrechtlichen Verbindlichkeit. Sie wird – anders als bei Reichel – nicht mehr aus einem materiell-rechtlich verstandenen Anspruchsbegriff hergeleitet. Es handele sich um einen Mangel der Rechtsgarantie748. Spezifisch und begriffsnotwendig für Anspruch und Forderung seien die außergerichtlichen Zwangsbefugnisse749. Klaglose Ansprüche bzw. unklagbare Verbindlichkeiten sind selten. Zu ihnen zählen nach Reichel und Stech erstens die Ansprüche der Ehefrau gegen den Ehemann aus dem Güterstand der Verwaltung und Nutznießung bei bestehender Ehe (§ 1394 S. 1 BGB a.F.750), zweitens die Verwendungsansprüche des Besitzers, des Erbschaftsbesitzers und des Finders vor der Wiedererlangung der Sache oder Genehmigung der Verwendungen durch den Eigentümer (§§ 1001 S. 1, 2022, 972 BGB)751 und schließlich drittens der unklagbare An-

747

Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161 ff. Stech, (vorherige Fn.), S. 161, 162: Kein Rechtsschutz durch Klage daher auch Abweisung durch Prozessurteil. Ebd. 163: Der vertragliche Ausschluss der Klagbarkeit ist zulässig. 749 Für Stech, (oben Fn. 747), S. 161, 164 zählen hierzu als direkte Sicherungsmittel die Aufrechnungsbefugnis (§§ 387 ff.), die unselbständigen Sicherungsbefugnisse (Vertragsstrafeversprechen gem. § 339, Sicherheitsleistung durch Hinterlegung, Verpfändung und Bürgschaft gem. § 232, die Bürgschaft gem. § 765, Verpfändung u. Hypothek gem. §§ 1204, 1273, 1113), das Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 320) und ggf. auch die Schadensersatzpflicht des Verzugsschuldners (§ 286 BGB) als potentielles Zwangsmittel (Folgen „sollwidrigen Verhaltens“). Nicht spezifisch für den Anspruchsbegriff seien dagegen die Parallelschuldverhältnisse, weil aus ihnen nicht auf die Vollwirksamkeit der Verbindlichkeit geschlossen werden könne. Parallelschuldverhältnisse sind die abstrakten Haftungsgeschäfte (Schuldversprechen, § 780 f., Grundschuld, § 1116, Rentenschuld, § 1199) und schuldersetzende Geschäfte (Leistung an Erfüllungs Statt, § 364 Abs. 2, Wechsel, Novation, etwa § 607 Abs. 2 BGB a.F.). 750 § 1394 S. 1 BGB a.F. lautet: „Die Frau kann Ansprüche [aus dem Vermögen], … gegen den Mann …, erst nach Beendigung der Verwaltung und Nutznießung gerichtlich geltend machen, es sei denn, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen sie gem. § 1391 BGB Sicherheitsleistung verlangen kann.“ Die §§ 1363 ff. BGB a.F. wurden aufgehoben mit Wirkung zum 1.7.1958 durch das GleichberechtigungsG v. 18.6.1957, BGBl. I 609. 751 Bis zur Wiedererlangung oder Genehmigung durch den Eigentümer bestehen nur ein Zurückbehaltungs- und ein eng ausgestaltetes Befriedigungsrecht. 748

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spruch des Verkäufers auf Spezifikation gegen den Käufer im Rahmen von § 375 HGB. Diesen unklagbaren stehen bei Stech die unvollkommenen Verbindlichkeiten gegenüber. Unvollkommene Verbindlichkeiten geben keinerlei und damit auch keine außergerichtlichen Zwangsbefugnisse. Stech führt diese generelle Zwanglosigkeit auf ein materiell-rechtliches Defizit in der Struktur der Verbindlichkeit zurück. Es handele sich um einen Mangel der Rechtsqualität, der zu einem materiellrechtlichen Torso führe. Dieser Torso äußere gewisse Rechtswirkungen, gebe aber keine rechtlichen Zwangsbefugnisse und begründe keinen Anspruch752. Die bloße Klaglosigkeit sei daher nicht spezifisch für die unvollkommene Verbindlichkeit, sondern nur die mittelbare Folge ihrer minderen Rechtsqualität753. Stech lokalisiert das materiell-rechtliche Defizit der unvollkommenen Forderung im (insgesamt) fehlenden Rechtszwang. Den Begriff eines außerrechtlichen (gesellschaftlichen) Zwangs kenne das geltende Recht nicht754. Zu den unvollkommenen Verbindlichkeiten zählt Stech, den Ehemaklerlohn, Spiel und Wette, Differenzgeschäft, das Verlöbnis sowie weitere Sonderfälle, wie etwa die sog. Schnapsschulden755, die früheren Verbindlichkeiten eines Vertriebenen gem. § 82 BVFG756, Fälle, bei denen nur die Erzwingung gegen die guten Sitten verstößt, nicht aber Abschluss und Vertrag selbst757, wobei er jeweils offen lässt, ob es sich um qualifiziert oder nur einfach unvollkommene Verbindlichkeiten handelt758. Ferner erkennt Stech qualitativ unverbindliche Verbindlichkeiten als eine Sondergruppe an. Da752 Der materiell-rechtlich verstandene Anspruch entspreche dem Forderungsrecht. Er zeichne sich wesentlich durch die Innehabung gerichtlicher oder außergerichtlicher Zwangsbefugnisse aus, Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 163. 753 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 171: Hier von Unklagbarkeit zu sprechen sei Verkennung des Begriffs, denn es fehlten jegliche außergerichtlichen Zwangsmittel. Es handelt sich danach um rein materiell-rechtliche Pflichten, die keinen Anspruch und darum auch kein Klagerecht ausbilden 754 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 755 Stech, (vorherige Fn.), S. 161, 173: Die Forderung eines Gast oder Schankwirtes gem. § 31 Abs. 1 GastG v. 28.4.1930 („… Forderungen können weder eingeklagt noch in sonstiger Weise geltend gemacht werden“) Streitig sei nur, ob durch eine Novation Erzwingbarkeit hergestellt werden könne (etwa: Umwandlung in Darlehen, § 607 Abs. 2 BGB). Dafür spreche, dass ein Verbot wie in § 762 Abs. 2 BGB hier fehlt. § 31 GastG ist zum 9.5.1970 aufgehoben worden. Eine vergleichbare Vorschrift findet sich im Gaststättengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3418), zuletzt geändert durch Artikel 33 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818) nicht mehr. 756 Stech, (oben Fn. 754), S. 161, 177: § 82 BVFG a.F. sah vor, dass Forderungen Vertriebener unverändert bestehen bleiben und unbeschränkt geltend gemacht werden können, aber nicht einklagbar sind. Bürgschaft und Novation blieben möglich (Zweck ist nur die Chance zum Neuanfang). DieVorschrift ist aufgehoben. 757 Stech, (oben Fn. 754), S. 161, 178: Unter Hinweis auf Heck, Schuldrecht, Allg. Teil 1929, S. 71: Verträge über das Aktstehen, über Bluttransfusion usf. 758 „Qualifiziert unvollkommene Verbindlichkeiten“ und „sonstige unvollkommene Verbindlichkeiten“ unterscheiden sich nach der Anerkennung von Verbindlichkeiten (Pflich-

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runter versteht er Rechtsgebilde, die ausnahmsweise einzelne außergerichtliche Zwangsmittel zulassen. Hierher gehörten die im Falle des Zwangsvergleichs erlassene Teil der Konkursforderung gem. §§ 193 KO, 82 VglO a.F.759 und die Börsentermingeschäfte nichtterminfähiger Personen gem. §§ 52, 53, 55 BörsG a.F.760 In diesen Fällen fehle es an einer vollwirksamen Verbindlichkeit, obschon außergerichtliche Zwangsrechte wie etwa die Aufrechnung zugelassen seien. Stech spricht von einer qualitativen materiell-rechtlichen Unvollkommenheit, bei der keine oder aber nur einzelne Zwangsmittel zugelassen sind. Auf der anderen Seite grenzt Stech die unvollkommenen Verbindlichkeiten gegenüber den sog. Nichtverbindlichkeiten ab. Darunter versteht er formpflichtwidrige Geschäfte761, schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte762 und sonstige Nichtverbindlichkeiten763 sowie sittliche Pflichten und Anstandsrücksichten (§ 814 Hs. 2, 1624 Abs. 1 BGB)764. Bei letzteren fehle es an einem rechtlichen Begründungsakt. Ohne Begründungsakt sei die Annahme einer Verbindlichkeit nicht feststellbar. Auch eine Grenzziehung zwischen Recht und Sitte wäre nicht mehr möglich. Es werde vielmehr nur die Wirkung eines Lebensverhältnisses rechtlicher Regelung unterworfen, nicht aber das Lebensverhältnis selbst zum Rechtsverhältnis erhoben765. Anerkannt wird hier also nur eine Tatbestandswirkung sittlicher Pflichten, an die sich rechtliche Regelungen anschließen. Die verjährte Forderung erfasst Stech in einer Kategorie von Sonten) in Abgrenzung zu bloßen Rechtsverhältnissen, Stech, oben Fn. 754, 161, 170 (Verbindlichkeit), bzw. S. 172 (Rechtsverhältnis). 759 Sachlich unverändert geregelt nach bestätigtem Insolvenzplan, § 254 Abs. 3 InsO, vormals Zwangsvergleich, § 7 Abs. 4 VerglO a.F., sowie nach Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 3 InsO. 760 Die Börsentermingeschäftsfähigkeit ist durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. I 2002, S. 2010 ersatzlos entfallen. Stattdessen wird die Nichteinhaltung von Informationspflichten gem. § 37 d WpHG nun durch Schadensersatzansprüche sanktioniert. Siehe näher unten B. I. 5. d) bb) (1), S. 197 f. 761 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 166: §§ 313, 518, 766 BGB, § 15 IV GmbHG, wobei die Heilbarkeit nicht als natürliche Verbindlichkeit einzustufen sei. Von der Nichtigkeit gem. § 125 S. 1 BGB wechsle der Zustand in die Vollwirksamkeit mit Heilung 762 Stech, vorherige Fn., S. 161, 167: Der Wortlaut der §§ 107, 108 BGB verbiete es, bis zur onerosen Leistung von Naturalobligationen zu sprechen. 763 Stech, oben Fn. 761, S. 161, 167: die Schadensersatzpflicht aus § 829 BGB, die Ersatzpflicht immaterieller Schäden trotz § 253 BGB a.F., die Pflicht des Bezogenen im Wechselrecht vor der Annahme, Das unsittliche Versprechen (turpiter promissum) § 817 BGB, Die unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe § 343 Abs. 1 u. 2 BGB und andere. 764 Stech, oben Fn. 761, S. 161, 169. 765 So unter Hinweis auf Staudinger/Weber, BGB, 10. Aufl. 1940, Einl. Vor § 241 Rn. 158. Stech meint aber auch bei besonderem Begründungsakt hänge die Rechtsnormqualität letztlich davon ab, in welchem Ausmaß die Gemeinschaft von der sittlichen Pflicht berührt werde. Mangels klarer Grenzziehung sei dies ebenfalls abzulehnen. Stech, (oben Fn. 761), S. 161, 170.

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derfällen766. Es handele sich um einen vollkommenen Anspruch, dem lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht entgegengesetzt werden kann. Er sei weder unvollkommen noch unklagbar, sondern in seiner Realisierung durch ein Gegenrecht gehemmt. Die Hemmung tritt ein, sobald und solange die Einrede erhoben ist767. cc) Stellungnahme zu Stechs „unvollkommener Verbindlichkeit“ Die systematische Durchdringung mit Hilfe der Zu- oder Aberkennung von rechtlichen Einzelbefugnissen ist ein wichtiger Fortschritt in der dogmatischen Aufbereitung der Fälle. Die Auffassung Stechs, wonach die Befugnis zur Durchsetzung eines Anspruchs sich nicht aus dem Prozessrecht ergibt, sondern Regelungsgegenstand des materiellen Rechts ist, wird weithin anerkannt 768. Die fehlende Klagbarkeit stellt mithin eine materiell-rechtliche Konzeption dar769. Auch hat die Rechtsprechung die nicht durchsetzbare Lohnforderung des Ehemaklers aus § 656 Abs. 1 S. 1 BGB materiell-rechtlich eingeordnet und die Abweisung der Klage als unbegründet und nicht als unzulässig befürwortet. Es liegt ein materiell-rechtliches Hindernis vor, den Anspruch durchzusetzen770. Der vorstehende Überblick lässt aber erkennen, dass der Terminus „(qualitative) unvollkommene Verbindlichkeit“ gegenüber den unklagbaren Ansprüchen, den Nichtverbindlichkeiten und den Sonderfällen wenig klare Konturen 766 Zu ihnen zählen auch der rechtskräftig zu Unrecht abgewiesene Anspruch und die betagte Forderung, Stech, oben Fn. 761, S. 161, 215 ff. 767 Stech, oben Fn. 761, 161, 218 f. 768 Meller-Hannich, Die Einrede der Verjährung, JZ 2005, 656, 661 (Einen nicht durchsetzbaren Anspruch kann auch das Erkenntnisverfahren nicht zum Erfolg verhelfen); nach herrschender Lehre wird der umfassendere Begriff des materiellrechtlichen Anspruchs mit dem spezielleren der Forderung inhaltlich für identisch gehalten, so dass die Durchsetzungsbefugnisse im subjektiven Recht der Forderung verankert werden können. Zur inhaltlichen Gleichstellung von Anspruch und Forderung Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 43 Nr. 6a; Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974) 97, 134 u. 140; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 35; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 15 Rn. 67, S. 302 f.; AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 194 Rn. 2 u. Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 4; Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 36 ff. u. 114; abweichend sieht Schmidt im Anspruch die eigenständige Funktion materiellrechtliche Sanktion für die Forderungsverletzung zu sein, Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘, in: Martinek/Schmidt/Wadle (Hg.), FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 414. 769 Das gilt zumindest nach überwiegender Auffassung, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., 1993, § 92 III 2 S.514; Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 151 auch zum Streitstand. A. A.: G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 415 und folgend Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, Vor § 253 Rn. 18 d, die die einschlägigen Fälle der Naturalobligation zwar auch dem materiellen Recht zuweisen, hier aber auf die fehlende Einziehungsbefugnis statt auf die fehlende Klagbarkeit abstellen. Die Klagebefugnis wird als originäres Prozessrecht eingestuft, G. Wagner, ebd., S. 415. 770 BGH v. 4.3.2004, NJW-RR 2004, 778, 780 (Partnerschaftsvermittlung).

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besitzt. Stechs materiellrechtlicher Torso hat kein Gesicht. Das beschriebene Defizit der Naturalobligation, das sich aus dem Fehlen außergerichtlicher und gerichtlicher Zwangsbefugnisse ergibt 771, ist zwar klar und das Konzept insoweit überzeugend. Weshalb und inwiefern die fehlende Zwangsmacht aber das Forderungsrecht selbst verändert oder beseitigt, bleibt ganz offen. Allein aus der Verankerung der Zwangsbefugnisse im materiellen Recht folgt nicht schon eine defizitäre oder fehlende Obligationsstruktur. Auch die fehlende Klagbarkeit müsste sonst eine solche Strukturveränderung auslösen. Stech hält die Obligation in den Fällen der unklagbaren Verbindlichkeit aber für vollkommen. Das Forderungsrecht könnte demnach auch ohne jede Zwangsbefugnisse für „vollkommen“ gehalten werden. Stech setzt unausgesprochen voraus, dass ein Forderungsrecht ohne jede Zwangsbefugnisse zu einem materiellrechtlichen Torso, einer unvollkommen Verbindlichkeit, führt. Die materielle Unvollkommenheit des Forderungsrechts wird nicht erklärt. Ebenso wie klaglose Verbindlichkeiten könnten danach zwanglose (unvollkommene) Verbindlichkeiten anerkannt werden. Zuzugeben ist, dass der Schritt von der nicht klagbaren zur nicht erzwingbaren Forderung (Naturalobligation) auch positiv den Nachweis voraussetzt, dass die zivilrechtliche Forderung nicht durch ein Zwangsmoment konstituiert wird. Die von Jürgen Schmidt angemahnte Trennung von Rechtswirkungen und den rechtlichen Hilfsmitteln, die diese Rechtswirkungen herbeiführen, gilt für alle Zwangsmittel772. Meine These geht deshalb dahin, dass eine fehlende Zwangsbewehrung nicht mit einer defizitären Obligationsstruktur korreliert ist, und ich lehne daher auch den Begriff der unvollkommenen Verbindlichkeit ab. Die Zwangsbefugnisse sind analytisch und materiell vom Forderungsrecht trennbar und ihr Fehlen ist, wenn man so formulieren will, ein Mangel der Rechtsschutzgarantie, aber kein Mangel des Rechts. Der Rechtsschutz ist schwach und insofern ist die Rechtsposition unvollkommen ausgestaltet. Das Recht-Pflicht-Verhältnis selbst betrifft dies nicht. Die Zwangsmacht ist kein notwendiger Bestandteil der Forderung. Ein nicht zwangsweise durchsetzbares Leistungsrecht ist kein materiellrechtlicher Torso773. Auch die von Stech angenommene bloße Tatbestandswirkung sittlicher Pflichten ist abzulehnen. Die Tatbestandswirkung überwindet nur scheinbar das Problem. Es liegt darin, aus der Sicht des Rechts zu bestimmen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine sittliche Pflicht im 771

Ebenso etwa H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 315. So für die Beurteilung der Rechtslage nach Verjährungseintritt und vor Einredeerhebung, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 153. 773 Die Unabhängigkeit des Forderungsrechts von Zwangsbefugnissen lege ich in C. III. 3. a) unter rechtstheoretischen in C. IV. 1. unter rechtsdogmatischem Blickwinkel dar. Die Forderung legitimiert danach die Zwangsanwendung. Sie ist Bedingung für rechtmäßigen Zwang, während das Umgekehrte nicht gilt: Die Einräumung von Zwangsbefugnissen ist keine Bedingung für das obligatorische Recht. 772

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Einzelfall vorliegt. Diese Frage muss auch im Falle einer bloßen Tatbestandswirkung beantwortet werden. Rechtliche Tatbestandsmerkmale müssen vorgeben, wann die Tatbestandswirkung eintritt und wann nicht. Der vermeintlich fehlende rechtliche Begründungsakt erfolgt deshalb richtigerweise durch richterliche Feststellung 774. dd) Unvollkommene Verbindlichkeit und fehlende Einforderungsbefugnis Stechs materiell-rechtlicher Torso wird heute verbreitet dahin näher bestimmt, dass dem Gläubiger der unvollkommenen Verbindlichkeit die materiell-rechtliche Einforderungsbefugnis fehle775. Die Einforderungsbefugnis ist ein Bestandteil des subjektiven Rechts und tritt neben eine Reihe weiterer Einzelbefugnisse776, die zusammen als Bündel777 betrachtet werden. Gemeint ist die subjektive Berechtigung, die Leistung von dem Anderen zu fordern (Verlangenkönnen, Fordernkönnen)778. Setzt man Forderung und Anspruch mit der herrschenden Lehre inhaltlich gleich 779, ist die Einforderungsbefugnis auch 774

Dazu näher unten C. I. 3. b) aa), S. 254 ff. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 415; Staudinger/ Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 134 u. für Spiel und Wette Rn. 168 f.; Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1983, S. 51 f. 776 Die Einzelbefugnisse (neben der Einforderungsbefugnis sind das die Selbsthilfe-, Behaltens-, Verfügungs-, Klage- und Vollstreckungsbefugnis).haben ihrerseits die Struktur subjektiver Rechte, Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘, in: Martinek/Schmidt/Wadle (Hg.), FS für Günther Jahr, 1993, S. 401. Vgl. dazu näher unten C. IV. 4 a), S. 461 ff. 777 Das Bild vom Befugnisbündel stammt von Jürgen Schmidt, Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 120 sog. Bündelungstheorie. Zu den verschiedenen Gliederungen siehe unten C. IV. 4 a), S. 461 ff. 778 H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 45 f. (Forderungsberechtigung im Sinne von „Verlangenkönnen“). Umstritten ist, ob das Merkmal der Forderungsberechtigung (gleichbedeutend auch Anrecht oder Einziehungsbefugnis) für sich allein stehen kann oder notwendig mit der Zwangsbefugnis verknüpft sein muss. Das bloße Anrecht ist nach Wieser noch nicht als Forderung anzusehen. Hinzukommen müsse die als Zuständigkeit bezeichnete Zwangsbefugnis, in: Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit. JR 1967, 321, 323. Für J. Schmidt ist die Forderung mit der ‚Einziehungsbefugnis‘ dagegen bereits vollständig umschrieben. Das Zwangselement kommt erst im Anspruchsbegriff als ‚Befugnis zur Zwangsrealisierung‘ zum Tragen. J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘, in: FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 416 f. Die betagte Forderung ist danach eine Forderung ohne Anspruch. 779 So die h.L. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 3 I 5, S. 35; Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974) 97, 127; zust. Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 114 (wN oben S. 167 Fn. 115 und C. IV. 4. b), S. 429). Ähnlich aber nicht ganz konsistent hält Okuda den Anspruchsbegriff beim obligatorischen Recht „für überflüssig, wenn man von dem Moment der Fälligkeit absehe. Das einzelne Forderungsrecht ist mit dem Anspruchsbegriff identisch.“, Okuda, Über den Anspruchsbegriff im deutschen BGB, AcP 164 (1964) 536, 541; abweichend dann ebd. 547: der Anspruch bedeute eine materiell-rechtliche Berechtigung, der als Zwischenglied subjektive Rechte an den Zivilprozess anknüpfe. Diese beiden Momente drücke § 194 BGB aus. Hier setzt die berechtigte Kritik von Wagner, Pro775

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ein Bestandteil des materiellrechtlichen Anspruches. Von einem Teil der Lehre wird aber der Anspruch ähnlich einer Rechtsfolge verstanden und die Einforderungsbefugnis dem Anspruch zugewiesen 780. Die Bedeutungen der Einforderungsbefugnis weichen je nach Zuordnung zu Forderung oder Anspruch voneinander ab. Die Grundsatzfrage geht dahin, wie man sich eine Forderung vorzustellen hat, der die materielle Einforderungsbefugnis fehlt. Ist eine Forderung ohne eine entsprechende Einforderungsbefugnis noch eine Forderung?781 Handelt es sich bei einer Forderung ohne Einforderungsbefugnis nicht etwa vielmehr um eine „Nichtforderung“, schon weil nach der Diktion des Gesetzes „Befugnisse“ unterhalb der Ebene der Forderung nicht mehr differenziert werden? Mit der Annahme eines Forderungstorso verbindet sich jedenfalls keine sinnvolle Aussage. Auch die Rede von der bloßen Erfüllbarkeit setzt eine Schuld voraus. Der Schuld im Rechtssinne korrespondiert aber immer auch ein Recht782. Bei fehlender Einforderungsbefugnis entspräche die zeßverträge, 1998, S. 415 an, der die Klagebefugnis allein dem Prozessrecht zuordnet und in einer materiell-rechtlichen Klagebefugnis nur eine redundante Verdopplung des Einforderungsrechts sieht. 780 Forderung und Anspruch werden dabei analytisch getrennt und in einem Verhältnis von Grund und Folge betrachtet. Die Einforderungsbefugnis gehört bereits zu den Folgen und ist daher dem Anspruch zugeordnet. Vgl. Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 142: „Hauptbefugnisse aus der Forderung sind der Anspruch (Tun oder Unterlassen fordern können, §§ 241, 194 BGB) und die Zugriffsbefugnis (Haftung)“; ferner bei Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 1, 5. Aufl. 1928, Vorbem. 3 c zu a zu § 241: „Das Schuldverhältnis ist die lebende Kraft und der Anspruch nur eine seiner Lebensäußerungen“; ähnlich bereits Dernburg, Bürgerliches Recht, Bd. 1, 3. Aufl. 1906, § 42 I. Eine eigenständige Stellung des Anspruchs vertreten auch, de Boor, Gerichtsschutz und Rechtssystem, 1941, S. 30 (Der Anspruch ist spezifisch für das gegenwärtige Verlangen (Beanspruchen), während die Forderung umfassend ist); Ludwig Raiser, Zum Stand der Lehre vom subjektiven Recht im deutschen Zivilrecht, JZ 1961, 466 (Bei Ansprüchen und Gestaltungsrechten handelt es sich um Werkzeuge der Rechtstechnik, die dem Schutz und der Verwirklichung jener subjektiven Rechtsstellungen und Rechtsverhältnisse dienen. Die sekundären Rechte erlangten einen eigenen Platz in unserem Zivilrechtssystem erst, seit dem sich Windscheids Trennung der actio des römischen und des gemeinen Rechts in einen zivilrechtlichen Anspruch und einen prozessualen Rechtsbehelf durchgesetzt hatte). Ähnlich auch Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem, JuS 1992, 537, 538 f., der das Grund-Folge-Verhältnis zwischen dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne und dem Anspruch als dem entscheidenden Konfliktlösungsmechanismus sieht. 781 Welche Aggregation der Einzelbefugnisse erforderlich sei, damit man von einem Schuldverhältnis sprechen könne, hält Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 120 für eine „fruchtlose und überflüssige Diskussion“. Allerdings schränkt er ein, dass diese Überlegungen im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs Schuldverhältnis und der fehlenden Klagebefugnis bei den §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB eine Rolle gespielt habe und typisch für die Darstellungen von „unvollkommenen Verbindlichkeiten“ sei (Ebd. Rn. 160). Um diese Rolle geht es hier. 782 So wäre sie Gewissenspflicht oder religiös begründet. Nach h.L. besteht bei der obligatorischen Pflicht eine notwendige Recht-Pflicht-Korrespondenz (vgl. unten C. III. 1. c) bb)

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Naturalobligation einer (dauerhaft) betagten Forderung. Sie wäre nur erfüllbar. Das trifft die spezifische Sonderstellung der Naturalobligation als einer geschwächten, aber fortbestehenden Forderung nicht. Die klare Struktur eines Leistungsrechts ohne Zwang geht durch die Aberkennung der Einforderungsbefugnis verloren. Meine These geht dahin, dass die hier ausgewiesenen Naturalobligationen auch eine Einforderungsbefugnis vermitteln, weil eine – wenn auch schwache – Rechtsposition zugewiesen wird. Die Einforderungsbefugnis erfüllt die spezifische Aufgabe, Geltung und Normativität des Forderungsrechts auszudrücken783. Von den materiellrechtlichen Anspruchsfunktionen entfallen sämtliche Zwangsbefugnisse. Darin liegt das Manko der Naturalobligation. Die Forderung bleibt ohne Zwangsbewehrung erhalten und besitzt je nach der gesetzgeberischen Gestaltung nur eine kommunikative Anspruchsfunktion (Recht zur Forderung und Geltungsbehauptung). Reichel und Stech sind wie beschrieben über den Konnex von Forderung und Klagbarkeit hinausgegangen und haben die Klagebefugnis als Element verselbständigt. Das lässt sich auch für die rechtlichen Zwangsbefugnisse insgesamt sagen und soll im systematischen Teil dargelegt und ausgearbeitet werden.

d) Heutiger Meinungsstand aa) Begriffsvielfalt und grundsätzliche dogmatische Anerkennung Die Vielfalt an teilweise synonym gebrauchten Begriffen lässt sich nach den Rechtspositionen ordnen, die für die Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit anerkannt werden. Das reicht von dem nicht zwangsbewehrten Forderungsrecht (1) über den (bloßen) Rechtsgrund (2), den Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung (3) bis zum Rückforderungsausschluss bei rechtsgrundloser Leistung (4).

(2), S. 359), weshalb die bloße Erfüllbarkeit einer Forderung ausscheidet. In den Fällen des betagten Rechts ist Einforderungsbefugnis nur aufgeschoben, vgl. C. IV. 4. c) aa) (1), S. 476. 783 Unter Normativität verstehe ich den Befehl des Gläubigers an den Schuldner: Tue X! Es ist der tatsächliche Zustand einer Person, die unter der Anforderung der Erfüllung der obligatorischen Pflicht steht. Eine eng damit verbundene, aber davon unabhängige Frage ist es, ob dieser Befehl erst durch die Anspruchserhebung (so Buchers Lehre von der Normsetzungsbefugnis) oder bereits nach objektivem Recht entsteht (so die h.L.) und durch die Ausübung lediglich wiederholend aktualisiert wird. Näher dazu siehe unten C. III. 1. c) cc) (1), S. 362 f. u. Fn. 376.

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(1) Das nicht zwangsbewehrte Forderungsrecht (a) Synonyme Begrifflichkeiten Das nicht zwangsbewehrte Forderungsrecht wird mit synonymen Begriffsbildungen ausgedrückt. Gleichbedeutend werden verstanden: Die Naturalobligation, die natürliche oder unvollkommene Verbindlichkeit784, die nicht perfekte Verbindlichkeit 785, die Verbindlichkeit minderen Rechts786 und entsprechend die natürliche, die unvollkommene oder die nicht durchsetzbare Forderung 787 oder das unvollkommene Schuldverhältnis788, womit das Schuldverhältnis im engeren Sinne gemeint ist789. Die Verwendung der lateinischen Bezeichnungen obligatio naturalis oder obligatio tantum naturalis790 hat nur dann einen abweichenden eigenständigen 784 Für unvollkommene Verbindlichkeit etwa Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 3; Klaus Schreiber, Unvollkommene Verbindlichkeiten, JURA 1998, S. 270; für Naturalobligation: Medicus, Schuldrecht, I, Allg. Teil, 10. Aufl. 1998, Rn 24 (synonym); ders., Grundwissen zum Bürgerlichen Recht. Ein Basisbuch zu den Anspruchsgrundlagen, 2000, Rn. 84. RGRK/Seibert, BGB, 12. Aufl. 1978, § 762 Rn. 6; Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2006, Rn. 27, S. 11 (synonym); RGRK/HeimannTrosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8; Bamberger/Roth/W. Henrich, BGB, 2003, § 194 Rn. 14. 785 Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 121 allerdings mit Verweis auf Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 244, wo Naturalobligation, Moralobligation, Schulden ohne Haftung als Synonyme unter den Oberbegriff unvollkommene Verbindlichkeiten dargestellt werden. 786 Staudinger/Peters, BGB, 2004, § 194 Rn. 10 u. 15 (Naturalobligationen können verjähren). 787 Die nichtdurchsetzbare Forderung (Forderungen ohne Zwang: verjährte Forderung, Verlöbnis, Restforderung nach Insolvenzplan) neben der erfüllbaren Nichtforderung (Verbindlichkeit ohne Forderungsrecht: Spiel u. Wette, Ehemakler) als Unterfälle von unvollkommener Verbindlichkeit („Naturalobligation“), Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 15 Rn. 67– 69. 788 Etwa RG v. 14.7.1933, RGZ 153, 338, 342 f. (bez. Restforderung nach Zwangsvergleich im Sinne von §§ 193 S. 2 KO, 82 Abs. 2 VerglO); H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 315; RGRK/Alff, BGB, 12. Aufl. 1974, Vor § 241 Rn. 17. Die Bezeichnung „natürliches Schuldverhältnis“ als sonst noch mögliche Komposition wird offenbar nicht verwendet. 789 Die Begriffe Schuldverhältnis im engeren Sinne, Forderung, Verbindlichkeit, Schuld und Obligation sind ebenso synonym verwendbar wie die Adjektive natural, natürlich und unvollkommen. Zur historischen und theoretischen Zweideutigkeit des Schuldverhältnisbegriffes im engeren und weiteren Sinne, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 199 ff., knapp etwa Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 36 ff. u. 113. 790 Früher häufig auch adverbial benutzt: naturalis tantum. Gemeint ist eine Teilmenge aus dem Kreis aller naturalen Obligationen. Sie beinhaltet diejenigen Obligationen, die als „nur natural“ (tantum naturalis) qualifiziert werden, womit die fehlende Klagbarkeit gemeint ist. So in der frühen gemeinrechtlichen Rezeption des römischen Rechts. Jede Obligation umfasst danach grundsätzlich ein naturales und ein ziviles Element. In den Fällen, in denen das zivile Element wegfällt, bleibt die nur naturale Schuld übrig, vgl. oben B. I. 2. b) aa), S. 88. In der Einteilung nach Donellus zerfällt die obligatio imperfecta in die nur naturale

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Bedeutungsgehalt, wenn die historischen Begriffsfelder des römischen oder auch des gemeinen Rechts beschrieben werden791. Das gilt ebenso bei den natürlichen Forderungen oder den natürlichen Verbindlichkeiten, die wiederum einen spezifisch naturrechtlichen und damit ethischen Hintergrund betonen können. Ohne eine spezielle Kontextualisierung bestehen regelmäßig aber keine Bedeutungsunterschiede. Bezeichnend hierfür ist auch der Umstand, dass in Rechtsprechung und Schrifttum die Begriffe Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit vice versa erläutert und abwechselnd benutzt werden792. Die neuere Literatur ist dazu übergegangen, nur über die Vielfalt zu berichten. Aufgrund übereinstimmender Ergebnisse und im Hinblick auf die Komplexität der dogmatischen Hintergrundannahmen, könne die dogmatische Problematik dahin gestellt bleiben793. (b) Schuld ohne Haftung Zum Teil wird Schuld ohne Haftung als Dachbezeichnung für Gestaltungen gebraucht, zu der auch die Naturalobligation oder die unvollkommene Verbindlichkeit gerechnet wird794. Das Merkmal der Schuld in der Bezeichnung und in die fehlerhafte zivile Obligation (naturalis tantum und civilis nuda). Siehe oben mN B. I. 2. b) bb), S. 89. 791 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95: „Man spricht … nach einer aus dem gemeinen Recht übernommenen Tradition von unvollkommener Verbindlichkeit, obligatio naturalis.“ 792 BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 315 bez. Lohnforderung aus Ehevermittlung: „Durch das Versprechen eines Lohns … wird eine unvollkommene Verbindlichkeit (Naturalobligation) begründet“; Creifelds, Rechtswörterbuch, 13. Aufl. 1996, S. 855 (Naturalobligation ist eine unvollkommene Verbindlichkeit, die nicht im Klageweg durchgesetzt werden kann). Exemplarisch etwa Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, Einl zu §§ 241 Rn. 244 „Unvollkommene Verbindlichkeiten (Naturalobligationen, Moralobligationen, Schulden ohne Haftung)“ einerseits und ders., § 241 Rn. 130 („… auch die Naturalobligationen, worunter alle unvollkommenen Verbindlichkeiten fallen, …“) andererseits. Auch Mankowski, Beseitigungsrechte. Anfechtung, Widerruf und verwandte Institute, 2003, S. 531: „Naturalobligationen begründen unvollkommene Verbindlichkeiten.“ Die synonyme Begriffsverwendung stellt, M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 135 fest, empfiehlt aber eine Unterscheidung in unvollkommene Verbindlichkeiten einerseits und Naturalobligationen andererseits. Eine Dichotomie halte ich nicht für überzeugend, siehe unten C. II. 2., S. 237 ff. 793 Bamberger/Roth/Janoschek, BGB, 2003, § 762 Rn. 6; AnwK-BGB/Katrin Schreiber, 2005, § 762 Rn. 5; Erman/Werner, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 1. 794 Die Naturalobligation ist eine Schuld ohne Haftung Esser/Schmidt, Schuldrecht. Bd.1. Allgemeiner Teil, TBd. 1, 8. Aufl. 1995, § 7 III 1 (Schulden ohne Leistungszwang); ebenso Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 315; statt des für unklar eingestuften Begriffs Naturalobligation empfohlen auch von Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, § 4 V 2; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 49 (Schulden mit „unvollkommener Haftung“ oder „ohne Haftung“); Erman/H. P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004,

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Schuld ohne Haftung bringt die Anerkennung einer rechtlichen Pflichtbeziehung zum Ausdruck 795. Eine Erörterung der Struktur der Schuld und damit eine Beantwortung der Frage, ob die Schuld auch eine reine Pflicht (ohne Gläubigerposition) zulässt oder eine Recht-Pflicht-Korrespondenz verlangt796, findet nicht statt. Einen Sonderweg schlägt Larenz ein, der die Rechtspflicht und schon deshalb ein korrespondierendes Gläubigerrecht verneint. Die von Larenz außerrechtlich verstandene „Pflicht der Sitte oder der Konvention“ führt zur Bezeichnung Konventionalschuld797. (c) Sittliche Pflicht und Treuebindung Ähnlich wie Larenz hatte bereits Siber 798 angenommen, dass „in diesen Fällen ein Leistensollen nicht kraft Recht, sondern kraft der Sittlichkeit, des Anstands, der Sitte vorliegt, das nicht unter den Begriff des Schuldverhältnisses fällt“. Siber hatte damit Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit als Rechtsfiguren des Schuldrechts ausgeschlossen. Eine moderne Variante dieser Vorstellung liegt in der Annahme von Hanau, der eine rechtliche Bindung aus einer Naturalobligation verneint, aber eine Treuebindung anerkennt799. Diese Einl § 241 Rn. 23; Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts Bd. II, Schuldrecht, 11. Aufl. Wien 2000, S. 10 f. Ein Konzept von Schuld und Haftung entwickelt auch Hans Hanau für die Legitimation staatlichen Rechtszwanges aus grundrechtlicher Sicht. Ohne den sachlichen Kontext der zivilrechtlichen Lehre sieht Hanau zur Schuld als [staatlich anerkannter] Sollensverpflichtung die Haftung als Duldenmüssen staatlicher Vollstreckungsmaßnahmen hinzu treten. Die staatliche Sanktionierung der Privatautonomie [Anerkennung] beeinträchtige potentiell die negative Vertragsfreiheit. Es komme daher darauf an, ob der Rechtszwang [Haftung] der eingeräumten Ermächtigung [Schuld] entspreche oder aber darüber hinausgehe und damit die Freiheitssphäre des Schuldners verkürze, Hanau Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Geltungsmacht, 2004, S. 30. 795 Im Begriff der Schuld ist nach der Lehre von Schuld und Haftung die Rechtsposition des Gläubigers jedenfalls mit umfasst, vgl. dazu oben B. I. 4. f), S. 159 f. 796 Das bedeutet, es entsteht auch ein Gläubigerrecht. In der Recht-Pflicht-Korrespondenz sah bereits Thomasius das „principium iusti“ in Abgrenzung zu den inneren Gewissenspflichten, vgl. dazu oben B. I. 3. c) aa) (4), S. 110 und zur h.L. heute, siehe unten C. III. 1. c) bb) (2), S. 359. 797 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 III, S. 21. 798 Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis, 1903, S. 68; krit. E. Wolf, Zum Begriff des Schuldverhältnisses, in: Schwinge (Hg.), FS für Heinrich Herrfahrt, 1961, S. 207; ablehnend auch Prütting/Wegen/Weinrich/Schmidt-Kessel, BGB, 2006, § 241 Rn. 27.. 799 Treue und Durchsetzbarkeit mittels Rechtszwang könne nicht gleichgesetzt werden. Das zeigten die Naturalobligationen und die verjährte Forderung. Die Rechtsordnung wolle hier ausnahmsweise die Selbstbindung nicht gegen eine Interessenänderung durchsetzen. Sie erkenne sie aber an. Zum einen schaffe sie eine Rechtsgrundlage zum Behaltendürfen. Zum anderen spreche sie einen Anspruch auf Schadensersatz wegen positiver Forderungsverletzung zu. Zwischen Selbstbindung und staatlicher Anerkennung bestehe ein Rechtschöpfungs- oder Rechtserzeugungszusammenhang. Zur rechtsgeschäftlichen Geltungserklärung trete der staatliche Geltungsbefehl hinzu, vgl. Hanau Der Grundsatz der Verhältnismäßig-

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Bindung leitet Hanau anders als Siber und Larenz nicht aus extralegalen Quellen (Sittlichkeit, Anstand usf.) her, sondern führt sie auf die Rechtstreue zurück, wie sie in § 242 BGB ihren Ausdruck gefunden hat. Hier stellen sich Bedenken ein. Der verrechtlichte § 242 BGB besitzt keine Sonderstellung im schuldrechtlichen System. Es besteht kein Unterschied zwischen einer Bindung aus § 242 BGB und einer Bindung etwa aus einem Kaufvertrag, § 433 BGB800. Die Rechtstreue ist Grundlage aller vertraglichen Rechtspflichten, die aus Rechtsgeschäften entstehen. Das gegebene Wort, das Vertragsversprechen oder pacta sunt servanda leiten ihre bindende Wirkung aus der Rechtstreue her801. Die Dichotomie bei Hanau zwischen Rechts- und eine Treuebindung ist auch systematisch nicht schlüssig begründet, weil § 242 BGB das Forderungsrecht des § 241 BGB ausgestaltet. (d) Unklagbarer Anspruch oder unklagbare Verbindlichkeit Die klaglosen Ansprüche in der Diktion Reichels ebenso wie die unklagbaren Verbindlichkeiten Stechs meinen materiellrechtlich vollständige Forderungen, denen allein die Klagbarkeit fehlt802. Naturalobligationen und unvollkommene Verbindlichkeiten werden in dieser Begriffsbildung nur von Flume ohne nähere Analyse miterfasst803. Reichel, Stech und Wagner 804 unterscheiden zutreffend zwischen den nur klaglosen und den insgesamt nicht zwangsbewehrten Forderungen (Naturalobligationen). Sie lehnen aber die Aufnahme der Naturalobligation in der Begriffskategorie unklagbarer Ansprüche ab, weil es sich um ein defizitäres Forderungsrecht handele („Torso“, Forderung ohne Einforderungsbefugnis). Die Begriffskategorie unklagbare (klaglose) Ansprüche oder Verbindlichkeiten erfasst die Naturalobligation deshalb nicht805. keit als Schranke privater Geltungsmacht. Zu Herleitung und Struktur einer Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen 2004, S. 36 f. 800 Das verdeutlichen bereits die römisch-rechtlichen Grundlagen von Treu und Glauben im iudicium bonae fidei, das bei den wirtschaftlich besonders wichtigen Obligationen (contractus bonae fidei) wie etwa dem Kauf zur Anwendung kam. Die bona fides bilden hier den uneingeschränkten Maßstab, nach dem der Richter das Rechtsverhältnis zu beurteilen hatte. Eine eigenständige exceptio doli war bei ihnen überflüssig, vgl. Kupisch, Exceptio doli generalis und iudicium bonae fidei – zur Frage der Inhärenz bei Verträgen nach Treu und Glauben, in: Baums, u.a. (Hg.), FS für Ulrich Huber, 2006, 401, 402 f. Die Rechtstreue wird als umfassendes Prinzip des römischen Konsensualvertrages gesehen, vgl. Schiavone, Ius, L’invenzione del diritto in Occidente, 2005, S. 92. 801 An der Rechtlichkeit der Pflicht ändert es nichts, wenn § 242 BGB seinerseits Bezüge zu extralegalen Quellen herstellt, wie auch die bona fides des römischen Rechts (Herkommen, Sitte, regionale oder lokale Gewohnheiten), Kupisch, aaO., S. 401. 802 Vgl. oben B. I. 5. c) bb), S. 181. 803 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95. 804 G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 412 ff. (ungeschriebene Generalklausel des Prozessrechts) 805 Ablehnend gegen die Kategorie der klaglosen Ansprüche etwa H. Roth, Die Einrede

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(e) Unvollkommene Verbindlichkeit als Oberbegriff für unklagbare Verbindlichkeiten Mansel vereint unter dem Oberbegriff der unvollkommenen Verbindlichkeit sowohl die (nur) prozessual unklagbaren Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten (sog. unvollkommene Verbindlichkeiten im weiteren Sinne) als auch Fallgestaltungen „ohne materielle Verbindlichkeit“ (sog. unvollkommene Verbindlichkeiten im engeren Sinne) 806. Die gemeinsame Klassifikation rechtfertigt sich aus der in allen Fällen fehlenden Klagebefugnis. Das Fehlen der Klagebefugnis ist nach Mansel das Signum der Unvollkommenheit. (f) Sanktionslose Obligation, wirkungsgemindertes Schuldverhältnis, unvollkommen wirksame, uneigentliche oder unechte Verbindlichkeit Anzutreffen sind oftmals auch Begriffsbildungen, die den veränderten Wirkungsgrad der Forderung beschreiben. Von einer eher funktionalen Betrachtung geleitet ist der Begriff sanktionslose Obligation807 ebenso wie die Rede von der zurückgesetzten Rechtswirksamkeit aleatorischer Verträge808. Ähnlich wird von einer unvollkommen wirksamen Verbindlichkeit 809 noch im Zusammenhang mit dem Ehemaklervertrag gesprochen. Dieser wiederum wird als wirkungsgeminderte Schuldverhältnis810 oder – bezogen auf die Lohnforderung – als unvollkommene Forderung811 bezeichnet. Heute praktisch nicht mehr anzutreffen sind die Termini der uneigentlichen812 oder der unechten Verbindlichkeit813. In diesen Prädikationen zeigt sich die distanzierend fiktionale des Bürgerlichen Rechts, 1988, 316 f. Das von Reichel gemeinte „echte Recht, ohne die Möglichkeit zum gerichtlichen Befriedigungszwang“, lässt sich auf ein echtes Recht ohne (jeglichen) Befriedigungszwang immerhin ausdehnen und würde dann die Naturalobligation in dem hier verstandenen Sinne umfassen. 806 Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 21 f.; zust. Prütting/Wegen/Weinrich/ Schmidt-Kessel, BGB, 2006, § 241 Rn. 27. 807 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 67 (weder real erzwingbar noch in Geldersatz umwandelbar). Oberbegriff für Naturalobligation und sittliche Pflichten (S. 68 f.). 808 Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 4. 809 Als „Mittelding“ gegenüber einem voll wirksamen Forderungsrecht. Der Begriff sei aber durch den der unvollkommenen Verbindlichkeit zu ersetzen. H. Lehmann in: StierSomlo, Elster (Hg.): Handwörterbuch der Rechtswissenschaft. Vierter Bd. ., 1927, S. 194. 810 BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 314; Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 5, wobei jeweils offen bleibt ob der Vertrag oder wie systematisch richtig wäre, die Lohnforderung des Ehemaklers als Schuldverhältnis i.e.S. gemeint ist. 811 MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., 2005, § 656 Rn. 1. 812 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 1862, § 112, Anm. 4, S. 267; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, S. 574. 813 Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 3. Aufl. 1893, S. 479; ähnlich auch Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT I, 1, 8. Aufl. 1995, § 7 III, S. 123 (ohne echte Forderungsqualität).

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„als ob“ Betrachtung einer Pseudo-Obligation. Eine Begriffserweiterung des Obligationenbegriffs hin zu einer Forderung ohne Erfüllungszwang kann so im engeren „eigentlichen“ Sinne abgelehnt und dennoch durch Gleichstellung im weiteren „uneigentlichen“ Sinne vollzogen werden. In dieser Hinsicht lässt sich auch die Einstufung der sittlichen Pflicht in §§ 814, 1624 BGB als verbindlichkeitsähnlicher Tatbestand verstehen814. Zu erwähnen ist ferner die Auffassung, wonach unvollkommene Verbindlichkeiten (im konkreten Fall Spiel und Wette) ein individualschützendes Reurecht für den Fall eines typisierten Rechtsfolgeirrtums bedeuten 815. (g) Forderung aus einem Schuldverhältnisses im weiteren Sinne Einen dogmatisch eigenständigen Ansatz verfolgt Ernst Wolf. Die Naturalobligation sei eine schuldrechtliche Wirkung, die aus einem materiellrechtlichen Rechtsgrund entstehe. Weder die (naturale) Forderung noch der diese hervorbringende Vertrag oder das gesetzliche Schuldverhältnis bildeten den Rechtsgrund, sondern das davon verschiedene Schuldverhältnis als Ursprungsverhältnis (Quelle oder Organismus) 816. Das hier beschriebene sog. Schuldverhältnis im weiteren Sinne wird von Wolf als ein ansprucherzeugender Tatbestand verstanden, aus dem Rechte und Pflichten hergeleitet werden können, für die eine konkrete gesetzliche Ausformung fehlt817. Zu diesen nicht ausgeformten Rechtspflichten zählt Wolf auch die Naturalobligation. Die anspruchsvolle Frage nach der dogmatischen Bedeutung des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne muss hier nicht verfolgt werden818. Zivil- und Naturalobligation sind Forderungen und 814

Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 15 Rn. 70. Servatius, Ball im Netz ist Geld auf der Bank. Die zivilrechtliche Behandlung eine an sportliche Erfolge geknüpften Verzinsung von Sparguthaben, WM 2004, 1804, 1808, vgl. näher unten C. I. 2. b) aa) (3), S. 244. 816 E. Wolf, Zum Begriff des Schuldverhältnisses, in: Schwinge (Hg.), FS für Heinrich Herrfahrt, 1961, S. 210 stellt Realobligationen und Naturalobligationen gleich. Er sieht in ihnen Rechtsgründe, die aus einem Schuldverhältnis als Ursprungsverhältnis (Quelle oder Organismus) [Schuldverhältnis im weiteren Sinne] entstehen. 817 Die leistungsbegleitenden Verhaltenspflichten sind zwischenzeitlich von der Schuldrechtsmodernisierung gesetzlich positiviert worden, krit. Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 43 (überflüssig); zust. Medicus, Zur Anwendbarkeit des Allgemeinen Schuldrechts auf Schutzpflichten, in: Heldrich, u.a. (Hg.), FS für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, Bd. I, S. 835 u. Fn. 2, der im Anschluss an Stoll und Canaris die Bezeichnung Schutzpflicht befürwortet. 818 Sie lässt sich ganz nach Wolfs Intention sachgerecht nur über die philosophischen Grundlagen der Vorstellung des Schuldverhältnisses lösen. Das Schuldverhältnis ließe sich nach den Grundzügen der Fichteschen Rechtslehre als ein vorpositives Rechtsverhältnis verstehen, welches den Rechtsgrund für die Rechte auf den Vertrag (d.i. Privatautonomie) wie auch auf andere Konkretionen des Rechtsverhältnisses (Delikt, GoA oder Rechtsverhältnisse wie Garantenstellung oder Ingerenz) vermittelt. Das Schuldverhältnis hätte danach eine vorgeordnete grundsätzlichere Bedeutung, wie sie auch in der Dogmatik mit dem Schuldver815

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damit Schuldverhältnisse im engeren Sinne. Die Entstehungstatbestände der durchsetzbaren Forderung (Vertrag und Gesetz) sind dieselben, die auch die naturale Forderung erzeugen. Soweit der Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne dazu dient zusätzliche Rechtsbeziehungen über das Schuldverhältnis im engeren Sinne hinaus zu begründen (Nebenpflichten, nachvertragliche Pflichten usf.) ist er für die Naturalobligation nicht spezifisch und aussagekräftig. Geht man davon aus, dass die Abgrenzung in Schuldverhältnisse im engeren und weiteren Sinne nur terminologischer Art ist819, lässt sich aus dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne für die Naturalobligation ohnehin nichts herleiten. (2) Der bloße Rechtsgrund Begriffsvielfalt kennzeichnet das Meinungslager, das in Fällen der Naturalobligation eine Recht-Pflicht-Struktur in der Güterbewegung verneint (kein Schuldverhältnis) aber die Behaltensbefugnis des Empfängers als objektiven Rechtsgrund und subjektive Rechtsposition anerkennt. So gehen im Anschluss an Krückmann 820 und Siber 821 eine Reihe von Autoren mit unterschiedlicher Diktion von einem (bloßen) Erwerbsgrund oder einer causa acquirendi822 aus823. Der gleichzeitige Ausschluss von Verbindlichkeit und Rückforderbarkeit führe zu einem rechtmäßigen Erwerbstitel, einem hinreichenden Erwerbsgrund oder gleichbedeutend einem ‚reinen Rechtsgrund‘ 824. hältnis im weiteren Sinne anklingt. Näher unten C. III. 1. c) dd), S. 372 f. u. C. III. 2. c) cc), S. 404. 819 Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 46; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht Rn. 13; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 9; E. Schmidt, Das Schuldverhältnis. Eine systematische Darstellung des Allgemeinen Schuldrechts, 2004, S. 2 Rn. 4. 820 Krückmann, Nachlese zur Unmöglichkeitslehre, JherJhrb 59 (1911) 1, 16 f. 821 Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis. Leipzig 1926, S. 1, 83 (causa acquirendi). 822 Gleichbedeutend wohl auch als causa adquirendi zu bezeichnen. 823 Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 531: Eine Naturalobligation ist zwar keine Forderung, bietet aber einen Erwerbs- oder Behaltensgrund (causa acquirendi vel soluti retentio); Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 7; Jauernig/Berger, BGB, 10. Aufl. 2004, § 762 Rn. 6 (Erwerbsgrund); Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Einl v § 241 Rn. 12 (gemeinsames Merkmal ist der Erwerbsgrund); Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 762 Rn. 5 (Unvollkommene Verbindlichkeit und Rechtsgrund für Erfüllungsleistung), Erman/ H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 812 Rn. 44 unter Hinweis auf RG JW 1917, 104; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 I 2, S. 90 bejaht einen bloßen Erwerbsgrund für sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht. Dagegen sieht er einen Rechtsgrund mit Leistungspflicht bei unvollkommener Verbindlichkeit (ebd. § 4 V 2, S. 85). 824 Bei Einordnung der Naturalobligation in eine Gruppe sog. reiner Rechtsgründe, deren Eigenart darin besteht, dass die Leistungsbewegung auf einer bloßen (nicht verpflichtenden) Zweckvereinbarung beruht, Krawiliecki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 161 f.; Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 51 f.

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(3) Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung Von der vorstehenden Einordnung ist die Auffassung nicht immer klar zu trennen, wonach in Fällen der Naturalobligation ein Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung vorliege 825. Die Leistung auf eine sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB meine ebenso wie § 814 Hs. 1 BGB eine nicht rückforderbare Leistung auf eine Nichtschuld. Dieser Ansatz gewährt eine Behaltensberechtigung des Empfängers ohne Rechtsgrund, aber aufgrund eines extralegalen Behaltensgrundes. (4) Rückforderungsausschluss (Rechtsschutzversagung im Kontext des § 814 BGB) Abweichend gegenüber (3) setzt eine weitere Meinungsgruppe auf ein Rückforderungsverbot gegenüber dem Leistenden. Die Behaltensberechtigung des Empfängers ist nur die reflexhafte Folge des Verbots gegenüber dem Leistenden, die Sache zurückzufordern. Diese Meinungsgruppe verneint ein Schuldund Rechtsverhältnis und spricht deshalb etwa von Nichtrechtsverhältnis, von erfüllbarer Nichtschuld826, von einem Spezialfall des § 814 BGB (Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens) 827 oder funktional von einer Rechtsschutzversagung im Kontext des § 814 BGB828. § 814 BGB wird danach in Parallele zu § 817 S. 2 BGB als Rechtsschutzversagung verstanden. Die entsprechenden Regeln über die ausgeschlossene Rückforderung in §§ 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2 BGB (soluti retentio) haben in dieser Konzeption im Wesentlichen nur klarstellende Bedeutung829. Die Verträge der Ehevermittlung sowie bei Spiel und Wette werden als unverbindlich bezeichnet830.

825 Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 814 Rn. 8; AnwK-BGB/von Sachsen Gessaphe, 2005, § 814 Rn. 10 (jeweils nur bezogen auf sittliche Pflicht u. Anstandsrücksicht). Im Ausgangspunkt so auch Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15. 826 Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl. 1991, § 84 III, Rn. 55; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 15 Rn. 69: erfüllbare Nichtforderung, worunter aber nur Spiel und Wette sowie der Ehemaklerlohn fallen sollen. 827 Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. 828 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 437 f.; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3. 829 Die Auffassung von Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 438, wonach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB den Grundsatz ‚volenti non fit iniuria‘ in einer über § 814 Alt. 1 BGB hinausgehenden besonders strikten Form zeige, führt nicht weiter. Die Parömie legitimiert den Zwang aus der Selbstbindung bei vertraglichen Forderungen, an der es nach Henssler aber in diesen Fällen überhaupt fehlen soll. 830 Unter Hinweis auf § 763 BGB, wonach Lotterie- und Ausspielungsvertrag bei staatlicher Genehmigung verbindlich sind, MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 18; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 6. Die dogmatische Struktur von derart nicht verbindlichen und deshalb unwirksamen Verträgen ohne Schuldverhältnis

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bb) Diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation Wie bereits die Begriffsvielfalt vermuten lässt, findet eine einheitliche systematische Erfassung der in Betracht kommenden Fälle praktisch nicht statt. Eine Ausnahme bildet eine von Maximilian Fuchs entwickelte Dichotomie von Naturalobligation und unvollkommener Verbindlichkeit831. Auf dessen Systematisierungsansatz komme ich im Anschluss an meine hier vorgeschlagene einheitliche Erfassung der Rechtsfigur zurück832. Nachfolgend gebe ich einen Überblick über die potentiellen Anwendungsfälle für eine Naturalobligation oder unvollkommene Verbindlichkeit. Systematisieren lassen sie sich nach den Entstehungsformen. Den jeweiligen Meinungsstand in Rechtsprechung und Lehre erörterte ich im Rahmen der Analyse der Einzelfälle 833. (1) Entstehung naturaler Forderungen aus gesetzlich bestimmten Vertragstypen Aus gesetzlich bestimmten Vertragstypen entstehen Leistungsrechte ohne einseitige Durchsetzungsmacht des Gläubigers. Zu den diskutierten Fällen gehören die in der Einleitung genannten Fälle: Die Lohnforderung des Ehemaklers aus § 656 BGB, die Forderungen aus Spiel- und Wettverträgen, § 762 BGB, die Forderungen aus dem Verlöbnis, § 1297 Abs. 1 BGB, die Vergütungsforderung des Rechtsanwalts aus einer formfehlerhaften Vergütungsvereinbarung soweit diese die gesetzliche Gebührenhöhe übersteigt (§ 4 Abs. 1 RVG) sowie die Forderungen aus internationalen Devisenkontrakten, die gegen das Devisenrecht eines Mitgliedstaates verstoßen, Art. VIII 2 b des Abkommens von BrettonWoods. Ebenfalls in diese Einordnung fallen die Forderungen aus Differenzgeschäften, § 764 BGB a.F. und aus unverbindlichen Börsentermingeschäften nicht terminfähiger Personen (§§ 52, 53 und 55 BörsG a.F.) 834. Beide sind aufgrund einer jüngeren Gesetzesänderung nur noch von nachgeordnetem Interesse und werwird nicht vertieft. Die Möglichkeit eines wirksamen Vertrages ohne Verbindlichkeit (ohne primäre Leistungspflicht) wird nicht erwogen, vgl. unten C. IV. 1. c) aa) (1), S. 439. 831 Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123. 832 Siehe unten C. II. 1. b), S. 262 ff. 833 Siehe unten C. IV. 5., S. 509 ff. 834 Nach herrschender Lehre entstanden Naturalobligationen, Schwintowski, Das Optionsgeschäft: Naturalobligation oder vollkommene Verbindlichkeit? ZIP 1988, 1021, 1022; H.P. Westermann, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Börsentermingeschäften. in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 675–683 (unvollkommene Verbindlichkeit); Schwark, BörsG, 2. Aufl. 1994, § 55 Rn. 11–18 (sittliche oder Anstandspflicht); ablehnend Joeres, Rückforderungsausschluß bei unverbindlichen Termingeschäften durch Beendigung der Geschäftsbeziehung? In: Horn (Hg.), FS für Herbert Schimansky, 1999, S. 667, 670.

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den hier nicht mehr eigenständig behandelt. § 764 BGB a.F. ist mit dem 4. Finanzmarktförderungsgesetz im Jahre 2002 zusammen mit den Regeln über die Börsentermingeschäftsfähigkeit (§§ 49 ff. BörsG) abgeschafft worden. Das hat bei den Differenzgeschäften im Ergebnis aber nur dazu geführt, dass einseitige Differenzgeschäfte, wie etwa das sog. Daytrading, nun durchsetzbare Forderungen begründen. Zweiseitige Differenzgeschäfte sind wie bisher zu behandeln, weil sie § 762 BGB direkt unterfallen. Dem Schuldner aus einem solchen Geschäft steht mithin der Spieleinwand zu835. Bei den Börsentermingeschäften ist das System einer eigenen Börsenrechtssphäre, die sich in einer speziellen Termingeschäftsfähigkeit ausbildet und dadurch institutionell schwächere und uninformierte Marktteilnehmer fernhalten oder schützen möchte, abgeschafft worden836. An die Stelle wechselseitig nichtdurchsetzbarer Naturalobligationen sind durchsetzbare Geschäftsforderungen getreten. Der nicht ordnungsgemäß informierte Verbraucher837 kann und muss nunmehr den Forderungen des Finanzdienstleisters eigene Schadensersatzforderungen entgegenstellen, § 37 d Abs. 4 WpHG. (2) Naturale Forderungen aus tatsächlichen Umständen Zwangsweise durchsetzbare Forderungen können diese Eigenschaft beim Eintritt bestimmter tatsächlicher Umstände verlieren. Dies betrifft einmal die Änderung des Rechts durch Zeitablauf (Verjährung) und zum anderen die Kürzung von Forderungen in der Insolvenz. Die dem Schuldner bei Eintritt der Verjährung zuwachsende Rechtsmacht aus dem Einrederecht (§ 214 Abs. 1 BGB) verändert den rechtlichen Status des Gläubigerrechts838. Sie nimmt dem Gläubiger die einseitige Durchsetzungsmacht und führt zu einer nicht mehr 835 MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 10; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, 762 Rn. 5 a u. Anh § 764 Rn. 4; AnwK-BGB/Schreiber, 2005, § 762 Rn. 12. 836 Casper, Das neue Recht der Termingeschäfte, WM 2003, 161 begrüßt die Abschaffung der weltweit einzigartigen statusbezogenen Termingeschäftsfähigkeit durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. I 2002, S. 2010. Zur Kritik im Hinblick auf die Tauglichkeit des Schutzkonzepts der Terminfähigkeit, Assmann, Börsentermingeschäftsfähigkeit, in: Kübler (Hg.), FS für Theodor Heinsius, 1991, 1, 2 ff.; dagegen über die Vorzüge in historischer Sicht und mit Kritik am neuen Informationsmodell, F. A. Schäfer, Das neue Recht der Finanztermingeschäfte – Plädoyer für seine Abschaffung, in: Fuchs/Schintowski/Zimmer, FS für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, 2004, S. 689, 703. 837 Zu recht kritisch Schön, Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer neuen Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, in: FS für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. I, Heldrich/ Prölss/ Koller (Hg.), 2007, S. 1191, 1210. 838 Das Forderungsrecht des Gläubigers wird durch die Rechtsmacht des Schuldners aus dem peremptorischen Einrederecht (§ 214 Abs. 1 BGB) verändert. Die Schwächung der Gläubigerposition (Verlust der einseitigen Durchsetzungsmacht) ergibt sich allerdings erst aus der Zusammenschau und normativen Bewertung von Forderung und Einrederecht. Vgl. unten C. IV. 5. a) bb), S. 511.

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

199

durchsetzbaren Forderung (Naturalobligation). Nach der hier vertretenen Auffassung führt die spätere Ausübung des Einrederechts (Einredeerhebung) dann aber weitergehend auch zum Verlust der Einforderungsbefugnis. Die tatsächliche Rechtsausübung neutralisiert das Forderungsrecht und führt zum Anspruchsverlust für den Gläubiger. Die Forderung lebt jedoch als Naturalobligation auf, wenn der Schuldner die Einrede fallen lässt und sie lebt als Zivilobligation auf, wenn der Schuldner nachträglich auf die Einrede verzichtet. Der durch bestätigten Insolvenzplan und Restschuldbefreiung, §§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO, gekürzte Forderungsteil839 bleibt als Naturalobligation bestehen. (3) Zuwendungen aus sittlicher Pflicht Die Entstehungsgeschichte des § 814 Hs. 2 BGB zeigt, dass der BGB-Gesetzgeber mit dieser Vorschrift Anschluss an die wiederentdeckte Tradition der Naturalobligation in anderen europäischen Kodifikationen gesucht hat (nachfolgend B. II.) 840. Die Besonderheit sittlicher Pflichten im Sinne des BGB liegt in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung. In allen Anwendungsfällen, namentlich bei § 814 Hs. 2 BGB, kann erst nach einer erfolgten Leistungsbewegung ein Leistungspflichtverhältnis festgestellt werden. Ein Anspruch gerichtet auf Feststellung des Bestehens oder auf Erfüllung sittlicher Pflichten ist durch die gesetzliche Gestaltung ausgeschlossen und auch Verfügungsbefugnisse (Zession, Verpfändung, Schuldübernahme) sind gegenstandslos. Zuwendungen aus sittlicher Pflicht kommen als gesetzlich ausgeformte Leistungsbeziehungen, § 1624 Abs. 1 BGB, sowie als richterrechtlich feststellungsbedürftige Leistungspflichten (814 Hs. 2) überwiegend unter einem schenkungsrechtlichen Sonderregime in Betracht (§§ 534, 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1425, 1641, 1804, 2113, 2205, 2207, 2330 BGB).

839 Zu § 8 Abs. 2 VerglO a.F. BGH v. 11.5.1978, BGHZ 71, 309, 311 (Die Schuld bleibt soweit sie aufgrund bestätigten Vergleiches erlassen wurde, als Naturalobligation bestehen). Das gilt auch für die InsO. Die im Rahmen eines Insolvenzplanes oder im Falle der Restschuldbefreiung erfolgende Kürzung einer unter Insolvenzbeschlag stehenden Gläubigerforderung führt nicht zum Erlöschen des gekürzten Teiles, sondern wandelt diesen in eine Naturalobligation um. Die Forderung bleibt zwar nach § 301 Abs. 3 InsO bestehen, jedoch kann sie nicht mehr durchgesetzt werden; vgl. Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, 2006, § 301 Rn. 10. 840 Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 139 hält die Deutung des § 814 Hs. 2 BGB als Naturalobligation für unbestritten.

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B. Historischer Teil

(4) Naturalobligationen kraft vertraglicher Abrede Eine eigenständige Fallgruppe bilden die Naturalobligationen kraft vertraglicher Abrede. Überschneidungen mit anderen Fällen ergeben sich, soweit naturale in zivile Forderungen umgewandelt werden dürfen. So etwa durch das Ausstattungsversprechen nach Maßgabe des § 1624 BGB, das formlos wirksam und klagbar ist841. Der Umwandlung kann aber die gesetzliche Regelung entgegenstehen. So verbieten die §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB es, „zum Zwecke der Erfüllung des Versprechens … eine Verbindlichkeit einzugehen“. Diese rechtsgeschäftliche Beschränkung wird oftmals ungenau als Novationsverbot bezeichnet842. In Betracht kommt ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss der Zwangsbefugnisse. Auslegungsfrage ist es, ob bei einem vereinbarten Ausschluss der Klagbarkeit die Zwangsbefugnisse insgesamt oder entsprechend dem Wortlaut nur die Klagebefugnis abbedungen wurde843. Werden sämtliche gegenseitigen Vertragspflichten ohne Zwangsbefugnisse vereinbart, kommt die Bezeichnung Gentlemen’s Agreement in Betracht. Bei sog. freiwilligen Selbstverpflichtungen ist im Wege der Auslegung zu bestimmen, ob obligatorische Pflichten begründet werden sollten oder lediglich Absichtserklärungen vorliegen. Nur im ersteren Falle ist die Bezeichnung „Selbstverpflichtung“ zivildogmatisch berechtigt und führt zur Annahme einer Naturalobligation.

841

Erst die Übermaßausstattung (das angemessene Maß übersteigend) ist Schenkung und entsprechend formbedürftig (§ 518 BGB); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl. 1994, § 56 II. 2, S. 854. 842 Unter Novation ist die identitätsaufhebende Ersetzung und Neubegründung eines Schuldgrundes (sog. Schuldumschaffung) zu verstehen. Die Umwandlung einer nicht durchsetzbaren vertraglichen Forderung in eine durchsetzbare vertragliche Forderung bedeutet dagegen nur eine identitätswahrende Schuldänderung. Das zeigt auch der Fall einer Schuldumwandlung in ein Darlehen (Vereinbarungsdarlehen). Diese Schuldänderung wird heute von § 311 Abs. 1 BGB miterfasst (vormals § 607 Abs. 2 BGB a.F.), Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl. 2006, § 488 Rn. 27. Anders wohl im römischen Recht. Sofern die stipulatio den von ihr betroffenen Anspruch nannte, sprach man bereits von Novation, Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 68. Auch das abstrakte Schuldanerkenntnis führt nicht zur Neubegründung der Schuld. Es hat keine novatorische Wirkung. Es wird im Zweifel immer nur erfüllungshalber geleistet, § 364 Abs. 2 BGB (ebd. S. 69). Konstruktiv kommt für die Umwandlung auch ein kausales Schuldversprechen in Betracht, das ähnlich einer Selbstverbürgung neben den Rechtsgrund der Sitte tritt (Ebd. 229). Ebenso Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97 (für sittliche Pflichten), der die Trennung von Sitte und Recht auf der Rechtsgrundebene für eine bloße Verlagerung in eine weitere Denkstufe einstuft und deshalb ablehnt. 843 Abzugrenzen ist diese Vereinbarung gegenüber dem pactum de non petendo, welches auch die Einforderungsbefugnis und den Anspruch aufhebt .

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

201

cc) Nicht (mehr) diskutierte Fälle für die Anerkennung einer Naturalobligation Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Diskussion über den Anwendungsbereich der Naturalobligation brachte Fälle hervor, für die die Rechtsfigur anerkannt oder in Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsgestaltungen zurückgewiesen wurde. Diese potentielle Ausweitung des Anwendungsbereichs der Rechtsfigur Naturalobligation ist hier kurz zu überblicken. (1) Taschengeldgeschäfte des Minderjährigen (§ 110 BGB) An die Stelle einer obligatio naturalis aus Geschäften des heranwachsenden Kindes nach römischem Recht844 ist im BGB ein der restitutio in integrum nachgebildetes Zustimmungsmodell getreten (§§ 107 ff. BGB) 845. Davon macht § 110 BGB eine Ausnahme. Die Bewirkung der Leistung nach Maßgabe dieser Vorschrift führt zu einem Erfüllungsanspruch des Vertragspartners gegen den Minderjährigen846. Daraus können prinzipiell Sekundäransprüche auf Nacherfüllung und Schadensersatz entstehen847 und diese könnten eine Vermögensgefährdung für den Minderjährigen bedeuten. Eine gegen den Minderjährigen nicht erzwingbare Naturalobligation würde diese Gefahr ausschließen. Die Entstehung offener Verbindlichkeiten des Minderjährigen wird jedoch bereits dadurch verhindert, dass die Wirksamkeit des Vertrages von der Bewirkung der 844 Jedenfalls in justinianischer Zeit könnte sich die Begründung einer Naturalobligation durch den inpubes durchgesetzt haben, HKK/Thier, BGB, 2003, §§ 104–115 Rn. 6 u. Fn. 23 („Der Quellenbefund hierzu ist diffus“). Näher oben B. I. 1. dd), S. 54. 845 Die restitutio in integrum bedeutete die rückwirkende Unwirksamkeit des Vertrages und eröffnete die Rückabwicklung und den vollständigen Ausgleich eines etwa erlittenen Vermögensschadens des Minderjährigen, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 13 Rn. 8 f., S. 103 f.; HKK/Thier, BGB, 2003, §§ 104 – 115 Rn. 10. Im geltenden Recht ist das rechtlich nicht lediglich vorteilhafte Geschäft ohne die vorherige Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ab initio unwirksam, denn die Zustimmung (Einwilligung oder Genehmigung) ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die eigene Erklärung des Minderjährigen, AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 107 Rn. 3; eine Genehmigung beseitigt die Unwirksamkeit ex tunc. Die schwebende Unwirksamkeit ist daher kein Zustand zwischen Wirksamkeit und Unwirksamkeit (ebd., § 108 Rn. 1). Die Zustimmung stellt die Wirksamkeit des Geschäfts her und beschneidet nicht die Durchsetzbarkeit und damit den Leistungsschutz des Vertragspartners des Minderjährigen, wie bei einer Naturalobligation. 846 Die Dogmatik des § 110 BGB wird nicht einheitlich beurteilt. Nach einer Auffassung liegt der Mittelüberlassung eine Generaleinwilligung im Sinne von § 107 BGB zugrunde. Nach anderer Auffassung wird es über die erforderliche Bewirkungshandlung als ein kraft Gesetzes wirksam gewordenes Rechtsgeschäft konstruiert, vgl. zum Streit Staudinger/ Knothe, BGB, 13. Bearb. 2004, § 110 Rn. 3; AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 110 Rn. 1. 847 Praktisch wird dies in dem eher seltenen Fall, dass die Vertragsleistung des Minderjährigen nicht in Geld besteht, sondern ihm Sachen als Mittel im Sinne von § 110 BGB überlassen wurden, die der Minderjährige etwa tauscht oder verkauft. AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 110 Rn. 9.

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B. Historischer Teil

„vertragsmäßigen Leistung“ durch den Minderjährigen abhängig gemacht wurde. Der Minderjährige ist also vor Ansprüchen aus Leistungsstörungen geschützt, weil und soweit die „vertragsgemäße Leistung“ im Sinne von § 110 BGB nur wirksame Erfüllungsleistungen sind (§ 362 Abs. 1 BGB), was bei Kauf- oder Werkverträgen nur fehlerfreie Leistungen sind (§§ 433 Abs. 1 S. 2, 633 Abs. 1 BGB). Der Gleichlauf von Erfüllung und Verpflichtung mit überlassenen Mitteln verhindert also offene Verbindlichkeiten, namentlich Nacherfüllungspflichten des Minderjährigen. Die „Pupillenobligation“ ist daher auch in den Fällen des § 110 BGB nicht als Naturalobligation zu werten. (2) Geschäfte des täglichen Lebens von geschäftsunfähigen Volljährigen (§ 105 a BGB) Geschäfte des täglichen Lebens Volljähriger, die geschäftsunfähig sind, haben in § 105 a BGB rechtliche Anerkennung erfahren und zugleich erhebliches dogmatisches Aufsehen erregt848. Ziel des Gesetzgebers war es, die Rechtsstellung dieses Personenkreises zu verbessern. Den Geschäftsunfähigen sollte unter Beibehaltung der Nichtigkeit ihrer Willenserklärungen (§ 105 Abs. 1 BGB) durch § 105 a BGB eine begrenzte Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht werden. Gedacht war, lediglich die bereicherungsrechtliche Rückforderung auszuschließen849. Danach fingiert § 105 a BGB eine Behaltensbefugnis aus kleineren und ungefährlichen Geschäften des täglichen Lebens850 vom Zeitpunkt der wechselseitigen Leistungserbringung an. Die wohl überwiegende Auffassung geht weitergehend davon aus, dass die fingierte Wirksamkeit in § 105 a BGB („… gilt … in Ansehung von Leistung und, …, Gegenleistung als wirksam.“) das Geschäft insgesamt erfasst851. Das Konzept entspricht funktional insofern der Heilung formnichtiger Verträge852.

848

AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 105a Rn. 1. BT-Dr 14/9266, S. 43. 850 Der Ausschluss der Rückforderung aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Fall BGB, so Hk-BGB/ Dörner, 5. Aufl. 2007, § 105a Rn. 1; Lipp, Die neue Geschäftsfähigkeit Erwachsener, FamRZ 2003, 721, 723 greift aber zu kurz. Präziser geht es um die isoliert zuerkannte Behaltensbefugnis aus dem Forderungsrecht, die wegen des insgesamt nichtigen Vertrages (§ 105 Abs. 1 BGB) fingiert werden muss. 851 AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 105a Rn. 26 f. (Anknüpfung an einen faktischen Konsens); Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 105 a Rn. 6; Erman/Palm, BGB, 11. Aufl. 2004, § 105 a Rn. 14; PWW/Völzmann-Stickelbrock, BGB, 2006, § 105 a Rn. 8 sowie Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 105 a Rn. 6, der darauf abstellt, der Gesetzgeber hätte sonst die Frage bei §§ 813, 814 BGB regeln müssen. Rechts- und Behaltensgründe gehören nach der Systematik des BGB aber in das Recht der Güterbewegung und nicht in das darauf nur reagierende Bereicherungsrecht. 852 Casper, Geschäfte des täglichen Lebens – kritische Anmerkungen zum neuen § 105a BGB, NJW 2002, 3425, 3427. 849

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

203

Die Naturalobligation hätte sich als Schutzinstrument vor Zugriffen in das Vermögen des Geschäftsunfähigen durchaus angeboten, denn der Vertrag wäre dann ohne Fiktion wirksam853 und brächte auf Seiten des Geschäftsunfähigen lediglich eine diesen treffende Naturalobligation hervor. Diese könnte freiwillig erfüllt, aber nicht erzwungen werden. Sekundäre Leistungsansprüche blieben ebenfalls undurchsetzbar. Der Gesetzgeber ist mit der fingierten Behaltensbefugnis aus einem nichtigen Rechtsgeschäft aber einen neuen eigenen, und nach meinem Dafürhalten überkonstruierten Weg gegangen, der auch mit dem Konzept der Naturalobligation nicht zu erklären ist. (3) Heilung formnichtiger Verträge Anders als im römischen und gemeinen Recht sowie etwa in § 1432 Alt. 2 ABGB sieht das BGB im formfehlerhaften Konsens grundsätzlich keinen Fall einer Naturalobligation. Eine singuläre Ausnahme bildet aber die formfehlerhafte Vergütungsabsprache in § 4 Abs. 1 RVG. Stattdessen hat sich der deutsche Gesetzgeber als paralleles Schutzinstrument in einzelnen Fällen für die Konvaleszenz entschieden (§§ 311 b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3 BGB, 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG) 854. (4) Zu Unrecht abgewiesene Klageforderungen (Einschränkung der res iudicata) Sind klageweise geltend gemachte Forderungen zu Unrecht abgewiesen worden, so steht dem Gläubiger die Möglichkeit offen, im Wege der Nichtigkeitsoder der Restitutionsklage die Rechtskraft der unrichtigen Entscheidung zu beseitigen (§§ 578 ff. ZPO). Leistet der Schuldner gleichwohl auf die aberkannten Forderungen, so kann er die Leistung als wissentliche Erfüllung einer Nichtschuld nicht zurückfordern (§ 814 Hs. 1 BGB). Für die Annahme einer Naturalobligation ist danach kein Bedarf 855.

853 Er wäre anstelle von § 105 Abs. 1 BGB aus wirksamen Willenserklärungen zu konstruieren. 854 Wilma Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluss und Heilung nach § 1432 ABGB, Wien, 1998, S. 173 (zu den Vorzügen des Konzepts der Naturalobligation). Zu den dogmatischen Unterschieden des Heilungskonzepts gegenüber der Naturalobligation vgl. C. IV. 4. c) bb) (4), S. 493. 855 So noch Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910, S. 56.

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B. Historischer Teil

(5) Unverbindlichkeit Dem BGB ist eine Figur der „Unverbindlichkeit“ bislang nicht bekannt. Eindeutig ist dies, sofern Unverbindlichkeit als ein Sonderfall der nachträglichen Vernichtbarkeit (gleich der Anfechtbarkeit) gedeutet wird856. Eine vorläufige Verbindlichkeit gibt es nicht. Meint Unverbindlichkeit eine Form der Unwirksamkeit der Forderung857, so scheidet die Naturalobligation von vornherein aus. Begrifflich ist eine unverbindliche Forderung ein Selbstwiderspruch und daher unsinnig. Auch für eine Naturalobligation ist daher kein Raum858. (a) Unverbindliche Konkurrenzverbote Nach Maßgabe der §§ 74 ff. HGB sind Wettbewerbsverbote für den Handlungsgehilfen nicht verbindlich, wenn keine ausreichende Karenzzahlung mit dem Prinzipal vereinbart wurde und das Verbot keinem Interesse des Prinzipals dient oder das Fortkommen des Gehilfen unbillig erschwert würde 859. Der Gehilfe erhält in diesen Fällen ein Wahlrecht. Er kann das Wettbewerbsverbot akzeptieren und die Karenzzahlung verlangen oder sich von dem vereinbarten Wettbewerbsverbot lösen860. Die Ausübung dieses Wahlrechts hat Gestaltungswirkung. Die unverbindliche Abrede wird wirksam. Bis zu der Erklärung bleibt aber kein Raum für die Annahme, das Wettbewerbsverbot gelte vorläufig als Naturalobligation, die dann in eine Zivilobligation umgewandelt wird. Die unverbindliche Abrede bleibt unwirksam861. Das Konzept entspricht damit der Konvaleszenz.

856

Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 149. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 149 mit dem Hinweis, dass die durch Unbilligkeit nach Maßgabe der §§ 315 Abs. 3 S. 1, 319 Abs. 1 S. 1 BGB bewirkte Unwirksamkeit der Forderung nicht besonders geltend gemacht werden muss, sondern automatisch eintritt. 858 Die Forderung ist vom Vertrag (und der Frage seiner Wirksamkeit) aber strikt zu trennen. Zur Unverbindlichkeit als Sonderfall des wirksamen Rechtsgeschäfts bei fehlender oder noch unbestimmter Forderung, vgl. C. III. 2. a) cc), S. 338. 859 §§ 74 Abs. 2, 74 a Abs. 1 S. 1 u. 2 HGB. 860 Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 75 d Rn. 2. 861 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 168 („Nichtverbindlichkeit“). 857

I.5. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB

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(b) Unbillige Vertragsstrafen, § 343 BGB Auch die unbillige hohe Vertragsstrafe besteht nicht als eine Naturalobligation862. Es handelt sich um eine unwirksame Vereinbarung, wobei die Unwirksamkeit vom Vertragsstrafenschuldner geltend gemacht werden muss863.

862

So etwa Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910,

S. 42 f. 863 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 167 („Nichtverbindlichkeit“).

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II. Historisch-rechtsvergleichende Begriffsgeschichte 1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation Die historischen Entwicklungslinien ausgehend von der römisch-rechtlichen Naturalobligation und der naturrechtlichen unvollkommenen Verbindlichkeit haben sich in den europäischen Kodifikationen bis heute erhalten. In den großen Kodifikationen seit dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 werden Leistungen aus sittlicher, sozialer oder moralischer Pflicht rechtlich anerkannt sowie Forderungen aus bestimmten Vertragsverhältnissen ohne Zwangsbefugnisse ausgebildet. Der Gläubiger einer solchen Leistung ist von der Verpflichtung zur Rückgabe befreit (soluti retentio). Die sittliche Pflicht ist causa. Ebenso bleiben freiwillige Leistungen, die in Kenntnis der Nichtschuld erbracht werden, von der Rückforderung ausgeschlossen. Zwei unterschiedliche Theorien der obligatio naturalis haben dabei zu unterschiedlichen Regelungsmodellen in den europäischen Kodifikationen geführt: Eine objektive, an der klassischen römischen obligatio naturalis orientierte Theorie und eine subjektive, am modernen Naturrecht ausgerichtete Theorie der Naturalobligation. Beide werden in der französischen und italienischen Lehre zur obligatio naturalis bis heute unterschieden1.

a) Die objektive oder klassische Theorie Nach der objektiven oder klassischen Theorie2 besitzt die Naturalobligation dieselbe Rechtsnatur wie die Zivilobligation. Sie ersetzt die Zivilobligation in Fällen, in denen eine zwangsweise Durchsetzung nicht oder nicht mehr zuge1 Für Italien vgl. Rotondi, Quelques considérations sur le concept d’obligation naturelle et sur son évolution, Revue trimestrielle de Droit Civil 77 (1979) 1, 4 f. m.w.N.; für Frankreich Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 4–7. Einteilung in klassisch und modern etwa bei Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, 1973, n° 16 u. 22. 2 Die römisch-rechtliche, klassische, objektive und enge Theorie geht auf Jean Domat (1625–1696) zurück. Zu Domat vgl. bereits oben B. I. 3. c) aa) (2), S. 106; zur Person Holthöfer in: Stolleis, Juristen – Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, 1995, S. 173 ff.

II.1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation

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lassen werden soll. Der Entzug der Zwangsbefugnisse erfolgt kraft gesetzlicher Anordnung und nach Auffassung von Aubry/Rau aus Gründen des sozialen Nutzens3. „Les obligations simplement naturelles sont, d’autre part, les obligations à la fois naturelles et civiles à l’origine, auxquelles le législateur a, par des motifs d’utilité sociale, retiré le droit d’action“

Der Unterschied zwischen zivilen und naturalen Obligationen verflacht zu einem einfachen gesetzgeberischen Gestaltungsmittel. Die Klagbarkeit kann ursprünglich fehlen (etwa bei der formnichtigen Forderung) oder sie kann nachträglich wegfallen (etwa bei der verjährten Forderung). Paradefall ist die Verjährung, die als Schwächung der Forderung durch Zeitablauf verstanden wird. Georges Ripert spricht von einer „obligation civile dégénérée“4. Der Schuldner leistet auf die bestehende Schuld. Sein Irrtum über die Klagbarkeit ist ebenso unbeachtlich wie die versehentlich vor dem Eintritt der Fälligkeit erbrachte Leistung5. Die Gleichstellung mit der Zivilobligation eröffnet die volle Funktionalität des Leistungsrechts. Die Aufrechnung mit einer Zivilobligation gegen eine Naturalobligation6 und die rechtsgeschäftliche Umwandlung von einer Zivil- in eine Naturalobligation sowie von dieser in jene werden grundsätzlich zugelassen. Die Verbürgung für eine Naturalobligation und die Besicherung durch Pfand sind im Grundsatz ebenso möglich7.

b) Die subjektive oder moderne Theorie Nach der subjektiven Theorie der obligation naturelle8 muss die geschuldete Leistung bestimmt oder bestimmbar sein und die Pflicht muss obligatorischen Charakter haben (iuris vinculum)9. Kennzeichen der subjektiven Theorie ist 3 Aubry/Rau, Cours de droit civil français, vol. 4, 4. Aufl., 1871, § 297 n° 1. Es sind Verbindlichkeiten, die an sich geeignet sind, Gegenstand gerichtlichen Zwanges zu werden. 4 Ripert, La règle morale dans les obligations civiles, 4. éd. 1949, p. 187 ss. 5 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248, 1995, n° 5. 6 Da die Aufrechnung mit einer naturalen Aktivforderung deren zwangsweiser Durchsetzung gleichkäme, ist die Aufrechnung sowohl gegen eine Zivil- als auch gegen eine Naturalobligation ausgeschlossen, Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, 1973, n° 56. 7 Ripert, La règle morale dans les obligations civiles, 4. éd. 1949, p. 194 s. 8 Die moderne subjektive und weite Theorie wird auf Pothier (1699 – 1772) und die Kanonistik zurückgeführt. Zu Pothier oben B. I. 3. c) aa) (6), S. 113; zur Person Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus 9 Jahrhunderten, 4. Aufl. 1996, S. 321 ff. u. Luig, Robert-Joseph Pothier und die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen unter der Geltung des Code civil, ZEuP 2002, 489 ff. 9 Pothier, auf den die subjektive Theorie zurückgeht, unterscheidet das iuris vinculum vom vinculum solius aequitatis und hält beide für obligations parfaites, d.h. Pflichten, deren Erfüllung verlangt werden darf; siehe oben B. I. 3. c) (aa) (6), S. 113.

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B. Historischer Teil

aber die Beachtung der Beweggründe des Schuldners bei der Leistung 10. Gefragt wird, ob die Pflicht für den Leistenden auch subjektiv zwingend war. Das setzt voraus, dass der Schuldner die Pflicht als für sich bindend anerkannt hat und in Ansehung der Umstände über das „ob“ und das „wie“ selbst entscheidet11. Der gesetzlich nicht aufgenommene Geschwisterunterhalt ist für Ripert ein solches Mittelding zwischen Moral und Recht („devoir moral qui monte vers l’obligation civile“) 12. Zur objektiv sittlichen Pflicht muss danach ein subjektives Bekenntnis des Schuldners hinzutreten. Der Schuldner muss die auf ihm lastende moralische Pflicht durch sein Verhalten anerkennen. Der äußerliche Akt der Anerkennung (reconnaissance) liegt in einem Leistungsversprechen oder der Leistungshandlung und ist mit der Freiheit des Willens verknüpft13. Verlangt wird deshalb eine Leistung in voller Kenntnis der Umstände14. Die freiwillige Schuldnerleistung genügt allein nicht, denn auch der Schuldner, der irrig davon ausging, zur Leistung gezwungen werden zu können, handelt freiwillig. Er erfüllt aber keine moralische Pflicht. Nur der Schuldner, der in Ansehung der Pflicht weiß, dass er zur Leistung nicht gezwungen werden kann (debitor sciens), handelt indiziell „aus Pflicht“ und anerkennt die an ihn gerichtete Forderung als für sich bindend. Der Anerkennungsakt kann außer durch Leistung auch durch ein Leistungsversprechen erfolgen, das funktional der Erfüllungsleistung entspricht und eine durchsetzbare Leistungspflicht begründet15. Das Leistungsversprechen wandelt die naturale in eine zivile Obligation um. Es besitzt – so sagt man – novatorische Wirkung. 10 Ghestin/Goubeaux, Traité de droit civil, Introduction générale, 2. éd., 1983, n° 669 (d’origine canonique); die Theorie wird zurückgeführt auf Pothier (oben Fn. 8). 11 Auch bei den angeratenen oder abgeratenen Handlungen (sog. supererogatorische Handlungen) ist die Entscheidung dem Handelnden überlassen (vgl. dazu unten C. III. 2. b) bb), S. 389). Die Übergänge sind fließend. Der Unterschied zeigt sich im Erfordernis des Anerkennungsakts. Nach der subjektiven Theorie der obligation naturelle nimmt die Anerkennung Bezug auf eine moralisch zwingende Pflicht. Aus dem Akt der Anerkennung erwächst sodann eine unabweisbare Schuldpflicht, die, etwa im Falle eines Versprechens, auch gerichtlich erzwungen werden kann. Dagegen folgt die supererogatorische Handlung einem moralischen Ratschlag. Dennoch ist die Nähe beider Konzepte durch das subjektive Moment der Entscheidung unverkennbar. In den objektiven Lehren steht der Handelnde unter einer objektiv sittlich-rechtlichen Pflicht, deren Erfüllung lediglich nicht erzwungen werden kann. 12 Ripert, La règle morale dans les obligations civiles, 4. éd. 1949, p. 187 ss. 13 Das entspricht einem moralischen Handlungsbegriff. Die Autorschaft des Schuldners über die Erfüllungsentscheidung muss danach in einem zweifachen Sinne vorliegen. Er muss selbst die Initiative ergriffen haben und nur er darf sie ergriffen haben. 14 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 6 („exécution éclairée de l’obligation naturelle“). Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen der subjektiven und der objektiven Theorie. Die Leistung selbst hat materiell rechtsbegründende Wirkung, weil erst durch sie die Pflicht entsteht. Die Pflicht entsteht durch Anerkennung des Leistenden und macht ihn damit erst (rückblickend) zum Pflichtigen. 15 Die französische Lehre geht davon aus, dass auch das einseitige Versprechen novatori-

II.1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation

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c) Regelungstechnische Differenzierung Die regelungstechnische Differenzierung beider Theorien zeigt sich bei den subjektiven Voraussetzungen. Ist im Rückforderungsprozess festzustellen, dass der Leistende auf eine bestehende sittliche Pflicht aus Achtung vor dem Gesetz (‚aus Pflicht‘) geleistet hat, so entspricht sie der subjektiven Theorie. Abgrenzungsmerkmal zwischen Sitte und Recht ist neben der Bestimmtheitsdifferenz seit Kant die Ausführungsmotivation aus guter Gesinnung und damit die subjektive Seite des Schuldnerhandelns. Intrinsisches Pflichthandeln lässt sich indes kaum beweisen. Die rechtliche Ausgestaltung setzt daher bei der Handlungsentscheidung des Schuldners über die Erfüllung an. Sie verlangt einen Anerkennungsakt, dessen Bezugspunkt die auf dem Schuldner objektiv lastende sittlich-moralische Verpflichtung ist. Die Anerkennung erfordert Freiwilligkeit als Ausdruck moralischen Handelns. Sie setzt die persönliche Initiative des Schuldners (Autorschaft), die Freiheit von Zwang und zusätzlich die genaue Kenntnis aller Handlungsumstände voraus16. Der Schuldner muss also auch positiv wissen, dass die Erfüllung von ihm nicht erzwungen werden kann. Nur in diesem Falle lässt seine Gleichwohlleistung indiziell auf eine tugendhafte Handlung schließen. Allein der wissende Schuldner anerkennt im vollen Sinne seine moralische Pflicht17. Die Regelungstechnik nach der subjektiven Theorie ermöglicht es indes nicht, auch das moralische Motiv des Schuldners festzustellen. Der wissende Schuldner kann selbstverständlich andere praktische Gründe haben, eine Schuld zu erfüllen, er muss sie nicht ‚aus Pflicht‘ erfüllt haben. Um auch diesem Umstand Rechnung zu tragen, findet sich teilweise ferner die Voraussetzung einer „spontanen“ Leistung18. Damit ist das impulshafte und gefühlte Rechtsempfinden ohne Abwägung oder Überle-

sche Wirkung besitzt und damit eine klagbare Leistungspflicht begründet. Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 91 spricht von „novation par changement de nature“. Siehe B. II. 2. a) aa), S. 214 u. Fn. 49. 16 Die ohne Zwang vorgenommene Erfüllungshandlung ist noch kein ausreichendes Indiz für eine moralische Anerkennung, weil der Schuldner auch nur aus Furcht vor vermeintlich ihn bedrohenden Rechtszwang gehandelt haben könnte. Nach Aristoteles verursacht derjenige, der eine tugendanaloge Handlung nur aus Furcht wählt, die tugendhafte Handlung nur akzidentell. Sie könnte keinen Aufschluss über den Charakter des Handelnden geben, Rapp, Freiwilligkeit, Entscheidung, Verantwortlichkeit (III, 1–7), in: Höffe (Hg.), Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, S. 109, 130. 17 Die Differenzierung des Freiwilligkeitsbegriffs geht auf Aristoteles zurück. Voraussetzung für die moralische Verantwortlichkeit ist die Abwesenheit von Zwang und das genaue Wissen um alle Handlungsumstände, vgl. Elm, in: Höffe (Hg.), Aristoteles-Lexikon, 2005, Stichwort: freiwillig (hêkon) S. 247, 248. 18 So in Art. 403 port. CC („prestado espontaneamente“) und Art. 2034 Abs. 1 ital. CC („spontaneamente prestato“). Die deutsche Übersetzung des italienischen Textes bei Bauer/ Eccer/König/Kreuzer/Zanon, Bozen 2004, lautet: „aus freien Stücken“. Das ist meines Erachtens zu schwach formuliert.

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gung angesprochen19. Zur freiwilligen Erfüllung aus eigener Initiative und in Kenntnis der Rechtslage muss also noch ein weiteres Element hinzukommen. Ein intrinsisches Handeln aus Pflicht lässt sich vermuten, wenn der Pflichtige spontan leistet20. Die Leistung ist Anerkennungsakt und sie konkretisiert zugleich den Pflichtinhalt und stellt ihn fest. Der gesetzliche Rückforderungsausschluss schützt damit die Leistungsbewegung aus moralischer Pflichterfüllung. Kennzeichen der objektiven oder klassischen Theorie ist dagegen eine Regelung unter Außerachtlassung subjektiver Handlungsmotive des Schuldners. Sie wird mit der Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums über die Erzwingbarkeit der Schuld ausgedrückt. Der Gläubiger darf die Leistung auch dann behalten, wenn der Schuldner irrig annahm, zur Leistung gezwungen werden zu können. Auf die Kenntnis des Schuldners vom sittlichen Gebot und von der fehlenden Zwangsbewehrung kommt es nicht an. Die „sittliche Pflicht“ wird objektiv verstanden. Sittliche Pflichten werden in der für das Recht kennzeichnenden Weise nur einer äußeren objektiven Betrachtung unterzogen. Die objektive Theorie zwingt ferner zu der Annahme, dass eine Leistungspflicht im Rechtssinne besteht 21. Die ex post erfolgende richterliche Feststellung der Pflicht stellt auf den Zeitpunkt der Leistung ab. Die subjektive Theorie schaltet dagegen einen subjektiven Anerkennungsakt gleichsam zwischen die beiden Normsphären Recht und Sitte. Die Transposition der „sittlichen Pflicht“ aus einem extralegalen Normbereich in das Recht, wie sie in der subjektiven Ausrichtung durch den Anerkennungsakt des Schuldners geschieht, erfolgt nach der objektiven Theorie durch die nachträgliche richterliche Feststellung. Die freiwillige Schuldnerleistung kann als potentiell rechtsirrige Leistungshandlung den Statuswechsel von der extralegalen Sitte zum Recht nicht begründen 22. 19

Ebenso weist Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 36 auf den Ursprung der Begriffsbedeutung aus der Nikomachischen Ethik hin. Aristoteles differenzierte Freiwilligkeit auch nach dem spontanen willensgeleiteten Handeln gegenüber dem vernunftgeleiteten Entscheiden als zwei Ausdrucksweisen moralischer Verantwortlichkeit, vgl. Rapp, Freiwilligkeit, Entscheidung, Verantwortlichkeit (III, 1–7), in: Höffe (Hg.), Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, S. 109, 121. 20 Die innere Tugendhaftigkeit spielt für den Regelungsgeber dann keine Rolle mehr, so dass eine Grenzziehung zwischen Recht und Moral jedenfalls formal gewahrt bleibt. 21 Leistungspflicht im Rechtssinne verlangt nicht, dass diese bereits gesetzlich ausgebildet (präformiert) ist. Die „sittliche Pflicht“ als ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal ist ein ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. Die richterliche Konkretisierung führt damit notwendig zu einem rechtlichen Begriff der „sittlichen Pflicht“. 22 Auf dieser Beobachtung beruht die auf Weber zurückgehende Auffassung, die Trennung von Sitte und Recht verlange einen besonderen Begründungsakt. Ohne Begründungsakt sei die Annahme einer Verbindlichkeit nicht feststellbar; vgl. Staudinger/Weber, BGB, 10. Aufl. 1940, Einl. Vor § 241 Rn. 158. Weber verkennt indes, dass die richterliche Feststellung diesen Begründungsakt liefert und es daher auch erlaubt, von einer Rechtsverbindlichkeit zu sprechen; vgl. oben B. I. 5. c) bb), S. 181 und methodologisch unten C. I. 3. b) aa), S. 254 ff.

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2. Die Naturalobligation in den europäischen Kodifikationen a) Die spontane freiwillige Leistung zur Erfüllung sittlicher Pflichten In einem subjektiven Sinne können Art. 2034 des italienischen Codice Civile, Art. 403 Abs. 1 und 2 Código Civil Português und – unter gewissen Einschränkungen – Art. 1235 Abs. 2 des französischen Code Civil verstanden werden. aa) Französischer Code Civil Das französische Recht verlangt für die Anerkennung einer Naturalobligation eine freiwillige Leistung des Schuldners (volontairement acquittés). Damit bleibt Raum für die richterrechtliche und wissenschaftliche Ausformung der „obligation naturelle“ in subjektiver wie in objektiver Richtung23. Die einschlägige Vorschrift lautet: Art. 1235 Code Civil (franz. CC) 24: (1) Tout payment suppose une dette: ce qui a été payé sans être dû, est sujet à répétition. (2) La répétition n’est pas admise à l’égard des obligations naturelles qui ont été volontairement acquittées.

Absatz 1 des Art. 1235 Code Civil enthält zunächst den allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsatz der condictio indebiti, wonach die Leistung auf eine Nichtschuld der Rückforderung unterliegt. Das gilt nicht für die in Absatz 2 erwähnten „obligations naturelles“. Sie werden im Gesetz nicht näher beschrieben. Der Begriff wird als bekannt vorausgesetzt und verstanden als25 „une obligation dont l’exécution forcée ne peut être exigée en justice, mais dont l’exécution volontaire ne donne pas lieu à répétition en tant qu’elle est l’accomplissement d’un devoir moral.“

Die obligation naturelle kann, sofern sie nicht in eine Zivilobligation umgewandelt worden ist, nicht eingeklagt und auch nicht Gegenstand einer Zwangsvoll23 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 7 stellt vor diesem Hintergrund fest, dass die französische Rechtsprechung insgesamt stärker zur subjektiven Theorie tendiere. Die objektiven Elemente zeigen sich in der rechtlichen Anerkennung als obligation juridique und ihren indirekten Rechtswirkungen (n° 14). Die Einschätzung von M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS Medicus, 1999, S. 123, 126 f., wonach die Rechtsprechung den Weg der subjektiven Theorie gegangen ist, trifft zu, ist aber dahin zu ergänzen, dass eine Reihe objektivrechtlicher Elemente auch in der Rechtsprechung selbst anerkannt wurden (etwa zur Unbeachtlichkeit des Irrtums über den Verjährungseintritt, s.u.). 24 Dt.: Art. 1235 CC: (1) Jede Zahlung setzt eine Schuld voraus: was gezahlt worden ist, ohne geschuldet gewesen zu sein, unterliegt der Rückforderung. (2) Die Rückgabe wird nicht zugelassen bei Naturalobligationen, die freiwillig erfüllt worden sind. 25 Cornu, Vocabulaire juridique, 5. éd., 2000, Naturel (obligation).

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streckung sein 26. Den Motiven zum Code Civil lagen die Fälle und Rechtsgrundsätze Pothiers zugrunde27. Entsprechend liegt ein auf das Gewissen abstellender subjektiver Pflichtbegriff zu Grunde, der dennoch zu einer obligation juridique führt 28. Die freiwillige Leistung kann nicht mit der Begründung zurückverlangt werden, es habe keine obligation bestanden, wenn sie „en toute liberté et en pleine connaissance de cause“ erfolgt ist. Auch mit dem Einwand, die Pflicht habe nur einen moralischen und keinen rechtlichen Charakter, wird der Schuldner nicht gehört. Die Qualifikation „droit ou non-droit“ kann nicht nach dem Parteiwillen bestimmt werden, sondern ist eine Rechtsfrage, die vom Richter festgestellt wird29. Für die Anerkennung einer obligation naturelle genügt es aber nicht schon, dass eine freigebige Leistung („intention libérale“) vorliegt. Erforderlich ist überdies, dass zur Erfüllung einer zwingenden Pflicht des Gewissens und der Ehre geleistet wurde („afin de remplir un devoir impérieux de conscience et d’honneur“)30. Festzustellen ist also die Leistung zur Erfüllung einer moralischen Pflicht. Aus diesem Grunde ist etwa die Erfüllung einer obligation naturelle durch den gesetzlichen Vertreter ausgeschlossen 31.

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Venandet, Code Civil, Dalloz, 105. Aufl., 2006, Art. 1235 note 12. Vgl. zu Pothier und seiner Lehre oben Fn. 7 und B. I. 3. c) aa) (6), S. 95. 28 Ghestin/Goubeaux, Traité de droit civil, Introduction générale, 2. éd., 1983, n° 671: „elle implique une véritable dette juridique, comme l’obligation civile; mais elle n’est assortie d’aucun moyen de contrainte pour la faire exécuter“. Dagegen geht Ripert davon aus, dass der Gläubiger die Erfüllung nicht verlangen könne und es daher an einem Recht im eigentlichen Sinne fehle. Ripert, Obligations Naturelles, Répertoire de Droit Civil, Tome III, 1953, n° 4 („l’obligation naturelle ne crée pas de droit“). Es würde damit nicht nur die Zwangsmacht (Durchsetzbarkeit), sondern das Forderungsrecht selbst fehlen. Ähnlich Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, 1973, n° 3 („le créancier ne peut pas exiger l’exécution“), der aber die Vorstellung einer „Obligation naturelle non obligatoire“ zu Recht als widersprüchlich kritisisert. Die fehlende Zwangsmacht des Gläubigers zur Durchsetzung soll den obligatorischen Rechtscharakter jedenfalls nicht aufheben. Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, 1973, n° 5 („une règle n’est pas juridique parce qu’elle est sanctionnée, mais sanctionée parce qu’elle est juridique. Une obligation non sanctionée n’en demeure pas moins une obligation imparfaite“). Vermittelnd Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 1 und 2 folgert: „L’obligation naturelle est donc à mi-chemin entre l’obligation morale et obligation civile“. 29 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n 81. Ripert, Obligations Naturelles, Répertoire de Droit Civil, Tome III, 1953, n° 4; Cass. 23.1.2007, D. 2007, 442 unter Verweisung Carbonnier, Flexible Droit, 10 éd., 2001 und Oppetit, L’engagement d’honneur, D. 1979 Chron. S. 107. 30 Cour d’Appel de Colmar, 20.12.1960, D. 1961, p. 207; Lucas, Code Civil, 2006, Art. 1235 n 3. 31 TGI Millau 26.2.1970, Gaz. Pal. 1970, 1, 253; Venandet, Code Civil, Dalloz, 105. Aufl., 2006, Art. 1235 note 6. Ob der Minderjährige selbst eine sittliche Pflicht erfüllen kann, bleibt offen. 27

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Eine Aufzählung im Gesetz sei nicht möglich und die Anerkennung im Einzelfall der Rechtsprechung überlassen 32. Die moralische Handlung wurde von der Rechtsprechung etwa anerkannt im Fall der Versorgung eines nahen Angehörigen, der zuvor den betreuenden Verwandten ein beträchtliches Vermögen zugewandt hatte. Die Cour de Cassation 33 sah hierin einen „… veritable pacte de famille destiné à assurer l’exécution d’une obligation naturelle fondée sur un scrupule de conscience.“

Zu den Fällen einer Naturalobligation gehören ähnlich Unterhaltszahlungen an die frühere Ehefrau, obgleich wechselseitig auf jegliche Rechte verzichtet worden war34. Desgleichen werden Unterhaltszahlungen an die nichteheliche Partnerin während der Partnerschaft 35 und die kostenlose Unterkunft des eigenen aber berufstätigen Kindes36 als obligation naturelle anerkannt. Verneint hat die Cour de cassation eine obligation naturelle im Falle der Zahlung von Unterhalt durch den ehelichen und biologischen Vater ab dem Zeitpunkt, ab dem der Sohn von einem anderen Mann adoptiert worden war37. Auch der Ausgleichsanspruch eines aus einer Gemeinschaftspraxis ausgeschiedenen Arztes gegen den bisherigen Partner wegen des von diesem übernommenen Kundenstamms wurde als obligation naturelle angesehen 38. Ferner rechtfertigt die Ausführung eines etwa nur mündlich und damit formunwirksam angeordneten Vermächtnisses die Güterbewegung unter dem Gesichtspunkt einer obligation naturelle39. Die Rückforderung ist aufgrund der obligation naturelle ausgeschlossen. Hat der Erbe die Erfüllung nur versprochen (promesse de délivrance), so 32

Ripert, Obligations Naturelles, Vergé, Ripert, Dalligny, Répertoire de Droit Civil, Tome III, 1953, n° 9. 33 Cass. 7.3.1911, DP 1913, 1, 404, zit. nach Lucas, Code Civil, 2005, Art. 1235 note 3. 34 Cass. 25.1.1984, JCP 86 II 20540 note Batteur 35 Cass. 17.11.1999, JCP 2001 II 10458 note Chassagnard; Cass. 19.2.2002, Défrénois 2002, 681. 36 Cass. 5.4.1993, D. 1994, Somm. 33 note Everaert-Dumont; ähnlich und ebenfalls zum Kindesunterhalt Cass. 3.10.2006 Bull. civ. I, n. 428 = D. 2007, pan. 1465 note Granet-Lambrechts. Dagegen besteht keine obligation naturelle im Verhältnis zu den Eltern des nichtehelichen Partners im Hinblick auf krankheitsbedingte Kosten, Cass. 18.6.1995, Petit affiches 21.7.1997 note Hauksson-Tresch; Venandet, Code Civil, Dalloz, 105. Aufl., 2006, Art. 1235 note 6. 37 Cass. 22.5.2007, Chambre civile 1, N. 06–17980, www.legifrance.gouv.fr. Der Rückforderungsklage des Vaters über die von ihm weiter bezahlten Unterhaltsbeiträge wurde stattgegeben. 38 Eine mündliche Zusage begründete hier das klagbare Zahlungsversprechen, Cass. 21.11.2006, Bull. civ. I, n. 503 = RTD 2007, 119 note Mestre et Fages. 39 Cass. 27.12.1963, JCP 64, IV, 19; Cass. 22.6.2004, D. 2004, 2953 note Nicod., Cass. 4.1.2005, D. 2005, 1393 note Loiseau. Dasselbe gilt für andere Formverstöße, wie etwa ein gemeinschaftliches Testament, Art. 968 franz. CC, vgl. Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 20 – 22.

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wandelt sich die obligation naturelle in eine obligation civile um und kann dann auch zwangsweise gegen den Erben durchgesetzt werden40. Ebenso ist die Rückforderung der Leistung auf eine im Konkurs erlassene Forderung aufgrund der bestehenden obligation naturelle ausgeschlossen41. Funktional betrachtet gilt die Leistung auf eine obligation naturelle als entgeltliche Leistung, sie ist daher grundsätzlich keine freigebige Schenkung42. Die sittliche Pflicht ist selbst bereits der gesetzlich anerkannte Rechtsgrund (cause)43. Die Erfüllung eines unwirksamen Schwarzkaufes wird jedoch nicht als eine obligation naturelle angesehen. Die formlos gebliebene Einigung begründet für sich genommen noch keine sittliche Pflicht zur Erfüllung des Versprochenen44. Die Frage, ob Kaufleute eine Unterlassungsverpflichtung auch lediglich als moralische Pflicht vereinbaren können, hat die Cour de Cassation 45 zwar bejaht, ihr aber gleichwohl im konkreten Fall eine zwingende Wirkung beigelegt. Wettbewerber aus der Textilmodebranche hatten vereinbart, keine Modelle des anderen zu kopieren und unter dem eigenen Produktnamen zu vertreiben. Diese Vereinbarung wurde weiter dahin präzisiert „… que l’engagement … constitue un engagement exclusivement moral dont tout éventuel manquement ne saurait être considéré comme une inexécution des termes du présent protocole“

Es sei eine Entscheidung des Rechts, ob eine solche Klausel einen „valeur contraignante„ besitze. Eine Verletzung des art. 1134 CC verneinte die Cour de Cassation. Auch eine moralische Pflicht könne zwingend ausgestaltet sein46. Die obligation naturelle kann – und darin liegt eine Besonderheit – einseitig vom Schuldner in eine obligation civile umgewandelt werden47. Mit ihrer viel

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Cass. 22.6.2004, D. 2004, 2953 note Nicod., Cass. 4.1.2005, D. 2005, 1393 note Loiseau. Terré/Simler/Lequette, Droit Civil, Les obligations, 8. éd., 2002, N. 1360. 42 Zur entsprechenden Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Code Civil und dem Umschwung unter der Geltung des BGB zu Gunsten der Annahme einer formbedürftigen Schenkung durch RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380 (zu § 534 BGB), siehe oben B. I. 4. e) bb), S. 152. 43 Terré/Simler/Lequette, Droit Civil, Les obligations, 8. éd., 2002, N. 1359. 44 Gemeint ist der wissentliche Schwarzkauf, Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 31. Auch Vereinbarungen, die zur Umgehung von Steuerpflichten etwa einen niedrigeren als den tatsächlich gesondert vereinbarten Grundstückskaufpreis angeben, begründen keinen Behaltensgrund, Veaux ebd. Ob der unerkannt gebliebene Formmangel überwunden werden kann, geht nicht hervor. 45 Cass. 23.1.2007, D. 2007, 442. Die Cour hielt die Klage für zulässig. Die Vereinbarung einer bloß moralischen Pflicht führt mithin nicht zum Ausschluss des Klagerechts. 46 Cass. 23.1.2007, (vorherige Fn.). 47 Vgl. Cass. 3.10.2006 Bull. civ. I, n. 428 = D. 2007, pan. 1465 note Granet-Lambrechts (Rückverweisung an die Cour d’appel zur Feststellung, ob die bestehende obligation naturelle (Kindesunterhalt) in eine obligation civile umgewandelt (vom Schuldner anerkannt) worden ist). 41

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beachteten Entscheidung vom 10.10.1995 bejahte die Cour de Cassation48 eine obligation naturelle über die Zahlung eines Gewinnanteils in Höhe von 10 %. Der Kläger hatte als Stellvertreter im Rahmen einer Wettgemeinschaft bei Pferdewetten den Tippschein des Beklagten abgeändert und diesem dadurch einen Millionengewinn verschafft. Der Kassationshof sah in der mündlichen Zusage einer Beteiligung des Beklagten die Umwandlung der obligation naturelle in eine obligation civile. Sie konnte der Kläger zwangsweise durchsetzen49. Die historische Bezeichnung für diese Umwandlung „Novation“ ist von der Cour de Cassation auf der Grundlage moderner Dogmatik als überholt erkannt worden und als bloße Schuldänderung eingestuft worden50. Aufschlussreich für das subjektive Verständnis einer obligation naturelle ist die Entscheidung der Cour de Cassation vom 12.7.199451. Ein Vater zahlte seinem nichtehelichen Kind über das Erreichen des Volljährigkeitsalters hinaus Unterhalt, obgleich seine gesetzliche Zahlungspflicht mit Eintritt der Volljährigkeit geendet hatte. Die hier zu Gunsten des Kindes an sich in Betracht kommende obligation naturelle hätte eine Rückforderung ausgeschlossen. Der Vater hatte indes auf einen Zahlungstitel aus einem vereinfachten Verfahren (procédure de paiement direct) und in Unkenntnis des Wegfalls der gesetzlichen Unterhaltspflicht gezahlt. Seiner Rückforderungsklage wurde stattgegeben, weil er nicht mit dem Willen gezahlt habe, eine obligation naturelle zu erfüllen. Das Beispiel zeigt, dass die im Gesetz erwähnte „freiwillige Leistung“ eine Leistung in Kenntnis der sittlichen oder natürlichen Pflicht meint. Der Klagbarkeitsirrtum ist beachtlich. Dennoch bleibt es eine „obligation juridique“. Die aktionenrechtliche Formulierung lautet: Mit der obligatio naturalis wird dem Schuldner eine vom positiven Recht anerkannte Klage, und zwar die auf Rückforderung, genommen52. 48

Cass. 10.10.1995, D. 1997, 155. Zu der bis zu dieser Entscheidung anhaltenden Diskussion, ob ein einseitiges Versprechen für die Umwandlung genügt oder ob es einer vertraglichen Abrede bedarf, vgl. note Pignarre, D. 1997, 156 n° 17 f. („triomphe des thèses qui fondent la transformation de l’obligation naturelle en obligation civile sur l’engagement unilateral de volonté“). 50 Die römisch-rechtliche Bezeichnung Novation wird im Gefolge der Entscheidung der Cass. 10.10.1995, D. 1997, 155 für unrichtig gehalten, da keine Schuld ersetzt, sondern die naturale in ein zivile identitätswahrend umgewandelt und also nur geändert wird. Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 91 spricht treffend von „novation par changement de nature“. Zum Begriffsverständnis der Novation nach der deutschen Schuldrechtsdogmatik vgl. oben B. I. 5. d) bb) (4), S. 200 u. Fn. 842. 51 JCP 1994, IV, 2303; Bull. Civ. I, n° 253, p. 183; Rev. Trim. Droit Civile 1994, p. 847 note Hauser. 52 Terré/Simler/Lequette, Droit Civil, Les obligations, 8. éd., 2002, N. 2; zum Teil wird auch eine Zwischenform angenommen („une sorte de catégorie intermédiaire entre les obligations juridiques à part entières et les obligations extra-juridiques décrites plus haut (n° 1: seuls les devoirs résultant d’une règle de droit sont concernés, c’est-à-dire ceux qui sont assortis d’une sanctions juridique, impliquant l’intervention étatique et au besoin de la force publique pour en assurer le respect. Les obligations purement morales, religieuses ou mon49

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Eine objektivrechtliche Ausrichtung anerkennen Rechtsprechung und Lehre dagegen im Hinblick auf andere Fälle einer obligation naturelle. So ist die Rückforderung der Leistung auf eine verjährte Forderung auch dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner den Eintritt der Verjährung übersehen hatte. Die Schuldnerleistung erfolgte zwar freiwillig, aber ggf. unter der irrigen Vorstellung der Erzwingbarkeit der Forderung. Ein solcher Rechtsirrtum wird hier entsprechend § 214 Abs. 2 BGB, für unbeachtlich gehalten 53. Im Falle der Zwangsdrohung, der gewaltsamen Durchsetzung sowie bei Erlangung der Leistung durch List bleibt die Rückforderung dagegen mangels Freiwilligkeit möglich54. Mit der Rückforderbarkeit der erzwungenen Erfüllungsleistung nähert sich die objektive der subjektiven Theorie an55. Das französische Recht entspricht in dieser Frage bis in die Einzelheiten hinein der deutschen Rechtslage56. Aus Spiel- und Wettverträgen 57 entstehen nach Maßgabe der Art. 1965–1967 franz. CC Naturalobligationen. Weil eine Umwandlung der Naturalobligation in eine Zivilobligation durch Schuldversprechen von der Rechtsprechung bei Spiel und Wette nicht anerkannt wird58, hält es die Lehre mitunter für zweifelhaft, ob sie zu den Naturalobligationen gezählt werden können59. Die Klagbarkeit von Spiel- und Wettforderungen ist ausgeschlossen. Die aktionenrechtliche Formulierung des Art. 1965 franz. CCV lautet: „La loi n’accorde aucune action pour une dette du jeu ou pour le payement d’un pari.“

Ferner ist die Aufrechnung mit Spiel- und Wettforderungen unzulässig60. Gleichzeitig scheidet aber die Rückforderung freiwilliger Leistungen aus (Art. 1967 daines n’en font donc pas partie“.). Création purement jurisprudentielle, les obligations naturelles ont tous les caractères des obligations civiles à l’exception de la sanction juridique. Bénabent, Droit Civil, Les obligations, 9. Aufl., 2003, n° 5. 53 Bénabent, Droit Civil, Les obligations, 9. Aufl., 2003, n° 5 u. 909. Die französische Rechtsprechung wechselt hier in die objektivrechtliche Behandlung über. Entsprechend der Regelung in § 214 Abs. 2 BGB kann der Schuldner die Leistung nicht mit der Begründung zurückholen, er habe die Verjährung nicht gekannt, Cass. 13.6.1995, D. 1995 inf. rap. p. 169. 54 Cass. 21.2.1949, Bull. civil, II, N. 92, D. 1949, p. 208, zust. Loussouarn, La condition d’erreur du solvens dans la répétition de l’indu, Rev. Trim. Droit Civil 1949, 225; die Wiederbelebung der objektiven Theorie finde in Fällen von Zwang und List ihre Grenze, Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 37 u. 82. 55 Weitergehend meint Bout, Obligation naturelle, Répertoire de droit civil, 2. éd., VI, 1973, n° 61, es gebe im Falle der Verjährung keine Abweichung von der subjektiven Theorie. 56 Die französische Rechtsprechung entspricht der des BGH v. 5.10.1993 NJW 1993, 3318, 3320, der ebenfalls im Falle der angedrohten zwangsweisen Durchsetzung einer verjährten Forderung dem irrenden Schuldner die Rückforderung offenhält und sich damit vom objektiven Standpunkt aus der subjektiven Theorie nähert, vgl. dazu unten C. IV. 5. a) bb), S. 512. 57 Art. 1964 franz. CC zählt Spiel und Wette zu den aleatorischen Verträgen und definiert: „Le contrat aléatoire est une convention reciproque …“ 58 Sachlich entsprechend zu § 762 Abs. 2 BGB. 59 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 27; Ripert, Obligations Naturelles, Répertoire de Droit Civil, Tome III, 1953, n° 41. 60 Mayer, Jeu et exception de jeu, JCl. G, I, 3141, 1984, n° 11.

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franz. CC; es gilt die objektive Theorie: auf subjektive Einstellungen kommt es nicht an. Ein etwaiger Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit der Schuld bleibt unbeachtlich61. Nach dem Vorentwurf einer Reform des Schuldrechts (droit des obligations, Art. 1101 – 1386 Code civil) aus dem Jahre 2005 bliebe die Rechtslage vermutlich unverändert. Art. 1151 des Vorentwurfs lautet62: „L’obligation naturelle recouvre un devoir de conscience envers autrui. Elle peut donner lieu à une exécution volontaire, sans répétition, ou à une promesse exécutoire de s’en acquitter.“

Die Naturalobligation erhält damit eine eigenständige Regelung und ist gelöst von der bereicherungsrechtlichen Generalklausel. In einer Anmerkung wird festgestellt, dass die Gewissenspflicht selbst nicht überprüft werden muss63. Die subjektive Theorie der Naturalobligation wird hiermit fortgeschrieben. bb) Italienischer Codice Civile (1865 und 1942) Der Codice civile aus dem Jahre 1865 enthielt in Art. 1237 Abs. 2 eine Art. 1235 Abs. 2 franz. CC im Wortlaut entsprechende Vorschrift. Die „Obbligazioni naturali“ wurden genannt, aber nicht definiert, und der Rückforderungsausschluss (soluti retentio) bei freiwilliger Leistung angeordnet. Die Neufassung des Jahres 1942 verlagerte die Regelung in das Bereicherungsrecht (pagamento dell’indebito). Im 7. Titel des 4. Buches wurde Art. 2034 ital. CC im Anschluss an die allgemeine Bereicherungsvorschrift des Art. 2033 ital. CC eingefügt. Die Vorschrift soll der Klarstellung dienen64. Sie lautet: Art. 2034 Codice Civile (ital. CC) 194265: 61

Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 27 ; Mayer, Jeu et exception de jeu, JCl. G, I, 3141, 1984, n° 8. 62 Avant-Projet Catala (APC), dt. Übersetzung von Sonnenberger, ZEuP 2007, 633, 648: „Die Naturalobligation beinhaltet eine Gewissenspflicht gegenüber einem anderen. Sie kann freiwillig ohne Anspruch auf Erstattung erfüllt werden oder zu einem vollstreckbaren Versprechen führen, sie zu erfüllen.“ 63 Note : Le devoir de conscience n’a pas besoin d’être qualifié légitime : il se suffit effectivement à lui-même. 64 Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, S. 353. 65 Text und Übersetzung nach Bauer/Eccer/König/Kreuzer/Zanon, Bozen 2004, Zweisprachige Ausgabe, Stand 30. Juni 2004: Naturalobligationen (1) Unzulässig ist die Rückforderung dessen, was aus freien Stücken zur Erfüllung sittlicher oder sozialer Pflichten geleistet worden ist (2231), sofern die Leistung nicht durch einen Geschäftsunfähigen vorgenommen worden ist. (2) Die im vorhergehenden Absatz bezeichneten Pflichten und jede sonstige Pflicht, hinsichtlich welcher das Gesetz keinen Klaganspruch vorsieht, sondern lediglich die Rückforderung dessen ausschließt, was aus freien Stücken gezahlt worden ist, erzeugen keine weiteren Wirkungen (590, 627 Abs. 2, 1933 Abs. 2, 2321, 2433 Abs. 4, 2940).

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Obbligazioni naturali Non è ammessa la ripetizione di quanto è stato spontaneamente prestato in esecuzioni di doveri morali o sociali (2231), salvo che la prestazione sia stata eseguita da un incapace. I doveri indicati dal comma precedente, e ogni altro per cui la legge non accorda azione ma esclude la ripetizione di ciò che è stato spontaneamente pagato, non producono altri effetti (590, 627 Abs. 2, 1933 Abs. 2, 2321, 2433 Abs. 4, 2940).

Moralische und soziale Schulden werden erst rückblickend rechtlich anerkannt, indem sie die Rückforderung ausschließen 66. Der Oberbegriff Naturalobligation umfasst die moralische und die soziale Schuld (Abs. 1) sowie die Fälle, in denen das Gesetz die Klagbarkeit aufhebt (Abs. 2) 67. Die Binnendifferenzierung zwischen den beiden Absätzen nach der Art der Setzung lässt erkennen, dass beide Typen rechtlich anerkannte Schuldverhältnisse meinen68. Bei moralischen oder sozialen Schulden handele es sich um nicht typisierte und im Einzelfall festzustellende, im Lichte des „common sense“ in der Gesellschaft anzuerkennende Schulden69. Nach Maßgabe der subjektiven Theorie ist hierfür allerdings der freiwillige Anerkennungsakt des Schuldners nötig. Als soziale und moralische Pflicht wird von der Rechtsprechung etwa die Erbringung von Diensten im Rahmen des Zusammenlebens nichtehelicher Partner anerkannt70. Ferner ist der Dienstlohn aus einer beruflichen geistigen Tätigkeit nur als Naturalobligation forderbar, wenn zur Ausübung der Berufstätigkeit die Eintragung in eigene Listen oder Verzeichnisse erforderlich ist, und diese Eintragung unterblieben ist. In diesem Fall entfällt ein Klaganspruch auf Zahlung der Entlohnung (Art. 2231 ital. CC). Das Gesetz verweist stattdessen auf Art. 2034 ital. CC und damit auf die obbligazioni naturali. 66 Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, S. 353; ders., Le vicende dell’obbligazione naturale, in: Studi in onore di E. Santoro Passarelli, III, 1972, 684. 67 Bonfante hält die römisch-rechtliche Figur der obligatio naturalis dennoch für tot und begraben. Stattdessen entspreche dem Modell heute jene der sozialen und moralischen Pflichten und dem Gewissen, Diritto Romano, IV, Le obbligazioni, 1979, S. 237; abl. Rotondi, Quelques considérations sur le concept d’obligation naturelle et sur son évolution, Rev. trim. Droit Civil 77 (1979) 1, 4. 68 Einschränkend Zaccaria in: Cian/Trabucchi, Commentario Breve al Codice Civile, 7. éd., 2004, Art. 2034 Anm. I.1.: Ob mit der obbl. naturale eine echte Obligation anerkannt werde, sei zweifelhaft. Jedenfalls handele es sich um eine positive gesetzliche Anerkennung von verdienstlichen Pflichterfüllungen. 69 Vgl. im Zusammenhang mit der Anerkennung von sog. Gentlemen Agreements, Sica, The gentleman’s agreement in legal theory and in modern practice. In: Italian National Reports to the XVth International Congress of Comparative Law, Bristol 1998, Mailand 1998, S. 147, 155. 70 Seit Corte di Cassazione, no. 389/1975; darüber hinaus werden soziale Pflichten in einem weitergehenden Sinne auch als erzwingbare Leistungspflichten anerkannt: Etwa die Zahlung von Krankenpflegekosten der Verlobten, Corte d’Appello di Potenza, Giur. it. 1961, I, 1657; Finanzierung des Wahlkampfes eines Kandidaten, Corte di Cassazione, Rep. Foro italiano, 1979, sub. Indebito N. 8; Tribunale di Roma, Foro italiano, 1982, I, 2035.

II.1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation

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Die gesetzlich angeordneten Fälle (Abs. 2) sind verstreut. Sie betreffen einmal das Erbrecht. So sind die Ausführung einer nichtigen testamentarischen Verfügung in Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes (Art. 590 ital. CC) sowie die treuhandschaftliche Ausführung einer testamentarischen Anordnung zugunsten der vom Erblasser gewollten, aber nicht bezeichneten Person (Art. 627 Abs. 2 ital. CC) rechtsbeständig. Die übertragenen Güter können nicht zurückgefordert werden. Schulden aus erlaubtem Spiel und aus Wette begründen keinen Klaganspruch (Art. 1933 Abs. 1 ital. CC). Was der Verlierer nach Abschluss des Spiels oder der Wette aus freien Stücken gezahlt hat, kann er grundsätzlich nicht zurückfordern (Art. 1933 Abs. 1 ital. CC)71. Zwei weitere Fälle aus dem Gesellschaftsrecht werden genannt. So sind Kommanditisten nicht zur Rückgabe des Gewinns verpflichtet, den sie in gutem Glauben aufgrund des ordnungsgemäß genehmigten Jahresabschlusses bezogen haben (Art. 2321 ital. CC). Ebenfalls nicht rückforderbar sind die unter Verletzung der Bestimmungen über die Gewinnverteilung ausgezahlten Dividenden einer Aktiengesellschaft, wenn die Gesellschafter sie in gutem Glauben auf Grund eines ordnungsgemäß genehmigten Jahresabschlusses, aus dem ein entsprechender Reingewinn hervorgeht, bezogen haben (Art. 2433 Abs. 4 ital. CC). Auch die verjährte Forderung besteht als Naturalobligation fort. Die Rückforderung dessen, was freiwillig zur Tilgung einer verjährten Schuld im Sinne von Art. 2034 ital. CC bezahlt worden ist, ist unzulässig (Art. 2940 ital. CC). Die Erfüllung einer formfehlerhaft begründeten Schuld wird dagegen nicht als Naturalobligation angesehen72. Für die dogmatische Ausgestaltung folgt das italienische Recht der subjektiven Theorie. Die Erfüllung einer nicht erzwingbaren moralischen oder sozialen Schuld nach Art. 2034 Abs. 1 ital. CC setzt die freiwillige Leistung (spontaneamente prestato) voraus. Gegenüber dem Schuldner darf weder durch den creditore naturale noch durch einen Dritten Zwang ausgeübt worden sein. Erzwungene Erfüllungsleistungen, und zwar auch solche, die nur unter kompulsivem Zwang erfolgt sind, bleiben rückforderbar 73. Der Schuldner darf auch nicht vom Bestehen einer obbligazione civile ausgegangen sein. Sein dahingehender Rechtsirrtum ist beachtlich. Damit setzt das Behaltensrecht des creditore naturale die Kenntnis des Schuldners von der fehlenden Erzwingbarkeit voraus74. Nur wer weiß, dass er allein aus moralischen oder 71 Im Erfordernis der Zahlung aus freien Stücken nach dem Ausgang des Spiels oder der Wette zeigt sich die hier zugrunde liegende subjektive Theorie. Erst der freiwillige und spontane Anerkennungsakt durch vorbehaltlose Zahlung wandelt die soziale und moralische Pflicht in eine rechtliche um. 72 Corte di Cassazione, Rep. Foro italiano, 1972, sub. Indebito N. 9. 73 D’Onoforio in: Scialoja/Branca, Commentario del Codice Civile, vol. 4, Delle Obbligazioni, 1968, Art. 2034 Anm. 3, S. 270. 74 Zaccaria in: Cian/Trabucchi, Commentario Breve al Codice Civile, 7. éd., 2004, Art. 2034 Anm. I.3; Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, 2003, S. 275 (ab-

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sozialen Gründen verpflichtet ist, verliert sein Rückforderungsrecht. Der Naturalschuldner leistet mithin in Kenntnis des Umstandes, dass er zur Leistung nicht gezwungen werden kann und anerkennt die auf ihm lastende moralische Pflicht. Art. 2034 Abs. 1 ital. CC steht für die subjektive Theorie75. Nach teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum ist Art. 2034 Abs. 2 ital. CC der objektiven Theorie zuzurechnen. Das Merkmal „spontaneamente“ gelte nicht für die gesetzlich angeordneten Fälle76. Diese Meinung will im Rahmen des Art. 2034 Abs. 2 CC den Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit unbeachtlich sein lassen. In den Fällen eines gesetzlich angeordneten Ausschlusses der Klagbarkeit komme es auf die Kenntnis des Schuldners nicht an. Moscati trennt entsprechend diese objektivrechtlich behandelten Fälle von denen aus moralischer oder sozialer Pflicht des Abs. 1 und spricht bei Abs. 2 abweichend von obbligazioni imperfette77. cc) Portugiesischer Código Civil (1966) Eine der italienischen Regelung vergleichbare Vorschrift findet sich im portugiesischen Recht. Das Obligationenrecht im 2. Buch des Código Civil Português enthält in den generellen Bestimmungen des Allgemeinen Teils einen eigenen Abschnitt mit der Überschrift: Obrigações naturais (Art. 402–404 Código Civil Português, nachfolgend port. CC) 78. Erfasst werden soziale Beziehungen, die in ihrer Struktur denen der Zivilobligation entsprechen und Fälle, die zwischen der reinen moralischen oder sozialen Schuld und der juristischen Schuld liegen79. Die Naturalobligation wird der Zivilobligation mit der Maßgabe gleichgestellt, dass die Erfüllung nicht erzwungen werden darf. Andere Abweiweichend aber für Abs. 2); ebenso Devescovi in: Cendon, Commentario al Codice Civile, vol. 4, artt. 1655–2059 CC, 1991, Art. 2034 Anm. 7; Rotondi, Quelques considérations sur le concept d’obligation naturelle et sur son évolution, Revue trimestrielle de Droit Civil 77 (1979) 1, 5. 75 Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, 2003, S. 353, 360. 76 Perlingieri, Le vicende dell’obbligazione naturale, Riv. Dir. civ. 1969 I, 357, 364; Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, 2003, S. 353, 362; offengelassen von Zaccaria in: Cian/Trabucchi, Commentario Breve al Codice Civile, 7. éd., 2004, Art. 2034 Anm. VII.1.; nicht differenzieren will dagegen Rotondi, Quelques considérations sur le concept d’obligation naturelle et sur son évolution, Rev. trim. Droit Civil 77 (1979) 1, 10; zum Meinungsstreit zwischen subjektiver und objektiver Theorie insgesamt vgl. Ugazzi, Obbligazione naturale, in: Novissimo Digesto Italiano, Bd. XI, 1965, S. 659 ff. 77 Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, 2003, S. 359, 362, der damit an eine naturrechtliche Tradition anknüpft. Ähnlich auch der Vorschlag von Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 139 (Regelungstyp 1: Naturalobligation, § 814 Hs. 2 BGB und Regelungstyp 2: Unvollkommene Verbindlichkeit, §§ 656, 762, 764 BGB), siehe unten C. II. 1. b), S. 262 ff. 78 Decreto-Lei n. 47 344, de 25 de Novembro de 1966. 79 J. Dias Marques, Noções Elementares de direito civil, 7. Ed. 1992, Nr. 44, 1, S. 139.

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chungen gelten nur, soweit sie das Gesetz speziell anordnet (Art. 404) 80. Die gesetzliche Begriffsbestimmung lautet: Art. 402 port. CC81: Noção A obrigação diz-se natural, quando se funda num mero dever de ordem moral ou social, cujo cumprimento não é judicialmente exigível, mas corresponde a um dever de justiça. Art. 403 port. CC82: Não repetição do indevido (1) Não pode ser repetido o que for prestado espontaneamente em cumprimento de obrigação natural, excepto se o devedor não tiver capacidade para efectuar a prestação. (2) A prestação considera-se espontânea, quando é livre de toda a coacção. Art. 404 port. CC83: Regime As obrigações naturais estão sujeitas ao regime das obrigações civis em tudo o que não se relacione com a realização coactiva da prestação, salvas as disposições especiais da lei.

Anerkannt als Naturalobligation ist die verjährte Forderung84 und etwa der Unterhalt für die geschwängerte Konkubine85. Die klare gesetzliche Regelung der Naturalobligation verlangt wie das italienische Recht, dass die Leistung freiwillig86 und überdies in Kenntnis der fehlenden Zwangsmacht des Gläubigers erfolgt ist87. Der Rechtsirrtum des Schuldners ist beachtlich und eröffnet diesem die Rückforderung88. Nicht gefordert wird dagegen ein moralisches Be-

80 Obligationen mit der Besonderheit, dass sie nicht die Durchsetzung erlauben, vgl. Almeida Costa, Obrigações, 3. Ed., S. 141 zit. nach Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 11. 81 Art. 402: Der Begriff Naturalobligation: Eine Obligation wird als natural bezeichnet, wenn sie auf einer bloß moralischen oder sozialen Schuld beruht, deren Erfüllung mit rechtlichen Mitteln nicht durchgesetzt werden kann, die aber einer Schuld der Gerechtigkeit entspricht. 82 Art. 403: Keine Rückforderung als Nichtschuld: (1) Nicht zurückgefordert werden kann, was auf eine Naturalobligation als Erfüllung spontan geleistet wurde, ausgenommen der Schuldner war rechtlich nicht fähig, die Leistung zu erbringen. (2) Eine Leistung gilt als spontan erbracht, wenn sie vollständig ohne Zwang ausgeführt worden ist. 83 Art. 404: Rechtliche Regelung: Auf Naturalobligationen … finden die Regeln über die Zivilobligationen in vollem Umfange entsprechende Anwendung soweit es nicht die Erfüllung durch Zwang betrifft, vorbehaltlich einer speziellen Anordnung durch das Gesetz. 84 J. Dias Marques, Noções Elementares de direito civil, 7. Ed. 1992, Nr. 44, 2, S. 140; Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 1. 85 Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 2. 86 Almeida Costa, Obrigações, 3. Ed., S. 141 zit. nach Abilio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 3. 87 Der beschränkt Geschäftsfähige kann zurückfordern. Ebenso machen Irrtum, List und Zwang die Leistung rückforderbar; Almeida Costa, Obrigações, 3. Ed., S. 123 N. 2, zit. nach Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 403 Rz. 3. 88 Zur Beachtlichkeit des Rechtsirrtums der Erzwingbarkeit, Antunes Varela, Das Obrigações em geral, vol. I, 6. Ed., 2001, Ziff. 178, S. 600 f.

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wusstsein; es genügt eine consciência jurídica89. Damit ist formell keine subjektiv moralische Einstellung verlangt, die auch praktisch kaum nachweisbar sein würde. Dennoch begründet die irrtumsfreie freiwillige Leistungshandlung eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Pflichterfüllung auch Ausdruck eines intrinsischen Pflichthandelns des Schuldners aus Überzeugung war. Das portugiesische Recht erkennt die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation in Form von Ehrenvereinbarungen an90. Ein bloßer vertraglicher Haftungsausschluss transformiert die zivile nicht dagegen schon in eine naturale Obligation91. Das italienische und das portugiesische Gesetz betonen den volitionalen Charakter der Freiwilligkeit. Mit dem Erfordernis der Spontaneität 92 ist Freiwilligkeit in einem weitergehenden Sinne als Willensimpuls ohne Abwägung oder Überlegung zu verstehen93. Eine Erfüllungsleistung unter Zwangsbedrohung genügt nicht. Handlungen unter kompulsivem Zwang 94 fehlt der Anerkennungscharakter. Erst der persönliche Anerkennungsakt begründet aber nach der subjektiven Theorie die Leistungspflicht im Rechtssinne. Der Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit ist also beachtlich und hält die Rückforderung auch bei moralischen oder sozialen Schulden offen. Die spontane Leistung auf eine moralische oder soziale Schuld lässt auf die innere Gesinnung des Leistenden und auf ein Handeln aus Pflicht schließen. Selbstverständlich kann aber auch die spontane Handlung ohne moralischen Hintergrund, aus Unbekümmertheit oder Gleichgültigkeit, erfolgt sein. Daher ist auch das Merkmal der Spontaneität insbesondere in der italienischen Doktrin als verfehlt kritisiert worden95. Das Merkmal der Spontaneität nimmt ein psycholo89

Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 4. Erfasst werden einfache caritative Pflichten, Leistungen aus Liebe oder Dedikationen. 90 Zur Anerkennung von Ehrenvereinbarungen vgl. Vieira Gomes, Vrada de Sousa, Uma análise de jurisprudência comparada sobre acordos de honra e prestações de cortesia. In: Moura Ramos (Hg.): Estudos em Homenagem à Professora Doutora Isabel de Magalhães Collaço, 2002, S. 145, 188 f. 91 Abílio Neto, Código Civil Anotado, 13. Ed., 2001, Art. 402 Rz. 9. 92 Art. 403 Abs. 1 port. CC setzt diese für jede Naturalobligation voraus. Art. 2034 Abs. 2 Cod. Civ. (1942) beschränkt die retentio soluti auf spontane Zahlungen. Moscati, Obligazioni naturali, in: Enciclopedia del diritto, Bd. XXIX, 1979, S. 353, 359 ff.; vgl. auch Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 128. 93 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 36 unter Hinweis auf den Ursprung dieses Freiwilligkeitsbegriffes bei Aristoteles, der zwischen dem spontanen willensgeleiteten Handeln und dem vernunftgeleiteten Entscheiden differenziert. 94 Kompulsiver Zwang meint ein freiwilliges Handeln auf Grund von Zwangsdrohungen (erpresserischer Zwang). Die Erfüllungshandlung bleibt insofern freiwillig, als sie auf einer eigenen Willensentscheidung des Bedrohten beruht. Handlungsgrund ist die Abwendung des angedrohten Zwangs, Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 61. Vgl. C. I. 2. b) cc), S. 246. 95 Moscati, Obbligazioni naturali, Enciclopedia del diritto, S. 353, 354.

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gisches Moment auf, das auf der anthropologischen Annahme beruht, spontan handelnde Menschen folgten ihrem inneren Gerechtigkeitsgefühl. Hier zeigen sich kulturbedingt grundlegend unterschiedliche Sichtweisen. So hat Bucher eingewandt, das Erfordernis der Spontaneität und die Kenntnis der sittlichen Pflicht benachteilige den nachdenklich und gewissenhaft entscheidenden Menschen96.

b) Objektiv sittliche Pflicht und unbeachtlicher Rechtsirrtum Eine Reihe von Rechtsordnungen folgt diesem moralisierenden Einschlag nicht. Sie stellen auf einen objektiv-rechtlichen Verpflichtungstatbestand unter Verwendung des Begriffs „sittliche Pflicht“ oder „Naturalobligation“ ab. Der Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit der Schuld ist unbeachtlich und eine Leistung unter kompulsivem Zwang (Zwangsdrohung) erfüllungstauglich. aa) Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811) Eine objektivrechtliche Ausgestaltung hat die Naturalobligation im geltenden ABGB in Österreich gefunden. Von einer sittlichen Pflicht ist dort zwar nicht die Rede und auch der Begriff Naturalobligation taucht im Gesetz nicht auf. Dennoch werden verjährte, formfehlerhafte und kraft gesetzlicher Anordnung nicht klagbare Forderungen von der Schuldrechtsdogmatik als Naturalobligationen anerkannt97. § 1431 ABGB lautet: Wenn jemandem aus einem Irrtume, wäre es auch ein Rechtsirrtum, eine Sache oder eine Handlung geleistet worden, wozu er gegen den Leistenden kein Recht hat, so kann in der Regel im ersten Falle die Sache zurückgefordert, im zweiten aber ein dem verschafften Nutzen angemessener Lohn verlangt werden.

96 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1988, S. 70 Fn. 17. 97 Das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 1432 ABGB, vgl. Ofner, Der Urentwurf und die Beratungsprotokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Band II, 1888, S. 584; darauf verweist Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluß und Heilung nach § 1432 ABG, 1998, S. 172 (dort einheitlich unter dem Begriff der Naturalobligation zusammengefasst); ferner Peter Bydlinski, Bürgerliches Recht, Bd. I, Allgemeiner Teil, 2000, § 3/21; Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 15/6; Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 10/5; Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 1/35; Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl., 2000, S. 10; ohne sachliche Abweichung bezeichnet sie Mayrhofer als unvollkommene Verbindlichkeiten, in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl., 1986, S. 11.

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§ 1432 ABGB: Doch können Zahlungen einer verjährten, oder einer solchen Schuld, welche nur aus Mangel der Förmlichkeiten ungültig ist, oder zu deren Eintreibung das Gesetz bloß das Klagerecht versagt, ebenso wenig zurück gefordert werden, als wenn jemand eine Zahlung leistet, von der er weiß, dass er sie nicht schuldig ist.

Bei den Naturalobligationen handele es sich um „wirkliche Schulden“98. Das zeige sich auch daran, dass gegen sie aufgerechnet werden könne99. Das den § 1432 ABGB einleitende „Doch“ zeigt an, dass in den aufgeführten Alternativen (Verjährung, Formfehler, gesetzlicher Ausschluss der Klagbarkeit) von dem Irrtumserfordernis des § 1431 ABGB eine Ausnahme gemacht wird100. Der mögliche Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit einer verjährten oder formfehlerhaften Forderung ist daher unbeachtlich. Auch kommt es nach § 1432 Alt. 1 und 2 ABGB nicht darauf an, ob der Schuldner die Verjährung oder den Formfehler kannte, als er auf die verjährte oder formfehlerhaft begründete Forderung leistete. Seine Unkenntnis von den Umständen ist unbeachtlich. Die Rückforderung bleibt ausgeschlossen, sofern nur der Schuldner freiwillig geleistet hat, d.h. nicht zur Leistung gezwungen wurde101. Zu den Naturalobligationen gehören die verjährten Schulden, die aber nicht schlechthin klaglos sind, denn die Unklagbarkeit ist nur auf Einwendung der Partei zu beachten (§ 1501 ABGB). § 1432 ABGB nennt ferner formungültige Schulden. Hier ist nach dem Formzweck zu entscheiden, ob eine Naturalschuld entsteht. Forderungen aus formungültigen Eheverträgen sollen etwa aus Gründen des Gläubigerschutzes zurückgefordert werden können und stellen daher keine Naturalobligationen dar102. Sind bei einem gegenseitigen Vertrag auf beiden Seiten Naturalschulden entstanden, kann der Leistende seine Leistung zurückfordern, sofern nicht auch der andere leistet103. Keine Naturalobligation entsteht aus formfehlerhaft errichteten letztwilligen Verfügungen104. Zur drit98

Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 1/35. Die Aufrechnung mit einer Naturalobligation ist dagegen ausgeschlossen, vgl. Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 4/27. 100 Die irrtümliche Annahme einer vollwirksamen Schuld ist unbeachtlich. Das „wollen die ersten drei Varianten des § 1432 ABGB ganz offensichtlich ausdrücken“, Mayrhofer in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl., 1986, S. 13; ebenso Dittrich/ Tades, ABGB, 2002, § 1432 E. 12; Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 15/6; OGH v. 1.2.1950, Juristische Blätter 1950, 342 (der Irrtum über die Klagbarkeit ist unbeachtlich). 101 Bei Leistung unter Androhung von Rechtszwang kann die Leistung zurückverlangt werden, Dittrich/Tades, ABGB, 2002, § 1432 E. 17; Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 15/6. 102 Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 1/35. 103 Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 1/35. 104 Möglich ist aber eine Anerkennung des fehlerhaften Testaments von allen Beteiligten, also auch von den gesetzlichen Erben. Der Anerkennungsvertrag entfaltet aber lediglich 99

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ten Fallgruppe, dem gesetzlichen Ausschluss der Klagbarkeit, gehören Forderungen aus Spiel und Wette gemäß §§ 1270 ff. ABGB. Nach 1271 ABGB ist das Versprechen verbindlich, soweit der Preis tatsächlich entrichtet105 oder hinterlegt worden ist. Ist dagegen weder bezahlt noch hinterlegt, so entsteht bloß eine unklagbare Naturalobligation106. Gerichtlich können weder der versprochene Einsatz noch der Preis gefordert werden107. Verbotene Spiele, insbesondere die staatlich nicht genehmigten Glücksspiele, sind ungültig und hinterlassen auch keine Naturalobligation108. Ebenso bleibt die restliche Schuld nach Zwangsausgleich im Konkurs (§ 156 KO) und Ausgleichsverfahren (§ 53 AO) als Naturalobligation bestehen109. Die Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung soll in diesen Fällen nichts daran ändern, dass auch der Naturalschuldner schuldet. Die Leistung ist Schuldtilgung nicht aber Schenkung, weshalb kein Widerruf aus den Gründen des Schenkungsrechts möglich ist110. bb) BGB § 814 Hs. 2 BGB ist die zentrale bereicherungsrechtliche Vorschrift über die Behandlung der „sittlichen Pflicht“. Sie stellt eine Irrtumsregel über den Rechtsirrtum hinsichtlich der Erzwingbarkeit auf111:

schuldrechtliche Wirkungen, Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band II, 13. Aufl. Wien 2007, S. 502. Das mündliche Testament als ordentliche Testamentsform (§ 585 ABGB a.F.) ist mit Wirkung zum 31.12.2004 abgeschafft worden, ebd. S. 506. 105 Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 10/5: Die Leistung muss wirklich entrichtet sein, d.h. meint, dass Leistungen erfüllungshalber, durch Wechsel, Scheck oder Schuldschein nicht genügen. 106 Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 10/5. 107 Die Gewinnforderung ist nicht klagbar. Eine Sonderstellung nehmen Spiel und Wette insofern ein, als Anerkennung und Vergleich sowie Sicherung durch Pfand oder Bürgschaft nicht zulässig sind, Mayrhofer in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl., 1986, S. 12; Dullinger, Bürgerliches Recht II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 2000, § 1/35. 108 Das staatliche Glücksspielmonopol wird dabei über ein Genehmigungserfordernis nach § 3 öst. GlücksspielG gesichert, Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 10/6. 109 Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III, Schuldrecht Besonderer Teil, 2000, § 15/6. 110 Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl., 2000, S. 11; Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB, § 859 Rn. 12; dagegen nimmt Adolf Ehrenzweig an, System des österreichischen Privatrechts, Band II/1, 1951, S. 5, nur ein bloßes „Leistenkönnen“ an und verneint damit eine fortgeltende naturale Pflichtstellung. Für die Güterbewegung fehlt es damit aber an einer dogmatischen Figur. 111 Die Einordnung des § 814 Hs. 2 BGB als Irrtumsregel ergibt sich aus den Materialien, vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse Bd. III, 1983, S. 763. Vgl. ferner oben B. I. 5. a) bb) (2), S. 167 f.

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§ 814 BGB Das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, wenn … die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach.

Danach ist es gleichgültig, aus welcher Vorstellung heraus der Schuldner eine sittliche Pflicht erfüllt hat112. Die „sittliche Pflicht“ ist – wie auch sonst bei der rechtlichen Integration der guten Sitten im BGB113 – nicht von subjektiven Überzeugungen und sittlichen Motiven des Leistenden abhängig114. Bestand nach den Feststellungen des Gerichts eine solche Pflicht zur Leistung objektiv, so ist die Rückforderung ausgeschlossen115. Die Fehlvorstellung des Schuldners bezüglich der Erzwingbarkeit der Schuld bleibt unbeachtlich. cc) Schweizerisches Obligationenrecht Das schweizerische Obligationenrecht aus dem Jahre 1911 folgt ebenfalls der objektiven Sichtweise. Art. 63 SchwOR (1) Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. (2) Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde.

Die ‚sittliche Pflicht‘ im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OR ist rechtlich und insbesondere gerichtlich nicht erzwingbar. Die Regelungen gehen damit von einer freiwilligen Erfüllungsleistung aus. Ein subjektives Handeln ‚aus Pflicht‘ wird dafür nicht gefordert. Die Kenntnis der fehlenden Zwangsmacht ist nicht erforderlich und die Fehlvorstellung über die Erzwingbarkeit mithin unbeachtlich 116. 112 Auch das Bewusstsein einer Unentgeltlichkeit ist nicht erforderlich, MüKo/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 17. 113 Die guten Sitten im Sinne von §§ 138, 817, 819, 826 BGB sind ebenfalls nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen, Mugdan, Motive, Band I, S. 725; vgl. Sack, Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB, NJW 2006, 945, 949. 114 MüKo/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 17; Staudinger/Lorenz, BGB, 13. Bearb. 2002, Rn. 15; eine von moralischen Implikationen befreite Definition findet sich bei L. Jacobi, Die sittliche Pflicht im BGB, in: Festgabe der Berliner Fakultät für Dernburg, 1900, S. 151, 165 (soziale Pflicht, nicht gegen die Sitten zu verstoßen). Zum Begriff der sozialen Pflicht siehe unten C. I. 3. b), S. 253 ff. 115 BVerwG v. 13.3.2003 NJW 2003, 3146 bejaht die sittliche Pflicht zur Übernahme der Bestattungskosten der Stiefschwiegermutter; BayObLG v. 24.5.1996 FamRZ 1996, 1359 verneint etwa eine sittliche Pflicht zu vorweggenommener Erbfolge aus Steuergründen. 116 Unbeachtlicher Rechtsirrtum, Koller in: Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, § 3 Unvollkommene Obligationen, S. 15 Rn. 3.

II.1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation

227

Auf subjektive Momente kommt es insgesamt nicht an117. Anerkannt sind Fälle der Verwandtenunterstützung über den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen (§ 328 ZGB) hinaus, die Zahlung von Trinkgeldern und die nachträgliche Zahlung einer im Konkurs erlassenen Restschuld118. Die sittliche Pflicht wird als ein eigenständiger Schuldgrund angesehen. Art. 239 SchwOR: Schenkung … (3) Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt.

Sie bedeutet mithin keine Schenkung und ist den Naturalobligationen gleichgestellt119. Zu den gesondert anerkannten Naturalobligationen zählen Spiel, Wette, Differenz- und Lieferungsgeschäfte mit Spielcharakter (Art. 513 OR)120, der Kleinvertrieb alkoholischer Getränke und die Wirtszeche, sofern die Kantone von der Regelung Gebrauch machen (Art. 186 OR), der vereinbarte Ausschluss der Klagbarkeit121 und schließlich, wie ausdrücklich im Gesetz erwähnt, die verjährte Forderung (Art. 127–142 OR)122. Die Heiratsvermittlung (Art. 416 OR a.F.) erzeugt seit 1.1.2000 keine Natural-, sondern klagbare Zivilobligationen gemäß Art. 406 a OR ff. Die sittliche Pflicht kann formlos (Art. 239 Abs. 3 OR) in eine Zivilobligation umgewandelt werden123. Eine Aufrechnung ist nur unter Zustimmung des Naturalschuldners möglich und besitzt damit keine Zwangswirkung124. Die 117 Der Skrupulöse würde grundlos schlechter gestellt, Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 70. Auf subjektive Momente stellt aber BGE 53 II 199 ab. 118 Ablehnend insoweit Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 69. 119 BGE 116 II 243. 120 § 513 Abs. 1 OR lautet: Aus Spiel und Wette entsteht keine Forderung (ähnlich wie § 762 Abs. 1 S. 1 BGB: keine Verbindlichkeit). Die Rückforderung einer freiwilligen Leistung ist aber nach § 514 Abs. 2 OR möglich, wenn die planmäßige Ausführung des Spieles oder der Wette durch Zufall oder durch den Empfänger vereitelt worden ist, oder wenn dieser sich einer Unredlichkeit schuldig gemacht hat. Ebenso, wenn das Spiel überhaupt nicht stattfindet, BGE 77 II 48; vgl. Koller in: Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, S. 15 Rn. 4. Damit wird eine vertragsgleiche Risikoverteilung gesetzlich angeordnet. 121 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 69; Koller in: Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, S. 15 Rn. 12. 122 Zur Stellung der verjährten Forderung als Naturalobligation Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht. Kausale und abstrakte Verfügungen. AcP 200 (2000) 149, 159 mwN. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1995, S. 106. 123 BGE 53 II 198 und BGE 83 II 533, Koller in: Guhl, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl. 2000, S. 15 Rn. 3 124 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 67 f. u. 70.

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B. Historischer Teil

Sicherung der Schuld durch Bürgschaft, Faustpfand oder Konventionalstrafe sowie durch ein selbständiges Garantieversprechen ist vorbehaltlich des entgegenstehenden Gesetzeszweckes zulässig. Schließt der Gesetzgeber Zwangsbefugnisse auch insoweit aus, wie bei Spiel, Wette und Heiratsvermittlung, sind diese Sicherungen ebenfalls „unklagbar“125. dd) Niederländisches Burgerlijk Wetboek Objektivrechtlich ausgestaltet ist ferner die Regelung im niederländischen Burgerlijk Wetboek (BW). Die Naturalobligationen werden im einleitenden 1. Abschnitt des 6. Buches als natürliche Verbindlichkeit (naturlijke verbintenis) bezeichnet. Ihnen sind die Vorschriften Art. 3–5 gewidmet. Art. 3 enthält die Begriffsbestimmung126: (1) Een naturlijke verbintenis is een rechtens niet-afdwingbare verbintinis. (2) Een naturlijke verbintenis bestaat: a) wanneer de wet of een rechtshandeling aan een verbintenis de afdwingbaarheid onthoudt; b) wanneer iemans jegens een ander een dringende morele verpflichting heeft, van zodanige aard dat naleving daarvan, ofschoon rechtens niet afdingbaar, naar maatschappelijke opvattingen als voldoening van een aan die ander toekomende prestatie moet worden aangemerkt.

Die Naturalobligation ist zunächst in gesetzlich präformierte Pflichttatbestände und in Pflichten nach gesellschaftlicher Anschauung unterteilt (Abs. 2 a) und b)). Ferner lassen sie sich nach ihren Entstehungsgründen (durch Gesetz, rechtsgeschäftlichen Willen und gesellschaftliche Anschauung) in drei Typen einteilen: Erstens jene, bei denen aufgrund gesetzlicher oder zweitens aufgrund rechtsgeschäftlicher Anordnung die Erzwingbarkeit einer Verbindlichkeit ausgeschlossen ist (Art. 3 Abs. 2 a) BW); drittens jene, bei denen nach gesellschaftlicher Anschauung der Leistende eine dringende moralische Verpflichtung erfüllt hat (Art. 3 Abs. 2 b) BW).

125

Zur Bürgschaft Oser/Schönenberger/Gauch, Obligationenrecht, Art. 492 Rn. 33 f.; zum Faustpfand, Oftinger, Kommentar zum Zivilgesetzbuch, Art. 884 ZGB Rn. 159. 126 Deutsche Übersetzung nach Nieper/Westerdijk (Hg.), Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Bücher 6–7 A, 1996, S. 12 f.: (1) Eine Naturalobligation ist eine rechtlich nicht durchsetzbare Verbindlichkeit. (2) Eine Naturalobligation besteht: a) wenn das Gesetz einer Verbindlichkeit die Durchsetzbarkeit vorenthält; b) wenn jemand gegenüber einem anderen eine dringende moralische Verpflichtung solcher Art hat, dass ihre Erfüllung, obgleich nicht rechtlich durchsetzbar, nach gesellschaftlicher Auffassung als Erfüllung einer dem anderen gebührenden Leistung angesehen werden muß.

II.1. Die objektive und die subjektive Theorie der Naturalobligation

229

Im Falle der gesetzlichen Anordnung ist es nicht erforderlich, dass konkret ebenfalls eine dringende moralische Verpflichtung bestand127, so dass die subjektive Theorie hier schon im Ansatz ausscheidet. Aber auch in den durch den Richter festzustellenden Fällen einer dringenden moralischen Verbindlichkeit soll die Anerkennung richterlicher Wertung überlassen bleiben. Insbesondere soll es nicht darauf ankommen, weshalb der Leistende die Pflicht befolgte128. Anwendungsfälle der gesetzlich nicht präformierten Naturalobligation sind etwa Zuwendungen für die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Ebenso formlose Pensionszusagen eines Arbeitgebers129. Auch die Vereinbarung rechtsgeschäftlicher Pflichten ohne Zwang in Gestalt von Naturalobligationen wird im Rahmen von Gentlemen’s Agreement für zulässig angesehen130. Gesetzlich geregelte Naturalobligationen sind Spiel und Wette (Buch 6, Art. 1825 BW) und die Verjährung (Buch 3, Art. 306 ff. BW). Bei der Verjährung erlangt der Schuldner eine dauernde rechtsvernichtende Einrede, die der Richter nicht von Amts wegen beachten darf (Buch 3, Art. 322 Abs. 1 BW). Naturalobligationen gelten als eigenständige Schuldgründe. Die Bezahlung einer natürlichen Verbindlichkeit ist kein Geschenk; das Zahlungsversprechen unterliegt daher auch nicht den Formvorschriften des Schenkungsrechts131. Die Rückforderung im Sinne des Buches 6, Art. 203 BW („ungeschuldete Leistungen“) ist daher ausgeschlossen. Die irrige Annahme, zur Leistung gezwungen werden zu können, ist unbeachtlich132. Die im Übrigen anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen des Schuldrechts ordnet Buch 6, Art. 4 BW ausdrücklich an133. Das niederländische Schuldrecht geht damit von Forderungen und nicht etwa nur von einseitigen Pflichtstellungen oder bloßen Behaltensgründen aus. Als Forderung kann die natürliche Verbindlichkeit durch Bürgschaft, Pfand und Hypothek verstärkt werden, sofern dadurch gesetzgeberische Zwecke, die 127 Nieuwenhuis, Stolker,Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 3 (6.1.1.3), Anm. 3 a. 128 Nieuwenhuis, Stolker,Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 3 (6.1.1.3), Anm. 3 c. 129 Nieuwenhuis, Stolker,Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 3 (6.1.1.3), Anm. 3 c. 130 Nieuwenhuis, Stolker,Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 3 (6.1.1.3), Anm. 3 b; B. Wessels, Gentlemen’s Agreement Regulating Business Relations under Dutch Civil Law, N.I.L.R. 1984, S. 214, 227 f. 131 Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 4 (6.1.1.4), Anm. 2. 132 A. S. Hartkamp, Verbintenissenrecht, Deel I, De Verbintenis in het Algemeen, 9. Aufl. 1992, § 3 Naturlijke verbintenissen, Rn. 65. 133 Deutsche Übersetzung nach Nieper/Westerdijk (Hg.), Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Bücher 6 – 7 A, 1996, S. 12: Auf Naturalobligationen finden die gesetzlichen Bestimmungen über Verbindlichkeiten entsprechende Anwendung, es sei denn dass das Gesetz oder dessen Zweck es mit sich bringt, dass eine Bestimmung keine Anwendung auf eine nicht durchsetzbare Verbindlichkeit finden darf.

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Art. 4 BW ebenfalls erwähnt, nicht umgangen werden134. Die Forderungsstruktur zeigt sich auch darin, das die Aufrechnung mit einer Zivil- gegen eine Naturalobligation135 zugelassen wird. Die rechtsgeschäftliche Umwandlung von einer Natural- in eine Zivilobligation erfolgt nach Art. 5 Abs. 1 BW durch einen unentgeltlichen zweiseitigen Vertrag, der nicht dem Schenkungsrecht untersteht, Art. 5 Abs. 3 BW. Das niederländische Schuldrecht sieht sich in der Tradition des römischen Rechts. Es habe, so Hartkamp136, mit dieser Regelung den engen objektivrechtlichen und aus dem klassischen römischen Recht stammenden Begriff der obligatio naturalis umgesetzt. Sittliche Pflicht und Naturalobligation sind danach auf das engste miteinander verbunden. Im niederländischen Recht spielt schließlich die gute Gesinnung auch in Fällen einer dringenden moralischen Verpflichtung für die rechtliche Beurteilung nach Art. 3 Abs. 2 b BW keine Rolle137.

c) Freiwillige Erfüllung einer Verbindlichkeit bei Kenntnis der Nichtschuld Nach den § 814 Hs. 1 BGB, Art. 63 Abs. 1 OR, 1432 Alt. 4 ABGB ist die Rückforderung einer rechtsgrundlosen Leistung ausgeschlossen, wenn aus freien Stücken geleistet wurde, d.h. keine Schuld bestand und der Leistende dies auch wusste. Das Verständnis dieser Regel ist schwierig, ohne dass diese Schwierigkeiten bemerkenswerte praktische Folgen gehabt hätten. § 814 Hs. 1 BGB lautet: „Das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war, …“

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes greift § 814 Hs. 1 BGB nur ein, wenn ohne jeden Irrtum auf eine Nichtschuld geleistet wurde138. Der Leistende muss die Tatumstände kennen, aus denen sich ergibt, dass er nicht verpflichtet ist, und er muss auch wissen, dass er nach der Rechtslage nichts schul134 Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 4 (6.1.1.4), Anm. 2. 135 Da die Aufrechnung mit einer naturalen Aktivforderung deren zwangsweiser Durchsetzung gleichkäme, ist die Aufrechnung sowohl gegen eine Zivil- als auch gegen eine Naturalobligation ausgeschlossen, Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 4 (6.1.1.4), Anm. 2. 136 A. S. Hartkamp, Verbintenissenrecht, Deel I, De Verbintenis in het Algemeen, 9. Aufl. 1992, § 3 Naturlijke verbintenissen, Rn. 58 ff. 137 Nieuwenhuis/Stolker/Valk, Burgerlijk Wetboek, Boeken 3,5, en 6, 2. Aufl. 1994, Art. 3 (6.1.1.3), Anm. 3 c. 138 § 814 Hs. 1 BGB entspricht sachlich Art. 63 Abs. 1 SchwOR, wobei im schweizerischen Recht neben der Kenntnis auch der Irrtum nachzuweisen ist, der aber bei Kenntnis vermutet wird; Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 69 u. Fn. 4.

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det139. Der Empfänger kann in diesem Falle die Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld einwenden und die empfangene Leistung behalten. Das Behaltensrecht des Empfängers ist aber dogmatisch unklar. Die „Erfüllung einer Nichtschuld“ legt die Annahme nahe, ein „erfüllbarer“ Schuldgrund liege vor. Die Tilgung einer Nichtschuld ergäbe Sinn, wenn es Schuldgründe gibt, die außerhalb eines geschlossenen Systems von Schuldgründen stehen und deshalb als erfüllbare Nichtschulden angesprochen werden können. Im römischen Recht bestand ein solches geschlossenes System an zulässigen Schuldgründen und führte zu einer Systematisierung nach Schuldgründen inner- und außerhalb des Systems. Dies ermöglichte eine gestufte Anerkennung. War eine Erfüllungsleistung auf einen solchen externen Schuldgrund gerichtet, so konnte dieser im Rückforderungsprozess noch anerkannt und die Rückforderung daher zurückgewiesen werden. Diese systemfremden Schulden bedeuten sozusagen Rechtsgründe zweiter Klasse. Der Rückforderungsausschluss geht zurück auf Ulpian D. 12, 6, 1,1 u. Pomponius D. 12, 6, 50: „…quod quis sciens indebitum dedit hac mente, ut postea repeteret, repetere non potest“ 140 . Das BGB kennt jedoch keinen geschlossenen Kreis an Schuldgründen. Eine privilegierte Stellung innerhalb des Systems und eine nachrangige Position außerhalb des Systems ist keine zeitgemäße Vorstellung mehr. Das gilt auch für die sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB (nachfolgend aa). Für das Verständnis des § 814 Hs. 1 BGB bleiben auch ohne Einbeziehung der sittlichen Pflicht Anwendungen übrig. Der drohende performative Widerspruch, eine „Nichtschuld“ zu „erfüllen“ lässt sich durch die Freiheit des Leistenden auflösen, die Schuld, die er erfüllt, bewusst zu unterstellen. Der Schuldner erfüllt, etwa um einem Streit über das Bestehen der Schuld aus dem Weg zu gehen, aus Kulanz oder weil er sich scheut, die möglichen Einwendungen geltend zu machen. Das sind anerkannte Fälle des § 814 Hs. 1 BGB141. Nichtschuld im Sinne des § 814 Hs. 1 BGB ist demnach eine bloß subjektiv unterstellte Schuld. Der Leistende irrt nicht, sondern er nimmt ein mögliches Fehlen des Schuldgrundes bewusst in Kauf. Eine weitere Bedeutung dieser Regelung liegt im Bereich der Irrtumsproblematik. Nach der allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundregel darf kondiziert werden, wenn der Leistende vom Bestehen einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Schuld ausging (Art. 1432 Alt. 4 ABGB, Art 63 Abs. 1 OR, § 814 Hs. 1 BGB)142. § 814 Hs. 1 BGB drückt insoweit das Irrtumserfordernis der 139

BGH v. 18.9.2002 NJW 2002, 3773. Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. 2001, S. 365, 380. Stellt man die „sittliche Pflicht“ und die Naturalobligation außerhalb des Systems der Rechtsgründe, sind sie als systemfremde Schulden in zweiter Linie anerkennungsfähig. Gegen dieses Verständnis nachfolgende Fn. und unten C. IV. 2 c) bb), S. 453 f. 141 RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 814 Rn. 4. 142 Grundlegend Koch, Bereicherung und Irrtum, 1973, passim. Zur Diskussion über das 140

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condictio indebitii aus und präzisiert es dahin, dass der Schuldner irrig vom Bestehen eines Rechtsgrundes ausging143. Aufgrund der rechtstechnischen Ausgestaltung als Einwendung ist die Vorschrift nur noch ein Überbleibsel des Irrtumserfordernisses144. Das ist hier belanglos145. § 814 Hs. 2 BGB bleibt neben der übereinstimmenden Rechtsfolge auch abstrakt mit Hs. 1 verbunden, weil und soweit es sich in beiden Fällen um Irrtumsregeln handelt, die zum Ausschluss der Rückforderung führen. Hs. 2 ist dabei eine Ausnahme vom Grundsatz des Hs. 1. Nach Hs. 1 sind alle Tatsachen- und Rechtsirrtümer des Leistenden beachtlich und eröffnen die condictio indebiti. Dagegen ist gemäß Hs. 2 der spezielle Rechtsirrtum des Leistenden über die Klagbarkeit unbeachtlich. Die Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtum, von wesentlichem und unwesentlichem sowie zwischen entschuldbarem und unentschuldbarem Irrtum ist – mit Ausnahme der Fälle einer sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht in § 814 Hs. 2 BGB, Art. 63 Abs. 2 OR – aufgegeben. Jeder Irrtum – mit Ausnahme dem über die Klagbarkeit – ist beachtlich146. Die sittliche Pflicht nimmt keine rechtliche Sonderstellung ein. Auch die irrige Annahme über das Bestehen einer sittlichen Schuld, die tatsächlich nicht vorliegt, berechtigt zur Kondiktion. Jedoch genügt nicht schon der Irrtum über die Klagbarkeit einer tatsächlich bestehenden Schuld. Die Normaussage des § 814 Hs. 2 BGB lautet daher: Die Leistung kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil der Leistende irrig annahm, zur Erfüllung gezwungen werden zu können147. § 814 Hs. 2 BGB ist von daher ein Lehrsatz über die Unbeachtlichkeit des bloßen Klagbarkeitsirrtums. Dieser Irrtum besitzt eigenständige Bedeutung nur dort, wo Irrtumserfordernis der condictio indebiti im römischen Recht, ebd., S. 105 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 849 ff. 143 Mayer-Maly, Rechtsirrtum und Bereicherung, in: Kuchinke (Hg.), FS für Heinrich Lange, 1970, 293, 296 (Irrtum des Leistenden ist negative Anspruchsvoraussetzung und aus Gründen der Beweisverteilung so ausgestaltet, Mot. II, S. 833 f.) 144 Nach MüKo/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 2 kommt die Irrtumsregel nur zum Ausdruck, ohne zum Tatbestandsmerkmal erhoben zu sein. 145 Aus der Stellung als Ausnahmevorschrift ergibt sich allerdings folgende Beweislastverteilung: Die Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld ist vom beklagten Leistungsempfänger zu beweisen. Das beruht auf dem Erfahrungssatz, dass, wer auf eine Schuld zahlte, deren Nichtexistenz sich später herausstellt, sich normalerweise im Irrtum befand. Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast I, 2. Aufl. 1991, § 812 BGB Rn 6 u. § 814 Rn. 2; ebenso Wacke, Verlustabwehr rangiert vor Gewinnstreben. Eine klassische Interessenabwägungs- und Beweislast-Regel (D. 50, 17, 41, 1), SZ 118 (2001) 264, 272. 146 Die gemeinrechtliche Lehre war über die Irrtumsvoraussetzungen zerstritten, MayerMaly, Rechtsirrtum und Bereicherung, in: Kuchinke (Hg.), Rechtsbewahrung und Rechtsentwicklung, FS für Heinrich Lange, 1970, 293, 297 ff. 147 Unbeachtlicher sog. error crassus et invinciblis, Kreittmayr, Anmerkungen über den Cod. Max. Bav. civ. IV (1795) p. 1710; Mayer-Maly, Rechtsirrtum und Bereicherung, in: Kuchinke (Hg.), Rechtsbewahrung und Rechtsentwicklung, FS für Heinrich Lange, 1970, 293, 298, der § 814 Hs. 2 BGB deshalb eine spezielle Relevanz für den Rechtsirrtum zuweist, S. 301 und Fn. 39.

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es objektive Schuldgründe gibt, deren Erfüllung tatsächlich nicht einklagbar ist. Das sind die Naturalobligationen. § 814 kann insofern insgesamt als Überbleibsel des Irrtumserfordernisses der condictio indebiti gelten, wonach nur derjenige seine Leistung zurückfordern darf, der irrtümlich vom Bestehen einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Schuld ausging148.

d) Die Einordnung der sittlichen Pflicht (Naturalobligation) in das System aa) Sittliche Pflicht als qualifizierte Nichtschuld Wäre die „sittliche Pflicht“ im System der Rechtsgründe als „Nichtschuld“ einzustufen, dürfte der Gläubiger die Erfüllungsleistung behalten, wenn der Schuldner sie wissentlich als Nichtschuld erfüllt149. Da der Gläubiger die Leistung auch bei irrtümlicher Erfüllung der sittlichen Pflicht behalten darf (§ 814 Hs. 2 BGB), ist die Zuordnung der sittlichen Pflicht zu § 814 Hs. 1 BGB mindestens überflüssig. Das zeigt sich ferner in dem möglichen Erst-Recht-Schluss. „Wenn schon die wissentliche Erfüllung einer Nichtschuld die Rückforderung hindert, so erst recht die wissentliche Erfüllung einer sittlichen Pflicht.“150 Die Klassifikation der sittlichen Pflicht als extralegaler Behaltensgrund (Anwendungsfall der Nichtschuld) wäre einerseits funktionsgleich mit den objektiven Schuldgründen, denn auch die wissentliche Leistung auf eine objektive Schuld führt zur Befreiung von der Rückgabepflicht. Andererseits aber ist der extralegale Behaltensgrund ohne eine rechtlich erfasste Struktur und daher aus rechtlicher Sicht nicht operational. Die Klassifikation als extralegal hat an anderer Stelle Bedeutung. Bildet die sittliche Pflicht eine legale Schuld (objektiver Rechtsgrund), so ist der Schuldgrund rechtlich eigenständig zu beurteilen. Das französische, portugiesische, italienische, österreichische, niederländische und Schweizer Recht anerkennen einen eigenständigen Schuldgrund und verneinen die Schenkung. Nach Art. 239 Abs. 3 SchwOR wird die Annahme einer Schenkung ausdrücklich verneint151, wenn der Leistende eine sittliche Schuld erfüllt hat152. Die Annahme einer 148

König, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1985, S. 23. Eine beiläufige Erwägung über die Anwendbarkeit des § 814 Hs. 1 BGB auf die Naturalobligation findet sich auch in den Materialien zum BGB, Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 758. 150 Mayrhofer in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl. 1986, S. 13. Zur dogmatischen Auseinandersetzung ferner unten C. IV. 1. c) bb) (3), 402. 151 Siehe oben B. II. 2. b) aa) Österreich, S. 223; cc) Schweiz, S. 226; dd) Niederlande, S. 228. 152 Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n° 86 u. 88 sieht gar ein Prinzip der entgeltlichen Leistung. 149

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Nichtschuld vermeidet eine eigenständige Anerkennung des Schuldgrundes und eröffnet die Zuordnung zur Schenkung. So spricht sich § 534 BGB für die Schenkung aus153. Diese Zuordnung hat konkrete Auswirkungen, weil Schenkungen einem Sonderregime unterliegen. Das Schenkungsversprechen ist insbesondere beurkundungsbedürftig (§ 518 Abs. 1 S. 1 BGB), während das kausale Erfüllungsversprechen keiner Formvorschrift unterliegt. Ist die Erfüllung einer sittlichen Pflicht eine Schenkung, so kann die Naturalobligation nicht schon durch ein formloses Leistungsversprechen154 in eine klagbare Zivilobligation umgewandelt werden155. Ohne die Formpflicht liefe der sittlich verpflichtete Schuldner, der seine Pflicht ausdrücklich anerkennt, Gefahr, zur Einhaltung aus einem einseitigen Erfüllungsversprechen gezwungen werden zu können. Das mündliche Unterhaltsversprechen an die verarmte Schwester wäre danach durchsetzbar, also insbesondere einklagbar156. Die Unterstellung der sittlichen Pflicht und Anstandsrücksicht unter das Schenkungsregime lässt sich aber auch ohne die Annahme einer Nichtschuld erklären. Die selbständige causa sittliche Pflicht wird durch die gesetzgeberische Unterstellung unter Teile des Schenkungsrechts nicht derogiert, sondern rechtlich ausgestaltet. Man wollte das formlose Leistungsversprechen nicht zulassen. Die sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB bilden daher keine externen Schuldgründe (Nichtschulden). bb) Sittliche Pflicht als Schuld (causa) Die Gemeinsamkeit der Halbsätze des § 814 BGB wie auch in den parallelen Regeln des schweizerischen Art. 63 OR liegt zunächst in der Rechtsfolge. Beide Regeln schließen die Rückforderung aus157. Der Grund ist aber verschieden. Im Fall des § 814 Hs. 2 BGB leistet der Schuldner auf das debitum naturale und also auf eine bestehende Schuld. Im Fall des § 814 Hs. 1 BGB liegt dagegen nur eine subjektiv unterstellte Schuld und damit keine Schuld vor. Eine Anwendung des 153

Zu den Gründen vgl. unten C. IV. 3. b) bb), S. 457 ff. Zur Rechtsnatur dieser Umwandlung, die in Anlehnung an das römische Recht häufig als Novation bezeichnet wird, siehe oben B. I. 5. d) bb) (4), S. 200 Fn. 842. In Betracht kommen aus deutscher Sicht ein kausales Erfüllungsversprechen, ein abstraktes Schuldversprechen, das selbst formpflichtig ist (§ 781 BGB), oder nach der hier vertretenen Auffassung die Schuldänderung durch Vertrag. 155 Das ist im deutschen Recht für die maßhaltende Ausstattung nach § 1624 Abs. 1 BGB anerkannt. Das Ausstattungsversprechen der Eltern ist klagbar (kausale Versprechen sind ohne Einigung über eine causa in rechtlicher Gestalt wirksam). Gernhuber sieht hier keine Sonderstellung für das Ausstattungsversprechen, die Norm sei vielmehr Ausdruck einer allgemeinen Regel, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 98. Siehe näher C. IV. 3. b) cc), S. 459. 156 Vgl. dazu näher unten C. IV. 3. b) bb), S. 457. 157 So auch MüKo/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn 1. 154

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§ 814 Hs. 1 BGB scheidet in Fällen der Naturalobligation aus158. Bei § 814 Hs. 1 BGB begründet erst die Leistungshandlung das Verbot der Rückforderung. Ein ex ante bestehender Schuldgrund fehlt gerade. Der Leistende tritt erst durch das Rückgabeverlangen in Widerspruch zu seiner vorangegangenen Leistung. Diese besitzt als rechtlich nicht definiertes „factum proprium“ normative Wirkung und findet Anwendung, wenn der Leistende eine Schuld bewusst hypothetisch unterstellt159. Damit widerspricht das Rückforderungsverlangen der Leistungshandlung, aber nicht die Leistungshandlung einer tatsächlichen Verpflichtung. Das Verbot der Rückforderung soll überdies unabhängig von der Frage gelten, ob der Leistungsempfänger schutzwürdig ist oder nicht160. Auch das spricht gegen eine Einbeziehung sittlicher Pflichten in den Anwendungsbereich des § 814 Hs. 1 BGB. Die Dogmatik schafft sich mit § 814 Hs. 1 BGB einen abstrakten Behaltensgrund aus dem Satz des Widerspruchs, der die freiwillige Leistung des wissenden Schuldners zur alleinigen Grundlage hat161. § 814 Hs. 2 BGB setzt den Bestand sittlicher Pflichten objektiv voraus und lässt die subjektive Seite des Schuldnerhandelns außer Acht. Allein die objektiv bestehende, sittliche Pflicht rechtfertigt das Behaltensrecht des Leistungsempfängers.

158 Herrschende Lehre vgl. bspw. MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 1; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, § 6 I 1, S. 165. Kohte, Die Kondiktionssperre nach § 814 1. Alt. BGB, BB 1988, 633, 635. Das Verbot der Rückforderung geht von der (bewerteten) Leistungshandlung aus, ohne die Wertung explizit zu erläutern. 159 Unzutreffend daher Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, 2003, § 813 Rn. 5, nach der § 814 BGB ausscheiden soll, wenn die Leistung den Rechtsgrund überhaupt erst schuf. 160 Auf das Vertrauen des Leistungsempfängers kommt es nicht an, vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 68 III 1 a; Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 2. 161 RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 814 Rn. 2 (Das Wissen um die Nichtschuld steht der Rückforderung entgegen). Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 2 (Der vom Leistenden verfolgte Zweck … bleibt ein von der Rechtsordnung nicht zu kontrollierendes Motiv); § 814 Hs. 1 ist damit die Grundnorm zivilrechtlicher Handlungsfreiheit, die sich selbst über relative Handlungsverbote hinwegzusetzen vermag. Vgl. Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl. 2003, Rn. 492 f. § 814 Hs. 1 BGB ist neben § 117 BGB ein Beleg für den Grundsatz, wonach alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist und insoweit auch rechtlichen Schutz genießt. Der Debitor sciens unterstellt selbst die Schuld, die er kondiktionsfest erfüllt.

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I. Thesen 1. Anerkennung der Naturalobligation als Rechtsfigur Die Naturalobligation ist als Rechtsfigur der schuldrechtlichen Dogmatik anzuerkennen. Systematisch steht sie neben der Zivilobligation. Auf der Abstraktionsebene des Schuldverhältnisses im engeren Sinne (Forderung, Schuld, Verbindlichkeit) bildet sie dessen rechtliche Ordnungsstruktur vollständig ab. Der Gläubiger besitzt das Recht auf die Leistung1, das Recht zum Behalten der Leistung und das Verfügungsrecht über die geschuldete Leistung. Differenzierungskriterium gegenüber der zivilistischen Forderung sind die fehlenden Zwangsbefugnisse des Gläubigers. Dieser kann die Forderung nicht im Wege der Leistungsklage oder unter Einsatz von materiell-rechtlichen Zwangsmitteln gegenüber dem Schuldner sichern oder durchsetzen. Der Gläubiger hat grundsätzlich keine Selbsthilfe-, Zurückbehaltungs- und keine Aufrechnungsbefugnis2. Die Gründe für die Aufhebung des Erfüllungszwanges sind nicht abschließend bestimmt3 und folgen auch keinem einheitlichen Prinzip oder Rechtsgedanken. Es handelt sich um ein Gestaltungsmittel zur funktionalen Differenzierung der Forderung etwa auch nur aus rechtspolitischen Gründen. Unter einer Naturalobligation verstehe ich mithin das schuldrechtliche Leistungspflichtverhältnis, das mit rechtlicher Zwangsmacht nicht einseitig durchsetzbar ist. Im Anschluss an Fritz Klingmüller lässt sich formulieren4: Das

1 Als Einzelbefugnis auch Anrecht, Einforderungsbefugnis, Einziehungsbefugnis, Verlangenkönnen oder Fordernkönnen genannt. Siehe unten C. IV. 4 a) aa), S. 461. 2 Aufgrund der Funktionalität als Forderung kann jedoch gegen eine Naturalobligation aufgerechnet werden. Die Naturalobligation ist zur Aufrechnung strukturell geeignet. Nach der hier vorgeschlagenen positivistischen Lesart bleiben damit auch Ausnahmen als gesetzgeberische Gestaltungsentscheidungen möglich. So besteht etwa eine sachlich beschränkte aktive Aufrechnungsbefugnis des Rennwettveranstalters und Buchmachers nach § 4 Abs. 2 S. 3 RennwLottG. Diese dürfen den noch nicht geleisteten Einsatz von einem auszuzahlenden Gewinn abziehen („Soweit der Einsatz nicht gezahlt ist, kann er von dem Gewinn abgezogen werden.“). Das Abzugsrecht beruht auf der naturalen Einsatzforderung, mit der der Veranstalter ausnahmsweise gegen die durchsetzbare Gewinnforderung aufrechnen darf, vgl. näher unten C. IV. 5. c) cc), S. 524. 3 Mit abweichender Diktion Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 256: „Das Leistensollen des Schuldners ist nicht erzwingbar“. 4 Klingmüller, (vorherige Fn.), S. 268.

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Recht aus der Naturalobligation ist forderbar, aber nicht erzwingbar. Ihr Kennzeichen liegt im freiwilligen Leistungsvollzug des Schuldners. In dogmatischer Sicht handelt es sich um ein wirksames und verbindliches Forderungsrecht, § 241 Abs. 1 BGB5, welches auch einen materiell-rechtlichen Anspruch ausbildet, § 194 Abs. 1 BGB. Die Naturalobligation weist die spezifische Eigenschaft auf, Forderung ohne Zwangsbefugnisse zu sein und führt damit neben der Zivilobligation6 zu einem eigenständigen Forderungsbegriff7. Bereicherungsrechtlich stellt die Naturalobligation einen Schuldgrund, debitum, im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB dar. Dem Recht fehlt die Zwangsausstattung (Zwangsbewehrung) und dem Anspruch folglich die Durchsetzbarkeit (einseitige Durchsetzungsmacht). Historisch knüpft die hier vorgeschlagene Dogmatisierung der Naturalobligation an die Figur der obligatio naturalis des klassischen römischen Rechts an8, die als objektive Theorie der obligation naturelle Eingang in die neuzeitliche Schuldrechtsdogmatik gefunden hat. In der funktionalen Ausrichtung eines nicht zwangsbewehrten Forderungsrechts hat die obligatio naturalis auch die naturrechtlichen Vollkommenheitslehren des 17. und 18. Jahrhunderts überlebt.

2. Qualifikation der Naturalobligation als Rechtspflicht und subjektives Leistungsrecht Die Naturalobligation erfüllt alle Voraussetzungen einer Rechtspflicht. Sie beruht auf einem interpersonalen Relationalverhältnis, ihr Inhalt ist bestimmt, ihre Forderung ist unabweisbar und sie erhebt den Anspruch auf materiale 5 Der systematische Standort ist die Forderung (§ 241 BGB) und nicht der Vertrag (§ 311 BGB) oder ein gesetzliches Schuldverhältnis. Das verschafft der Naturalobligation die höchste Abstraktionsstufe im schuldrechtlichen System. Nach Klingmüller handelt es sich um ein obligationsmäßiges Rechtsgebilde, weil Entstehung wie Untergang sich nach Sätzen des Obligationenrechts vollzieht (oben Fn. 3, S. 256). Das halte ich im Ergebnis für zutreffend, zur Stützung der These aber für ein zirkuläres Argument. 6 Ebenso wie hier geht Portmann, Wesen und System der subjektiven Rechte, Zürich 1996, Rn. 140 davon aus, dass Forderung und Naturalobligation materiellrechtlich nicht voneinander unterscheidbar seien. In beiden Fällen sei dem Gläubiger eine Leistung geschuldet. Portmann unterscheidet aber nach dem Merkmal der Klagbarkeit und übergeht damit die eigenständige Stellung der Naturalobligation, die sich aus der fehlenden rechtlichen Zwangsmacht insgesamt ergibt. Ferner legt Portmann einen m.E. zu weiten Forderungsbegriff zugrunde, der praktisch einem bloßen Erwerbsgrund gleichsteht, vgl. dazu näher unten C. IV. 4. a) aa), S. 464 u. Fn. 157. 7 Definition nach der allgemeinen Regel durch die nächsthöhere Gattung und den eigentümlichen Unterschied (per genus proximum et differentiam specificam), Adomeit, Rechtstheorie für Studenten: Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitologie, 1998, S. 26. 8 Den direkten Bezug zur obligatio naturalis des klassischen römischen Rechts bejaht für die verjährte Forderung auch Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, 2006, S. 470.

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Richtigkeit. Die Naturalobligation vermittelt ihrem Inhaber ein relatives subjektives Recht auf die Leistung9, dem eine entsprechende Pflichtstellung des Schuldners korrespondiert. Die fehlenden Zwangsbefugnisse bedeuten nicht, dass dem Schuldner ein Entscheidungsspielraum belassen würde. Die Pflichtstellungen von Zivil- und Naturalobligation sind gleich. Die aus der Aberkennung der Zwangsbefugnisse resultierende freiwillige Erfüllung steht der Qualifikation als Rechtspflicht nicht entgegen.

a) Freiwillige Schuldnerleistung Der Gläubiger einer Naturalobligation bleibt aufgrund fehlender rechtlicher Zwangsmittel auf rechtlich nicht kontrollierte Zwangsmittel angewiesen oder er muss auf die Erfüllung des Schuldners aus Einsicht vertrauen. Aufgrund des staatlichen Zwangsmonopols besitzt der Gläubiger insbesondere keine Möglichkeit physischen Zwang zu veranlassen oder selbst auszuüben; er besitzt auch keine Selbsthilfebefugnis10. Möglich bleiben die vom Recht nicht kontrollierten Zwangsmittel, d.h. gesellschaftliche, wirtschaftliche und kommunikative Zwänge sowie Gewissenszwänge des Schuldners. Mit Aberkennung der rechtlichen und damit auch physischen Zwangsmittel erlangt der Schuldner zwar seine Handlungsfreiheit wieder11, ohne dass ihm deshalb aber ein weitergehender Entscheidungsspielraum eingeräumt würde. Die Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf die Erfüllungshandlung ist von Rechts wegen unverändert beschränkt. Der Schuldner bleibt zur Leistung verpflichtet. Aus der Aufhebung des Rechtszwanges resultiert „nur“ die Freiwilligkeit der Schuldnerleistung. Das heißt, die Handlungsentscheidung des Schuldners über die Erfüllung der gegen ihn gerichteten Forderung muss freiwillig erfolgt sein. Gemeint ist die eigene Entscheidung des Schuldners über die Erfüllung bei gleichzeitiger Freiheit von Rechtszwang12. Der Schuldner muss Autor der Erfüllungshandlung in dem Sinne sein, dass sie ihm nach schuldrecht9 Der Begriff des subjektiven Rechts kann unabhängig von seiner umstrittenen dogmatischen Deutung zugrunde gelegt werden, vgl. etwa den auch historischen Überblick bei Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, 2003, S. 66 – 73; näher unten C. IV. 4. a) aa), S. 461 ff. 10 Näher unten C. IV. 4. a) bb) (1), S. 465. Aus der Funktionalität als Forderungsrecht folgt aber, dass die Verwertungsbefugnis aus bestehenden, d.h. vor der Umwandlung in eine Naturalobligation wirksam eingeräumten Sicherungsrechten bestehen bleiben kann (vgl. § 216 BGB); die Besicherung einer naturalen Forderung ist nur noch insoweit zulässig als sie der Aberkennung der Zwangsbefugnisse nicht widerspricht; vgl. dazu näher unten C. IV. 4. a) bb) (3), S. 469. 11 Handlungsfreiheit verstanden als die Fähigkeit Handlungsoptionen abzuwägen und ohne innere oder äußere Determiniertheit eine Option auszuwählen und wahrzunehmen, vgl. Karl Mertens, Verstrickt in den Kompatibilismus. Bemerkungen zur gegenwärtigen Freiheitsdebatte, in: Langbehn (Hg.), FS für Wolfgang Kersting, 2006, S. 201, 205. 12 Freiwillig meint die Urheberschaft der Erfüllungshandlung. Die Handlungsinitiative muss vom Schuldner selbst ausgehen und er darf nicht durch rechtliche, namentlich physi-

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lichen Grundsätzen zuzurechnen ist. Er muss also nicht notwendig in eigener Person erfüllen. Die naturale Schuld kann auch durch einen Dritten erfüllt werden (§ 267 BGB), insbesondere kann die Erfüllungshandlung auch durch einen gesetzlichen13 oder rechtsgeschäftlichen Stellvertreter oder durch einen Boten erfolgen. Ebenfalls nicht vorausgesetzt wird ein subjektives Handlungsmotiv des Schuldners, auch nicht dasjenige, die bestehende Schuld zu tilgen14. Ebensowenig kommt es auf die Kenntnis des Schuldners von der fehlenden Zwangsbefugnis an15. Diese nur negative Bestimmung der freiwilligen Erfüllungshandlung gilt auch dann, wenn eine freiwillige Schuldnerleistung tatbestandlich vorausgesetzt wird und nicht bloß Resultat der Substraktion rechtlicher Zwangsmittel ist16. Die Schwächung der Gläubigerposition kann dogmatisch unterschiedlich zu Geltung gebracht werden. Dem Gläubiger werden die Zwangsbefugnisse entweder von vornherein aberkannt17 oder er verliert seine Behaltensbefugnis für den Fall einer zwangsweisen Rechtsdurchsetzung18. Beide Gestaltungen sind funktionsäquivalent, weil der Gläubiger in beiden Fällen kein Behaltensrecht an einer erzwungenen Erfüllungsleistung erwirbt19. Sie können als unterschiedliche Ausprägungen ein und derselben Rechtsfigur angesehen werden.

sche Zwangsmittel, gezwungen worden sein. Andere Einflussnahmen und sonstigen Zwangsmittel heben die rechtlich verstandene Freiwilligkeit nicht auf. 13 Anders als nach der subjektiven Theorie der Naturalobligation im französischen Recht, nach der die Leistung eines gesetzlichen Vertreters nicht als Erfüllung einer obligation morale anerkannt wird. Vgl. oben B. II. 2. a) aa), S. 212 u. Fn. 31. Zugrunde liegt dort ein Handlungsverständnis im Sinne einer moralischen Handlung, die stets Autorschaft in dem doppelten Sinne verlangt, dass der Handelnde selbst die Initiative ergreift und dass nur er es ist, der die Initiative ergreift. Vgl. oben B. II. 1. b), S. 207. 14 Die Frage, weshalb und mit welcher Intention der Schuldner erfüllt, bleibt unerheblich. Vgl. näher nachfolgend im Text unter cc). 15 Der Irrtum des Schuldners über die Erzwingbakeit ist unbeachtlich (§ 814 Hs. 2 BGB). 16 In § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ist das Freiwilligkeitserfordernis ausdrücklich gesetzlich normiert. Von der Rechtsprechung ist es für § 214 Abs. 1 BGB bei Leistung vor Erhebung der Verjährungseinrede aufgestellt worden, BGH v. 5.10.1993, NJW 1993, 3318, 3320, und ebenso gilt es im Rahmen von § 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO, vgl. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 31. 17 So etwa bei §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1, 1297 BGB. 18 So im Falle der Vollstreckung verjährter Forderungen, vgl. BGH v. 5.10.1993, NJW 1993, 3318, 3320; statt aller AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 214 Rn. 7. 19 Sowohl bei der Aberkennung von Zwangsbefugnissen als auch beim Erfordernis freiwilliger Schuldnerleistung kann der Schuldner die gleichwohl erzwungene Leistung kondizieren.

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b) Autonome Erfüllungshandlung Die freiwillige Schuldnerleistung ist Erfüllungshandlung. Sie ist auch dann freiwillig, wenn der Schuldner unter der Vorstellung geleistet hat, zur Erfüllung gezwungen werden zu können. aa) Abgrenzung (1) Kein Rechtsgeschäft Die freiwillige Leistung des Schuldners bedeutet nicht selbst ein Rechtsgeschäft. Ebenso wie der Zivilobligation liegt auch der Naturalobligation ein objektiver Schuldgrund, eine causa zugrunde (etwa die Zahlungspflichten aus dem Ehemaklervertrag oder aus dem Wettvertrag oder aus sittlicher Pflicht usf.). Mit seiner freiwilligen Erfüllungsleistung bietet der Leistende dem Empfänger daher nicht etwa an, auf einen sonst bestehenden Kondiktionsanspruch 20 zu verzichten (§ 397 BGB). In der Erfüllung liegt desgleichen kein Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis und zwar weder ein (zusätzlicher) kausaler Schuldgrund21 noch ein abstraktes Sicherungsgeschäft (§§ 780 f. BGB). Anders als nach der subjektiven Theorie der Naturalobligation kommt es auch sonst nicht auf die persönliche Anerkennung des Schuldners für die Rechtsbegründung an. Einer Transformation von einer extralegalen sittlichen Pflicht in eine Rechtspflicht durch Anerkennung bedarf es nach der hier zugrunde gelegten objektiven Theorie nicht 22. Die Erfüllungsleistung bei der Naturalobligation ist daher auch nicht an die höchstpersönliche Vornahme gebunden 23. Sie bedeutet ferner keine Handschenkung des Leistungsgegenstandes. Wie der Zivilobligation liegt auch der Naturalobligation ein objektiver Schuldgrund zugrunde, der zwar eine Schenkung sein kann, es aber nicht muss24. 20 Entsprechend einer zu § 814 Hs. 1 BGB vertretenen Position, die in der wissentlichen Erfüllung einer Nichtschuld einen rechtsgeschäftlichen Verzicht auf die Kondiktion, bzw. ein Schuldanerkenntnis sieht, vgl. Kaehler, Bereicherungsrecht und Vindikation, 1972, S. 187 f.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 184; König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985, S. 43 f. 21 Ein eigenständiges kausales Schuldversprechen hat kaum praktische Bedeutung. Es tritt ähnlich einer Selbstverbürgung neben den Rechtsgrund der Sitte, Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229. 22 Siehe oben B. II. 1. a), S. 206 f. 23 Die Stellvertretung ist möglich. Anders nach der französischen Doktrin, vgl. oben B. II. 2. a) aa), S. 212. 24 Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht kann bei einer entsprechenden Einigung der Parteien über die Unentgeltlichkeit zwar Schenkung sein (§ 534 BGB), muss es aber nicht (§ 1624 Abs. 1 BGB), Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 3, S. 95 f. Auch im Rahmen von § 534 BGB wird die Schenkung verneint von Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 66.

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(2) Keine Wollensbedingung Die freiwillige Erfüllung einer Naturalobligation beruht ferner nicht auf der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit (Dispositionsbefugnis) des Schuldners. Der Schuldner ist obligatorisch verpflichtet, er steht unter einem Leistungsbefehl und darf im Erfüllungszeitpunkt keine gegenläufige Handlungsentscheidung treffen 25. Die Leistungshandlung lässt deshalb keine Wollensbedingung eintreten, mit der der Schuldner das intendierte Rechtsgeschäft erst zu Stande bringt26. (3) Kein Gestaltungsrecht (Reurecht) Desgleichen übt der Schuldner kein Reurecht aus, wenn er die nicht erzwingbare Erfüllungshandlung unterlässt27, sondern er verletzt seine obligatorische Leistungspflicht. Die Pflichtverletzung zeigt ebenso den Unterschied zum verbraucherschützenden Widerrufsrecht 28. So ist auch die Zivilobligation auf eine freiwillige Erfüllung hin angelegt, ohne deshalb dem Schuldner einen Entscheidungsspielraum über die Erfüllung einzuräumen. Eine Sonderstellung nimmt insoweit nur die verjährte Schuld ein. Der Schuldner besitzt mit § 214 Abs. 1 BGB das Gegenrecht aus der Einrede, das funktional einem Reurecht ähnelt.

25 Das betrifft nicht die logisch vorgängige Frage nach der menschlichen Willensfreiheit und ihren Möglichkeitsbedingungen, die als gegeben vorausgesetzt werden, Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 3 u. 36. 26 Bei der Wollensbedingung hängt die Wirkung des Rechtsgeschäfts (bindende Forderung) von einer späteren Erklärung eines der Vertragspartner ab. Zur Unterscheidung von Potestativ- und Wollensbedingung und der prinzipiellen Zulässigkeit beider vgl. Staudinger/ Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 158–163 Rn. 14 ff.; AnwK-BGB/Wackerbarth, 2005, § 158 Rn. 6 – 8. Die Erklärung unter einer bloßen Wollensbedingung wird unter Hinweis auf den Kauf auf Probe (§ 454 BGB) weithin anerkannt (ebd. Rn. 7). Auch die Rechtsprechung hält eine reine Wollensbedingung seit RG v. 22.2.1922 RGZ 104, 98, 100 für zulässig. Dort war die Gültigkeit des Vertrages ausschließlich von der Willkür des Verkäufers abhängig. 27 Vertreten für Spielverträge nach § 762 Abs. 1 S. 1 BGB, Servatius, Ball im Netz ist Geld auf der Bank. Die zivilrechtliche Behandlung eine an sportliche Erfolge geknüpften Verzinsung von Sparguthaben, WM 2004, 1804, 1808. Servatius geht von fehlender Bindung bis zur Leistungsbewirkung aus. Die fehlende Rechtsmacht des Gläubigers bedeute ein Lösungsrecht des Schuldners, ähnlich dem verbraucherrechtlichen Widerruf. 28 Zutreffend hat Mankowski die Anfechtung wegen Irrtums bei der Erfüllung einer Naturalobligation verneint, weil es dem Wesen der Naturalobligation widerspräche, wenn der Leistende seine im Rahmen der Erfüllung abgegebene Tilgungserklärung widerrufen könnte. Der Irrtum darüber, dass die Obligation nicht rechtsverbindlich und er nicht zur Leistung verpflichtet war, stelle einen besonderen Fall des unbeachtlichen Rechtsirrtums dar, der sich insbesondere an §§ 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 764 S. 1 BGB stoße, Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 531. Der Naturalschuldner irrt m.E. allerdings nicht über das Bestehen einer Rechtsverbindlichkeit bzw. Pflicht, sondern über deren einseitige Durchsetzbarkeit.

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Mit der Ausübung des Einrederechts geht jedoch nur die Einforderungsbefugnis des Gläubigers, nicht auch dessen Forderung insgesamt unter29. (4) Kein bloßes Rückforderungsverbot Die freiwillige Schuldnerleistung löst kein nur bereicherungsrechtliches Rückforderungsverbot aus. Die Erfüllungsleistung ist vielmehr deshalb nicht kondizierbar, weil die Naturalobligation eine rechtliche Schuld und einen Rechtsgrund (causa) bedeutet. Auch sittliche Pflichten und Anstandsrücksichten bilden objektive Rechtsgründe30 und sind keine Nichtschulden i.S.d. § 814 Hs. 1 BGB. bb) Autonome Erfüllungsentscheidung und Zwangsmotiv Der Handlungsanreiz, den drohenden Zwang zu vermeiden entfällt. Der Schuldner einer Naturalobligation erfüllt nicht wegen der Androhung oder Anwendung rechtlicher Zwangsmittel. Worauf seine Entscheidung positiv beruht, bleibt hier, wie stets, unerheblich. Die allein vorausgesetzte Freiwilligkeit liegt vor, wenn die Handlungsentscheidung des Schuldners, die Forderung zu erfüllen, nicht durch rechtliche Zwangsmittel herbeigeführt wurde. Mit Thomas Gutmann lässt sich der Freiwilligkeitsbegriff dahin präzisieren, dass der Handlungsraum und die Wahlsituation des Schuldners im Erfüllungszeitpunkt durch rechtliche Zwangsmittel nicht eingeschränkt sein dürfen 31. Die Erfüllungsleistung setzt also voraus, dass der Schuldner eine eigene, von rechtlichem Zwang unbeeinflusste Entscheidung über die Erfüllung treffen konnte und lässt offen, was den Schuldner im Falle einer positiven Entscheidung zur Erfüllung motiviert hat. Problematisch wird diese Sicht unter dem Gesichtspunkt möglicher Fehlvorstellungen des Schuldners. Freiwilligkeit im vollen Sinne des Begriffs setzt voraus, dass der Handelnde alle relevanten Umstände für seine Entscheidung kennt 32. Fraglich ist danach, ob die unrichtige Vorstellung über die Erzwingbarkeit einer Schuld die Handlungsentscheidung des Schuldners unfreiwillig werden lässt. Hält man die Leistung unter der Vorstellung ihrer Erzwingbarkeit für eine un29 Die verjährte Forderung bleibt erfüllbar. Über die Einredekonstruktion wird es möglich, die Forderung als Hauptrecht identitätswahrend aufrecht zu erhalten. Mit dem Wegfall des Gegenrechts lebt die Forderung als naturale Forderung (wenn die Einredebefugnis des Schuldners fortbesteht und dieser die Einrede etwa nur fallen ließ) oder als durchsetzbare Forderung (wenn die Einredebefugnis erlischt, etwa weil der Schuldner auf die Einrede verzichtet) wieder auf. 30 Zur historisch rechtsvergleichenden Einordnung oben B. II. 2. c), S. 230 ff., und d), S. 233 ff. und in dogmatischer Sicht unten C. IV. 2., S. 405 ff. 31 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 61. 32 Die subjektive Theorie der Naturalobligation verlangt entsprechend den debitor sciens, vgl. oben B. II. 1. b), S. 207.

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freiwillige Leistung, ist nach der Kausalität der Fehlvorstellung zu fragen. Die Freiwilligkeit ist jedenfalls erst dann aufgehoben, wenn die Zwangsvermeidung der handlungsleitende (schlagende) Grund für die Erfüllungshandlung war. Nur derjenige Schuldner handelt notwendig unfreiwillig, der aus Furcht vor Zwang geleistet hat und den insoweit das Motiv der Zwangsvermeidung geleitet hat. cc) Unfreiwilligkeit bei alleinigem Zwangsmotiv Der BGB-Gesetzgeber hat sich mit den §§ 214 Abs. 2, 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 814 Hs. 2 BGB gegen jede Motivationsprüfung und damit auch gegen eine Feststellung subjektiver Vorstellungen über die Zwangsbedrohung entschieden. Der Irrtum über die Erzwingbarkeit einer Leistungspflicht 33 ist unbeachtlich34. Maßgebend ist mithin die objektive Sichtweise35. Es ist mit anderen Worten unschädlich, wenn die Leistungsentscheidung des Schuldners unter einem Zwangsmotiv erfolgt ist. Die Freiwilligkeit entfällt erst dann, wenn der Schuldner unter dem alleinigen Motiv handelte, den angedrohten Zwang zu vermeiden. Die kompulsiv erzwungene Handlung stellt ab einer bestimmten Intensität der Zwangsbedrohung keine freiwillige Handlung mehr dar 36. Aufgrund der Forderungsberechtigung kann zugunsten des Gläubigers vermutet werden, dass beim Schuldner nicht der Zwang, sondern andere Handlungsgründe, namentlich die bestehende Leistungspflicht handlungsleitend waren. Entsprechend kann man sagen, dass im Modell des § 814 Hs. 2 BGB unwiderleglich vermutet wird, dass der Schuldner aus anderen Gründen, als aus jenem der 33 Bereits im römischen und im älteren gemeinen Recht konnte die Leistung im irrigen Glauben an die Einklagbarkeit der Schuld nicht zurückverlangt werden. Dabei wurde in der Leistung auch eine Anerkennung der Schuld gesehen (Tryphonin D. 12, 6, 64). Vgl. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 77; Niederländer, Die Bereicherungshaftung, 1953, S. 89 ff.; König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985, S. 40. 34 Objektive Theorie der Naturalobligation, vgl. oben B. II. 1. a), S. 206. Ebenso im Rahmen von § 4 Abs. 1 S. 1 u. 3 RVG, BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; BGH v. 28.1.2003 BGHZ 152, 153, 160 f. = NJW 2003, 819; OLG Frankfurt a.M. v. 12.2.1998, AnwBl. 1998, 661. 35 Nur bei der Erfüllung einer Nichtschuld gem. § 814 Hs. 1 BGB kommt es auf die Freiwilligkeit der Leistungsentscheidung auch insoweit an, als diese frei von Rechtsirrtümern erfolgt sein muss, vgl. Kohte, Die Kondiktionssperre nach § 814 1. Alt. BGB, BB 1988, 633, 634 (positive Kenntnis von der fehlenden Leistungspflicht). 36 Keiner Vertiefung bedarf das damit angesprochene sog. coactus-volui-Paradoxon, wonach auch eine kompulsiv erzwungene Handlung noch eine freiwillige Handlung darstellt, vgl. John Leslie Mackie, Ethik. Auf der Suche nach dem Richtigen und Falschen, 1983, S. 263; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 61 f. Handlungen unter Zwang sind von Handlungen unter gewöhnlichen Umständen im Hinblick auf die Wahlsituation nicht kategorial verschieden. Es sind Fälle in denen der Handlungsraum auf eine bestimmte Weise beschränkt wurde. Die so unter kompulsivem Zwang getroffenen Entscheidungen bleiben „frei“, sofern sie ein Mindestmaß an Rationalität und Entscheidungsfähigkeit bewahren.

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Zwangsvermeidung geleistet hat. Das Freiwilligkeitserfordernis ist damit nicht aufgegeben, sondern nur zugunsten der Pflichterfüllung zurückgedrängt. Unfreiwillig erfüllt der Schuldner erst dann, wenn der Gläubiger die Drohung wahr macht und die Erfüllung physisch erzwingt. Im Falle einer Zwangsdurchsetzung handelt der Schuldner auch unter einer rein objektivrechtlichen Sicht nicht mehr freiwillig37. Im Ergebnis wird das Freiwilligkeitserfordernis also erst im Falle der zwangsweisen Durchsetzung der Leistungspflicht und der damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlungen verletzt. In allen anderen Fällen handelt der Schuldner nach der hier vertretenen objektiven Theorie der Naturalobligation noch freiwillig. Die genaue Grenzziehung ist eine Frage der Einzelfallentscheidung 38. Die Naturalobligation verlangt damit keine ethisch-moralischen Handlungsmotive des Schuldners. Wie bei der Zivilobligation kommt es nicht auf die Gründe der Pflichterfüllung an. Die Freiheit von staatlichem Erfüllungszwang wird nicht etwa durch einen rechtsethischen Befolgungsmodus ersetzt. Das gilt auch in Fällen sittlicher Pflichten, die allein nach objektiven Kriterien bestimmt werden und sich daher von gesetzlich vertypten Leistungspflichten nicht unterscheiden. Der Ausführungsgrund der Erfüllungshandlung bleibt bei der Naturalobligation und in Abgrenzung zu bloß moralischen Pflichten offen.

c) Der Anspruch aus einer Naturalobligation Forderung und Anspruch bleiben bestehen. Das Recht aus der Naturalobligation ist forderbar39 und bildet entsprechend einen materiell-rechtlichen Anspruch aus (§ 194 Abs. 1 BGB). Das Merkmal der Forderbarkeit (Einforde37 Die kontrafaktische Zuspitzung der Freiwilligkeit liegt in der Annahme, dass der Schuldner den Rechtszwang als Selbstbestimmungsvollzug seiner pflichtenbegründenden Handlung erlebt und daher auch unter Zwang handelnd seine Autonomie bewahrt. Das ist jedoch eine Freiheitsvorstellung und keine Freiwilligkeitsfrage. Siehe dazu näher unten C. III. 3. b) bb) (3), S. 417. 38 So hatte das Reichsgericht selbst die Zahlung an den Gerichtsvollzieher noch als eine freiwillige und darum den verjährten Anspruch tilgende Zahlung des Schuldners angesehen, RG v. 28.5.1906, JW 1906 Nr. 38, S. 476. Vorzugswürdig scheint es, auf den Zeitpunkt der Einleitung einer Zwangsmaßnahme abzustellen. Bis dahin ist die Leistung auch dann als freiwillig anzusehen, wenn der Schuldner irrig annimmt, er könne zur Leistung gezwungen werden. Vgl. dazu näher bei der Verjährung unten C. IV. 5. a) bb), S. 511. 39 Man darf zur Verdeutlichung daher auch nicht von einer unverbindlichen Forderung sprechen. Eine unverbindliche Forderung ist ein Selbstwiderspruch. Sie ist keine Forderung, sondern eine schwache Erwartung (Wunsch oder Hoffnung). Der Forderungsbegriff verkörpert gerade das verbindende Band und damit das obligatorische (kategorische) Leistensollen. Dagegen kann von einer vollwirksamen oder besser von einer normativ wirksamen Forderung gesprochen werden, sofern damit die entstandene Einforderungsbefugnis und der Leistungsanspruch bezeichnet werden. Damit grenzt sich die Forderung gegenüber bedingten oder betagten Forderungen ab, denen die Einforderungsbefugnis und der Anspruch noch fehlen. Siehe dazu näher unten C. IV. 4. c), S. 475 ff.

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rungsbefugnis) ist notwendig mit der Zuerkennung eines Anspruches verbunden, der diese Befugnis realisiert40. Der Wirkungsgrad dieser Forderung ist jedoch vermindert41, weil die verhaltenssteuernde Bedrohung des Schuldners entfällt. Die Funktionalität der Obligation hängt nicht vom Zwang, wohl aber von der Einforderungsbefugnis und deren Realisierung in der Anspruchserhebung ab. Der Schuldner als Adressat einer kategorischen Verhaltensanforderung kann die entsprechende Rechtsbehauptung des Gläubigers nicht unterbinden. Besteht die Naturalobligation, so ist seine negative Feststellungsklage als unbegründet abzuweisen. Bestreitet der Schuldner das Recht, so kann der Gläubiger dessen Bestehen positiv feststellen lassen (§ 256 ZPO).

d) Sekundäre, auf das positive Interesse gerichtete Leistungsrechte sind nicht durchsetzbar Die abgeschwächte Wirkung der Forderung beruht auf der gesetzlichen Missbilligung des Erfüllungszwangs42. Die fehlende rechtliche Durchsetzbarkeit der Leistungspflicht setzt sich daher auch auf der sekundären Einstandsebene fort. Die Ansprüche aus §§ 280 Abs. 2 u. 3, 281–283, 286 BGB sind mithin ebenfalls nicht erzwingbar. Die Durchsetzungsschwäche betrifft ferner Nacherfüllungsansprüche als Modifikationen des Leistungsanspruches (§§ 439, 635 BGB)43. Die Entscheidung über die fehlende Erzwingbarkeit der Hauptleistung erstreckt sich auf das positive Interesse44. Bei der Naturalobligation geht es da40 Der Anspruchsbegriff des § 194 Abs. 1 BGB ist als ein Sammelbegriff für alle aktiven Realisationsformen der materiellrechtlichen Rechtsbefugnisse zu verstehen. Bei der schuldrechtlichen Forderung sind dies die Einforderungsbefugnis und die darauf aufbauenden Zwangsbefugnisse (Aufrechnungsbefugnis, Zurückbehaltungsbefugnis, Klagebefugnis). 41 Auf die abgeschwächte Wirkung einer wirksamen Forderung aufgrund fehlenden Erfüllungszwanges stellen ab: RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8; ebenso bezogen auf Spiel und Wette Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 4 (zurückgesetzte Rechtswirksamkeit); Bamberger/Roth/Janoschek, BGB, 2003, § 762 Rn. 1 (nicht sittenwidrig, aber verminderte Wirksamkeit). Bezogen auf Ehevermittlung BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 314 f. – Ehevermittlung (wirkungsgemindertes vertragliches Schuldverhältnis), zust. Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 5. 42 RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8. Das gilt auch für die individuelle Missbilligung durch die Vertragspartner im Falle einer rechtsgeschäftlich begründeten Naturalobligation. Dieser rechtsgeschäftlichen Gestaltung sind aber enge Grenzen gesetzt, siehe unten C. V. 3., S. 581 ff. 43 Zu der parallelen Rechtslage bei den Naturalobligationen im österreichischen Recht (§ 1432 ABGB), vgl. Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluß und Heilung nach § 1432 ABGB. Wien 1998, S. 302. 44 Dabei ist zu sehen, dass die Missbilligung des Erfüllungszwanges auf einer entsprechenden gesetzgeberischen Entscheidung beruht und die Zuerkennung von Sekundärrechten positivistisch gestaltet werden kann. So wäre es prinzipiell denkbar, etwa den Nacherfüllungsanspruch (§§ 439, 635 BGB) erzwingbar auszugestalten. Auf einer entsprechenden ge-

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mit nicht isoliert um die Erzwingbarkeit der Primärleistung, sondern um die zwangsweise Durchsetzbarkeit überhaupt. Sie ist deshalb auch nicht zu verwechseln mit der Lehre von der specific performance im angelsächsischen Recht, nach der im Grundsatz kein vertraglicher Anspruch auf die Primärleistung besteht45. Hintergrund dieser Lehre ist die Annahme, dass die vertragliche Pflicht aus dem Vertragsbruch und damit aus einer deliktischen Handlung entsteht. Die Vorstellung einer primären Leistungspflicht aus einem vertraglichen Treueversprechen wird hier entweder ganz zurückgewiesen oder zumindest in den Bereich bloß moralischer Pflichten verbannt46. Zu dieser historisch geprägten Grundfrage nach dem Bau der Obligation überhaupt47 trägt die Naturalobligation nichts Eigenes bei48. Die fehlende Durchsetzbarkeit des positiven Interesses ergibt sich bei ihr aus einer isolierten Entscheidung über die Erzwingbarkeit der Hauptleistung. Gesetzlicher Rücktritt und ggf. Minderungsrechte bleiben dagegen unverändert bestehen, d.h. sie sind auch zwangsweise durchsetzbar (§§ 323, 326 Abs. 5, 441 BGB)49. Das gilt ebenso im Falle der Rückabwicklung aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Ferner ist der Ersatz frustrierter Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung, § 284 BGB, durchsetzbar50. Diese Sekundäransprüche resultieren aus der Verletzung der hier anerkannten primären Leis-

stalterischen Entscheidung beruht das Konzept der Heilung formfehlerhafte Geschäfte (bspw. § 311 b Abs. 1 S. 2 BGB). Die Heilung lässt entsprechend auch ein durchsetzbares Nachforderungsrecht entstehen, siehe näher oben B. I. 5. d) cc) (3) S. 204 unten C. IV. 4 c) bb) (4) (b), S. 495. 45 Treitel, The law of contract, 9. Aufl., 1995, S. 24 ff. 46 Vgl. zur moralischen Pflicht der Erfüllung eines formfehlerhaften bzw. einer consideration ermangelnden Vertrages im angelsächsichen Recht, Mansel, Reziprozität und Utilität als Auslegungselemente bei konkludentem Vertragsschluß – am Beispiel unentgeltlicher Informationsgewährung, in: Schack (Hg.), GS für Alexander Lüderitz, 2000, S. 487, 495 und C. III. 1. b) bb) (1), S. 313 f. 47 Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 770 ff. u. 779 ff.; Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 75; zur historischen Sicht näher oben B. I. 1. a) bb), S. 52 ff.; rechtsvergleichend Gordley, The enforceability of promises in European contract law, 2001. 48 Nach der Lehre von der specific performance fehlt schon der Anspruch auf die Primärleistung, weil es diesen nach der deliktischen Konstruktion der Vertragspflicht nicht gibt. Bei der Naturalobligation fehlen hingegen nur die Zwangsbefugnisse für einen bestehenden Leistungsanspruch. 49 Ebenso für das österreichische Recht Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluß und Heilung nach § 1432 ABGB. Wien 1998, S. 303. 50 Die Zuordnung dieses Anspruches zum positiven Interesse (Nichterfüllungsschaden) oder zum negativen Interesse (Vertrauensschaden) ist umstritten. Der Grund für die Zuerkennung dieses Anspruches und die Frage, ob § 284 BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage bildet, muss daher noch als ungeklärt bezeichnet werden, vgl. AnwKBGB/Arnold, 2005, § 284 Rn. 6 f. In jedem Fall aber knüpft der Anspruch an das primäre Leistungsversprechen an und setzt daher das Bestehen einer primären Leistungspflicht voraus.

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tungspflicht, begründen aber keinen mittelbaren Erfüllungszwang. Der Rechtsschutz ist beschränkt auf das negative Interesse 51. Das Konzept der Naturalobligation zeichnet sich durch die dem Gläubiger verbleibenden Rechtsschutzmöglichkeiten aus. Darin liegt der Vorzug der Rechtsfigur gegenüber bloßen Erwerbsgründen. Die dogmatische Struktur einer obligatorischen Leistungspflicht erlaubt es, anhand schuldrechtlicher Grundsätze über das Behaltensrecht zu entscheiden. Die Naturalobligation gehört deshalb in den Kreis der betagten und der gehemmten Forderung als spezifizierte Formen des Forderungsrechts52. Wollte man Naturalobligationen dagegen zu den nicht bindenden Zweckabreden zählen, so würde die Differenzierung in erzwingbare und nicht erzwingbare Pflichtstellungen ohne Not aufgegeben. Nur weil eine Leistungspflichtstruktur vorliegt, kann über die gehörige und deshalb rechtsbeständige Leistungspflichterfüllung im Rückforderungsstreit entschieden werden. Es ist bezeichnend, wenn etwa über den Rückforderungsausschluss bei Spiel und Wette nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ausschließlich Kriterien der ordnungsgemäßen Leistungspflichterfüllung entscheiden53. So muss die Leistung, wäre sie wirksam, die Erfüllung der daraus resultierenden Verbindlichkeit bewirken und Spiel oder Wette müssen durchgeführt und beendet worden sein54. Das aber sind Fragen, die sinnvoll nur an Leistungspflichtstellungen angelegt werden können.

e) Wirkungsgeminderte Leistungspflicht aus einer Naturalobligation Das Abgrenzungskriterium zu rechtsähnlichen dogmatischen Figuren, wie der betagten und der gehemmten Forderung, bildet das Vorliegen der Einforderungsbefugnis und damit der Leistungspflicht. Der Schuldner einer Naturalobligation steht unter einem Leistungsbefehl. Der Leistungsbefehl ist dogmatisch unverändert, nur seine Wirkungen sind regelmäßig sehr viel schwächer. Die Erfüllungswahrscheinlichkeit ist stark herabgesetzt, weil keine rechtlichen Zwangsbefugnisse bestehen. Gegenüber den praktisch seltenen klaglosen Forderungen bzw. klaglosen Ansprüchen 55 unterscheidet sich die

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Vgl. entsprechend zu den sekundären Schadensersatzansprüchen beim Verlöbnis, die ebenfalls frustrierte Aufwendungen erfassen (§§ 1298 Abs. 1 S. 1, 1299, 1301 BGB), MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5. 52 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5, S. 89 ff. 53 Vgl. bspw. Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 9 (Leistungen „mit effektivem Tilgungscharakter“). Tilgen lassen sich aber nur Schulden. Ebenso AnwK-BGB/Schreiber, 2005, § 762 Rn. 20; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 21. 54 MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 21. 55 Vgl. oben B. I. 5. c) S. 161 ff., zu ihnen werden gezählt die Verwendungsansprüche des Besitzers, des Erbschaftsbesitzers und des Finders vor der Wiedererlangung der Sache oder

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Naturalobligation durch den Umfang des Zwangsausschlusses. Wie das Attribut „klaglos“ es sagt, ist bei diesen nur das Klagerecht aufgehoben, während Naturalobligationen weiter auch den privaten Rechtszwang (Selbsthilfe, Aufrechnung, Zurückbehaltung) aufheben56. Die Funktionalität eines Leistungsrechts ermöglicht es, frühere Aufrechnungs- und Zurückbehaltungslagen auch für Naturalobligationen zuzulassen (§ 215 BGB) und bereits bestehende Sicherungen aufrecht zu erhalten (§ 216 BGB).

3. Formen und Vorkommen Naturalobligationen lassen sich nach den Bedingungen ihrer Setzung in zwei Formen einteilen. Erstens in gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse, die man auch als institutionelle Naturalobligation bezeichnen kann. Zweitens in richterlich festgestellte Leistungspflichtverhältnisse, die bis zu diesem Setzungsakt als feststellungsbedürftige Naturalobligationen zu bezeichnen sind. Bei den letzteren muss die abstrakte Regel wie eine empirische Tatsache durch den Richter bestimmt werden. Das Leistungspflichtverhältnis ist außerrechtlich im Rahmen der Sozialordnung entstanden. Es erlangt rechtliche Relevanz erst mit der richterlichen Feststellung57. Diese Grundeinteilung ist angelehnt an die kodifikatorische Regelung der Naturalobligation im niederländischen Burgerlijk Wetboek, in Buch 6, Art. 3 Abs. 2 a) und b) BW 58 und in Art. 2034 Abs. 1 und 2 Codice Civile 1942 (ital. CC), wo unter dem Oberbegriff

Genehmigung der Verwendungen durch den Eigentümer (§§ 1001 S. 1, 2022, 972 BGB) sowie der unklagbare Anspruch des Verkäufers auf Spezifikation gegen den Käufer im Rahmen von § 375 HGB. Hierher gehörten ferner die nach früherem Recht bestehenden Ansprüche der Ehefrau gegen den Ehemann aus dem Güterstand der Verwaltung und Nutznießung bei bestehender Ehe (§ 1394 S. 1 BGB a.F.). 56 Vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 3, S. 80. 57 Es bedeutet sachlich keinen Unterschied, wenn sittliche Pflichten in der retrospektiven Behandlung den Naturalobligationen nur gleichgestellt werden und zwar was den Rückforderungsausschluss und was die Anerkennung als eigenständige Verbindlichkeit angeht. Schenkungsrecht ist ausgeschlossen. Ebenso für das parallel gestaltete schweizerische Recht, vgl. Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 69. Ein sachlich-inhaltliches Differenzierungskriterium der beiden Formen von Naturalobligationen sehe ich nicht. Die ganz ähnliche aber etwas unscharfe Einteilung danach, ob dem Anschein nach anspruchsbegründende Abreden vorliegen (Naturalobligation im engeren Sinne) oder nicht (sittliche Pflichten) unter dem Oberbegriff Moralobligationen, Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements. AcP 154 (1954) 485, 501, halte ich auch wegen der Bezeichnung Moralobligation für irreführend. Rechtstechnisch spielen moralische Gesichtspunkte bei der Naturalobligation keine Rolle. 58 Text und deutsche Übersetzung oben, B. II. 2. b) dd), S. 211 Fn. 86.

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naturlijke verbintinis oder obbligazioni naturali nach dem Regelungstyp unterschieden wird59.

a) Institutionelle Naturalobligationen (Gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse) Die Konstitution der Naturalobligation entspricht den Entstehungstatbeständen der zivilistischen Forderung, Vertrag und Gesetz (obligatio ex voluntate und obligatio ex lege). Die Naturalobligation teilt mit der zivilistischen Forderung die verkehrsrechtliche, prospektiv verhaltenssteuernde Funktion der Güterbewegung, wie sie in § 241 Abs. 1 BGB angelegt ist. Ihr Bedeutungsgehalt wird – wie auch sonst – im Wege normativ-wertender Gesetzesauslegung festgestellt. aa) Entstehungsgrund Vertrag (obligatio ex voluntate) (1) Naturalobligation kraft gesetzlicher Anordnung Der Erfüllungszwang wird im geltenden Recht60 kraft Gesetzes in folgenden Fällen aufgehoben. Im BGB bei der verjährten vertraglichen Forderung vor Erhebung der Einrede (§ 214 BGB), beim Lohnanspruch des Ehemaklers (§ 656 Abs. 1 BGB), bei Forderungen aus Spiel und Wette (§§ 762 f. BGB) sowie beim Verlöbnis (§ 1297 BGB). Außerhalb des BGB entstehen Naturalobligationen kraft Gesetzes bei der formfehlerhaften anwaltlichen Vergütungsabrede (§ 4 RVG), für die Ausfallforderung des Insolvenzgläubigers nach einem Zwangsvergleich (§ 254 Abs. 3 InsO (bestätigter Insolvenzplan) sowie im Falle der Restschuldbefreiung (§ 301 Abs. 3 InsO) jeweils bezogen auf vertragliche Forderungen. (2) Naturalobligation kraft Vereinbarung (gewillkürte Naturalobligation) Im Rahmen der materiell-rechtlichen Gestaltungsfreiheit ist die anfängliche oder nachträgliche Vereinbarung einer Naturalobligation grundsätzlich zulässig. Das vertragliche Forderungsrecht unterliegt keinem Typenzwang. Die nachträgliche Änderung einer Zivil- in eine Naturalobligation kann auch einseitig geschehen. Der Gläubiger kann einseitig auf die Zwangsbefugnisse aus seinem Forderungsrecht verzichten. Ebenso ist die Umwandlung einer Natu-

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Siehe dazu oben B. II. 2. a) bb) Italien, S. 198 ff. und 2. b) dd) Niederlande, S. 211 ff. Das unverbindliche Börsentermingeschäft nicht terminfähiger Personen (§ 55 BörsG a.F.) und die Differenzgeschäfte (§ 764 BGB a.F.) gehören ebenfalls hierher, werden hier aber nicht mehr näher behandelt; ferner oben S. 5 f. Fn. 12a. 60

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ralobligation in eine Zivilobligation grundsätzlich zulässig61, sofern dies nicht dem gesetzgeberischen Zweck zuwider läuft. Die gesetzliche Anordnung stellt dann zwingendes Recht dar (meist als Novationsverbot bezeichnet) 62. Begründung, Änderung und Aufhebung einer Naturalobligation erfolgen durch Vertrag (§ 311 Abs. 1 BGB). Der Vertrag, mit dem an Stelle von Zivilobligationen Naturalobligationen begründet werden sollen, kann als Gentlemen’s Agreement bezeichnet werden. bb) Entstehungsgrund Gesetz (obligatio ex lege) Hierher gehören die aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis entstandene, verjährte Forderung vor Einredeerhebung (§ 214 BGB) und die angemessene Ausstattung des Kindes (§ 1624 BGB) 63. Außerhalb des BGB sind die aus gesetzlichen Schuldverhältnissen entstandene Ausfallforderung des Insolvenzgläubigers nach einem Zwangsvergleich (§ 254 Abs. 3 InsO bestätigter Insolvenzplan; § 82 VerglO a.F., § 141 Abs. 1 KO a.F.) und Restschuldbefreiung (§ 301 Abs. 3 InsO) zu nennen.

b) Feststellungsbedürftige Naturalobligationen (sittliche Pflichten) Die sittliche Pflicht als richterlich festgestelltes Leistungspflichtverhältnis nimmt außerrechtlich entstandene Normen und die daraus folgenden Pflichtbindungen als empirische Tatsachen auf oder weist sie zurück64. Das Gericht stellt in tat61 Zum formlos gültigen Ausstattungsversprechen gem. § 1624 BGB, Erman/Michalski, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1624 Rn. 8 f. 62 §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB, vgl. bereits oben B. I. 5. d) bb) (1), S. 200 u. Fn. 842. 63 Dabei handelt es sich um eine positivrechtlich ausgeformte sittliche Pflicht der Eltern, wobei es ganz gleich ist, ob nach heutigen gesellschaftlichen Überzeugungen noch eine sittliche Pflicht zu bejahen wäre. Auch auf die Merkmale des Rechtsbegriffs „sittliche Pflicht“ kommt es nicht an. Die gesetzliche Regelung ist als eine nicht durchsetzbare Leistungspflicht der Eltern zu verstehen, die darauf gerichtet ist, die Selbständigkeit des Kindes zu sichern. Anerkennt man ein Recht-Pflicht-Verhältnis als causa, sind die Einzelfragen sachgerecht zu lösen. Um dieselben Ergebnisse zu erreichen, muss die Gegenmeinung aufwendig und schwammig einen normativen Realtypus mit typischen Merkmalen entwickeln, der als „ehrliches Gestaltungsinstrument“ hoffähig gemacht werden könne, vgl. Jakob, Die Ausstattung (§ 1624 BGB) – ein familienrechtliches Instrument moderner Vermögensgestaltung?, AcP 2007 (207) 198, 224. 64 So verneinte BGH v. 11.7.2000, NJW 2000, 3488, 3490 im Grundsatz eine sittliche Pflicht zur Belohnung von Pflegeleistungen; ebenso verneinte das Bayerische Oberste Landesgericht in zwei Entscheidungen eine sittliche Pflicht zu vorweggenommener Erbfolge aus Steuergründen, BayObLG v. 24.5.1996, FamRZ 1996, 1359, 1360 (keine sittliche Pflicht im Sinne von § 1804 S. 2 BGB) und BayObLG v. 8.10.1997, FamRZ 1999, 47 (keine Anstandsschenkung im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB). KG v. 18.12.2001, FamRZ 2002, 1357, 1359 verneint die sittliche Pflicht zur Zahlung angemessenen Kindesunterhalts, wenn der Bedürftige die Bedürftigkeit durch ein sittliches Verschulden (Drogenabhängigkeit) selbst herbeigeführt

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sächlicher Hinsicht fest, ob eine gesellschaftliche Praxis besteht, deren Missachtung auf der Grundlage wertender Überzeugung der Verkehrsteilnehmer sozial sanktioniert wird65. aa) Rechtsbegründung durch richterlichen Feststellungsakt und obligatio ex societate Die richterliche Feststellung bewirkt eine Inkorporation in das Recht. Sie stellt den für das Recht erforderlichen besonderen Begründungsakt dar66. Die methodologische Annahme, in den Fällen gesetzlich normierter sittlicher Pflichten wie etwa §§ 534, 814 Hs. 2 BGB werde nur die Wirkung eines Lebensverhältnisses rechtlicher Regelung unterworfen, nicht aber das Lebensverhältnis selbst zum Rechtsverhältnis erhoben67, ist in ihrer einseitigen Verrechtlichung der Rechtsfolgenseite unrichtig. Die sittliche Pflicht als Anknüpfungsgegenstand für bestimmt Rechtswirkungen wird auch selbst rechtlich bestimmt. Die sittliche Pflicht ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der richterrechtlich konkretisiert wird. Normen, in deren Tatbestand die sittlichen Pflichten stehen, verwandeln das durch sie geregelte Lebensverhältnis in ein Rechtsverhältnis. Die mit der Trennung von Lebensverhältnis und Rechtswirkung verbundene Vorstellung einer extralegalen Rechtsquelle (Sitte und Anstand) begrün-

hat. Das BVerwG v. 13.3.2003, NJW 2003, 3146 bejaht eine sittliche Pflicht zur Übernahme der Bestattungskosten der Stiefschwiegermutter. Die aus sittlicher Verpflichtung freiwillig übernommene Durchführung einer Bestattung sei aber nicht als „Verpflichtung“ im Sinne des sozialhilferechtlichen Kostenübernahmeanspruchs aus § 15 BSHG anzusehen. Voraussetzung hierfür ist eine Rechtspflicht, wie sie erbrechtlich oder unterhaltsrechtlich begründet sein kann (§§ 1615, 1968 BGB). OLG Karlsruhe v. 14.2.1990, OLGZ 1990, 457 (sittliche Pflicht zur Übertragung einer Haushälfte wegen unbezahlter Mitarbeit im Gärtnereibetrieb des Ehemanns); RG v. 23.2.1920, RGZ 98 176 (Schuldversprechen gegenüber der Geliebten für den Fall anderweitiger Heirat). 65 OLG Karlsruhe v. 14.2.1990 OLGZ 1990, 457, 461; verweist das Recht selbst auf außerrechtliche Kriterien, wie etwa die bestehenden sozialmoralischen Überzeugungen, sind diese heranzuziehen. Ihre Ermittlung stellt dabei keinen Akt einer moralischen Erkenntnis dar, sondern eine nichtnormative Tatsachenerkenntnis von bestimmten faktisch bestehenden normativen Ansichten, die ihrerseits keinen kognitiven Charakter haben, Engländer, Moralische Richtigkeit als Bedingung der Rechtsgeltung? ARSP 2004, S. 86, 96. 66 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 169 f. verlangt bei sittlichen Pflichten und Anstandsrücksichten (§ 814 Hs. 2, 1624 Abs. 1 BGB) im Anschluss an Staudinger/Weber, BGB, 10. Aufl. 1940, Einl. Vor § 241 Rn. 158 einen besonderen Begründungsakt, um Sitte und Recht voneinander unterscheiden zu können. Relevant sei ferner das Ausmaß, in dem die Gemeinschaft von der sittlichen Pflicht berührt werde. Mangels klarer Grenzziehung sei der Rechtsnormcharakter daher abzulehnen (ebd. S. 170). Diese angemahnten Abgrenzungen werden durch die richterliche Feststellung erfüllt. 67 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 170. Die Tatbestandswirkung sittlicher Pflichten sagt für sich genommen auch noch nichts darüber aus, ob diese Pflichten ihrerseits Rechtsnormqualität haben oder nicht.

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det nicht, weshalb die Pflichten außerhalb der Rechtsordnung stehen sollen68. Mit den Rechtsbegriffen „sittliche Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“ und deren richterlicher Subsumtion werden sittliche Pflichten zu Bestandteilen des Rechts. Dem außerrechtlichen Bereich entstammt die normative Aufforderung gegenüber dem Adressaten, sich in bestimmter Weise zu verhalten69. Eine solche gesellschaftliche Aufforderung oder Norm, muss der Richter auf die Frage nach ihrer rechtlichen Anerkennung prüfen und nach den gesetzlich vorgegebenen Kriterien feststellen. In rechtstatsächlicher Hinsicht kann man von einer sozialen Pflicht sprechen, nicht gegen die Sitten zu verstoßen 70. Aus diesem Grund lässt sich von einer „obligatio ex societate“ sprechen. Die rechtliche Anerkennung transformiert gesellschaftliche Anschauungen in rechtliche Pflichten71. Es spricht daher nichts dagegen, die sittliche Pflicht rechtlich zu strukturieren und hierfür mit der Naturalobligation eine Rechtsfigur bereit zu stellen72. Bloße rechtliche Annäherungen, wie etwa die Einstufung der sittlichen Pflicht in §§ 814, 1624 BGB als verbindlichkeitsähnlicher Tatbestand 73 zeigen zwar die vergleichbare Pflichtenlage, sie sind aber schuldrechtsdogmatisch nicht operational.

68 RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380, 383 (kein rechtlicher Anspruch); Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 1, S. 94 (Sitte und Anstand stehen außerhalb des Rechts.), aber (ebd. § 5 III 4, S. 97 Fn. 22: Die Sitte wirkt unmittelbar als causa. … Die Trennung von Sitte und Recht erreicht nur eine Verlagerung der Problematik in eine weitere Denkstufe); ebenso Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 169. Für eine Inkorporation noch Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit 1905, S. 231 ff. (wirkendes rechtliches Etwas) und im Sinne einer supererogatorischen Pflicht bereits Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, § 24, 5 (schwaches Gebot). 69 Die normative gesellschaftliche Aufforderung kann dabei auch durch nicht verbindliche Rechtstexte, wie etwa die Washingtoner Erklärung über Nazi-Enteignungen von Kunstwerken der Holocaustopfer darstellen. Jayme bezeichnet sie deshalb treffend als „narrative Normen“, vgl. Jayme, Die Washingtoner Erklärung über Nazi-Enteignungen von Kunstwerken der Holocaustopfer: Narrative Normen im Kunstrecht, in: Museen im Zwielicht, 2002, S. 247, 248. 70 Jacobi, Die sittliche Pflicht im BGB, in: Festgabe der Berliner Fakultät für Dernburg, 1900, S. 151, 165. 71 Jacobi hält dies für das Wesen der Naturalobligation, (vorherige Fn.) S. 151, 166. Im Ergebnis ebenso Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 66 (a posteriori gesehen zeitige die sittliche Pflicht dieselben Folgen wie echte Rechtspflichten). 72 Die „sittliche Pflicht“ mit der Rechtsfigur Naturalobligation zu erfassen befürwortet ebenso M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 139, der unter einer Naturalobligation allerdings nur ein sittliches Leistungsmotiv versteht; für eine Gleichstellung von sittlicher Pflicht und Naturalobligation etwa Liebisch, Das Wesen der unentgeltlichen Zuwendungen, S. 43; Leonhard, Besonderes Schuldrecht des BGB, 1931, S. 112 f., 117; zurückhaltend Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 55. 73 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 15 Rn. 70.

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bb) Objektives Leistungspflichtverhältnis Der rechtliche Terminus „sittliche Pflicht“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine Feststellung ist deshalb auch eine revisionsrechtlich vollumfänglich nachprüfbare Rechtsfrage74. Nach ihren Strukturmerkmalen unterscheidet sich die sittliche Pflicht nicht von einer sonstigen obligatorischen Rechtspflicht. Die sittliche Pflicht muss nur in formaler Hinsicht rechtlich fassbar sein, d.h. zunächst aus einer besonderen Beziehung zwischen Geber und Empfänger erwachsen (relationales Individualverhältnis). Darin liegt die Abgrenzung zu den nicht erfassten allgemeinen Geboten der Nächstenliebe oder Wohltätigkeit75. Die sittliche Pflicht muss ferner eine inhaltlich konkret bestimmbare, unabweisbare Leistungsanforderung zu Gunsten des Empfängers stellen. Die Unabweisbarkeit meint eine Verhaltensanforderung, der der Obligierte grundsätzlich nicht ausweichen kann. Er vermag der Aufforderung keine sachlich anzuerkennenden Gründe entgegenzusetzen76. Auch insoweit sind Gebote der Nächstenliebe oder sonstige allgemeine Pflichten, die der Einzelne der Gemeinschaft gegenüber hat (Wohltätigkeit) nicht ausreichend. Der Terminus „sittliche Pflicht“ bezeichnet keine ex ante bestimmbaren materialen Pflichtinhalte. Dazu ist er schon tatbestandlich zu abstrakt gefasst77. Die Leistungspflicht verlangt keine ethisch-moralische Bewertung. Der Sittlichkeitsgehalt der Leistungspflicht ist nicht verschieden von dem der gesetzlich 74 Zu dem Merkmal „sittliche Rechtfertigung“ der Annahme eines Volljährigen als Kind (§ 1767 Abs. 1 Hs. 1 BGB) sagt OLG Karlsruhe v. 22.7.2005, NJW-RR 2005, 364: „Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der aufgrund einer wertenden Beurteilung der vom Tatrichter festzustellenden Tatumstände auszufüllen ist. Dies bedeutet, dass die vom Tatrichter festgestellten einzelnen Umstände für das Rechtsbeschwerdegericht zwar bindend sind, deren Bewertung dahingehend, ob sie in ihrer Gesamtheit ausreichen, die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs zu erfüllen, aber eine der uneingeschränkten Nachprüfung unterliegende Rechtsfrage darstellt, deren unrichtige Beantwortung eine Gesetzesverletzung bedeutet.“ 75 Dem entspricht das „besondere Naheverhältnis“ bei Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Band 2., 1929, S. 25, 37 (die sittliche Pflicht indiziere ein besonderes Naheverhältnis). Zustimmend Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 47. 76 Er kann keinen Handlungsgrund geltend machen, der sein abweichendes Verhalten rechtfertigen würde. Wer verpflichtet ist X zu tun, muss X tun. Die Unrechtsalternative ist zwar wählbar, aber auf den Pflichtenstatus ohne Auswirkung, denn die Pflicht bleibt kontrafaktisch bestehen. Krit. zu der Unterscheidung Kants zwischen einem bedingten und unbedingten (moralischen) Müssen, P. Stemmer, Der Begriff der moralischen Pflicht. DZPhil 49 (2001) 831, 832. Siehe näher dazu unten C. III. 2 b), S. 387. 77 Das unterscheidet die Fälle, in denen das Gesetz nur den Begriff „sittliche Pflicht oder Anstandesrücksicht“ verwendet, von dem Fall des § 1624 BGB, mit dem der Gesetzgeber eine generell anerkannte sittliche Pflicht zur Ausstattung des Kindes tatbestandlich ausformt. Vgl. Erman/Michalski, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1624 Rn. 1.

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vertypten obligatorischen Leistungspflichten. Der erkennende Richter entscheidet, ob eine rechtliche Anerkennung in den Grenzen des geltenden Rechts zulässig ist. Daraus entsteht eine objektivierend verstandene „Sozialmoral“. Es geht also nicht um eine Hoch- oder Sondermoral, sondern um jenes Minimum an Wertvorstellungen, ohne das die Gesellschaft erfahrungsgemäß nicht auskommen kann78. Der einzige Pflichtinhalt, den auch die vertypten Leistungspflichten in sich tragen, besteht in der objektiv sittlich-rechtlichen Pflicht zur Anerkennung des Anderen als Teilnehmer des betroffenen Verkehrskreises und seiner Rechte79. Schließlich kommt es auf eine innere Überzeugung des Leistenden bei der „sittlichen Pflicht“ nicht an80. Es geht mit anderen Worten nicht um subjektiv ethische Überzeugungen des Handelnden, sondern – nach der objektiven Theorie der Naturalobligation – um Pflichterfüllungssituationen, die unabhängig von der intrinsischen Überzeugung des Pflichtigen bestehen. § 814 Hs. 2 BGB bringt diese objektive Betrachtung durch eine Irrtumsregel zum Ausdruck. Aber auch in allen anderen Anwendungsfällen der Naturalobligation kommt es auf eine Erfüllung ohne Zwangsmotiv nicht an. Gewissenspflichten werden in bestimmten Bereichen des Rechts anerkannt 81. Sie sind für die „sitt78 Objektiv zu bestimmende heteronome Rechts- und Sozialmoral, Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 22. 79 Das sind die minima moralia des Privatrechts seit Kant, aaO, S. 209: „Die Hochachtung für das Recht anderer Menschen“; vgl. von der Pfordten, Normativer Individualismus und das Recht, JZ 2005, 1069, 1074; ders., Rechtsethik, 2001, S. 510. Laut Honsell kann eine materiale Gerechtigkeitsethik heute nicht ernsthaft bestritten werden. Es handele sich um Rechtssätze, die alle kennen, und die allen einleuchten. Das Problem liege darin, dass sie – wie die praecepta iuris – zum Teil sehr abstrakt seien. Der Streit um den Inhalt solcher abstrakten und weitgehend inhaltsleeren Sätze beginne bei ihrer Konkretisierung. Das führe nicht weiter als bis zur Goldenen Regel und zum kategorischen Imperativ Kants. Gleichgültig sei es, ob man diese materiale Ethik als Naturrecht oder göttliche Ordnung oder sonstwie bezeichne, Honsell, Naturrecht und Positivismus im Spiegel der Geschichte. In: Kramer/ Schuhmacher (Hg.), FS für Hans-Georg Koppensteiner, Wien 2001, S. 593, 606 f.; ferner bejaht Mayer-Maly einen solchen ethischen Grundbestand im österreichischen Privatrecht, der in § 7 ABGB verankert sei; Mayer-Maly, Naturrecht im positiven Recht. In: Koziol (Hg.), FS für Franz Bydlinski. 2002 Wien / New York, S. 265, 267. 80 Das bedeutet, dass auch eine subjektiv moralische Sittlichkeit, die das gesinnungsmäßige Verhältnis des Pflichtigen zur Ausführung der Leistungshandlung angibt, wie in den Fällen der gesetzlich präformierten Leistungspflichtverhältnisse ohne tatbestandliche Relevanz bleibt. 81 Es wird dabei weniger der Pflichtcharakter einer Gewissensentscheidung, sondern das Gewissen als seelisches Phänomen und innere Instanz zur Legitimation von an sich rechtswidrigen Handlungsentscheidungen anerkannt. Etwa bei der Befehlsverweigerung im Disziplinarrecht, BVerwG v. 21.6.2005 NJW 2006, 77, 87 – Unverbindlicher Befehl bei Gewissensentscheidung über die Nichtteilnahme am Irak-Krieg: „psychisches Phänomen mit kognitiver, affektiver und sozio-psychischer Komponente“. Ebenso für die Bestimmung der Grenzen der Direktionsbefugnis im Arbeitsrecht im Rahmen des § 315 BGB. Zur Arbeitsverweigerung eines Druckers an der Werbung für kriegsverherrlichende und verharmlosende Literatur mitzuwirken, BAG v. 20.12.1984 BB 1985, 1853, dazu krit. Reuter, Das Gewissen

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C. Systematischer Teil

liche Pflicht“ zur Erbringung einer Leistung nicht spezifisch, d.h. möglich aber nicht notwendig. cc) Integration sozialer Verhaltenserwartungen durch richterrechtliche Anerkennung (Transformation in das Recht) Der Zweck dieser Regelungssystematik besteht in der möglichen Integration einer gesellschaftlichen Praxis in das Recht82. Systemtheoretisch formuliert geht es um Inklusion oder Exklusion von gesellschaftlicher Praxis im Subsystem Recht. In seiner Rechtsprechung zu § 826 BGB stellt der BGH83 fest: „Das Gesetz macht sich Vorschriften der Moral mittelbar zu eigen“. Diese Vermittlungsfunktion von Sozialmoral und Recht84 erfüllt § 814 Hs. 2 BGB auf der Ebene einer Leistungspflicht. Der Bedeutungsgehalt einer sittlichen Pflicht ist in besonderem Maße von den sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen abhängig. Das zeigt sich darin, dass eine Reihe der vor rund hundert Jahren anerkannten sittlichen Leistungspflichten heute partiell oder vollständig gesetzlich anerkannt sind 85. Zu nennen sind etwa die Unterhaltspflicht gegenüber Kind und Mutter außerhalb der Ehe86, die Schadensersatzpflicht bei Verletzung des Rechts am eigenen Bild87 oder bei falschem Rat außerhalb einer vertraglichen Beziehung88 sowie die natudes Arbeitnehmers als Grenze des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Kritische Anmerkungen zu BAG v. 20.12.1984, BB 1986, 385, 388 f.; eingehend zum „Vertragsbruch aus Gewissensnot“ vgl. Georg Graf, Das bürgerliche Recht und die Moral der Bürger. Überlegungen zu einem Verhältnis von Moral und Zivilrecht. In: Beck-Mannagetta (Hg.): Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts. FS für Theo Mayer-Maly, Wien 1996, S. 163, 184 ff. sowie Kraft, Rechtspflicht und Gewissenspflicht, AcP 163 (1963) 472, 478. 82 Vgl. Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, 2003, § 814 Rn. 1, die im Ansatz § 814 Hs. 2 BGB ebenso versteht. Es handele sich um eine Ausprägung des Gedankens der „guten Sitten“ (§ 138 BGB) und lasse sich heute zudem als Ausstrahlung des Sozialstaatsprinzips begreifen. 83 Zur Bestimmung des Merkmals „gute Sitten“ BGH v. 4.12.1954, BGHZ 17, 327, 332. 84 Zur Vermittlungsfunktion eingehend Mayer-Maly, Was leisten die guten Sitten? AcP 194 (1994) 105, 170 ff. 85 Vgl. dazu mit den nachfolgend im Text aufgezählten Beispielen Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 2, 1929, S. 25. 86 Für den Kindesunterhalt gelten die allgemeinen Regeln des Verwandtenunterhalts, § 1615 a BGB i.V.m. §§ 1601 ff. BGB; der zeitlich weitgehend begrenzte Unterhaltsanspruch der Mutter gegen den Vater, mit dem sie nicht verheiratet ist, folgt aus § 1615 l BGB. Die subsidiäre Übernahme der Beerdigungskosten der infolge der Schwangerschaft oder Entbindung verstorbenen Mutter aus § 1615 m BGB. 87 Als „sonstiges Recht“ im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB wird das in § 22 KunstUhrG tatbestandlich fest umrissene besondere Persönlichkeitsrecht ergänzend durch einen Schadensersatzanspruch geschützt, vgl. AnwK- BGB/Katzenmeier, 2005, § 823 Rn. 77; ergänzend ferner als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrecht ebenfalls im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB, Larenz/Canaris, Schuldrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 76 II 4 d. 88 Schadensersatzforderungen, die an § 675 Abs. 2 BGB vorbei über Vertragsfiktionen zu-

I. Thesen

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rale Pflicht zu restlicher Zahlung nach Zwangsvergleich 89. Andere außerrechtlich entstandene Regeln sind entweder nicht oder nur in Ansätzen übernommen worden oder in der Gesellschaft heute nicht mehr in gleicher Weise wirksam. So etwa die fortbestehende Zahlungspflicht des Geschäftsführers einer in Konkurs gegangenen GmbH für die Geschäftsschulden der GmbH90, die Schadenszahlung der Eltern im Falle des § 828 BGB91, die Zahlung durch den „schuldlosen“ Täter 92 und der Geschwisterunterhalt93. Diese in der Rechtsprechung immer wieder aufgetretenen Fälle zeigen, dass es bei der sittlichen Pflicht nicht um die Prämierung intrinsischer Überzeugungstaten Gutwilliger geht. Vielmehr werden regelungsfähige und regelungsbedürftige, gesellschaftlich anerkannte Verhaltensanforderungen an die Rechtsordnung herangetragen, um von dort eine rechtliche Anerkennung der Leistungsbewegung und den daraus begründeten Bestandsschutz der geänderten Güterzuordnung zu erlangen. Die maßhaltende Kindesausstattung gem. § 1624 Abs. 1 BGB zeigt dieses Verständnis. Aus Anlass der Eheschließung oder der Begründung einer eigenständigen Lebensstellung hat der erkannt werden (BGHZ 110, 263; 140, 111); dazu Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 675 Rn. 13; künftig ggf. als Fälle eines rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses gem. § 311 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 BGB anzuerkennen (str.), vgl. mN AnwK-BGB/Krebs, BGB, 2005, § 311 Rn. 92 (Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter ohne Leistungspflicht), Rn. 112 (Dritthaftung). 89 Heute anerkannt vgl. BGHZ 118, 70 = NJW 1992, 1834 – Natürliche Verbindlichkeit nach Zwangsvergleich; (nach bestätigtem Insolvenzplan, § 254 Abs. 3 InsO, vormals Zwangsvergleich, § 7 Abs. 4 VerglO a.F., sowie nach einer Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 3 InsO). 90 Im Ansatz aber in das Gesetz eingegangen in der Handelndenhaftung in der Gründungsphase, § 11 Abs. 2 GmbHG. 91 Eine Ausfall- oder Ersatzhaftung der Eltern über die Aufsichtspflicht aus § 832 BGB hinaus, wird nicht mehr vertreten, obgleich die Haftung Minderjähriger weiter beschränkt worden ist, zuletzt durch Art. 2 Nr. 4 des 2. SchadÄndG v. 19.7.2002, BGBl. I, 2674; zu den Reformpunkten Stürner, Zivilrechtliche Haftung junger Menschen – fortbestehender Reformbedarf im deutschen Recht? In: Schack (Hg.), GS für Alexander Lüderitz, 2000, S. 789 ff. 92 Der Erwartung auf Schadensausgleich gegenüber dem schuldlosen Täter wird in einer zunehmenden Zahl von Gefährdungshaftungstatbeständen Rechnung getragen. Auch in dem Versicherungsgedanken von Schadensrisiken kommt die moralische Verantwortlichkeit des schuldlosen Täters zum Ausdruck. Sie wird damit aber über Systeme eines kollektiven Schadensausgleichs reguliert und nicht über die individualrechtliche Grundkonzeption der §§ 249 ff. BGB, vgl. AnwK-BGB/Magnus, , 2005, Vor §§ 249–255 Rn. 6 f. und Christian Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 175 (Tendenzen und Entwicklung einer Gefährdungshaftung im Arztrecht) und S. 193 ff (Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz im Arztrecht). 93 In verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen ist der Geschwisterunterhalt bzw. der Unterhalt in der Seitenlinie anerkannt, etwa nach Art. 433 Nr. 6 Codice Civile, vgl. AnwK-BGB/Gruber, 2005, Art. 18 EGBGB Rn. 34 u. Fn. 57. Gegen eine weitergehende Inanspruchnahme als nach dem gemeinsamen Heimatrecht bzw. dem Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Verpflichteten schützt diesen Art. 18 Abs. 3 EGBGB (Art. 7 des Haager Unterhaltsstatutsabkommens v. 2.10.1973), MünchKomm/Siehr, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 18 EGBGB Anh I Rn. 142 ff.

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C. Systematischer Teil

historische Gesetzgeber eine sittliche Leistungspflicht tatbestandlich ausgeformt. Dem Kind werden dabei Gewährleistungsrechte nach Schenkungsrecht (§§ 1624 Abs. 2, 523 f. BGB) zuerkannt. Ohne die Annahme einer rechtlichen Leistungspflicht wäre die Anwendung von Gewährleistungsregeln nicht vorstellbar. dd) Bestandsschutz für gesellschaftliche Leistungspflichten (obligatio ex societate) Das als sittliche Pflicht im Rechtssinne festgestellte Leistungspflichtverhältnis ist auf gefestigte Leistungsanforderungen beschränkt und schützt stets nur retrospektiv deren Befolgung. Die Inkorporation der gesellschaftlichen Anforderung in das Rechtssystem macht die erfasste geistige Entität („sittliche Pflicht“, „Anstandsrücksicht“) zu einer rechtlichen, deren Interpretation den methodischen Regeln unterfällt, die für alle Rechtsnormen gelten. Der Richter ist an dieser Stelle zur konstitutiven Feststellung der Rechtspflicht ermächtigt. Die Anerkennung von außerstaatlich gebildeten Verhaltensregeln durch den Richter hat der historische Gesetzgeber ebenso mit dem Verweis auf Handelsbräuche und Verkehrssitten verfolgt (§§ 157, 242 BGB, 346 HGB) 94. Ihre Geltungsgrundlage ist schwächer. Sie beruhen auf einer noch nicht oder nicht mehr allgemein bestehenden Rechtsüberzeugung. Diese erlaubt jedoch deren situative und flexible rechtliche Integration für die Verkehrskreise, die sie beachten. Mit der rechtlichen Anerkennung und Integration in das Recht sollte aber besser nicht von objektiven Sittennormen gesprochen werden95. Es handelt sich um sittliche Pflichten, die im Einzelfall rechtlich anerkannt oder nicht anerkannt werden. Sobald rechtsfortbildend „Sittennormen“ durch Gerichte entwickelt wurden, handelt es sich um richterrechtlich gebildete Rechtsnormen. Entsprechend bedeutet auch die Feststellung einer „sittlichen Pflicht“ die Subsumtion unter einen gesetzlich verwendeten Rechtsbegriff. Die rechtlich anerkannte „sittliche Pflicht“ ist daher Rechtspflicht. Von den guten Sitten und der Verkehrssitte als Termini des rechtsgeschäftlichen Verkehrs unterscheidet sich die „sittliche Pflicht“ der Funktion und Form nach dahingehend, dass ein konkretes Leistungspflichtverhältnis abgeleitet wird96. Das Gesetz gewährt dem Empfänger der ihr entsprechenden Güterbewegung ein Behaltensrecht. Bereicherungsrechtlich handelt es sich um einen 94 Die Handelsbräuche sind die Verkehrssitten des Handels, bezogen auf den jeweiligen Geschäftszweig, vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 346 Rn. 1 u. 7 f. 95 So aber im Zusammenhang mit der rechtsfortbildenden Funktion des § 138 BGB Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 37 (Rechtsfortbildung durch Interessenabwägung); MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 3. 96 Ähnlich für eine objektive Bestimmung des Merkmals gute Sitten, die vom Richter als Repräsentant der gerecht und billig Denkenden verstanden wurden, vgl. Sack, Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB, NJW 2006, 945, 949; Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 18 ff.

I. Thesen

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Schuldgrund (debitum) im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB97. Geht der Leistende irrtümlich davon aus, dass er zur Leistung auch hätte gezwungen werden können, so bleibt dies nach Maßgabe des § 814 Hs. 2 BGB unbeachtlich. Unterschieden werden die gesellschaftlich anerkannten Pflichten nach Leistungen aus sittlicher Pflicht98 oder aus Anstandsrücksicht99 (§§ 534, 814 Hs. 2, 1375, 1425, 1641, 1804, 2113, 2205, 2330 BGB). Ihre praktische Bedeutung ist gering.

4. Integration der Naturalobligation in ein europäisches Rechtsinstrument Rechtszwang bildet einen praktisch überaus wichtigen und weithin notwendigen Handlungsanreiz für den Pflichtigen. Entfällt der Rechtszwang, bleibt der Schuldner den sonst nur ergänzend wirksamen gesellschaftlichen Zwängen ausgesetzt. Die fehlenden rechtlichen Zwangsbefugnisse verändern damit den Wirkungsgrad der Rechtsposition. Sie schwächen die Forderung nach dem Grad ihrer Erfüllungswahrscheinlichkeit. Das lässt diese Gestaltung nur in bestimmten Ausnahmefällen sinnvoll erscheinen. Da es solche Fälle gibt und Leistungspflichten ohne Erfüllungszwang eine besondere Funktionalität haben können, sollte auf diese Rechtsfigur nicht verzichtet werden. Die Naturalobligation empfiehlt sich damit auch als dogmatische Rechtsfigur zur Integration in ein europäisches Rechtsinstrument. Die Aufnahme in eine Kodifikation könnte an den gesetzlichen Regelungen des niederländischen Burgerlijk Wetboek (BW) Buch 6, Abschnitt 1, Art. 3–5 sowie systematisch ebenso an den Art. 402–404 Código Civil Português, (port. CC) orientiert werden100. 97 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 97 mit Fn. 22 (Die Sitte wirkt unmittelbar als causa. Sie ist nicht nur Anlass eines Erwerbsgrundes). § 814 Hs. 1 BGB betrifft dagegen den Fall einer Nichtschuld und ist daher nach der hier vertretenen Konzeption auf die Naturalobligation nicht anwendbar. Die historische Entstehung des § 814 BGB zeigt, dass beide Halbsätze getrennte Fragen regeln sollten. 98 Für eine Schenkung aus sittlicher Pflicht (§ 534 BGB) wird abweichend gegenüber einer bloßen Leistung aus sittlicher Pflicht die Kenntnis der Unentgeltlichkeit bzw. eine Einigung über die Unentgeltlichkeit verlangt. Bei irrtümlicher Annahme einer Leistungspflicht greift dagegen § 814 Hs. 2 BGB, Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 814 Rn. 8. Nach herrschender Auffassung handelt es sich bei der Anstandsschenkung um eine (echte) Schenkung (str.), vgl. dazu unten C. IV. 3. b), S. 455ff. 99 Die Anstandsrücksicht (Anstandspflicht) deutet auf eine schwächere Form der Pflicht als eine obligatorische Pflicht hin. BGH NJW 1981, 111. Zu fragen ist danach, ob im Einzelfall die Unterlassung zu einer Einbuße an Achtung in diesem Personenkreis führen würde, Palandt/Weidenkaff, BGB, 65. Aufl. 2006, § 534 Rn. 3. Das BGB kennt allerdings keine supererogatorischen Pflichten (stärkere und schwächere Pflichten). Die Abschwächung liegt in der Praxis allein im Umfang der Leistung. Die Anstandsrücksicht meint Gelegenheitsgaben, wie Trinkgelder. Bei Anstandsschenkungen fallen gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke darunter (Geburtstags-, Hochzeitsgeschenke). 100 Siehe dazu jeweils oben B. II. 2. a) cc), S. 220 und B. II. 2. b) dd), S. 228.

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II. Begriffsbestimmung Die historischen Entwicklungslinien, das römische Recht und das neuzeitliche Naturrecht, führen zu den Begriffen Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit. Wie die dogmengeschichtliche Analyse gezeigt hat, kommen beide Begrifflichkeiten für eine heutige Praxis in Betracht. Damit stellt sich die Frage, welcher Begriff gewählt werden sollte. Denkbar ist es auch, beide Begriffe nebeneinander zu verwenden. Bietet es sich hierbei an, wie Maximilian Fuchs dies vorgeschlagenen hat, Naturalobligationen von unvollkommenen Verbindlichkeiten getrennt zu sehen und entsprechend zwei Begriffskonzepte zu verwenden oder soll ein einheitlicher Begriff gewählt werden?

1. Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit a) Synonyme Begriffe Die Rechtsbegriffe Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit bezeichnen dieselbe Rechtsfigur. Sie werden deshalb zu Recht in weiten Teilen des Schrifttums und von der Rechtsprechung synonym gebraucht. Soweit sie dabei auch zur Erläuterung wechselseitig aufeinander bezogen und vice versa erklärt werden1 ist damit aber kein Erkenntnisgewinn verbunden.

b) Keine Terminologische Unterscheidung nach Regelungstypen Maximilian Fuchs 2 hat folgende Dichotomie vorgeschlagen: Regelungstyp 1 ist die Naturalobligation. Darunter fallen sittliche Pflichten und Anstandsrücksichten. Grundnorm sei § 814 Hs. 2 BGB, der die Erfüllung einer Nichtschuld regele und lediglich das Leistungsmotiv der Erfüllungshandlung bezeichne. Der bereicherungsrechtliche Schutz werde historisch und rechtsvergleichend unbestritten als Naturalobligation anerkannt 3. Regelungstyp 2 ist danach die unvollkommene 1

Siehe oben B. I. 5. d) aa) (1), S. 189. M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 139 (Regelungstyp 1: Naturalobligation, § 814 Hs. 2 BGB und Regelungstyp 2: Unvollkommene Verbindlichkeit, §§ 656, 762, 764 BGB). 3 M. Fuchs, (oben Fn. 2), S. 123, 139. 2

II. Begriffsbestimmung

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Verbindlichkeit. Grundlage ist der schuldrechtliche Vertragstypus, dessen Forderung nicht durchgesetzt werden kann (§§ 656, 762, 764 BGB). Diese von Fuchs vorgeschlagene Dichotomie findet im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 ansatzweise ein Vorbild. Dort wird in § 178 ALR I 16 die „bloß moralische Verbindlichkeit“ genannt, während § 179 ALR I 16 die „unvollkommene Pflicht“ erwähnt. Beide Normen schließen die Rückforderung geleisteter Zahlungen aus4. Das ALR hatte bei den bloß moralischen Pflichten des § 178 die religiös verwurzelten natürlichen Pflichten im Blick. Die unvollkommenen Pflichten nach § 179 des Landrechts wurden als besondere Ausprägungen dieser obligatio naturalis verstanden. Eine klare Abgrenzung erfolgte nicht5. Der Begriff Naturalobligation wird im PrALR selbst nicht verwendet. Es erscheint eher dezisionistisch, die Naturalobligation mit einer extralegalen Sittenpflicht zu identifizieren und gegenüber einer verrechtlichten unvollkommenen Verbindlichkeit abzugrenzen. V. Savigny hat die bloß moralische Pflicht des Landrechts auch nicht als Naturalobligation bezeichnet, sondern die unvollkommenen Verbindlichkeiten als den römischrechtlichen Naturalobligationen gleichstehend rezipiert6. Die Pandektistik sieht in der Folge die naturrechtliche Pflicht als kanonisch-germanische Gewissenspflicht an, die der christlichen Morallehre entstammt. Sie wird von der römischrechtlichen Naturalobligation unterschieden, die konkrete rechtliche Funktionen besitzt und auf einer Ehrenpflicht beruht7. Der von der Pandektistik verwendete Begriff der Naturalobligation ist jedenfalls auch der technische, den Fuchs für die unvollkommene Verbindlichkeit reservieren will8. Der BGB-Gesetzgeber kennt die vorgeschlagene Dichotomie nicht. Er spricht bei den sittlichen Pflichten – wie etwa dem Ausstattungsrecht des Kindes, § 1624 BGB – von unvollkommenen Verbindlichkeiten9, während die Naturalobligation schon wegen der sprachlichen Nähe mit ihrer römisch-rechtlichen Herkunft verbunden wird10. 4 Sie gelten als Ausnahmen von der Regel des § 86 Einl ALR („Rechte, welche durch die Gesetze nicht unterstützt werden, unvollkommen heissen“), siehe näher oben B. I. 3. e) aa), S. 135. 5 Siehe näher oben B. I. 3. e) aa), S. 136. 6 Friedrich Carl von Savigny, Landrechtsvorlesung. Drei Nachschriften, 1826 (Nachdruck 1998). 3. Buch: Obligationen, Natur und Inhalt der Obligation, § 31, 1. Begriff und Arten. S. 422 („ebenso wie im Römischen Recht zu nehmen“). 7 Vgl. C.F. Rosshirt, Ueber die Verwandlung einer obligatio civilis in eine obligatio naturalis, Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht 5 (1843–1844) S. 275, 279. Unter Bezug auf das praeceptum iuris in Ulpian D. 1, 1, 10, 1„honeste vivere“. 8 Auf ihr beruht der bis heute übliche und sachlich richtige synoyme Gebrauch beider Begriffe. 9 Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 3 f. (Textzitat oben B. I. 5. a) aa) (2) S. 165 f.); Zu § 1500 E I bzw. § 1464 KE Motive, Bd. IV, Amtliche Ausgabe, 1888, S. 1335 – 1341; Jakobs/ Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 317. 10 Beispielsweise wurde bei der Verjährung die „…obligatio naturalis als im Sinne des rö-

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C. Systematischer Teil

Die historischen Grundlagen für eine begriffliche Dichotomie sind also recht brüchig. Ohne eine nähere Begründung ist die Bezeichnung „unvollkommene Verbindlichkeit“ vom Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2001 aufgegriffen und als amtliche Überschrift des Titels 19 im 8. Abschnitt des zweiten Buches für Spiel, Wette, Lotterie und Ausspielung eingefügt worden. Die Titelüberschrift dient im Schrifttum nunmehr auch als Grund für die Bezeichnung „unvollkommene Verbindlichkeit“11. Ob und auf welchem Wege der Gesetzgeber damit die von Fuchs vorgeschlagene Systematisierung rezipiert hat, bleibt Spekulation. Jedenfalls offenbart die Titelüberschrift auch Missverständnisse. Unter systematischen Gesichtspunkten ist darauf hinzuweisen, dass unvollkommene Verbindlichkeiten (ebenso wie Naturalobligationen) keinen bestimmten Vertragstypus meinen. Es sind die aus Spiel- und Wettverträgen entstehenden Forderungen, deren besondere Struktur bezeichnet wird. Die Titelüberschrift passt ferner nicht zu den anderen Titelüberschriften, die jeweils besondere Vertragstypen bezeichnen. Die mit der Überschrift bezeichnete Fordungsstruktur gilt überdies ebenso für Fälle außerhalb des 19. Titels. So ist der Lohnanspruch des Ehemaklers, auch unvollkommene Verbindlichkeit im Sinne des Regelungstyps 2 (Vertrag). Schließlich führt die staatliche Genehmigung einer Spielveranstaltung nach § 763 BGB im praktisch überragend bedeutsamen Regelfall zu vollkommenen Verbindlichkeiten (Zivilobligationen). Die neu eingeführte Titelüberschrift ist daher insgesamt als missglückt zu bezeichnen. Die Rechte der oben genannten Länder anerkennen in unterschiedlicher Ausgestaltung und Umfange die Rechtsfigur. Sie verwenden einheitlich die Bezeichnung Naturalobligation (obligation naturelle, obbligazioni naturali, obrigações naturais) bzw. die eingedeutschte Bezeichnung natürliche Verbindlichkeit (naturlijke verbintinis). Zum Teil wird die Bezeichnung unvollkommene Verbindlichkeit in einem einheitlich verstandenen Sinne gebraucht12. Auch die österreichische Doktrin spricht entweder einheitlich von Naturalobligationen13 oder einheitlich von unvollkommenen Verbindlichkeiten14. Eine Dichotomie mischen Rechts fortbestehen[d].“ verstanden, Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1045 (Prot. I 390). 11 Vgl. etwa Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 1. 12 Siehe oben B. II. 2. a) S. 211 ff. und B. II. 2 b), S. 223 ff. 13 Peter Bydlinski, Bürgerliches Recht, Bd. I, Allgemeiner Teil, Wien 2000, § 3 Rn. 3/21; Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. II, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. Wien 2000, S. 10; Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluß und Heilung nach § 1432 ABGB. Wien 1998, S. 172 (dort einheitlich unter dem Begriff der Naturalobligation zusammengefasst). 14 Mayrhofer in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl. 1986, S. 11. Von unvollkommenen Verbindlichkeiten ist ferner auch nur noch in der Schweizer Doktrin die Rede, die dort ebenfalls nicht einheitlich, sondern wahlweise zur Naturalobligation gebraucht wird, vgl. näher oben B. II. 2. b) cc), S. 226.

II. Begriffsbestimmung

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wird also rechtsvergleichend nicht unterstützt; sie ist unüblich und könnte entgegengesetzt ausfallen. Gegen das zweigliedrige Typenmodell sprechen auch systematische Gründe. Forderungen aus formfehlerhaften Verträgen, die verjährte Forderung sowie die restliche Schuld nach Zwangsausgleich im Insolvenzverfahren können in der Regelungssystematik von Fuchs nicht untergebracht werden. Es sind keine sittlichen Pflichten und sie passen auch nicht zu seinem Regelungstyp 2, dem schuldrechtlichen Vertragstypus. Der Grund liegt in der zu engen Typenbildung des Ordnungsschemas. Die obligatio entsteht nicht nur im Zusammenhang oder in Folge eines Schuldvertrages, sondern auch ex lege. Die unvollkommene Verbindlichkeit kann mit anderen Worten nicht vom vertraglichen Schuldverhältnis her klassifiziert werden, weil die Obligation selbst den Ausgangspunkt der Systembildung des Schuldrechts darstellt und der Vertrag nur einer unter mehreren Obligationsentstehungsgründen ist15. Die Obligation ist auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt als der Vertrag. Wie die Verjährung aber auch die Insolvenzregeln zeigen, sind nicht allein vertragliche Forderungen, sondern alle Forderungen potentiell unvollkommene Verbindlichkeiten. Weiterhin sprechen dogmatische Gründe gegen Fuchs. Das objektivrechtliche Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs „sittliche Pflicht“ im Sinne des § 814 Hs. 2 BGB erlaubt keine Differenzierung nach dem Leistungsmotiv der Erfüllungshandlung. Anders als Fuchs es für kennzeichnend hält, kommt es bei § 814 Hs. 2 BGB auf die Motivlage des Leistenden nicht an. Das BGB, wie die Rechte der Schweiz, Österreichs und der Niederlande, aber anders als Frankreich, Portugal und Italien, erklären den Rechtsirrtum des Leistenden über die Durchsetzbarkeit für unbeachtlich16. Bei einer objektivrechtlichen Betrachtung ist also eine Unterscheidung zwischen rechtlichen und ethischen Pflichten, zwischen unvollkommenen Rechtspflichten und Naturalobligationen nicht mehr zu ziehen. Ein Grund für die hier bevorzugte einheitliche Betrachtung liegt darin, dass die richterlich festgestellte Verhaltensbindung kraft sittlicher Pflicht (Regelungstyp 1) nicht zu unterscheiden ist von der zwangsweise nicht durchsetzbaren Verhaltensbindung kraft Vertrages (Regelungstyp 2)17. Die Grundmerkmale sind für beide Regelungstypen dieselben. Die (sittliche) Pflicht erwächst aus einem Individualverhältnis zwischen Geber und Empfänger und stellt an den Geber im 15

Vgl. zu diesem systematischen Ausgangspunkt Bucher, Was macht den Schiedsrichter? Abschied vom Schiedsrichtervertrag und Weiteres zu Prozessverträgen. In: Bachmann u.a. (Hg.), FS für Peter Schlosser, 2005, S. 97, 110, de4r zu den Entstehungsgründen der obligatio zählt: Vertrag, Delikt, GoA, ungerechtfertigte Bereicherung, cic, faktische Vertragsverhältnisse und in der Schweiz auch die Vertrauenshaftung. 16 Vgl. oben S. B. II. 1. c), S. 209. 17 Das zeigt sich ferner in der umgekehrten Schlussfolgerung, wonach die Erfüllung von Spiel- und Wettschulden (aus entsprechenden Verträgen) als eine sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht eingestuft wurden bzw. noch dahingehend anerkannt werden, etwa auch M. Fuchs, (oben Fn. 3), S. 123, 141.

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C. Systematischer Teil

Interesse des Empfängers eine inhaltlich konkret bestimmbare, sachlich unabweisbare und damit obligatorische Leistungsanforderung. Ferner dürfte die Stellung des § 814 Hs. 2 BGB im Bereicherungsrecht gegen eine dortige Ausformung eines eigenständigen Regelungstyps Naturalobligation sprechen. Bereicherungsrecht ist Reaktionsrecht. Es reagiert auf fehlerhafte Leistungsbewegungen und damit auf das Recht der Güterbewegung. Sedes materiae für eine Regelung sittlicher Pflichten ist das Recht der Güterbewegung. § 814 Hs. 2 BGB stellt eine spezielle Irrtumsregel für den Fall dar, dass der Schuldner irrtümlich annimmt, zur Leistung gezwungen werden zu können. Der Anwendungsbereich der Vorschrift geht also über die Fälle der Naturalobligation hinaus. So etwa im Insolvenzrecht, wenn der Konkursgläubiger nach Konkurseröffnung versehentlich an den Gemeinschuldner leistet, weil er irrtümlich annahm, zu dieser Erfüllungsleistung auch noch gezwungen werden zu können18. Ferner gilt § 814 Hs. 2 BGB in Fällen, die Fuchs als unvollkommene Verbindlichkeiten einzustufen hätte, wie etwa bei Erfüllung der formunwirksamen Vergütungsabrede im Anwaltsrecht (§ 4 Abs. 1 S. 1 und 3 RVG)19. Die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten halte ich nicht für sinnvoll. Einen überzeugenden Grund, die einen so und die anderen so und nicht umgekehrt, zu bezeichnen, sehe ich nicht. Man könnte ebenso gut die Leistung auf eine sittliche Pflicht im Sinne des § 814 Hs. 2 BGB als die Erfüllung einer unvollkommenen Verbindlichkeit ansehen, wie dies die Naturrechtslehren des 18. Jahrhunderts und der ethische Gedanke „unvollkommener Pflichten“ nahe legen. Auch ließe sich die Erfüllung nicht durchsetzbarer Vertragsschulden in Anlehnung an die römisch-rechtliche obligatio naturalis ohne Bedenken als Naturalobligation bezeichnen 20. Entsprechend erfolgt diese umgekehrte Zuordnung etwa im Schweizer Schrifttum. Danach sei die sittliche Pflicht kennzeichnend für die unvollkommene Verbindlichkeit und die Rechtspflicht für die Naturalobligation 21. Spiel- und Wettschulden werden rechtsvergleichend häufig – beispielsweise in Italien – als Naturalobligationen anerkannt. 18 OLG Brandenburg v. 6.12.2001, WM 2002, 974, (Rückforderung bei irrtümlicher Bezahlung einer Konkursforderung als Masseschuld). Für Vergleiche nach § 8 Abs. 2 VerglO a.F. BGH v. 11.5.1978, BGHZ 71, 309, 312 (Rechtsgrund ist nicht nur die Forderung, sondern beim Vergleich auch das Recht auf gleichmäßige Befriedigung). 19 BGH v. 8.6.2004, NJW 2004, 2818, 2820 (Rechtsirrtum des Mandanten über die (vermeintliche) Klagbarkeit der vereinbarten Vergütung nimmt der Erfüllungsleistung nicht die Freiwilligkeit. Der Irrtum ist unbeachtlich und die Rückforderung aus diesem Grund nicht zulässig.) 20 Etwa Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 501, bezeichnet etwa tatbestandlich ausgeformte Leistungsversprechen als Naturalobligation im engeren Sinne und Sachverhalte, bei denen dem Anschein nach keine anspruchsbegründende Abreden vorlägen als sittliche Pflichten. 21 Mit Nachweisen Portmann, Wesen und System der subjektiven Rechte, 1996, Rn. 139.

II. Begriffsbestimmung

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Die von Fuchs vorgeschlagene begriffliche Dichotomie entspricht der hier vorgenommenen bloßen Binnendifferenzierung einer einheitlich verstandenen Rechtsfigur: die richterrechtlich feststellungsbedürftigen und die gesetzlich präformierten Naturalobligationen. Die unter den gesetzlichen Termini „sittliche Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“ gerichtlich feststellungsbedürftigen Naturalobligationen entsprechen dem Regelungstyp 1. Die gesetzlich präformierten, institutionellen Naturalobligationen entsprechen dem Regelungstyp 2. Innerhalb der Gruppe der Naturalobligationen wird also nach der Art der Setzung die feststellungsbedürftige von der institutionellen Naturalobligation unterschieden. Eine solche bloße Binnendifferenzierung ist im italienischen und auch im niederländischen Recht ebenso anerkannt22.

2. Gründe gegen die Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“ Will man die Begriffe synonym benutzen, wie dies verbreitete Praxis ist, bleibt eine gewisse Begriffsverwirrung bestehen. Es sprechen zwar keine zwingenden Gründe gegen eine gleichsinnig parallele Begriffsverwendung, aber die historischen Begriffe werden hier unverstanden benutzt. Die obligatio naturalis hat mit dem römischen Recht und die unvollkommene Verbindlichkeit mit dem aufgeklärten Naturrecht zwei historische Wurzeln und auch getrennt verlaufende Entwicklungslinien. Für die heutige Dogmatik sollte eine Entscheidung über die Verwendung der Begriffe getroffen werden. Sowohl historische als auch dogmatische Gründe sprechen gegen eine Verwendung des Begriffs unvollkommene Verbindlichkeit. Die besseren Gründe sprechen nach meinem Dafürhalten für die Nomination Naturalobligation.

a) Historische Gründe aa) Unvollkommene Rechtspflichten Die Unterscheidung in vollkommene und unvollkommene Verbindlichkeiten reflektiert die naturrechtliche Pflichtenlehre bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Vereinfachend gesagt wurde die Trennung von rechtlichen gegenüber nichtrechtlichen Pflichten mit Hilfe des Vollkommenheitstheorems vollzogen. Die vorgeschlagenen Kriterien für die Differenzierung von Pflichten nach dieser Dichotomie waren vielgestaltig und wurden gleichsam experimentell herausgearbeitet 23. Die Fragestellung reflektiert ein zweifaches Erkenntnisinter22 23

Siehe oben B. II. 2. a) bb) S. 211 und 2 b) dd) S. 228. Zu dem differenzierten Bild der Naturrechtslehre vgl. oben B. I. 3. c) S. 105 ff.

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C. Systematischer Teil

esse. Gesucht wurde sowohl nach einer Systematisierung aller Pflichten des Menschen in diesen beiden Pflichtklassen und beantwortet werden sollte auch die Frage nach dem Verpflichtungsgrund und der Quelle für die obligierende Kraft von Gesetzen (Gott, Vernunft, weltlicher Herr als Gesetzgeber). Das Augenmerk richtete sich jedenfalls nicht auf die rechtstechnische Ausformung bestimmter einzelner Pflichttatbestände oder auf praktische Anwendungen. Der Begriff unvollkommene Verbindlichkeit eignet sich daher weniger gut. Das religiös geprägte Naturrecht hat den Vollkommenheitsgedanken aus dem göttlichen Recht entwickelt. Als vollkommen galt, was göttlichem Vorbild, dem Gottgewollten entsprach. Das musste zunächst und primär die innere Einstellung des Pflichtigen betreffen (Ambrosius)24. Unter der Vorstellung, dass Recht und Sitte eine Einheit bilden und alles positive Recht aus dem natürlichen göttlichen Recht abgeleitet ist25, konnte „Vollkommenheit“ auch die äußere Anforderung durch das Recht erfassen. Alles Recht dient danach der moralischen Vollkommenheit, weshalb allein das stärkere durchsetzbare Recht als das vollkommene Recht angesehen werden konnte (Wolff). Der Vollkommenheit des zwangsweise durchsetzbaren Rechts korrespondiert hier die Vorstellung eines moralisch vollkommenen Rechts. Ihm liegt das vollkommene Sittengesetz voraus und zugrunde26. Eine solche Ausrichtung des Rechts nach der Ethik wird man heute nicht mehr ohne weiteres zu Grunde legen wollen 27. Wer von unvollkommenen Verbindlichkeiten spricht, müsste angeben können, was er unter vollkommenen Verbindlichkeiten versteht und dann sagen, dass Vollkommenheit bloß rechtstechnisch verstanden die Zwangsausstattung einer obligatorischen Rechtsposition meint. Die Rede von der Vollkommenheit erscheint heute damit als eine nicht gerechtfertigte sprachliche Überhöhung. Ferner ist die komplementäre Rede von „vollkommenen“ Verbindlichkeiten, also Schuldverhältnissen, Forderungen, Schulden usf. nicht üblich und kaum noch verständlich. Das Ende der naturrechtlichen Diskussion über vollkommene und unvollkommene Pflichten liegt in der kantischen Rechtsethik. Der kategorische Imperativ generiert sowohl zwangsermöglichende Rechtspflichten als auch unvollkommene ethische Pflichten 28. Die differentia specifica der Moral gegen24

Vgl. oben , B. I. 3. a) S. 80 f. J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 18; vgl. oben , B. I. 3. a) S. 96 u. Fn. 260. 26 Vgl. Hartung, Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1998, S. 50 (Die Naturrechtslehre ist in der deutschen Frühaufklärung nur im Horizont der natürlichen Theologie verständlich). Zur Entwicklung des Rechts aus der Sittlichkeit bei Pufendorf und Wolff siehe oben, B. I. 3. c) aa) (3), S. 108 f. u. 3. c) bb) (1) S. 117. 27 Zu den von mir so bezeichneten „minima moralia“ des heutigen Bürgerlichen Rechts siehe unten C. III. 2 c) S. 398 ff. 28 Die ethische und die rechtliche Pflichterfüllungssituation besitzt mit dem Kategorischen Imperativ eine sachliche Struktur und Anleitung. Vgl. Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.), Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 29: 25

II. Begriffsbestimmung

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über dem Recht liegt in der alleinigen Triebfeder des Wollens aus Pflicht. Kant schließt die unvollkommenen Pflichten aus dem Bereich des Rechts aus. Dem Recht genügt die äußere Übereinstimmung der Erfüllungshandlung mit der Rechtsnorm. Es fragt nicht nach der Ausführungsmotivation des Schuldners29. Dessen innere Einstellung bleibt notwendig ungeregelt und damit offen30. Die Rechtsphilosophie nach Kant hat die Dichotomie unvollkommene und vollkommene Pflichten aufgegeben31. Die europäischen Kodifikationen sind gespalten, was die subjektive rechtliche Ausgestaltung einer „sittlichen Pflicht“ anbelangt. Das BGB hat sich neben anderen Kodifikationen jedenfalls für eine objektiv-rechtliche Begriffsbildung entschieden (§§ 534, 814 Hs. 2, 1624 BGB). Intrinsische Pflichthandlungen im kantischen Sinne werden gesetzlich nicht abgebildet. Unvollkommene Pflichten sind begrifflich daher unpassend. Eine Einteilung nach Pflichtklassen kennt das heutige Schuldrecht mit den Leistungs- und Schutzpflichten (§ 241 Abs. 1 und 2 BGB). Struktur und Gestalt einer moralisch-sittlichen Pflicht werden von der Rechtslehre dagegen nicht mehr systematisch erschlossen und dogmatisch behandelt. Diese Fragen gehören in die philosophische Ethik und werden dort – auch in Anlehnung an rechtliche Begriffsbildungen 32 – entwickelt. Um Gewissenspflichten und Überzeugungshandlungen kümmert sich das BGB nicht. Die Verwendung des Begriffs unvollkommene Verbindlichkeit ist insofern rechtsdogmatisch insgesamt missverständlich. bb) Abgrenzung zu den leges imperfectae und den officia des römischen Rechts Eine begriffliche Parallele und damit die Gefahr einer Verwechslung oder Begriffsverwirrung der „unvollkommenen Verbindlichkeit“ besteht zu den sog. „leges imperfectae“ des römischen Rechts33. Dabei handelte es sich um Ge- oder Das Rechtsgesetz ist folglich eine auf die Begründung von erzwingbaren Pflichten spezialisierte Version des kategorischen Imperativs. 29 Genauer in der kantischen Diktion: Das Exekutionsprinzip für die von der inneren rechtlichen Gesetzgebung für notwendig vorgestellten Handlungen, Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 25. 30 Die spezifische Differenz von Recht und Moral ist von Kant motivationspsychologisch ausgelegt. Sie zeigt sich einzig und allein „in Ansehung der Triebfeder“. Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 25 („Triebfeder-Leerstelle“). 31 Siehe dazu oben B. I. 3. c) bb) (4), S. 131. 32 Die kontraktualistischen Ethiken aus neuerer Zeit etwa, Stemmer, Moralischer Kontraktualismus, ZPhilF 56 (2002) 1, 20 (hypothetischer Kontraktualismus). Tugendhat Vorlesungen über Ethik, 3. Aufl., 1995; Hossenfelder, Der Wille zum Recht und das Streben nach Glück, 2000. 33 Die Parallele ist freilich nicht auf das römische Recht beschränkt. So werden etwa auch Völkerrechtssätze ohne Zwangsandrohung als leges imperfectae bezeichnet, vgl. Döhring,

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C. Systematischer Teil

Verbotsgesetze, die keine oder zumindest keine zivilrechtliche Sanktionsfolgen an die Zuwiderhandlung knüpften. Ihre Einhaltung und die Verhängung geeigneter Sanktionen blieb dem Prätor überlassen34. Die leges imperfectae oder unvollkommenen Gesetze finden sich heute in den sog. Schutzgesetzen im Sinne des § 134 BGB wieder. Die zivilrechtlichen Rechtsfolgen werden über § 134 BGB gegebenenfalls modifiziert35. Mit den „leges imperfectae“ ist keine Missbilligung des Rechtszwanges verbunden und sie haben mit den unvollkommenen Rechtspflichten, den „obligations imparfaites“ der Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts, nur die Äußerlichkeit fehlender Sanktionsandrohung gemein. Das klassische römische Recht kannte seinerseits keine unvollkommenen Pflichten. Eine begriffliche Nähe besteht zu den von Cicero aus der Stoa übernommenen natürlichen Pflichtarten unter dem Begriff officium. Cicero differenziert nach der Qualität der Ausführung einer ethischen Pflicht (officium medium und officium perfectum)36. Diese Unterscheidung findet im Recht keinen unmittelbaren Niederschlag, sondern differenziert den Bereich ethischer Pflichten aus37. Allerdings soll bei Gaius nach neuerer Auffassung der Unterschied zwischen der obligatio und dem officium im prozessualen Schutz gelegen haben38. Die außerrechtlichen officia gehören nach römisch-rechtlicher Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 32, der auch die Naturalobligation als lex imperfecta einstuft, weil das Recht auf Selbstdurchsetzung fehle und eine Beziehung zu non-binding agreements im Völkerrecht herstellt („gewisse Parallele“) (ebd. Fn. 56). 34 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 9 Rn. 7, S. 81. Das römische Recht kannte die Dreiteilung leges perfectae, minus quam perfectae und imperfectae. Grundlage in nachklassischer Zeit war die 439 verabschiedete Constitutio Theodosiana C. 1, 14, 5. Vgl. zu deren Entstehung und Rezeption, Pansegrau, Die Fortwirkung der römischen Dreiteilung der Verbotsgesetze in der Rechtsprechung des Reichsgerichts: Zur Vorgeschichte des § 134 BGB, 1989, S. 97 ff. 35 Sanktionslose Normen heißen traditionell leges imperfectae und sind von Ulpian und später in der Constitutio Theodosiana C. 1, 14, 5 für verbotswidrige Geschäfte entwickelt worden. Verstöße gegen leges imperfectae ziehen weder die Unwirksamkeit des Geschäfts noch Strafe nach sich. Die Rechtsfolge musste vom Richter festgelegt werden. Zu den vielen Streitfragen im einzelnen Pansegrau, (vorherige Fn.), S. 25 ff. Heutige Bsp.: Verstoß gegen die anwaltliche Aufklärungspflicht aus § 49 b Abs. 5 BRAO (Streitwertabhängigkeit anwaltlicher Gebühren), Rechtswidrige aber straffreie Abtreibung. RichtgeschwindigkeitsVO, überholt: Gurtanschnallpflicht, Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre 2001, S. 191. 36 Cicero hat den Begriff der vollkommenen Pflicht aus der Stoa übernommen (vollkommene Ausführung einer naturgemäßen Handlung). W. Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 79. 37 Die ethische Pflicht zur Übernahme eines Mandats aus Freundschaft als Beispiel für die Trennung von Ethik und Recht bei Nörr, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: Schermaier (Hg), FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267, 271. 38 Falcone, Obligatio est iuris vinculum, Torino 2003, S. 99 u. passim. Vgl. oben B. I. 1. a) bb) (2) S. 53 f. u. (3) S. 55.

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Anschauung jedenfalls insgesamt nicht zum Sachbereich des Rechts39. Die obligatio naturalis wurde als Einrede auch prozessual beachtet und gehörte damit zum Recht.

b) Dogmatische Gründe gegen eine Verwendung des Begriffs „unvollkommene Verbindlichkeit“ aa) Keine Dichotomie in der Pflichtstruktur Nach der hier vertretenen Meinung ist die Pflichtstruktur in allen Anwendungsfällen vorhanden und nicht defizitär. Bezieht man das Attribut „unvollkommen“ auf die Pflichtstellung, so führt dies zu der unrichtigen Annahme einer defizitären Obligationsstruktur oder zumindest zu einer irgendwie andersartigen Obligation40. Die „Zwanglosigkeit“ des Leistungspflichtverhältnisses ist aber nicht die Folge einer andersartigen oder unvollständigen Pflicht. Sie ergibt sich aus der Aberkennung von Zwangsbefugnissen. Zwangsmittel sind aber keine notwendigen Bestandteile einer Obligation. Die Verbindlichkeiten sind für sich gesehen also nicht unvollkommen41. Nur wer allein auf die fehlende Zwangsbewehrung schaut, kann von ‚unvollkommen‘ sprechen. Das Wort „unvollständig“ wäre hier passender.

39 So Falcone, ebd.; Landolt hat dagegen eine Theorie der rechtlich anerkannten sozialen Pflicht, die keine obligatio im klassischen Sinne, sondern ein officium gewesen sei, angenommen. Naturalis obligatio and bare social duty, 2000, S. 11 u. 223. Landolt hat hier die Sklavenschuld als soziale Schuld verstanden. Diese Auffassung hat sich indes nicht durchgesetzt, vgl. oben B. I. 1. c) cc) S. 72 Fn. 137. 40 Das gilt jedenfalls dann, wenn unvollkommen im Sinne von nicht vollständig, nicht genügend, nicht der (normalen) Verbindlichkeit entsprechend verstanden wird (vgl. zum Vollkommenheitsbegriff oben B. I. 3. a), S. 93 ff.). Zuzugeben ist aber, dass das Attribut „unvollkommen“ auch eine Bedeutung zulässt und diese jedenfalls in der Scholastik auch besaß, wie sie hier für die Naturalobligation gegeben wird. Die Unvollkommenheit konnte meinen: Die notwendige Grenze, die nur unter Aufhebung seines Begriffs überschritten werden kann. So in der Lehre des schottischen Scholastikers Johannes Duns Scotus (1266 – 1308), vgl. m.N. Hoffmann, Stichwort: Vollkommenheit, in: Ritter/Gründer/Gabriel (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 11: U – V. Basel 2001, Sp. 1121. Daneben wurde sie von Scotus aber auch als mindere Intensität in der Strebsamkeit nach Vollkommenheit verstanden (Ebd.). Siehe dazu bereits oben B. I. 3. a) S. 95 Fn. 258. 41 Ebenso nur in der Terminologie verschieden Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 V 2, S. 85, der Haftung mit Zwang gleichsetzt und eine haftungslose Schuld bejaht. Die Unvollkommenheit kann nach Gernhuber nicht als Begriffselement der Schuld verwendet werden, weil sie die Haftung (Zwang) betrifft und diese von der Schuld getrennt zu sehen sei.

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C. Systematischer Teil

bb) Eine Positivierung von Rechtsgefühlen entspricht nicht dem Regelungskonzept der „sittlichen Pflicht“ des BGB Die Funktion der Rechtsfigur lässt sich als der gesetzgeberisch gezollte Respekt vor den Anstands- und Pflichtgefühlen der Verkehrsteilnehmer verstehen. Die Vorkommission des Justizhauptamtes stützte sich bei der Aufnahme des heutigen § 814 Hs. 2 BGB auch auf das Rechtsgefühl42. Die subjektiven Einstellungen der Verkehrsteilnehmer lassen sich aber, wie das Rechtsgefühl überhaupt, nicht positivieren. Sie werden damit nicht negiert, spielen aber für die Rechtsanwendung keine Rolle. Die Verneinung oder Aufhebung des Erfüllungszwanges beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers oder auf den tatsächlichen Feststellungen des Richters über das Bestehen einer objektiv festzustellenden Pflichtstellung. Das Schuldrecht wird damit von einer unerwünschten Moralisierung entlastet. Diese rein objektive Sicht gilt jedenfalls für die Anerkennung einer Pflichtenstellung im schuldrechtlichen System. Nicht zu urteilen ist damit über die anthropologischen Grundlagen des Rechts, die selbstverständlich auch das Rechtsgefühl aufnehmen43. cc) Abwertende Konnotation Gegen den Terminus unvollkommene Verbindlichkeit spricht ferner dessen negative semantische Wirkung. Die „Un-Vollkommenheit“ impliziert eine materielle Bewertung. Die Zwangsbewehrung erscheint positiv („vollkommen“), ihr Fehlen wird dagegen negativ konnotiert. Das ist irreführend, weil die angenommene Unvollkommenheit kein durchgehend abwertendes Urteil trägt. Mit der Versagung rechtlicher Zwangsbefugnisse kann zwar eine negative Bewertung zusammenfallen, wie etwa beim Lohn des Ehemaklers oder bei Spiel und Wette, sie muss es aber nicht. Das zeigen die formlose Vergütungsabrede nach § 4 Abs. 1 S. 3 RVG, das Verlöbnis, die Ausstattung des Kindes, die freiwillige Selbstverpflichtung und die sittlichen Pflichten. Die faktische Schwäche der Rechtsposition ist mit anderen Worten nicht notwendig mit einer sachlich bewertenden Schwäche korreliert. Die Attraktivität der Rechtsfigur liegt viel42

Zur Gesetzgebungsgeschichte des § 814 Hs. 2 vgl. oben B. I. 5. a) bb) (2) u. (3) S. 167 ff. Etwa Albert A. Ehrenzweig, der damit zugleich eine Gerechtigkeitstheorie verbindet, Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973, ders., Ästhetik und Rechtsphilosophie. Ein psychologischer Versuch. In: Fischer u.a. (Hg.), GS für René Marcic, 1974, S. 3, 8; ders., Phänomenologie und Psychoanalyse der Rechtswissenschaft, in: Würtenberger (Hg.), FS für G. Husserl, 1969, S. 65, 69 ff.: Verzicht auf den absoluten Gerechtigkeitsanspruch, Anerkennung eines psychologischen Sinns für Gerechtigkeit und Anerkennung „natürlicher Gerechtheiten“. Zu letzteren vgl. Bienenfeld, Prolegomena to a Pschoanalytic of Law and Justice, California Law Review 53 (1965) 975, u.1224. Neuerdings Sprenger, Rechtsgefühl ohne Recht. Anthropologische Anmerkungen. In: Dölling, (Hg.), FS für Ernst-Joachim Lampe, 2003, S. 317–338. 43

II. Begriffsbestimmung

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mehr gerade darin, begrifflich von einer notwendig ethisch-moralischen Implikation frei zu sein.

3. Gründe für die Verwendung des Begriffs Naturalobligation a) Historischer Ursprung im römischen Recht Die einheitliche Verwendung des Begriffes „Naturalobligation“ bietet sich an. Die Naturalobligation reflektiert den historischen Kontext ihrer Entstehung im klassischen römischen Recht und übernimmt von dort die pragmatische, an Zweckmäßigkeiten des Rechtsverkehrs orientierte funktionale Ausrichtung44. Naturalis obligatio ist die unter dem Gesichtspunkt einseitiger Durchsetzungsmacht geschwächte Verbindlichkeit. Die Substraktion rechtlicher Zwangsbefugnisse vermindert den Wirkungsgrad der Obligation, sie macht die Naturalobligation jedoch nicht zu einer natürlichen Pflicht im Sinne des Naturrechts.

b) Das deskriptive Kompositum „Natural“ und seine reduktive Bedeutung Es ist nicht zu leugnen, dass die Kennzeichnung „natural“ begriffsgeschichtlich zum ius naturale und damit auch – je nachdem wie man diese Rechtsschicht einstuft – zu einer naturrechtlichen Grundlage führt. Das Verständnis des Naturrechts ist historisch starken Schwankungen unterworfen gewesen. Bereits die römische Vorstellung reichte von der lex naturae nach der Rezeption stoischer Lehren45 über das pragmatisch hochklassische Naturrecht46 bis hin zu einem spät- oder nachklassischen Verständnis, wo eine durch das ius naturale verfasste Rechtsgemeinschaft aller Lebewesen angenommen worden war (societas omnium animantium; Ulpian D. 1.1.1.3 u. 4) 47. Entsprechend ist die lex 44 Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224. 45 Lex naturae meint bei Cicero das ganz ursprüngliche, ewige und von den Göttern erteilte Wissen (über Recht), das im Menschen als initium iuris unentfaltet vorhanden ist. Vgl. Huwiler, Homo et res: Skizzen zur hellenistischen Theorie der Sklaverei und deren Einfluss auf das römische Recht, in: Mélanges Felix Wubbe, Freiburg/Schweiz 1993, 207, 240. Vgl. zum nicht eindeutigen römisch-rechtlichen Verständnis von ius naturale oben B. I. 1. d), S. 74 ff. 46 Danach werden Verhaltensanforderungen als natural bezeichnet, die nach der Erfahrung selbstverständlich wirksam sind und keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Mantello, Beneficium servile – debitum naturale, Sen. de ben. 3.18.1 ss. – D. 35,1,40,3 (Iav. 2 ex post. Lab.) (1979) 156 ff.; zust. Huwiler, (vorige Fn.), S. 251. 47 W. Waldstein, Ius naturale im nachklassischen römischen Recht und bei Justinian: SZ 111 (1994) 1, 3; Honsell, Naturrecht und Positivismus im Spiegel der Geschichte. In: Kramer, Schuhmacher (Hg.), FS für Hans-Georg Koppensteiner, Wien 2001, S. 593.

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naturalis auch im weiteren Verlaufe der Entwicklung moralisch-religiös interpretiert worden und besitzt eine ethische Bedeutung zum Teil noch heute 48. aa) Keine normative Implikation Der Einwand, auch mit der Naturalobligation eine naturrechtliche Kategorie wiederzubeleben, greift indes nicht. Das Begriffsmerkmal natural wie überhaupt der Naturbegriff sind nicht per se präskriptiv49. Erst die entelechiale Deutung der Natur, mit der dieser Ziele oder Zwecke verliehen werden, macht die Natur zu einem Vorbild. Die Vorbildfunktion erzeugt Normativität50. Präskriptionen aus der Natur sind in der heutigen naturalistischen Ethik zwar durchaus (wieder) zu finden 51. In einer aufgeklärten Praxis drückt die Prädikation natural aber keine material-inhaltliche Wertung mehr aus52. Empirische 48 Sichtbar bei den Obrigações naturais: Art. 402 – 404 Código Civil Português (dever de justica). 49 Auch der antike Naturbegriff ist aber zunächst nur deskriptiv. Vgl. dazu O. Behrends, Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassisch-republikanischen Verfassungsdenken. In: Behrends/Sellert (Hg.), Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 9, 53. Der Mensch ist danach Person von Natur aus, nicht kraft Gewährung. Die Person ist keine Abstraktion, sondern bezeichnet den Menschen in Fleisch und Blut. Person ist der Mensch vor jeder rechtlich möglichen Differenzierung. Die deskriptive Natur der klassischen Anthropologie bewährt sich hier in der Fähigkeit, das was die Natur hervorbringt, auch in seinen Abweichungen beobachtend zu begleiten (Naturbeobachtung). 50 Zu den Gründen für eine Ethisierung des Naturbegriffs vgl. Birnbacher, ‚Natur‘ als Maßstab menschlichen Handelns, ZPhilF 45 (1991) 60 f.: „natürlich“ steht für das Selbstverständliche (überliefert, allgemeiner Brauch, herrschend und bestehend) und dient einer konservativen Rhetorik der Akzeptanz, es erweckt den Anschein von Objektivität; „natürlich“ steht ferner für das Ungekünstelte, Schlichte, Echte (Gegenbegriff zur Konvention). Natur ist das, was sich kultureller Überformung gerade entzieht, das Beharrende im historischen Wandel der Normen, Moden und Lebensstile. 51 Nach Philippa Foot, Natural Goodness, 2001, S. 33, ist das Gute des Natürlichen auf den Wert der Lebenserhaltung gerichtet. Es geht um ein teleologisches Urteil von natürlichen Eigenschaften eines Einzeldinges im Hinblick auf die Lebensform seiner Art. Daran muss sich das Rechtssystem allerdings nicht notwendig orientieren. Auch kommunitaristische Lehren, die in neoaristotelischer Weise gegen den Liberalismus argumentieren, bejahen eine natürlich soziale Zugehörigkeitspflicht des einzelnen („natural obligation to belong“) sowie eine natürlich politische Gehorsampflicht, Charles Taylor, Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie? Aufsätze zur politischen Philosophie, 2002, S. 5; ders., Wesen und Reichweite distributiver Gerechtigkeit, in: Taylor (Hg.), Negative Freiheit?, S. 176. 52 Kaser hat die Natur bereits im römischen Recht als ein bloßes Motiv der Rechtsbildung eingestuft, vgl. oben B. I. 1. d), S. 75. Kaser, Ius gentium, 1993, S. 58; Baldus, Ius gentium und ius naturale, in: Erlemann u.a. (Hg.) Neues Testament und Antike Kultur, I, 2004, S. 221, 224 f. Zum ethischen Naturalismus der Philosophie stellt Bayertz fest: Mit dem Übergang zur Moderne büßt die Idee einer teleologisch gerichteten und normativ relevanten Naturordnung an Glaubwürdigkeit ein und wird schrittweise durch ein Verständnis von Natura als einer zwar gesetzmäßig strukturierten, aber normativ neutralen Gesamtheit von Dingen und

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Daten aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben werden nur als Realien für die positivistische Rechtsbildung aufgefasst. So meint sittliche Pflicht (etwa in den §§ 534, 814 Hs. 2 BGB) eine spezielle gesellschaftliche Verhaltenserwartung, die durch den Richter festzustellen ist. Damit rekurriert das Gesetz zwar auf eine vor- oder außerrechtliche Erwartung, nicht aber auf eine naturgegebene oder apriorische Verbindlichkeit53. Die Verhaltensbindung ist mit anderen Worten nicht auf natürliche Werte oder naturrechtliche Verhaltensgebote und damit auf naturhafte Präskriptionen zurückführbar54. Die verhaltenssteuernde Wirkung der Naturalobligation ist also nicht schon ursprünglich vorhanden und geht nicht von der Natur aus. bb) Funktionale Ausrichtung einer Forderung ohne Zwang Naturalisierung einer Obligation meint die Aberkennung an sich möglicher Zwangsbefugnisse. Darin liegt ein gestalterisches Mittel des Gesetzgebers zur rechtspolitischen Steuerung bestimmter Geschäftsformen. So kann die Geschäftstätigkeit in Bereichen wie der Ehevermittlung sowie Spiel und Wette eingedämmt, kontrolliert und in begrenztem Umfang zugelassen werden. Ebenso kann die Einwirkung des Faktors Zeit auf das Forderungsrecht adäquat erfasst werden, indem der Schuldner ein Gegenrecht erhält und damit keinem Rechtszwang mehr ausgesetzt ist (Verjährung). Bei der zwangsverglichenen Insolvenzforderung geht die Gleichverteilung des vorhandenen Vermögens an alle Gläubiger dem einzelnen Gläubigerrecht vor, ohne es aufzuheben. Bei der anwaltlichen Vergütungsabrede sind die berechtigten Erwartungen des Anwalts aus einer Vergütungsvereinbarung geschützt. Der Gesetzgeber anerkennt in diesen Fällen eine Verhaltensbindung und versagt nur die Zwangsdurchsetzung. Bei den sittlichen Pflichten vollzieht der Richter den Setzungsakt. Die rechtliche Anerkennung vollzieht sich in der Form eines ausfüllungsbedürftigen objektivrechtlichen Pflichtbegriffs, der inhaltlich unbestimmt und damit ausfüllungsbedürftig bleibt. Damit gelingt die rechtliche Konkretisierung durch das Aufgreifen von Verhaltensregeln anderer gesellschaftlicher Subsysteme (Fami-

Prozessen ersetzt. Die Welt wird kontingent und der Mensch hat keinen festgelegten Ort und kein Ziel mehr. Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein? 2004, S. 42. 53 So noch Reinach, Apriorische Grundlagen des bürgerlichen Rechts, 1913 (Neudruck: Zur Phänomenologie des Rechts, 1953). Desgleichen auch nicht auf eine ontische Struktur des Wirklichen, wie sie Hans Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie, 1935 mit Verweis auf die Philosophie Hegels für das Strafrecht entwickelt. 54 H. Dreier, Die Natürlichkeit des Menschen und die Künstlichkeit des Rechts. In: Baumgartner, Böhm, Lindauer (Hg.), Streitsache Mensch: Zur Auseinandersetzung zwischen Natur und Geisteswissenschaften, 1999, S. 281, 293: Die Natur hat nicht die Funktion, dem positiven Recht einen festen Maßstab vorzugeben.

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lie, Freundeskreis, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik) 55. Die gesellschaftlichen Normen, die durch richterliche Setzung in das Rechtssystem rezipiert werden, sind Vorgegebenheiten der Rechtsbildung56. In einer neueren Diktion besitzen sie die Qualität einer Rechtstatsache (Realfaktor der Rechtsbildung) 57. Erst der richterliche Anerkennungsakt verleiht ihnen Rechtsqualität und damit auch Normativität im Rechtssinne. Die außerrechtliche Normativität ist aus der Sicht des Rechts bloße Tatsache. Nicht überzeugend ist dagegen die Annahme, der Rechtsbegriff „sittliche Pflicht“ verweise auf eine extralegale Pflicht58. Diese Einstufung bedeutet eine unklar geartete Pflicht im rechtsfreien Raum 59. Das entspricht weder der Wirkungsgeschichte des § 814 Hs. 2 BGB noch ist die Annahme einer extralegalen Ordnung theoretisch weiterführend. Keine Nachbar-

55 Zu den parallel liegenden „guten Sitten“ im Rahmen des § 138 BGB etwa Diederichsen, Beschränkung und Aufhebung der Vertragsfreiheit durch Gesetz. In: Behrends/Starck, (Hg.): Gesetz und Vertrag, Bd. II, 2005, S. 104, 118: „In der Praxis ist der Begriff „gute Sitten“ nicht dazu benutzt worden, mit juristisch unkontrollierten moralischen bzw. politischen Grundsätzen oder gar bloßen Gesinnungen die Vertragsfreiheit auszuhebeln.“ 56 So Hugo Kreß, Natürliche Grundlagen des Privatrechts, 1931 (abgedruckt bei Weitnauer/Ehmann, Die Zwecklehre, 1970, S. 32): „Die Grundsätze des Privatrechts in der Gesetzgebung sind durch die natürlichen Verhältnisse, die naturalis ratio, vorgezeichnet. Das Privatrecht wird insoweit durch die Gesetzgebung nur festgestellt, nicht eigentlich geschaffen“, denn „nach Natur und Leben“ sind die Rechtssätze gestaltet. Vgl. dazu Willoweit, Störungen sekundärer Vertragszwecke, JuS 1988, 833, 838. Die vorrechtlichen Gegebenheiten meinen hier das Zweckprinzip als anthropologische Konstante menschlichen Handelns. Die insbesondere im Bereicherungsrecht ansetzende Zwecklehre findet noch heute Anerkennung, vgl. eingehend und kritisch Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit. 2002, 42 ff. 57 Zu den „Vorgegebenheiten des Rechts“ oder „Realfaktoren der Rechtsbildung“ gehören: Naturgesetzlichkeiten, Strukturen sozialer Beziehungen, menschliche Gesellungsformen, Verhaltensspielregeln, Sitten und Gebräuche, Sachlogik und Natur der Sache, vgl. Sprenger, Rechtsgefühl ohne Recht. Anthropologische Anmerkungen. In: Dölling (Hg.), FS für Ernst-Joachim Lampe, 2003, S. 317, 336; für die moderne Rechtsmethodik Hoffmann-Riem, Sozialwissenschaftlich belebte Rechtsanwendung. In: Damm, u.a. (Hg.): FS für Thomas Raiser, 2005, S. 515, 525: „Das sprachlich vermittelte normative Regelungsprogramm ist auf ein bestimmtes Feld der Realität bezogen, … das die Norm zu bewältigen sucht. Dieser spezifische Ausschnitt … sozialer Wirklichkeit ist Bezugspunkt und zugleich konstitutiver Bestandteil der Rechtsnorm (Realbereich der Norm). Er ist für den Entscheidungskontext zu rekonstruieren. Seiner Erheblichkeit steht nicht entgegen, dass aus einem Sein kein Sollen folgt. Die vom Gesetzgeber legitimierte Sollensordnung ist selbst als Transformator zur Einbeziehung von empirischer Realität in das Normprogramm konzipiert worden. Ohne die (526) Erfassung von Realannahmen lässt es sich regelhaft weder verstehen noch zu der vom Gesetzgeber beabsichtigten Problemlösung einsetzen.“ Überträgt man diese Grundsätze auf die „sittliche Pflicht“, so wird die gesellschaftlich entstandene Verhaltensanforderung, d.h. die außerrechtliche Norm, als Tatsache des Realbereichs erfasst und erhält als „sittliche Pflicht“ etwa im Sinne des § 814 Hs. 2 BGB gesetzliche Normativität verliehen. 58 Larenz, Schuldrecht AT, Band I, 14. Aufl. 1987, § 2 III, S. 21. 59 Vgl. dazu nachfolgend unter 4. a), S. 279 f.

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wissenschaft vermag über sittliche Pflichten in der für die Rechtsordnung praktisch verwertbaren Weise Auskunft zu geben. Es ist das Recht, welches angibt, was unter „sittlichen Pflichten“ im Rechtssinne zu verstehen ist. Auch gilt einer positivistischen Rechtswissenschaft die Frage nach der Verbindlichkeit einer Norm als eine Frage nach der Setzung des Rechts und das meint die Ermächtigung zur Verhängung von Sanktionen im weiteren Sinne 60. Die sittliche Pflicht wird als eine Tatsache aufgegriffen und mit bestimmten Rechtsfolgen versehen und damit in eine Rechtspflicht umgewandelt. cc) Die reduktive Bedeutung von „natural“ Das Prädikat natural legt eine auf sich selbst verweisende Betrachtung des Forderungsbegriffs nahe. Eine Orientierung an den im BGB verwendeten Sprachbildern bei der Verwendung des Attributs „natural“ zeigt, dass natural auch sonst nicht normativ verstanden wird. Ebenso wie bei der Naturalkomputation61, der Naturalrestitution, der natürlichen Person oder dem natürlichen Besitz meint „natural“ keine Herleitung der Normativität aus einem Naturgeschehen. Die Naturbestimmung ist andererseits aber auch nicht auf körperliche Gegenstände oder Sinnendinge beschränkt, sondern umfasst auch Sachverhalte, die aufgrund ihrer Substantialisierung als Subjekte von Aussagen fungieren62. Bezogen auf den Forderungsbegriff verweist natural daher reduktiv auf die notwendigen und untrennbaren Eigenschaften der obligatorische Pflicht. Gemeint ist die Natur der Forderung (Obligation) im Sinne ihrer Eigenschaften, ihrer gedanklichen Konstruktion und Funktionsweise63. Die reduktive Sicht durch die Attribution „natural“ kennzeichnet die 60

Stanley L. Paulson, Der Normativismus Hans Kelsens, JZ 2006, 529, 535. Zur Berechnung von Fristen wird zwischen der Naturalkomputation und der Zivilkomputation unterschieden. Bei der Naturalkomputation wird „a momento ad momentum“ gerechnet, während bei der Zivilkomputation nur in ganzen Tagen zu rechnen ist. Ersteres kommt bei einer Fristsetzung nach Stunden in Betracht (§ 222 Abs. 3 ZPO), während letztere Berechnungsart die Grundregel nach den §§ 187 ff. BGB wiedergibt, vgl. HKK/Hermann, BGB, Band I, 2003, §§ 186 – 193 Rn. 7 ff. 62 Miaofen Chen, Zum Begriff der Natur der Sache. Von Ralf Dreiers Begriffsanalyse zu Philippa Foots Normbegründung. In: Alexy (Hg.): Integratives Verstehen. Zur Rechtsphilosophie Ralf Dreiers, 2005, S. 63, 64. 63 Wie Miaofen Chen zu der juristischen Argumentationsfigur ‚Natur der Sache‘ betont, liegt das Problem, wie wir die Sache – hier also Obligation, Forderung und Verbindlichkeit – denken darin, welche Eigenschaften wir der Sache zuschreiben. Nicht das Wort „Natur“, sondern die Beziehungen zwischen der Sache und allen ihren substantiellen Eigenschaften beschäftige uns. Insofern seien die beiden Bestandteile Natur und Sache aufeinander bezogen. Miaofen Chen, vorherige Fn., 2005, S. 63, 65. Das Wort „Natur“ kann damit erst in Verbindung mit der jeweils von ihm betroffenen und beschriebenen Eigenschaften der Obligation bestimmt werden. Es sei wichtig, so fährt Chen fort, hier einen Perspektivenwechsel von der „Natur“ auf die „Sache“ als den eigentlichen Gegenstand der Erkenntnis und die Verbindung zwischen beiden zu betrachten. Natur der Sache werde dann im Sinne einer spezifischen 61

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fehlenden rechtlichen Zwangsmittel64. Dogmatisch erfordert dies den Nachweis, dass eine Forderung auch ohne Zwangsmittel noch als Forderung bezeichnet werden kann. Die reduktive Form der naturalen Forderung zwingt daher zu einer Betrachtung des Forderungsbegriffs selbst. Das Merkmal natural verweist auf das obligatorische Rechtsverhältnis, welches ohne Zwangsbewehrung gleichsam aus sich selbst heraus wirkt. So gesehen „steckt“ in jeder zwangsweise durchsetzbaren Forderung immer auch eine naturale Forderung. Die Gleichstellung von Zivil- und Naturalobligation folgt hier aus der kongruenten Struktur des gemeinsam zugrundeliegenden Forderungsbegriffs im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB. Die Gegenüberstellung von Zivil- und Naturalobligation muss damit nicht notwendig auf die Dichotomie vom Handeln aus Einsicht und Handeln aus Zwang hinauslaufen. Auch gesellschaftlicher Zwang besitzt maßgeblichen Einfluss auf die Stabilisierung und Generalisierung einer Verhaltenserwartung65. Rechtlich nicht kontrollierte (außerrechtliche) Zwangsformen werden im Rechtssystem nicht erfasst, obgleich sie für die Pflichtbefolgung von entscheidender Bedeutung sein können. Ferner besitzt das hier anerkannte Einforderungsrecht insofern Zwangswirkung, als bereits die Geltendmachung des Anspruchs als Rechtsbehauptung und die Aufforderung und das Erinnern an die Leistungspflicht (Mahnung66) eine erhebliche Drucksituation für den Schuldner bedeuten können67.

Beschaffenheit verstanden, d.h. als die Gesamtheit von allen substantiellen Eigenschaften der jeweiligen Sache. (Ebd. S. 66). Als „natürliche Eigenschaften“ kommen danach die mit der spezifischen Beschaffenheit einer Sache untrennbaren Eigenschaften in Betracht (Ebd. S. 68). 64 Dabei ist zuzugeben, dass auch das Attribut „unvollkommen“ eine solche Bedeutung zulässt und dies in der Scholastik etwa bei Duns Scotus auch besaß: Die notwendige Grenze, die nur unter Aufhebung seines Begriffs überschritten werden kann. Siehe dazu oben S. 240 Fn. 31. 65 Luhmann, Die Rückgabe des zwölften Kamels. Zum Sinn einer soziologischen Analyse des Rechts. ZRSoz 21 (2000) 3, 50. Gemeint ist die Funktion des Rechts als Ordnungsgarant, vgl. Niklas Luhmann und die Rechtssoziologie. Gespräch mit N.L., Bielefeld, den 7. Januar 1991. ZRSoz 21 (2000) 217, 218 (Recht ist etwas, auf das man sich dann, wenn es funktioniert, verlassen kann). 66 Der Gläubiger kann anders als bei der Zivilobligation grundsätzlich keine zwangsrechtlichen Folgen androhen. Auch § 286 BGB ist zwar anwendbar, die daraus entstehenden Sekundärrechte sind aber gleichfalls nicht durchsetzbar. Im gegenseitigen Vertrag kommen dagegen Rücktritt und damit auch die entsprechende Rücktrittsdrohung in Betracht (§§ 323, 326 Abs. 5 BGB). Vgl. oben C. I. 2. d), S. 248. 67 Wie § 283 BGB (a.F.) zeigt, kann der Gläubiger den Schuldner grundsätzlich in allen Stadien der Rechtsbeziehung zur Leistung anhalten, bis das Schuldverhältnis durch Erfüllung erlischt. Auf die Androhung und Durchsetzung mit Vollstreckungsmaßnahmen kommt es nicht notwendig an, vgl. Edenfeld, Der Schuldner am Pranger – Grenzen zivilrechtlicher Schuldbeitreibung, JZ 2002, 645, 647.

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c) Anschlussfähigkeit des Begriffs Naturalobligation Wie der rechtsvergleichende Blick zeigt, ist der Terminus Naturalobligation auch europaweit anschlussfähig und damit in eine europäische Privatrechtslehre integrierbar. Das rechtfertigt seine „Wiederbelebung“ als rechtstechnischen Begriff und privilegiert ihn auch gegenüber der deutschen Übersetzung „natürliche Verbindlichkeit“. Die Orientierung an ein Subjektives oder an ein Objektives System bleibt jeweils möglich68. Die auch hier befürwortete objektivrechtliche Behandlung der Naturalobligation ist im Hinblick auf die deutsche Rechtslage vorgegeben, aber praktisch nicht mehr als eine gesetzgeberische Gestaltungsfrage.

4. Naturalobligation und Naturalismus a) Begriffsjurisprudenz und rechtsfreier Raum Wie einleitend erwähnt, kann über Begriffe und ihre Bedeutung seit Wittgenstein nur noch in der Weise gesprochen werden, als es um ihren Gebrauch in der Sprache geht. Es gibt in den Geisteswissenschaften keine andere Quelle des begrifflichen Seins als ihre Sprachverwendung69. Das gilt auch für die Naturalobligation. Gleichwohl ist mit der in Teil B dargelegten Gebrauchs- und Bedeutungsgeschichte des Begriffs der Schlusspunkt nicht erreicht. Soweit es um die Wortbedeutung von „Naturalobligation“ geht, ist ebenso einzuräumen wie zu beachten, dass es sich um ein Interpretationskonstrukt handelt70, dessen Verwendung vorgeschlagen und empfohlen, aber nicht bewiesen werden kann. Auseinandersetzungen um ‚die‘ Naturalobligation sind dagegen bis heute geprägt von einer seinshaften Vorstellung, wonach diese Pflichten in rechtsfreien Räumen eine Existenz zu besitzen scheinen. Manchot beschreibt § 814 Hs. 2 BGB entsprechend als ein Tor zum rechtsfreien Raum, in dem Naturalobligationen in Gestalt „sittlicher Pflichten“ vorgefunden werden 71. Sie knüpft

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Vgl. dazu oben B. II. S. 206 ff. Rorty, Gefangen zwischen Kant und Dewey. Die gegenwärtige Lage der Moralphilosophie. DZPhil 49 (2001) 179, 190 f.: Wittgensteinleser behandeln „unseren Begriff von x“ synonym mit „unsere Verwendung des Wortes x“. Die Frage geht daher immer auf den historischen Hintergrund und daher immer auf Erfahrung und die Personen zurück, die sie verwendet haben. Es gibt keine andere Quelle des begrifflichen Seins als ihre Sprachverwendung. 70 Lenk, Interpretationskonstrukte, 1993, 351; Grasnick, Argumentation versus Interpretation, JZ 2004, 232, 234. 71 Manchot, Die sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Alt. 2 BGB – ein Tor zum rechtsfreien Raum? 2002, S. 221. Nach Auffassung der Verfasserin ist die Zuordnung der sittlichen Pflicht zum rechtsfreien Raum zu verneinen. 69

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dabei an Larenz an, der Gewissenspflichten, soweit diese die Sozialsphäre nicht berühren, in den rechtsfreien Raum fallen sah72. Damit kann aber nur soviel gemeint sein, als insoweit eine (gewollte) Lücke im gesetzlichen System besteht 73. Für die dogmatische Erschließung ist diese Sicht insofern unergiebig, als sie den analytisch-rechtlichen Zugriff durch die Metapher vom „rechtsfreien Raum“ verstellt. Damit wird etwas „Vorgegebenes“ angenommen, was doch erst richterlich festgestellt und rechtlich erarbeitet werden muss. Die Rede vom rechtsfreien Raum74, der ohnehin stets nur von seinen Rändern her verstanden werden kann75, führt nicht weiter76.

b) Naturrecht und Naturalismus Mit der dargestellten Gebrauchs- und Bedeutungsgeschichte des Begriffs Naturalobligation wurden geistesgeschichtliche Vorstellungen berührt, die vom Naturrecht ausgehen, das heute überwunden gilt. Das Attribut „natural“ lässt mehrere Deutungen zu. Naturalist ist nach Grimms Wörterbuch (1889) aus dem Französischen übernommen (naturaliste) und bezeichnet einen, der eine Kunst nicht schulgemäß, sondern nach seiner natürlichen Anlage betreibt77. Der Rekurs auf natürliche Anlagen ohne kulturelle Überformung führt die geistesgeschichtliche Einordnung zu Deutungen unter dem Oberbegriff Naturalismus78. Der für das Recht bedeutsame ethische Naturalismus sieht das „sitt72 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 370; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1996, S. 192; ebenso Kraft, Rechtspflicht und Gewissenspflicht, AcP 1963, S. 472, 479. 73 Jayme, Die Familie im Recht der unerlaubten Handlungen, 1971, S. 143, der den Begriff der „sittlichen Pflicht“ oder „das sittliche Wesen der Ehe“ ebenfalls als rechtsfreien Raum deutet, unter einem solchen aber lediglich eine gesetzliche Lücke versteht. 74 Zum Vorstellungsbild des (rechtsfreien) Raumes im Sinne eines Bereichs normativer Freiheit, Comes, Der rechtsfreie Raum, Zur Frage der normativen Grenzen des Rechts, 1976, S. 21 f.; zuletzt Schwöbermeyer, Rechtsgewinnung im gesetzlich ungeregelten Raum, 2003, S. 11. 75 Kurt Tucholsky, Zur soziologischen Psychologie der Löcher (1931), in: Mary GeroldTucholsky/Fritz Raddatz (Hg.), Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, 1961, S. 805: „Das merkwürdige an einem Loch ist der Rand.“ 76 Zutreffend J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘, in: Martinek, u.a. (Hg.), FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 409: Das Subsystem Recht verhandelt nicht nur den streitigen Teil eines gesellschaftlichen Vorgangs, sondern repräsentiert die Gesellschaft in rechtlicher Perspektive total. Einen rechtsfreien Raum gibt es nicht. 77 V. Lexer, Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 7, 1889, Sp. 441 f.: „der eine kunst oder wissenschaft nicht kunst und schulgemäsz, sondern blosz nach natürlicher Anlage betreibt: ein naturalist im fechten, tanzen ..“ 78 Naturalismus kann seit dem 17. Jahrhundert jede Lehre heißen, die in irgendeiner Form die Natur zum Grund und zur Norm aller Erscheinungen, auch in der Geschichte, Kultur, Moral und Kunst, erklärt. Je nach der dominierenden Bedeutungsnuance des Wortes Natur ergeben sich verschiedene Varianten des Naturalismus, die zumeist nicht genau definiert,

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liche Leben“ entsprechend als eine bloße Überhöhung des biologischen Lebens. Die anthropologische Kategorie der Geistes- und Vernunftwesen wird abgelehnt. Der Mensch solle so handeln, dass er seine natürlichen Anlagen voll entfalte und verwirkliche. Die Ethik soll entsprechend in das Ganze der wissenschaftlichen Erkenntnis eingebaut werden. Ethische Prädikate werden hier auf objektiv verifizierbare Prädikate zurückgeführt79. Unter dem Gesichtspunkt eines attributiven Naturalismus erscheint in der zeitgenössischen Rechtsphilosophie auch eine Anknüpfung an Adolf Reinachs apriorische Grundlagen des bürgerlichen Rechts80 möglich. Die Zivilobligation wäre danach als die kulturell überformte Hülle der Naturalobligation zu verstehen. Letztere müsste als ursprünglich und vorgegeben eingestuft werden. Eine gleichsam kontemplativ gewonnene phänomenologische Grundstruktur der obligatorischen Pflicht ist rechtsphilosophisch anspruchsvoll. Sie bleibt aber im Kern thetisch, weil sie letztlich keine überzeugenden Gründe für ihre Anschauungsgewissheit liefern kann. Das Naturale der Naturalobligation ließe sich ferner mit Hans Welzels ontischer Struktur des Wirklichen81 auf eine Pflichtstruktur aus einer extralegalen Wirklichkeit (Sozialität und Gesellschaft) zurückführen. Diese hegelianische Grundposition führt zu einer rechtsphilosophischen Ganzheitsbetrachtung, die hier nicht verfolgt werden kann und muss. Naturale Pflichten lassen sich auch als eine natürliche soziale Zugehörigkeitspflicht des einzelnen verstehen („natural obligation to belong“82). Eine natürliche politische Gehorsampflicht ist ein gesellschaftspolitisches Thema. Ein kommunitaristischer Standpunkt bezieht so in neoaristotelischer Weise Position gegen den Liberalismus83. Derartige Grundsatzüberlegungen führen zu der rechtsphilosophischen Vorstellung eines rechtlichen Naturalismus. Der rechtsethische Naturalismus im engeren und eigentlichen Sinne beginnt bei den Naturzuständen des Rechts. Sie wurden im Naturrechtskapitel (B. I. 3.) unter

sondern nur vage umschrieben sind. G. Gawlick, Naturalismus, in: Ritter, Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6: Mo – O. 1984, Sp. 517. 79 Seit G.E.Moore diese Ableitung als naturalistischen Fehlschluss bezeichnete, ist eine lebhafte Diskussion hierüber entstanden. G. Gawlick, (vorherige Fn.). Sp. 518. 80 Reinach, Apriorische Grundlagen des bürgerlichen Rechts, 1913, Neudruck: Zur Phänomenologie des Rechts, 1953. Die Naturalobligation wird von Reinach aber nicht behandelt, sondern Versprechen und Vertrag. 81 Naturalismus und Wertphilosophie, 1967. 82 Charles Taylor, Ursprünge des neuzeitlichen Selbst, in: ders., Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie?, Ges. Aufsätze, 2002, S. 271, 279 (Solidarität und wechselseitiges Engagement), W. Kersting, Liberalismus, Kommunitarismus, Republikanismus, in: Apel/ Kettner (Hg.), Zur Anwendung der Diskursethik in Politik, Recht und Wissenschaft, 1992, S. 127, 143; siehe oben bei Fn. 51. 83 Das kann hier nur angedeutet werden. Zu den Grundpositionen vgl. Brugger, Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus, 1999.

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dem historischen Gesichtspunkt eines natürlichen Privatrechts beschrieben. Diese Überlegungen sollen hier aufgegriffen und fortgeführt werden. Sie münden in einer rationalen Handlungstheorie. aa) Naturalobligation und Naturzustände des Rechts Naturzustandsvorstellungen haben die Funktion, Bindungstatbestände zu erklären und sie auf die Natur oder auf natürliche Eigenschaften des Menschen zurückzuführen. Ausgangspunkt einer ersten Lehre ist die vom Logos durchwirkte stoisch-ideale Natur. Sie verlangt ein Leben nach der Natur, um ihrer selbst Herr zu werden84. Durch Selbstbeherrschung, Unterdrückung der Begierden, Unempfindlichkeit gegen Schicksalsschläge und in der Todesbereitschaft gewinnt der Mensch Freiheit nach dem Gesetz der Natur85. In dem Gebot, den Gesetzen der inneren Natur zu folgen, liegen ebenso die philosophischen Grundlagen für die Vorstellung vom „Gentleman“86. Im sog. Gentlemen’s Agreement kehren diese Gedanken heute wieder87. Eine zweite wirkungsmächtige Vorstellung eines Naturzustandes besteht im Bild einer gewalttätigen Natur bei Thomas Hobbes88. Mit dem natürlichen Recht des Stärkeren89 und dem Grundsatz auctoritas non veritas facit legem90 lässt sich aber bereits an der Annahme natürlicher Rechte und Pflichten zweifeln. Im Naturzustand besitzt 84 Im Einklang mit der vernünftigen Natur leben (secundum naturam vivere). Seneca zieht in den Quaestiones naturales die Synthese aus Natur und Ethik, vgl. Huwiler, Homo et res. Skizzen zur hellenistischen Theorie der Sklaverei und deren Einfluss auf das römische Recht. In: Ankum/Feenstra u.a. (Hg.), Mélanges Felix Wubbe, Fribourg Suisse, 1993, S. 207, 212. 85 Kullmann, Antike Vorstufen des modernen Begriffs des Naturgesetzes. In: Behrends/ Sellert (Hg.): Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, 1995, S. 36, 75. 86 Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. 1978, S. 465. Zu den Wandlungen innerhalb stoischen Denkens bis zum angelsächsischen Erziehungsideal des Gentleman. 87 Zu einem dogmatischen Verständnis des Gentlemen’s Agreement, siehe C. V. 4. S. 593 ff. 88 Thomas Hobbes, Leviathan, R. Tuck (Hg.), Cambridge 1996, Kap. 14, S. 91. 89 Das natürliche Recht des Stärkeren hat seinen Ursprung bereits in der griechischen Geschichte, und zwar den Aufzeichnungen des Thukydides im Melier Dialog V. 84 – 114, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, übers. u. hg. von Georg Peter Landmann (Griechische Literatur Band 3), 1965, S. 249–255. Athen belagert die Insel Melos und möchte die Einwohner zur freiwilligen Aufgabe bewegen: (V. 105) „Wir glauben nämlich, vermutungsweise, daß das Göttliche, ganz gewiß aber, daß alles Menschenwesen allezeit nach dem Zwang seiner Natur, soweit es Macht hat, herrscht. Wir haben dies Gesetz weder gegeben noch ein vorgegebenes zuerst befolgt, als gültig überkamen wir es, und zu ewiger Geltung werden wir es hinterlassen, und wenn wir uns daran halten, so wissen wir, daß auch ihr und jeder, der zur selben Macht wie wir gelangt, ebenso handeln würde“. 90 Zu diesem auf Hobbes, Leviathan, Hg. v. R. Tuck, Cambridge 1996, Kap. 26, S. 188 zurückgehenden Grundsatz vgl. G. Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, S. 80 f.

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nach Hobbes jeder die Freiheit, zu tun was er will, d.h. er ist niemandem verpflichtet. Darin sieht Hobbes ein „natural right“91. Die Freiheit erscheint also nicht eingeschränkt durch die natürlichen Rechte der anderen. Ein Rechtsträger aber, der von niemandem fordern kann, seine Freiheit nicht zu behindern, ist kein Rechtsträger 92. Die dritte, auf John Locke 93 zurückgehende Vorstellung legt der Natur soziale Vergesellschaftungsformen zu Grunde. Friedliche aber triebhaft gesellige Menschen schaffen ein natürliches Privatrecht auf vertraglicher Grundlage. Ein solches natürliches Privatrecht postuliert die bindende Kraft von menschlichen Handlungen und Verträgen unabhängig von einem Gesetzgeber. Das bekannteste Beispiel dürfte Kants Privatrecht im natürlichen Zustand sein, welchem er den bürgerlichen Zustand gegenüberstellt94. Die Naturzustandsvorstellungen sind mit der Kritik an dem naturrechtlichen Denken spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgegeben worden95. An die Stelle von Naturzustandsvorstellungen sind im neuzeitlichen Naturalismus empirisch beobachtbare Vorgänge und Verhaltensweisen getreten96. Sie führen zu einem rechtsethischen Naturalismus. bb) Rechtsethischer Naturalismus und rationale Handlungstheorie In einem rechtsethischen Naturalismus heutigen Zuschnitts reicht das Spektrum von soziobiologischen Verhaltensmustern97 über neurobiologische Grundlagendiskussionen98 bis zu psychosozialen Imaginationen natürlich ge91

R. Tuck, Natural Rights Theories, Cambridge 1979, S. 61. So der Einwand von R. Tuck, Natural Rights Theories, Cambridge 1979, S. 159 ff.; ebenso P. Stemmer, Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung. 2000, S. 78 f. 93 Dargestellt bei Leo Strauss, Naturrecht und Geschichte, 1989, S. 294 ff. 94 Vgl. näher oben B.I.3. b) aa), S. 99 ff. 95 Klippel, Das „natürliche Privatrecht“ im 19. Jahrhundert, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit, 1997, S. 221, 248 ff. 96 Der moderne Naturalismus beruft sich nicht mehr auf Gott oder die Natur. Er ist skeptisch, weil er um die Unterbestimmtheit unserer physikalischen Theorien weis, vgl. Bernecker, Skeptizismus, Naturalismus und Quine, PhilJhrb 110 (2003) 46, 51; zum Begriff Naturalismus oben S. 248 Fn. 56. und Birnbacher, ‚Natur‘ als Maßstab menschlichen Handelns, ZPhilF 45 (1991) 60–76. 97 Mohr, Sippenmoral und Gesetz – Lehren aus der Evolutionären Ethik, in: Baumgartner, u.a. (Hg.), Streitsache Mensch: Zur Auseinandersetzung zwischen Natur und Geisteswissenschaften, 1999, S. 177, 178: Moralen des sozietären Kooperationsverhalten am Beispiel von Schimpansensozietäten. Nur biologische Wurzeln des Rechtssystems in archaischen oder Segmentierungsgesellschaften anerkennt H. Dreier, Die Natürlichkeit des Menschen und die Künstlichkeit des Rechts, ebd., S. 281, Diskussionsbericht S. 310. 98 G. Roth, Willensfreiheit, Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomie des Menschen aus Sicht der Hirnforschung, in: FS Ernst-Joachim Lampe (2003) 43, 57: „Das Gefühl der Autonomie ist eine Illusion. Vieles spricht dafür, dass die von uns empfundene Verantwortlichkeit für das eigene Tun ein soziales Konstrukt ist“; M. Hochhuth, Die Bedeutung der neuen Willensfreiheitsdebatte für das Recht: JZ 2005, 745, 748 ff., sieht die Vorstellung eines natür92

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sellschaftlicher Verhaltensbindungen99. Im Zentrum aber steht ein ethischer Rationalismus, der nach guten Handlungsgründen der Akteure innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft fragt100. Alle naturalistischen Strömungen werden neuerdings mit den in stofflicher Natur entdeckten Gesetzmäßigkeiten des lokalen Stoffwechselverbrauchs im Gehirn konfrontiert. In ihrem naturalistischen Grundansatz werden sie dadurch bestärkt, in ihren idealisierenden Annahmen dagegen in Frage gestellt101. Aus den philosophischen Grundlagen eines ethischen Naturalismus lassen sich für die privatrechtlichen Recht-Pflicht-Verhältnisse und für eine Analyse der Rechtsfigur Naturalobligation keine direkten Schlussfolgerungen ziehen. Immerhin können rationalistische Annahmen auch für eine naturalistische Modellvorstellung der obligatorischen Pflicht nutzbar gemacht werden. Zu diesem Zweck knüpfe ich an den ethischen Rationalismus an, der in dieser Ausprägung in einen rechtstheoretischen Naturalismus mündet. Dieser Rechtsrationalismus102 beruht auf den Grundsätzen kommunikativen Handelns, wie er namentlich von Jürgen Habermas in einem allgemein philosophischen Kontext entwickelt wurde. Er baut auf Vernunftgründen auf und will zugleich eine Naturalisierung des Normativen leisten103. lichen und freien Willens bezogen auf das gesetzliche Konzept der strafrechtlichen Schuld (§§ 19–21 StGB) eher gestärkt, a.a.O. 753 und passim. 99 Zu den „Mechanismen der Rechtsbefolgung“ Fisahn, Effizienz des Rechts und soziale Praxis, Rechtstheorie 2003, S. 269, 271 ff. 100 Czaniera, Vernünftige Normen statt moralischer Fakten, in: Lütge/Vollmer (Hg.): Fakten statt Normen? Zur Rolle einzelwissenschaftlicher Argumente in einer naturalistischen Ethik, 2004, S. 28–42. Repräsentativ für einen naturalistischen Rationalismus seien ferner genannt, Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 169, 674; ders., Die Einbeziehung des Anderen, 1999, S. 251; ders., Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft, in: ders. (Hg.), Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27–83; Brandom, Objektivität und die normative Feinstruktur der Rationalität, in: Wingert (Hg.), FS für Jürgen Habermas, 2001, S. 126 – 150; Putnam, Werte und Normen, in: ebd., S. 280–313, NidaRümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind. ARSP 2004, 498–515, Baumann, Erkenntnistheorie. Lehrbuch der Philosophie, 2002, S. 185; Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein? 2004. 101 Entsprechend naturalistische Vorstellungen beruhend auf neurobiologischen Erkenntnissen etwa bei Searle, Willensfreiheit als Problem in der Neurobiologie, in: ders., Freiheit und Neurobiologie, 2004, S. 11 – 62. 102 Als Vertreter eines solchen rationalistisch-naturalistischen Ansatzes im Zivilrecht lässt sich Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 14 nennen, der von einer widerleglichen Vermutung für die Rationalität menschlichen Verhaltens ausgeht, das er sodann handlungstheoretisch für den Freiwilligkeitsbegriff im Zivilrecht analysiert. Hilgendorf, Tatsachenfragen und Wertungsfragen: Bausteine zu einer naturalistischen Jurisprudenz. In: Lütge/Vollmer (Hg.), Fakten statt Normen?, 2004, S. 91 geht mit Blick auf das Strafrecht davon aus, dass der moderne Naturalismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der deutschen Jurisprudenz nicht rezipiert worden sei. 103 H. Dreier, Rechtsdeutung zwischen Normativierung der Natur und Naturalisierung des Normativen am Beispiel von Kelsens Rechtsbegriff, in: Jabloner/Stadler (Hg.), Logischer Empirismus und Reine Rechtslehre, 2001, S. 291, 296.

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Die naturalistisch betrachtete Obligation steht in einer Kommunikationsgemeinschaft unter dem Zwang der Selbstbegründung. Es bedarf eines praxistauglichen Erklärungsmodells, das ohne vorgesellschaftliche Gewissheiten auskommt, das aber rationale Handlungsgründe der Akteure unterstellt104. Die Annahme von Rationalität besagt, dass ein intentional handelndes Subjekt in der Lage ist, unter geeigneten Umständen einen mehr oder weniger plausiblen Grund anzugeben, aus dem er sich so und nicht anders verhalten hat105. Die Grundlage bildet daher eine rationalistische Handlungstheorie106, die das Handeln aus Gründen erklärt. Gründe sind die Ursachen einer Überzeugung, auf die eine rationale Person ihre Handlungsentscheidungen stützt107. Gründe und der Austausch von Gründen bilden den logischen Raum für die Ausbildung des freien Willens. Gute Gründe nötigen zur Einsicht. Sie zwingen aber nicht im Sinne einer Freiheitsbeschränkung, sondern erlangen handlungsmotivierende Kraft nur dadurch, dass sie in praktischen Abwägungsprozessen für eine entscheidungsreife Handlungsalternative den Ausschlag geben. Ihre ursächliche Wirksamkeit erlangen sie nicht nach den Gesetzen der Natur, sondern nach grammatischen Regeln108. Die rechtliche Forderung besitzt eine auch dogmatisch bislang weithin unbeachtet gebliebene primäre Kommunikationsfunktion, die bei der Naturalobligation eigenständig hervortritt109. Die Anerkennungshandlung, die die obligatorische Leistungspflicht begründet, wird zum handlungsleitenden Grund der Erfüllungsentscheidung110. Mit ihr begründet die Person die an sie gerich104 Für Bonacker, Die Unvollkommenheit des Rechts. Was kann die soziologische Rechtstheorie von der Dekonstruktion lernen? ZRSoz 22 (2001) 259, 262 ist dies Möglichkeitsbedingung des Rechts: „Die einzige Gewissheit besteht darin, dass es Gründe gibt, die nicht bezweifelbar sind und folglich als Legitimationsgrundlage des Rechts gelten können, ohne dass sie deshalb vom Recht selbst erzeugt wären.“ 105 Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27, 40. 106 Zu den Regeln einer rationalen Handlungstheorie vgl. Baumann, Erkenntnistheorie. Lehrbuch der Philosophie, 2002, S. 185 ff.; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 63 ff. 107 Baumann, Erkenntnistheorie. Lehrbuch der Philosophie. 2002, S. 188. 108 Logisch-semantische Verknüpfungen von Aussagen, Habermas, „Ich selbst bin ja ein Stück Natur“ – Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft, in: Honneth (Hg.), Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003, 2005, S. 13, 22. 109 In der Aufgabe des Rechts, Kommunikationen zu ermöglichen und gleichzeitig Frieden zu wahren, zeigt sich auch eine begründungsbedürftige Überschneidung der Grenzlinie von Moral und Recht. Roellecke, Religion, Moral und Rechtsstruktur. Zur Frage nach der Richtigkeit des Rechts. In: Atienza u.a. (Hg.), FS für Werner Krawietz, 2003, S. 63, 64. 110 Handlungsleitend werden Gründe, wenn sie von einem Akteur akzeptiert werden. Einen Grund akzeptieren heißt, ihn mit motivierender Kraft ausstatten. Akzeptierten Gründen entsprechen daher motivierende Absichten. Sie steuern die Absichten und kontrollieren Entscheidungsprozesse und damit Handlungen. Das Zueigenmachen von Gründen ist das Ergebnis praktischer Deliberation (d.h. sie erfolgen aus Einsicht, phronesis), Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 2004, S. 498, 503.

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C. Systematischer Teil

tete Leistungsanforderung111. Die Leistungsanforderung geht von einer anderen Person in der Form eines Befehls aus. Mit der Anerkennung der Leistungsanforderung wird der Anerkennende zum Schuldner und der Befehlsgeber zum Gläubiger im Rechtssinne112. In einem rechtsgeschäftlichen Verpflichtungsgeschehen wird das Versprechen durch eine Anerkennungshandlung gegeben. Das Versprechen bildet zugleich den maßgeblichen Handlungsgrund, es zu halten113.

111 Diese These baut auf verschiedentlich formulierten handlungstheoretischen und rationalistischen Pflichtbegründungsmodellen auf, die nach einem Handlungsgrund Ausschau halten, der je andere Handlungsgründe wirksam unterdrücken kann und dadurch Pflicht und Bindung erklärt. Raz verlangt „content-independent-reasons“, das sind Handlungsgründe, aus denen sich die Verbindlichkeit einer Handlung ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung oder ihre Effekte ergibt. Krit. Markwick, Law and Content-Independent-Reasons, Oxford Journal of Legal Studies 20 (2000) 579, 581. Diesem Ansatz folgt etwa Somek, Ermächtigung und Verpflichtung, in: Paulson/Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 58, 60 und bejaht hierzu den bloßen Handlungsbefehl („weil es jemand anderer angeordnet hat). 112 Dieses Handlungsmodell entspricht dem historischen Vorbild der römisch-rechtlichen stipulatio, bei der die verpflichtende Wirkung entsprechend durch ein Antwortverhalten erzeugt wird. Näher C. III. 1. c) dd), S. 372 ff. 113 Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 2004, 498, 502: Unter Normalbedingungen ist der gute Grund, ein Versprechen zu halten, das Versprechen selbst (ipso facto) und nicht die negativen Folgen des Versprechensbruchs; ebenso Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 14.

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III. Rechtstheoretische Grundlagen Die Einstufung der Naturalobligation als Rechtsfigur auf der Ebene des Schuldverhältnisses im engeren Sinne (Forderung, Verbindlichkeit) ist mit rechtstheoretischen Annahmen verknüpft. Behauptet wird eine Leistungspflicht ohne Erfüllungszwang, die neben der erzwingbaren Leistungspflicht (Zivilobligation) steht. Die Untersuchung setzt bei der Frage nach der Entstehung und Funktionsweise einer Leistungspflicht an (1). Sodann ist die Pflichtstruktur aus dem obligatorischen Recht gegenüber außerrechtlichen (sozialen und moralischen) Pflichten zu klären (2.). Schließlich steht die Funktion der Zwangsbefugnisse zur Diskussion (3). Dabei geht es um die rechtstheoretische Kardinalfrage, ob die Leistungspflicht vom Durchsetzungszwang isoliert werden kann. Schließlich ist der Sinn einer solchen Differenzierung zu beleuchten.

1. Entstehung und Funktionsweise der obligatorischen Leistungsverpflichtung Der zivilrechtliche Begriff der Rechtspflicht meint zunächst ganz allgemein ein rechtliches Sollen. An den Adressaten werden Gebote oder Verbote gerichtet, um ihn zu einer bestimmten Handlungsweise zu bewegen. Die „Pflicht“ lässt sich entsprechend auch als Bindung beschreiben, und zwar als eine dem Adressaten „im [auch-] fremden Interesse auferlegte Bindung an ein gesetz- oder vertragsmäßiges Verhalten“1. In einem umfassenderen Verständnis bedeutet Rechtspflicht das Gehaltensein, niemanden zu verletzen, die Gesetze zu achten und übernommene Verpflichtungen auszuführen. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Pflichtigen ist eingeschränkt. Ihm werden Grenzen gesetzt, innerhalb derer seine Handlungen als pflichtgemäß zu betrachten sind. In den Grenzen ist er frei. Überschreitet er die Grenzen, verletzt er die Pflicht. Der Pflichtbegriff knüpft damit an einen dem Adressaten gestellten Verhaltensspielraum und Verhaltensmaßstab an 2. 1 Dubischar, Grundbegriffe des Rechts, 1968, § 16, S. 48; ähnlich Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 12 II, S. 202 f. 2 Anders, Die Pflichtverletzung im System des Leistungsstörungsrechts als Modell de lege ferenda. Eine systematische Darstellung, untersetzt durch alternative Vorschläge unter besonderer Berücksichtigung kaufrechtlicher Bestimmungen, 2001, S. 150 f.

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C. Systematischer Teil

Von der Rechtspflicht in einem allgemeinen Sinne ist die spezielle Form einer obligatorischen Rechtspflicht, die Leistungspflicht, zu unterscheiden. Die obligatorische Rechtsbindung wird im Schrifttum kaum je auf der Abstraktionsebene des Schuldverhältnisses erörtert (§ 241 Abs. 1 BGB)3. Die Frage nach der Bindungswirkung lässt sich dem spezielleren Vertragsrecht (Vertrags- und Versprechenstheorien) oder den allgemeinen Lehren von Rechtsgeschäft und Willenserklärung zuordnen. Die Pflichtbindung der vertragsbegründenden Willenserklärung gehört in das Vertragsrecht4 oder ist im Rahmen der generellen, die Herbeiführung oder die Bewirkung von Rechtsfolgen betreffende Geltungsfrage zu erörtern 5. Eine Differenzierung nach Pflichtarten (obligatorisch, konsequentialistisch, stärkere oder schwächere Pflichten) findet ansatzweise im Zusammenhang mit den sog. Obliegenheiten, den Pflichten minderer Intensität6, statt. Die Forderung wird als Selbstverständlichkeit und institutionell überformt offenbar keiner Erklärung mehr für bedürftig gehalten. Ein naturalistisches Bild von der Struktur und Funktionsweise der Forderung ist heute allenfalls noch in der Vorstellung der vincula iuris als das eines gefesselten Schuldners verschwommen präsent. Soll die Naturalobligation Beleg für die im Schuldrecht angelegte Trennung von Recht und Zwang sein, so ist das Leis-

3 § 241 Abs. 1 BGB wird keine rechtspraktische Bedeutung zugemessen. Es handele sich um eine theoretisierende Bestimmung ohne große Aussagekraft, MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, § 241 Rn. 1; zustimmend Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 241 Rn. 1, Bamberger/Roth/Grünberg, BGB, 2003, § 241 Rn. 1. Dargestellt werden die einzelnen Begriffsmerkmale des Forderungsrechts (relationales Individualverhältnis, bestimmte Leistung, Haupt- und Nebenpflichten usf.), etwa Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 36 ff.; AnwK-Krebs, BGB, 2005, § 241 Rn. 6 ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 241 Rn. 2, und die aus dem entstandenen Forderungsrecht folgenden subjektiven Befugnisse (Einforderungsbefugnis, Selbsthilfe-, Behaltens-, Verfügungs-, Klage- und Vollstreckungsbefugnis usf.). Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 118 u. Rn. 120. Ausgedrückt sieht man auch die Relativität des Schuldverhältnisses in Abgrenzung zu dinglichen Rechtspositionen, etwa Erman/H.-P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, Einl § 241 Rn. 6. 4 Eine naturalistische Modellvorstellung für die Entstehung der vertraglichen Verpflichtung fordert J. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. Überlegungen zur Rechtfertigung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit bei Schuldverträgen, 1985, S. 111; ähnlich kritisiert Köndgen, dass das Spezifikum des Schuldvertrages, die Erzeugung normativer Verhaltenserwartungen durch Selbstbindung des Versprechenden, dem Systematisierungs- und Abstraktionsbedürfnis des 19. Jahrhunderts geopfert worden sei, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 90. 5 Die privatautonom ausgelöste Rechtsgeltung von Rechtsfolgen jedweder Art einschließlich der Pflichtbindung beruht auf der Willenserklärung. Dabei ist die Bindung oder Geltung selbst Gegenstand der Willenshandlung. Der selbstbezügliche Rechtsbindungswille führt zum „gewollten Sollen“ als vertraglichem Vereinbarungsinhalt, MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2001, vor § 116 Rn. 14. 6 D. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 194 ff., 224 ff., Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 127.

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tungsrecht allgemein zu beschreiben7. Das fehlende Zwangselement legt eine naturalistische Modellvorstellung der obligatorischen Pflicht besonders nahe. Aufgeworfen ist damit die Frage, wie die Entstehung und der Fortbestand obligatorischer Rechtsbindung gedacht werden.

a) Naturalistische Rechtsbindung aa) Pfadabhängigkeit Naturalistische Ansätze zur Erklärung obligatorischer Verhaltensbindungen lassen zunächst an die soziobiologischen Erkenntnisse unter dem Begriff der „Pfadabhängigkeit“ denken8. Pfadabhängig ist eine Entscheidung, bei der die kumulativen Folgen vergangener Entscheidungen den Entscheidungsspielraum eingeschränkt haben. Der Vertragsschluss könnte als eine solche vergangene Entscheidung begriffen werden. Die Besonderheit der Pfadabhängigkeit besteht jedoch darin, dass die Gebundenheit auch gegen den Willen des Handelnden eintritt. Sie drückt eine individuelle Strukturdeterminiertheit durch vorangegangene Selektionen aus9. So werden auch kulturelle Einflüsse in den Selektionen wirksam und tragen zur Entstehung einer kulturellen Identität des Einzelnen unter dem Gesichtspunkt der Pfadabhängigkeit bei10. Für zielgerichtet herbeigeführte Verhaltensbindungen ist die Pfadabhängigkeit menschlichen Handelns daher nicht aussagekräftig 11. Auch wäre mit dieser Erklärung wenig gewonnen, weil die Pfadabhängigkeit unterschiedslos alle gesteuerten Selbstbindungsformen12 erklären könnte.

7 Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht. Zur funktionellen Bedeutung des § 241 S. 1 BGB, JR 1996, 492, 494. 8 So auch im Hinblick auf die Entstehung des Vertrags im römischen Recht, Fögen, Zufälle, Fälle und Formeln. Zur Emergenz des synallagmatischen Vertrags, Rechtsgeschichte, 6/2005, S. 84, 94: „Welche Selektionen haben den Konsensualvertrag möglich gemacht und sich zu Pfaden verstärkt?“ 9 Hathaway, The Path Dependence of the Law: The Course and Pattern of Legal Change in a Common Law System, in: Iowa Law Review 86 (2001) 601, 618 ff. 10 Jayme, Kulturelle Identität und internationales Privatrecht, in: ders., Kulturelle Identität und internationales Privatrecht, 2003, S. 5. 11 Soziale Verhaltensmuster, die sich in dieser Weise als einseitig isoliertes Festlegen beschreiben lassen, werden auch von Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 163 f. als Selbstbindungsform abgelehnt. Ebenso aber etwa auch bspw. die Investitionsentscheidung, die als Vorgabe die wirtschaftlichen Handlungskalküle strukturiert. 12 Etwa das Verbot widersprüchlichen Verhaltens oder die Vertrauenswerbung als Oberbegriffe für Selbstbindungen.

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C. Systematischer Teil

bb) Neurobiologische Determination, psychologischer und soziobiologischer Selbstzwang Im Zusammenhang naturalistischer Bindungsformen ist die Definition der Sucht zu erwähnen, wie sie das Reichsgericht im Rahmen der früheren Entmündigung nach § 6 BGB a.F. aufgestellt hat13. Sucht ist danach der psychische Zwang, dem zu widerstehen der Betroffene aus eigener Kraft nicht in der Lage ist. In einer unterstellten „Vertragserfüllungssucht“ läge in gewisser Weise eine Idealvorstellung naturalistischer Selbstbindung im Vertrag. Die Sucht kann indes nicht sinnvoll einer naturalistischen Modellvorstellung von Rechtsbindung zu Grunde gelegt werden14. Auch das Handeln im Zustand des Gebundenseins bedeutet eine Form der Freiheitsausübung15 und kann daher nicht auf eine psychopathologische Erscheinung hin entworfen werden. Der Schuldner ist im gebundenen Leistungsvollzug in rechtlicher Perspektive, d.h. aus Rechtsgründen, determiniert. In seiner Willensentschließung und seinen Handlungen bleibt er frei16. Sozialpsychologische Verhaltenszwänge mag man ferner als Ausdruck einer neurobiologisch perhorreszierten Vorstellung vom menschlichen Determinismus verstehen17. Die natürliche Fähigkeit eine Selbstdeterminierung künstlich herbeizuführen, etwa die gezielte und dauerhafte Impulsunterdrückung 18, 13 RG v. 12.10.1912, SeuffA Bd. 68, Nr. 116, S. 217: „Trunksucht im Sinne von § 6 Abs. 3 BGB liegt nur dann vor, wenn der Leidende die Kraft, dem Anreiz zum übermäßigen Genuss geistiger Getränke zu widerstehen, wirklich verloren hat.“ 14 Der Suchtbegriff in einem medizinisch und damit rechtlich bewertbaren Sinne, wie etwa im Rahmen von §§ 105 Abs. 2, 138 Abs. 2, 827 BGB, spielt also keine Rolle; vgl. dazu Meyer/Bachmann, Spielsucht, Ursachen und Therapie, 2000, S. 21 ff. 15 Auf der Grundlage eines rechtlichen Freiheitsbegriffs in der Nachfolge Kants tritt die Freiheit im Erfüllungshandeln besonders hervor, vgl. C. I. 3. c) bb) (3) (c), S. 126 mit Fn. 448. 16 Man kann Freiheit terminologisch nach Handlungsfreiheit und Willensfreiheit unterscheiden. Handlungsfreiheit ist die Fähigkeit Handlungsoptionen abzuwägen und ohne innere oder äußere Determiniertheit eine Option auszuwählen und wahrzunehmen. Willensfreiheit meint in Abgrenzung dazu das initiale nicht bedingte Wollen, das Ursache eines natürlichen Geschehens sein kann, ohne selbst die Wirkung einer natürlichen Ursache zu sein. Nur bei der Willensfreiheit entsteht ein Konflikt mit psychopathologischen oder neurobiologischen Determierungen, vgl. Mertens, Verstrickt in den Kompatibilismus. Bemerkungen zur gegenwärtigen Freiheitsdebatte, in: Langbehn (Hg.), FS für Wolfgang Kersting, 2006, S. 201, 207 ff. 17 Vgl. Hochhuth, Die Bedeutung der neuen Willensfreiheitsdebatte für das Recht: JZ 2005, 745, 746: „Kann ich, obgleich durch die Biologie determiniert, doch durch gute Gründe überzeugt werden? Die Argumente wirken dann als intellektuelle Determinanten und führen die Überzeugung herbei.“ Ähnlich Diederichsen, Beschränkung und Aufhebung der Vertragsfreiheit durch Gesetz. In: Behrends/Starck (Hg.): Gesetz und Vertrag II, 2005, S. 104, 107. 18 Auch die Verpflichtungsfähigkeit kann als Produkt individueller oder gesellschaftlicher Erziehung gedeutet werden, vgl. Ehmann in Anlehnung an Nietzsche: „Der Schuldner, der sich vom Bande eines solchen Versprechens nicht befreien konnte, durfte (angeblich) in Stücke geschnitten und trans tiberim in die Sklaverei verkauft werden. Auf diese harte Weise wurde der Mensch dazu erzogen, abgegebene Versprechen als rechtsverbindlich zu begrei-

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ist bislang jedoch kaum erforscht. Auch ist sie weder in sozial- noch in rechtstheoretischen Modellvorstellungen sinnvoll reproduzierbar19. Annahmen über eine natürliche Determiniertheit des soziobiologischen Verhaltens 20 sind eher spekulativ und nicht gesichert. Das gilt ebenso für eine psychosoziale Deutung von moralischen Normen, die in geordneten und stabilen sozialen Beziehungen entstehen 21. Gewissen und Rechtsgefühl sind als Quellen für Verhaltensbindung und Pflichtbefolgung 22 keine ausreichend validen Grundlagen für die Modellvorstellung einer Leistungsverpflichtung. Auf der anderen Seite lässt sich allerdings auch die Willensfreiheit nicht positiv nachweisen 23. Die neurobiologische Sicht hält sogar dafür, dass das Gefühl der Autonomie eine Illusion sei. Vieles spreche dafür, dass die von uns empfundene Verantwortlichkeit für das eigene Tun ein soziales Konstrukt darstelle24. Freiheit wird im Ergebnis zumeist unter philosophischen Prämissen unterstellt. Die Unterstellung reicht von der apriorischen Freiheit als transzendentale Idee in der Nachfolge Kants25 fen.“ H. Ehmann, Zur Causa-Lehre, JZ 2003, 702, 704 u. Fn. 18. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 1887, 2. Abh. Nr. 1 ff.: „Ein Tier heranzuzüchten, das versprechen kann …“. 19 Das zeigt sich in dem zweifellos reizvollen Versuch, Gehirnstrukturen als Modell für soziale Regel- und Rechtssysteme zu verwenden, vgl. dazu Schwintowski, Juristische Methodenlehre, 2005, S. 190 ff., 193 f., 196, der Bindung durch neuronale Verknüpfung und Gruppierungsmechanismen erklärt. 20 Mohr berichtet über Kooperationsstrategien und Trittbrettfahrerverhalten bei sozial lebenden Tieren. So seien in Schimpansensozietäten Mischstrategien (verlässliche Kooperation gegenüber taktischen Täuschungsmanövern) bis ins Detail dokumentiert, Sippenmoral und Gesetz – Lehren aus der Evolutionären Ethik. In: Baumgartner (Hg.), Streitsache Mensch: Zur Auseinandersetzung zwischen Natur und Geisteswissenschaften, 1999, S. 177, 178. Zu derartigen Parallelwertungen ferner Binmore, Natural Justice. In: Lütge/Vollmer (Hg.), Fakten statt Normen? Zur Rolle einzelwissenschaftlicher Argumente in einer naturalistischen Ethik, 2004, S. 128 ff. 21 Schmidtchen, Sinnsuche und Persönlichkeitsentwicklung, in: Rehbinder (Hg.), Glück als Ziel der Rechtspolitik. Bern 2002, S. 13, 14: Von uns wird Zuverlässigkeit, Kooperation und Zuwendung erwartet. Wir erwarten Belohnung und Konflikt. 22 Laun, Recht und Sittlichkeit, 3. Aufl., 1935, S. 10 f.; ders., Der Satz vom Grunde, S. 300: „Das Urerlebnis des Sollens kann jeder nur aus eigener Erfahrung kennen. Beschreiben, erklären, definieren kann man es nicht.“; vgl. ferner Albert A. Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft, 1973. Siehe oben C. II. 2. b) bb), S. 272 Fn. 43. 23 Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart, 2. Aufl. 1965, S. 23 verweist darauf, dass experimentell die individuelle Person wiederholt in die gleiche konkrete Situation versetzt werden müsste, um beobachten zu können, ob einmal ein anderes Verhalten herausspringt. Zustimmend M. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1995, S. 63: Schon das Gedächtnis als Störfaktor verhindert die Wiederholung unter völlig gleichen Bedingungen. Freiheit bleibt unbeweisbar. 24 Roth, Willensfreiheit, Verantwortlichkeit und Verhaltensautonomie des Menschen aus Sicht der Hirnforschung, in: FS Ernst-Joachim Lampe (2003) 43, 57. 25 Kant, Kritik der reinen Vernunft, Bd. 2, Werkausgabe IV, Weischedel (Hg.), 1988, S. 488 (A 532, B 560) spricht von der Kausalität der Freiheit als „dem Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze also wiederum unter

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über die Naturverflochtenheit der Vernunft26 bis hin zum Habitus der Freiheit oder schlichtem Erfahrungswissen über Freiheit27. cc) Rationalistischer Naturalismus Streng naturalistische Ansätze bleiben zu unterkomplex 28, um strukturierte Verhaltensbindungen für einen praktisch analytischen Gebrauch abzubilden 29. Damit ist auf der anderen Seite auch gesagt, weshalb moderne Handlungstheorien davon ausgehen, dass durch vertragliche Selbstverpflichtung keine Immunisierung gegen äußere oder innere Einflüsse bewirkt werden kann. Eine Handlungssituation ohne Einflüsse ist nicht vorstellbar. In den Vordergrund treten daher das persönliche Kontrollvermögen und die Standhaftigkeit des Einzelnen gegenüber diesen Einflüssen. (1) Steuerungs- und Kontrollvermögen Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle wird von der Rechtsgeschäftslehre stillschweigend vorausgesetzt 30. Die Regeln der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit (§§ 104 ff., 276 Abs. 1 S. 2, 827 f. BGB) erfassen sie im Rahmen der allgemeinen Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit. Der dabei naturalistisch gedachte aktuale einer anderen Ursache steht, … Die Freiheit ist in dieser Bedeutung eine reine transzendentale Idee …“. 26 Die Fortentwicklung des Kantischen Freiheitsbegriffs verbindet sich in kritischer Auseinandersetzung bei Adorno zu einer freiheitsermöglichenden Vernunft, die aus der Natur entspringt und mit ihr verflochten bleibt. Die körperlichen Impulse einer leibgebundenen Existenz sowie Stimmungen und Strebungen gehören zum freien Willen dazu, vgl. Habermas, „Ich selbst bin ja ein Stück Natur“ – Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft, in: Honneth (Hg.), Dialektik der Freiheit, S. 13, 23. 27 Vgl. Mertens, Verstrickt in den Kompatibilismus. Bemerkungen zur gegenwärtigen Freiheitsdebatte, in: Langbehn (Hg.), FS für Wolfgang Kersting, 2006, S. 201, 212 f; 28 Das zeigt der geringe Ertrag, den diese Theorien haben; etwa bei Schwintowski, Juristische Methodenlehre, 2005, S. 190 ff., 196, der allgemein Tauschprozesse und die Bedeutung des Geldes als Wertmaßstab zu erklären sucht. 29 Die entscheidende Schwäche des streng naturalistischen Ansatzes der Hirnforschung dürfte in ihrer notwendig starken Unterbestimmtheit liegen. So hält Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 90 (2004) 513, 515 das Problem der Entscheidungsfreiheit für eine metaphysische Hypostasierung unvollständiger empirischer Theorien. Ähnlich Velden, der aber in der Komplexität und Unvorsehbarkeit hauptsächlich ein Rechenproblem sieht; Velden, Biologismus – Folgen einer Illusion, 2005, S. 3. Umgekehrt hält Lohmar, Moralische Verantwortlichkeit ohne Willensfreiheit, 2005, 56 ff., 241 ff., das Erfordernis ursprünglich freier Selbstbestimmung für eine überflüssige geisteswissenschaftliche Überhöhung und legt seiner rationalistischen Ethik ein alltägliches Verständnis von freiem Wollen zugrunde. 30 Das wird regelungstechnisch in den §§ 104 – 113 BGB nicht sogleich sichtbar, weil diese Normen als Gefüge abgestufter Zugangssperren für den rechtsgeschäftlichen Verkehr primär negative Kriterien ausformen, HKK/Thier, BGB, 2003, §§ 104 – 115 Rn. 1. Nur in § 828

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Wille des Schuldners bildet die Grundlage gebundenen Handelns. Es ist der allen Neigungen und Einflüssen unterliegende, neuronal impulshafte Wille, der aber durch soziale Techniken beeinflusst und gesteuert werden kann 31. Einer Modellvorstellung obligatorischer Rechtsbindung muss die Fähigkeit zu rationalem Planen verbunden mit der selbstbeherrschten Verhaltenssteuerung zu Grunde gelegt werden32. Die Rechtsgeschäftslehre setzt ein vernunftgeleitetes Steuerungsvermögen der Akteure voraus. Das führt nicht zu inhaltlichen Vorgaben oder gar zu einer Pflicht zu vernünftigem Handeln33. Die sprachlich verkörperte „Vernunft“ spielt aber überall dort eine sichtbare Rolle, wo im rechtsgeschäftlichen Verkehr situationsangepasste Verhaltensweisen verlangt werden, die nicht ex ante konkret festgelegt werden können, die aber ein kontextabhängiges, normativ begründbares Handeln fordern. Das wird durch die generalklauselartigen Rechtsbegriffe wie Treu und Glauben, Billigkeit oder Angemessenheit ausgedrückt. Im UN-Kaufrecht übernehmen der positivierte „reasonable man“ und die „reasonableness“ diese Funktion34. Canaris bejaht im Anschluß an Wieacker die Annahme einer „außergesetzlichen Rechtsordnung“ und konkretisiert diese dahin, dass man im Bereich nichtpositiven Rechts von „praktischer Rechtsvernunft“ zu sprechen pflege35.

Abs. 3 BGB ist mit der Einsichtsfähigkeit auch ein positives Merkmal benannt. Der geistige Entwicklungsstand des Minderjährigen (intellektuelle Einsichtsfähigkeit) ist Grundlage für die Feststellung seiner Verantwortlichkeit (Deliktsfähigkeit). Auf ein entsprechendes Steuerungsvermögen kommt es nicht an. Vgl. AnwK/Katzenmeier, BGB, 2005, § 828 Rn. 8 mwN. Gesichtspunkte für eine positive Bestimmung der Verpflichtungsfähigkeit können nur aus Bemerkungen über ihr Fehlen geschlossen werden. So etwa die freie Willensbestimmung, Willens- sowie Verstandeskraft oder die Fähigkeit zu ruhiger und vernünftiger Überlegung udgl., AnwK/ Katzenmeier, BGB, 2005, § 827 Rn. 2 mwN. 31 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 12 (der naturalistische Wille ist nicht hintergehbar). 32 Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1995, S. 31: Im Ganzen würde es auch eine seltsame Anomalie bedeuten, wenn der Mensch, dessen ganzes Wesen auf die rationale Beherrschung und Verwandlung seiner Umwelt, auf bewusstes Planen angelegt ist, nicht auch die Beziehungen zu seinesgleichen in seine Planung mit einbeziehen würde. Es würde bedeuten, dass er herrschen wollte, ohne sich selbst zu beherrschen. 33 Knieper, Dichotomien im Schuldrecht, in: FS Peter Derleder (2005) 109, 113 f. kritisiert pointiert, dass der Wille im geltenden Schuldrecht die Vernunft ersetzt habe und bestätigt damit meinen Standpunkt. Wille in Abgrenzung zur Vernunft meine regellose Willkür, den physiologisch meßbaren neuronalen Impuls oder das psychische Handlungserlebnis, nicht dagegen den vernünftigen Willen Kants, als ein Vermögen, nach der Vorstellung von Gesetzen zu handeln. Das gilt ebenso für das Handeln aus Gründen einer rationalen Handlungslehre, wie ich es zugrunde lege. 34 Vgl. MünchKomm-HGB/Benicke, 2004, Art. 25 CISG Rn. 14. 35 Canaris, Die Stellung der UNIDROIT Principles und der PECL im System der Rechtsquellen, in: Basedow (Hg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, S. 5, 11 f.

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Die Selbstverständlichkeit rechtlicher Vernunft lässt das Konzept des sog. Gentlemen’s Agreement36 verblassen. Das stoische Ideal der Autonomie, verstanden als Fähigkeit zu Selbstkontrolle 37, überhöht eine anthropologische Grundannahme in der Person des Gentleman 38. Hinzu kommt, dass der rechtlich gebundene Wille sich aufgrund sozialer Techniken der Pflichtbegründung im Zustand des sozialen äußeren Gefordertseins befindet. Nicht die Innerlichkeit der Rationalität, sondern die Äußerlichkeit sozial hergestellter Normativität ist ausschlaggebend. Das Schuldrecht setzt ein interkulturelles Konzept des menschlichen Selbst voraus, das Normativität zu erzeugen vermag. Das Steuerungs- und Kontrollvermögen des Menschen vermag die obligatorische Selbstbindung daher nicht zu erklären. (2) Selbstbestimmung als Handlungsanreiz Ein Grund für die Verhaltensbindung kann in der identitätsbildenden Selbstbestimmung gesehen werden. Bindung und Bindungsfähigkeit dienen der Selbstbestimmung. Im gebundenen Handlungsvollzug beweist die Person ihre Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln. Sie beweist sie sich selbst und ihrer Umwelt. Damit lässt sich Versprechensbindung aus der Selbstbestimmung des Menschen begründen 39. Die Realisierung der Bindung ist hier der lebensweltliche Ausdruck autonomer Selbstbestimmung. Diese Erkenntnis vermag zusätzlich einen gleichsam autosuggestiven Anreiz für eine erfolgreiche Unter-

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Das Bedeutungsverständnis eines „Gentlemen’s Agreements“ ist das der Souveränität der Vertragspartner bei weitestgehender Exemption staatlicher Kontrollformen. Die Ehre tritt an die Stelle rechtlicher Kontrolle. Zum Gentlemen’s Agreement als einer Übereinkunft unter Ehrenmännern, vgl. Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 16 und näher dazu unten C. V. 4. b), S. 602. 37 Michael J. Meyer, Rights and Autonomy, in: American Philosophical Quarterly 24 (1987) 267, 270; zur historischen Verbindung der Stoa mit den drei Geboten des Rechts bei Ulpian D. 1, 1, 10, 1.: suum cuique tribuere; honeste vivere; neminem laedere, vgl. Manthe, Beiträge zur Entwicklung des antiken Gerechtigkeitsbegriffes II: Stoische Würdigkeit und iuris praecepta Ulpians, SZ 114 (1997) 1, 23. 38 Die Rede vom „Gentleman“ geht auf die angelsächsische Rezeption des stoischen Verhaltensideals („Ataraxie“) zurück. Sie steht für Selbstbeherrschung und selbstbestimmte Lebensführung. Das ehrenhafte Verhalten wird dabei als ausgezeichnete charakterliche Fähigkeit des „Gentleman“ hervorgehoben. Black‘s Law Dictionary, USA 1951, S. 815: „Gentleman. Refers to a man of birth, but not noble; a man raised above the vulgar by his character or his past.“ Vgl. Schischkoff (Hg.), Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl. 1982, S. 670, 671: Das stoisch-ethische Erziehungsideal ist in der angelsächsischen Welt für den Gentleman übernommen. 39 Gysin, Tatbestandsanalyse des Versprechens. In: ders. (Hg.): Rechtsphilosophie und Grundlagen des Privatrechts, 1969, S. 266, 287 f.; zust. J. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. 1985, S. 59.

III. Rechtstheoretische Grundlagen

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drückung von Willensimpulsen schaffen. Mit der Erfüllung beweist der Schuldner persönliche Stärke und Kontinuität40. (3) Verhaltensbindung kraft Identifikation Erklärungen für gebundenes Verhalten werden ähnlich auch aus Gedanken personaler Identität und der Identifikation mit dem eigenen Selbst gegeben. Danach entsteht die Bindung aufgrund von Identifikationen mit dem egalitären Selbst. Im Anschluss an Thomas Nagel 41 erklärt Alexander Somek diesen Vorgang wie folgt42: „Mit meinem früheren Wollen eines Zwecks spreche ich mich selbst an. Indem ich mein früheres Wollen vernehme, verknüpfe ich mich mit meinem früheren Selbst. Ich darf mein früheres Wollen später auch aufheben. Aber ich darf das nicht bei jeder Gelegenheit tun. Denn sonst hätte ich keinen Willen. Die Klugheit macht mich vermöge ihrer Normativität als Person möglich. Ich würde mich von meiner eigenen Existenz abschneiden, wenn mein nächster Zustand mir gleichgültig wäre.“

Dieser aus dem Gedanken der Klugheit entwickelte Ansatz beruht auf einem plausiblen anthropologischen Selbstverständnis43. Dennoch genügt es den pragmatischen Anforderungen eines schuldrechtlichen Verpflichtungsmodells nicht. Dazu müssten andere identitätsbildende Sozialtechniken mit einbezogen und auch die Übertragbarkeit auf rechtliche Handlungsformen untersucht werden. Zwar sind handlungsleitende Situationsdeutungen auch in der Dogmatik des Zivilrechts, namentlich bei Irrtum und Täuschung verankert44. Auf ein plausibles Verpflichtungskonzept für die obligatorische Leistungsbindung lassen sich diese anthropologisch-philosophischen Ansätze aber nicht ohne weite40 Überspitzt aber zutreffend Somek, Ermächtigung und Verpflichtung, in: Paulson/Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 58, 74 f.: „Würde ich nicht auf meine kontinuierliche Existenz achten, hätte ich keinen Willen. Ich könnte mich nicht über meine kontingenten Wünsche erheben. Das gelingt erst, wenn ich zu einem Tier domestiziert bin, das versprechen darf (Nietzsche)“. 41 Nagel, The Possibility of Altruism, Princeton 1970, S. 35 f. 42 Somek, Ermächtigung und Verpflichtung, in: Paulson/Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 58, 73. 43 Personen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zu ihren eigenen Wünschen und Präferenzen Stellung nehmen können, Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Untersuchungen, 1981, S. 29 ff. Zum Selbstverständnis der Person gehört ein Bild davon, was für eine Person sie gerne sein will. Dazu gehört auch eine Vorstellung davon, welche Wünsche und Präferenzen sie haben will und, dass sie Zusagen einzuhalten vermag, Baumann, Handlung, Willensbildung und Macht, Conceptus, XXVIII (1995) 21, 38. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 345 entwickelt die rechtliche Bedeutung von Selbstverständnissen und Selbstinterpretationen bei der Handlungsbeschreibung aus einem entsprechenden Grundverständnis heraus. 44 Morlok nennt eine Gruppe von dogmatischen Figuren, bei der die Selbsteinschätzung des Akteurs und seiner Handlung in einer bestimmten Situation, wie er sie wahrnimmt und ausdeutet, von Bedeutung ist. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 173.

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res herunterbrechen. Eine ausgereifte Theorie der Verpflichtung haben – wie Köndgen festgestellt hat – weder Soziologie noch Jurisprudenz vorzuweisen45.

b) Vertrags- und Versprechensbindung In Anbetracht der Schwächen eines allgemeinen Bindungskonzepts sind spezifischere und zum Teil auch historische gewachsene Erklärungsmodelle ausgearbeitet worden. Statt aber für den Systembegriff Obligation ein Modell der Rechtsbindung zu entwickeln, wird meist auf den Vertrag als Entstehungsgrund der Obligation zurückgegriffen. § 311 Abs. 1 BGB statuiert für die Begründung einer Leistungsverpflichtung das Vertragsprinzip und lässt einseitige Pflichtverhältnisse in den gesetzlich vorgesehenen Fällen nur ausnahmsweise zu (§§ 82, 397 (str.46), 443, 657, 661 a, 1939 i.V.m. 2147 BGB)47. Art. 2: 107 der Principles of European Contract Law (PECL) sieht dagegen grundsätzlich auch das einseitig begründete obligatorische Versprechen vor:48 „Ein Versprechen, das ohne Annahme rechtlich verbindlich sein soll, ist verbindlich.“

Die soziale Technik der Obligationsbegründung, d.h. die Verknüpfung des eigenen Willens mit dem fremden Interesse zu einem „gebundenen Willen“, ist in verschiedenen Modellen erfasst worden. Sie lassen sich in Vertrags- und Versprechensmodelle unterteilen.

45 Als „Schlüsselkonzept in einer Theorie der Verpflichtung“ entwirft Köndgen daher das Konzept der Selbstbindung. Definitorisch dient die Selbstbindung dabei als Gattungsbegriff für die empirisch beobachtbaren Varianten von Verpflichtungsverhalten in sozialer Interaktion. Einbezogen sind Verhaltensmuster, die nicht Versprechen im umgangssprachlichen Sinne darstellen. Selbstbindung sei semantisch enger als Verpflichtung. Verpflichtung sei ein ambivalenter Begriff, der Selbst- wie auch Fremdbindung bedeute und der im juristischen Sprachgebrauch oft genug auch die durch Normen aufgezwungene Pflicht meine. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, 164. Zum Theorieansatz von Köndgen näher unten C. III. 1. b) cc) (2), S. 324 ff. 46 Für einen einseitigen Verzicht Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht. Vertragsprinzip und einseitiges Rechtsgeschäft im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2004, S. 379. 47 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 Rn. 1. Als dogmatisch überholt gelten die auf der Kreationstheorie aufbauenden und noch vom BGB-Gesetzgeber als einseitige Rechtsgeschäfte anerkannte Annahme der Anweisung gem. § 784 BGB sowie die Inhaberschuldverschreibung gem. § 793 BGB; vgl. MünchKomm/Hüffer, BGB, 4. Aufl. 2004, § 784 Rn. 2 und § 793 Rn. 2. Enger Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 15, der § 657 BGB als einzige Ausnahme von § 311 BGB anerkennt. Eine gewisse Sonderstellung nehmen das Forderungsrecht des Dritten beim Vertrag zu Gunsten Dritter, § 328 BGB sowie die Bindung an den Vertragsantrag ein, § 145 Hs. 1 BGB. 48 Dt. Übersetzung nach von Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts Teile I und II, hrsg. von der Kommission für Europäisches Vertragsrecht, Deutsche Ausgabe, 2002, S. 170.

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aa) Vertragsmodelle Die Vorstellungen darüber, wie aus einem Vertrag rechtliche Bindung entsteht, gehen über die Parömie „pacta sunt servanda“ oftmals nicht hinaus 49. Die aus der Kanonistik stammende50 Parömie ist nach den Vorstellungen Kants ethische Pflicht und Rechtssatz zugleich 51. Sie bezeichnet das kategorische Erfül-

49 Dieser Grundsatz wird zudem für nicht weiter erklärungsbedürftig oder nicht weiter erklärungsfähig gehalten und in der Nachfolge Kants als Postulat der praktischen Vernunft gesehen. „Der Grundsatz pacta sunt servanda werde nicht etwa von außen an den Vertrag herangetragen, sondern sei diesem … von vornherein immanent.“ Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris, u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. I, 2000, 129, 148. Zur historischen Entwicklung und Anerkennung des Grundsatzes bereits in ältester Zeit Zimmermann, Law of Obligations, 1996, S. 576 ff. 50 Mayer-Maly, Pactum, Tausch und laesio enormis in den sog. leges Barbarorum, SavZRom 108 (1991) 213 f.: Die Maxime pacta sunt servanda gehört nicht dem klassischen römischen Recht an. Eine conventio, der keine causa zugrundeliegt, ermöglicht nach Ulpian (D 2, 14, 7,4) nicht die obligatio. Das pactum kann keine actio zustande bringen. Die Fesseln des römischen Kontraktsystems halten bis in die hohe Neuzeit an. Seine endgültige Überwindung gehört zu den Leistungen der rationalistischen Naturrechtslehre. Vorher war bereits im kanonischen Recht die Lehre von der „promissio simplex“ anerkannt (Albericus de Rosate). Ansatz dieser Lehre war das neutestamentliche Eidesverbot (Mt. 5, 34). Auch wer eine einfache Zusage brach, handelte sündhaft. 51 Pacta sunt servanda wird von Kant als Rechtssatz einer äußeren Gesetzgebung angesehen, weshalb aber die ethische Pflicht der Vertragserfüllung nicht etwa entfällt, sondern nur von der juridischen Zwangsdrohung überlagert ist. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 325, (AB 16, 17): „So gebietet die Ethik, dass ich eine in einem Vertrage getane Anheischigmachung, wenn mich der andere Teil gleich nicht dazu zwingen könnte, doch erfüllen müsse: allein sie [die Ethik] nimmt das Gesetz (pacta sunt servanda), und die diesem korrespondierende Pflicht aus der Rechtslehre als gegeben an. Also nicht die Ethik, sondern im Ius liegt die Gesetzgebung, dass angenommen Versprechen gehalten werden müssen. Die Ethik lehrt hernach nur, dass, wenn die Triebfeder, welche die juridische Gesetzgebung mit jener Pflicht verbindet, nämlich der äußere Zwang auch weggelassen wird, die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend sei.“ Die Leistung der Treue (gemäß seinem Versprechen in einem Vertrage) soll nach Kant entsprechend auch nicht mit den Handlungen des Wohlwollens aus Liebe und der Verpflichtung zu ihnen in eine Pflichtklasse der Tugend [die sog. Liebespflichten gegen andere] gesetzt werden. Es handele sich um eine Schuldigkeit, einen Vertrag zu erfüllen und nicht um eine verdienstliche tugendhafte Handlung. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 584, (A 116, 117). Entsprechend führt Kant aus: „Es ist keine Tugendpflicht sein Versprechen zu halten, sondern eine Rechtspflicht, zu der man gezwungen werden kann. Aber es ist doch eine tugendhafte Handlung (Beweis der Tugend), es auch da zu tun, wo kein Zwang besorgt werden darf. Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht durch ihre verschiedenen Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung, welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet.“ vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 325, (AB 16, 17); zur Abgrenzung von Rechts- und Moralgeboten siehe oben B. I. 3. c) bb) (3) (b), S. 124 f.

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lungsgebot, sagt aber über die Entstehung dieser Bindung nichts aus52. Entstehungsgeschichtlich können fünf Modellvorstellungen für die Vertragsbindung unterschieden werden. Das römische Kontraktmodell, das naturrechtliche Vertragsmodell auf Grundlage ausgetauschter Versprechen (translative Versprechensübertragung), das pandektistische Vertragsmodell auf der ebenso römisch-rechtlichen Grundlage des Konsens (vereinigte Willen) sowie zwei neuere Ansätze, die Rechtsbindung durch gelungenen Sprechakt (institutionelle Rechtstatsache) bzw. als emergente Erscheinung (Emergenz) erklären. (1) Obligatio und contractum (einseitige oder gekreuzte stipulationes) Das römische Stipulationsmodell53 ist gedanklich unabhängig von einer konsensualen Rechtsbegründung. Bei der Stipulation handelt sich zunächst nur um eine soziale Technik zur Begründung der obligatio (iuris vinculum). Die freiwillige Unterwerfung des Schuldners unter den Leistungsbefehl des Gläubigers wird nicht als Konsens im vertragsrechtlichen Sinne verstanden, wenngleich auch in ihr ein konsensuales Element enthalten ist54. Die aus dem römischen Recht bekannte Stipulation einer Leistung, an deren Stelle im gemeinen Recht der formlose Vertrag trat55, wirkt heute noch im einseitigen Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis fort (§ 780 f. BGB)56. Die stipulatio war der Prototyp des förmlichen Verpflichtungsgeschäftes und zur Begründung einer obligatio erforderlich57. Die stipulatio als Selbstbindungs- und Unterwerfungsritual passt zum Bild des gefesselten Schuldners und der obligatio als vinculum iuris. 52 Das pactum ist neuzeitlich mit einem Konsens verknüpft. Zur Bindung aus dem Konsens sogleich nachfolgend im Text. 53 Zur Entstehung und Entwicklung des römischen Obligationenbegriffs siehe oben B. I. 1. a) aa), S. 49 ff. 54 Das Stipulationsmodell beinhaltet ein konsensuales Element, das im Unterwerfungsbzw. Anerkennungsakt des Schuldners zum Ausdruck kommt. Ein Vertragskonsens ist aber komplexer, weil er das gesamte Vertragsprogramm, insbesondere die Verknüpfung gegenseitiger Pflichten umfasst, während die stipulatio die einzelne Pflicht meint. In den römischen Quellen bedeutet consensus auch die einseitige Zustimmungserklärung, Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 190 Fn. 75. 55 Von Savigny setzt stipulatio und Vertrag gleich. Contractum wird als gegenseitiger Vertrag in einer besonderen Form ausgewiesen, Pandektenvorlesung 1824/1825 (Nachdruck 1993), S. 120; entsprechend aufgrund des gemeinsamen Konsenselements werden pactum, contractum und obligatio gleichgestellt, Meyer-Pritzl, Pactum, conventio, contractus. Zum Vertrags- und Konsensverständnis im klassischen römischen Recht. In: Dufour/Rens/ Meyer-Pritzl/Winiger (Hg.), Mélanges Schmidlin, 1998, S. 99, 107. 56 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 40 Rn. 7. Das notwendig abstrakte Schuldversprechen und das Schuldanerkenntnis sind Neuschöpfungen angeregt von Otto Bähr, Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, 1855, 3. Aufl. 1894. 57 HKK/Schermaier, BGB, 2003, §§ 116 – 124 Rn. 2 u. Fn. 12. Vgl. bereits oben B. I. 1. a) bb) (3), S. 54.

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Die Schuldbegründung geht vom fragenden und fordernden Gläubiger aus (spondesne, fidepromittis, dabis?). Der Schuldner verpflichtet sich auf die Frage hin durch seine bejahende Antwort (spondeo, fidepromitto, dabo!). Die Selbstverpflichtung folgt hier also aus einem Antwortverhalten. Spondere ist ein eidliches Versprechen 58. Der aus der Aufforderung reaktiv erzeugte Versprechensakt kommt im entwickelten Recht häufig als Tätigkeit des Gläubigers zum Ausdruck (‚stipulari’ sich eine Leistung versprechen lassen). Entscheidend ist die Anerkennung des Schuldners, der mit der Antwort sein künftiges Handeln, neuzeitlich seinen Willen, an das fremde Interesse bindet und so das Versprechen bildet59. Der initiale Leistungsbefehl des Gläubigers wird vom Schuldner anerkannt. Dieser unterwirft sich jenem. Das konsensuale Unterwerfungsritual gewinnt autonome Züge und löst rechtlich anerkannte Verhaltensbindungen aus. Als einvernehmliche Festlegung einer Leistungsverpflichtung nähert sich der stipulierte Leistungsbefehl dem (einseitig verpflichtenden) Anerkennungsvertrag an. Die Anerkennung verpflichtet den Schuldner dazu, den aus der Forderung resultierenden und an ihn gerichteten Befehl zu befolgen. Die soziale Technik der Stipulation gibt dem Schuldner das letzte Wort und schützt ihn vor ungewissen Schwebelagen seiner Bindung. Die Antwortposition des Schuldners ermöglicht ferner eine Verknüpfung mit reziproken Leistungsversprechen. Daneben sichert sie den Abgleich der wechselseitigen Erklärungsinhalte durch klare und unzweideutige Erklärungen und beugt so einem Dissens vor60. Die gekreuzten stipulationes werden auch als Urtypus des contractum im altrömischen Recht eingestuft. Contra-actum ist danach das gemeinsame gegenseitige Bindungshandeln61, wie es im heutigen Begriff eines zweiseitig verpflichtenden Vertragskontrakts noch fortlebt. 58 Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Bd., 2. Aufl. 1971, 168 f.; Knütel, Verlöbnis einst und heute, in: Mansel, u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, S. 1487. 59 Diese Schlussfolgerung ist möglicherweise nicht römisch-rechtlich gedacht, was hier allerdings ohne Bedeutung ist. Im römischen Recht habe das tatsächliche Vertragsgeschehen zwar eine natürliche Willensgrundlage gehabt (id quod actum est). Die Verträge galten aber, weil die Rechtsformen oder Rechtsprinzipien eingehalten wurden. Das empirisch, willentliche Aktbewusstsein der Parteien sei von einer geltungverleihenden Rechtsregel zu unterscheiden, Behrends, Treu und Glauben. Zu den christlichen Grundlagen der Willenstheorie im heutigen Vertragsrecht. In: Dilcher/Staff (Hg.): Christentum und modernes Recht, 1984, S. 255, 265 u. Fn. 54. Dagegen Babusiaux, Id quod actum est. Zur Ermittlung des Parteiwillens im klassischen römischen Zivilprozeß, 2006, S. 32 ff., die den Einfluss von Willensmomenten auf die conventio bei der Stipulation hervorhebt und nach Klagen unterscheidet; zustimmend Staffhorst, Rez. Forum historiae juris 2007, Rz. 7: http://www.forhistiur.de/ zitat/0704staffhorst.htm. 60 Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 68 f. 61 Nach Behrends bezeichnet Labeo actum als Rechtshandlung und obligatio als die einseitige Verbindlichkeit; contra-actum ist dagegen die zweiseitige Verbindlichkeit, vgl. Ulp. D. 50,16,19, vgl. Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassischrepublikanischen Verfassungsdenken. In: Behrends/Sellert (Hg.), Der Kodifikationsgedanke

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(2) Das naturrechtliche Vertragsmodell ausgetauschter Versprechen Das auf Hugo Grotius (1583–1645) zurückgehende naturrechtliche Vertragsmodell geht von autonom gebildeten einseitigen Versprechen der Kontrahenten aus, die als res incorporales übergeben und von dem jeweiligen Gläubiger angenommen werden müssen (sog. translative Versprechensübertragung) 62. Die Verpflichtung beruht auf dem Versprechen, der promissio in der vorläufigen Gestalt der pollicitatio 63. Die Bindung aus der pollicitatio entsteht erst ab acceptatione mit der Annahme des Versprechens64. Der Vertrag wird aus den Grundsätzen des Eigentumsrechts abgeleitet und kommt mit der vollzogenen Versprechensübertragung (alienatio-acceptatio) zu Stande. Durch die Annahme stellen Versprechender und Versprechensempfänger den äußeren Konsens her, der als rechtliche Geltungsbedingung zum Versprechen hinzutritt65. Das Versprechen selbst wird als ein innerer Konsens beschrieben. Es setzt die inhaltliche Übereinstimmung des Gewollten mit dem Erklärten voraus und bildet die causa der Versprechensübertragung66. Die Vorstellung eines inneren oder besser innerlichen Konsenses in der Person des Versprechenden bedeutet eine intrapersonale Rechtsspaltung. Wollender und Erklärender sind ein und dieselbe Person. Es handelt sich tatsächlich also nicht um einen Konsens, sondern um das Erfordernis der Irrtumsfreiheit 67. Sie ist noch heute die Grundlage und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 9, 69 u. Fn 132. Ebenso Meyer-Pritzl nach dem contractum das zweiseitige Schuldverhältnis bezeichnet habe gegenüber der obligatio als dem einseitigen Schuldverhältnis bei Ulp. D. 2, 14, 1, 3. Contractum ist synonym zu Vertrag, vgl. Pactum, conventio, contractus. Zum Vertrags- und Konsensverständnis im klassischen römischen Recht. In: Dufour/Rens/Meyer-Pritzl/Weniger (Hg.): Pacte, convention, contrat, Mélanges Schmidlin, Basel 1998, S. 99, 101 u. Fn. 11. 62 Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: das naturrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektische Modell der vereinigten Willenserklärungen, in: Zimmermann/Knütel/Meincke (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 187, 189 mit den Nachweisen aus Hugo Grotius, De jure belli ac pacis (1624), lib. II, cap. 11, §§ 2–4; zu der Entwicklung vgl. HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 5 f. 63 Verstanden als einseitige Selbstbindung durch Bindung des Willens an ein selbstgewähltes Ziel, Schmidlin, (vorherige Fn.), S. 187, 191 bzw. an das eigene Wort (ebd. S. 192). 64 Davor sei sie nur moralische Verpflichtung, Schmidlin, (oben Fn. 62), S. 187,191; Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Symposion Franz Wieacker, 1991, 209, 229. 65 Der Konsens ist hier also kein materiell inhaltlicher Konsens wie später bei v. Savigny, sondern Bestandteil des Vertragsabschlussmechanismus unter der Vorstellung einer Translation; so exemplarisch bei Kant, dazu nachfolgend C. III. 1. b) aa) (3) (d), S. 130 f. 66 Schmidlin, (oben Fn. 62), S. 187,193 f. Das Modell einer inneren konsensual vorgestellten causa in der Person des Versprechenden soll zur Aufgabe der römischrechtlichen Trennung von pactum und contractum geführt haben, Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, 1985, S. 128; Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre. In: Koziol (Hg.), FS für Franz Bydlinski, 2002, S. 473, 485 f. 67 Der „innere Konsens“ ist ferner deshalb nicht mit dem äußeren Konsens gleichzusetzen, weil es keinen Versprechenden und keinen Versprechensempfänger gibt. Den Selbstbin-

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des modernen angelsächsischen Bereicherungsrechts 68. Bei dem Anspruch aus Leistungsbereicherung nach deutschem Recht ist das Irrtumserfordernis zwar von einem Rechtsgrundbegriff verdrängt worden, aber als Einwendung der Irrtumsfreiheit erhalten geblieben (§ 814 Hs. 1 BGB). Beide Ansätze konvergieren in den Fällen vollständiger Sach- und Rechtskenntnis des Leistenden (Irrtumsfreiheit). Hier ist die Rückforderung grundsätzlich ausgeschlossen69. Davon machen beide Systeme wiederum Ausnahmen. So bleibt die Rückforderung möglich, wenn der Nichtschuldner etwa unter Vorbehalt oder unter Druck geleistet hatte70. § 814 Hs. 1 BGB versagt die Rückforderung also nicht allein wegen der Irrtumsfreiheit des Leistenden, sondern stellt dann auf die besonderen Umstände ab, unter denen die Leistung erfolgt war 71. Ausgehend von der freien Verfügungsbefugnis des Eigentümers über seine Eigentumsrechte deutet Christian Wolff (1679–1754) den Akt der Begründung einer Verpflichtung durch Versprechensvertrag ebenso als Rechtsübertragung. Im Eigentum des Menschen stünden auch dessen eigene Handlungen. Wer also einem anderen Recht an seinen eigenen Handlungen einräumt, der überträgt geradezu das Eigentum daran72. Das Versprechen wird dabei im Anschluss an Thomas von Aquin als ein Gebot der Wahrhaftigkeit verstanden, nämlich das Gebot das „Versprochene zu bewahrheiten“. Das Wahrhaftigkeitsgebot entspricht einer inneren göttlichen Vernünftigkeit und verlangt eine absolute Treuebindung. Aus dem lebensweltlichen und wahrheitsfähigen Akt des Verdungsakt als inneren Versprechenskonsens des Versprechenden mit sich selbst zu deuten wird von Kant übernommen und ausgebaut. Die Annahme solitärer Pflichtbegründung ist heute zurückzuweisen, siehe dazu näher unten C. III. 1. c) aa), S. 333. 68 Sonja Meier, Irrtum und Zweckverfehlung. Die Rolle der unjust-Gründe bei rechtsgrundlosen Leistungen im englischen Recht, 1999, S. 12 ff. Die Analyse von Meier zeigt allerdings, dass das System des modernen englischen Bereicherungsrechts ohne eine Rechtsgrundlehre nicht überzeugend begründet ist. Die erwartete Abschaffung der Rechtsirrtumsregel bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nichtiger Verträge belebe den Gedanken der Zweckverfehlung [und mit ihr die Rechtsgrundlehre] wieder (ebd., S. 403 ff.). Die Untersuchung von Meier hat Bestätigung in der Rechtsprechung gefunden und auch in der englischen Doktrin hat die grundlegende Untersuchung von Meier zum Umdenken geführt, vgl. Birks, Unjust enrichment, 2. Aufl., Oxford 2005, S. 108 – 113 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung. Zurückhaltend Molle, Das englische Bereicherungsrecht zwischen unjust-Faktoren und sine-causa-Ansatz, ZfRV 2006, S. 13, 23 (beide Systeme nähern sich Stück für Stück einander an). 69 Der debitor sciens wird also auch im sine-causa-Ansatz grundsätzlich nicht geschützt. 70 Vgl. House of Lords iS Woolwich Equitable Building Society v Inland Revenue Commissioners (1993) 1 AC 70, dazu Meier, Irrtum und Zweckverfehlung, 1999, S. 230 f. u. 242 ff.; zur deutschen Lehre und Rechtsprechung mit Nachweisen AnwK-BGB/von Sachsen Gessaphe, 2005, § 814 Rn. 8. 71 Diese Umstände und der eigenständige Anspruch aus § 817 S. 1 BGB ähneln den unjust-Faktoren des angelsächsischen Modells, Meier, Irrtum und Zweckverfehlung, 1999, S. 19 ff. 72 Luig, Die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff, in: Behrends/Diesselhorst (Hg.), Libertas. Symposion Franz Wieacker, 1991, 209, 231.

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sprechens ist die „Pflicht“ zur Fidelitas entstanden73. Die Grundlage der Pflicht ist also auch bei Wolff nicht der Willenskonsens, sondern das Versprechen74. Ähnlich findet sich in den Materialien zum BGB die Auffassung, dass Grundlage der obligatorischen Pflicht das vom Gläubiger „acceptierte Versprechen“75 sei. Im ersten Entwurf des Redaktors für das Schuldrecht Franz Philipp von Kübel wurde selbst das einseitige Versprechen auch ohne Annahme als bindend anerkannt. In § 1 des Entwurfs aus dem Jahr 1877, der den Beratungen der 1. Kommission am 17.10.1877 zugrunde lag, heißt es76: …“auch durch das einseitige Versprechen wird der Versprechende zu dessen Erfüllung verpflichtet, wenn dies als vom ihm gewollt anzunehmen ist.“

Danach entscheidet der Versprechende, ob es einer Annahme bedarf oder nicht. Das in den weiteren Beratungen dann aber für erforderlich gehaltene Zustimmungserfordernis führt zum Vertragsprinzip des BGB (§ 311 Abs. 1 BGB) und nimmt dem Versprechensgedanken seine eigenständige Bedeutung77. Der Versprechensvertrag ist anders als die römische stipulatio konstruiert. Bei der stipulatio akzeptiert der Schuldner einen Gläubigerbefehl und begründet dadurch das Gläubigerrecht78, während beim Versprechensvertrag der Gläubiger einer bereits autonom gebildeten Selbstverpflichtung des Schuldners zustimmt79.

73 Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, 1959, S. 11; J. Schmidt, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform. Überlegungen zur Rechtfertigung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit bei Schuldverträgen. 1985, S. 58 f.; damit hatte – so Wieacker – die Vernunftlehre dem Gedanken der konsensualen Vertragsordnung den grundsätzlichen Charakter gegeben, Wieacker, Die vertragliche Obligation bei den Klassikern des Vernunftrechts, in: FS für Hans Welzel, 1974, S. 7, 12. Zugleich liegt hierin der christlich vernunftrechtliche Grund, das pactum nudum für klagbar zu halten. Vgl. Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre. In: Koziol (Hg.), FS für Franz Bydlinski, 2002, S. 473, 486. 74 Anders wohl HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 6 mN, der den Austausch zweier übereinstimmender Willenserklärungen bereits bei Wolff als materiellen Konsens einstuft. 75 Mugdan, Motive, Bd. II, S. 96. HKK/Hofer, BGB, 2003, vor § 145 Rn. 9. 76 Franz Philipp von Kübel, Das einseitige Versprechen als Grund der Verpflichtung zur Erfüllung, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1980, Teil 3, S. 1171, 1172. 77 Vgl. Zimmermann, Vertrag und Versprechen. Deutsches Recht und Principles of European Contract Law im Vergleich, in: Lorenz (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 467, 470 f. 78 An die Stelle der antiken Vorstellung eines freiwilligen Unterwerfungsakts tritt gleichbedeutend die Anerkennung eines Gläubigerbefehls, dazu näher unten C. III. 1. c) cc) (2), S. 363 ff. 79 Die Zustimmung erscheint hier nur als ein hinzutretendes Element zu einem „an sich“ bereits konstituierten Versprechen. Die Annahme ist mit anderen Worten eine Entstehungsbedingung des Vertrages, nicht aber des Versprechens.

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(3) Verpflichtung durch Willensvereinigung im Konsens In dem auf Kant zurückgehenden Vertragsmodell vereinigen sich die Willen der Kontrahenten zu einem gemeinsamen Willen, dem Konsens. Kant orientierte sich bei dieser idealisierten Willensvereinigung aber noch an der naturrechtlichen Versprechenslehre und dem Vertrag als einem Rechtsübertragungs- und Rechtserwerbsgeschäft. Er spricht von der „Translation“80 und es geht ihm um die Frage des Vermögenserwerbs durch einen Vertrag81. Die Antwort lautet: „Durch den Vertrag also erwerbe ich das Versprechen eines anderen (nicht das Versprochene)…“82. Dieser äußere Konsens, der die Übertragung bewirkt und mit dem die Versprechensannahme vollzogen wird, fügt dem Versprechen nichts Eigenes hinzu. Der Beitrag des Empfängers erschöpft sich in der Entgegennahme des Versprechens. Die äußere Übertragung der Versprechen durch Willenskonsens beschreibt Kant wie die ballistische Kurve eines Steinwurfes nach dem Gesetz der Stetigkeit (lex continui) 83. Die Willenserklärung enthält und transportiert gleichsam das Versprechen (promissio), das vom Schuldner derivativ erworben wird. Die vertragliche Verpflichtung folgt jedoch unverändert aus dem Versprechen. Sie verdankt sich bei Kant, wie auch in der späten naturrechtlichen Lehre84, also nicht einem inhaltlichen Willenskonsens, sondern nur der Einigung bezüglich der Übertragung. Dieser äußere Konsens, den Kant als vereinigten Willen bezeichnet, reguliert als iusta causa traditionis den Vermögensübergang85. Der Passus lautet: „Diese Stetigkeit aber bringt es mit sich, dass nicht eines von beiden (promittentis et acceptantis) besonderer, sondern ihr vereinigter Wille derjenige ist, welcher das Meine auf den anderen überträgt; also nicht auf die Art: dass der Versprechende zuerst seinen Besitz 80 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, S. 386 (AB 102). § 20 letzter Satz. 81 Der einleitende Satz des § 20 lautet: „Was ist das Äußere, das ich durch den Vertrag erwerbe?“ Kant, aaO., S. 385 (AB 101). 82 „… und doch kommt etwas zu meiner äußeren Habe hinzu; ich bin vermögender (locupletior) geworden, durch Erwerbung einer aktiven Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des anderen.“ Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, S. 386 (AB 102). 83 „…, damit das Versprechen nicht zu einem Gegenstand werde, das keinen Besitzer hat (res vacua) und folglich ursprünglich erworben werden würde; welches dem Begriff des Vertrages widerspricht.“ Kant, ebd. 84 Karl Ludwig Pörschke, Vorbereitung zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795, S. 175: „… das Versprochene ist etwas Weggegebenes, es gehört nicht mehr uns: Ehrlichkeit und Redlichkeit wären auf immer dahin, wenn wir befugt wären, nur eine Ausnahme von dem Gesetze des Worthaltens zu machen“. Hierauf verweist HKK/Schermaier, BGB, 2003, §§ 116 – 124 Rn. 4 u. Fn. 37. 85 Ähnlich Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: das naturrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektische Modell der vereinigten Willenserklärungen. In: Zimmermann/Knütel/Meincke (Hg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 187, 200.

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zum Vorteil des anderen verlässt (derelinquit), oder seinem Recht entsagt (renunciat) und der andere sogleich darin eintritt, oder umgekehrt. Die Translation ist also ein Akt, in welchem der Gegenstand einen Augenblick beiden zusammen angehört, so wie in der parabolischen Bahn eines geworfenen Steins dieser im Gipfel derselben einen Augenblick als im Steigen und Fallen zugleich begriffen betrachtet werden kann, und so allererst von der steigenden Bewegung zum Fallen übergeht.“

Kants Rechtslehre steht hier in unmittelbarer Kontinuität zur naturrechtlichen Versprechenslehre. Der im naturrechtlichen Modell besitzrechtlich vorgestellte Übertragungsvorgang aufgrund des äußeren Konsenses wird von Kant nun als Willensvereinigungsprozess beschrieben. Dagegen bleibt das Versprechen als Emanation des freiheitlichen, sich selbst bestimmenden und dadurch sich selbst bindenden86 Willens die für die Gebundenheit des Schuldners allein maßgeblich Kategorie87. Den Schritt hin zu einer Verpflichtung aus dem Willenskonsens vollzieht erst von Savigny88. Er baut den äußeren Übertragungskonsens zu einem allgemeinen Willenskonsens, dem „gemeinsamen, einzigen und ganz ungeteilten Vertragswillen“ 89, aus. Die fusionierten Willen bilden den Vertrag als ein einheitlich gedachtes Rechtsverhältnis. Die Forderung, wird aus dem gemeinsamen Willen originär erworben und damit gleichsam geboren90 und nicht mehr derivativ durch Übertragung eines präexistenten Vertragsversprechens begrün86 Das Vermögen der reinen praktischen Vernunft ist es, sich aus Unbedingtheit zu einer Handlung bestimmen zu können (Freiheit), Kant, Kritik der reinen Vernunft, Bd. 2, Werkausgabe IV, Weischedel (Hg.), 1988, S. 488 (A 532, B 560). Die Ableitung der Rechtspflicht aus einem Selbstbestimmungsakt bei Kant, vgl. Bartuschat, Zur Deduktion des Rechts aus der Vernunft bei Kant und Fichte. In: Kahlo (Hg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. Die Deduktion der §§ 1 – 4 der Grundlage des Naturrechts und ihre Stellung in der Rechtsphilosophie, 1992, S. 173, 178 und unten C. III. 3. b), S. 413 ff. 87 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, S. 317 (AB 4/5): „Der Wille … ist die praktische Vernunft selbst“. Für Kant ist die Autonomie des Willens „das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten und gründet allein alle Verbindlichkeit“, zit. nach W. Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: Kersting (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 32. 88 Die materielle Verpflichtung aus dem Willenskonsens statt aus dem Versprechen wird verbreitet, aber meines Erachtens zu Unrecht, Kant selbst zugeschrieben, so etwa Peter König, Kap. 7, §§ 18 – 31, Episodischer Abschnitt, §§ 32 – 40; in: O. Höffe, Immanuel Kant, Metaphyische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 133, 137; Petersen, Kants „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre“ – kritisches Spätwerk oder „Erzeugnis eines gewöhnlichen Erdensohnes“?, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hg), FS für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1249, 1253. 89 Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 3, 1840, S. 309. Dass sich der gemeinschaftliche Wille im Austausch der einzelnen Willenserklärungen bilde (Ebd. 310), zeigt noch den Gedanken der Übertragung. 90 Rechte und Pflichten materialisieren sich bei von Savigny erst im vertraglichen Rechtsverhältnis, vgl. Schmidlin, (oben Fn. 85), S. 187, 201. Der Grund der Obligation ist daher auch das Rechtsverhältnis [nicht mehr das jeweilige Versprechen], vgl. Friedrich Carl von Savigny, Das Obligationenrecht, Bd. 1, 1851, S. 4.

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det. Wie die zitierte Stelle belegt, wollte Kant eine solche ursprüngliche Erwerbung gerade vermeiden91. Die Vertragsversprechen verlieren bei v. Savigny damit ihren operationalen Charakter als Pflichten begründende Selbstbindungsakte. Die Rechtsgeschäftslehre spricht noch heute meist nur von einem Vertragsangebot, welches vor der Annahme bloß wie ein Vorschlag verstanden werden soll92. Die Übertragungscausa (iusta causa traditionis) ist hinfällig, weil der fusionierte gemeinsame Wille, der auch die Pflichtenübernahme der anderen Partei mitumfasst, den Vertrag entstehen lässt 93. Der gemeinsame Wille ist sich causa genug94. Eine causa obligationis wird nicht anerkannt95. Die Willenserklärung übernimmt bei von Savigny damit die Funktion, Transportmittel für den alleine maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Willen zu sein und sie tritt zugleich an die Stelle des Vertragsversprechens96. Das „Rechtsverhältnis“97 zwischen den Parteien reguliert Freiheit und Pflicht nun interpersonal, ohne dass 91 V. Savigny ist möglicherweise auch hier vom römischen Recht beeinflusst, denn Gaius spricht bekanntlich von einer Geburt der obligatio aus dem Vertrag, Gaius III, 88: Omnis obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto; später mit den Quasikontrakten: Inst. 3, 13, 2. 92 Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl. 1999, § 145 Rn 1 in Anlehnung an Art. 14 CISG. Die Angebotsbindung nach § 145 Hs. 1 BGB, die auch als verbindliche Festofferte ausgestaltet werden kann, legt dagegen die Annahme eines Versprechens nahe. 93 Damit geht von Savigny über Kant hinaus, vgl. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: das naturrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektische Modell der vereinigten Willenserklärungen. In: Zimmermann; Knütel/ Meincke (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 187, 199. 94 Die Ersetzung der causa durch den Willen ist strukturarm und noch heute problematisch. Das zeigt Mazza für Sonderfälle (Sicherungsvereinbarung, Vorvertrag), Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit, 2002. Mazza befürwortet die Kondiktion kausaler Forderungen über den Gedanken des genetischen Synallagma (ebd. S. 223 ff.). Die Aufnahme der Zweckvorstellung in den Vertrag bleibt auch im Bereicherungsrecht notwendig. Zur condictio ob rem auf Grundlage einer Zweckabrede vgl. Kupisch, Leistungskondiktion bei Zweckverfehlung. Zum Causa-Problem im Zivilrecht, JZ 1985, 101, 103. Eine Wiederbelebung des Zweckdenkens geht auf Hugo Kreß zurück, der jeder vertraglichen Vereinbarung eine Zweckvereinbarung mit einem oder mehreren angestaffelten Zwecken zu Grunde legt. Zum Stand dieser erneut hervortretenden Lehre, H. Ehmann, Zur Causa-Lehre, JZ 2003, S. 702 ff., der kritisch resümiert: Der naive Gesetzespositivismus, der nach dem Inkrafttreten des BGB die Zivilrechtswissenschaft beherrschte ist ursächlich dafür geworden, dass im deutschen Recht die Funktion der causa obligandi in Vergessenheit geriet und durch zahlreiche Hilfskonstruktionen, insbesondere die Vorstellung vom genetischen und funktionellen Synallagma sowie durch die Geschäftsgrundlagenlehre ersetzt werden musste (ebd., S. 714). 95 H. Ehmann, Zur Causa-Lehre, JZ 2003, 702, 714: „Es ist festzuhalten, dass Savigny eine causa obligandi für entbehrlich hielt; wobei unklar bleibt, ob lediglich eine causa expressa entbehrlich sein sollte. In den Materialien ist weder bei den §§ 145 ff. noch bei § 305 die causa-Lehre erwähnt.“ 96 HKK/Schermaier, BGB, 2003, §§ 116 – 124 Rn. 4. Dort auch zur Entstehung des Begriffs der Willenserklärung aus den Lehren des Christian Thomasius oder des Christian Wolff, (ebd. Rn. 2 u. Fn. 19). 97 V Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 1840, S. 339 (ohne Bezugnahme auf Fichte).

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damit die Bindung deutlich erklärt wäre. Die Vertragsbindung ist zu einer rechtlich geordneten Form des Freiheitsgebrauchs geworden. v. Savigny überträgt den Kantischen Rechtsbegriffs auf den Vertrag. Die Vereinigung der Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit98 entspricht dem materiellen Vertragskonsens. Die Idee eines gemeinsamen gesetzgebenden Willens wird als naturwissenschaftlicher Verschmelzungsvorgang zweier Willen zu einem einheitlichen Vertragswillen vorgestellt (Konsensdogma99). Das ist eine fast naive Vorstellung. Der Gläubiger lässt sich danach statt als Inhaber des schuldnerischen Versprechens als Teilhaber am gemeinsamen Vertragswillen verstehen. Die Teilhabe umfasst auch die schuldnerische Selbstverpflichtung. Das Herrschaftsverhältnis über den Willen des Schuldners ergibt sich aus der Willensvereinigung, die als wechselseitiges Unterwerfungsverhältnis begriffen wird100. Diese Vorstellung eines einheitlichen Vertragswillens aus einem Rechtsverhältnis findet noch heute weithin Anerkennung101. Dem Vertragsbegriff des BGB liegt nach allgemeiner Überzeugung das pandektistische Modell der vereinigten Willen zugrunde102. Die entsprechende Vorschrift im 1. Entwurf § 77 E I lautete: „Zur Schließung eines Vertrages wird erfordert, dass die Vertragsschließenden ihren übereinstimmenden Willen sich gegenseitig erklären“. Die Vorschrift wurde als überflüssig gestrichen. Jedoch zeigt sich in dieser Formulierung ein feinsinni98 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, S. 337 (AB 32). 99 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 156; krit. zur irrealen Vorstellung eines kollektiven Willens auch Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 191. 100 Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris, u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, 2000, 129, 148 u. Fn. 84. Zur Vorstellung einer Herrschaft über den Willen des Schuldner oben B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 128 f. Ähnlich auch der Redaktor des Schuldrechts v. Kübel: „Aus dem Wesen des Vertrages ergibt sich von selbst, daß derjenige, welcher … seinen Willen … einer anderen Person unterworfen hat, seinen Willen auch dementsprechend bethätigen muß“, in: Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht, 1980, S. 379. V. Kübel denkt jedoch vom angenommenen Versprechen aus, das den Vertrag bildet und das seine Grundlage im gegebenen Wort hat. Vgl. zuvor oben Text bei Fn. 76. 101 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 618; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, 1972, S. 52 ff. (natürlicher Konsens); Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941) 130, 151, der im Verfahren der Vertragsbildung die ausreichende Gewähr für die Richtigkeit (= Gerechtigkeit und die aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft zu beurteilende Zweckmäßigkeit) sieht. Krit. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, Wien 1967, 68. 102 Siehe vorherige Fn. Auch Art. 861 ABGB ist zwar nach der naturrechtlichen Versprechensübertragungslehre konzipiert, die Vorschrift wird heute aber nach Maßgabe des pandektistischen Vertragsmodells verstanden, vgl. Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Familienrecht, 12. Aufl. Wien 2002, S. 111.

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ger Übergang zwischen translativer Versprechensübertragung und Vereinigung der Willen. Ferner wird nun der „Vertragswille“ aus gleichlautenden Willenserklärungen zusammengesetzt, während von Savigny noch antagonistische Willen in einem Vertragswillen vereinigt sah103. Die Einzelwillen stimmen jetzt ex ante inhaltlich überein, so dass die Willensvereinigung zwei homologe Willenserklärungen zusammenfasst. Die Verknüpfung zweier Einzelwillen, die als Rechte und Pflichten im Konsens in Geltung gesetzt werden (lex contractus) findet sich auch bereits im römischen Konsensbegriff angelegt104. Bei Ulpian (D. 2, 14, 1, 3) ist Konsens als innerer oder natürlicher Konsens im Sinne von „zu einer einheitlichen Meinung gelangen“ beschrieben105. Allerdings legt diese Vorstellung die unrichtige Annahme nahe, die Vertragsverhandlung sei in den Vertragsabschluss und damit in den Vorgang der Ingeltungsetzung der Vertragsfolgen integriert. Wie der offene Einigungsmangel in Fällen verabredeter Beurkundung gem. § 154 Abs. 2 BGB oder der „Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text“106 exemplarisch zeigen, entspricht das nicht dem Vertragsschlussmodell des BGB. Dieses trennt den Inhaltskonsens, der die Aushandlung und Aufstellung des Vertragsprogramms betrifft107, vom Geltungskonsens, mit dem das Vertragsprogramm in Kraft gesetzt wird.

103 V. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 3, 1840, S. 310 (Austausch der einzelnen Willenserklärungen). 104 HKK/Schermaier, BGB, 2003, §§ 116 – 124 Rn. 2 u. Fn. 13 – 15. 105 Ulpian D. 2, 14, 1, 3: „Das Wort conventio … erfasst alle Fälle, in denen diejenigen, die rechtlich miteinander zu tun haben, im Abschluß oder in der Erledigung eines Rechtsgeschäfts übereinstimmen. Denn wie man bei denen von convenire, zusammenkommen, spricht, die sich von verschiedenen Orten aus an einem Ort versammeln und dort zusammenkommen, so [spricht man von Zustandekommen] auch bei denen, die Anfangs von verschiedenen Absichten bewegt am Ende in ein- und demselben übereinstimmen, das heißt zu einer einheitlichen Meinung gelangen. …“ 106 Merle, Die Vereinbarung als mehrseitiger Vertrag – Vertragsschluss durch Zustimmung zu einem Text?, in: Merle, Krüger, Krämer (Hg.), FS für Joachim Wenzel, 2005, S. 251, 253 ff. 107 Die prinzipielle Abhängigkeit des Geltungskonsenses vom Inhaltskonsens (§§ 154 Abs. 1, 155 BGB) stellt die Trennung nicht in Frage. Das BGB kennt aber keine Regeln für die Herstellung des Konsenses. Die fehlenden Verhandlungsregeln zeigen einen wesentlichen Unterschied der rechtlichen gegenüber der diskursiven Einigung, die wesentlich von den Regeln des Diskurses bestimmt ist, vgl. Tschentscher, Der Konsensbegriff in Vertrags- und Diskurstheorien, Rechtstheorie 2002, S. 43, 54 (der reale rechtliche Vertrag ist nur ein situativer Kompromiss).

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(4) Vertrag als emergente Erscheinung (Emergenz) Einem systemtheoretischen Ansatz von Gunther Teubner 108 folgend erklärt Marie Theres Fögen die historische Entstehung des Vertrages sowie der Rechtsbindung aus dem Vertrag als eine emergente Erscheinung 109. Emergenz110 bezeichne das Benutzen der Vergangenheit durch vorhandene Elemente und das Entstehen einer neuen Eigenschaft, die nicht in den ursprünglichen Elementen enthalten und nicht auf sie zurückzuführen sei. So könnten die Reden zweier Personen, die für sich betrachtet nichts als Reden seien, doch ein soziales Ereignis hervorbringen, dessen zwei Seiten Juristen dann Verpflichtung und Berechtigung nennen. Durch hochgradige Selektion menschlicher Handlungen könnten so wechselseitige Verbindlichkeiten extrapoliert werden111. Die These leuchtet in gewisser Weise ein, bleibt aber doch aussagearm. Die obligatorische Rechtsbindung wird als das (überraschende) Resultat eines sozialen Prozesses beobachtet, ohne dass für das prozesshafte Geschehen eine Begründung gegeben werden könnte. Emergenz ist somit die Chiffre für einen fehlenden Erklärungsansatz. Es fehlt eine naturalistische Vorstellung von Rechtsbindung, wie insbesondere die vincula iuris, die den sozialen Selektionsprozess ideengeschichtlich geleitet haben dürfte112. Die Emergenzthese beruht ferner auf einem Missverständnis. Fögen spürt dem systemevolutionären Geburtszeitpunkt des Vertrages nach. Der „Punkt in der systemeigenen Evolution des Vertrages …, an dem aus zwei oder mehreren Willen jene Form von „Vertrag“ entstand, liege in der „Geburt des Vertrages“ bei Gaius D. 44, 7, 1 pr (obligationes aut ex contractu nascuntur …)113. Die Geburt, von der Gaius hier spricht, ist aber die Geburt der Obligation aus dem 108

Teubner, Coincidentia oppositorum: Das Recht der Netzwerke jenseits von Vertrag und Organisation, in: Amstutz (Hg.), Die vernetzte Wirtschaft. Netzwerke als Rechtsproblem. Symposien zum schweizerischen Recht, Zürich 2004, S. 9 – 42. 109 Fögen, Zufälle, Fälle und Formeln. Zur Emergenz des synallagmatischen Vertrags, Rechtsgeschichte, 6/2005, S. 84. 110 Emergenz (engl. emergence: unerwartete Erscheinung) bezeichnet das Phänomen, dass beim Übergang von einfachen zu komplexeren sozialen Systemen neue Eigenschaften des Systems auftreten, die nicht auf Eigenschaften der Elemente des Systems auf niederer Entwicklungsstufe zurückgeführt werden können, Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 4. Aufl. 1994, Stichwort: Emergenz, S. 179. Ähnlich spricht Christoph Engel von Emergenz bzw. einem Emergenzeffekt, wenn aus Vorgängen auf einer tieferen Ebene ein ungewollter und nicht vorhergesehener Effekt auf einer höheren Ebene entsteht. Adam Smith’s „unsichtbare Hand“ des Marktes ist eine berühmte Metapher für ein Emergenzphänomen. Ebenso der Flügelschlag des Schmetterlings, der eine Kausalkette in Gang setzt, an deren Ende etwa ein Orkan odgl. steht, Vgl. Engel, Rationale Rechtspolitik und ihre Grenzen, JZ 2005, 581, 584. 111 Vertragsbindung als emergente Erscheinung des Vertrages anerkennt etwa auch Th. Müller, Verwaltungsverträge im Spannungsfeld von Recht, Politik und Wirtschaft, 1997, S. 161. 112 Zur Entwicklung des Obligationenbegriffs siehe oben B. I. 1. a), S. 49 ff. 113 Fögen, (oben Fn. 109), S. 84, 85 u. Fn. 14.

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Vertrag, nicht etwa die des Vertrages aus der Willenserklärung. Das GaiusZitat, in welchem neben dem Vertrag noch weitere Entstehungsgründe der Obligation genannt werden (delictu, quasi ex contractu, quasi ex delictu), belegt daher nicht die Vertragsentstehung, sondern zeigt, dass die Obligation die grundlegendere Systemkategorie gegenüber der des Vertrages darstellt. Ausgangspunkt der Systembildung im römischen Recht, wie auch im heutigen BGB, ist die Obligation. Der Vertrag ist nur eine unter mehreren möglichen Ursachen für die Wirkung Obligation114. Die Rede von der Emergenz verschleiert diesen Zusammenhang eher. bb) Vertragsbindung durch Reziprozität Die Vertragsmodelle machen die Pflichtbegründung von dem Vertragsschluss abhängig. Eine Antwort auf die Frage nach dem Grund der Bindung ist damit aber noch nicht gegeben. Die Bindung beruht entweder auf Versprechenstatbeständen und geht vom Gebundenen selbst aus oder sie beruht auf der im Tausch wirksamen Reziprozität. In letzterem Fall geht sie vom Verhalten des Tauschpartners aus. Beide Ansätze können auch kombiniert werden, etwa indem Versprechen getauscht werden115. Die Bindung aus dem Versprechen tritt dann neben die reziproke aus dem Tausch. Die Reziprozitätsbindung ist mit den rechtlichen Systembegriffen consideration, Causa und Konsens verknüpft. Reziprozität kennzeichnet zunächst nur einen formalen Austauschmechanismus116. Sie ist darüber hinaus aber auch ein Modell für die Entstehung von Erwartungen. Die Bindung aus Reziprozität verdient besondere Beachtung, weil sie eine Erklärung für die Vertragskonstruktion liefert. Die Reziprozitäts-

114 Vgl. Bucher, Was macht den Schiedsrichter? Abschied vom Schiedsrichtervertrag und Weiteres zu Prozessverträgen. In: Bachmann, u.a. (Hg.): Grenzüberschreitungen – Beiträge zum Internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit. FS für Peter Schlosser, 2005, S. 97, 110: „Am Ausgangspunkt der Systembildung des Schuldrechts steht die Obligation, deren Entstehungsgründe Verträge und Delikte sind, zu denen regelmäßig noch (als Quasiverträge und Quasidelikte etikettiert) die negotiorum gestio (GoA) und die condictio (ungerechtfertigte Bereicherung) als Nebenposten hinzutreten“. 115 Der Annahme Buchers, dass die Consideration-Lehre nicht auf den Vertrag angewendet werden könne, sondern nur auf das einzelne Versprechen und daher die Offerte isoliert für sich betrachtet als unter die Bedingung der Annahme gestellte Pflicht zur Erbringung der offerierten Leistung gelten könne halte ich für eine zu weitreichende Schlussfolgerung, denn der Versprechensaustausch schließt den umfassenderen Vertrag nicht aus, Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 193. 116 Formal ist eine Beziehung schon dann reziprok, wenn auf beiden Seiten Rechte und Pflichten entstehen, die sich wechselseitig motivieren und begründen, Luhmann, Zur Funktion der ‚subjektiven Rechte‘, in: Ausdifferenzierung des Rechts, 1981, S. 360, 362.

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erwartung richtet sich auf die Erwiderung für den Erhalt einer Leistung 117. Die Pflicht zur Erwiderung ist in einfachster Form die Pflicht zur Gegengabe aus Dank für eine erhaltene Leistung. Beim Delikt ist es die Erwartung des Opfers, dass der Täter das Unrecht, bzw. den Schaden, wieder gutmacht. Die Pflicht folgt aus dem Recht des Opfers auf Ausgleich (ursprünglich Vergeltung) für die zugefügte Verletzung118. In der komplexeren Struktur des Tauschgeschäfts bedeutet das Erwiderungsgebot eine Leistungsverpflichtung. Eine Pflicht zur Leistung entsteht deshalb immer nur als Gegenleistung119. Erst die Leistung des Anderen begründet die eigene Handlungspflicht. Aus Reziprozität entsteht eine Handlungspflicht durch das Verhalten des Anderen120. Reziprozität wirkt rückblickend sowohl als Dankesschuld für empfangene Leistungen als auch als Wiedergutmachungspflicht für getanes Unrecht. Zukunftsweisende Reziprozität bedeutet, der Vorleistende rechnet auf künftige Wohltaten des Empfängers und setzt seine Gabe strategisch ein. Freilich kann der Geber dadurch keine Fremdbindung gleichsam ausüben und, wie Köndgen annimmt, sich den anderen verpflichten121. Der Empfänger ist durch den Erhalt der Gabe noch nicht reziprok gebunden, sondern Fremd- und Selbstbindung entstehen erst aus der Gegengabe. Die Gegengabe hat eine doppelte Funktion122. Sie bekundet erstens die Annahme der Gabe123 und löst so die Leistungspflicht des Empfängers zur Erwiderung aus. Zweitens verpflichtet die Gegengabe den ersten Geber dazu, an seiner Gabe festzuhalten und damit etwa auch ein Versprechen oder eine Teil-

117

Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 242. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1995, S. 175. 119 Bei Tauschgeschäften mit einseitiger Vorleistung zeigt sich eine mittelbare Anerkennung der Erwiderungspflicht bereits in der Pflicht zur Rückgewähr der erhaltenen Vorleistung bei gescheiterter Reziprozität, vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 257. 120 Schelsky, in: Gehlen/Schelsky, Soziologie, Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 1955, § 1 III 6, S. 29: Anthropologisch ist Reziprozität Steuerung des [eigenen] Verhaltens vom Verhalten anderer her („to take the role of the other“). Gegenseitigkeit, Tausch, Symmetrie sind die unmittelbaren Gegebenheiten des sozialen Lebens, aus ihnen erheben sich die einzigen unter primitiven Bedingungen stabilisierbaren Strukturen. Vgl. zur Reziprozität auch Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 8. Aufl. 1995, 177: „Ich muss geben, wenn ich empfangen will.“ und Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 112 u. Fn. 84. 121 So Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 245. Lediglich mittelbar kann der Vorleistende die Verpflichtung des Empfängers initiieren. 122 Die rechtsgeschäftliche Funktionalisierung sachlicher Verfügungen (hier der realen Tauschakte Gabe und Gegengabe) ist eine neuzeitliche Errungenschaft. Heute kann die consideration als willentliche Geste des Versprechensbegünstigten aufgefasst werden, vgl. Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 179. 123 Die Gegengabe muss aber nicht als Annahmehandlung verstanden werden. Sie lässt sich auch als Beweis für die Annahme der Gabe oder als Seriositätsindiz der Tauschabrede verstehen. Vgl. nachfolgend im Text. 118

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leistung restlich noch zu erfüllen. Die verschiedenen Vertragsmodelle sind unter dem Blickwinkel der Reziprozität daher weiter zu präzisieren. (1) Consideration-Lehre Das Common law erhob die Spruchregel „Vergelten soll man Gabe gegen Gabe“ in seiner doctrine of consideration124 zum Rechtsprinzip125. Die ConsiderationLehre setzt dabei den Gedanken der Reziprozitätserwartung in einer dem Tausch unmittelbar nachgebildeten Modellvorstellung rechtsdogmatisch um. Die Verpflichtung entsteht durch die Leistung des Anderen. Der ungebunden Vorleistende wird erst aufgrund eines Gegenopfers126 (consideration127) zur Erfüllung der eigenen Leistung verpflichtet128. Verständnisschwierigkeiten ergeben sich aus dem späten Zeitpunkt der Pflichtentstehung. Der Vorleistende bleibt solange ungebunden bis der Empfänger die Gegenleistung (oder zumindest ein Vermögensopfer) erbringt129. Der bloße Empfang der Leistung ist zunächst weder für den Empfänger noch für den Vorleistenden pflichtbegründend. Der Empfänger kann die Leistung zurückweisen und der Vorleistende sie noch zurückverlangen. Der Empfänger ist auch seinerseits nicht zur Gegenleistung oder zur Erbringung eines Vermögensopfers verpflichtet. Er entscheidet ungebunden über die Annahme. Mit dem Bewirken130 der Gegenleistung (oder 124 Die Theorienbildung geht dabei nicht von den Gerichten, sondern vom Schrifttum aus, Atiyah, Essays on Contract, Oxford 1986, S. 181: „The truth is that the courts have never set out to create a doctrine of consideration“. 125 Zu ihren historischen Grundlagen im römischen Recht, vgl. Wacke, Faktische Arbeitsverhältnisse im Römischen Recht? Zur sogenannten „notwendigen Entgeltlichkeit besonders bei Arbeitsleistungen vermeintlicher Sklaven, SavZRom 1991, S. 123. 126 Gegenopfer (consideration) kann ein Vorteil für den (vorleistenden) Versprechensgeber oder ein Schaden für den Versprechensempfänger sein: „a benefit to the promisor or a detriment to the promisee“ (Currie v. Misa, [1875] L.R. 10 Ex.153, 162), zitiert nach . 127 Consideration von lat. considerare, in Betracht ziehen. Nach Auffassung von Bucher soll der bei Übernahme einer Pflicht zu erwägende Vorteil gemeint sein (heute oft die erlangte Gegenleistung, das quid pro quo), Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164 Fn. 1. Die consideration bedeutet damit jedenfalls im Ergebnis die Übernahme einer eigenen Leistungspflicht, die zugleich auch den anderen zur Leistung verpflichtet. 128 Es bedeutet insoweit keinen Unterschied, ob die Leistungspflicht aktionenrechtlich dahin beschrieben wird, dass die eigene, ungebunden erbrachte Vorleistung nicht mehr kondiziert werden kann und deshalb nachträglich bindend geworden ist oder ob die Bindung normativ als eine nachträglich eingetretene Rechtswirkung anerkannt wird. 129 Erst das Gegenopfer löst nachträglich die Bindung des Vorleistenden aus. Das pflichtbegründende subsequente Leistungsversprechen wurde ursprünglich fingiert, vgl. Bucher, (oben Fn. 127), S. 164, 189 unter Verweis auf G.C. Cheshire/C.H. Fifoot, Law of Contracts, 1. Aufl. 1945 (Part I – Historical Introduction, S. 15 und Warbrooke v. Griffin [1609], 2 Brownlow, 254 oder E.R. 123 S. 927. 130 Bewirken meint die Vornahme der Leistungshandlung, nicht notwendig den Leistungserfolg. Bei einseitiger Verpflichtung entsteht die Pflicht donandi causa mit dem Bewir-

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eines Gegenopfers) nimmt der Empfänger die Leistung an und im selben Moment tritt seine Verpflichtung zur Gegenleistung ein, weil der Leistende seinerseits ein Gegenopfer und zwar durch die Vorleistung erbracht hat131. Diese dem Leistungsvollzug nachfolgende Bindung im Zeitpunkt der Bewirkung der Gegenleistung entspricht dem Grundsatz, wonach das in römischer Tradition stehende angelsächsische Recht prinzipiell keine Erfüllungsklagen zulässt132. Sie erscheint auf den ersten Blick aber wenig sinnvoll133. Die Bindung könnte praktische Bedeutung allein für Einstandspflichten im Falle fehlerhafter Primärleistungen haben und damit (nur) ein selbständiges Gewährleistungsrecht rechtfertigen134. Diese Sichtweise greift aber zu kurz. Die gegenseitige Bindung durch die Bewirkung der Gegenleistung entspricht der Lehre ausgetauschter Versprechen (translative Versprechensübertragung). An die Stelle der Sachleistung tritt das Versprechen als Tauschgegenstand. Daher löst erst das Gegenopfer135 die Bindung des Leistungs- und des Gegenleistungsversprechens aus. Die gegenseitige Bindung tritt mit der Gegenleistung bzw. dem Gegenopfer ein, auf einen Schlag136. ken der Leistung. Das impliziert eine vorausgegangene Leistung bzw. ein Gegenopfer des Beschenkten. Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Aufl. 1981, Kap. 49/I/I,1: „. . . jede Gabe musste durch eine Gegengabe gelohnt werden, um bindend zu werden. Nach langobardischem Recht bedurfte es eines, wenn auch nur geringwertigen, Lohngeldes, das der arrha entsprach. In anderen Rechten ließ man Dienst genügen . . .“. Kap. 40/II,3: „Daran hat das engl. Recht festgehalten, das stets ein Äquivalent irgendwelcher Art (consideration) verlangt.“ 131 Ebenso erkennt Bucher, dass im beidseitig verpflichtenden Vertrag von mindestens zwei considerations gesprochen werden müsste, und zwar einer solchen jeder der Parteien. Consideration werde aber nicht in eine Mehrzahl gesetzt, Bucher, (oben Fn. 127), S. 164, 193 u. Fn. 83. 132 Wobei nicht klar zwischen fehlender Klagbarkeit und fehlender Leistungspflicht unterschieden wird. Die fehlende Klagbarkeit bedeutet nicht notwendig die fehlende Leistungspflicht. Das zeigt die Naturalobligation. Zum Grundsatz und ihren Ausnahmen vgl. Atiyah, Essays on Contract, Oxford 1986, S. 183 ff. 133 Kritisch dazu Eduard Gans in der zeitgenössischen Vorlesung über Hegels Rechtsphilosophie im Kapitel über das abstrakte Recht, vgl. Braun (Hg.), Eduard Gans, Naturrecht und Universalrechtsgeschichte, Vorlesungen nach G.W.F. Hegel, 2005, S. 97: Die Übereinkunft wird nicht als das Wesen der Vertrages angesehen, sondern nach der Meinung Fichtes und anderer macht den Vertrag erst die Leistung vollkommen. Doch dann kämen wenig Verträge zustande … 134 Anders aber bei Annahme einer primären Nacherfüllungspflicht. Im deutschen Schuldrecht nach der Schuldrechtsreform wird bei Kauf und Werkvertrag die Nacherfüllung als eine primäre Leistungspflicht angesehen. 135 Das eben auch in einem bloßen Gegenleistungsversprechen bestehen kann. Treitel, The Law of Contract, 9. Aufl., London 1995, Abt. 3, Consideration, sec. 7: „Mutual promises are generally consideration for each other, …“. 136 Die Lehre ist philosophisch fundiert. Fichte hat die Behauptung aufgestellt, dass die Verbindlichkeit, den Vertrag zu halten, nur erst mit der beginnenden Leistung des anderen für mich anfange, weil ich vor der Leistung [des anderen] in der Unwissenheit darüber sei, ob der andere es ernstlich mit seiner Äußerung gemeint habe; die Verbindlichkeit vor der Lei-

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Das Erfordernis des Gegenopfers für eine ungebunden erbrachte Vorleistung ist das Kennzeichen der Consideration-Lehre. Das angelsächsische Bindungsmodell baut auf einem geglückten Tauschhandel auf137. Die Begründung der Verpflichtung des Vorleistenden aus der Gegenleistung ist dennoch nicht zirkulär138. Bei dem Vorwurf der Zirkularität bleibt unbeachtet, dass der Vertrag auf dem Modell der translativen Versprechensübertragung beruht. In diesem Strukturmodell139 ist das Gegenopfer („consideration“) für die Pflichtenbegründung konstitutiv140. Der unter einer Zweckabrede erfolgende Tausch gegenseitiger Versprechen wird erst in dem Moment bindend, in dem das eigene Versprechen nicht mehr kondiziert werden kann und also eingehalten werden muss. Ein Beleg für diese doppelte Bindungsstruktur zeigt sich beim fehlerhaften Vertrag. Der formlose, einer consideration ermangelnde Vertrag kann nicht gerichtlich durchgesetzt werden. Er ist aber nicht nichtig, sondern nur „legally not binding“. In deutscher Terminologie, so ergänzt Heinz-Peter Mansel, sei der formlose Vertrag eine Naturalobligation und daher allein Rechtsgrund zum Behaltendürfen freiwillig erbrachter Vertragsleistungen141. Das stung sei daher nur moralischer, nicht rechtlicher Natur. Vgl. Beiträge zur Berichtigung der Urteile über die französische Revolution, Sämtliche Werke VI, S. 111 ff. zit. nach G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zweiter Abschnitt: Der Vertrag: § 79, Hrsg. Hoffmeister, 2004 (Berlin 1821), S. 83. Hegel erwidert: Allein [der Vertrag] enthält den zustande gekommenen gemeinsamen Willen, in welchem die Willkür der Gesinnung und ihrer Änderung sich aufgehoben hat, Hegel, ebd. 137 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. 1996, S. 384 f. umschreiben dies wie folgt: „Das Consideration-Erfordernis ist also immer dann erfüllt, wenn das Versprechen gleichsam der Preis ist, den der Versprechende für eine von ihm erstrebte Gegenleistung ausgesetzt hat und wenn ferner der Versprechensempfänger, um sich diesen Preis zu verdienen, diese Gegenleistung erbracht, also seinerseits etwas versprochen oder geleistet hat. Daher definiert Restatement Contracts 2d (1981) in § 71: „To constitute consideration, a performance or a return promise must be bargained for. … „. Ebenso Mansel, Reziprozität und Utilität als Auslegungselemente bei konkludentem Vertragsschluß – am Beispiel unentgeltlicher Informationsgewährung, in: Schack (Hg.), GS für Alexander Lüderitz, 2000, S. 487, 496; kritisch zur Deutung des Gegenopfers als Preis, Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 70; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 2. Aufl. Wien 2003, S. 24. 138 So Benedict, Consideration. Formalismus und Realismus im Common Law of Contracts, RabelsZ 69 (2005) 1, 40 auch zum gegenwärtigen Stand der Consideration-Lehre. Es handle sich um eine plausible Beweisregel aus einer ex-post Betrachtung der Leistungsbewegung (Ebd. 37 f.). Ähnlich aber auch Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 68, wonach das Gegenopfer anfänglich als Indiz für den Bindungswillen gewertet worden sein könnte. Als Seriositätsindiz bereits Zweigert/Kötz, (vorherige Fn.), S. 385. 139 Näher dazu oben C. III. 1. b) aa) (2), S. 300. 140 So zutreffend Mansel, (oben Fn. 137), S. 487, 496. 141 Mansel, (oben Fn. 137), S. 487, 495; ähnlich Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, S. 119 (Wer ohne besondere Form etwas verspricht, will noch lange nicht deshalb auch gerichtlich belangt werden können). Das entspricht ganz der österreichischen Rechtslage (Art. 1432 ABGB), die aus formfehlerhaften

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lässt sich zunächst dahin präzisieren, dass nicht der Vertrag, sondern die aus ihm entstehenden Leistungspflichten rechtlich nicht erzwingbar und darum Naturalobligationen sind. Grundlage der naturalen Leistungspflichten sind die vertraglichen Leistungsversprechen142. Zu sehen ist, dass sich die Freiwilligkeit einer Naturalobligation auf eine vertragliche Erfüllungsleistung bezieht. Es geht bei ihr mit anderen Worten nicht allein um den Vollzug einer Zweckabrede, sondern um obligatorische Bindung ohne Durchsetzungszwang143. Die Naturalobligation setzt Pflichtbindung voraus und geht insofern über die Leistung aufgrund einer Zweckabrede hinaus144. Bejaht man mit Mansel eine Naturalobligation, so wird die Versprechensbindung in das Consideration-Modell integriert. Die Versprechensbindung tritt an die Stelle der nicht geglückten Reziprozitätsbindung. Es fehlen Form und Gegenopfer, aber die jeweiligen Versprechen bleiben (als Naturalobligationen) erhalten. Nach dieser Vorstellung müssten sich bei Einhaltung der Form bzw. ordnungsgemäßer consideration beide Bindungsformen überlagern. Das ist plausibel und in einem Vertragsmodell auf der Grundlage einer translativen Versprechensübertragung auch angelegt. Ferner scheint durch das sog. promissory estoppel genau jenes alternative Bindungskonzept aus dem Versprechen parallel anerkannt zu werden145. Mit der Naturalobligation kommt also ein zweites Bindungsmoment, das Leistungsversprechen (promise), zur Bindung aus rezipro-

Verträgen Naturalobligation entstehen lässt, während der formnichtige Vertrag im deutschen Recht nur im Falle besonderer Anordnung geheilt wird. So etwa die formfehlerhafte Vergütungsabrede des Rechtsanwalts gem. § 4 Abs. 1 S. 1 u. 3 RVG. Die Rechtsfigur der Heilung verfolgt dagegen ein anderes dogmatisches Modell in Abkehr von der Naturalobligation (siehe näher unten C. IV. 4. c) bb) (4), S. 495). 142 Aus der fehlenden Form und der fehlenden Consideration folgt nicht, dass die Leistungsversprechen nicht angenommen wurden. Geht man von der grundsätzlichen Annahmbedürftigkeit der promises im Common Law aus, vgl. Nachweise bei v. Bar/Zimmermann, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts Teile I und II, 2002, Art. 2:107 Anm. 2, S. 171 f., so folgt die Annahme hier aus dem Vertragsschluss. 143 Die Zweckabrede rechtfertigt den Leistungsaustausch und das Behalten der ausgetauschten Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Zweckerreichung. Eine Bindung zum Leistungsaustausch folgt aus ihr allein nicht, weil die Zwecksetzung einseitig bis zum Zeitpunkt der Zweckereicherung fallen gelassen werden kann. Welding, Ist die Zweck/Mittel-Relation präskriptiv? Kants Fehldeutung der „Nötigung des Willens“, ARSP 1991, S. 508 ff. 144 Die Bindung muss zusätzlich hergestellt werden. Es muss mit anderen Worten einen Grund geben, der die nachträgliche einseitige Aufgabe einer einmal vereinbarten Zweckabrede untersagt. Die Reziprozitätserwartung und das im Versprechen ausgedrückte Verbot des Selbstwiderspruchs (constantia) übernehmen beide diese Funktion und begründen damit die obligatorische Gebundenheit in unterschiedlicher Weise. 145 Zur Vermeidung unbilliger Konsequenzen der consideration-Doktrin wurde die Lehre der „promissory estoppel“ als Randkorrektur entwickelt, vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. 1996, S. 386.

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kem Tausch hinzu146. Statt bloß Ernstlichkeit und Seriosität zu verbürgen ist das Gegenopfer ein Bindungselement (Reziprozität). Beide Bindungsformen lassen sich aber nicht in eine sittlich-ethische Bindung und eine rechtliche Bindung aufspalten. Die Versprechensbindung bedeutet nicht bloß ethische Bindung, die erst im reziproken Tausch auch eine rechtliche Bindungswirkung (legally binding) erlangt und bei rechtsfehlerhaften Geschäften als ethische obligatio naturalis übrig bliebe147. Treue und Gegenseitigkeit sind rechtlich und zugleich ethisch fundiert148. In der Sache handelt es sich bei Versprechen und reziprokem Tausch um zwei divergente Bindungskonzepte, die sich hier ergänzen. Mansel zieht den Schluss von der Bejahung einer Naturalobligation zu einer vertraglichen Sekundärhaftung nicht, sondern verneint mit der angelsächsischen Doktrin die vertragliche Haftung ganz149. Die ins Spiel gebrachte Naturalobligation ist damit am Ende funktionslos150.

146 Es ist deshalb nicht völlig überzeugend, den Tausch der Leistungsversprechen nur auf die promises und nicht auch auf ein Vertragsmodell zu gründen. Zu einseitig daher Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 190 f. 147 Die obligatio naturalis als isolierbare religiöse Wurzel der rechtlichen Gebundenheit anzusehen, wie es dem religiösen Naturrecht der Spätscholastik entspricht, erscheint mir jedenfalls keine zeitgemäße Vorstellung mehr zu sein, vgl. dazu oben B. I. 3., S. 91 ff. 148 Vgl. etwa nur Franz Bydlinski, Gerechtigkeit als rechtspraktischer Maßstab kraft Sach- und Systemzusammenhanges. In: Beck-Mannagetta (Hg.): Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts. FS für Theo Mayer-Maly. Wien 1996, S. 107, 145 f.; Honsell, Iustitia distributiva – iustitia commutativa, in: Schermaier, Rainer, Winkel (Hg.), Iurisprudentia universalis. FS für Theo Mayer-Maly, 2002, S. 287, S. 288 f. 149 Mansel, (oben Fn. 187), S. 487, 498 (deliktische Einstandspflicht); allerdings ist damit nicht gesagt, dass die Annahme einer Naturalobligation in diesen Fällen nicht doch möglich bliebe und zu einem Konzeptionswechsel von der Bindung aus Tausch zur Bindung aus Versprechen führen würde. 150 Die Stellung der naturalis obligatio in der angelsächsischen Lehre muss einer gesonderten Untersuchung vorbehalten werden. Vgl. weiterführend Sonja Meier, Irrtum und Zweckverfehlung, 1999, S. 135 mit Nachweisen (Fn. 69), die präzise herausarbeitet, dass das angelsächsische Bereicherungsrecht statt der geläufigen Rechtsirrtumregel eine Rechtsgrunddogmatik, die die Naturalobligation einschließen würde, benötigt und bereits indirekt anerkennt (ebd. S. 404). Zur Rezeption dieser Auffassung im englischen Recht Birks, Unjust enrichment, 2. Aufl., Oxford 2005, S. 108 – 113; zurückhaltend anerkennend Molle, Das englische Bereicherungsrecht zwischen unjust-Faktoren und sine-causa-Ansatz, ZfRV 2006, S. 13, 21 ff.

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(2) Causa-Lehre Die Grundlagen der heutigen Causa-Lehre liegen im römischen Recht. Im Anschluss an die Ulpian-Stellen D. 2, 14, 7, 2151 und D. 2, 14, 7, 4152 entwickelte sich die Lehre von der „causa“ 153 im justinianischen Recht. Die Zweckabrede ohne entsprechende Leistung konnte keine Leistungspflicht hervorbringen. War aber die Leistung erfolgt, so meint causa den vom Leistenden gesetzten Grund für den Empfänger zum Behalten der Leistung. Der Behaltensgrund aus dem pactum ist causa und wird durch Einrede gegen die Rückforderung geltend gemacht154. Die causa rechtfertigt die Güterbewegung und hat hierbei die Funktion den Empfänger zu schützen. Für die außerhalb des Kontraktschemas anerkannten Innominatkontrakte wurden überdies Leistungsklagen auf die Gegenleistung unter dem Gesichtspunkt einer bestehenden causa anerkannt. Voraussetzung für deren Zuerkennung war das Erbringen der eigenen Leistung155. Die Vorleistung machte das Gegenversprechen für den Vorleistenden klagbar, wenn sie um der Gegenleistung willen erbracht worden war und damit auf einer entsprechenden Zweckbestimmung beruhte156. Causa ist die Zweckbestimmung der Vorleistung und rechtfertigt oder begründet die Güterbewegung. Ihre Funktion ist es, den Grund für die Klage auf die Gegenleistung zu liefern157. Neben der Klage auf die Gegenleistung blieb dem Vorleistenden das Recht, die Vorleistung zu kon151 Der Beginn der Stelle lautet: „Sed et si in alium contractum res non transeat, subsit tamen causa, … esse obligationem.“, dt: Aber auch wenn ein Geschäft nicht unter einen besonderen Vertragsbegriff fällt, jedoch eine zweckbestimmte Leistung vorliegt, sei … ein Schuldverhältnis [eine Obligation, GS] gegeben. Die Stelle stammt aus Ulpians 4. Buch zum Edikt. Text und Übers. nach Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, Corpus Iuris Civilis, Bd. II, 1995. 152 „Sed cum nulla subest causa, propter conventionem hic constat non posse constitui obligationem: igitur nuda pactio obligationem non parit, sed parit exceptionem.“, dt: Wenn aber keine zweckbestimmte Leistung vorliegt, steht fest, dass dann durch ein bloßes Übereinkommen ein Schuldverhältnis [Obligation, GS] nicht begründet werden kann. Eine bloße formlose Abrede bringt also kein Schuldverhältnis [Obligation, GS] hervor, aber sie bringt eine Einrede hervor. (Text und Übersetzung siehe vorherige Fn.). 153 Causa ist zugleich Grund und Zweck einer Leistungsbewegung. Sie geht vom Leistenden aus und kann als Rechtsgrund im Sinne einer materialen Zweckbestimmung verstanden werden; so für das römische Recht etwa aufgrund einer stipulatio, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 40 Rn. 4, S. 249. 154 Hohlweck, Nebenabreden. Pacta im römischen und im modernen Recht, 1996, S. 42 f. 155 Ebd. 156 Denkbar ist sowohl, dass die Gegenforderung entsteht als auch, dass ein bestehendes Recht auf die Gegenleistung klagbar gemacht wird. Die causa ist aber bei den Innominatkontrakten, wie etwa dem Kauf, klagebegründend nicht auch rechtsbegründend zu verstehen. Der Verkäufer ist in klassischer Zeit zur Leistung unter dem Gesichtspunkt der fides verpflichtet, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 47 Rn. 2, S. 254. 157 Es liegt nahe, dass dann auch ein billigenswertes Motiv verlangt wurde. Die causa wandelt sich damit zur Vertragsvoraussetzung, bleibt dabei aber ein deskriptiver Begriff.

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dizieren. Bis zur Gegenleistung hing es vom Vorleistenden ab, ob der Vertrag durchgeführt wurde158. Die vom Leistenden gesetzte causa übernahm also die Funktion, den Leistungsaustausch zu sichern. Der Vorleistende wird zunächst vor dem Ausbleiben der Gegenleistung und der Empfänger sodann vor der Kondiktion geschützt. Die causa hat jedoch keine präskriptive Bedeutung159. Sie erklärt nicht die Entstehung von Bindungswirkungen wie die ConsiderationDoktrin. Selbst die gemeinschaftliche Zwecksetzung erklärt die Rechtsbindung nicht, was durch das Aufkommen des Prinzips pacta sunt servanda aber überspielt wird160. Im BGB findet die Causa-Lehre ihre Grundlage in der condictio ob rem (§§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 815 BGB). Bei nichtobligatorischen161 oder bei obligatorisch nicht wirksamen Zwecksetzungen führt die Zweckerreichung zu einem Behaltensrecht. Ist der Zweck erreicht, kommt es auf eine Leistungsbindung, die zu der Zweckerreichung geführt hat, nicht an162. Dagegen führt der „Nichteintritt des nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts mit der Leistung bezweckten Erfolges“ zur Kondiktion. Die in der Schuldrechtsdogmatik anerkannte und über das Bereicherungsrecht hinausgehende Causa-Lehre verbreitert den Gedanken fehlgeschlagener Zwecksetzungen und unterlegt jeder gezielten Leistungsbewegung eine entsprechende Zwecksetzung163. In Anlehnung an das französische Recht ist die Zwecksetzung hier auch die Entstehungsvoraussetzung für Vertrag (convention) und Obligation (Art. 1108, 1131 CC). Nach den Lehren von Hugo Kreß soll dem Schuldrecht ein vorrechtliches Zweckprinzip

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Kaser, Das Römische Privatrecht, II, 2. Aufl., 1975, § 269, S. 420 f. Bucher, England und der Kontinent. Zur Andersartigkeit des Vertragsrechts – die Gründe, und zu consideration, ZVglRWiss 105 (2006) S. 164, 183. 160 Die formlose Vereinbarung konnte so die stipulatio als Instrument zur Schaffung einer Obligation verdrängen, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 40 Rn. 7, S. 251. 161 Erfasst werden Vorleistungs-, Veranlassungs- und Zweckstaffelungsfälle, AnwKBGB/von Sachsen Gessaphe, 2005, § 812 Rn.Rn. 55 – 57. Ob auch solche nichtobligatorischen Zwecksetzungen genügen, die neben dem primären Erfüllungszweck im Rahmen wirksamer Verträge vereinbart werden (Zwecke, die über den Anspruch auf die Gegenleistung hinausgehen), ist innerhalb der herrschenden Meinung streitig (ebd. Rn. 58 f.). Die sog. sekundären Vertragszwecke werden von Rechtsprechung und herrschender Lehre über die Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst. Auch zu den im Schrifttum hiergegen erhobenen Einwänden, vgl. Willoweit, Störungen sekundärer Vertragszwecke, JuS 1988, S. 833. 162 Die obligatorische Bindung ist mithin nicht erheblich. Daher kann § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB als Grundnorm angesehen werden. Ob die Zwecksetzung selbst rechtsgeschäftlichen Charakter besitzt, wird unterschiedlich beurteilt, vgl. ablehnend und mit Nachweisen zum Meinungsstand Erman/H.-P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 812 Rn. 12. 163 Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 50; Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit, 2002, S. 42 f. (durch die zweiseitige Vereinbarung grenzt sich der Zweck vom bloßen Motiv ab). 159

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zugrunde liegen164. Unter diesem gemeinsamen systematischen Ausgangspunkt können ihre Vertreter auch als Schule bezeichnet werden165. Sie empfiehlt das Zweckaxiom für eine Europäische Rechtsvereinheitlichung166. Der synallagmatische Vertrag bedeutet danach die Errichtung eines Zweckverwirklichungsprogramms. Jede Partei darf die Zuwendung des Gegners nur behalten, wenn dieser seinen Zweck (auch) erreicht. Gelingen muss zunächst die Zweckvereinbarung (Verknüpfung im genetischen Synallagma), die dann in der Zweckerreichung (funktionelles Synallagma) zum Austausch der Leistungen führt. Auf die Zweckvereinbarung sind die Regeln der Willenserklärung und, weil der Zweck einverständlich vom Zuwendenden und vom Zuwendungsempfänger festgelegt wird, auch die des Vertrages anzuwenden (§§ 145 ff. BGB)167. Auf die Frage nach der rechtlichen Bindungswirkung gibt die Causa-Lehre keine Antwort. Gegenstand der Zweckverknüpfungen können zwar auch bindende Versprechen sein. Damit lässt sich aber die Bindung nicht schon durch die Zweckverknüpfung erklären, sondern pflichtbegründend sind die (ausgetauschten) gegenseitigen Versprechen. Die Zweckverknüpfung wirkt mit anderen Worten für sich betrachtet nicht präskriptiv. Die causa drückt die Mittel- Zweck-Relation von Leistung und Gegenleistung beim Tausch aus. Jede Tauschleistung ist das Mittel zur Erlangung der Gegenleistung als ihrem Zweck. Die Mittel-Zweck-Verknüpfung löst keine normative Bindung aus, 164 Hugo Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, 1929, Neudruck 1974. Ehmann/Weitnauer (Hg.), Kreß, Natürliche Grundlagen des Privatrechts, 1931: „Die Grundsätze des Privatrechts sind in der Gesetzgebung durch die natürlichen Verhältnisse, die naturalis ratio, vorgezeichnet. Das Privatrecht wird insoweit durch die Gesetzgebung nur festgestellt, nicht eigentlich geschaffen“, denn „nach Natur und Leben“ sind die Rechtssätze gestaltet (abgedruckt bei Ehmann/Weitnauer, ebd.). Die auf Hugo Kreß zurückgehende Zwecklehre mit angestaffelten sekundären, tertiären und weiteren möglichen Zwecken besitzt eine hohe Anziehungskraft, weil mit der Zwecksetzung auf eine (außerrechtliche) Konstante mensch lichen Seins rekurriert wird. Im gezielten Austausch von Gütern ist mit dem Handlungszweck ein strukturgebender und axiomatischer Ausgangspunkt gesetzt. Eine andere hier nicht verfolgbare Frage ist es, ob die anthropologische Grundgegebenheit tatsächlich allgemein anerkannt werden kann, wie dies neuerdings etwa wieder von Hossenfelder, Der Wille zum Recht und das Streben nach Glück, 2000, S. 46 ff. zu untermauern versucht worden ist. Daneben bleibt aber die Frage, ob der Gesetzgeber genügend Spielraum für eine solche Grundlagentheorie gelassen hat. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB ist zumindest nicht zur grundlegenden Systematisierungsnorm gemacht worden. 165 Zu ihren Vertretern gehören Weitnauer, Kupisch, Klinke, Schnauder, Horst Ehmann, Erik Ehmann, Sutschet, Pohlmann. Vgl. zusammenfassend H. Ehmann, Zur Causa-Lehre, JZ 2003, 702–714; Schnauder, Der kausale Schuldvertrag im System der Güterbewegung, JZ 2002, 1080–1089; zur praktischen Akzeptanz der Lehre gleichsam vermittelnd durch Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit, 2002, vgl. Schnauder, ebd. 1088. 166 H. Ehmann, Zur Causa-Lehre. JZ 2003, 702, 713. 167 Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1983, S. 42.

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weil die Forderung, eigene Mittel einzusetzen, nur solange gilt, wie auch die eigene Zwecksetzung verfolgt wird. Die Forderung aus einer Zweck-Mittel Relation lautet: Wenn P erreichen will, dass Z eintritt, dann muss er M tun. Die Zweck-Mittel-Relation wirkt nicht obligatorisch, denn sie kann die kontrafaktische Beständigkeit des Wollens nicht erklären168. Der Empfänger steht in einer synallagmatisch verknüpften Leistungsbeziehung in den Worten Kants169 nur unter der Anforderung eines hypothetischen Imperativs der Klugheit170. Wenn der Empfänger die Leistung behalten will, muss er sie erwidern, sonst nicht171. Das normative Moment des Gefordertseins steht damit unter der Bedingung einer fortbestehenden eigenen Zwecksetzung. Sobald der Zweck geändert oder aufgegeben wird, entfällt die praktische Notwendigkeit und auch der unabweisbare Handlungszwang die eigene Leistung zu erbringen172. Gründe dafür, die einmal gewählte Zwecksetzung beizubehalten, liefern condictio ob rem und Causa-Lehre nicht. Die Consideration des Empfängers nimmt dem Leistenden dagegen die Möglichkeit, seine Zwecksetzung aufzugeben. Er wird durch das Gegenopfer verpflichtet. Auch die Bindung an den Vertragsantrag nach § 145 Hs. 1 BGB lässt sich aus der bloßen Zwecksetzung nicht erklären. Der Leistende verliert mit der Vorleistung seine Verfügungsmacht über den Leistungsgegenstand. Die nur unkörperliche Vorleistung in Form des Vertragsangebots wird im deutschen Recht parallel dazu ab Zugang der Erklärung beim Empfänger unwiderruflich (§ 130 Abs. 1 BGB) und damit bindend. Soll vom Zugangszeitpunkt an bis zum Annahmezeitpunkt eine Bindung entstehen, kann diese nicht aus der auf den Er168 Welding, Ist die Zweck/Mittel-Relation präskriptiv? Kants Fehldeutung der „Nötigung des Willens“. ARSP 1991, S. 508, 523; so bereits Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, S. 9. 169 Das ist eine kantische Terminologie. In der Metaphysik der Sitten differenziert Kant zwischen technischen (hypothetischen) und kategorischen Imperativen. Erstere unterteilt er in Regeln der Geschicklichkeit und Regeln der Klugheit, Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, S. 422. 170 Welding, (oben Fn. 168), ARSP 1991, S. 508, 523 f.: ohne obligatorische Bindung. 171 Das hat auch Kant bereits so gesehen. „Soviel ist vorläufig einzusehen, dass: der kategorische Imperativ allein als ein praktisches Gesetz laute, die übrigen insgesamt [hypothetischen Imperative der Klugheit und Geschicklichkeit] zwar Prinzipien des Willens, aber nicht Gesetze heißen können; weil, was bloß zur Erreichung einer beliebigen Absicht zu tun notwendig ist, an sich als auffällig betrachtet werden kann, und wir von der Vorschrift jederzeit los lassen können, wenn wir die Absicht aufgeben, dahingegen das unbedingte Gebot dem Willen kein Belieben in Ansehung des Gegenteils freilässt, mithin allein diejenige Notwendigkeit bei sich führt, welche wir zum Gesetze verlangen.“ Kants gesammelte Schriften, Akademieausgabe Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 420. 172 Penski, Der Zweck des Rechts ist das Recht. Zur Teleologie und Selbstbezüglichkeit des Rechts, ARSP 2004, 406, 407; zur Abgrenzung von Obliegenheit (hypothetischer Imperativ) und Pflicht (kategorischer Imperativ) nutzbar gemacht von Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 208.

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halt der Gegenverpflichtung gerichteten causa des Antragenden begründet werden. Der Antragende kann sein Interesse an der Gegenleistung aufgeben oder verloren haben. Die Bindung ist aus der causa daher nicht zu erklären. Es bedarf vielmehr eines zusätzlichen Begründungsansatzes. Das ist hier das einseitige Versprechen in Gestalt des Vertragsantrages, bzw. die Entscheidung über die Bindung durch den Antragenden (§ 145 Hs. 2 BGB). Ein Bindungskonzept lässt sich aus der Zwecklehre daher insgesamt nicht herleiten. (3) Konsens Esser hat den Konsens als das einzig verifizierbare Indiz für die soziale Richtigkeit einer Handlung bezeichnet173. Der Konsens impliziert Gegenseitigkeit. Die Konsensbindung ist damit aber noch nicht erklärt. Das gilt auch für die Annahme, dass beide Vertragsschließende, jeder für sich, die schuldvertraglichen Rechtswirkungen wollen174. Reziprozität und Interessenausgleich werden im Konsens zwar ermöglicht, aber nicht gewährleistet175. Die „Vereinigung der Willen“ diente bei von Savigny der Begründung einer Willensherrschaft des Gläubigers über den Schuldner, während Kant die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers auf den Schuldner meinte176. Die Reziprozitätsstruktur des Tauschs lässt sich konsensual im Modell translativer Versprechensübertragungen (getauschte Versprechen) abbilden. Aber lediglich unter den Prämissen der Consideration-Lehre geht die Bindung der Versprechen auf die Tauschhandlung bzw. das Gegenopfer zurück. Hält man die Versprechen dagegen schon aus sich heraus für bindend, so bedürfen sie gegebenenfalls der Annahme für ihre Wirksamkeit, nicht aber des Gegenopfers. Eine Bindung aus Reziprozität spielt dann keine Rolle. Das deutsche Vertragsmodell folgt dem Gedanken eines einheitlichen Vertragswillens, der aus den vereinigten Willen der Vertragspartner im Vertragsschluss entsteht 177. Beide Modelle lassen sich einander annähern. Eine solche Annäherung liegt in der Auffassung 173 J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1994, S. 25; bezogen auf die Methodik der Rechtsanwendung vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, 2004, S. 71. 174 Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem. JuS 1992, 537, 541 kommt zu dem Schluss, dass sich ein einheitliches Bild von der verbindlich machenden Wirkung des Schuldvertrages noch nicht ergeben habe. 175 Die Annahme, der Vertragsschluss biete eine Richtigkeitsgewähr für einen angemessenen Interessenausgleich der Vertragspartner, erklärt nicht die Vertragsbindung, sondern setzt sie voraus; vgl. Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147, 130 ff. Danach schränkt der Wille des einen den Willen des anderen ein. Ebenso Mayer-Maly, Vertrag und Einigung (Teil I der Studien zum Vertrag), in: Dietz/Hübner (Hg.), FS für Hans Carl Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 509, 511, der auf die Tauglichkeit der Einigung als Gewähr richtiger Rechtsfolgen abhebt. 176 Vgl. zur Einwirkungsbefugnis bei Kant oben B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 127, 130. 177 Näher dazu oben C. III. 1. b) aa) (3), S. 303.

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Kegels, wonach das Gegenopfer nicht als der vom Empfänger entrichtete Preis für den Erhalt eines Versprechens, sondern als der Grund des Leistenden für die Abgabe des Versprechens zu verstehen sei178. Diese Umstellung auf den Grund verändert jedoch die personale Anknüpfung der Pflichtentstehung. Der Preis für die Bindung wird vom Versprechensempfänger durch das Gegenopfer entrichtet, während der Grund für die Abgabe des Versprechens von der Person des Versprechenden gesetzt wird. Consideration und causa lassen zwar beide die Versprechensbindung in der Person des Versprechenden entstehen, erstere knüpft hierfür aber an ein Verhalten des Empfängers an, während letztere das Versprechen) genügen lässt. Die Kegel’sche Deutung folgt nicht mehr der Reziprozitätsstruktur des Tauschs, sondern impliziert eine Versprechensbindung. Sie kann der consideration-Doktrin daher nicht ohne Verlust an Stimmigkeit unterstellt werden179. Durch den Akt der Willensvereineinigung, den man in Anlehnung an Gaius als „Geburt der obligatio“ beschreiben kann180, wird die gleichursprüngliche Begründung von Forderung und Gegenforderung fingiert. Der Zustand vereinigter Willen entspricht jenem nach erfolgtem Tausch der Versprechen. In dieser Hinsicht sind sich die deutsche Vertragslehre und die angelsächsische Consideration angenähert. Die Schwäche beider Modelle ist es, dass sie einseitige Bindungen nicht begründen können. cc) Einseitige Versprechensmodelle Die Vertragsmodelle gehen von präexistenten oder präexistent zu denkenden Versprechen aus, die entweder getauscht oder im Willenskonsens verschmolzen werden und dann als gegenseitige Forderungen entstehen. Zur Erklärung obligatorischer Rechtsbindung verdienen daher vier weitere Theorieansätze Beachtung, die sich mit den Vertragslehren teilweise überschneiden, aber jeweils an der einseitigen Versprechenshandlung des Schuldners anknüpfen. Das ist die rechtliche Rezeption der von Austin und Searle entwickelten Sprechakttheorie (1), sodann die von Köndgen fruchtbar gemachte soziologische Selbstbindungslehre (2), weiter die an historische Wurzeln anknüpfende Pollizitationstheorie von Zimmermann (3) und schließlich die analytische Sollenstheorie von Kramer (4).

178 Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 70. Damit zieht Kegel die Verbindung zur kontinentalen Causa-Lehre (dazu sogleich). 179 Konstruktiv möglich erscheint das einseitige Leistungsversprechen unter der aufschiebenden Bedingung eines Gegenopfers. Auch damit entfernt man sich aber von der Reziprozitätsstruktur von Gabe und Gegengabe. 180 Gaius III, 88: Omnis obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto; später dann zusammen mit den Quasikontrakten: Inst. 3, 13, 2.

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(1) Verpflichtung durch kommissiven Sprechakt (institutionelle Rechtstatsache) Jürgen Schmidt hatte bereits 1989 zwischen natürlichem und institutionellem Rechtshandeln unterschieden und daran die kategoriale Trennung von Deliktsrecht und Vertragsrecht festgemacht181. Claus-Wilhelm Canaris und Reinhard Singer gehen davon aus, dass die Bindungswirkung der vertraglichen Willenserklärung nach den sprachphilosophischen Erkenntnissen der sog. Sprechakttheorie zu erklären sei182. Ulrich Manthe deutet die rechtsbegründenden Spruchformeln des altrömischen Legisaktionenverfahrens als explizit performative Sprechakte183. Das bedarf näherer Erläuterung. John Austin und John Searle haben gezeigt184, dass Sprache auch eine performative Wirkung besitzen kann. In bestimmten sozialen und institutionell verfestigten Situationen übernehmen Sätze (Sprechakte) die illokutionäre Funktion185, soziale Wirklichkeit zu erzeugen. Paradebeispiel der Sprechakttheorie ist das Versprechen, das als kommissiver Sprechakt bezeichnet wird186. Institutionelle (Sprach-) Handlungen erhalten ihren sozialen Sinn aus ihrer Funktion in einer Institution und nicht allein aus dem Umstand, natürliche Verhaltensweisen eines Menschen zu sein. Die Institution verleiht die Fähig181 J. Schmidt, Schutz der Vertragsfreiheit durch Deliktsrecht? In: Lessmann (Hg.): FS für Rudolf Lukes, 1989, S. 793, 807 f. Vgl. unten Fn. 187. 182 Staudinger/Singer, BGB, Bearb. 2004, Vorbem. zu §§ 116 – 144 Rn. 7; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris, u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, 2000, 129, 138 f. 183 Auch die actio habe das Verfahren bezeichnet: agere … Lege agere bedeutet „mittels eines explizit performativen Sprechaktes sprechen“; legis actio ist nicht „gesetzliche Klage“, sondern Sprechen der Spruchformel, Manthe, Agere und aio: Sprechakttheorie und Legisaktionen. In: Schermaier, Rainer, Winkel (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, Wien 2002, S. 431, 444. 184 Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words), übersetzt von Eike von Savigny, 1979. Searle, Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, 1994. 185 Wenn wir berichten, was gesagt wurde, berichten wir über den lokutionären Akt; wenn wir berichten, was er damit getan hat, daß er das gesagt hat, berichten wir über den illokutionären Akt (performative Sprachhandlung), Austin, (oben Fußnote 184), S. 8. Vgl. ferner Ruiter, Institutionelle Rechtstatsachen. Rechtliche Ermächtigungen und ihre Wirkungen, 1995, S. 46: Die illokutionäre Kraft betrifft die Frage, wie der Satz gemeint ist (behaupten, fragen, befehlen, versprechen, wünschen). 186 Der Sinn einer kommissiven Äußerung ist es, den Sprecher auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen, Austin, (oben Fußnote 184), S. 176. Mit jedem Kommissiv legt sich der Sprecher auf die Ausführung derjenigen Handlung fest, die im propositionalen Gehalt repräsentiert ist. Beispiele für Kommissive sind Versprechen, Gelöbnisse, Zusicherungen, Verträge, Garantien, vgl. Searle, Geist, Sprache und Gesellschaft, 2001, S. 177; ders., (oben Fn. 184), S. 95 f. Die Proposition betrifft die Bedeutung des Sprechakts und bezeichnet das, was mit der Äußerung gemeint ist. Der propositionale Gehalt eines Satzes setzt sich zusammen aus der Referenz (Ich) und der Prädikation (verpflichte mich zur Handlung x). Ruiter, (oben Fn. 185), S. 46.

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keit zu institutionellem Handeln, die über die natürliche Handlungsfähigkeit hinausgeht187. Das lässt sich auf die Versprechenserklärung übertragen. Als performativer Sprechakt wird mit dem Vollzug der Erklärung das bewirkt, wovon in der Erklärung die Rede ist188. Für den Vertragsantrag (§ 145 BGB) heißt das, dass mit dem gelungenen Erklärungsvollzug, einer Sprechhandlung, das Versprechen begründet wird. Der Versprechende präsentiert sich in der Sprechhandlung als gebunden und realisiert dadurch die institutionell anerkannte Rechtsbindung189. Die Selbstbindung im Konzept institutioneller Tatsachen folgt aus der Präsentation als Handlungsbefohlener. Diese Präsentation löst einen sozialen Druck und entsprechende Erwartungen der Umwelt aus190. Hier liegt der Einwand nahe, dass die institutionelle Betrachtung der Sprechhandlung die Überlegungen einfach abbricht und über die Behauptung der Bindung, bzw. den Glauben an eine solche Bindung, nicht hinausreicht. Sofern die Bindung sozial beachtet und befolgt wird und die Bedingungen der Institution beschreibbar bleiben, ist das Erklärungsmodell durchaus plausibel. Geklärt werden muss darüber hinaus aaber uch, wie und warum die Präsentation als Handlungsbe-

187 J. Schmidt, Schutz der Vertragsfreiheit durch Deliktsrecht? In: Lessmann (Hg.): FS für Rudolf Lukes, 1989, S. 793, 798, der das Vertragsrecht als institutionellen Handlungsrahmen mit fixierten Funktionen des Güteraustauschs gegenüber den natürlichen Handlungsnormen des Deliktsrechts abgrenzt. Die institutionelle Handlungsmacht (Kompetenz, Ermächtigung, Macht zur Schaffung von Verhaltensnorm) bewirke etwas Sinnvolles für die Institution. Der Sinn werde durch die Normen der Institution begründet und fixiert. Die Folge sei, dass das institutionelle Handeln nicht durch Verhaltensnormen gesteuert werden muss. Die soziale Bedeutung werde durch die institutionellen Normen festgelegt (Ebd.). Zur Wirkungsweise institutioneller Tatsachen auch Ruiter, (oben Fn. 185), S. 11. 188 Staudinger/Singer, BGB, Bearb. 2004, Vorbem. zu §§ 116 – 144 Rn. 7; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. I, 2000, 129, 138; Manthe, Agere und aio: Sprechakttheorie und Legisaktionen. In: Schermaier, Rainer, Winkel (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, Wien 2002, S. 431, 436 („Ich verspreche zu zahlen“ ist eine explizit performative Äußerung, die einen kommissiven Sprechakt unmissverständlich vollzieht). 189 Searle erklärt dies wie folgt. Der illokutionäre „Witz“ einer Deklaration sei es, eine Veränderung in der Welt dadurch zustande zu bringen, dass sie als in dieser Weise verändert repräsentiert wird. „Wir verändern die Welt durch unser Wort, indem wir sie als eine veränderte repräsentieren (Welt-auf-Wort-Ausrichtung), wodurch wir zugleich die (geänderte) Welt beschreiben (Wort-auf-Welt-Ausrichtung). Deklarationen bringen Veränderungen in der Welt allein durch den Vollzug des Sprechakts zustande.“ Mit der performativen Äußerung „ich verspreche“ vollzieht der Sprecher – so Searle weiter – zuerst einmal eine Deklaration. Dadurch kommt performativ ein Versprechen zustande. Der Sprecher schafft den Sachverhalt, dass er ein Versprechen gibt, Searle, Geist, Sprache und Gesellschaft. Philosophie in der wirklichen Welt, 2001, S. 178 f. 190 Das ist eine Prämisse der institutionellen Rechtstheorie (Mac Cormick, Weinberger), vgl. Ruiter, (oben Fn. 185), S. 10.

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fohlener sozial funktioniert. In Fortentwicklung der Sprechakttheorie setzt Jürgen Habermas deshalb hinzu:191 „Wir verstehen eine Sprechhandlung, wenn wir die Art von Gründen kennen, die ein Sprecher anführen könnte, um einen Hörer davon zu überzeugen, dass er unter den gegebenen Umständen berechtigt ist, Gültigkeit für seine Äußerung zu beanspruchen.“

Es genügt also nicht, dass die Sprechhandlung akzeptiert wird, sondern, so fährt Habermas fort, wir müssen ferner wissen, was die Sprechhandlung akzeptabel macht. Die institutionelle Einbindung überspielt diesen Begründungszwang nur, denn die Gründe werden in der konkreten Situation nicht explizit genannt192. „Indem ein Sprecher die Garantie dafür übernimmt, gegebenenfalls Gründe für die Gültigkeit der Sprechhandlung anzuführen, ist der Hörer, der die Akzeptabilitätsbedingungen kennt und damit das Gesagte versteht, zu einer rational motivierten Stellungnahme herausgefordert. Wenn er die Sprechhandlung anerkennt, übernimmt er seinen Teil der interaktionsfolgenrelevanten Verbindlichkeiten, die sich aus dem Gesagten für alle Beteiligten ergeben.“

Die sprach- und kommunikationstheoretisch begründete Sprechakttheorie ist in der schuldrechtlichen Handlungslehre bislang nicht rezipiert worden. Das Leistungsversprechen wird auf die nicht explizierten Gründe des Versprechenden zurückgeführt, auf die der Empfänger durch Anerkennung des Versprechens vertraut. Das Gelingen des Versprechensakts ist damit zu einer Frage nach der Glaubwürdigkeit des Schuldners geworden. Das Versprechen ist in ein personales Interaktionsverhältnis eingebunden und die Versprechensbindung entsteht unter Vertrauensgesichtspunkten. Der Versprechensempfänger anerkennt in mehr oder minder typisierter Weise die Selbstbindung des Versprechenden aus dem Versprechensakt. In einer schuldrechtlichen Modellvorstellung führt dies zum „acceptierten Versprechen“ als einem zweiseitigen Entstehungstatbestand. (2) Verpflichtung durch normative Selbstbindung Zu einer Verpflichtung durch autonome Selbstbindung gelangt Johannes Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag193. Köndgen orientiert sich an soziologischen Selbstbindungsmechanismen. Selbst- und Fremderwartungen in das eigene Konsequentialverhalten bilden die Grundlage seiner Lehre. Allerdings unter191 Habermas, Handlungen, Sprechakte, sprachlich vermittelte Interaktionen und Lebenswelt. In: ders. (Hg.): Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, 1988, S. 63, 81. 192 Das Medium der Sprache verfüge über ein Potential von Bindungskräften, das für Zwecke der Handlungskoordinierung genutzt werden könne, Habermas, (oben Fn. 191), S. 81 f. 193 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 163–164. Definitorisch diene Selbst-

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scheidet Köndgen nicht zwischen vertraglicher (obligatorischer) Bindung und anderen konsequentialistischen Bindungsformen, sondern thematisiert den in verschiedene Typen gegliederten Handlungsakt. Die Handlungen werden dabei als normative Selbstdarstellungen zu kommunikativen Zwecken gedeutet, die bei dem Adressaten bestimmte Erwartungen oder Handlungen auslösen, aber nicht Willenserklärung im technischen Sinn sind194. Ausgenommen und abgegrenzt werden Verhaltensmuster195, die sich als einseitiges und isoliertes Festlegen der Person beschreiben lassen, wie die oben erwähnte Pfadabhängigkeit, das Suchtverhalten und auch wirtschaftliche Vorentscheidungen etwa durch Investitionsbindung. Das vertragliche Versprechen ist nach Köndgen ein durch die Unmittelbarkeit des Erfüllungsgebots qualifizierter Sonderfall der Selbstbindungskategorie. In einem Kontinuum aus Selbstbindungen liegen an dessen anderem Ende bloße Wissenserklärungen, die aber auch noch einen gewissen Selbstbindungseffekt auslösen196. Grundlage des Bindungskonzepts sind George H. Meads Annahmen über die Herstellung personaler Identität im Rahmen sozialer Interaktion197. Hinzu komme eine universale Vermutung für Kontinuität und Konsistenz gegenüber ein- und demselben Interaktionspartbindung als Gattungsbegriff für die empirisch beobachtbaren Varianten von Verpflichtungsverhalten in sozialer Interaktion. Selbstbindung sei semantisch enger als Verpflichtung. Verpflichtung sei ambivalent, weil sie Selbst- wie auch Fremdbindung bedeute und im juristischen Sprachgebrauch oft genug auch die durch Normen aufgezwungene Pflicht meine (Ebd.). 194 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 4 nimmt sich zwar „bewußt nicht das immer noch wichtigste Paradigma juristisch institutionalisierter Selbstbindung, den Schuldvertrag, zum Ausgangspunkt“. Gleichwohl sollen (vertragsgleiche) Bindungen in den Fällen der Bankauskunft, der Zusicherung und der Sachwalterstellung aus dem Selbstbindungskonzept erklärt (Ebd. S. 7) und eine für das Vertragsrecht fruchtbar zu machende soziologische Theorie der Selbstbindung entworfen werden (Ebd. S. 9 f.). Auf der anderen Seite soll keine empirische Theorie der Rechtsbindung, wie Schuldner und Gläubiger sie erfahren, aufgestellt (Ebd. S. 17), aber die Rechtsgeschäftslehre aus „ihrer selbstverschuldeten Enge“ herausgeführt und für neuartige Verpflichtungsformen im geschäftlichen Kontext als kommunikative Handlungen geöffnet werden (Ebd. 105 f. u. 114). 195 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 164 nennt dies die Phänomenologie der Selbstbindung. Soziale Handlungsmuster mit Selbstbindungseffekt nach den Idealtypen: Selbstdarstellung als äußerliches Verhaltenssubstrat, Habitualisierung und Normemergenz, Intentionale Selbstdarstellungen (Versprechen), Inkonsistente Selbstdarstellung. 196 Als Daumenregel gelte: Je konkreter der Verpflichtungsgehalt und je vertragsnäher die Selbstbindung, desto stärker wird ihr Versprechenscharakter und desto ähnlicher wird sie dem Rechtsgeschäft. Bestes Beispiel sind die Werbemitteilungen, die von vertragsferner Sympathiewerbung bis zur präzisen Qualitätszusage reichen. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 189 f. 197 Ein in der Nachfolge Fichtes stehender Versuch, über gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse individuelle Verpflichtungen zu konstituieren. Mead, Die soziale Identität, 1913. in: ders., Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, 1980, 210 ff.; vgl. Habermas, Individuierung durch Vergesellschaftung – zu George Herbert Meads Theorie der Subjektivität, in: ders., Nachmetaphysisches Denken, 1988, S. 187, 189 f. u. 197 ff.

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ner, nämlich „die Erwartung, dass jemand sich gleich bleibt“198. Daneben hält Köndgen auch die Erwiderungspflicht bei Annahme einer Vorleistung für eine aus dem Gedanken der Reziprozität folgende und praktisch in allen zwischenmenschlichen Beziehungen wirksame Bindungsform199. Wie Kegel kritisch angemerkt hat, ist das Wort Selbstbindung bei Köndgen nicht ganz leicht zu verstehen. Als Verstrickung durch eigenes kommunikatives Verhalten könne die Bindung wie beim Delikt nur aus objektivem Recht erklärt werden; selbst trüge der Betreffende zur Bindung nichts bei 200. Kegels prägnante Erfassung der Selbstbindungslehre als eine „Verstrickung durch kommunikatives Handeln“201 zeigt die Schwäche auf. Wie funktioniert das „kommunikative Handeln“ im Subkontext vertraglicher Bindungen? Wie geschieht „Verstrickung“? Dagegen ist die Schlussfolgerung Kegels, es handele sich bei einer kommunikativen Verstrickung um objektives Recht, nicht frei von Zweifeln. Warum sollte eine intentionale und subjektiv zurechenbare kommunikative Verstrickung den Bindungsmechanismus nicht erklären können. Die vertragliche Willenserklärung hat eine primär kommunikative Bedeutung. Bei Köndgen fehlt in der Tat ein Modell zur Erklärung kommunikativ begründeter rechtlicher Verpflichtung. Habermas vertritt im Diskursmodell eine solche sozialphilosophische Verpflichtungstheorie, die er in der Nachfolge Kants entworfen hat202 und auch für den Bereich des Rechts – nicht speziell für das Schuldrecht – vertritt 203. (3) Verpflichtung durch einseitiges Versprechen (Pollizitation) Eine von Reinhard Zimmermann historisch entwickelte Auffassung knüpft an die grotianische Versprechenslehre an und baut dessen Kernelement, die pollicitatio204, zu einem selbständigen Versprechenstatbestand aus205. Die 198

Mit gutem Judiz hätten die Römer diesen Sachverhalt in der Figur des „venire contra factum proprium“ auf den Begriff gebracht, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 167. 199 Zur Reziprozitätsnorm als Rechtsprinzip, Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 252 und hier oben zuvor oben C. III. 1. b), bb), S. 309 ff. 200 Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 106. 201 Ebenda. 202 Auf der Grundlage einer pragmatisch unterstellten Rationalität und mit dem Glauben an die rational motivierende Kraft guter Gründe, vgl. Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft. In: Habermas (Hg.): Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. 2005, S. 27, 41. 203 Habermas, Faktizität und Geltung – Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 4. Aufl. 1994, S. 24 ff., wobei unter der Erhebung von Geltungsansprüchen im rechtlichen Diskurs auch ebenso schuldrechtliche Forderungen verstanden werden können. 204 Zu den Wurzeln der pollicitatio als einseitigem Versprechen im römischen Recht, Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1971, S. 604; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 47 Rn. 12, S. 300 (Ulpian D 50, 12, 1 pr.); Behrends, Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den

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pollicitatio ist das Versprechen im Zustand vor der Annahme. Es ist annahmefähig, in der Lehre des Hugo Grotius aber bis zur Annahme noch nicht bindend 206. Die pollicitatio ist „verbindliche Bekundung künftigen Wollens“207. Vor Grotius wurde das Annahmeerfordernis als eine vom Versprechenden gestellte Bedingung betrachtet 208. Grotius wandelte das bedingte Versprechen in ein Übergabe-Übernahmeerfordernis um und bezog damit den Versprechensempfänger in den Vorgang des Verbindlichmachens mit ein. Dieser eigentumsähnlichen Übertragungslehre (translative Versprechensübertragung) folgten Pufendorf 209 und Pothier 210. Sie fand später Eingang in die europäischen Kodifikationen211. Bereits der schottische Jurist Viscount Stair 212 Grundrechten und seine Grundlagen im klassisch-republikanischen Verfassungsdenken. In: Behrends/Sellert (Hg.): Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 9, 71 unter Hinweis auf Ulpian D 50, 12, 3 pr. Zur Rezeption im PrALR, Dilcher, Die Willenserklärung nach dem preußischen ALR „frei, ernstlich und zuverlässig“. In: Kleinheyer, Mikat (Hg.), GS für Hermann Conrad. 1979, S. 85 ff; HKK/Oestmann, BGB, 2003, §§ 145 – 156 Rn. 28. 205 Die historischen Bezüge liegen ferner im römischen Recht und dessen Rezeption in der Pandektenlehre des 19. Jahrhunderts. Das in § 657 BGB Gesetz gewordene selbständige Auslobungsversprechen, das keiner Annahme bedarf, folgt der namentlich von Dernburg, Brinz und Windscheid vertretenen Pollizitationstheorie, Zimmermann, Vertrag und Versprechen. Deutsches Recht und Principles of European Contract Law im Vergleich. In: Lorenz, u.a. (Hg.): FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 467, 472; ders., Europa und das römische Recht, AcP 202 (2002) 243, 269 ff.; zum historischen Streit bis in die Entstehung des BGB vgl. HKK/Kleinschmidt, BGB, Band III, im Erscheinen, §§ 657–661a Rn. 8. 206 Zimmermann, Vertrag und Versprechen, (oben Fn. 205), S. 467, 469. 207 Dilcher, Die Willenserklärung nach dem preußischen ALR „frei, ernstlich und zuverlässig“. In: Kleinheyer, Mikat (Hg.), Gedächtnisschrift für Hermann Conrad. 1979, S. 85, 86. 208 Die historische Entwicklung des kontrovers gesehenen Annahmeerfordernisses nahm ihren Ausgang in der spanischen Spätscholastik, die den Treubruch als Lüge und Sünde ansah. Gegen Covarruvias, Soto und Molina war die Versprechensannahme nach der Meinung von Leonardus Lessius eine vom Versprechenden gestellte Bedingung (conditio sine qua non) für die Übernahme der Bindung. Zimmermann, Vertrag und Versprechen, (oben Fn. 205), S. 467, 468; auch HKK/Oestmann, BGB, 2003, §§ 145 – 156 Rn. 28. 209 Zu Pufendorf und dessen Pflichtenlehre vgl. oben B. I. 3. c) aa) (3), S. 107. 210 Zu Pothier und dessen obligation naturelle juridique vgl. oben B. I. 3. c) aa) (6), S. 113. 211 Das zeigt sich prägnant im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1795, das die Versprechensübertragungslehre übernahm. PrALR I 5, § 1–4: „Wechselseitige Einwilligung zur Erwerbung oder Veräußerung eines Rechts, wird Vertrag genannt. Die Erklärung einem Andern ein Recht übertragen, oder eine Verbindlichkeit gegen denselben übernehmen zu wollen, heißt Versprechen. Dagegen ist die bloße Äußerung, etwas thun zu wollen, noch für kein Versprechen anzusehen. Zur Wirklichkeit eines Vertrages wird wesentlich gefordert, dass das Versprechen gültig angenommen worden ist“. Entsprechend ist nach Titel I, 4 „Von Willenserklärungen“ auch die einseitige Willenserklärung anerkannt, die etwa auf Testamente Anwendung findet (Titel I, 12, § 3), Dilcher, Die Willenserklärung nach dem preußischen ALR „frei, ernstlich und zuverlässig“. In: Kleinheyer/Mikat (Hg.), GS für Hermann Conrad, 1979, S. 85, 92. Zum Annahmeerfordernis im PrALR vgl. Mayer-Maly, Der Konsens als Grundlage des Vertrages, in: Hübner/Klingmüller/Wacke (Hg.), FS für Erwin Seidl, 1975, S. 118, 123. 212 Zu Stair vgl. Thomas Richter, Did Stair know Pufendorf? Edinbourgh Law Review

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hatte sich aber gegen die aus der Eigentumsübertragungslehre folgende Notwendigkeit ausgesprochen, den Versprechensempfänger am Verpflichtungsvorgang zu beteiligen. Er entwickelte die Auffassung, dass auch ein einseitiges Versprechen unmittelbar wirksam sei 213. Hieran knüpft Zimmermann an und sieht im Annahmeerfordernis ein gestalterisches Mittel in der Hand des bindungswilligen Schuldners, der selbst bestimmen kann, unter welchen Voraussetzungen er gebunden sein will 214. Die kaum zu überschätzende Stärke dieses theoretischen Ansatzes liegt in der gesteigerten Operationalität eines autark gebildeten Versprechens. Es kann gleich einem veräußerlichen subjektiven Recht zum Gegenstand des Geschäftsverkehrs gemacht werden. Das Versprechen in der Pollizitationstheorie Zimmermanns ist abstrakter als die auf Reziprozität oder Konsens beruhenden Rechtsinstute. Es ermöglicht zwar Reziprozität und Konsens, setzt diese aber nicht mehr voraus und hat damit ein größeres Potential zur Verarbeitung von Komplexität 215. Im Ausgangspunkt der vertragsrechtlichen Systematisierung durch v. Savigny steht die Rechtslehre Kants, der das naturrechtliche Versprechen (promissio) als eine Selbstverpflichtung, die solitär gebildet werden kann, zugrunde legt. Savigny stellt auf den Willen ab, aus dem sich die Verpflichtung erst im vereinigten Willen des Konsens ergibt. Mit Hilfe des kantischen Freiheitspostulats entwickelte Savigny die kantische Lehre gleichsam fort. In der Nachfolge Savignys wurde die Willenserklärung sodann als das „Transportmittel“ für den alleine maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Willen rezipiert216. Sie ist in der deutschen Schuldrechtslehre mit dem Begriff des Rechtsgeschäfts217 an die Stelle des Vertragsversprechens getreten 218. Das Annahme(EdinLR), 7 (2003) 367, 368, der insbesondere die Ableitung Stairs von der religiösen Bindung gegenüber Gott zu einer autonomen Bindung kraft eigenen Willens hervorhebt (ebd. S. 375); zum Sonderweg des schottischen Rechts vgl. Zimmermann/Hellwege, Belohnungsversprechen: „pollicitatio“, „promise“ oder „offer“?: Schottisches Recht vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklungen, ZfRV 39 (1998) 133 ff. 213 W.D.H. Sellar, Promise, in: Reid/Zimmermann (Hg.), A history of private Law in Scotland, Bd. II, 2000, S. 252 ff, 262 ff.; vgl. ferner die Nachweise bei Zimmermann/Hellwege, Belohnungsversprechen: „pollicitatio“, „promise“ oder „offer“?: Schottisches Recht vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklungen, ZfRV 39 (1998) 133 ff. 214 Zimmermann, Vertrag und Versprechen, (oben Fn. 205), S. 467, 477. 215 Allgemein zur funktionalen Überlegenheit des subjektiven Rechts, vgl. Luhmann, Zur Funktion der ‚subjektiven Rechte‘, in: Ausdifferenzierung des Rechts, Hg. von Niklas Luhmann, Frankfurt a.M. 1981, S. 360, 365. 216 HKK/Schermaier, BGB, 2003, vor § 104 Rn. 3. 217 Die Umwandlung und Verbreiterung der Bedeutung der Willenserklärung auf das Rechtsgeschäft zeigt sich in Windscheids Definition des Rechtsgeschäfts als eine „auf die Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung gerichteten Privatwillenserklärung“, Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1, 8. Aufl. 1900, § 69, S. 266 f. Entsprechend erfolgte die Rezeption in den Motiven mit der bekannten Formel „Das Rechtsgeschäft … ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“,

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erfordernis erlangt im Gedanken eines vereinigten Willens eine selbständige und konstitutive Funktion. Das Konsensdogma verdrängt das Versprechen als selbständige Handlungsform. Savigny hat den Kantischen Gedanken autonomer und intrapersonal erzeugter Pflichtbegründung in ein Sozialverhältnis überführt. Dabei unterläuft ihm und seinen Nachfolgern möglicherweise aber ein Kategorienfehler. Die rechtsethisch notwendige Einbeziehung des Anderen, die bei Kant im Achtungsgebot und im allgemeinen Gesetz der Freiheit erscheint, wird auf das vertragliche Konsensmodell übertragen. Pflichtbegründungsakt ist nicht das Versprechen, sondern der komplexere Vertragskonsens. Die Verlagerung auf den Vertragskonsens erschwert die rechtliche Handhabung namentlich in den Fällen bloß einseitiger Verpflichtungen und stellt insofern einen Rückschritt dar. Dieser historische Befund führte zu der im Schrifttum zu Recht gestellten Frage, welche Funktion die Annahme des Gläubigers für die Pflichtbegründung des Schuldners heute eigentlich besitzt 219. Das in § 311 Abs. 1 BGB verankerte Vertragsprinzip ist in den PECL zugunsten der Möglichkeit einseitiger Versprechen des Schuldners aufgegeben worden (Art. 2: 107 PECL) 220. Die Auflockerung des Konsensprinzips wird im Schrifttum empfohlen und im Sonderfall des Verzichts verschiedentlich bejaht 221. Bei der historischen Rekonstruktion ist die Frage nicht näher behandelt, wie Selbstbindung auf Grundlage eines heutigen Verständnisses zu denken ist. Die historischen Bezüge zu philosophisch-religiösen Motiven sind nicht mehr ohne weiteres tragfähig. Die römische fides, die Tugend der Constantia bei Seneca und Cicero, die germanische oder altdeutsche Treue („Ein Mann, ein Wort“) oder die im christlich mittelalterlichen Recht entwickelten Formen des Gelübdes und des Eides222 befriedigen nicht. Die autonome Willensbindung der Per-

Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. I, 1985, S. 518. 218 HKK/Schermaier, BGB, 2003, §§ 116–124 Rn. 4. 219 Vgl. mit Nachweisen Zimmermann, Vertrag und Versprechen. Deutsches Recht und Principles of European Contract Law im Vergleich. In: St. Lorenz (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 467, 468 f. 220 Zugleich hat man aber etwa die Auslobung konsensual konstruiert, krit. Zimmermann, Vertrag und Versprechen, (oben Fn. 205), S. 467, 478; historisch aufschlussreich für das einseitige Versprechen, HKK/Kleinschmidt, BGB, Band III, im Erscheinen, §§ 657–661a Rn. 7 ff. 221 Für den Verzicht im Wege teleologischer Reduktion bejaht von Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht. Vertragsprinzip und einseitiges Rechtsgeschäft im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2004, S. 379. Kleinschmidt stützt seine Wertung auf § 814 Hs. 1 BGB und auf den Gedanken des einseitig möglichen Rechtsschutzverzichts; zustimmend Zimmermann, Vertrag und Versprechen, (oben Fn. 205), S. 467, 483; AnwK-G. Schulze, BGB, 2005, Vor §§ 145 – 157 Rn. 15. 222 HKK/Oestmann, BGB, 2003, §§ 145 – 156 Rn. 25 ff.

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son im aufgeklärten späten Naturrecht seit Kant hat sich durch Savigny und die Pandektistik zu dem beschriebenen Konsensmodell der vereinigten Willen weiterentwickelt. Ansatzpunkt für eine einseitige Rechtsbindung bietet nur noch die Versprechensbindung an Vertragsanträge im Sinne von § 145 Hs. 1 BGB. Diese Bindungsform ist allerdings von der obligatorischen Bindung aus dem künftigen Vertrag zu unterscheiden223 und überdies dispositiv224. Auch sind die dogmatische Struktur und Rechtsnatur der Angebotsbindung umstritten 225. (4) Verpflichtung durch den Willen: Das gewollte Sollen (analytische Sollenstheorie) Moderne Rechtstheorien erklären Bindung aus dem Willen zur Selbstverpflichtung. Das Axiom lautet: Es gibt kein Sollen ohne Wollen. Keineswegs eindeutig ist danach aber, wessen Wollen gemeint ist. Im Schuldverhältnis lautet der hegemoniale Befehl des Gläubigers: „Der Schuldner soll, weil der Gläubiger will“. Diese Deutung ist als Grundprinzip des Privatrechts in aller Deutlichkeit erst von Gustav Radbruch abgelehnt worden 226. Jedoch genügt es auch nicht zu sagen: „Der Schuldner soll, weil er selbst die Leistung erbringen will“. Aus dem Wollen eines Zwecks folgt nach den technischen Imperativen Kants zwar analytisch das praktische Müssen hinsichtlich der erforderlichen Mittel, hier also die Leistungserbringung. Das ist aber nicht das obligatorische Müssen des Rechts. Wie bereits bei der Causa-Lehre hervorgehoben wurde, fehlt dem Wollen des Zwecks die normative Stabilisierung227. Für Kelsen ist die Zweck-Mittel-Relation daher auch nur eine Handlungsbeschreibung über eine Kausalbeziehung ohne jede imperative Wirkung228. In der Nachfolge Kelsens wird die Verpflichtung folglich nur als 223 Wie es das Stichwort „freibleibend“ in Kürze zum Ausdruck bringt, vgl. Lindacher, Die Bedeutung der Klausel „Angebot freibleibend“, DB 1992, S. 1813; Häsemeyer, Das Vertragsangebot als Teil des Vertrages, in: Mansel u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, S. 1435, 1437. 224 Die Angebotsbindung ist möglich, aber nicht nötig. 225 Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 29 Rn. 34; AnwK-G. Schulze, BGB, 2005, Vor §§ 145 – 157 Rn. 2 u. § 145 Rn. 9; ausführlich Schilder, Schadensersatz bei Durchbrechung der Bindung an obligatorische Vertragsofferten, 2003, S. 67 ff. 226 G. Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, § 10 Die Geltung des Rechts, S. 76 unter Verweis auf Johann Gottfried Seume: „Du sollst, weil ich will, ist Unsinn; … Du sollst, weil ich soll, ist ein richtiger Schluß und die Base des Rechts“. Daran anschließend Penski, Der Zweck des Rechts ist das Recht. Zur Teleologie und Selbstbezüglichkeit des Rechts, ARSP 2004, 406, 407: Der gesetzte Zweck muss als eigener Zweck übernommen werden, sonst ist das Recht als Mittel zur Durchsetzung des (fremden) Zwecks bloße Willkür. Die Sollensverbindlichkeit kann nicht auf die Zwecke eines anderen bezogen werden. 227 Siehe oben C. III. 1. b) bb) (2), S. 316. 228 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, S. 9.

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gesetzgeberische Anordnung begriffen 229, deren letzter Geltungsgrund die fiktiv gesetzte Grundnorm bildet 230. Bei Kant ist es dagegen noch der kategorische Imperativ, der uneingeschränkte Geltung beansprucht und kontrafaktisch den Fortbestand eines vernünftig steuernden Willens unterstellt. Dessen Unabänderbarkeit erklärt Kant aus der transzendental deduzierten Idee universeller Freiheit231. Das ist in heutiger Sicht und auf der Grundlage eines privatrechtlichen Pragmatismus ebenfalls keine befriedigende Antwort mehr. Das von Ernst A. Kramer zugrunde gelegte Konzept des „gewollten Sollens“ überwindet die metaphysische Hintergrundannahme notwendiger Freiheit. Kramer gelangt zu einer pragmatischen naturalistischen Vorstellung von selbstbezüglicher Bindung. Die Bindung ist selbst Gegenstand des Willens. Der selbstbezügliche Rechtsbindungswille führt zum „gewollten Sollen“ als vertraglichem Vereinbarungsinhalt232. Die sich aufdrängende Frage geht dahin, ob dann nicht auch der Verpflichtungswille unabänderbar sein muss. Der Schuldner kann dem performativen Selbstwiderspruch eines frei änderbaren Verpflichtungswillens wohl nur durch die Fiktion seiner Unabänderbarkeit entgehen. Ulrich Penski sieht in dem Willen der Verkehrsteilnehmer zum Recht gar das Kennzeichen von Recht überhaupt. Der Wille zu Konsistenz und Rechtlichkeit ist Grundbedingung des Rechts233 Auch der in der 229 G. Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, § 19 Der Vertrag, S. 142. Vertragswille ist aber wohl Wille, sich zu binden, nicht jedoch schon Bindung. Wille kann niemals Verpflichtung erzeugen, nicht fremde, aber auch nicht eigene Verpflichtung. Er kann höchstens eine Sachlage hervorbringen wollen, an die eine über ihm stehende Norm die Verpflichtung knüpft. Nicht der Vertrag bindet also, sondern das Gesetz bindet an den Vertrag. Vertragsbindung ist nicht geeignet, der gesetzlichen Bindung als Grundlage zu dienen, sie setzt die gesetzliche Bindung gerade umgekehrt voraus. Ebenso aber bereits auch A. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des Bürgerlichen Rechts, 1913, S. 42 ff.; Bassenge, Das Versprechen, 1930, S. 10 ff. 230 Etwa H. Kelsen, Geltung und Wirksamkeit des Rechts, abgedruckt in: Jabloner/Zeleny (Hg.), Hans Kelsens stete Aktualität, Wien 2003, S. 5, 7. 231 Die Herleitung aus dem Ursprung der nicht weiter begründbaren Freiheit dient zum Nachweis der Notwendigkeit der Annahme eines vernünftigen Willens, vgl. Henrich, Die Deduktion des Sittengesetzes, in: Denken im Schatten des Nihilismus, FS Wilhelm Weischedel (1975) 55, 68. 232 MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2001, vor § 116 Rn. 14. Einen vom Leistungswillen isolierbaren Verpflichtungswillen anerkannte bereits Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Band 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 170 Fn. 155. 233 Penski, Der Zweck des Rechts ist das Recht. Zur Teleologie und Selbstbezüglichkeit des Rechts, ARSP 2004, 406–418 hat eine entsprechende These unabhängig von schuldrechtlichen Pflichtverhältnissen für einen selbstzweckhaften Rechtsbegriff allgemein aufgestellt. Die Eigenart von Rechtsakten und Rechtsbestimmungen liege in ihrer Ausrichtung auf Freiheitskonsistenz. (ebd., S. 410). Andere Zwecke als die selbstbezügliche Zwecksetzung (Konsistenzzweck) können Recht nicht als Recht bestimmen. Der voluntative Bestandteil einer Zwecksetzung erhält erst durch den Bezug zum Recht seine Verbindlichkeit (ebd. S. 413).

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Schuldrechtsdogmatik fest verankerte sog. Rechtsbindungswille meint einen selbstbezüglichen Willen. Im Recht der Willenserklärung dient der Rechtsbindungswille insbesondere zur Abgrenzung rechtserheblichen Handelns gegenüber bloß gefälligem Handeln 234. Der Schuldner ist gebunden, weil er gebunden sein will 235. Die Selbstbindung aus dem Willen bedeutet zugleich eine selbstbezügliche Befehlsgebung. Der Schuldner stellt sich selbst unter sein eigenes Gebot. Er ist Autor und Adressat des Gebots und kommt deshalb ohne eine Beteiligung des Gläubigers am Vorgang der Verpflichtung aus. Das gewollte Sollen erscheint damit aber eher als eine Absichtsbekundung oder ein Handlungsvorsatz des Schuldners236. In ihrer Selbstbezüglichkeit stimmt die Befehlsgebung mit den anderen Versprechenslehren überein. Der kommissive Sprechakt, die normative Selbstbindung und das einseitige Versprechen (pollicitatio) nötigen zu der Annahme, dass Selbstbindung intrapersonell hergestellt werden kann und den schuldrechtlichen Bindungsformen zugrunde zu legen ist. Das aber führt weiter zu der Frage, wie in einem Selbstverhältnis die Pflichtbegründung entsteht?

c) Obligatorische Bindung durch einseitige Festlegung Die einseitigen Verpflichtungskonzepte müssen die selbstgeschaffene Normativität ihrerseits näher begründen. Schwierigkeiten bereitet dabei die Integration des Gläubigerinteresses. Es ist Gegenstand der Pflichterfüllung und seine Befriedigung das Mittel zur eigenen Zweckverfolgung. Als Erklärung kommen ein intrapersonales oder ein interpersonales Pflichtverhältnis in Betracht.

234 Zum Erfordernis des Rechtsbindungswillens vgl. etwa Staudinger/Bork, BGB, Bearb. 2003, Vorbem zu §§ 145 – 156 Rn. 79 ff. 235 Die zentrale Aussage der Willenstheorie, die sich nach wie vor behauptet, geht dahin, dass die auf Rechtswirkung gerichtete Absicht niemals fehlen darf. Gemeint ist damit der Rechtsfolgewille (gleichbedeutend: der Geschäftswille). Eine Erklärung, der das rechtliche Bindungselement fehlt, ist lediglich die Äußerung eines natürlichen Willens, die bei den gesellschaftlichen Abreden und unverbindlichen Gefälligkeiten eingeordnet wird. Hepting, Erklärungswille, Vertrauensschutz und rechtsgeschäftliche Bindung. In: FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209, 213. 236 Zu entsprechenden Kritik von der Pfordten, Normativer Individualismus und das Recht, JZ 2005, 1069, 1079. Näher sogleich unten im Text.

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aa) Intrapersonale Pflichtentstehung Vor allem angelsächsische Autoren vertreten Pflichtkonzepte, die im „forum internum“ entwickelt werden 237. Sie sprechen dabei von einer moral 238 oder social 239 obligation, die die Grundlage rechtlicher Pflichten sei. Das forum internum ist die Metapher für Pflichttatbestände, bei denen Berechtigter und Verpflichteter ein und dieselbe Person sind. In der Introspektion findet eine intrapersonale Spaltung statt. Die Pflichtbindung wird wie eine interpersonale Relation gedacht und beruht auf der empirischen Beobachtung, dass Menschen sich bisweilen so verhalten, als ob zwei oder mehrer „Selbste“ alternierend die Oberhand hätten. 240 Im Zuge eines ergonomischen Selbstmanagements möchten sie auf eine Weise erreichen, dass sie eine einmal getroffene Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr revidieren können. Die Person verhält sich in zeitlicher Hinsicht zu sich selbst wie gegenüber einer anderen Person. Sie will im Zeitpunkt t1, dass sie sich im Zeitpunkt t2 in bestimmter Weise verhält. Selbstverpflichtung bzw. Selbstbindung bedeutet Einwirkung auf die eigenen Präferenzen. Das kann durch den Versuch geschehen, die eigene Präferenzstruktur zu ändern. Möglich ist auch, die bestehenden Präferenzen gegen äußere Einflüsse zu erhalten, den Einflüssen mit anderen Worten zu widerstehen 241. Eine solche intrapersonale Spaltung entspricht auch der kantischen Trennung von intelligibler und sinnlicher Welt sowie der Zuordnung des Menschen zu beiden Welten als „homo noumenon“ und „homo phaenomenon“242. Die so geschaffene Selbstpaternalisierung kann 237 Der Begriff „forum internum“ entstand in der spätmittelalterlich verrechtlichten Beichtpraxis, Bergfeld, Zur Jurisprudenz des forum internum. Ius Commune XVI (1989) 133, 134. Die Unterscheidung nach Pflichten im forum internum und externum hat Christian Thomasius (1655 – 1728) zur Unterscheidung von Recht und Moral verwendet, vgl. oben B. I. 3. c) aa) (4), S. 110. 238 Thomas Schelling, Ethics, Law and the Exercise of Self-Command, in: ders., Choice and Consequence, Cambridge 1994, S. 83; J. Elster, Ulysses and the Sirens. Studies in Rationality and Irrationality, Cambridge, 1984; dt. Subversion der Rationalität, 1987, S. 4; Jayme/ Ehrenzweig, Private international law: a comparative treatise on American international conflicts law, including the law of admiralty. Special part: obligations (contracts, torts). Bd. 3, Leyden 1977, S. 142 f.; den Begriff Moralobligation verwendet Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 500 ff. 239 Soziale Normen aus alleinigem Eigennutz, Elster, Social Norms and Economic Theory, Journal of Economic Perspectives, 1989, 99, 103 ff.; Adams, Normen, Standards, Rechte, JZ 1991, 941, 943. 240 Schelling, Ethics, Law and the Exercise of Self-Command, in: ders., Choice and Consequence, Cambridge 1994, S. 83 – 112, 93 ff.; Elster, Ulysses and the Sirens. Studies in Rationality and Irrationality, Cambridge 1984; dt. Subversion der Rationalität, 1987, S. 138. 241 Vgl. zu den intrapersonellen Strategien für eine Autonomie in der Zeit, die von der Rechtsordnung geschützt werden, Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 23; übertragen auf die Reichweite gewillkürter Formerfordernisse, vgl. Wagner-von Papp, Die privatautonome Beschränkung der Privatautonomie, AcP 205 (2005) 342, 351 ff. 242 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Band VIII, 1989, 347

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durch soziale Arrangements, wie etwa mit einer Obligation bei intrapersonaler Pflichtstellung, abgebildet werden 243. In derart regelgeleitetem und reflektiertem Verhalten soll eine höherstehende Form menschlichen Verhaltens zu erblicken sein als in unkontrollierter Impulsivität 244. Die vertragliche Selbstbindung ist eine Entscheidung zugunsten des früheren Selbst und gegen die Interessen des späteren Selbst, das sich lieber frei von vertraglichen Bindungen sähe245. In diesem Verpflichtungskonzept kann der Schuldner dem Gläubiger die Erbringung einer Leistung in der Weise versprechen, dass er erstens seine feste Absicht bekundet, die Leistung zu erbringen, und er sich zweitens für nicht mehr befugt erklärt, diese Absicht später einseitig zu ändern. Die für unabänderbar erklärte Absicht verwandelt sich im kontrafaktischen Falle einer realen Absichtsänderung in den intrapersonellen Befehl an sich selbst um: „Du darfst die bekundete Absicht nicht ändern und musst daher so handeln, als bestünde die Absicht fort“. Der Schuldner lebt also in der Spannung einer selbst auferlegten Bindung. Das Autonomiekonzept wird in der intrapersonalen Perspektive gewahrt, weil der Selbstbefehl des Schuldners homolog zum Leistungsbefehl des Gläubigers ist und lautet: „Handle wie versprochen!“. Diese Deutung der schuldrechtlichen Pflicht ist abzulehnen.

(AB 48): Die bloß nach ihrer Menschheit handelnde und „… von physischen Bestimmungen unabhängige Persönlichkeit (homo noumenom) … zum Unterschiede von eben demselben aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subjekt, dem Menschen (homo phaenomenon), …“. Überdies dargestellt in der Tugendlehre. Der Mensch als angeborener Richter über sich selbst: „Diese ursprüngliche intellektuelle und moralische Anlage, Gewissen genannt, hat nun das Besondere in sich, daß, ob zwar dieses sein Geschäfte ein Geschäfte des Menschen mit sich selbst ist, dieser sich doch durch seine Vernunft genötigt sieht, es als auf das Geheiß einer anderen Person zu treiben.“ (Ebd. S. 573 (A 100); und Fußn.* „Die zwiefache Persönlichkeit, in welcher der Mensch, der sich im Gewissen anklagt und richtet, sich selbst denken muß: dieses doppelte Selbst, … (homo noumenon und specie diversus)“, ebd. S. 574. 243 Nach Kant wird durch die innere Gesetzgebung aus reiner praktischer Vernunft ein äußeres Gesetz begründet. Die äußeren Gesetze setzen sich zusammen aus jenen positiven Gesetzen, die auf äußerer Gesetzgebung und jenen, die auf innerer Gesetzgebung beruhen, vgl. Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der kantischen Rechtsdefinition, in: ders. (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 98. 244 So Vande Veer, Paternalistic Interventions, Princeton N.Y, 1986, S. 294 ff.; Elster, Ulysses and the Sirens. Studies in Rationality and Irrationality, Cambridge, Rev. ed. 1984; dt. Subversion der Rationalität, 1987, S. 120 ff.; krit. Schelling, Ethics, Law and the Exercise of Self-Command, in: ders., Choice and Consequence, Cambridge 1994, S. 83, 108. 245 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 25.

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(1) Das notwendig interpersonale Rechtsverhältnis Das Schuldrecht stellt auf ein äußeres „Rechtsverhältnis“ ab. Darunter muss ein interpersonales Sozialverhältnis verstanden werden246. Das Spektrum reicht vom deliktischen Zufallskontakt über den freiwilligen „geschäftlichen Kontakt“ (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) der geschäftsähnlichen Sonderbeziehung247 bis zum Vertragsverhältnis. Immer kommt es auf das Individuum in einer Sozialbeziehung und nicht auf eine autark und introspektiv gedachte Person im Selbstverhältnis an. Dies gilt auch bei der einseitigen Obligationsbegründung, die ohne jede Mitwirkung des Gläubigers erfolgen kann (§§ 82, 397 (str.248), 443, 657, 661 a, 1939 i.V.m. 2147 BGB)249. Die Pflichtenstruktur wird in diesen Fällen ebenfalls interpersonal in einer Außenweltbeziehung zwischen zwei oder mehreren Personen gedacht250. Die obligatorische Pflicht stellt die Verknüpfung zwischen dem Willen des Schuldners und dem Interesse des Gläubigers her und führt zu einem „gebundenen“ Willen des Schuldners251. Dagegen sind Pflichtbegründungskonzepte, die allein auf intrapersonalen Bindungen aufbauen, mit der Dogmatik der schuldrechtlichen Forderung nicht

246 Differentia specifica des Rechts gegenüber anderen Normensystemen ist die personelle Trennung von Berechtigten und Verpflichteten, Pavlik, ‚Selbstgesetzgebung der Regierten‘: Glanz und Elend einer Legitimationsfigur. In: Joerden/Wittmann (Hg.): Recht und Politik, 2002. ARSP Beih. 2004, S. 115, 128; Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1965, S. 37: Recht hat die Beziehung zwischen den Menschen zu seinem Gegenstand. Die Moral den Menschen als Einzelwesen. Stranzinger, Recht und Moral: Ihre Unterschiede und Zusammenhänge, in: Miehsler (Hg.), FS für Alfred Verdross, 1980, S. 247, 253 lehnt das Abgrenzungskriterium ab, weil auch die Moral Sozialbeziehungen regele. 247 Krebber, Der nicht zufällige Kontakt ohne Vertragsnähe auf der Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, VersR 2004, 150, 155. 248 Für einen einseitigen Verzicht Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht. Vertragsprinzip und einseitiges Rechtsgeschäft im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2004, S. 379. 249 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 Rn. 1. Enger Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 15, der § 657 BGB als einzige Ausnahme von § 311 BGB anerkennt. Als dogmatisch überholt gelten die auf der Kreationstheorie aufbauenden und noch vom BGB-Gesetzgeber als einseitige Rechtsgeschäfte anerkannte Annahme der Anweisung gem. § 784 BGB sowie die Inhaberschuldverschreibung gem. § 793 BGB; MünchKomm/Hüffer, BGB, 4. Aufl. 2004, § 784 Rn. 2 und § 793 Rn. 2. Art. 2:107 PECL ermöglicht dagegen ein nur einseitiges Versprechen. Eine Sonderstellung nehmen das Forderungsrecht des Dritten beim Vertrag zu Gunsten Dritter, § 328 BGB sowie die Bindung an den Vertragsantrag ein, § 145 Hs. 1 BGB. Bei § 145 Hs. 1 BGB wird die konsequentialistische Bindung im Verkehrsschutzinteresse angeordnet. 250 Zu dem Grenzfall einer Auslobung und Absichtserklärung, BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373. Siehe näher unten C. III. 1. c) bb) (1) (d) (bb), S. 351. Auf die äußere Form der Pflichtbegründung und die Einbeziehung des Gläubigers im Begründungsakt kommt es für die Bestimmung der obligatorischen Pflichtstruktur nicht notwendig an. 251 Zur Recht-Pflicht-Korrespondenz des obligatorischen Rechts unten C. III. 1. c) bb) (2), S. 359.

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kompatibel 252. Die Vorstellung eines reinen „Innenrechtsverhältnisses“ steht allein der heute ganz überwiegend abgelehnten wertpapierrechtlichen Kreationstheorie nahe, die die wertpapierrechtliche Verbindlichkeit einseitig im Kreationsakt entstehen lässt 253. Die Vorstellung eines Schuldverhältnisses in der eigenen Person ist ferner bei der Eigentümerhypothek wirksam, die sich jedoch in eine Eigentümergrundschuld umwandelt (§ 1177 Abs. 1 BGB), weil eine Forderung gegen sich selbst dogmatisch nicht anerkannt wird. Die Notwendigkeit der Fremdbeziehung zeigt sich ferner im mindestens auch-fremden Geschäft und dem Erfordernis subjektiver Fremdgeschäftsführung bei der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 687 BGB). Die irrtümliche oder angemaßte (unechte) Geschäftsführung begründet das gesetzliche Schuldverhältnis der GoA nicht 254. Wer ausschließlich im eigenen Interesse handelt, begründet kein Schuldverhältnis (§ 687 BGB) 255. (2) Pflichten gegen sich selbst und Selbstpaternalisierung § 241 BGB ermöglicht die Organisation sozialer Beziehungen und dient nicht dazu, intrapersonelle Handlungskonflikte zu lösen. Wer sich selbst gegenüber die Vornahme einer Handlung verspricht, bekundet einen Vorsatz und gibt eine handlungsbezogene Absichtserklärung ab256. Die Begründung einer durchsetzbaren vertraglichen Verpflichtung gegen sich selbst ist dem Recht prinzipiell fremd 257. Die noch bei Kant geläufigen Pflichten gegen sich 252 Eine Ausnahme bildet außer der bereits genannten Gewissensbindung insoweit möglicherweise die sog. Verzeihung. Sie ist ein rein innerer Vorgang, wenngleich auf eine Außenweltbeziehung bezogen, §§ 532, 2337, 2343 BGB. Vgl. BGH v. 5.7.1984, BGHZ 91, 273, 280. Die §§ 525, 1940 BGB (Pflichten aus einer Auflage) stehen in einem Außenverhältnis zu einem Auflagenbegünstigten, E. Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts. Erster Band: Allgemeiner Teil, 1978, S. 19 (Fälle ohne Recht-Pflicht-Korrespondenz). 253 MünchKomm/Hüffer, BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 793 Rn. 24 f. 254 Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004 Rn. 1; das gilt erst Recht bei irrtümlicher Fremdgeschäftsführung eines eigenen Geschäfts, Erman/Ehmann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 677 Rn. 3. 255 Zu dem aus § 687 Abs. 1 BGB abgeleiteten subjektiven Element der auftraglosen Geschäftsführung, die auch subjektiv eine interpersonale Beziehung voraussetzt, sehr klar AnwK-BGB/M. Schwab, 2005, § 687 Rn. 1: Die wesentlichen Rechtsfolgen der §§ 677 ff. BGB legitimieren sich erst aus dem subjektiven Bewusstsein des Geschäftsführers, in fremdem Rechtskreis tätig zu werden. Die Einstufung der angemaßten Eigengeschäftsführung, § 687 Abs. 2 BGB, als besonderer Deliktstatbestand, etwa Staudinger/Wittmann, BGB, 2003, § 687 Rn. 7, steht dem nicht entgegen, krit. zur Einstufung als Delikt, M. Schwab, aaO., Rn. 2. 256 Von der Pfordten, Normativer Individualismus und das Recht, JZ 2005, 1069, 1079. 257 Mayer-Maly, De se queri debere, officia erga se und Verschulden gegen sich selbst. In: Medicus, Seiler (Hg.), FS für Max Kaser, 1976, S. 229, 261. Von einem Verschulden gegen sich selbst könne nur gesprochen werden, wenn man Pflichten gegen sich selbst anerkennt. Das wird seit der Pandektistik verneint. Mit Nachdruck unterscheide Brinz zwischen officium

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selbst 258 gehörten nicht zum Recht. Sie sind heute auch aus der Sozialethik verschwunden. Thema der Moral ist ebenso nur noch die Regelung interpersonaler Handlungskonflikte259. Das Zivilrecht eröffnet grundsätzlich auch keinen rechtsgeschäftlichen Spielraum zur Schaffung eines Schutzes gegen sich selbst. Selbstpaternalisierung ist grundsätzlich verpönt. Langfristige Selbstbindung zu Lasten der Spielräume je gegenwärtiger freiwilliger Selbstbindung zu schützen 260, stößt an systemimmanente Grenzen. Das zeigen die Verbote, auf seine rechtsgeschäftliche Freiheit für die Zukunft zu verzichten (§§ 137 S. 1, 311 b Abs. 2, 2302 BGB) 261. Freiheitswahrende Normen dieser Art sind ferner die zwingenden Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Nichtigkeitsgründe, wie etwa eine Geschäftsunfähigkeit, lassen sich nicht vereinbaren. Der bürgerliche Klostertod und die Selbstversklavung sind nicht möglich 262. Auch die Vertragsinhaltsgrenzen, wie §§ 134, 138 BGB, können grundsätzlich weder abbedungen 263 noch durch neue Vertragsverbote eines bestimmten Inhalts erweitert werden 264. Selbstpaternalisierungen, bei denen der Schuldner seinen am eigenen Interesse ausgerichteten, geäußerten Abund obligatio. Die officia weist er in die Ethik. Ähnlich Regelsberger, Jhering und Wächter. Nach Wächter könne niemand sich selbst als Verpflichteter gegenüberstehen (ebd. S. 261 – 264). 258 Die vollkommenen und unvollkommenen Pflichten gegen sich und andere, oben B. I. 3. c) bb) (3) (a), S. 122. 259 Marcus Singer, Duties to Oneself, in: Peter Radcliff (Ed.), Limits of Liberty. Studies on Mills ‚On Liberty‘, Belmont 1966, 109 – 130; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 5. 260 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 27. 261 Ebenso sagt Art. 27 Abs. 1 ZGB:“Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten.“; Weitnauer sieht in § 137 BGB den Prototyp einer Vorschrift, welche den Schutz der Persönlichkeit davor bezweckt, sich in Abhängigkeit zu begeben. Zum Schutze der Freiheit der Selbstbestimmung muss die Freiheit der Freiheit Schranken setzen, Schranken wie sie die öffentliche Ordnung und der Persönlichkeitsgedanke erfordern, Weitnauer, Die unverzichtbare Handlungsfreiheit, in: Henckel (Hg.), FS für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag, 1975, S. 429, 433; zur Erstreckung des § 137 S. 1 BGB über seinen Wortlaut hinaus vgl. Liebs, Die unbeschränkbare Verfügungsbefugnis, AcP 175 (1975) 1, 42 f. 262 Das römische Recht kannte die capitis deminutio in drei Stufen (maxima, media und minima): Sie bedeute Freiheits-, Bürgerrechtsverlust oder auch lediglich das Ausscheiden aus dem Familienverband aber konnte grundsätzlich nicht durch Rechtsgeschäft herbeigeführt werden. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 13 Rn. 3; Honsell/MayerMaly, Römisches Privatrecht, 4. Auflage 2002, S. 76. 263 Eine Ausnahme bildet die kollisionsrechtliche Rechtswahl. Sie überwindet auch die einfach zwingenden Normen des an sich anwendbaren Rechts. Schutz vor Entrechtlichung bieten die international zwingenden Normen (etwa Art. 34 EGBGB), der odre public-Vorbehalt (insb. Art. 6 EGBGB) sowie die prinzipielle Beschränkung der Rechtswahl zu Gunsten staatlicher Rechte. Dazu unten C. V. 3. a) aa), S. 583. 264 Der Spielsperrvertrag lässt sich daher weder als Vereinbarung eines Nichtigkeitsgrundes noch als ein vereinbartes Vertragsverbot im Sinne von § 134 BGB verstehen. G. Schulze, Verträge zum Schutz gegen sich selbst, in: Mansel u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, 1577,

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sichten treu bleiben muss und insoweit an frühere Entschlüsse auch gegen seinen aktualen Willen festgehalten werden kann, sind sehr selten. Die anzutreffenden Fälle wollen Schwächen in der Handlungskontrolle und damit die mangelnde Bindungsfähigkeit überwinden 265. Die Einschränkung künftiger Handlungsspielräume gilt bei ihnen als Ausdruck persönlicher Freiheit266. Der äußeren Form nach sind diese Selbstbindungen dualistisch als Verträge angelegt, obgleich sie allein im Interesse des Pflichtigen liegen. (a) Spielsperrverträge und Formabreden Zu den Selbstbindungen im allein eigenen Interesse gehören die Spielsperrverträge zwischen Spielbanken und „spielsüchtigen“ Kunden. Der BGH hat einen Vertrag mit obligatorischer Leistungspflicht bejaht. Die Spielbank sei grundsätzlich zur Verhinderung der Spielteilnahme verpflichtet und hafte für Spielverluste schadensersatzrechtlich 267. Hier hätte es genügt, die rechtstatsächliche Wirkung der Sperrabrede auf den Vertragsschluss in der Spielbank zu beziehen. Die vertragswidrig ausgetauschten Leistungen bei einer Spielteilnahme wären danach bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln. Die Spielbank besitzt beim Abschluss derartiger Sperrabreden erkennbar kein eigenes Vermögensinteresse und dürfte nicht ohne eine Gegenleistung bereit sein, die Vermögensinteressen ihrer gesperrten Kunden zu wahren 268. Zu beachten ist ferner, dass die Spielsperren auf den Wunsch der „Kunden“ hin erfolgen und die Übernahme einer Leistungspflicht der Spielbank daher zumindest nicht einfach unterstellt werden darf. 1584 u. Fn. 43. Funktional entsprechend sind Unterlassungspflichten mit Strafversprechen zu vereinbaren, die dann den Handlungsspielraum einengen. 265 Etwa die Spielsucht, die die Handlungsfreiheit noch unspezifisch und nicht bereits in einem medizinisch und damit rechtlich bewertbaren Grade einschränkt. Sie kann im Rahmen der §§ 105 Abs. 2, 138 Abs. 2, 827 BGB noch nicht berücksichtigt werden; vgl. Gerhard Meyer/Meinolf Bachmann, Spielsucht, Ursachen und Therapie, 2000, S. 23. 266 Freiheit bzw. Autonomie verstanden als Fähigkeit zur stoischen Selbstkontrolle, vgl. Meyer, Rights and Autonomy, in: American Philosophical Quarterly 24 (1987) 267, 270; Elster, Ulysses and the Sirens. Studies in Rationality and Irrationality, Cambridge 1984; dt. Subversion der Rationalität, 1987, S. 4: Das Sirenenkapitel der Odysee zeige, dass es rational sein kann, Handlungsoptionen zu versperren, um langfristige Autonomie zu ermöglichen. 267 BGH v. 15.12.2005 NJW 2006, 362, zust. Schimmel, Der Schutz des Spielers vor sich selbst, NJW 2006, 958; im Ergebnis auch Wagner-von Papp JZ 2006, 470, 473 anders noch BGH NJW 1996, 248. Für eine vertragshindernde Wirkung des Sperrvertrags ohne vermögenssorgende Pflichtbegründung der Spielbank und eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Spieleinsätzen und Gewinnen, G. Schulze, Der Verträge zum Schutz gegen sich selbst, in: Mansel u.a. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, 1577, 1580 ff. 268 Nach der Entscheidung des BGH ist zu erwarten, dass sich die Spielbanken im Rahmen derartiger Sperrverträge künftig pauschale Entgelte oder zumindest Vertragsstrafen ausbedingen, um auf diesem Wege die zusätzlichen Lasten durch die zivilrechtlich erzwungene Personenkontrolle abzudecken.

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Die Frage, ob ein vereinbartes Formerfordernis formlos wieder aufgehoben werden kann, betrifft ebenfalls die Grenzen möglicher Selbstbindung. Die Reichweite vereinbarter Formerfordernisse ist Auslegungsfrage. Eine Vermutung für oder gegen die freiheitsbeschränkende Selbstbindung gibt es nicht269. Die Rechtsprechung lässt die formlose Aufhebung der Form aber im Zweifel zu und setzt damit der Selbstpaternalisierung Grenzen270. (b) Behandlungsverträge mit psychisch Kranken und Patientenverfügungen Behandlungsverträge mit psychisch Kranken, in denen mögliche künftige Zwangsmaßnahmen geregelt werden, fallen ebenso in die Gruppe eigeninteressierter Selbstbindungen. Bei diesen sog. „Ulysses Contracts“271 kann der Patient in die vereinbarten Maßnahmen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme krankheitsbedingt keine rechtswirksame Einwilligung 272 mehr erteilen. Die antizipierte Einwilligung soll aber widerrufbar bleiben, außer im Falle einer medizinisch erforderlichen Zwangsbehandlung. In Deutschland ist diese Form eines benevolenten Paternalismus (Katzenmeier) rechtlich nicht anerkannt273. Bei den sog. Patientenverfügungen („Patiententestament“) handelt es sich um einseitige Selbstbindungen in rechtsgeschäftlicher Form. Der Streit um die rechtliche Anerkennung und Reichweite dieser Erklärungen kann hier dahinstehen 274. Erkennt man sie als rechtsgeschäftliche Selbstbestimmungsakte an, so stellt sich die Frage nach ihrer Bindungswirkung. Die Selbstbin269 So zutreffend Wagner-von Papp, Die privatautonome Beschränkung der Privatautonomie, AcP 205 (2005) 342, 345 ff. Auch der Widerruf einer kraft Gesetzes formbedürftigen Erklärung ist nicht formbedürftig, BGH v. 26.3.2004 NJW-RR 2004, 952, 953 f. (Widerruf eines notariell beurkundeten Grundstückskaufangebots). 270 Nach BGH v. 2.6.1976 BGHZ 66, 378, 381 ist unter Kaufleuten die individualvertragliche Formabrede der Vertragsaufhebung wirksam. Für eine generelle Anerkennung Medicus, Allg. Teil des BGB, 7. Aufl. 1997, Rn. 643; AnwK-BGB/Noack, 2005, § 125 Rn.67. 271 Lenzen-Schulte, Was Psychatriepatienten wirklich denken. FAZ v. 27 1.2.2006, S. N 1. 272 Zum ärztlichen Eingriff allgemein, der nicht vertragsrechtlich, sondern faktisch erfasst wurde. BGH v. 5.12.1958 BGHZ 29, 33, 36: „Die Erlaubnis zum ärztlichen Eingriff ist keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen.“ Dieser Beurteilung entspricht die Qualifikation der Einwilligung als sog. rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Regeln der §§ 107 ff. nicht schematisch angewandt werden dürfen. Vgl. Ohly, „Volenti non fit iniuria – Die Einwilligung im Privatrecht. 2002, S. 44. 273 Die Voraberklärung der Einwilligung kann nur auf den bei Erklärung absehbaren Rahmen der Behandlung erstreckt werden, Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 334; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 64 Rn. 18 (krit. zur engherzigen Rechtsprechung). 274 Holzhauer, Patientenautonomie, Patientenverfügung und Sterbehilfe, FamRZ 2006, 518; gegen eine rechtsgeschäftliche Lösung und zum Streitstand, Spickhoff, Autonomie und Heteronomie im Alter, AcP 208 (2008) im Erscheinen.

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dung soll für die Zeit gelten, ab der der Patient selbst nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen. Die Widerruflichkeit bis zu diesem Zeitpunkt steht außer Frage. Unwiderrufliche Erklärungen wären nicht zulässig 275. Von einer Selbstbindung des Patienten zu sprechen, ist aufgrund dieser Sachlage erklärungsbedürftig. Die Bindungswirkung bleibt nur deshalb erforderlich, weil sie den Selbstbestimmungsvollzug des Patienten gegenüber gesetzlichen Behandlungspflichten Dritter rechtlich überwindet und durchsetzt. Die verhaltenssteuernde Bindungswirkung aus einer solchen Erklärung trifft mit anderen Worten nicht den Patienten selbst, sondern seine Vertreter sowie die hilfs- und eingriffsbereiten Dritten. Deren gegenläufigen gesetzlichen Hilfsund Behandlungspflichten dienen zwar dem (mutmaßlichen) Interesse des Patienten. Der Patient kann deren Einschätzung aber durch seine antizipierte Selbstbestimmung suspendieren und schützt sich so vor einer aufgedrängten Lebensverlängerung276. Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht in gleicher Weise zukunftsbezogen stabilisierbar wie die auf einen Gläubiger bezogene obligatorische Leistungsbindung. Das prinzipielle Misstrauen gegenüber derartigen Erklärungen zeigt sich etwa auch im diskutierten Erfordernis einer Iteration (Wiederholung, Erneuerung, Bestätigung) in bestimmten Zeitabständen 277. An diesen Sonderformen einer einseitigen Interessenbindung kann ein allgemeines Selbstbindungs- und Selbstverpflichtungskonzept obligatorischer Leistungspflichten ersichtlich nicht ausgerichtet werden. bb) Konsequentielle und obligatorische Pflicht Wie die vorstehenden Überlegungen gezeigt haben, genügt eine nur intrapersonale Pflichtstellung nicht. Die interpersonale Verknüpfung zwischen dem Handlungswillen des Schuldners und dem Leistungsinteresse des personenverschiedenen Gläubigers ist ein wesentliches

275 D. Schwab, Stellvertretung bei der Einwilligung in die medizinische Behandlung, in: Gottwald, Jayme, Schwab (Hg.): FS für Dieter Henrich zum 70. Geburtstag, 2000, S. 511, 517 f. 276 Vgl. Uhlenbruck/Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 132 Rn. 35 ff. 277 Kritisch zum Gedanken der turnusmäßigen Wiederholung Milzer, Die Patientenverfügung – ein Rechtsgeschäft mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum? NJW 2004, 2277; Katzenmeier, Individuelle Patientenrechte – Selbstbindung oder Gesetz. JR 2002, 444, 447. Zur Errungenschaft des Rechtswirkungsdenkens mit dem Verbot des Wiederaufgreifens bereits erledigter Fragen Wacke, Das Rechtswirkungsdenken. Ursprünge, Leistungsfähigkeit und Grenzen. In: Chr. Hattenhauer (Hg.), FS Heinz Holzhauer, 2005, S. 367, 373 (im mittelalterlichen Recht begegneten dagegen häufig noch sog. Iterationen. Wiederholte Auflassungen desselben Grundstücks unter denselben Personen nach dem Prinzip „doppelt hält besser“).

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Strukturmerkmal obligatorischer Pflicht. Die obligatorische Pflicht ist daher in einem Relationalverhältnis278 abzubilden. Nach der Intensität des Fremdbezuges lassen sich zwei Selbstbindungsformen, die schwächere konsequentialistische Verhaltensbindung und die stärkere obligatorische Leistungsbindung (Schuldpflicht), unterscheiden. Bei der konsequentialistischen Bindung muss der Handelnde das fremde Interesse an der Vornahme der angekündigten Handlung oder Unterlassung im Rahmen der eigenen Interessenverfolgung berücksichtigen. Das schränkt den eigeninteressierten Handlungsvollzug durch die Reflexion fremder Interessen ein. Bei der stärkeren obligatorischen Pflicht ist das fremde Interesse dagegen handlungsleitend. Es ist vom Handelnden zu wahren und zu verfolgen. Handlungstheoretisch entspricht diese Unterscheidung dem zweiwertig differenzierten kommunikativen Sprachgebrauch bei Habermas: Dem schwachen Modus der Verständigung über die ernste Absicht, wenn der Geltungsanspruch aus den Gründen des Aktors anerkannt wird (Absichtserklärung) und dem starken Modus des Einverständnisses über eine Tatsache, wenn der Geltungsanspruch aus geteilten Gründen akzeptiert wird (Versprechen)279. In der schuldrechtlichen Dogmatik wird die Trennung zwischen der unverbindlichen Absichtserklärung und dem verbindlichen Leistungsversprechen üblicherweise über das Merkmal des Rechtsbindungswillens vorgenommen 280. Die Bejahung oder Verneinung des Rechtsbindungswillens zielt jedoch nicht auf eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Bindungsformen, sondern auf die Geltungsfrage der rechtsgeschäftlichen Erklärung. Die Erklärung wird aus einer objektivierten Empfängersicht heraus konkretisiert. Dabei werden auch normative Momente erfasst. Für die Entwicklung eines naturalistischen

278 Relational meint in einer (sozialen) Beziehung stehend, Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 4. Aufl. 1994, S. 99. Die Beziehung besteht zwischen Personen und ist daher interpersonal. 279 Habermas, Rationalität und Verständigung. Sprechakttheoretische Erläuterungen zum Begriff der kommunikativen Rationalität. In: Habermas (Hg.), Wahrheit und Rechtfertigung, 2004, S. 102, 109 f. 280 BGH v. 22.6.1956 BGHZ 21, 102, 106; BGH v. 17.5.1971 BGHZ 56, 204, 208: „Der Rechtsbindungswille ist auf die Begründung einer Schuld gerichtet und dient als Legitimation für die Haftung. Rechtsfolge- und Rechtsbindungswille werden meist synonym verwendet. Rechtsfolgewille meint den mit der Erklärung zum Ausdruck gebrachten Willen, einen konkreten, rechtlich gesicherten und anerkannten zumeist wirtschaftlichen Erfolg herbeizuführen, wobei der Erklärende keine ins einzelne gehende Vorstellung darüber haben muss, wie der angestrebte wirtschaftliche Erfolg rechtstechnisch herbeigeführt wird; es genügt, dass dieser als rechtlich gesichert und anerkannt gewollt ist“; ebenso BGH v. 24.5.1993 NJW 1993, 2100; vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Einf v § 116 Rn 4; Erman/Palm, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 116 Rn 4; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Vor § 116 Rn 14.

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Verpflichtungsmodells führt der rational nicht näher erläuterte Rechtsbindungs- bzw. Rechtsfolgewille281 aber nicht weiter 282. (1) Konsequentialistische Verhaltensbindung Bei der konsequentialistischen Verhaltensbindung sind die Selbst- und Fremderwartungen in das eigene Konsequentialverhalten allein der Schuldnerperspektive und dessen Handlungsgründen verpflichtet. Konsequentialverhalten meint folgenorientiertes Handeln, wobei das Folgenkalkül auf der Grundlage des eigenen Vorverhaltens aufbaut und daher den aktuellen Handlungsspielraum aus der Rückschau bestimmt 283. Eine konsequentialistische Verhaltensbindung entspricht dem kommunikativen Geltungsanspruch der Absichtserklärung bei Habermas 284. Der Aktor gibt eigene gute Gründe an, seine geäußerte Absicht zu realisieren. Er gewinnt Zustimmung, wenn er die beabsichtigte Handlung als eine im Lichte seiner Präferenzen nach den Handlungsumständen und den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln rationale Handlung ausweist. Der Hörer hat dann gute Gründe, die Ankündigung ernst zu nehmen und seine Erwartungen danach auszurichten, auch wenn er die Gründe nicht selbst teilt. Es handelt sich um aktorrelative einsichtige Gründe, die die Handlung für den Adressaten wahrscheinlich machen 285. Übertragen auf den schuldrechtlichen Kontext bedeutet dies, dass der seine Absicht Erklärende nur „sich selbst treu“ bleiben muss. Er darf grundsätzlich jederzeit seine Absicht aufgeben, sofern er dabei aus eigenen guten Gründen auf der Grundlage vorangegangener Verhaltensweisen handelt286. Die Normativität ist in diesem Falle schwach. Der Grund hierfür liegt in der fehlenden Verklammerung 281

Es genügt die (laienhafte) Vorstellung der Parteien, sich dem Recht zu unterstellen (vorherige Fn.). Die Bezeichnung Rechtsfolgentheorie ist daher kaum noch berechtigt; dennoch MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Vor § 116 Rn 14 (dort auch zur Grundfolgentheorie); zutreffend Erman/Armbrüster, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 145 Rn 4; zur historischen Entwicklung, vgl. HKK-Schermaier, BGB, 2003, §§ 116–124 Rn 9. 282 Zur Absichtsbindung ferner sogleich näher unten C. III. 1. c) bb) (1) (d) (aa), S. 349. 283 Eine konsequentialistische Rationalitätstheorie bestimmt rationales Handeln durch die motivierende Absicht, die Folgen zu optimieren. Ergänzend soll auch die strukturelle Einbettung der Handlungsentscheidung berücksichtigt werden, Nida-Rümelin, Kritik des Konsequentialismus, 1993, S. 12 u. 296. Beispiel für die Theorie struktureller Rationalität ist das Versprechen, das anders als Absichtserklärungen nicht rein konsequentialistisch verstanden werden könne, Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 2004, 498, 502. 284 Habermas, Rationalität und Verständigung. Sprechakttheoretische Erläuterungen zum Begriff der kommunikativen Rationalität, in: Wahrheit und Rechtfertigung, 2004, S. 102, 117 f. 285 Habermas, (vorherige Fn.), ebd. 286 Zur Haftung bei grundlosem Abbruch von Vertragsverhandlungen sogleich unten im Text.

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der Handlungsentscheidung mit dem fremden Interesse287. Die Bindungsverpflichtung wird nur auf das eigene Wollen statt auch auf das Wollen eines anderen zurückgeführt 288. Eine gedankliche Parallele für diese schwache Bindungsform liefert der verwaltungsrechtliche Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung wird durch Verwaltungsvorschriften, öffentliche Absichtserklärungen oder eine entsprechende Verwaltungspraxis eingeschränkt. Von dieser freiwilligen Bindung darf nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes abgewichen werden 289. Die Verwaltung setzt sich damit bei ihrem Optionenverhalten selbst unter Rechtfertigungsdruck und ermöglicht die Nachvollziehbarkeit ihrer Praxis290. Sie handelt konzeptionell und kann unter dem Gebot der Konzepttreue stehen (Konzeptpflichten) 291. Das Zivilrecht kennt die nachfolgend erörterten konsequentialistischen Pflichtbindungen, die trotz ihrer unterschiedlichen Ausformung im Gesetz oder in der Dogmatik in dieser Grundstruktur übereinstimmen. (a) Erhalt der Versprechensabsicht, § 145 Hs. 1 BGB Im BGB findet sich die konsequentialistisch begründete Bindung im einseitigen Wort- oder Treueversprechen, § 145 Hs. 1 BGB (Antragsbindung). Der Grund für diese Bindung liegt im Vertragsversprechen. Es begründet die Verpflichtung zum Worthalten (d.i. der Erhalt der Versprechensabsicht) und rechtfertigt die Bindung an den Vertragsantrag. Die Regelung im BGB geht auf Franz Philipp von Kübel zurück. Es stelle ein zwingendes Bedürfnis des Verkehrs dar und liege im Interesse der Rechtsordnung, dass der Antragende zur Haltung seines Wortes, und zwar lediglich aufgrund desselben verpflich-

287 Eine schwache Normativität folgt aus der impliziten Selbstverpflichtung zur Einhaltung von Normen der Klugheit und den Bedingungen des Regelfolgens eines egalitären Selbst, Somek, Ermächtigung und Verpflichtung, in: Paulson/Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 58, 71 ff. Siehe oben C. III. 1. a) cc) (3), S. 295f. 288 Das „eigene Wollen“ bzw. das „fremde Wollen“ bezeichnet die motivierende Absicht im Handlungsvollzug, die auf eine Optimierung der Folgen der eigeninteressierten bzw. im fremden Interesse liegenden Handlung gerichtet ist. Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind. ARSP 2004, 498, 502. 289 Die Bindung kann für die Zukunft abgeändert werden. Ziekow, Kommentar zum VwVfG, 2006, § 40 Rn. 29. 290 Die Selbstbindung folge als Reaktion auf das Anwachsen der Optionsräume. Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann/ Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts; Bd. 1, Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, 2006, § 10 Rn. 116, S. 698. 291 Hoffmann-Riem, a.a.O., Rn. 117, S. 698 u. Rn. 123, S. 702.

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tet sei 292. Das „Hauptprinzip“293 lautet 294: „Der Antrag zur Schließung eines Vertrages erzeugt eine (zeitliche) Gebundenheit des Antragenden an sein Wort“. Die Verpflichtung zum Worthalten im Vorfeld des Vertrages ist von der obligatorischen Verpflichtung aus dem Vertrag auf Erfüllung der versprochenen Leistung zu trennen. Durch erstere wird die Möglichkeit der Entstehung der zweiten gesichert 295. Der Fortbestand des Antrags schützt mit anderen Worten die Entstehungsmöglichkeit der obligatorischen Pflicht aus dem Vertrag. Die Antragsbindung ist ferner einseitig dispositiv (§ 145 Hs. 2 BGB). Aufgrund der Dispositionsbefugnis lässt sich präzisieren, dass Grundlage der Bindung die Entscheidung des Antragenden ist, an seinen Antrag gebunden zu sein. Anders als der Vorvertrag bindet das Angebot nicht selbst obligatorisch. Die Antragsbindung begründet als einseitig bindendes Versprechen (nur) Treuepflichten in Bezug auf den Vertragsabschluss. So hat der Antragende Vorkehrungen zu treffen, um den (rechtzeitigen) Zugang der Annahmeerklärung zu ermöglichen bzw. es zu unterlassen, den rechtzeitigen Zugang zu vereiteln. Ferner ist der Antragende verpflichtet, auf den verspäteten Eingang der Annahme hinzuweisen (§ 148 BGB). Diese und weitere Pflichten 296 ergeben sich aus dem einseitigen Vertragsversprechen 297. Die Verpflichtungstypen Versprechen und Konsens sind de lege lata zu unterscheiden 298. Beide bedeuten eine Selbstbindung durch den Willen, knüpfen 292 v. Kübel, Das einseitige Versprechen als Grund der Verpflichtung zur Erfüllung, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorentwürfe der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. 3, 1980, S. 1145, 1155. 293 v. Kübel hatte ferner vorschlagen, auch das einseitige Versprechen anzuerkennen, wenn dies dem Willen des Versprechenden entsprach, aber war damit nicht durchgedrungen. Nur das „acceptierte Versprechen“ und damit der Vertrag begründet die obligatorische Leistungspflicht (§ 77 E I), vgl. oben C. III. 1. b) aa) (2) u. (3), Text bei Fn. 75 u. 100. 294 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 781 f.; vgl. ebenso HKK/Oestmann, BGB, 2003, §§ 145 – 156 Rn. 5 (Postulat der reinen Vernunft, Verkehrsbedürfnis, sittliche Rücksicht, Vertrauen). 295 Häsemeyer, Das Vertragsangebot als Teil des Vertrages, FS Jayme, S. S. 1435, 1440; AnwK/G. Schulze, BGB, 2005, Vor §§ 145 – 157 Rn. 2. 296 In Rechtsprechung und Lehre werden die Treuepflichten verbreitet aus einem mit der Antragstellung gleichzeitig einhergehenden vorvertraglichem Vertrauensverhältnis hergeleitet und die Haftung entsprechend als gesetzliche Haftung auf culpa in contrahendo, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, gestützt. OLG Düsseldorf OLGZ 1991, 88, 90; HK-BGB/Dörner, BGB, 3. Aufl. 2004, § 145 Rn. 9; Staudinger/Bork, BGB, 2003, § 145 Rn 25; Erman/Armbrüster, BGB, 11. Aufl. 2004, § 145 Rn. 14; Schilder, Schadensersatz bei Durchbrechung der Bindung an obligatorische Vertragsofferten, 2003, S. 221 ff., der von einem Vertrauenstatbestand ausgeht und eine Haftung aus § 122 BGB analog befürwortet. Zu den weiteren Haftungsfolgen AnwK/G. Schulze, BGB, 2005, § 145 Rn. 12. 297 Für eine gesetzliche Haftung ist m.E. daher grundsätzlich kein Raum, weil das Gesetz in § 145 Hs. 1 BGB das bindende Versprechen als eigenständigen Verpflichtungstatbestand anerkennt. AnwK/G. Schulze, BGB, 2005, § 145 Rn. 13. 298 Insoweit hat sich v. Kübel durchgesetzt, denn sein Vorentwurf von 1877 stellte als „großes Prinzip“ das einseitige Versprechen und den Vertrag „ebenbürtig“ nebeneinander,

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aber ihre Bindungswirkungen unterschiedlich an. Das Versprechen leitet sich einseitig aus der Erklärungshandlung als Vollzugsakt des Willens (aus dem Wort) ab. Der Konsens dagegen aus dem einheitlich gedachten gemeinsamen Vertragswillen (vereinigte Willen). Versprechensbindung und Vertragsbindung schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen einander. Diese historisch eher zufällig entstandene Konzeption des BGB erscheint nicht ganz konsistent, weil das Konsensmodell der vereinigten Willen die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, wie und woraus die Leistungspflicht im Konsens entsteht, wenn nicht ebenfalls aus den jeweiligen Versprechen der Parteien, die im Konsens miteinander verknüpft und – wenn man so will – getauscht werden. Das primäre und einheitliche Strukturprinzip rechtlicher Bindung ist danach das Versprechen. (b) Obliegenheiten Die durch eine Obliegenheitsnorm geschützte Person besitzt kein Recht und mithin auch keinen Anspruch auf das geforderte Verhalten des Belasteten. Kennzeichen der Obliegenheit ist die Sanktionsfolge. Der Belastete verliert eigene Rechtspositionen im Falle eines Verstoßes, ist aber nicht primären Leistungs- und sekundären Einstandspflichten des Begünstigten ausgesetzt 299. Der drohende Verlust eigener Rechtspositionen kann allerdings durchaus als rechtliches Zwangsmittel angesehen werden. Es tritt jedoch ipso iure ein und steht nicht in der Rechtsmacht des Begünstigten. Zu nennen sind beispielsweise das Erfordernis unverzüglicher Anfechtung (§ 121 Abs. 1 BGB), die Schadensminderungsobliegenheit des Geschädigten (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB), die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Ehegatten nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung (§§ 1569, 1570 ff. BGB) oder die handelsrechtlichen Untersuchungs- und Anzeigelasten (§§ 377, 378 HGB). Der Belastete kann frei entscheiden, ob er die in seinem Rechtskreis liegenden Interessen wahrnimmt oder nicht 300. Nimmt er sie wahr, so muss er das mit der Obliegenheit geforsofern der Erklärende auch ohne Annahme an sein Versprechen gebunden sein will. Franz Philipp von Kübel, Das einseitige Versprechen als Grund der Verpflichtung zur Erfüllung, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1980, Teil 3, S. 1172; HKK/ Kleinschmidt, BGB, Band III, im Erscheinen, §§ 657–661a Rn. 21, spricht hier zu Recht vom revolutionären Gehalt der Vorlage. Vgl. oben C. III. 1. b) aa) (2) u. (3), bei F. 75 u. 100. 299 Der bloße Verlust eigener Rechtspositionen wird allgemein als Abgrenzungsmerkmal anerkannt. D. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 223. Zu den verschiedenen Merkmalsgruppen einer möglichen Abgrenzung, vgl. Staudinger/J. Schmidt, 13. Bearb. 1995, Einl. zu §§ 241 ff Rn. 271 ff., der die Abgrenzung am Ende aber als ohne großen Belang ansieht (ebd. Rn. 286). 300 Die Abnahme der Kaufsache nach § 433 Abs. 2 a.E. BGB dürfte Haupt- oder Nebenpflicht sein, weil und soweit es dem Käufer nicht freigestellt ist, die gekaufte und vertragsge-

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derte Verhalten einhalten. So ficht beispielsweise der Irrende seine fehlerhafte Willenserklärung im eigenen Interesse an und auch der Handelskäufer rügt Mängel der Kaufsache im eigenen Interesse. Jedoch müssen die Belasteten dabei das Interesse des Anfechtungsgegners bzw. des Verkäufers berücksichtigen, also etwa rechtzeitig anfechten bzw. die Kaufsache sogleich auf Mängel untersuchen und diese anzeigen. Die von der Obliegenheit ausgehende Verhaltensanforderung ist mithin abhängig von einer Entscheidung des Belasteten, die dieser ohne Bindung und damit im Eigeninteresse trifft. Das Interesse der Begünstigten ist gleichsam nur ein Akzessorium bei der Interessenwahrnehmung des Belasteten und daher auch nur durch den eigenen Rechtsverlust sanktioniert 301. Die Rede von Pflichten minderen Grades302 oder minderer Intensität303 ist wegen des nur sekundär geschützten Interesses des Begünstigten gerechtfertigt 304. Die Unterschied der Obliegenheit gegenüber der obligatorischen Pflicht besteht indes nicht in einer intrapersonalen Pflicht gegen sich selbst305 und also auch nicht aus einem (minder bedeutsamen) Verschulden gegen sich selbst 306. Zwar trifft die Obliegenheit den Belasteten nur, wenn er sich zu einer bestimmten Handlung entschließt, insbesondere eigene Rechte oder Interessen verfolgt. Das obliegende Verhalten mutiert damit aber nicht seinerseits auch zu einem

mäße Sache zurückzuweisen oder abzunehmen, vgl. Grunewald, Kaufrecht, 2006, § 13 Rn. 3 ff. 301 In der Sanktionsfolge eines Rechtsverlusts zeigt sich, dass der Obliegenheit eine bestimmte Verhaltensanforderung zugrunde liegt. D. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 228 f. hebt hervor, dass die Sanktionsfolge ein notwendiges Merkmal der Obliegenheit sei. Dagegen könne die Pflicht auch sanktionslos bestehen. 302 Grunsky, Stichwort: Obliegenheit. In: Tilch, Arloth (Hg.), Deutsches Rechtslexikon. Band 2, G – P, 2001, S. 3077–3079; zurück geht die Begriffsbildung auf Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953. 303 Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S. 104, 314 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 48; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2001, Einl. vor § 241 Rn. 44. 304 Die Rede von einer Pflicht minderen Grades rechtfertigt sich allein im Hinblick auf das nur sekundär betroffene Interesse des geschützten Dritten. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 194 ff., 224 ff., Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 127. 305 So aber Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, AcP 176 (1976) 334, 347 f. (Die Obliegenheitstheorie anerkennt andersartige Pflichten gegen sich selbst). Eine Pflicht gegen sich selbst verstößt aber gegen den oben genannten Rechtsgrundsatz, wonach niemand Rechtspflichten sich selbst gegenüber übernehmen kann. Zutreffend Mayer-Maly, De se queri debere, officia erga se und Verschulden gegen sich selbst. In: Medicus, Seiler (Hg.), FS für Max Kaser, 1976, S. 229, 261– 264. 306 Das BGB verwendete vor der Schuldrechtsreform auch den Begriff der „Verschuldung“ (§§ 254, 351 S. 1 a.F. BGB) und verstand darunter einen Verstoß gegen eigene Interessen. Nur bei § 324 Abs. 1 BGB a.F. war das Vertretenmüssen bereits als Verschulden im technischen Sinne gemeint. So nun auch § 346 Abs. 3 Nr. 2 BGB, Kern, Zur Dogmatik des § 324 Abs. 1 BGB, AcP 200 (2000) 684, 693.

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Handeln im eigenen Interesse, sondern bleibt Handeln im Fremdinteresse307. Verkürzend kann man sagen, wer sein eigenes Interesse verfolgt, der muss das fremde Interesse dabei berücksichtigen 308. Das Verhalten untersteht mit anderen Worten nur einem hypothetischen, nicht aber einem kategorischen (obligatorischen) Imperativ309. Von einer Obliegenheit geht daher eine konsequentialistische, aus dem eigenen Verhalten resultierende Bindung aus, die den Begünstigten schützt, ohne ihm ein Recht zu geben. Weil die Rechtsposition des Begünstigten von dem Verhalten des Belasteten abhängt, ist sie schwächer als die obligatorische Pflicht. Der Belastete darf zwar nicht über die Einhaltung der Verhaltensanforderung selbst entscheiden, was den Pflichtcharakter aufheben würde, aber er muss die Handlung, auf die sich die Obliegenheit bezieht, nicht vornehmen und behält damit die Entscheidung über die Pflichtentstehung in der Hand. Der Umstand, dass der Belastete die Handlung nicht schuldet, auf die sich die Obliegenheit bezieht, unterscheidet die Obliegenheit von der Nebenpflicht, die auf ein gebundenes Verhalten, die Hauptpflicht oder das Schuldverhältnis Bezug nimmt. Die Schwächung resultiert also aus dem nur hypothetischen (mittelbaren) Müssen des Belasteten, die Obliegenheit einzuhalten. (c) Mitwirkungs- und Kooperationspflichten Mitwirkungs- und Kooperationspflichten innerhalb einer vertraglichen Beziehung sind wegen ihrer konsequentialistischen Pflichtstruktur den Obliegenheiten ähnlich310. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung von Kooperationspflichten gibt es nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jede Vertragspartei gehalten, die Leistungspflicht der anderen Seite zu ermög-

307 Unter Einbezug der Rechtsfolge läge erst recht die Einhaltung einer obligatorischen Pflicht primär im eigenen Interesse des Schuldners. Die Rechtsfolge dient jedoch dem Schutz des fremden Interesses, worauf es in der Strukturanalyse ankommt. Man darf daher den drohenden Rechtsverlust nicht auf die Frage beziehen, ob die Einhaltung der Obliegenheit im eigenen oder im fremden Interesse des Handelnden liegt. 308 Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 48, der zutreffend kategorisch mit obligatorisch gleichgesetzt. Das entspricht der hier vertretenen These, nach der die Unabweisbarkeit der Leistungspflicht (das Kategorische) notwendig aus dem fremden Leistungsbefehl resultiert und nicht allein auf einem intrapersonalen Selbstbefehl beruhen kann. 309 Eine hier nicht weiter verfolgte Frage ist es, ob die Auferlegung einer Obliegenheit in Abhängigkeit zu einem ungebundenen Verhalten eine normative Bindung darstellt. Die Gebundenheit des Obliegenheitsbelasteten ähnelt insoweit derjenigen aus einer aufschiebenden Potestativbedingung. Die Entstehung der Verbindlichkeit ist hier abhängig von einer vorrangig zu treffenden, noch ungebundenen Handlungsentscheidung, vgl. unten C. IV. 4. c) bb) (1), S. 490. 310 Je nach Reichweite der Mitwirkungspflicht werden sie den Obliegenheiten zugerechnet, vgl. Raab, Anm. JZ 2001, 251, 252.

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lichen und zu unterstützen311. Die Kooperationspflicht des Gläubigers ist damit am jeweils eigenen Vertragserfüllungsinteresse des Gläubigers ausgerichtet, weil und soweit die gegnerische Leistung sein Leistungsinteresse bedient. Ob damit eine Pflicht des Gläubigers zur Vertragsdurchführung oder lediglich eine Mitwirkungsobliegenheit zu ihrer Ermöglichung anzuerkennen ist, hängt vom Vertragstyp und der Gestaltung im Einzelfall ab312. Soll die Mitwirkungshandlung weiter gehen, als nur die Erfüllung der Leistungsschuld zu ermöglichen, etwa weil sich ohne ihre Einhaltung das Äquivalenzverhältnis verändert313, so besteht eine Leistungspflicht zu ihrer Vornahme. Es kommt insoweit auf das Interesse des Schuldners an der Mitwirkung des Gläubigers an. Hat der Schuldner ein weiter gehendes vertraglich geschütztes Interesse an der Vornahme der Mitwirkungshandlung, so hat sich die Mitwirkungsobliegenheit des Gläubigers zu einer obligatorischen Handlungspflicht verdichtet. Der Gläubiger schuldet nun die Mitwirkungshandlung, die der Schuldner (insoweit als Mitwirkungsgläubiger) verlangen kann. Der Schuldner kann die Mitwirkungshandlung als Nebenpflicht einklagen und gegebenenfalls Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen 314. Bleibt die Mitwirkungshandlung dagegen im Rahmen der Vertragsdurchführung und Abwicklung, so ist der Schuldner nur aus der Mitwirkungsobliegenheit begünstigt. Der Gläubiger verliert eigene Rechte315, er kann aber weder zur Mitwirkung gezwungen werden noch macht er sich durch ihre Verletzung schadensersatzpflichtig. 311 BGH v. 28.10.1999 NJW 2000, 807 f. (Kooperationspflicht bei Meinungsverschiedenheiten über Nachforderungen des Unternehmers bei verspätetem Beginn der Bauausführung); BGH v. 21.10.1999 JZ 2001, 249, 251 (Mitwirkungshandlung des Auftraggebers beim Werkvertrag); BGH v. 27.11.2003 NJW-RR 2004, 445 (Verpflichtung des Auftraggebers, die Beurteilung der Prüffähigkeit einer Architektenschlussrechnung nicht hinauszuschieben); BGH v. 10.5.2007 NJW-RR 2007, 1317 (Verpflichtung des Werkbestellers, vor der Kündigung eine Einigung über die Anforderungen der Dämmung nach der HeizungsanlagenVO herbeizuführen). 312 Zur Abgrenzung von Mitwirkungsobliegenheit und (fehlenden) Vertragsdurchführungspflicht beim Werkvertrag, Bitter/Rauhut, Vertragsdurchführungspflicht des Werkbestellers? – § 649 BGB zwischen wirtschaftlicher Vernunft und Treuwidrigkeit, JZ 2007, S. 964, 965 ff. 313 Der Anspruch des Auftraggebers, vor Vereinbarung eines geänderten Preises im Sinne von § 2 Nr. 5 VOB/B, vom Auftragnehmer nachvollziehbare Auskunft über behauptete Mehrkosten zu erhalten, wird als einklagbare Kooperationspflicht angesehen, vgl. Preussner, Die Pflicht zur Kooperation – und ihre Grenzen, in: FS für Reinhold Thode, 2005, S. 77, 80. 314 Nicklisch, Mitwirkungspflichten des Bestellers beim Werksvertrag, insbesondere beim Bau- und Industrieanlagenvertrag, BB 1979, 533, 540 (Abgrenzung nach Fallgruppen). Die sog. echten Mitwirkungspflichten des Bestellers sind klagbare Nebenleistungspflichten (ebd. S. 541). Zu den Pflichten zur Kommunikation der Baubeteiligten Preussner, vorherige Fn. S. 77 passim. 315 Der BGH spricht durchweg von „Kooperationspflichten“, BGH v. 10.5.2007 NJWRR 2007, 1317, 1318 (kein Recht zur fristlosen Kündigung des Werkbestellers nach § 8 Nr. 3 VOB/B, wenn dieser sich zunächst um eine einvernehmliche Beilegung eines bestehenden

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(d) Absichtsbindungen (aa) Unverbindliche Absichtserklärung Konsequentialistische Selbstbindungsformen haben sich in der Praxis als „Absichtsbindungen“ etabliert. Zu nennen ist zunächst die Absichtserklärung, mit der der Erklärende seine Handlungsziele oder Pläne mitteilt. Die Auslegung muss ergeben, ob der Erklärende die Freiheit behalten will, die erklärte Absicht noch zu ändern oder aufzugeben. Der Handlungsvollzug aus einer Absichtserklärung ist allein dem selbst gesetzten Handlungsziel des Erklärenden verpflichtet316. Einen gewissen Institutionalisierungsgrad hat die Absichtserklärung unter dem Begriff des Letter of Intent (LoI) erlangt317. Daneben sind andere den Verhandlungsprozess strukturierende Erklärungen gebräuchlich. Die Bezeichnungen werden uneinheitlich verwendet, sie geben aber auch nur einen ersten Anhaltspunkt für die Interpretation 318. So sind etwa bekundete Vertragsvorstellungen (memorandum of understanding), Absichtserklärungen (letter of intent) oder Verhandlungsvereinbarungen (instruction to proceed) auf den Vertragsschluss als Verhandlungserfolg gerichtet319. Ziel sind die Eingrenzung des Verhaltensspielraums und die Kanalisierung des Verhandlungsprozesses320. Eine Leistungsverbindlichkeit (§ 241 Abs. 1 BGB) wird grundsätzlich Konflikts – hier über die Anforderungen der Dämmung nach der HeizungsanlagenVO – bemühen musste). 316 In kantischer Diktion kann man von einem technischen Imperativ sprechen. Wenn A sein Ziel X erreichen will, dann muss er Y tun. A ist also konsequentialistisch gesehen verpflichtet, Y zu tun. Da A sein Handlungsziel jederzeit ändern oder aufgeben kann, liegt hier aber nur eine schwache Verpflichtung vor. Siehe dazu bereits oben C. III. 1. b) bb) (2), S. 319 u. Fn. 171. 317 Die englische Bezeichnung hat sich für die ein- oder gegenseitig erfolgte Fixierung konkreter rechtserheblicher Handlungsabsichten im Rechtsverkehr durchgesetzt, ohne deshalb einen weitergehenden rechtlichen Gehalt als das deutsche Wort auszudrücken. Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl. 1998, S. 27; Lindner-Figura, Der Letter of Intent im gewerblichen Mietrecht, NZM 2000, 1193. 318 Erklärungstatbestände ohne festliegenden Begriffskern, deren Inhalt durch Auslegung zu ermitteln ist. Etwa die als „Quick Note“ bezeichnete vorläufige Vereinbarung für einen Filmvertriebsvertrag, OLG München v. 25.1.2001 RIW 2001, 864. 319 Die Abgrenzungen zwischen den so bezeichneten Erklärungsformen sind fließend. Der Letter of Intent wird verbreitet auch nur als rechtlich nicht verbindliche „Fixierung einer Verhandlungsposition“ beschrieben, vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, Einf v § 145 Rn 18. In einer bloßen Fixierung kommt jedoch immer auch die Absicht zum Ausdruck, den Vertrag schließen zu wollen. Lediglich eine Rechtsbindung soll ausgeschlossen sein. 320 Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl. 1998, S. 78. Die Funktionen derartiger Erklärungen sind umfangreich. Für den LoI: Verhandlungsatmosphäre, Vertragsmanagement, vorgezogene Risikoverteilungen, vorgezogene Teilleistungen, interne Zwecke, u.a. vgl. Heussen, Anwalts-Checkbuch Letter of Intent, 2002, S. 8. Zu erwähnen ist daneben auch der „Side Letter“, in dem Nebenabreden getrennt zu einem Hauptvertrag getroffen werden, Duhnkrack/Hellmann, Der Side Letter. Zur rechtlichen Bedeutung von Nebenabreden, ZIP 2003, S. 1425, 1426.

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weder im Hinblick auf den Verhandlungsverlauf noch auf den Vertragsschluss vereinbart. Dies kann ausdrücklich durch eine sog. „no binding clause“ oder durch konkludente Unverbindlichkeitserklärungen zum Ausdruck gebracht sein 321. Auch aus der fehlenden Bestimmtheit, aus sprachlichen Relativierungen, aus einer nur unvollständigen Einigung oder aus der Nichteinhaltung vereinbarter Formerfordernisse usf. kann die fehlende Leistungsbindung abgeleitet werden 322. Insoweit bleibt auch der Umstand, ob die Erklärung einseitig abgegeben oder als Vereinbarung konsentiert worden ist, ohne Bedeutung323. Zu den institutionaliserten Absichtserklärungen gehört ferner die sog. weiche Patronatserklärung. Sie wird verbreitet als unverbindliches Ausstattungsversprechen angesprochen, ohne die contradictio in adjecto zwischen einem Versprechen und dessen fehlender Bindung aufzulösen. Die Patronatserklärung stellt ein Kreditsicherungsmittel dar. Gemeint sind die nicht interzessionsfähigen Erklärungstatbestände wie Kenntnisnahme-, Einverständnis-, Beteiligungs-, Managements-, Aushöhlungsverzichts- und moralische Gleichstellungsklauseln, die der Patron (etwa die Konzernmutter) gegenüber den Gläubigern der Schuldnerin (etwa der Konzerntochter) abgibt 324. Die inhaltliche und rechtliche Vielgestaltigkeit erlaubt es dem Sicherungsgeber, mit der daraus resultierenden Unsicherheit zu kalkulieren und zu hoffen, dass die inhaltliche Vagheit der abgegebenen Patronatserklärung zwar den gewünschten Animier- und Sicherungseffekt erzielt, nicht aber eine rechtsgeschäftliche Haftung im Sicherungsfall bedeutet. Dieser Aspekt hatte vor allem den ursprünglichen Erfolg der Patronatserklärung begründet, bis die Rechtspraxis den wirtschaftlichen und rechtlichen Gehalt des neuen Kreditsicherunginstruments erfassen konnte325. Die frühere Funktion wird weiterhin durch die weiche Patronatserklärung erfüllt. 321 Staudinger/Bork, BGB, 2003, § 145 Rn. 14; zu den Formulierungen für eine rechtliche Unverbindlichkeit, Heussen, Anwalts-Checkbuch Letter of Intent, 2002, S. 15 ff.; Lust, Die Vorstufen des verhandelten Vertrages, S. 22 ff. 322 Zu den Indizien für eine Bindungswirkung einer Vorfeldvereinbarung nach US-amerikanischem Recht: Bischoff, Vorfeldvereinbarungen im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr, RIW 2002, 609, 615. 323 Das gilt nicht, soweit andere bindende Vereinbarungsinhalte bereits gewollt und vereinbart sind und sich auf den Hauptvertrag beziehen (Punktation als verbindliche Teileinigung entgegen der Vermutung des § 154 Abs. 1 S. 2) oder den Verhandlungsprozess regeln. So etwa bei einer Vereinbarung über die Kosten der Vertragsanbahnung oder Vorarbeiten, OLG Nürnberg v. 18.2.1993 NJW-RR 1993, 760 ff. (Softwareentwicklung). 324 Im Übergang zu den harten Patronatserklärungen stehen die interzessionsverdächtigen Tatbestände wie etwa der Verweis auf eine Geschäftspolitik oder auf die Finanzverantwortung. Ebenso die Erklärung, der Patron stehe jederzeit hinter einer anderen Gesellschaft oder der Patron mache sich für einen bestimmten Erfolg stark. Schließlich die interzessionsfähigen klaren Ausstattungszusagen, die als unechte Verträge zugunsten Dritter (str.) einzustufen sind. Der Patron übernimmt gegenüber dem Kreditgeber die Verpflichtung zur Ausstattung des Kreditnehmers mit Ersetzungsbefugnis. Wolf, Die Patronatserklärung, 2005, S. 407 f. 325 Wolf, Die Patronatserklärung, 2005, S. 68.

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Daneben ist im Zusammenhang mit der Börsenzulassung von Aktiengesellschaften der sog. Comfort Letter 326, dt. Bestätigungsschreiben, getreten. Statt einer Absicht bestätigt der Erklärende einen bestimmten Sach- oder Wissensstand327. So handelt es sich bei der Erklärung des Abschlussprüfers der Emittentin gegenüber der Emissionsbank um einen Comfort Letter. Der Prüfer trifft Feststellungen bezüglich seiner Prüfungshandlungen und bestimmter Rechnungslegungsdaten328. Grundlage ist die Due Diligence Prüfung hinsichtlich der Finanzdaten der Emittentin. Eine Einstandspflicht übernehmen weder der Abschlussprüfer noch die Emittentin. Der Comfort Letter gibt tatsächliche Angaben bloß wieder und dient der Emissionsbank zum Nachweis der Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten im Rahmen ihrer Prospekthaftungspflicht329. (bb) Verbindliche Absichtserklärung mit Lösungsrecht Einen Grenzfall zwischen unverbindlicher Absichtserklärung und bindender Auslobung bildet die Entscheidung BGHZ 88, 373330. Sie betrifft einen Architektenwettbewerb und die Rechtsnatur einer Weiterbeauftragungszusage. In der zugrunde liegenden Ausschreibung und den GRW 1977331 war bestimmt, dass der Auslober „beabsichtige“, den Preisträger mit weiteren Leistungen zu beauftragen. Streitig war, ob damit eine obligatorisch bindende Auslobung in

326 Ebke/Siegel, Comfort Letters, Börsengänge und Haftung: Überlegungen aus Sicht des deutschen und US-amerikanischen Rechts. WM 2001, Sonderbeilage Nr. 2, S. 3 ff. Der Comfort Letter gehört auch zum Formenkreis des Letter of Intent, Heussen, Anwalts-Checkbuch Letter of Intent, 2002, S. 8. 327 In angloamerikanischer Diktion wird auch die Patronatserklärung als Comfort Letter bezeichnet, vgl. H.Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 100. 328 Köhler/Weiser, Die Bedeutung von Comfort Letters im Zusammenhang mit Emissionen, DB 2003, 565. 329 Das Ergebnis dieser Prüfungstätigkeiten findet einerseits direkt Eingang in den Börsenzulassungsprospekt, andererseits erhalten die Konsortialbanken so genannte Legal Opinions und Disclosure Letters der Rechtsberater sowie die Comfort Letters der Wirtschaftsprüfer, die im Falle eines Prospekthaftungsprozesses (insb. im angelsächsischen Raum) als formalisierte Due Diligence-Verteidigung dienen sollen, das heißt als Nachweis, dass die Konsortialbanken bei der Prospekterstellung die verkehrsübliche Sorgfalt angewendet haben. Hutter/Leppert, Reformbedarf im deutschen Kapitalmarkt- und Börsenrecht, NJW 2002, 2208, 2212. 330 BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373. 331 Das sind die „Grundsätze und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens“. Der BGH hat sich bislang nur zu der 3. Fassung der GRW aus 1977 geäußert. Die aktuelle GRW 1995 in der Fassung der Änderung von Januar 2004 ist leicht verändert, vgl. näher Schweer, Architektenwettbewerb und Weiterbeauftragungszusage, in: FS für Peter Raue, Hg. von Rainer Jacobs u.a., 2006, S. 319, 320 f.

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der Form eines einseitig bindenden Preisversprechens332 gemäß § 661 BGB333) oder nur eine unverbindliche Absichtserklärung und damit eine konsequentialistische Pflichtstellung des Erklärenden vorlag. Der BGH bejaht eine obligatorische Bindung. Selbst bei einer rechtsgeschäftlich bindenden Verpflichtungserklärung könne aber334 „nicht unberücksichtigt bleiben, dass die verwendete Formulierung ‚beabsichtigt’ eine gewisse Abschwächung und Einschränkung der eingegangenen Verbindlichkeit und rechtlichen Bindung zum Ausdruck bringt. Dem ist unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen in der Weise Rechnung zu tragen, dass die Zusage nur für den Regelfall gilt und die Beklagte aus triftigem (wichtigem) Grund davon absehen darf.“

Die Lockerung der Bindung durch das Absehendürfen von einer Zusage aus triftigem Grund hat der BGH in einer jüngeren Entscheidung335 dahin präzisiert, dass „besondere Umstände“ für eine Abstandnahme genügten. Aufgrund der Formulierung „Absicht“ sei eine Abschwächung und Einschränkung der eingegangenen rechtlichen Bindung anzunehmen. Der triftige Grund zur Befreiung von der Weiterbeauftragungszusage müsse weniger schwerwiegend sein als der wichtige Grund zur Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses, weil336 „demjenigen, der sich durch Vertrag uneingeschränkt rechtlich gebunden hat, wird es in der Regel eher zuzumuten sein, daran auch unter besonderen Umständen festzuhalten, als demjenigen, der, wenn auch mit rechtlichem Bindungswillen, erklärt, einen Vertragsschluss lediglich zu beabsichtigen.“

Der BGH hat damit in den Augen seiner Kritiker eine nicht ganz verbindliche Rechtsverbindlichkeit konstruiert 337. Die Frage nach der Verbindlichkeit wird verlagert hin zu den Gründen, von der Absicht wieder Abstand zu nehmen. Damit gehen konsequentielle und obligatorische Bindung ineinander über, denn auch von einer bloßen (nicht bindenden) Absichtserklärung darf sich der Geschäftspartner nicht frei lösen 338. Immer sind es nur die Anzahl und die in332 Die Theorie des einseitig bindenden Auslobungsversprechens als klagbare Leistungspflicht hat sich mit dem BGB durchgesetzt, vgl. Friedrich Sturm, Preisausschreiben – Preisrichter, Eine Untersuchung zu § 661 BGB, 1913, S. 20 u. 27; Grundlage sind die Vorschläge des Redaktors v. Kübel, der neben der Bindung an den Vertragsantrag auch hier seine Vorstellung vom Versprechen als Bindungstatbestand durchsetzen konnte, vgl. mit Nw. HKK/ Kleinschmidt, BGB, Band III, im Erscheinen, §§ 657–661a Rn. 21 f. Siehe ferner oben C. III. 1. b) aa) (2), S. 302 und Fn. 298. 333 Dabei ist sehen, dass § 661 BGB unmittelbar nur das Recht auf den Preis regelt, nicht aber ohne weiteres den Auftrag zur Erbringung von Architektenleistungen, wenn dieser nicht ausdrücklich zum ausgelobten Preis dazugehört. 334 BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373, 385. 335 BGH v. 27.5.2004 MDR 2004, 1048. 336 BGH v. 27.5.2004 MDR 2004, 1048. 337 Schweer, Architektenwettbewerb und Weiterbeauftragungszusage, in: Jacobs u.a. (Hg.), FS für Peter Raue, 2006, S. 319, 329. 338 Zur Schadensersatzpflicht bei Abbruch der Vertragsverhandlungen siehe nachfolgend im Text unter C. III. 1. c) bb) (1) (ff), S. 357.

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haltliche Weite zulässiger Gründe, die den Grad der Gebundenheit beschreiben. Die Konzepte konvergieren. Der BGH bejaht eine obligatorische Bindung, aber schwächt sie durch Möglichkeiten der Abstandnahme praktisch zu einer bloß konsequentialistischen Bindung ab. Das zeigt zugleich die Differenz beider Pflichtkonzepte339, die es auseinander zu halten gilt. (cc) Das Rückrufrecht des Urhebers bei gewandelter Überzeugung, § 42 Abs. 1 UrhG In den Übergangsbereich einer obligatorischen zu einer konsequentialistischen Verhaltensbindung gehören auch die Fälle stark verminderter oder aufgehobener Vertragsbindung. So etwa der Lizenzvertrag im Hinblick auf das Rückrufrecht des Urhebers für vertraglich eingeräumte Nutzungsrechte (§ 42 Abs. 1 UrhG). Entspricht das Werk nicht mehr der Überzeugung des Urhebers und ist ihm deshalb die Verwertung des Werkes nach seinem Selbstverständnis nicht mehr zumutbar, so besitzt er ein an keine weiteren sachlichen Voraussetzungen gebundenes gesetzliches Kündigungsrecht340. Das Erfordernis gewandelter Anschauung bezieht sich nicht auf die vertragliche Lizenzerteilung für sich gesehen, sondern auf die ideelle und identifikatorische Beziehung des Urhebers zu seinem Werk und dessen Veröffentlichung341. Praktisch ist diese Lockerung der Vertragsbindung durch die Entschädigungspflicht des Urhebers aus § 43 Abs. 3 S. 1 UrhG stark eingeschränkt342. Die Lösung aus der Fremdbindung hat ihren Preis. (dd) Das freie Widerrufsrecht des Verbrauchers, § 355 BGB Auch ein freies Widerrufsrecht des Schuldners stellt die im Vertragsversprechen liegende Übernahme des fremden Leistungsinteresses in Frage343. Insbesondere im Verbraucherschutzrecht hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass der Verbraucher ungeachtet des ihm zustehenden Widerrufsrechts obligatorisch gebunden ist. Der Widerruf entspricht damit einem Rücktrittsrecht, das einen 339 Eine hier vernachlässigte Differenz liegt ferner darin, dass die konsequentialistische Bindung grundsätzlich keine Leistungsforderung, sondern lediglich Schadensersatzrechte begründet. Darin zeigt sich die schwächere Ausgestaltung der bloßen Absichtsbindung. Vgl. zur Vertrauenshaftung nachfolgend im Text. 340 Schricker/Dietz, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 42 Rn. 1, aber zu den Anforderungen an ein gewandeltes Selbstverständnis ebd. Rn. 23 ff., vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 58. 341 Schricker/Dietz, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 42 Rn. 5. 342 Dreier/Gernot Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 42 Rn. 2 (nur für den wohlhabenden Urheber möglich); Schricker/Dietz, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34 ff. 343 Zu den schwebend wirksamen Rechtsgeschäften in Abgrenzung zur Naturalobligation siehe unten C. IV. 4. c) bb) (2), S. 491.

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wirksamen und bindenden Verbrauchervertrag auflöst. Im Anschluss an die Gesetzesbegründung zu § 355 BGB wird dieser Zustand auch als schwebende Wirksamkeit beschrieben344. Das Widerrufsrecht vermittelt dem Verbraucher nach teilweise vertretener Auffassung zudem ein Leistungsverweigerungsrecht bis zum Ablauf der Widerrufsfrist (§ 320 BGB analog). Der Verbraucher soll die gesetzliche Überlegungsfrist ohne Vermögensopfer vollständig nutzen können 345. Der Unternehmer besitzt danach also nur eine gehemmte Zahlungsforderung gegen den Verbraucher. Diese ist überdies bis zum Ablauf der Frist auflösend bedingt. Da der Widerruf selbst an keine sachliche Voraussetzung geknüpft ist, erscheint die Annahme einer Leistungsbindung des Verbrauchers, seine Zahlungspflicht, hier also nur noch konstruktiv aufrecht erhalten zu sein. Während der Widerrufsfrist liegt eine Bindung des Verbrauchers tatsächlich nicht vor. Der Verbraucher steht unter keiner Leistungspflicht. Überzeugender ist daher die Annahme, dass es sich bei der Verbrauchererklärung um eine nicht bindende, aber dennoch wirksame Vertragserklärung handelt. Der Zustand entspricht der gehemmten Forderung, wie sie auch durch die Erhebung der Verjährungseinrede entsteht. Der Gläubiger besitzt kein Einforderungsrecht, der Schuldner kann aber dennoch erfüllen 346. Eine solche Gestaltung ist im Rahmen eines im Übrigen bindenden und insgesamt wirksamen Vertrages ausnahmsweise zulässig347. 344 Grundlegung zur Dogmatik des Verbraucherwiderrufs und zum Konzeptwechsel zwischen schwebender Unwirksamkeit zu schwebender Wirksamkeit Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 32 ff., 36 ff.; ferner Mankowski, Schwebende Wirksamkeit unter § 361 a BGB, WM 2001, 802 ff. und 833 ff.; AnwK-BGB/Ring, 2005, § 355 Rn. 19 (bindend); a.A. Gernhuber, Verbraucherschutz durch Rechte zum Widerruf von Willenserklärungen, WM 1998, 1797, 1804 (keine Bindung); zum Meinungsstand Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluss, 2005, S. 37 ff. 345 So Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl. 2008, § 355 Rn. 4; AnwK-BGB/Ring, 2005, § 355 Rn. 21 (gegenteilig aber in Rn. 18); a.A. MünchKomm/Ulmer, 4. Aufl. 2003, § 355 Rn. 32; Erman/Saenger, BGB, 11. Aufl. 2004, § 355 Rn. 4; Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 355 Rn. 7 mit Begründung unter Hinweis auf § 768 Abs. 1 BGB: „Wer den Vertrag selbst auflösen kann, der benötigt kein Leistungsverweigerungsrecht.“ Wenn es aber um einen uneingeschränkten Überlegungszeitraum für den Verbraucher geht, dann kann ein solches Verweigerungsrecht doch für nötig gehalten werden. 346 Die Rechtslage ähnelt damit auch jener nach § 486 S. 1 BGB für den Widerruf von Teilzeit-Wohnrechteverträgen. Der Unternehmer darf Zahlungen hier aber schon nicht fordern. Ihm fehlt bereits die Einforderungsbefugnis. Auf die Leistungsverweigerung aus einem Gegenrecht des Verbrauchers kommt es also nicht an. Der Unternehmer darf ferner aber auch keine Zahlungen des Verbrauchers annehmen. Damit ist die Erfüllbarkeit im Sinne von § 272 Abs. 2 Hs. 2 BGB kraft Gesetzes suspendiert. Das führt zu einer Aussetzung der Forderungswirkungen insgesamt und damit zu einem bislang nicht eigenständig erfassten Forderungstyp, siehe zu der „ausgesetzten Forderung“ näher unten C. IV. 4. c) aa) (2), S. 477; zum Problem der Sanktionierung von Gleichwohlleistungen des Verbrauchers in diesen Fällen, Erman/Saenger, BGB, 11. Aufl. 2004, § 486 Rn. 4. 347 So bereits Gernhuber, Verbraucherschutz durch Rechte zum Widerruf von Willenserklärungen. Eine rechtsdogmatische Studie. WM 1998, 1797, 1804.

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(ee) Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG (Corporate Governance Kodex) Nach § 161 AktG sind von Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft für jedes Geschäftsjahr sog. Entsprechenserklärungen abzugeben. Zu erklären ist, ob die Leitungsgremien der Unternehmen die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex beachten. Der Kodex beinhaltet Verhaltensregeln für diese Leitungsorgane. Bei ihm handelt es sich um einen Akt staatlich initiierter privater Rechtsetzung 348. Die Abgabe der Entsprechenserklärung ist gesetzliche Pflicht. Sie ist eine eigene Erklärung des Organs und nicht der Gesellschaft. Die Erklärung muss aussagen, ob die Empfehlungen eingehalten werden. Konkret bezeichnet werden muss, welche Empfehlung nicht beachtet wird, ob generell abgewichen wird oder ob sich eine Abweichung auf einen oder mehrere Einzelfälle beschränkt. Zulässig ist es auch, pauschal allen Kodex-Empfehlungen die Gefolgschaft zu versagen und dies nach außen zu erklären. Vorstand und Aufsichtsrat sind also nicht verpflichtet, den Kodex überhaupt zu befolgen. Soweit aber eine Entsprechung erklärt wird, muss sie der Wahrheit entsprechen 349. Die gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung erzeugt eine konsequentialistische Pflichtbindung. Soweit Vorstand und Aufsichtsrat die Befolgung der Kodex-Empfehlungen erklären (comply), treffen sie eine zukunftsgerichtete Aussage. Diese geht dahin, dass die Unternehmensleitung sich bis zum Widerruf ihrer Entsprechenserklärung an die Regeln halten werde. Die Erklärung bezieht sich auf das gegenwärtige und fortdauernde Verhalten der Leitungsgremien entsprechend der gesetzlichen Vorgaben. Die Bindung resultiert daher aus der Erwartung, dass die getroffene Aussage der Wahrheit entspricht. Die Unternehmensleitung muss sich im Falle einer Abweichung vom Kodex an der Entsprechenserklärung festhalten lassen, wenn sie einen vorherigen Widerruf verabsäumt hat. Sie kann den Widerruf nicht auch rückwirkend zur Geltung bringen. Die Leitungsorgane sind damit zwar nicht prospektiv in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt, wohl aber müssen sie retrospektiv den unterlassenen Widerruf gegen sich gelten lassen. Die mit der Entsprechenserklärung geäußerte Selbsterwartung und die daraus entstehenden Fremderwartungen müssen also in der 348 Der Streit über den Rechtsnormcharakter dieser Regeln und die Frage, ob die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG den Regeln des Kodex indirekt das Merkmal der Staatlichkeit verleiht, können hier offen bleiben. Vgl. dazu mit Nachweisen Köndgen, Privatisierung des Rechts, Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 206 (2006) 477, 495. 349 Hommelhoff/Schwab, Regelungsquellen und Regelungsebenen der Corporate Governance: Gesetz, Satzung, Codices, unternehmensinterne Grundsätze. In: Hommelhoff, Hopt, v. Werder (Hg.): Handbuch Corporate Governance. Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen in der Rechts- und Wirtschaftspraxis, 2003, S. 51, 54. Die Abweichung von einer im Kodex ausgesprochenen Anregung, im Unterschied zur Empfehlung, braucht nicht offengelegt zu werden, ebd.

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Reflexion eigener Zweckverfolgung von der Unternehmensleitung berücksichtigt und verantwortet werden. Die Entsprechenserklärung löst damit eine Bindung des Erklärenden aus. Darin liegt gerade ihr Sinn. Die jederzeitige Widerruflichkeit zwingt auch nicht zu der Annahme, es handele sich um eine Wissenserklärung und damit um eine bloße Tatsachenerklärung350. Gegenstand der Erklärung ist die Einhaltung von Verhaltensnormen des Erklärenden. Diese Proposition löst eine konsequentualistische Bindung aus. Die Deutung als Wissenserklärung kann nicht erklären, weshalb die Entsprechenserklärung bis zu ihrem Widerruf rechtliche Wirkungen entfaltet351. Das freibleibende Angebot nach § 145 Hs. 2 BGB ist ebenfalls keine bloße Tatsachenerklärung, denn auch aus ihm können trotz der freien Widerruflichkeit rechtliche Bindungen entstehen352. Ferner gehört die widerrufbare Verbrauchervertragserklärung zu den Willenserklärungen und auch der vereinbarte freie Rücktrittsvorbehalt macht eine Vertragserklärung nicht zu einer Tatsachenerklärung (§ 346 Abs. 1 BGB)353. Die Qualifikation als Tatsachenerklärung erfasst nicht den Umstand, dass der Kapitalmarktverkehr berechtigterweise unterstellt, dass sich die Unternehmensleitung entsprechend ihrer nicht widerrufenen Erklärung verhält. Die Enttäuschung dieser Erwartung löst Sanktionen, namentlich Schadensersatzpflichten der Unternehmen aus. Da der Erklärungsschuldner frei darüber entscheiden kann, ob, inwieweit und wie lange er die Kodizes einhalten will, besteht eine nur schwächere normative Wirkung. Vergleichbar mit dem Rechtsverlust bei Verletzung einer Obliegenheit ist die Einstandspflicht bei unterbliebenem Widerruf der Entsprechenserklärung von dem Entscheidungsverhalten des Pflichtigen abhängig354. Schließlich wird die Entscheidung über die Regelbefolgung ihrerseits zu einem bewertbaren Handlungsakt, der in den Augen der Kapitalmarktteilnehmer verdienstlich oder schädlich sein kann. Eine andere und hier nicht verfolgbare Frage ist, ob 350 Hommelhoff/Schwab, (vorherige Fn.), S. 62 sehen auch in der zukunftsbezogene Entsprechenserklärung nur eine Wissenserklärung; ähnlich Borges, Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht. Zur Bindung an Corporate Governance Kodizes. ZGR 2003, 508, 536, der allgemein von Unverbindlichkeit spricht. 351 Die Annahme der permanenten Iteration einer Tatsachenerklärung ohne normative Wirkung, Hommelhoff/Schwab, (vorherige Fn.), S. 62, erscheint dagegen kurios. Die normativen Wirkungen der Entsprechenserklärung müssen nur mitgedacht werden. Darin liegt die große Errungenschaft des neuzeitlichen Rechtswirkungsdenkens, vgl. Wacke, Das Rechtswirkungsdenken. Ursprünge, Leistungsfähigkeit und Grenzen. In: Christian Hattenhauer (Hg.), FS Heinz Holzhauer, 2005, S. 367, 373. 352 Lindacher, Die Bedeutung der Klausel „Angebot freibleibend“, DB 1992, 1813, 1815 (insbesondere wenn sie nicht oder nicht ordnungsgemäß widerrufen wurden). 353 Selbst die Erklärung unter einer bloßen Wollensbedingung wird unter Hinweis auf den Kauf auf Probe (§ 454 BGB) weithin anerkannt; vgl. Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 158–163 Rn. 14 ff.; AnwK-BGB/Wackerbarth, 2005, § 158 Rn. 6–8. Im Übrigen dürfte in jeder Willenserklärung immer auch eine Tatsachenerklärung mitenthalten sein. 354 Siehe oben C. III. 1. c) bb) (1) (b), S. 345.

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der damit induzierte selbstregulierende Mechanismus funktioniert und die erwarteten positiven oder negativen Reaktionen des Kapitalmarkts eintreten 355. (ff) Abbruch von Vertragsverhandlungen Zu den schwächeren konsequentualistischen Verhaltensbindungen gehören ferner die Fälle der grundlos abgebrochenen Vertragsverhandlungen. Verhandlungsteilnehmern kann bei unterstellter Ernstlichkeit und Wahrhaftigkeit auch unterstellt werden, die Verhandlungen zu einem Vertragsabschluss führen zu wollen. Ein Verhandeln ohne Abschlussbereitschaft ist unredlich. Für eine Schadensersatzhaftung knüpft die Rechtsprechung zusätzlich an Erklärungen an, die im Verlaufe von Vertragsverhandlungen, die konkrete Abschlussbereitschaft im Hinblick auf einen bestimmten Vertrag ausdrücken oder bekräftigen. Bei grundlosem Verhandlungsabbruch tritt eine Schadensersatzhaftung ein. Die Erklärungen über die Abschlussbereitschaft werden dabei aber nicht als rechtsgeschäftliche Handlungen erfasst. Dies auch dann nicht, wenn sie etwa als „Letter of Intent“ formalisiert sind. Der Beurteilung werden sie stets nur unspezifisch als „Vertrauen begründende Umstände“ zugrunde gelegt. Ansatzpunkt für die Haftung ist der Vertrauensschutz des Erklärungsadressaten. Lediglich für die Zurechnung kommt die geschäftsähnliche Handlung356 als Ersatzkategorie zum Zuge357. Dem schadensersatzbewehrten berechtigten Vertrauen auf den Vertragsabschluss entspricht ein nicht durchsetzbares Recht auf ein Verhandeln unter Abschlussbereitschaft. Der Vertrauensschutz erzeugt Verhaltenspflichten, die auf einen konkreten Verhandlungserfolg (Vertragsabschluss) gerichtet sind. Pflichtwidrig ist es, die Lage so darzustellen, als werde ein Vertrag mit Sicherheit zustande kommen, wenn diese Sicherheit nicht be355 Nowak/Rott/Mahr, Wer den Kodex nicht einhält, den bestraft der Kapitalmarkt. Eine empirische Analyse der Selbstregulierung und Kapitalmarktrelevanz des Deutschen Corporate Governance Kodex, ZGR 2005, 252, 278 f. kommen zu dem Ergebnis, dass die Befolgung bzw. Nichtbefolgung des Kodex keine signifikanten Reaktionen provoziere und also der erwartete Effekt bislang nicht feststellbar sei; dagegen v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2006: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2006, 849, die zumindest eine hohe Befolgungsquote der Kodexempfehlungen (81,9 %) feststellen. 356 Zu deren Dogmatik und wachsenden Bedeutung vgl. Ulrici, Die geschäftsähnliche Handlung, NJW 2003, 2053 ff. 357 Die vertrauensbegründenden Handlungen werden als geschäftsähnliche Handlungen den rechtsgeschäftlichen Erklärungen angenähert. BGH v. 10.7.1970 NJW 1970, 1840, 1841 (analoge Anwendung der §§ 145 ff. BGB im Hinblick auf die Frist zur Annahme), zustimmend Lutter, Der Letter of Intent, S. 77 ff., der alternativ als Rechtsgrundlage auch das Verbot des venire contra factum proprium (§ 242 BGB) nennt: Der Absender habe durch seinen LoI und die dort festgelegten Elemente selbst ein Faktum geschaffen und durch eigenes Tun ihn bindende Verhaltenspflichten begründet, von denen er ohne Vertrauensbruch nicht einfach abweichen kann.

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C. Systematischer Teil

steht. Niemand darf einen in Wirklichkeit so nicht existenten Grad seiner Entschlossenheit zum Vertragsschluss zum Ausdruck bringen 358. Unter der dadurch erfüllten Voraussetzung eines besonders schwerwiegenden Treueverstoß wird eine gesetzliche Haftung aus cic bejaht 359. Die Absichtsbindung nähert sich in diesen Fällen der obligatorischen Bindung aus einem Vorvertrag an. Im Unterschied zu diesem soll aber keine (obligatorische) Leistungspflicht entstehen. Dem Handelnden bleiben jedoch keine anderen rechtmäßigen Alternativen als jene, den Vertrag zu schließen. (gg) Verbot widersprüchlichen Verhaltens Die Fallgruppe des § 242 BGB unter dem Oberbegriff ‚venire contra factum proprium’ steht für rechtliche Bindungen aus einem rechtsgeschäftlich nicht spezifizierten Vorverhalten. Zu diesem Vorverhalten treten bestimmte spätere Verhaltensweisen in Widerspruch. Das Vorverhalten bindet, weil es Erwartungen an ein gegenwärtiges Verhalten auslöst, das plausiblen Gründen des Pflichtigen folgt. Der Handelnde muss die Fremd- und Eigenerwartungen an sein vorangegangenes Verhalten berücksichtigen. Er übernimmt nicht ein fremdes Leistungsinteresse. Diese schwachen Bindungsformen werden nicht rechtsgeschäftlich ausgearbeitet, sondern mit dem Konzept der Vertrauenshaftung erfasst360. Handlungsbezogen geht es um die dogmatisch nur schwer fassbaren vertrauensbegründenden „facta propria“ (meist geschäftsähnliche Handlungen), die den späteren Handlungsspielraum, das „venire“, verengt haben. Der positivrechtliche Schutz von Angebots-, Absichts- und Vertrauensbindung ist entsprechend schwächer ausgestaltet als jener für die obligatorische Vertragsbindung. Geschützt wird im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB nur das negative Interesse.

358 BGH v. 22.2.1989 NJW-RR 1989, 627 f. (unabhängig von einem Verschulden); BGH v. 29.3.1996 NJW 1996, 1884, 1885; zustimmend Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl. 1998, S. 70; Erman/Armbrüster, BGB, 11. Aufl. 2004, § 145 Rn 20. 359 BGH v. 7.12.2000 NJW-RR 2001 381; vgl. Singer, Vertrauenshaftung beim Abbruch von Vertragsverhandlungen. In: Schüler von Canaris (Hg.) Beiträge für Claus-Wilhelm Canaris, 2002, S. 135, 147. 360 Bspw. anerkennt BGH v. 22.2.1989 WM 1989, 685 eine Vertrauenshaftung bei schuldlosem Abbruch von Vertragsverhandlungen; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In: Canaris, Heldrich (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band I, 2000, S. 129, 171; dagegen erklärt Köndgen diese Fälle im Modell eines rechtssoziologischen Konsequentialismus, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 1 Fn. 1, 10 und 106. Für eine rechtsgeschäftliche Grundlage Wieling, Venire contra factum proprium und Verschulden gegen sich selbst, AcP 176 (1976) 334, 337.

III. Rechtstheoretische Grundlagen

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(2) Obligatorische Leistungsbindung und Recht-Pflicht-Korrespondenz Anders als in den vorgenannten Fällen macht sich der Schuldner einer obligatorischen Leistungspflicht das Leistungsinteresse des Gläubigers zu Eigen. Er muss das Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen. Die obligatorische Bindung des Schuldners wird somit primär auf das fremde, statt auf das eigene Wollen zurückgeführt. Die Normativität ist stärker, weil das Interesse des Gläubigers mit dem Willen des Schuldners verklammert ist. Der obligatorischen Pflicht tritt notwendig ein korrespondierendes Recht gegenüber361. So formuliert Andreas von Tuhr 362: „Bei Obligationen ist das Recht des Gläubigers nichts anderes als die Kehrseite der Pflicht des Schuldners: Forderung und Verbindlichkeit sind beides dieselbe obligatio, vom Standpunkt je des Gläubigers oder Schuldners aus betrachtet.“

Die Recht-Pflicht-Korrespondenz folgt aus der Pflichtentstehung. Die Pflicht entsteht durch die Begründung des Rechts und vice versa 363. Die Korrespondenz von Recht und Pflicht ergibt sich aus der logischen Äquivalenz der RechteRelation mit der Pflichten-Relation (Gebots-Relation)364. cc) Obligatorische Bindung durch Anerkennung des Gläubigerbefehls Die Kritik an den einseitigen Verpflichtungsmodellen richtet sich auf die isolierte Betrachtung des Pflichtigen. Dessen autonome Selbstfestlegung kann unter Inanspruchnahme eben derselben Autonomie auch wieder aufgegeben werden. Die Willensautonomie liefert keine schlüssige Erklärung für den Vorrang der früheren Bindungsentscheidung gegenüber einer späteren gegenläufigen Entscheidung. Diese einfache und schlagende Kritik aus dem skandinavischen 361 Das ist ganz herrschende Meinung. Allgemein bejahend R. Bruns, Recht und Pflicht als Korrespondenzbegriffe des Privatrechts, in: FS für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, 1965, S. 3, 6 f.; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 1, S. 64; D. Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 226. Die Recht-Pflicht-Korrespondenz sei kein notwendiges Merkmal zivilistischer Pflicht im Allgemeinen, so Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 12 II c), S. 204, wohl aber sei sie notwendig bei den obligatorischen Leistungspflichten als subjektiven Rechten. Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 II, S. 15 („…dasselbe rechtliche Band von zwei Seiten gesehen“); Larenz/M. Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 17; Brox, Allg. Teil, 25. Aufl. 2001, Rn. 566. A.A. E. Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts. Erster Band: Allgemeiner Tei 1978, S. 19: bspw. §§ 525, 1940 BGB (Pflicht aus einer Auflage) und § 328 Abs. 2 BGB (Pflicht des Versprechenden gegenüber dem Versprechensempfänger, aber nicht gegenüber dem Dritten als Rechtsinhaber). 362 Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Band 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 93. 363 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 167 u. Fn. 32. 364 Näher Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 186 f. u. 190, der unter Bezug auf Wesley Newcomb Hohfeld, die Elemente right, duty, no-right und privilege in acht „strictly fundamental legal relations … sui generis.“ zerlegt.

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C. Systematischer Teil

Rechtsrealismus hat Franz Bydlinski 365 dazu veranlasst, das Verpflichtungsgeschäft aus vier kombinatorisch anzuwendenden Grundelementen, den sog. objektiven Grundlagen des Rechtsgeschäfts, heraus zu erklären. Diese Elemente sind Selbstbestimmung, Treue, Äquivalenz und Vertrauen 366: „Der einzelne kann zunächst frei entscheiden, ob er sich auf ein Verpflichtungsverhältnis einlasse. Den obligationsbegründenden Effekt selbst vermag der Gedanke der Privatautonomie jedoch überhaupt nicht zu erklären. Auch beim wirklich gewollten Rechtsgeschäft kann also allein eine kombinatorische Erfassung der Rechtslage von den Grundsätzen der Privatautonomie und der Verkehrssicherheit (des Vertrauensschutzes) her ausreichen.“

Bydlinski hat die obligatorische Bindung selbst als verkehrsrechtliche Notwendigkeit ausgewiesen, ihre Aspekte aber ‚nur’ in einem beweglichen System (Wilburg)367 zusammengestellt 368. Mit den eingeführten Ergänzungen Vertrauen und Verkehrsschutz tritt zwar die Gläubigerperspektive stärker in den Blick. Der Gläubiger wird aus dem Vertrauensgedanken berechtigt und verkehrsrechtlich geschützt. Wie das Gläubigerinteresse den freien Selbstzwang der schuldnerischen Selbstbestimmung aber beeinflusst, vermag das bewegliche System nicht anzugeben. Die beweglichen Kriterien bleiben zusammenhanglos, worin ihre Beweglichkeit gerade liegt. Das bewegliche System ist deshalb für eine naturalistische Modellvorstellung der obligatorischen Rechtspflicht nicht verwertbar. Ähnlich gründet Canaris die obligatorische Selbstbindung auf Selbstbestimmung und auf Selbstverantwortung. Mit ihr werden der Verkehrsschutz und das Vertrauen in das bewegliche System integriert 369. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sind Teile eines Ganzen, die hier auseinander gelegt und als distinkte Kriterien eines Autonomiekonzepts erscheinen. Diese Konzeption führt zu der Frage, was unter Selbstverantwortung in einem schuldrechtlichen Verpflichtungskontext konkret zu verstehen ist. Verkehrsschutz und Vertrauen besagen ja nicht, woraus die Verantwortung folgt und worauf sie sich richtet. 365 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts. Wien 1967, S. 69: „Wer die Bindung einfach aus dem Willen ableitet, kann der Konsequenz nicht entgehen, daß auch der Fortbestand der Bindung vom Willen des Verpflichteten abhängen müsste“. Unter Hinweis auf die naturwissenschaftliche Betrachtung des Willens bei Lundstedt, Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, Bd. II, 1932, S. 140. 366 Bydlinski, (vorherige Fn.), S. 69 f. 367 Wilburg, Elemente des Schadensrechts, 1941, S. 235; ders., AcP 163 (1963) 346 ff. 368 Bydlinski, (oben Fn. 365), S. 69 f.; ferner ders., System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 356 ff. 369 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts, AcP 200 (2000) 273, 279. Zur Deutung der Vertrauenshaftung als bewegliches System, ders., Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 491 ff., 425 ff.; ders., Bewegliches System und Vertrauensschutz im rechtsgeschäftlichen Verkehr, in: Bydlinski (Hg.), Das bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 103 ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 304 ff; krit. Stoll, Vertrauensschutz bei einseitigen Leistungsversprechen, in: FS für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Hg. Jakobs, 1978, S. 741, 773.

III. Rechtstheoretische Grundlagen

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Ausgangspunkt für die Konkretisierung von Selbstverantwortung dürfte ebenfalls die Selbstbestimmung sein. Im gegenseitigen Vertrag kommt die Selbstbestimmung in einem zweifachen Sinne zum Tragen. Sie zeigt sich in der autonomen Zwecksetzung, dem eigenen Vertragsinteresse, das in Form einer Handlungsaufforderung an den Vertragspartner gerichtet ist und das die erstrebte Gegenleistung zum Gegenstand hat. Daneben zeigt sich Selbstbestimmung in der Anerkennung fremder Zwecksetzung. Das Vertragsinteresse des Anderen wird im Verpflichtungsakt zur Grundlage künftigen eigenen Handelns. Die eigenen und fremden Zwecke werden synallagmatisch im Vertrag miteinander verknüpft. Sie bleiben gegen die Vorstellung vom vereinigten Vertragswillen als antagonistische Vertragsinteressen bestehen. Selbstverantwortung zielt damit auf die Folgen aus dem eigenen Verpflichtungsakt. Objekt der Verpflichtung ist die fremde Zwecksetzung. Das Mittel zur Verpflichtung ist die Anerkennung dieser fremden Zwecksetzung als für sich maßgebend. Diese Selbstverantwortung für die Erreichung des fremden Zwecks erklärt die Leistungspflicht aus einen Verantwortungszusammenhang. Die Leistungsaufforderung des Gläubigers zwingt den Schuldner aufgrund seines Verpflichtungsakts zur Erfüllung des fremden Interesses. Die Selbstverantwortung folgt mithin aus der Verpflichtung als einem Akt der Selbstbestimmung. Die Anerkennungslehren, wie sie für das Strafrecht entwickelt und mit gewissen zivilrechtlichen Bezügen als individuelle Anerkennungslehren fortgeführt wurden 370, knüpfen die bindende Kraft einer Rechtsnorm von der ex ante erklärten Anerkennung ihres Adressaten ab. Gegenstand der Anerkennung ist die in der Norm gegen ihren Adressaten ausgedrückte Forderung 371. Mit dieser Präzisierung des Selbstverantwortungsgedankens lässt sich auch ein naturalistisches Verpflichtungsmodell zur Erklärung einer obligatorischen Schuld entwickeln. Autor und Adressat der Handlungsaufforderung sind als Gläubiger und Schuldner lebensweltlich verschiedene Personen. Die analytische Sollenskonzeption von Kramer 372 (das „gewollte Sollen“) kann nicht erklären, weshalb die Bin370 Ernst Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 1, 1894, S. 19: „Recht im juristischen Sinne ist im Allgemeinen alles, was Menschen, die in irgendwelcher Gemeinschaft miteinander leben, als Norm und Regel dieses Zusammenlebens wechselseitig anerkennen“. Vgl. zu den individuellen Anerkennungstheorien von Bierling, Welcker, Binder und Laun Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, 1966, S. 84 ff. Die individual begründeten Rechtsnormtheorien sind durch die staatsrechtlich dominierte Vorstellung der allgemeinen oder generellen Anerkennungstheorien (Merkel, Jellinek, Radbruch, Mayer) abgelöst worden, vgl. Schreiber, (ebd.) S. 134. Heute wird eine ähnliche Position von Huber, Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, 1996, S. 48 ff. vertreten. Die Anerkennung ist nach Huber ein material rechtsethisches Element der Rechtspflicht. Das Recht diene dem Schutz der wechselseitigen Anerkennung der Bürger (ebd.) S. 57. 371 Bierling, Kritik der juristischen Grundbegriffe, Bd. 2, 1883, S. 37. 372 Siehe oben C. III. 1. b) cc) (4), S. 330.

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C. Systematischer Teil

dung fortbesteht, wenn der Schuldner seinen Verpflichtungswillen später wieder aufgibt. Eine Immunisierung des Willens durch eine selbstbezügliche Bindungserklärung ist nicht plausibel. Das Verpflichtungsmodell muss einen allgemeinen und unabweisbaren Grund aufnehmen, der einem möglichen Sinneswandel des Schuldners entgegenwirkt. Der Grund muss stärker sein als der etwa entgegenstehende Handlungswille des Pflichtigen. Zugleich muss die praktische Wirksamkeit dieses Grundes gesichert werden. Der Grund, so lautet mein Vorschlag, ist das vom Schuldner im Verpflichtungsakt anerkannte Leistungsinteresse des Gläubigers. Der Schuldner hat dieses Interesse dahin akzeptiert, dass es Grundlage für sein eigenes Handeln wird (Versprechen). Der analytische Satz Kramers muss erweitert werden: „Der Schuldner soll, weil er dasselbe will, was der Gläubiger will“. Der Schuldner hat seinen Willen also an den Willen des Gläubigers gebunden. Solange dieser will, ist jener gebunden. Der Grund, weshalb der Schuldner sich nicht einseitig von seiner Verpflichtung lösen kann, liegt mithin in der im Anerkennungsakt erreichten festen Verknüpfung mit dem Wollen des Gläubigers. Dieses Wollen tritt in der Leistungsaufforderung oder gleichbedeutend im schuldbegründenden Leistungsbefehl des Gläubigers hervor. (1) Der Gläubigerbefehl Gläubigerbefehl meint die vertragliche Willenserklärung des Gläubigers soweit dadurch sein Forderungsrecht begründet wird373. Befehl wird als Oberbegriff für die Erzeugung von Normativität verwendet. Gemeint ist das Stellen einer Handlungsanforderung wie sie von § 241 Abs. 1 BGB als Ergebnis der Forderungsbegründung zwischen Gläubiger und Schuldner ausgesprochen ist. Die Handlungsanforderung hat zur Folge, dass Normativität in den deontischen Grundmodalitäten374 des Gebietens, Verbietens oder Erlaubens375 entsteht. Ge373 Die vertragsbegründende Willenserklärung wird also zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt des eigenen Versprechens, sondern unter dem der Erlangung des fremden Versprechens gesehen. Es ist die Gläubigersicht des „sich versprechen Lassens“, die in der Willenserklärung mitenthalten ist. Die Begründung des Versprechens wird aus einem Reaktionsgeschehen gedeutet. Bei der obligatio ex lege ist hier die die Forderung begründende Handlung, etwa die deliktische Handlung, gemeint. 374 Der Begriff der Pflicht (déon) teilt sich in ein dreigliedriges Begriffssystem (Gebot, Verbot, Erlaubnis). Diese Grundmodalitäten gehen zurück auf die Digesten Modestinus D. 1, 3, 7 (Die Wirkungsweise des Gesetzes sind diese: gebieten, verbieten, erlauben und strafen). Werden supererogatorische Handlungen hinzugenommen entsteht ein fünfgliedriges deontisches Begriffssystem: Die angeratenen und die abgeratenen Handlungen sind einerseits weder geboten noch verboten, andererseits sind sie aber auch nicht moralisch indifferent gestellt. Zu einem ausgearbeiteten fünfgliedrigen moralische Begriffssystem, vgl. Hruschka/ Joerden, Supererogation: Vom deontologischen Sechseck zum deontologischen Zehneck. Zugleich ein Beitrag zur strafrechtlichen Grundlagenforschung, ARSP 1987, 93, 111. 375 Auch die Erlaubnis besitzt die Befehlsstruktur, weil sie den Schuldner zur Duldung des Gläubigerhandelns am eigenen Gut verpflichtet und dem Gläubiger dies Handeln frei-

III. Rechtstheoretische Grundlagen

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genstand des Befehls ist ein Tun oder Unterlassen des Schuldners (Leistung). Der Gläubigerbefehl meint damit nicht erst die spätere Anspruchserhebung, wie nach der Lehre von der Normsetzungsbefugnis (Bucher) 376, sondern den Befehl, der bereits dem Verpflichtungsakt zugrunde liegt. Mit der herrschenden Lehre ist ein normativer Ansatz vorzugswürdig, wonach „der andere“ im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB im Zeitpunkt der Anspruchserhebung unter der Anforderung des subjektiven Rechts steht377. Wirksamkeit und Geltung der Forderung sind mithin nicht an die Anspruchserhebung geknüpft. Die Normativität folgt aus dem subjektiven Rechts, denn sie ergibt sich schon aus der Möglichkeit des Gläubigers zur Anspruchserhebung. Die normative Wirkung geht von dem Forderungsrecht auch dann aus, wenn es aktuell noch nicht oder nicht mehr ausgeübt wird, der Berechtigte dies aber könnte378. (2) Die Anerkennung des Gläubigerbefehls Der Schuldner anerkennt den auf sein Handeln gerichteten Gläubigerbefehl. Seine Anerkennung geht dabei über die bloße Bereitschaft hinaus, den Gläubigerbefehl freiwillig zu befolgen. Das Anerkenntnis übernimmt die Zwecksetzung und macht sich diese zu Eigen 379. Der Adressat erklärt, die geforderte Handlung ausführen zu wollen; sie aus eigenem Antrieb auszuführen. Die Anerkennung der gestellten Anforderung bedeutet damit zugleich die Bildung eistellt. Dagegen geht Imhof, Obligation und subjektives Recht, Basel, 2003, S. 25 davon aus, dass hier kein Befehl, sondern ein Fall der Selbstverpflichtung des Schuldners vorliege, ein Tun des Gläubigers zu dulden. Wer erlaubt und anschließend die Handlung hindert, verstoße gegen den Satz vom fehlenden Widerspruch. Keine Rechtsbindung folge dagegen aus der Erlaubnis zu einem Dulden auf Zusehen hin, Imhof, Ebd. S. 26. Die jederzeitige Widerrufsmöglichkeit (prekaristische Gestattung und ähnliche Rechtsfiguren) hat jedoch nicht den Sinn, dass der Erlaubende die Erlaubnis sogleich widerruft. Ohly, „Volenti non fit iniuria“. Die Einwilligung im Privatrecht. 2002, S. 177 f. unterscheidet zwischen der bindenden Gestattung und der widerruflichen aber einseitigen rechtstgeschäftlichen Einwilligung. 376 Danach setzt der Anspruchsinhaber die interpersonelle Handlungsnorm, indem er den Anspruch durch seine Willensäußerung erhebt. Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis. 1965, S. 56, ders., Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 28 ff. Ablehnend Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 14 Rn. 12. Die Prämisse, wonach ‚der Wille die Norm konstituiere’, ist nicht falsch, nur ist es der Wille im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der die vertragliche Norm konstituiert. 377 Wirksamkeit und Geltung fließen aus dem subjektiven vorrechtlich begründeten Recht (rechtsgültiger Schuldvertrag), vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 118. 378 Der Anspruchsbegriff meint deshalb lediglich die praktische Realisierung des Forderungsrechts. Vgl. oben C. I. 2. c), S. 247 und C. IV. 4. b) cc), S. 474. 379 Der Unterschied liegt in der sprachlichen Differenz zwischen „Ich befolge den Befehl des G, X zu tun“ und „Ich anerkenne, dass ich X tun soll“. Im ersten Falle ist der Grund für den Handlungsvollzug der Gläubigerbefehl, während er im zweiten Falle auf dem Anerkenntnis im Sinne von „für sich anerkennen“ und damit auf einem eigenen Handlungsgrund aufbaut.

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C. Systematischer Teil

ner inhaltsgleichen inneren Anforderung an sich selbst. Diese inhaltsgleiche Anforderung motiviert den Schuldner aus rationalem Selbstzwang 380, sie tritt jedoch nicht an die Stelle, sondern nur neben den heteronomen Gläubigerbefehl381. Es besteht also untechnisch gesprochen ein inneres und ein äußeres Rechtsverhältnis. Der Schuldner kann die Argumente für seine innere Entscheidung aus dem Verpflichtungsgeschehen rational finden. Er unterliegt hier einem freien Selbstzwang zu vernunftgemäßem Handeln 382. Daran schließt sich die Befugnis zur äußeren Inanspruchnahme von der Anspruchserhebung bis zur Zwangsanwendung an. Die Entstehung obligatorischer Rechtsbindung lässt sich damit als Erzeugung eines Handlungsgrundes beschreiben. In den Worten rationaler Handlungs- und Kommunikationstheorien383 ist Handlungsgrund die Ursache einer Entscheidung384. Handlungsleitend sind Gründe, wenn sie von einem Akteur akzeptiert werden und er sich diese zu Eigen macht385. Einen Grund akzeptieren heißt, ihn mit motivierender Kraft ausstatten. Akzeptierte Gründe steuern die Absichten und kontrollieren Entscheidungsprozesse und damit Handlungen 386. Aus der Anerkennung des Gläubigerbefehls resultiert ein eigener Handlungsgrund des Schuldners, und zwar mit dem Inhalt, genau jener äußeren Anforderung, die der Gläubiger stellt, zu entsprechen. Der Handlungsgrund bezieht sich sachlich auf die Befolgung des Befehls. Mit ihm werden zugleich alle entgegenstehenden Handlungsgründe ausgeschlossen. Der in der Verfolgung des fremden Leistungsinteresses liegende Handlungsgrund wird dabei allen anderen, je eigenen und entgegenstehenden Handlungsgründen des Schuldners

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Vgl. nachfolgend im Text und oben C.II. 4. b) bb), S. 285. Vgl. Penski, Der Zweck des Rechts ist das Recht. Zur Teleologie und Selbstbezüglichkeit des Rechts, ARSP 2004, 406, 407 f. Der gesetzte Zweck muss als eigener Zweck übernommen werden, sonst ist das Recht als Mittel zur Durchsetzung des (fremden) Zwecks bloße Willkür. Die Sollensverbindlichkeit kann nicht auf die Zwecke eines anderen bezogen werden. 382 Das ist bereits eine Position Kants, vgl. Schütze, Subjektive Rechte und personale Identität, 2004, S. 281. 383 Rationale Handlungstheorien unterstellen Rationalität in der Weise, dass ein intentional handelndes Subjekt in der Lage ist, unter geeigneten Umständen einen mehr oder weniger plausiblen Grund anzugeben, aus dem er sich so und nicht anders verhalten hat, Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft. In: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27, 40. Hintergrundannahme ist eine Person, die Grund hat, so und nicht anders zu handeln, Raz, Engaging Reason, Oxford 1999, S. 90. 384 Baumann, Erkenntnistheorie, 2002, S. 185. In der Schuldrechtsdogmatik wird das heteronome Sollen auch als Kennzeichen des Rechts und Abgrenzungsmerkmal gegenüber der autonom moralischen Pflicht gesehen, Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 38. 385 Das Zueigenmachen von Gründen ist das Ergebnis praktischer Deliberation (Einsicht, phronesis), Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 2004, S. 498, 504. 386 Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind, ARSP 2004, S. 498, 503. 381

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als überlegen ausgewiesen387. In der Anerkennung liegt damit ein selbstverfügter Ausschluss etwa entgegenstehender eigener Handlungsgründe. Die anerkennende Unterwerfung unter den fremden Befehl bedeutet eine soziale Praxis zur Impulsunterdrückung pflichtwidrigen Handelns388. Diese rationalistische Bindung im Rahmen eines Autonomiekonzepts beruht auf einer Reihe von Annahmen. Sie beginnt mit dem Glauben in die motivierende Kraft eines Handelns aus Gründen 389. Ferner wird unterstellt, dass die gewillkürte Festlegung einer Rangfolge von Handlungsoptionen möglich ist und damit Bindung durch Manipulation der eigenen Präferenzordnung entsteht. Schließlich ist die Erfüllung der Rechtspflicht prinzipiell unabhängig von ihrem Inhalt. Sie ist immer eine vernünftige Entscheidung 390. Der Handlungsgrund des Gläubigers ist auf den Erhalt einer bestimmten Leistung durch den Schuldner gerichtet. Durch die Anerkennung erzeugt der Schuldner den eigenen Handlungsgrund, die Leistung zu erbringen (Versprechen)391. In Ab387 Der Vorrang des Handlungsgrundes „Versprechen“ kann auch durch eine Vorrangregel beschrieben werden. Eine solche Regel hat man vor sich, wenn für bestimmte Situationen ein Grund zweiter Ordnung die abwägende Berücksichtigung aller denkbaren handlungsrelevanten Gründe ausschließt und stattdessen einen bestimmten Grund erster Ordnung für maßgebend erklärt, Raz, Practical Reason and Norms, 2. Aufl. Princeton, 1990, S. 61. 388 So geht auch Dick W. P. Ruiter im Grundsatz davon aus, dass eine Verpflichtung einen Handlungsgrund darstelle, der einer Person mit dem Ziel auferlegt werde, jeden Grund zu unterdrücken, den diese selbst dafür haben könnte, die Handlung nicht auszuführen. Ruiter versteht unter Handlungsgrund ein Argument im kommunikativen Austausch, das geeignet ist, handlungsleitend (schlagend) zu werden. Im Ergebnis werde dieser Vorgang aber durch das institutionelle System überdeckt. In ihm stelle der Befehl das Resultat des gelungenen Vollzugs eines kommissiven Sprechaktes dar. Der kommissive Sprechakt bedeute eine Präsentation unterdrückter Entscheidungsfreiheit. Der deklarativ illokutionäre Zweck des Sprechakts (dem Hörer einen Befehl zum Handeln zu präsentieren) werde erzielt, wenn diesem Sprechakt allgemeine Akzeptanz durch das institutionelle System zu Teil wird. Ruiter, Institutionelle Rechtstatsachen. Rechtliche Ermächtigungen und ihre Wirkungen, 1995, S. 76. Zur Sprechakttheorie des Versprechens vgl. oben C. III. 1. b) cc) (1), S. 322. 389 Das ist die fundamentale Grundannahme rationalistischer Handlungstheorien. Sie wird als pragmatische Umwandlung metaphysisch apriorischer Vernunftannahmen verstanden. Habermas beschreibt diesen anthropologischen Ausgangspunkt dahin: „Wir sind Wesen, die wesentlich an der Praxis des Gebens und Forderns von Gründen teilnehmen. Wir verantworten unser Tun und Lassen voreinander, indem wir uns gegenseitig zur Rechenschaft ziehen. Wir lassen uns von Gründen affizieren, also von der bindenden Kraft des besseren Arguments in Anspruch nehmen. … Auf dem Wege kommunikativer Vergesellschaftung verstricken wir uns in ein Netz intersubjektiver Beziehungen, in dem wir uns voreinander verantworten müssen.“ Habermas, Von Kant zu Hegel. Zu Robert Brandoms Sprachpragmatik, in: ders. (Hg.), Wahrheit und Rechtfertigung, 2004, S. 138, 140 f. Die Annahme vernünftig handelnder Akteure liegt auch dem Schuldrecht zu Grunde, ohne deshalb vernünftiges Handeln vorzuschreiben. Vgl. dazu unten die Diskussion um den Grundsatz „stat pro ratione voluntas“ und die Aufgabe des Erfordernisses der Vernünftigkeit, C. III. 3. b) bb) (2), S. 416. 390 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 21; Raz, The Morality of Freedom, Oxford 1986, S. 340 ff. 391 Dick W. P. Ruiter, Institutionelle Rechtstatsachen. Rechtliche Ermächtigungen und ihre Wirkungen, 1995, S. 76: Die Verpflichtung aus dem Versprechen ist selbst der Hand-

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wandlung der allgemeinen Freiheitsannahme von Peter Bieri392 kann man sagen: „Nicht etwas anderes entscheiden zu können als das wozu man sich verpflichtet hat, darin liegt die verlässliche Freiheit der Entscheidung“.

Neben diese handlungstheoretische Deutung gebundenen Leistungshandelns tritt die praktische Möglichkeit zu äußerer Einflussnahme durch den Gläubiger. Die Form der Heteronomie kann aber wegen der Identität von Befehlsinhalt und Handlungsgrund nicht zu einer Autonomieverletzung des Schuldners führen. Die pflichtbegründende Anerkennung des fremden Befehls, schließt dies aus. Die Forderung kann vom Schuldner danach aus einem eigenem rationalen Handlungsgrund oder auch nur zur Abwendung drohender Sanktionen befolgt werden. Die tatsächliche innere Einstellung des Schuldners ist ohne Bedeutung393. Der Einwand, unrechtmäßigen heteronomen Zwang zu erleiden, bleibt in jedem Falle ausgeschlossen. (3) Die Folgen der Anerkennung Den fremden Befehl hat der Schuldner als für sich maßgeblich anerkannt und muss ihn deshalb erfüllen. Das obligatorische Müssen als Folge der Anerkennung lässt sich in zwei Aspekte auseinanderlegen. Zum einen in die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers auf den Willen des Schuldners (§ 241 Abs. 1 BGB: „… ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern.“) und zum anderen in die Spannung der Schuld in der Person des Schuldners394. lungsgrund. Ebenso Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind. ARSP 2004, 498, 502: Unter Normalbedingungen ist der gute Grund, ein Versprechen zu halten, das Versprechen selbst (ipso facto) und nicht die negativen Folgen des Versprechensbruchs. Dies lässt sich noch um einen Gesichtspunkt erweitern, der den Vorrang des Handlungsgrundes „Versprechen“ gegenüber je anderen Handlungsgründen einnimmt. 392 Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 2001, S. 83. Das Originalzitat lautet: „Nicht etwas anderes entscheiden zu können als das was man für richtig hält, darin liegt die verlässliche Freiheit der Entscheidung“. Zustimmend Habermas, „Ich selbst bin ja ein Stück Natur“ – Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft, in: Honneth (Hg.), Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003, 2005, S. 13, 22. 393 W. Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 25, nennt dies die „Triebfeder-Leerstelle“ des Rechts im Unterschied zur moralischen Pflicht. Das Recht verzichte auf jede Normierung der Ausführungsmotivation. Diese Leerstelle bleibe aber eben nicht nur für den Zwang offen, sondern ermögliche auch die Befolgung des Rechts aus Einsicht. Der Sache nach ebenso Ellscheid, nach dessen Auffassung die Pflicht unabhängig von der Frage bestehe, wie sich ihr Adressat zu ihrer Erfüllung motiviere, Ellscheid, Recht und Moral, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. 2004, S. 148, 223. 394 Dem entspricht auch die klassische Aufspaltung des Sollens in das Bekommensollen des Gläubigers und das Leistensollen des Schuldners, Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, S. 80. Außer der unter-

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(a) Die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers Die Einforderungsbefugnis des Gläubigers (Verlangenkönnen) ist an den Willen des Schuldners adressiert. Bereits Kant hat dem Gläubiger deshalb eine Einwirkungsbefugnis auf die „Kausalität des Schuldners“ gegeben und ist an dieser Stelle mit der Vorstellung einer Personalherrschaft des Gläubigers missverstanden worden 395. Die von Savigny rezipierte Auffassung eines Herrschaftsrechts über ein in der Leistungshandlung vergegenständlichten Schuldnerwillen führt zu einer Autonomieverletzung des Schuldners, die Kant nicht gebilligt haben würde. Der Gläubiger darf aus einer aktiven Obligation nur auf den Willen des Schuldners einwirken und ihn zur Leistung anhalten 396. Das ist allerdings auch nicht wenig. Denn für Kant bedeutet eine Forderung zu erheben eine Handlungsaufforderung, die mit dem Anspruch verbunden ist, begründet zu sein. Der Fordernde müsse mithin einen Grund für das Geforderte haben, von dem er annehmen dürfe, dass dieser Grund für den Forderungsadressaten ein zwingender Grund zu handeln sei und damit eine Handlungsnotwendigkeit (Imperativ) für diesen begründe397. Das Versprechen ist damit ebenfalls ein Handlungsgrund des Gläubigers, und zwar den Schuldner unabweisbar zur Leistung aufzufordern. Der Schuldner muss die Nichtbefolgung eines einmal anerkannten Befehls unter Anführung von zugelassenen Schuldbefreiungsgründen rechtfertigen. Auf die Aufforderung des Gläubigers muss geantwortet werden und bei fehlenden Rechtsgründen muss die Nichtbefolgung „verantwortet“ werden. Insofern lässt sich auch ohne Zwangsbefugnisse, die sich an diesen kommunikativen Vorgang erst anschließen, von Gläubigerherrschaft und gar von Macht398 sprechen. Aufgrund der Einwirkungsbefugnis auf den Schuldschiedlichen Perspektive des Sollens hat diese analytische Trennung aber keinen Erkenntniswert. 395 Siehe dazu mit Nachweisen oben B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 128 f. 396 Das ist der Sinn und die Bedeutung der Zuerkennung eines subjektiven Recht, Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, Wien 1967, S. 156 weist zu Recht darauf hin, dass der zentrale Anknüpfungspunkt der Leistungspflicht der Wille des Schuldners ist, was sich insbesondere auch in § 888 ZPO und § 354 Abs. 1 der österr. Exekutionsordnung (EO) zeige. Ebenso kommt im „Leistensollen des Schuldners“ bei Gustav Hartmann, Die Obligation. Untersuchungen über ihren Zweck und Bau, 1875, S. 117 der Schuldnerwille bereits eigenständig zum Ausdruck. 397 Köhl, Praktische Notwendigkeiten und moralisches Verpflichtetsein, PhilJhrb 110 (2003) 1, 5 ff. unter Verweis auf Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Kants gesammelte Schriften, Akademieausgabe IV, 1903, S. 415 f., wobei Kant dort aber vom Pflichtigen und nicht vom Berechtigten aus argumentiert. 398 Macht in dem weiteren soziologischen Sinne als Chance, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht (Weber). Hans Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Geltungsmacht. Zu Herleitung und Struktur einer Angemessenheitskontrolle von Verfassungs wegen, 2004, S. 26: Der Gläubiger erlange nur insofern Macht und ein Herrschaftsrecht über den schuldnerischen Willen, als er von ihm Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung verlangen kann.

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nerwillen kann ein Recht des Gläubigers auf eine obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners anerkannt werden 399. Die Befugnis zur Willensbeeinflussung ist aber erschöpft, wenn der Schuldner nicht freiwillig leistet. Die Zwangstheorien des Rechts halten dagegen das Befehlsrecht mit einer rechtlichen Sanktionsbefugnis für notwendig verknüpft400. Sie lassen die Rechtsbehauptung und den Befehlsakt nicht unabhängig und bereits für sich gelten. Damit wird die kommunikative Kraft der rechtlichen Geltungsbehauptung nicht ausreichend beachtet. Aus der Sicht des Schuldners ist die Leistung zu erbringen, weil er im Versprechen den Leistungsbefehl anerkannt und sich zu Eigen gemacht hat401. Der Schuldner ist im Erfüllungszeitpunkt rational wehrlos. Die propositionalen Gehalte von Befehl und Anerkennung waren im Verpflichtungszeitpunkt deckungsgleich402. Im Erfüllungszeitpunkt ist daher auch der Handlungsgrund des Gläubigers (Forderung) mit dem Handlungsgrund des Schuldners (Versprechen durch Anerkennung) identisch. Der Schuldner vermag der Einwirkung auf seinen Willen daher insoweit keine rationalen Gründe mehr entgegenzusetzen. Diese kommunikative Wehrlosigkeit gilt in zweierlei Hinsicht. Jedes Versprechen ist als ein Ereignis sowohl eine physische Tatsache als auch ein mentaler Akt mit intentionalem Charakter403. Der physische Verpflichtungsakt ist als lebensweltlicher Vorgang wahrheitsfähig und als äußere Tatsache beweisbar. Das Verpflichtungsgeschehen kann vom Schuldner mithin nicht in Abrede gestellt werden und bildet den auf Wahrhaftigkeit gerichteten Bezugspunkt der Forderung404. 399 So Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, Wien 1967, S. 152, 154 ff., der dadurch die erfüllungsfeindliche Beeinflussung des Schuldnerwillens durch Dritte als Forderungsverletzung haftungsrechtlich erfassen will. Ablehnend Larenz, Schuldrecht, Bd. I, AT, 14. Aufl. 1987, § 2 II, S. 18 u. Fn. 24, weil dies nicht dem Gesetz entspreche; ebenfalls im Ergebnis ablehnend MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Bd. 2 a, Einl. § 241 Rn. 23. 400 So definiert Koller die Befehlsgewalt als die Fähigkeit auf das Handeln anderer Personen durch Befehle, Anordnungen oder Vorschriften einzuwirken, durch sprachliche Handlungen also, die zum Ausdruck bringen, dass diese Personen etwas tun oder unterlassen sollen, verbunden mit der Androhung geeigneter Sanktionen, falls sie nicht so handeln. Befehlsmacht entspricht der Herrschaft, wobei Herrschaft die Befugnis und Autorisierung zum Befehl mitausdrückt. Koller, Das Recht im Spannungsfeld zwischen Macht und Moral. In: Joerden/Wittmann (Hg.), Recht und Politik, ARSP Beiheft 2004, S. 93, 94. 401 In Abwandlung der Kurzbeschreibungen der Schuldnerpflicht: Der Schuldner soll, weil er dasselbe will, was der Gläubiger will, siehe oben C. III. 1. c) cc) (2), S. 363. 402 Die beiderseitigen Willen sind bei Vertragsschluss im Umfang der Proposition homolog (vereinigt), vgl. oben C. III. 1. b) aa) (3), S. 303. 403 Handlungen haben einen Doppelcharakter als mentale und physische Ereignisse. Jede Handlung hat eine begleitende Intentionaliät. Diese ist konstitutiv, denn erst diese macht das Verhalten zur Handlung, vgl. Nida-Rümelin, Warum Entscheidungen notwendig frei sind. ARSP 2004, 498, 504. 404 Somek, Ermächtigung und Verpflichtung, in: Paulson/Stolleis (Hg.), Hans Kelsen, 2005, S. 58, 74 drückt dies wie folgt aus: Befehl ist nur ein Situationsumstand und steht auf einer Ebene mit dem zeitlichen Horizont des Handelns.

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Ferner kann der gestellten Forderung mental nichts entgegengehalten werden, denn der Schuldner hat keinen sachlichen Grund, der Forderung auszuweichen. Das Recht enthält eine Reihe von Befreiungsgründen, auf die sich der Schuldner ausnahmsweise berufen kann. Der vielleicht bekannteste ist der „wichtige Grund“ zur Kündigung in § 626 Abs. 1 BGB. Liegt kein Befreiungsgrund vor, so muss sich der Schuldner die Forderung (wiederholt) vorhalten lassen, das Leistungsurteil, das die Pflicht sachlich feststellt, muss er hinnehmen und notfalls rechtlichen Zwang bis hin zur Zwangsvollstreckung dulden. Die Wehrlosigkeit kennzeichnet auch die Naturalobligation. Die Aufforderung zur Leistung ist die primäre Form der Einwirkung auf den Schuldner. Auch eine gerichtliche Feststellung der Leistungspflicht ist im Fall des Bestreitens der Pflicht möglich405. Der Schuldner muss sich zu seinem unrechtmäßigen Handeln letztlich bekennen und die gesellschaftlichen Folgen seiner Erklärungsnot tragen. Damit wird der Gedanke des Rechtszwanges aus der Perspektive des Schuldners auf die primäre kommunikative Ebene rechtlicher Auseinandersetzung übertragen. Nicht erst die Wehrlosigkeit gegenüber vollstreckenden Rechtsakten des Gläubigers406, sondern bereits die Wehrlosigkeit gegenüber kommunikativ eingeforderten Leistungsvollzügen kennzeichnet die Perspektive des Schuldners. Die Aufforderung zur Leistung ist die primäre Form der Einwirkung auf den Schuldner. An diese Kommunikationsfunktion des obligatorischen Forderungsrechts schließen sich die weitergehenden Zwangsbefugnisse nur an. (b) Die Spannung der Schuld Solange das Handlungsziel des Gläubigers noch nicht erreicht ist und nach dem Willen des Gläubigers weiter verfolgt werden soll, ist der Schuldner verpflichtet. Der Gläubiger übt damit nicht den Schuldnerwillen aus, sondern er ist befugt, auf den Schuldner zur Erfüllung der Schuld einzuwirken. Der Schuldner steht unter der Spannung seines mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers verknüpften Willens (Versprechen) 407. Der Schuldner bleibt zwar der alleinige Herr seines Willens (sui iuris) 408. Er kann aber die Einwirkung 405

Vgl. unten C. VI. 4., S. 633 f. So Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 3, S. 66. 407 Spannung bezeichnet den Zustand des Gefordertseins (Leistensollen). Sie ist zugleich Ausdruck der normativen Wirkung des Forderungsrechts. Die heute nicht mehr allgemein übliche Bezeichnung „Spannung“ geht auf Hugo Kress zurück und bezeichnet das Maß der an den Schuldner gerichteten Anforderung (Inhalt und Umfang der geschuldeten Kraftanstrengung), das obligatorische Leistungsprogramm zu erfüllen; bezogen auf die obligatorische Schuld Rödl, Die Spannung der Schuld – welches Maß an geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Kraft hat der Schuldner zur Erfüllung der Schuld nach geltendem Recht einzusetzen?, 2002. 408 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989,S. 382: 406

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des Gläubigers aus Rechtsgründen nicht zurückweisen, weil und soweit dieser nur verlangt, was der Schuldner selbst zu tun versprach409. Der freie Selbstzwang des Schuldners als privatautonomes Handlungskonzept ist vom Gläubiger durch Einwirkung auf den Schuldnerwillen stets aktivierbar (Leistungsaufforderung, Erinnerung, Mahnung). Der Gläubiger konfrontiert den Schuldner mit dessen früherer Versprechenserklärung und der darin erklärten Selbstbindung durch Willenserklärung. Er appelliert gleichzeitig an die Rechtsvernunft des Schuldners und intensiviert den Druck durch die stete Artikulation seiner berechtigten Erwartung auf Leistungserfüllung. Auch die Verkehrserwartungen und die im Falle ihrer Enttäuschung drohenden gesellschaftlichen Sanktionen kann der Gläubiger mobilisieren. Genügen diese Handlungsanreize nicht, um den Schuldner zur freiwilligen Erfüllung zu bewegen, so kann ergänzend grundsätzlich rechtlicher Zwang (Aufrechnung, Zurückbehaltung, Klage, Vollstreckung), der physischen Zwang einschließt, angedroht und angewendet werden. (4) Zwischenergebnis Die obligatorische Rechtspflicht wird durch die freiwillige oder gesetzlich angeordnete Übernahme eines fremden Individualinteresses begründet410. Die Normativität geht vom Gläubiger und dessen Leistungsinteresse aus. Dieses bildet den Handlungsgrund des Schuldners im Rahmen einer rationalistischen Handlungstheorie (Gedanke des § 687 Abs. 1 BGB)411. Der Schuldner „… ein Mensch [kann] sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigentümer von sich selbst (sui dominus) (über sich nach Belieben disponieren zu können) geschweige denn von anderen Menschen sein […], weil er der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist; …“. 409 Das halte ich für eine zeitgemäße Interpretation der kantischen Vorstellung einer aktiven Obligation. Siehe näher oben B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 127 ff. Zwar bedeutet Verbindlichkeit bei Kant die „Notwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“. Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 327 f. Die Vorstellung eines Handelns aus Pflicht, als idealisierendes Postulat praktischer Vernunft, steht der Übernahme des Modells nicht entgegen. An die Stelle apriorischer Vernünftigkeit treten lediglich die pragmatischen Annahmen einer rationalen Handlungstheorie: Handeln aus Gründen, Unterstellung der Wahrhaftigkeit, Herausforderung zu einer rational motivierten Stellungnahme. Zu ihnen Habermas, Handlungen, Sprechakte, sprachlich vermittelte Interaktionen und Lebenswelt, in: Nachmetaphysisches Denken, Hg. Jürgen Habermas, Frankfurt am Main 1988, S. 63, 81; Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentale Vernunft, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27, 31. 410 Die freiwillige Übernahme knüpft an die vertragliche Willenserklärung an, während die gesetzliche Begründung eines Obligationsverhältnisses an die entsprechende gesetzlich fixierte Handlung anknüpft. Also etwa an die Geschäftsübernahme bei der GoA, die Leistungshandlung bei der Leistungskondiktion, die unerlaubte Handlung beim Delikt usf. 411 Die Vorschrift des § 687 Abs. 1 BGB zeigt, dass die Übernahme, bzw. genauer ein Handeln in fremdem Interesse, das Schuldverhältnis erst begründet und die Rechtsfolgen der §§ 677 ff. BGB legitimiert, vgl. AnwK-BGB/M. Schwab, 2005, § 687 Rn. 1.

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hat sich das obligatorische Band, das ihn mit dem Gläubiger bis zur Lösung der Schuld verbindet, durch Anerkennung des Gläubigerbefehls selbst um den Hals gelegt. Der Verpflichtungsakt als historisch-lebensweltliche Tatsache repräsentiert die metaphorische Gebundenheit. Sie kann vom Schuldner objektiv nicht als unwahr zurückgewiesen werden. Dem Gläubiger ist erlaubt, den Schuldner an den Akt der Selbstverpflichtung zu erinnern und zur Erfüllung anzuhalten. Die kommunikativ bewirkte Konfrontation mit dem früheren Versprechen steigert die innere Willensnötigung des Schuldners. Dort, wo sich der Schuldner nicht bereits in einem intrapersonalen Handlungskonflikt befindet, erzeugt die äußerliche Konfrontation auch die innere Willensnötigung. Der Schuldner reproduziert aufgrund der äußeren Anforderung seine Gebundenheitsvorstellung fortwährend selbst. Die innere Willensnötigung folgt praktischer Vernunft, die aber nicht im kantischen Sinne universalisierend und freiheitsnotwendig gedacht werden muss. Der Gläubiger ist ferner in die soziale Technik der Pflichtenbegründung integriert. Seine Einwirkungsmöglichkeit auf den Willen des Schuldners sichert den Handlungsvollzug. Die sich aus der Forderung ergebenden Handlungsanreize für den Schuldner, zu denen alle Formen des Zwangs (rechtliche und gesellschaftliche) gehören, stabilisieren und institutionalisieren die Vorstellung der Selbstgebundenheit beim Schuldner. Sie bewahren ihn im Bild der „Ulysses Contracts“ vor der möglichen kontrafaktischen Entgleisung. Der naturalistisch gedachte Wille des Schuldners bildet die Grundlage gebundenen Handelns. Der allen Neigungen und Einflüssen ausgesetzte, neuronal impulshafte Wille befindet sich im Zustand des sozialen äußeren Gefordertseins. Der Schuldner steht unter einer äußeren normativen Erwartung und diese ist notwendig sozial. Kegel nennt es eine Verstrickung durch eigenes kommunikatives Verhalten412. Die soziale Technik der Anerkennung eines fremden Befehls vermag wirkungsvoll und notwendig die Perspektive des Pflichtigen zu öffnen. Die obligatorische Leistungspflicht kann damit interpersonal durch die Übernahme und Verfolgung des fremden als ein eigenes Leistungsinteresse beschrieben werden. Damit ist eine Vorstellung entworfen, die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, Willensautonomie und Pflichthandeln in einem naturalistischen Verpflichtungsmodell integrieren kann.

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Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 106; vgl. oben C. III. 1. b) cc) (2), S. 284.

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dd) Stipulatio und Schuldverhältnis Der erstmals im Bayerischen Entwurf zum BGB 1861413 verwendete Begriff ‚Schuldverhältnis‘ 414 erfasst und denkt privatautonomes Handeln primär in Verhältnissen415. Er stellt nicht auf eine autark gedachte Person ab, sondern blickt auf die Person in einer Sozialbeziehung (Schuldner und Gläubiger). Die geistesgeschichtlichen Ursprünge des Begriffs Schuldverhältnis, der heute in Schuldverhältnisse im engeren und weiteren Sinne untergliedert wird416, liegen weitgehend im Dunkeln. Eine Spur zu der geistigen Urheberschaft des Schuldverhältnisbegriffs führt zu Hermann Karl Freiherr von Leonhardi (1809–1875), Mitglied der Entwurfskommission für ein BGB am Bayerischen Hof. Leonhardi war Schüler des Jenaer Privatdozenten und einflussreichen Rechtsphilosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832)417 und besaß enge persönliche Verbindungen zum Bayerischen Hof418. Krause hatte die Naturrechtslehre Fichtes419 auf praktische gesellschaftliche Verhältnisse bezogen und das Privatrecht als Summe von Austausch- und Sozialverhältnissen verstanden420. Zentral ist dabei das Lebensverhältnis als vorpositives Rechtsverhältnis, welches den Rechtsgrund für die Rechte auf den Vertrag (Privatautonomie) wie auch für andere Konkretionen des Rechtsverhältnisses (Delikt, GoA oder sachlich rechtserhebliche Rechtsverhältnisse wie Garantenstellung oder Ingerenz) vermittelt421. Privatautonomie wird durch die Summe aller gesetzlichen und vertraglichen Schuldverhältnisse verkörpert und drückt so eine interpersonal verstandene Gemeinschaftsgebundenheit aus. Zu-

413 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, 1861, Theil II, Recht der Schuldverhältnisse u. dazu Motive zum Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, 1861, S. 79 ff. 414 Bucher, ‚Schuldverhältnis‘ des BGB: ein Terminus – drei Begriffe. 140 Jahre Wanderung eines Wortes durch die Institutionen und wie weiter? In: Bucher/Canaris/Honsell/ Koller (Hg.), Norm und Wirkung, FS für Wolfgang Wiegand, Bern 2005, S. 93, 109. 415 Zum Übergang von einem Denken in negativen Freiheitssphären (Kant) zu einem Denken in Verhältnissen der gegenseitigen Anerkennung (Fichte) im schuldrechtlichen System, vgl. Schapp, Über die Freiheit im Recht, AcP 192 (1992) 355, 376 ff. 416 Zur historischen und theoretischen Mehrdeutigkeit des Schuldverhältnisbegriffes im engeren und weiteren Sinne vgl. eingehend Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 199 ff., knapp etwa Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 36 ff. u. 113. 417 Zu Person und Werk vgl. Kodalle, Stichwort: Krause, Karl Christian Friedrich, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band IV, 1992, Sp. 624 – 631. 418 Dierksmeier, Der absolute Grund des Rechts, Karl Christian Friedrich Krause in Auseinandersetzung mit Fichte und Schelling, S. 27 Fn. 48. 419 Fichtes Rechtsbegriff konstituiert das Recht moralunabhängig als Gemeinschaft zwischen freien, einander anerkennenden und ein Recht auf gleiche Handlungsfreiheit zugestehenden Wesen, Kersting, Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral, in: Merle (Hg.), Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 21, 25. 420 Dierksmeier, oben Fn. 418, S. 21. 421 Dierksmeier, oben Fn. 418, S. 427 mwN.

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gleich wird das einzelne subjektive Recht als interpersonales Anerkennungsverhältnis konstituiert422. Diese idealistische Hintergrundvermutung stärkt zumindest die Annahme, dass auch das Schuldverhältnis im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB notwendig sozial konstituiert gedacht werden muss und geistesgeschichtlich in dem vorpositiven Lebens- und Rechtsverhältnis bei Krause seinen Ausgangspunkt nimmt423. Angelpunkt der obligatorischen Rechtspflicht ist damit das zu unterstellende persönliche Einverständnis der Beteiligten über ihr Bestehen in ihrer personalen Beziehung. ee) Stipulatio und Anerkennung als Verpflichtungsgrund Das einzige Bindungskonzept, das eine Verknüpfung von fremdem Interesse und eigenem Wollen zu einem Leistungsversprechen in einer sozialen Technik reproduziert, ist das römisch-rechtliche Modell der stipulatio424. Von einem Unterwerfungsritual hat es sich zu einem Versprechensakt fortentwickelt. Der Gläubiger behauptet oder befiehlt, der Schuldner erkennt an. Die Pflichtbegründung folgt dem zuvor entwickelten Grundmuster einer Verpflichtung aus der Anerkennung eines Befehls. Der Befehl stellt die Anforderung und begründet das normative Müssen. Die bejahende Antwort gibt dem Müssen die rechtliche Legitimation. Der Gläubiger ist an der Entstehung der Pflicht aus dem Antwortverhalten des Schuldners notwendig beteiligt. Das konsensuale Unterwerfungsritual aus altrömischer Zeit lässt sich modellhaft zu einem Autonomiekonzept moderner Prägung fortentwickeln. Mit der Anerkennung des Leistungsbefehls entspricht der Schuldner kommunikativ dem Geltungsanspruch des Gläubigers auf den Erhalt der Leistung. Das darin liegende konsensuale Moment geht über den individuellen Verpflichtungsakt nicht hinaus. Es ist daher nicht mit dem Vertragskonsens gleichzusetzen. Zugleich erhebt der Schuldner mit dem Anerkennungsakt selbst einen Geltungsanspruch, und zwar den, sich zur Erbringung der Leistung verpflichtet zu haben. An diesem Geltungsanspruch wird ihn der Gläubiger künftig festhalten. Gläubiger und Schuldner errichten das maßgebende Recht-Pflicht-Verhältnis damit in einem Kommuni-

422 Die personale Anerkennung als materiales Pflichtmoment geht auf Fichte zurück. Die Konstitution des Ich durch das Nicht-Ich in einem fortwährenden Spannungsverhältnis, vgl. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 1796, Nachdruck 1979, S. 30 ff.; Honneth, Die transzendentale Notwendigkeit von Interpersonalität (Zweiter Lehrsatz § 3), in: Merle (Hg.), Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 63. 423 In dogmatischer Sicht entsteht das Schuldverhältnis im engeren Sinne (Forderung) danach aus dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne, Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem. JuS 1992, 537, 540. Das Schuldverhältnis im weiteren Sinne ähnelt dem vorpositiven Lebensverhältnis (Krause). 424 Oben C. III. 1. b) aa) (1), S. 298.

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kationsmodell. Bereits Otto Bähr kam zu dem Ergebnis: „An die Stelle der Stipulation ist heute die Anerkennung des Schuldners getreten“ 425. Der Forderung liegt mit dem Stipulationsmodell ein naturalistischer Verpflichtungsansatz durch Anerkennung zugrunde. Mit der stipulatio gelingt die inhaltliche Homologisierung des fremden mit dem eigenen Willen durch Anerkennung im Pflichtbegründungsakt. Zugleich erklärt das Stipulationsmodell die Entstehung von Normativität. Das obligatorische Gefordertsein ist weder die Folge einer intrapersonalen Selbstverpflichtung (pollicitatio) noch das idealistische Produkt vereinigter Willen, sondern das Resultat aus der Anerkennung des Gläubigerbefehls. Die Anspruchserhebung des Gläubigers bedeutet von nun an eine unabweisbar begründete Geltungsbehauptung über das Bestehen der Forderung. Ihr Adressat, der Schuldner, wird durch die Erhebung zu einer rational motivierten Stellungnahme herausgefordert, die bei Fehlen rechtlicher Gegengründe allein in der Erfüllung liegen kann. Diesem Vorschlag steht es nicht entgegen, dass die neuzeitlichen Rechte die stipulatio als Vertragstyp nicht übernommen haben. Die römisch-rechtliche stipulatio ist durch die formlose Vereinbarung, das pactum nudum, verbunden mit dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ vollständig verdrängt worden426. Das naturalistische Modell der Pflichtbegründung bezieht sich jedoch nicht auf den Vertrag, sondern auf die Forderung und ihre schlankere Struktur. Gegenüber dem Vertrag ist die Forderung die abstraktere systembildende Kategorie. Hinzuweisen ist dabei auf den Modellcharakter dieser Konzeption der Forderung. Die stipulatio stellt keinen Vertragstyp mit bestimmten Formerfordernissen dar. Das naturalistische Modell ist reine Form und im Inhalt sehr flexibel. Sie verlangt auch nicht den empirischen Nachvollzug427. Die Modellvorstellung schließt es insbesondere nicht aus, einseitige Versprechensakte als obligatorisch bindend anzusehen. Der Schuldner unterstellt sich dem Gläubigerbefehl, den dieser zurücknehmen (zurückweisen) kann. Das Merkmal relationaler Bindung und das konsensuale Moment in der Pflichtbegründung sind auch mit einem Recht auf Zurückweisung des Versprechensempfängers erfass-

425 Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, 2. Aufl. 1867, S. 3 u. 126. Bähr sah darin die dogmatische Grundlage der prozessualen Feststellungsklage (die ursprünglich Anerkennungsklage genannt wurde). Nach heutigem Verständnis ist die Feststellungsklage nicht mehr auf einen Anerkennungsakt des Beklagten gerichtet, sondern beschränkt sich auf die Feststellung selbst, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., 1993, § 93 I, S. 518. 426 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 40 Rn. 7. 427 Bei der obligatio ex voluntate folgt die Bindung aus der Anerkennung des fremden Individualinteresses im Vertrag. Bei der obligatio ex lege folgt die obligatorische Rechtspflicht aus der (zu unterstellenden) Anerkennung der konkreten Individualinteressen der betroffenen Verkehrsteilnehmer und der daraus abgeleiteten gesetzlichen Befehle. Das ist keine empirisch prüfbare Voraussetzung, sondern die Modellannahme.

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bar (vgl. § 333 BGB)428. Der theoretische Kunstgriff des Modells besteht in der Virtualisierung des Verständnisses der Obligation. Der anerkannte Befehl ist wegen des Modellcharakters in erster Linie aber regulative Leitidee. An ihm kann sich die Schuldrechtsdogmatik im Sinne eines normativen Kontrollkriteriums für die Entstehung einer Forderung orientieren.

2. Strukturmerkmale der Leistungspflicht zur Abgrenzung und Integration außerrechtlicher Pflichten Die Strukturmerkmale der obligatorischen Leistungspflicht bilden die Abgrenzungskriterien gegenüber den von der Rechtsordnung nicht als Rechtspflichten anerkannten Verhaltensanforderungen. Diese sog. außerrechtlichen Pflichten sind moralischer, sozialer oder gesellschaftlicher Art. Der für sie verwendete Pflichtbegriff, insbesondere der schwer zu fassende Begriff der moralischen Pflicht muss für eine Abgrenzung gegenüber der Rechtspflicht nicht im Einzelnen feststehen429. Entscheidend ist allein die Betrachtung aus der Sicht des Rechts430. Die Naturalobligation entspricht den Kriterien einer rechtlichen Forderung431. Das gilt für die institutionalisierten Naturalobligationen, wie etwa Spiel und Wette (§ 762 BGB), aber auch für das Verständnis 428 Damit folge ich der Kritik der Pollizitationstheorie am Vertragsmodell, vgl. oben C. III. 1. b) cc) (3), S. 326. 429 Offen bleiben kann, ob rechtliche und moralische Normen strukturell unterscheidbar sind. Nach Ellscheid ist dies nicht der Fall. Rechtliche und sittliche Verbindlichkeiten seien zwar nach dem Motiv der Handlung zu unterscheiden (für Letztere aus Achtung vor dem Sittengesetz), aber die Pflicht bestehe unabhängig von der Frage, wie sich ihr Adressat zur Erfüllung motiviere. Moralität und Legalität bezögen sich auf die Handlung, nicht auf die Pflicht. Der rechtliche und der moralische Pflichtbegriff seien daher nicht zu unterscheiden (Ununterscheidbarkeitsgrundsatz), G. Ellscheid, Recht und Moral, in: Kaufmann/Hassemer/ Neumann (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 2004, S. 148, 223. Der Konflikt zwischen rechtlicher und moralischer Verbindlichkeit findet stattdessen innerhalb der Moral statt. Er werde als Konflikt zweier moralischer Verbindlichkeiten ausgetragen (ebd., S. 225, Fn. 24), ebenso N. Hoerster, Zum begrifflichen Verhältnis von Recht und Moral, in: Bubner/Cramer/Wiehl (Hg.), Neue Hefte für Philosophie Nr. 17, 1979, S. 77. 430 Das folgt aus den Erkenntnissen der Systemtheorie für moderne Rechtssysteme, die als Folge der Positivierung des Rechts nicht nur operativ, sondern auch normativ geschlossen sind. Eine Unmittelbargeltung der Moral im Recht ist daher ausgeschlossen. Aber die normative Geschlossenheit schließt kognitive Offenheit ein. Die kognitive Offenheit bezieht sich auf Sachverhalte außerhalb des Systems. Die Beobachtung erfolgt nach Kriterien, die durch gesetzliche Tatbestände, rechtliche Verfahren und juristische Methoden definiert sind und bezieht sie auf das Rechtssystem, Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 38 ff.; R. Dreier, Niklas Luhmanns Rechtsbegriff, ARSP 2002, 305, 311. 431 Der Begriff bezeichnet die mit der rechtlichen Forderung untrennbar verbundenen Eigenschaften, siehe oben C. II. 3. b), S. 277 u. Fn. 63.

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der sittlichen Pflicht im Sinne des BGB (§§ 534, 814 Hs. 2, 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1425 Abs. 2, 1641 S. 2, 1804 S. 2, 2113 Abs. 2 S. 2, 2205 S. 3, 2330 BGB) und ebenso für vereinbarte Pflichten, die dem Recht nach dem Parteiwillen nicht unterstellt werden sollen, wie etwa im Rahmen des sog. Gentlemen’s Agreements. Die Strukturmerkmale der Leistungspflicht bezeichnen zugleich die notwendigen Voraussetzungen für eine Anerkennung und Integration „außerrechtlicher Pflichten“ als sittliche Pflichten im Sinne des Rechts. Sie lassen sich als rechtliche Bedingungen für die Möglichkeit verstehen, außerrechtliche Verhaltensanforderungen auf der Leistungsebene in das Schuldrecht zu inkorporieren432. Die Inklusion und Exklusion normativer Erwartungen ist nach den durch das Recht vorgegebenen Merkmalen zu bestimmen. Damit geht es einmal um die Abgrenzung der rechtlichen Naturalobligation gegenüber „außerrechtlichen Pflichten“ und zum anderen um die Bedingungen, eine Verhaltensanforderung als Naturalobligation rechtlich zu integrieren. Folgende vier Strukturmerkmale der obligatorischen Leistungspflicht werden vorgeschlagen: Das bereits zuvor ausgearbeitete interpersonale, relationale Individualverhältnis (C. III. 1. c) bb), die Bestimmtheit der Leistung (nachfolgend a), die Unabweisbarkeit der Anforderung (nachfolgend b) und der unterstellbare Anspruch auf materiale Richtigkeit der Rechtsbehauptung (nachfolgend c).

a) Die Bestimmtheit der Leistungspflicht Die Obligation setzt die inhaltliche Bestimmtheit der Leistung sowie die Eindeutigkeit der bezeichneten Rechtslage voraus. Wie die zivilistische Forderung gebietet auch die naturale Forderung interpersonal ein ex ante bestimmtes oder bestimmbares Leistungsverhalten (§ 241 Abs. 1 BGB). aa) Unbestimmtheit als Kennzeichen moralischen Pflichthandelns (1) Äußere Unbestimmtheit In den Naturrechtslehren des 18. und 19. Jahrhunderts ist ein Kennzeichen unvollkommener Liebespflichten die Unbestimmtheit der geforderten Handlung, dagegen steht die Bestimmtheit für vollkommene Rechtspflichten433. 432 Der Pflichtbegriff umfasst auch sonstige Verhaltenspflichten, wie Sorgfaltspflichten und dgl. Sie werden über die Generalklauseln §§ 138, 157, 242, 826 BGB ebenfalls inkorporiert, jedoch nicht auf der Ebene einer Leistungspflicht, wie dies durch die „sittliche Pflicht“ etwa im Sinne der §§ 534, 814 Hs. 2 BGB der Fall ist. 433 Zur historischen Entwicklung dieses Aspekts von Johann Georg Sulzer (1720–1779) über Moses Mendelssohn (1729–1786) bis zu Kant („die Schuldigkeit hat ein bestimmtes maaß, die Liebespflicht keines“), vgl. oben B. I. 3. c) bb) (2), S. 118 ff.

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Das Bestimmtheitserfordernis trennt die Naturalobligationen von den moralischen Forderungen, die nicht abgrenzbar sind und deren nähere Bestimmung dem individuellen Gewissen des Pflichtigen überlassen bleibt. Wie Rechtsprechung und Schrifttum434 im Rahmen der Bestimmung von „sittlicher Pflicht und Anstandsrücksicht“ (§§ 534, 814 Hs. 2, 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1425 Abs. 2, 1641 S. 2, 1804 S. 2, 2113 Abs. 2 S. 2, 2205 S. 3, 2330 BGB) betonen, genügen Handlungen aus Nächstenliebe oder Barmherzigkeit nicht. Das Bestimmtheitskriterium ist aber auch nur ein eingeschränkt taugliches Abgrenzungskriterium zwischen moralischer und rechtlicher Pflicht, denn die „Bestimmbarkeit“ der Leistung durch den Pflichtigen genügt grundsätzlich zur Leistungsbestimmung. Ferner kann das Bestimmungsrecht auf eine Partei oder auf einen Dritten vertraglich übertragen werden (§§ 315, 317 BGB)435. Auch verliert umgekehrt eine unbestimmte moralische Leistungserwartung nicht ihren moralisch ethischen Gehalt durch Konkretisierung der Leistungspflicht436. Das Bestimmtheitserfordernis genügt als Abgrenzungsmerkmal für sich genommen daher nicht.

434 Dabei handele es sich um den Ausdruck allgemeiner sittlicher Empfindungen, was nicht genüge, BGH v. 9.4.1986 NJW 1986, 1926, 1927; BGH v. 11.7.2000 NJW 2000, 348; Staudinger/Cremer, BGB, 13. Bearb. 1995, § 534 Rn. 5; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Bearb. 2005, § 534 Rn. 7. 435 RG v. 11.12.1897, RGZ 40, 195, 199 (Verpflichtungen, deren Einhaltung in der nackten Willkür des Schuldners liegt, sind nichtig und erzeugen keine rechtliche Gebundenheit. Wohl aber solche, bei denen der Bestand oder das Maß der Obliegenheiten in das billige Ermessen des Schuldners gestellt ist). Der BGB-Gesetzgeber hat im Rahmen der §§ 315 ff. BGB entsprechend angenommen, dass eine Leistungsbestimmung nach Willkür schon die Verpflichtung des Schuldners als Essentiale des Vertrages ausschließt, Motive II, S. 192. Krit. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 35, der bei vereinbarter Schuldnerwillkür m. E. zu Unrecht einen Fall der Naturalobligation bejaht. Vgl. dazu unten C. IV. 4 c) aa) (4) S. 488. 436 Der Unterschied liegt dann nur in der Triebfederleerstelle des Rechts, die nicht moralisch ausgefüllt werden muss, Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts, in: Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 25. Das Recht verzichte auf jede Normierung der Ausführungsmotivation. Diese Leerstelle bleibe aber nicht nur für den Zwang offen, sondern ermögliche auch die Befolgung des Rechts aus Einsicht oder ethischer Überzeugung. Ebenso Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 894: „Ansatzpunkt für das Recht ist also nur die Frage, ob die Handlung selbst dem Gesetz entspricht, unabhängig von der Tatsache ob der Handelnde (aus Achtung für das Gesetz) also moralisch, oder nur aus Angst vor Bestrafung und wegen der Erwartung von Vorteilen, also pragmatisch gehandelt hat.“ Ähnlich Ellscheid, nach dem die Pflicht ganz unabhängig von der Frage bestehe, wie sich ihr Adressat zur Erfüllung motiviere. Ellscheid, Recht und Moral, in: Kaufmann/ Hassemer/Neumann (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. 2004, S. 148, 223.

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C. Systematischer Teil

(2) Unbestimmtheit als Folge intrinsischen Pflichthandelns Ist die äußerliche Unbestimmtheit nicht aussagekräftig, so muss weiter nach den Gründen der Unbestimmtheit gefragt werden. Kant hat die bis heute anerkannten Maßstäbe in dieser Frage gesetzt437. Er sieht den Grund für die Unbestimmtheit im Erfordernis intrinsischen Pflichthandelns. Das entscheidende Kennzeichen des ethischen Gebots ist die notwendig subjektive Triebfeder, es ‚aus Pflicht’ zu erfüllen. Der kategorische Imperativ und die moralischen Tugendpflichten beruhen auf subjektiver Maximenbildung438. Das ethisch Erforderliche ist nicht durch ein objektives Verfahren definierbar. Dieser prozedurale Ansatz gilt unabhängig von der Frage, was sachlich als das Gute identifiziert wird. Das ist etwa bei Kant allein der gute Wille439 sonst christliche Werte oder ökonomische Wohlfahrtsmaximen usf.440. Unerheblich ist auch, ob abstrakte Werte in Wertpositionen konkretisiert wurden. Die moralische Handlung ist aufgrund der Strebsamkeitsmaxime441 für den als gut ausgezeichneten Zweck notwendig unbestimmt442. Die Pflichterfüllungssituation bleibt arbiträr. Neben der Unbestimmtheit der Handlungsweise entsteht eine Unbestimmtheit der Quantität und Qualität. Immer ist eine Handlung denkbar, die noch verdienstvoller und dem Zweck angemessener erscheint oder die das Ziel weitgehender erreicht. Die moralische Pflicht ist insofern nicht bestimmbar443. 437 Die Aktualität der kantischen Rechtslehre wird allenthalben betont, etwa Hruschka, Kants Rechtsphilosophie als Philosophie des subjektiven Rechts, JZ 2004, 1085. 438 Der kategorische Imperativ lautet (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 421): „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde!“ Die Maxime muss somit tauglich für ein allgemeines Gesetz sein. Kant erläutert diese Maximenbildung in der Metaphysik der Sitten dahin: „Deine Handlungen mußt du also zuerst nach ihrem subjektiven Grundsatze betrachten; ob aber dieser Grundsatz auch objektiv gültig sei, kannst du nur daran erkennen, daß, weil deine Vernunft ihn der Probe unterwirft, durch denselben dich zugleich als allgemein gesetzgebend zu denken, er sich zu einer solchen allgemeinen Gesetzgebung qualifiziere“ (MdS S. 225), Hruschka, Die Würde des Menschen bei Kant, ARSP 88 (2002) 463, 468. 439 Als einzig materialer unbedingter Wert, Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 393: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein Guter Wille.“ 440 Zusammenstellung materialer Rechtsethiken bei von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, 210 ff. 441 Die allgemeine Strebsamkeitsmaxime lautet danach: Tue Gutes! Zum „ersten formalen Grund der Verbindlichkeit“ zähle: „Tue das Vollkommenste, was durch dich möglich ist“. Auf der anderen Seite stehen „die materialen Grundsätze der Verbindlichkeit“. Liebe den, der dich liebt, vgl. Hruschka, Die Person als ein Zweck an sich selbst. Zur Grundlegung von Recht und Ethik bei August Friedrich Müller (1733) und Immanuel Kant (1785). JZ 1990, 1, 13. Zur Unterscheidung nach den Triebfedern und dem moralischen Zweckprinzip, siehe oben B. I. 3 c) bb) (3) (b), S. 124f. 442 Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 894. 443 Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in:

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Die „sittliche Pflicht“, wie sie das Gesetz etwa in den §§ 814 Hs. 2, 534 BGB normiert, unterliegt dagegen dem Bestimmtheitserfordernis und fragt nicht nach einer subjektiven Motivation zur Pflichterfüllung. Was den Schuldner zur Leistung motiviert hat, bleibt unbeachtet. Leistungsinhalt und Umfang werden ex post durch gerichtliche Feststellung bestimmt. Die retrospektiv zu beurteilende Leistungsbewegung begrenzt den Leistungsumfang nach Art und Maß, weil nur die schon erfolgte Leistung Gegenstand einer möglichen sittlichen Pflicht sein kann. Die rückblickende Beurteilung der Leistungsbewegung legt den Pflichtumfang aber nur als Obergrenze fest. Eine konkrete Bestimmung durch das Gericht bleibt erforderlich. So hat etwa das OLG Karlsruhe einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung nach § 2325 Abs. 1 BGB im Hinblick auf eine Ehegattenschenkung teilweise stattgegeben. Die Privilegierung von Schenkungen aus sittlicher Pflicht (§ 2330 BGB) hielt es nur anteilig für berechtigt. Der Erblasser hatte seiner Ehefrau aufgrund der lebzeitigen Mitarbeit in seinem Betrieb ein Hausgrundstück geschenkt. Eine sittliche Pflicht habe hier aber nur im Umfange einer Beteiligung zur Hälfte bestanden444. bb) Unbestimmtheit als Kennzeichen unverbindlichen Handelns Das Bestimmtheitserfordernis grenzt die rechtliche Forderung nicht nur gegenüber der moralischen Forderung ab, sondern auch gegenüber unverbindlichen rechtsgeschäftlichen Handlungsakten. Das Bestimmtheitserfordernis ist ein Abgrenzungskriterium im Recht der Willenserklärung für die Fragen nach der Rechtserheblichkeit (Gefälligkeit), der Ernstlichkeit (Scherz- und Scheinerklärung) und dem geschäftsbezogen notwendigen Inhalt der Erklärung (Inhaltserfordernis). Unkonkrete und unbestimmbare Erklärungen, etwa aufgrund offener oder ungenauer Formulierungen, hindern die Entstehung obligatorischer Rechtsbindung. Auch die Naturalobligation kann nicht unbestimmt begründet werden.

Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 107; vgl. bereits oben C. I. 3. 444 OLG Karlsruhe v. 14.2.1990, OLGZ 1990, 457 f. Im Falle der Rückforderung eines unteilbaren Gegenstandes bei nur teilweiser Anerkennung als Sittenpflicht kann je nach Interessenlage entweder ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe des nicht als Pflichtschenkung zu bewertenden Teils der Leistung zuerkannt oder die Rückabwicklung Zug um Zug gegen eine der sittlichen Pflicht entsprechenden Leistung verlangt werden, Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, 2005, § 534 Rn. 15.

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(1) Bestimmtheit als Indiz für rechtsgeschäftliche Erheblichkeit und Bindung Die Bestimmtheit einer Erklärung ist für die Beurteilung bedeutsam, ob die Erklärung als rechtsgeschäftlich erheblich und ob sie als rechtlich bindend einzustufen ist. Beide Aspekte werden nicht immer klar unterschieden. Die bloße Erheblichkeit ist maßgebend für die Frage der Zurechnung eines Vertrauenstatbestandes445. Die Willenserklärung und der Vertrag setzen dagegen weitergehend auch den Rechtsbindungs- oder Rechtsgeltungswillen des oder der Pflichtigen voraus446. Die Unbestimmtheit lässt die Annahme eines pflichtenbegründenden Anerkennungsakts des Schuldners zweifelhaft erscheinen447. Im Sachbereich der Vertragsanbahnung fehlt es oftmals bereits an der Bestimmtheit der Erklärungshandlungen wie auch der Erklärungsinhalte448. Dem Bestimmtheitskriterium kommt hier Indizwirkung für die rechtliche Erheblichkeit (Zurechnung im Rahmen der gesetzlichen Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB) und für die rechtliche Bindung (Vertragsschluss, einseitige obligatorische Bindung) zu449. Das Indiz ist auf das „Ob“ der Erheblichkeit und der Pflichtbegründung gerichtet450. 445 Etwa für die Zurechnung von Haftungsfolgen im Rahmen der gesetzlichen Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB, vgl. etwa AnwK-BGB/Krebs, BGB, 2005, § 311 Rn. 37 ff. 446 Zu dem Erfordernis des Rechtsbindungswillens Staudinger/Bork, BGB, Bearb. 2003, Vorbem zu §§ 145 – 156 Rn. 79 ff., zu den subjektiven und objektiven Kriterien bei der Ermittlung eines Rechtsbindungswillens BGH v. 22.6.1956 NJW 1956, 1313 (Überlassung eines LKW-Fahrers aus Gefälligkeit). 447 Nach dem hier vorgeschlagenen Modell folgt die Rechtsbindung aus dem Anerkennungsakt des Schuldners, der ebenso Willensakt ist, der aber auf die fremde Forderung gerichtet ist und erst durch diesen Zusammenhang Bindung erzeugt. Zur Pflichtbegründung durch Anerkennung siehe oben C. III. 1. c) cc), S. 359 ff. 448 Zu den Formulierungsnuancen zwischen den sog. weichen und den sog. harten Patronatserklärungen Wolf, Die Patronatserklärung, 2005, S. 21 ff., der drei Gruppen von Patronatserklärungen unterscheidet: (1) Interzessionsunfähige Erklärungstatbestände, d.h. Kenntnisnahme-, Einverständnis-, Beteiligungs-, Managements-, Aushöhlungsverzichts- und moralische Gleichstellungsklauseln. (2) Interzessionsverdächtige Erklärungstatbestände, etwa der Verweis auf eine Geschäftspolitik oder auf die Finanzverantwortung oder die Erklärung, der Patron stehe jederzeit hinter einer anderen Gesellschaft oder der Patron mache sich für einen bestimmten Erfolg stark. (3) Interzessionsfähige Erklärungen, d.h. klare Ausstattungszusagen, ebd. S. 407. 449 Zur Indizwirkung des Bestimmtheitserfordernisses im Rahmen von Vertragsverhandlungen BGH v. 30.4.1992, NJW-RR 1992, 977, 978 (Architektenrahmenvertrag mit Bauübernehmer). 450 Die Feststellung der Rechtserheblichkeit bleibt eine objektivrechtliche Frage nach der Reichweite rechtsgeschäftlicher Erfassung, die nicht ausschließlich nach dem Willen der Parteien ausgerichtet werden kann, sondern eine Entscheidung des Rechts bedeutet, Willoweit, Schuldverhältnis und Gefälligkeit. Dogmatische Grundfragen, JuS 1984, S. 909, 916; Überblicke über die Rechtsprechung etwa ders., Die Rechtsprechung zum Gefälligkeitshandeln, JuS 1986, 96 ff.; ebenso Hepting, Erklärungswille, Vertrauensschutz und rechtsgeschäftliche Bindung. In: Die Mitglieder der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln (Hg.), FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600–Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209, 232; Beispiel für eine objektivrechtliche Beurteilung etwa Maier, Gefälligkeit

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Unbestimmte Erklärungsinhalte können gleichwohl Auswirkungen etwa auf die Risikoverteilung innerhalb eines Vertrages haben. So hat das OLG Nürnberg451 die Erklärung eines Tankstellenverpächters bei Vertragsschluss, er werde den Pächter „nicht im Regen stehen lassen“ als Bekundung eines „goodwill“ und die Absprache als ein Gentlemen’s agreement eingestuft. Die Aussage bezog sich auf den Fall einer möglichen künftigen Autobahneröffnung und die sich daraus ergebenden Umsatzeinbußen für den Tankstellenbetrieb. Die rechtsgeschäftlich zu unbestimmte Zusage könne als Bestandteil der dem Vertrag zugrunde liegenden Geschäftsgrundlage angesehen werden und deshalb die Risikoverteilung verändern. Daraus folgert das OLG ein Recht des Pächters auf Vertragsanpassung (Minderung des Pachtzinses) 452. Das Bestimmtheitserfordernis wurde hier durch eine Geschäftsgrundlagenabrede richterrechtlich überwunden. Eine Naturalobligation, den Vertrag anzupassen liegt nicht vor. (2) Bestimmtheit als Indiz für Ernstlichkeit (Schein- und Scherzerklärung) Bestimmtheit ist ein Indiz für die Feststellung der Ernstlichkeit einer Willenserklärung. Dogmatisch wird die Ernstlichkeit von der Feststellung des Rechtsbindungswillens mit erfasst453. Eigenständige Bedeutung hat sie in den Fällen von Schein- und Scherzerklärungen (§§ 117 Abs. 1, 118 BGB). Besonders ausgeprägt ist das Interesse an der Feststellung ernstlicher Erklärungen im Steuerrecht. Wegen der Gefahr von Scheingeschäften sind Verträge zwischen nahen Angehörigen ertragssteuerlich nur anzuerkennen, wenn die Vereinbarungen zivilrechtlich wirksam sind, klare und eindeutige Bestimmungen enthalten, ihre Gestaltung dem zwischen Fremden Üblichen entspricht und sie auch tatsächlich durchgeführt werden (sog. ertragssteuerlicher Vertragsbegriff) 454. Das Ernstlichkeitserfordernis gilt entsprechend auch für die rechtsgeschäftliche Begründung einer Naturalobligation.

und Haftung. LG Kiel, NJW 1998, 2539, JuS 2001, 746 (Tischreservierung als rechtlich bindender Vertrag). 451 OLG Nürnberg v. 11.8.2000 NJW-RR 2001, 636, 637. Vgl. dazu unten C. V. 4. a) bb) (2), S. 601f. 452 Das Rentabilitätsrisiko werde durch das Gentlemen’s Agreement als „vereinbarte Geschäftsgrundlage“ auf den Verpächter verlagert, OLG Nürnberg, a.a.O., S. 637. 453 Historisch Dilcher, Die Willenserklärung nach dem preußischen ALR „frei, ernstlich und zuverlässig“. In: Kleinheyer, Mikat (Hg.): Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad. 1979, S. 85, 95. 454 BFH v. 3.3.2004, NJW 2004, 2997 – Fehlender Rechtsbindungswille bei Versorgungsvertrag zwischen nahen Angehörigen.

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(3) Bestimmtheit als Inhaltserfordernis Das „Wie“ der Handlungsausführung muss bestimmbar sein und den Inhalt einer gewollten Rechtsbindung festlegen. Aufgrund dieses Inhaltserfordernisses hat das LG München I einer eindeutig gefassten und bindend gewollten sog. „harten“ Patronatserklärung455 die Anerkennung versagt, weil die konkrete Schuld des Patrons nicht bestimmbar sei. Es hat aufgrund des Bestimmtheitsmangels ferner § 138 BGB als erfüllt angesehen und die Nichtigkeit der Erklärung „wegen Suggestivwirkung“ angenommen456. Bestimmtheit ist hier Inhaltserfordernis rechtsgeschäftlichen Handelns, das zugleich die notwendige Voraussetzung für den Rechtsschutz bildet457. Allerdings genügt die Bestimmbarkeit, an deren Vorliegen in der Regel keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. So hat das OLG Frankfurt a.M. Aussagen des Vorstandssprechers einer deutschen Großbank im Rahmen eines Medieninterviews als bindende Zahlungszusagen gegenüber den Gläubigern eines Konkursschuldners bewertet458. Ebenso hat der BGH die Aussage, der Lieferant „bekomme sein Geld“ als Garantievertrag verstanden und die Bestimmbarkeit aus den Umständen des Einzelfalles bejaht459. cc) Der unverbindliche Vertrag (Vertrag ohne Forderung) Zwischen der Wirksamkeit des Vertrages und der Wirksamkeit der aus dem Vertrag entstehenden Forderungen wird zumeist nicht unterschieden. Das bedarf im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis der Differenzierung. Willenserklärung und Vertrag müssen auf einen bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Leistungsinhalt gerichtet sein. Die Unbestimmtheit der Leistungspflicht hat regelmäßig die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge. Dieses Grund-Folge-Verhältnis kennt aber Ausnahmen. Wie die §§ 315 ff. BGB zeigen, ist die Wirksamkeit des Vertrages von der Wirksamkeit der Forderung gedank455 LG München I v. 2.3.1998, WM 1998, 1285: einseitig verpflichtender unechter Vertrag zu Gunsten Dritter. 456 LG München I v. 2.3.1998, WM 1998, 1285, 1286. 457 Zur materiellrechtlichen Grundlage des prozessualen Bestimmtheitserfordernisses des § 253 Abs. 2 ZPO Wagner, Rudolph von Jherings Theorie des subjektiven Rechts und der berechtigten Reflexwirkungen. AcP 193 (1993) 319, 327 (Jherings Deutung des subjektiven Rechts): Wo die Klage anfängt unausführbar zu werden, hört die Möglichkeit des zivilrechtlichen Schutzes der Interessen auf. Jede Entscheidung setze voraus, dass Parteien und Streitgegenstand hinreichend bestimmt seien und die Anspruchsvoraussetzungen mit den üblichen Mitteln nachgewiesen werden könnten. 458 OLG Frankfurt v. 27.6.1996 NJW 1997, 136 f. (Fall Schneider). 459 BGH v. 18.6.2001, NJW-RR 2001, 1611, 1612. Das OLG Nürnberg v. 11.8.2000 NJWRR 2001, 636, 637 hielt die Aussage des Klägers, er werde den Beklagten „nicht im Regen stehen lassen“ für eine „good will“-Erklärung und wertete sie als eine Geschäftsgrundlagenregelung (Gentlemen’s Agreement).

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lich zu trennen. Die Delegation der Leistungsbestimmung an eine Partei oder an einen Dritten hindert nicht die Entstehung und die Wirksamkeit des Vertrages. Der Vertrag erlangt bereits vor der Ausübung des Bestimmungsrechts Geltung. Die noch unbestimmte, wie auch die (offenbar) unbillige Leistungsbestimmung, stehen dem Vertrag nicht entgegen. Die Unbestimmtheit hindern dagegen aber die Entstehung der Forderung. Diese ist, wie die §§ 315 Abs. 3 S. 1, 319 Abs. 1 S. 1 BGB formulieren, „nicht verbindlich“. Dem Vertrag fehlt (vorübergehend) die primäre Leistungspflicht. Eine Spielart des unverbindlichen (aber wirksamen) Vertrages ist der sog. Vertrag ohne primäre Leistungspflicht. Er ist als dogmatische Kategorie ebenfalls anerkannt460. So stellt der Rahmenvertrag (Mantelvertrag) nach herrschender Lehre einen solchen Vertrag ohne primäre Leistungspflicht dar461. Durch den Rahmenvertrag legen die Parteien Einzelheiten künftiger Verträge fest, ohne dass diese Verträge dadurch bereits so bestimmt oder bestimmbar sind, dass auf ihren Abschluss geklagt werden kann. Sie dienen der Regelung einer auf Dauer angelegten Geschäftsverbindung, ohne bereits primäre Leistungspflichten zu begründen462. Ein bedeutender Anwendungsfall ist etwa der sog. allgemeine Bankvertrag. Die ablehnende Entscheidung des Bundesgerichtshofs463 bedeutet hier aber weder eine Absage an Rahmenverträge im Allgemeinen noch für den Bereich des Bankrechts im Besonderen464. Sie zeigt jedoch 460 Die dogmatische Gestalt eines Vertrages ohne primäre Leistungspflicht geht zurück auf Larenz, Entwicklungstendenzen der heutigen Zivilrechtsdogmatik, JZ 1962, 105, 109, der bestimmte Fälle der cic als Verträge ohne primäre Leistungspflichten erfasst. 461 BGH v. 30.4.1992 NJW-RR 1992, 977, 978 – Architektenrahmenvertrag mit Bauübernehmer. Die Gegenposition zum Rahmenvertrag vertritt Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 22: Rahmenverträge würden als Vorwegnahme des Inhalts künftiger Einzelverträge erst mit den später abgeschlossenen Einzelverträgen wirksam werden. Sie werden danach für sich genommen nicht anerkannt. Eine Bindung gehe von Rahmenverträgen nur insoweit aus, als die Parteien bei Abschluss des Einzelvertrages den Inhalt des Rahmenvertrages gelten lassen müssten. 462 Der Rahmenvertrag soll dennoch auch eigenständig bindende Rechtsfolgen enthalten, BGH v. 23.4.1991 BGHZ 114, 238, 241 f. = NJW 1991, 1886 (Kreditkartenvertrag zwischen einem Verbrauchermarkt und dessen Kunden gibt letzterem einen Anspruch auf Verhandlungen zum Abschluss eines Kreditkaufs); BGH v. 30.4.1992 NJW-RR 1992, 977, 978 (Verhandlungsvorhand: Anspruch auf Aufnahme von Vertragsverhandlungen über den Abschluss von Architektenverträgen); BGH v. 14.5.2000 WM 2000, 1198; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2001, Vor § 145 Rn 29. Ein Rahmenvertrag wird auch für Rahmenvereinbarungen über die Einbeziehung von AGB gem. § 305 Abs. 3 BGB bejaht, vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 2 Rn 52; Canaris, Bankvertragsrecht, 4. Aufl., 2005, Rn 2500. 463 Aufgabe dieser dogmatischen Figur durch BGH v. 24.9.2002 BGHZ 152, 114 = NJW 2002, 3695 = WM 2002, 2281, krit. Köndgen, Die Entwicklung des privaten Bankrechts in den Jahren 1999 – 2003, NJW 2004, 1288, 1289. Zur Diskussion instruktiv Markus Roth, Der allgemeine Bankvertrag, WM 2003, 480, 482. 464 So wird etwa der Krediteröffnungsvertrag weiterhin als Rahmenvertrag anerkannt (Grundvertrag), durch den sich der Kreditgeber zur Kreditgewährung bis zu einer bestimmten Höhe (Kreditrahmen) nach Abruf verpflichtet. Krediteröffnungsvertrag und einzelne

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exemplarisch, dass diese Verträge eine nicht unumstrittene Weiterung des Vertragsbegriffs darstellen. Die Entstehung zumindest einer bestimmten vertraglichen Forderung ist mit anderen Worten grundsätzlich auch Wirksamkeitsbedingung für den Vertrag465. Ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht entsteht nach der Schuldrechtsreform allerdings nun bereits kraft Gesetzes und zwar in den Fällen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit, § 311 a Abs. 2 BGB466. Trotz fehlender Forderungen entstehen wirksame Verträge. Das Bestimmtheitserfordernis gilt daher nur für die Forderung. Die Unbestimmtheit hindert die Forderungsentstehung, nicht aber notwendig die Vertragsentstehung. Die Rede von einer unverbindlichen Forderung bedeutet dagegen einen Selbstwiderspruch467. Eine unverbindliche Verbindlichkeit gibt es nicht. Daher kann auch die Naturalobligation nicht unverbindlich sein. Weitere Rechtsverhältnisse ohne Leistungspflicht sind anerkannt. So etwa das arbeitsrechtliche „Einfühlungsverhältnis“468, bei dem Dienste unentgeltlich erbracht werden, um die Arbeitswelt oder den konkreten Betrieb kennen zu lernen. Zweck des Einfühlungsverhältnisses ist unter anderem die Klärung der Frage, ob der Bewerber in den Betrieb passt. Einfühlungsverhältnisse ermöglichen es den Parteien, die Voraussetzungen einer Zusammenarbeit unverbindlich zu klären, was in der Praxis oft zu dem Abschluss eines ArbeitsKreditgeschäfte innerhalb seines Rahmens sind rechtlich getrennt. Der Krediteröffnungsvertrag richtet sich auf Gelddarlehen und unterliegt selbst den §§ 488 ff BGB; er kann sich aber auch auf Akzeptkredite ua richten und enthält dann bereits Elemente des jeweiligen Vertragstyps (§§ 488 ff, 675 I, 433 ff BGB, Garantievertrag ua). Der Krediteröffnungsvertrag kann auch stillschweigend zustande kommen. Allerdings noch nicht durch bloße Zulassung einer vertragswidrigen Kontoüberziehung oder Einlösung eines ungedeckten Schecks, vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 32. Auflage 2006, BankGesch (7) Rn. G 2. 465 Die Trennung von Vertrag und Forderung stammt aus dem klassischen römischen Recht. Der Vertrag als Mutterverhältnis gebiert die Forderung, wie Gaius annahm, gleichsam naturgesetzlich (obligatio ex contractu nascitur), Behrends, Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassisch-republikanischen Verfassungsdenken, in: Behrends/Sellert (Hg.), Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 9, 69. 466 Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 506; Jauernig/ Stadler, BGB, 12. Aufl. 2007, § 311 a Rn. 4. 467 Dem entspricht auch die Annahme, dass sowohl die Leistungsbestimmung durch eine Vertragspartei als auch eine solche durch das Gericht einen Gestaltungsakt und das Bestimmungsrecht ein Gestaltungsrecht darstellen, vgl. grundlegend Kronke, Zur Funktion und Dogmatik der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, AcP 183 (1983) 113, 142 f. 468 Das „Einfühlungsverhältnis“ (auch Schnupperverhältnis genannt) ist vom Probearbeitsverhältnis zu unterscheiden, weil es ohne Arbeitspflicht und ohne Vergütungsanspruch besteht. Entsprechend fehlt das Direktions- und Weisungsrecht, Maties, Generation Praktikum. Praktika, Einfühlungsverhältnisse und ähnliche als umgangene Arbeitsverhältnisse? RdA 2007, S. 135, 141 f.; Löw, Das Einfühlungsverhältnis, RdA 2007, S. 124; Richardi, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Rn 53; Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2006, § 611 BGB Rn 181 ff.

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verhältnisses führt469. Das unentgeltliche Probearbeiten zeichnet sich gegenüber der Vielzahl anderer flüchtiger Arbeitsverhältnisse durch das Fehlen von Pflichten zu Leistung und Gegenleistung aus. Der Bewerber ist lediglich dem Hausrecht des Arbeitgebers unterworfen470. Die rechtliche Einordnung des Einfühlungsverhältnisses als „vertraglich vereinbartes verlängertes Bewerbungsverfahren“ ist der jeder Systematisierung entratenden Annahme eines „losen Arbeitsverhältnisses eigener Art“ überlegen471 und reiht sich damit in die Gruppe der Verträge ohne primäre Leistungspflicht ein. Ebenso dürfte die Vereinbarung einer Probefahrt beim Gebrauchtwagenkauf472 sowie die Absprache innerhalb einer Lottospielgemeinschaft, dass einer der Mitspieler den Wettschein ausfüllen und einreichen soll, um dadurch den Wettabschluss für die Spielgemeinschaft zu tätigen473 zu den Verträgen ohne primäre Leistungspflicht zählen. Die Rede von einem unverbindlichen oder nichtverbindlichen Rechtsgeschäft ist möglich, zugleich aber auch mehrdeutig. Gemeint sein kann einer der vorbeschriebenen Fälle, d.h. ein wirksames Rechtsgeschäft bei noch unbestimmter oder fehlender Forderung, etwa ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht. Ebenso kann es sich aber um ein mangels Bestimmtheit unwirksames Rechtsgeschäft handeln (Nicht-Rechtsgeschäft). Der Ehemaklervertrag sowie Spiel- und Wettverträge werden mitunter als unverbindliche oder nichtverbindliche Rechtsgeschäfte bezeichnet474. An der Vertragswirksamkeit und an der Bestimmtheit der Forderungen bestehen in diesen Fällen allerdings keine Zweifel. Versteht man §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB als ein Verbot der Forderungsentstehung, handelt es sich um Verträge, aus denen kraft Gesetzes keine Leistungspflichten entstehen und die zu der Fallgruppe der Verträge ohne primäre Leistungspflicht zählen. Nach hier vertretener Auffassung folgen aus diesen Verträgen Leistungspflichten in Form von Naturalobligationen, so dass die

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Löw, Das Einfühlungsverhältnis, RdA 2007, S. 124, 125. Maties, Generation Praktikum. Praktika, Einfühlungsverhältnisse und ähnliche als umgangene Arbeitsverhältnisse? RdA 2007, S. 135, 142. 471 Zutreffend und mN Maties, (vorherige Fußn.), ebd. 472 BGH v. 19.3.1968 DAR 1968, 239, 240 (Haftung aus cic); MünchKomm/Emmerich, BGB, 4. Aufl. 2003, § 311 Rn. 93 (wechselseitige Schutz- und Obhutspflichten bei Vereinbarung einer Probefahrt mit einem Kraftfahrzeugverkäufer, §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2). 473 BGH v. 16.5.1974 NJW 1974, 1705. Der BGH verneint die Leistungspflicht des beauftragten Mitspielers, obgleich durchsetzbare Ansprüche auf Bezahlung des Spieleinsatzes und auf Auszahlung eines Gewinnanteiles anerkannt werden. Grundlage ist die Auslegung der Vereinbarung und ergänzend eine nach § 242 BGB vorzunehmende Interessenabwägung („Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Verkehrssitte“), die gegen eine Verpflichtung sprach (ebd. 1706). 474 Ohne Problematisierung Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 439 (unverbindliche aleatorische Verträge); ebenso unter Hinweis auf den Wortlaut des § 763 BGB MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. 470

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Anomalie eines forderungslosen Vertrages an dieser Stelle vermieden werden kann475. Die „Unverbindlichkeit“ eines wirksamen Rechtsgeschäfts soll überdies eine eigenständige rechtliche Kategorie bilden476. Nach Auffassung von Stephan Lorenz lässt sich der „unverbindliche Vertrag“ als Sonderfall des Schutzes vor dem unerwünschten Vertrag verstehen477. Die Unverbindlichkeit stehe als besonderes Rechtsinstitut zwischen der Nichtigkeit und der Anfechtung. Charakteristikum des unverbindlichen Vertrages sei – in Abgrenzung zur Naturalobligation – die Einseitigkeit der Unverbindlichkeit. Eine Partei könne sich auf die Unverbindlichkeit berufen, müsse dies aber nicht. Damit handele es sich um einen Sonderfall der Anfechtung, die sich von dieser aber dadurch unterscheide, dass die Berufung auf die Unverbindlichkeit kein Gestaltungsrecht darstelle und damit nicht fristgebunden sei478. Die von Lorenz beschriebene Unverbindlichkeit trennt nicht zwischen Vertrag und Forderung. Lorenz spricht vom „unverbindlichen Vertrag“. Genauer betrachtet fehlt es in diesen Fällen an der Forderung. Es geht also auch hier um wirksame Verträge ohne (primäre) Leistungspflichten. Sie kann man als unverbindliche Verträge bezeichnen. Die Lorenz’sche Unterteilung in einseitige und zweiseitige Unverbindlichkeit überzeugt allerdings nicht, weil die Naturalobligation keinen Fall einer zweiseitigen Unverbindlichkeit darstellt. Die Obligation ist nach ihrer Struktur und systematischen Stellung per se immer nur einseitig verpflichtend. Die Unverbindlichkeit zwischen der Nichtigkeit und der Anfechtbarkeit zu verorten ist also mindestens erläuterungsbedürftig. Sie bezieht sich auf das fehlende Forderungsrecht aus einem gleichwohl wirksamen Rechtsgeschäft. Die Trennung von Forderung und Rechtsgeschäft ermöglicht es, die Gebundenheit (Verbindlichkeit) unabhängig von der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu betrachten479. Die Dichotomie Zivil- und Naturalobligation, also die Trennung von erzwingbaren und nicht erzwingbaren Forderungen, erlaubt es dage475

Zu den Vorteilen dieser Sichtweise näher unten C. IV. 5. c) aa), S. 522. Unverbindlichkeit als dogmatische Kategorie neben der Nichtigkeit, Canaris, Grundrechte und Privatrecht. AcP 184 (1984) 201, 233 und 241; Frenz, Die Verfassungsmäßigkeit von Zahlungspflichten bis ans Lebensende, JR 1994, 92, 96; St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 86. 477 St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 86: „Die Unverbindlichkeit stellt einen legislatorischen Sonderfall und damit einen besonderen Schutz vor dem ‚unerwünschten‘ Vertrag dar.“ 478 St. Lorenz, (vorherige Fn.), S. 87: „Zu nennen ist hier nur die Vorschrift des § 74 a HGB, welche das vertragliche Wettbewerbsverbot unter bestimmten Voraussetzungen für unverbindlich erklärt. Interessant ist aber – insbesondere de lege ferenda – die diesem Mechanismus zugrunde liegende Schutzfunktion, welche u.U. einer Ausweitung insbesondere im Bereich der vertraglichen Selbstbeschränkung fähig sein könnte.“ 479 Auf den Sinn einer solchen Differenzierung weist Medicus im Zusammenhang mit Leihmutterverträgen hin. Er spricht sich gegen eine Sittenwidrigkeit und für eine mögliche Anerkennung als Gentlemen’s Agreement aus, Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen 476

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gen, über die Zu- und Aberkennung von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung je verbindlicher Forderungen zu entscheiden. Die Rechtsfigur Naturalobligation und die mit ihr eingeführte Differenz zwischen Bindung und Zwang darf nicht mit der Unterscheidung zwischen Wirksamkeit und Bindung vermengt. Es wäre sachlich falsch und nach dem Satz des Widerspruchs unsinnig, die Naturalobligation als unverbindlich zu bezeichnen.

b) Die Unabweisbarkeit der Forderung (Schuldigkeit) Die Unabweisbarkeit der Forderung folgt aus dem Leistungsbefehl bei gleichzeitigem Fehlen von Einwendungen. Der Leistungsbefehl ist von keiner Voraussetzung abhängig, er ist unbedingt und gebietet kategorisch. Gegen ihn können Gegengründe nicht (mehr) erhoben werden. Die Forderung kann von dem Pflichtigen also nicht aus Gründen zurückgewiesen werden; sie ist unabweisbar. Schwächere und stärkere Pflichten, wie sie als supererogatorische Handlungen im Bereich der Ethik diskutiert werden, sind im Zivilrecht bislang nicht rezipiert worden. Fraglich ist, ob sie von der Naturalobligation konstruktiv erfasst werden. Das erscheint im Hinblick auf die sittliche Pflicht und die Anstandsrücksicht nicht ausgeschlossen. aa) Unabweisbarkeit bei sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht (Sanktionshypothese) Die Unabweisbarkeit einer durch den Richter festzustellenden sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht ist nicht einfach zu ermitteln. Die Rechtsprechung begnügt sich meist mit floskelhaften Feststellungen, wonach das Unterlassen der Leistung als anstößig oder als Verfehlung gewertet werden würde480. Dahinter steht die dem Gericht für den Einzelfall überlassene Bestimmung, ob eine unabweisbare Verhaltensanforderung gegenüber dem Leistenden nach den Vorstellungen und den Erwartungen der beteiligten Verkehrskreise bestand. Der Pflichtcharakter kann dabei etwa an einhellig erfolgende adverse Reaktionen im Falle des Ausbleibens der Leistung festgemacht werden. Dazu muss nach der hypothetischen Reaktion auf ein Ausbleiben der Leistung gefragt werden481. bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 306 f.; Henke, Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts, 1991, S. 24. 480 Vgl. nachfolgende Fußnote. 481 BGH v. 11.7.2000, NJW 2000, 3488 (Ausbleiben sittlich anstößig); BGH NJW 1986, 1926 (Versagung von Hilfe gegenüber Not leidenden Geschwistern anstößig); OLG Karlsruhe v. 14.2.1990 OLGZ 1990, 457, 461 (gilt in weiten Bevölkerungskreisen als ein Gebot anständigen Verhaltens unter Eheleuten); BayObLG v. 24.5.1996, FamRZ 1996, 1359, 1360 (ob das Unterlassen der Schenkung dem Betreuten als Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht zur Last zu legen wäre). Abgeschwächt auch bei der Anstandsschenkung: BGH v. 29.11.1980, NJW 1981, 111 u. BayObLG v. 8.10.1997, FamRZ 1999, 48 (Die Schenkung darf nach den An-

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Grundlage dieser Sanktionshypothese ist die Annahme, die implizite Beurteilung einer Handlung als korrekt oder inkorrekt manifestiere sich gesellschaftlich typischerweise in der Anwendung einer positiven oder negativen Reaktion bzw. Sanktion. Das adverse Handeln der Akteure legt deren normative Einstellungen implizit offen. Das erzeugt gesellschaftliche Normen und drückt sie implizit aus. Die normativen Einstellungen finden ihren genuinen praktischen Ausdruck danach im sozialen Verhalten des sanktionierenden Reagierens482. Eine solche Sanktionshypothese bleibt mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Sie wird weitestgehend freier richterlicher Bewertung überlassen. Im Bereich des Sittenwidrigkeitsurteils nach §§ 138 Abs. 1, 826 BGB und entsprechend auch in der Praxis in Bezug auf die Bejahung oder Verneinung sittlicher Pflichten und Anstandsrücksichten fehlt es weithin an klaren Kriterien483. Ob der Richter in diesen Bereichen zur Rechtsfortbildung als ermächtigt anzusehen ist, ist eine nicht unproblematische, aber weithin akzeptierte Frage. Im Rahmen der Inhaltskontrolle von Verträgen (§ 138 BGB) seien die Gerichte aufgerufen und legitimiert, rechtsfortbildend Sittennormen zu entwickeln, mit deren Hilfe alle rechtlich zu missbilligenden Rechtsgeschäfte zu erfassen sind, für die es noch keine speziellen gesetzlichen Regelungen gibt 484. An dieser Stelle soll keine Kritik an der bestehenden richterlichen Praxis zu §§ 138, 826 oder § 814 Hs. 2 BGB unternommen werden. Die sittliche Leistungspflicht des § 814 Hs. 2 BGB gab schon aufgrund ihrer eher geringen praktischen Bedeutung ersichtlich noch keinen Anlass zu Kritik. Hier soll es vielmehr um ein klareres theoretisches Verständnis der rechtlichen Strukturbegriffe „sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht“ gehen. schauungen der mit dem Schenkenden sozial gleichgestellten Kreise nicht unterbleiben können, ohne daß der Schenkende eine Einbuße in der Achtung und Anerkennung dieser Kreise erleiden würde). 482 Knell, Die normativistische Wende in der analytischen Philosophie, AllgZPhil 2000, S. 225, 235; Pflichtkonstitution durch Sanktionsreaktionen etwa bei E. Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, S. 43, 48, 59; P. Stemmer, Moralischer Kontraktualismus. ZPhilF 56 (2002) 1, 12 f. (soziales Sanktionensystem); zu den Formen unterteilt in Selbst- und Fremdaffekte ders., Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung. 2000, 143, 145. 483 Eine rationalisierende Funktion soll durch die sog. Anstandsformel zu erreichen sein, wonach auf das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ abzustellen ist. Damit lässt sich eine zu starke Orientierung an den persönlichen Wertvorstellungen des erkennenden Richters zurückdrängen und auch gesellschaftliche Unsitten könnten so herausfiltert werden, AnwK-BGB/Looschelders, BGB, 2005, § 138 Rn. 35 – 38. In die selbe Richtung geht der Vorschlag von Sack, das Merkmal gute Sitten objektiv zu bestimmen und zwar so, wie sie vom Richter als Repräsentanten der gerecht und billig Denkenden verstanden wurde, Sack, Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB, NJW 2006, 945, 949; Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 22 (Objektiv zu bestimmende heteronome Rechts- und Sozialmoral). 484 So zur rechtsfortbildenden Funktion des § 138 BGB, Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 37 (Rechtsfortbildung durch Interessenabwägung); MünchKomm/Mayer-Maly/ Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 3.

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bb) Supererogatorische Handlungen (Schwächere und stärkere Pflichten) Die sog. Supererogation meint die gute und angeratene sowie die weniger gute und abgeratene Handlung. Die Verhaltensweise einer Person geht über das hinaus, was ihr von Recht und Ethik abverlangt wird. Sie ist supererogatorisch (heldenhaft, lobsam, belohnbar)485. In rechtstheoretischer Betrachtung geht es um den deontologischen Status derjenigen Handlungen, die weder geboten noch verboten sind, bei denen wir uns aber auch scheuen, sie einfach als indifferente Handlungen zu bezeichnen486. Unterhalb der Schwelle des Notwendigen steht das Ratsame (Freundlichkeit, Kollegialität, Anstandsregeln aus sozialer Konvention)487. Aufgegriffen wird damit eine scholastische Tradition488, die von Kant dahin zusammengefasst wurde:489 „Was jemand pflichtmäßig mehr tut, als wozu er nach dem Gesetze gezwungen werden kann, ist verdienstlich (meritum); was er nur dem letzteren angemessen tut ist Schuldigkeit (debitum); was er endlich weniger tut, als die letztere fordert, ist moralische Verschuldung (demeritum). Der rechtliche Effekt einer Verschuldung ist die Strafe (poena); der einer verdienstlichen Tat Belohnung (praemium) (vorausgesetzt, dass sie im Gesetz verheißen, die Bewegursache war).“

Der eingeführte Begriff eines Ratschlags oder einer Empfehlung tritt neben die geschuldete obligatorische Pflichthandlung. Der Ratschlag ist nichtobligato485 Eine solche Handlung verliert ihren verdienstvollen Zug nicht notwendig bereits dann, wenn sie unter Verletzung rechtlicher Handlungsschranken vorgenommen wurde. Beispiel hierfür ist etwa die Verhaltensweise des Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner, als er zur Rettung eines entführten Kindes Foltermaßnahmen androhen ließ; vgl. dagegen H. Prantl, Rettungsfoltern – Die Bewährung des Rechtsstaats in der Stunde der Not, SZ v. 19.11.2004, S. 13. Die Handlung bleibt rechtswidrig und ist dennoch verdienstvoll. Damit wäre das Verhalten weiterhin als verboten, aber zugleich als nicht strafwürdig einzustufen gewesen. Bei der supererogatorischen Handlung geht es auch nicht um eine Übererfüllung von Rechtspflichten, Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 117. Die Mehrleistung müsse moralisch verdienstvoll sein: Das meritorische Mehr liege in der Bereitschaft zu aktiver Mitmenschlichkeit. 486 Hruschka, Das deontologische Sechseck in der Jurisprudenz, in: Krause (Hrsg.), GS für Wolfgang Blomeyer. 2003, S. 775, 788; Joerden, Logik im Recht, 2005, S. 217. 487 Köhl, Praktische Notwendigkeiten und moralisches Verpflichtetsein, PhilJhrb 110 (2003) 1, 8: Solche moralischen Erwartungen stehen gewissermaßen als „leise“ moralische Forderungen im sozialen Raum. Für eine Aufnahme der sittlichen Pflicht und der Anstandsrücksicht als schwaches rechtliches Gebot Heck, Grundriss des Schuldrechts, 1929, § 24, 5. 488 Sie sind theologischen Ursprungs (opera debita: praecepta und opera supererogatoria: consilia). Die evangelische Theologie hat die Möglichkeit, Extra-Verdienste erwerben zu können, bekämpft, vgl. D. Heyd, Supererogation, Cambridge 1982, chapter 2; Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 118 u. Fn. 86; P. Stemmer, Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung. 2000, S. 318 ff. 489 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hrsg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 334 (AB 31)

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risch, weil er deren Notwendigkeitsfixierung aufbricht490. Die Befolgung des Ratschlags ist von der wertenden Beurteilung des Adressaten abhängig und in seine freie Entscheidung gestellt491. Beispiele sind die Rettung von Leben unter eigener Lebensgefahr oder die Hilfe für Arme und Kranke. Die Nichtbefolgung bedeutet mithin keinen Regelverstoß. cc) Anstandsrücksicht als supererogatorische Handlung? Eine Forderung anzuerkennen, sie aber nicht mit rechtlichen Zwangsmitteln zu bewehren, könnte statt für die Obligation für die Supererogation als schwächere Verpflichtungsform sprechen. Die Naturalobligation verstanden als supererogatorische Handlung bekäme damit einen anderen Pflichtenstatus zugeschrieben. Die Erfüllungshandlung wäre nicht obligatorisch bindend, sondern supererogatorisch angeraten. Das Kennzeichen der supererogatorischen Handlung besteht darin, dass die Ausführung der wertenden Beurteilung des Pflichtigen anheim gestellt ist492. Der eigene Bewertungsspielraum bleibt bis in das Stadium des Handlungsvollzuges gewahrt. Vermeiden lässt sich damit das sanktionslose Unrecht, das in einem obligatorischen Schuldmodell mit der Entwaffnung des Gläubigers droht. Zwar kann auch dort der Schuldner selbst entscheiden, ob er die Pflicht erfüllt. Er darf aus rechtlicher Sicht aber nur eine bejahende Entscheidung treffen und wird damit in eine Recht-Unrecht-Alternative gedrängt. (1) Die Pflichtstruktur der Anstandsrücksicht gegenüber der sittlichen Pflicht Der Gesetzgeber ist den Weg der supererogatorischen Handlung in § 814 Hs. 2 BGB nicht gegangen. Supererogatorische Pflichtformen, also angeratene und abgeratene Verhaltensweisen sowie verdienstliche Handlungen, werden in der 490 Köhl, Praktische Notwendigkeiten und moralisches Verpflichtetsein, PhilJhrb 110 (2003) 1, 8. 491 Ratschlag meint nicht hypothetische Imperative der Klugheit (nützlich u. zweckmäßig), sondern moralisch gute (und nicht bloß nützliche) Handlungen. Die guten Handlungen werden angeraten, während von den moralisch schlechten (nicht bloß unzweckmäßigen) Handlungen abgeraten wird. Der Rat hat nicht den Charakter eines Gebots oder Verbots, er macht „nur“ etwas moralisch Richtiges zum Gegenstand seiner Empfehlung, Hruschka/ Joerden, Supererogation: Vom deontologischen Sechseck zum deontologischen Zehneck, ARSP 1987, 93 u. Fn. 3. 492 Die Freiheit in der Pflichtbefolgung nach guten Gründen lag möglicherweise bereits der Pflicht zum Erweis eines beneficium im römischen Recht zugrunde. Häufig wird allerdings zu Unrecht diese schwache Pflicht als ein Kennzeichen von ethischen Pflichten überhaupt eingestuft. So etwa Nörr, Ethik und Recht im Widerstreit? Bemerkungen zu Paul. (29 ad ed.) D. 13,6,17,3, in: Schermaier/Vegh (Hg.), FS für Wolfgang Waldstein, 1993, S. 267, 279. Gerade die ethische Pflicht ist jedenfalls seit Kant kategorisch, d.h. unbedingt und unabweisbar.

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heutigen Rechtsdogmatik nicht anerkannt und nicht erfasst493. Dies gilt auch für die hierfür am ehesten in Betracht kommende „Anstandsrücksicht“ als potentiell schwächere Pflichtform. Weder Schrifttum noch Rechtsprechung sehen bei der Anstandsrücksicht einen Unterschied in der Pflichtstruktur gegenüber der sittlichen Pflicht. Soweit beide Begriffe praktisch als eine Paarformel ohne Unterscheidung behandelt werden494, ergibt sich das von selbst. Wird unterschieden, so ist unter der Anstandsrücksicht eine495 „Zuwendung, die nach den Anschauungen, wie sie in den dem Schenkenden sozial gleich stehenden Kreisen vorherrschen, nicht unterbleiben könnte, ohne dass dort der Schenkende an Achtung und Ansehen verlieren würde“

zu verstehen. Sachlich wird danach gefragt, ob etwa kleinere Geschenke aus gesellschaftlichen Anlässen oder im Hinblick auf Geschäftsgebräuche, wie etwa Trinkgeld, üblich sind496. Für die sittliche Pflicht verlangt die Rechtsprechung ein „sittliches Gebot“ und bestimmt dieses dahin, dass nach den herrschenden Moralvorstellungen eine sittliche Pflicht objektiv vorliegen müsse497. Zum Teil wird die sittliche Pflicht weiter konkretisiert. Danach müssen besondere Umstände vorliegen, die das Ausbleiben der Leistung sittlich anstößig erscheinen lassen. Es ist hypothetisch danach zu fragen, ob dem Schenker das Absehen von der Schenkung als sittliche Verfehlung zur Last gelegt worden wäre (gesellschaftliche Sanktionshypothese)498. Das sittliche Gebot selbst wird abstrakt nicht näher erläutert, sondern durch Beispiele (Pflege von Angehörigen, Unterhalt für entferntere Verwandte) illustriert. Eine weitere Präzisierung unternimmt das Bayerische Oberste Landesgericht:499 „Das Bestehen einer sittlichen Pflicht ist grundsätzlich zurückhaltend zu beurteilen. Sie kann nur mit größter Vorsicht bejaht werden. Es genügt nicht, daß der Schenker aus Nächstenliebe hilft oder daß die Schenkung im Rahmen des sittlich noch zu Rechtferti493 Die Unbedingtheit der Pflichterfüllung sieht Looschelders als das einzig zwingende Merkmal zivilrechtlicher Verpflichtung an, Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 226. 494 Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht wird praktisch weithin wie eine Paarformel verstanden und nicht differenziert, so etwa Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 812 Rn. 15 u. 18; MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 814 Rn. 17; Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 814 Rn. 11; Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 814 Rn. 8; AnwK-BGB/v. Sachsen Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 10. 495 BGH v. 19.9.1980, NJW 1981, 111. 496 Erfasst werden alle Art von Gelegenheitsgaben (Geschenke aus bestimmten gesellschaftlichen Anlässen oder zu einer öffentlichen Sammlung, Spenden), Staudinger/Cremer, BGB, 13. Bearb. 1995, § 534 Rn. 6; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, 2005, § 534 Rn. 8. 497 KG Berlin v. 18.12.2001 FamRZ 2002, 1357, 1359. 498 BGH v. 29.8.1984, NJW 1984, 2939; BGH v. 9.4.1986, NJW 1986, 1926, 1927; BGH v. 11.7.2000, NJW 2000, 348; ebenso Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, 2005, § 534 Rn. 7. 499 Verneint für vorweggenommene Erbfolgeregelung. BayObLG v. 24.5.1996, FamRZ 1996, 1359, 1360. „Sitte und Moral gebieten eine solche Übertragung auch dann nicht, wenn mit ihr eine Steuerersparnis erreicht werden könnte.“

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genden bleibt oder objektive Umstände … zu einer Schenkung veranlassen konnten. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob das Unterlassen der Schenkung dem Betreuten als Verletzung einer für ihn bestehenden Pflicht zur Last zu legen wäre.“

Auf gute Motive und eine entsprechende Maximenbildung kommt es nicht an. Ein Bewusstsein der Sittlichkeit wird ebenfalls nicht verlangt und auch Zweckmäßigkeitserwägungen spielen keine Rolle. Im Ergebnis handelt es sich um eine analytische Entfaltung des Pflichtbegriffs. (2) Übereinstimmung in der Pflichtstruktur Die Rechtsprechung erläutert im Regelfall die Pflichtbegriffe „sittliche Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“ parallel500 oder verknüpft sie miteinander, weshalb eine dogmatische Trennung in zwei Pflichtformen nicht als anerkannt gelten kann. So führt etwa das OLG Karlsruhe aus501: „Es wird zu Recht in weiten Bevölkerungskreisen als ein Gebot anständigen Verhaltens unter Eheleuten angesehen (und dementsprechend auch verfahren), daß ein aufgrund der Anstrengungen und des Einsatzes beider Partner erworbenes Familienheim nicht einem allein, sondern eigentumsrechtlich beiden Eheleuten gemeinsam, in der Regel zu Miteigentum zu 1/2 zustehen soll. Die Umstände hätten es dem Erblasser im Sinne einer sittlichen Pflicht geboten, in dieser Weise hinsichtlich des Wohngrundstücks vorzugehen. Zu mehr (als zu 1/2) war der Erblasser sittlich aber nicht verpflichtet.“

Sofern Achtungs- und Ansehensverlust als weniger schwerwiegend eingestuft werden als die Sanktion bei Verletzung einer sittlichen Pflicht („anstößig“), könnte der Rechtsbegriff „Rücksicht“ dogmatisch im Sinne einer supererogatorischen Pflichtstellung zu verstehen sein. Der Unterschied des gesellschaftlichen Sanktionsverhaltens (Ansehensverlust gegenüber bloßer Anstößigkeit) ist aber nicht klar und eindeutig und damit auch einer richterlichen Feststellung entzogen. Entscheidend dürfte sein, dass nach der Definition der Anstandsrücksicht der Achtungs- und Ansehensverlust ebenfalls ohne jegliche zusätzliche Bedingungen eintreten muss und die erwartete Handlung nicht in die eigene Entscheidung des Handelnden gestellt ist. Die Anstandsrücksicht wird mithin als unbedingte Pflicht verstanden und kann nicht als Einbruchstelle für supererogatorische Handlungen eingestuft werden. Auch stellt die gesetzliche Regelung auf keinerlei subjektive Handlungsmerkmale ab, weshalb die supererogatorische Handlung als Pflichtstruktur insgesamt ausscheidet.

500

KG Berlin v. 18.12.2001, FamRZ 2002, 1357, 1359. OLG Karlsruhe v. 14.2.1990, OLGZ 1990, 457, 461. Ähnlich auch OLG Karlsruhe v. 22.7.2005, NJW-RR 2005, 364; zum Merkmal sittliche Rechtfertigung der Annahme eines Volljährigen als Kind (§ 1767 Abs. 1 Hs. 1 BGB). 501

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dd) Arbeitsrechtliche Zielvereinbarung und supererogatorische Handlung Die Zielvereinbarung im Arbeitsrecht dürfte hingegen auf der Figur einer supererogatorischen Handlung beruhen. Der Arbeitnehmer schuldet die in der Zielvereinbarung fixierte Mehrleistung oder einen bestimmten Leistungserfolg nicht502. Ihrer Nichterbringung ist mit keinen Sanktionen verbunden. Sein Handeln bleibt auch dann rechtmäßig und vertragsgemäß, soweit er die Mehrleistung nicht erbringt. Die im Rahmen der Zielvereinbarung festgelegte Mehrleistung ist angeraten, gewünscht und wird durch eine ebenfalls festgelegte Gegenleistung honoriert. Dem Arbeitnehmer steht es also frei, die Mehrleistung zu erbringen. Nicht ganz passend ist hier der Vergleich von Hümmerich503 „Man würde auch einem Bundesliga-Fußballspieler keine Abmahnung aussprechen, weil er einen Elfmeter verschossen hat.“ Der Spieler darf nicht darüber entscheiden, ob er in oder neben das Tor schießen will. Die arbeitsrechtliche Leistungspflicht ist geschuldet, sie schließt nur nicht den Erfolg mit ein. Die supererogatorische Handlung geht weiter, weil sie die der Zielerreichung dienenden Handlungen belohnt, aber nicht obligatorisch fordert. Die vertragliche Zielvereinbarung schafft damit einen Anreiz für überobligatorische Leistungen. Die eigene Entscheidung des Schuldners über die Erfüllung seiner Pflicht ist dem Recht prinzipiell fremd. Sie erscheint nur dort angebracht, wo ein Belohnungssystem – wie bei den Zielvereinbarungen – Anreize für ein rechtlich freigestelltes Handeln bietet. ee) Befolgungsprivilegien für den Schuldner Auch Befolgungsprivilegien für den Schuldner, wie das Recht zur Leistung auf Zusehen hin oder die Besserungszusage, ändern den Status der obligatorischen Pflicht nicht. Das Reichsgericht504 hatte die Bestimmung in einem Pachtvertrag, wonach der Abbau von Ton in das Belieben des Pächters gestellt worden war, als einen Fall des § 315 BGB (Leistungszeitbestimmung) eingestuft. Bei der Besserungszusage ist die Leistungsfälligkeit auf den Zeitpunkt festgelegt, an dem die verbesserte wirtschaftliche Lage des Schuldners eintritt. Nahe liegt es, hier eine Vereinbarung über die Fälligkeit der (obligatorischen) Schuld anzunehmen505. Wird die Erfüllungsleistung dagegen in das Belieben des Schuld502 Die Zielvereinbarung setzt sich in der Praxis meist aus weichen und harten Faktoren zusammen. Weiche Faktoren sind Führungsqualitäten, Organisationstalent, Motivationsund Teamfähigkeit. Die harten Faktoren sind Umsatz- und Gewinngrößen, Deckungsbeiträge, Planeinhaltung, Margen usf., Hümmerich, Zielvereinbarungen in der Praxis, NJW 2006, 2294, 2296. 503 Hümmerich, Zielvereinbarungen in der Praxis, NJW 2006, 2294, 2297. 504 RG v. 22.9.1906, RGZ 66, 114, 116 f. 505 Bei der Leistung nach Möglichkeit handelt es sich entweder um eine bedingte Stundungsabrede, Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 271 Rn. 14, oder – zur Vermeidung

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ners gestellt oder gleichbedeutend an eine Wollensbedingung geknüpft, so ist die Forderung in Wirklichkeit aufgehoben und der Schuldner kein Schuldner mehr506. ff) Naturalobligation und sanktionsloser Rechtsbruch Die Unbedingtheit der Verhaltensanforderung ist ein unverzichtbares Merkmal des obligatorischen Pflichtbegriffs. Für sie spricht insbesondere die praktische Notwendigkeit, den Bereich klar einzugrenzen, innerhalb dessen es nicht von persönlichen Wertvorstellungen und Zwecksetzungen des einzelnen abhängen darf, in welcher Weise er sich verhält. Dies geschieht und kann nur durch kategorische Verhaltensanweisungen geschehen. (1) Berechtigte Erfüllungschance Looschelders hat zu Recht darauf hingewiesen, dass kategorische Befehle selbst dann ein sachgemäßes Mittel der Verhaltenssteuerung darstellen können, wenn sie weder einem Erfüllungsanspruch unterliegen (bzw. sonst erzwingbar sind) noch im Falle ihrer Verletzung rechtliche Sanktionen wie Schadensersatzansprüche oder Strafe nach sich ziehen507. Denn: 508 „Allein die Aussage, dass ein Verhalten unbedingt gesollt ist, kann das Rechtsbewusstsein des Bürgers stärken und ihn dazu bewegen, die in Frage stehende Verhaltensanweisung freiwillig zu befolgen.“

Für die Richtigkeit dieser Einschätzung lässt sich ferner auf die zivilprozessuale Praxis hinweisen, wonach ein Feststellungsinteresse bei Klagen gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften oder gegen Großbanken, Versicherungen und Krankenkassen trotz möglicher Leistungsklage anerkannt wird, weil zu erwarten ist, dass der Beklagte auch ohne Vollstreckungsdruck der festgestellten Vervon Nachteilen des Schuldners aus der Forderung (Insolvenzreife) – um einen Schulderlass mit aufschiebend bedingter Neubegründung der Forderung gleichen Inhalts, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 155. 506 Zur Vereinbarung einer Zahlungsschuld über 200.000,- Reichsmark, die als Ehrenschuld nebst Zinsen abgetragen werden sollte, führt das Reichsgericht aus: „Verpflichtungen, deren Einhaltung in der nackten Willkür des Schuldners liegen, sind nichtig und erzeugen keine rechtliche Gebundenheit. Wohl aber solche, bei denen der Bestand oder das Maß der Obliegenheiten in das billige Ermessen des Schuldners gestellt ist.“ RG v. 11.12.1897 RGZ 40, 195, 199. Das Reichsgericht spielt damit auf die Delegation des Leistungsbestimmungsrechts nach billigem Ermessen an (§ 315 Abs. 1 BGB). 507 Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 225 unter Verweis auf BVerfG v. 28.5.1993, BVerfGE 88, 203, 273 – Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ohne Strafbewehrung. 508 BVerG v. 28.5.1993, BVerfGE 88, 203, 273 – Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ohne Strafbewehrung.

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pflichtung nachkommen wird 509. Die rein ideelle Rechtskraftwirkung des Feststellungsurteils genügt 510. Die Recht-Unrecht Entscheidung bleibt mit anderen Worten auch im Falle der Nichterfüllung der Forderung aufrechterhalten. Die Nichterfüllung ist sanktionsloses Unrecht. Außerrechtliche Sanktionsmechanismen können an der klaren Entscheidung über den Rechtsbruch orientiert und dadurch gesteuert werden. Darin liegt der nicht zu unterschätzende Strukturvorteil obligatorischer Bindung. (2) Missbrauchsgefahr und Anreiz zum Rechtsbruch Es bedarf kaum der Erwähnung, dass sanktionsloses Unrecht nur in Ausnahmefällen, wie sie unter der Rechtsfigur der Naturalobligation vereint werden, sinnvoll und angemessen ist. Die Nachteile einer solchen Gestaltung sind offensichtlich. In Fällen fehlender Zwangsbewehrung ist der kalkulatorische Rechtsbruch möglich und problematisch, weil er zum Missbrauch einlädt 511. Ermöglicht werden Gewinnchancen ohne Haftungsrisiko und Verlustrisiken ohne Ausgleichschancen. Das ist das Gegenteil dessen, was das Schuldrecht im Kern erreichen will512. Exemplarisch zeigt sich dies auch im Lauterkeitsrecht, wo der „Vorsprung durch Rechtsbruch“ als Fallgruppe unlauterer Rechtspraktiken anerkannt ist (§§ 1, 3 UWG) 513. Dem Gesetzgeber kann aus rechtspolitischer Sicht an einem Rechtsbruch der Bürger in bestimmten Regelungsbereichen jedoch tendenziell gelegen sein. Transaktionen in Geschäftsbereichen, wie insbesondere der Ehevermittlung oder Spiel und Wette, die der Gesetzgeber nicht generell verbieten kann oder will, muss er zivilrechtlich nicht mehr als notwendig unterstützen. Durch die Aberkennung von Zwangsbefugnissen kann die Ausbreitung und das Geschäftsaufkommen eingedämmt werden. Dies gelingt, weil die Stabilität der 509 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., 1993, § 93 III 1 c), S.523; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 256 Rn. 8 mit Nachweisen zur Rechtsprechung. 510 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., 1993, § 93 III 1 b), S.522; die Feststellungsklage ist nicht auf ein Anerkenntnis gerichtet, sondern begnügt sich mit der Feststellung (ebd. § 93 I, S. 518). 511 Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Rechts, 4. Aufl. 2005, S. 577 zur Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Marktes aufgrund von Schwarzfahrerverhalten (free rider); näher unten C. III. 2. b) ff) (2), S. 395. 512 Der Zwang dient dem Schwachen vor dem Raube des Starken. Dieser Schutz muss aber nicht in allen Bereichen des Rechts funktional sein. Zu den historischen Ursprüngen des Gewinnabführungsvertrages und der Löwengesellschaft vgl. Hingst, Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte. Der Weg vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit am Beispiel der Geschichte der Löwengesellschaft vom römischen Recht bis in die Gegenwart, 2003, S. 199 ff. Die Löwengesellschaft war noch im Preußischen Allgemeinen Landrecht als Naturalobligation ausgestaltet (PrALR I, 11 § 1064), ebd. S. 309 f. Die heutigen Gewinnabführungsverträge sind vertraglich auch mit einseitigen Durchsetzungsbefugnissen versehen. 513 Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl. 2001, § 1 UWG Rn. 659, 662 f.

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rechtsgeschäftlichen Transaktion gemindert und die Erfüllungschancen verschlechtert werden. Der erheblich geschwächte Wirkungsgrad des Forderungsrechts zwingt die Marktteilnehmer zu Handgeschäften oder riskanten Vorleistungen und wirkt so einer Geschäftsausweitung nach den eigenen Regeln des Marktes entgegen. Die selbstregulierenden Marktkräfte erlauben ungesicherte Tauschgeschäfte nur unter selten anzutreffenden Bedingungen. Faktoren sind etwa die persönliche Kenntnis des Partners (Face to Face-Situationen), eng vernetzte Marktteilnehmer, die Angewiesenheit der Teilnehmer auf wiederholte Transaktionen untereinander oder eine Zusammenarbeit auf eine längere Sicht514. In den Fällen von Ehemaklerlohn und Spiel und Wette könnte von einer gesetzgeberischen Förderung des massenhaften Regelbruchs gesprochen werden. Jedoch macht sich der Gesetzgeber hier nur den free-rider-Anreiz sanktionsloser Forderungsverletzungen zu Nutze. Bestimmte Erwerbszweige als Massenphänomene können so sinnvoll eingedämmt werden. Eine Parallele lässt sich hierbei auch zu den Fällen „brauchbarer Illegalität“ (Luhmann) herstellen. Der Begriff stammt aus der Rechtssoziologie und meint eine Form von Illegalität, die rechtspolitisch erwünscht ist und die legitime Zwecke verfolgt. Das betrifft herkömmlicherweise Fälle, in denen Gesetze etw im Polizei- und Strafverfahrensrecht unter vorgehaltener Hand gar nicht oder mit eigenmächtigen Änderungen angewendet werden515. Die partielle Nichtanwendung von Recht erfolgt, weil eine strikte Regelbefolgung nicht funktional wäre. Abstrakt formuliert liegt eine Reduktion der Normerheblichkeit (Normbefolgung) bis zu einem Punkt „brauchbarer Illegalität“ vor516. So ist der Rechtsbruch aus Geschäften der Ehemaklerei oder bei Spiel- und Wettverträgen rechtspolitisch nicht unerwünscht, weil er dazu dient, dass diese Geschäftszweige an einer substantiellen Ausweitung gehindert werden. (3) Erosion der Rechtsregel und verdienstvolle Legalität Die faktische Erleichterung des Rechtsbruchs kann problematisch werden, weil durch ihn bestehende Rechtswertungen erodieren. Sie werden gesellschaftlich und auch rechtspolitisch erschüttert. Die Entscheidung des Pflichtigen konkurriert offen mit der Entscheidung des Rechts. Der Schuldner kann das Forderungsrecht durch Nichterfüllung in Frage stellen und seine Wertung an die Stelle des Rechts setzen. Dafür wird es nur in seltenen Fallgestaltungen hinreichenden Anlass geben. Bedenkt man aber Fälle, in denen etwa Arbeitnehmer 514 Zu den ökonomischen Bedingungen der Funktionalität kategorischer Verhaltensanforderungen mit schwächerem Wirkungsgrad siehe unten C. III. 3. e), S. 426. 515 Röhl, Auflösung des Rechts, in: Lorenz, u.a. (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 1161, 1173. 516 Hoffmann-Riem, Sozialwissenschaftlich belebte Rechtsanwendung, in: Damm, u.a. (Hg.), FS für Thomas Raiser, 2005, S. 515, 530.

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aus religiösen, weltanschaulichen oder aus Gewissensgründen ihre Leistungspflicht verweigerten, so zeigt sich immerhin, dass es sich nicht nur um ein theoretisches Bedenken handelt517. Die Kehrseite der Erodierbarkeit sind mögliche Geltungsdemonstrationen zu Gunsten der Rechtsregel. Der fehlende Zwangscharakter schafft in stärkerem Maße als sonst die Möglichkeit, die Geltung der Rechtsregel zu demonstrieren. Die Übung guten Rechts hat freilich nur dort tatsächlich einen Sinn, wo die Richtigkeit der Regel gerade zweifelhaft ist und durch Befolgung gestärkt werden soll. Die freiwillige Rechtsbefolgung schafft einen Raum verdienstvoller Legalität. Das jedoch ist dem Schuldrecht an sich fremd, weil die Pflichterfüllung kein Verdienst, sondern Schuldigkeit bedeutet. Die Parteien haben rite zu leisten und entgegenzunehmen. Das gilt selbst im Rahmen der Erfüllung einer sittlichen Pflicht 518. Gleichwohl kann der Schuldner bei fehlender Sanktionsmacht wirkungsvoller zeigen, dass er rechtliche Tugenden wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Beständigkeit oder Treue besitzt. Er erfüllt eingegangene Verpflichtungen auch dann, wenn er nicht dazu gezwungen werden kann. In der hypothetischen Situation eines Konfliktes von Pflichterfüllung und kalkulatorischem Rechtsbruch bezeugt die Pflichterfüllung in hervorgehobener Weise, dass der Handelnde auf sein Selbstinteresse um der bestehenden Pflicht willen verzichtet. Die inhaltliche Richtigkeit der Erfüllungshandlung stellt zugleich deren Moralität unter Beweis519. Durch eine Zwangsbedrohung des Rechtsbruches ist der Beweis der Moralität dagegen praktisch kaum möglich. Somit ist die Beweisbarkeit moralischen Handelns ein möglicher Effekt fehlender Zwangsmacht. Die kalkulierte Erosion wie auch die kalkulierte Geltungsdemonstration der Rechtsregel erhellen die Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Die nicht zwangsbewehrte Forderung dient insofern als Flexibilitätsreserve zur Entwicklung einer klaren Grenzlinie in Bereichen, wo die Meinungsbildung über

517 Diese Fälle sind die Grundlage des nunmehr geltenden Gleichbehandlungsgesetzes und haben insofern die Meinungsbildung und damit auch die Rechtsentwicklung beeinflusst. Vgl. etwa Reuter, Das Gewissen des Arbeitnehmers als Grenze des Direktionsrechts des Arbeitgebers. Kritische Anmerkungen zu BAG v. 20.12.1984. BB 1986, S. 385–391. Otto, Gewissensentscheidung und Rechtsgeltung, in: Horn (Hg.), FS für Walter Schmitt-Glaeser, 2003, S. 21, 39: „Der Staat kann die Rechtsordnung nicht unter Gewissensvorbehalt stellen. Das Recht muss Toleranz ermöglichen. Vor den Rechten anderer und der verfassungsmäßigen Ordnung hat die Gewissensentscheidung keinen Vorrang. Der Gesetzgeber muss aber konkretisierende Entscheidungen treffen, um Konflikte zu entschärfen.“ 518 Nicht anders, als sie bei der Erfüllung einer Leistungspflicht zu leisten oder entgegenzunehmen gehabt hätten Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 IV 4 d, S. 105. 519 Bezogen auf den Beweis der Moralität durch eine Entscheidung aus Pflicht in der Rechtsphilosophie Kants, Höffe, Kants nichtempirische Verallgemeinerung: zum Rechtsbeispiel des falschen Versprechens. In: ders. (Hg.), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kooperativer Kommentar, 1989, S. 206, 216.

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die Rechtmäßigkeit, Richtigkeit oder Angemessenheit eines bestimmten Verhaltens schwierig oder noch nicht abgeschlossen ist520.

c) Der Anspruch auf materiale Richtigkeit (minima moralia des Schuldrechts) Die schuldrechtliche Leistungspflicht verlangt grundsätzlich keine gesondert auszuweisende ethisch-moralische Bewertung. Das gilt für die Naturalobligation, auch soweit eine sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht durch den Richter festzustellen ist521. Der Sittlichkeitsgehalt dieser Leistungspflicht ist nicht anders zu bewerten als bei den Zivilobligationen. Der Richter entscheidet, ob eine sittliche Pflicht nach Maßgabe der rechtlichen Strukturmerkmale in den Grenzen des geltenden Rechts anerkannt werden kann. Er ist im Kontext dieser Normanwendung nicht als ermächtigt anzusehen, materiale Gerechtigkeitsurteile selbst zu entwickeln und zur Geltung zu bringen 522. Der festgestellten Leistungsanforderung muss er aber doch einen Mindestgehalt materialer Sittlichkeit bescheinigen, die in Anlehnung an den allgemeinen Rechtsbegriff auf den Anspruch auf materiale Richtigkeit reduziert ist 523.

520 Die „comply or explain“ Struktur zur Einhaltung der Verhaltensregeln des Corporate Governance Kodex zur Führung börsennotierter Aktiengesellschaften entspricht vom Ansatz her dieser Regulation, auch wenn es sich dabei nur um eine konsequentualistische Pflichtbindung handelt. Der Unternehmensleitung steht es frei, die guten Regeln der Unternehmensführung des Kodex zu befolgen. Sie muss sich aber erklären und kann sowohl adverse Reaktionen der Aktionäre und des Börsenpublikums vermeiden als auch meritorische Effekte erzielen. Siehe dazu bereits oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (ee), S. 355. 521 Wenn man die Anwendungsfälle der §§ 534, 814 Hs. 2 BGB betrachtet, so zeigt sich, dass keine grundlegenden moralischen Fragen oder etwa eine Hochmoral zur Debatte stehen vgl. unten C. IV. 3 b) aa) S. 455 f. Der typische Fall einer Unterhaltsleistung unter Geschwistern oder die Überzahlung von nicht mehr geschuldetem, aber angemessenem Unterhalt (§ 1611 BGB), ablehnend KG Berlin v. 18.12.2001 FamRZ 2002, 1357, zeigen, dass gegenüber den gesetzlich präformierten Schuldverhältnissen hier eher schwächere moralische Forderungen in Rede stehen. 522 Die sittliche Pflicht muss normativen Charakter haben, d.h. ein Verstoß zu einer sanktionierenden Reaktion führen, und als gesellschaftliche Norm im Verkehrskreis der Beteiligten wirken. Rechtsgeltung erlangt sie durch richterliche Anerkennung und der dadurch bewirkten Verknüpfung mit Rechtsfolgen. Vgl. auch Staub/Koller, HGB, 4. Aufl. 2001, § 346 Rn. 4 zu der parallelen Behandlung von Gewohnheiten und Gebräuchen. 523 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 136 umschreibt diesen Anspruch dahin: „Die Idee der richtigen Moral, die den Charakter einer regulativen Idee im Sinne eines anzustrebenden Ziels hat“; ähnlich bereits Walter Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1936, S. 57: „Das Recht muss ethische Momente aufnehmen und damit ein Versuch zum Richtigen sein.“; ähnlich auch Engländer, der durch eine adäquate Bestimmung der Rechtsgeltungskriterien „korrekte Setzung, praktische Wirksamkeit und moralische Richtigkeit“ die Gerechtigkeitsfrage erfassen will, Engländer, Moralische Richtigkeit als Bedingung der Rechtsgeltung? ARSP 2004, 86.

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aa) Die sittlich-rechtliche Pflicht zur Anerkennung des Anderen Der Anspruch auf materiale Richtigkeit wird eingelöst, wenn der Andere und seine Rechte als Teilnehmer im eigenen Verkehrskreis geachtet werden524. Ausdruck dieser Basismoral des Schuldrechts sind die sozialethischen Maßstäbe, wie sie in den §§ 138, 242 BGB ausgedrückt sind. Dabei kann zwischen einem sozialethischen Minimum bei der Begründung einer rechtlichen Sonderverbindung im Rahmen von § 138 BGB und einer gesteigerten sozialethischen Anforderung bei der Ausübung von Rechten aus einer Sonderbeziehung im Rahmen von § 242 BGB unterschieden werden. Die Differenzierung führt zur Inhaltsund Ausübungskontrolle im Vertragsrecht525. Welche Gerechtigkeitsmomente im Schuldrecht als Basismoral vorauszusetzen sind, wird kontrovers gesehen. Eine formale systemtheoretische Gerechtigkeitstheorie mit Bezug auf Vertragsverhältnisse entwickelt Penski. Er verlangt ein Konsistenzverhältnis individueller Freiheitsausübungen und sieht die selbstzweckhafte Vergemeinschaftung von Zwecken der Parteien im Vertrag als dafür ausreichend an526. Außerhalb des Schuldrechts und in einem übergreifenden Sinne hebt Otto als materialen Pflichtinhalt auf die Idee der Gemeinschaft in der Gesellschaft ab527: „An der Idee der Achtung der Person als Gleicher unter Gleichen muss sich eine Rechtsordnung messen lassen. Normen die diesen Grundsatz verletzen sind illegitim“.

Eine materiale Gerechtigkeitsethik wird heute auch im Bereich des Schuldrechts allgemein angenommen 528. Den einzigen materialen Pflichtinhalt des Vertragsrechts sieht Oechsler allein im Gebot der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung. 524 Larenz, Richtiges Recht, Grundzüge einer Rechtsethik, 1979, S. 45 („Das Grundprinzip des gegenseitigen Achtens als rechtliches Grundverhältnis“); Schapp, Ethische Pflichten und Rechtspflichten, 1993, S. 9 – 13; ders., Das Zivilrecht als Anspruchssystem, JuS 1992, 537, 544; von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 510; ders., Normativer Individualismus und das Recht, JZ 2005, 1069, 1074; krit. aber insoweit übereinstimmend Rath, Erwiderung zu v. d. Pfordten, JZ 2006, 665. 525 Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 367 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 19; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, 2003, § 242 Rn. 35; Schapp/ Schur, Einführung in das Bürgerliche Recht, 3. Aufl. 2003, Rn. 487, S. 228. 526 Penski, Der Zweck des Rechts ist das Recht. Zur Teleologie und Selbstbezüglichkeit des Rechts, ARSP 2004, 406, 411. 527 Otto, Diskurs über Gerechtigkeit, Menschenwürde und Menschenrechte, JZ 2005, 473, 478. 528 Honsell, Naturrecht und Positivismus im Spiegel der Geschichte, in: Kramer/Schuhmacher (Hg.), FS für Hans-Georg Koppensteiner, Wien, 2001, S. 593, 607: „Eine materiale Gerechtigkeitsethik kann heute nicht ernsthaft bestritten werden. Es handelt sich um Rechtssätze, die alle kennen und die allen einleuchten. Das Problem liegt darin, dass sie zum Teil sehr abstrakt sind (praecepta iuris). Der Streit um den Inhalt solcher abstrakten und weitgehend inhaltsleeren Sätze beginnt bei ihrer Konkretisierung. Das führt nicht weiter als bis zur goldenen Regel.“

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Werturteile entbehrten regelmäßig der rationalen Grundlage 529. Gegen eine Anerkennung distributiver Elemente im Vertragsrecht spricht sich ebenso Honsell aus, der aber institutionelle Korrekturen bei Missbrauch, Marktversagen und ordre public-Verstößen als „iustitia correctiva“ anerkennt530. Eine Einbeziehung distributiver Gerechtigkeitselemente bejaht dagegen Canaris531. Dahinstehen kann hier, ob aus dem Gleichmaßgebot der Gerechtigkeit weitere materiale Gerechtigkeitsgehalte für das Privatrecht hergeleitet werden können, wie dies vor allem Bydlinski herausgearbeitet hat532. Daran anschließend sieht Mayer-Maly einen allgemein anzuerkennenden Gleichlauf von Sitte und Recht533 und überträgt damit eine wiederum Kant verpflichtete rechtsphilosophische Grundposition auf das Zivilrecht534. Die sozialethischen Minimalanforderungen des Rechts aus dem Gedanken der Anerkennung535 haben ihren historischen Ausgangspunkt in Kants Ach529

Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 143. Honsell, Iustitia distributiva – iustitia commutativa, in: Schermaier, u.a. (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, 2002, S. 287, 297 f. 531 Mit der Einschränkung, dass das betroffene Privatrechtssubjekt in einer spezifischen Verantwortungsbeziehung zum Zweck der ihn belastenden Regel steht. Ferner sei von einem strengen Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der iustitia commutativa auszugehen, vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S. 125 ff. 532 F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996 (zwölf fundamentale Rechtsgrundsätze und 131 Rechtsprinzipien); ders., Gerechtigkeit als rechtspraktischer Maßstab kraft Sach- und Systemzusammenhanges, in: Beck-Mannagetta (Hg.), FS für Theo Mayer-Maly, 1996, S. 107, 145 f.; eine Differenzierung nach Prinzipien der Individualsphäre, der straf- und zivilrechtlichen Verantwortlichkeit und der Gemeinschaftssphäre unternimmt Larenz, Richtiges Recht, Grundzüge einer Rechtsethik, 1979, S. 57 ff. 533 Mayer-Maly, Recht und Gerechtigkeit, in: Jahres- und Tagungsbericht der GörresGesellschaft, 1999, S. 5, 8: „Was dem Sittengesetz, der lex naturalis, widerstreitet, kann als Recht nicht gelten“. Materiale Eckpunkte der Privatautonomie bilden nach Mayer-Maly die Möglichkeit der Selbstgestaltung der eigenen Verhältnisse nach dem eigenem Willen, die Bereitschaft von der Willensfreiheit aller Angehörigen einer Sozietät auszugehen und schließlich die Erwartung der Vernünftigkeit frei geschlossener Verträge. Ders., Eckpunkte einer Privatrechtsphilosophie. In: Honsell, u.a. (Hg.), FS für Ernst A. Kramer, 2004, S. 21, 27 f. 534 Zu Kant in diesem Punkt siehe oben B. I. 3. c) bb) (3) (c), S. 126; Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 894. Ebenso Radbruch: „Das Recht ist mit der Moral durch ein doppeltes Band verbunden: Die Moral ist der Grund für die Geltung des Rechts, weil die Ermöglichung der Moral ein Ziel der Rechtsordnung ist.“ Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1965, S. 39. Zustimmend jedoch nur im Sinne eines möglichen, nicht eines notwendigen Zusammenhanges von Moral und Recht, Stranzinger, Recht und Moral: Ihre Unterschiede und Zusammenhänge, in: Miehsler (Hg.), FS für Alfred Verdross, 1980, S. 247, 259; aus der Sicht einer kontraktualistischen Ethik hält Stemmer die Rechtspflicht für eine Unterart der moralischen Pflicht. Die Rechtspflicht ist die moralische Pflicht, die das Recht auferlegt. Die Rechtspflicht könnte dagegen auch als Pflicht eigener Art verstanden werden, sodass etwas rechtlich verpflichtend sein kann, ohne deswegen auch moralisch verpflichtend zu sein. In dieser Weise versteht der Rechtspositivismus den Begriff (Hart, Kelsen), Stemmer, Der Begriff der moralischen Pflicht. DZPhil 49 (2001) 831, 838. 535 Honneth hat eine allgemeine Konzeption der Moral über den Begriff der Anerkennung entworfen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Annahme, dass sich der nor530

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tungsgebot536. Die kantische Achtung vor dem Gesetz ist die Achtung der Rechte aller Anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit 537. Fichte hat das Achtungsgebot zu einer transzendentalen Bedingung des Selbstbewusstseins weiterentwickelt. Das reflexive Ich konstituiert mit Hilfe des Nicht-Ich ein Selbstverhältnis unter Einbeziehung des Anderen. Das Selbstbewusstsein tritt daher als Rechtsbewusstsein auf538. Fichte nimmt hier offenbar ein interpersonales Anerkennungsverhältnis zur Grundlage für die Entstehung des Rechtsverhältnisses539. Das Rechtsverhältnis wird dabei zwar praktisch moralunabhängig verwirklicht540, bleibt aber für eine moralabhängige Begründung offen 541. Hieran schließt Hegels Rechtsphilosphie mit gestuften Formen wechselseitiger Anerkennung an. Das kann und soll hier nicht weiter vertieft werden 542. Die ethische Begründbarkeit des Rechtsverhältnisses ist der rechtsphilosophische Ausgangspunkt für den materialen Anspruch der Richtigkeit. Funktionell betrachtet lässt sich das Fichte’sche Denken in Anerkennungsverhältnissen als eine Fortentwicklung des Kantischen Achtungsgebots hin zu einer lebensweltlichen Öffnung und Konstitution des Rechtsverhältnisses aus kommunimative Gehalt der Moral anhand bestimmter Formen reziproker Anerkennung erläutern lassen muss, Honneth, Zwischen Aristoteles und Kant. Skizze einer Moral der Anerkennung, in: ders. (Hrsg.), Das Andere der Gerechtigkeit, 2005, S. 171, 175. Die dortigen Grundannahmen lassen sich auch auf eine spezifische Rechtsmoral übertragen und fortentwickeln. 536 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, 1903, S. 209: „Die Hochachtung für das Recht anderer Menschen“ und ebd., S. 400: „Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung vor dem Gesetz.“ Kant sieht im Achtungsgebot zugleich die Motivationsquelle für moralisches Handeln. Der subjektive Antrieb der Pflichtbefolgung beruht auf dem Gedanken der Achtung vor dem Gesetz. Die Achtung hat die Funktion einer Theorie moralischer Motivation, Köhl, Kants Gesinnungsethik, 1990, S. 118. 537 Kant, Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 336 (AB 33): „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ 538 Fichte, Rechtslehre, Vorgetragen von Ostern bis Michaelis 1812, Schottky (Hg.), 1980, S. 3; Honneth, Zwischen Aristoteles und Kant. Skizze einer Moral der Anerkennung, in: ders. (Hrsg.), Das Andere der Gerechtigkeit, 2005, S. 171, 178. 539 Honneth, Die transzendentale Notwendigkeit von Interpersonalität (Zweiter Lehrsatz § 3), in: Merle (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 63, 76. Ferner unten im Text (cc). 540 Fichte anerkennt keinen notwendigen Grund für die Befolgung des Rechtsgesetzes, sondern deduziert die Befolgung aus einem Gleichgewicht der Rechte aller vernünftiger Wesen, Merle, Einführung, in: ders., (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 1, 7. 541 Kersting, Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral, in: Merle (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 21, 36. Kant sah ähnlich die Funktion des Rechtsgesetzes in der bloßen Ermöglichung von Sittlichkeit, vgl. oben B. I. 3. c) bb) (3) (b), S. 124. 542 Denn Hegel ging es darum, eine Entwicklungsgeschichte der menschlichen Sittlichkeit zu entwerfen. Den anderen im je eigenen Selbstverständnis anzuerkennen ist in der Phänomenologie des Geistes kein intersubjektiver Prozess der Lebensgestaltung mehr, sondern das Resultat der dialektischen Selbstaufstufung des objektiven Geistes, Honneth, Zwischen Aristoteles und Kant. Skizze einer Moral der Anerkennung, in: ders. (Hg.), Das Andere der Gerechtigkeit, 2005, S. 171, 179.

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kativen Handlungsakten verstehen. Die Person ist unter rechtsethischem Gesichtspunkt vor Verletzungen zu schützen, die aus der Missachtung ihrer kommunikativ hergestellten Selbstbeziehung folgen und die damit ihre Identität als Teilnehmer am Rechtsverkehr gefährden. Auf dieser Grundlage lässt sich von den minima moralia des Schuldrechts sprechen. Diese „minima moralia“ repräsentieren eine unaufgebbare Einbruchstelle für Subjektivität543, ohne deshalb bloße Affekte für maßgeblich zu erklären oder beliebige, willkürlich gefasste Werte anzuerkennen. Der Impuls als praktisches Element im Handlungsvollzug geht über das theoretische Moment der guten Gründe hinaus544. Adorno nimmt die Kritik von Max Weber auf, der die bloß formale Struktur der ethischen Gesetzgebung in der Kantischen Lehre scharf kritisiert hatte545. Er wendet sich damit in der Nachfolge Hegels gegen eine „abstrakte Moralität“, die allein in der Struktur von Gesetz und Gewissen hervortritt und die das Individuelle als Kern guten menschlichen Lebens betont. Das subjektive Moment besitzt entscheidend eine Kontrollfunktion 546, die in der richterlichen Feststellung eines materialen Anspruchs auf Richtigkeit hervortritt.

543 Daraus rechtfertigt sich die begriffliche Anleihe bei Adorno, Minima Moralia, Reflexionen aus dem beschädigten Leben, 2003 (auf der Grundlage der 2. Aufl. 1962). Adorno sieht die Fähigkeit zur offenen Anerkennung des Anderen zwar verschüttet, hält aber an der Anerkennung als dem entscheidenden moralischen Axiom fest („Es gehört zur Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein“, ebd. S. 83). Die recht amorphe und aphoristische Darstellung Adornos beinhaltet keine spezifisch rechtsphilosophischen Aussagen, sondern versteht sich als „… der Versuch, Momente gemeinsamer [mit Horkheimer] Philosophie von subjektiver Erfahrung her darzustellen, …“ (ebd., Zueignung, S. 17). Eine weitere gedankliche Parallele zur Adornos kritischer Theorie und negativer Dialektik liegt in dessen stilistischem Ideal, sprachlichen Ausdruck durch Stringenz zu kontrollieren. Gemeint ist, die subjektive Empfindung in den Begriffen mitschwingen zu lassen, ohne das Vermögen zur exakten Bestimmung von Sachverhalten zu beeinträchtigen, vgl. Honneth, Zum Begriff der Philosophie Adornos, in: Honneth/Menke, Adorno, Negative Dialektik, 2006, S. 11, 25; Seel, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, in: Honneth (Hg.), Schlüsseltexte der kritischen Theorie, 2006, S. 34. 544 Habermas, „Ich selbst bin ja ein Stück Natur“ – Adorno über die Naturverflochtenheit der Vernunft, in: Honneth (Hrsg.), Dialektik der Freiheit. Frankfurter Adorno-Konferenz 2003, 2005, S. 13, 19. Beide Elemente verbinden sich, weil der naturbedingt frei Handelnde sich zugleich als Autor rechenschaftspflichtiger Handlungen versteht, ebd. S. 21. 545 Dieser Versuch einer Selbststabilisierung einer Welt moralischer Prinzipien offenbare „die Sinnlosigkeit der rein innerweltlichen Selbstvervollkommnung zum Kulturmenschen“, Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, 1920, S. 569. 546 Nach Adorno bringt der „moralische Impuls“ das moralische Urteil in einem dialektischen Prozess hervor und kontrolliert damit zugleich die Gesetzesmoral abstrakter Prinzipien, vgl. Menke, Zur Kritik der abstrakten Moralität, in: Honneth/Menke, Adorno, Negative Dialektik, 2006, S. 150, 161 f.

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bb) Auswirkungen im schuldrechtlichen System Der materiale Mindestgehalt gilt für alle gesetzlich vertypten Leistungspflichten. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils in § 241 Abs. 2 BGB zeigen diesen zentralen Gedanken der Anerkennung des Anderen deutlich. Sie betreffen als sog. Schutzpflichten 547 das Erhaltungs- (Integritäts-)interesse des „anderen Teils“. In allen Beziehungen des Leistungsaustauschs tritt das rechtsethische Prinzip eines Handelns nach Treu und Glauben hervor, das ganz dem Anerkennungsgedanken verpflichtet ist. § 242 BGB erfasst in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich die Nebenpflichten, die im Zusammenhang mit der Hauptleistung stehen, und ergänzt als Generalklausel die Pflichtstellungen der Parteien im Übrigen. Ein Beispiel für den weit gezogenen Kreis leistungsbezogener Nebenpflichten ist die Leistungstreuepflicht des Schuldners. Sie verpflichtet diesen dazu, grundsätzlich alles zu tun, um den Leistungserfolg vorzubereiten, herbeizuführen und zu sichern 548. Von den guten Sitten und der Verkehrssitte als Termini des rechtsgeschäftlichen Verkehrs (§§ 138, 157, 826 BGB) unterscheidet sich die „sittliche Pflicht“ der Funktion und Form nach allein darin, dass aus ihr ein konkretes obligatorisches Leistungspflichtverhältnis abgeleitet wird 549. Eine subjektiv moralische Sittlichkeit, die das gesinnungsmäßige Verhältnis des Pflichtigen zur Ausführung der Leistungshandlung angibt, ist dagegen ohne tatbestandliche Relevanz. Auf eine innere Überzeugung des Leistenden kommt es nicht an. Das gilt auch, soweit bei der Naturalobligation die Erfüllungsleistung mit dem Erfordernis der Freiwilligkeit verknüpft ist550.

547 Die Terminologie ist nicht einheitlich. Der Begriff Schutzpflicht wird auch von Medicus im Anschluss an Stoll und die Lehre vom gesetzlichen Schutzverhältnis (Canaris) befürwortet, Zur Anwendbarkeit des Allgemeinen Schuldrechts auf Schutzpflichten, in: Heldrich, u.a. (Hg.), FS für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, Bd. I, S. 835 u. Fn. 2. Ebenso verwendete Bezeichnungen sind: Weitere Verhaltens-, Fürsorge-, Obhuts-, Sorgfalts-, oder unselbständige Nebenpflichten, Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 10; Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 2 f. 548 BGH v. 23.7.1997, BGHZ 136, 295, 298 f.; BGH v. 26.11.1984, BGHZ 93, 29, 39; Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 242 Rn. 27. 549 Ähnlich für eine objektive Bestimmung des Merkmals gute Sitten, die vom Richter als Repräsentant der gerecht und billig Denkenden verstanden wurde, vgl. Sack, Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB, NJW 2006, 945, 949. 550 Die Grenze der freiwilligen zur unfreiwilligen Erfüllungsleistung ist im Einzelfall zu bestimmen. Der Übergang ist aufgrund des coactus-volui-Paradoxons fließend. Danach beruht auch noch die Erfüllung unter kompulsivem Zwang auf einer freiwilligen Entscheidung und es bedarf daher normativer Kriterien zur Bestimmung von Freiwilligkeit, vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 61 f.; oben C. I. 2. b) cc), S. 246 f. u. Fn. 36.

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cc) Das Schuldverhältnis als prototypische rechtsethische Grundstruktur Das Schuldverhältnis lässt sich als eine prototypische rechtsethische Grundstruktur verstehen, wie sie bei Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) zum Ausdruck kommt551. Grundlage ist die Naturrechtslehre Fichtes, in dessen Rechtsbegriff 552 die moralische Begründung möglich bleibt, ohne vorausgesetzt zu werden553. Die Suche nach dem rechtsethischen Ursprung von Normativität hat v. d. Pfordten zu einer Theorie des normativen Individualismus geführt, die als letzte Quelle von Normativität individuelle Strebungen, Bedürfnisse, Belange und Ziele oder Interessen des Menschen (und evtl. anderer Lebewesen) als natürliche Tatsachen ansieht554. Dagegen hat Rath unter Hinweis auf Fichte und Hegel eingewandt555, die Normativität des Individuums sei im Rechtsverhältnis als einem interpersonalen Anerkennungsverhältnis verankert556. Für das speziellere Schuldverhältnis lassen sich die Divergenzen zwischen Rath und v. d. Pfordten überwinden, weil der Gläubigerbefehl eine Ausdrucksform von individuellem Interesse (Strebung, Bedürfnis, Belang oder Ziel) ist und eine natürliche Tatsache darstellt. Der Befehl (Aufforderung, Erwartung) erzeugt Normativität in der Person des Adressaten (Anforderung, Erwartungsdruck, Anspannung) 557. Gleichzeitig ist das Schuldverhältnis aber auch ein interpersonales Anerkennungsverhältnis. Weder Rath noch v. d. Pfordten benennen eine soziale Praxis für die Erzeugung von Normativität. Das dürfte einerseits der höheren Abstrak551

Siehe oben C. III. 1. c) dd), S. 372 f. Zur Bedeutung des Zwangselements in seiner Rechtslehre Kaufmann, Zwangsrecht, in: Merle (Hg), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 125, 128. 553 Nach Auffassung von Kersting ist sie moralunabhängig formuliert, Die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral, in: Merle (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 21, 22. Allerdings stehe der hypothetische Grund zur Verfügung: Wenn jemand eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen will, dann muss er auch das Rechtsgesetz wollen. (ebd. S. 35). Einen zumindest minimalen Anteil an Moral bejaht Merle, Einführung, in: ders., (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, S. 1, 11., siehe zuvor oben C. III. 2. c) aa), S. 352. 554 Von der Pfordten, Normativer Individualismus, JZ 2005, 1069 ff; Schlusswort JZ 2006, 667. 555 Fichtes Leitbegriff ist die freie und notwendige Wechselwirksamkeit des Vernunftwesens, die in ein Rechtsverhältnis führt, Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796), Fichtes Werke Bd. III, Nachdruck 1971, S. 31 ff. 556 Die Konstitution des einzelnen Individuums über das andere Individuum in einem wechselseitigen Anerkennungsverhältnis, in welchem sich auch jene Geschiedenheit vom und Verwiesenheit auf den Anderen als fortwährendes Spannungsverhältnis gründet und durchhält, Rath, Erwiderung zu v. d. Pfordten, JZ 2006, 665. Von der Pfordten hat hierin ein lehrbuchartiges Beispiel für einen naturalistischen Fehlschluss gesehen. Schlusswort JZ 2006, 668. Das ist überraschend, zumal er natürliche Tatsachen zur letzten Quelle seines normativen Individualismus erhoben hat. Ein naturalistischer Fehlschluss liegt da näher. 557 Nach Auffassung von Honneth ist bereits Fichte von einer interpersonalen Aufforderung iS eines kommunikativen Akts ausgegangen, Die transzendentale Notwendigkeit von Interpersonalität (Zweiter Lehrsatz § 3), in: Merle (Hg.), Fichte, Grundlage des Naturrechts, 2001, 63, 76. 552

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tionsebene ihrer Betrachtung und andererseits der Einbeziehung sämtlicher Formen menschlichen Seins und gar anderer Lebewesen (v.d.Pfordten) geschuldet sein. Bleibt man bei der Kommunikationsgemeinschaft als sprachlich vermittelter Vergesellschaftungsform, so bildet das Schuldverhältnis eine durch kommunikative Handlungen hergestellte, notwendig interpersonale soziale Beziehung, aus der schuldrechtliche Pflichten erwachsen558. In dieser Beziehung wird im Stipulationsmodell durch die Anerkennung eines fremden Befehls Normativität in Gestalt obligatorischer Bindung hergestellt. Das Schuldverhältnis schafft in rechtsethischer Hinsicht eine geeignete Modellvorstellung für die Herstellung rechtlicher Bindung, die Moralität ermöglicht, aber nicht voraussetzt. Die operationale Struktur für die rechtliche Bindung ist die Forderung. Bei ihr handelt es sich mithin um eine bestimmte oder bestimmbare und unabweisbare Handlungsanforderung im Interesse des Anderen, die den Anspruch erhebt ethisch richtig zu sein.

3. Obligatorisches Leistungsrecht ohne rechtliche Zwangsbefugnisse Die Naturalobligation bezeichnet das subjektive Leistungsrecht (Forderung) ohne rechtliche Durchsetzungsbefugnisse. Der Gesetzgeber missbilligt den Erfüllungszwang und schwächt die Wirkung der Forderung, ohne sie aufzuheben559. Die Rechtsmacht, die Forderung ohne oder gegen den Willen des Schuldners einseitig zur Erfüllung zu bringen, entfällt 560. Das wirft die rechtstheoretische Grundsatzfrage auf 561, ob Durchsetzungszwang und Leistungspflicht isolierbar sind und entsprechend eigenständig geregelt werden kön558 Zu den Handlungsbedingungen unter der Annahme einer bilateralen Kommunikationsgemeinschaft Habermas, Individuierung durch Vergesellschaftung, in: ders., Nachmetaphysisches Denken, 1988, S. 187, 231; ders., Faktizität und Geltung, 1992, S. 117. 559 RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 813 Rn. 8; ebenso Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem zu §§ 762 Rn. 4 (zurückgesetzte Rechtswirksamkeit); Bamberger/Roth/Janoschek, BGB, 2003, § 762 Rn. 1 („verminderte Wirksamkeit“); BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 314 f. – Ehevermittlung (wirkungsgemindertes vertragliches Schuldverhältnis). 560 Das entspricht dem klassischen Machtbegriff. Rechtsmacht bedeutet danach die Fähigkeit, andere durch Drohungen und Sanktionen zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, d.h. auch gegen den Willen der beeinflussten Person den eigenen Willen durchzusetzen, Baumann, Handlung, Willensbildung und Macht, Conceptus, XXVIII (1995) 21. 561 Die Frage, ob die zwangsweise Durchsetzbarkeit zum „Wesen“ der Forderung gehört, soll als spezifisch rechtsphilosophische Fragestellung nicht weiter verfolgt werden. Die so gestellte Frage ist der Phänomenologie Husserls verbunden („Wesensschau“) und wurde von diesem unter dem Gesichtspunkt einer notwendig vorzustellenden Zugriffsmacht des Gläubigers bejaht, G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht in: FS für Max Papenheim, 1931 (Neudruck 1981), S. 87, 123 f.; ablehnend Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 III, S. 20.

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nen562. Dazu ist die Funktion der rechtlichen Zwangsbefugnisse im Rahmen einer obligatorischen Recht-Pflicht-Beziehung zu bestimmen. Konstituiert der Zwang die Pflicht oder ist Zwang nur eine Folge für den Fall der Verletzung einer anderweitig begründeten Pflicht (a)? Die als Legitimationsfiguren für die Zwangsausübung anerkannten Autonomiekonzepte sind zu der Einräumung von Zwangsbefugnissen des Gläubigers in ein Verhältnis zu setzen. Die geläufigen Parömien „stat pro ratione voluntas“ und „volenti non fit iniuria“ führen bei der Naturalobligation zu einer Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis. Diese Widersprüchlichkeit ist in der Figur der Naturalobligation aufzulösen (b). Der Flexibilitätsgewinn durch das isolierte Zwangselement ermöglicht es, auch gesellschaftlichen Zwangsmöglichkeiten (mittelbare) rechtliche Bedeutung beizumessen (c).

a) Zwang als analytisches Merkmal obligatorischer Leistungspflicht Die funktionale Bedeutung von Zwang und dessen Androhung563 für die zivilrechtliche Pflichtenbegründung wird nicht einheitlich beurteilt. Karl Engisch sieht in der Zwangsbefugnis ein notwendiges Merkmal zivilrechtlicher Pflicht564. 562 Die daran anschließende dogmatische Frage geht dahin, ob das Merkmal der Forderungsberechtigung (gleichbedeutend auch das sog. Anrecht oder die Einziehungsbefugnis) für sich allein stehen kann oder notwendig mit einer Zwangsbefugnis verknüpft sein muss. Das bloße Anrecht ist nach Wieser noch nicht als Forderung anzusehen. Hinzukommen müsse die als Zuständigkeit bezeichnete Zwangsbefugnis, in: Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit. JR 1967, 321, 323. Für J. Schmidt ist die Forderung dagegen mit der ‚Einziehungsbefugnis‘ bereits vollständig umschrieben. J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘. In: Martinek, Schmidt, Wadle (Hg.): Vestigia iuris. FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 416 f. Diese Frage ist rechtstheoretisch zu beantworten. Auf dogmatischer Ebene ist zu entscheiden, ob das Zwangselement etwa getrennt dem Anspruchsbegriff als ‚Befugnis zur Zwangsrealisierung‘ zuzuschreiben ist (ebd. S. 417). Dazu unten C. IV. 4. b) bb), S. 473. 563 Zwang umfasst immer auch die ernsthafte Drohung einer Zwangsanwendung. Selbst aber eine Handlung unter Zwang muss die Freiwilligkeit der Handlung nicht ausschließen. Rechtszwang ist erpresserischer Zwang, weil und soweit er auf die Vornahme einer Handlung des Schuldners gerichtet ist. So schon Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Gerhardt (Hg.), 1990, S. 38: „Die Triebfeder Zwang meint, dass der Mensch (natürlich nur) comparative nicht stricte zu zwingen ist. Vgl. zum coactus-volui Paradoxon des Zwanges, Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2000, S. 61. Daneben sind Handlungen unter Zwang von Handlungen unter gewöhnlichen Umständen im Hinblick auf die Wahlsituation des Handelnden nicht kategorial verschieden. Die unter kompulsivem Zwang getroffenen Entscheidungen bleiben „frei“, sofern sie ein Mindestmaß an Rationalität und Entscheidungsfähigkeit bewahren. Die Annahme, frei sei eine Handlung immer bereits dann, wenn sie direkt beabsichtigt ist (Artistoteles), ist normativ nicht hinreichend gehaltvoll, Gutmann, ebd. S. 62. 564 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, S. 14: Rechte und Pflichten können nur dann als rechtliche anerkannt werden, wenn sie mit rechtlichen Mitteln geltend gemacht und durchgesetzt werden. Siehe ferner unten Fn. 566.

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Diese neuzeitliche565 Vorstellung eines analytischen Zwangsmerkmals geht auf Hans Kelsen zurück 566. aa) Geregelter und ungeregelter Zwang Kelsens Annahme geht dahin, dass ein Ge- oder Verbot nur aus einer gesetzlich bestimmten Sanktion geschlussfolgert werden könne. Das dabei zugrunde gelegte Zwangserfordernis ist vielfach kritisiert worden567. Kelsen hat es in seinem späteren Werk aber in zweierlei Hinsicht relativiert. Einmal genüge das Bestehen einer Ermächtigung zur Vornahme von Sanktionen568, so dass die Möglichkeit zur Zwangsausübung (Sanktionierbarkeit) und die Zwangswirkung (Androhung und Anwendung von Zwang) unterscheidbar werden. Die Zwangsanwendung selbst tritt gleichsam in den Hintergrund569. Ferner anerkennt Kelsen die Existenz bloßer Erlaubnisnormen, die keine zwangsweise Durchsetzbarkeit kennen 570, so dass von einer strikten Zwangstheorie nicht gesprochen werden kann. Peter Stemmer greift auf die Zwangstheorie Kelsens zurück und arbeitet einen vertragstheoretischen Pflichtbegründungsansatz in einer kontraktualistischen Ethik aus. Das Konzept beruht auf der Annahme, dass erst die Sanktionsreaktion den Pflichtenstatus begründet (sog. sanktionskonstituiertes Müssen) 571. Pflichten werden durch eine vor- oder nachteilige Sanktion begründet. Die Sanktion ist 565 Die Vorstellung einer Pflichtkonstitution durch die Furcht vor Zwang geht auf Christian Thomasius (1655 – 1728) zurück. Dessen Einfluss auf die positivistischen Lehren des frühen 20. Jahrhunderts hebt Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1962, S. 165 hervor. Zur äußeren Zwangspflicht des Christian Thomasius oben B. I. 3. c) aa) (4), S. 110. 566 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 45 ff. u. 64 f. Für einen notwendigen Zwangskonnex in der Nachfolge Kelsens etwa Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, JuS 1987, 181, 186; Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung, 1997, S. 21. 567 Kritisch zur Zwangstheorie Kelsens etwa Weinberger, Der semantische, juristische und soziologische Normbegriff, in: Krawietz/Wróblewski (Hg.), Festgabe für Kazimierz Opalek, 1993, 435, 444 mN. 568 Kelsen, Geltung und Wirksamkeit des Rechts, 1965, abgedruckt in: Jabloner/Zeleny (Hg.), Hans Kelsens stete Aktualität, 2003, S. 5, 15. 569 Mit der Ermächtigung tritt die rechtliche Legitimation der Zwangsausübung in den Vordergrund. Die Zwangswirkung war in der Reinen Rechtslehre dagegen noch Funktionselement des Rechtssatzes, weil Kelsen aus der hypothetischen Sanktionsnorm auf das Bestehen der Pflicht (Verbot, Gebot) rückschließt und die Pflicht so zur Bedingung der Sanktion wird, Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 135; Weinberger, Der semantische, juristische und soziologische Normbegriff, in: Krawietz/Wróblewski (Hg.), Festgabe für Kazimierz Opalek, 1993, 435, 446. 570 Kelsen, (oben Fn. 568), S. 5, 17. 571 Stemmer, Moralischer Kontraktualismus, ZPhilF 56 (2002) 1 ff. In Anlehnung an Kelsen hat Stemmer die Idee eines sanktionskonstituierten (juridischen) Müssens auf den Bereich der Handlungsethik übertragen, vgl. Stemmer, Handeln zugunsten anderer. Eine moralphilosophische Untersuchung. 2000, S. 105.

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also nicht erst die Strafe für die Übertretung eines Verbots. Vielmehr ist die Handlung verboten, weil sie sanktioniert wird. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Rechtspflicht und der Sanktion. Der Zusammenhang ist nicht durch die staatliche Gesetzgebung, sondern durch die soziale Konvention des Sanktionierens und damit künstlich erzeugt572. Die Konvention entsteht durch die Praxis einer künstlich geschaffenen Sanktionsinstanz innerhalb eines gesellschaftlich institutionalisierten Sanktionssystems573. Die Gesellschaftsmitglieder errichten ein Sanktionssystem und schaffen dadurch aus einem Vakuum heraus einen moralischen bzw. rechtlichen Raum 574. Das Sanktionspotential liegt ganz im gesellschaftlichen Bereich. Nach Stemmer umfasst es jegliche Form sozialer Ausgrenzung in sanktionierender Absicht. Das sind575: – Gezeigter Zorn (starker Unwille, Aggressivität u. Bereitschaft zur Sanktion) – Vorhaltung der Rechtsverletzung (Empörung) – Denunziation (andere aufmerksam machen: Weitersagen) – Überleitung des konkreten Fehlverhaltens auf die Person losgelöst von der tatsächlichen Situation (übler Ruf) – Verweigerung von normalen Umgangsformen („normale Freundlichkeit“, Entgegenkommen, Offenheit) – Meidung der Gesellschaft, keine Zusammenarbeit, keine Geschäfte (Chancen auf Freundschaft und Partnerschaft sind reduziert). – Hinauswurf aus der moralischen Gemeinschaft als maximale Sanktion der Ausgrenzung: Verstoßung in den vormoralischen Zustand. Nicht nur einzelne, sondern alle kündigen die Verpflichtungen auf. Die so beschriebene Pflichtentstehung durch eine soziale Sanktionspraxis steht einem nicht zwangsbewehrten Leistungsrecht nicht entgegen, nur die rechtlichen Zwangsmittel fehlen. Die Naturalobligation lässt keine rechtliche Sanktion zu, bleibt aber für gesellschaftliche Sanktionsmechanismen und Sanktionsreaktionen auf Pflichtverletzungen offen, sodass selbst diese Pflichtenkonstruktion zugrunde gelegt werden könnte. Ernst Tugendhat versteht das moralische Müssen ebenfalls sanktionsbedingt. Er lässt weitergehend auch jede negative Konsequenz als Sanktion genügen und verlangt insbesondere keine künstlich geschaffene Sanktionierungspraxis. Forderungsrechte und obligatorische Leistungspflichten könnten ohne Zwang 572 Stemmer, Der Begriff der moralischen Pflicht, DZPhil 49 (2001) 831, 840 unter Hinweis auf Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 121. 573 Über die Entstehung sozialer Konventionen des Sanktionierens, Stemmer, Moralischer Kontraktualismus, ZPhilF 56 (2002) 1, 7 und die Notwendigkeit eines halbgöttlichen halb robotergleichen Wesens, das die Durchsetzung moralischer Pflichten sicherstellt. Vgl. die Kritik von Rinderle, Pflichten, Interessen und Sanktionen. Eine Kritik der Moraltheorie von Peter Stemmer, PhilJhrb 110 (2003) 330 ff. 574 Stemmer, Handeln zugunsten anderer, 2000, S. 101. 575 Aufzählung bei Stemmer, Handeln zugunsten anderer, 2000, S. 152 ff.

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nicht gedacht werden, weil sich erst in der menschlichen Reaktion als einem Gefühl zeige, dass das Geschehen nicht erwartet und damit eine bestehende Erwartung enttäuscht wurde. Dabei genügt jede Form sanktionierender Nachteilszufügung. Ungeregelte soziale Sanktionen sind eingeschlossen 576. Der Sanktionsbereich umfasst auch bloß negative Reaktionen, wie Fremd- und Selbstaffekte. Selbstaffekte meint etwa die Scham. Sie resultiert bei Verstößen gegen das eigene Selbstverständnis sowohl aus dem eigenen Blick als auch aus dem Blick der anderen. Fremdaffekte sind Misstrauen, Argwohn, Vorsicht und Abwehrbereitschaft. Sodann werden auch die oben genannten bewusst gesetzten Sanktionen umfasst. Tugendhat steht den Rechtslehren nahe, die an anthropologische Grundtatsachen anknüpfen, wie etwa die psychologische oder psychoanalytische Rechtslehre577. Eine nähere Auseinandersetzung mit Tugenhats Vorstellung einer Sanktionsbedingtheit moralischen Müssens kann hier unterbleiben578. Die Bedeutung innerer und äußerer gesellschaftlicher Sanktionen steht dem Konzept der Naturalobligation jedenfalls nicht entgegen, weil dieses nur die rechtlichen Zwangsmittel ausschließt. Naturalobligationen bieten vielmehr umgekehrt eine rechtlich rationalisierende Grundlage für diese außerrechtlichen Zwangsmechanismen. Das macht sie in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen als Handlungsinstrument interessant 579. bb) Zwang als Potentialität des Rechts (Zwangseignung) Auch Kant wird die Auffassung zugeschrieben, das Zwangsmoment sei (notwendiger) Bestandteil seines Rechtsbegriffs580. Andere gehen zutreffend davon aus, dass es Kant darum gegangen sei, die äußere Zwangsanwendung zu legiti576 Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 1993, S. 43, 48, 59; zu den Formen unterteilt in Selbst- und Fremdaffekte, Stemmer, Handeln zugunsten anderer, 2000, 143, 145. 577 Albert A. Ehrenzweig, Ästhetik und Rechtsphilosophie. Ein psychologischer Versuch, in: Fischer, u.a. (Hg.), GS für René Marcic, 1974, S. 3. Einen solchen Ansatz hat neuerdings auch Sprenger aufgegriffen, Sprenger, Rechtsgefühl ohne Recht. Anthropologische Anmerkungen, in: Dölling (Hg.), FS für Ernst-Joachim Lampe, 2003, S. 317 ff. 578 Zur Kritik an Tugendhat aus Sicht der rationalen Diskursethik vgl. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, in: ders., Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, 144: „Pflichten binden den Willen der Adressaten, aber sie beugen ihn nicht. Sie weisen dem Willen eine Richtung, orientieren ihn, aber sie treiben ihn nicht wie Impulse an; sie motivieren durch Gründe und verfügen nicht über die Triebkraft ausschließlich empirischer Motive“ Die von Habermas geäußerte Kritik weist Skirke als unberechtigt zurück, Skirke, Wozu sollten wir moralisch sein wollen? Zur diskursethischen Kritik an Tugendhats Auffassung vom Selbstverständnis moralischer Akteure, AZP 2006, S. 61, 64 ff. 579 Etwa als Grundlage für ein Bonitätsranking, bei der Entscheidung über den Zugangsausschluss auf Internetplattformen, für eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft gegenüber dem Staat, für die Erfassung von Verpflichtungen aus einem Gentlemen’s Agreement usf. 580 Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der kantischen Rechtsdefinition, in: ders. (Hg.), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 99. Zum Zwangserfordernis und Zwangsbegriff bei Kant siehe oben B. I. 3. c) bb) (3) (c), S. 126.

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mieren. Nach Kant sind wir durch das Rechtsgesetz zur Beachtung der Handlungsnormierung verbunden, so dass seine Befolgung legitim erzwingbar ist. Die Erzwingbarkeit baut auf dem Rechtsgesetz auf, ist aber kein konstitutiver Bestandteil der rechtlichen Verbindlichkeit 581. Die Rechtsnorm muss mithin nur geeignet sein, mit Zwangsbefugnissen ausgestattet werden zu können 582, nicht aber bereits eine solche Zwangsbefugnis einräumen. Das Leistungsrecht ist potentiell erzwingbar, ohne auch potentiell Zwang zu bewirken 583. Kant geht es in dem bekannten Zitat „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei“584 zwar um die gewaltsame Unrechtsabwehr585, aber auch dabei um die Funktion der Norm zur Legitimation von Zwang586. Kant dürfte mithin dahin zu verstehen sein, dass jegliche Norm des Rechts zwar mit einer Zwangsbefugnis verknüpfbar sein muss (Kriterium der Rechtlichkeit), die Ermächtigung zur Zwangsausübung (Zwangsbefugnis) aber nicht notwendig vorausgesetzt ist. Sie ist keine Bedingung für die Eigenschaft als Norm. Die kantische Position in diesem Punkt kann hier letztlich aber auch offen bleiben, denn Kant hat den Zwangsbegriff weit gefasst und nicht auf rechtliche Zwangsmaßnahmen beschränkt. Dazugezählt werden sowohl gesellschaftlicher Zwang als auch autonomer Selbstzwang587. 581 Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts. In: ders. (Hg.): Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 30; von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 66 Fn. 34 u. S. 68. 582 Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893, 894. 583 Weiter dagegen der soziologische Machtbegriff bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl. 1972, S. 13 f.: „Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Daran anknüpfend erweitert Baumann den Machtbegriff um die sog. Motivationsmacht, d.i. die Steuerbarkeit des Präferenzsystems eines Menschen und seiner Wünsche. Auch damit werde eine allgemein wirksame Durchsetzungschance innerhalb einer sozialen Beziehung geschaffen, vgl. Peter Baumann, Handlung, Willensbildung und Macht. Conceptus, XXVIII (1995) 21, 24 f. 584 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg .), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 340 (AB 36). 585 Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2001, S. 57. 586 Womit umgekehrt die Norm zur notwendigen Bedingung für die Zuerkennung von Zwangsbefugnissen erklärt wird, von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 66 Fn. 34. Ähnlich Höffe, Der kategorische Rechtsimperativ, in: ders. (Hg.), Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1999, S. 41, 56, nach dessen Auffassung Kant überhaupt nur die grundlegendere Frage nach der moralischen Erlaubnis von Zwang beantworte Eine andere – hier nicht relevante – Frage ist es, ob nach der Kantischen Rechtsethik eine Pflicht zur Unrechtsabwehr besteht. Vgl. die eingehende Analyse und im Ergebnis verneinende Antwort von Schütze, Subjektive Rechte und personale Identität, 2004, S. 281, der die Rechtsdurchsetzung und den Rechtsverzicht für rechtlich mögliche und legitime Handlungen hält, die auf der Grundlage einer sittlichen Entscheidung beruhen. 587 Kants gesammelte Schriften, Akademieausgabe XIX, 1971, Reflexion 6663; Köhler, Zur Begründung des Rechtszwangs im Anschluß an Kant und Fichte, in: Kahlo (Hg .), Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis, 1992, S. 93, 100. Den für die äußere Gesetzgebung erforderlichen Zwang versteht Alexy nur im Sinne einer sozialen Wirksamkeit des Rechts, so dass das Zwangserfordernis sehr abgeschwächt erscheint und wie bei Kant auch alle jene „Zwangsmo-

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cc) Der Standpunkt moderner Rechtstheorien In der Pandektistik wurde Zwang als ein notwendiges Kriterium des Rechts verbreitet angenommen 588. Jhering hatte gar umgekehrt einen Rechtssatz ohne Zwang für eine ungeheuerliche Idee, „ein Feuer das nicht brennt, ein Licht das nicht leuchtet“ gehalten und als einen Widerspruch in sich bezeichnet 589. Neben den Zwang trete als zweites formales Element die Norm, als innere Seite des Rechts. Das sei eine Regel, ein Satz praktischer Art nach der sich menschliches Verhalten richten soll, ein Imperativ, der dem fremden Willen eine Richtung vorzeichnet. In der modernen Zivilistik wird eine notwendige Verknüpfung des Rechtssatzes mit einer Sanktion ganz überwiegend abgelehnt 590. Dabei wird teilweise auf unerzwingbare Pflichten des Verfassungs- und Völkerrechts verwiesen591 oder auf die freiwillige Rechtsbefolgung aus Einsicht vertraut. Gernhuber fasst dahin zusammen:592 „Alle Mittel des Rechtszwanges stehen außerhalb der Forderung und damit auch außerhalb der Schuld.“ Selbst im Strafrecht sind sanktionslose Rechtsverstöße mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum rechtswidrigen aber straflosen Schwangerschaftsabbruch anerkannt593. Gegen ein begriffsnotwendiges Zwangserfordernis spricht ferner die praktische Angewiesenheit des Rechtsverkehrs auf eine freiwillige Rechtserfüllung wie überhaupt die Abhängigkeit jeglichen Rechtssystems von der mente“ aufnimmt, die außerhalb positivrechtlicher Sanktion liegen. Insbesondere also gesellschaftliche Zwangsformen, Alexy, Ralf Dreiers Interpretation der kantischen Rechtsdefinition, in: ders. (Hg .), Integratives Verstehen, 2005, S. 95, 99. Ebenso von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 68. 588 Zur Pandektistik siehe oben B. I. 4, S. 139 ff. 589 „Recht ist der Inbegriff der im Staate geltenden Zwangsnormen“, Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 3. Aufl. 1893, S. 322. 590 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 57 VIII, Rn. 89 (Erzwingbarkeit ist kein notwendiges Merkmal der Rechtsnorm); Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 5, S. 67 ff. (mit dem Meinungsstand zu älterer Literatur); Larenz, BGB Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 2 II b S. 37; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 13 Rn. 38; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 195; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1977, S. 121, 267; W. Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S. 181; Looschelders, Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht, 1999, S. 226; Avenarius, Struktur und Zwang im Schuldvertragsrecht, JR 1996, 492, 494 unter Berufung auf die obligationes tantum naturales, die anerkanntermaßen obligationes gewesen seien. Ferner Stranzinger, Recht und Moral, in: Miehseler (Hg.), FS für Alfred Verdross, 1980, S. 247, 255 (nicht jede Norm ist zwingbar); Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, S. 40 f. A. A.: Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, S. 14; Koller, Das Recht im Spannungsfeld zwischen Macht und Moral, in: Joerden/ Wittmann (Hg.), Recht und Politik, ARSP Beih. 2004, S. 93, 95. 591 Umgekehrt beruft sich die völkerrechtliche Lehre auf die Naturalobligation als Beleg für die fehlende Notwendigkeit der Zwangsanordnung, Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 35. 592 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 5, S. 69. 593 BVerG v. 28.5.1993, BVerfGE 88, 203, 273 ff. – Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ohne Strafbewehrung.

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freiwilligen Rechtsbefolgung594. Ebenso müsste eine Rechtspflicht, die auf das Merkmal der Erzwingbarkeit reduziert wird, dort enden, wo der Betroffene sicher sein kann, dass bei abweichendem Verhalten eine Sanktion nicht erfolgt595. Das ist wegen des normativen Moments der schuldrechtlichen Leistungspflichten abzulehnen. So stellt Alexy fest596: „Der Begriff der geltenden Rechtsnorm schließt es nicht ein, dass das, was durch sie geboten wird, durch im Rechtssystem vorgesehene Zwangsakte durchgesetzt werden kann.“

Auf der anderen Seite wird es nicht für hinreichend gehalten, die Gültigkeit einer Norm bloß einzusehen, um auch nach ihr zu handeln. Das gehöre, so Kersting, zu den endlichkeitsbedingten Grundwahrheiten des menschlichen Handlungslebens597. Diese Betonung der Bedeutung von Zwang für die Geltung (Wirksamkeit) des Rechts ist jedoch nicht in einem logisch-begrifflichen Sinne gemeint. Sie führt vielmehr zu der wesentlichen praktischen Funktion des Zwanges, einen Anreiz für die Pflichterfüllung zu schaffen. dd) Zwang als Anreiz und Mittel zur Pflichterfüllung Die Wirksamkeit des Zwanges als Anreiz zur Pflichterfüllung gründet in der Einsicht des Schuldners598: „Der in Aussicht gestellte Zwang ist eine Information, die der handlungsvorbereitende Verstand in sein Kalkül einbezieht und so die Selbstliebe vor einer Dummheit bewahrt. Er ist eine List der Vernunft, weil unter seinem Diktat das Eigeninteresse die Sache der Allgemeinheit besorgt. Daher ist auch ein Volk von Teufeln technisch-pragmatisch zu bewältigen.“

Die Funktion des Zwangs liegt im Anreiz für die Pflichterfüllung. Das Leistungshandeln wird als Zwangsvermeidungsreaktion gleichsam provoziert 599. Die Zwangsbefugnisse sind damit aber nur Verstärkungen des Rechts. Entscheidend ist deshalb die Zwangseignung, nicht auch die Zwangsbewehrung600. 594 Larenz, BGB Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 2 II b, S. 37; von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 68. 595 Ellscheid, Recht und Moral, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. 2004, S. 148, 224. 596 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 167 u. Fn. 32 trennt Sätze über Rechte von Sätzen über deren Schutz. 597 Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts, in: ders. (Hg.), Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 19, 23. 598 Kersting, (vorherige Fn.), S. 19, 25 f. 599 Anreize sind Handlungsfolgen, die dem Handelnden einen Grund bzw. ein Motiv zum Handeln vermitteln Gert, Coercion and Freedom, in: Pennock/Chapman (Eds.), Coercion, 1972, 30, 32 f.; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 2001, S. 184. 600 Entscheidend ist die Potentialität des Rechts und nicht die Potentialität der Macht aus einer zuerkannten Zwangsbefugnis. Der Einstufung der Zwangseignung als notwendiges Merkmal eines obligatorischen Rechts steht es nicht entgegen, wenn dies sonst nur als eine

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Die rechtmäßige Zwangsausübung muss möglich sein. Die Zuerkennung von Zwangsbefugnissen ist dagegen eine von der Forderung isolierbare Entscheidung, wie sie sich in der Rechtsfigur der Naturalobligation ausdrückt. Es ist nicht zweifelhaft, dass Inhalt und Umfang der Zwangsbefugnisse des Gläubigers regelbare Fragen sind. Der in einer Reihe von Fällen gesetzlich bestimmte Aufrechnungsausschluss oder die Zulässigkeit einer entsprechenden Parteivereinbarung (pactum de non compensando) verdeutlichen dies exemplarisch601. Die Zwangseignung der Forderung ist ein allgemeines analytisches Merkmal der obligatorischen Rechtspflicht. Die Zwangsermächtigung des Gläubigers kennzeichnet dagegen speziell die zivilistische Forderung.

b) Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis (Autonomiekonzepte) Die geläufigen Parömien „stat pro ratione voluntas“ und „volenti non fit iniuria“ führen bei der Naturalobligation zu dem Paradoxon einer Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis. Diese Widersprüchlichkeit ist in der Figur der Naturalobligation aufzulösen. aa) Die Denkfigur der Selbstgesetzgebung Die obligatorische Unterpflichtstellung beruht im vertraglichen und gesetzlichen Schuldrecht auf der Denkfigur der Selbstgesetzgebung602. In ihrer allgemeinsten Form603 besagt diese, dass derjenige, der der Leistungspflicht als Adressat unterworfen ist, sich zugleich als dessen Urheber verstehen können muss. rechtsethische Frage nach der Legitimation des Zwanges eingestuft wird, so von der Pfordten, Rechtsethik, 2001, S. 66 Fn. 34. Sie entspricht und genügt insbesondere auch der Auffassung von Kersting, wonach das Rechtsgesetz eine auf die Begründung von erzwingbaren Pflichten spezialisierte Version des kategorischen Imperativs darstellt, Kersting, (oben Fn. 597), S. 19, 29. 601 Bspw. § 393 BGB. Aufrechnung mit einer deliktischen Forderung. Dazu und zum pactum de non compensando, Jauernig/Stürner, BGB, 12. Aufl. 2007, § 387 Rn. 9 ff. 602 Sie geht auf Jean-Jacques Rousseau zur Begründung politischer Herrschaft zurück. Rousseau hielt es für die vornehmste Bedingung des menschlichen Glücks, dass der Mensch mit sich einig ist (Autarkieideal, absolute Authentizität). Auch die politische Herrschaft müsse daher im erlebten Selbstbestimmungsvollzug der je einzelnen Individuen verankert sein, und zwar nicht nur im Zeitpunkt des Gesellschaftsvertragsschlusses, sondern während der gesamten Bestandsdauer der betreffenden politischen Gemeinschaft. Das Individuum wird damit zum Prinzip der Gesellschaft. Vgl. Kersting, Rousseaus Gesellschaftsvertrag, 2002, S. 83. 603 Nicht verfolgt werden kann hier die zentrale philosophische Diskussion um eine sachgerechte Erfassung menschlicher Autonomie und der zugehörigen Autonomiekonzepte. Nahe stehe ich dem intersubjektivitätstheoretischen Konzept von Honneth, Dezentrierte Autonomie, in: ders., Das Andere der Gerechtigkeit, 2000, S. 237 ff., der Unbewußtes und Sprache als Konstitutionsbedingungen des menschlichen Subjekts zugrunde legt (ebd. S. 243 ff.).

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C. Systematischer Teil

Selbstgesetzgebung wird deshalb als Ausdruck von Freiheit angesehen604. Ihre Funktion liegt in der Legitimation von Eingriffen in die Rechts- und Interessensphäre der sich selbst bestimmenden Person und rechtfertigt zugleich die Zufügung von Nachteilen605. Zwangslegitimation meint, dass Zwangsgewalt als physische Verletzung kein Unrecht bedeutet, weil der Schuldner darin eine Handlung zu erblicken hat, die ihn in seinem Selbstverständnis nicht verletzt, ja ihn sogar in diesem anerkennt 606. Die Naturalobligation unterscheidet sich von der zivilistischen Obligation in diesem Punkt nicht. Die Forderung des Gläubigers muss hier wie dort vom Schuldner akzeptiert worden sein (Vertrag) oder aufgrund der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr in dieser Weise als akzeptiert unterstellt werden (Gesetz). Unter dieser Voraussetzung ist die Autonomie des Pflichtigen gewahrt und sein Handeln darf eingefordert und erzwungen werden. Die Forderung kann erhoben, die Rechtsbehauptung aufgestellt, der Schuldner zur Leistung angehalten und erinnert werden. Diese Realisationsformen des Forderungsrechts sind nur deshalb vom Schuldner hinzunehmen, weil er sie im Selbstbestimmungsvollzug seiner pflichtenbegründenden Handlung erlebt. Bereits den Anspruch kann der Schuldner nicht zurückweisen, weil er seiner eigenen Gesetzgebung entspricht. Die Autonomie ist damit nicht nur Legitimationsfigur für rechtliche Zwangsmittel und physische Zwangsanwendung. Sie begründet allgemein die aus dem Forderungsrecht folgende Gläubigerposition, das subjektive Recht. bb) Die Isolation der sich selbst bestimmenden Person Das Autonomiekonzept Kants war nicht allein auf die Frage der Zwangslegitimation gerichtet, sondern ebenso auf die Möglichkeit gebundener Handlungsvollzüge hin entworfen. Das gilt in gleicher Weise für die in der Schuldrechtsdogmatik verankerten Parömien „stat pro ratione voluntas“ und „volenti non fit iniuria“.

604 Freiheit ist für Rousseau entsprechend der „Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz“, Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 1977, S. 23. 605 Krit. Pavlik, ‚Selbstgesetzgebung der Regierten‘: Glanz und Elend einer Legitimationsfigur. In: Joerden/Wittmann (Hg.), Recht und Politik, ARSP Beih. 2004, S. 115, 121. Die Rückführung der Herrschaft auf den Willen des Beherrschten hebt in Konsequenz diesen Willen auf. 606 Darin liegt der ethische Gehalt des Autonomiekonzepts. Das moralische Unrecht einer Verletzungshandlung liegt nicht in der intentionalen Zufügung von Schmerz als solchem, sondern in dem begleitenden Bewusstsein, im eigenen Selbstverständnis nicht anerkannt worden zu sein, Honneth, Zwischen Aristoteles und Kant. Skizze einer Moral der Anerkennung, in: ders. (Hg.), Das Andere der Gerechtigkeit, 2005, S. 171, 180.

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(1) Selbstprogrammierung nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit Kant entwickelt Selbstgesetzgebung aus einem apriorischen Autonomiebegriff der Freiheit und macht sie zur Grundlage seiner Moralphilosophie 607. Autonomie ist die Fähigkeit, aus eigener Gesetzgebung handeln zu können. Die Gesetzgebung ist vernünftig und deshalb auf ihre Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gesetz gerichtet. Das heißt, sie ist mit dem Erfordernis der Generalisierbarkeit verbunden608. Diese Öffnung für das Recht des Anderen (und seiner Eingriffsbefugnis) ist bei Kant ein innerer Vorgang des Verstandes nach den Postulaten der Vernunft609. Eine Sozialbeziehung ist dazu nicht erforderlich610. Die Selbsteinschränkung bleibt damit eine innere Angelegenheit der autark gedachten Person611. Morlok fasst die kantische Position zutreffend dahin zusammen612: „Zeitgenössisch formuliert heißt das Selbstprogrammierung“. Die Legitimation des Gläubigers, in die Rechts- und Interessenssphäre des Schuldners unter Einsatz von Zwang eingreifen zu dürfen, tritt ganz in den Hintergrund. Entscheidend ist die Fähigkeit und Technik zur Festlegung künftiger Handlungsvollzüge. 607

Kritisch Pippin, Über Selbstgesetzgebung, DZPhil 51 (2003) 905, 926 (eine Erklärung der Subjektivität moralischen Lebens dürfe sich nicht allein auf so etwas wie einen individuellen Billigkeitstest [=kategorischer Imperativ] berufen). 608 Sowohl im objektiven Rechtsbegriff als auch im Postulat des kategorischen Imperativs ist die Selbstgesetzgebung auf die Vereinbarkeit mit dem „allgemeinen“ Gesetz gerichtet. Das Rechtsgesetz kann dabei auch nur als Unterfall des kategorischen Imperativs verstanden und als eine spezialisierte Version zur Begründung von erzwingbaren Pflichten beschrieben werden, W. Kersting, (oben Fn. 597), S. 19, 29. 609 Höffe, Kants nichtempirische Verallgemeinerung: zum Rechtsbeispiel des falschen Versprechens. In: ders. (Hg.), Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kooperativer Kommentar. 1989, S. 206, 208. 610 Durch die intrapersonale Spaltung in ein sinnliches und in ein intelligibles Wesen gelingt es, den sonst nur auf das eigene Interesse gerichteten Blick sozial zu dezentrieren. Das intelligible Wesen (homo noumenon) besitzt Handlungsherrschaft und reflektiert zugleich die Menschheit in der eigenen Person. 611 Die Kritik von Habermas setzt an diesem Personenbild an. Ausgangspunkt müsse die in einem Netz kommunikativer Beziehungen verstrickte Person sein. „Wir sind Wesen, die wesentlich an der Praxis des Gebens und Forderns von Gründen teilnehmen. Wir verantworten unser Tun und Lassen voreinander, indem wir uns gegenseitig zur Rechenschaft ziehen. Wir lassen uns von Gründen affizieren, also von der bindenden Kraft des besseren Arguments in Anspruch nehmen.“ Habermas, Von Kant zu Hegel. Zu Robert Brandoms Sprachpragmatik, in: ders. (Hg.), Wahrheit und Rechtfertigung, 2004, S. 138, 139. Praktische Rationalität wird von Habermas in der Weise unterstellt, dass die Person in der Lage ist, einen mehr oder weniger plausiblen Grund anzugeben, aus dem sie sich so und nicht anders verhalten oder geäußert hat. Die autonome Handlungsrationalität entspricht damit zwar der Eigenvernunft der Person. Diese muss aber öffentlich Rede und Antwort stehen und akzeptable Gründe für je erhobene Geltungsansprüche angeben können. Habermas, Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierte Vernunft, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion, 2005, S. 27, 40. 612 Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 380 f.

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(2) Selbstgestaltung durch den Willen (stat pro ratione voluntas) Es entspricht einer verbreiteten Vorstellung über die Privatautonomie, Selbstbindungen aus solitären Selbstbestimmungsakten entstehen zu sehen. Nach der klassischen Formulierung Flumes ist unter Privatautonomie „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen“613 zu verstehen. Entsprechend wird die Privatautonomie beschrieben als Grundlage für die Einräumung spezifisch rechtlicher Befugnisse zum Zweck der Selbstbestimmung der Person614. Diese privatrechtstheoretische Isolation der sich selbst bestimmenden Person kommt besonders deutlich in der zugehörigen Parömie „hoc volo sic iubeo, stat pro ratione voluntas“ zum Ausdruck. Mayer-Maly hat gezeigt615, dass dieses Epigramm in seinem ursprünglichen Kontext eine abfällige gesellschaftskritische Bemerkung des Satirikers Iuvenal (67–140 n. Chr.) 616 über willensschwache Frauen war617: „Einer Frau wird nachgesagt, dass ihr das, was sie will, als vernünftig gilt“. Der Erfolg dieses zum Kennzeichen der Rechtsgeschäftslehre erhobenen Epigramms ist historisch betrachtet, also eher erstaunlich. Er liegt wohl in der axiomatischen Stellung des Willens als Geltungsgrund rechtsgeschäftlichen Handelns. Dieser zeigt sich unter drei Gesichtspunkten. Die Person gilt als ermächtigt, den Rahmen bindender Handlungsvollzüge selbst festzulegen, etwa durch den Abschluss von Verträgen. Die sachliche Regelungsbefugnis muss ferner keiner objektivierbaren Vernünftigkeit folgen. Schließlich beschreibt das Epigramm den Erzeugungsvorgang rechtsgeschäftlicher Geltung durch Setzungsakt (Befehl) und dessen unterstellte Wirksamkeit: Die Person macht von der ihr erteilten Ermächtigung durch eine autoritative Anordnung Gebrauch. Sie erzeugt dadurch Normativität. Dies geschieht durch den eigenen Willen („stat“), der zugleich den Vernunftmaßstab bildet („pro ratione voluntas“). Die Schwäche des Bildes liegt darin, dass der autonome Selbstgesetzgebungsakt in ihm nicht deutlich hervortritt. Wie die historische Quelle zeigt, liegt die Annahme fern, der Befehl sei auf das eigene Verhalten der Sprecherin bezogen. Beschrieben wird also ein heteronomer und potentiell erpresserischer Befehlsakt gegenüber einer anderen, nicht benannten Person. Legt man dennoch eine autonome Selbstbezüglichkeit zugrunde und richtet sich also der Befehl gegen 613

Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979,

S. 6. 614 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts. AcP 200 (2000) 273, 277. Gegen den vielfach erhobenen Vorwurf formal libertären Gerechtigkeitsdenkens als Grundsatz jüngst verteidigt von Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit (2005) 25. 615 Mayer-Maly, Eckpunkte einer Privatrechtsphilosophie, FS für Ernst A. Kramer, 2004, S. 21, 25. 616 Zu Juvenal Link, Wörterbuch der Antike, 11. Aufl. 2002, S. 44. 617 Iuvenal, Saturae, VI. Buch über die Untugenden des weiblichen Geschlechts: pro ratione voluntas. Zitiert nach Mayer-Maly, Eckpunkte einer Privatrechtsphilosophie, in: FS Ernst A. Kramer, 2004, 21, 25.

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den Befehlsgeber selbst, so fehlt noch immer jedwede Einbeziehung des Anderen. Der aus der Selbstverpflichtung berechtigte Andere ist nicht an der Gesetzgebung beteiligt. Sein verpflichtungsrelevantes Interesse am Handlungsvollzug tritt nicht hervor und das vom handlungspflichtigen Befehlsgeber zu wahrende Fremdinteresse bleibt unerwähnt. Die Kritik ist ferner berechtigt, soweit die Eigenvernunft verabsolutiert und als eine irrationale Konzeption des menschlichen Selbst zum Leitbild rechtsgeschäftlichen Handelns erhoben wird618. Ein früheres Wollen könnte durch das aktuelle Wollen ohne Rechtfertigung aufgehoben werden. Die Projektion führt zur Annahme einer prätentiösen, ständig wechselnden Wünschen folgenden, unberechenbaren und endlich insoweit unvernünftigen Person. (3) Selbstbestimmung als Rechtfertigung (volenti non fit iniuria) Die Diskussion über die angemessene Erfassung von Rechtsbindung und Zwangslegitimation wird ferner bestimmt durch die Parömie „volenti non fit iniuria“619. Sie stammt aus den Digesten und betrifft die schadensersatzrechtliche Frage der Einwilligung: Dem Willigen geschieht kein Unrecht. Ist derjenige, welcher einen Nachteil erleidet, damit einverstanden, so kann er daraus keine Ansprüche herleiten (Ulpian D. 47, 10, 1, 5 a.E.) 620. In Kants Staatsrechtslehre wird die Einwilligung vertragsrechtlich gedeutet und dabei zur Legitimation staatlicher Gewalt gegen den Einzelnen herangezogen 621: Nie kann Jemandem Unrecht getan „werden, indem, was er über sich selbst beschließt (volenti non fit iniuria).“

Kant stellt die Parömie in einen zukunftsbezogenen Kontext und macht erst dadurch die Bindungsvorstellung möglich. Canaris betont die zentrale zivilrechtliche Bedeutung des Grundsatzes. Danach erkläre „volenti non fit iniuria“ die Bindungswirkung vertraglicher Versprechen und legitimiere den staatlichen Zwang zur Durchsetzung vertraglicher Verpflichtungen622. Der Schuldner er618 Larenz sieht ein Bekenntnis zu „blindem Irrationalismus“, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 103. 619 Ohly, „Volenti non fit iniuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002. 620 Übersetzung Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 5. Aufl. 1995, S. 220. 621 Kant, Metaphysik der Sitten Werkausgabe Bd. VIII, Weischedel (Hg .),1989, S. 432, (A 166). 622 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts. AcP 200 (2000) 273, 284. Bei Ohly, „Volenti non fit iniuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002, S. 204 ff. bleibt die Bedeutung des Grundsatzes für die Dogmatik dagegen offen. Bindung soll sie aber gerade nicht ausdrücken. Auf der „Nahtstelle von Vertrags- und Deliktsrecht“ erkennt Ohly die widerrufliche Einwilligung als eigenständige Form einer rechtsgeschäftlichen Handlung an, die ohne Bindung neben den bindenden Gestattungsvertrag in Fällen unwiderruflicher Einwilligung tritt.

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klärt seine Einwilligung in den nötigenfalls gewaltsamen künftigen Zugriff. Die Einwilligung ist Teil seiner vertraglichen Verpflichtung. Der im Verpflichtungsakt erklärte Leistungswille wird damit bis in das Erfüllungs- und Vollstreckungsstadium hinein perpetuiert. Die Kritiker halten dies für eine Fiktion623, auch der Fortbestand der Einwilligung oder gar die Bindung an sie müssten vom Willen abhängen624. Ungeachtet dieser Kritiken lassen sich die Autonomiekonzepte jedenfalls nicht nur auf eine Zwangslegitimation gegen den Pflichtigen reduzieren. Sie liefern vielmehr auch eine Erklärung für die Entstehung und Funktionsweise rechtsgeschäftlicher Bindung und der damit verbundenen Folgen. Sie sind ebenso auf die Naturalobligation anwendbar.

c) Eigenständige Bewertung der Zwangsbefugnis Die Trennung von Recht und Zwang zeigt den Sinn der Naturalobligation. Eine Leistungspflicht wird anerkannt, der Rechtszwang aber aus spezifischen Gründen nicht zugelassen625 und dies, obwohl die Legitimation zu seiner Anwendung vorhanden ist. Die Aufhebung einer starren Unrecht-Zwangsrelation erlaubt die Ausdifferenzierung von Gründen für und gegen die staatliche Zwangsbewehrung. aa) Gewinn eines Differenzierungskriteriums Die Gründe für die Aufhebung der Zwangsmacht sind nicht festgelegt. Sie sind zum Teil rechtsethischer Natur (Schutz der Eheschließungsfreiheit beim Verlöbnis, Anerkennung sittlicher Pflichten oder der Anstandsrücksicht) oder erfolgen aus Gründen des Verkehrsschutzes (Zeitablauf bei der Verjährung). Die Aufhebung des Rechtszwanges kann rechtspolitisch motiviert sein (Ehevermittlung, Spiel und Wette, zwangsverglichene Insolvenzforderung) oder aus individuellen Schutzgründen anerkannt werden (Börsentermingeschäfte). Damit sind Recht-Pflicht-Verhältnisse auch in Bereichen möglich, in denen eine rechtliche Zwangsdurchsetzung unbillig, rechtspolitisch unerwünscht oder nicht funktional ist. 623 Hofmann, Das Recht des Rechts und das Recht der Herrschaft, in: Willoweit (Hg.), Die Begründung des Rechts als historisches Problem, 2000, S. 247, 266: Bei gut begründeter Rechtsauffassung des Schuldners ist der Rekurs auf seinen Willen wenig plausibel. 624 F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts. Wien 1967, S. 69; Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem. JuS 1992, 537, 541 Die verbindlich machende Wirkung des Schuldvertrages lasse sich nicht allein dadurch erklären, dass beide Vertragsschließende – je für sich – die schuldvertraglichen Rechtswirkungen wollen. 625 Die Naturalobligation ist deshalb doppelt zu begründen: Warum wird eine Leistungspflicht anerkannt und warum wird sie nur als Naturalobligation anerkannt? vgl. unten C. IV. 5., S. 509.

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bb) Gläubigermacht Rechtliche Zwangsbefugnisse vermitteln Macht verstanden in dem klassischen Sinne des Machtbegriffs, als die Fähigkeit, den eigenen auch gegen den Willen des anderen durchzusetzen. Gläubigermacht besteht danach in der Fähigkeit, den Schuldner durch Drohungen und Sanktionen zu dem vereinbarten oder gesetzlich bestimmten Verhalten zu bewegen, d.h. auch gegen dessen Willen den eigenen Willen durchzusetzen. Max Weber hat diesen Machtbegriff erweitert, indem er statt auf die Fähigkeit auf die Chancen abstellte, den eigenen Willen durchzusetzen626. Jede Verbesserung der Chancen bedeutet eine Steigerung der Macht627. Betrachtet man die Naturalobligation unter dem Gesichtspunkt des so erweiterten Machtbegriffs, so bedeutet die Zuerkennung des Forderungsrechts eine Verbesserung der Durchsetzungschance, denn sie übt nach den Regeln der Kommunikation Druck auf den Adressaten aus, auf die Leistungsaufforderung zu reagieren, namentlich sie zu erfüllen. Die Befugnis zur kommunikativen Einwirkung auf den Schuldner stellt ein Machtmittel dar. Die rechtlichen Zwangsbefugnisse bedeuten dann nur ein Mehr an Gläubigermacht. cc) Kommunikation und Rechtfertigungszwang Die Aufhebung rechtlicher Zwangsbefugnisse vermittelt dem Schuldner kein Reurecht oder sonst eine Lösungsbefugnis628. Forderungsrechte ohne Zwangsmacht halten den Schuldner unter der Spannung der Schuld629. Der nicht erfüllungswillige Schuldner bleibt gefordert. Er muss sich zum Rechtsbruch entschließen und ggf. mit einer gesellschaftlichen Sanktion rechnen. Die Rechts626 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl. 1976, S. 13 f.: „Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. 627 Entsprechend stellt Baumann, Handlung, Willensbildung und Macht. Conceptus, XXVIII (1995) 21, 24 f. auf die Durchsetzungschance innerhalb einer sozialen Beziehung ab. Der Kontroll- und Sanktionsmacht steht die Motivationsmacht gegenüber, ebd. S. 25. 628 Ein Reurecht bei den als Naturalobligationen eingestuften Spiel- und Wettverträgen bejaht Servatius, Ball im Netz ist Geld auf der Bank. Die zivilrechtliche Behandlung eine an sportliche Erfolge geknüpften Verzinsung von Sparguthaben, WM 2004, 1804, 1808, dem aber eine dogmatische Vorstellung der Naturalobligation fehlt. Siehe oben C. I. 2. b) bb) (3), S. 244. 629 Spannung bezeichnet den Zustand des Gefordertseins für den Schuldner (Leistensollen). Sie ist zugleich Ausdruck der normativen Wirkung des Forderungsrechts. Die heute nicht mehr allgemein übliche Bezeichnung „Spannung“ geht auf Hugo Kress zurück und bezeichnet dort speziell das Maß der an den Schuldner gerichteten Anforderung (Inhalt und Umfang der geschuldeten Kraftanstrengung), das obligatorische Leistungsprogramm zu erfüllen; vgl. bezogen auf die obligatorische Schuld Rödl, Die Spannung der Schuld – welches Maß an geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Kraft hat der Schuldner zur Erfüllung der Schuld nach geltendem Recht einzusetzen?, 2002; vgl. oben C. III. 1. c) cc) (3) (b), S. 369.

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ordnung nimmt seinen Regelverstoß nur hin und duldet aus unterschiedlichen Gründen die tatsächliche Verweigerung der Leistung. Sie lässt die rechtliche Forderung aber bestehen und bringt damit eine Wertung zum Ausdruck. Ferner legitimiert und kontrolliert sie so die Auslösung außerrechtlicher Sanktionsmechanismen. Die Bandbreite der individuellen Reaktionen reicht von der Demonstration eigener Sanktionsbereitschaft bis zum Ausschluss aus der Gemeinschaft630. In einem institutionell verfassten gesellschaftlichen Rahmen kann es ferner zu adverser Publizität kommen, wenn die negative gesellschaftliche Sanktion mit Reputationsverlusten und wirtschaftlichen oder persönlichen Nachteilen verbunden ist 631. Reaktionen in einer eng vernetzten Gemeinschaft bedrohen den Schuldner zwar nicht zwangsrechtlich, sie versetzen ihn aber in einen zum Teil ungleich belastenderen Rechtfertigungszwang. Der Pflichtige muss in seiner gesellschaftlichen Umwelt gute Gründe haben, um im Falle der Nichterfüllung nicht mit dem Makel des Rechtsbruchs belastet zu werden. Die Herstellung von Publizität und Transparenz steigert diesen Verantwortungszusammenhang632. Naturalobligationen ermöglichen eine Rationalisierung dieses Prozesses, weil sie die Obligationsstruktur mitsamt der schuldrechtlichen Regelung zur Verfügung stellen, so dass außerrechtliche Sanktionen sich an rechtlichen Maßstäben orientieren können. Das ist für Rechtspositionen in der Kommunikationsgesellschaft von Interesse. Der primär kommunikative Prozess richtet sich auf die Geltungsbehauptung einer 630

Siehe oben C. III.3. a) aa), S. 408 f. Reputationsgewinn und –verlust sowie adverse Publizität sind aus der Corporate Governance Diskussion übernommen, Hommelhoff/Schwab, Regelungsquellen und Regelungsebenen der Corporate Governance: Gesetz, Satzung, Codices, unternehmensinterne Grundsätze, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hg.), Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 51, 58; eingehend auch Borges, Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht, ZGR 2003, 508, 536 ff. Als Druckmittel (Anreiz) zur Einhaltung des deutschen Kodex sieht Borges den durch Reputation gesteuerten Anpassungsdruck und die Meinungsbildung der Akteure auf dem Kapitalmarkt über die richtige Unternehmensleitung. Es entstehe so ein Wettbewerb der Konzepte, der durch die Unverbindlichkeit erst ermöglicht werde, (ebd., S. 538). Die Rede von der Unverbindlichkeit meint bei Borges die fehlende rechtliche Sanktionsmacht. Sie ist nach der hier vertretenen Auffassung von der Verbindlichkeitsfrage zu trennen. 632 Die Entscheidung des Schuldners und seine Begründung konkurrieren offen mit der Entscheidung des Rechts, oben C. III. 2. b) ff) (3), S. 396. Das eröffnet einerseits mehr Flexibilität in bestimmten Regelungsbereichen, kann aber andererseits auch zu einer schnelleren Erosion der Rechtsregel führen. Im Ansatz entspricht dies der „comply or explain“ Struktur zur Einhaltung der Verhaltensregeln des Corporate Governance Kodex. Für die nach § 161 AktG abzugebende Entsprechenserklärung gelten allerdings Besonderheiten. Anders als bei Naturalobligationen liegt nur eine konsequentialistische Pflichtbindung vor. Außerdem dürfte gar die Annahme supererogatorischer Pflichtbindung berechtigt sein, weil der Erklärungsschuldner frei darüber entscheiden kann, ob, inwieweit und wie lange er die Kodizes einhalten will oder nicht. Hommelhoff/Schwab, (vorherige Fn.), S. 62 ziehen daraus den Schluss, dass auch die zukunftsbezogene Ensprechenserklärung nur eine Wissenserklärung sei; ähnlich Borges, (vorherige Fn.) ZGR 2003, 508, 536, der aber unspezifisch von Unverbindlichkeit spricht. 631

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rechtmäßigen Forderung (Anspruchserhebung) auf der einen Seite und das Herausgefordertsein des Anspruchsgegners zur Stellungnahme, respektive zur Leistung, auf der anderen Seite. Mit jeder Rechtsbehauptung wird implizit ein guter Grund für die erwartete Handlungsentscheidung des Adressaten aufgestellt. Die Rechtsbehauptung fordert den Adressaten in einer rechtlich integrierten Gemeinschaft zu einer Reaktion heraus. Die Reaktion zwingt im Gegenzug wiederum den Akteur zu einer rechtfertigenden Stellungnahme über seine Rechtsbehauptung. Dadurch wird der Diskurs über die Rechtsbehauptung in Gang gebracht. Die Kommunikation endet, sobald die (gerechtfertigte) Behauptung unwidersprochen bleibt, etwa weil sie den Widerspruch aus Gründen überwindet633.

d) Der Sinn einer rechtlichen Entwaffnung des Gläubigers aa) Die wirklichkeitsgestaltende Kraft rechtlicher Ordnung Rechtliche Zwangsbefugnisse sind nach Inhalt und Umfang gestaltbare Ausstattungsmerkmale der zugewiesenen Rechtsposition. Dabei geht es um die gestufte praktische Wirkung einer Rechtsposition im Geschäftsverkehr und um die ökonomische Werthaltigkeit oder Bonität der Forderung. Die Naturalobligation durchbricht nicht den Grundsatz auctoritas non veritas facit legem, denn die Durchsetzungschance einer Naturalobligation ist gegenüber einer Zivilobligation reduziert, aber sie ist nicht aufgehoben634. Das Merkmal natural verweist auf das obligatorische Rechtsverhältnis, welches ohne Zwangsbewehrung wirksam ist. Als Wirkungsmechanismen kommen das Handeln aus Einsicht, die ökonomische Rationalität und die Sanktionsvermeidung zum Zuge. bb) Die Funktionalität kategorischer Verhaltensanforderungen mit schwächerem Wirkungsgrad Das Zivilrecht hat mit der Naturalobligation eine theoretisch-dogmatische Figur ausgebildet, die es erlaubt, unabhängig von staatlicher Zwangsmacht Rechtspositionen zuzuweisen635. Ohne Zwangsmacht sinkt die Wahrscheinlichkeit der Pflichtbefolgung im Regelfall erheblich und macht diese Gestaltung in den meis633

Vgl. oben C. III. 1. c) cc) (3) (a), S. 367 ff. Zu diesem auf Thomas Hobbes, Leviathan, 2. lat.Fassung, 1688, Kap. 26, 5 Mitte zurückgehenden Grundsatz vgl. G. Radbruch, Rechtsphilosphie, 3. Aufl. 1932, S. 80 f. Allerdings lässt sich der auctoritas-Begriff auf die Kontrolle durch Gerichte und auf die Gerichtsfähigkeit der Norm erweitern, H. Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, 1963, S. 93. An die Stelle von Zwang tritt damit die Kontrollfähigkeit einer äußeren Verhaltensregel. 635 H. Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Geltungsmacht, 2004, S. 36 f. sieht in der Naturalobligation wie in der verjährten Forderung einen Be634

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ten Fällen ungeeignet, namentlich dann, wenn auch keine gesellschaftlich-sozialen Zwangsmechanismen an die Stelle staatlichen Rechtszwanges treten, etwa bei anonymen Massenverkehrsgeschäften. Ein Pflichthandeln aus Einsicht bliebe hier eine anarchische Utopie. Auf der anderen Seite kann die Entwicklung hin zu einem unerwünschten Massenverkehrsgeschäft praktisch verhindert werden. Der Geschäftsausweitung wirkt der geschwächte Wirkungsgrad der Forderung entgegen. So schien dem Gesetzgeber die Kommerzialisierung des „Ehemarktes“ nicht erwünscht636 und bei Spiel und Wette sollte die allgemeine Spielleidenschaft eingedämmt werden637. Mit der rechtspolitisch intendierten Eindämmung bestimmter Geschäftszweige lässt sich ferner ein spezifisches Schutzkonzept für den schwächeren Vertragspartner, respektive für den Verbraucher verbinden. So ist die Spiel- und Wettleidenschaft nicht nur ein gesellschaftspolitisches Problem, sondern auch Ausdruck individueller Schwächen. Auch der einsame Kunde eines Ehe- und Partnerschaftsvermittlers lebt nicht selten im Zustand begrenzter Rationalität. Die zwingende Regelung nicht durchsetzbarer Spiel- und Wettforderungen sowie des Ehemaklerlohnes im BGB dienen insoweit auch einem persönlichen Schutzkonzept638. Durch die gesetzliche Gestaltung sollen die Betroffenen vor situativ typischen Verhaltensfehlern geschützt werden639. Andere Schutzkonzepte, wie etwa ein Informationsmodell, können das nicht oder nicht ausreichend leisten. So ist auch ein voll informierter und geschäftsfähiger Wettspieler nicht vor der Gefahr geschützt, den Ausgang des Spiels irrational falsch einzuschätzen. Das Hauptrisiko bei der Partnervermittlung, Spiel und Wette, wie auch bei den Termingeschäften, ist nicht die fehlende Information über Risiken, sondern ungerechtfertigtes Vertrauen und die Selbstüberschätzung des Hasardeurs640. Die Rechtsfigur der Naturalobligation vermag dem sachgerecht entgegenzuwirken.

leg dafür, dass rechtliche Treue und Durchsetzbarkeit mittels Rechtszwang nicht gleichgesetzt werden dürften. 636 Vgl. Erman/Werner, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 1. 637 Umleitung in kanalisierte und kontrollierte Formen mit Hilfe des Genehmigungserfordernisses nach § 763 S. 1 BGB, vgl. MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. 638 Nicht ganz gesichert ist allerdings die Annahme von Schön, das Verbot von Spiel und Wette im BGB lasse sich als legislatorische Rücksicht auf die unverständigen Spielgewohnheiten ostelbischer Junker zurückführen, Schön, Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer neuen Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, in: Heldrich, u.a. (Hg .), FS für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. I, 2007, S. 1191, 1209. 639 Anerkannt werden Fälle der Selbstüberschätzung, des ungerechtfertigten Vertrauens und des Herdenverhaltens. Einen Überblick über die Ansätze des sog. behavioural law, Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht: Herausforderungen durch Behavioral Law and Economics, JZ 2005, 216 ff. 640 Schön, Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer neuen Grundlage

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Ein anderer Aspekt liegt in der spezifisch wirtschaftlichen Eignung nicht erzwingbarer Rechtspositionen. Verkehrsrechtliche Transaktionen können in eng vernetzten Märkten oder Gesellschaften, die auf wiederholte Transaktionen untereinander auf längere Sicht angewiesen sind, auch und möglicherweise sogar besser ohne Zwangsmacht abgewickelt werden. Grundlage ist einerseits die unterstellte kommunikative Vernunft der Akteure und andererseits die Notwendigkeit der Einhaltung von Teilnahmebedingungen zur Sicherung des dauerhaften Zugangs zu dem entsprechenden Markt641. Für das Verhältnis von Vertragspartnern in einem langfristig bilateralen Vertragsverhältnis sind diese Erkenntnisse bekannt642 und haben partiell auch Eingang in die Vertragsrechtsdogmatik gefunden643. Die Grundannahmen des sog. Relationalvertrages sind über das einzelne Vertragsverhältnis hinaus auch auf die Teilnehmer eines geschlossenen Marktes übertragbar. Die Funktionsfähigkeit lässt sich am Beispiel der Diamantenindustrie in den USA644 ebenso wie auf unserer Zivilrechtsordnung, in: FS für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. I, Heldrich, Prölss, Koller (Hg .), 2007, S. 1191, 1210. 641 Im apodictum ‚pacta sunt servanda‘ kommt auch zum Ausdruck, dass die Einhaltung vertraglicher Pflichten nicht nur individuell geschuldet ist. Die Parömie nimmt eine Doppelstellung als rechtliche und moralische Regel ein. Die Erfüllungspflicht stellt eine Funktionsbedingung des Vertrages, des Marktgeschehens und der über Verträge organisierten Gesellschaft überhaupt dar, Bülow, Der Grundsatz pacta sunt servanda im europäischen Sekundärrecht, in: Köbler, u.a. (Hg.), FS für Alfred Söllner, 2000, S. 189 ff. 642 Das auf Macneil zurückgehende Verständnis vom Relationalverhältnis setzt dem Modell des konventionellen Vertragsrechts, das auf der Vorstellung eines abstrakten Tauschakts beruht, das in eine stabile Sozialbeziehung integrierte Vertragsverhalten (relational contractual behavior) entgegen. Urtypus dieses Vertragsverhaltens ist die Ehe, deren Inhalt nie nur allein aus dem Eheversprechen folgt, sondern sich aus einem komplexen Wirkungszusammenhang von Sozialbeziehungen ableitet. Vgl. zur historischen Entwicklung und Rezeption Oechsler, Wille und Vertrauen im privaten Austauschvertrag. Die Rezeption der Theorie des Relational Contract im deutschen Vertragsrecht in rechtsvergleichender Kritik, RabelsZ 60 (1996) S. 91, 94. 643 Insbesondere im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung, § 157 BGB, Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, 2001, S. 635 ff., der dabei auf die im Laufe der Zeit entstehende wechselnde Abhängigkeit der Vertragsparteien abhebt. Daneben unternimmt Brors auf Grundlage der Theorie des Relational Contracts den Versuch, die Fürsorgeverpflichtung des Arbeitgebers unmittelbar aus dem Individualarbeitsvertrag zu entwickeln, Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, 2002, S. 102 ff. 644 So berichtet Lisa Bernstein von den Marktbedingungen in der Diamantenindustrie der USA, die ein enges und transparentes Geflecht aus Akteuren im Markt mit gleichzeitig hohem Diskretionsbedürfnis haben. Ansehen und Vertrauen werden über verschiedene Reputation Bond Systems institutionalisiert. Daneben haben sich sowohl eigene Regeln als auch Streitschlichtungsmechanismen entwickelt, Bernstein, Opting Out of the Legal System: Extralegal Contractual Relations in the Diamonds Industry, J. Leg. St., 21 (1992) 115: „The diamond industry has systematically rejected state-created law. In its place, the sophisticated traders who dominate the industry have developed an elaborate, internal set of rules, complete with distinctive institutions and sanctions, to handle disputes among industry members.“ Siehe unten C. V. 4 b) cc) (3), S. 613.

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Internet-Tauschbörsen645 nachvollziehen. Hier wie dort ist das Luhmannsche Gesetz des Wiedersehens hochwirksam, weil wiederholbare Situationen unter den Augen einer Marktöffentlichkeit stattfinden. Rolf Ziegler beschreibt diesen Funktionszusammenhang unter dem Gesichtspunkt von Vertrauen als riskanter Vorleistung:646 „Künftige Gewinne und Verluste werden in dauerhaften Beziehungen berücksichtigt; es entstehen kooperative Verhaltensregelmäßigkeiten unter eigeninteressierten Akteuren. Verfügen die Akteure über eine Exit-Funktion, d.h. können sie die Interaktion bei Vertrauensmissbrauch abbrechen, dann sind dem dauerhaften Erfolg renitenter Schwindler enge Grenzen gesetzt. Das Interesse an einer (Re-) Identifikation von schwarzen Schafen und der Verbreitung von adverser Reputation schafft einen Anreiz zur Schaffung eines effizienten Signal- und Kommunikationssystems, durch das Dritte davor gewarnt werden, eine Vertrauensbeziehung mit einem Schwindler aufzunehmen. Ein inhärentes Problem liegt in der Sicherung der Glaubwürdigkeit der Signalgeber und des Vertrauens der Signalempfänger: Ein Kommunikationssystem produziert den guten oder schlechten Ruf eines Akteurs. Über den Reputationsverlust hinaus entsteht dadurch auch eine abschreckende Erwartung bei potentiellen Schwindlern, dass ihre Täuschungsversuche aufgedeckt werden.“

Gleichzeitig markieren Rechte ohne Zwang aber auch einen Grenzbereich zwischen sozialer Regel und Recht. Die sozial anerkannte Regel kann in einem ersten Schritt noch ohne Zwangsbewerhung als Naturalobligation in das Recht integriert werden. Die Obligationsstruktur erfüllt dabei die Aufgabe des Rechts, indem sie eine Rationalisierung und Abgrenzung gesellschaftlicher Normen und Zwänge ermöglicht. Systemtheoretisch lässt sich bei den „sittlichen Pflichten“ im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB von einer strukturellen Kopplung des Rechts mit der Umwelt bzw. mit anderen Normsystemen sprechen647. Die Naturalobligation vermeidet eine normative Leere durch das Konzept der Leistungspflicht. Damit wird der Recht/Unrecht-Code verbunden mit dem Strukturbegriff der Obligation bereitgestellt, ohne staatlicherseits Sanktionen bestimmen und verhängen zu müssen. Gesellschaftliche Sanktionssysteme können ihre Entscheidung über die 645 Zu den innergesellschaftlichen Mechanismen der Bewertung und Beurteilung anderer Marktteilnehmer vgl. Janal, Profilbildende Maßnahmen: Möglichkeiten der Unterbindung virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda, NJW 2006, 870 ff. 646 Ziegler, Interesse, Vernunft und Moral: zur sozialen Konstruktion von Vertrauen. In: Hradil, Stefan (Hg.): Differenz und Integration – Die Zukunft moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Dresden 1996, 1997, S. 241, 244. 647 Unter struktureller Kopplung ist ein auf Dauer gestelltes, d.h. rechtlich verfasstes und damit vorhersehbares Parallelprozessieren von Kommunikationen in verschiedenen funktionalen Teilsystemen der Gesellschaft gemeint, welches zu einem Strukturabgleich (structural drift) zwischen unterschiedlich codierten Systemen wie Recht, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft führt. Der sozialen Umwelt wird der Zugriff auf eine Änderung der Rechtsstruktur eröffnet. G-P Callies, Billigkeit und effektiver Rechtsschutz, ZRSoz 26 (2005) 35, 42; grundlegend Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 440 ff.

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Verhängung einer Sanktion an der Recht-Pflicht-Struktur des Schuldrechts ausrichten. Die Rechtsordnung kann damit Sachbereiche regulieren und verrechtlichen, die staatlichem Erfüllungszwang nicht zugänglich sind. Die Rechtsfigur Naturalobligation reagiert damit zugleich auf den informellen Charakter bestimmter gesellschaftlicher Erwartungen, die unter dem Begriff der Moral erfasst werden. Unter modernen Bedingungen erweist sich die Moral als ein in vielen Bereichen zu unsicheres und auch zu unpräzises System der Verhaltensregulierung und Konfliktbewältigung. Es bedarf daher institutioneller Mechanismen zur Absicherung648. cc) Pseudoobligation oder Begriffsdifferenzierung Das Paradoxon einer Zwangslegitimation ohne Zwangsbefugnis ließe sich dadurch auflösen, dass distanzierend nur eine Pseudoobligation („als ob“) anerkannt wird. Bereits im klassischen römischen Recht bestand die Vorstellung, bei der Naturalobligation handele es sich um einen missbräuchlichen Gebrauch des Obligationenbegriffs (obligatio per abusionem649). In den status irrealis versetzt kann die Natural- mit der Zivilobligation gleichgestellt werden. Ähnlich sprach Windscheid von der „uneigentlichen“ Verbindlichkeit 650. Insbesondere bei der Frage, ob sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht einen Rechtsgrund im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB bilden kommt diese distanzierende Gleichstellung zum Zuge. Werner Lorenz etwa verneint die Rechtsgrundqualität in seiner Kommentierung zu § 814 BGB, stellt aber fest:651 „Der Mangel des rechtlichen Grundes wird hier indessen ausnahmsweise durch eine objektiv als bestehend erachtete sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht aufgewogen. Sie schafft für den Empfänger gewissermaßen den Rechtsgrund des Behaltendürfens, dh einen Erwerbsgrund“.

Die distanzierende Gleichstellung („wird aufgewogen“) verbunden mit der irrealen Vorstellung („gewissermaßen“ ein Rechtsgrund) gleicht einer Pseudoobligation. Der status irrealis lässt sich aber durch eine Begriffserweiterung auflösen. Die Naturalobligation wird in den allgemeinen Forderungsbegriff integriert, weil die Begriffserweiterung hin zu einer Forderung mit oder ohne Erfüllungszwang möglich ist. Bei der Zivilobligation treten die Zwangsmittel hinzu. Bei der Naturalobligaton ist die Einforderungsbefugnis des Gläubigers nur in ihrer primären kommunikativen Funktion wirksam. Der Gläubiger darf 648 Bayertz, Warum überhaupt moralisch sein? 2004, S. 260, meint, die Moral allein könne die wechselseitige Verlässlichkeit nicht mehr sicherstellen. 649 Siehe oben B. I. 1. b) bb), S. 61. 650 Siehe oben B. I. 4. c), S. 147. Auch heute ist dieser Gedanke beiläufig präsent bei Esser/E. Schmidt, Schuldrecht AT I, 1, 8. Aufl. 1995, § 7 III, S. 123 (ohne echte Forderungsqualität). 651 Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15.

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die Rechtsbehauptung aufstellen und den Schuldner zur Erfüllung anhalten. Der Schuldner steht unter einer bereits aktuellen obligatorischen Leistungsforderung, die rechtlich nicht erzwungen werden kann. Erst durch diese Annahme erhält die Naturalobligation als ein schwächer bewehrtes Forderungsrecht auch praktisch einen Sinn. Von ihr geht eine verhaltenssteuernde Wirkung aus, womit sie sich von anderen bloßen Behaltensgründen (etwa Zweckvereinbarungen oder betagten Forderungen) unterscheidet652.

e) Wirtschaftlicher Nutzen einer Rechtsposition ohne Zwang Die Anerkennung als subjektives Recht ist mit der Frage verbunden, ob die Naturalobligation einen Vermögenswert besitzt. Der Redaktor des Schuldrechts für die erste Kommission zur Ausarbeitung des BGB Gebhard hatte mit Blick auf die Anerkennung von materiellen Einreden festgestellt: Ein Recht, dessen Befriedigung der Verpflichtete jederzeit verweigern könne, sei zwar nicht ein Widerspruch in sich. Es sei aber „dem ökonomischen Resultat nach wesenslos“653. Damit treten ökonomische Gesichtspunkte in den Blick. aa) Ökonomische Folgenbetrachtung Die ökonomische Folgenbetrachtung rechtlicher Regelungen und in einem umfassenderen Sinne auch die Ausrichtung rechtlicher Regelung nach ökonomischen Zwecken (Ökonomische Analyse des Rechts) fragt nach den wirtschaftlichen Konsequenzen der rechtlichen Regel. Bruns hat für den parallel liegenden Bereich der Haftungsbeschränkungen gezeigt, dass die ökonomische Analyse hier kaum etwas beizutragen vermag. Vielmehr hänge das Ergebnis von der vorgelagerten Überzeugung ab, ob Haftungsbeschränkungen grundsätzlich einen positiven ökonomischen Effekt auslösen oder nicht654. Das Verhältnis der ökonomischen Rechtsanalyse zur Vertragsfreiheit und die Folgen für die Beurteilung von vertraglichen Haftungsbeschränkungen seien unklar655. Die Naturalisierung einer Forderung ist vertraglichen oder gesetzlichen Haftungsbeschränkungen in ihrer Wirkung rechtsähnlich. Die fehlende Aussagekraft ökonomischer Effekte würde daher auch auf die Naturalobligation zu übertragen sein. Ökonomische Prognosen lassen sich anstellen656. Vertragswidriges und 652

Vgl. dazu näher unten C. IV. 4. c), S. 475ff. Schubert, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1981, Allgemeiner Teil, Teil 2, S. 448. 654 Zu den gegensätzlichen analytischen Grundpositionen der Nationalökonomie (Haftungsprinzip und Haftungsprivileg), Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 45, 49 ff. 655 Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003, S. 53 f. Die ökonomische Betrachtung führe nicht weiter (ebd. S. 59). 656 Die Risikozuweisung im vollständigen Vertrag richtet sich nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung. Der Vertrag, der eine Naturalobligation hervorbringt un653

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opportunistisches Verhalten sind evolutorisch instabil. Austauschbeziehungen würden geringfügiger, begrenzter und primitiver ausfallen, aber nicht ausbleiben. Vertrauens- und Kreditwürdigkeit sind zentrale Kriterien eines Marktes. Es würde sich ein Verhaltenskodex ehrbarer Kaufleute oder gewissenhafter Handelspartner bilden und Geschäfts- und Handelsbräuche entstehen 657. Diese Modellannahmen sind dem „natürlichen Privatrecht“ des aufgeklärten Naturrechts nicht unähnlich658 und sie scheinen im Gentlemen’s Agreement auch ein lebensweltliches Pendant zu besitzen659. Sie zeigen, dass von einer vollständig fehlenden Effizienz einer Natural- gegenüber Zivilobligation im Ergebnis nicht auszugehen ist. Auch bilden die genannten Modellannahmen die Grundlage für Überlegungen der Institutionenökonomik. Deren Ziel ist es, privatautonome Vereinbarungen zu entwickeln, die die Spielräume für opportunistisches Verhalten bereits durch die Art und Konstruktion des Vertrages einengen, ohne dass es noch der Kontrolle durch die Gerichte bedarf660. bb) Anerkennung als Vermögenswert und Chance freiwilliger Erfüllung Die Werthaltigkeit einer Forderung hängt von der im Einzelfall gegebenen Erfüllungswahrscheinlichkeit ab661. Das Forderungsrecht kann insoweit auch als schutzwürdige Erwartung662 oder als eine Vermögensaufstockung auf der Grundlage der Willensentscheidung des Schuldners (Willensdogma)663 verterscheidet sich von dem Vertrag, der Zivilobligationen vermittelt insoweit nicht, vgl. für den Bereich des Rechts der AGB, Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. 2005, S. 513 ff. 657 Goetz/Scott, Enforcing Promises: An Examination of the Basis of Contract, Yale Law Journal (1980) 1261, 1263 f. Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. 2005, S. 397. 658 Siehe zu diesem naturrechtlichen Denkansatz eines „status naturalis“ oben B. I. 3. b) aa), S. 99. 659 Die Funktionsweise eines Handels auf der Grundlage von Gentlemen’s Agreements wird von Lisa Bernstein, Opting Out of the Legal System: Extralegal Contractual Relations in the Diamonds Industry, J. Leg. St., 21 (1992) 115–157 für die Diamantenindustrie beschrieben. Siehe näher unten C. V. 4. b) cc) (3), S. 613. 660 Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl. 2003, S. 231 ff. 661 Zum Vermögenswert der kausalen Forderung, vgl. Kegel, Vertrag und Delikt, 2002, S. 97 u. 104; ebenso Dörner, Dynamische Relativität, 1985, S. 103 ff. 662 Bassenge, Das Versprechen, 1930, S. 17 f.; v. Craushaar, Der Einfluss des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, 1969, S. 32 ff.; ablehnend aber Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Vertragsrecht, 1971, S. 412, zutr. krit. Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, S. 335, der die Insuffizienz des Vertrauensgedankens als willenssubstituierendes Begründungsmoment rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten aufzeigt (§§ 116, 118 BGB) und hinzufügt: „Das Ansetzen am Vertrauen führt notwendig in eine Aporie“. 663 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung. Zu den Entstehungsgründen vermögensaufstockender Leistungspflichten, 1999, S. 90 ff.; 337 f.: „Als Grundregel für die Entstehung rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten (Primärpflicht) hat

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standen werden. Die Chancenwahrung ist ihrerseits Gegenstand der schuldnerischen Hauptleistungspflicht. Sie wird durch die Leistungstreuepflicht als unselbständige Nebenleistungspflicht abgebildet664. Die Chance, dass der Schuldner freiwillig erfüllt, mag im Einzelfall sehr gering sein. Der fehlende Zwang nimmt der Naturalobligation aber nicht jede Erfüllungschance. Die obligatorische Rechtsbindung erhöht zumindest die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Leistung und fördert die Bereitschaft des Gläubigers zu eigener, riskanter Vorleistung. Die Einsicht in die Schuldpflicht kommt als möglicher Handlungsgrund für die Erfüllungsentscheidung ohne Zwangsmotiv in Betracht. Sie wird aber weder vorausgesetzt noch ist sie der allein in Betracht kommende Grund, eine Schuld zu erfüllen. Insbesondere ökonomische und gesellschaftliche Sachzwänge können hier maßgeblich sein. Die Handlungsoption, eine bestehende Schuld nicht zu erfüllen, besitzt praktisch nicht selten auch der Schuldner einer Zivilobligation. Die rechtlichen Zwangsbefugnisse garantieren die Erfüllung nicht665. Die Wahl der Unrechtsalternative ist bei der Naturalobligation nur ungleich wahrscheinlicher666. Erfüllungschancen bleiben aber in einem nicht völlig zu vernachlässigendem Umfange bestehen. Das zeigen die Anwendungsgebiete der Naturalobligation. Die naturale Forderung besitzt als eine rechtlich geschützte Aussicht daher auch einen Vermögenswert. Das genügt für die prinzipielle Anerkennung als Rechtsposition667. Der Gläubiger nutzt die Selbstinstrumentalisierung des Schuldners, indem er auf die freiwillige Einhaltung des Vertragsversprechens spekuliert 668 oder an sie glaubt669. Im spekulativen Charakter der Wette lag der Ursprung des Verdie Rückbesinnung auf das Prinzip der Rechtszuweisung als des grundlegenden Ordnungsmusters des Bürgerlichen Rechts das sog. Willensdogma ergeben. … Ihr Spezifikum besteht im Gegensatz zum Vermögensschutz (Schadensersatzrecht, Bereicherungsrecht) in der Bewirkung einer Aufstockung des fremden Vermögens. Als systemkonforme Rechtfertigung kann deshalb grundsätzlich nur der Wille des Schuldners zur Übernahme einer entsprechenden Verbindlichkeit in Betracht kommen.“ 664 Mäsch, Chance und Schaden, 2004, S. 242. 665 Edenfeld, Der Schuldner am Pranger – Grenzen zivilrechtlicher Schuldbeitreibung, JZ 2002, 645 ff. 666 Daher ist ein gegenseitiger Vertrag, in dem sämtliche Verpflichtungen nur einer Seite als Naturalobligationen ausgestaltet sind, im Regelfall sittenwidrig, OLG Celle v. 5.4.1968, OLGZ 1969, 1; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 94; Erman/Palm, BGB, 11. Aufl. 2004, § 138 Rn. 141. Zu Frage der Sittenwidrigkeit siehe unten C. V. 3. a) bb), S. 584 ff. 667 Die materiell und formell gestützte Erwartung, vgl. Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. 1 AT, 8. Aufl. 1995, S. 14 f., Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit, 2002, S. 68; das gilt erst Recht, wenn man mit Larenz lediglich ein ideelles Anrecht und eine reelle Chance genügen lässt, Larenz, Schuldrecht, Bd. I, AT, 14. Aufl. 1987, § 2 I, S. 8. 668 Auch bei der Zivilobligation beruht der Leistungsaustausch auf der Erwartung des Rechtsverkehrs an die freiwillige Erfüllung aus Einsicht, Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 136. 669 Darin liegt die Ursprungsbedeutung der Bezeichnung Gläubiger, Larenz, Schuldrecht, Bd. I, AT, 14. Aufl. 1987, § 2 I, S. 6.

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tragsversprechens im germanischen Recht670. Ein Grundgedanke, der bis heute sowohl für die Zivil- als auch für die Naturalobligation gilt671. Auch einige Beispiele aus der Praxis stützen diese Annahme. So wird der Verlust einer Naturalobligation im Vermögensstrafrecht als Vermögensschaden anerkannt und entsprechend sanktioniert672. Die Naturalobligation soll ferner keine Schuld darstellen, die dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet und ihn daher zur vorrangigen Anrechnung im Sinne von § 366 Abs. 2 BGB berechtigt673. Auch wird die Begründung einer Naturalobligation durch den Minderjährigen jedenfalls als ein Rechtsnachteil angesehen, weil sie gewisse den Schuldner belastende Wirkungen habe674. cc) Eigener wirtschaftlicher Nutzen für den Schuldner (Glaubwürdigkeitsgewinn) Die Erfüllung einer nicht zwangsbewehrten Pflicht kann auch einen eigenen wirtschaftlichen Nutzen für den Schuldner haben. Das ist in neuerer Zeit insbesondere im Zusammenhang mit den sog. freiwilligen Selbstverpflichtungen erkannt worden675. Der Schuldner vermag bei fehlender Durchsetzbarkeit, seine Autonomie unter Beweis zu stellen676. Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Einsichtsfähigkeit, Vernünftigkeit, Redlichkeit und Anständigkeit werden nun in stärkerem Maße demonstrierbar als unter der Zwangsbedrohung. Durch die Erfüllung obligatorischer Schuld beweist der Schuldner sich selbst und seiner gesellschaftlichen Umwelt, dass er autonom, d.h. selbstgesetzgebend und damit berechenbar handelt. Die Naturalobligation vermag diese Funktion besonders auffällig zu erfüllen, weil dem Schuldner die Unrechtsalternative praktisch offen steht. Entscheidet er sich gegen den Rechtsbruch, so liegt darin ein Zeugnis für Vernunft und Rechtschaffenheit. Für den gestreckten Leistungsaustausch besitzt diese kommunikative Funktion der Forderung eine für den wirtschaftlichen Ruf und Kredit eigenständige Dimension und damit einen wirtschaft670 Wilhelm Ebel, Die Willkür, Eine Studie zu den Denkformen des älteren deutschen Rechts, S. 21 u. 37 (bedingtes Selbsturteil für den Fall, dass eine Behauptung über das eigene Verhalten sich als unrichtig herausstellt). Vgl. oben B. I. 2. a) bb), S. 71. 671 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 34 ff., wobei die aleatorischen Verträge sich zu einer besonderen Gruppe von Verträgen entwickelt haben (ebd. S. 112). 672 Bockelmann, Die Behandlung unvollkommener Verbindlichkeiten im Vermögensstrafrecht, in: Engisch/Maurach (Hg.), FS für Edmund Mezger, 1954, S. 363, 364; Lackner/ Kühl, StGB, 23. Aufl. 1999, § 263 Rn. 34. 673 Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2004, § 4 Rn. 89 (bezüglich der Zahlung auf eine formfehlerhafte anwaltliche Vergütungsforderung). 674 Staudinger/Knothe, BGB, 13. Bearb. 2004, § 107 Rn. 23. 675 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 225 f.; näher unten C. IV. 5. i) dd), S. 554 ff. 676 Verdienstvolle Legalität, siehe oben C. III. 2. b) ff) (3), S. 396; zur Problematik beim Gentlemen’s Agreement, unten C. V. 4. b) und c), S. 602 u. S. 624.

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lichen Nutzen. Sie ermöglicht dem Schuldner den Nachweis von Glaubwürdigkeit im Tauschhandel. Die Glaubwürdigkeit ist ein ökonomisch bewerteter Wirtschafts- und Machtfaktor. Sie schafft die Grundlage für wiederholte Tauschgeschäfte und die Gewinnung neuer Tauschpartner. Die steigerbare Glaubwürdigkeit setzt in einer eng vernetzten Kommunikationsgemeinschaft Reputationsgewinne in messbare wirtschaftliche Erträge um. In starker Extrapolation zeigt Thomas Schelling das unabdingbare Erfordernis der Glaubwürdigkeit für die Vertrauensinvestition einer vertraglichen Bindung am Beispiel einer Geiselnahme 677. Ein flüchtender Geiselnehmer möchte sich seiner Geisel entledigen. Eigentlich möchte er sie freilassen, aber sie hat ihn erkannt. Sie beteuert, ihn nicht der Polizei zu verraten, und er möchte ihr vertrauen, aber kann er das? Wie kann sie ihr Versprechen glaubhaft machen, wie kann sie sich glaubwürdig selbst binden? Gelingt es beiden nicht, ihr Vertrauensproblem zu lösen, wird der Geiselnehmer die Geisel töten. Vertraut er dagegen der Geisel, dann muss er eine für ihn riskante Vorleistung bringen und sie freilassen. Er hat in diesem Fall keine Möglichkeit, seine Vertrauensleistung abzusichern. Dem Beispiel fehlt die normative Absicherung des Vertrauens. Niemand hält die Geisel für verpflichtet und macht ihr einen Vorwurf, wenn sie später ihr Versprechen bricht. Die Schweigepflicht gegenüber dem Geiselnehmer wird vom staatlichen Recht nicht als rechtswirksam anerkannt und lässt sich auch nicht etwa durch Vertragsstrafen sichern. Dennoch zeigt das Beispiel die Bedeutung der Glaubwürdigkeit für die Gewinnung eines Tauschpartners 678.

677

Thomas Schelling, Strategy of Conflict, New York 1963, S. 43 f. Ziegler, Interesse, Vernunft und Moral: Zur sozialen Konstruktion von Vertrauen. In: Hradil (Hg.): Differenz und Integration – Die Zukunft moderner Gesellschaften, 1997, S. 241. Ziegler zeigt hier das Problem der glaubwürdigen Selbstbindung, die notwendig in eine riskante Vorleistung mündet (ebd. S. 245). 678

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IV. Rechtsdogmatische Einordnung Nach der hier aufgestellten These ist die Naturalobligation dogmatisch als Forderung (Schuldverhältnis im engeren Sinne) zu fassen. Dem steht die Auffassung gegenüber, Forderung und Rechtsgrund seien in den potentiellen Anwendungsfällen zu verneinen und die Rechtsfigur generell zu verwerfen1. Die dogmatische Frage geht dahin, ob die in Rede stehenden Fälle auf der Leistungsebene strukturiert sind und damit zum Recht der Güterbewegung gehören oder ob sie nur indirekt durch ein Rückforderungsverbot erfasst werden. Die Grundfrage nach der rechtsdogmatischen Anerkennung der Naturalobligation muss auf der Abstraktionsebene des Forderungsbegriffs und nach den Wertungen und Strukturen des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsrechts beantwortet werden. Aufgeworfen sind die notwendig offenen Prämissenfragen, ob es Naturalobligationen im Rechtssinne „gibt“ oder geben sollte (1). Die zwischen einer Leistungsforderung und der Ablehnung jeglicher Leistungsstruktur liegenden Auffassungen variieren die Zuordnung der Naturalobligationen unter dem Systembegriff des Behaltensgrundes 2. Er stellt gegenüber dem Rechtsgrundbegriff des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB3 den umfassenderen Begriff dar. Je nach Qualifikation schwankt die Einordnung zwischen rechtlichem und nichtrechtlichem (sittlichem) Behaltensgrund für den Leistungs1

Vgl. Nachweise oben B. I. 5. d) aa) (2) – (4), S. 195 ff. Den Rechtsgrund kann man nach seiner Funktion allgemein als Behaltensgrund ansprechen und dann unterscheiden nach den zu Grunde liegenden Rechtsverhältnissen. Das sind einerseits die Schuldverhältnisse, die nach h.L. zugleich als objektive Rechtsgründe bezeichnet werden, und andererseits die bloßen Rechtsgrundabreden, die spezifiziert sind in Schuldverhältnisse ohne Erfüllungsanspruch (Handgeschäfte, geheilte Geschäfte, Naturalobligationen) und nicht bindende Zweckvereinbarungen (condictio ob rem). Vgl. Larenz/ Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, BT Bd. 2/2, 13. Aufl. 1994, § 67 III. 1. b) u. c), S. 136 f.; MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 174. Eingebürgert hat sich dabei auch die Rede von den Rechtsgründen auf der einen Seite und den bloßen Behaltensgründen auf der anderen Seite, die sachlich mit den Erwerbsgründen (Gernhuber) und den sog. „reinen“ Rechtsgründen (Krawielicki) übereinstimmen. 3 Ohne Belang ist hier die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Rechtsgrundtheorie. Nach der objektiven Theorie ist Rechtsgrund die Verbindlichkeit selbst (Forderung oder Vertrag), während nach der subjektiven Theorie der Rechtsgrund in der Zweckerreichung (Erfüllung der Verbindlichkeit) gesehen wird. Die condictio ob rem wird nach der letztgenannten Theorie als maßgebliches Strukturprinzip des Bereicherungsrechts verstanden, vgl. zum Streit MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 170 ff., der den subjektiven Rechtsgrundbegriff ablehnt (Rn. 172). 2

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empfänger. Das führt zu der verbreiteten Annahme, § 814 Hs. 2 BGB stelle aufgrund der dort ausgesprochenen Anerkennung sittlicher Pflichten eine gesonderte Rechtsgrundregelung dar. Die sittliche Pflicht bildet danach einen extralegalen Behaltensgrund oder einen Rechtsgrund zweiter Klasse. Die Einstufung als objektiver Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ist hier die klarere und vorzugswürdige Lösung (2). Die unterschiedlichen Auffassungen über die Dogmatik des Behaltensgrundes fließen ferner in die Auseinandersetzung um das dogmatische Verständnis der Leistungsstruktur ein. Die schlagwortartige Alternativeinstellung lautet: Handelt es sich um eine Forderung oder um einen „Torso“ mit Behaltensbefugnis? (3). Die dogmatische Struktur ist danach zu beschreiben und im Hinblick auf die Anwendungsfälle zu konkretisieren (4).

1. Die Grundentscheidung für die Rechtsfigur Naturalobligation Die Argumente für und gegen die Anerkennung einer Leistungsstruktur werden nach den historischen Vorgaben des BGB-Gesetzgebers, dem Wortlaut, der gesetzlichen Systematik und dem Zweck der jeweiligen Regelungskonzepte geordnet. Die Auffassung von Klingmüller, wonach es sich bei der Naturalobligation um ein obligationsmäßiges Rechtsgebilde handele, weil Entstehung wie Untergang sich nach Sätzen des Obligationenrechts vollziehen, halte ich im Ergebnis für richtig, als Argument aber für zirkulär4. Erst aus der Anerkennung der Naturalobligation folgt die entsprechende Anwendung der schuldrechtlichen Regeln. Allerdings können die Vorteile einer solchen Rechtsanwendung auch die Anerkennung beeinflussen.

a) Die offene Ausgangslage: Eine vermiedene Entscheidung des BGB-Gesetzgebers Die Diskussion über die Integration der Naturalobligation in das Schuldrecht des BGB wurde sowohl im Hinblick auf eine allgemeine Regel als auch im Rahmen der potentiellen einzelnen Anwendungsfälle geführt. Die Ergebnisse der oben im historischen Teil nachvollzogenen Entstehungsgeschichte 5 zeigen eine vermiedene Entscheidung des BGB-Gesetzgebers. Die 1. Kommission hatte „in Ansehung der sogenannten Naturalobligation“ eine positive Grundentscheidung über die Anerkennung der obligatio naturalis getroffen, aber gleichzeitig

4 5

Vgl. Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, S. 256. Siehe oben B. I. 5. a), S. 163 ff.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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entschieden, den Ausdruck ‚natürliche Obligation‘ im Gesetz zu vermeiden 6. Die Sprachregelung, wonach einerseits nur die klagbare (die erzwingbare) Verbindlichkeit bei Verwendung der Begriffe Obligation oder Schuldverhältnis gemeint sei, andererseits aber in den gesetzlich geregelten Fällen die „gedachte Bezeichnung“ vermieden werden sollte, belegt eine prinzipielle dogmatische Anerkennung der Rechtsfigur. Nur in der Sprache des Gesetzbuches soll die „gedachte Bezeichnung“ (Naturalobligation, natürliche Verbindlichkeit, unvollkommene Verbindlichkeit) nicht als terminus technicus verwendet werden7. Nach dem Verständnis der 1. Kommission konnten Einzelfälle prinzipiell anerkannt werden. Die Vorkommission des Reichsjustizamts beschloss weitergehend auch eine allgemeine Regel aufzunehmen. Der Schutz sittlicher Pflichten und Anstandsrücksichten wurde in § 814 Hs. 2 BGB „unter Rücksicht auf das geltende Recht“8 aufgenommen. Mit der Regelung sollten der Leistungsempfänger geschützt und die Erfüllung sittlich gebotener Leistungspflichten anerkannt werden. Die Motive sprechen von der Minderheit, die eine allgemeine Regelung ablehne und nur bei Spiel und Wette und ähnlichen Instituten die Naturalobligation in gewissen Grenzen anerkenne9. Die Mehrheit habe stattdessen die Rückgängigmachung einer sittlich gebotenen Leistung mit rechtlichen Mitteln regeln und ausschließen wollen. So weit müssten Recht und Moral in Einklang gebracht werden10. Auch die gesetzlichen Einzelregelungen zeigen ein Bild, das für die hiesige These spricht oder ihr zumindest nicht entgegensteht. Bezüglich der verjährten Forderung hat der Gesetzgeber bewusst offengelassen, ob sie als Naturalobligation einzustufen sei11. Auch für das Lohnversprechen des Ehemaklers wurde weder eine Bestimmung, welche den in Rede stehenden Vertrag für schlechthin nichtig erklärt, noch die volle Wirksamkeit für angemessen gehalten12. Ebenso stufte der historische Gesetzgeber Spiel- und 6

Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 41. Im einzelnen oben B. I. 5. a) aa), S. 163ff. 7 Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 149 geht ebenso davon aus, dass die Festlegung auf die „klagbare Obligation“ nur für die Sprache des BGB von Belang sei. Für die Struktur „des“ Schuldverhältnisses seien solche terminologischen Festlegungen völlig irrelevant; Gründe dafür, dass der terminologischen Festlegung des BGB auch sachliche Gründe entsprechen, die eine Zusammenfassung von bestimmten Einzelbefugnissen (insbesondere von Einziehungs- und Klagebefugnis) notwendig erfordern, bestünden im Ergebnis nicht. 8 Womit die Rückforderungsausschlüsse bei unvollkommener Pflicht und bei bloß moralischer Verbindlichkeit gemäß §§ 178, 179 PrALR I, 16 gemeint waren. Siehe Gesetzestext oben B. I. 3. e) aa), S. 136. 9 Siehe oben B. I. 5. a) bb) (1), S. 166; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S.1177 10 Siehe oben B. I. 5. a) bb) (2), S. 167; Mugdan, (vorherige Fn.), S.1178. 11 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (1) S. 170; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I, Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil, 1899, S. 541. 12 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (2) S. 173. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürger-

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C. Systematischer Teil

Wettverträge ein. Verträge also, die Forderungen erzeugen, deren Rechtswirkungen aber bis auf ein residuum reprobiert (aberkannt) werden13. Damit stand dem historischen Gesetzgeber eine residuale, nur in ihren Wirkungen veränderte Forderung vor Augen. Ungeachtet der offen gelassenen Frage, welche dogmatische Struktur die residuale Forderung habe und ob es sich um eine rechtliche oder nur noch um eine sittliche Forderung handele, blieb dieser Forderungsrest systematisch doch auf der Leistungsebene angesiedelt. Mit einer restlichen Forderung hielt der Gesetzgeber auch den dogmatischen Grundsatz aufrecht, wonach das vertragliche Leistungsversprechen primäre Leistungspflichten erzeugt. Im Verlöbnisrecht war bis zum Schluss streitig geblieben, ob das Verlöbnis die lediglich nicht klagbare Verpflichtung zur Eheschließung begründe14 oder ob eine Verpflichtung nicht anzuerkennen sei. Diese Frage nach der rechtlichen Natur des Verlöbnisses sollte der Wissenschaft überlassen bleiben15. Zu den anzuerkennenden Einzelfällen unter der „gedachten Bezeichnung“, zählte schließlich auch die Ausstattung des Kindes, die als sittliche Pflicht ohne Erzwingungsmacht ausgestaltet wurde16. Die prinzipielle Anerkennung einer Leistungsstruktur (Naturalobligation) liegt vor diesem Hintergrund nahe. Die nur bereicherungsrechtliche Korrektur einer an sich rechtsgrundlosen Leistung (Rückforderungsausschluss) wird in den Materialien dagegen nicht ausgearbeitet.

b) Mögliche Verklammerung unter der dogmatischen Rechtsfigur Naturalobligation Die Grundaussagen aus den Materialien rechtfertigen die Einteilung in gesetzlich präformierte Naturalobligationen als Einzelfallregelungen einerseits und richterrechtlich feststellungsbedürftige Naturalobligationen über den Rechtsbegriff der „sittlichen Pflicht und Anstandsrücksicht“ im Rahmen von § 814 Hs. 2 BGB andererseits. Beide Formen können unter der einheitlichen dogmatischen Rechtsfigur Naturalobligation zusammengefasst werden. lichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 286. 13 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (3), S. 173. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 442; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 359. 14 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (4), S. 174. Vgl. den klarstellenden Antrag des Abgeordneten Gröber zu § 1280 Abs. 1 E II für die 1. Lesung im Reichstag am 24.4.1896. 15 Als seine persönliche Ansicht bezeichnete Planck die Auffassung, dass das Verlöbnis eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung nicht begründe, vgl. Bericht von Heller v. 24.4.1896, abgedruckt in Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. I, 1987, S. 20. 16 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (5), S. 176.

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aa) Gesetzeswortlaut mit Sprachregelung („… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“) Es entspricht weithin vertretener Meinung, dass der historische Gesetzgeber mit der in §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB gleichlautenden Formulierung „… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“ die ersatzlose Streichung jeglicher Leistungsstruktur bei Ehemaklerlohn sowie Spiel- und Wettverträgen angeordnet habe. Die gesetzliche Formulierung wird überdies als Entscheidung gegen die Rechtsfigur Naturalobligation insgesamt aufgefasst17. Wie die Materialien zeigen, ist das Wortlautargument jedoch ohne Überzeugungskraft18. Die präzise terminologische Festlegung, wonach unter einer Verbindlichkeit im Gesetzestext „nur die klagbare Obligation begriffen werde“19, führt in der Negation nur zur Aufhebung der Spezifizierung „klagbar“. Unter der sprachlichen Chiffre „wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“ ist die nicht klagbare Verbindlichkeit beschrieben. Die sprachliche Festlegung auf die Spezifikation „klagbar“ eröffnet mit ihrer begrifflichen Negation den dogmatisch verbliebenen Raum für Fälle fehlender Spezifikation und damit für die klaglose Obligation 20. Dafür spricht auch, dass die dogmatische Einordnung nicht durch eine Sprachkonvention dekretiert werden konnte und sollte. Der vereinbarte Sprachgebrauch für den Gesetzestext zeigt, dass die Frage tatsächlich insgesamt als offen zu betrachten ist. Die Negation der klagbaren Obligation belässt den Raum für eine nichtklagbare Obligation. Als Beleg für eine dogmatisch zwingende Verknüpfung von Obligation und Klagbarkeit kann der Gesetzeswortlaut jedenfalls nicht dienen 21. In diese 17 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 434; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3; zutreffend dagegen M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), FS Medicus, 1999, S. 123, 131. Die Begriffsdifferenzierung (Regelungstyp 1: Naturalobligation, § 814 Hs. 2 BGB und Regelungstyp 2: Unvollkommene Verbindlichkeit, §§ 656, 762, 764 BGB) halte ich aber nicht für gerechtfertigt, vgl. oben C. II. 1. b), S. 262. 18 Siehe dazu oben B. I. 5. a) aa) (1) S. 163. 19 Vorbeschluss vom 3.10.1877, Text siehe oben S. 164. Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 46. 20 Die Präzisierung des Begriffs verengt die Bedeutung seiner Negation auf die Spezifikation. Das lässt sich an einem Alltagsbeispiel illustrieren. Wenn definiert wird, dass in einem bestimmten Text unter einem Schrank nur ein solches rechteckiges, aufstellbares Behältnis zur Lagerung von beweglichen Gütern verstanden werden soll, welches an einer Seite zwei Türen hat, und sodann über ein Behältnis gesagt wird, dies ist kein Schrank, so bleibt als präzise Aussage nur übrig, dass das gemeinte Behältnis an einer Seite keine zwei Türen besitzt. Damit bleibt zumindest offen, wie das fragliche Behältnis sonst beschaffen ist. Es könnte ein Schrank sein, der nur eine Türe hat, ebenso aber auch eine Truhe oder eine Tonne usf. 21 Im Ergebnis ebenso Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 149 („völlig irrelevant“); Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem. zu §§ 762 Rn. 3¸ M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), FS Medicus, 1999, S. 123, 131.

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C. Systematischer Teil

Richtung weist auch folgender Umstand: Die Gesetzesformulierung („… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“) war von der 1. Kommission ebenso für das Verlobungsversprechen vorgesehen gewesen. Das Verlöbnis als vorvertragliches Eheversprechen schließt nach verbreiteter Auffassung nur die Leistungs- bzw. die Gestaltungsklage auf Eingehung der Ehe aus22. Kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wurde an dieser Stelle dann die heutige Sprachfassung „kann nicht auf … geklagt werden.“ aufgenommen (§ 1297 Abs. 1 BGB). Hierbei sollte es sich nur um eine klarstellende sprachliche Änderung „zur Vermeidung von Missverständnissen in der rechtsunkundigen Bevölkerung“ handeln 23. Auch gehören Spiel und Wette zu jenen Fällen, in denen eine entsprechende Leistungsstruktur nach den Motiven anerkannt wurde24. Der Verweis auf den „klaren Wortlaut“, mit dem das Meinungslager jegliche Verbindlichkeit verneint, ist im Ergebnis daher nicht tragfähig. Die gesetzliche Diktion in §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB („ … wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“) ist konsistent dahin zu verstehen, dass die „klagbare Obligation“ ausgeschlossen ist. bb) Systematischer Ausgangspunkt: § 241 BGB Der systematische Ort für die Rechtsfigur ist aus der historischen Sicht die Grundnorm § 241 Abs. 1 BGB. Nach der vorläufigen Gliederung des Schuldrechts führte der Redaktor v. Kübel in den Allgemeinen Teil im 1. Abschnitt die ‚Naturalobligation‘ unmittelbar im Anschluss an die Eingangsvorschrift „Vom Wesen der Obligation“ auf25. Die systematische Verankerung im Forderungsbegriff folgt insbesondere der historischen Tradition, dem römischen Recht auf der einen Seite und dem aufgeklärten Naturrecht auf der anderen Seite. Immer erfolgt die Bifurkation (civilis – naturalis, vollkommen – unvollkommen) nach den systembildenden Grundbegriffen obligatio und Verbindlichkeit. Auch die subjektiven und objektiven Lehren der Naturalobligation26 und ihre Rezeption 22 Vgl. Schreiber, Unvollkommene Verbindlichkeiten, JURA 1998, 270, 272. Die gesetzlichen Ersatzpflichten (Aufwendungsersatz), die den unberechtigten Verlöbnisbruch sanktionieren, üben allenfalls einen mittelbaren Zwang auf die Einhaltung der Verlöbnispflicht aus (Schreiber). Das Verlöbnis ist daher als Naturalobligation zu qualifizieren. 23 Siehe oben B. I. 5. a) cc) (4), S. 174. Beim Verlöbnis sollte von der Wissenschaft entschieden werden, ob eine Verpflichtung zur Eheschließung anzunehmen sei. 24 „Nur in wenigen Fällen erkennt der Entwurf das Bestehen einer unvollkommenen Obligation an.“ vgl. Motive zum Ersten Entwurf oben B. I. 5. a) S. 164 f.; darauf weisen auch Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, Vorbem. zu §§ 762 Rn. 3 und M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 123, 130 zu Recht hin. 25 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 1978, S. 21. 26 Siehe oben B. II. 1 a) und b) S. 262 ff.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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in mehreren europäischen Kodifikationen 27 legen dieses Verständnis nahe. Das gilt etwa im italienischen, französischen, österreichischen und schweizerischen Recht. Sie erfassen die Naturalobligation zwar aus dem Blickwinkel der Rückforderung und könnten daher auch als Korrektur einer „an sich“ rechtsgrundlosen Güterzuordnung durch Rückforderungsverbot verstanden werden 28. Trotzdem gehen diese Regelungen an der Grundfrage nach der Struktur der Leistungsbewegung nicht vorbei, sondern haben eine differenzierte Dogmatik über die obligatio naturalis als Rechtsgrund entwickelt. Die Annahme einer Pseudoobligation („unecht“, „uneigentlich“, „an sich rechtsgrundlos“) ist dagegen kein tragfähiges Konzept. Die sprachliche Distanzierung „an sich nicht“ sperrt sich (formal) gegen eine Begriffserweiterung hin zu einer Forderung ohne Zwang. Das Zwangsmoment ist wie gezeigt aber kein notwendiger Bestandteil der Forderung. Das erlaubt daher die Integration der Naturalobligation in den Forderungsbegriff29. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung hat im Jahre 2001 den Terminus ‚unvollkommene Verbindlichkeiten‘ als amtliche Überschrift des Titels 19 im 8. Abschnitt des zweiten Buches für Spiel, Wette, Lotterie und Ausspielung aufgegriffen (§§ 762 f. BGB), ohne die Gründe hierfür im Einzelnen darzulegen 30. Die systematische Differenz zwischen Vertrag und Forderung bleibt unbeachtet. Die Titelüberschrift ist ferner ungenau, weil mit der Lohnforderung des Ehemaklers eine weitere unvollkommene Verbindlichkeit auch im Besonderen Teil des Schuldrechts des BGB vorkommt (§ 656 BGB)31. cc) Art. 3 Buch 6 niederländisches BW als Vorbild Vor dem Hintergrund der deutschen Gesetzgebungsgeschichte und des in § 814 Hs. 2 BGB verfolgten objektiv-rechtlichen Ansatzes32 kann die niederländische Kodifikation als Transformation der auch im BGB angelegten Strukturen gesehen werden. In Buch 6 Art. 3 BW ist eine in der Tradition des römischen Rechts stehende allgemeine Regelung der Naturalobligation aufgenommen worden 33. 27

Siehe oben B. II. 2 a) und b) S. 267 ff. u. 271 ff. Siehe oben B. II. 2 a) aa), S. 267, bb), S. 269 und B. II. 2 b) aa) S. 271, cc), 272. 29 Siehe oben C. III. 3 c) cc) S. 419. 30 Rüfner, Amtliche Überschriften für das BGB, ZRP 2001, 12, 15. 31 Vgl. auch oben C. II. 1. b), S. 262. 32 Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums über die Erzwingbarkeit. 33 Der Text in deutscher Übersetzung lautet: (1) Eine Naturalobligation ist eine rechtlich nicht durchsetzbare Verbindlichkeit. (2) Eine Naturalobligation besteht: a) wenn das Gesetz oder ein Rechtsgeschäft einer Verbindlichkeit die Durchsetzbarkeit vorenthält; b) wenn jemand gegenüber einem anderen eine dringende moralische Verpflichtung solcher Art hat, dass ihre Erfüllung, obgleich nicht rechtlich durchsetzbar, nach gesellschaftlicher Auffassung als Erfüllung einer dem anderen gebührenden Leistung angesehen werden muss. Siehe mit Nachweisen oben B. II. 2 b) dd) S. 228. 28

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Der BGB-Gesetzgeber war beeinflusst durch die Unsicherheit im Verständnis der obligatio naturalis des römischen Rechts34. Eine zeitgemäße Betrachtung lässt es dagegen durchaus gerechtfertigt erscheinen, de lege ferenda eine parallele Regelung auch in das BGB aufzunehmen. Wie § 241 Abs. 2 BGB zeigt, entsprechen Definitionsnormen und die kodifikatorische Verankerung dogmatischer Grundlagen dem Stile der Zeit. Erforderlich ist eine gesetzliche Positivierung aber nicht.

c) Naturalobligation als Behaltensgrund oder Rechtsschutzversagung (Kondiktionssperre) Die Verneinung einer Leistungsstruktur zwingt in bereicherungsrechtlicher Hinsicht zu einer atypischen Gestaltung. Nichtgenehmigte Spiel- und Wettverträge werden als rechtsunwirksam eingestuft, weil es an einer Verbindlichkeit gem. § 762 Abs.1 S. 1 BGB fehle. Das materielle Gegenrecht des Spieleinwandes soll im Kontext des § 814 BGB zu verstehen sein 35. § 762 Abs. 1 S. 2 BGB sei funktional als Kondiktionsausschluss einzuordnen. Vergegenwärtigt man sich diese konstruktive Lösung, so wird die an sich dem Vertragsgläubiger gebührende Erfüllungsleistung nur einem Scheingläubiger belassen. Der schuldnerschützende Spieleinwand ist in eine belastende Rechtsschutzversagung umfunktioniert. Damit haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Die Leistungsbewegung ist weder im Sinne eines objektiven oder subjektiven Rechtsgrundes (Schuldverhältnis oder Zwecksetzung) noch als reiner Rechts- oder bloßer Behaltensgrund gerechtfertigt36. Es handelt sich um eine materiellrechtlich nicht begründete Vermögenszuordnung, deren Rückgängigmachung aber durch die speziell geregelte Kondiktionssperre ausgeschlossen ist (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB). Wie bei § 814 Hs. 1 BGB soll die Gleichwohlleistung gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen. Der von der Leistungshandlung ausgehende Widerspruch liege bei Spiel und Wette darin, dass sich der Leistende „freiwillig über die Wertvorstellungen des Gesetzgebers hinweggesetzt habe“37. Die §§ 762 Abs. 1 S. 2, 814 BGB bedeuteten danach eine generalpräventive Rechtsschutzversagung gegenüber dem Leistenden38. Diese Auffassung, die aufgrund der parallelen Regelung in § 656 BGB ebenso 34

Vor ihrer Rezeption wurde mehrfach wegen des unklaren Bildes, das man von ihr hatte, gewarnt, Vgl. dazu oben B. I. 5. b), S. 177 f. 35 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; zust. Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3. 36 Zu der dabei zugrundegelegten Systematik unter dem auf Wilhelm und Welcker zurückgehenden Oberbegriff Behaltensgrund, vgl. oben C. IV., S. 431 Fn. 2. 37 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; zust. Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 3. 38 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 3.

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für Ehe-, Partner und Freizeitkontaktvermittlung zu gelten hätte, überzeugt nicht. aa) Rückforderungslage (fehlender Rechtsgrund) Der historische Gesetzgeber hat die Wirksamkeit der Verträge nicht in Frage gestellt, sondern den aus ihnen hervorgehenden Leistungsforderungen die Wirkung bis auf ein residuum aberkannt. Der Gesetzgeber hat dabei eine systematische Trennung von Vertrag und Forderung (Verbindlichkeit) vollzogen, die nicht übergangen werden darf. Nichts spricht für die Annahme, Spiel- und Wettverträge seien unwirksam, etwa weil sie unverbindlich seien. (1) Unwirksamer Vertrag Unverbindliche Verträge39 sind unter der Prämisse unwirksam, dass das Bestehen einer Verbindlichkeit eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertrages darstellt. Sieht man von den Sonderfällen eines Vertrages ohne primäre Leistungspflicht ab40, dessen Dogmatik der historische BGB-Gesetzgeber noch nicht kannte41, so könnte das Fehlen der Forderung auch zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Konstruktiv handelte es sich dann um unwirksame Spiel- und Wettverträge, die den Parteien aber gleichwohl Behaltensrechte an den ausgetauschten Leistungen zuweisen. Ein solches Modell ist denkbar, aber nicht sinnvoll. Die Naturalobligation vermeidet die Anomalie eines Vertrages, der unwirksam ist aber zugleich Behaltensrechte zuweist. Sie hält den Funktionszusammenhang zwischen Vertrag und Forderungsentstehung aufrecht. Aus ei-

39 Den Begriff des „unverbindlichen Vertrages“ verwenden Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 439 (unverbindliche aleatorische Verträge) und MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1. Sie gehen dabei von einem unwirksamen Vertrag aus. Meines Erachtens sollten nur wirksame Verträge als unverbindliche Verträge bezeichnet werden können, weil die Vertragseigenschaft sie gegenüber unverbindlichen (unbestimmten) Rechtshandlungen anderer Art auszeichnet. Zur Unverbindlichkeit als eine mögliche spezifische Eigenschaft wirksamer Verträge, vgl. oben C. III. 2 a) cc), S. 382. 40 Ein wirksamer Spiel- und Wettvertrages bei gleichzeitigem Ausschluss einer Verbindlichkeit ist wie alles positivistisch formbar. Eine solche Annahme belastet aber das System unnötig mit einer Irregularität. Sie führt zu der Annahme eines unverbindlichen und dennoch wirksamen Vertrages, wie er etwa im Falle der unbilligen Leistungsbestimmung für eine Übergangszeit auch durch §§ 315 ff. BGB oder im Rahmen von § 311 a BGB im Falle der Unmöglichkeit entstehen kann. Zu den Verträgen ohne primäre Leistungspflicht einschließlich des Rahmenvertrages einschließlich des sog. Allgemeinen Bankvertrages oben C. III. 2. a) cc), S. 382. 41 Die dogmatische Gestalt des Vertrages ohne primäre Leistungspflicht geht zurück auf Larenz, Entwicklungstendenzen der heutigen Zivilrechtsdogmatik, JZ 1962, 105, 109, der bestimmte Fälle der cic als Verträge ohne primäre Leistungspflichten erfasst.

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nem wirksamen Spiel- oder Wettvertrag erwächst die residuale, nicht erzwingbare Forderung. (2) Der unwirksame, nicht nichtige Spielvertrag (schwache Unwirksamkeit) In Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass Spiel- und Wettverträge auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen sind, was bei angenommener Unwirksamkeit dogmatisch kaum zu begründen ist. Daher behilft man sich mit einer aktionenrechtlichen Betrachtung. Der Rückforderungsausschluss aus § 762 Abs. 1 S. 2 BGB sei nur anzuwenden, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt werde42. Die Rechtsprechung vermeidet so eine Aussage über den Rechtsstatus von nicht genehmigten Spielverträgen. In Nichtigkeitsfällen, etwa bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote oder gegen die guten Sitten sei der Vertrag „schlechthin nichtig“43. Diese Unterscheidung in eine schwache und eine starke Nichtigkeit (schlechthin) überzeugt nicht. Fraglos finden die Regeln über die Abschluss- und Inhaltskontrolle (§§ 104 ff., 119 ff., 134, 138 BGB) Anwendung und es werden ebenso selbstverständlich Spiel- und Wettverträge geschlossen, die durch entsprechende Vertragserklärungen der Parteien zustande kommen. Auch versagt die Rechtsprechung in Fällen unzulässiger Rechtsausübung den Spieleinwand mit der Folge, dass der Vertrag vollwirksam wird44. Ein Rechtsregime der Unwirksamkeit bzw. der starken und schwachen Nichtigkeit kann diese Konsequenz nicht erklären. Sie sei „dogmatisch schwierig“45 und müsse daher abgelehnt werden46. Das Rückforderungsverbot unter dem Aspekt des Spielcharakters (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB) meine, dass die Leistung – wäre der Vertrag wirksam – die Erfüllung der daraus resultierenden Verbindlichkeiten bewirkte und das Spiel oder die Wette durchgeführt und beendet wurde47. Hier zeigt sich die Irregularität des Konzepts besonders deutlich. 42 BGH v. 10.11.2005, NJW 2006, 45, 46 (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB greift nur dann Platz, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist die Spielvereinbarung wie hier gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, gelten die allgemeinen Regeln (§§ 812 ff. BGB)). Ebenso BGH v. 21.9.1997 NJW 1997, 2314, 2315 und bei Gesetzesverstoß § 134 i.V.m. § 10 SpielbVO, BGH v. 12.7.1962, BGHZ 37, 363, 366. 43 BGH v. 12.7.1962, BGHZ 37, 363, 366 (Nichtiger Spielbankvertrag ist „schlechthin nichtig“). 44 Treuwidrige Berufung auf den Börsentermineinwand: BGH v. 17.11.1971, BGHZ 58, 1, 6; BGH NJW 1980, 1957, 1958; BGH NJW 1991, 2705, 2706 (wohlinformierter Anleger mit überlegenem Wissensstand kann sich nach Treu und Glauben nicht auf den Termineinwand berufen. Die Forderung ist daher verbindlich); zust. vgl. Lang, ‚Börsentermingeschäftsfähigkeit‘ von privaten Anlegern auch ohne Unterzeichnung des Informationsmerkblatts? ZBB 1999, 218, 226. 45 Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 6. 46 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 486; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 18. 47 MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 21, Rn. 22 (Erfüllungsvoraus-

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Die rechtlichen Voraussetzungen für einen wirksamen und ordnungsgemäß durchgeführten Vertrag müssen vorliegen, damit nicht bestehende Forderungen aus einem unwirksamen Vertrag erfüllt werden können. Die Fragen der Abschluss- und Inhaltskontrolle sowie der Leistungsstörungen werden konstruktiv an einen unwirksamen Vertrag und an das Merkmal des Rückforderungsausschlusses (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB) herangetragen. Hinzu kommt, dass nach Rechtsprechung48 und Lehre49 der dogmatische Ansatz für den negativen Leistungs- und Integritätsschutz die Haftung aus positiver Vertragsverletzung ist. Die Befreiung von der Rückgabeverpflichtung (soluti retentio) muss also an einen hypothetisch wirksamen Vertrag und an eine hypothetisch wirksame freiwillige Erfüllung anknüpfen. Die Notwendigkeit derart hypothetischer Rechtsvoraussetzungen resultiert allein aus der dogmatisch nicht begründeten Grundannahme, es liege kein wirksamer Vertrag vor. Die Annahme einer Naturalobligation ermöglicht dagegen die dogmatische Durchformung eines wirksamen Vertrages mit obligatorischer Leistungsforderung ohne Durchsetzungszwang. Die Frage, ob die Forderung ordnungsgemäß erfüllt wurde, beantwortet sich dann wie stets und ohne Hypothese nach den schuldrechtlichen Erfüllungsregeln der §§ 362 ff. BGB. Der Spieler, der seinen Einsatz bei nicht beendetem Spiel zurückverlangen will, kann dies damit etwa unter den Voraussetzungen eines vertraglichen Rückgewähranspruches aus §§ 323, 326 Abs. 5 BGB tun 50. Die Vorschrift des § 762 Abs. 1 S. 2 BGB sollte daher mit S. 1 dahin verstanden werden, dass der Gläubiger das Geleistete als Erfüllungsleistung auf eine Naturalobligation behalten darf. Die Regelungsstruktur sollte auf einen wirksamen Vertrag hin interpretiert werden, auch weil die Frage nach der Unwirksamkeit sinnvoll nur im Hinblick auf einen möglicherweise wirksamen Vertrag gestellt werden kann. Das Konzept der prinzipiellen Vertragsunwirksamkeit müsste am genehmigten Spiel

setzungen nach §§ 362 ff., 364 Abs. 1, 372 ff.); Rn. 23 (Rückgewähr vorausgeleisteter Einsätze nach §§ 812 ff., aber ohne § 814 BGB!); Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 7 f. (Rückgriff auf die Rechtsprechung zu §§ 55, 59 BörsG a.F.); AnwK-BGB/Katrin Schreiber, 2005, § 762 Rn. 20. 48 Für die wortlautgleiche Vorschrift des § 656 BGB, vgl. BGH v. 8.7.1957 BGHZ 25, 124, 126; BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 315 – Ehevermittlung. Der BGH geht hier ausdrücklich davon aus, dass „durch das Versprechen eines Lohns … eine unvollkommene Verbindlichkeit (Naturalobligation) begründet [wird]“. 49 Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, § 762 Rn. 8 (Verkehrssicherungspflichten, Aufklärungspflichten u.a.); A.A. MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 19 (c.i.c. §§ 311 Abs. 2, 280 BGB); Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 6. 50 Habersack geht aus seiner Sicht konsequent von einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung aus, muss aber § 814 BGB – in dessen Kontext die Regelung nach seiner Auffassung steht (Rn. 1) – regelwidrig für unanwendbar erklären. MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 23.

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C. Systematischer Teil

ausgerichtet werden (§ 763 S. 1 BGB). § 763 S. 1 BGB ist systematisch aber eine Ausnahmeregelung. Von dem Genehmigungserfordernis des § 763 BGB werden nur Lotterien und Ausspielungen erfasst. Der Wettvertrag wäre danach generell nicht genehmigungsfähig51. Die Wette ist dann ein stets unwirksamer Vertrag, der trotz „Erfüllung“ dauernd unwirksam bleibt. Der im Grundprinzip ebenso unwirksame Spielvertrag ist als zustimmungsbedürftiger Vertrag einzustufen, der ohne Einwilligung schwebend unwirksam bleibt 52. Das Genehmigungserfordernis des § 763 S. 1 BGB weist jedoch mehrere Besonderheiten auf. Zunächst bedarf nicht der einzelne Vertrag, sondern die Spielveranstaltung staatlicher Genehmigung. Aufgrund des staatlichen Genehmigungsakts sollen die dort geschlossenen Verträge „verbindlich“ sein. Verbindlich sein heißt in der Diktion des § 762 Abs. 1 S. 1 BGB, dass sie eine erzwingbare Verbindlichkeit begründen (e contrario). Ansatzpunkt ist mithin die Entstehung der Verbindlichkeit nicht die des Vertrages. Der unverbindliche Vertrag im Sinne von § 763 S. 1 BGB ist ein wirksamer Vertrag, der „eine Verbindlichkeit nicht begründet“. Danach entstehen aus den im Rahmen einer genehmigten Veranstaltung geschlossenen Verträge Verbindlichkeiten und nach der Sprachkonvention also durchsetzbare vertragliche Forderungen (§ 763 BGB) 53. Die doppelte Unwirksamkeit, einmal aus dem Vertragscharakter als Spiel und Wette und zum anderen nach den allgemeinen Unwirksamkeitsregeln, passt insgesamt nicht zur Systematik der §§ 762 f. BGB. Die Dogmatik hat bislang keine Unterscheidung zwischen einer (dauernden und endgültigen) Unwirksamkeit und der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts herausgearbeitet. Habersack verweist auf die Lehre von den Doppelwirkungen im Recht (Kipp), weswegen es nicht ausgeschlossen sei, dass Spielverträge auch aus anderen Gründen als der fehlenden Verbindlichkeit unwirksam seien 54. Allerdings geht es bei Spielverträgen nicht um das mögliche Nebeneinander verschiedener Unwirksamkeitsgründe. Die rechtsgeschäftlichen Nichtigkeitsgründe besitzen hier Vorrang gegenüber dem Nichtigkeitsgrund des Spiels. Das Behaltensrecht aus § 762 Abs. 1 S. 2 BGB kommt mit anderen Worten nicht zum Zuge, wenn jene Gründe vorliegen. Es geht mithin nicht um eine Kumulation möglicher Unwirksamkeitsgründe, sondern um den Vorrang der allgemeinen

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Über Lotterie und Ausspielung hinaus wird § 763 BGB entsprechend auf andere Spielveranstaltungen angewendet, vgl. statt aller AnwK-BGB/Katrin Schreiber, 2005, § 763 Rn. 4. 52 Für das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft, Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 280 Rn. 33. Die staatliche Genehmigung im Sinne des § 763 S. 1 BGB entspricht einer vorherigen Zustimmung (Einwilligung) im Sinne der §§ 182 Abs. 1, 183 Abs. 1 BGB. Eine dauernde Unwirksamkeit mit nachträglicher Heilungschance durch Genehmigung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Zu dem weitgehend funktionsgleichen dogmatischen Modell der Heilung siehe unten C. IV. 4. c) bb) (4), S. 452. 53 AnwK-BGB/Katrin Schreiber, 2005, § 763 Rn. 21 („für beide Seiten voll verbindlich“). 54 MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 13 Fn. 52.

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Nichtigkeitsgründe vor dem Spieleinwand. Das verlangt eine Rangregel, welcher Unwirksamkeitsgrund vorrangig zu berücksichtigen ist 55. Sie ist bislang nicht begründet worden. Der Konzeption fehlt schließlich auch die innere Konsistenz. Der Spielund Wettvertrag beruht auf Leistungsversprechen, deren Erfüllung auch Behaltensrechte vermitteln. Das passt nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages 56. Der Wertungswiderspruch löst sich in der Rechtsfigur Naturalobligation als mögliche Gestaltung eines wirksamen Vertrages sinnvoll auf. Die Naturalobligation greift die gegebenen Vertragsversprechen in sinnstiftender Weise auf. bb) Rechtsschutzversagung (§§ 762 Abs. 1 S. 2, 814 BGB) Wenig spricht für die Einschätzung, bei § 762 Abs. 1 S. 2 BGB handele es sich um eine im Kontext zu § 814 BGB stehende Rechtsschutzversagung57. Die mit der Vertragsunwirksamkeit im ersten Schritt geschaffene Rückforderungslage muss durch eine zweite gegenläufige Entscheidung wieder korrigiert werden. Ein solches Konzept provoziert Wertungswidersprüche. Vor allem führt es zu der Frage, welche Funktion Kondiktionssperren besitzen, wenn sie als Rechtsschutzversagung auftreten und ob diese „in den Kontext von § 814 BGB“ passen. Eine Kondiktionssperre setzt einen gegenüber der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung vorrangigen Wertungsgesichtspunkt um. Die Rechtsgrundfrage wird überspielt und tritt in den Hintergrund, weil sie die Entscheidung letztlich nicht mehr trägt. Ansatzpunkt der Wertung ist die Verneinung des Rückforderungsrechts. Das Behaltensrecht ist hier nur die reflexhafte Folge der Rechtsschutzversagung. (1) § 817 S. 2 BGB als Leitbild für das Verständnis von § 814 BGB? Der Gedanke der Rechtsschutzversagung ist im Rahmen des § 817 S. 2 BGB als ratio legis anerkannt. Verstößt der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten, so soll ihm die Rückforderung verwehrt sein. Wer sich außerhalb der Rechtsordnung stellt, der soll Rechtsschutz auch nicht bezüglich der

55 Vgl. für den Fall der Doppelanfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung. Hier gilt die für den Anfechtenden günstigere Anfechtung wegen Arglist, Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 20 IV c), S. 406 und Fn. 135. 56 Pragmatisch gewendet kann man auch sagen, das Missverständnis aus einer Kon gruenz von Parteiwillen und schließlicher Rechtswirkung liege viel zu nahe, so Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 IV 1, S. 101. 57 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3.

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Rückabwicklung beanspruchen können 58. Grundlage sind dabei generalpräventive Gesichtspunkte für den Sonderfall, dass die Interessen beider Parteien nicht schutzwürdig sind, weil beide den Boden der Rechtsordnung verlassen haben59. Gilt das aber auch für § 814 BGB? Diese Vorschrift wird man entstehungsgeschichtlich zunächst in beiden Halbsätzen als Überbleibsel einer Irrtumsregel verstehen müssen60. § 814 Hs. 1 BGB lässt die Rückforderung nur zu, sofern sich der Leistende über das Bestehen einer Leistungspflicht im Irrtum befand (negatives Tatbestandsmerkmal der Leistungskondiktion). Hs. 2 erklärt den Rechtsirrtum über die Erzwingbarkeit einer Schuld (Klagbarkeitsirrtum) 61 für unbeachtlich62. Auch die herrschende Lehre versteht § 814 BGB nicht im Sinne einer Rechtsschutzversagung für rechtlich missbilligte Leistungen. Die Rückforderung der Leistung wird keineswegs deshalb ausgeschlossen, weil „der Leistende sich freiwillig über Wertungen des Gesetzgebers hinwegsetzte“63. Das Gegenteil trifft zu. § 814 Hs. 2 BGB versagt die Rückforderung, weil die Leistung den Wertungen des Gesetzgebers entsprach. Eine missbilligte Leis-

58 MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 817 Rn. 9 u. Fn. 20 (Gedanke der „unclean hands“). BGH v. 23.2.2005, NJW 2005 1490, 1491 (Sittenwidrigkeit des Verkaufs eines Radarwarngeräts). Zum klassischen Vorbild vgl. F. Sturm, Aperçu sur l’origine du brocard, Nemo auditur propriam turpitudinem allegans, in: Mémoires de la Société pour l’Histoire du Droit, 30 (1970/71) 289 ff. Die Funktionalität des Grundsatzes, wonach zu seinem Vorteil sich niemand auf die eigene Unanständigkeit berufen darf, liegt in der Berechtigung zur Durchbrechung einer logischen Konstruktion, Adomeit, Rechtstheorie für Studenten. Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitologie, 1998, S. 30. 59 Armgardt, Der Kondiktionsausschluss des § 817 S. 2 BGB im Licht der neuesten Rechtsprechung des BGH, NJW 2006, 2070, 2073 im Anschluss an Canaris, Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen. In: Baur, Hopt, Mailänder (Hg.): Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519, 524 und Weyer, Leistungskondiktion und Normzweck des Verbotsgesetzes, WM 2002, 627, 629 ff., der auf den Normzweck abstellt. Ebenso im Falle der Rückforderung von Zahlungen in einem Schenkkreis, BGH v. 10.11.2005, NJW 2006, 45, 46 (Schutzzweck der Sittenwidrigkeit aus § 138 BGB). 60 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. III, 1983, S. 761 und S. 763 (Vorschlag und Diskussion zur Änderung von § 737 E I, wonach der entschuldbare und unentschuldbare Tatsachen- oder Rechtsirrtum unbeachtlich ist); König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985, S. 33 f. 61 Siehe näher oben B. II. 2. c), S. 232 und C. III. 1. b) bb) (1), S. 311 ; zur Parallelität von Naturalobligation und Rechtsirrtumsregel in der angelsächsischen Lehre vgl. Sonja Meier, Irrtum und Zweckverfehlung, 1999, S. 135. 62 Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass § 814 Hs. 2 BGB das Merkmal „ohne rechtlichen Grund“ dahin ergänze, dass trotz fehlendem Rechtsgrund ein „die Kondiktion ausschließender Rechtsgrund“ vorliege, vgl. MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 814 Rn. 1. Vielmehr lässt sich dieser Rechtsgrund (sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht) selbst als ein (herkömmlicher) Rechtsgrund und § 814 Hs. 2 BGB als besondere Irrtumsregel verstehen. 63 So im Anschluss an Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; MünchKomm/ Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 3; Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1.

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tungshandlung existiert nicht. Die Leistung wird in ihrem Bestand geschützt. § 814 sanktioniert also nicht ein schädliches Leistungshandeln aus generalpräventiven Gründen, wie die Parallelnorm § 817 S. 2 BGB, sondern schützt eine positiv bewertete Leistung. (2) Disfunktionalität eines generalpräventiven Rückforderungsausschlusses Der von den §§ 762 f. BGB verfolgte Gesetzeszweck wird einmal in einer generalpräventiven Eindämmung der allgemeinen Spielleidenschaft und zum anderen im individuellen Schutz der Vertragspartner vor den unkalkulierbaren und mitunter existenzbedrohenden Gefahren aleatorischer Spiele gesehen 64. Die Versagung der Rückforderung belässt nun aber das Gut wo es ist. Sie schützt mithin nicht den Leistenden, sondern den Leistungsempfänger. Das Rückforderungsverbot befestigt den individuell erlittenen Verlust. Der Verlierer wird nicht (unmittelbar) vor den wirtschaftlichen Gefahren des Spiels geschützt. Ebenso wenig kann der Ausschluss der Rückforderung die Spielleidenschaft eindämmen. Sind Gewinn und Verlust post festum nicht mehr rückforderbar, behindert das die Funktionsfähigkeit des Spiels nicht. Wieder dürfte das Gegenteil zutreffen. Die gesicherte Güterzuordnung entspricht dem Ergebnis des rechtswirksamen Spiels. Man kann sogar sagen, dass der Rückforderungsausschluss das Spielen erst ermöglicht. Könnten die Spieler ihre Einsätze beliebig zurückholen, so wären Spiel oder Wette nicht mehr sinnvoll durchführbar. Der Ausschluss ist eine Bedingung für entgeltliches Spielen und Wetten. Die bei Spiel und Wette verfolgten rechtspolitischen Ziele zeigen damit, dass das Verständnis des Spieleinwandes als Sonderfall des § 814 BGB nicht zutrifft. (3) §§ 814 Hs. 1 und Hs. 2 BGB – Anwendungsfälle eines gemeinsamen Prinzips? Teile des Schrifttums gehen davon aus, dass § 814 Hs. 2 BGB an eine Rückforderungslage gebunden sei und wie § 814 Hs. 1 BGB an eine Nichtschuld anknüpfe. Die wissentliche Erfüllung einer sittlichen Schuld wird damit zum Unterfall der wissentlichen Erfüllung einer Nichtschuld (§ 814 Hs. 1 BGB) 65. Für die sittliche Schuld – so wird gesagt – müsste der Ausschluss der Rückforde-

64 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 435; MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 1 u. 3. 65 Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht bilden in dieser Vorstellung also nicht selbst den Rechtsgrund der Leistung, sondern sie zeichnen eine rechtsgrundlose Leistung im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB für den besonderen Fall aus, dass eine sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht die Leistung gebot. Vgl. MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 812 Rn. 188; AnwK-von Sachsen-Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 1.

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rung „erst Recht“ gelten66. Dagegen ist einzuwenden, dass die Gleichstellung in der Rechtsfolge nichts über die tatbestandliche Gleichstellung besagt. Nur weil beide Fälle zum Rückforderungsausschluss führen, muss nicht in beiden Fällen eine Nichtschuld vorliegen67. Die herrschende Lehre versteht § 814 Hs. 1 BGB als einen Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Handelns68. Wer wissentlich auf eine Nichtschuld leistet, dürfe das Geleistete nicht später wieder zurück holen. Dagegen begründe § 814 Hs. 2 BGB einen Behaltensgrund für den Leistungsempfänger69. Die beiden Halbsätze des § 814 BGB teilen die gemeinsame Rechtsfolge, sie besitzen aber eine unterschiedliche dogmatische Basis. Bei Hs. 1 handelt es sich um eine Nichtschuld70, während Hs. 2 die sittliche Pflicht als Schuldgrund anspricht. (4) Negativ- oder Positivkonstruktion geschwächter Leistungsrechte Zwei Konzepte stehen sich gegenüber. Die Positivkonstruktion deutet Spiel und Wette, wie auch Ehevermittlung, als wirksame Verträge, jedoch mit geschwächten Leistungsrechten (Naturalobligationen). Dagegen steht die Negativkonstruktion, die unwirksame Verträge mit Rückforderungsausschlüssen versieht und damit schwach unwirksame Verträge71 konstruiert. Solange an einem Vertragsmodell in der gesetzlichen Konzeption festgehalten wird72, ist auch der sozialethische Grundsatz pacta sunt servanda nicht aufgehoben, 66 Aus dem Rückforderungsausschluss bei der Erfüllung einer Nichtschuld sei auf einen Ausschluss auch bei der wissentlichen Erfüllung einer nichterzwingbaren sittlichen Schuld zu schließen (Erst-Recht-Schluss). Etwa Mayrhofer in: Armin und Adolf Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, II/1 Das Recht der Schuldverhältnisse, Allgemeine Lehren, 3. Aufl. Wien 1986, S. 13. 67 Die Gleichstellung unter dem Gesichtspunkt der Nichtschuld ist nicht plausibel, weil die Nichtschulde nur die Rückforderung, nicht das Behaltensrecht legitimieren kann. Das ergibt sich erst aus sittlicher Pflicht und Anstandsrücksicht, die so aber eine unbestimmte tertiäre Bedeutung zwischen Nichtschuld und Schuld einnehmen. 68 Venire contra factum proprium (§ 242 BGB), jedoch ohne den Widerspruch und seine Rechtfertigung näher zu erläutern, vgl. etwa MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, 814 Rn. 2; AnwK-von Sachsen-Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 1. 69 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 I 2, S. 90. 70 § 814 BGB greift nach ständiger Rechtsprechung des BGH erst ein, wenn der Leistende nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, dass er nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Zweifel daran, dass diese Voraussetzungen vorliegen, gehen zu Lasten des darlegungs- und beweispflichtigen Leistungsempfängers, vgl. BGH v. 17.10.2002, NJW 2002, 3772, 3773 (Rückforderung von Entgelten für medizinische Wahlleistungen). 71 Da der schwach unwirksame Vertrag keine sinnvolle rechtsdogmatische Figur darstellt, ist es nicht nur eine Frage der Betrachtung, ob das Glas halb voll (Naturalobligation) oder halb leer ist (unwirksamer, aber nicht nichtiger Vertrag). 72 Die Ehevermittlung wird etwa auch im französischen Recht als wirksamer Vertrag angesehen, jedoch unter erhöhte Formerfordernisse gestellt, Cassation du 12.7.2005 – contrat

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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sondern Teil der gesetzgeberischen Regelungskonzeption. Die Versprechenstreue kann durch eine gesetzgeberische Entscheidung zwar beseitigt und insoweit die Vertragsfreiheit aufgehoben werden. Jedoch droht ein Wertungswiderspruch, den Vertrag im ersten Schritt für unwirksam, die auf ihm beruhende Leistung im zweiten Schritt aber für nicht kondizierbar zu halten. In diesem Modell geht der generalpräventive Effekt von der Unwirksamkeit des Vertrages und der daraus resultierenden Rechtsgrundlosigkeit aus. Die Kondiktionssperre nimmt diesen Schritt als zu weitgehend zurück und belässt die Leistung beim Empfänger. Der Zweck der Kondiktionssperre liegt danach in der Förderung von Spiel und Wette. Die Funktionen der Rechtsgrundzuweisung und der Kondiktionssperre werden vertauscht. Auch ist nicht klar, was mit der Formulierung gemeint ist, der Leistende habe sich freiwillig gegen die Wertungen des Gesetzgebers gestellt und werde deshalb nicht geschützt. Der Leistende hat gespielt und er hat allenfalls gegen den Rat des Gesetzgebers verstoßen, besser nicht zu spielen. Der Gesetzgeber hat das Spiel nicht verboten, sondern er ist rechtspolitisch dagegen. Er möchte eindämmen und behindern, ohne zu verbieten. Weshalb aber belässt er aus diesem Grunde die gezahlten Einsätze und die ausgereichten Gewinne beim Empfänger? Der Rückforderungsausschluss widerspricht dem Eindämmungsziel. Eine bloß konstruktiv gebildete Dogmatik, die aus einem doppelten Nein (zu Rechtsgrund und Rückforderungsanspruch) ein Ja zur Behaltensbefugnis generiert, korrigiert nur das erste Nein zum Behaltensrecht. Der Ansatz ist also falsch gewählt. Sedes materiae für den gesetzlich intendierten geschwächten Leistungserwerb ist die Naturalobligation, als eine nicht zwangsbewehrte Forderung.

2. Die Naturalobligation als Rechtsgrund Es entspricht einhelliger Auffassung, dass eine Naturalobligation dem von ihr begünstigten Leistungsempfänger einen Behaltensgrund an der erlangten Leistung vermittelt. Die Behaltensbefugnis schließt die Rückforderung aus. Von der dogmatischen Konzeption der Naturalobligation hängt es ab, wie der Behaltensgrund dogmatisch eingeordnet werden muss.

de courtage matrimonial, Rev. crit. DIP 2006, p. 94, note Lagarde p. 95; Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2006: Eurozentrismus ohne Kodifikationsidee? IPRax 2006, 537, 538.

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a) Die bereicherungsrechtliche Konzeption der Rechtsgrundlosigkeit Die bereicherungsrechtliche Konzeption der Rechtsgrundlosigkeit wird von dem Funktionsbegriff des Behaltensgrundes her entwickelt73. Der Behaltensgrund fasst verschiedene Arten von Rechtsgründen zusammen. Das betrifft einerseits Schuldverhältnisse, die zugleich als objektive Rechtsgründe bezeichnet werden74, und andererseits bloße Rechtsgrundabreden (Zweckvereinbarungen). Eingebürgert hat sich für diese Systematisierung auch die Rede von den Rechtsgründen einerseits gegenüber den „bloßen Behaltensgründen“ andererseits75. Die bloßen Behaltensgründe werden in Schuldverhältnisse ohne Erfüllungsanspruch und in nicht bindende Zweckvereinbarungen eingeteilt76. In diesem Schema gehören die Naturalobligationen zu den Rechtsgrundabreden (bloßen Behaltensgründen, Zweckvereinbarungen) und stehen dort – neben den nicht bindenden Zweckvereinbarungen – in der Untergruppe der Schuldverhältnisse ohne Erfüllungsanspruch. Diese Untergruppe umfasst die Handgeschäfte77, geheilte Geschäfte und Naturalobligationen. Die Schwäche der Systematisierung zeigt sich in der Zuordnung der Naturalobligation zu den Schuldverhältnissen ohne Erfüllungsanspruch (bindende Zweckvereinbarungen). Die Naturalobligation setzt keinerlei Vereinbarung, weder als Rechtsgeschäft noch als Zweckabrede, voraus, sondern sie ist syste73 Grundlegend Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung als Grundlagen und Grenzen des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, 1973, S. 98 ff, 173 ff.; Welcker, Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung? Kritisches zu § 812 Abs. 1 S. 2 2. Alt. BGB. Zugleich ein Beitrag zur Struktur der Leistungskondiktion,1974, S. 32 ff. 74 So nach der objektiven Rechtsgrundtheorie, Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, BT Bd. 2/2, 13. Aufl. 1994, § 67 III. 1. b), S. 136; MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 171 f.; Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, 2003, § 812 Rn. 24. Nach der subjektiven Rechtsgrundtheorie liegt jeder Güterbewegung eine vereinbarte Zwecksetzung (causa) zugrunde. Maßgebend für die Zuerkennung eines Behaltensgrundes ist für diese Lehre die Zweckerreichung. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 gilt ihr als das umfassende Grundprinzip, das nach Typen von Zweckvereinbarungen differenziert wird. Das Merkmal der obligatorisch gebundenen Leistungshandlung ist für die subjektive Theorie ohne Bedeutung. Die vereinbarte Zwecksetzung als das grundlegendere Merkmal gilt unabhängig von der Bindungsfrage. Die Naturalobligation wird von der Zivilobligation nicht unterschieden. Vgl. zur Causa-Lehre oben C. III. 1. b) bb) (2), S. 316 ff. 75 Die „bloßen Behaltensgründe“ stimmen sachlich auch mit den sog. „reinen“ Rechtsgründen nach der Diktion von Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 161, überein. 76 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, BT Bd. 2/2, 13. Aufl. 1994, § 67 III. 1. b) u. c), S. 136 f.; MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 174. Hierher gehört nach verbreiteter Auffassung auch die Zahlung einer Nichtschuld (§ 814 Hs. 1 BGB), die den Rechtsgründen gleichgestellt werde, ebd. Rn. 188. Zur Nichtschuld im Sinne von § 814 Hs. 1 BGB als einer besonderen Form des Rechtsgrundes (s. oben B. II. 2. c), S. 230 und historisch als Irrtumserfordernis der condictio indebiti (s. oben B. II. 2. c) bb), S. 232 Fn. 146–148. 77 Die bloße Schenkungsabrede bei der Handschenkung (donandi causa) wird der Sache nach mitunter noch als Realvertrag eingestuft (§ 516 BGB); Erman/Herrmann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 516 Rn. 3 u. 7.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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matisch auf der abstrakteren Ebene des Forderungsrechts angesiedelt78. Hinzu kommt, dass Naturalobligationen anders als Zwecksetzungen gerade eine normative Struktur als Pflichttatbestand haben. Eine klarere Einteilung entstünde, wenn die Behaltensrechte aus Forderungen und die Behaltensrechte aus anderen, die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Gründen (Zweckvereinbarungen) unterschieden werden 79. Damit käme die heute kaum noch vertretene Differenzierung wieder zum Zuge, die im Anschluss an die Begriffsbildungen des gemeinen Rechts zwischen der condictio indebiti (Forderungen) und der condictio sine causa (Zweckabreden) unterscheidet80. Die Naturalobligationen gehören danach zu den Behaltensgründen aus Forderungen (condictio indebiti). Differenzierungskriterium ist die Zwangsbefugnis innerhalb der Gruppe der Forderungen.

b) Bloßer Erwerbsgrund (causa acquirendi) Im Anschluss an Heinrich Siber 81 wird die Naturalobligation weithin als ein bloßer Erwerbsgrund oder eine „causa acquirendi“ eingestuft82. In der Güterbewegung sei keine Recht-Pflicht-Beziehung und damit kein Schuldverhältnis anzuerkennen, aber der gleichzeitige Ausschluss von Verbindlichkeit und Rückforderbarkeit führe zu einem rechtmäßigen Erwerbstitel, einem hinreichenden Erwerbsgrund oder gleichbedeutend einem ‚reinen Rechtsgrund‘ 83. Diese Auf78 Es wird häufig übersehen, dass die Forderung die grundlegendere Systemkategorie gegenüber dem Schuldverhältnis ohne Erfüllungsanspruch (Vertrag) darstellt. Der Vertrag ist nur einer unter mehreren Entstehungsgründen der Forderung. Zu diesem systematischen Ausgangspunkt siehe oben C. I. 1., S. 240 und Fn. 5. 79 Eine klare Struktur lässt sich ebenfalls gewinnen, wenn die Zweckvereinbarung den Oberbegriff bildet, wie es die Causa-Lehre vertritt, so Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 161 f.; Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 42 f. und wie es zu dem mittlerweile herrschenden subjektiven Leistungsbegriff in Anlehnung an die causa-Lehre entspricht, etwa Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 812 Rn. 70 f. Die damit verbundenen Annahmen können und müssen hier nicht vertieft werden, vgl. zum Streit MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 26 ff. u. 169 ff. 80 Etwa RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 812 Rn. 75 f., Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 812 Rn. 78 ff. dort auch zur Kritik; ablehnend MünchKomm/ Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 175. 81 Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis. 1926, S. 1, 83 (causa acquirendi) 82 Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 7; Jauernig/Berger, BGB, 10. Aufl. 2004, § 762 Rn. 6 (Erwerbsgrund); Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Einl. v. § 241 Rn. 12 (gemeinsames Merkmal ist der Erwerbsgrund); Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 762 Rn. 5 (Unvollkommene Verbindlichkeit und Rechtsgrund für Erfüllungsleistung), Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 812 Rn. 44 unter Hinweis auf RG JW 1917, 104. Die Pflichten aus gesellschaftlicher Konvention werden ausdrücklich als objektiver Rechtsgrund im Sinne von § 812 BGB angesehen. 83 Bei Einordnung der Naturalobligation in eine Gruppe sog. reiner Rechtsgründe, deren

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fassung gibt dem Ding einen Namen, aber sie weicht der Frage aus, welche dogmatische Struktur entsteht, wenn Verbindlichkeit und Rückforderung zugleich ausgeschlossen sind. Das Bereicherungsrecht darf aufgrund seiner systematischen Stellung als Reaktionsrecht selbst keine eigenständigen Behaltensgründe entwickeln. Die dogmatischen Figuren aus dem Recht der Leistungsbewegung werden abgebildet, um die entstandene Güterzuordnung zu rechtfertigen. Die Antwort sollte also aus dem Recht der Güterbewegung folgen. Causa acquirendi und Erwerbsgrund sind synonyme Funktionsbezeichnungen. Der Zweck der Leistung ist der rechtmäßige Erwerb des Empfängers. Diese „Erwerbsbefugnis“ folgt gemeinhin aus Gesetz oder Rechtsgeschäft. Ihnen entsprechen daher die rechtsgeschäftlichen Aktstypen (Vertrag, Vereinbarung, Willenserklärung oder Handlung). Aufgrund der gesetzlichen Anordnung in §§ 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2 BGB bilden das Lohnversprechen gegenüber dem Ehemakler bzw. Spiel und Wette Erwerbsgründe („Das aufgrund des Spiels oder der Wette Geleistete …“). Vorausgesetzt werden mithin Erfüllungsleistungen im Sinne der §§ 362 ff. BGB. Erwerbsgründe sind damit die entsprechenden Verträge und die aus ihnen hervorgegangenen Forderungen. Der bloße Erwerbsgrund (causa acquirendi) ist also nur eine Umschreibung der Gesetzeslage. Die Behaltensberechtigung des Leistungsempfängers aus einem Erwerbstitel (causa acquirendi) darf daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine angebbare subjektive Rechtsposition den objektiven Rechtsgrund im Sinne des Bereicherungsrechts bilden muss. Dem reinen oder bloßen Erwerbsgrund muss mithin eine materiell-rechtliche Erwerbsbefugnis des Leistungsempfängers entsprechen, die der Erwerbsgrund bereicherungsrechtlich nur abbildet. Eine solche Erwerbsbefugnis könnte statt aus einem Forderungsrecht auch aus der soluti retentio, d.i. die Befreiung des Leistungsempfängers von der Rückgabepflicht84, gefolgert werden. In der soluti retentio wird gemeinhin die Funktion der §§ 214 Abs. 2 S. 1, 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2 BGB gesehen85. Sie knüpft anders als die Rechtsschutzversagung an die Rechtsstellung des Leistungsempfängers an. Seine Behaltensposition ist mit anderen Worten mehr als bloß der Reflex aus einer dem Leistenden versagten Rückforderung, wie etwa bei einer Kondiktionssperre nach § 817 S. 1 BGB. Materiell-rechtlich handelt es sich um einen Schuldbefreiungsgrund des Leistenden und um eine Erwerbsbefugnis des Empfängers. Welches Recht aber sollte die Grundlage der SchuldbeEigenart darin besteht, dass die Leistungsbewegung auf einer bloßen (nicht verpflichtenden) Zweckvereinbarung beruht, vgl. Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 161 f.; Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 51 f. 84 Befreiung von der gegen den Empfänger gerichteten Rückgabeforderung. 85 Soluti retentio meint die Erfüllbarkeit einer Forderung, vgl. M. Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), FS Medicus, 1999, S. 123, 130.

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freiung sein, wenn nicht jenes, die Forderung, etwa aus einem geschlossenen Vertrag, zu erfüllen? Eine andere Befugnis als die Erfüllungsbefugnis des Leistenden ist nicht erkennbar86. Grundlage der causa acquirendi ist mithin eine erfüllbare Forderung. Die Verneinung einer Forderung bei gleichzeitiger Bejahung eines Erwerbsgrundes führt dagegen zu Systembrüchen. Der modellhafte Entstehungszusammenhang von Vertrag und Forderung wird ohne Not aufgehoben. Die Verknüpfung folgt aus den Entstehungsbedingungen des Vertrages. Wird der Vertragsbegriff im Modell einer translativen Versprechensübertragung erklärt, ergibt sich die Verknüpfung bereits konstruktionsbedingt 87. Wird der Vertrag in der Nachfolge Kants als gegenseitige Erklärung eines übereinstimmenden Willens verstanden88, so bleibt zwar Raum für die selbständige Entstehung der Forderung kraft des gemeinsamen Vertragswillens. Aber auch hier wird die willentliche Ingeltungsetzung von Rechtsfolgen verlangt, womit im Zusammenhang schuldrechtlicher Verträge die Begründung, Änderung oder Ausgestaltung von Forderungen zu verstehen ist 89. Die Verneinung einer Forderung bei gleichzeitiger Bejahung eines Erwerbsgrundes ist aus systematischer Sicht daher nicht überzeugend.

c) Sittlicher Behaltensgrund bei rechtsgrundloser Leistung Eine andere Konzeption geht dahin, die Naturalobligation als einen extralegalen Behaltensgrund anzuerkennen90, einen Behaltensgrund trotz rechtsgrundloser Leistung91. Die Behaltensberechtigung soll aus der extralegal verstandenen sittlichen Pflicht folgen. Der historische bedingte Zweck des § 814 Hs. 2 BGB rechtfertige die Annahme, dass dem Empfänger einer Leistung aus sittlicher Pflicht 86

Vgl. Mankowski, Beseitigungsrechte. Anfechtung, Widerruf und verwandte Institute, 2003, S. 531, der aus der soluti retentio aber keinen Rückschluss auf das Bestehen einer Forderung ohne Einforderungsbefugnis zieht. Eine Naturalobligation sei zwar keine Forderung, biete aber einen Erwerbs- oder Behaltensgrund: causa acquirendi vel soluti retentio. 87 Vgl. oben C. III. 1. b) aa) (2), S. 300 und die Pollizitationstheorie C. III. 1. b) bb) (3), S. 320 ff. 88 Vgl. dazu oben C. III. 1. b) aa) (3), S. 303 und entsprechend § 77 des ersten Entwurfs zum BGB: „Zur Schließung eines Vertrags wird erfordert, daß die Vertragsschließenden ihren übereinstimmenden Willen sich gegenseitig erklären.“ 89 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Recht, 8. Aufl. 1997, § 23 Rn. 25 u. 32 (sich gegenüber einem anderen zu einem Tun oder Unterlassen verbindlich bereit zu erklären). Weiter dagegen Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2001, Rn. 655 (zweiseitige rechtsgeschäftliche Regelung eines Rechtsverhältnisses). 90 Siehe oben B. I. 5. d) aa) (2) u. (3), S. 195 ff. 91 Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. 2006, § 814 Rn. 8; AnwK-von Sachsen-Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 10 (jeweils nur bezogen auf sittliche Pflicht u. Anstandsrücksicht). Im Ausgangspunkt so auch Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15. Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB stellt hier die Leistung auf eine Nichtschuld dar.

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ein Behaltensgrund zustehe92. Das bedeutet eine funktionale Gleichstellung des sittlichen Behaltensgrundes (§ 814 Hs. 2 BGB) gegenüber den Rechtsgründen (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Ansatz knüpft zu Recht ebenfalls an eine Behaltensberechtigung des Empfängers und nicht an ein Rückforderungsverbot gegenüber dem Leistenden an. Die Sonderstellung des sittlichen Behaltensgrundes bei „an sich“ bestehender Rückforderungslage bedeutet aber einen Rechtsgrund zweiter Klasse. Dieser wirft weitere Frage auf. aa) Behaltensberechtigung kraft Sozialmoral Die Auffassung ist konsistent, wenn Naturalobligationen als Verbindlichkeiten anzusehen sind, die keinen oder einen andersartigen Rechtsgrund besitzen, und zwar jenen der Sozialmoral („moral obligation“). Die Trennung zwischen dem Rechtsgrunderfordernis auf der einen und der Verbindlichkeitsfrage auf der anderen Seite ist auch im schuldrechtlichen System bekannt. Sie zeigt sich bei den abstrakten Verbindlichkeiten, die ohne Rechtsgrund bestehen bleiben und der Kondiktion unterliegen (§§ 397 Abs. 2, 780 f., 812 Abs. 2, 821 BGB). Möglich erscheint daher auch, einen außerrechtlichen Rechtsgrund anzuerkennen und damit auf die extralegale Entstehung einer sittlichen Pflicht zu verweisen. Eine Verbindlichkeit ohne Rechtsgrund im vorgenannten abstrahierenden Sinne meint freilich zunächst keine andersartigen Rechtsgründe. Das abstrakte Schuldversprechen ist gleichsam nur gelöst von der kausalen Grundlage. Ferner ist die „sittliche Pflicht“, von der § 814 Hs. 2 BGB spricht, Grundlage jeder bürgerlich-rechtlichen Leistungspflicht, ohne dass dies bei den gesetzlich präformierten Leistungspflichten, etwa einer Lieferverpflichtung aus einem Kaufvertrag, eigens ausgewiesen werden müsste. Der gesetzlich positivierte Pflichtentatbestand trägt die Vermutung der Sittlichkeit in sich93. Über die richterlich feststellbare „sittliche Pflicht“ ist daher ein Anwachsen des Rechts wie auch die „Rückgabe“ ehemals rechtlich geregelter Sachverhalte praktisch feststellbar94.

92 AnwK-von Sachsen-Gessaphe, BGB, 2005, § 814 Rn. 10; Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, 2003, § 814 Rn. 14. 93 Diese sittliche Fundierung gilt für alle gesetzlich ausgeformten Leistungspflichten, also auch etwa nur für die Pflicht, einen Vertrag zu erfüllen. Die sittliche Pflicht darf nur nicht von moralisch intrinsischen Überzeugungen abhängig gemacht werden. Wie die rechtstechnische Bedeutung des § 814 Hs. 2 BGB als Irrtumsregel (Unbeachtlichkeit des Klagbarkeitsirrtums) belegt, gilt dies im deutschen Recht ganz generell; vgl. oben B. II. 2 c), S. 230 ff. Zur Parallelität von Naturalobligation und Rechtsirrtumsregel in der angelsächsischen Lehre vgl. Sonja Meier, Irrtum und Zweckverfehlung, 1999, S. 135. 94 Siehe oben C. I. 3. b) cc), S. 258 ff.; zu den früheren Beispielen von Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Band 2, 1929, S. 25 ff.

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Das erklärt, weshalb die Schadenszahlung der Eltern im Falle des § 828 BGB95 oder die Zahlung durch den „schuldlosen“ Täter 96 heute nicht mehr als sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB einzustufen sind. Umgekehrt treten potentiell sittliche Pflichten hinzu, wie die zur Belohnung von Pflegeleistungen97 oder zu vorweggenommener Erbfolge98. Die „sittliche Pflicht“ gehört deshalb aber nicht in einen außerrechtlichen Bereich. Sie vermag unter den Voraussetzungen ihrer richterlichen Konkretisierung Recht von Nichtrecht zu trennen. Systemtheoretisch lässt sich bei dem Rechtsbegriff „sittliche Pflicht“ von einer strukturellen Kopplung des Rechts mit der Umwelt und dabei auch mit anderen Normsystemen sprechen99, die zu einer Inklusion in das Recht oder einer Zurückweisung führt. Es gibt keinen Grund, bei einer richterlichen Feststellung nach objektiven Kriterien, die sittliche Pflicht nicht ebenso als eine Rechtspflicht und daher einen objektiven Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu qualifizieren. Ein rechtsfreier Raum ist wegen der rechtlichen Erfassung sittlicher Pflichten ausgeschlossen100. bb) Pseudorechtsgrund oder „echter“ Schuldgrund Eine stärkere Annäherung hin zu einem objektiven Rechtsgrundverständnis erfährt die Gleichstellungsthese, wenn der sittliche Behaltensgrund „gewissermaßen“ wie ein Rechtsgrund zu behandeln ist101. Die sittliche Pflicht ist danach 95 Eine Ausfall- oder Ersatzhaftung der Eltern über diejenige bei Verletzung der Aufsichtspflicht aus § 832 BGB hinaus, wird nicht mehr vertreten. Dies obgleich die Haftung Minderjähriger weiter beschränkt worden ist, zuletzt durch Art. 2 Nr. 4 des 2. SchadÄndG v. 19.7.2002, BGBl. I, 2674; zu den Reformpunkten Stürner, Zivilrechtliche Haftung junger Menschen – fortbestehender Reformbedarf im deutschen Recht? In: Schack (Hg.), Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz, 2000, S. 789 ff. 96 Der Erwartung auf Schadensausgleich gegenüber dem schuldlosen Täter wird in einer zunehmenden Zahl von Gefährdungshaftungstatbeständen Rechnung getragen. Auch in dem Versicherungsgedanken von Schadensrisiken kommt die moralische Verantwortlichkeit des schuldlosen Täters zum Ausdruck. Sie wird damit aber über Systeme eines kollektiven Schadensausgleichs reguliert und nicht über die individualrechtliche Grundkonzeption der §§ 249 ff. BGB, vgl. AnwK-Magnus, BGB, 2005, vor §§ 249 – 255 Rn. 6 f. und Christian Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 175 (Tendenzen und Entwicklung einer Gefährdungshaftung im Arztrecht) und S. 193 ff (Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz im Arztrecht). 97 Verneint von BGH v. 11.7.2000, NJW 2000, 3488, 3490. 98 Verneint von BayObLG v. 24.5.1996, FamRZ 1996, 1359, 1360 (keine sittliche Pflicht im Sinne von § 1804 S. 2 BGB) und BayObLG v. 8.10.1997, FamRZ 1999, 47 (keine Anstandsschenkung im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB). 99 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 440 ff. und oben C. III. 3. d) bb), S. 424 Fn. 647. 100 Zutreffend Manchot, Die sittliche Pflicht im Sinne von § 814 Alt. 2 BGB – ein Tor zum rechtsfreien Raum? 2002, S. 221. Zur rechtstheoretischen Frage oben C. II. 4. a), S. 279. 101 Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15.

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der rechtlichen nur approximativ angenähert102. Das entspricht der in der historischen Entwicklung mehrfach angetroffenen Sicht, es handele sich bei der Naturalobligation um eine Pseudoobligation (unecht, uneigentlich). Die sprachliche Distanzierung („gewissermaßen“) ist unspezifisch und sachlich nicht begründet103. Eine Anerkennung als Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB erscheint als die klarere und darum vorzugswürdige Lösung. Die Naturalobligation bildet danach einen Rechtsgrund in der Form eines Schuldgrundes im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (condicito indebiti). Sie bietet eine ausreichende causa, so dass die Umwandlung einer Zivil- in eine Naturalobligation104 und umgekehrt grundsätzlich nur eine einfache Schuldänderung darstellt.

3. Naturalobligation und Leistung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht a) Rechtliche Funktionen von Leistungspflichten aus Sitte und Anstand Sittliche Leistungspflichten werden rechtlich in drei Funktionen erfasst. Sie bilden erstens einen Rechtsgrund für die Leistungsbewegung (causa)105. Damit verbunden ist die mögliche Umwandlung einer sittlichen in eine durchsetzbare Schuld, wobei fraglich ist, ob das die naturale in eine zivile Schuld umwandelnde Versprechen106 der schenkungsrechtlichen Formvorschrift des § 518 102

MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 188. Vgl. oben C. III. 3. d) cc), S. 425; hierin liegt ein weiterer Anwendungsfall einer methodologisch unerwünschten juristischen Fiktion, vgl. historisch und zu Recht kritisch Haferkamp, „Methodenehrlichkeit“?, Die juristische Fiktion im Wandel der Zeiten, in: Berger, u.a. (Hrsg.), FS für Norbert Horn, 2006, S. 1077, 1087 f. 104 Nach Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229 und Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97, kommen bei unvollkommenen Verbindlichkeiten (Naturalobligationen) auch ein kausales Schuldversprechen als eine Art Selbstverbürgung in Betracht. Diese Hinzufügung eines Schuldgrundes ist zwar möglich, nach der hier vertretenen Anerkennung von der Naturalobligation als objektiver Schuldgrund (causa) überflüssig. 105 Die Sitte wirkt unmittelbar als causa. Sie ist nicht nur Anlass eines Erwerbsgrundes, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 97 mit Fn. 22. § 814 Hs. 2 BGB schafft dabei aber nicht den Rechtsgrund selbst, sondern zeigt nur, dass Sitte und Anstand eine causa zum Behalten im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB geben. Nach Gernhuber zeigt sich in § 814 Hs. 2 BGB der allgemeine Gedanke, dass die Erfüllung sittlicher Pflichten die Leistungskondiktion ausschließt, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 2, S. 95 und § 5 III 4 c, S. 97 mit Fn. 23 (Die Leistungskondiktion des abstrakten Schuldversprechens (§ 812 Abs. 2 BGB) scheitert also nicht erst an § 814 BGB). 106 Konstruktiv bedeutet das Ausstattungsversprechen im Sinne des § 1624 Abs. 1 BGB eine solche Umwandlung. Die Umwandlung kann als Schuldänderung, Schuldersetzung (Novation) oder als ein hinzutretendes kausales Erfüllungsversprechen verstanden werden (constitutum). Beim Konstitut tritt neben die naturale die (zivile) Schuld. Siehe dazu oben B. I. 5 d) bb) (4), S. 200 Fn. 842. 103

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BGB unterliegt. Zuwendungen aus sittlicher Pflicht genießen zweitens einen stärkeren Bestandsschutz im Schenkungsrecht (§ 534 BGB)107 und sind damit für den Empfänger insbesondere auch „sozialhilfefest“108. Die Erfüllung sittlicher Pflichten wird drittens dadurch privilegiert, dass sie von gebundenen Rechtsträgern weitgehend unbeschränkt erfüllt werden können. Gemeint sind Ausnahmen von den Beschränkungen der Rechtsmacht, über fremdes, gemeinschaftliches Vermögen oder über eigenes, jedoch gebundenes Vermögen zu verfügen109.

b) Dogmatisches Verständnis der Leistung aus sittlicher Pflicht aa) Unentgeltlichkeit der Leistung Sittliche Pflichten oder Anstandsrücksichten werfen die Frage auf, ob deren Erfüllung eine entgeltliche oder eine unentgeltliche Leistung darstellt. Nach herrschender Auffassung soll die Erfüllung als unentgeltliche Leistung einzustufen sein, weil und soweit die Befreiung von der sittlichen Verbindlichkeit für den Schuldner keinen Vermögensvorteil darstelle110. Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die erlangte Befreiung von einer sittlichen Verpflichtung dem Schuldner im Regelfall keinen Vermögensvorteil bringt und daher keinen Entgeltcharakter besitzt. Ein solches Verständnis zeigt die Sonderregelung des § 534 BGB für Pflicht und Anstandsschenkungen, die funktional als Schenkungen qualifiziert werden111. Die frühere Auffassung, wonach die Zuwendung aus 107 Pflicht- und Anstandsschenkungen nach § 534 BGB unterliegen nicht dem Widerruf nach §§ 530 – 534 BGB und nicht der Rückforderung nach §§ 528, 529 BGB. Danach ist die Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers, der Widerruf wegen groben Undanks und die Anfechtbarkeit von gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenken nach §§ 134 Abs. 2 InsO, 32 Nr. 1 KO a.F., 3 Abs. 1 Nr. 3 AnfG a.F. ausgeschlossen. Ausstattungen gehören nach h.M. nicht zu den anfechtbaren Rechtsgeschäften des Schuldners nach §§ 134 InsO, 4 Abs. 1 AnfG. Anders LG Tübingen v. 24.5.2005 ZInsO 2005, 781 f. und Jakob, Die Ausstattung (§ 1624 BGB) – ein familienrechtliches Instrument moderner Vermögensgestaltung? AcP 2007 (207) 198, 212 f. 108 Keine Überleitung der Rückforderungsrechte auf den Sozialhilfeträger, vgl. Jakob, (vorherige Fn.), 198, 203 Fn. 17. 109 Zuwendungen aus sittlicher Pflicht und Anstandsrücksicht bleiben im Zugewinnausgleich außer Ansatz (§ 1375 Abs. 2 Nr. 1, 1380 Abs. 1 S. 2 BGB). Der das Gesamtgut verwaltende Ehegatte in einer Gütergemeinschaft darf entsprechende Zuwendungen machen, § 1425 Abs. 2 BGB. Die sorgeberechtigten Eltern dürfen aus dem Vermögen des Kindes Pflicht und Anstandsschenkungen machen, § 1641 BGB. Ebenso privilegiert sind der Vormund für entsprechende Zuwendungen aus dem Vermögen des Mündels, § 1804 S. 2 BGB, der Vorerbe, § 2113 Abs. 2 S. 2 BGB, der Testamentsvollstrecker, § 2205 S. 3, 2207 S. 2 BGB, der Erblasser (§ 2330 BGB: keine Pflichtteilsergänzung bei Pflicht- und Anstandsschenkungen). Vgl. instruktiv Jakob, Die Ausstattung (§ 1624 BGB) – ein familienrechtliches Instrument moderner Vermögensgestaltung?, AcP 2007 (207) 198, 205 ff. 110 RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380, 383; siehe bereits oben B. I. 4. e) bb), S. 152 ff. 111 RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380, 383.

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sittlicher Pflicht Entgeltcharakter besitzt und deshalb keine Schenkung vorliege112, lässt sich mit der Regelung des § 534 BGB nicht mehr vereinbaren113. In der Tat fehlt ein Schuldnervorteil, wenn der Ehemann seiner früheren Ehefrau den angemessenen und nicht nur den geschuldeten notdürftigen Unterhalt bezahlt hatte114, wenn Zahlungen an bereits abgefundene uneheliche Kinder geleistet wurden, weil die bereits gezahlten Abfindungen durch Inflation verfallen waren115 oder wenn Leistungen belohnenden Charakter besaßen (remuneratorische Schenkung)116. Dagegen sind Vermögensvorteile des Schuldners und damit eine Entgeltlichkeit durchaus denkbar, etwa wenn aus Gründen der Steuerersparnis von Geber und Nehmer Leistungen zur vorweggenommenen Erbfolge gewährt117 oder die Beerdigungskosten für die Stiefschwiegermutter übernommen wurden118. Ebenso dürfte die Kindesausstattung gem. § 1624 Abs. 1 BGB nicht als unentgeltlich einzustufen sein119. Zu sehen ist ferner, dass die Belastung mit einer unvollkommenen Verbindlichkeit als Vermögensschaden eingestuft und etwa im Rahmen des § 107 BGB als rechtlich nachteilig angesehen wird120. Die Befreiung von ihr kann also durchaus Entgeltcharakter haben. 112

RG v. 3.5.1913, JW 1913, 855 Nr. 2; RG v. 21.4.1917, JW 1917, 710 Nr. 7; RG Recht 1920, Nr. 2356; Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 69 (dagegen sollen bei Anstandsschenkungen und den ihnen gleichstehenden gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenken unentgeltliche Schenkungen vorliegen); Rudolf Schmidt, Die rechtliche Wirkung der Befolgung sittlicher Pflichten, in: Otto Schreiber (Hg.): Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Band 2, 1929, S. 25, 36 ff. bejaht Entgeltlichkeit, wenn wenigstens einer Partei die sittliche Pflicht bewusst war; ebenso Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 512. 113 Das sieht auch Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 69, der aber die Etikettierung durch den Gesetzgeber für falsch hält. 114 KG v. 18.12.2001 FamRZ 2002, 1357, 1359 verneint die sittliche Pflicht zur Zahlung angemessenen Kindesunterhalts, wenn der Bedürftige die Bedürftigkeit durch ein sittliches Verschulden (Drogenabhängigkeit) selbst herbeigeführt hat und daher nur notwendigen Unterhalt beanspruchen konnte. 115 RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380; RG v. 23.2.1920 RGZ 98 (1920) 176 (Schuldversprechen gegenüber der Geliebten für den Fall anderweitiger Heirat). 116 Etwa bei Anerkennung einer sittlichen Pflicht zur Belohnung von Pflegeleistungen, vgl. BGH v. 11.7.2000, NJW 2000, 3488, 3490 (im Ergebnis sittliche Pflicht verneint). OLG Karlsruhe v. 14.2.1990 OLGZ 1990, 457 (sittliche Pflicht zur Übertragung einer Haushälfte wegen unbezahlter Mitarbeit im Gärtnereibetrieb des Ehemanns bejaht). 117 BayObLG v. 24.5.1996, FamRZ 1996, 1359, 1360 (keine sittliche Pflicht im Sinne von § 1804 S. 2 BGB) und BayObLG v. 8.10.1997, FamRZ 1999, 47 (keine Anstandsschenkung im Sinne von § 814 Hs. 2 BGB). 118 Das BVerwG v. 13.3.2003, NJW 2003, 3146 bejaht eine sittliche Pflicht zur Übernahme der Bestattungskosten der Stiefschwiegermutter. 119 Siehe dazu sogleich näher unten im Text, S. 459 ff. 120 So gilt die Begründung einer Naturalobligation durch den Minderjährigen als Rechtsnachteil, der gewisse, den Schuldner belastende Wirkungen habe. Die Hingabe der minderjährigen Prostituierten soll „selbst als Naturalobligation“ gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen,

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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bb) Erfüllung mit oder ohne Schenkungsvereinbarung (§ 534 oder § 814 Hs. 2 BGB) Voraussetzung für eine Pflicht- oder Anstandsschenkung im Sinne von § 534 BGB ist es, dass eine Schenkung tatbestandlich vorliegt. Die Parteien müssen sich über die Unentgeltlichkeit der Leistung geeinigt haben121. Sie müssen in ihrer Vereinbarung davon ausgehen, dass der Leistende durch die Befreiung von der sittlichen Pflicht keinen Vermögensvorteil erlangt und die sittliche Pflicht sich gerade auf die Abgabe des entsprechenden Schenkungsversprechens richtet122. Das Leistungsversprechen zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht muss aber nicht notwendig eine Schenkung sein. Die Sitte ist selbst causa123. Entsprechend ist die maßhaltende Ausstattung nach § 1624 Abs. 1 BGB keine Schenkung und das Ausstattungsversprechen entsprechend bereits formlos wirksam124. Die Abgrenzung zwischen Schenkung und Zuwendung aus sittlicher Pflicht bleibt aber schwierig. So wird das Unterhaltsversprechen an den verarmten Bruder einerseits formlos für wirksam gehalten und damit nicht als Schenkung eingestuft125, während andererseits hierin der typische Anwendungsfall der Pflichtschenkung im Sinne von § 534 BGB liegen soll126 und die Beurkundungspflicht also bestünde. Liegt eine Schenkung aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht vor, so wird im Ergebnis die sittliche Pflicht durch die Schenkungscausa verdrängt. Daher formuliert § 1624 Abs. 1 BGB für die Übermaßausstattung präzise dahin, dass sie als Schenkung „gilt“127, nicht aber, dass es sich um eine Schenkung handelt. Geht man davon aus, dass die sittliche Staudinger/Knothe, BGB, 13. Bearb. 2004, § 107 Rn. 23. Man wird also im Einzelfall prüfen müssen, ob eine Entgeltlichkeit vorliegt. Ebenso bedeutet die Naturalobligation im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 u. 3 RVG keine Schuld mit geringerer Sicherheit i.S.v. § 366 Abs. 2 BGB. Vgl. Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2004, § 4 Rn. 89. 121 Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 15; RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 814 Rn. 13. 122 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 98. 123 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 97 Fn. 22. Im Ergebnis ebenso nur mit abweichender Konstruktion: Siber, Die schuldrechtliche Vertragsfreiheit, JherJb 70 (1921) 223, 232 (Erwerbsgrund neben sittlicher Pflicht und Anstandsrücksicht); Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 238 (durch Willenseinigung zum Rechtsgrund erhoben). 124 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 56 I 6, S. 655. Näher nachfolgend im Text. 125 Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, 232; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 98. So bereits die ältere Rechtsprechung des Reichsgerichts, RG v. 3.5.1913, JW 1913, 855 Nr. 2; RG v. 21.4.1917, JW 1917, 710 Nr. 7; RG Recht 1920, Nr. 2356. 126 Etwa Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, 2005, § 534 Rn. 2; Staudinger/Cremer, BGB, 13. Bearb. 1995, § 534 Rn. 5; MünchKomm/Kollhosser, BGB, 4. Aufl. 2004, § 534 Rn. 6. 127 Also tatsächlich keine Schenkung ist. Die Loslösung von der Schenkungscausa wird auch im Gesellschaftsrecht anerkannt, wenn ein Mitgesellschafter eine seinen Anteil wertmäßig um ein Vielfaches übersteigende Finanzierungszusage gibt. Die Leistung erfolge

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C. Systematischer Teil

Pflicht auch durch ein formgültiges Schenkungsversprechen erfüllt werden kann128, so bedeutet das Schenkungsversprechen eine (kausale) Novation der sittlichen Pflicht. Die sittliche Pflicht erlischt durch Erfüllung und an ihre Stelle tritt das Schenkungsversprechen als neuer Rechtsgrund. Der Schenker ist also zu einer Schenkung aus „sittlicher Pflicht“ oder „Anstandsrücksicht“ (nach hier vertretener Auffassung in Gestalt einer Naturalobligation) verpflichtet. Er erfüllt die sittliche Pflicht im Wege der formfreien Handschenkung oder durch das formbedürftige Schenkungsversprechen (§ 518 Abs. 1 BGB notarielle Beurkundung). Die Erfüllung der Schenkungsschuld beruht dann nur noch mittelbar auf der sittlichen Pflicht129. Mit dieser Konstruktion im Anwendungsbereich des § 534 BGB wollte der Gesetzgeber offenbar verhindern, dass bloß mündlich gegebene Leistungsversprechen zur Erfüllung sittlicher Pflichten bereits klagbar werden. Geschuldet wird nicht mehr unmittelbar aus sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht, sondern aus dem Schenkungsversprechen. Man kann mit gutem Grund bezweifeln, dass ein Schutz vor Übereilung in Fällen einer anerkannten sittlichen Leistungspflicht oder Anstandsrücksicht wirklich geboten ist. An der insoweit eindeutigen Rechtslage ändert dies nichts130.

„causa societatis“ und unterliege daher nicht dem Beurkundungserfordernis des § 518 Abs. 1 S. 2 BGB, BGH v. 8.5.2006, MDR 2006, S. 1356 (Boris Becker). 128 Der Wortlaut des § 534 BGB ist hier auffallend undeutlich. Danach wird der sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht durch die Schenkung „entsprochen“. So die h.M. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 98; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, 2005, § 534 Rn. 1; Staudinger/Cremer, BGB, 1995, § 534 Rn. 1; MünchKomm/Kollhosser, BGB, 4. Aufl. 2004, § 534 Rn. 1 (echte Schenkung); Erman/Herrmann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 534 Rn. 4; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1987, § 534 Rn. 1; Palandt/Weidenkaff, BGB, 65. Aufl. 2006, § 534 Rn. 1; a.A. Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 69 (keine Schenkung). 129 Denkbar ist auch, dass die Schenkungscausa die causa Sitte nur abändert oder zu ihr als durchsetzbare Schuld hinzutritt (constitutum). In diesem Falle läge erst in der Sachleistung die Erfüllung der fortbestehenden sittlichen Pflicht. So Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 69, der deshalb die Schenkung für eine Falschetikettierung durch den Gesetzgeber hält. § 534 BGB scheint aber die hintereinander geschachtelten Rechtsgründe zwingend vorzugeben und kann so auch eine Schenkung aus Pflicht konstruktiv rechtfertigen. 130 Die im gemeinen Recht und im PrALR sowie in der frühen Rechtssprechung des Reichsgerichts vertretene Auffassung, die Entgeltlichkeit der Leistung mit der Folge zu bejahen, dass auch das formlose Versprechen über die Erfüllung einer sittlichen Pflicht klagbar ist, wurde damit aufgegeben. Siehe oben B. I. 4. e) bb), S. 152 ff.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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cc) Die Ausstattung (§ 1624 Abs. 1 BGB) Eine Sonderstellung nimmt die (maßhaltende) Ausstattung des Kindes nach § 1624 Abs. 1 BGB ein. Die Vorschrift verwendet nicht den Rechtsbegriff „sittliche Pflicht“, sondern sie bildet eine sittliche Pflicht tatbestandlich aus131. Eine sittliche Pflicht zur Ausstattung wird heute zwar nicht mehr allgemein anerkannt. Die gesetzliche Regel und der nicht durchsetzbare Pflichttatbestand kann jedoch nicht ‚ratio cessans‘ aufgehoben werden132. Dogmatisch umgeht die Literatur die Frage durch eine Umschreibung des Regelungszwecks oder durch Annahme einer „arteigenen causa“ als Rechtsgrund133. So sei ratio legis etwa die „materielle Starthilfe zum letzten Schritt in die Selbständigkeit“. Die Bejahung sittlicher Pflicht wirkt sich rechtlich aber dort aus, wo Leistungen aus sittlicher Pflicht besonderen Schutz genießen und die Ausstattung privilegiert wird134. Wie sich aus § 1624 Abs. 2 BGB ergibt, liegt dem Ausstattungsversprechen der Eltern keine Schenkungscausa zu Grunde135. Dennoch gelten die gewährleistungsrechtlichen Regeln des Schenkungsrechts auch „soweit die Ausstat131

Vgl. entstehungsgeschichtlich Jacobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Recht der Schuldverhältnisse, Familienrecht, Bd. II, 1989, S. 309 f. und passim. Näher oben B. I. 5. a) aa) (2) S. 165 (Beschluss der 1. Kommission vom 24.2.1882) und B. I. 5 a) cc) (5), S. 176; Erman/Michalski, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1624 Rn. 8; Soergel/Strätz, BGB, 12. Aufl. 1987, § 1624 Rn. 2. 132 Die Satz „cessante ratione cessat lex ipsa“ ist methodologisch nicht als gesetzlicher Erlöschensgrund anerkannt, vgl. über die Entwicklung in historischer Sicht J. Schröder, Recht als Wissenschaft, 2001, S. 152 und dem bereits von Thibaut gegen diesen Grundsatz angeführten Beispiel, wonach eine solche Regel zu absurden Ergebnissen führe, wie derjenigen, dass die Väter den Töchtern keine Mitgift mehr geben müssten, „weil man gegenwärtig die Mädchen nicht des Geldes wegen heyrathe“. Der Richter müsse ein solches Gesetz so betrachten, wie eine Vorschrift, deren Gründe ihm unbekannt sind. (Ebd., Nachweise Fn. 310 u. 311). Das gilt nicht nur für den aufgehobenen Aussteueranspruch, sondern ebenso für die Ausstattung nach § 1624 BGB. Die dogmatische Grundlage wird verschiedentlich deshalb heute in einer familienrechtlichen „arteigenen causa“ gesehen (vgl. nachfolgend). Mit der „arteigenen causa“ hat auch eine vergleichbare Leerstelle ihren Namen erhalten. 133 Staudinger/Coester, BGB, 13. Bearb. 2000, § 1624 Rn. 1 u. 4. Der sachliche Unterschied zwischen einer verneinten sittlichen Pflicht und der Starthilfegewährung bleibt allerdings ungeklärt. Die sittliche Pflicht bejahen etwa Erman/Michalski, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1624 Rn. 8; Soergel/Strätz, BGB, 12. Aufl. 1987, § 1624 Rn. 2. Nach anderer Auffassung liegt der Ausstattung eine arteigene causa aus einer mit der Familiengemeinschaft verbundenen sittlichen Idee zugrunde, Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 56 I 6, Rn. 7, S. 655; ähnlich Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Aufl. 2008, § 1624 Rn. Rn. 3 (causa sui generis). 134 Siehe oben Fn. 109. 135 Offenbar sah der Gesetzgeber in der Kindesausstattung keine unentgeltliche Leistung in dem oben beschriebenen Sinne im Zusammenhang mit § 534 BGB. Dafür könnte sprechen, dass die Ausstattung etwa fortbestehende Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind reduziert oder aufhebt. Damit liegt in der Erfüllung für die Eltern hier ein Vermögensvorteil.

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C. Systematischer Teil

tung nicht als Schenkung gilt“136. Ein Leistungsversprechen führt hier zu einer identitätswahrenden Schuldänderung. Das Kind erlangt eine durchsetzbare Ausstattungsforderung. Zu demselben Ergebnis gelangt, wer das Ausstattungsversprechen als kausales Erfüllungsversprechen ansieht, das neben die sittliche Pflicht tritt137. Dagegen liegt keine Schuldersetzung (Novation) vor138. Zur Sicherung der Ausstattungspflicht kommt ein abstraktes Schuldanerkenntnis in Betracht (§ 781 BGB)139. Es bedarf der Schriftform und kann unabhängig von der kausalen Forderung geltend gemacht werden. Die Kondiktion des Anerkenntnisses nach § 812 Abs. 2 BGB ist ausgeschlossen, weil die sittliche Pflicht den Rechtsgrund bildet140. Das Schenkungsrecht und damit insbesondere das Beurkundungserfordernis des § 518 BGB sind nicht anwendbar141. Diese dogmatische Sonderstellung des § 1624 Abs. 1 BGB gegenüber einer Schenkung aus sittlicher Pflicht (§ 534 BGB) ist aber nicht einfach zu begründen. Gernhuber stellt darauf ab, dass unentgeltliche Leistungsversprechen keinesfalls immer dem Schenkungsrecht zuzuordnen seien142. Eine Schenkung aus sittlicher

136 Zutreffend Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97 Fn. 22, der eine Trennung von Sitte und Recht in diesem Punkt ablehnt, weil damit lediglich eine Verlagerung der Problematik in eine weitere Denkstufe erreicht werde. 137 Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229: Als selbständiger Schuldgrund tritt das Erfüllungsversprechen neben die sittliche Pflicht und kommt einer Selbstverbürgung gleich. Ebenso Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97. Vgl. A. Sailer, Die Ausstattung als Rechtsgrund von Überlassungsverträgen, NotBZ 2002, 81, 82. Ablehnend Zimmermann, The Law of Obligations. 1990, S. 513 Fn. 32 unter Verweis auf Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 284. 138 Das zeigt der Fall einer Schuldumwandlung in eine Darlehensschuld (Vereinbarungsdarlehen), die keine Novation darstellt, sondern als Schuldänderung angesehen und von § 311 Abs. 1 BGB miterfasst wird (vormals § 607 Abs. 2 BGB a.F.), Palandt/Putzo, BGB, 67. Aufl. 2008, § 488 Rn. 27. Da im römischen Recht für jede Schuldänderung eine Novation notwendig war, blieb dort nur dieser Weg, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 54 Rn. 1. Ob das constitutum im römischen Recht auf die obligatio naturalis angewendet wurde, wissen wir nicht; verneinend Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. Wien 1997, S. 339. 139 Das abstrakte Schuldversprechen hat selbst keine novatorische Wirkung. Es wird im Zweifel immer nur erfüllungshalber geleistet, § 364 Abs. 2 BGB, Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 69. 140 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97 Fn. 23. A.A. Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit. Eine historisch-dogmatische Untersuchung. 1905, S. 241 (Anwendungsfall des § 814 Hs. 2 BGB), ebenso Planck/Siber, BGB, II, 4. Aufl. 1914, Vor § 241 Anm. III c 3 c. 141 Wie die Verweisung auf die Rechts- und Sachmängelregelung des Schenkungsrechts gem. §§ 1624 Abs. 2, 523 f. BGB zeigt. 142 Das hat der BGH jüngst bestätigt, in dem er die Finanzierungszusage eines Mitgesellschafters „causa societatis“ nicht dem schenkungsrechtlichen Beurkundungserfordernis unterwarf, BGH v. 8.5.2006, MDR 2006, S. 1356 (Boris Becker).

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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Pflicht sei hier die Ausnahme, die unentgeltliche Zuwendung (ohne Schenkung) dagegen Ausdruck der allgemeinen Regel143.

4. Naturalobligation und Forderungsstruktur Bezeichnet Naturalobligation eine Forderung oder nur den materiell-rechtlichen „Torso“ (Stech) einer Forderung? Diese Alternativenstellung wird verbreitet zu Gunsten der letztgenannten Auffassung entschieden. Vor dem Hintergrund einer in materiell- und prozessrechtlicher Hinsicht kompletten Forderung mit Anspruch sind daher diejenigen Einzelbefugnisse und Anspruchsfunktionen zu identifizieren, die der Naturalobligation fehlen.

a) Die Forderungsstruktur der Naturalobligation aa) Das Forderungsrecht nach Einzelbefugnissen Ausgangspunkt ist die Forderung144 als subjektives Recht145. Die Forderung wird verbreitet in das Leistensollen des Schuldners und in das Bekommensollen des Gläubigers auseinander gelegt146. Andreas v. Tuhr hielt diese Zerlegung in einen 143 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4 c, S. 98. Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 66 verneint selbst bei § 534 BGB eine Schenkung. 144 Die Forderung stellt nach allgemeiner Meinung einen Unterfall des subjektiven Rechts dar, vgl. etwa Portmann, Wesen und System der subjektiven Rechte, 1996, Rn. 109 ff. (relatives Recht auf ein fremdes Verhalten). 145 Die herrschende Lehre beschreibt das subjektive Recht als die rechtlich anerkannte Willensmacht zum Zwecke der Befriedigung menschlicher Interessen (Bedürfnisse), etwa Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem, JuS 1992, 537, 538; Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl. 2003, Rn. 107; zu den verschiedenen Definitionsansätzen, Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Recht, 8. Aufl. 1997, § 14 Rn. 10 – 28; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, 2003, S. 66 – 73; zum historischen Ursprung vgl. oben B.I. 4. f) S. 155. Jürgen Schmidt betrachtet das subjektive Recht analytisch als eine individuelle Freiheitsermächtigung verknüpft mit einem Generalverbot. J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 1969, S. 17. Geht die Ermächtigung auf Vornahme einer Handlung, handelt es sich um eine Aktionsberechtigung, geht sie auf die Beanspruchung eines Vermögenswerts, so liegt eine Vermögensberechtigung vor (ebd. S. 54 ff. u. 212 ff.); ob sich das auch auf die Forderung anwenden lässt, ist fraglich; ablehnend Portmann, Wesen und System der subjektiven Rechte, Zürich 1996, Rn. 40. 146 Siber, Naturalis obligatio. In: Leipziger Juristenfakultät (Hg.), Gedenkschrift für Ludwig Mitteis, 1926, S. 1, 80: „Debitum (Schuld) bezeichnet die Pflicht des Schuldners, Leistensollen, und die Erfolgsanwartschaft, das Bekommensollen für den Gläubiger.“ Ebenso Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 1, S. 64; Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 II, S. 15; Wieser, Prozessrechtskommentar zum BGB, 2002, § 194 BGB Rn. 9 f. (passives und aktives Anrecht); ders., Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit, JR 1967, 321, 322 (das passive Anrecht Bekommensollen sei aber vom Behaltendürfen zu trennen); aus dem passiven „Bekommensollen“ kann aus der Sicht des Schuldners auch ein aktives Moment gewonnen werden, so etwa bei Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, 2002, S. 65:

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C. Systematischer Teil

aktiven Teil für den Schuldner und einen passiven Teil für den Gläubiger für wenig ergiebig und empfahl, die Forderung stattdessen nach Einzelbefugnissen aufzugliedern147. Danach soll die Forderung zunächst in Haupt- und Nebenbefugnisse sowie in Gestaltungsrechte148 gegliedert werden. Hauptbefugnisse sind der Anspruch (ein Tun oder Unterlassen fordern können) und die Zugriffsbefugnis (Haftung). Nebenbefugnisse sind die Aufrechnungs-, die Zurückhaltungs-, die Abtretungs- und die Erlassbefugnis. In Fortführung dieses Ansatzes werden heute mehrere untereinander in Einzelfragen divergierende Konfigurationen des Forderungsrechts vertreten149. Die untergliederten Einzelbefugnisse haben dabei ihrerseits die Struktur subjektiver Rechte150. Daher sind Befugnisse und Rechte synonym verwendbare Begriffe. Eine gewisse Zuspitzung erfährt die analytische Betrachtung durch die Annahme von Jürgen Schmidt, wonach das Forderungsrecht überhaupt nur aus dem Bündel einzelner Befugnisse bestehe151. Die Kernbefugnis ist danach die Forderungsberechtigung (gleichbedeutend Einziehungsbefugnis, Einforderungsrecht, rechtliche Zuständigkeit). Gemeint ist die subjektive Berechtigung, die Leistung von dem Anderen zu fordern (Verlangenkönnen, Fordernkönnen152 oder das Anrecht153). Neben diese Kernbefugnis treten die „Leistungspflichten sind erfolgsbezogene, auf ein Bekommensollen des Gläubigers gerichtete Pflichten; sie können nicht verletzt, sondern nur erfüllt oder nicht erfüllt werden.“ Ebenso Anders, Die Pflichtverletzung im System des Leistungsstörungsrechts als Modell de lege ferenda, 2001, S. 153: „Das Leistungsverhalten des Schuldners (‚Leistensollen‘) ist mithin auf den Erfolg des ‚Bekommensollens‘ des Gläubigers gerichtet, …“. 147 Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, S. 109 u. 142 ff. („Die Befugnisse des Gläubigers, die man unter dem Namen Forderung zusammenfasst“). 148 Unter Gestaltungsrechte fasst v. Tuhr das Wahlrecht des Gläubigers bei alternativer Forderung (Bestimmungskauf), die Fristsetzung oder Kündigung zur Herbeiführung der Fälligkeit und die Bestimmung des Leistungsumfangs (§ 316 BGB), ebd. S. 144. 149 Etwa Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 12 II a) S. 200 f.; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 35; Wieser, Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit, JR 1967, 321, G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 398 f.; Anders, Die Pflichtverletzung im System des Leistungsstörungsrechts als Modell de lege ferenda, 2001, S. 149 Fn. 17. Einteilung in Rechtspositionen und Rechtsbehelfe Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozess, 1970, S. 107 ff. u. 168 ff.; Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974) 97, 112; H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 45 f. 150 Grundlegend J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘, in: Martinek u.a. (Hg.), FS für Günther Jahr, 1993, S. 401. 151 Die Vorstellung eines Bündels nimmt der Forderung eine eigene Begriffsbedeutung und betrachtet sie als die Summe der gebündelten Befugnisse. Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 118. Krit. zu dieser Auflösung des Forderungsbegriffs in der Bündelungstheorie, Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 115. 152 G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 398 f. (Die Befugnis, vom Schuldner mit Recht die Leistung zu verlangen). H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 45 f. (Forderungsberechtigung im Sinne von „Verlangenkönnen“). 153 Die Bezeichnung „Anrecht“ geht auf Wieser zurück und meint die sachliche Befug-

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Selbsthilfe-, Behaltens-, Verfügungs-, Klage- und Vollstreckungsbefugnis154. Ein klareres Bild lässt sich gewinnen, wenn im Anschluss an Rimmelspacher und Roth die Einzelbefugnisse gedanklich weiter nach zwei Gesichtspunkten unterschieden werden. Einmal nach der Wertposition im Sinne von „gebühren“ und zum anderen nach der Rechtsschutzposition im Sine von „durchsetzen“. Das erste Element wird in Rechtspositionen (Rp), das zweite in Rechtsbehelfe (Rb) aufgeteilt. Die Rechtsbehelfe werden weiter in außergerichtliche (aRb) und gerichtliche (gRb) gegliedert155. Die Einzelbefugnisse der vollständigen Forderung lauten danach Rechtspositionen: (Rp 1) Behaltensrecht an der empfangenen Leistung (Erfüllbarkeit), (Rp 2) Verfügungsrecht (Abtretung, Verpfändung, Erlass), (Rp 3) Grundlage zur Verwertung von Sicherheiten (Pfändung), (Rp 4) Grundlage von Einreden (§§ 320, 478, 821, 853 BGB). Rechtsbehelfe (außergerichtliche): (aRb 1) Einforderungsrecht („Verlangenkönnen“ iSv Behaupten, Einfordern, Erinnern), (aRb 2) Selbsthilferechte (Selbsthilfe, Aufrechnung und Mahnung). Rechtsbehelfe (gerichtliche): (gRb 1) Klagerecht, (gRb 2) Vollstreckungsrecht. Eine Sonderstellung nimmt das Einforderungsrecht (aRb 1) ein, weil es in der Gruppe der Rechtsbehelfe nicht selbst Zwangsmittel im Rechtssinne ist. Die Schwäche der Anordnung liegt in der fehlenden Verankerung der Rechtsbehelfe im materiellen Forderungsbegriff. Das Bindeglied zwischen Rechtspositionen und Rechtsbehelfen fehlt. Sämtliche Rechtsbehelfe aRb 1 – gRb 2 sind aber Konkretisierungen des Einforderungsrechts (aRb 1) und damit auf dieses zurückzuführen. Das Fehlen der Einforderungsbefugnis bedeutet notwendig nis des Gläubigers, eine Leistung des Schuldners zu beanspruchen. Das bloße Anrecht ist nach Wieser aber noch nicht als Forderung anzusehen. Hinzukommen müsse die als Zuständigkeit bezeichnete Zwangsbefugnis, in: Die Forderung als Anrecht und Zuständigkeit. JR 1967, 321, 323. Für J. Schmidt ist die Forderung mit der ‚Einziehungsbefugnis‘ bereits vollständig umschrieben. Das Zwangselement kommt erst im Anspruchsbegriff als ‚Befugnis zur Zwangsrealisierung‘ zum Tragen. J. Schmidt, ‚Actio‘. ‚Anspruch‘. ‚Forderung‘. In: Martinek, Schmidt, Wadle (Hg.): Vestigia iuris. FS für Günther Jahr, 1993, S. 401, 416 f. 154 J. Schmidt, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 120. 155 Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozess, 1970, S. 107 ff. u. 168 ff.; zustimmend Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht. AcP 174 (1974) 97, 12; H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 45.

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das Fehlen von allen weiteren Rechtsbehelfen. Umgekehrt kann die Einforderungsbefugnis auch ohne die sonstigen Rechtsbehelfe bejaht werden156. Sieht man die Forderung mit der herrschenden Lehre als einen rechtlich anerkannten Leistungsbefehl an, so müssen das Behaupten, Einfordern und Erinnern möglich bleiben. Ohne jeden Rechtsbehelf hätte das Einforderungsrecht keine aktive Realisationsform mehr und hörte auf, ein Forderungsrecht157 zu sein158. Ferner ist das Einforderungsrecht die zentrale Rechtsposition für den Inhaber der Forderung. Es sollte daher im Ausgangspunkt als Rechtsposition (Rp 5) und zugleich als Oberbegriff für alle Rechtsbehelfe159 angesprochen werden. Ich schlage folgende Konfiguration vor: Einzelne Rechtspositionen des Forderungsrechts: (Rp 1) Behaltensrecht an der empfangenen Leistung (Erfüllbarkeit), (Rp 2) Verfügungsrecht (Abtretung, Verpfändung, Erlass), (Rp 3) Grundlage zur Verwertung von Sicherheiten (Pfändung), (Rp 4) Grundlage von Einreden (§§ 273, 320, 478, 821, 853 BGB). (Rp 5) Einforderungsrecht („Verlangenkönnen“) Materiellrechtliche Konkretisierungen (Rechtsbehelfe) (Rb 1) Behaupten, Einfordern, Erinnern160,

156 Bspw. Forderungen ohne Vollstreckungsrecht (§ 888 ZPO) und ohne Klagerecht (§§ 1001 BGB, 375 HGB). 157 Portmann, Wesen und System der subjektiven Rechte, Zürich 1996, Rn. 133 ff. sieht in der Forderung ganz allgemein ein Recht auf eine Leistung, ohne dass dem Gläubiger ein Verlangensrecht zukommen müsse. Das Merkmal des Geschuldetseins weise die Rechtsposition des Gläubigers und damit das subjektive Recht nur als einen Reflextatbestand aus (ebd. Rn. 137). Dieser Auffassung steht aber die formale Korrespondenz von Forderung und Schuld entgegen und sie lässt sich auch nicht mit dem Wortlaut des § 241 Abs. 1 BGB in Einklang bringen. Die Auffassung Portmanns hat sich daher zu Recht nicht durchgesetzt. 158 Bei fehlender Einforderungsbefugnis bleibt dann nur ein (bloßer) Erwerbsgrund übrig, der nicht auf einem Leistungsbefehl beruht. Die Rechtsordnung ist, worauf Gernhuber zutreffend hinweist, nicht gehindert, den Leistungsbefehl einerseits zu verweigern, andererseits die dennoch erbrachte Leistung dem Empfänger zu belassen. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 1, S. 77 f. Damit ist die allgemeine Kategorie des Erwerbsgrundes erreicht, die von der Forderung zu trennen ist. Ebenso ist nicht ausgemacht, dass die Naturalobligation bloß einen solchen Erwerbsgrund schafft. Siehe C. IV. 2., S. 447. 159 Die Unterscheidung in außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe passt nicht für die vollstreckbaren Urkunden. Da ferner alle Rechtsbehelfe nach der hier vertretenen Auffassung materiellrechtliche Befugnisse darstellen, kann die Unterscheidung entfallen. 160 Auch Larenz kennzeichnet das Herrschaftsrecht zutreffend als eine kommunikativ einwirkende Befugnis des Gläubigers, die im Ansprechen, im in das Bewusstsein rufen und im die Folgen der Nichterfüllung vor Augen stellen, besteht. Er sieht darin die mittelbare Herrschaft über den Schuldner, Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 2 II, S. 16 f.; zur Einwirkungsbefugnis oben C. III. 1. c) cc) (3), S. 366 ff.

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(Rb 2) (Rb 3) (Rb 4)

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Selbsthilferechte (Selbsthilfe, Aufrechnung und Mahnung), Klagerecht, Vollstreckungsrecht.

Anhand dieser Einteilung kann auch die Naturalobligation analytisch bestimmt werden. bb) Die Befugnisse aus einer Naturalobligation (1) Die zu und aberkannten Befugnispositionen Die Naturalobligation vermittelt ihrem Inhaber eine Behaltensbefugnis an der Erfüllungsleistung und damit die Rechtsposition eines Behaltensrechts (Rp 1). Sie ist erfüllbar und schließt deshalb die Rückforderung aus. Auch die Verfügungsbefugnis ist in Bezug auf eine Naturalobligation gegeben (Rp 2), wobei eine Verpfändung aufgrund des geringeren wirtschaftlichen Werts der Naturalobligation nur ausnahmsweise in Betracht kommen dürfte. Bedeutung erlangt die Eigenschaft der Pfändbarkeit, wenn eine bereits verpfändete Forderung verjährt und sich in Folge der Verjährung in eine Naturalobligation umwandelt. Das Rechtspfand bleibt bestehen ist aber wirtschaftlich weitgehend entwertet. Die Naturalobligation besitzt die Eigenschaft, Grundlage einer Sicherheit sein zu können (Rp 3). Hier ist zu unterscheiden. Das Sicherungsrecht einer einmal wirksam besicherten Forderung geht nicht deshalb unter, nur weil diese sich in Folge der Verjährung oder in Folge eines Insolvenzplanes oder einer Restschuldbefreiung in eine Naturalobligation umwandelt und nur noch freiwillig erfüllbar ist. Bestehende Sicherheiten können weiterhin verwertet werden (§ 216 BGB)161. Dagegen ist eine bereits entstandene Naturalobligation nur sicherbar, wenn durch die Sicherung die Freistellung von rechtlichem Erfüllungszwang nicht aufgehoben wird. So sind akzessorische Sicherheiten wie die Bürgschaft möglich162 und zulässig, weil dem Bürgen die jeweilige Stellung des Hauptschuldners nach Maßgabe des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB zugute kommt und er keinem Erfüllungszwang ausgesetzt wird163. Zahlt der Bürge, so ist überdies der Rückgriff nicht gegen den Willen des Schuldners möglich. Folglich sind Forderungen aus Bürgschaft, Pfandrecht und Hypothek ebenso 161 Das gilt auch für das Insolvenzrecht Andres/Leithaus, InsO, 2006, § 254 Rn. 16, § 301 Rn. 11. 162 Fuchs, Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit im BGB, in: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, Köln 1999, S. 123, 136. 163 Akzessorische Sicherungsrechte setzen den Bestand einer Schuld voraus, deren Sicherung sie dienen; sie folgen der gesicherten Schuld grundsätzlich auch in den Fragen der Durchsetzbarkeit, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 V 4, S. 86; Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 12.

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wie die Hauptforderung nicht durchsetzbar. Der Grundstückseigentümer kann nach § 1169 BGB den Verzicht auf die Hypothek, der Verpfänder/Eigentümer nach § 1254 BGB die Rückgabe der Pfandsache verlangen. Wohl aber kann der Gläubiger die freiwillige Erfüllung als kondiktionsfesten Erwerb behalten. Die rechtsgeschäftliche Besicherung einer kraft Gesetzes entstehenden Naturalobligation wird regelmäßig in Widerspruch zu dem Zweck treten, den Erfüllungszwang auszuschließen. Die zur Sicherheit gegebenen Rechte (etwa Sach- und Rechtspfänder) substituieren den fehlenden Erfüllungszwang und umgehen die gesetzliche Regelung. Die von §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB verbotenen Umgehungsgeschäfte, wie insbesondere Schuldanerkenntnis, Schuldänderung oder Schuldersetzung (Novation) zeigen, dass eine solche Gestaltung nicht zulässig ist. Freilich ist es stets Einzelfallfrage, ob eine Sicherung zugelassen werden kann oder nicht. Entsprechend verhält es sich bei der Frage, ob für den Fall der Nichterfüllung ein Strafversprechen gegeben werden darf164. Diese Grundsätze gelten ferner für die Eigenschaft, Grundlage von Einreden sein zu können (Rp 4). Auf die Naturalobligation kann die Zurückbehaltungseinrede selbst nicht gestützt werden. Eine Forderung verliert die Rechtswirkung als Zurückbehaltungsrecht nicht, wenn sie nachträglich in eine Naturalobligation umgewandelt wird, so dass Aufrechnungs- und Zurückbehaltungslagen aus unverjährter Zeit bestehen bleiben (§ 215 BGB, § 390 S. 2 BGB a.F. analog)165. Die Parteien können die verjährte Schuld durch einen rechtsgeschäftlichen Verjährungsverzicht wieder in eine Zivilobligation umwandeln. Ebenso kann die Ausstattung des Kindes (§ 1624 Abs. 1 BGB) durch ein formloses166 Erfüllungsversprechen ergänzt167 oder im Wege der einfachen Schuldänderung in eine Zivilobligation umgewandelt werden168. Die Schuldumschaffung bleibt auch sonst 164 Zu den Sicherungsmöglichkeiten und der Gefahr der Rechtsumgehung bei zwingender Anordnung der Naturalobligation nachfolgend unten S. 469 ff. 165 Auch die Einrede des nichterfüllten Vertrages bleibt erhalten. Vgl. noch zu § 390 S. 2 BGB a.F., BGH v. 19.5.2006 NJW 2006, 2773, 2774. 166 Erst die Übermaßausstattung (das angemessene Maß übersteigend) ist Schenkung und entsprechend formbedürftig (§ 518 BGB); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 56 II 2, S. 656. 167 Das kausale Erfüllungsversprechen tritt als selbständiger Schuldgrund neben die sittliche Pflicht Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97. Historisch ist es aus dem constitutum des römischen Rechts entwickelt worden und kommt einer Selbstverbürgung gleich, Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229, vgl. oben B. I. 4. a) Fn. 11, S. 122. 168 A. Sailer, Die Ausstattung als Rechtsgrund von Überlassungsverträgen, NotBZ 2002, 81, 82. Im römischen Recht, das keine Schuldänderung kannte, erfolgte diese Umwandlung durch Novation (Schuldersetzung). Die Umwandlung einer nicht durchsetzbaren Forderung (Naturalobligation) in eine durchsetzbare vertragliche Forderung bedeutet dagegen aus heutiger Sicht nur eine identitätswahrende Schuldänderung, B. I. 5. d) bb) (4) S. 200 Fn. 842.

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möglich, soweit mit ihr keine Umgehung zwingender Vorschriften verbunden ist169. Betrachtet man die Rechtsbehelfe vom Ende her, so ist zunächst unzweifelhaft, dass der Naturalobligation die Vollstreckungsbefugnis fehlt (Rb 4). Aufgrund des missbilligten Erfüllungszwanges entfällt ferner die Klagebefugnis, soweit es um die Leistungsklage geht (Rb 3). Anders verhält es sich bei der Feststellungsklage, die wie die Rückforderungsklage anerkannt werden kann, weil mit ihr der Schuldner nicht zur Leistung gezwungen wird. Dem Klagezwang kann er durch Nichtbestreiten oder Anerkenntnis entgehen, weil damit das Feststellungsinteresse des Gläubigers entfällt170. Der Schuldner kann also den Gläubiger klaglos stellen, ohne deshalb zur Leistung gezwungen zu sein. Was die außergerichtlichen Rechtsbehelfe angeht, so sind die Selbsthilfe und die Aufrechnung ausgeschlossen (Rb 2). Bei der Aufrechnung besteht die Besonderheit, dass mit der Naturalobligation grundsätzlich nicht aufgerechnet werden kann, weil die Forderung sonst ohne den Willen des Schuldners befriedigt würde171. Sehr wohl kann aber gegen eine Naturalobligation aufgerechnet werden, weil eine Schuldtilgung möglich bleibt. Die Funktionalität der Naturalobligation ermöglicht die Aufrechnung, so dass der Naturalschuldner mit einer ihm gegen den Naturalgläubiger zustehenden zivilen Forderung erfüllt. Es erlöschen also sowohl die zivile Hauptforderung als auch die naturale Gegenforderung (§ 389 BGB). Der fehlende Erfüllungszwang steht nur der aktiven Aufrechnung mit einer Naturalobligation entgegen172. Eine Mahnung im Sinne einer ernsthaften Leistungsaufforderung ist aufgrund der anzuerkennenden Leistungspflicht und Einforderungsbefugnis (Rp 5 mit Rb 1) zulässig 173. In ihrer schuldrechtlichen Funktion als Verzugsvoraussetzung (§ 286 BGB) kommt 169 Eine Schuldumschaffung ist grundsätzlich möglich, sofern gesetzliche Umgehungsverbote wie §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB nicht entgegenstehen. Die Schuldumschaffung für unvollkommene Verbindlichkeit bejaht BGH v. 25.9.1958 NJW 1958, 2111, 2112. Die Umwandlung in eine Darlehensschuld mit der Begründung eines Rückzahlungsanspruches (§ 607 Abs. 2 BGB a.F. sog. Vereinbarungsdarlehen) stellt im Regelfall eine Schuldänderung dar. Die Schuldänderung wird heute von § 311 Abs. 1 BGB miterfasst, Palandt/Putzo, BGB, 67. Aufl. 2008, § 488 Rn. 27. Zu § 607 Abs. 2 a. F. und zu den verschiedenen Möglichkeiten der Umwandlung (Änderung, kausale oder abstrakte Schuldumschaffung), Jauernig/Vollkommer, BGB, 9. Aufl. 1999, § 607 Rn. 15–17. 170 Vgl. unten C. VI. 4., S. 633. 171 Eine singuläre gesetzliche Ausnahme stellt § 4 Abs. 2 S. 3 RennwLottG dar. Der Wettanbieter kann gegen den Gewinnanspruch mit seiner nur naturalen Forderung auf den Wetteinsatz aufrechnen. Zu diesem sog. Abzugsrecht unten C. IV. 5. c) cc), S. 524 f. 172 AnwK-BGB/Wermekes, 2005, § 387 Rn. 28 (verneint für Aktivforderung) u. Rn. 31 (bejaht für Passivforderung); ebenso Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 387 Rn. 12; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, 2003, § 387 Rn. 28; Erman/E. Wagner, BGB, 11. Aufl. 2004, § 387 Rn. 18. 173 Soll bei der Naturalobligation nicht (nur) der Erfüllungszwang, sondern auch das Leistungsrecht fehlen, so scheidet eine Mahnung aus. Etwa MünchKomm/Thode, BGB, 4. Aufl. 2001, § 284 Rn. 18 (kein Schuldnerverzug aus einer Naturalobligation).

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sie nicht zum Tragen, weil die aufgrund verzögerter Leistung entstehenden sekundären Ersatzrechte ebenfalls nicht durchsetzbar sind174. Ist die Setzung einer Nachfrist Voraussetzung für die Rückforderung aufgrund Rücktritts oder Minderung (§§ 323, 437 Nr. 2, 441 BGB), so gilt dies auch im Falle der Naturalobligation. (2) Die Naturalobligation ohne Erfüllungszwang Die Einforderungsbefugnis als das Kernrecht der Forderung ist bei der Naturalobligation gegeben (Rp 5 mit Rb 1)175. Eine Forderung muss in irgendeiner Weise aktiv ausgeübt werden können, weil sich sonst nicht mehr sinnvoll von einer Forderung sprechen lässt. Die dem Gläubiger zur Verfügung stehenden Mittel zur Einwirkung auf den Schuldner lassen sich nach dem Merkmal des Zwanges differenzieren. Unter die Einforderungsbefugnis (Rp 5) fallen alle Einwirkungsbefugnisse ohne Zwang. Das sind die Forderungserhebung durch Rechtsbehauptung, das Leistungsverlangen in den verschiedenen Formen des Anhaltens zur Leistung durch Erinnerung (Mahnung) (Rb 1) sowie durch Feststellungsklage im Falle der Rechtsleugnung (Rb 3). Die Forderung wird durch diese Einwirkungsbefugnisse geltend gemacht. Fasst man die Befugnisse zusammen, so stellt sich die Naturalobligation wie folgt dar. (1) Leistungsrecht – kommunikative Funktionen des Forderungsrechts (a) Einforderungs-, Erinnerungs-, Behaltensbefugnis (b) Behauptungs- und Feststellungsbefugnis (Klagerecht auf negative oder positive Feststellung) (2) Verfügungsrecht (Abtretungsbefugnis, Schuldübernahme) (3) Schutzrechte (Schutzobligation) (a) Leistungsschutz bei synallagmatischer Verknüpfung (aa) Rücktritt, Minderung, Schadensersatz bei Rückabwicklung (§§ 323, 324, 326 Abs. 5, 346 ff. BGB) (bb) Aufwendungsersatz als Vertrauensschaden (§§ 280, 284 BGB). Aber: – Kein Schadensersatz an Stelle der Leistung, – Kein Verzögerungsschaden (b) Integritätsschutz (Schutzpflichten, §§ 280, 282, 241 Abs. 2 BGB)

174 Der sog. Verzögerungsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB und der Verzugsschadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB. 175 A.A.: G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 415; Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 134 u. für Spiel und Wette Rn. 168 f.; U. Klinke, Causa und genetisches Synallagma. Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte, 1983, S. 51 f.

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Nur der Erfüllungszwang, nicht auch die Pflicht zur Erfüllung ist aufgehoben. Die fortbestehende Pflicht rechtfertigt die verbleibenden durchsetzbaren Schutzrechte. Namentlich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes sind Schadensersatzforderungen zulässig, weil durch sie kein Erfüllungszwang geschaffen, sondern die rechtmäßige Leistungsbeziehung gesichert wird. Macht der Schuldner in der Erwartung einer vereinbarungsgemäßen Vertragsabwicklung Aufwendungen, die sich aufgrund einer Pflichtverletzung, namentlich der Leistungsverweigerung des Schuldners, als nutzlos erweisen, so sind auch die frustrierten Aufwendungen zu ersetzen (§ 284 BGB). Der Vertrauensschaden erscheint prinzipiell auch bei einer Naturalobligation möglich und dürfte im Wege eines durchsetzbaren Anspruchs geltend gemacht werden können176. Selbstverständlich ist auch der sich aus der vertraglichen Beziehung ergebende Integritätsschutz gegeben. Im Ergebnis entstehen aber keine Unterschiede zu dem rechtsgeschäftsähnlichen (gesetzlichen) Schuldverhältnis des § 311 Abs. 2 u. 3 BGB, der diesen Integritätsschutz bereits dem rechtsgeschäftsähnlichen Kontakt zuerkennt177. (3) Fehlende Zwangsbefugnisse (Zwangs- und Sicherungsmittel) Sofern die Naturalobligation durch das Gesetz zwingend ausgestaltet ist und nicht durch rechtsgeschäftliche Gestaltungen umgangen werden darf, ist auch die Vereinbarung von Zwangs- und Sicherungsmitteln durch selbständige oder unselbständige Haftungsgeschäfte unzulässig. Der aberkannte Erfüllungszwang schließt dann nicht nur die rechtlichen Zwangsmittel (Zurückbehaltung, Aufrechnung, Leistungsklage) aus, sondern auch folgende Sicherungsmittel: (1) Unselbständige Sicherungsmittel: Sicherheitsleistung, Vertragsstrafen, Verpfändung von Gegenständen des Schuldners, Hypothek am Grundstück des Schuldners, fiduziarische Rechtsübertragungen (Sicherungsübereignung, Sicherungszession). (2) Selbständige Sicherungsgeschäfte soweit Umgehungsverbot besteht (Reichweite zwingenden Rechts):

176

Auch wenn § 284 BGB als Nichterfüllungsschaden für die frustrierte Zwecksetzung eingestuft wird, so Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 516, ändert sich dies nicht. Denn nach dieser Konzeption wird nicht die Verletzung der Erfüllungspflicht sanktioniert, sondern die von der Pflicht unabhängige Zwecksetzung. Krit. und für Konzeption des § 284 als Vertrauenshaftungstatbestand AnwK-BGB/Arnold, 2005, § 284 Rn. 3 ff. 177 Der freiwillige geschäftsähnliche Kontakt in einer geschäftsähnlichen Sonderbeziehung, § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB, vgl. Krebber, Der nicht zufällige Kontakt ohne Vertragsnähe auf der Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung. Eine Untersuchung zu § 311 Abs. 2 und 3 BGB, VersR 2004, 150, 155.

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(aa) Abstrakte Haftungsgeschäfte: Schuldversprechen, Grundschuld, Rentenschuld, (bb) Kausale Haftungsgeschäfte: kausales Schuld- bzw. Erfüllungsversprechen, Wechsel, (cc) Schuldändernde oder schuldersetzende Geschäfte: Schuldumwandlung (§ 607 Abs. 2 BGB a.F.) oder Novation in eine Zivilobligation durch Vergleich. Dennoch bleiben Haftungsgeschäfte zulässig, wenn sie die Zwangsfreiheit nicht einschränken. Möglich bleiben daher akzessorische Sicherungsrechte, die den Schuldner keinem Erfüllungszwang aussetzen, weil auch der Sicherungsgeber keinem solchen Zwang ausgesetzt wird, wie bei der Bürgschaftsschuld178 und beim Pfandrecht179. Zahlt der Bürge freiwillig die Spiel- oder Wettschuld, so bringt er die Schuld zum Erlöschen. Er hat dann ebenfalls nur einen nicht durchsetzbaren Rückgriffsanspruch aus § 774 Abs. 1 S. 1 BGB und ggf. aus dem Innenverhältnis zum Hauptschuldner180. Dasselbe gilt für die Verpfändung schuldnerfremder Gegenstände. Sind die Parteien dispositionsbefugt, so sind Sicherungsgeschäfte einschließlich des Schuldanerkenntnisses möglich; etwa im Falle der verjährten Forderung181 oder beim früheren Börsentermingeschäft182. Ebenso kann ein selbständiges Vertragsstrafeversprechen zulässig sein183 und die sittliche Pflicht kann in eine klagbare Darlehensschuld (§ 607 Abs. 2 BGB a.F.)184 umgewandelt 178 Die Naturalobligation als Hauptforderung vermittelt der Bürgenschuld diese Eigenschaft aufgrund der bestehenden Akzessorietät (§ 767 BGB). Der Spieleinwand ist keine Einrede im Sinne von § 768 Abs. 1 S. 1 BGB. Dagegen muss der Bürge die Verjährungseinrede gegen die Hauptschuld gem. § 768 Abs. 1 BGB erheben. Die Bürgschaft zur Sicherung einer Naturalobligation ist selbst nicht durchsetzbar, aber freiwillig erfüllbar; Staudinger/Horn, BGB, 13. Bearb. 1997, § 765 Rn. 90. 179 Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 12. Das Pfandrecht ist in diesen Fällen nicht gegen den Willen des Verpfänders durchsetzbar, 1254 BGB. 180 Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, § 762 Rn. 11 (keinen Rückgriff). 181 Selbst das formunwirksame Schuldanerkenntnis führt bei verjährter Forderung zum Einredeverzicht und so zum Wiederaufleben der durchsetzbaren Forderung, BGH DB 1974, 2005; vgl. statt aller AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 202 Rn. 43. 182 BGH v. 14.12.1987 NJW 1988, 1086, 1087 (Schuldanerkenntnis für Rückzahlung von Einlagen aus Börsentermingeschäften) 183 Bejaht von Staudinger/Rieble, BGB, 2004, § 339 Rn. 108 (Naturalobligation kann durch selbständiges Strafversprechen gesichert werden). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass selbständige Strafversprechen (uneigentliche Strafgedinge) nicht an eine Verpflichtung und damit auch nicht an die Naturalobligation anknüpfen, sondern eine selbständige Verpflichtung begründen, die an ein bestimmtes Verhalten die Verwirkung einer Strafe knüpft. Auch diese Sicherung kann und wird grundsätzlich gegen die Aufhebung des Erfüllungszwanges einer Naturalobligation verstoßen und ist daher nur im Einzelfall vorstellbar, vgl. zum selbständigen Strafversprechen Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor §§ 339 Rn. 6. 184 Die Umwandlung einer beliebigen Schuld in eine Darlehensschuld mit der Begrün-

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werden185. Fehlt dagegen die Dispositionsbefugnis, so schließt dies auch Umgehungsgeschäfte aus (§§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB). Das betrifft nichtakzessorische Verbindlichkeiten, wie das (abstrakte) Schuldanerkenntnis (§ 780 BGB), das kausale Erfüllungsversprechen186, die Novation187, den Vergleich188, die Umwandlung der Spielschuld in eine Darlehensschuld (§ 607 Abs. 2 BGB a.F.)189 oder sonstige Schuldänderungen190. Die Reichweite des zwingenden Rechts ist im Einzelfall durch Auslegung festzustellen191.Soweit ein Umge-

dung eines Rückzahlungsanspruches (sog. Vereinbarungsdarlehen) stellt eine Schuldänderung dar. Die Schuldänderung wird heute von § 311 Abs. 1 BGB miterfasst (vormals § 607 Abs. 2 BGB a.F.), Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl. 2006, § 488 Rn. 27. Zu § 607 Abs. 2 a. F. und zu den verschiedenen Möglichkeiten der Umwandlung (Änderung, kausale oder abstrakte Schuldumschaffung), Jauernig/Vollkommer, BGB, 9. Aufl. 1999, § 607 Rn. 15–17. 185 Ausdrücklich bejaht von BGH v. 25.9.1958 NJW 1958, 2111, 2112, wo zugleich festgestellt wird, dass Schulden aus unsittlichen Geschäften nicht nach § 607 Abs. 2 in klagbare Darlehensschulden umgewandelt werden können. Eine Schuldumschaffung wird nur für unvollkommene Verbindlichkeit bejaht. 186 Sofern man diese überhaupt anerkennt, bejahend Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 228; ablehnend Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 513 Fn. 32 unter Verweis auf Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 284. 187 Novation bedeutet nach heutiger Auffassung die Aufhebung eines Schuldverhältnisses und seine Ersetzung durch ein neues Schuldverhältnis. Unterschieden wird die kausale von der abstrakten Novation. Bei der kausalen Novation ist die alte Forderung kausal für die neue Forderung, die in ihrem Bestehen daher von der alten Forderung abhängig bleibt (sog. Schuldumschaffung). Bei der abstrakten Novation ist die neue dagegen unabhängig von der alten Forderung entstanden. In jedem Falle erfolgt eine identitätsaufhebende Ersetzung des Schuldgrundes Vgl. Erman/Kindl, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 Rn. 10–12; AnwK-BGB/Krebs, 2005, § 311 Rn. 27. Im römischen Recht hatte die Novation einen umfassenderen Anwendungsbereich, weil jegliche Änderung und insbesondere auch die inhaltliche Abänderung der Schuld durch eine Novation erfolgen mussten. Sofern die stipulatio den von ihr betroffenen Anspruch nannte, konnte sie die bisherige Schuld ersetzen. Voraussetzung war ferner der animus novandi, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 54 Rn. 3 u. 8; auch die obligatio naturalis konnte noviert und dadurch durchsetzbar gemacht werden, Kaser/ Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 33 Rn. 7. Vgl. oben B. I. 1. b) bb), S. 64 u. Fn. 85. 188 AG Düsseldorf v. 29.3.2000, NJW-RR 2001, 913 (Vergleichsforderung ist ebenfalls eine Naturalobligation, wenn ihr eine Partnerschaftsvermittlungsgebühr zu Grunde liegt, auf die § 656 Abs. 1 BGB analog anzuwenden ist). 189 Palandt/Putzo, BGB, 67. Aufl. 2008, § 488 Rn. 27. 190 Bei den §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB von einem Novationsverbot zu sprechen, ist ungenau. Das abstrakte Schuldversprechen hat keine novatorische Wirkung. Es wird im Zweifel nur erfüllungshalber geleistet, § 364 Abs. 2 BGB, und tritt daher neben den kausalen Schuldgrund (Naturalobligation). Die Gewährung eines abstrakten Schuldanerkenntnisses führt nicht zur Neubegründung der Schuld. Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 68. 191 So sind in Bezug auf Wettschulden nur Schuldversprechen des verlierenden Teils unzulässig, nicht dagegen des Gewinnenden, BGH v. 14.12.1987, NJW 1988, 1087 betr. Schuldanerkenntnis für Rückzahlung von Einlagen aus Börsentermingeschäften.

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hungsverbot besteht, werden daher erweiternd auch die Verpflichtungen aus Hilfsgeschäften zu Naturalobligationen192.

b) Naturalobligation und materiellrechtlicher Anspruch Forderung und Anspruch sind im BGB getrennt geregelt (§§ 241 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) und auch dogmatisch getrennt zu betrachten. Die Art und Weise ihrer Verknüpfung ist umstritten. Auch der Gläubiger einer Naturalobligation besitzt eine Anspruchsposition, weil der Anspruch nicht notwendig mit Zwangsbefugnissen verknüpft ist. aa) Die Forderung als der Anspruch des Schuldrechts Die herrschende Lehre geht davon aus, dass Forderung und schuldrechtlicher Anspruch identische Begriffe sind. Beide bezeichnen das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch) und eine Leistung zu fordern. Die Forderung ist nur der engere, auf Schuldverhältnisse beschränkte Begriff. Plastisch formuliert Gernhuber für die herrschende Lehre193: „Die Forderung ist der Anspruch des Schuldrechts“. Werden Forderung und Anspruch in dieser Weise inhaltlich gleichsetzt, so ist die Einforderungsbefugnis (Rp 5) mit der Innehabung eines materiellrechtlichen Anspruches und umgekehrt der Anspruch mit der Einforderungsbefugnis verknüpft. Das führt zunächst zu einer begrifflichen Verdopplung. Die Sonderformen der Forderung können nun auch als Sonderformen des Anspruchs angesprochen werden. Dadurch wird etwa der nicht fällige (betagte) Anspruch möglich, der mit der betagten Forderung identisch ist.194 Diese Verdoppelung zeigt sich etwa auch, wenn das Einforderungsrecht in einer prozessrechtlichen Sicht vom Anspruchsbegriff her definiert wird. So formuliert Henckel, die Gewährung eines Anspruches bezeichne das Fordernkönnen (Verlangenkönnen), das dem Rechtsinhaber als eigenes materielles 192 Erteilung eines Auftrages für Auslandswette führt ebenso zu einer nicht durchsetzbaren Forderung auf Aufwendungsersatz, OLG Hamm v. 29.1.1997, NJW-RR 1997, 1007, 1008 (Verstoß gegen den ordre public); vgl. Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, § 762 Rn. 34 ff. 193 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 3 I 5, S. 35; RGRK/Johannsen, BGB, 12. Aufl. 1982, § 194 Rn. 1; Staudinger/Peters, BGB, 2004, § 194 Rn. 7; Staudinger/Olzen, BGB, 13. Bearb. 2005, § 241 Rn. 114. Ähnlich aber nicht konsistent hält Okuda den Anspruchsbegriff beim obligatorischen Recht „für überflüssig, wenn man von dem Moment der Fälligkeit absehe. Das einzelne Forderungsrecht ist mit dem Anspruchsbegriff identisch.“, Okuda, Über den Anspruchsbegriff im deutschen BGB, AcP 164 (1964) 536, 541; abweichend dann ebd. 547 (der Anspruch bedeute eine materiell-rechtliche Berechtigung, der als Zwischenglied subjektive Rechte an den Zivilprozess anknüpfe: Diese beiden Momente drücke § 194 BGB aus). 194 Staudinger/Peters, BGB, 2004, § 194 Rn. 9.

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Innehaben zugewiesen sei195. Damit kommt der Anspruchserhebung die entscheidende Rechtswirkung zu. Das entspricht der Lehre Buchers von der Normsetzungsbefugnis des Gläubigers und einem aktionenrechtlichen Ansatz, der die Rechtswirkungen erst an die Anspruchserhebung knüpft196. Dagegen „fließen“ nach der Vorstellung der herrschenden Lehre Wirksamkeit und Geltung bereits aus dem materiellen Recht (normativer Ansatz)197. Maßgeblich ist danach die Forderung, während dem Anspruch eine nachgeordnete Bedeutung zukommt. bb) Der Anspruch als Ermächtigung zur Zwangsdurchsetzung Mitunter wird dem Anspruchsbegriff die einseitige zwangsweise Durchsetzbarkeit zugeschrieben. So unterscheide sich der Anspruch von einer günstigen Rechtslage dadurch, dass dem Gläubiger die Möglichkeit gegeben werde, sein Interesse durch Betätigung des eigenen Willens gegen den Willen des Verpflichteten durchzusetzen. Einen Anspruch haben bedeutet, der Gläubiger kann durch Rechtszwang die Leistung erlangen198. Übersehen wird dabei aber, dass die Willensmacht des Gläubigers nicht notwendig mit Zwangsbefugnissen verbunden sein muss. Die Position des Gläubigers verwirklicht sich primär kommunikativ. Die Gleichsetzung von materiellem Anspruch und Zwangsbefugnis entspricht der hier abgelehnten Zwangstheorie des obligatorischen Rechts. Sie ist aber auch nicht überzeugend, weil die Zwangsbefugnisse, wie insbesondere die Klagebefugnis eigenständig regelbar199 sind 200, was die notwendige Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnis auflöst. 195

Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht. AcP 174 (1974) 97, 127. Danach setzt der Anspruchsinhaber die interpersonelle Handlungsnorm, indem er den Anspruch durch seine Willensäußerung erhebt. Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis. 1965, S. 56, ders., Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 28 ff. Die Prämisse, wonach ‚der Wille die Norm konstituiere‘, ist nicht falsch, nur ist es etwa bei den vertraglichen Forderungen der Wille im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der die vertragliche Norm konstituiert und nicht erst die Geltendmachung der daraus entstandenen Rechte. Ablehnend auch Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 14 Rn. 12. 197 Wirksamkeit und Geltung fließen aus dem subjektiven vorrechtlich begründeten Recht (rechtsgültiger Schuldvertrag), Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 118. Vgl. oben C. III. 1. c) cc) (1), S. 363. 198 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 163. Das ist eine auf die Realisierung des Rechts gerichtete Handlungsmacht, die im Anspruch ausgedrückt ist. 199 Eine Verknüpfung von Forderung und Zwangsbefugnis würde einer speziellen Regelung, etwa nur bezüglich des Klagerechts, entgegenstehen. Eigenständige Regelungen sind bekanntlich nicht nur im Hinblick auf die Klagebefugnis (Klageverzicht oder pactum de non petendo), sondern auch in bezug auf die Aufrechnung (rechtsgeschäftliches Aufrechnungsverbot, sog. pactum de non compensando) anerkannt. Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl. 2008, § 387 Rn. 14. 200 An der Gleichstellung von materiellem Anspruch und Zwangsbefugnis setzt die Kri196

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cc) Der Anspruch als Realisationsform der Forderung Andreas v. Tuhr sah Forderung und Anspruch in einem Verhältnis von Grund und Folge: „Hauptbefugnisse aus der Forderung sind der Anspruch und die Zugriffsbefugnis (Haftung)“. Bei der Naturalobligation handele es sich um ein Forderungsrecht (aus dem ein Anspruch folgt) ohne die Möglichkeit eines Haftungszugriffs201. Die Anspruchsbefugnis als Folge der Forderung bleibt bei v. Tuhr erhalten. Ein vergleichbares Grund-Folge-Verhältnis zwischen Forderung und Anspruch wird im Schrifttum verschiedentlich bejaht: Der Anspruch sei nur eine Lebensäußerung der Forderung 202 und der Anspruch sei spezifisch für das gegenwärtige Verlangen (beanspruchen), während die Forderung umfassend sei 203. Wie Larenz betont, müsse das ‚Verlangenkönnen‘ im Begriff des Anspruchs mitgedacht werden 204. Eine eigenständige Stellung des Anspruchs sieht Raiser, der in ihm das „Werkzeug“ der Forderung sieht. Bei Ansprüchen und Gestaltungsrechten handele es sich um Werkzeuge der Rechtstechnik, die dem Schutz und der Verwirklichung jener subjektiven Rechtsstellungen und Rechtsverhältnisse dienen 205. Dabei bleibt meist offen, ob ein Forderungsrecht auch ohne jeden Anspruch bestehen kann 206. Stech hat diese Eigenständigkeit des Forderungsrechts bejaht, dabei aber nur die Klagbarkeit betrachtet und klaglose Verbindlichkeiten noch als Forderungen anerkannt 207. Für die Naturalobligation hat das Grundtik von Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 415 an. Eine materiell-rechtliche Klagebefugnis bedeute nur eine redundante Verdopplung des Einforderungsrechts. Seiner Auffassung nach solle die Klagebefugnis allein dem Prozessrecht zuordnet werden. A.A. bezogen auf § 656 Abs. 1 S. 1 BGB aber, BGH NJW 2000, 1645, 1647 und BGH v. 4.3.2004 NJW-RR 2004, 778, 780 (Klagbarkeit ist materiell-rechtliche Frage. Ihr Fehlen führt daher zur Klagabweisung als unbegründet). 201 A. v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 142. 202 Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 1, 5. Aufl. 1928, Vorbem. 3 c zu a zu § 241: „Das Schuldverhältnis ist die lebende Kraft und der Anspruch nur eine seiner Lebensäußerungen“; ähnlich bereits Dernburg, Bürgerliches Recht, Bd. 1, 3. Aufl. 1906, § 42 I. 203 de Boor, Gerichtsschutz und Rechtssystem, 1941, S. 30. 204 Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 14 I S. 245; Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Aufl. 1997, § 18 Rn. 3, S. 349 sieht gar die Besonderheit des Anspruches in der Einwirkungsbefugnis des Gläubigers auf den Schuldner, damit dieser den Anspruch erfüllt. 205 L. Raiser, Zum Stand der Lehre vom subjektiven Recht im deutschen Zivilrecht, JZ 1961, 466. Ähnlich auch Schapp, Das Zivilrecht als Anspruchssystem, JuS 1992, 537, 538 f., der das Grund-Folge-Verhältnis zwischen dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne und dem Anspruch als dem entscheidenden Konfliktlösungsmechanismus sieht. 206 Ungeachtet der Sonderformen der Forderung, die aufgrund ihrer materiell-rechtlichen Ausgestaltung kein Einforderungsrecht und damit keinen Anspruch ausbilden: Das gilt für die betagte, die verhaltene, die gehemmte und auch für die bedingte Forderung (siehe zu diesen Formen näher unten C. IV. 3 c) Abgrenzung, S. 433 ff.). 207 Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161 ff.; erfasst werden die drei mehrfach genanten Fälle subjektiver Rechte ohne Klagebefugnis (§§ 1001 S. 1, 2022, 972 BGB, § 1394 S. 1 BGB a.F., § 375 HGB); siehe dazu oben B. I. 5. c) bb), S. 181 ff.

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Folge-Verhältnis die Konsequenz, dass der naturalen Forderung auch ein materiell-rechtlicher Anspruch entspricht. Dieser Anspruch realisiert sich nicht in Zwangsbefugnissen, wohl aber in der Erhebung des Anspruchs. Die primäre Form der Geltendmachung besteht in der Rechtsbehauptung, der Aufforderung und der Erinnerung des Schuldners an die Erfüllung seiner Leistungspflicht. Die Forderung ist danach funktional eine Handlungsermächtigung für den Gläubigers (§ 241 Abs. 1 BGB), den Schuldner zur Ausführung der geschuldeten Handlung unter Einsatz der ihm zugewiesenen Rechtsbehelfe anzuhalten. Der Anspruch stellt sich als Realisationsform dieser Ermächtigung dar und steht zu ihr in einem Grund-Folge-Verhältnis. Mit der Anspruchserhebung macht der Gläubiger von der Handlungsermächtigung Gebrauch. Der Anspruch ist also nur der Oberbegriff für die Werkzeuge oder Rechtsbehelfe, aber nicht die Rechtsposition selbst. Ein Beispiel, das den Unterschied der Rechtsposition von den Formen ihrer Geltendmachung verdeutlicht, liefern mittelalterliche Bilderhandschriften. In illustrierten Abschriften von Eike von Repgows Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert wird der Gläubiger mit einer Anspruchsgebärde dargestellt, bei der er mit dem linken Arm auf die Stelle zeigt, auf der er vor dem Richter steht. Er beansprucht damit die streitige Sache im Gerichtsverfahren für sich 208. Die Rechtsposition ist das Eine und sie für sich zu beanspruchen das Andere. Festzuhalten ist, dass bei Bejahung eines Forderungsrechts auch ein Anspruch gegeben sein muss. Der Anspruch drückt die praktische Realisierung der aktiven Forderung aus. In seiner Reichweite und in seinem Umfang ist der Anspruch durch das materielle Forderungsrecht (Rp 5) und durch die aus dem Recht fließenden Rechtsbehelfe als Einzelbefugnisse (Rb 1 – 4) bestimmt und beschränkt209.

c) Abgrenzungen Abzugrenzen ist die Naturalobligation zunächst gegenüber Forderungen, denen die Einforderungsbefugnis fehlt und sodann gegenüber Schutzkonzepten, die mit Hilfe von unwirksamen Forderungen konzipiert sind, wie die Heilung und die Genehmigung schwebend unwirksamer Rechtsgeschäfte.

208 Munzel-Everling, Rechtsvisualisierung in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, www. munzel-everling.de/der sachsenspiegel/, zählt 46 Anspruchsgebärden, die auch dort zu sehen sind, wo es nicht um die gerichtliche Geltendmachung geht. Siehe etwa Abb. 10v/5re. 209 Zur Korrelation von Forderung und Anspruch siehe auch oben C. I. 2. c), S. 247). Zur Konfiguration der Befugnisse siehe oben C. IV. 4. a) bb), S. 465.

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C. Systematischer Teil

aa) Naturalobligation und Sonderformen der Forderung (1) Die betagte Forderung Die betagte Forderung ist die entstandene und erfüllbare, aber noch nicht fällige Forderung (§ 271 Abs. 2 BGB) 210. Der Gläubiger besitzt keine Einforderungsbefugnis. Damit entfallen sämtliche Rechtsbehelfe 211 wie auch der Anspruch. Überdies fehlen auch Wirksamkeit212 und Geltung der Forderung 213. Die nicht fällige Forderung hat noch keine normative Wirkung214. Im Falle einer rechtsgeschäftlichen Stundung auf unbestimmte Zeit wird der Anspruch erst fällig, wenn der Gläubiger entsprechend §§ 316, 315 BGB einen neuen Leistungstermin bestimmt 215. Bei der Besserungszusage des verarmten Schuldners muss dieser Ratenzahlungen anbieten, sobald er dazu in der Lage ist216. Die Naturalobligation ist dagegen eine fällige Forderung217. Die Forderung „gilt“, d.h. sie ist normativ wirksam. Ihr Inhaber ist aktuell berechtigt, die Leistung zu 210 Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 271 Rn. 13. Das Hinausschieben des Fälligkeitszeitpunkts (Betagung) kann rechtsgeschäftlich durch Stundung herbeigeführt werden und meint das rechtsgeschäftliche Hinausschieben der Fälligkeit der Forderung bei Bestehenbleiben der Erfüllbarkeit, BGH NJW 2000, 2580, 2582. 211 Siehe oben, Rp 5 mit Rb 1–4. 212 Der Unterschied wird durch die Bezeichnung vollwirksame Forderung ausgedrückt. In dieser Gegenüberstellung ist die betagte Forderung (einfach) wirksam. Für die Wirksamkeit ist es danach erforderlich und auch ausreichend, wenn der Forderung rechtliche Geltung zukommt, d.h. sie in irgendeiner Beziehung rechtliche Wirksamkeit besitzt und damit bereits als Forderung angesprochen werden kann. Dies ist der Fall, wenn die Forderung die Behaltensbefugnis vermittelt und damit wie die betagte Forderung erfüllbar ist. 213 Gemeint ist die normative Wirksamkeit. Sie tritt ipso iure ein, sobald sämtliche Geltungsvoraussetzungen des Forderungsrechts einschließlich der Einforderungsbefugnis eingetreten sind, Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 118. Der Forderungsbefehl gilt daher nicht erst mit der Geltendmachung des Rechts etwa durch Anspruchserhebung (so aber Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis. 1965, S. 56, ders., Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 28 ff.). Eine Ausnahme stellt die verhaltene Forderung (verhaltener Anspruch) dar. Bei ihr ist die Geltendmachung des Rechts Wirksamkeitsvoraussetzung der Forderung. 214 Die normative Wirkung einer Forderung ist die Gebots- oder Verbotswirkung auf den Schuldner bezogen auf ein Handeln (Tun, Unterlassen oder Dulden im Sinne von § 241 Abs. 1 BGB). Normativität meint das Gefordertsein von Rechts wegen. Dagegen werden widerrufliche Erlaubnisse zu einem Handeln am eigenen Gut nach bisheriger Auffassung nicht von § 241 Abs. 1 BGB erfasst, Ohly, „Volenti non fit iniuria“ – Die Einwilligung im Privatrecht, 2002, S. 337. 215 Staudinger/Bittner, BGB, 2005, § 271 Rn. 11. 216 Bei der es sich entweder um eine besonders gestaltete Stundungsabrede handelt, vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 271 Rn. 14, oder – zur Vermeidung der Insolvenzreife des Schuldners – ein Erlass mit aufschiebend bedingter Neubegründung der Forderung gleichen Inhalts, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 155; offen gelassen Staudinger/Bittner, BGB, 2005, § 271 Rn. 11. 217 Die Naturalobligation nimmt alle Funktionalität des Forderungsrechts auf. Sie kann daher ihrerseits als betagte Forderung ausgestaltet sein. Das soll hier unberücksichtigt bleiben.

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verlangen und ihr Adressat steht unter der obligatorischen Leistungsanforderung. (2) Die verhaltene Forderung und die „ausgesetzte Forderung“ Die verhaltene Forderung ist entstanden, aber weder fällig noch erfüllbar. Dem Gläubiger fehlt neben der Einforderungsbefugnis auch die Behaltensbefugnis218. Er kann die Fälligkeit aber jederzeit durch sein Erfüllungsverlangen und die Erfüllbarkeit durch die Entgegennahme herstellen. Deshalb kann auch für die Zeit vor dem Erfüllungsverlangen bereits von einem Forderungsrecht gesprochen werden 219. Die verhaltene Forderung ist in gewisser Weise das Gegenstück zur Naturalobligation. Bei der verhaltenen Forderung ist die Position des Gläubigers noch stärker als bei der fälligen Forderung, weil der Schuldner die Erfüllungsleistung abweichend von der Regel des § 272 Abs. 2 Hs. 2 BGB nicht gegen den Willen des Gläubigers erbringen darf. Anwendungsfälle sind die Nacherfüllungsforderung des Käufers nach § 439 Abs. 1 BGB, die Rückgabeforderung des Verleihers (§ 604 Abs. 3 BGB) und des Hinterlegers (§ 695 BGB); die Rücknahmeforderung des Verwahrers (§ 696 S. 1 BGB) sowie die prekaristische Gestattung (Bittleihe oder Prekarium)220 oder die bloße Duldung des Gläubigers (geduldete Überziehung eines Girokontos, § 493 Abs. 2 BGB) 221.

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Vgl. oben, Rp 1 und Rp 5. Die Fälligkeit soll auch vor vom Einfordern eingetreten sein können, vgl. MüKo/Krüger, BGB, 4. Aufl. 2003, Bd. 2 a, § 271 Rn. 4; Staudinger/Bittner, BGB, 2005, § 271 Rn. 26; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 271 Rn. 1. Das ist nicht unproblematisch, weil der Schuldner nun an sich leisten muss, ohne es zu dürfen. Zutreffend AnwK-BGB/Schwab, 2005, § 271 Rn. 2: „Die fällige Schuld ist zwingend immer erfüllbar: Wenn der Schuldner leisten muss, so darf er es auch“. Der Grund für die Annahme einer fälligen, aber nicht erfüllbaren Schuld lag in der verjährungsrechtlichen Annahme, der Verjährungsbeginn verhaltener Ansprüche falle mit ihrer Entstehung zusammen, BGH NJW-RR 1988, 902, 904; BGH NJW-RR 2000, 647 f. Mit der Schuldrechtsmodernisierung ist hier aber eine Änderung eingetreten. Der Gesetzgeber hat in den §§ 604 Abs. 5, 695 S. 2; 696 S. 3 BGB angeordnet, dass die Verjährung erst mit dem Rückgabe- bzw. Rücknahmeverlangen beginnt. AnwK-BGB/ Mansel/Stürner, 2005, § 199 Rn. 22 sehen hierin auch einen verallgemeinerbaren Grundsatz. So wird die Forderung nun auch erst mit dem Verlangen des Gläubigers fällig und begründet einen Anspruch. Der Nacherfüllungsanspruch kann auch dann nahtlos an den ursprünglichen Lieferungsanspruch anknüpfen, wenn seine Fälligkeit durch das Nacherfüllungsverlangen des Käufers hergestellt wird. § 439 Abs. 1 BGB zwingt daher nicht zu der Annahme, dass die Verpflichtung zur mangelfreien Lieferung nie aufgehört hat, fällig zu sein; so aber AnwK-BGB/Schwab, 2005, § 271 Rn. 4. 220 Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 30 („prekaristischer Anspruchsverzicht“. Der Gläubiger kann jederzeit erneut an den Schuldner herantreten und ihn gültig zur Zahlung auffordern, d.h. durch erneute Anspruchserhebung eine aktuelle Zahlungspflicht auslösen). 221 Die Annahme einer verhaltenen Forderung ist aber nicht zwingend. Denkbar ist 219

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Ähnlichkeit sowohl zu der betagten als auch zu der verhaltenen Forderung besitzt die Zahlungsforderung des Unternehmers gegen den Verbraucher bei Teilzeit-Wohnrechte-Verträgen vor Ablauf der Widerrufsfrist. Nach § 486 S. 1 BGB darf der Unternehmer Zahlungen zunächst nicht fordern (sog. Anzahlungsverbot). Das ähnelt einer Betagung. Ferner darf der Unternehmer Zahlungen des Verbrauchers aber auch nicht annehmen 222. Damit darf der Schuldner nicht vorzeitig erfüllen, was im Ergebnis einer verhaltenen Forderung entspricht. Die Besonderheit besteht nun darin, dass der Gläubiger die Fälligkeit und die Erfüllbarkeit nicht aus eigener Rechtsmacht herbeiführen kann, sondern beides gesetzlich reguliert ist. Eine rechtstechnische Bezeichnung für die gesetzlich so gestaltete Zahlungsforderung ist offenbar bislang nicht gefunden. Man könnte von einer ausgesetzten Forderung sprechen. (3) Die gehemmte Forderung Die gehemmte Forderung ist die Forderung, der eine Einrede entgegensteht223. Die Hemmung224 resultiert aus dem Gegenrecht des Schuldners (Einrede), das gegen die Forderung gestellt wird. Zu diesen Gegenrechten gehören die Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB), die Leistungsverweigerungsrechte, wie etwa §§ 273 f., 320 ff., 478, 639 Abs. 1 BGB, die Einrede des Notbedarfs des Schenkers, § 519 BGB, die Einrede der Vorausklage des Bürgen, § 771 ff. BGB, und weitere225. Zu den gehemmten Forderungen gehört ferner die Forderung unter Insolvenzbeschlag, bei der die Wirkungen des § 320 BGB kraft Gesetzes eintreten 226. ebenso ein nachträglich geschlossener stillschweigender Darlehensvertrag, vgl. Palandt/ Putzo, BGB, 67. Aufl. 2008, § 493 Rn. 16. 222 Vgl. zum Problem der „Sanktionierung“ von Zahlungen des Verbrauchers, Erman/ Saenger, BGB, 11. Aufl. 2004, § 486 Rn. 4. 223 Der Terminus Hemmung ist nicht zu verwechseln mit der Frist- und Verjährungshemmung, womit der Stillstand eines Fristenlaufs gemeint ist (§§ 203 ff. BGB). Die Forderungshemmung bringt den normativ veränderten Status der Forderung zum Ausdruck. Dennoch soll hier ebenfalls von Hemmung statt von Neutralisierung gesprochen werden, obgleich Neutralisierung die Wirkungsweise klarer beschreibt. 224 Die klassische Bezeichnung der Einredewirkung ist die Hemmung. Danach soll das Recht des Klägers in seiner Klagewirkung nur gehemmt werden, die actio aber „an sich“ nicht aufgehoben sein. Vgl. zu diesem auf v. Savigny und Windscheid zurückgehenden Verständnis Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 15. 225 Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 36 ff. 226 Der BGH hat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllungsansprüche erlöschen und bei Erfüllungswahl durch den Verwalter neu begründet (noviert) werden (sog. Erlöschenstheorie). Vielmehr finde bei Insolvenzeröffnung keine materiellrechtliche Umgestaltung der Forderung statt, sondern die Ansprüche seien wegen der beiderseitigen Nichterfüllungseinreden in ihrer Durchsetzung gehemmt. Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der und gegen die Masse,

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Nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche Wirkung die Einrede auf das Hauptrecht ausübt. Dabei ist der Zeitraum vor und nach der Ausübung der Einrede zu unterscheiden. Vor der Einredeerhebung bleibt das Hauptrecht nach herrschender Lehre unverändert. Entsprechend ist das Gegenrecht nur zu berücksichtigen, wenn es entweder vorprozessual geltend gemacht worden ist und diese Tatsache im Prozess zur Sprache gebracht wird oder wenn der Berechtigte es im Prozess ausübt227. Nach Einredeerhebung bejaht ein Teil der Lehre eine Rechtsänderung des Hauptrechts. Bei den dauernden Einreden wird das Erlöschen 228 oder ein partieller Erhalt des Hauptrechts etwa hinsichtlich der Behaltensberechtigung bejaht 229. Andere sehen den Gläubiger dagegen nur in seiner Rechtsausübung vorübergehend oder dauernd gehindert230. Dieser Auffassung liegt ein anderer Denkansatz zugrunde. Das sog. aktionenrechtliche Denken erklärt und versteht Rechtspositionen aus der prozessualen Situation und Position der Beteiligten heraus. Bei einer aktionenrechtlichen Sichtweise wird die Rechtslage durch die Einrede nicht verändert. Hier bekommt der Schuldner mit der Einrede vielmehr ein (prozessuales) Verteidigungsmittel in die Hand, das ihn in Stand setzt, die Forderung abzuwehren 231. Die rechtstheoretische und rechtsdogmatische Dimension dieser unterschiedlichen Sichtweisen kann hier nicht näher behandelt werden. Was die Verjährungsregelung im geltenden Recht

BGH v. 25.4.2002 ZIP 2002, 1094 f. Den gehemmten Forderungen kann auch die Behaltensbefugnis fehlen. Für die Forderung unter Insolvenzbeschlag hat das OLG Brandenburg v. 6.12.2001, WM 2002, 974, die Rückforderung bei Leistung des Insolvenzverwalters auf eine irrtümlich als Masseschuld eingestufte Konkursforderung zugelassen. Für die dauernden (peremptorischen) Einreden, außer der Verjährungseinrede, folgt die fehlende Behaltensbefugnis aus § 813 Abs. 1 BGB. Sie werden daher auch als zerstörende Einreden bezeichnet, vgl. etwa Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 280 Rn. 34. Diesem Sprachgebrauch liegt damit ebenfalls eine normative Gesamtbewertung zu Grunde. 227 Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 14 II, S. 249; Medicus, BGB AT, 7. Aufl. 1997, Rn. 98; a.A.: Schlosser, Selbständige peremptorische Einrede und Gestaltungsrecht im deutschen Zivilrecht, JuS 1966, 257, 264 (Gestaltungsrechte des Schuldners). Eine Zwischenlösung wählt H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 51 u. 298, der ein Gestaltungsbeklagtenrecht bejaht, dass im Prozess ausgeübt werden muss und die Rechtslage umgestaltet. 228 Das trifft auf die peremptorischen Einreden zu, die unter § 813 Abs. 1 S. 1 BGB fallen. 229 Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 298. 230 Medicus, BGB AT, 7. Aufl. 1997, Rn. 9. 231 Bucher, Für mehr Aktionendenken, AcP 186 (1986) 1–73. Diese Sichtweise ist abzulehnen, weil sie keine Antwort auf die Frage gibt, wie und warum Forderung und Einredeposition gleichzeitig bestehen können. Der Gläubiger könnte die Forderung unablässig geltend machen, weil nie klar wäre, ob der Schuldner erneut die Einrede erhebt. Eine der großen Leistungen des Rechtswirkungsdenkens der Neuzeit besteht in der befriedenden Funktion des Wiederholungsverbots. Iterationen sind grundsätzlich überflüssig. Wacke, Das Rechtswirkungsdenken. Ursprünge, Leistungsfähigkeit und Grenzen. In: Chr. Hattenhauer (Hg.), FS für Heinz Holzhauer, 2005, S. 367, 373 (Verbot des Wiederaufgreifens bereits erledigter Fragen). Zur möglichen Ausnahme beim Patiententestament siehe C. III. 1. c) aa) (2) (b), S. 340 u. Fn. 277.

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angeht, so scheint mir ein rein aktionenrechtlicher Denkansatz jedenfalls nicht überzeugend zu sein. (a) Die verjährte Forderung und die Ausübung des Einrederechts Mit Erhebung der Verjährungseinrede wird das Hauptrecht gehemmt. Leistungs- oder Feststellungsklage werden als gegenwärtig unbegründet abgewiesen 232. Die Verjährungseinrede besitzt dabei nicht nur eine faktische, sondern auch eine normative Wirkung. Die einander widersprechenden Rechtswirkungen von Haupt- und Gegenrecht verändern nach den Grundsätzen des Rechtswirkungsdenkens233 den Status des Forderungsrechts. Das gilt sowohl für die Zeit nach der Einredeerhebung als auch für die Zeit davor. (aa) Entstehung einer Naturalobligation vor Einredeerhebung Mit dem gesetzlichen Verjährungseintritt erwirbt der Schuldner kraft Gesetzes die Einrede. Er kann sie erheben und damit das Forderungsrecht hemmen (§ 214 Abs. 1 BGB). Vor der Erhebung besitzt der Schuldner also bereits die Rechtsmacht zur Ausübung der Einrede234. Schon in diesem Zeitpunkt ist damit die Zwangsbedrohung des Schuldners aus der Forderung entfallen, denn es liegt an ihm die Forderung zu hemmen. Nach den Grundsätzen des Rechtswirkungsdenkens ändert sich die Rechtslage. Zwar bleibt das Einforderungsrecht des Gläubigers (Rp 5) erhalten, aber die Zwangsmacht des Gläubigers ist ipso iure entfallen. Diese Wirkung der Einrede wird ergänzt durch die übrigen gesetzlichen Rechtswirkungen der Verjährung. Auch können die Aufrechnungs- und die Zurückbehaltungsbefugnis (Rb 2) 235 mit dem gesetzlichen Eintritt der Verjährung nicht mehr entstehen (§ 215 BGB)236. Die Klage- und 232 Walchshöfer, Die Abweisung einer Klage als „zur Zeit“ unzulässig oder unbegründet, in: FS für Karl Heinz Schwab, 1990, 521, 527 f.; zust. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, § 92 II, S. 512. 233 Grundlegend Gmür, Rechtswirkungen in der Privatrechtsgeschichte. Theorie und Geschichte der Denkformen des Entstehens und Erlöschens von subjektiven Rechten und anderen Rechtsgebilden, Bern 1981; Wacke, Das Rechtswirkungsdenken. Ursprünge, Leistungsfähigkeit und Grenzen. In: Chr. Hattenhauer (Hg.), FS für Heinz Holzhauer, 2005, S. 367–394. 234 Die Wirksamkeit des Einrederechts hängt von dem Willen des Einredeberechtigten ab. Darin liegt der Sinn einer Einredekonstruktion Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 14 II, S. 249; Medicus, BGB AT, 7. Aufl. 1997, Rn. 93. 235 Zu diesen Zurückbehaltungsrechten gehört auch die Einrede des nichterfüllten Vertrages (§ 320 BGB), auch wenn strittig ist, ob § 320 BGB ein Zurückbehaltungsrecht oder ein Leistungsverweigerungsrecht begründet. Noch zu § 390 S. 2 BGB a.F., BGH v. 19.5.2006 NJW 2006, 2773, 2774; AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 215 Rn. 5. 236 Die Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungs- und Zurückbehaltungslage folgt dem Entstehungszeitpunkt des Gegenrechts. Diese Gegenrechte haben also schon be-

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die Vollstreckungsbefugnis (Rb 3 u. 4) bleiben zwar formal weiter bestehen, weil der Verjährungseintritt nicht ohne Einredeerhebung berücksichtigt werden darf. Dennoch übt auch die Klagebefugnis keine Zwangswirkung mehr auf den wissenden Schuldner aus. Die einseitige Zwangsmacht des Gläubigers ist verloren, obgleich ihm die Einforderungsbefugnis weiter zusteht. Er darf den Schuldner nach wie vor zur Leistung auffordern, erinnern und anhalten, nur nicht mehr zwingen. Mit v. Tuhr kann man sagen, die Forderung ist mit Verjährungseintritt nur entkräftet237. An der Schwächung der Rechtsposition ändert auch die Unwissenheit des Schuldners von seinem Gegenrecht nichts. § 214 Abs. 2 BGB erklärt zwar den Irrtum über den Verjährungseintritt für unbeachtlich, so dass die Gleichwohlleistung des Schuldners Erfüllung bedeutet. § 214 Abs. 2 BGB setzt jedoch wie § 814 Hs. 2 BGB voraus, dass der Schuldner wenn auch irrig, so doch freiwillig leistet. Der Gläubiger erwirbt an der erzwungenen Erfüllungsleistung des unwissenden Schuldners aber kein Behaltensrecht. Der Schuldner kann die erzwungene Leistung noch nach Jahr und Tag aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern 238. Daraus folgt, dass die Einredelage eine Änderung der Forderungsposition erzeugt. Das Behaltensrecht (Rp 1) entsteht nur bei einer freiwilligen Erfüllungsleistung. Bereits vor Ausübung der Einrederechts bewirkt der kraft Gesetzes eintretende Einredeerwerb (§ 214 Abs. 1 BGB) daher eine materiell-rechtliche Änderung des Hauptrechts und verwandelt die Zivil- in eine Naturalobligation 239. (bb) Aufhebung der Einforderungsbefugnis nach Einredeerhebung Davon abzugrenzen ist die Rechtslage, die durch die Ausübung des Einrederechts entsteht. Das Gegenrecht hemmt die Forderung. Die Hauptforderung verliert damit ihre normative Wirkung gegenüber dem Schuldner. Dieser steht standen, als die Verjährung eintrat. Es ist daher nicht gerechtfertigt, dem Schuldner diese Rechte aufgrund des Verjährungseintritts zu nehmen. 237 Andreas v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts. Bd. 1: Allgemeine Lehren und Personenrecht, 1910, 264. 238 Der Tatbestand des § 214 Abs. 2 BGB wird um das ungeschriebene Merkmal der freiwilligen Erfüllungsleistung ergänzt, BGH v. 5.10.1993 NJW 1993, 3318, 3320 und die ihm einhellig folgende Lehre, statt aller AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 214 Rn. 7. Eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht des Gläubigers etwa nach dem Vorbild der §§ 717 Abs. 2 ZPO (vorläufige Vollstreckung), 945 ZPO (vorläufige Vollstreckung aus Arrest und einstweiliger Verfügung) besteht nicht. Leistungsklage und Vollstreckung waren rechtmäßig und der Gläubiger muss nicht über die Verjährung aufklären. Siehe unten C. IV. 5. a), S. 509 ff. 239 Der Wegfall der Zwangsbefugnisse und das Erfordernis der freiwilligen Schuldnerleistung sind funktionsäquivalent. Im Ergebnis ebenso M. Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1995, S. 106; Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, S. 256.

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nicht mehr unter einer Leistungsanforderung. Hemmung meint daher, die Einforderungsbefugnis (Rp 5) ist aufgehoben 240. Die Forderung ist weder erloschen noch unwirksam. Die Positionen Rp 1–4 bestehen fort. Ein „Wiederaufleben“ des Hauptrechts bleibt möglich, so etwa für die Fälle, in denen der Schuldner das Gegenrecht zurücknimmt (d.h. die Einrede fallen lässt oder darauf verzichtet) oder es ihm nach § 242 BGB aberkannt wird. Das Hauptrecht kann also künftig „voll in Kraft treten, ohne dass seine Begründungstatsachen wiederholt werden müssen“241. Der Erhalt des Hauptrechts ist nicht die Folge einer aktionenrechtlichen Sichtweise, denn das Ausübungshindernis kann nicht aktionenrechtlich als faktisches Verteidigungsmittel gedeutet werden. Die Einrede wirkt sich auf den Status des Forderungsrechts aus und hebt die Einforderungsbefugnis des Gläubigers auf. Es würde einen unauflösbaren normativen Widerspruch bedeuten, den Gläubiger weiterhin für berechtigt zu halten, die Leistung zu fordern, nachdem der Schuldner sein Gegenrecht wirksam ausgeübt hat. Das Gegenrecht berechtigt den Schuldner, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Somit wird der Forderungsbefehl durch die im Ergebnis stärkere Leistungsverweigerung aufgehoben. Zwischen den beiden präskriptiven Sätzen „du musst leisten“ (§ 241 Abs. 1 BGB) und „ich darf die Leistung verweigern“ (§ 214 Abs. 1 BGB) besteht ein kontradiktorischer Gegensatz. Sie können nicht ohne Widerspruch gleichzeitig gelten. Deshalb muss die Einforderungsbefugnis aus dem Forderungsrecht entfallen 242. Damit wird dem Schuldner nicht verboten, die Leistung zu erbringen 243. Vielmehr ändert sich der deontische Status des Leistungsrechts244. Dem Schuldner ist es fortan weder geboten noch ist es ihm verboten

240 Die fortbestehende Einziehungsbefugnis auch noch nach Einredeerhebung bejaht dagegen Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 170. Meines Erachtens fällt die Einziehungsbefugnis nach Einredeerhebung weg und nur die Behaltensbefugnis (Erfüllbarkeit) bleibt bestehen. Dazu im Text. 241 Zu dieser Funktionalität des Einrederechts bei v. Savigny und Windscheid, Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 15. 242 Ebenso Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 46: Die Verjährungseinrede ist der Modellfall einer Einrede, die auf das Anspruchselement des Rechtsbehelfs (aRb 1) zielt, während die Rechtsposition erhalten bleibt. 243 Die Forderung ginge nur unter, wenn das Einrederecht ein dauerhaftes Leistungsverbot aussprechen würde. Gebot und Verbot bilden einen konträren Gegensatz. Die gleichzeitige Geltung konträr gegensätzlicher Normen ist ausgeschlossen und bedeutete einen Selbstwiderspruch des Regelsystems. Das folgt aus der deontischen Logik. Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 1998, S. 35 (Zwischen Gebot und Verbot besteht ein konträrer Gegensatz. Sie können – den gleichen Normurheber vorausgesetzt – nicht zugleich gelten. Wird beides angeordnet, so heben sich die Anordnungen auf. Es ist nichts angeordnet.) 244 Das Forderungsrecht impliziert, dass es dem Schuldner nicht verboten ist, zu leisten. Zu den Grundmodalitäten des Sollens und der deontischen Logik, Hruschka, Das deontologische Sechseck in der Jurisprudenz, in: Krause (Hg.), GS für Wolfgang Blomeyer. 2003, S. 775, 776; Joerden, Logik im Recht, 2005, S. 217; Adomeit, (vorherige Fußn), S. 35 f.

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zu leisten. Die Leistung bleibt freigestellt245. Die Rechtsposition Forderung ist nicht erloschen, sondern ihr deontischer Status hat sich von einem Leistungsbefehl in eine Leistungsmöglichkeit (Freistellung)246 verändert247. Es entsteht dieselbe Struktur wie bei der betagten Forderung. Beide kennzeichnet die Erfüllungsbefugnis (Erfüllbarkeit), wie sie § 271 Abs. 2 Hs. 2 BGB für die betagte Forderung anordnet. Solange es von der Entscheidung des Schuldners abhängt, ob er die Leistung verweigern will, solange besteht auch die Einforderungsbefugnis des Gläubigers noch fort 248. Erst mit der Einredeerhebung hebt der Schuldner die Leistungspflicht in der oben beschriebenen Weise auf. Die Besonderheit der Rechtsaufhebung durch Einrederecht besteht darin, dass sie dauerhaft möglich ist, ohne das Recht zu zerstören 249. Der Vorteil der Gestaltung liegt in der damit gewonnenen Funktionalität, die Schuld erfüllbar (§§ 214 Abs. 2, 813 Abs. 1 S. 2 BGB) und potentiell wieder einforderbar („auflebbar“) zu halten. Die Schuld muss damit nicht neu begründet werden, sondern bleibt identitätswahrend erhalten. Ein Aufleben erfolgt entweder durch einseitiges Fallenlassen der Einrede250 mit der Folge, dass der Schuldner die Einrede behält und damit die Forderung als Naturalobligation auflebt 251, oder sie geschieht durch Verzicht auf die Einrede mit der Folge, dass die Forderung als Zivilobligation wieder erzwingbar wird252. Beide Varianten sind Formen einer identitätswahrenden Schuldumwandlung. Darin liegt der dogmatische Vorteil einer Einredekonstruktion gegenüber Formen der Unwirksamkeit und Nichtigkeit 253. 245 Ist die Forderung auf die Vornahme einer Leistungshandlung gerichtet (Gebot), so bleibt dem Schuldner die Handlung nach der Erhebung der Verjährungseinrede freigestellt. Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 1998, S. 36. 246 Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 1998, S. 36: „Für die Freistellung paßt rechtstheoretisch am genauesten die Verjährung einer Schuld, weil der Schuldner nicht gehindert ist, zu leisten.“ 247 Die Behaltensbefugnis aus der Forderung stellt selbst ein subjektives Recht dar. 248 Zutreffend Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 170. 249 Zu den rechtszerstörenden Einreden gehören die von § 813 Abs. 1 S. 1 BGB erfassten dauernden Einreden §§ 821, 853, 2083, 2345, 1973, 1975, 1990, 1166 BGB. 250 BGH v. 29.11.1956 BGHZ 22, 267, 269; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 202 Rn. 7. 251 Lässt der Schuldner die Verjährungseinrede nur fallen, so erlangt der Gläubiger noch nicht die entsprechenden Zwangsbefugnisse zurück. Dem Schuldner bleibt das Einrederecht in diesem Falle erhalten, wenngleich die erneute Erhebung nun widersprüchlich sein kann und dann nach § 242 BGB doch den Einredeverlust bedeutet. 252 Der Verjährungsverzicht ist sowohl vor als auch nach dem Verjährungseintritt zulässig; vgl. AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 202 Rn. 43 ff.; str. ob einseitig oder durch vertraglichen Verzicht, Staudinger/Peters, 2003, § 202 Rn. 5 (nur vertraglich möglich); auch einseitigen Verzicht bejahen etwa Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 202 Rn. 7; OLG Brandenburg v. 16.2.2005 NJW-RR 2005, 871, 872. 253 Diese eröffnen ferner nur Alles-oder-Nichts Lösungen. Selbst Formen schwebender

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Dem Gläubiger einer gehemmten Forderung fehlt die Befugnis, die Leistung zu verlangen (Rp 5 mit Rb 1 ff). Es fehlen die Rechtsbehelfe und entsprechend auch jegliche Anspruchsposition. Ob das Behaltensrecht des Gläubigers (Rp 1) erhalten bleibt, wie etwa bei der Verjährung, ist je nach Einrede zu beurteilen 254. Die gehemmte (neutralisierte) Forderung steht der betagten (nicht fälligen) Forderung nahe. Beide unterscheiden sich von der Naturalobligation durch das ihnen fehlende Einforderungsrecht des Gläubigers. Die naturale Forderung besitzt dagegen „volle Wirksamkeit“255, nur lässt sie sich nicht einseitig durchsetzen. (b) Die durch ein pactum de non petendo gehemmte Forderung Ansatzpunkt für die dogmatische Differenzierung zwischen der Naturalobligation und einer Stillhalte- oder Nichtangriffsabrede (pactum de non petendo) ist der Umfang der Befugnisse, die der Gläubiger aufgrund des pactum verliert. Eine formale Unterscheidung ergibt sich aus der Konstruktion. Das pactum de non petendo begründet ein Gegenrecht gegen die Forderung. Inhalt und Umfang des Gegenrechts sind durch Auslegung festzustellen. Soll der Gläubiger nicht nur seine Zwangsbefugnisse, sondern auch seine Einforderungsbefugnis verlieren, dann ist die Fälligkeit der Forderung aufgehoben und der Schuldner erlangt die Einrede der Nichtfälligkeit. Soll der Gläubiger nur die Befugnis zur prozessualen Geltendmachung, das materielle Klagerecht oder gegebenenfalls nur das prozessuale Klagerecht 256, verlieren, bleibt die Einforderungsbefugnis bestehen (Einrede der (fehlenden) Klagbarkeit) 257. Unwirksamkeit, die durch Genehmigung oder Heilung das Forderungsrecht herstellen, können diese Differenzierungen nicht herstellen. Siehe dazu unten C. IV. 4. c) bb), S. 490 ff. Zur „schwebenden Unwirksamkeit“ vgl. AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 108 Rn. 1. 254 Erfüllt der Insolvenzverwalter eine einfache Insolvenzforderung, so bleibt die Rückforderung der über der Insolvenzquote liegenden Leistung möglich. Rechtsgrund ist neben der Forderung auch der Grundsatz der Gläubigergleichverteilung, so dass es insoweit an einem Rechtsgrund fehlt, vgl. OLG Brandenburg v. 6.12.2001, WM 2002, 974. Für die dauernden oder peremptorischen Einreden, außer der Verjährungseinrede, folgt die fehlende Behaltensbefugnis aus § 813 Abs. 1 BGB. Sie werden daher auch als zerstörende Einreden bezeichnet, etwa Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 280 Rn. 34. 255 Die verbreitet anzutreffende Rede von der vollwirksamen Forderung wird dogmatisch nicht ausgearbeitet. Der vollen Wirksamkeit wird explizit keine einfache oder schwächere Wirksamkeit gegenübergestellt. Volle Wirksamkeit kennzeichnet die bestehende Einforderungsbefugnis. Einfach wirksam ist danach die betagte, die einredebehaftete und jeweils bereits erfüllbare Forderung. Auch die verhaltene und die hier so genannte ausgesetzte Forderung können auch ohne aktuelle Erfüllbarkeit als einfach wirksam bezeichnet werden, vgl. oben C. IV. 4. c) aa) (1) u. (2), S. 476 ff. 256 Die Prozessrechtswissenschaft trennt das materiellrechtliche Klagerecht von dem prozessualen Klagerecht. Ablehnend Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 425. 257 Es ist zu unterscheiden und durch Auslegung der Abrede festzustellen, ob die Einrede das materielle Forderungsrecht erfasst und dem Schuldner damit die Einrede der Nichtfällig-

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Die Bezeichnungen „nicht klagbar“ oder „Klageverzicht“ lassen alle diese Auslegungen zu258. Bei einer aktionenrechtlichen Sichtweise würde die Rechtslage durch das pactum dagegen nicht verändert. Hier bekäme der Schuldner mit der Einrede ein (prozessuales) Verteidigungsmittel in die Hand, das ihn in Stand setzt, die Forderung abzuwehren (exceptio pacti) 259. Diese Sichtweise halte ich für zu wenig differenziert und daher für nicht mehr angemessen. Die Rechtsprechung des BGH zeigt, dass bei der Interpretation derartiger Abreden keine klare Linie besteht und die Rechtswirkungen eine Frage der Auslegung im Einzelfall sind. So interpretierte der BGH 260 in einer Entscheidung aus dem Jahr 1989 ein Stillhalteabkommen als temporären Klageverzicht. Ein Krankenversicherter hatte einvernehmlich mit seiner Versicherung die gerichtliche Klärung des Eintritts seiner Invalidität während eines Vorprozesses zurückgestellt. Der BGH deutete die Abrede als prozessuales Rechtsgeschäft und erkannte ihr die Wirkung eines vorübergehenden prozessualen Klageverbots zu. Die Klage wurde als zurzeit unzulässig abgewiesen. Der Senat verwies die Sache gleichzeitig mit der Maßgabe zurück, das Berufungsgericht solle prüfen, welche Bedeutung im Hinblick auf den Beginn oder einen entsprechenden Ablauf der Fristen nach § 8 Abs. 2 AUB eine etwaige Berufung auf die Stillhaltevereinbarung und das weitere Parteiverhalten haben sollte. Die damit angesprochene materiellrechtliche Wirkung des pactum de non petendo war danach Auslegungsfrage. Zu welchem Ergebnis das Vordergericht gekommen ist, ist nicht bekannt. In einer Entscheidung aus demselben Jahr legte der BGH 261 die Vereinbarung einer Schiedsgutachterklausel materiellrechtlich aus und sah die Fälligkeit der Forderung vorübergehend aufgehoben. Der Schiedsgutachtervertrag enthalte in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass der Gläubiger für die Dauer der Erstattung des Gutachtens gegen den Schuldner nicht keit gibt, oder, ob die Einrede nur das prozessuale Klagerecht betrifft und damit die Einrede der Klagbarkeit vermittelt (d.h. die prozessuale Geltendmachung ausschließt). Vgl. G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 424 ff.; zust. MünchKomm/Krüger, BGB, 4. Aufl. 2003, Bd. 2 a, § 271 Rn. 18; a.A. AnwK-BGB/Schwab, 2005, § 271 Rn. 26 (Fälligkeit bleibt unberührt, aber Verjährung und Verzögerungsschäden sind während der Stillhaltefrist gehemmt). 258 G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 425; MünchKomm/Krüger, BGB, 4. Aufl. 2003, Bd. 2 a, § 271 Rn. 18. Die Beschränkung auf das prozessuale Klagerecht führt zur Klagabweisung als zurzeit unzulässig, während bei materiellrechtlichen Wirkungen eine Abweisung als zurzeit unbegründet erfolgt. 259 Das ist abzulehnen, weil nie klar wäre, ob der Schuldner noch immer die Einrede erhebt. Die befriedende Funktion der Dauerhaftigkeit einer „Wirkung“, die Wiederholungen überflüssig macht, lässt sich aktionenrechtlich nicht herstellen (siehe oben C. IV. 4. c) aa) (3) (a), S. 479 u. Fn. 231). Zur Normativität von sog. Entsprechenserklärungen nach § 161 AktG, deren normative Wirkung solange besteht bis sie widerrufen werden, vgl. C. III. 1. c) bb) (1) (d) (ee), S. 355. 260 BGH v. 14.6.1989 NJW-RR 1989, 1048, 1049. 261 BGH v. 26.10.1989 NJW 1990, 1231, 1232.

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vorgehen werde (pactum de non petendo). Eine derartige Vereinbarung berechtige den Schuldner, die Leistung jedenfalls vorübergehend zu verweigern und hemme daher die Verjährung262. In einem im Jahre 1994 entschiedenen Fall war nach der Satzungsbestimmung einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse eine obligatorische Streitentscheidung durch den Vorstand der Kasse vor der möglichen Anrufung staatlicher Gerichte herbeizuführen. Der BGH263 sah in dieser Satzungsbestimmung ein konkludent geschlossenes pactum de non petendo. Diesem komme sowohl eine materielle als auch eine prozessuale Wirkung zu. Der Schuldner erhalte ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht und die Klagbarkeit werde zeitweilig ausgeschlossen 264. Der BGH wies die Klage als zurzeit unzulässig ab. In einem Fall aus dem Jahr 2005265 hatten die Parteien die Zahlung eines Entgelts für die Lieferung von Strom im Rahmen einer vorprozessual getroffenen Vergleichsvereinbarung von der vorherigen gerichtlichen Entscheidung zweier Rechtsfragen abhängig gemacht. Der BGH bejahte ein bis zur Klärung dieser Rechtsfragen wirksames pactum de non petendo, das hier wieder nur prozessual verstanden wurde und zur Klagabweisung als zurzeit unzulässig führte. Für die Auslegung derartiger Abreden wird man wie folgt differenzieren können: Darf der Gläubiger die Forderung zur Aufrechnung oder als Zurückbehaltungsrecht weiter benutzen, so wird nur sein (materielles oder prozessuales) Klagerecht aufgehoben. Die Forderung bleibt fällig, die Verjährung läuft weiter und die Verzugsfolgen treten ein. Das pactum de non petendo bleibt hier hinter der Naturalobligation zurück, weil bei dieser neben der Klagebefugnis gerade auch die weiteren (außergerichtlichen) Zwangsbefugnisse ausschlossen werden. Erfasst das pactum dagegen weitergehend die Fälligkeit der Forderung und gibt dem Schuldner mithin die Einrede der Nichtfälligkeit, so ähnelt die Rechtslage jener bei der Verjährung nach der Einredeerhebung. Die Einforderungsbefugnis des Gläubigers ist beseitigt und so sind auch die Fälligkeit und ein etwaiger Verzug entfallen. Die Verjährung der vom pactum erfassten Forderung ist gehemmt. Die Forderung bleibt aber erfüllbar266. Es handelt sich in diesem Falle nicht um eine Naturalobligation, weil das Einforderungsrecht hier (vorübergehend) aufgehoben ist.

262 Das Leistungsverweigerungsrecht hemmt den Verjährungslauf, weil dem Gläubiger die Einforderungsbefugnis genommen ist. 263 BGH v. 26.10.1994 NJW-RR 1995, 290. 264 BGH v. 26.10.1994 NJW-RR 1995, 290, 291 f. 265 BGH v. 12.12.2005 NJW-RR 2006, 632, 635 (Abweisung als zurzeit unzulässig). 266 Die Erfüllbarkeit einer Forderung kann vertraglich – entsprechend der verhaltenen Forderung – ausgeschlossen werden. Dem Gläubiger wird dann aber das Recht bleiben, die Erfüllbarkeit durch Leistungsannahme ähnlich dem verhaltenen Recht herzustellen und damit die Rückforderung auszuschließen. Siehe oben C. IV. 4. c) aa) (2), S. 477.

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Eine ergänzende Auslegungsfrage geht dahin, ob die rechtsgeschäftlich begründete Einrede bereits mit dem Abschluss der Nichtangriffsabrede oder erst im Falle einer Erhebung durch den Schuldner wirksam werden soll. Muss sich der Schuldner auf das pactum ausdrücklich berufen, so sind die Rechtslagen vor und nach dieser Berufung zu unterscheiden. Bereits vor einer etwa erforderlichen Erhebung der Fälligkeitseinrede bestehen gewisse vertragliche Bindungen für den Gläubiger, die die Einredeposition schützen 267. Stipuliert das pactum Aufrechnungs- oder Zurückbehaltungsverbote für den Gläubiger, die unabhängig von der Berufung des Schuldners auf die Einrede gelten, so entsteht aufgrund des pactum eine Naturalobligation. Beruft sich der Schuldner auf das pactum und übt damit sein Einrederecht aus, so entsteht weitergehend eine gehemmte Forderung. Das pactum de non petendo ermöglicht ebenso wie die Verjährung im Ergebnis eine rechtliche Neutralisierung (Hemmung) des Forderungsrechts, d.h. die Forderung bleibt zwar bestehen, kann aber nicht geltend gemacht werden. Solange die Hemmung anhält, kann und darf der Gläubiger die Forderung nicht erheben, er darf die Rechtsbehauptung nicht aufstellen und nicht zur Leistung anhalten. Das pactum de non petendo ist somit nicht rein aktionenrechtlich zu verstehen. Wie bei der Verjährung ist nach der normativen Wirkung des „klagebrechenden“ pactums bzw. – gleichbedeutend – der durch sie begründeten Einrede zu fragen. Nach den Annahmen des sog. Rechtswirkungsdenkens hat das pactum – entsprechend der erhobenen Einrede – eine unmittelbare rechtliche Wirkung. Der Gläubiger darf auf die Einredeerhebung hin 268 die Forderung nicht mehr erheben oder einklagen. Die Geltendmachung der Forderung durch Klage ist vertragswidrig. Tut er es dennoch, macht er sich nicht lediglich schadensersatzpflichtig, sondern ihm fehlt die materielle oder auch nur die prozessuale Klagebefugnis und gegebenenfalls weitergehend die materiellrechtliche Einforderungsbefugnis. Das pactum hat sich also auf die Gläubigerposition unmittelbar ausgewirkt. Die Klage ist auf die Einrede hin als unbegründet 269 abzuwei267 Der Forderungsgläubiger darf die Stillhalteabrede insbesondere nicht kündigen und dadurch die Einredeposition des Schuldners einseitig aufheben. Das pactum de non petendo ist damit ein Vertrag, der dem Schuldner hier eine Fälligkeitseinrede einräumt, deren Erhebung in seinem Belieben steht. Soll aus einem pactum de non petendo wie bei einer Verjährungslage eine Naturalobligation entstehen, so müssten auch die materiellen Zwangsbefugnisse wie etwa Zurückbehaltungsrechte und Aufrechnung an die Einredeerhebung geknüpft werden und mit Wirkung ex tunc als ausgeschlossen gelten. 268 Soll bereits mit Abschluss des pactums die materiellrechtliche Einrede gelten, so handelt es sich um eine nachträgliche Stundungsvereinbarung. Die Spezifität des pactums de non petendo liegt in der vom Schuldnerhandeln abhängigen Verbotswirkung durch Einredeerhebung. Die Forderung bleibt fällig und verliert erst durch die Einredeerhebung die Einforderungsbefugnis. 269 Im Rahmen der Vertragsfreiheit sind auch speziellere Vereinbarungen dahin denkbar, dass dem Gläubiger nur das öffentliche Klagerecht genommen werden soll, Wagner, Prozeß-

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sen 270. Der Gläubiger besitzt, soweit die Abrede reicht, vorübergehend oder dauerhaft keine Einforderungsbefugnis und damit auch keinen Anspruch. (4) Die „unbestimmte oder unverbindliche Forderung“ (§§ 315, 317 BGB) Bei Verträgen mit einseitigem Leistungsbestimmungsrecht entsteht die Forderung erst, wenn die Leistung unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit bestimmt worden ist. Trotz des bereits wirksamen Vertrages entstehen die Forderungen gegebenenfalls erst mit der gerichtlichen Bestimmung durch Urteil (§§ 315 Abs. 3 S. 2, 319 Abs. 1 S. 2 BGB) 271 oder der Vertrag wird unwirksam (§ 319 Abs. 2 BGB272). Die (offenbar) unbillige Bestimmung ist nach den §§ 315 Abs. 3 S. 1, 319 Abs. 1 S. 1 BGB für den anderen Teil nicht verbindlich. Das bedeutet, dass die Forderung noch nicht besteht. Eine endgültig unbestimmte oder unverbindliche Forderung wäre ein Selbstwiderspruch 273. Die Naturalobligation bezeichnet dagegen eine bereits bestimmte und verbindliche Forderung. Der Maßstab für die Leistungsbestimmung in § 315 Abs. 1 BGB „nach billigem Ermessen“ gilt nur als Auslegungshilfe „im Zweifel“. Die Parteien sind frei einen anderen Maßstab zu vereinbaren, nur nicht die Willkür 274. Rieble275 hat vorgeschlagen, eine Leistungsbestimmung nach Willkür des Schuldners könne zumindest als Naturalobligation aufrechterhalten bleiben und müsse nicht notwendig zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Die Leistungsklage des Gläubigers sei unsinnig, aber wenn der Schuldner nach eigener Willkür leiste, müsse verträge, 1998, S. 405 ff., der eine Unterscheidung zwischen materieller Klagebefugnis und prozessualem Klagerecht als redundante Verdopplung der Einforderungsbefugnis ablehnt. 270 Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, ob man dem Schuldner aktionenrechtlich eine dolo petit-Einrede zuerkennt (Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est), denn auch diese besitzt normative Wirkung, weil sie die Geltendmachung des Gläubigerrechts für arglistig erklärt und ihr damit die Wirksamkeit abspricht. 271 Die Bestimmung des Vertragsinhalts wird auf den späteren Konkretisierungsakt der Leistungsbestimmung übertragen, Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 4. Bei fehlerhafter Leistungsbestimmung erfolgt dieser Akt schließlich erst durch das Urteil. 272 Das ist der Fall des Drittbestimmungsrechts nach freiem Belieben. 273 Das Entstehen des Forderungsrechts setzt notwendig die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der Forderung voraus. Die (offenbar) unbillige Leistungsbestimmung erlangt keine Geltung und der Forderungsinhalt kann wegen des fortgeltenden Leistungsbestimmungsrechts auch nicht durch Auslegung ermittelt werden. Der bei unbilliger Leistungsbestimmung im Schrifttum verbreiteten Annahme „vorläufiger Verbindlichkeit“, etwa Palandt/ Grüneberg, BGB, 65. Aufl. 2006, § 315 Rn. 16; OLG Frankfurt NJW-RR 1999, 379, ist daher nicht zu folgen. Für die Unwirksamkeit auch Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 145; AnwK-BGB/Wagner, 2005, § 315 Rn. 15. 274 RG v. 11.12.1897, RGZ 40, 195, 199 (Verpflichtungen, deren Einhaltung in der nackten Willkür des Schuldners liegen, sind nichtig und erzeugen keine rechtliche Gebundenheit). Die Gesetzesverfasser haben entsprechend eine Verpflichtung für ausgeschlossen erklärt, wenn sie willkürlich getroffen wurde, Mot. II 192. Vgl. dazu bereits oben C. III. 2. a) aa) (1), S. 376. 275 Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 35.

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die so konkretisierte Leistungspflicht Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung sein. Für den Kondiktionsausschluss dürfe es nicht auf § 814 BGB ankommen. Einen Grund, den Schuldner vor eigener Willkür zu schützen, gebe es nicht. Der Gläubiger werde nicht weniger beeinträchtigt als bei der Naturalobligation 276. Diese Auffassung widerspricht der hiesigen Vorstellung einer Naturalobligation als eine Leistungspflicht. Dem Schuldner wäre bei einer solchen Gestaltung die Entscheidung über die Pflichterfüllung selbst überlassen. Das ist mit dem obligatorischen Pflichtbegriff nicht mehr zu vereinbaren. Die Rechtsauffassung von Rieble beruht auf der hier nicht geteilten Annahme, die Naturalobligation überlasse die Bestimmung des Schuldinhalts und Schuldumfanges dem Schuldner selbst. Das ist nicht der Fall. Der Schuldner einer Naturalobligation – wie auch einer Zivilobligation – entscheidet nur über den Vollzug einer auf ihm lastenden Pflicht, nicht über das Bestehen und den Inhalt der Pflicht selbst. Der Schuldner einer Naturalobligation besitzt gerade kein Leistungsbestimmungsrecht, welches seine Pflicht konkretisiert. Ihm ist also auch kein Recht zur Entscheidung über die Pflichtbefolgung im Sinne eines Reurechts eingeräumt 277. Die Rechtsordnung nimmt es lediglich hin, dass der Schuldner einer naturalen Pflicht diese nicht befolgt. Auch die Fälle einer Leistung aus sittlicher Pflicht werden nicht dahin verstanden, dass der Schuldner Inhalt und Umfang der Leistungspflicht selbst festlegen dürfte. Die Regelungsstruktur der §§ 534, 814 Hs. 2, 1624 Abs. 1 BGB knüpft zwar die gerichtliche Feststellbarkeit an eine bereits erbrachte Leistung. Dennoch entscheidet auch hier das Gericht und nicht der Schuldner, ob und in welchem Umfange eine erbrachte Leistung einer sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht entsprach 278. 276

Die Bindung könnte folglich auch auf „Null“ bestimmt werden. Im synallagmatischen Austauschvertrag soll die Identität des Schuldverhältnisses aber eine Grenze darstellen, so dass aus einem Kauf beim Kaufpreis „Null“ eine Schenkung wird, vgl. Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 2004, § 315 Rn. 37. 277 Ein Reurecht für Spielverträge nach § 762 Abs. 1 S. 1 BGB bejaht Servatius, Ball im Netz ist Geld auf der Bank. Die zivilrechtliche Behandlung eine an sportliche Erfolge geknüpften Verzinsung von Sparguthaben, WM 2004, 1804, 1808. Nach meiner Auffassung trifft die Bindungslosigkeit im Falle des § 762 BGB nicht zu. Darin liegt der Unterschied zum Widerruf des Verbraucherschutzrechts. Siehe oben C. I. 2. b) bb), S. 245. Im Grundsatz zutreffend Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003, S. 531, jedoch irrt der Naturalschuldner m.E. nicht über das Bestehen einer Rechtsverbindlichkeit, sondern über deren einseitige Durchsetzbarkeit. 278 So hat das OLG Karlsruhe die Übertragung eines Grundstücks an die Ehefrau nur zur Hälfte als einer sittlichen Pflicht entsprechend anerkannt, weil aufgrund der lebzeitigen Mitarbeit im Betrieb des Mannes eine sittliche Pflicht nur insoweit bestanden habe, OLG Karlsruhe v. 14.2.1990 OLGZ 1990, 457 f.; die Rückforderung eines unteilbaren Gegenstandes bei nur teilweiser Anerkennung als Sittenpflicht führt je nach Interessenlage entweder nur zu einem Anspruch auf Wertersatz in Höhe des nicht als Pflicht- oder Anstandsschenkung zu bewertenden Teils der Leistung oder zur Rückabwicklung Zug um Zug gegen eine der sittlichen Pflicht entsprechenden Leistung, vgl. Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Bearb. 2005, § 534 Rn. 15.

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Nur bei den supererogatorischen Handlungen darf der Schuldner selbst den Leistungsinhalt festlegen 279. Es ist zuzugeben, dass der Unterschied zwischen dem Forderungsbestimmungsrecht und der Naturalobligation nicht allzu groß ist und damit für eine Vergleichbarkeitswertung ein Argument sein kann. Auch für die Naturalobligation gilt aber, dass eine inhaltlich nicht bestimmte Forderung keine Forderung im Rechtssinne sein kann. bb) Sonderformen des Rechtsgeschäfts (1) Das aufschiebend bedingte oder befristete Rechtsgeschäft Rechtsgeschäfte, die unter einer Potestativ- oder einer reinen Wollensbedingung280 geschlossen wurden, wie etwa der Kauf auf Probe (§ 454 BGB) 281, können die Forderungsentstehung von der Entscheidung des Schuldners abhängig machen. Anknüpfungsgegenstand des Bedingungsrechts (§§ 158 – 163 BGB) ist das Rechtsgeschäft (Willenserklärung, Vertrag) aber nicht die Forderung. Das aufschiebend bedingte oder befristete Rechtsgeschäft ist bereits vor dem Bedingungseintritt oder Termin wirksam 282. Die „von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung“ im Sinne des § 158 Abs. 1 BGB ist die künftige obligatorische Leistungsbindung283. Die Forderung entsteht also erst mit Eintritt der Bedin279

Siehe dazu oben C. III. 2. b) bb), S. 389. Bei der Wollensbedingung hängt der Eintritt der Wirkung des Rechtsgeschäfts (bindende Forderung) von einer späteren Erklärung eines der Vertragspartner ab. Zur Unterscheidung von Potestativ- und Wollensbedingung und der prinzipiellen Zulässigkeit beider vgl. Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 158–163 Rn. 14 ff.; AnwK-BGB/Wackerbarth, 2005, § 158 Rn. 6 – 8. Die Erklärung unter einer bloßen Wollensbedingung wird unter Hinweis auf den Kauf auf Probe (§ 454 BGB) weithin anerkannt (ebd. Rn. 7). 281 Grunewald, Kaufrecht, Handbuch des Schuldrechts Bd. 6, 2006, § 15 I, Rn. 7; AnwKBGB/Büdenbender, 2005, § 454 Rn. 6. 282 BGH NJW 1994, 3228: vollendet und voll gültig, nur die Rechtswirkungen sind in der Schwebe, zust. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Einf v § 158 Rn. 8; Soergel/ Wolf, BGB, 13. Aufl. 1999, § 158 Rn. 8; Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 158–163 Rn. 6. Sofortige Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, AnwK-BGB/Wackerbarth, 2005, § 158 Rn. 56. 283 Flume sieht dagegen im bedingten Recht ein erst künftig entstehendes Recht, Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis. Römische Jurisprudenz und modernrechtliches Denken. 1990, S. 121 (nicht die Rechtsfolgen, sondern der Rechtsakt ist bedingt); a.A. zum römischen Recht Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 10 Rn. 1 (nur die Wirkung des Geschäfts ist vom Bedingungseintritt abhängig). Ebenso Behrends, Feste Regelungsstruktur oder auslegungsfähiges Pflichtenverhältnis, in: Dufour u.a. (Hg.), Mélanges Bruno Schmidlin, Basel 1998, S. 31, 49 unter Verweis auf die spätrepublikanisch klassische Lehre des Servius Sulpicius Rufus (82 – 63 v. Chr), nach dem die bedingte Stipulation bereits vor Bedingungseintritt noviert werden konnte, also bereits als Regelung bestand. Der Meinungsstreit löst sich auf, sofern der Rechtsakt bei Flume auf die Forderung (obligatio) und nicht das Rechtsgeschäft (contractum) bezogen wird. Die obligatorische Bindung (und damit die Forderung) entsteht nach der h.L. erst künftig mit dem Bedingungseintritt und wird vom Geschäftsabschluss unterschieden. Der bedingte Rechtsakt Forderung meint 280

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gung bzw. zum Anfangstermin (§ 163 BGB)284. Das Recht aus der einmal entstandenen Forderung ist sodann nicht mehr willensabhängig. Mit der Vollendung des Rechtsgeschäfts tritt die (einfache) Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts und mit dem Bedingungseintritt die „volle Wirksamkeit“ (Forderungsentstehung) ein 285. Bis zum Bedingungseintritt fällt der entsprechende Vertrag damit in die Kategorie der Verträge ohne primäre Leistungspflicht. Die Naturalobligation ist dagegen die entstandene und voll wirksame Forderung mit abgeschwächter Wirkung. (2) Das schwebend wirksame Rechtsgeschäft (Anfechtung, Widerruf und Rücktritt) Naturalobligationen sind nicht schwebend, sondern endgültig wirksam 286. Schwebend wirksam sind dagegen Geschäfte, die dem Widerruf, dem freien Rücktritt287 oder der Anfechtung unterliegen. Durch die jeweilige Gestaltungserklärung wird das Rechtsgeschäft aufgehoben und in ein Rückabwicklungsverhältnis überführt (§§ 357, 346 ff. BGB) oder ex tunc vernichtet (§§ 142 Abs. 1, 812 BGB). Der Verbraucherwiderruf ist nach mehrfacher Gesetzeskorrektur als besonderes Rücktrittsrecht anerkannt. Der Vertrag ist daher zunächst wirksam. Nach dem Gesetzeswortlaut wird aber – anders als beim Rücktritt vom Vertrag – die Verbrauchererklärung widerrufen (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Gesetzgeber hat damit das Konzept des § 145 Hs. 2 BGB (aufhebbare Antragsbindung bis zum Vertragsschluss) mit dem Verbraucherwiderruf atypisch in den Vertrag hinein verlängert. Der Vertrag ist zwar wirksam, für den Verbrau-

dann nach beiden Ansichten das künftige Recht, das aus einem bereits wirksamen Rechtsgeschäft entsteht. 284 Die befristete ist eine künftige Forderung, während die betagte eine gegenwärtige Forderung noch ohne Einforderungsbefugnis ist (s.o.); Staudinger/Bork, BGB, 2003, § 163 Rn. 2. 285 Die Forderung ist vollendet, aber nur schwebend wirksam und mit Bedingungseintritt vollwirksam, Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 158 Rn. 7. Dabei sei der aufschiebend bedingte Anspruch ein künftiger Anspruch, der (noch) nicht besteht, aber durch Vormerkung gesichert werden kann. Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 883 Rn. 7 u. 9. Vollwirksam bedeutet in diesem Zusammenhang die Anspruchsentstehung, die damit vom Forderungsbegriff gelöst ist. 286 Die schwebende Wirksamkeit wird als neue dogmatische Kategorie im Zusammenhang mit dem verbraucherrechtlichen Widerrufsrecht gem. § 355 BGB anerkannt. Grundlegung Mankowski, Schwebende Wirksamkeit unter § 361 a BGB, WM 2001, 802 ff. und 833 ff.; AnwK-BGB/Ring, 2005, § 355 Rn. 21. Vorbereitend Gernhuber, Verbraucherschutz durch Rechte zum Widerruf von Willenserklärungen, WM 1998, 1797, 1804. 287 Wie § 346 Abs. 1 Hs. 1 BGB zeigt, steht ein vereinbarter Rücktrittsvorbehalt der Annahme einer Vertragsbindung aber nicht entgegen; MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5. Ist der Rücktritt jedoch an keinerlei Bedingungen geknüpft, so bleibt die Bindung des Schuldners fraglich.

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C. Systematischer Teil

cher aber nicht bindend 288. Entsprechend soll auch der Gefahrenübergang erst mit der Billigung der Kaufsache bei Ablauf der Widerrufsfrist eintreten 289. Dennoch wird angenommen, dass es sich um ein besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht handelt. Der Widerruf löst die Vertragserklärung des Verbrauchers aus dem Vertrag heraus. Nach herrschender Lehre gestaltet der Widerruf den Vertrag auch in ein Rückabwicklungsverhältnis um (§ 357 BGB) 290. Entsprechend einfach lösbare Bindungen können ferner durch Handelsbrauch entstehen. Etwa ein Stornorecht für Bewirtungs- und Beherbergungsverträge291. Stark vermindert ist die Vertragsbindung bei vereinbartem freien Rücktrittsrecht, bei Umtauschrechten und anderen Gestaltungen dieser Art 292. Ferner verlangt das Rückrufrecht des Urhebers für erteilte Nutzungsrechte (§ 42 Abs. 1 UrhG) nur, dass das Werk nicht mehr der Überzeugung des Urhebers entspricht und ihm deshalb die Verwertung des Werkes nach seinem Selbstverständnis nicht mehr zugemutet werden kann 293. (3) Das schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte (Genehmigung) Schwebende Unwirksamkeit tritt außer in den Fällen der Heilung bei den genehmigungsbedürftigen und genehmigungsfähigen Geschäften Minderjähriger (§ 108 Abs. 1 BGB) und vollmachtloser Stellvertreter (§ 177 Abs. 1 BGB) ein. Beim ungenehmigten Minderjährigengeschäft sah das römische Recht je-

288 Gernhuber, Verbraucherschutz durch Rechte zum Widerruf von Willenserklärungen, WM 1998, 1797, 1804 (wirksam, aber keine Bindung für den Verbraucher im Widerrufszeitraum). Das gilt jedenfalls dann, wenn dem Verbraucher ein Leistungsverweigerungsrecht bis zum Fristablauf zugestanden wird. Näher oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (dd), S. 353. 289 BGH v. 17.3.2004, NJW 2004, 1058, 1059 (Erst die Billigung sei der für den eigentlichen [sic!] Vertragsschluss entscheidende Zeitpunkt; erst zu diesem Zeitpunkt geht die Gefahr über. Ebenso wird für § 442 BGB n.F. erst auf den Zeitpunkt der Billigung abgestellt. Die Billigung des Käufers mache den Vertrag voll [sic!] wirksam. Die Widerrufsfrist des §§ 312 d, 355 BGB beginne daher erst in dem Zeitpunkt, in dem sie für den Verbraucher bindend ist, d.h. erst mit der Billigung.) 290 Statt aller Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl. 2008, § 355 Rn. 5. 291 Ein im norddeutschen Raum bestehender Handelsbrauch über eine kostenlose Stornierung, LG Hamburg v. 21.11.2003 NJW-RR 2004, 699, 700 (zwei Monate vor dem Reservierungsdatum). 292 In Abgrenzung zum Kauf auf Probe, vgl. Grunewald, Kaufrecht, Handbuch des Schuldrechts Bd. 6, 2006, § 15 I, Rn. 3 ff. 293 Zum rechtlichen Schutz des persönlichen Selbstverständnisses durch das Kündigungsrecht aus § 42 UrhG, Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 58; zu den tatbestandlichen Anforderungen an den Wandel Schricker/Dietz, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 42 Rn. 23 ff.; aufgrund der Entschädigungspflicht des Urhebers (§ 42 Abs. 3 S. 1 UrhG) ist diese Freiheit jedoch erheblich eingeschränkt und damit nur dem wohlhabenden Urheber möglich, vgl. Dreier/Gernot Schulze, UrhG, 2. Aufl. 2006, § 42 Rn. 2.

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denfalls in Justinianischer Zeit eine Naturalobligation vor (Paulus D. 44, 7, 43 … pupillus sine tutoris auctoritate non obligatur iure civili)294. Aus einem genehmigungsbedürftigen Vertrag ist nach heutiger Vorstellung noch keine Forderung entstanden. Der genehmigungsbedürftige Vertrag ist vielmehr unwirksam (§§ 182 ff. BGB); die spätere Genehmigung beseitigt die Unwirksamkeit grundsätzlich ex tunc bezogen auf den Zeitpunkt der Vornahme (§ 184 Abs. 1 BGB) 295. Die schwebende Unwirksamkeit ist damit kein Zustand zwischen Wirksamkeit und Unwirksamkeit, sondern lediglich eine Unwirksamkeit, die noch beseitigt werden kann 296. Dagegen ist die Naturalobligation entstanden und wirksam, d.h. sie beruht im Falle vertraglicher Begründung auf einem wirksamen Vertrag. (4) Das formfehlerhafte Rechtsgeschäft (a) Das mündliche Vermächtnis als Naturalobligation? Nach Auffassung von Gernhuber folgt aus einem formfehlerhaften Vermächtnis ein lediglich nicht durchsetzbarer Vermächtnisanspruch und damit eine Naturalobligation 297. Das Reichsgericht 298 hatte entsprechend ein bloß mündlich erklärtes Testament unter Anwendung des Code Civil als Naturalobligation eingestuft. Rechtsgrund des Erwerbs sei in diesen Fällen die festzustellende letztwillige (mündliche) Erklärung des Erblassers. So entscheidet bis heute die Cour de Cassation im Rahmen des Art. 1235 CC299. Österreich hat erst mit der Reform des Erbrechts im Jahr 2004 das mündliche Testament als ordentliche Testamentsform abgeschafft300. Unter der Herrschaft des BGB 294

Siehe dazu oben B. I. 1. b) dd), S. 68 u. Fn. 114 und B. I. 5 d) cc) (1), S. 201 Fn. 844. Beim genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft liegt ein Fall schwebender Unwirksamkeit vor. vgl. Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 280 Rn. 33, differenzierend nach gesetzlichen Zustimmungserfordernissen (dann §§ 182 ff. BGB) und vertraglichen (dann §§ 158 ff. BGB) AnwK-BGB/Staffhorst, 2005, § 182 Rn. 16. 296 AnwK-BGB/Baldus, 2005, § 108 Rn. 1. 297 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 3, S. 96. 298 RG v. 27.2.1883, RGZ 8, 314, vgl. dazu näher oben B. I. 4. e) bb), S. 152. 299 Cass. 27.12.1963, JCP 64, IV, 19; Cass. 22.6.2004, D. 2004, 2953, note Nicod. Im Falle der Erfüllung ist die Rückforderung aufgrund der obligation naturelle ausgeschlossen. Hat der Erbe die Erfüllung nur versprochen (promesse de délivrance), so wandelt sich die obligation naturelle in eine obligation civile um und kann auch zwangsweise gegen den Erben durchgesetzt werden, Cass. 4.1.2005, D. 2005, 1393 note Loiseau. Dasselbe gilt für andere Formverstöße, wie etwa ein gemeinschaftliches Testament, Art. 968 franz. CC, vgl. Veaux, Contrats et obligations, Obligations naturelles, JCl. Art. 1235 à 1248 Fasc. 10, 1995, n. 20 – 22. Zum französischen Recht vgl. oben B. II. 2. a) aa), S. 211 ff. 300 Ein mündliches Testament kann nur noch als Nottestament errichtet werden, Koziol/ Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Band II, 13. Aufl. Wien 2007, S. 502; bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe des § 585 ABGB a.F. gültig errichtete mündliche Testamente vor mindestens 3 Zeugen gelten aber weiter, ebd., S. 506; kollisionsrechtlich akzeptiert Deutsch295

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hatte das Reichsgericht den Vollzug des letzten Willens noch als sittliche Pflicht eingestuft 301. Der ausführende Testamentsvollstrecker oder Erbe kann die Erfüllungsleistung danach nicht mehr zurückfordern. Die Erfüllung eines mündlichen Vermächtnisses stellt als officium nobile danach auch keine Pflichtverletzung des Testamentvollstreckers oder des Erben dar302. Der Fall wird von der neueren deutschen Literatur explizit nicht mehr erwähnt. Einigkeit besteht aber weithin darin, dass ein formfehlerhaftes Testament nichtig ist und die Nichtigkeit als zwingende Rechtsfolge nicht durch Billigkeitserwägungen überspielt werden darf303. Die Nichtigkeit stelle insbesondere keine auf Formalismus beruhende Härte dar304. Eine Heilung ist nicht vorgesehen. Lediglich bei Einigkeit aller Beteiligten wird ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf die Geltendmachung der sich aus der Nichtigkeit ergebenden Rechtsfolgen 305 oder ein schuldrechtlicher Vertrag desselben Inhalts306 für zulässig erachtet. Diese Auffassung ist zutreffend. Eine vergleichbare, die Nichtigkeitssanktion gem. § 125 S. 1 BGB abändernde gesetzliche Regelung wie § 4 Abs. 1 S. 3 RVG existiert nicht. Die Rechtsfolge ist eindeutig festgelegt und lässt de lege lata keinen Raum für die Annahme einer Naturalobligation307. Die Auffassung, wonach der Vollzug des (formfehlerhaft erklärten) letzten Willens als sittlich

land mündliche Testamente nach Maßgabe der lex loci actus. Zu § 585 ABGB vgl. LG München I v. 28.9.1998 IPRax 1999, 182 Anm. Jayme. Deutschland hat insbesondere keinen Vorbehalt gem. Art. 10 des Haager Testamentsformübereinkommens erklärt, vgl. Staudinger/ Dörner, BGB, 2000, Vorbem zu Art. 25 EGBGB Rn. 107. 301 Vgl. RG v. 7.4.1909 Recht 10 Nr. 3848; zustimmend RGRK/Heimann-Trosien, BGB, 12. Aufl. 1989, § 814 Rn. 15 (einer sittlichen Pflicht könne es entsprechen, wenn der Erbe ein formnichtiges Vermächtnis erfüllt). Keine Erwähnung aber etwa bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, 4. Aufl. 1995, § 29, S. 581 ff.; Beleg für diese Vorstellung ist das Zitat der Antigone von Anouilh: „Je respecte les morts et je respecte leur volonté“, zit. nach Grundmann, Favor Testamenti. Zu Formfreiheit und Formzwang bei privatschriftlichen Testamenten, AcP 187 (1987) S. 429, 430. 302 Grundlage ist die unter dem Begriff „favor testamenti“ erörterte Respektierung des Erblasserwillens, dem das Formerfordernis entgegensteht. Namentlich im IPR zeigt die allseitige Anknüpfung nach Art. 1 und 6 des Haager Übereinkommens über das auf die Form letzwilliger Verfügungen anzuwendende Recht v. 5.10.1961 (BGBl. 1965 II, S. 1145), dass die mildeste Testamentsform der mit dem Fall in Berührung stehenden Rechtsordnungen genügt. Das kann auch ein mündliches Testament sein (Art. 10), abgedruckt bei Jayme/Hausmann, IPR-Texte, 13. Aufl. 2006 Nr. 60. 303 Staudinger/Baumann, BGB, 2003, § 2231 Rn. 20; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl. 2003, § 2247 Rn. 41; MünchKomm/Hagena, BGB, 4. Aufl. 2004, § 2247 Rn. 52; AnwK-BGB/Beck, 2004, § 2247 Rn. 55; RGRK/Kregel, BGB, Bd. V/2, 12. Aufl. 1975, § 2247 Rn. 3 f. 304 Staudinger/Baumann, BGB, 2003, § 2231 Rn. 20. 305 MünchKomm/Hagena, BGB, 4. Aufl. 2004, § 2247 Rn. 52. 306 Palandt/Edenhofer, BGB, 67. Aufl. 2008, § 2247 Rn. 2; AnwK-BGB/Beck, 2004, § 2247 Rn. 56; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl. 2003, § 2247 Rn. 42. 307 Dagegen ist die formgerechte letztwillige Anordnung eines Vermächtnisses in Gestalt einer Naturalobligation zulässig, vgl. unten C. V. 2. a) bb), S. 567.

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verpflichtend angesehen wird, wird man in heutiger Sicht nicht mehr annehmen können. (b) Nichtigkeit oder Heilung beim formfehlerhaften Vertrag Anders als im gemeinen Recht sowie etwa in § 1432 ABGB sieht das BGB auch im formfehlerhaften Konsens keinen Fall einer Naturalobligation 308. In den gesetzlich angeordneten Fällen führt die Erfüllung vielmehr zur Konvaleszenz (§§ 311 b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3 BGB, 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG). Die Heilung beruht auf einer dogmatisch anderen Konstruktion als die Naturalobligation, löst aber dasselbe Sachproblem. Das heilbare Rechtsgeschäft ist nichtig (§ 125 S. 1 BGB), aber erfüllbar. Die Bewirkung der Leistung verwandelt es in ein ex nunc wirksames Rechtsgeschäft. Die Heilung „geschieht“, weil ein rechtsgeschäftlicher Wille bei der Erfüllung, anders als bei der Bestätigung (§ 141 Abs. 1 BGB), nicht vorausgesetzt wird 309. Die „Heilung“ legt die Annahme nahe, dass auch aus dem formnichtigen Rechtsgeschäft eine erfüllbare Forderung entsteht310. Heilung und Naturalobligation liegen insofern nah beieinander. Die Heilung entfaltet aber andere Rechtsfolgen als die Naturalobligation. Die nachträgliche Wirksamkeit des formnichtigen Verpflichtungsgeschäftes erzeugt Zivilobligationen. Bedeutsam ist dies für die sekundären Gewährleistungsrechte, die im Heilungskonzept klagbar sind. Wie die parallele Konstruktion des österreichischen Rechts zeigt 311, bleiben bei der Naturalobligation etwa beim formfehlerhaften Kaufvertrag nur Rücktritt und Minderung gerichtlich durchsetzbar 312, nicht dagegen die Nacherfüllung (§ 439 BGB: Mängelbeseitigung u. Ersatzlieferung) und der Schadenersatz statt der Leistung wegen mangelhafter Leistung oder verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 Abs.1 S. 1 Alt. 2, 283 S. 1 BGB). Die überschießende Wirkung der Heilung legitimiert also ihre eigenständige Funktion und grenzt sie gegenüber der Naturalobligation ab. 308 Eine isolierte Ausnahme bildet das naturaliter bindende pactum nudum aus der formfehlerhaften Vergütungsabsprache (§§ 4 Abs. 1 S. 3 RVG, 3 Abs. 1 BRAGO a. F.) Siehe näher unten C. IV. 5. f), S. 531. 309 Staudinger/Roth, BGB, 2003, § 141 Rn.4. 310 Das führt zu einem Rechtszustand, der im Hinblick auf die Heilungschance auch von der Nichtigkeit unterschieden werden kann. So hat BGH v. 24.6.1994, NJW 1994, 2755, 2756 die Zwangsvollstreckung aus einem formnichtigem Grundstückskaufvertrag mit Heilungschance für rechtmäßig gehalten, was zur Konstruktion des nichtigen Rechtsgeschäfts nicht passt. 311 Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluss und Heilung nach § 1432 ABGB, Wien, 1998, S. 173 (Modell der Naturalobligation). 312 Dehn, (vorherige Fußnote), S. 302 ff. Nicht aber Nacherfüllung (§ 439 BGB: Mängelbeseitigung u. Ersatzlieferung), Schadenersatz statt der Leistung wegen mangelhafter Leistung oder verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 Abs.1 S. 1 Alt. 2, 283 S. 1 BGB).

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Die Erfüllung einer formfehlerhaften Vergütungsvereinbarung über den gesetzlichen Gebührensatz hinaus (§ 4 Abs. 1 S. 3 RVG) 313 ist dagegen nicht sinnvoll über eine nachträgliche Heilung konstruierbar. Geheilt wird der Formmangel nicht für sich gesehen, sondern der deshalb bis dahin unwirksame Vertrag bzw. die bis dahin unwirksame Vergütungsabrede. Die vertragliche Vergütungspflicht aufgrund des geschlossenen Mandatsvertrages ist in der gesetzlichen Gebührenhöhe wirksam entstanden und durchsetzbar (§§ 1, 2, 13 RVG). Nur der überschießende Betrag könnte als unwirksam und damit heilbar betrachtet werden. Das Heilungskonzept müsste also die Vergütungspflicht dem Grunde nach und bis zur gesetzlichen Höhe für wirksam, den Rest aber für unwirksam und durch Erfüllung heilbar betrachten. Das ist positivistisch konstruierbar, aber wenig überzeugend. Die Annahme einer Naturalobligation in der die gesetzlichen Sätze übersteigenden Höhe ist hier die überzeugendere Lösung. Die Heilung ermöglicht die Erzwingbarkeit sekundärer Leistungsansprüche bei fehlerhafter Primärleistung. Eine solche ist bei der Vergütungsforderung nicht relevant. Beim verabredeten Schwarzkauf von Grundstücken 314 stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf die Heilungschance ein wirkungsvermindertes Rechtsgeschäft in Gestalt einer Naturalobligation anzuerkennen ist315. Das ist zu verneinen 316. Das bewusst formfehlerhaft geschlossene Geschäft soll nach den Intentionen der Beteiligten jegliche Bindung bis zum Erfüllungszeitpunkt ausschließen. Die gewollte Unwirksamkeit verfolgt den Zweck, die rechtliche Anerkennung zu meiden. Selbst ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entsteht nicht 317. Eine Naturalobligation scheidet danach aus. 313

Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn. 2 (Naturalobligation); Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 98 (keine Rückforderung bei freiwilliger und vorbehaltsloser Mehrleistung). 314 BGH v. 13.11.1998, NJW 1999, 351 (Teilnichtigkeit bei Kenntnis der Formunwirksamkeit); OLG Jena v. 14.7.1999, NJW-RR 1999, 1687 (offen unwirksam vereinbarter Grundstückskauf). 315 Das wird heute soweit ersichtlich nicht mehr vertreten. Im Grundsatz bejaht von Roth, Die natürlichen Verbindlichkeiten im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1910, S. 58. Vgl. oben B. I. 5. d) cc) (3), S. 203. 316 Die rechtsgeschäftliche Instrumentalisierung der Heilung ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Sie ist nicht verboten, aber das heilbare Geschäft bleibt bis zur Heilung unwirksam. Das ist zwingendes Recht. Eine (sittliche) Bindung kraft Vereinbarung scheitert deshalb und hindert daher auch die Annahme einer rechtsgeschäftlich begründeten Naturalobligation. Ebenso im Ergebnis Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 240; Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, 1897, S. 29 (es sind die festen Grenzen, die das technisch geformte Recht nun einmal setzt), zustimmend Kuhn, Welche Erscheinungen kennt das BGB, die den gemeinrechtlichen Naturalobligationen gleichartig oder ähnlich sind?, 1903, S. 114 ff.; Badt, Die Naturalobligationen im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1903, S. 54 ff. 317 An die Heilungschance lässt sich daher kein Vertrauenstatbestand knüpfen. Zu Recht verneint daher von OLG Jena v. 14.7.1999, NJW-RR 1999, 1687, 1688.

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cc) Die Leistung auf ein nicht anerkanntes ausländisches Urteil Leistet der Schuldner auf eine im Ausland titulierte Forderung, wobei der Titel im Inland nicht anerkannt werden kann (§ 328 ZPO) 318, so stellt sich die Frage, ob der Schuldner die Leistung im Inland wieder zurückfordern darf. Da das nichtanerkennungsfähige Urteil keine Rechtswirkungen auslöst, bildet es insbesondere keine causa zum Behalten der Leistung. Der Rückforderung steht grundsätzlich nichts im Wege. Anerkennt die Rechtsordnung dagegen zumindest eine naturale Leistungspflicht aus dem Urteil (etwa als sittliche Pflicht), so muss es die Rückforderung wegen Rechtsgrundes319 versagen 320. Dabei bleibt jedoch unklar, woraus die neue causa (Naturalobligation) entstanden sein soll. Mangels Wirkungserstreckung oder Gleichstellungsakt sind die Urteilsforderung und ein entsprechender Rechtsgrund im Inland gerade nicht anerkannt 321. Auch für eine abgeschwächte Anerkennung und zwar als naturale Forderung bleibt grundsätzlich kein Raum. Eine bloß sittliche Pflicht zur Erfüllung einer solchen Urteilsforderung besteht im Inland gerade nicht, denn sie müsste aus der materiell nicht anerkannten Urteilsforderung folgen. Daraus ergibt sich folgende Rechtslage. (1) Kollisionsrechtliche und materiellrechtliche Ausgangslage Besteht nach dem berufenen Schuldstatut322 oder nach dem Statut der Eingriffsbereicherung im Falle einer Vollstreckung im Ausland323 ein Rückforderungsrecht, so ist die Leistung rückforderbar, anderenfalls nicht324. Gilt das deutsche 318

Zu den Anerkennungshindernissen der staatsvertraglichen und europäischen Parallelvorschriften zu § 328 ZPO vgl. etwa Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter Europäischem Einfluss, 2005, Kap. 26 – 27 a. 319 Gleichbedeutend wegen eines bloßen Behaltensgrundes bei an sich rechtsgrundloser Leistung, siehe oben B. I. 5. d) aa) (3), S. 196. 320 Entsprechend geht Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rn. 1029, S. 346 davon aus, dass das nichtanerkannte ausländische Urteil eine eigene causa bilde und die Rückforderung deshalb ausgeschlossen sei. Ebenso Matscher, Über die Nebenwirkungen der ausländischen Zivilurteile, JBl. 1954, 54 – 59, der hier von Naturalobligationen spricht. 321 Zutreffend Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2005, Rn. 3052; Martiny, Internationales Zivilverfahrensrecht, Bd. III/1, S. 339. 322 Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB geht bezogen auf die schuldvertragliche Leistungsbereicherung Art. 38 Abs. 1 EGBGB vor; AnwK-BGB/Huber, 2005, Art. 38 EGBGB Rn. 11. 323 Die Abgrenzung zwischen Leistungs- und Eingriffsbereicherung nach dem Merkmal der freiwilligen Leistungshandlung, Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rn. 1030, S. 347, bedeutet, dass die ausvollstreckte Urteilsforderung als Eingriffsbereicherung zu qualifizieren und mithin an den Ort des Eingriffs anzuknüpfen ist (Art. 38 Abs. 2 EGBGB). Denkbar ist aber auch, die Leistungsbereicherung auf das Forderungsverhältnis zu beziehen und daher die Leistungskondiktion anzunehmen. 324 Bei einer Leistung im Inland kommt eine Rückabwicklung nur unter dem Gesichts-

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Schuldstatut, so kommt § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zum Zuge, wenn ein Rechtsgrund zum Behalten der Leistung fehlt. Das ist eine rein materiell-rechtliche Frage, die das Gericht ohne Bindung an die nicht anerkannte Vorentscheidung zu beantworten hat. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn die Schuld bejaht wird, etwa weil die Titelanerkennung nur am Erfordernis der Gegenseitigkeit scheiterte (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Der mögliche Einwand des Schuldners, dass er sich über die Anerkennungsfähigkeit des Titels getäuscht, die Schuld daher auch im Inland für erzwingbar gehalten und nur deshalb geleistet hat, bleibt dann unbeachtlich (§ 814 Hs. 2 BGB). Im Falle einer rechtsgrundlosen Leistung ist die Rückforderung dagegen möglich. Sie ist nur ausgeschlossen, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Leistung den fehlenden Schuldgrund und das Anerkennungshindernis positiv kannte (§ 814 Hs. 1 BGB). Das kommt in Betracht, wenn der Schuldner etwa deshalb leistet, um die Sache aus der Welt zu schaffen oder der drohenden Vollstreckung im Ausland zuvorzukommen325. In den übrigen Fällen einer rechtsgrundlosen Leistung bleibt die Rückgabepflicht bestehen. § 814 Hs. 2 BGB kann nicht über eine rechtsgrundlose Leistung hinweghelfen. Es besteht aufgrund des ausländischen Leistungstitels aus der Sicht des deutschen Rechts auch keine sittliche Pflicht zur Leistung. Die eigene Entscheidung über die materiellrechtliche Behaltensfrage setzt auch für die Sittlichkeitsfrage den Maßstab und setzt sich durch. (2) Mögliche Modifikation des Anerkennungsrechts Der Gesetzgeber könnte ein Behaltensrecht für diese seltenen Fälle positiv anordnen und das Anerkennungsrecht insoweit modifizieren. Der rechtspolitische Grund für eine solche schwache Anerkennung liegt in der Rechtssicherheit326. Nicht anerkannte ausländische Titel wären dann jedenfalls als causa oder Rechtsgrund ggf. unter weiteren Voraussetzungen anzuerkennen. Einer unvollkommenen Forderung oder Naturalobligation bedarf es hierzu aber nicht.

punkt der Leistungsbereicherung in Betracht, weil der Schuldner auch dann noch freiwillig leistet, wenn er über die Erzwingbarkeit irrt, § 814 Hs. 2 BGB. 325 Vgl. oben B. II. 2. c), S. 230. 326 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rn. 1029, S. 346 (Die Gefahr eines Justizkrieges werde heraufbeschworen).

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dd) Naturalobligation und antizipierte Konträrakte (1) Durchschaute Mentalreservation, § 116 S. 2 BGB Behält sich der Erklärende insgeheim vor, das Erklärte nicht zu wollen, so bleibt seine Erklärung wirksam. Der Vorbehalt ist nach § 116 S. 1 BGB unbeachtlich. Wollte der Erklärende zwar eine Forderung begründen, dabei aber keinen Durchsetzungszwang gegen sich anerkennen, so ist auch dies unbeachtlich. Hat der Erklärungsempfänger eine dahingehende Mentalreservation durchschaut, so führt das zur Nichtigkeit des Geschäfts nach § 116 S. 2 BGB. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation zeichnet sich durch die Wirksamkeit einer geschwächten Forderung aus. (2) Scheingeschäft, § 117 BGB Das simulierte Rechtsgeschäft beruht auf einverständlichem Handeln und ist nichtig (§ 117 Abs. 1 BGB). Die Simulationsabrede steht damit in der Nähe einer Aufhebungsvereinbarung (contrarius consensus). So meinte von Tuhr, es laufe praktisch auf dasselbe hinaus, wenn die Parteien einen eben geschlossenen Vertrag wieder aufheben, oder wenn sie sich schon beim Abschluss des Vertrages darüber einig waren, dass er nicht gelten solle327. Die Simulationsabrede lässt sich daher als antizipierte Aufhebungsvereinbarung qualifizieren. Die Nichtigkeitsfolge aus § 117 Abs. 1 BGB beruht auf dem Gedanken, dass den Parteien die Herrschaft über die Vertragsgültigkeit auch im Negativen zusteht328. Die Grundlage ist aber ein nichtiges und nicht wie bei der Naturalobligation ein wirksames Geschäft. Aus der Nichtigkeit folgt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsmöglichkeit (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB). Der simulierte Grundstückskauf (Schwarzkauf) kann daher bis zur Eintragung des Käufers und der Heilung des verdeckten Geschäfts (§ 311 b Abs. 1 S. 2 BGB) ohne weiteres rückgängig gemacht werden 329.

327

v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1, S. 564; zust. Wacke, Mentalreservation und Simulation als antizipierte Konträrakte bei formbedürftigen Geschäften. insbesondere bei Testamentserrichtung und Heirat. In: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 651, 658. 328 Wacke, Mentalreservation und Simulation als antizipierte Konträrakte bei formbedürftigen Geschäften. insbesondere bei Testamentserrichtung und Heirat. In: Beuthien u.a. (Hg.), FS für Dieter Medicus, 1999, S. 651, 660. 329 Im Bereich formbedürftiger Grundstücksgeschäfte ist auch das dissimulierte Geschäft gemäß § 117 Abs. 2 BGB nicht (mit höherem bzw. niedrigerem Kaufpreis) ordnungsgemäß beurkundet und damit nichtig.

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C. Systematischer Teil

(3) Die im Voraus erlassene Forderung Die Naturalobligation ist in rechtsgeschäftlicher Hinsicht ferner abzugrenzen gegenüber einem antizipierten Erlass (§ 397 BGB)330. Beim Erlass hat der Gläubiger auf eine bereits entstandene oder künftig entstehende Forderung im Voraus verzichtet. Der Gläubiger einer Naturalobligation verzichtet dagegen nicht auf die Forderung, sondern ihm fehlen die Zwangsmittel. Auch die Vereinbarung einer Naturalobligation bedeutet nur den rechtsgeschäftlichen Verzicht auf die Zwangsmittel. Der Gläubiger einer im Voraus erlassenen Forderung besitzt im Falle der Gleichwohlleistung des Schuldners dagegen kein Behaltensrecht. Der Schuldner kann seine Leistung anders als bei der Naturalobligation also aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zurückfordern. Abzugrenzen ist die (unentgeltliche) Behandlung von Arztkollegen und deren Angehörigen. Der Honorarverzicht aus kollegialen Gründen gilt nicht bereits mit Vertragsschluss als vereinbart. Unabhängig von einem bestehenden Brauch soll in diesen Fällen nur ein nachträglicher, nicht forderbarer Verzicht auf die Gegenleistung anzunehmen sein331. Entscheidet sich der Kollege gegen den Verzicht und verlangt er sein Honorar, so ist diese Forderung einseitig durchsetzbar und nicht etwa eine Naturalobligation. Aus abredewidrig begründeten Spielschulden entstehen ebenfalls keine Naturalobligationen. Das entgegen einer vereinbarten Sperrabrede zwischen Spielbank und spielsüchtigen Spielern durchgeführte Glücksspiel unterliegt der Rückabwicklung. Konstruktiv erreicht der BGH die Rückforderbarkeit von Spieleinsätzen dagegen über eine Schadensersatzverpflichtung aus einer verletzten Leistungspflicht der Spielbank. Die einseitige und kompensationslos übernommene Leistungspflicht der Spielbank ist auf die Unterlassung von Spielverträgen mit dem gesperrten Spieler gerichtet und mit einer Vermögensfürsorgepflicht verbunden, die ein Abhalten dieser Person vom Spiel verlangt 332. Unbeachtet bleibt, dass der Spieler durch seine Teilnahme am Spiel selbst gegen 330 Die Zulässigkeit eines Erlassvertrages über künftige Forderungen bejaht BGH v. 28.11.1963 BGHZ 40, 326, 330; die Sicherung einer künftigen Forderung unter der Voraussetzung, dass bereits der Rechtsboden der künftigen Forderung vorhanden ist, BGH v. 5.12.1996 BGHZ 134, 182, 184 f. (Eintragungsfähigkeit einer Vormerkung, die einen mehrfach aufschiebend bedingten Rückübereignungsanspruch sichern soll); die Zulässigkeit eines solchen antizipierten Konträrakts bejahen Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 1999, § 397 Rn. 95; MünchKomm/Schlüter, BGB, 4. Aufl. 2001, § 397 Rn. 5; Jauernig/Stürner, BGB, 11. Aufl. 2004, § 397 Rn. 3; ablehnend zum Verzicht auf eine künftige Forderung RGZ 124, 326; 148, 242 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 397 Rn. 2. Heinrichs hält § 397 BGB für nicht einschlägig. Die Vereinbarung habe aber die Folge, dass eine Forderung gar nicht erst entsteht. So auch BGH BB 1956, 1086 (Generalvergleich). Ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) kann künftige noch völlig unbestimmte Ansprüche nicht erfassen. Die Entstehung der Ansprüche ist erforderlich. 331 BGH v. 23.11.1976 NJW 1976, 2344; BGH v. 7.6.1977 NJW 1977, 2120. 332 Vgl. C. III. 1. c) aa) (2) (a), S. 338; BGH v. 15.12.2005 NJW 2006, 362.

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die Sperrabrede verstoßen hat. Meines Erachtens wird durch den Sperrvertrag das Zustandekommen von Spielverträgen nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen in der Weise unterbunden, dass ohne eine Aufhebung der Sperre kein Vertragskonsens entsteht. Daher ist weder eine Zivil- noch eine Naturalobligation anzuerkennen und die Leistungen sind bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln333. Mit der Kondiktion seiner Einsätze und der Rückgewähr verbuchter Gewinne kehren Spieler und Spielbankbetreiber zum status quo ante der Sperrabrede zurück. § 814 Hs. 1 BGB schließt die Rückforderung in diesen Fällen nur aus, wenn sich der Leistende widersprüchlich verhält. Er muss positiv gewusst haben, dass er nichts schuldet 334 und darf auch nicht in der dann fehlgeschlagenen Erwartung des Erhalts einer Gegenleistung geleistet haben335. Der Spieler erwartet aber die Erzielung und Auszahlung des erhofften Gewinns. Eine solche Zahlung ist – wie die Teilnahme am Spiel selbst – trotz der Sperre praktisch durchaus möglich 336. Bezieht man die Sperrabrede mit ein, so setzt sich der Spieler durch die Rückforderung nicht in einen Widerspruch. ee) Naturalobligation und Liberalität (Rückforderungsverzicht und Schenkung) Die Erfüllung einer Naturalobligation erfolgt freiwillig und bei Leistungen aus sittlicher Pflicht oder aus Anstandsrücksicht auch unentgeltlich. Freiwillige und unentgeltliche Rechtsgeschäfte (Liberalität)337 sind dogmatisch von der Naturalobligation aus sittlicher Pflicht (obligatio ex societate) zu unterscheiden. Abzugrenzen ist die Naturalobligation von dem (unentgeltlichen) rechtsgeschäftlichen Verzicht auf das Rückforderungsrecht (§ 814 Hs. 1 BGB) und ferner von der Schenkung, die auf sittlicher Pflicht oder Anstandsrücksicht beruht (§ 534 BGB). (1) Verzicht auf ein Rückforderungsrecht, § 814 Hs. 1 BGB Der rechtsgeschäftliche Rückforderungsverzicht ist ein Erlassvertrag (§ 397 BGB), dessen Gegenstand ein Rückforderungsrecht bildet. Die Erfüllungsleistung des Schuldners einer Naturalobligation kann nicht zurückgefordert werden, weil sie nicht rechtsgrundlos erfolgt ist. Es besteht mithin kein Rückforderungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB), auf welches der Leistende verzichten könnte. Die Verzichtskonstruktion ist aber auch deshalb fragwürdig, weil die Leistungs333 G. Schulze, Verträge zum Schutz gegen sich selbst, in: Mansel ua. (Hg.), FS für Erik Jayme, 2004, S. 1377, 1380 f. 334 BGH v. 17.10. 2002 NJW 2002, 3772. 335 BGH v. 2.7.1999 NJW 1999, 2892, 2893. 336 So auch das OLG Hamm v. 7.10.2002 NJW-RR 2003, 971, 974. 337 Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 63.

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handlung das Rückforderungsrecht entstehen lässt und zugleich den Verzicht hierüber zum Ausdruck brächte. Dieser Widerspruch löst sich auch durch § 814 Hs. 1 BGB nicht auf, für dessen dogmatisches Verständnis der Rückforderungsverzicht vertreten wurde338. Die rechtsgeschäftliche Deutung des § 814 Hs. 1 BGB wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt, weil es nicht darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger den Verzicht der Rückforderung erkennt und mithin auf die Beständigkeit des Leistungserwerbs vertraute 339. (2) Pflicht- und Anstandsschenkung, § 534 BGB Die freiwillige und unentgeltliche Erfüllungsleistung kann bei vereinbarter Unentgeltlichkeit als Pflicht- und Anstandsschenkung, § 534 BGB, eingestuft werden. Die sittliche Pflicht wird durch Schenkung erfüllt 340. ff) Naturalobligation: Schuldänderung oder Haftungsbeschränkung? Die Freiheit, vertragliche Rechte und Pflichten zu begründen, sie zu definieren und ihre Reichweiten festzulegen, betrifft die Ausgestaltung der Leistungspflicht. Dabei sind Einschränkungen des Schuldinhalts von Haftungsbeschränkungen zu unterscheiden341. Der gesetzlich bestimmte oder vereinbarte Schuldinhalt bildet die Tatbestands- bzw. die Schuldebene des Vertrages während die Haftungsregelungen die Rechtsfolgen für den Fall von Vertragsverstößen betreffen. Durch Änderungen des Schuldinhalts lassen sich aber bereits auf der Tatbestandsseite Haftungsrisiken beschränken. Die Beschränkung der Schuld ist eine alternative Möglichkeit, einer allzu rigiden Haftungsregelung zu entgehen 342. Auch im deutschen Recht wird dieser Weg etwa in Bezug auf die Garan338 Wissentliche Erfüllung einer Nichtschuld als rechtsgeschäftlicher Verzicht auf die Kondiktion, bzw. als Schuldanerkenntnis, Kaehler, Bereicherungsrecht und Vindikation, 1972, S. 187 f.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 184; König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985, S. 43 f. 339 Auf das Vertrauen des Leistungsempfängers kommt es nicht an, vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 68 III 1 a; Staudinger/W. Lorenz, BGB, 13. Bearb. 1999, § 814 Rn. 2 340 Vgl. dazu im einzelnen unten C. IV. 5.e) , S. 528. 341 Damit werden Schuld und Haftung klar auseinandergehalten, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 I 2 u. 5, S. 65 u. 67 ff.; Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 18; Missverständlich und daher nicht verwendet werden sollten die von Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, verwendeten und dem Deliktsrecht entlehnten Bezeichnungen „Haftungstatbestand“ und „Haftungsfolge“ (S. 3) oder „Haftungsbegründung“ und „Haftungsrealisierung“ (S. 166 f.). Ebensowenig die Definition des Haftungsbegriffs von Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 1: „Haftung ist die Pflicht zur Übernahme eines dem Rechtsgutträger zurechenbar verursachten Schadens“. 342 Hirte, Berufshaftung, 1996, S. 226, 240.

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tieabsprachen in §§ 444 Alt. 2, 639 Alt. 2 BGB eingeschlagen. Weil Zusicherungen im Sinne von unselbständigen Garantieversprechen haftungsrechtlich nicht beschränkbar sind, erfolgt eine sog. Tatbestandslösung, d.h. eine eindeutige sachlich einschränkende Beschreibung der Garantie oder der geschuldeten Beschaffenheit im Sinne von § 434 Abs. 1 BGB343. Ähnlich liegt es, wenn durch eine vertragliche Vereinbarung die Zuordnung des Vertrages zu einem bestimmten Vertragstyp gesteuert werden soll. Leitbild ist das französische Vertrags- und Haftungsrecht mit seiner im Rahmen von Art. 1147 CCfr. entwickelten Unterscheidung zwischen „obligation de résultat“ und „obligation de moyens“. Sie wird gemeinhin mit der deutschen Typenbildung in werk- und dienstvertragliche Verpflichtungen gleichgesetzt. Ist die privatautonome Typenbestimmung durch eine objektivrechtliche Qualifikation begrenzt344, so liegt in dieser Zuordnung keine Möglichkeit für eine „Haftungsbegrenzung“, sondern die Änderung des Schuldinhalts345. Heben die Parteien den Erfüllungszwang einverständlich auf und begründen damit eine Naturalobligation, so handelt es sich nicht um eine Schuldänderung, sondern um eine haftungsrechtliche Gestaltung. Die Naturalobligation unterscheidet sich von der Zivilobligation auf der Schuldebene nicht. Die Schuld bleibt unverändert346. Haftung meint das Recht des Gläubigers zum Zugriff auf den Schuldner und sein Vermögen 347 sowie den prozessual ausgestalteten Zugriff 343 PWW/D. Schmidt, BGB, 2006, § 444 Rn. 6; AnwK-BGB/Büdenbender, 2005, § 444 Rn. 22 ff.; das führt etwa beim Verkauf eines Bildes zum Kauf eines Bildes mit Expertise (ebd. Rn. 26); insgesamt krit. Graf von Westphalen, „Garantien“ bei Lieferung von Maschinen und Anlagen – Todesstoß für Haftungsbegrenzungen durch §§ 444, 639, ZIP 2002, S. 545; ders., Nach der Schuldrechtsreform: Neue Grenzen für Haftungsfreizeichnungs- und Haftungsbegrenzungsklauseln, BB 2002, S. 209. 344 Von dieser Prämisse geht etwa Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 318 aus; dagegen spricht die freie Wahl und Gestaltung eines Vertragstyps als Kennzeichen des modernen Schuldrechts. Das ist der markante Unterschied zum Sachenrecht wie auch zum römischen Obligationenrecht. Gegen jede Form der Typenbindung jenseits des zwingenden Rechts, Mayer-Maly, Wiederkehr des schuldrechtlichen Typenzwangs, in: FS für Dieter Medicus, 1999, 383, 384 f. 345 In der Sache handelt es sich nicht um eine Haftungsregelung, sondern um eine Vereinbarung (Begrenzung) bezogen auf den Schuldinhalt. Privatautonome Gestaltung und damit Auslegungsfrage ist es, ob im Vertrag das Programm der Erfüllungspflichten oder das der Erhaltungspflichten (Schutz- und Rücksichtspflichten) geändert worden ist. Dagegen ist es keine Frage des Schuldinhalts, sondern eine solche der Haftung, wenn für eine versprochene Leistung nicht primär (auf Erfüllung) gehaftet werden soll, sondern etwa nur sekundär im Wege der Geldersatzleistung auf Schadensersatz statt der Leistung. Sollte auch die Geldersatzleistung ausgeschlossen sein, so ist eine Schuld ohne Haftung gegeben. Sie ist feststellungsfähig. Welche sonstigen Rechtswirkungen ihr zukommen (Aufrechenbarkeit, Besicherbarkeit usf.) ist ebenfalls der privatautonomen Gestaltung überlassen. 346 Das hat insbesondere die Lehre von Schuld und Haftung klar herausgearbeitet, vgl. dazu oben B. I. 4. f) S. 155. 347 Haftung als prozessuale Durchsetzbarkeit der Schuld, Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 241 Rn. 18.

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C. Systematischer Teil

selbst. Sie gehören zur Rechtsfolgenebene des Vertrages. Auch in diesem Bereich herrscht im Rahmen des dispositiven Rechts Vertragsfreiheit zur Festlegung von Haftungsmaßstäben (Haftung für einfache, eigenübliche, grobe Fahrlässigkeit)348, zur Aufnahme von summarischen Höchstgrenzen (Haftungshöchstbeträge)349, zum Ausschluss bestimmter Schadensarten (etwa von Vermögensschäden, aber nicht von Körper- und Sachschäden), Schadensfolgen (etwa unmittelbare, mittelbare oder vorhersehbare Schäden) usf. Bruns spricht insoweit von der umfassenden Freiheit zur Haftungsbeschränkung durch Vertrag350. Davon ist auch die rechtsgeschäftliche Begründung einer Naturalobligation erfasst. Deutlich wird der Unterschied zwischen Schuld und Haftung ferner bei einer Haftungstrennung kraft Rechtsform. Diese gesellschaftsrechtliche institutionelle Haftungsbeschränkung lässt den Gläubigerzugriff nur auf das Vermögen der juristischen Person zu (§§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG, 13 Abs. 2 GmbHG, 2 GenG). Die Vereinbarung einer Naturalobligation steht hier neben anderen haftungsrechtlichen Individualvereinbarungen. Sie ist nur in den Grenzen des zwingenden Haftungsrechts möglich 351. Wie bereits erörtert stellt sich die Naturalobligation danach als eine Schuld ohne 348

Eine einfachgesetzliche Grenze für die rechtsgeschäftliche privatautonome Haftungsbeschränkung liegt in § 276 Abs. 3 BGB. Danach ist der vorherige Erlass der Haftung wegen Vorsatzes ausgeschlossen. Die Vorschrift bezieht sich auf vertragliche Primär- wie Sekundärpflichten oder Schutzpflichten, Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 276 Rn. 35 f. Haftungsbegrenzungen für einfache Fahrlässigkeit sind im Rahmen des § 309 Nr. 7 a BGB hinsichtlich der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit ausgeschlossen, dagegen für sonstige Schäden möglich, § 309 Nr. 7 b BGB. Der Ausschluss oder auch nur eine Begrenzung der Haftung für grobe Fahrlässigkeit des Verwenders oder für diejenige seiner gesetzlichen Vertreter und Erfüllungsgehilfen ist unzulässig. § 309 Nr. 7 b BGB wie auch die inhaltsgleiche Vorgängernorm, § 11 Nr. 7 AGBG, werden von Teilen der Literatur im wesentlichen wegen der fehlenden richterlichen Reduktionsmöglichkeit und der Ersatzpflicht für nicht vorhersehbare Schäden für verfassungswidrig gehalten. Canaris, Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Recht der Geschäftsfähigkeit und im Schadensersatzrecht, JZ 1987, 993, 1002 f.; nur in Bezug auf die fehlende Freizeichnungsmöglichkeit für das Verhalten Dritter, vgl. Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 246 ff. u. 265 ff. 349 Summenmäßige Haftungsbeschränkungen der Rechts- und Wirtschaftsberater im Bereich der Fahrlässigkeit, §§ 51 a Abs. 1 BRAO, 45 a Abs. 1 PatAO, 67 a Abs. 1 StBerG, 54 a Abs. 1 WPO. Für die Schadensersatzansprüche der Auftraggeber kann im Einzelfall die Haftung für reine Vermögensschäden bis auf den Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden (Mindesthaftbeträge). Für Rechtsanwälte, Steuerberater und Patentanwälte sind das € 250.000,- (§§ 51 Abs. 4 S. 1 BRAO; 45 Abs. 4 S. 1 PatO; 67, 158 Abs. 1 Nr. 6 StBerG, 52 Abs. 1 StBerDVO); für Wirtschaftsprüfer € 1 Mio (§§ 54 Abs. 1 S. 2 WPO, 323 Abs. 2 S. 1 HGB). Bei Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen ist eine Begrenzung auf den vierfachen Mindestversicherungsbetrag zulässig, wobei Rechts- und Patentanwälte nur die Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausschließen können, §§ 51 a Abs. 1 Nr. 2 BRAO; 45 a Abs. 1 Nr. 2 PatO, wohingegen die Wirtschaftsberater sich auch für grobe Fahrlässigkeit freizeichnen dürfen, §§ 67 a Abs. 1 Nr. 2 StBerG, 54 a Abs. 1 Nr. 2 WPO. 350 Vgl. eingehend Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 166 (argumentum a fortiori), 182. 351 Vgl. dazu unten C. V. 3., S. 581.

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Haftung dar, allerdings ohne dass die von dieser Lehre stammenden weitergehenden dogmatischen Prämissen geteilt werden müssen 352. gg) Naturalobligation und Tatsachenbindung Rechtliche Bindungswirkungen aus Tatsachen 353 kommen in den zwei Grundformen, der Tatsachenerklärung und dem Tatsachenvertrag in Betracht. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass aus einer Tatsache keine Norm folgen kann. Dieses rechtstheoretische Axiom steht aber nicht ohne weiteres auch dogmatischen Ansätzen entgegen, die durch Erklärung oder Einigung einen Tatbestand festlegen, an den rechtliche Folgen geknüpft werden354. Daneben ist zu sehen, dass Rechtsregeln, soweit es ihre räumliche, zeitliche und sachliche Geltung anbetrifft, immer auch selbst den Charakter einer Tatsache haben. Die Geltung einer Norm ist eine rechtserhebliche Tatsache, die sowohl im Hinblick auf die Rechtsfolgen und Wertentscheidungen für die Betroffenen 355 als auch für den normativen Aussagenwert als Argument und Auslegungskriterium bei der Rechtsanwendung bedeutsam sein können356. Die Naturalobligation ist eine Forderung und im Hinblick auf ihre Geltung auch Tatsache357.

352 Diese liegt in der Ausbildung eines eigenständig gedachten Haftungsverhältnisses. Siehe oben B. I. 4. f), S. 157. 353 Unter Tatsachen werden alle der äußeren Wahrnehmung zugänglichen Geschehnisse oder Zustände verstanden, aus denen das objektive Recht Rechtswirkungen herleitet, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, § 110 II. 1. 354 Ähnlich beruht auch die von Haupt begründete Lehre vom faktischen Vertrag auf einer solchen Tatbestandsfixierung. Aus sozialtypischem Verhalten wurde hier der Vertragsschluss abgeleitet, so dass die Vertragswirkungen ohne die typischen Entstehungsvoraussetzungen anerkannt werden konnten. Sie wird heute nicht mehr vertreten. Stattdessen wird auf konkludente Vertragserklärungen abgestellt, Lambrecht, Die Lehre vom faktischen Vertragsverhältnis, 1994, S. 164. Zum faktischen Arbeitsverhältnis, das an einen nichtigen Arbeitsvertrag anknüpft, vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl. 2000, § 35 Rn. 34 ff. 355 Betroffen sind sowohl die Normadressaten als auch der Rechtsstab, insbesondere also die Gerichte. Ein Beleg hierfür ist die Datum-Theorie im Internationalen Privatrecht, deren Bedeutung als örtlich geltendes Recht (local data) und als Wertentscheidung (moral data) in Erscheinung treten und ungeachtet einer abweichenden kollisionsrechtlichen Verweisung berücksichtigt werden müssen; zu ihr Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Bemerkungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, GS für Albert A. Ehrenzweig, (1976) S. 35 ff.; krit. aber den Tatsachencharakter dieser Normen anerkennend, MünchKomm/Sonnenberger, BGB, 4. Aufl. 2005, Einl. IPR Rn. 665. 356 Für den Bereich des internationalen Privatrechts ist hier auf den Terminus der „narrativen Norm“ zu verweisen, Jayme, Narrative Normen im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1993; ders., Identité culturelle et intégration: Le droit international privé postmoderne – Cours général de droit international privé, Recueil des Cours 251 (1995), S. 33 ff. 357 Hingegen werden mit ihr nicht Ge- oder Verbote aus natürlichen Tatsachen abgeleitet, wie die Prädikation „natural“ historisch mitunter verstanden wurde.

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(1) Tatsachenerklärung als Zeugnis gegen sich selbst Die Tatsachenerklärung ist als Tatsachenanerkenntnis im Zusammenhang mit Erklärungen von Unfallbeteiligten bedeutsam geworden. Sie gilt als bloße Wissenserklärung, denn der Parteiwille ist nicht auf die Schaffung einer rechtsgeschäftlichen Regelung gerichtet. Ein schuldbegründendes (kausales) Anerkenntnis scheidet damit aus. Die Erklärung des die Unfallschuld bekennenden Unfallbeteiligten wirkt prozessual entsprechend nur als Indiz im Sinne eines „Zeugnisses gegen sich selbst“358. Ein bewusst auf die Schaffung eines Beweismittels gerichteter Geständniswille ist möglich, aber nicht erforderlich, weil auch eine beiläufige Erklärung Indiz und damit Beweismittel für das Bestehen des Anspruchs darstellt359. Ebenso sollen sich aus einer vertraglichen Präambel nur Indizien für eine Tatsachenvorstellung ergeben 360 und auch die rechtliche Bedeutung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG wird im Schrifttum verbreitet als reine Tatsachenerklärung gewertet361. Das ist bereits oben als unrichtig zurückgewiesen worden 362. (2) „Tatsachenverträge“ Zu den „Tatsachenverträgen“ gehört zunächst das steuerrechtliche Institut der tatsächlichen Verständigung über Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO 1977 u. § 96 FGO)363. Fiskus und Steuerschuldner legen einverständlich die tatsächlichen Voraussetzungen der Besteuerung fest. Der Sachverhalt wird damit unstreitig gestellt und nimmt so einen partiell fiktiven sowie rechtsgeschäftlichen Charakter an. Damit wird die Steuerschuld über den Tatsachenvergleich mit358 BGH v. 10.1.1984 NJW 1984, 799 (Schuldbekenntnis an der Unfallstelle in Form einer schriftlichen Erklärung mit folgendem Wortlaut ab: „Ich erkläre mich hiermit zum allein Schuldigen. A/B.“). 359 Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, 236. Als außergerichtliches Geständnis (bewusster Geständniswille) führt das Anerkenntnis zum Neubeginn der Verjährung (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 360 BGH v. 26.5.2004 NJW-RR 2004, 1236, wonach die Präambel eines Mietvertrag, die von der Vollvermietung eines Einkaufszentrums bei Vertragsschluss ausgeht, bloß die Bedeutung hat, die Mietsituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne jegliche Garantie wiederzugeben. Ähnlich auch LG Hanau v. 27.3.2003 NJW-RR 2003, 1561, 1562, wo die Bezeichnung „Teilüberholter Motor“ beim Autokauf als reine Wissenserklärung und nicht als Haftungsübernahme gewertet wurde. 361 Hommelhoff/Schwab, Regelungsquellen und Regelungsebenen der Corporate Governance: Gesetz, Satzung, Codices, unternehmensinterne Grundsätze. In: Hommelhoff u.a. (Hg.): Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 51, 62; Borges, Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht. Zur Bindung an Corporate Governance Kodizes, ZGR 2003, 508, 536. 362 Absichtserklärung mit konsequentialistischer Selbstbindung des Erklärenden, siehe oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (ee), S. 356. 363 BFH v. 12.8.1999 NJW 2000, 2447, 2448 (Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen).

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telbar bestimmt 364. Ferner gehören Rechtsabgrenzungsvereinbarungen im gewerblichen Immaterialgüterrecht zu den Tatsachenverträgen. Mit ihnen legen etwa konkurrierende Markeninhaber die Reichweite ihrer Markenrechte fest 365. Derartige Vereinbarungen zwischen Inhabern kollidierender Zeichen sind nach nationalem und europäischem Recht zulässig366. Auch die bereits oben beschriebene „Tatbestandslösung“ zur Begrenzung von Garantiezusagen gehört hierher. Der Tatsachenvergleich gilt als Anwendungsfall des § 779 BGB. Im Arbeitsrecht wird seine Zulässigkeit diskutiert. Mit ihm verlagern die Parteien den Streit oder die Ungewissheit eines Anspruchs auf dessen tatsächliche Voraussetzungen. Der Grund für diese Vorgehensweise liegt meist in der zwingend gestalteten Rechtsfolgenregelung, die dort keine Gestaltungsspielräume zulässt. Ein solcher „Tatsachenvergleich“ kann im Ergebnis als Scheinbegründung angesehen werden 367. So soll die Festlegung in einem arbeitsrechtlichen Vergleich über die Anzahl der gearbeiteten Stunden in Wirklichkeit eine Einigung über die Frage sein, wieviel bezahlt werden muss368. Die Privatautonomie gebe den Parteien keine Macht über Tatsachen369. Tatsachenvergleiche seien in Wirklichkeit Streitigkeiten über die Rechtsfolgen. Jedoch wird man zumindest für den Prozessvergleich konzedieren müssen, dass die Dispositionsmaxime auch eine Herrschaft über Tatsachen begründet. Die inter partes festgelegte Tatsachengrundlage macht deren gerichtliche Feststellung, etwa die Höhe der Lohnzahlungspflicht, entbehrlich. Entscheidend ist bei diesen Gestaltungen, dass die Tatsachen auf eine bestimmte Rechtslage hin vereinbart werden. Damit werden die aus der Rechtslage sich ergebenden rechtlichen Folgen Vertragsinhalt.

d) Kollisionsrechtliche Behandlung der Naturalobligation Im Bereich des Kollisionsrechts kann die Frage entstehen, ob eine bestimmte Forderung eine Naturalobligation darstellt und welche rechtlichen Folgen daran geknüpft werden. Die Naturalobligation besitzt mit dem fehlenden Erfüllungszwang eine spezifische Eigenschaft, die den Forderungsbegriff370 in Zivilund Naturalobligationen aufspaltet. Die Eigenschaft Naturalobligation zu sein 364 Dannecker, Absprachen im Besteuerungs- und im Steuerstrafverfahren, in: Horn (Hg.), Recht im Pluralismus, 2003, S. 371, 384 f. verlangt aufgrund dieser mittelbaren Rechtswirkung eine gesetzliche Grundlage. 365 BGH v. 28.2.2002 NJW 2002, 3332, 3334 – Hotel Adlon. 366 Der Inhaber der jüngeren Marke nimmt wegen vorrangiger Rechte der Gegenseite Beschränkungen auf sich und erhält dafür den Verzicht auf die Durchsetzung eindeutiger oder jedenfalls möglicher Verbietungsrechte des Inhabers der älteren Rechte, Harte-Bavendamm/v. Bomhard, Abgrenzungsvereinbarungen und Gemeinschaftsmarken, GRUR 1998, 530, 531; Janoschek, Abgrenzungsvereinbarungen über Warenzeichen, 1975. 367 So MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 779 Rn. 11. 368 Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 105. 369 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2001, S. 100. 370 Definition nach der allgemeinen Regel durch die nächsthöhere Gattung und den ei-

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C. Systematischer Teil

ist nur ein Element einer rechtlichen Regelung, welches nicht eigenständig einer Kollisionsnorm zugewiesen ist. Geregelt wird hier eine sog. Teilfrage 371, die als unselbständiges Glied eines Tatbestandes der lex causae372 unterfällt. Es gibt mithin keine eigenständige kollisionsrechtliche Regelung der Naturalobligation. Die Eigenschaft Naturalobligation kann jegliche vertragliche oder gesetzliche Forderung betreffen. Sie ist weder auf bestimmte Sachbereiche beschränkt noch als ein präjudizielles Rechtsverhältnis aufzufassen. Geht es etwa um die Wirkungen eines Insolvenzbeschlages und die daraus folgende Umwandlung der Forderung in eine Naturalobligation oder unvollkommene Verbindlichkeit 373, so entscheidet über die Eigenschaft der Forderung das Recht dem die Forderung unterliegt. Die mit der Schuldrechtsmodernisierung eingefügte Titelüberschrift „Unvollkommene Verbindlichkeiten“ für Spiel und Wette ist systematisch irreführend, weil die dogmatische Differenz zwischen Vertrag und Forderung unbeachtet bleibt. Es geht bei der Naturalobligation also nicht um einen Vertragstyp. Ist die Frage, welches Recht auf einen Ehemaklervertrag anzuwenden ist, bzw. welchem Recht der Lohnanspruch des Ehemaklers unterliegt, so entscheidet das Vertragsstatut (Art. 27 ff. EGBGB)374. Auf der Abstraktionshöhe des Forderungsrechts gehört die Regelung dem allgemeinen Schuldrecht an. Die Verweisungen der allgemeinen Kollisionsnormen (Art. 7 ff. EGBGB) erfassen mit anderen Worten auch die Frage, ob eine von ihnen erfasste Forderung als Naturalobligation oder als Zivilobligation ausgestaltet ist. Die gesetzliche Anordnung einer Naturalobligation kann darüber hinaus international zwingenden Charakter besitzen. Nach Auffassung des OLG Hamm375 ist § 762 Abs. 1 BGB auch auf den Auftrag, eine Wette im Ausland abzuschließen, anzuwenden. Die Vorschrift diene der Ordnung des innerstaatlichen Soziallebens und sei daher international zwingend anzuwenden. Das gelte nicht nur für den Wettvertrag, sondern auch für Hilfsgeschäfte. Das OLG Hamm gentümlichen Unterschied (per genus proximum et differentiam specificam), Adomeit, Rechtstheorie für Studenten: Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitologie, 1998, S. 26. 371 MünchKomm/Sonnenberger, BGB, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR Rn. 548. 372 Staudinger/Sturm/Sturm, BGB, 2003, Einl zum IPR Rn. 252. 373 Linke, Zur grenzüberschreitenden Wirkung konkursbedingter Vollstreckungsbeschränkungen, insbesondere nach Art. 169 des französischen Insolvenzgesetzes vom 25.1. 1985, IPRax 2000, 8, 10. Anm. zu EuGH, 29.4.1999 – Rs C-267/97 = IPrax 2000, 18. (Naturalobligation nach französischem Recht). 374 Die Frage ist durchaus auch praktisch bedeutsam, wie die Entscheidung der französischen Cour de cassation v. 12.7.2005 zeigt, mit der aus französischer Sicht über einen Lohnanspruch einer deutschen Partnerschaftsvermittlerin zu entscheiden hatte. Der Kassationshof gelangte auf der Grundlage des Römischen Schuldvertragsübereinkommens im Ergebnis zu Anwendung französischen Rechts, vgl. Rev. crit. DIP 95 (2006) 94 mit Anm. Lagarde (95), der auf den Unterschied zwischen der deutschen und französischen Regelung verweist (ebd. 96); vgl. Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2006: Eurozentrismus ohne Kodifikationsidee? IPRax 2006, 537, 542. 375 OLG Hamm v. 29.1.1997 NJW-RR 1997, 1007, 1008.

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sah im Fehlen einer Naturalobligation im berufenen österreichischen Recht einen möglichen Verstoß gegen den deutschen ordre-public (Art. 6 EGBGB). Richtigerweise hätte es die §§ 762 f. BGB als international zwingende Eingriffsnormen im Sinne von Art. 34 EGBGB einstufen müssen.

5. Die Bestimmung im Einzelfall (zwei Grundfragen) Bei der Naturalobligation richtet sich die Missbilligung des Gesetzgebers gegen den Durchsetzungszwang, nicht auch gegen die Leistungspflicht. In den potentiellen Anwendungsfällen müssen daher zwei Fragen betreffend den Normzweck beantwortet werden. Zu fragen ist zunächst nach den Gründen für die Zuerkennung eines Rechts auf eine bestimmte Leistung und sodann nach den Gründen für die Aberkennung des Erfüllungszwanges376. Die doppelte Fragestellung ermöglicht getrennte Antworten über das Bestehen eines Recht-Pflicht-Verhältnisses einerseits und über das Fehlen der Durchsetzungsbefugnisse andererseits.

a) Die verjährte Forderung (§ 214 BGB) Mit Zeitablauf die Erzwingbarkeit ipso iure aufzuheben, nicht aber die Forderung zu zerstören ist das Ergebnis der historischen Diskussion über die starke oder die schwache Wirkung der Verjährung377. Der Gesetzgeber hat dabei aber die gemeinrechtlich umstrittene Frage378 bewusst offengelassen, ob die verjährte Forderung wie die verjährte Klage des römischen Rechts379 als Natural376

So bereits Unger, Die Naturalobligationen des österreichischen Rechts, GrünhutsZ 15 (1887/88) 371, 372 f. (Warum wird eine Naturalobligation anerkannt und aus welchen Gründen wird sie nur als Naturalobligation anerkannt?). Aufgegriffen von Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluss und Heilung nach § 1432 ABGB, Wien, 1998, S. 173 (Wesen der formnichtig erfüllbaren Schuld und Modell der Naturalobligation). Der Sache nach entspricht diese doppelte Frage auch dem Ansatz v. Savignys. Obligationes naturales im engeren spezifischen Sinne des Begriffs sind solche, die das ius gentium anerkennt, denen das ius civile die Klagbarkeit aber aus nicht einheitlich erfassbaren Gründen nimmt, vgl. dazu oben B. I. 4. a), S. 140. 377 Siehe oben im historischen Teil B. I. 4. c), S. 140 ff. und B. I. 5 a) cc) (1) S. 170 ff. sowie im systematischen Teil C. IV. 4. c) (3), S. 478 ff. (gehemmte Forderung). 378 Zu Windscheids Auffassung von der starken „zerstörlichen Einrede“ vgl. oben B. I. 4. c) S. 128 und seiner geänderten Haltung in den Beratungen zum BGB, oben B. I. 5. a) cc) (1) (a), S. 170. 379 Auch das römische Recht gibt hierzu aber kein eindeutiges Bild. Eine Naturalobligation bejaht Honsell, Naturalis obligatio. Iuris Vincula. Studi in onore di Mario Talamanca – IV. Neapel 2001, S. 365, 380 f.; ebenso Savigny, Obligationenrecht I, 1851, S. 96 ff.; dagegen verweisen Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 4 Rn. 12 f., S. 50 f. darauf, dass erst Kaiser Theodosius II. durch ein Gesetz von 424 n.Chr. eine allgemeine Verjährung einführte, die dann aber erlöschende Wirkung hatte. Zum römischen Recht siehe B. I.1. d) cc), S. 63.

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obligation einzustufen ist 380. Die Vorlage von Gebhard zur Anspruchsverjährung und auch ein Vorbeschluss der 1. Kommission sahen vor, dass die Verjährung den Anspruch erst mittelbar durch Erhebung einer Einrede aufhebe381. Dieses Votum zugunsten der starken Wirkung hob die 1. Kommission auf Anträge von Windscheid und Planck auf. Die Kommission entschied sich für die schwache Wirkung, die die Forderung erhält, ließ dabei aber offen, wie dies regelungstechnisch umzusetzen war. Man wollte die Naturalobligation, schon aufgrund der bestehenden Sprachkonvention im Vorbeschluss vom 3.10.1877 vermeiden 382, und entschied sich möglicherweise deshalb für die materiellrechtliche Einredelösung des § 214 Abs. 1 BGB383. Der Unterschied zwischen einer Schwächung der Forderung durch ein Gegenrecht des Schuldners (materiell-rechtliche Einrede) und einer von vornherein um die Zwangsbefugnisse verkürzten Naturalobligation wurde nicht herausgearbeitet. Ein solcher Unterschied besteht auch nur konstruktiv. Die Einrede wird nicht von Amts wegen berücksichtigt, sondern erst dann, wenn der Schuldner sich auf sie beruft. Die Erfüllung hängt in beiden Fällen aber von der nicht erzwingbaren Entscheidung des Schuldners zur Leistung ab. Das gilt bei der Verjährung unabhängig von der Einredeerhebung. Die erzwungene Erfüllungsleistung einer verjährten Forderung ist immer kondizierbar. aa) Fortbestand der Forderung Die mit der ersten Frage zu bestimmenden Gründe für die Zuerkennung einer Leistungsforderung liegen bei der Verjährung in den verkehrsrechtlichen Forderungen selbst384. Der gesetzliche Verjährungseintritt bringt die Forderung nicht zum Erlöschen. Das ist heute im Ausgangspunkt unstreitig. Der Bundesgerichtshof beschreibt dies wie folgt: 385 „Die Verjährung berührt nach der Konzeption des BGB den anspruchsbegründenden Tatbestand und mithin das Bestehen des Rechts des Gläubigers nicht. Ihr Eintritt verschafft vielmehr dem Schuldner ein Gegenrecht, nämlich die Befugnis, die Leistung zu 380 Motive, Bd. II, Amtliche Ausgabe 1888, S. 3 f.; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Bd. I, Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil. 1899, S. 541; siehe oben B. I. 5. a) cc) (1) S. 170. 381 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1985, S. 1001 u. 1004. 382 Siehe oben B. I. 5. a) aa) (1), S. 170. 383 Das lässt sich den Materialien nicht mit Sicherheit entnehmen. Siehe dazu näher oben B. I. 5. a) cc) (1) (a), S. 171. 384 Die Verjährung knüpft an praktisch alle vertraglichen oder gesetzlichen Forderungen an. Unverjährbar sind Ansprüche aus Forderungen nur ausnahmsweise kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung. So etwa die Ansprüche aus einem familienrechtlichen Verhältnis, die auf die Herstellung dieses Verhältnisses gerichtet sind, § 194 Abs. 2 BGB, AnwK-BGB/ Mansel/Stürner, 2005, § 194 Rn. 25 ff. 385 BGH v. 2.10.2003, NJW 2004, 164.

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verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Die Geltendmachung des Gegenrechts ist eine geschäftsähnliche Handlung des sachlichen Rechts. Sie setzt die Bekundung des Willens des Schuldners voraus, die Leistung endgültig zu verweigern und dies mit dem Ablauf der Verjährung zu begründen. Bevor dies geschehen ist, steht dem Verlangen des Gläubigers nichts entgegen. Im Rechtsstreit hat deshalb Versäumnisurteil zu ergehen, auch wenn der Kläger die verjährungsbegründenden Umstände selbst vorgetragen hat.

Entsprechend liegt der Zweck der Verjährungsregelung nicht in der Leistungsbefreiung. Der Schuldner soll verpflichtet bleiben, aber nicht mehr gezwungen werden können 386: „Aufgabe der Verjährung ist es nicht, an sich begründete Forderungen aufzuheben, sondern behauptete, in Wirklichkeit aber nicht oder nicht mehr bestehende Ansprüche abzuwehren. Die Verjährung dient nicht dazu, einen wirklichen Schuldner von der Leistung zu befreien, sondern ihn vor unbegründeten, unbekannten oder unerwarteten Ansprüchen zu schützen.“

Damit folgt der BGH im Kern auch den Motiven des BGB-Gesetzgebers. So liege der Schwerpunkt der Verjährung nicht darin, so heißt es dort, dass dem Berechtigten sein gutes Recht entzogen, sondern darin, dass dem Verpflichteten ein Schutzmittel gegeben werde, gegen voraussichtlich unbegründete Ansprüche ohne ein Eingehen auf die Sache sich zu verteidigen387. Der Zeitablauf ändert das Recht-Pflicht-Verhältnis von Gläubiger und Schuldner also nicht, rechtfertigt aber die abnehmende Schutzwürdigkeit des Gläubigers. Beide bleiben weiter berechtigt und verpflichtet. Ferner ermöglicht der Fortbestand der Forderung eine dogmatisch klare Abgrenzung gegenüber der Befristung, die zum Erlöschen führt388. bb) Schwächung der Forderung Die Forderung ist geschwächt, weil der Schuldner das Gläubigerverlangen aufgrund der Einredeposition zurückweisen kann (§ 214 Abs. 1 BGB: „…ist … berechtigt, … zu verweigern“.)389. Die Einrede sichert die Freiwilligkeit der Schuldnerleistung und schwächt die Rechtsposition des Gläubigers. Aufrechnungs- und Zurückbehaltungslagen können nicht mehr entstehen. Sind sie bereits in unverjährter Zeit entstanden, so besaß der Gläubiger im Zeitpunkt des

386 BGH v. 20.4.1993 BGHZ 122, 241, 244; zu den Gründen des BGB-Gesetzgebers vgl. HKK/Herrmann, BGB, 2003, §§ 194–225 Rn. 14. 387 Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Bd. I, Einführungsgesetz und Allgemeiner Teil. 1899, S. 512. 388 Das hebt Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung, Verwirkung, 2006, S. 470 zutreffend hervor. 389 Das übersieht die Lehre, wenn sie allein davon ausgeht, dass die Forderung bis zur Einredeerhebung ohne Zweifel klagbar und vollstreckbar sei. So etwa Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964) 161, 218.

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Verjährungseintritts eine Rechtsposition, die ihm aufgrund des Zeitablaufs nicht wieder genommen werden soll. Die verjährte Forderung ist zur Aufrechnung, zur Zurückbehaltung oder als Grundlage für die Einrede des nichterfüllten Vertrages auch weiterhin geeignet 390. Der Gläubiger hat nur die einseitige Durchsetzungsmacht verloren. Die Einredeposition ist entstanden § 214 Abs. 1 BGB und Aufrechnungslagen, Zurückbehaltungsrechte sowie Einreden des nichterfüllten Vertrages können nicht mehr entstehen, § 215 BGB. Die Leistungsklage ist zu einer verdeckten Feststellungklage verwandelt, denn ihr Ausgang hängt de jure von dem Willen des Schuldners ab, der durch Erhebung der Einrede sich jederzeit der gerichtlichen Klärung entziehen kann. Erfüllt der Schuldner die verjährte Forderung, so erfüllt er stets freiwillig. Leistet er in Unkenntnis der Verjährung, so beseitigt dies nicht die Freiwilligkeit seiner Leistung. Der Rechtsirrtum über das eigene Einrederecht spielt nach § 214 Abs. 2 BGB keine Rolle. Die Erfüllungsleistung kann nicht kondiziert werden. Solange die Vollstreckung schwebt, kann der Schuldner die Verjährungseinrede noch im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen (§ 767 ZPO). Danach steht dem Schuldner ohne eine zeitliche Begrenzung die Rückforderung der erzwungenen Erfüllungsleistung offen. Jede erzwungene Leistung unterliegt der Rückabwicklung aus § 813 Abs. 1 S. 1 BGB. Rechtsbeständig wird die Leistung auf eine verjährte Schuld nur unter der Bedingung einer freiwilligen Schuldnerleistung (§§ 214 Abs. 2, 813 Abs. 1 S. 2 BGB). Der BGH hat die Rückzahlungspflicht nicht auf ausvollstreckte Forderungen beschränkt, sondern für weitere Fallgestaltungen anerkannt. Zunächst für verjährte Zinsforderungen, die die Gläubigerin vom Erlös aus der Verwertung von Sicherheiten abgezogen hatte:391 „… die Bestimmung [§ 222 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. = § 214 Abs. 2 S. 1 BGB] … gilt jedoch nur, wenn der Schuldner die Leistung freiwillig erbracht hat; ist wegen einer verjährten Forderung vollstreckt worden, so steht dem Schuldner ein Rückforderungsanspruch zu (…). … ; trotzdem und gerade danach kann der Schuldner noch aus seinem materiellen Recht [= Verjährungseinrede] vorgehen (Lippmann, DJZ 1906, 1256). Den Kl. steht daher ein uneingeschränkter Bereicherungsanspruch zu, soweit die Beklagten ohne Mitwirkung der Kl. Sicherheiten verwertet und den Erlös auf Zinsansprüche verrechnet hat, die bereits verjährt waren.

Ferner bejaht der BGH in derselben Entscheidung die Rückforderung von Zahlungen, die zur Abwendung der Zwangsversteigerung erbracht wurden.

390 Für die verjährte Forderung Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 214 Rn. 5; für die Einrede des nichterfüllten Vertrages noch zu § 390 S. 2 BGB a.F., BGH v. 19.5.2006 NJW 2006. 2773, 2774. 391 BGH v. 5.10.1993 NJW 1993, 3318, 3320.

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„Ebenso zu behandeln ist schließlich auch die Ablösungszahlung …, um die Zwangsversteigerung des Privathausgrundstückes zu vermeiden. Auch bei einer auf diese Weise erzwungenen Leistung ist der Schuldner zur Rückforderung berechtigt (…). Diese Auffassung wird zwar im Schrifttum teilweise in Frage gestellt, jedoch ohne überzeugende Begründung (…). Hat der Schuldner eine Zahlung nur unter dem Druck erbracht, andernfalls im Wege der Zwangsvollstreckung schwerwiegende Verluste erleiden zu müssen – hier ging es um das von den Kl. selbst bewohnte Hausgrundstück –, so muss es bei der Regel des § 813 Abs. 1 S. 1 bleiben. Eine Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 222 Abs. 2 BGB ist nur bei freiwilligen Leistungen gerechtfertigt.“

Der Bundesgerichtshof hat das Freiwilligkeitserfordernis im Anschluss an Lippmann aufgestellt392. Dieser hatte dem Reichsgericht in einer Urteilsanmerkung darin zugestimmt, dass mit der Hingabe des Geldes an den Gerichtsvollzieher zur Abwehr der Pfändung keine freiwillige und den verjährten Anspruch tilgende Zahlung vorliege, der Schuldner also unter Hinweis auf die Verjährung die Leistung kondizieren könne393. Lippmann begründete seine Auffassung aber nicht unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Freiwilligkeit, sondern mit dem Schutz des Einrederechts. Dem Schuldner fehle im Falle der Vollstreckung in das bewegliche Vermögen die Möglichkeit, die Vollstreckungsabwehrklage zu erheben und die Einrede geltend zu machen 394. Lippmann hatte damit nur die Vollstreckungsart und die Vollstreckungsphase im Blick. Der BGH generalisiert den Gedanken der Freiwilligkeit und macht aus ihm eine materielle Voraussetzung für das Behaltensrecht an der Tilgungsleistung bei Leistungen nach dem gesetzlichen Verjährungseintritt. Das OLG Hamm hat das Freiwilligkeitserfordernis weiter auf die Bürgenschuld erstreckt. Es gestattete dem auf erstes Anfordern zahlenden Bürgen die Rückforderung beim Gläubiger, sofern der Bürge nur unter dem Vorbehalt geleistet hat, die Hauptschuld sei nicht verjährt. Eine solche Zahlung sei nicht freiwillig und unterliege daher der Rückforderung 395 Für den Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB ist zu fordern, daß der Bürge vor oder bei Zahlung die Verjährung der gesicherten Forderung geltend macht und nur unter Vorbehalt gezahlt hat (also unfreiwillig; vgl. zu ähnlicher Problematik BGH NJW 1993, 3318, 3320). Das ist hier der Fall. §§ 813 Abs. 1 S. 2, 220 Abs. 2 BGB ist in diesem Fall stillschweigend ausgeschlossen.

392 Lippmann, Findet § 222 Abs. 2 BGB Anwendung, wenn ein nach Erlaß des Vollstrekkungstitels verjährter Anspruch zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet wurde? DJZ 1906, 1256 -1257. 393 RG v. 28.5.1906, JW 1906 Nr. 38, S. 476; dagegen hatte Dernburg vertreten, dass die Zahlung an den Gerichtsvollzieher noch als freiwillig und damit als erfüllungstauglich angesehen werden könne. Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. II, 2, 1897, § 376. III Anm. 3. 394 Ebenda, S. 1257. 395 OLG Hamm v. 31.4.1994, NJW-RR 1994, 1073, 1074 (Bürgschaft auf erstes Anfordern).

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Die schuldbefreiende Erfüllung der verjährten Hauptforderung steht damit unter einem Freiwilligkeitserfordernis, das sich auch der akzessorischen Forderung gegen den Bürgen mitteilt (§ 767 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Bürge kann bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die Verjährungseinrede des Hauptschuldners nach § 768 Abs. 1 S. 1 BGB erst im Rückforderungsprozess geltend machen, sofern die Verjährung bestritten ist 396. Leistet er – wie im Fall des OLG Hamm – unter Vorbehalt, so bleibt ihm die Einrede entgegen § 214 Abs. 2 BGB erhalten. Die verjährte Forderung darf damit im Ergebnis nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Der Rechtszwang ist zwar nicht ipso iure verboten, aber der Schuldner kann durch seine Einredeerhebung der Leistungsklage den Klagegrund nehmen, er kann die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil abwenden und er kann mit der Bereicherungsklage sein Einrederecht noch post festum geltend machen und so die erzwungene Leistung nachträglich zurückholen. Hat der Schuldner die Verjährungseinrede trotz Kenntnis nicht erhoben, kann dem Rückforderungsverlangen § 814 Hs. 1 BGB entgegenstehen. Dieser auch historisch abgesicherten Rechtsprechung ist die Literatur einhellig gefolgt397. Die Entkräftung einer Forderung durch Aberkennung der Zwangsbefugnisse steht einer Entkräftung durch eine materiell-rechtliche Einrede gleich. Leistet der Schuldner in Unkenntnis der fehlenden Erzwingbarkeit, so bleibt die Rückforderung ebenso wie nach § 214 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich ausgeschlossen (§§ 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 814 Hs. 2 BGB). Nur die erzwungene Leistung ist rückforderbar. Mit dem Ablauf der Verjährungsfrist wandelt sich das Gläubigerrecht zwar noch nicht ipso iure in ein bloßes Behaltensrecht für die Gleichwohlleistung um. Die fortbestehende Forderung ist aber geschwächt und damit im Sinne einer Naturalobligation verändert. Das Behaltensrecht des Gläubigers hängt nun von der freiwilligen Leistung des Schuldners ab.

396 Die Verlagerung der Akzessorietät in den Rückforderungsprozess ist das Kennzeichen und erst die Legitimation für die Zulässigkeit einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, vgl. Kupisch, Bona fides und Bürgschaft auf erstes Anfordern, WM 2002, 1626 f. 397 Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 214 Rn. 5; Prütting/Wegen/Weinrich/ Kessler, BGB, 2006, § 214 Rn. 3; AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 214 Rn. 7; Erman/ Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl. 2004, § 214 Rn. 1; Staudinger/Peters, BGB, 2003, § 214 Rn. 35; Bamberger/Roth/W. Henrich, BGB, 2003, § 214 Rn. 3; MünchKomm/Grothe, BGB, 4. Aufl. 2001, § 222 Rn. 5; wohl auch Hk-BGB/Dörner, 2007, § 214 Rn. 4; Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 214 Rn. 1.

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cc) Verzicht und Fallenlassen der Einrede Der Schuldner kann auf sein Einrederecht vor oder nach dem gesetzlichen Eintritt der Verjährung rechtsgeschäftlich mit der Folge verzichten398, dass die Forderung weiter durchsetzbar ist. Jedoch führt das bloße Fallenlassen der Einrede noch nicht zum Verlust der Einrede399. Der Schuldner kann die Verjährung jederzeit wieder geltend machen. Die gesetzlichen Verjährungswirkungen (§§ 215 ff. BGB) bleiben in Kraft. Die bei bloßem Fallenlassen der Einrede fortbestehende Rechtsmacht des Schuldners lässt sich schlüssig nur über die Annahme einer Naturalobligation erklären. Der Schuldner steht mit dem Fallenlassen einerseits wieder unter der Leistungspflicht und kann dennoch andererseits nicht zur Erfüllung gezwungen werden. Er darf die Einrede jederzeit wieder erheben. Eine aktionenrechtliche Sicht müsste annehmen, dass die Forderung auch wieder zwangsweise durchgesetzt werden kann, solange der Schuldner die Verjährungseinrede nicht erneut erhebt. Die Zwangsmacht hängt damit gleichsam von dem Bedrohten selbst ab. Darin liegt ein performativer Widerspruch. Hinzu kommt, dass die Ausübung des Gegenrechts eingeschränkt werden kann, wenn der Schuldner dabei gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB) 400. Die mögliche Treuwidrigkeit folgt hier aus der fortbestehenden Treuepflicht des Schuldners zur Erfüllung. Der Schuldner kann ferner umgekehrt gehalten sein, die Verjährungseinrede zu erheben, um damit seiner Schadensminderungsobliegenheit gegenüber einem Dritten zu genügen, § 254 Abs. 2 S. 1 Var. 3 BGB401. Das lässt sich in einer aktionenrechtlichen Sicht nicht einfach begründen402. 398 Der Verjährungsverzicht ist sowohl vor als auch nach dem Verjährungseintritt zulässig; vgl. AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 202 Rn. 43 ff.; str. ob einseitig oder durch vertraglichen Verzicht, Staudinger/Peters, 2003, § 202 Rn. 5 (nur vertraglich möglich); auch einseitigen Verzicht bejahen etwa Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 202 Rn. 7; OLG Brandenburg v. 16.2.2005, NJW-RR 2005, 871, 872. 399 In Anlehnung an Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. Zürich 1988, § 6 Sanktionslose (unvollkommene) Obligationen, S. 30 (zum prekaristischen Anspruchsverzicht) kann man hier von einen prekaristischen Einredeverzicht sprechen. Der rechtssausübende dauerhaft einen Zustand beschreibende Wille des Schuldners wird aufgehoben. Der Schuldner kann sich aber jederzeit erneut der Gläubigerforderung entgegenstellen und die Leistung verweigern. Auch die Einwilligung stellt einen solchen Ausübungsverzicht dar, ohne das Recht aufzugeben. 400 Die facultas des Schuldners wird aufgehoben und die zwangsweise Durchsetzbarkeit dadurch wieder hergestellt. Im Ergebnis verneint für verjährte Lohnforderungen aus NSZwangsarbeit OLG Stuttgart v. 20.6.2000, NJW 2000, 2680, 2683. 401 So LG Würzburg v. 14.05.97 NJW 1997, 2606; eine Obliegenheit verneint Protzen, Nichterheben der Verjährungseinrede gegenüber Drittem als Obliegenheitsverletzung? NJW 1998, 1920, 1921; bejahend Schnabel, Nichterhebung der Verjährungseinrede als Mitverschulden, NJW 2000, 3191, 3192. 402 Der Schuldner kann auch in diesem Fall über die Ausübung des Einrederechts frei entscheiden. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Erfüllung einer verweigerbaren Leistungspflicht auf Kosten eines Dritten gehen darf. Durfte der Schädiger (Dritter) die scha-

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dd) Rechtslage nach Einredeerhebung Im Schrifttum werden die Rechtslagen vor und nach Einredeerhebung oft nicht unterschieden403. Das OLG Düsseldorf 404 vertritt die Auffassung, dass erst mit Erhebung der Verjährungseinrede eine Naturalobligation entsteht: Die einmal materiellrechtlich wirksam erhobene Einrede der Verjährung gestaltet das Anspruchsverhältnis um, und es entsteht eine „unvollkommene Verbindlichkeit“, deren Erfüllung zwangsweise nicht mehr durchsetzbar ist. Eine Wiederholung … im Prozeß ist nicht erforderlich.

Die Einredeerhebung soll danach die Umwandlung von einer Zivil- in eine Naturalobligation bewirken. Das ist nicht überzeugend. Die erhobene Einrede beseitigt nicht bloß den Erfüllungszwang. Die Zwangsmacht ist schon mit der Entstehung des Einrederechts entfallen. Die Erhebung nimmt aber dem Gläubiger auch die Einforderungsbefugnis und beseitigt damit die Leistungspflicht des Schuldners. Der Schuldner steht nach der Einredeerhebung nicht mehr unter dem Leistungsgebot aus der Forderung. Die Forderung ist gehemmt. Nur die Erfüllbarkeit und das Behaltensrecht des Gläubigers bleiben bestehen405. Eine normative Gesamtbetrachtung von Forderungs- und Einrederecht lässt es nicht zu, dass der Gläubiger auch nach der Einredeerhebung noch eine Anspruchposition behält. Der Schuldner macht von seinem Verweigerungsrecht Gebrauch, weshalb dem Gläubiger nicht zugleich ein aktives Forderungsrecht zustehen kann. Die normative Wirkung der erhobenen Einrede hebt die normative Wirkung des Forderungsrechts auf. Die Verjährungseinrede ist – wie Herbert Roth feststellt – der Modellfall einer Einrede, die auf das Anspruchselement des Rechtsbehelfs zielt, densmindernde Einredeerhebung des Schuldners erwarten, so spricht nichts dagegen, den Geschädigten die Kosten der Pflichterfüllung unter dem Gesichtspunkt des § 254 Abs. 2 S. 1 Var. 3 BGB tragen zu lassen. Zutr. Schnabel, Nichterhebung der Verjährungseinrede als Mitverschulden, NJW 2000, 3191, 3192: Wer um der Ehre Willen die Forderung begleichen möchte, möge das auf eigene Kosten und nicht auf die eines anderen tun. Im Übrigen „darf“ die Ehrenschuld ja bezahlt werden. 403 Keine Unterscheidung insoweit Staudinger/Peters, BGB, 13. Bearb. 2003, § 194 Rn. 10 (Naturalobligation als Verbindlichkeit minderen Rechts) und § 214 Rn. 34; MünchKomm/ Grothe, BGB, 4. Aufl. 2001, § 222 Rn. 1. Auf die Einredeerhebung stellen dagegen ab Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, § 6 , S. 70 mit Hinweis auf Art 142 OR wonach die Verjährung vom Richter nicht von Amts wegen berücksichtigt werden darf; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 15. Aufl. 1960, § 227 Fn. 16; Staudinger/Dilcher, 12. Bearb. § 222 Rn. 2 (unvollkommener Anspruch); dagegen spricht sich Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit 1905, S. 221, für den gesetzlichen Verjährungseintritt aus. 404 OLG Düsseldorf v. 5.2.1991, NJW 1991, 2089, 2090. 405 Da die Begriffe Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit verbreitet für einen solchen materiell-rechtlichen „Torso“ (Stech) verwendet werden, ist die Bezeichnung zutreffend. Meines Erachtens sollte die Naturalobligation als Forderung eigenständig erfasst und von den „Torsi“ wie der betagten oder der gehemmten Forderung getrennt werden. Siehe zur Abgrenzung oben C. IV. 4. c) aa) (1) und (3) S. 476 u. 478.

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während die Rechtsposition erhalten bleibt406. Sie führt zum Verlust der Einforderungsbefugnis und damit zum vollständigen Anspruchsverlust des Gläubigers. Dieser Verlust erfasst auch den Anspruch aus der durch Zeitablauf entstandenen Naturalobligation. Die Verjährungseinrede besitzt damit in zweifacher Hinsicht normative Wirkung. Mit ihrer Entstehung bei Verjährungseintritt wandelt sie die Zivil- in eine Naturalobligation um. Mit der Erhebung der Einrede gestaltet der Schuldner die Forderung in eine gehemmte Forderung um.

b) Ehevermittlung (§ 656 BGB) Die Gründe für die Zuerkennung einer Leistungsforderung liegen bei der Ehevermittlung in der verkehrsrechtlichen Anerkennung der geschlossenen Verträge. Sie wurden vom historischen Gesetzgeber zwar als anstößig, aber doch nicht als sittenwidrig eingestuft. Dogmatisch betrachtet ging der Gesetzgeber bei der Ehevermittlung weder von einer nur prozessualen Unklagbarkeit407 noch etwa von Verträgen ohne eine primäre Leistungspflicht des Auftraggebers aus408. Die Lohnforderung des Ehemaklers bleibt vielmehr als eine Forderung gegen den Kunden anerkannt, die nicht durchsetzbar ist409. Daraus ergibt sich je nach Vertragsgestaltung ein den Auftraggeber einseitig verpflichtender Vertrag (Maklervertrag) oder ein gegenseitig bindender Vertrag mit obligatorischer Leistungspflicht auch für den Ehemakler (Dienst- oder Werkvertrag). aa) Lohnforderung statt bloßem Erwerbsgrund Die Annahme, dem Ehemakler würde nur ein Erwerbsgrund zuerkannt, ist nicht überzeugend. Der Lohn wäre danach die bloß tolerierte Leistung auf der Grundlage eines nicht gebilligten Leistungsprogramms410. Eine solche abwertende Zurücksetzung wird man für die Ehe- und Partnervermittlung nicht an406

H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, 46. Die mangelnde „Klagbarkeit“ der Lohnforderung führt daher zur Abweisung der Klage als unbegründet, nicht als unzulässig. BGH v. 4.3.2004 NJW-RR 2004, 778, 780 (Klagbarkeit ist materiell-rechtliche Frage. Ihr Fehlen führt daher zur Sachabweisung als unbegründet). Daraus lässt sich aber noch nicht notwendig auf die Anerkennung als Naturalobligation schließen, weil auch bei Annahme einer fehlenden Forderung eine Sachabweisung erfolgen muss. So Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 12, dagegen zutreffend MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., 2005, § 656 Rn. 1. 408 Dieser Vertragstyp ist auch heute noch nicht systematisch ausgearbeitet, wenngleich § 311 a Abs. 1 BGB zu ihm führt, Erman/Kindl, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 a Rn. 5 mN. zu den Materialien und Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 506; näher oben C. IV. 1. c) aa) (1) S. 439. 409 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 89 Rn. 1291 (Ehemaklerlohn ist eine Naturalobligation); Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 656 Rn. 2 (nur eine Naturalobligation); PWW/Wirth, BGB, 2006, § 656 Rn. 4 (nicht einklagbare Naturalobligation). 410 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 IV 1, S. 98. 407

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nehmen können. Die sittliche Missbilligung als ratio des § 656 BGB ist überholt411. Ferner überzeugt die dogmatische Konstruktion eines bloßen Erwerbsgrundes nicht412. Der Erwerbsgrund als strukturloses Behaltensrecht ist nicht operational. Rechtsprechung und Lehre benötigen jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen eine Forderungsstruktur, um die aufgeworfenen Rechtsfragen sachgerecht lösen zu können. Anknüpfungsgegenstand für die rechtliche Behandlung ist das Zahlungsversprechen des heiratswilligen Kunden und dessen daraus folgende Leistungspflicht. Entsprechend wird die Abtretbarkeit der Lohnforderung des Ehemaklers allgemein bejaht, was funktional eine Forderung voraussetzt413. § 656 BGB soll ferner auf das zur Finanzierung der Anbahnung verbundene Darlehensgeschäft erstreckt werden414. Eine insoweit hergestellte Akzessorietät legt eine entsprechend geschwächte Forderung als Bezugsgegenstand nahe. In den von § 656 BGB ebenfalls erfassten Verträgen mit dienstvertraglicher Komponente (Ehemaklerdienstvertrag) 415 anerkennen Rechtsprechung und Lehre die Entfaltung einer entgeltlichen pflichtgebundenen Vermittlungsleistung416. Die synallagmatische Verknüpfung spricht für die Forderungsstruktur der Entgeltleistung. § 656 BGB findet nach überwiegender Auffassung entsprechende Anwendung auf Partnerschaftsvermittlungen (Part nerschaftsvermittlungsdienstvertrag)417. Aber nicht nur die Lohnforderung des Vermittlers, sondern auch die Dienstforderung des Kunden wird hier als eine nicht durchsetzbare (naturale) Forderung angesehen418. Die gesetzliche Rege411

Vgl. statt aller Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 1. Etwa Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 656 Rn. 2a. 413 MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., 2005, § 656 Rn. 1 (der Schuldner kann gegenüber dem Zessionar die fehlende Durchsetzbarkeit gem. § 404 BGB einwenden, so dass die Durchsetzungsschwäche erhalten bleibt). Der Zessionar erwirbt aber die erfüllbare Forderung. 414 Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 656 Rn. 4/5. 415 Dabei kann die Erfolgsabhängigkeit des Lohnanspruches wie regelmäßig ganz entfallen oder als untergeordneter Punkt, etwa als Erfolgsprämie, zu den Dienstvergütungen hinzukommen. Aber auch andere Gestaltungen kommen vor. So etwa im Fall des LG Hamburg ZMR 2006, 866. Hier war eine unentgeltliche Vertragsfortsetzung bis zum Erfolg vereinbart; zu Recht krit. Wichert, Schlechterfüllung bei der Partnerschaftsvermittlung, ZMR 2007, 241, 244 f. mit einem Überblick über die Typen der Vertragsgestaltung (ebd. S. 242 f.). 416 Sog. Eheanbahnungsverträge, Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 3 f. 417 So hat der BGH v. 4.3.2004 NJW-RR 2004, 778 ff. die „Freizeitkontakt“-Vermittlung als Partnerschaftsanbahnungsvertrag angesehen. Das OLG Frankfurt v. 11.12.1983 NJW 1984, 180 f. lehnte dagegen die Anwendung des § 656 BGB auf den bloßen Freizeittreff ab. Eine analoge Anwendung auf Partnerschaftsvermittlungsdienstverträge lehnt auch das OLG Koblenz v. 17.10.2003, NJW-RR 2004, 268, 269 ab. Hier ging es um das Honorar für Partnerschaftsvermittlung bei hochkarätiger Klientel – VIP. Für eine entsprechende Anwendung spricht sich die herrschende Meinung im Schrifftum aus, etwa Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 656 Rn. 1 a u. 6; Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 4; Hk-BGB/Ebert, 2005, § 656 Rn. 2; PWW/Wirth, BGB, 2006, § 656 Rn. 2; a.A.: AnwK-BGB/Wichert, 2005, § 656 Rn. 15. 418 BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 313; BGH v. 4.12.1985 NJW 1986, 927, 928; zust. 412

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lung gibt das nicht (ohne weiteres) vor419. Im Falle eines reinen Maklervertrages schuldet der Ehemakler keine Tätigkeit420. Die Anerkennung einseitiger oder gegenseitiger Forderungen bei Eheanbahnung und Partnerschaftsvermittlung folgt aus der einhellig geteilten Vorstellung, dass der Vermittler unter dem Gesichtspunkt der Nichtleistung zur Rückzahlung des im Voraus entrichteten Lohnes oder zum Schadensersatz verpflichtet sein kann. Auch eine Haftung wegen positiver Forderungsverletzung wird weithin bejaht. Diese Einstandspflicht betrifft nicht lediglich die Verletzung von Neben-, Schutz- oder Sorgfaltspflichten, die auch im rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnis durch §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB erfasst würden421, sondern auch Folgeschäden aus einer Schlechtleistung. So hat der Bundesgerichtshof der Kundin eines Ehemaklers Schadensersatz für einen verlorenen Kredit zuerkannt, den diese einem ihr vermittelten, aber einschlägig vorbestraften und daher ungeeigneten Heiratskandidaten gewährt hatte422. Das OLG Koblenz423 stufte ungeeignete Partnervorschläge als Schlechtleistung ein, die einer nachträglichen Unmöglichkeit der Leistung gleichstünden. Die Beklagte hatte sich verpflichtet, im Abgleich mit dem von ihr erstellten Partnerdepot „eine höchstmögliche Übereinstimmung der Partnerwünsche zu gewährleisten“. Der Kläger erhielt das im Voraus geleistete Honorar zurück, weil bei sämtlichen Partnervorschlägen nicht zu sehen sei, dass sie auch nur entfernt dem Anforderungsprofil des Klägers entsprachen. Es sei von einer der völligen Nichtleistung gleichstehenden Schlechterfüllung auszugehen. In einer weiteren Entscheidung präzisierte das OLG Koblenz424 die beachtliche Schlechtleistung dahin, dass die Leistungen des Partnerschaftsvermittlers für den Kunden in einer ohne Berührung der Persönlichkeitssphäre Dritter aufklärbaren Weise völlig wertlos gewesen sein Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 656 Rn. 5; abl. AnwK-BGB/Wichert, 2005, § 656 Rn. 10. 419 Der historische Gesetzgeber habe allein deshalb nur das einseitige, erfolgsabhängige Vergütungsversprechen im Auge gehabt, weil diese Form der Eheanbahnung im Rechtsleben noch nicht in Erscheinung getreten sei, so die Argumentation des BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 313. Die Dienstverpflichtung bliebe in jedem Falle nicht vollstreckbar (§ 888 Abs. 3 Alt. 3 BGB). Zu den Gesetzesmaterialien bereits oben B. I. 5. a) cc) (2) S. 173. 420 Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 652 Rn. 3 (einseitig nur den Auftraggeber verpflichtender Vertrag eigener Art). 421 Im Rahmen eines Vertrages folgt die Haftung aus §§ 280 Abs. 1 u. 3, 282, 241 Abs. 2 BGB. 422 BGH v. 8.7.1957 BGHZ 25, 124, 126 (negatives Interesse aus einer Schlechtleistung). Aber kein Schadensersatz wegen Nichterfüllung, der mit der Anerkennung einer Naturalobligation auch nicht zu vereinbaren gewesen wäre; bestätigt von BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 313; ebenso OLG Stuttgart NJW-RR 1986, 605 (Heiratsschwindler). Dagegen sieht Roth hier nur eine Haftung wegen einer Schutzpflichtverletzung. Die Vermittlung eines ungeeigneten Heiratskandidaten dürfte im Rahmen einer Heiratsvermittlung als Verletzung der Hauptleistungspflicht einzustufen sein. 423 OLG Koblenz, v. 3.1.2006 NJW-RR 2006, 419, 420. 424 OLG Koblenz v. 18.12.2006 NJW-RR 2007, 769.

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müsse. In diesem Falle kann das geleistete Honorar zurückgefordert werden. Nicht- und Schlechtleistung setzen Forderungen voraus, die mit der Lohnforderung im Gegenseitigkeitsverhältnis verknüpft sind (§§ 323 ff. BGB). Auch hier drängt es sich auf, die Lohnforderung des Vermittlers systemkonform als Forderung und nicht bloß als strukturlosen Erwerbsgrund einzustufen. Ehemaklerdienstverträge können ferner wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig sein (§ 138 Abs. 1 BGB)425. Auch soll die Forderung aus einem Vergleich über einen Lohnanspruch nach § 656 Abs. 1 S. 1 undurchsetzbar sein426. An der Forderungseigenschaft der von § 656 miterfassten Vergleichsforderung dürfte kaum zu zweifeln sein. Liegt eine dienstvertragliche Verpflichtung vor, kann der Vertrag über die Ehevermittlung vorzeitig nach §§ 626 – 628 BGB gekündigt werden427. Die Kündigung wandelt den Vertrag in ein vertragliches oder bereicherungsrechtliches Rückabwicklungsverhältnis um (§ 628 Abs. 1 S. 3 BGB). Der Makler darf hier entsprechend der von ihm erbrachten Leistungen pro rata temporis einen meist als Vorschuss erhaltenen Vergütungsanteil behalten, während er das überschüssige Honorar zurückzahlen muss428. Der Vergütungsteil richtet sich nach dem vereinbarten und davon erbrachten Leistungsumfang. Mit einem solchen Teilvergütungsrecht läßt sich ein bloßer Erwerbsgrund und eine Missbilligung des Leistungsprogramms nicht vereinbaren. Allgemeine Geschäftsbedingungen von Ehemaklern unterliegen dem AGB-Recht. Sie dürfen insbesondere eine verbindliche Abrede über die Vorschussleistung und die Vorleistungspflicht des Kunden enthalten429 oder eine Angemessenheitskontrolle über Vergütung und Aufwendungsersatz bei vorzeitiger Kündigung (§ 308 Nr. 7 BGB) 430 vorsehen. Die Vereinbarung der Zahlung per Lastschrifteinzug ist zulässig431 und die Vorauskasse soll die anderenfalls nicht durchsetzbare Gegenforderung auf Erbringung der Dienste 425 BGH v. 25.5.1983, BGHZ 87, 309, 314 ff., der darum auch ausdrücklich einen wirksamen Vertrag voraussetzt und die Entstehung einer Naturalobligation bejaht (ebd. S. 314). 426 Gehört zu den verbotenen Umgehungsgeschäften des § 656 Abs. 2 BGB, AG Düsseldorf v. 29.3.2000 NJW-RR 2001, 913; zust. Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 15. 427 Das Kündigungsrecht kann durch Allgemeine Vertragsbedingungen nicht ausgeschlossen werden, BGH v. 1.2.1989, BGHZ 106, 341, 346. 428 Dem steht § 656 Abs. 1 S. 2 BGB nicht entgegen, BGH v. 19.5.2005 NJW 2005, 2543. Geschuldet werden Dienste höherer Art im Sinne von § 627 Abs. 1 BGB. Die Teilvergütungspflicht ergibt sich aus § 628 Abs. 1 BGB und umfasst auch sog. Allgemein- und Anlaufkosten des Dienstleisters, BGH v. 29.5.1991 NJW 1991, 2763, 2764; vgl. dazu Dehner, Die Entwicklung des Maklerrechts seit 1992, NJW 1993, 3226, 2342 ff. 429 BGH v. 4.12.1985 NJW 1986, 927, 928. Die Tätigkeitspflicht des Eheanbahners ist nicht durchsetzbar, weshalb eine vereinbarte Vorleistungspflicht den Kunden nicht benachteilige. 430 BGH v. 29.5.1991 NJW 1991, 2763, 2764 (zu der entsprechenden Vorgängernorm, § 10 Nr. 7 AGBG). 431 OLG Nürnberg v. 15.4.1995 NJW-RR 1995, 1144.

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klagbar werden lassen432. All dies passt nicht zu der Annahme bei der Lohnforderung handele es sich dogmatisch nur um einen Erwerbsgrund. Ebenso setzt die Erfüllbarkeit der Lohnforderung durch einen Bürgen433 das Bestehen einer Hauptforderung voraus, auf welches sich die Bürgschaft akzessorisch bezieht. Alle diese Funktionalitäten sind über die Annahme einer Forderung sinnvoll darstellbar und die Naturalobligation bietet sich als Rechtsfigur hierfür an. Das eröffnet die unmittelbare Anwendung der schuldrechtlichen Regeln über Forderungen. Dagegen ist das auf den ersten Blick gewichtige Wortlautargument, wonach durch „das Versprechen eines Lohnes … eine Verbindlichkeit nicht begründet [wird]“, nicht stichhaltig. Nach der Sprachregelung der Gesetzesverfasser sollte damit die durchsetzbare Verbindlichkeit ausgeschlossen werden434. Die nichtdurchsetzbare Forderung bleibt eine mögliche und sinnvolle Auslegung des Gesetzes. Eine Forderung zu negieren, um dann zu denselben Vorschriften und Ergebnissen für eine „Nichtforderung“ oder „bloßen Erwerbsgrund“ zu gelangen, ist nicht überzeugend. bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges Die Gründe, weshalb nur die Erzwingbarkeit, nicht aber auch die Lohnforderung aufgehoben ist, liegen in der rechtspolitischen Zielsetzung des § 656 BGB. Das Geschäftsfeld sollte begrenzt und die Ausweitungstendenz aufgrund der potentiellen Sozialschädlichkeit eingedämmt werden. Ein Verbot hielt der Gesetzgeber nicht für adäquat. Mit der Aberkennung des Klagerechts des Ehemaklers sollten ferner peinliche Beweisaufnahmen vermieden werden. Prozesse würden in unerwünschter Weise in die Intimsphäre der Ehegatten eingreifen435. Gegen dieses Argument ist eingewandt worden, dass im Rückforderungsstreit ebenfalls Feststellungen getroffen werden müssen, die nur unter Verletzung des Diskretionsbedürfnisses der Kunden möglich sind436. So etwa die Frage nach der Eignung der vermittelten Person oder die Feststellung der erbrachten und vergütungspflichtigen Teilleistung. Das OLG Koblenz lässt aber den materiellen Einwand der Schlechtleistung im Rückforderungsstreit nur insoweit zu, als die Schlechtleistung ohne Berührung der Persönlichkeitssphäre Dritter fest432 Für Eheanbahnungsverträge (Vermittlungsdienstverträge) vgl. MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., 2005, § 656 Rn. 14, 15, 19. 433 Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 12. 434 Vgl. dazu oben B. I. 5. a) aa) S. 163. 435 Darin liege der verfassungskonforme Zweck der Regelung des § 656 BGB, Staudinger/ Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn. 4. 436 AnwK-BGB/Wichert, 2005, § 656 Rn. 14 (diskretionsbedürftige Details seien in diesen Prozessen nicht beweiserheblich. Im Übrigen seien derartige Zumutungen aus Scheidungs- und Sorgerechtsprozessen bekannt).

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stellbar ist437. Es münzt das rechtspolitische Ziel des Schutzes der Privat- und Intimsphäre in eine materielle Rückabwicklungsregel um und bestimmt die Rückforderbarkeit nach der prozessualen Aufklärbarkeit. Eine voraussehbare Regelung liegt darin nicht und auch eine gesetzliche Grundlage für diese Einschränkung fehlt437a. Diese dogmatisch wenig überzeugende Vorgehensweise bestätigt aber die hier aufgedeckte Grundstruktur der Lohnforderung. Der Erfüllungszwang wird aberkannt ohne gleichzeitig auch die Forderung aufzuheben438. Der Ehemaklervertrag und die ihm gleichgestellten Verträge erzeugen Zahlungsforderungen des Maklers, die dogmatisch als Naturalobligation zu erfassen sind.

c) Spiel und Wette (§§ 762 f. BGB) Die verkehrsrechtliche Anerkennung der Spiel- und Wettverträge steht außer Frage. Aleatorische Glücksverträge sollen nicht verboten oder für unsittlich erklärt werden439. Die staatliche Genehmigungspflicht (§ 763 BGB) hat den Zweck die allgemeine Spielleidenschaft einzudämmen und staatlich zu kontrollieren, nicht aber über die Wirksamkeit der Verträge zu entscheiden. Gegenstand der Verträge ist die Teilnahme an der Spiel- oder Wettveranstaltung und eine entgeltliche Gewinnchance440. aa) Forderungen statt „Nichtforderungen“ Die teilweise vertretene Annahme, wonach Wett- und Spielverträge unwirksame Forderungen hervorbringen überzeugt nicht441. Für das mit der Naturalobligation vorgeschlagene Positivkonzept spricht die konsistente Wertung, die zu einer Kongruenz von Parteiwillen und schließlicher Rechtswirkung führt. Der Vertrag wird vollzogen und die Leistungen, Einsätze, Spiel und Gewinn437

OLG Koblenz v. 18.12.2006 NJW-RR 2007, 769. Ebenfalls zurückgewiesen vom BGH v. 17.1.2008 NJW 2008, 982, 984 Rz. 22. 438 Die in der Praxis übliche Vorauszahlung spricht nicht gegen eine Forderung, sondern sie erfüllt heute die Aufgabe, den Kunden vor den Folgen eines übereilten Vertragsschlusses zu schützen, MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., 2005, § 656 Rn. 3; zust. BGH v. 4.3.2004 NJW-RR 2004, 778, 779. Daneben gelten die verbraucherrechtlichen Schutzbestimmungen, insbesondere die Widerrufsrechte aus §§ 312, 312 b und 312 d BGB in Verbindung mit § 355 BGB, Staudinger/Reuter, BGB, 2003, § 656 Rn 2. 439 Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 1896, S. 643; AnwK-BGB/K.Schreiber, 2005, § 762 Rn 2. 440 Für den Spielvertrag anerkannt seit BGH v. 25.4.1967 BGHZ 47, 393, 396 (der Spieleinsatz ist keine unentgeltliche Leistung im Sinne von § 816 Abs. 1 S. 2 BGB), und für den Wettvertrag, bei dem daneben die Richtigkeit oder die Bekräftigung der eigenen Behauptung als Gegenstand gesehen werden kann, Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, § 762 Rn. 4. 441 Vgl. bereits oben C. IV. 1. c) bb), S. 443. 437a

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chance, erbracht. Auch bei Spiel und Wette müssen Entstehung und Wirksamkeit der Verträge sowie Leistungsstörungen reguliert werden. Das zwingt die Gegenauffassung zum Phantom einer Nichtforderung, die keine Forderung ist, aber die Struktur einer Forderung hat. Entsprechend führt die Nichtforderung zu einer konjunktivischen Voraussetzungsprüfung. „Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn eine Forderung, die nicht gegen §§ 104 ff., 116 ff., 134, 138 BGB verstoßen würde, entstanden und ordnungsgemäß erfüllt worden wäre“. Mit der Annahme einer Naturalobligation kann dagegen positiv und im Indikativ die Rechtsfrage nach der Behaltensbefugnis des Empfängers beurteilt werden442. Die Anwendbarkeit des die Forderung regelnden Schuldrechts sowie die Begründung von Nebenpflichten muss also nicht irregulär an eine unwirksame Forderung herangetragen werden443. Der Rückforderungsausschluss greift, wenn die Forderung wirksam entstanden und ordnungsgemäß erfüllt wurde. Nichts anderes folgt aus der Formulierung des BGH, dass § 762 Abs. 1 S. 2 BGB nur eingreife, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt werde444. Die Naturalobligation als dogmatische Grundlage für den Leistungsaustausch und seine Rückabwicklung ist klarer und führt zu den gleichen Ergebnissen445. § 762 Abs. 1 S. 1 BGB ist im Wortlaut parallel zu § 656 Abs. 1 S. 1 BGB gefasst. Wird durch Spiel und Wette eine (erzwingbare) Verbindlichkeit nicht begründet, so bleibt offen, ob eine nicht erzwingbare oder überhaupt keine Verbindlichkeit anerkannt werden soll. Das Wortlautargument ist daher auch hier nicht durchgreifend446. bb) Missbilligung des Erfüllungszwanges Die Gründe für die Abschwächung der Forderung liegen im Schutz der Spielteilnehmer vor den unkalkulierbaren und existenzbedrohenden Gefahren der Spielsucht. Ferner verfolgt der Gesetzgeber das rechtspolitische Ziel, die (private) Spiel- und Wettwirtschaft zurückzudrängen und einer Ausweitung dieser Geschäftsfelder entgegenzuwirken. Die aufgrund des Durchsetzungsmangels 442

Siehe oben C. IV. 1. c) bb) (4), S. 446. Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2001, § 762 Rn. 8 (Verkehrssicherungspflichten, Aufklärungspflichten u.a.); A.A. MünchKomm/Habersack, BGB, 4. Aufl. 2004, § 762 Rn. 19 (c.i.c. §§ 311 Abs. 2, 280 BGB); Erman/Terlau, BGB, 11. Aufl. 2004, § 762 Rn. 6. Siehe näher oben C. IV. 1. c) aa) (2), S. 445. 444 BGH v. 10.11.2005, NJW 2006, 45, 46. BGH v. 21.9.1997 NJW 1997, 2314, 2315; BGH v. 12.7.1962, BGHZ 37, 363, 366. 445 Formell ändert sich lediglich die Feststellung der Rechtspflicht. Bisher lautete der Rechtsfolgenausspruch, dass der Kläger wegen § 762 Abs. 1 BGB keinen Anspruch auf Erfüllung habe, vgl. etwa LG Karlsruhe v. 15.8.2006 NJW-RR 2007, S. 200. Auf der Grundlage einer Naturalobligation muss die Feststellung lauten, die Forderung des Klägers ist nicht durchsetzbar. 446 Siehe oben B. I. 5 a) aa) (1), S. 163. 443

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provozierte riskante Vorleistung schützt den Spieler vor Übereilung. Der zwingende Charakter des § 762 BGB und die fehlende Sicherungsfähigkeit der Forderung schränken die Verkehrsfähigkeit stark ein. Die Erstreckung der Durchsetzungsschwäche auf Hilfsgeschäfte ergänzt dieses Ziel447. Auch im Hinblick auf Sicherungsgeschäfte lässt sich systematisch klarer mit Naturalobligationen arbeiten, als sie auf unwirksame Spiel- und Wettgeschäfte zu beziehen. Vorzugswürdig zeigt sich das Konzept der Naturalobligation ferner im grenzüberschreitenden Fall. So gilt der Auftrag, eine Wette im Ausland abzuschließen, ebenfalls als nicht verbindlich448. Das OLG Hamm hat in einer Hilfserwägung die Anwendung des ausländischen (hier des österreichischen) Wettvertragsrechts als einen Verstoß gegen den deutschen ordre-public angesehen und zurückgewiesen. Sollte die Wette in Österreich als durchsetzbare Verbindlichkeit eingestuft werden, setze sich § 762 BGB durch449. Die Norm diene der Ordnung des innerstaatlichen Soziallebens und sei daher international zwingend anzuwenden. Das gelte auch für Hilfsgeschäfte. Das OLG Hamm hatte sodann aber eine durchsetzbare Herausgabeforderung gegen den Beauftragten hinsichtlich des noch nicht an den Wettanbieter weitergeleiteten Geldes zugesprochen (§ 667 Hs. 1 BGB). Aus dem Wettauftrag entstand also partiell doch eine wirksame Forderung, nämlich soweit sie dem Schutzzweck des § 762 BGB nicht entgegenstand. Die Annahme fehlender oder unwirksamer Forderungen führt auch hier zu einem dogmatischen Bruch, den die Naturalobligation vermeidet. cc) Das Abzugsrecht bei der Pferdewette nach § 4 Abs. 2 S. 3 RennwLottG Eine gegenüber §§ 762 f. BGB vorrangige Spezialregelung gilt für die Veranstaltung von Pferdewetten. Die privaten Pferderennvereine und Buchmacher sind einem staatlichen Konzessionssystem nach Maßgabe des Rennwett- und Lotteriegesetzes v. 8.4.1922 (RennwLottG) 450 unterworfen. Die staatliche Erlaubnis führt danach aber nur einseitig zu Gunsten des Wettenden zu durchsetzbaren 447 Es macht keinen Unterschied, ob die Neben- und Hilfsgeschäfte je nach ihrer Nähe und Ausgestaltung für ebenfalls unwirksam oder ebenfalls undurchsetzbar eingestuft werden. Vgl. statt aller AnwK-BGB/Katrin Schreiber, 2005, § 762 Rn. 37 f. (Nebengeschäfte: Auftrag, Geschäftsbesorgung usf.; 39 ff. (Spielerdarlehen); 42 (Gesellschaftsverträge). In all diesen Fällen richtet sich die Erstreckung nach Sinn und Zweck des § 762 BGB. Verlangt der Schutzzweck die Ausdehnung, so können auch die Leistungsforderungen aus den Hilfsgeschäften als Naturalobligation, wie etwa die Erfüllung eines Wettauftrages, eingestuft werden. 448 OLG Hamm v. 29.1.1997 NJW-RR 1997, 1007, 1008. 449 Ebenda. Zur kollisionsrechtlichen Einstufung der Naturalobligation als unselbständige Teilfrage vgl. oben C. IV. 4. d), S. 508 f. 450 RGBl. 1922, 393, neu geregelt durch ÄnderungsG v. 17.5.2000 (BGBl. 2000, I, 715 zuletzt geändert durch das dritte Gesetz zur Änderung der GewO v. 24.8.2002, BGBl. 2002, I, 2412.

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Forderungen gegen den Wettanbieter oder Buchmacher. Abweichend von § 763 BGB besagt § 4 Abs. 2 RennwLottG: Ist der Wettschein ausgehändigt, so ist die Wette für den Unternehmer des Totalisators und den Buchmacher verbindlich. Ein von dem Wettenden gezahlter Einsatz kann nicht unter Berufung auf § 762 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückverlangt werden. Soweit der Einsatz nicht gezahlt ist, kann er von dem Gewinn abgezogen werden. Im übrigen bleiben die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unberührt.

Für den Wettenden ist das Wettgeschäft also selbst bei staatlicher Genehmigung nicht verbindlich. Satz 3 gesteht Rennwettveranstalter und Buchmacher aber eine Verrechnungsbefugnis hinsichtlich des noch nicht geleisteten Einsatzes zu. Der nicht gezahlte Einsatz darf vom auszuzahlenden Gewinn abgezogen werden. Dogmatisch lässt sich das Abzugsrecht nur dahin erklären, dass eine naturale Zahlungsforderung auf den Einsatz gegen die durchsetzbare Gewinnforderung des Wetters aufgerechnet werden darf. Das Abzugsrecht nach S. 3 hätte sonst keine dogmatische Grundlage. Die Regelung nach dem RennwLottG zeigt, dass das Wort „verbindlich“ nur das durchsetzbare Forderungsrecht bezeichnet und die fehlende Verbindlichkeit zwar die Zwangsbefugnis, nicht aber auch die Forderung entfallen lässt.

d) Verlöbnis (§ 1297 BGB) Das gegenseitige Versprechen der Eheschließung (Verlobung) wollte der historische Gesetzgeber rechtskonstruktiv wie Ehevermittlung, Spiel und Wette ausgestalten451. Der Verlobungsvertrag begründet danach das Gemeinschaftsverhältnis Verlöbnis (§§ 1297 ff. BGB), das gegenseitige Forderungen auf Eingehung der Ehe begründet. Die in Rechtsprechung452 und Lehre herrschende Vertragstheorie453 konkurriert mit der Vorstellung eines gesetzlichen Rechtsverhältnisses454 und der Vertrauenshaftung455. Die Vertrauenshaftungstheorie 451

Siehe oben B. I. 5. a) cc) (4), S. 174. BGH v. 7.4.1959 BGHZ 28, 375, 378; BGH v. 23.9.1996 BGHZ 132, 105 = IPRax 1997, 187, 190 (familienrechtlicher Vertrag). 453 In Gestalt eines Vorvertrages in Bezug auf die künftige Ehe, Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 8 I 3, Rn. 3, 5 ff.; MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5; AnwK-BGB/Limbach, 2005, § 1297 Rn. 2; Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl. 2006, Einf v § 1297 Rn. 1 u. 3; Jauernig/Chr. Berger, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 1297 Rn. 7; Erman/Heckelmann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 1297 Rn. 4 ff.; Staudinger/Strätz, BGB, 2000, Vorbem. zu §§ 1297 Rn. 70 f. (mit Modifikationen). 454 Die neben der Vertrauenshaftungstheorie (nachfolgende Fn.) vertretene Tatsächlichkeitstheorie ist kaum noch anzutreffen, vgl. ansatzweise Bamberger/Roth/Lohmann, BGB, 2003, § 1257 Rn. 7 (geschäftsähnliche Handlung mit analoger Anwendung der § 104 ff. BGB). 455 Canaris, Das Verlöbnis als ‚gesetzliches‘ Rechtsverhältnis. Ein Beitrag zur Lehre von der Vertrauenshaftung, AcP 165 (1965) 1; ders., Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris u.a. (Hg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof. Fest452

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führt zu einem Vertrauensvertrag kraft Gesetzes. Wie Gernhuber und CoesterWaltjen hervorheben, besteht kein Anlass, das System des Bürgerlichen Rechts mit dieser Irregularität zu belasten456. Der historische Gesetzgeber hatte offengelassen, ob die Gesetzesfassung, wonach „Aus einem Verlöbnis … nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden [kann]“ auch eine Verpflichtung zur Eheschließung anerkennt oder nicht457. Es ist also eine im Ausgangspunkt unbeantwortete Frage, ob das Heiratsversprechen einen Anspruch auf die Begründung einer Ehe oder auch nur eine rechtlich geschützte Erwartung auf die Ehe gibt458. Die Vertreter der Vertragstheorie und mit ihr die Rechtsprechung bejahen eine Verpflichtung zur Eheschließung, die allerdings weder direkt noch indirekt erzwingbar sein darf. Die Anerkennung einer Forderung im Rechtssinne ist dogmatisch sinnvoll, weil es das Verlöbnis von eheähnlichen Verhältnissen ohne ernstliches Eheversprechen abgrenzt459 und zeitlich den Verlobungsbeginn klar fixiert460. Der Bezugspunkt der schadensersatzrechtlichen Regeln (§§ 1298 ff. BGB) sind die Versprechenserklärungen der Partner bei der Verlobung und nicht unverbindliche Absichtsbekundungen Heiratswilliger461. Die Sekundäransprüche der §§ 1298 ff. erklären sich aus der Verletzung der Primärpflicht zur Eheschließung. Die Ersatzpflicht aus §§ 1298 f. knüpft an einen nicht gerechtfertigten Rücktritt (§ 1298 Abs. 1 u. 3 BGB) oder an einen schuldhaft gesetzten Grund für den Rücktritt des Anderen (§ 1299 BGB) an. Es geht mithin um die Verletzung des Verlobungsversprechens und die deshalb frusgabe aus der Wissenschaft, Bd. I, 2000, 129, 181; Henrich, Familienrecht, 5. Aufl. 1995, S. 24; Rauscher, Familienrecht, 2001, Rn. 107. 456 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 8 I 3, Rn. 5; ähnlich MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5: Die anderen Theorien gefährden die Rechtssicherheit durch ihre unbestimmten Voraussetzungen. 457 Vgl. dazu oben B. I. 5. a) cc) (4) S. 174. 458 Selbstverständlich entsteht auch aus einem obligatorischen Leistungsversprechen eine schutzwürdige Erwartung, die ebenso eine Ersatzpflicht vertrauensrechtlich rechtfertigen würde. Darin liegt genau die Schwäche der Vertrauenslehre. Die vertrauensrechtliche Sichtweise kann hier keine Unterscheidung zwischen vorhandener und nicht vorhandener Leis– tungspflicht treffen. Genauer wäre es daher nach der Pflichtstruktur zu unterscheiden. Das Heiratsversprechen begründet im ersten Fall eine obligatorische und im zweiten eine konsequentialistisch strukturierte Pflicht. vgl. oben C. III. 1. c) bb), S. 340. 459 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 3 IV 3, Rn. 38; Palandt/ Brudermüller, BGB, 65. Aufl. 2006, Einf v § 1297 Rn. 3. 460 MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5. Daneben tritt die direkte Anwendbarkeit der Regeln über die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) wie überhaupt die Abschluss- und Inhaltskontrolle. 461 Der Übergang von bloßer Absichtserklärung und bindendem Versprechen ist ein allgemeines Problem. Seine Ursache liegt aber in den praktischen Schwierigkeiten, den rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen sicher festzustellen, vgl. oben C. III. 2. a) bb), S. 379. Wie die Erklärungstatbestände im Vorfeld von Vertragsabschlüssen zeigen, ist die Grenze nicht einfach zu ziehen, was allerdings nie zur Aufhebung der Grenzziehung Anlass gegeben hat. Zu den Indizien und ihrem geänderten Beweiswert vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 5. Aufl. 2006, § 8 II 1, Rn. 16.

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trierten Aufwendungen und Dispositionen in Erwartung der Ehe. Der Ausschluss des positiven Interesses beruht dagegen auf der fehlenden Erzwingbarkeit der Hauptleistung462. Die Ausgleichsordnung gewährt also nicht lediglich Integritätsschutz für das Verlobtenvermögen, sondern schützt das weitergehende negative Interesse bezogen auf die primäre Leistungspflicht463. Die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich der vertraglichen Sekundäransprüche (Eltern und Ersatzeltern, gem. § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB) ist im Vertragsrecht unter dem Terminus Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in allgemeiner Form anerkannt464 und steht der vertraglichen Konstruktion nicht entgegen. Gegen eine Leistungspflicht spricht ferner auch nicht das Rücktrittsrecht selbst. Die Rücktrittsmöglichkeit nimmt dem Vertrag nicht seine Verbindlichkeit, wie es das vertraglich vereinbarte Rücktrittrecht zeigt (§ 346 Abs. 1 Hs. 1 BGB)465. Die Pflicht zur Eingehung einer Ehe mag aus heutiger Sicht mit der positiven wie mit der negativen höchstpersönlichen Eheschließungsfreiheit in Konflikt geraten. Die bloße Durchsetzungsschwäche der Forderung erlaubt es aber, diesen Konflikt angemessen zu lösen. Auch die Wertung des Vollstreckungsverbots nach § 888 Abs. 3 Alt. 1 ZPO466 bringt zum Ausdruck, dass es im Kern die 462

MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5. Geschützt wird nicht lediglich das Integritäts- sondern das Leistungsinteresse des Partners, beschränkt auf das negative Interesse. 463 Nach Auffassung namentlich von Canaris, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, ZRP 2001, 329, 333, gehört der Ersatz frustrierter Aufwendungen in den Bereich des positiven Interesses (Nichterfüllungsschaden). Grundlage dieser Zuordnung ist der schadensrechtliche Frustrationsgedanke, wonach Aufwendungen einem Schaden gleichstehen, wenn sie zu einem bestimmten Zweck gemacht wurden, der durch ein ersatzpflichtig machendes Ereignis vereitelt wird. Im Rahmen der Diskussion um die dogmatische Einordnung des § 284 BGB stellt sich Canaris damit gegen die Auffassung, die hier den Ersatz eines Vertrauensschadens geregelt sieht. Vgl. zur Diskussion AnwK-BGB/ Arnold, 2005, § 284 Rn. 3 -8. Im Rahmen der Beurteilung der Rechtsnatur des Verlöbnisses sieht Canaris dagegen in den frustrierten Aufwendungen einen Vertrauensschaden, der gerade nicht an eine Leistungsverpflichtung anknüpfen soll. Canaris, Das Verlöbnis als ‚gesetzliches‘ Rechtsverhältnis. Ein Beitrag zur Lehre von der Vertrauenshaftung, AcP 165 (1965) 1, 13. 464 Etwa Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 328 Rn. 19. 465 MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 5. 466 Danach kann eine Verurteilung zur Eingehung einer Ehe als eine nicht vertretbare Handlung (§ 888 Abs. 1 ZPO) nicht durch Zwangsgeld oder Zwangshaft vollstreckt werden. Das Vollstreckungsverbot hat im Hinblick auf das vorgelagerte Klageverbot in § 1297 Abs. 1 BGB keine praktische Bedeutung mehr. Es ist aber historisch zu erklären, weil vor dem Inkrafttreten des BGB das kanonische Recht und einige Partikularrechte die Klage auf Eingehung der Ehe noch vorsahen. Die bereits 1879 in Kraft getretene ZPO entzog für diese Fälle die Vollstreckungsbefugnis. Auch für ausländische Leistungsurteile spielt § 888 Abs. 3 Alt. 1 ZPO gegenwärtig praktisch keine Rolle, da diese wegen Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nicht anerkannt werden, Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 888 Rn. 18. Die Aberkennung der Vollstreckungsbefugnis hat nur historische Bedeutung, MünchKomm/Wacke, BGB, 4. Aufl. 2000, § 1297 Rn. 14; AnwK-BGB/Limbach, BGB, 2005, § 1297 Rn. 9.

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Erzwingbarkeit einer Eheschließung ist, die missbilligt wird, nicht aber das anerkannte Versprechen der Verlobung. § 1297 Abs. 1 BGB verstärkt die Fokussierung auf das Zwangsmoment durch das Klageverbot. § 1297 Abs. 2 BGB unterbindet vertraglich begründeten Zwang durch Strafversprechen. Die Eheschließungsfreiheit verbietet im Übrigen voreheliche rechtliche Bindungen nicht generell, zumal die Verlobung auf die Ehe hinführt, die ihrerseits eine vertragliche Bindung darstellt. Die Rücktrittsmöglichkeit der Verlobten aus § 1298 BGB verringert die Bindung. Die bloße Aufhebung des Erfüllungszwanges durch Naturalobligation bietet sich als eine Kompromisslösung zwischen Bindung und Bindungsfreiheit an467.

e) Sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht (§§ 1624 Abs. 1 und 534, 814 Hs. 2 BGB) Die Naturalobligation als eine schuldrechtliche Rechtsfigur empfiehlt sich auch zur Erfassung der unbestimmten Rechtsbegriffe „sittliche Pflicht“ und „Anstandsrücksicht“. Die Praxis orientiert sich bereits bisher an den Strukturmerkmalen einer obligatorischen Leistungspflicht. Mit der Naturalobligation bekäme diese Praxis eine dogmatische Rechtsfigur an die Hand, die eine systematische Erfassung dieser Fälle erleichtert und den Rechtsbegriffen sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht klare Konturen verleiht. aa) Leistungspflicht Die materielle und strukturelle Identität sozialethischer und rechtlicher Pflichten468 rechtfertigt die Anerkennung einer Leistungspflicht (§§ 1624 Abs. 1 BGB, 534, 814 Hs. 2 BGB). Die Leistungspflicht ist aufgrund der gesetzlichen Regelungstechnik erst nach erfolgter Leistung feststellbar und wird durch den Richter bestimmt. Das vermeidet eine prospektive Verhaltenssteuerung. Die rechtsgeschäftliche Verfügung durch Zession, Sicherung oder Schuldübernahme ist daher nicht unzulässig, sondern gegenstandslos. Die sittliche Pflicht ist immer schon erfüllt, wenn das Licht des Rechts auf sie fällt, oder sie erhält durch ein privatautonomes Rechtsgeschäft, Schenkung oder Ausstattungsversprechen, rechtliche Gestalt. Die gesetzliche Regelung zwingt auch nicht dazu, den Pflichtcharakter zu negieren und ihn gegen den Wortlaut des Gesetzes „Pflicht“ aufzugeben. Die Verweisung des § 1624 Abs. 2 BGB auf die Rechts- und Sachmängelgewährleistung des Schenkungsrechts, §§ 523 f. BGB, ist überdies ohne die Annahme einer bestehenden Leistungspflicht auf Ausstattung nicht konsequent begründbar. 467 Aufgrund des ausschließlich sittlichen Charakter der Bindung verneint von Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 249. 468 Vgl. oben C. III. 2. a) – c), S. 376 ff.

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(1) Gesellschaftliche Anforderung und richterliche Feststellung Eine außerrechtliche Pflicht kann nicht durch einen außerrechtlichen Pflichtbegriff festgestellt werden. Aus dem Blickwinkel rechtlicher Entscheidung ist der Pflichtbegriff immer Rechtsbegriff. Nur die verhaltenssteuernde Anforderung stammt aus einem gesellschaftlichen, rechtlich nicht bereits ausgeformten Kontext. Die Rechtsquelle ist extralegal und entsteht aus der Gesellschaft (obligatio ex societate). Die richterlich festgestellte sittliche Pflicht ist dennoch aber Rechtspflicht469. Allerdings hängt von der unterschiedlichen Sichtweise nicht allzu viel ab470. Das außerrechtliche Gebot wird damit rechtlich schlicht anerkannt. Der unbestimmte Rechtsbegriff „sittliche Pflicht“ bleibt stets eine rechtliche Kategorie471, dessen Deutung und Verständnis in rechtlichen Strukturen verläuft. Anhand der Strukturmerkmale der obligatorischen Pflicht kommen Rechtsprechung und Lehre bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „sittliche Pflicht“ zu einer obligatorischen Leistungspflicht. Auch bei ihr handelt es sich also um eine bestimmte und unabweisbare Handlungsanforderung im (auch – ) fremden Interesse, die den Anspruch auf materielle Richtigkeit erhebt. (2) Leistungspflicht als Maßstabs- und Beurteilungsregel Der Pflichtcharakter entfällt nicht deshalb, weil die rechtliche Anerkennung an eine Leistungsbewegung geknüpft ist und damit eine ex-post-Betrachtung vorgibt. Die Annahme einer Leistungsverpflichtung bleibt vielmehr zutreffend, weil die Betrachtung der Pflicht von der Prospektive in die Retrospektive lediglich ihre Funktion ändert und sich von einer Steuerungs- bzw. Gestaltungsregel zu einer Maßstabs- oder Beurteilungsregel wandelt. Typischerweise sind Delikts- und Rechtfertigungsregeln retrospektivisch gestaltet. Entschieden wird, ob pflichtwidrig oder pflichtgemäß gehandelt wurde. Die inhaltliche Feststellung der Pflicht ist aber in beiden Perspektiven dieselbe472. Es ist daher richtig, 469 Zutreffend Migsch, Die sogenannte Pflichtschenkung, AcP 173 (1973) 46, 66, der feststellt, dass a posteriori gesehen die sittliche Pflicht dieselben Folgen zeitige wie echte Rechtspflichten. Man habe es nur mit einer dem außerrechtlichen Bereich entstammenden Aufforderung zu tun. 470 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 1, S. 94. Die Beschränkung des Rückforderungsrechts aber als Selbstbeschränkung des Rechts insgesamt zu deuten, ist letztlich nur eine sprachlich-rhetorische Distanzierung von der „sittlichen Pflicht“ als einem scheinbar extralegalen Begriff. 471 Die in Bezug auf den zu entscheidenden Sachverhalt zu bejahen oder zu verneinen ist. Wird mithin eine „sittliche Pflicht“ bejaht, so ist es ein Fehlschluss anzunehmen, es handele sich nicht um eine Rechtspflicht, so etwa noch RG v. 30.9.1929 RGZ 125, 380, 383. 472 Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie 22 (1991) 449, 451 f. bezeichnet prospekivische und retrospektivische Verhaltensregeln als zwei Seiten ein und derselben Verhaltensregel. Vergleichbar aber bezogen auf strafrechtliche Normen Ren-

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auch bei der „sittlichen Pflicht“ und der „Anstandsrücksicht“ von Leistungspflichten zu sprechen473. bb) Die fehlende Durchsetzbarkeit sittlicher Pflichten Die fehlende Durchsetzbarkeit sittlicher Pflichten und Anstandsrücksichten ist bereits die Folge der Regelungsstruktur des Gesetzes, wonach stets nur die erfüllte Leistungspflicht der Feststellung unterliegt. Einer gesetzlichen Anordnung der fehlenden gesetzlichen Durchsetzungsmacht oder Klagbarkeit bedarf es daher nicht.

f) Die formfehlerhafte Vergütungsvereinbarung des Rechtsanwalts (§ 4 Abs. 1 RVG) Der Rechtsanwalt darf eine höhere Vergütung als nach den gesetzlichen Sätzen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vereinbaren (§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG, § 3 Abs. 1 S. 1 BRAGO a.F.). Diese Form der Mandatsfreiheit gilt sowohl für gerichtliche als auch für außergerichtliche Angelegenheiten474. Die Vereinbarung einer höheren als der gesetzlichen Vergütung ist zulässig und im Bereich niedriger Gegenstandswerte in der Praxis ganz üblich475. zikowski, Die Unterscheidung von primären Verhaltens- und sekundären Sanktionsnormen in der analytischen Rechtstheorie, in: Dölling/Erb (Hg.), FS für Karl Heinz Gössel, 2002, S. 1, 12 (prospektivische Verhaltenssteuerung und retrospektivische Sanktion). 473 Niemand käme auf den Gedanken, etwa den von der Rechtsprechung im Einzelfall festgestellten Verkehrssicherungspflichten oder den vertraglichen Schutzpflichten den Pflichtenstatus abzusprechen, nur weil sie sich ex ante nicht konkretisieren und daher nicht einfordern lassen. Zum Teil werden diese nur retrospektiv bestimmbaren Pflichten im Anschluss an Hugo Kress als „unentwickelte Pflichten“ bezeichnet. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht. Lehrbuch der Grundsätze des neuen Rechts und seiner Besonderheiten, 2002, S. 88; Kuhlmann, Leistungspflichten und Schutzpflichten. 2001, S. 42 (unentwickelte Schutzansprüche); Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten. Ein Beitrag zur culpa in contrahendo und zur positiven Forderungsverletzung unter Berücksichtigung der Schuldrechtsreform, 2002, S. 25. Es spricht m.E. nichts dagegen, auch unentwickelte Leistungspflichten anzuerkennen. Dieser Sprachgebrauch hat sich allerdings – trotz seiner Anschaulichkeit – auch bei den Schutzpflichten bislang nicht allgemein durchgesetzt. 474 BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. 2006, § 4 RVG Rn. 2; zur künftigen Rechtslage S. 5 f. Fn. 12a. 475 Eine höhere als die gesetzliche Vergütung kann sich insbesondere bei einer Abrechnung nach Stunden (Zeithonorar) ergeben; Riedel/Süßbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl. 2005, § 4 Rn. 4; Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl., 2004, § 4 Rn. 18, 41 ff. Grenzen folgen aus dem noch bis zum 30.6.2008 geltenden Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars (§ 49 a BRAO) und der allgemeinen Inhaltsbeschränkung aus § 138 BGB. BVerfG v. 12.12.2006 NJW 2007, 979, 985 hat dem Gesetzgeber bis zum 30.6.2008 eine Übergangsfrist gewährt. Die künftige Neuregelung hat das Verbot eingeschränkt, im Grundsatz aber erhalten, vgl. Kilian, Das künftige Erfolgshonorar für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, BB 2007, 1061 ff.

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aa) Der formlose Parteikonsens (pactum nudum) Form- und Gestaltung einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung sind gesetzlich vorgeschrieben. Es muss eine schriftliche Erklärung des Mandanten vorliegen und diese darf nicht in der Vollmacht enthalten sein (§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG). Ist das Schriftstück, wie in aller Regel, nicht von dem Mandanten verfasst, muss es ferner als Vergütungsvereinbarung bezeichnet und von anderen Vereinbarungen deutlich abgesetzt werden (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG). Abweichend von der Nichtigkeitssanktion des § 125 S. 1 BGB bleiben Mandatsvertrag und Vergütungspflicht aber auch bei Missachtung dieser Vorgaben erhalten. Der BGH stellt fest476: „… die Vorschrift [§ 3 Abs. 1 S. 1 BRAGO = § 4 Abs. 1 S. 1 RVG] zielt nicht auf die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages von Anfang an; sie führt zum Schutz des Auftraggebers und im Interesse einer klaren Sach- und Beweislage lediglich zur Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung zu Gunsten der gesetzlichen Vergütung.“

Zahlt der Mandant den vereinbarten Honorarbetrag, so gilt gem. § 4 Abs. 1 S. 3 RVG: „Hat der Auftraggeber freiwillig und ohne Vorbehalt geleistet, kann er das Geleistete nicht deshalb zurückfordern, weil seine Erklärung den Vorschriften des Satzes 1 oder 2 nicht entspricht.“

Soweit die Vereinbarung und die entsprechende Zahlung des Mandanten die gesetzlichen Gebühren überstieg, bleibt sie wirksam, darf aber nicht mehr einseitig gegen den Willen des Mandanten durchgesetzt werden477. Hintergrund der Regelung ist die Erwägung, dass die Formvorschriften allein den Zweck haben, den Mandanten über die Gebührenmehrforderung aufzuklären478. Ist dieser Zweck erfüllt, so kann der Mandant an der Vereinbarung festgehalten werden. Allerdings geht dieses Festhalten nicht soweit, den Anspruch durchsetzbar zu gestalten. Die aus der formfehlerhaften Vereinbarung entstehende Forderung wird als Naturalobligation verstanden, die nicht eingeklagt werden kann479. Eine gleichwohl erhobene Klage erfüllt dementsprechend nicht den Tatbestand der Gebührenüberhebung im Sinne von § 352 StGB, weil die Missbilligung des Gesetzgebers hier nicht soweit geht, wie im Falle einer Nichtig476

BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; BGH v. 26.7.1971 BGHZ 57, 53, 58 u. 60. Riedel/Süßbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl. 2005, § 4 Rn. 8; Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl., 2004, § 4 Rn. 79 f. unwirksam, aber Naturalobligation; Gerold/ Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn 23. 478 Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn. 24. 479 Kilian, Die Leistung auf eine formwidrige Vergütungsvereinbarung – § 4 I 3 RVG, § 4 I 2 StBGebV als Sonderfälle der Kondizierbarkeit bei unvollkommener Verbindlichkeit, NJW 2005, 3104 (unvollkommene Verbindlichkeit); Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn. 2; Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl. 2004, § 4 Rn. 72 u. 80; ungenau etwa Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 98 (keine Rückforderung bei freiwilliger und vorbehaltsloser Mehrleistung). 477

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keit480. Dogmatisch betrachtet bringt der formlose Parteikonsens über die Gebühren (pactum nudum) die Naturalobligation hervor. Das entspricht sachlich der Regelung des Art. 1432 ABGB bei formfehlerhaften Verträgen unter der Herrschaft des österreichischen Rechts481. § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ist im deutschen Recht eine singuläre Abweichung des sonst bei Formfehlern verfolgten Heilungskonzepts482. bb) Abgrenzung: § 814 Hs. 1 BGB, halbseitige Teilnichtigkeit und Heilung Die rechtsbeständige, freiwillige und vorbehaltslose Erfüllungsleistung nach § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ließe sich auch als ein Fall des § 814 Hs. 1 BGB verstehen. Dem Mandanten wäre die Rückforderung verschlossen, weil und soweit er weiß, dass er nichts schuldet. Gegen die Annahme einer solchen „Nichtschuld“483 im Kontext des § 4 RVG sprechen mehrere Gründe. Der Anwaltsvertrag bleibt auch bei formfehlerhafter Vergütungsvereinbarung wirksam484 und die Vergütungsforderung entsteht in gesetzlicher Höhe. Reguliert wird also nur der Betrag oberhalb der gesetzlichen Gebührenhöhe. Den Vertrag aus diesem Grunde für halbseitig und teilweise unwirksam anzusehen, empfiehlt sich nicht. Die halbseitige485 Teilnichtschuld486 würde gebildet, um von § 4 Abs. 1 S. 3 RVG unter Schutz gestellt zu werden. Sie wäre von der Rückforderung ausgeschlossen. Die gleichzeitige Verneinung von Rechtsgrund und Rückforderung bildet aber keine überzeugende dogmatische Grundlage für das Behaltensrecht an der Erfüllungsleistung. Der Ansatz ähnelt zwar der anerkannten halbseitigen Teilnichtigkeit, die zur Beschränkung der Nichtigkeitsfolgen in Anlehnung an § 134 Hs. 2 BGB eingesetzt wird. Sie ist namentlich von Canaris zunächst für die Schwarzarbeiterfälle entwickelt worden487 und findet auch an anderer Stelle im anwaltlichen Gebühren-

480 OLG Braunschweig v. 28.6.2004, NJW 2004, 2606: „Bei völliger Missbilligung einer in der geschilderten Weise entstandenen Forderung hätte der Gesetzgeber dieselbe nicht als Naturalobligation, also als Erwerbstatbestand i.S.d. § 812 ausgestaltet, sondern für nichtig erklärt“. 481 Siehe oben B. II. 2. b) aa), S. 223. 482 Siehe oben C. IV. 4. c) bb) (4) (b), S. 495. 483 Zu den unterschiedlichen Ansätzen, die „Nichtschuld“ dogmatisch und im Kontext des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu erfassen. Siehe oben C. IV. 2. a), S. 448. 484 BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. 2006, § 4 RVG Rn. 22. 485 Halbseitig, weil nur die Zahlungsforderung des Anwalts, nicht auch die Dienstforderung des Mandanten erfasst wird. 486 Nichtig wäre nur der die gesetzliche Gebührenhöhe übersteigende Teil der Forderung. 487 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 1983, 31 ff.; ders., Gesamtunwirksamkeit und Teilgültigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen, in: Baur/Hopt/Mailänder (Hg.), FS für Ernst Steindorff, 1990, 519, 568.

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recht Anwendung488. Sie passt im hiesigen Fall aber nicht, denn der Zweck der hier unternommenen geltungserhaltenden Reduktion liegt im Erhalt der vertraglichen Leistungsrechte. Der unwirksame Teil wird herausgeschnitten und der restliche Vertrag bleibt entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB wirksam. Dagegen ist § 4 Abs. 1 S. 3 RVG auf den formfehlerhaften Teil des Vertrages gerichtet489. Die gesetzliche Regelung erhält also den formfehlerhaften Teil, während es bei der geltungserhaltenden Reduktion um den Erhalt des restlichen nicht betroffenen Vertragsteils geht. § 4 Abs. 1 S. 3 RVG entspricht funktional vielmehr § 814 Hs. 2 BGB. Eine rechtsbeständige Erfüllung liegt vor, wenn der Mandant wusste, dass seine Zahlung die gesetzliche Gebührenhöhe überstieg490. Der BGH erläutert die Voraussetzungen wie folgt: „Er [der Mandant] muss wissen, dass seine Zahlungen die gesetzliche Vergütung übersteigen; dagegen braucht ihm nicht bekannt zu sein, dass der Rechtsanwalt auf die höhere Vergütung keinen klagbaren Anspruch hat.“

Der Mandant muss also nicht wissen, ob der Mehrbetrag vom Anwalt gerichtlich oder außergerichtlich erzwungen werden kann. Die irrige Annahme der Erzwingbarkeit (Klagbarkeitsirrtum) ist unbeachtlich und steht der Annahme einer freiwilligen und vorbehaltslosen Erfüllungsleistung im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 3 RVG nicht entgegen491. Damit hat der BGH auch klargestellt, dass es sich hier nicht um einen Fall des § 814 Hs. 1 BGB handelt, weil es auf eine Kenntnis der Nichtschuld nicht ankommt. Die Konkretisierung des Merkmals „freiwillige Leistung“ im Rahmen des § 4 Abs. 1 RVG ist nicht einheitlich. Freiwilligkeit wird nach einer Auffassung nur bejaht, wenn die Leistung „ohne Druck von wem auch immer“ erfolgt sei492.

488 So kann ein nach § 49 b Abs. 2 BRAO unzulässiges Erfolgshonorar nicht weiter als bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren zurückgefordert werden, BGH v. 23.10.2003 NJW 2003, 1169, 1171. 489 Der Anwaltsvertrag ist im Falle des § 4 Abs. 1 S. 1 RVG weder partiell noch insgesamt nichtig. Der Vertrag bleibt wirksam. § 125 S. 1 BGB wird von § 4 Abs. 1 S. 3 RVG verdrängt, vgl. BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; Kilian, Die Leistung auf eine formwidrige Vergütungsvereinbarung – § 4 I 3 RVG, § 4 I 2 StBGebV als Sonderfälle der Kondizierbarkeit bei unvollkommener Verbindlichkeit, NJW 2005, 3104; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl. 2006, § 4 RVG Rn. 22. 490 BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2819; BGH v. 28.1.2003 BGHZ 152, 153, 160 f. = NJW 2003, 819; OLG Frankfurt a.M. v. 12.2.1998, AnwBl. 1998, 661. 491 Daher trifft die im Schrifttum anzutreffende Auffassung nicht zu, wonach sich der Mandant der Formwidrigkeit (Unwirksamkeit) bewusst gewesen sein müsse. Das wäre ein Fall des § 814 Hs. 1 BGB. So aber Riedel/Süßbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl. 2005, § 4 Rn. 8. Richtig dagegen: Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl., 2004, § 4 Rn. 91; Gerold/ Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn 24. 492 Riedel/Süßbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl. 2005, § 4 Rn. 8; Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn 24.

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C. Systematischer Teil

Nach anderer Auffassung soll erst die Klagedrohung schädlich sein493. Verneint wird die Freiwilligkeit für den Fall, dass der Strafverteidiger am Tage der Hauptverhandlung die Aufnahme seiner Tätigkeit von der Zahlung des mündlich versprochenen Honorars abhängig macht494. Wie bereits die Rechtsprechung zu § 214 Abs. 1 BGB gezeigt hat, können unterschiedliche Freiwilligkeitsschwellen gelten495. Abstrakt kann man sagen, dass die Freiwilligkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 3 RVG dann zu verneinen ist, wenn der Mandant allein oder maßgeblich aufgrund der Zwangsbedrohung zahlt. Das leitende Handlungsmotiv des Schuldners ist in diesem Fall die Vermeidung von angedrohtem Rechtszwang und schließt die Annahme einer freiwilligen Erfüllungsleistung aus. Dies ist im Einzelfall zu entscheiden. Das Reichsgericht verneinte etwa die Freiwilligkeit der Schuldnerleistung an den Gerichtsvollzieher496. Der BGH wendet in der obigen Leitentscheidung § 814 BGB nicht an, sondern bemerkt nur, dass es bei der Beweislastverteilung im Rahmen des § 4 RVG wie „in dem vergleichbaren Fall des § 814 BGB“ liege497. Die Fälle der vereinbarten und bezahlten Mehrvergütung werden dogmatisch auch unter dem Gesichtspunkt der Heilung dargestellt498. Das ist nicht nur unnötig, sondern auch sachlich falsch. Die Heilung ist kein allgemeiner Rechtsgrundsatz für alle formungültigen Rechtsgeschäfte. Voraussetzung ist eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung wie beispielsweise §§ 311 b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S. 3 BGB499. Hieran fehlt es. Eine Konvaleszenz ist auch unpassend, denn geheilt würde das Rechtsgeschäft. Die Heilung eines Formmangels bedeutet die Umwandlung eines unwirksamen in ein wirksames Rechtsgeschäft. Die Erfüllungsleistung des Mandanten im Falle des § 4 Abs. 1 S. 3 RVG richtet sich aber nicht auf einen bis dahin unwirksamen Vertrag, den sie heilen könnte. Die Vertragspflichten des Rechtsanwalts sollen bereits vor und unabhängig von der Zahlung eintreten und resultieren aus einem wirksamen Vertrag. 493 Chr. Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl. 2004, § 4 Rn. 92; Hansens, BRAGO, 8. Aufl. 1995, § 3 Rn. 8. 494 Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 14. Aufl. 2004, § 3 BRAGO Rn 7. 495 Zur Konkretisierung der forderungsbezogenen „Freiwilligkeit“ im Hinblick auf die Unbeachtlichkeit des Zwangsmotivs nach § 814 Hs. 2 BGB, siehe oben C. I. 2. b) cc), S. 246 sowie zur „Freiwilligkeitsfrage“ bei der Erfüllung verjährter Forderungen C. IV. 4. c) aa) (3) (a) (aa), S. 480 und C. IV. 5. a) bb), S. 511. 496 Rückforderung bei Zahlung auf eine verjährte Forderung, RG v. 28.5.1906, JW 1906 Nr. 38, S. 476; dagegen hatte Dernburg vertreten, dass die Zahlung an den Gerichtsvollzieher noch als freiwillig und damit als erfüllungstauglich angesehen werden könne. Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. II, 2, 1897, § 376. III Anm. 3. 497 BGH v. 8.6.2004 NJW 2004, 2818, 2820. 498 Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl. 2004, § 4 RVG Rn. 4 (gleichzeitig Heilung eines Formmangels); Chr. Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl. 2004, § 4 Rn. 80 (faktisch geheilt). 499 Siehe C. IV. 4. c) bb) (4) (b), S. 495.

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cc) Erfolgshonorar und Gebührenunterschreitung Andere Verstöße gegen das anwaltliche Vergütungsrecht führen dagegen nicht zur Naturalobligation. So ist etwa die Rückforderung eines nach §§ 134 BGB, 49 b Abs. 2 BRAO nichtigen Erfolgshonorars500 der Höhe nach beschränkt auf die gesetzlichen Beträge des RVG 501. Die Rechtsbeständigkeit der Gebührenzahlung in gesetzlicher Höhe folgt hier aus einer teleologischen Reduktion der Verbotsfolge (§ 134 Hs. 2 BGB). Werden Gebühren unterhalb der gesetzlichen Sätze vereinbart, entsteht ebenfalls keine Naturalobligation in der gesetzlichen Gebührenhöhe. Vielmehr ist eine solche Vereinbarung in gerichtlichen Angelegenheiten ganz unzulässig (§ 49 b Abs. 1 BRAO). Die Gebühren in der gesetzlichen Höhe können entsprechend daher ziviliter durchgesetzt und nicht etwa nur naturaliter gefordert werden. Wurde für eine außergerichtliche Angelegenheit eine niedrigere Gebühr zulässiger Weise vereinbart (§ 4 Abs. 2 S. 1 RVG) und zahlt der Mandant später den höheren gesetzlichen Gebührenwert, so soll die Rückforderung nach § 814 BGB ausgeschlossen sein 502. Richtigerweise ist hier von einer Nichtschuld und § 814 Hs. 1 BGB auszugehen. Die Zahlung entspricht dem wirksam abbedungenen gesetzlichen Gebührensatz. Ein Schuldgrund für die Überzahlung fehlt damit. Der Mandant muss in diesen Fällen positiv wissen, dass keine Schuld bestand und dennoch gezahlt haben. Irrt er sich in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht, bleibt die Rückforderung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB offen.

g) Die Ausfallforderung des Insolvenzrechts (§§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO) Die nicht befriedigten Gläubigerforderungen bleiben nach Abschluss des Insolvenzverfahrens unverändert bestehen (§ 201 Abs. 1 und 2 InsO). Das Regelinsolvenzverfahren dient nicht dem Schuldner bei der Entschuldung, sondern der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger. Das ändert sich im Falle einer Verfahrensbeendigung durch Zwangsvergleich oder Restschuldbefreiung. Der Zwangsvergleich in Form eines gerichtlich bestätigten Insolvenzplans (§§ 217 ff., 254 InsO; vormals Zwangsvergleich § 7 Abs. 4 VerglO a.F., 193 KO a.F.) soll primär die Gleichverteilung des Schuldnervermögens sichern und nachrangig auch die Entschuldung ermöglichen. Die mit der Insolvenzreform zum 1.1.1999 einge500 Die Vorschrift ist von BVerfG v. 12.12.2006 NJW 2007, 979 mit einer Übergangsfrist zum 30.6.2008 für verfassungswidrig erklärt worden, weil sie keine Ausnahmen von dem Verbot vorsieht und daher nicht angemessen ist (Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, ebd. S. 983). Jetzt aber zum Reformgesetz siehe oben Fn. 475. 501 BGH v. 23.10.2003 NJW 2004, 1169, 1170 502 Chr. Gebauer/Schneider, AnwK-RVG, 2. Aufl., 2004, § 4 Rn. 82; Hansens, BRAGO, 8. Aufl. 1995, § 3 Rn. 8.

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führte gerichtliche Restschuldbefreiung auf Antrag des Schuldners (§§ 286 ff., 301 InsO) hat primär die Entschuldung zum Ziel503. Der Schuldner muss in einer im Regelfall siebenjährigen Wohlverhaltensphase Schuldendienst leisten (§ 287 Abs. 2 InsO) und wird dann von der Restschuld befreit. Insolvenzplan und Restschuldbefreiung sollen dem Schuldner im Ergebnis den Neubeginn ermöglichen und wirken deshalb auch gegenüber den Gläubigern, die nicht am Insolvenzverfahren teilgenommen haben (§§ 254 Abs. 1 S. 3, 301 Abs. 1 S.2 InsO). Der Erhalt der Schuld ist aber auch hier die Grundlage der gesetzlichen Regel. aa) Die aufrechterhaltene Schuld Insolvenzplan und Restschuldbefreiung haben nur eine beschränkte Erlasswirkung. Die Forderungen erlöschen nicht, sondern bleiben als Schuldgründe bestehen. Die Rückforderung von Erfüllungsleistungen ist ausgeschlossen. § 254 Abs. 3 InsO Ist ein Gläubiger weitergehend befriedigt worden, als er nach dem Plan zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten. 301 Abs. 3 InsO Wird ein Gläubiger befriedigt, obwohl er auf Grund der Restschuldbefreiung keine Befriedigung zu beanspruchen hat, so begründet dies keine Pflicht zur Rückgewähr des Erlangten.

Die von §§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO betroffenen Forderungen gehen mithin nicht unter. Zwangsvergleich und Restschuldbefreiung sind keine Erlöschensgründe für die Forderung504. Die vormaligen Zivilobligationen werden nach einhelliger Auffassung zu einer noch erfüllbaren, aber nicht mehr erzwingbaren Naturalobligation (unvollkommenen Verbindlichkeit) umgewandelt 505. Sie werden auch als Ausfallforderung oder Insolvenzverlustforderung bezeich503

Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur InsO, Stand 3/2006, § 301 Rn. 1. Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur InsO, Stand 3/2006, § 301 Rn. 1 (die Insolvenzverlustforderung sei deshalb stärker als Spiel, Wette und Differenzgeschäft). 505 Im Ergebnis besteht darin Einigkeit, wobei die Begriffe Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit synonym verwendet werden. Bei § 254 Abs. 3 InsO findet sich überwiegend die Einstufung als Naturalobligation, während bei § 301 InsO im Anschluss an die Gesetzesbegründung (vgl. Begründung zu § 250 RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195) die unvollkommeine Verbindlichkeit angenommen wird. Kübler/Prütting/Otte, Kommentar zur InsO, Stand 3/2006, § 254 Rn. 14 u. 17; Flessner in HK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 254 Rn. 10; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 12. Aufl. 2003, § 254 Rn. 19; Beck/Depré/Viniol, Praxis der Insolvenz, 2003, § 32 Rn. 76 (jeweils Naturalobligation); Landfermann in HK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 301 Rn. 1; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 29; Braun/Buck, InsO, 2002, § 301 Rn. 1; MünchKomm/Stephan, InsO, 2003, § 301 Rn. 35; Andres/Leithaus, InsO, 2006, § 301 Rn. 10 (unvollkommene Verbindlichkeit); K. Schreiber, Unvollkommene Verbindlichkeiten, JURA 1998, 270, 272 (jeweils unvollkommene Verbindlichkeit); ebenso anerkannt in der älteren Literatur, Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 246. 504

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net506. Die Insolvenz erfasst alle vertraglichen oder gesetzlichen Forderungen des Schuldners507. Ausgenommen von der Rechtswohltat der Restschuldbefreiung sind nur Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen und die Verbindlichkeiten aus Geldstrafen (§ 302 InsO). Bereits der BGB-Gesetzgeber hat die im Konkurs „durch Accord gekürzte Forderung“ als einen Anwendungsfall der Naturalobligation anerkannt, jedoch als Frage des Konkursrechts angesehen und einer dortigen Regelung überlassen508. Der Grund für die Aufhebung der Zwangsbefugnisse liegt in reinen Zweckmäßigkeitserwägungen 509. Die im Rahmen eines Zwangsvergleichs nach § 7 Abs. 4 VerglO erlassene Schuld bleibt entsprechend, wie der BGH sagt, als natürliche Verbindlichkeit bestehen510: Mit der Bestätigung des Liquidationsvergleichs durch das Vergleichsgericht erwächst dem Schuldner der Einwand des Forderungserlasses. Unbeschadet des Fortbestandes einer natürlichen Verbindlichkeit kann der Schuldner von den Gläubigern nicht zur Leistung gezwungen werden, solange die Vergleichsschranken bestehen.

Die Forderungen bleiben dabei mit den für sie bestehenden persönlichen wie dinglichen akzessorischen und nichakzessorischen Sicherheiten bezogen auf den gekürzten Teil erhalten (§§ 254 Abs. 2, 301 Abs. 2 InsO)511. Die zivile Insolvenzforderung wird mithin identitätswahrend in eine Naturalobligation umgewandelt512 und erhält so die Grundlage bestehender Sicherheiten. Diese Regelung entspricht funktional dem Fortbestand von Realsicherheiten nach dem Eintritt der Verjährung (§ 216 BGB). Die Ausfallforderung ist ferner nicht einklagbar. Mit ihr kann auch nicht gegen neu entstandene Forderungen des Schuldners aufgerechnet werden. Dagegen kann der Schuldner eigene Forde506

Kübler/Prütting/Wenzel, Kommentar zur InsO, Stand 3/2006, § 301 Rn. 1. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung. Vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche ihre Durchsetzbarkeit. Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der und gegen die Masse. BGH v. 25.4.2002 ZIP 2002, 1093. 508 B. I. 5. a) bb) (1), S. 166 (Beschluss vom 18.12.1882 – 1. Kommission). 509 Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 246. 510 St. Rspr. BGH v. 9.4.1992 BGHZ 118, 70, 76 = NJW 1992, 1834. Der BGH verweist auf BGH v. 28.11.1967 WM 1968, 39, 40 und die dort noch verwendete Bezeichnung: Schuld ohne Haftung. RG v. 6.12.1911, RGZ 78, 71, 77 (zu § 193 S. 2 KO: Naturalobligation); RG v. 26.2.1935 RGZ 160, 134, 138 (Der Zwangserlass lässt die Forderung nicht ganz erlöschen, sondern abgeschwächt weiterbestehen; „unerzwingbar, aber erfüllbar“). 511 Landfermann in HK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 301 Rn. 1. 512 So sinngemäß auch Braun/Buck, InsO, 2002, § 301 Rn. 9 (Die Befriedigung einzelner Gläubiger werde wieder möglich). Es handelt sich daher um eine kraft Gesetzes eintretende Schuldänderung. Nur der Erfüllungszwang entfällt. Das bedeutet eine Inhalts- aber keine Identitätsänderung des Schuldverhältnisses. Zur Schuldänderung kraft Gesetzes Erman/ Kindl, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 Rn. 3 und Rn. 9 (auch in Fällen unzulässiger Rechtsausübung tritt die Schuldänderung kraft Gesetzes, § 242 BGB, ein). Zur parallelen Situation bei Eintritt der Verjährung, siehe oben C. IV. 4. c) aa) (3), S. 478. 507

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rungen gegen seine geschwächt fortbestehende Schuld verrechnen 513. Die nach Insolvenzplan oder Restschuldbefreiung verbliebene Ausfallforderung kann überdies auch wieder in eine durchsetzbare Schuld rückumgewandelt werden. Der Schuldner verzichtet auf seine Einrede aus dem Insolvenzplan. Dieser meist als Novation bezeichnete Vorgang514 stellt eine bloße Schuldänderung dar515. Sie entspricht dem nach Eintritt der Verjährung erklärten Verzicht des Schuldners auf die Verjährungseinrede. Der Schuldner kann schließlich ein (abstraktes) Schuldanerkenntnis oder Schuldversprechen abgeben516. Grundlage des abstrakten Schuldversprechens (§ 780 f. BGB) ist die nicht durchsetzbare Ausfallforderung als kausale Schuld517. bb) Abgrenzung gegenüber der Nichtschuld § 814 Hs. 1 BGB Eine andere, auf das Vorliegen einer Nichtschuld hindeutende dogmatische Konstruktion der Ausfallordnung vertritt Vallender 518. § 301 Abs. 3 InsO sei als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu verstehen. Anders als § 814 BGB stelle § 301 Abs. 3 InsO aber nicht auf die Kenntnis des Schuldners vom Fehlen seiner Verpflichtung ab. Die Leistung sei auch ausgeschlossen, wenn sie ohne Kenntnis der Nichtschuld erfolgte. Die Erfüllungsleistung werde bestandswahrend geschützt. Erst die Leistung unter dem Druck einer drohenden Zwangsvollstreckung falle nicht mehr unter § 301 Abs. 3 InsO519. Das Freiwilligkeiterfordernis der Schuldnerleistung werde zugunsten des Gläubigers eingeschränkt, weil der Irrtum und das mögliche Zwangsmotiv des Schuldners entsprechend § 814 Hs. 2 BGB unschädlich bleibe520. Diese zutreffenden Einzelaussagen können meines Erachtens nicht schlüssig auf eine Nichtschuld zurückgeführt werden. Es stellt ein dogmatisch wenig überzeu513

Landfermann in HK-InsO, 4. Aufl. 2006, § 301 Rn. 5. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 30; K. Schreiber, Unvollkommene Verbindlichkeiten, JURA 1998, 270, 272. 515 Der Fortbestand etwaiger Sicherheiten ist damit sichergestellt. Die Novation hätte dagegen zum Erlöschen der bisherigen Forderung geführt. Vgl. dazu oben B. I. 5. d) bb) (4), S. 200 u. Fn. 842. 516 Die verbliebene Forderung bietet eine ausreichende causa. Ein kausales Schuldversprechen (im Sinne einer Selbstverbürgung) ist daher überflüssig, so aber Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229 und Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97. 517 Nach RG v. 26.2.1935 RGZ 160, 134, 138 kann die Restverbindlichkeit als eine unvollkommene Verbindlichkeit die rechtliche Grundlage für einen selbständigen Schuldanerkenntnisvertrag nach § 781 BGB abgeben. Das Anerkenntnis kann daher nicht wegen Mangels des rechtlichen Grundes nach § 812 Abs. 2 BGB zurückgefordert werden. Die abstrakte Anerkenntnis bezüglich der Ausfallforderung ist klagbar. 518 Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 30 f. 519 Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 31; ähnlich auch Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Aufl. 1999, Rn. 689. 520 Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl. 2003, § 301 Rn. 31. 514

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gendes Konstrukt dar, an die irrtümliche Erfüllung einer Nichtschuld ein Behaltensrecht auf der Grundlage von Treu und Glauben zu knüpfen. Treu und Glauben als rechtsethisches Prinzip ist in § 242 BGB auf die Ausübung einer Forderung bezogen. Mit der Anerkennung der Naturalobligation als geschwächte Leistungsforderung steht ein klares und plausibles dogmatisches Konzept zur Verfügung, die Ausfallforderung des Insolvenzrechts zu erklären. Das erscheint vorzugswürdig gegenüber dem Gedanken einer irregulären Nichtschuld.

h) Die devisenrechtswidrige Forderung nach Maßgabe des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods Aus Devisenkontrakten, die nach Maßgabe des Art. VIII 2 b S. 1 des IWFAbkommens von Bretton Woods521 gegen devisenrechtliche Kontrollbestimmungen eines Mitgliedsstaates des Internationalen Währungsfonds (IWF) verstoßen, „kann in den Hoheitsgebieten der Mitglieder nicht geklagt werden“522. Von dieser Sanktion werden alle vertraglichen Verpflichtungen erfasst, welche die Zahlungsbilanz des Landes berühren, das die Devisenvorschriften erlassen hat523. Die hier interessierende Frage richtet sich auf das dogmatische Verständnis der Rechtsfolgenanordnung. Die authentische englische Textfassung524 lautet: „Exchange contracts … shall be unenforceable …“

Die Regelung besitzt die Qualität einer internationalen Sachnorm525. Sie gehört damit in den Bereich des materiellen Einheitsprivatrechts und ist nach Möglichkeit einheitlich für das Abkommen auszulegen 526. Schwierigkeiten bereitet 521

Bretton Woods Abkommen über den Internationalen Währungsfonds v. 1.-22.7.1944 das seitdem 14.8.1952 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft ist, BGBl. 1952 II, S. 637 u. 728. 522 Deutsche Fassung des Abkommens, BGBl. 1978 II, S. 13, 34 f., abgedruckt bei Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 13. Aufl. 2006, Nr. 130, S. 284. 523 Zur Auslegung des Begriffs Devisengeschäft, Ebke, Das Internationale Devisenrecht im Spannungsfeld völkerrechtlicher Vorgaben, nationaler Interessen und parteiautonomer Gestaltungsfreiheit, ZVglRWiss 100 (2001) S. 365, 375 ff.; Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh. zu Art. 34 EGBGB Rn. 31; MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 14 (weite Auslegung). Der BGH sieht nur Geschäfte des laufenden Zahlungsverkehrs, nicht aber Kreditverträge im internationalen Kapitaltransfer erfasst, BGH v. 28.01.1997 NJW 1997, 686, 687. 524 Jayme/Hausmann, (oben Fn. 522), Nr. 130 Fn. 3. 525 Weil die Sanktion unabhängig vom Vertragsstatut und der verletzten Devisenvorschrift eines Mitgliedstaates angeordnet wird. Zum kollisionsrechtlichen Gehalt vgl. MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 11. 526 Sog. autonome Auslegung. Auch zu den Interpretationsdivergenzen Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh. zu Art. 34 EGBGB Rn. 20; MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 12.

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das dogmatische Verständnis der unenforceability. Der dem angelsächsischen Recht entstammende Begriff folgt einem aktionenrechtlichen Denkansatz527. Danach sollen keine gerichtlichen Sanktionen zur Durchsetzung der Verpflichtung bereit gestellt werden 528, aber die materielle Verpflichtung unberührt bleiben. Der gesetzgeberische Eingriff führt zu einer zwar fortbestehenden, aber nicht durchsetzbaren Devisenforderung. Die Durchsetzungsschwäche lässt sich prozessrechtlich oder materiellrechtlich verstehen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die dem Gläubiger aberkannten Durchsetzungsbefugnisse prozessualer oder materiellrechtlicher Natur sind. aa) Devisenforderung ohne prozessuales Klagerecht Nach der bisherigen529 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs530, der das Schrifttum in Deutschland teilweise folgt 531, verliert der Gläubiger bei einem Verstoß gegen nationales Devisenrecht nur das prozessuale Klagerecht. Vertrag und Forderung bleiben materiell-rechtlich unberührt und bilden den Rechtsgrund für eine gleichwohl erbrachte Erfüllungsleistung532. Das von Art. VIII 2 b S. 1 aberkannte Klagerecht wird hier prozessual verstanden. Die prozessuale Klagebefugnis untersteht allein dem Prozessrecht und ist Sachurteilsvoraussetzung533. Ihr Vorliegen ist von Amts wegen zu berücksichtigen und in jeder Lage

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Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 187. Gold, The Fund Agreement in the Courts, Washington, Vol. III, 1986, S. 268. 529 BGH v. 27.4.1970 IPRspr. 1970, Nr. 101, S. 329, 330; BGH v. 21.12.1976 WM 1977, 332, 333; BGH v. 8.3.1979 IPRspr. 1979, 139, S. 473, 475. 530 In zwei jüngeren Entscheidungen hat der BGH die Frage offengelassen, ob er der neueren Meinung im Schrifttum folgen und den Begriff „unenforceable“ im Sinne einer unvollkommenen Verbindlichkeit verstanden wissen will oder ob er eine Einstufung als prozesshindernde Einrede befürworten werde, BGH v. 14.11.1991 BGHZ 116, 77, 84 und BGH v. 8.11.1993 NJW 1994, 390. 531 Gehrlein, Ausschluss der Klagbarkeit einer Forderung kraft IWF-Übereinkommen, DB 1995, 129, 132 f.; Ehricke, Die Funktion des Art. VIII Absch. 2 b S. 1 des IWF-Vertrages in der internationalen Schuldenkrise, RIW 1991, 365, 371; G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 421 (Ansprüche, denen allein der prozessuale Klageschutz fehle). 532 In diesem Punkt unterscheidet sich die prozessuale Auffassung nicht von der materiellrechtlichen Theorie, die das aberkannte Klagerecht aber als materielles Recht versteht und eine unvollkommene Verbindlichkeit bejaht. Der Rechtsgrund bleibt nach beiden Ansichten die erfüllte vertragliche Forderung. Die Entscheidung des KG v. 8.7.1974 IPRspr. 1974 Nr. 138, S. 364 zeigt aber, dass die prozessuale oder materiellrechtliche Unklagbarkeit nicht auch den Bereicherungsprozess umfassen darf. Der Rechtsgrund muss materiell-rechtlich geklärt und festgestellt werden können. Kritisch zu dieser Entscheidung Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 287 (die lachenden Erben). 533 Wegen des öffentlich-rechtlichen Zwecks des Abkommens liege eine echte Sachurteilsvoraussetzung vor, BGH v. 27.4.1970 IPRspr. 1970, Nr. 101, S. 329, 331; BGH v. 17.2.1971 IPRspr. 1971, Nr. 116 b, S. 362, 364; BGH v. 21.12.1976 IPRspr. 1976, Nr. 118, S. 342, 343. 528

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des Verfahrens zu beachten 534. Eine gleichwohl erhobene Klage ist durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. Für diese Auffassung spricht insbesondere der Zweck des Abkommens. Geschützt werden die Interessen der IWFMitgliedstaaten und nicht die privaten Interessen der betroffenen Vertragspartner. Die staatlichen Interessen richten sich aber auf die Einhaltung ihrer in Übereinstimmung mit dem IWF erlassenen Devisenbestimmungen im zwischenstaatlichen Zahlungsverkehr. Ziel ist die Aufrechterhaltung geordneter Währungsbeziehungen und der Schutz der Währungen der Mitgliedstaaten. Deshalb dürfen die Gerichte und Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten nicht bei der Durchsetzung devisenrechtlich unzulässiger Verpflichtungen mitwirken 535. Jede devisenrechtliche Beschränkung eines Mitgliedes führt zur sofortigen hoheitlichen Klagesperre, während die materiellen Rechtspositionen erhalten bleiben. bb) Einredebehaftete Devisenforderung Teilweise wird die Auffassung vertreten, der rechtliche Durchsetzungsmangel solle von der Einredeerhebung des Schuldners abhängig sein536. Die Einredekonstruktion verlagert die Darlegungs- und Beweislast auf den einredeberechtigten Schuldner. Die Forderung bleibt an sich durchsetzbar und klagbar, aber der Schuldner besitzt eine Einrede. Dem Gläubiger (Kreditgeber, Verkäufer usf.) den Nachweis aufzugeben, dass die Zahlungsforderung „nicht unklagbar“ ist, widerspräche einer einheitlichen abkommenseigenen Auslegung und sei auch sachlich nicht überzeugend537. Unklar ist, ob die deshalb geschaffene Verteidigungsposition aus der Einrede nur ein prozessuales Verteidigungsmittel darstellt, vermöge dessen der Schuldner die Durchsetzung der Forderung verhindern kann, oder ob es sich um ein materielles Gegenrecht handelt, das mit seiner Ausübung die Einforderungsbefugnis des Gläubigers aufhebt538. 534 Nicht umfasst ist auch die amtswegige Feststellung über den unterbreiteten Prozessstoff hinaus, BGH v. 31.1.1991 NJW 1991, 3095, 3096. 535 Verbindliche Auslegung des Direktoriums des IWF v. 10.6.1949; zit. nach MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn.10; im einzelnen Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 38. 536 Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh zu Art. 34 EGBGB Rn. 79; Reithmann/Martiny/ Thode, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. 2004, Rn. 509; offengelassen von MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 39. 537 Zu den beweisrechtlichen Folgen der amtswegigen Berücksichtigung Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 283 f.; ders., Das Internationale Devisenrecht im Spannungsfeld völkerrechtlicher Vorgaben, nationaler Interessen und parteiautonomer Gestaltungsfreiheit, ZVglRWiss 100 (2001) S. 365, 388. 538 Nicht klar ist, ob es sich um ein materielles Gegenrecht gegen die Forderung ähnlich der Verjährung handeln soll oder ob ein prozessuales Gegenrecht, wie etwa aus einem pro-

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C. Systematischer Teil

Die Konstruktion einer verzichtbaren Einrede539 ist nicht ohne Kritik geblieben. Aufgrund der staatsvertraglichen Verpflichtung zur Einhaltung des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods, soll es nicht vom Willen des Schuldners abhängen dürfen, ob die staatliche Durchsetzbarkeit aufgehoben wird540. Die Vorschrift sei vielmehr zwingendes Recht541 und stehe auch nicht der nur einseitigen Disposition des Schuldners offen. Die damit verlangte amtswegige Prüfung eines Verstoßtatbestandes, die den BGH zur Annahme einer Prozessvoraussetzung führt, kann jedoch auch durch ein materiellrechtliches Verständnis des staatlichen Mitwirkungsverbots erreicht werden542. cc) „Nichtforderung“ oder naturale Devisenforderung Nach der materiellrechtlichen Theorie setzt das staatliche Mitwirkungsverbot am Forderungsrecht an. Der Haupteinwand gegen die prozessuale Theorie geht dahin, dass sie zu kurz greift. Nach dem Übereinkommen sollen über das bloße Klagerecht hinaus auch Sicherungsgeschäfte sowie außergerichtliche Zwangsbefugnisse, wie die Aufrechnung oder die Zurückbehaltung, ausgeschlossen werden. Die Auffassungen darüber, wie Umgehungen des Abkommenszwecks verhindert werden können, gehen auseinander. Nach Mann soll zum Schutz vor Umgehungen die materielle Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts in Gestalt der Vertragsnichtigkeit eintreten543. Damit würde dem Gläubiger nicht lediglich der Rechtsschutz versagt, sondern das Recht selbst genommen. Die ganz überwiegende Auffassung innerhalb der materiellrechtlichen Theorie lehnt dies als zu weitgehend ab und geht mit Ebke davon aus544, zessualen pactum de non petendo, gemeint ist. Das materielle Gegenrecht richtet sich gegen die Forderung, während das prozessuale nur die prozessuale Klagbarkeit reguliert. 539 Da der Schuldner die Einrede nicht ausüben muss, sie wieder fallenlassen kann und grundsätzlich auch auf sie verzichten kann, ist von verzichtbarer Einrede die Rede. Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh zu Art. 34 EGBGB Rn. 79; Reithmann/Martiny/Thode, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. 2004, Rn. 509. 540 Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 65; Vischer/ Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. Bern 2000, Rn. 999. 541 Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 40. 542 Die Pflicht zur Anwendung des objektiven Rechts bedeutet ebenfalls eine amtswegige Feststellung. Es besteht keine Ermittlungspflicht, die aber auch bei Annahme einer Sachurteilsvoraussetzung nicht gegeben ist. Zutreffend Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 39. 543 Mann, Der internationale Währungsfonds und das IPR, JZ 1970, 709, 714; ders., Der internationale Währungsfonds und das IPR, JZ 1981, 327, 328. 544 Grundlegend Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 301 f. (unvollkommene Verbindlichkeit im Sinne eines materiellrechtlichen Mangels der Forderung, keine Forderung, aber eine Verbindlichkeit); ders., Internationale Kreditverträge und das internationale Devisenrecht, JZ 1991, 335, 341 f.; Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh zu Art. 34 EGBGB Rn. 74; Tyll-Dietrich Kern, Der internationale Währungsfonds und die

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dass eine Naturalobligation (unvollkommene Verbindlichkeit) anzuerkennen ist. Auf diesem Wege wird nicht lediglich das (prozessuale) Klagerecht545, sondern es werden sämtliche materiellen Durchsetzungsbefugnisse aufgehoben546. Anders als im Falle der Nichtigkeit bleibt die Forderung als Naturalobligation erhalten. dd) Stellungnahme: Einstufung als Naturalobligation Die letztgenannte Auffassung innerhalb der materiell-rechtlichen Theorie ist vorzugswürdig. Der bloß prozessuale Klageverlust kann nicht erklären, weshalb die privaten Zwangsrechte des Gläubigers, namentlich die Aufrechenbarkeit547 und das Zurückbehaltungsrecht548 entfallen. Ferner lässt sich eine Erstreckung des Klageverbots auf Umgehungsgeschäfte mit einer prozessualen Regulation dogmatisch kaum begründen 549. Unklar bleibt auch, ob und wie sich die Unklagbarkeit auf akzessorische Sicherungsgeschäfte, dingliche Sicherheiten und Hilfsgeschäfte auswirkt. Selbständige Sicherungen werden als Umgehungsgeschäfte von Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens ausgeschlossen550. Die prozessuale Klaglosigkeit hat ferner zur Folge, dass ein Berücksichtigung ausländischen Devisenrechts, 1968, S. 88; Reithmann/Martiny/Thode, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. 2004, Rn. 531; Siehr, IPR, 2001, S. 333; Staudinger/ K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. zu §§ 244 Rn. E 36 u. 68 (Aufgabe der Meinung in der Vorauflage, 1983, dort E 34); offenlassend MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 39; auch Staudinger/Sturm/Sturm, BGB, 2003, Einl zum IPR Rn. 263. 545 Eine hier nur nachrangige Frage ist es, ob die Klagbarkeit als ein eigenständiges Prozessrecht anzusehen ist. So G. Wagner, Prozeßverträge, 1998, S. 421 (Klagebefugnis als prozessuales Recht). Die herrschende Lehre stuft stattdessen die Klagbarkeit wie hier als ein subjektives materielles Recht ein, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1995, Einl. zu §§ 241 ff Rn. 141 ff. Dieser Streit muss hier nicht entschieden werden. Siehe oben B. I. 5. c) dd) S. 186. 546 Zu den einzelnen Durchsetzungsbefugnissen, vgl. oben C. IV. 4 a) bb), S. 423. 547 Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Aufrechnung mit einer fehlerbehafteten Forderung nicht zulässig ist, LG Karlsruhe v. 24.8.1984 RIW 1986, 385, 386 „analoge Betrachtung“ zur Unklagbarkeit, zust. Anm. Löber (387); Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, 292 f. Ebenso bleibt dem Schuldner unbenommen, die Forderung durch Aufrechnung zu tilgen, Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 64. 548 Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 64. 549 Eine Aufrechnung wird man schwerlich als fraus legis und Umgehung der prozessualen Klaglosigkeit ansehen können. Vgl. hierzu Ebke, Das Internationale Devisenrecht im Spannungsfeld völkerrechtlicher Vorgaben, nationaler Interessen und parteiautonomer Gestaltungsfreiheit, ZVglRWiss 100 (2001) S. 365, 390. 550 Das Umgehungsverbot folgt hier aus einer erweiternden Auslegung des Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens als dem umgangenen Gesetz. Die Vorschrift umfasst auch das Umgehungsgeschäft im Wege der teleologischen Extension (herrschende sog. objektive Theorie der Gesetzesumgehung, vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 396 mN). Wertungsmäßig entspricht das Umgehungsverbot den Regelungen der §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2

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Rechtsgrund aufrechterhalten wird, der gerichtlich nicht feststellungsfähig ist. Das aber führt zu einer unbefriedigenden prozessualen Immunisierung von streitigen oder gar offenkundig rechtsunwirksamen Erfüllungsleistungen551. Die prozessuale Theorie muss daher den Rückforderungsstreit von dem Klageverbot wieder ausnehmen, um diese missliche Konsequenz zu vermeiden. Nach der materiellrechtlichen Sichtweise ist der Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB durchsetzbar und insbesondere klagbar552. Die unklagbare Devisenforderung verjährt nach der materiellrechtlichen Sichtweise nach Maßgabe des auf die Forderung anwendbaren Rechts. Entsprechend kann auch eine Hemmung der Verjährung nach der lex causae eintreten553. Der Gläubiger müsste nach der prozessualen Theorie dagegen immer wieder unzulässige Leistungsklagen erheben, um die Verjährung zu hemmen 554. Um dieser Konsequenz zu entgehen, müsste eine Feststellungsklage ebenfalls möglich bleiben und bedeutet eine weitere Ausnahme von der prozessualen Unklagbarkeit. Die Klage auf Feststellung des Bestehens der Devisenforderung ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Naturalobligation möglich 555. Das materielle Behaltensrecht aus der Naturalobligation steht einer gerichtlichen Klärung offen556. Die für eine materiellrechtliche Erfassung vorgeschlagene Nichtigkeitsfolge überzeugt ebenfalls nicht. Sie führt zu einem nicht gerechtfertigten Rechtsverlust des Gläubigers und eröffnet dem Schuldner überdies allein wegen des VerBGB. Zur Handhabung von Sicherungs- und Nebengeschäften können daher die zu §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätze übernommen werden. Danach bleiben Sicherungen und Nebengeschäfte bestehen, die zu einer Zeit geschlossen wurden, als die Devisenbeschränkung noch nicht galt. Mit der Devisenbeschränkung entfällt dann die Möglichkeit der Sicherung. Siehe im Einzelnen oben C. IV. 4. a) bb) (3), S. 468. 551 Das belegt KG v. 8.7.1974 IPRspr. 1974 Nr. 138, S. 364; zu Recht ablehnend Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 287 (die lachenden Erben). Extreme Fälle sind eher theoretisch denkbar. Etwa bei einem Geschäft mit oder unter Minderjähren. 552 Das entspricht den allgemeinen Grundsätzen der Naturalobligation, vgl. oben C. VI. 4, S. 633. 553 Bei Anwendung des deutschen Rechts käme aber nur eine entsprechende Anwendung des § 206 BGB in Betracht (Hinderung an der Rechtsverfolgung wegen höherer Gewalt), MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 41 (offengelassen). 554 Nach dem zum 1.1.2002 geänderten Verjährungsrecht tritt Hemmung ein, § 204 Nr. 1 BGB, und es kommt für die Hemmungswirkung nicht auf die Zulässigkeit der Klage an. Noch zum alten Recht Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 303 (Keine Unterbrechung bei unzulässigen Klagen. Dagegen Unterbrechung bei Klagabweisung als derzeit unbegründet). 555 Vgl. oben C. VI. 4, S. 633. 556 Das dogmatische Verständnis der unvollkommenen Verbindlichkeit als einer forderungslosen Schuld (Ebke) führt dagegen streng genommen zu einer anderen Lösung der Verjährungsfrage. Hält man die unvollkommene Verbindlichkeit für ein Recht ohne Einforderungsbefugnis, so kann das Forderungsrecht nicht mehr verjähren. Die Verjährung knüpft an die Einforderungsbefugnis und den Anspruch an (Anspruchsverjährung). Die Verjährungsregeln können nicht auf eine forderungslose Schuld angewendet werden.

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stoßes gegen das Devisenrecht die Kondiktion von Gleichwohlleistungen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) 557. Ein Rechtsverlust ist durch das Abkommen nicht gedeckt und von daher ist auch die Kondiktion von Erfüllungsleistungen nicht gerechtfertigt558. Die Mitgliedstaaten sind nicht auch die Verpflichtung eingegangen, einander bei der Rückgängigmachung devisenrechtlich unerlaubter Leistungen zu unterstützen 559. Gegen die Nichtigkeitsfolge spricht ferner ein systematisches Argument. Die Nichtigkeitsfolge setzt beim Rechtsgeschäft, dem Vertrag, an, während die Unklagbarkeit das speziellere Forderungsrecht betrifft. Karsten Schmidt hat entsprechend darauf hingewiesen, dass Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens widersprüchlich sei, weil nicht der Vertrag, sondern nur die Forderung unklagbar sein könne560. Nach dem Gesetzestext ist Anknüpfungsgegenstand der Unklagbarkeit der Kontrakt, worunter ein Vertrag verstanden wird („Exchange contracts … shall be unenforceable“, bzw. „Aus Devisenkontrakten … kann nicht geklagt werden“). Das angelsächsische Verständnis vom contract unterscheidet sich indes von dem kontinentalen Vertragsbegriff, namentlich dem dogmatischen Verständnis der deutschen Zivilrechtslehre. Ein contract verknüpft ex ante als bestehend gedachte gegenseitige Forderungen über eine Zweckvereinbarung zu einem Vertrag (im Modell der translativen Versprechensübertragung)561. Die unenforceabiltity eines contracts meint insofern die mangelnde Durchsetzbarkeit der jeweiligen vertraglichen Forderung. Der Widerspruch löst sich damit auf. Nur der deutsche Vertrag bringt nach dem Gedanken der vereinigten Willen die Forderung erst hervor. Der von der Nichtigkeit erfasste Vertrag erscheint losgelöst von der Forderung und führt im deutschen Verständnis zu der widersprüchlichen Rede vom unklagbaren Vertrag. Die vom Abkommen geregelte Klagbarkeitsfrage ist tatsächlich auf die Forderung und nicht auf den Vertrag bezogen. Die Naturalobligation setzt bei der Forderung an. Sie ist daher auch systematisch die richtige Rechtsfigur562 für eine materiellrechtliche Umsetzung des Abkommens.

557 In den Grenzen bereicherungsrechtlicher Regeln, §§ 814 Hs. 1 u. 2 BGB. Keine Anwendung findet § 817 S. 2, Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 36. 558 BGH v. 27.4.1970 IPRspr. 1970, Nr. 101, S. 329, 330; Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 63; MünchKomm/Martiny, BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 Anh II Rn. 39 (schießt über das Ziel hinaus). Ablehnend und für überholt halten diese Auffassung auch Gehrlein, Ausschluss der Klagbarkeit einer Forderung kraft IWF-Übereinkommen, DB 1995, 129, 132; Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 294 f. 559 Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 63. 560 Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 64. 561 Zum angelsächsischen Begriff contract in Abgrenzung zum agreement, C. V. 4. b) aa) (2), 604. 562 Ähnlich im Ergebnis daher auch Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 63.

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Die materiellrechtliche Betrachtung hat zur Folge, dass die nach Vertragsschluss eintretenden Devisenbeschränkungen, insbesondere also solche durch den Erlass belastender Devisenkontrollbestimmungen, nicht mehr berücksichtigt werden. Vorbehaltlich einer ausdrücklich zurückwirkenden Gesetzgebung bleibt für die materielle Rechtslage der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich 563. In Forderungsrechte wird nicht nachträglich eingegriffen. Das schwächt zwar den Mechanismus des Übereinkommens und gefährdet den Schutz der Zahlungsbilanz wie des Devisenbestandes der Mitgliedsstaaten564, schützt aber Parteierwartungen in der auch grundgesetzlich gebotenen Weise (Art. 14 GG) 565. Mit der hier vertretenen Ausformung der Naturalobligation als echtes, aber nicht erzwingbares Forderungsrecht, das zugleich den Erwerbsgrund für die Erfüllungsleistung schafft566, lässt sich auch an das österreichische Verständnis des Abkommenstextes anknüpfen. Die österreichische Fassung von „shall be unenforceable“ übersetzt mit rechtlich nicht erzwingbar. Damit ist die Differenz zwischen Natural- und Zivilobligation auch sprachlich richtig erfasst567.

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Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 281 mit Hinweis auf § 134 BGB. Auf den Vertragsschluss stellt ab OLG Hamburg v, 30.4.1992 IPRax 1993, 170 (zust. Anm. Ebenroth/ Woggon, S. 151). 564 Pfeiffer, Zahlungskrisen ausländischer Staaten im deutschen und ausländischen Rechtsverkehr, ZVglRWiss 102 (2003) 141, 180 f. hält daher eine prozessuale Betrachtung für vorzugswürdig. 565 In Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion haben eine Reihe der Nachfolgestaaten erhebliche Beschränkungen ihres Devisenverkehrs eingeführt, Staudinger/Ebke, BGB, 2002, Anh zu Art. 34 EGBGB Rn. 57 u. 77; Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 294 (entschädigungslose Forderungsenteignung); a.A. Pfeiffer, Zahlungskrisen ausländischer Staaten im deutschen und ausländischen Rechtsverkehr, ZVglRWiss 102 (2003) 141, 181, der willkürliche Eingriffe durch Parteivereinbarung (Sicherheiten), Regelungen des Kontrollstaates und eine auf willkürliche, diskriminierende oder konfiskatorische Maßnahmen beschränkte ordre public-Kontrolle eine ausreichende Schutzwirkung beimisst. 566 Einer Analogie zu § 762 Abs. 1 BGB bedarf es m.E. dazu nicht, weil die Naturalobligation eine dogmatische Rechtsfigur zur systematischen Erfassung bestimmter positiver Regelungen darstellt. Für eine Analogie Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 300, der zwar gegen den Gesetzeswortlaut des § 762 Abs. 1 S. 1 BGB eine Verbindlichkeit bejaht, aber – anders als hier – eine Forderung verneint, Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 301. Ebke geht auch davon aus, dass der Gläubiger Feststellungsklage erheben müsse, um die Verjährung des Anspruchs zu unterbrechen (zu §§ 209, 211 BGB a.F., ebd. S. 303). Das passt mit der Annahme einer fehlenden Forderung nicht recht zusammen. Auch haben die rechtstheoretischen Überlegungen gezeigt, dass jeder autonom begründeten obligatorischen Pflicht ein Recht korrespondieren muss. Zur notwendigen Korrespondenz von obligatorischen Rechten und Pflichten vgl. oben C. III. 1. c) bb) (2), S. 314. Eine, wenn auch modifiziert Forderung bejaht zutreffend Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. 1997, Vorbem. §§ 244 Rn. E 68. 567 Die anlässlich des Beitritts Österreichs zum IWF im Jahre 1949 gefertigte Übersetzung lautet: „Devisenverträge …, die den … widersprechen, sind in den Gebieten keines Mitgliedes rechtlich erzwingbar“. Öst. BGBl. Nr. 105/1949. Später aber auf deutschen Einfluss

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Zusammenfassend zeigt die Analyse der Anwendungsfälle, dass der Gesetzgeber die Gründe nicht abschließend bestimmt hat, die den Erhalt der Forderung bei gleichzeitiger Aufhebung des Erfüllungszwanges rechtfertigen 568. Die Gestaltung folgt auch keinem einheitlichen inhaltlichen Prinzip oder Rechtsgedanken. Rein rechtspolitische Gründe genügen, was den Schluss rechtfertigt, dass die Figur der Naturalobligation ein gesetzgeberisches Gestaltungsmittel zur funktionalen Differenzierung der Forderung darstellt.

i) Neue Anwendungsgebiete für ein gesetzgeberisches Gestaltungsmittel aa) Anerkennung privater Schiedssprüche ohne Vollstreckbarerklärung Die Rechtsfigur Naturalobligation könnte die Forderung aus staatlich zwar anerkannten, aber nicht vollstreckbaren privaten Schiedssprüchen erklären. In Deutschland ist nach der gegenwärtigen Rechtslage ein Auseinanderfallen von Anerkennung und Vollstreckbarkeit sowohl für inländische569 als auch für ausländische Schiedssprüche, die im Inland anerkannt und vollstreckt werden, ausgeschlossen 570. Eine dahingehende Trennung plant etwa der Staat Ontario/ Kanada. Dort sollen Entscheidungen von institutionell organisierten religiösen Schiedsgerichten nicht gegen den Willen der unterlegenen Partei durchzusetzen sein. Die religiösen Schiedsgerichte werden nach Art. 1 Abs. 5 des Ontario Arbitration Act 1991 zugelassen und sie entscheiden nach religiösen Normen der Sharia. Diese Urteile werden vom Family Statute Law Amendment Act 2005 für unverbindlich erklärt. Das soll heißen, dass sie zwar anerkannt, aber nicht mit Hilfe staatlicher Gerichte durchgesetzt werden können 571. Damit ist nicht

hin geändert in „kann nicht geklagt werden“, vgl. näher Ebke, Internationales Devisenrecht, 1991, S. 297 f. 568 So auch bereits Klingmüller, Die Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit, 1905, S. 256. 569 Die ipso iure Anerkennung und das erforderliche Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines privaten inländischen Schiedsspruches werden sachlich getrennt geregelt, §§ 1055, 1060 ZPO. Die enumerativen Aufhebungsgründe gelten aber parallel, § 1059 Abs. 2 ZPO, so dass kein Wertungsspielraum für eine bloße Anerkennung im deutschen Schiedsrecht vorhanden ist. 570 Anerkennung und Vollstreckung werden ebenfalls parallel geregelt, § 1061 ZPO, Art. IV und V des UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche v. 10.6.1958. 571 Frauenorganisationen in Ontario haben gegen diese Regelung für religiös geprägte Schiedsverfahren vorgebracht, die Forderungen könnten mit Hilfe gesellschaftlichen Drukkes durchgesetzt werden. Das kann und soll aber auch nicht mit der Regelung verhindert werden. Vgl. Hans-Patrick Schroeder, Die Anwendung der Sharia als materielles Recht im kanadischen Schiedsverfahrensrecht, IPRax 2006, 77, 80.

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C. Systematischer Teil

nur die Vollstreckung des Schiedsspruches ausgeschlossen, sondern sie sind insgesamt nicht einseitig durchsetzbar. Der Schiedsspruch ist verbindlich, aber unerzwingbar. Werden die Schiedssprüche befolgt, so bewirkt die staatliche Anerkennung, dass das Schiedsurteil die materiellrechtliche Grundlage für die Güterbewegung bildet572. Die nicht zugelassene Vollstreckbarerklärung ist allerdings zu eng. Bereits die Anerkennung erfolgt nur eingeschränkt insofern die rechtlichen Durchsetzungsbefugnisse insgesamt nicht gewährt werden. Dogmatisch ließe sich dies Ergebnis mit Hilfe der Naturalobligation erklären und umsetzen. bb) Prostitutionsvertrag (1) Die Entgeltforderung der Prostituierten Vor dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes am 1.2.2002573 wurde die Naturalobligation zur dogmatischen Erfassung der Lohnforderung der Prostituierten erwogen, um dadurch einerseits den unerwünschten Durchsetzungszwang zu beseitigen, ohne andererseits die Schuld für sittenwidrig und nichtig halten zu müssen (§ 138 Abs. 1 BGB)574. Der Bundesgerichtshof hielt jedoch bis zuletzt an der Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrages fest 575. Der 1. und der 3. Senat des BGH haben diese Einstufung zwischenzeitlich aufgegeben576 und 572 Zur Frage, ob nicht anerkannte ausländische Urteile im Inland zumindest die Wirkung eines Rechtsgrundes haben, so dass Leistungen auf derart titulierte Verpflichtungen nicht zurückgefordert werden können, unten C. IV. 4. c) cc), S. 454. Der Rückforderungsausschluss unter der Voraussetzung des § 814 Hs. 1 BGB ist stets zu beachten. Bei fehlender Kenntnis der Nichtschuld ist dagegen die Rückforderung prinzipiell offen. Das ist die Konsequenz aus der Versagung der Anerkennung. Mangels Anerkennung des Urteils ist grundsätzlich auch die Anerkennung als Naturalobligation ausgeschlossen. Darin unterscheiden sich beide Fallgestaltungen. 573 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3983, vgl. AnwK-BGB/Looschelders, 2005, Anhang zu § 138 BGB. 574 So etwa Rother, Sittenwidriges Rechtsgeschäft und sexuelle Liberalisierung, AcP 172 (1972) 498, 507; für Telefonsexverträge auch bereits AG Aue NJW 1997, 2604 f. (§ 656 BGB analog); verneint aber von BGH NJW 1998, 2895, 2896. Da nicht erst der Erfüllungszwang, sondern bereits die rechtliche Anerkennung einer obligatorischen Leistungsbindung gegen das unveräußerliche Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verstößt (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) lehne ich die Naturalobligation hier ab, G. Schulze, Das Geschäft mit der Stimme – Zur Sittenwidrigkeit von Verträgen über sog. Telefonsex, JuS 1999, 636, 639. 575 Die Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrags, die der Prostituierten den Lohnanspruch nahm, sollte nicht nur der Kommerzialisierung von Intimverhalten entgegenwirken, sondern insbesondere auch den Kunden vor Ausbeutung schützen, vgl. BGH v. 9.6.1998, NJW 1998, 2895 = BGHZ 67, 119, 125: „…die Ausbeutung der Triebhaftigkeit, der Abenteuerlust und der jugendlichen Unerfahrenheit“ der Kunden. In der Praxis führte die Nichtigkeit des Vertrages wegen der Gefahr der Nichtzahlung zur riskanten Vorleistung des Kunden. 576 BGH v. 13.7.2006, JZ 2007, 477, 478 zustimmend Armbrüster 479, 480; BGH v. 8.11.2007, NJW 2008, 140 bez. Telefonsex.

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der problematischen „Legalversittlichung“ durch das Prostitutionsgesetz rechtliche Geltung verschafft. Im Schrifttum wird auch nach dem neuen Recht erwogen, eine Naturalobligation anzuerkennen, gerade weil das Sittenwidrigkeitsverdikt nun nicht mehr angenommen werden könne577. Ein solches Verständnis lässt sich aber mit der Neuregelung nicht in Einklang bringen. Der Gesetzgeber ist offenkundig einen anderen, wenn auch wenig überzeugenden Weg gegangen. § 1 ProstG lautet: „Sind sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden, so begründet diese Vereinbarung eine rechtswirksame Forderung. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Person, insbesondere im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung derartiger Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält.“

Die Lohnforderung der Prostituierten nach § 1 ProstG ist zur „rechtswirksamen Forderung“ erklärt worden. Mit dieser Formulierung wollte der Gesetzgeber sowohl die Sittenwidrigkeit aus der Welt schaffen578 als auch die Forderung für gerichtlich durchsetzbar erklären 579. Die Lohnforderung kann daher nicht (mehr) als Naturalobligation betrachtet werden. Die rechtliche Konstruktion, die der Gesetzgeber hier gewählt hat, bleibt dogmatisch gleichwohl unklar. So erscheint die rechtliche Konstruktion neu, wonach die Lohnforderung aus der Entgeltvereinbarung folgt („vorher vereinbartes Entgelt“). Die Entgeltvereinbarung soll aber kein einseitig verpflichtender Vertrag sein580. Sie diene nur dem Zweck, sexuelle Handlungen zu erlangen581. Den Begriff „Vereinbarung“ verwendet das Gesetz im Schuldrecht in Abgrenzung zu einem Vertrag bislang nicht. Die schuldrechtliche Dogmatik kennt den Rechtsakt Vereinbarung in ei577

Erman/H.P. Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, Einl § 241 Rn. 23; Rautenberg, Prostitution: Das Ende der Heuchelei ist gekommen! NJW 2002, 650, 651 (Keine Leistungsklage, aber Anerkennung rechtlicher Bindung). 578 Hagen, Menschenwürde und gute Sitten. Gedanken zum Prostitutionsgesetz, in: Jikkeli (Hg.), GS für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 581, 595 hält diese „Legalversittlichung“ für kulturrevolutionär und unzulässig. Er plädiert für eine fortbestehende Sittenwidrigkeit; ähnlich Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Anh zu § 138, § 1 ProstG Rn. 1; dagegen sieht Armbrüster Anm. zu BGH v. 13.7.2006, JZ 2007, 477, 480 den parlamentarisch legitimierten Gesetzgeber für frei, die rechtliche Beurteilung eines Verhaltens zu regeln, ohne dabei an bestimmte gesellschaftliche, moralische oder religiöse Wertvorstellungen gebunden zu sein. 579 BT-Drucks 14/5958, S. 4. 580 So aber die h.M. im Anschluss an BT-Drucks 14/5958, S. 4 ff.; Bamberger/Roth/ Wendtland, BGB, 2003, Anh. § 138 Rn. 4; Hk-BGB/Dörner, 2005, § 138 Rn. 9; MünchKomm/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2002, § 1 ProstG Rn. 7; AnwK-BGB/Looschelders, 2005, Anh § 138 Rn. 13. 581 Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Anh zu § 138, § 1 ProstG Rn. 2 geht davon aus, dass die Zweckverknüpfung zwischen Entgelt und sexueller Handlung der Annahme eines einseitig verpflichtenden Vertrages entgegenstehe. Dagegen AnwK-BGB/Looschelders, 2005, Anh § 138 Rn. 13, der die Systematik mit der Begründung preisgibt, der Gesetzgeber könne den Grundsatz durchbrechen.

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nem technischen Sinne nur im Bereicherungsrecht als Zweckvereinbarung bei der condictio ob rem582. Somit führt § 1 ProstG zu einer Forderung, die weder aus Vertrag noch aus Gesetz entsteht, sondern aus einer „Entgeltvereinbarung“. Der Ruf nach einer dritten Spur zwischen Vertrag und Delikt ist nicht neu und hat insbesondere die Vertrauenshaftung (Canaris) hervorgebracht. Auch ist die Aufnahme einer schlichten Einigung (bloße Vereinbarung, pactum) als Fall eines Quasikontrakts bereits von Mayer-Maly empfohlen worden, um die rechtgeschäftliche Grundlage für die sog. faktischen Vertragsverhältnisse zu bezeichnen583. Nach Auffassung von Heinrichs soll der sittenwidrige und darum zunächst unwirksame Prostitutionsvertrag nachträglich teilweise wirksam werden. Die Wirksamkeit beschränke sich auf die Entgeltforderung. Die Heilung trete mit Vornahme der sexuellen Handlungen ex nunc ein 584. Eine solche Deutung entspricht dem Konzept der Heilung formfehlerhafter Verträge, die ebenfalls zunächst unwirksam sind und durch Erfüllung Gültigkeit erlangen (§ 313 b Abs. 1 S. 2 BGB). Hier tritt die Heilung aber durch die Vornahme der für sittenwidrig eingestuften Handlung ein. Die sittenwidrige Vorleistung verschafft der Prostituierten danach die Entgeltforderung. Das ist keine überzeugende Konstruktion für die schließliche Rechtswirkung585. (2) Die Forderung des Freiers Die Entgeltvereinbarung zur Erlangung sexueller Leistungen könnte sachnah als gegenseitiger Vertrag eingestuft werden. Damit wäre eine zweiseitige Leistungsverpflichtung anzuerkennen. Die Prostituierte ließe sich dadurch schützen, dass ihre persönliche Leistungspflicht als Naturalobligation ausgestaltet wird und damit nicht erzwingbar ist. Gegen ein solches Verständnis spricht aber das unveräußerliche Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, welches einer Bindung und sei es auch einer nicht zwangsbewehrten Bindung entgegensteht. Danach ist nicht nur der Erfüllungszwang, sondern die obligatorische Leistungsbindung unzulässig (Art. 1, 2 Abs. 1 GG) 586. Eine Dienstforderung kann 582 MünchKomm/Lieb, BGB, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 198 (nicht verpflichtende Vereinbarung). Der Vorschlag von W. Vogel, Vertrag und Vereinbarung, 1932, S. 29 ff., von dem Vertrag die Vereinbarung abzuspalten, ist nicht rezipiert worden. Vgl. Mayer-Maly, Vertrag und Einigung. Teil I der Studien zum Vertrag. In: Dietz, Hübner (Hg.): FS für Hans Carl Nipperdey. Bd. I. 1965, S. 509, 514 Fn. 21 583 Mayer-Maly, Vertrag und Einigung. Teil I der Studien zum Vertrag. In: Dietz, Hübner (Hg.): FS für Hans Carl Nipperdey. Bd. I. 1965, S. 509, 521. 584 Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Anh zu § 138, § 1 ProstG Rn. 2. 585 Ablehnend daher auch MünchKomm/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2002, § 1 ProstG Rn. 23 ff. Ähnlich aber ohne Leistungspflicht auf beiden Seiten bereits Honsell, der am Beispiel von Bordellverträgen und unter Hinweis auf Mitteis vorschlug, das Geschäft als reinen Rechtsgrund ohne Verpflichtung anzuerkennen, Honsell, Die zivilrechtliche Sanktion der Sittenwidrigkeit, JZ 1975, 439, 440. 586 So die wohl überwiegende Meinung im Anschluss an Rother, Sittenwidriges Rechts-

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nicht anerkannt werden. Damit scheidet auch die Annahme einer Naturalobligation aus. cc) Unbenannte Verträge (1) Atypischer Leistungszweck (Leihmutterschaft, Empfängnisverhütung, Fluchthilfe) Der Leihmuttervertrag, mit dem gegen Entgelt das Austragen eines biologisch fremden Kindes vereinbart wird587, begründet weder für die Leihmutter noch für den Auftraggeber eine Naturalobligation. Die Leihmutter kann sich zum Austragen eines Kindes auch dann nicht wirksam verpflichten, wenn man die Sittenwidrigkeit solcher Verträge verneint 588. Die Verpflichtung ist ausgeschlossen, weil die Bindung einen Verstoß gegen das unveräußerliche Persönlichkeitsrecht auf körperliche Integrität der Leihmutter darstellt (Art. 1, 2 GG). Die Entscheidungsfreiheit ist in diesen Fragen nicht wirksam verzichtbar589. Es genügt mit anderen Worten nicht, nur den Erfüllungszwang für missbilligenswert einzustufen, wie dies im Schrifttum anklingt 590, sondern schon die Pflicht muss entfallen. Aus demselben Grunde ist eine Vereinbarung über die Empfängnisverhütung nicht als Naturalobligation einzustufen. Die Zusage über die Verhütung ist schon nicht pflichtfähig, selbst wenn sie obligatorisch verpflichtend gewollt war591. Statt eines Bindungsverbots kommt auch die Annahme der Sittenwidrigkeit in Betracht592. geschäft und sexuelle Liberalisierung, AcP 172 (1972) 498, 505; AnwK-BGB/Looschelders, 2005, Anh § 138 Rn. 11; Staudinger/Sack, 13. Bearb. 2000, § 138 Rn. 455. Dieses Verständnis zeigt sich präzise bei Staudinger/Knothe, BGB, 13. Bearb. 2004, § 107 Rn. 23: Hingabe der minderjährigen Prostituierten verstößt „selbst als Naturalobligation“ gegen Art. 1 Abs. 1 GG. 587 Im Normalfall wird eine extrakorporal befruchtete Eizelle zum Austragen des Kindes in die Gebärmutter einer anderen Frau, der Leihmutter, eingesetzt, vgl. zu einem solchen Vertrag, OLG Hamm v. 2.12.1985, NJW 1986, 781 = VersR 1986, 243, 244 f. 588 Für Sittenwidrigkeit OLG Hamm v. 2.12.1985, NJW 1986, 781 = VersR 1986, 243, 244 f. 589 AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 175 (sittenwidrige Kommerzialisierung menschlicher Fortpflanzung). 590 Beim Leihmuttervertrag sprechen sich gegen eine Sittenwidrigkeit und für eine mögliche Anerkennung als Gentlemen’s Agreement aus, Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 306 f.; Henke, Die Leistung: Grundvorgang des sozialen Lebens und Grundbegriff des Schuldrechts, 1991, S. 24: „Die Abmachung ist zwar rechtlich nicht bindend (schutzfähig im Sinne von zwangsfähig), aber wegen der Kinderlosigkeit der Ehe sozial achtenswert.“ Die Vermittlung von Leihmutterverträgen ist nach §§ 13 a – d AdoptionsvermittlungsG ausdrücklich verboten. 591 BGH v. 17.4.1986, BGHZ 97, 372, 379 = BGH VersR 1986, 656, 658 (Personale Würde und das Persönlichkeitsrecht stehen einer Bindung entgegen). 592 Etwa AnwK-Looschelders, BGB, 2005, § 138 Rn. 180 (sittenwidrig, weil im höchstpersönlichen Bereich liegend).

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Diskutiert worden ist die Frage, ob Verträge über Fluchthilfe 593 zur Überwindung der innerdeutschen Grenze von der DDR in die Bundesrepublik lediglich Naturalobligationen begründen 594. Das ist in der Literatur vereinzelt auf Zustimmung gestoßen595. Der Bundesgerichtshof hat diesen Ansatz im Ergebnis aber zu Recht verneint. Systematisch ist zunächst wie stets auf die jeweilige Forderung und nicht auf den Vertrag als solchen abzustellen. Das Versprechen eine Fluchthilfe zu organisieren oder durchzuführen ist im Ausgangspunkt nicht sittenwidrig596, so dass ein Recht des Auftraggebers auf Durchführung der Fluchthilfe entsteht. Der Bundesgerichtshof geht ferner davon aus, dass der Fluchthelfer obligatorisch verpflichtet ist und seinen Vergütungsanspruch verliert, wenn er oder einer seiner Gehilfen den Misserfolg der Flucht grob fahrlässig verschuldet haben 597. Für die Annahme einer Naturalobligation spricht, dass der Fluchthelfer zur Ausführung des Auftrags nicht gezwungen werden können soll. Im Hinblick auf das jederzeitige Kündigungsrecht des Fluchthelfers (§ 671 Abs. 1 Hs. 2 BGB) hat eine Aufhebung der Zwangsbefugnisse aber keine praktische Bedeutung. Auch der Vergütungsanspruch des Fluchthelfers gegen seinen Auftraggeber ist wirksam und darüber hinaus erzwingbar. Der BGH betont, dass Vergütungsvereinbarungen nicht entgegengewirkt, sondern im Hinblick auf das Grundrecht der Freizügigkeit gefördert werden sollen598. Die Aberkennung der Zwangsbefugnisse ist hier rechtspolitisch unerwünscht. Die Anerkennung einer Naturalobligation scheitert, weil der Zwang nicht missbilligt wird.

593 BGH v. 29.9.1977 NJW 1977, 2358: Leitsatz: „Wer einem anderen gegen Entgelt Hilfe beim Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik leistet („Fluchthilfe“), … 594 KG v. 19. 9. 1975 – 18 U 1359/74, NJW 1976, 197 (verneint im 1. Leitsatz) und KG v. 24. 4. 1975 – 20 U 96/75, NJW 1976, 1211 (verneint eine analoge Anwendung von Naturalobligationen im 1. Leitsatz). 595 Crezelius, Anm. zu KG v. 24. 4. 1975 – 20 U 96/75 u. KG v. 19. 9. 1975 – 18 U 1359/74, NJW 1976, 1639 f. (Anerkennung einer unvollkommenen Verbindlichkeit im Wege der Gesamtanalogie). 596 BGH v. 29.9.1977 NJW 1977, 2359 f.; Sittenwidrigkeit ist von der Vorinstanz angenommen worden, KG v. 24. 4. 1975 – 20 U 96/75, NJW 1976, 1211 (2. Leitsatz), anders bereits KG v. 19. 9. 1975 – 18 U 1359/74, NJW 1976, 197. BGH v. 21.2.1980 NJW 1980, S. 1574, 1575 hat nochmals eingehend klargestellt, dass grundsätzlich kein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB vorliegt. 597 BGH v. 29.9.1977 NJW 1977, 2359, 2361; BGH v. 21.2.1980 NJW 1980, S. 1574, 1576. Als Vorbild für die Haftungsprivilegierung dürfte dem BGH § 680 BGB gedient haben, den er allerdings nicht erwähnt. 598 BGH v. 26.9.1977 NJW 1977, 2356, 2358.

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(2) Zweifelhafter Leistungszweck (Ämterkauf, unsinnige oder unmögliche Leistung) In einem Grenzbereich zwischen Sittenwidrigkeit und anerkanntem Rechtsgrund bewegen sich Fälle unter dem Begriff Ämterkauf. Betreffend den Kauf öffentlicher Ämter ist die Sittenwidrigkeit unumstritten, weil mit dem Amt hoheitliche Aufgaben und Befugnisse verbunden sind599. Der Kauf von Adelsprädikaten gilt ebenfalls als sittenwidrig, weil eine unzulässige Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten vorliegt 600 und der Kauf eines Ehrendoktortitels soll ebenfalls sittenwidrig sein 601. Im Schrifttum ist bezüglich der Verleihung eines Ehrendoktors oder einer Honorarprofessur gegen eine Geldspende für die Bibliothek oder dergleichen zutreffend eingewandt worden, dass das Unwerturteil hier nicht in gleicher Weise tragfähig erscheint602. Auch die freigebige Geldleistung ist ehrenwert und je nach den Umständen immateriell honorierbar. Allerdings darf die Geldleistung nicht in ein do ut des-Verhältnis zur Gegenleistung gestellt werden. Eine dahingehende Verknüpfung rechtfertigt das Unwerturteil und die Sittenwidrigkeit. Denkbar erscheint aber auch, ein nur bindungsfeindliches Geschäft anzuerkennen und beiderseits jegliche Pflichtbindung auszuschließen603. Gleich wie man sich hier entscheidet, bleibt jedenfalls kein Raum für eine Naturalobligation. Verträge, die das Hellsehen oder Geistheilen zum Gegenstand haben oder die auf eine möglicherweise unsinnige Leistung, wie etwa auf die Erfindung eines perpetuum mobile, gerichtet sind, werden entweder für sittenwidrig gehalten oder auf eine unmögliche Leistung gerichtet angesehen604. Das führte nach früherem Recht in beiden Fällen zur Nichtigkeit des Vertrages (§§ 138 Abs. 1, 306 BGB a.F.). Nach der Schuldrechtsmodernisierung wird dagegen auch der Vertrag über eine anfänglich objektiv unmögliche Leistung als wirksam eingestuft (§ 311 a Abs. 1 BGB). Damit kommt in diesem Fällen ein Vertrag ohne primäre 599 BGH v. 5.10.1993 NJW 1994, 187, 188 (betreffend den Erwerb des Titels Honorarkonsul von Sierra Leone in Ungarn). 600 BGH v. 10.10.1996 NJW 1997, 47, 48 f. (Kauf eines Adelsprädikats). 601 OLG Stuttgart v. 15.2.1995 NJW 1996, 665 f. ohne Begründung unter Verweis auf BGH v. 5.10.1993 NJW 1997, 187, 188. Der BGH hat dort obiter auch den Titelkauf für sittenwidrig erklärt und wie folgt begründet: „In den Augen anständiger Menschen, die Ämter und Titel durch Mühen und Verdienste erwerben und nicht einkaufen, ist der Ämter- und Titelhandel in hohem Maße zu mißbilligen. Die Anstößigkeit ergibt sich aus der sachfremden, ethischen Prinzipien widersprechenden Verknüpfung der Verleihung öffentlicher Ämter und Titel mit einer Gegenleistung in Geld. Die Käuflichkeit würde zur Sinnentleerung von Titeln und zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Ämter führen.“ 602 Henke, Die Leistung, 1991, S. 38. 603 Henke, Die Leistung, 1991, S. 38 spricht sich in diesen Fällen für die Annahme von Gentlemen’s Agreements aus. 604 AG Grevenbroich v. 3. 11. 1997 NJW-RR 1999, 133 (Hellsehen ist auf eine unmögliche Leistung gerichtet oder sittenwidrig, § 306 BGB a.F., § 138 BGB).

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C. Systematischer Teil

Leistungspflicht in Betracht. Problematisch ist die damit einhergehende Haftung aus § 311 a Abs. 2 S. 1 BGB auf das positive Interesse (Schadensersatz statt der Leistung). Der Schuldvorwurf, wonach der Vertrag unter Verletzung vorvertraglicher Informationsverpflichtungen in Kenntnis oder vorwerfbarer Unkenntnis des Leistungshindernisses zu Stande gekommen ist (§ 311 a Abs. 2 S. 2 BGB)605, passt nicht für Hellseher, Geistheiler und Erfinder. Sie wären danach auf der Grundlage einer objektiven Sorgfaltspflicht gehalten, über ihre jeweilige Außenseiterposition aufzuklären. Will man die Sittenwidrigkeit in diesen Fällen verneinen, so kommt die Vereinbarung einer Naturalobligation in Betracht. Das hätte den Vorteil, dass eine Erfüllungshaftung ausgeschlossen wäre und damit auch die entsprechende Haftung aus § 311 a Abs. 2 S. 1 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung entfiele. Dagegen bliebe das Recht auf Aufwendungsersatz für den Schuldner und ein Behaltensrecht an der Erfüllungsleistung bestehen. An der entstandenen Forderung ließe sich überprüfen, ob die Leistung rechtzeitig und ordnungsgemäß erbracht wurde oder ob etwa ein Rücktrittsrecht die Rückforderbarkeit der Leistung rechtfertigt. Die Naturalobligation liefert eine rechtliche Struktur, die es erlaubt, den Leistungsvorgang nach den Grundsätzen des Forderungsrechts zu bewerten und zu rechtfertigen. Es bleibt hier eine Wertungsfrage, ob statt Nichtigkeit Naturalobligationen anzunehmen sind. dd) Freiwillige Selbstverpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand Die sog. „freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft606“ wird als ein alternatives Kooperationsinstrument der öffentlichen Hand neben dem klassischen öffentlich-rechtlichen Vertrag eingesetzt607. Im Rahmen staatlicher Regulie605 Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 505 f. erwägt bei der Vereinbarung einer unsinnigen Leistung, wie zum Beispiel die Verpflichtung zur Erfindung eines perpetuum mobile, die Annahme eines ungeschriebenen Satzes des Inhalts, wonach solche Verpflichtungen kein möglicher Gegenstand rechtlicher Regelung, also unwirksam seien. Das positive Interesse eines solchen Anspruches lasse sich aber auch nicht beziffern und der Anspruch auf ein etwaiges negatives Interesse scheitere fast immer an § 254 BGB. 606 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 208 weist darauf hin, dass der Name zweitrangig sei. Von Seiten der Wirtschaft und des Staates werde vielfach nach einer in der Öffentlichkeit wohlklingenden und zugleich Aufmerksamkeit erzielenden Formulierung gesucht. Aus Imagegründen werden Vertreter der Wirtschaft eine Bindung nicht explizit ausschließen wollen, der Staat wird es gerne sehen, wenn eine Verpflichtung „freiwillig“ übernommen wurde und ungern eigens einen Normverzicht deutlich machen. Die „freiwillige Selbstverpflichtung“ dürfte sich gegenüber anderen Bezeichnungen durchgesetzt haben, Schendel, Selbstverpflichtungen der Industrie als Steuerungsinstrument des Umweltschutzes, NVwZ 2001, 494; Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969; teilweise wird von „Branchenzusagen“ im Rahmen eines kooperativen Handelns gesprochen, Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, 2000, S. 35. 607 Röhl, Auflösung des Rechts. In: Lorenz u.a. (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004,

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rungsstrategien geht es um einen Bereich „hoheitlich regulierter gesellschaftlicher Selbstregulierung“608. Durch Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaftsverbänden oder einzelnen Unternehmen soll eine indirekte Verhaltenssteuerung erreicht und so bestimmte Gemeinwohlziele verfolgt oder technische Standards implementiert werden. Im Umweltrecht hatte man sich eine Reduzierung von Verpackungen, von FCKW-Anteilen in Spraydosen und andere Standards versprochen609. Ferner dienen diese Selbstverpflichtungen allgemein der Steuerung der Klimavorsorge 610. Inhalt und Umfang wie auch die Rechtsfolgen dieser, meist in Vertragsform abgesetzter Selbstverpflichtungen ergeben sich durch Auslegung. Eine Verkehrssitte oder Gepflogenheit, ein- oder zweiseitige Selbstverpflichtungen als verbindlich oder als unverbindlich anzusehen, besteht nicht. Auch eine gesetzliche Regelung für freiwillige Selbstverpflichtungen gibt es nicht611. Alles komme auf die Umstände des Einzelfalls an 612. Die wenig geklärte dogmatische Struktur dieser Absprachen führt überwiegend zu

S. 1161, 1166 (kaum noch zu zählen); die Selbstverpflichtung ist aber nicht wirklich neu, vgl. von Zezschewitz, Wirtschaftsrechtliche Lenkungstechniken: Selbstbeschränkungsabkommen, Gentlemen’s Agreement, Moral Suasion, Zwangskartell, JA 1978, 497 ff., der die KohleErdölkartelle des Jahres 1958, die Heizölselbstbeschränkungsabkommen 1965 sowie die Selbstbeschränkungen der Zigarettenindustrie darstellt. 608 Regulierung meint dabei die gewollte staatliche Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse, die einen spezifischen, aber über den Einzelfall hinausgehenden Ordnungszweck verfolgen und dabei im Recht zentrales Medium und Grenze findet, Eifert, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien Rn. 5, S. 1241. 609 Umweltbetriebsprüfung oder Umweltaudit (Umweltaudit-VO v. 29.6.1993, EWG Nr. 1836/93, ABl. L 168, 1 und UmweltauditG v. 7.12.1995, BGBl. I 1591): Freiwillige Teilnahmeerklärung mit Registrierung. Dabei gibt das Unternehmen eine Selbstverpflichtung über die Einhaltung der einschlägigen Umweltvorschriften und zur angemessenen kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes ab. Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht. Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 2000, S. 74 ff. 610 Vereinbarung zwischen der deutschen Wirtschaft und der BReg zur Klimavorsorge vom 9.11.2000, abrufbar: http://www.bmu.de/sachthemen/energie/selbstverpflichtungen. htm. 611 Nur die §§ 34 ff. Umweltgesetzbuch-KomE sahen Zielvorgaben, Selbstverpflichtungen sowie normersetzende Verträge vor. Eine Zielfestlegung ist vorgesehen in § 25 Abs. 1 KreislaufwirtschaftsG/AbfallG, der einen normativen Bezugspunkt für eine freiwillige Selbstverpflichtung bilden kann, vgl. Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien Rn. 74, S. 1273. 612 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 231, der zugleich empfiehlt, die fehlende Verbindlichkeit sicher nach außen deutlich zu machen. Bei Erklärungen gegenüber der Allgemeinheit könne die Aufnahme des Wörtchens „unverbindlich“ oder die Wahl einer bloßen Strebsamkeitsformulierung unter Vermeidung des Begriffs „verpflichten“ gewählt werden. Bestehe ein geheimer Vorbehalt, die Selbstverpflichtung in Wirklichkeit nicht umsetzen zu wollen, so muss ebenfalls nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Bindung nicht gewollt ist (ebd. S. 230).

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der Annahme, es handele sich um Vereinbarungen oder Absichterklärungen, aber nicht um Verträge 613. Allen Beteiligten fehle der Rechtsbindungswille 614. (1) Unverbindlichkeit für beide Seiten Die allgemein unterstellte Unverbindlichkeit gilt für beide Seiten. Der sich selbst verpflichtende Staat soll jederzeit andere Prioritäten setzen und weiterhin einseitig regeln dürfen615. Er soll allenfalls mittelbar gebunden sein, insofern als die betroffenen Unternehmen Vertrauensschutz genießen und im Enttäuschungsfalle Entschädigungsansprüche für den hoheitlich fehlgeleiteten privaten Aufwand entstehen616. Entsprechend erwächst der Unternehmensseite keine Leistungsforderung auf ein Unterlassen staatlicher Regulation617. Schon weil der Staat auf seine Regelungshoheit nicht wirksam verzichten kann618, darf er sich hierzu nicht im obligatorischen Sinne verpflichten619. Zulässig bleibt nur 613 Das hängt von der konkreten Gestaltung ab. Gehen Privatrechtssubjekte Selbstverpflichtungen außerhalb von Verträgen ein, handelt es sich regelmäßig um einseitige Erklärungen bei denen dann die Auslegung das Maß ihrer Verbindlichkeit ergeben muss, Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 88. 614 Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien Rn. 75, S. 1273. 615 Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 971; Scheuing, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982) 153, 160. 616 Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 971. Gegen jede Form der Selbstbindung Scheuing, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982) 153, 163; gegen Sekundäransprüche aus Vertrauensschutz, Becker, Informales Verwaltungshandeln zur Steuerung wirtschaftlicher Prozesse im Zeichen der Deregulierung, DÖV 1985, 1003, 1010. Dazwischen: Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien Rn. 76, S. 1274: „keine rechtliche Unerheblichkeit“ und für „differenzierende Lösungen“. Weitergehend Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 225 f.: gesetzliches Schuldverhältnis mit Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten. Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot des venire contra factum proprium. Die Pflicht zur Rücksichtnahme und zu folgerichtigem Verhalten schließe eine Loslösung von der Selbstverpflichtung ohne rechtfertigenden Grund aus. 617 Scheuing, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982) 153, 162. Dagegen hält Di Fabio eine Stillhalteerklärung, um eine Selbstverpflichtung herbeizuführen, erst Recht für bindend, lässt aber offen, ob diese Bindung wie ein Vertrag wirken soll, JZ 1997, 969, 971. 618 Vgl. aus demokratiestaatlichen Gründen Lübbe-Wolff, Instrumente des Umweltrechts – Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, 481, 483. 619 Nach dem Gedanken des § 137 S. 1 BGB gilt im Zivilrecht prinzipiell nichts anderes. § 137 S. 1 BGB betrifft zwar nicht die Normsetzungskompetenz, sondern die Vertragskompetenz. Auch auf die Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis kann aber nicht wirksam verzichtet werden. § 137 BGB erfasst über seinen Wortlaut hinaus auch das rechtsgeschäftliche Verpflichtungsverbot, Liebs, Die unbeschränkbare Verfügungsbefugnis, AcP 175 (1975) 1, 42 f.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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eine Absichtserklärung, die wie jede andere Behördenerklärung zur sog. Selbstbindung der Verwaltung führt620. Danach muss die Behörde im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit auch die Interessen der Unternehmen berücksichtigen. Sie ist auf ihre erklärte Absicht hin zwar nicht obligatorisch, wohl aber konsequentialistisch verpflichtet. Wird eine Absichtserklärung mit komplexen Konzepten verbunden, so verdichtet sich diese Absichtsbindung zur sog. Konzeptpflicht (Hoffmann-Riem) 621. Die unternehmerische Vertragsseite soll ebenfalls ungebunden bleiben. Die aus der Selbstverpflichtung an sich zu erwartende obligatorische Pflicht der Verbände und Unternehmen, etwa zur Einhaltung bestimmter Standards bei der Produktion usf., wird ebenso wie ein korrespondierendes Recht des Staates allgemein verneint oder gar nicht erst erwogen. Die Wirtschaft 622 könne sich ohne weiteres aus der Pflicht lösen623. Darüber hinaus soll es für die beteiligten Unternehmen keinerlei Sanktionsrisiken geben. Die im Verstoßfalle drohende ordnungsrechtliche Regulierung biete nur einen negativen Anreiz, eine künftige staatliche Regulierung zu vermeiden. Damit bilden Staat und Wirtschaft einen losen Interessenverbund. Beide erlangen den Vorteil, dass sie je für sich etwas aus ihrer Sicht Positives vorzeigen können624. Konkret lässt sich damit zumindest risikolos Zeit gewinnen. Positive Effekte sind unsicher. Die jüngsten Einschätzungen zur Effektivität von freiwilligen Vereinbarungen sind skeptisch. Dies vor allem deshalb, weil die Pflichten nicht ausreichend inhaltlich bestimmt sind und ihre Einhaltung nicht durch ein effektives Monitoring und weitgehende Transparenz überprüfbar bleiben625.

620

Ziekow, Kommentar zum VerwaltungsverfahrensG, 2006, § 40 VwVfG Rn. 32 (str., siehe zuvor oben Fn. 217). 621 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts; Bd. 1, 2006, § 10 Eigenständigkeit der Verwaltung, Rn. 116, S. 698; siehe dazu oben C. III. 1. c) bb) (1), S. 343. 622 Die Möglichkeit und Zulässigkeit einer Verbandsvertretung ist eine rechtstechnisch und organisatorisch zu lösende Frage. Sie wird hier als Problem der Verpflichtungsfähigkeit verBdlicher Strukturen diskutiert und nach Maßgabe rechtsgeschäftlicher Grundsätze anerkannt, vgl. Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 227. 623 Eine frei lösbare Pflicht überrascht, so aber Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 971; Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997) 160, 219; Volkmann, Der dezente Staat – Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, JuS 2001, 521, 523; Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien Rn. 76, S. 1274. 624 Volkmann, Der dezente Staat – Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, JuS 2001, 521, 523. 625 Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Vosskuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, § 19 Regulierungsstrategien, Rn. 79, S. 1275; Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen als Instrumente des Umweltrechts, 1999, 263 ff; Di Fabio,

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C. Systematischer Teil

(2) Die Missverständlichkeit des Begriffs „Freiwillige Selbstverpflichtung“ Schon der Begriff ‚freiwillige Selbstverpflichtung‘ bedarf gewisser Klärungen. Der Widerspruch, dass die gegebenen Versprechen nicht eingehalten werden müssen626 ist kein sehr überzeugendes Ergebnis. Eine obligatorische Verpflichtung setzt die Übernahme und Verfolgung eines fremden Interesses voraus. Auch die Kooperationsform der Selbstregulierung durch Selbstverpflichtungen beruht auf der Vorstellung, dass öffentliche Aufgaben es sind, die von den privatgesellschaftlichen Kräften übernommen werden 627. Der unternehmerische Erfolg wird durch die private Erfüllung öffentlicher Aufgaben gesichert. Die Übernahme öffentlicher Aufgaben stellt gleichsam die Gegenleistung für das Unterlassungsversprechen des Regelungsgebers dar628. Die Selbstverpflichtung meint offenbar aber keine strenge obligatorische Pflicht, sondern nur eine gemeinsame Zweckvereinbarung629. Von einer Bindung ist nur in dem schwachen konsequentialistischen Sinne zu reden, wie sie Absichtserklärungen auszeichnet. Der im Schrifttum geprägte Rechtsbegriff freiwillige Selbstverpflichtung ist danach erklärungsbedürftig. Jegliche Vertragsbindung stellt eine freiwillige Selbstverpflichtung dar. Die begriffliche Spezifizierung durch die Worte ‚freiwillig‘ und ‚Selbst-‘ betont Selbstverständliches. Freiwilligkeit bezieht sich üblicherweise auf die Übernahme der Pflicht. Das Privatrecht sichert die persönliche Entscheidungsfreiheit zur Verpflichtung und stellt auf den Zeitpunkt der Pflichtbegründung ab. Eine wachsende Zahl von unmittelbaren630

Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 973. 626 Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001, S. 221; zur beschränkten Wirksamkeit etwa Klemmer, Das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung – eine kritische Zwischenbilanz, in: Rengeling (Hg.), Instrumente des Umweltschutzes im Wirkungsverbund. Interdisziplinäres Kolloquium, 2001, S. 153–156. 627 Waechter, Kooperation, gesellschaftliche Eigenverantwortung und Grundpflichten – Verrechtlichung von ethischen Pflichten durch indirekte Steuerung, Der Staat 38 (1999) 279, 283, sieht darin eine Aufgabenverlagerung vom Staat zur Gesellschaft hin. Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969 spricht von einer Re-Implementierung von Verantwortung auf Wirtschaft und Bürger. 628 Mayntz/Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies. (Hg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, 9, 20. 629 Die Parteien stehen nur solange unter einem Handlungszwang, solange sie die vereinbarten Zwecke verfolgen. Sie können den Zweck aber jederzeit aufgeben. Das bedeutet, dass kein (starker) obligatorischer Zwang, sondern nur eine konsequentialistische Bindung entsteht. Kant sprach hier von den technischen Imperativen, vgl. dazu oben C. III. 1. b) bb) (2), S. 279 u. Fn. 107. 630 Der Kontrahierungszwang ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (etwa §§ 22, 47 Abs. 4 PBefG; § 10 EnWG; § 5 Abs. 2 u. 4 PflVG; §§ 110 Abs. 1 Nr. 1, 23 Abs. 1 S. 1 SGB XI) oder er wird von der Rechtsprechung anerkannt und zwar zu Gunsten von Verbrauchern im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge für Unternehmen mit faktischer Monopol-

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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oder mittelbaren631 Kontrahierungszwängen ändert an dem Grundsatz der positiven wie negativen Vertragsabschlussfreiheit nichts. Freiwillig auferlegte Bindungen durch Selbst-verpflichtung verweist auf das Autonomieprinzip. Die Privatautonomie folgt bis in ihre philosophischen Grundlagen hinein einem Freiheitsideal, wonach der Einzelne für sich selbst gesetzgebend sein soll. In der Begriffswahl Selbstverpflichtung liegt damit im Ergebnis die Überhöhung zweier Selbstverständlichkeiten, wie sie für alle obligatorischen Verträge und Versprechen kennzeichnend sind. Der Begriff freiwillige Selbstverpflichtung ist überdies irreführend. Anders als im Zivilrecht ist die Freiwilligkeit der öffentlich-rechtlich anerkannten Selbstverpflichtungen bereits im Verpflichtungsstadium eingeschränkt. In den fraglichen Branchenbereichen drohen künftige staatliche Regelungen. Durch die drohende Regulierung übt der Staat einen informellen Handlungsdruck auf die betroffenen Unternehmen und ihre Verbände aus. Ist dieser Druck besonders hoch, was von dem glaubhaft angedrohten Regulierungsinhalt abhängt, so ist die Freiwilligkeit der Selbstverpflichtung stark eingeschränkt632. Die Attribution ‚freiwillig‘ wird nur deshalb nicht falsch, weil die beteiligten Wirtschaftsverbände oder Unternehmen dem künftigen Zwang aus der staatlichen Regulierung zuvor kommen. Ihr reguliertes Verhalten beruht mithin noch auf einer eigenen vorausschauenden Entscheidung. In diesen Fällen von Freiwilligkeit zu sprechen erlaubt die Abgrenzung staatlicher Regulierungsformen durch Kooperation oder durch Zwang voneinander. Die Rede von der Freiwilligkeit gibt aber noch weiteren Anlass zu Missverständnissen. Das Zivilrecht spricht von Freiwilligkeit auch noch im Erfüllungsstadium. Gemeint ist die freiwillige Erfüllung im Rahmen eines rechtlich gebundenen Handlungsvollzuges633. Die Naturalobligation schützt diese Freiheit stellung, die lebensnotwendige Güter anbieten, vgl. Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 145–156 Rn. 17. 631 Ein mittelbarer Kontrahierungszwang ergibt sich dort, wo die Ablehnung des Vertragsschlusses objektiv gegen die guten Sitten oder gegen Diskriminierungsverbote verstößt (§ 826 BGB). Die sittenwidrige Schädigung liegt vor, wenn der Betreffende auf die Leistung angewiesen ist (Verzicht unzumutbar), es keine zumutbare Ausweichmöglichkeit gibt (faktische Monopolstellung) und die Ablehnung sachlich nicht begründet ist (willkürlich), Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 162 ff; Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem zu §§ 145–156 Rn. 22. Im Kartellrecht gehen die §§ 19–22, 33 GWB vor. Bei Diskriminierungen kommt es auf eine Monopolstellung nicht an. § 1 AGG führt zu einer partiellen Positivierung des Menschenwürdegebotes und des Gleichheitssatzes (Art. 1 Abs. 1, 3 GG; Art. 13 EGV). 632 Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 970 (die Selbstverpflichtung ist regelmäßig erzwungen). Helberg, Selbstverpflichtungen als Instrumente des Umweltrechts, 1999, 220.; Volkmann, Der dezente Staat – Verhaltenssteuerung im Umweltrecht, JuS 2001, 521, 527 (dezenter Druck). 633 Die freiwillige Erfüllung wird erwartet und angestrebt. Sie bezieht sich auf den gebundenen Handlungsvollzug, der auch ohne eine Zwangsdrohung oder Zwangsanwendung erwartet wird. Aufgrund des grundsätzlich immer möglichen Erfüllungszwanges ist die frei-

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C. Systematischer Teil

vor Erfüllungszwang, ohne dem Pflichtigen deshalb aber ein Lösungsrecht einzuräumen. Der Verpflichtete darf nicht frei entscheiden, ob er seine Zusage einhalten oder davon absehen möchte 634. Einen solchen Entscheidungsspielraum gibt es nicht. Handlungspflicht und Entscheidungsfreiheit geraten in einen unauflösbaren Widerspruch635. Solange die Auffassung vorherrscht, die freiwillige Selbstverpflichtung erzeuge pflichtrechtlich Unverbindlichkeit, führt die freiwillige Selbstverpflichtung in die Aporie636. Von Verpflichtung ist nicht mehr zu reden. Mülbert hat die Grundsätze der „Freiwilligen Selbstverpflichtung“ in das Zivilrecht übertragen und auf die hier ebenfalls behandelten Verpflichtungen aus dem Corporate Governance Kodex637 und andere neue bankrechtliche Phänomene wie das „Girokonto für Jedermann“ und Selbstverpflichtungen von Pfandrechtsinstituten angewendet. Auch er meldet erhebliche dogmatische Bedenken an638. (3) Auflösung der Paradoxie einer „freiwilligen Pflichtbindung“: Die Naturalobligation Die „freiwillige Selbstverpflichtung“ behält ihren Sinn, wenn der Handlungsvollzug pflichtgebunden verstanden bleibt. Es besteht allein die Besonderheit, dass die Leistungspflichten der Unternehmen nicht mit rechtlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden dürfen. Die Unternehmensseite bleibt obligatorisch gebunden und kann sich daher auch nur im Falle einer rechtlich begründeten Schuldbefreiung, d.h. nur mit einer rechtserheblichen Begründung, etwa der Unzumutbarkeit der Einhaltung der Pflicht, von ihrer Selbstverpflichtung lösen. Anderenfalls begeht sie einen Rechtsbruch. Sie erfüllt freiwillig nur in dem Sinne, als sie unter keinem rechtlichen Erfüllungszwang handelt. Werden daher konkrete Leistungszusagen gemacht, so entsteht ein verbindlicher Vertrag. Der Staat ist dabei aus Rechtsgründen gehindert, sich

willige Erfüllungshandlung von Rechts wegen nicht garantiert. Die Naturalobligation macht davon eine Ausnahme. Sie garantiert Zwangsfreiheit, ohne deshalb aber Entscheidungsfreiheit einzuräumen, siehe dazu oben C. I. 2. a), S. 241. 634 Entscheidungsfreiheit meint den (ergebnisoffenen) Deliberationsprozess der Handlungsentscheidung aus Gründen, vgl. dazu oben C. I. 2. a), S. 241. 635 Kennzeichen der obligatorischen Pflicht ist die Unabweisbarkeit der Handlungsaufforderung, vgl. dazu oben C. III. 2. b), S. 387. 636 Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969, 970, der dies rechtfertigt durch die Begriffswelt der Postmoderne: „ebenso euphemistisch wie paradox“. 637 Mülbert, Selbstverpflichtungen zu künftigem Verhalten – Deutscher Corporate Governance Kodex, „Girokonto für Jedermann“, Selbstverpflichtung von Pfandbriefinstituten, in: Dauner-Lieb/Hommelhoff u.a. (Hg.), FS für Horst Konzen, 2006, S. 561 ff. 638 Mülbert, (oben Fn. 214), S. 637, 566 unterscheidet allerdings nicht nach Handlungsmodellen oder Pflichtformen.

IV. Rechtsdogmatische Einordnung

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obligatorisch zu binden und gibt richtigerweise nur eine Absichtserklärung im Hinblick auf sein künftiges hoheitliches Handeln ab. Diese bloße Absicht muss klar zum Ausdruck kommen. Die Unternehmen sind dagegen durch die freiwillige Selbstverpflichtung obligatorisch gebunden. Wollen die Unternehmen diese Bindung nicht eingehen und stattdessen nur unverbindlich eigene Absichten verfolgen, so muss dies offen und ausdrücklich erklärt werden. Das nur mittelbare Zwangsmoment aus der angedrohten staatlichen Regulierung gibt der freiwilligen Selbstverpflichtung auch eigenständige Züge. Das ist das Privileg hoheitlich induzierter Regulierung. Dennoch wird mit der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ kein eigenständiges Pflichtenstrukturmodell gewonnen. Es empfiehlt sich, Selbstverpflichtungen beim Wort zu nehmen und als einseitig verpflichtende zivilrechtliche Verträge einzustufen, aus denen Naturalobligationen für die Unternehmensseite entstehen. Der Staat erwirbt also doch eine Forderung und kann nur deshalb die Einhaltung der Zusagen zu Recht verlangen. Die Rechtsfigur Naturalobligation bietet sich für derart mittelbar erzwingbare Pflichttatbestände an. Sie kann der hier prognostizierten Auflösungserscheinung des Rechts (Röhl) 639 entgegengestellt werden. ee) Gentlemen’s Agreements Die Anwendbarkeit der Naturalobligation bietet sich ferner bei Abschluss sog. Gentlemen’s Agreements640 an. Die Versprechen werden im Gentlemen’s Agreement zwar regelmäßig nur auf Ehre (Anstand, kaufmännische Vernunft) abgegeben und jegliche rechtliche Kontrolle soll ausschlossen werden. Die Frage ist aber, ob und inwieweit auch eine solche Selbstauflösung des Rechts anerkannt und sinnvoll in die Dogmatik eingebunden werden kann. Ergibt die Auslegung, dass die sich selbst als Gentlemen beschreibenden Parteien bestimmte oder bestimmbare Leistungen versprochen haben, so kann und sollte die Obligationsstruktur des § 241 Abs. 1 BGB zugrundegelegt werden. Die geschäftliche Beziehung lässt sich rationalisieren und verrechtlichen. Betrachtet man Gentlemen’s Agreements als Verträge, die Naturalobligationen hervorbringen, lässt sich sogleich nach den Gründen für den umfassenden Ausschluss jeglicher Zwangsbefugnisse fragen. Damit kann das Gentlemen’s Agreement einer Abschluss- und Inhaltkontrolle nach den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln

639 Röhl rechnet die nicht mehr zählbaren Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu den Auflösungserscheinungen staatlichen Rechts, Klaus F. Röhl, Auflösung des Rechts. In: Lorenz, u.a. (Hg.), FS für Andreas Heldrich, 2004, S. 1161, 1166. 640 Zu den verschiedenen Formen Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, 16 ff. und eingehend nachfolgend C. V. 4. b) bb) S. 606 ff.

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C. Systematischer Teil

unterzogen werden. Bestimmte Sonderfälle lassen sich rechtsgeschäftlich erfassen641 und Kriterien für eine Anerkennung von Gentlemen’s Agreements im Rechtsverkehr entwickeln642.

641 Für den Leihmuttervertrag befürwortet von Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 306; dagegen OLG Hamm v. 2.12.1985, NJW 1986, 781 = VersR 1986, 243, 244 f. (sittenwidrig). 642 Vgl. dazu näher unten C. V. 4. c) cc), S. 627.

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V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation Die Isolierung von Rechtsposition und Zwangsbefugnis eröffnet den Gestaltungsspielraum für eine Naturalobligation kraft Rechtsgeschäfts (gewillkürte oder vereinbarte Naturalobligation)1. Nachzugehen ist dabei der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Gestaltung der Parteidisposition überlassen bleiben darf.

1. Privatautonomie und materiell-rechtliche Gestaltungsfreiheit Die verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG verankerte Privatautonomie2 beinhaltet eine materiell-rechtliche Gestaltungsfreiheit. Diese Freiheit der inhaltlichen Ausgestaltung rechtsgeschäftlicher Beziehungen3 umfasst auch die Abbedingung rechtlicher Zwangsmittel. So rechtfertigt sie den privatvertraglichen Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit zugunsten einer privaten Schiedsgerichtsbarkeit und sie ermächtigt den Staat, diesen Rechtsbereich zu organisieren und zu begrenzen4. Von der Ausgestaltungsfreiheit sind Modifikationen des Schuldinhalts5 ebenso wie bloße Haftungsbegren1

Siehe oben C. III. 3. a) dd), S. 412. St. Rspr. seit BVerfG v. 12.11.1958 BVerfGE 8, 274, 327 f. (Preisgesetz) bis BVerfG v. 19.10.1993 BVerfGE 89, 214, 231 (Ehegattenbürgschaft); BVerfG v. 8.4.1997 BVerfGE 95, 267, 303 f. (Pflicht zur Tilgung von DDR-Altschulden). Zur europäischen Garantie der Privatautonomie Pfeiffer, in: Grabitz/Hilf, Bd. 2, Sekundärrecht, A 5 Vorbem. Rn. 18; Müller-Graf, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Privatrecht, NJW 1993, 13; Rittner, Die wirtschaftsrechtliche Ordnung der EG und das Privatrecht, JZ 1990, 838, 841; Canaris, Verfassungsund europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, FS für Peter Lerche, 1993, S. 873, 890. Entsprechend dürfte auch die europäische Grundrechtsgarantie der Vertragsfreiheit den Schutz rechtsgeschäftlicher Gestaltung aufnehmen. 3 Hepting, Ehevereinbarungen. Die autonome Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Verhältnis zum Eherecht, Rechtsgeschäftslehre und Schuldrecht, 1984, 227; Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 20. Art. 19 des schweizerischen OR enthält eine ausdrückliche Bestimmung über die inhaltliche Gestaltungsfreiheit, vgl. zur historischen Entwicklung Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre. In: Koziol, (Hg.), FS für Franz Bydlinski, 2002, S. 473, 484. 4 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 2005, Art. 2 Rn. 145. 5 Bspw. durch Einschränkungen des Leistungsprogramms oder die Änderung des Verschuldensmaßstabes. BVerfG v. 15.12.1999, NJW 2000, 1251 – Freiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, 2

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zungen gedeckt6. Der Einzelne soll als „homo oeconomicus“ seine Rechtsverhältnisse nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten können7. Ihren allgemeinsten und zugleich ältesten Ausdruck findet die Möglichkeit eines Verzichts auf Zwangsbefugnisse in der justinianischen regula iuris. Danach darf auf die Vorzüge des Rechts auch verzichtet werden8. Zu den Vorzügen gehören die Zwangsbefugnisse des Gläubigers9. Zugleich bleibt aber dem Gläubiger die Verwirklichung seines Rechts durch Erkenntnisverfahren und Vollstreckung verfassungsrechtlich garantiert. Im Bereich des Schuldvertragsrechts ergibt sich eine auf das Vermögen bezogene Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1, 14 GG iVm. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG10. Diese Rechtsschutzgewährleistung verbietet indes nicht, dass über sie disponiert werden kann11. Die hier nicht zu leugnenden Missbrauchsmöglichkeiten im Zusammenhang mit einer Vereinbarung von Naturalobligationen rechtfertigen keine objektive Beschränkung der Privatautonomie durch ein generelles Verbot der Vereinbarung von Naturalobligationen. Darin läge ein nicht gerechtfertigtes und damit unzulässiges Übermaß staatlichen Eingriffs12. Die anfängliche oder nachträgliche vertragliche Vereinbarung einer Naturalobligation belässt ein Forderungsrecht, das nach dem Willen der Parteien nicht einseitig durchgesetzt werden kann. Der Verzicht richtet sich also nicht auf das Recht des Gläubigers, sondern nur auf die Zwangsmittel zu deren Erfüllung.

sich Ansprüche abtreten zu lassen; Di Fabio in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Stand: 2001, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103. 6 Vgl. oben C. IV. 4 c) ff), S. 502. Hier sind im Wesentlichen die institutionellen Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten durch Rechtsformwahl im Gesellschaftsrecht wie auch die individuellen Haftungsausschluss- oder Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten zu nennen, vgl. eingehend Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 11 ff. 7 Di Fabio in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Stand: 2001, Art. 2 Abs. 1 Rn. 101. 8 Codex Justinianus, C. 2, 3, 29 (Renuntiatio beneficii legis): „Regula est iuris antiqui omnes licentiam habere his quae pro se introducta sunt renuntiare.“ 9 Zu den römischrechtlichen Grundlagen des Verzichts Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 169 u. Fn. 68. Zur historisch entwickelten Legitimation des Gentlemen’s Agreement unter dem Gesichtspunkt des Verzichts, Rudden, The Gentleman’s Agreement in legal theory and in modern practice, European Review of Private Law, 1999, 199, 203 Fn. 9. 10 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckung, 13. Aufl. 2006, § 1.3, S. 2; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 159. 11 Wie sich insbesondere auch an der Zulässigkeit von Vollstreckungsvereinbarungen zeigt. Zur Vereinbarung eines Vollstreckungsausschlusses, BGH v. 11.12.1967 NJW 1968, 700 (Vollstreckungsvertrag auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung); Baur/Stürner/ Bruns, Zwangsvollstreckung, 13. Aufl. 2006, § 10.6 u. 10.8, S. 124 f.; a.A.: Rosenberg/Gaul/ Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 33 S. 509 f. 12 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 3, S. 80; denkbar wäre aber, die Entmachtung des Gläubigers ebenso wie den Vollstreckungszugriff auf das Schuldnervermögen aus Gründen des Verfassungsrechts unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt zu stellen. Das Vollstreckungsrecht formt diesen Eingriff gesetzlich aus und begrenzt ihn.

V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation

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Die Gesetzesmaterialien geben keine konkreten Hinweise über Voraussetzungen und Grenzen einer Derogation von Zwangsbefugnissen. Dennoch zeigen sie das rechtstechnische Verständnis des Gesetzgebers, der eine Gestaltbarkeit der Forderung für möglich und zulässig hielt13. So wurden etwa Abreden über ein Aufrechnungsverbot ebenso wie der Ausschluss der Klagbarkeit für zulässig eingestuft. Sind diese Verbote als Einreden ausgestaltet, so spricht man vom pactum de non compensando oder vom pactum de non petendo. Die Besonderheit der Einredekonstruktion liegt darin, dass das vereinbarte Gegenrecht von einer Entscheidung des Schuldners (Einredeerhebung) abhängig gemacht werden kann. Ferner eröffnet das Gesetz eine Beschränkung der Haftung durch Rechtsformenwahl14. In Schrifttum15 und Rechtsprechung16 wird die vereinbarte Naturalobligation im Grundsatz entsprechend anerkannt. Es gibt mit anderen Worten auch auf der Ebene des Forderungsrechts keinen Typenzwang zu Gunsten der erzwingbaren Zivilobligation17.

2. Rechtsgeschäftliche Entstehungsformen der Naturalobligation (ex voluntate) Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation entsteht wie auch die Zivilobligation im Grundsatz durch Vertrag. Es gilt das Vertragsprinzip und die davon anerkannten Ausnahmen (§ 311 Abs. 1 BGB). Soweit einseitige Schuldverhältnisse ausnahmsweise zugelassen sind, können Naturalobligationen grundsätzlich auch durch sie begründet werden. 13

Vgl. oben B. I. 5. a) aa), S. 163. Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten etwa durch Gründung einer GmbH, Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 202 ff. 15 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 44; Bamberger/Roth/Grünberg, BGB, 2003, § 241 Rn. 24. Oftmals finden sich jedoch nur Aussagen über die Zulässigkeit einer rechtsgeschäftlich vereinbarten Klaglosigkeit, was weithin anerkannt wird, sofern die Parteien über den Streitgegenstand verfügen können, vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 3, S. 79 (der Staat dränge den Rechtsschutz nicht auf); Staudinger/Rieble, BGB, 13. Bearb. 1999, § 397 Rn. 25 (vereinbarter Klagbarkeitsverzicht). 16 RG v. 7.2.1908 RGZ 67, 390, 392 (Ausschluss des Klageweges); RG v. 23.2.1920 RGZ 98, 176, 178 (formloses Schuldversprechen gegenüber der Geliebten für den Fall anderweitiger Heirat); OLG Königsberg v. 28.3.1931 LZ 1931, 1009; RG v. 17.12.1929 JW 1930, 1062 Nr. 7 (Ausschluss des Klageweges); OLG Celle v. 31.7.1970 NJW 1971, 289, 290 (Vereinbarung eines obligatorischen Güteversuchs vor der Handwerkskammer); OLG Celle v. 5.4.1968 OLGZ 1969, 1, 4 (Ausschluss des Klageweges verstoße im Regelfall gegen § 138 BGB). 17 Zu dem insoweit nicht stichhaltigen Wortlautargument bei §§ 656, 762 BGB, vgl. oben B. I. 5. a) aa) S. 163. Ebenso unterliegen Verträge keinem Typenzwang. Die gesetzlich nichtklassifizierten Verträge werden als Innominatkontrakte anerkannt. Eingehend Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 27 ff. 14

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C. Systematischer Teil

a) Einseitiges Rechtsgeschäft aa) Auslobung in Form einer Naturalobligation und Gewinnzusage, § 661 a BGB Der BGH hatte über ein Auslobungsversprechen im Rahmen eines Architektenwettbewerbs zu entscheiden. Es ließ sich nicht eindeutig feststellen, ob nur eine unverbindliche Absichtserklärung oder eine bindende rechtsgeschäftliche Verpflichtungserklärung (§ 657 BGB) abgegeben worden war18. Im Wege der Auslegung gelangte der BGH zu der Annahme, dass die Zusage nur im Regelfall gelten sollte und die Ausloberin aus triftigem Grund davon abgehen dürfe19. Diese hatte erklärt, sie „beabsichtige“ die Preisträger mit weiteren Aufträgen für die Durchführung des Bauprojekts zu beauftragen. Statt die Klagbarkeit zu verneinen, setzte der BGH den Grad der Bindung durch die Einräumung eines Sonderkündigungsrechts herab. Dogmatisch betrachtet ist die obligatorische Bindung wegen der erleichterten Lösungsmöglichkeit herabgesetzt und einer nur konsequentialistischen Absichtsbindung angenähert worden 20. Eine Naturalobligation wurde im entschieden Fall daher auch zu Recht abgelehnt. Ein Auslobungsversprechen als Naturalobligation auszugestalten bleibt dennoch prinzipiell möglich. Schutz vor missbräuchlicher einseitiger Gestaltung bieten die allgemeinen Vorschriften über die Willenserklärung. Ein einseitiges Verpflichtungsversprechen, zu dessen Erfüllung der Versprechende nicht gezwungen werden können will, ist grundsätzlich als nicht ernstlich gemeint einzustufen. Die §§ 116 ff. BGB enthalten zwar keine ausdrückliche Regelung für den Fall, in dem der Erklärende es darauf anlegt, dass seine mangelnde Ernstlichkeit nicht erkannt werde. Dieser sog. böse Scherz untersteht nach ganz einhelliger Auffassung nicht § 118 BGB mit zwingender Nichtigkeitsfolge, sondern § 116 BGB in entsprechender Anwendung21. Hat der Erklärungsempfänger den Vorbehalt fehlender Erzwingbarkeit nicht durchschaut, so ist die Erklärung ohne Vorbehalt und damit als Zivilobligation wirksam (§ 116 S. 1 BGB analog). Hat der Empfänger den Vorbehalt als fehlende Ernstlichkeit durchschaut, so ist die Erklärung insgesamt nichtig (§ 116 S. 2 BGB analog). Vor einer gleichsam untergeschobenen Naturalobligation bleibt der Erklärungsempfänger daher stets geschützt. Die einseitig begründete Naturalobligation muss daher offen erklärt und als eindeutig gewollt von dem Erklärungsempfänger erkannt werden.

18

BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373 = NJW 1984, 1533. Das hielt der BGH für weiter aufklärungsbedürftig und verwies die Sache zurück, BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373, 385. 20 Vgl. dazu oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (bb), S. 351. 21 Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 116 Rn. 6; AnwK-BGB/Feuerborn, 2005, § 116 Rn. 12; Erman/Palm, BGB, 11. Aufl. 2004, § 116 Rn. 8. 19

V. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation

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Anders verhält es sich bei der Gewinnzusage (§ 661 a BGB). Nach dem Willen des Versenders soll der Gewinner zwar ebenfalls keinen durchsetzbaren Anspruch erwerben. Der Gesetzgeber unterbindet diesen Gestaltungswillen aber dadurch, dass er einem durchsetzbaren und zwingend geltenden Erfüllungsanspruch setzt. Die positivistisch anmutende Lösung geht über § 116 BGB hinaus22, weil neben dem geheimen auch der durchschaute Vorbehalt unbeachtlich bleibt und zu einem erzwingbaren Leistungsanspruch führt. Bei § 661 a Abs. 1 BGB ist die Kenntnis des Erklärungsempfängers ohne Bedeutung23. § 116 S. 2 BGB gilt nicht24. Eine dem § 661 a BGB entsprechende allgemeine Regelung fehlt. Die als Sanktion verhängte durchsetzbare Leistungsverbindlichkeit kommt dennoch auch bei anderen missbräuchlich gestalteten Rechtsgeschäften in Betracht25. In diesen Fällen ist die Begründung einer Naturalobligation gesetzlich ausgeschlossen. bb) Das Vermächtnis als Naturalobligation Die Ausgestaltungsfreiheit eröffnet dem Erblasser die Möglichkeit ein Vermächtnis anzuordnen und dabei dem Vermächtnisnehmer die zwangsweise Durchsetzbarkeit zu verwehren. Eine Vermächtnisanordnung unter dem Ausschluss der Klagbarkeit begründet für den belasteten Erben eine Naturalobligation 26. Diese Art der letztwilligen Verfügung bedeutet auch keinen Verstoß ge22 Dabei ist streitig, ob es sich um eine vertragliche oder gesetzliche Haftung handelt Zivilprozessual wird die Gewinnzusage rechtsgeschäftlich verstanden, vgl. im Anschluss an den EuGH v. 20.1.2005 – C 27/02 NJW 2005, 811 – Engler, BGH v. 1.12.2005 JZ 2006, 519, 520 zur internationalen Zuständigkeit. Die kollisions- und materiellrechtliche Qualifikation ist umstritten. Vgl. C. Schäfer, Anm. JZ 2006, 522, 523; zur umfangreichen Literatur zuletzt Meller-Hannich, Bestandsaufnahme und Bewertung der Ansprüche aus Gewinnzusagen, NJW 2006, 2516. 23 Es kommt folglich auch nicht einmal mehr auf den objektiven Empfängerhorizont an. Zutreffend Baldus, Gewinnzusagen: Kann sich dem objektiven Empfängerhorizont etwas aufdrängen? Zu OLG Bremen, 12.11.2003 – 1U 50/03a, ZGS 2004, S. 297, 298. 24 Nach den allgemeinen Vorschriften wäre die Gewinnzusage bei durchschautem Vorbehalt nichtig (§ 116 S. 2 BGB). Die überwiegende Auffassung bejaht ein gesetzliches Schuldverhältnis mit einem Schadensersatzanspruch aus enttäuschtem Vertrauen in Höhe des Gewinns, vgl. Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 661 a Rn. 2; für eine vertragliche Qualifikation Piekenbrock/Schulze, Internationale Zuständigkeit im Rechtsmittelverfahren und Gerichtsstand der Gewinnzusage, IPRax 2003, 328, 331. 25 Zur Verbindlichkeit als ‚Sanktion‘ bei missbräuchlicher Vertragsgestaltung nach Treu und Glauben, Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 445 ff., 448 (etwa die rechtsmissbräuchliche Berufung auf den Formmangel, str. ablehnend Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, 1971, S. 47 ff.). Konstruktiv erfolgt der Weg über § 242 BGB oder in streng aktionenrechtlicher Manier durch die replicatio doli, als rechtserhaltenden Gegeneinwand, Staudinger/Peters, BGB, 2003, § 214 Rn. 17. Neuerdings namentlich bei der Berufung auf Formmängel, Armbrüster, Treuwidrigkeit der Berufung auf Formmängel, NJW 2007, S. 3317 ff. 26 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 95 (unvollkommene Verbind-

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gen das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit (§ 2065 Abs. 2 BGB)27. Der Erbe besitzt keinen Ermessensspielraum. Er muss das Vermächtnis vollziehen, ohne dazu gezwungen werden zu können. Dagegen entsteht nicht bereits aus einer formfehlerhaften, also insbesondere aus einer bloß mündlichen Vermächtnisanordnung eine Naturalobligation28.

b) Entstehung durch zweiseitiges Rechtsgeschäft (Vertrag) aa) Die Begründung der Naturalobligation (1) Der ursprüngliche Abbedingung von Zwangsbefugnissen Die vertragliche Abrede, dass eine bestimmte Leistungspflicht nicht erzwingbar sein soll, begründet eine nur naturale Leistungsforderung. Konstruktiv kommen für diese Abrede zwei Gestaltungen in Betracht. Die Naturalisierung kann durch die vertragliche Abbedingung der Zwangsbefugnisse erfolgen (§ 311 Abs. 1 BGB). Dieser untechnische Verzicht 29 kann einzelne oder alle im Vertrag enthaltenen Forderungen betreffen. Eine zwangsbewehrte Forderung gelangt schon nicht zu Entstehung. Der Gläubiger besitzt von vornherein keine Zurückbehaltungs-, Selbsthilfe-, Aufrechnungs- und Leistungsklagebefugnis. Die Naturalisierung kann zweitens dadurch erreicht werden, dass dem Schuldner ein Gegenrecht eingeräumt wird. Vermöge einer Einrede kann und darf er dann die Leistung durch Erhebung der Einrede verweigern30. In beiden Fällen ist dem Gläubiger die Zwangsmacht genommen. Im ersteren Falle fehlen ihm die Zwangsbefugnisse, im letzteren sind sie auf Grund der Einredemöglichkeit des Schuldners entkräftet. Das bedeutet, dass zwar das Klagerecht formal erhalten bleibt, die Klage aber von der Zustimmung des Schuldners abhängig ist. Die Erhebung der Einrede führt zur Klageabweisung. Die gegen den Willen des lichkeit, naturalis obligatio); zustimmend Erman/Hefermehl, BGB, 10. Aufl. 2000, Vor § 145 Rn. 5; Erman/Armbrüster, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 145 Rn. 8. Diese Gestaltungsmöglichkeit wird in der einschlägigen Literatur im Übrigen aber überhaupt nicht erwähnt, was darauf schließen lässt, dass sie kaum je praktische Bedeutung erlangt hat. 27 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 4. Aufl. 1995, § 27 I, S. 508 f. 28 So aber Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 3, S. 96; das Vermächtnis ist vielmehr nichtig, vgl. oben C. IV. 4. c) bb) (4) (b), S. 495. 29 Die Bezeichnung Verzicht ist untechnisch zu verstehen, weil die Forderung bereits als Naturalobligation entsteht. Offen bleiben kann deshalb die Frage, ob der Verzicht auf eine künftige Forderung einen Verzicht im technischen Sinne des § 397 Abs. 1 BGB darstellt (so die h.M. bei Vorliegen eines Rechtsbodens) oder bereits die Entstehung der Forderung hindert, vgl. mN AnwK-BGB/Ring, 2005, § 397 Rn. 5; PWW/Pfeiffer, BGB, 2006, § 397 Rn. 2. 30 Die Vereinbarung muss weiterhin ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot beinhalten, welches unabhängig von der Einredeerhebung bereits gilt. Zur parallelen Funktion des § 215 BGB bei der verjährten Forderung vgl. oben C. IV. 4. c) aa) (3) (a) (aa), S. 480.

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Schuldners vollstreckte Leistung bleibt rückforderbar. Um eine Naturalobligation durch eine Einredekonstruktion zu begründen, müssen allerdings ergänzend auch die außergerichtlichen Rechtsbehelfe abbedungen werden. Aufrechnung, Selbsthilfe und Zurückbehaltungsrechte müssen also vertraglich ausgeschlossen werden. Diese der Verjährung nachgebildete Konstruktion eines vereinbarten Einrederechts31 wird selten erforderlich sein, denn auch die Abbedingung der Zwangsbefugnisse kann grundsätzlich unter Einschränkungen oder Bedingungen vereinbart werden. Die Vereinbarung einer Einrede (exceptio pacti32) erscheint vorteilhaft und erforderlich für die Vereinbarung von zeitlich beschränkten Verzichtswirkungen oder bei einem Verzicht zugunsten Dritter33. Sie bedeutet ein materiellrechtlich speziell ausgestaltetes pactum de non petendo34. (2) Die nachträgliche Umwandlung in eine Naturalobligation Neben der ursprünglichen Begründung steht die rechtsgeschäftliche Umwandlung der Zivil- in eine Naturalobligation. Der Gläubiger verliert nachträglich seine Zwangsbefugnisse kraft Rechtsgeschäfts. Fraglich ist, ob diese Umwandlung dem Vertragserfordernis des § 311 Abs. 1 BGB unterliegt. Das Vertragsprinzip gilt grundsätzlich auch für die Vertragsänderung 35 und damit auch für den Verzicht36. Entsprechend ist etwa der Erlass einer Forderung nur als zweiseitiger Vertrag zulässig (§ 397 BGB)37. Auch für bloße Haftungsvereinbarun-

31 Zur Abgrenzung von verjährter und der durch ein pactum de non petendo gehemmten Forderung, vgl. oben C. IV. 4. c) aa) (3) (b), S. 484. 32 Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 758. 33 Eine nur vorübergehende Erlöschenswirkung und der dingliche Forderungserlass zugunsten Dritter, der von § 328 BGB nicht gedeckt ist (vgl. PWW/Medicus, BGB, 2006, § 328 Rn. 10), sind damit die praktisch bedeutsamen Anwendungsgebiete des pactum de non petendo. 34 Zu der bereits im römischen Recht angelegte Parallelität von Verzicht und pactum de non petendo und der historischen Entwicklung bis heute vgl. instruktiv HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 9 ff. mN. 35 Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, 2003, S. 41 (jeder Anpassungsvertrag ist zugleich Verfügungsgeschäft über das Schuldverhältnis); Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 57. 36 Zur historischen und rechtsvergleichenden Entwicklung Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 184 und zu der bis heute anhaltenden Kritik HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 28 ff. Für einen auch einseitig möglichen Forderungsverzicht im Wege teleologischer Reduktion Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, 2004, S. 379. 37 Als schuldrechtlicher Vertrag mit verfügender Wirkung erfasst § 397 BGB daneben auch den (nachträglichen) Teilerlass, PWW/Pfeiffer, BGB, 2006, § 397 Rn. 10; AnwK-BGB/ Ring, 2005, § 397 Rn. 44; Erman/Wagner, BGB, 11. Aufl. 2004, § 397 Rn. 10; Staudinger/ Rieble, BGB, 2005, § 397 Rn. 131.

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gen gilt das Vertragsprinzip38. Entsprechend sind der Aufrechnungsverzicht (§ 387 BGB)39 und die (nachträgliche) Stundung als vertragliche Vereinbarungen und nicht als einseitiger Rechtsverzicht konstruiert40. Ein Stillhalteabkommen (pactum de non petendo) ist desgleichen nur in der Vertragsform bekannt41. Folglich könnte auch die nachträgliche Umwandlung in eine Naturalobligation dem Vertragserfordernis des § 311 Abs. 1 BGB unterstehen42. Anerkannt wird demgegenüber ein einseitiger Verzicht auf schuldrechtliche Rechtspositionen, wie etwa Gestaltungsrechte oder Vorkaufsrechte 43. Entsprechend könnte auch ein einseitiger Gläubigerverzicht auf seine Zwangsbefugnisse ausreichen. Hierfür spricht, dass der Schuldinhalt und -umfang durch die Umwandlung der Forderung in eine Naturalobligation nicht verändert werden. Für die einseitige Verzichtbarkeit spricht ferner, dass der Verzicht auf die Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB) ebenfalls einseitig möglich ist44. In der nachträglichen Umwandlung einer Zivil- in eine Naturalobligation eine Form des vertraglichen Teilerlasses im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB zu sehen, ist danach nicht zwingend. Die Entscheidung sollte sich daran orientieren, ob die entfallenden Befugnisse allein und einseitig in der Rechtsmacht des Berechtigten liegen oder nicht. Die einseitige Rechtsmacht ist der rechtfertigende Grund für die mögliche einseitige Verzichtbarkeit auf Gestaltungsrechte wie Anfechtung oder Vorkaufsrechte sowie der Verzicht des 38 Auch der nachträgliche Verzicht auf einzelne Rechte aus einem Vertrag ist nur als Vertrag möglich, Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 57. 39 MünchKomm/Schlüter, BGB, 4. Aufl. 2003, § 387 Rn. 59; so auch Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 171. 40 Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 172. Allerdings verändert die Stundung die Schuld dahingehend, dass der Gläubiger das Einforderungsrecht verliert und der Schuldner entsprechend keiner Leistungspflicht mehr untersteht. 41 Wobei durch Auslegung zu bestimmen ist, ob dem Schuldner die Einrede der Fälligkeit oder die Einrede der Klagbarkeit verschafft werden soll. Ferner ist festzustellen, ob im ersteren Falle die Einredeerhebung für die Wirksamkeit des Einrederechts erforderlich sein soll und damit die Verjährung zunächst nicht hemmt. Ist die Einredeerhebung nicht erforderlich, so liegt richtiger Weise eine nachträgliche Stundung vor, vgl. dazu oben C. IV. 4. c) aa) (3) (b), S. 484. 42 Aufhebungsvertrag und Erlassvertrag sind trotz der übereinstimmenden Erlöschenswirkung betreffend die Forderung zu unterscheiden. Der Aufhebungsvertrag bringt auch das Schuldverhältnis i.w.S. zum Erlöschen, PWW/Pfeiffer, BGB, 2006, § 397 Rn. 5; AnwKBGB/Ring, 2005, § 397 Rn. 6. 43 BGH v. 21.3.1966 BB 1966, 636; PWW/Pfeiffer, BGB, 2006, § 397 Rn. 3; MünchKomm/ Schlüter, BGB, 4. Aufl. 2003, § 397 Rn. 19; HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 3 weist zutreffend darauf hin, dass aber auch der einseitige Verzicht auf Einreden und Gestaltungsrechten rechtfertigungsbedürftige Ausnahmen vom Vertragsprinzip darstellen, weil ebenfalls eine Änderung der Schuld eintritt. 44 RG v. 2.1.1912 RGZ 78, 130, 131; OLG Brandenburg v. 16.2.2005 NJW-RR 2005, 871, 872; Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl. 2006, § 397 Rn. 1; Staudinger/Rieble, BGB, 2005, § 397 Rn. 62 ff.

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Schuldners auf die Verjährungseinrede45. Die Zwangsbefugnisse bei der Zivilobligation sind dem Gläubiger allein zugewiesen. Daher sollte er auch einseitig durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung auf sie verzichten können46. Ein Vertrag ist im Ergebnis also nicht erforderlich. Der Gläubiger kann die Zivilobligation einseitig durch rechtsgeschäftlich erklärten Verzicht auf seine rechtlichen Zwangsbefugnisse in eine Naturalobligation umwandeln. bb) Die Aufhebung der Naturalobligation Die Aufhebung einer Naturalobligation ist zunächst durch Aufhebungsvertrag möglich (§ 311 Abs. 1 BGB). Der contrarius consensus hebt den Vertrag und mit ihr die Naturalobligation auf. Daneben steht der Forderungserlass als schuldrechtlicher Vertrag mit verfügender Wirkung zur Verfügung (§ 397 Abs. 1 BGB). Der Erlass bezieht sich auf die naturale Forderung insgesamt47. Die beiden Verträge unterscheiden sich in ihrem Gegenstand. Die Aufhebung hat den Vertrag als das Mutterschuldverhältnis, der Erlass die Forderung zum Gegenstand48. cc) Die Umwandlung der Naturalobligation in eine Zivilobligation Von der dogmatischen Ausgestaltung der Naturalobligation hängt es ab, ob der Schuldner dem Gläubiger die Zwangsbefugnisse auch einseitig einräumen kann. Fehlen dem Gläubiger der Forderung die Zwangsbefugnisse und erwirbt er diese durch die Umwandlung der Schuld hinzu, so ist eine vertragliche Vereinbarung erforderlich (§ 311 Abs. 1 BGB)49. Der Erwerb lässt sich nicht einseitig bewirken. Vertragsinhalt ist hier die Umwandlung einer Natural- in eine Zivilobligation. Sind die Zwangsbefugnisse des Gläubigers dagegen durch ein Gegenrecht des Schuldners entkräftet, so genügt der einseitige Verzicht des Schuldners auf die Einrede. Das ist für die Verjährungseinrede anerkannt (§ 214 Abs. 1 BGB) 50 und gilt daher auch hier. 45 Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 184; weitergehend Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, 2004, S. 379, der darüber hinaus den einseitigen Verzicht anerkennt. § 311 Abs. 1 BGB könne teleologisch reduziert werden, weil das Selbstbestimmungsrecht des Schuldners durch eine Aufhebung der Schuld nicht tangiert werde (ebd.). 46 Einen rechtfertigenden Grund für diese Art der Vermögensverschiebung bedarf es nicht, so dass der Verzicht abstrakt wirksam ist, vgl. Peter, Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, AcP 200 (2000) 149, 184. 47 Anders als die nachträgliche Umwandlung der Zivil- in eine Naturalobligation, bei der der Gläubiger nicht auf das Recht, sondern auf die Zwangsbefugnisse verzichtet, vgl. zuvor C. V. 2. b) aa) (2), S. 569 f. 48 Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 76; zur historischen Entwicklung von Aufhebung und Erlass, vgl. HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 8 ff. 49 Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 65 (als Unterfall einer Schuldänderung). 50 RG v. 2.1.1912 RGZ 78, 130, 131; OLG Brandenburg v. 16.2.2005 NJW-RR 2005, 871,

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(1) Schuldänderung und Schuldersetzung (Novation) Im römischen Recht war praktisch jede Schuldänderung nur durch eine Schuldersetzung (Novation) möglich. Die Schuldersetzung führt jedoch zum Verlust von Einreden und Sicherungsrechten, weil die neue Schuld an die Stelle der alten tritt und diese zum Erlöschen bringt 51. Die heute praktisch uneingeschränkt mögliche Schuldänderung52 ermöglicht die Umwandlung einer Natural- in eine Zivilobligation auch ohne Ersetzung der bisherigen Schuld 53. Beide Gestaltungen schließen einander nicht aus, sondern bestehen nebeneinander. Rechtliche Grundlage sowohl für die Ersetzung als auch für die identitätswahrende Änderung der Schuld ist § 311 Abs. 1 BGB54. Welche Gestaltung gewollt ist, ist Auslegungsfrage. (2) Schuldergänzung durch abstraktes oder kausales Schuldversprechen Zur naturalen Schuld kann grundsätzlich auch eine auf diese bezogene zivile Schuld gleichsam hinzu vereinbart werden. Möglich ist dies einmal in Form eines abstrakten Schuldversprechens, das schuldbestärkend und erfüllungshalber neben den kausalen Schuldgrund tritt (§§ 780 f., 364 Abs. 2 BGB) 55. Zum anderen kann prinzipiell ein kausales Erfüllungsversprechen als eine formfreie Zusage zu der bestehenden Schuld hinzutreten 56. Das auf dem römisch-rechtlichen 872; AnwK-BGB/Mansel/Stürner, 2005, § 202 Rn. 43 ff.; MünchKomm/Schlüter, BGB, 4. Aufl. 2003, § 397 Rn. 19. 51 Zur besonderen Bedeutung der Novation im römischen Recht aufgrund der fehlenden Möglichkeit, die Schuld abzuändern, vgl. auch oben C. IV. 4. a) bb) (3), S. 469 und B. I. 5. d) bb) (4), S. 200 Fn. 842. 52 Voraussetzung ist, dass die zu ändernde oder die zu ersetzende Schuld als Schuld bestand. BGH v. 25.9.1958 NJW 1958 S. 2111 anerkennt dies grundsätzlich auf für unvollkommene Verbindlichkeiten. Dagegen kann der von § 817 S. 2 BGB ausgeschlossene Anspruch nicht gem. § 607 Abs. 2 BGB a.F. durch Vereinbarung in eine Darlehensschuld umgewandelt werden. 53 Das zeigt sich im dogmatischen Verständnis des Vereinbarungsdarlehen (§ 607 Abs. 2 BGB a.F.). Danach kann jedes Schuldverhältnis kraft vertraglicher Vereinbarung in ein Darlehen umgewandelt werden. So ist die Umwandlung einer beliebigen Schuld in eine Darlehensschuld mit der Begründung eines Rückzahlungsanspruches (sog. Vereinbarungsdarlehen) eine zulässige Schuldänderung. 54 Die Schuldänderung wird heute von § 311 Abs. 1 BGB miterfasst (vormals § 607 Abs. 2 BGB a.F.), Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl. 2006, § 488 Rn. 27; Staudinger/Löwisch, BGB, 2005, § 311 Rn. 65. Zu § 607 BGB a.F., Jauernig/Vollkommer, BGB, 9. Aufl. 1999, § 607 Rn. 15. 55 Die Ausfallforderung im Konkurs kann nach RG v. 26.2.1935 RGZ 160, 134, 138 die rechtliche Grundlage für einen selbständigen Schuldanerkenntnisvertrag nach § 781 BGB abgeben. Die Anerkennung der Restverbindlichkeit ist nicht nach § 812 Abs. 2 BGB rückforderbar und das abstrakte Anerkenntnis selbständig klagbar, vgl. bereits oben C. IV. 5. g) aa), S. 538 u. Fn. 517. 56 Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 69; Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97 (bezüglich der sittlichen Pflicht als causa). Ablehnend für das

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constitutum57 beruhende kausale Schuldversprechen hat für die Behandlung der obligatio naturalis im mittelalterlichen Recht Bedeutung erlangt. Im späten 15. Jahrhundert wurde das pactum nudum als obligatio naturalis angesehen und konnte durch ein constitutum, eine Art Selbstverbürgung, Klagbarkeit erlangen (sog. pactum geminatum) 58. Die sich alsbald durchsetzende Klagbarkeit formloser Verträge hat dem pactum geminatum seine Bedeutung dann aber weithin wieder genommen59. Das pactum nudum tritt auch heute im formfehlerhaften Vertrag hervor. Eine obligatio naturalis aus formfehlerhaften Verträgen entsteht nach deutschem Recht aber nur noch im Fall der anwaltlichen Gebührenforderung (§ 4 Abs. 1 RVG) 60. Im Übrigen ist im BGB an die Stelle der Naturalobligation die Heilung als alternatives Regelungsmodell getreten. Wird eine Konvaleszenz aber nicht ausdrücklich gesetzlich angeordnet, so bleibt die formfehlerhafte Vereinbarung trotz Erfüllung nichtig und begründet die Kondiktion61. Soweit Naturalobligationen in anderen Kontexten als dem des pactum nudum entstehen, bleibt auch deren Ergänzung durch ein kausales Schuldversprechen (constitutum) noch prinzipiell denkbar. Die Hinzusetzung eines Schuldgrundes ist jedoch nach der hier vertretenen Auffassung überflüssig, weil die Naturalobligation selbst einen objektiven Schuldgrund (causa) bildet62 und die Schuldänderung zur Umwandlung einer Natural- in eine Zivilobligation möglich und ausreichend ist. Eine Selbstverbürgung für die Erfüllung einer eigenen Naturalobligation ist demnach nicht erforderlich63. (3) Umwandlungsverbote und Formpflicht (Schenkungscausa) Den rechtsgeschäftlichen Formen der Schuldänderung, Schuldersetzung oder Schuldergänzung können gesetzliche Verbote, wie beispielsweise §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB, entgegenstehen. Die gesetzliche Anordnung der NaturalobliBGB Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 513 Fn. 32; zur Auffassung vor dem Inkrafttreten des BGB Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 284. 57 Mit der Unterscheidung in das Versprechen auf Erfüllung einer fremden oder einer eigenen Schuld, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 46 Rn. 2; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 511 ff. 58 Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, 1985, S. 42 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 513. 59 Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 513; zur Überwindung der Typengebundenheit und dem Grundsatz des kanonischen Rechts „pacta sunt servanda“, der auf das biblische Eidesverbot (Matthäus 5, 37) zurückgeht, vgl. HKK/Kleinschmidt, 2007, § 397 Rn. 6 mN. 60 Dagegen aber etwa nach Art. 1432 des österreichischen ABGB, vgl. B. II. 2. b) aa), S. 223 f.; zur Gesetzesänderung S. 5 f. Fn. 12a. 61 Zur Abgrenzung gegenüber der Heilung siehe oben C. IV. 4. c) bb) (4) (b), S. 495 f. 62 Siehe oben C. IV. 2. c) bb), S. 453 f. 63 Zutreffend Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 513 Fn. 32.

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gation stellt dann zwingendes Recht dar64. Ein entsprechendes Schuldabänderungs- und Schuldersetzungsverbot (Novationsverbot) gilt aber nicht generell, sondern nur für die Fälle der gesetzlichen Anordnung (§§ 656, 762 f., 1297 BGB). In allen übrigen Anwendungsbereichen kann eine Stärkung der Forderung durch Umwandlung in eine Zivilobligation erfolgen. So lebt die verjährte Forderung als Zivilobligation auf65, wenn der Schuldner auf die Verjährungseinrede verzichtet66. Die Ausfallforderung nach Zwangsvergleich oder Restschuldbefreiung (§§ 254 Abs. 3, 301 Abs. 3 InsO) kann durch entsprechende Vereinbarung identitätswahrend unter Fortbestand bestehen gebliebener Sicherungsrechte zu einer durchsetzbaren Forderung gemacht werden. Auch die formfehlerhafte Vergütungsforderung des Rechtsanwalts über höhere als die gesetzlichen Gebühren (§ 4 Abs. 1 S. 3 RVG) ist mit einer entsprechend formgerechten Vereinbarung in eine Naturalobligation umwandelbar. Ebenfalls kann die feststellungsbedürftige Naturalobligation aus sittlicher Pflicht in eine Zivilobligation umgewandelt werden. Das kausale Erfüllungsversprechen auf Ausstattung des Kindes (§ 1624 Abs. 1 BGB) ist bis zur Grenze sittlicher Verpflichtung formlos wirksam. Erst darüber hinaus liegt eine formbedürftige Schenkung vor67. Für sittliche Pflichten gilt dieser Grundsatz jedoch nicht generell. Die Wertung des § 534 BGB geht dahin, dass das Versprechen einer Leistung aus sittlicher Pflicht als Schenkung zu betrachten ist und damit insbesondere dem Formerfordernis des § 518 BGB untersteht. Der BGB-Gesetzgeber hat die Erfüllung sittlicher Pflichten und Anstandsrücksichten als Schenkungscausa ausgestaltet (§ 534 BGB) und so die Klagbarkeit des formlosen Versprechens über die Erfüllung sittlicher Pflichten verhindert68. Die Schenkungscausa bewirkt aber in erster Linie eine Formpflicht und sie steht der Umwandlung in eine Zivilobligation nicht als ein Verbot entgegen.

64 Die Undurchsetzbarkeit einer Wettschuld gem. § 762 BGB hat das OLG Hamm v. 29.1.1997 NJW-RR 1997, 1007, 1008 als international zwingend eingestuft (Art. 6 EGBGB, richtig: Art. 34 EGBGB), vgl. oben C. IV. 4. d), S. 508. 65 Das gilt nicht, wenn der Schuldner die Einrede nur „fallen lässt“. Damit ist nur die Hemmung der Einrede vorläufig beseitigt und es liegt eine Naturalobligation vor, vgl. oben C. IV. 4. c) aa) (3) (a), S. 480 und C. IV. 5. a) cc), S. 515. 66 Der auch einseitig mögliche Verzicht löst entsprechend einem Anerkenntnis im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB den Lauf einer neuen Verjährungsfrist aus. RG v. 2.1.1912 RGZ 78, 130, 131; OLG Brandenburg v. 16.2.2005 NJW-RR 2005, 871, 872; statt aller AnwKBGB/Mansel/Stürner, 2005, § 202 Rn. 46. 67 Für die Umwandlung einer sittlichen Pflicht in ein formloses durchsetzbares Leistungsversprechen im Rahmen von § 1624 Abs. 1 BGB, vgl. Erik Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, S. 229 (ähnlich einer Selbstverbürgung tritt das Erfüllungsversprechen neben den Rechtsgrund der Sitte). Ebenso Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 III 4, S. 97. 68 Siehe oben C. IV. 3. b) bb), S. 457 ff.

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c) Integritäts- und Leistungsschutz einer Naturalobligation (Minderung und Rücktritt) Die Vereinbarung einer Naturalobligation lässt den vertraglichen Integritätsschutz unberührt. Die schuldhafte Verletzung von Schutzpflichten löst wie auch sonst Schadensersatzansprüche aus. Einzustehen ist ferner ebenso für Mangelfolgeschäden. Die Einstandspflicht für Schäden an Rechtsgütern des Gläubigers, die als Folge der Leistungshandlung entstanden sind (§ 280 Abs. 1 BGB) 69, bedeuten keinen indirekten oder mittelbaren Erfüllungszwang. Grundlage dieser Einstandspflicht ist das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Erfüllung. Die ordnungsgemäße Erfüllung ist auch aus der Naturalobligation heraus geschuldet. Dabei sind lediglich die Nacherfüllungs- sowie diejenigen Schadensersatzansprüche nicht durchsetzbar, die die Leistungsstörung kompensieren und das positive Interesse sichern. Das sind sämtliche auf Schadensersatz statt der Leistung gerichteten Ansprüche (§§ 280 Abs. 1 u. 3, 281, 282, 283, 311 a BGB) sowie der Anspruch auf den Verzögerungsschaden (§§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 ff. BGB). Die Anerkennung einer Leistungspflicht bei der Naturalobligation hat zur Folge, dass diejenigen Rechtsbehelfe durchsetzbar bleiben, die an eine freiwillig erfüllte Leistungspflicht anknüpfen70. Für sie ist der Erfüllungszwang ohne Bedeutung. Der Gläubiger einer Naturalobligation kann also im Falle einer Leistungsstörung verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Vertrag nicht zu Stande gekommen. Er kann nach Maßgabe der §§ 323, 326 BGB zurücktreten und Rückgabe seiner Leistung verlangen. Im Falle der Schlechtleistung kann die Gegenleistung gemindert werden, etwa bei Kauf- (§§ 437 Nr. 2, 346 ff. BGB) oder Werkvertrag (§ 634 Nr. 3 BGB). Auch Ersatzansprüche für frustrierte Aufwendungen bei Nicht- oder Schlechtleistung (§ 284 BGB) stehen dem Gläubiger einer Naturalobligation zu. Darin liegt ein gesetzlicher Mindestschutz71. Die Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln stellt sicher, dass vertrauensschutzrechtliche Positionen aus den zugrunde liegenden Rechtsgeschäften abgeleitet werden können. Sie müssen also nicht aus der Residualkategorie des geschäftlichen Kontakts entwickelt werden (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB)72. Ferner 69

Mangelfolgeschaden ist der Schaden, der durch mangelfreie Nachlieferung nicht beseitigt werden kann und in Folge des Mangels an andern Rechtsgütern als am Kaufgegenstand entsteht, Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 437 Rn. 35. 70 Deshalb ist etwa die Rückforderung einer Anzahlung beim Ehevermittlungsvertrag nach Kündigung wegen untauglicher Vermittlungstätigkeit aus § 628 Abs. 1 S. 3 BGB von BGH v. 19.5.2005 NJW 2005, 2543, 2544 bejaht worden. Das ist nur unter der Prämisse einer teilweise nicht erfüllten Dienstforderung möglich, die sich synallagmatisch auf den Umfang der Zahlungspflicht auswirkt. 71 Vgl. dazu bereits oben C. I. 2. d), S. 248. 72 Im Ergebnis dürfte kein Unterschied bestehen, ob man Integritäts- und Vertrauens-

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C. Systematischer Teil

erhalten Leistungsbewegungen Bestandsschutz nur unter der Voraussetzung, dass sie auf Forderungen basieren und damit nach den Grundsätzen des Schuldrechts gerechtfertigt sind. Ob diese Rechtfertigung entstanden ist, hängt von der ordnungsgemäßen Erfüllung der jeweiligen Leistungspflicht ab. Die zu Grunde liegenden Verpflichtungstatbestände bleiben damit auch im Falle der Naturalobligation rechtlich integriert und kontrollfähig. Es ist der spezifische Sinn der Rechtsfigur Naturalobligation, die Leistungspflicht einerseits anzuerkennen und damit auch zur Grundlage der rechtlichen Beurteilung der auf ihr beruhenden Leistungsbewegung zu machen, sie aber andererseits nicht erzwingbar auszugestalten. Im Rückforderungsstreit erlangt die Leistungspflicht damit ihre wesentliche und eigenständige Bedeutung. Wie die Rechtsprechung zu den „Rückforderungssperren“ im Rahmen von §§ 656, 762 f. BGB gezeigt hat, werden mit dem Erfordernis der „ordnungsgemäßen Leistungserfüllung“ die schuldrechtlichen Grundsätze des Schuldrechts, namentlich des Leistungsstörungsrechts, angewendet73. Das macht deutlich, dass es für die ex post Beurteilung der Leistungsbewegung ebenso notwendig ist, klare rechtliche Kriterien aus dem Recht der Leistungsbewegung zu besitzen. Die Naturalobligation ist hier das überzeugendere Konzept, weil sich aus dem vermeintlich angeordneten Nichts der Gegenauffassung74 keine sachlichen Differenzierungen dafür ableiten lassen, wann und unter welchen Voraussetzungen die „Rückforderungssperre“ greift. Daher ist die Naturalobligation als Rechtsfigur auch geeignet, diffusen Rechtsverhältnissen, wie sie unter dem Dachbegriff des Gentlemen’s Agreement vereint werden, eine rechtliche Grundlage zu verleihen75.

schutz aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB ableitet oder dem Vertrag zuordnet (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB). Entsprechend hat etwa Canaris noch vor der Schuldrechtsreform die Auffassung vertreten, dass das gesetzliche Schuldverhältnis ein Begleitschuldverhältnis darstellt, das auch neben einem wirksamen rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnis fortbesteht, Canaris, Ansprüche wegen positiver Vertragsverletzung und Schutzwirkung für Dritte bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475, 477; ebenso Gerhardt, Der Haftungsmaßstab im gesetzlichen Schutzverhältnis (Positive Vertragsverletzung und culpa in contrahendo), JuS 1970, 597, 598; Schünemann, Die positive Vertragsverletzung – eine kritische Bestandsaufnahme, JuS 1987, 1, 7; nach a. M. handelt es sich dagegen ab Vertragsschluss um kontraktuelle Schutzpflichten (Umwandlung). Vgl. E. Schmidt, Das Schuldverhältnis. Eine systematische Darstellung des Allgemeinen Schuldrechts, 2004, Rn. 78 f., S. 30 f., der einschränkend darauf hinweist, dass eine komplette Derogation der Verantwortlichkeit nach § 241 Abs. 2 gewiss nicht in Betracht komme und auch den Haftungsbegrenzungen enge Grenzen gesetzt seien (ebd.). Ebenso Schur, Leistung und Sorgfalt, 2001, S. 238 ff. 73 Vgl. dazu jeweils oben C. IV. 5. b) und c), S. 517 u. S. 522. 74 Vgl. zu dem Wortlautargument bei §§ 656, 762 BGB („wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“), oben C. IV. 1. b) aa), S. 435. 75 Siehe dazu unten C. V. 4. b) S. 602.

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d) Abgrenzung Nur wenn Bindung gewollt und rechtlich zulässig ist, kann sich die weitere Frage nach der vereinbarten Aufhebung der Zwangsbefugnisse und damit nach der rechtsgeschäftlich begründeten Naturalobligation stellen. Eine Leistungsverpflichtung muss also vereinbart sein und auch vereinbart werden dürfen. Damit werden all jene Fälle ausgeschlossen, bei denen bereits der Verpflichtungswillen nicht festgestellt werden kann (aa) oder bei denen die obligatorische Leistungsbindung aus anderen Gründen ausgeschlossen ist (bb). aa) Fehlendes Leistungsversprechen (Unverbindlichkeitsabrede) Ist eine obligatorische Pflichtbindung nicht gewollt, so kommt auch eine Naturalobligation nicht in Betracht. Erklärungstatbestände sind in diesem Fall als Absichtsbekundungen zu qualifizieren, die keine oder gegebenenfalls schwächere konsequentialistische Verhaltensbindungen erzeugen76. Fehlende Bindung kann aber auch die Folge fehlender Bestimmtheit oder fehlender Ernstlichkeit eines Leistungsversprechens sein 77. Im Wege der Auslegung ist festzustellen, ob eine Leistungsbindung der Parteien gewollt war oder nicht. (1) Gefälligkeit und Absichtserklärung Ausgegrenzt werden hierdurch einmal Abreden über den Erweis einer Gefälligkeit78 sowie vorvertragliche Absprachen, wie der Letter of Intent und andere Erklärungsformen im Vorfeld des Vertrages, etwa ein Memorandum of Understanding, eine instruction to proceed und andere79. Diese Erklärungen enthalten ausdrücklich oder konkludent die selbstbezügliche Aussage, dass eine Leistungspflicht nicht begründet werden soll80.

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Siehe oben C. III. 1. c) bb), S. 340 ff. Siehe oben C. III. 2. a), S. 376 ff. 78 AG Kaufbeuren v. 14.2.2001 NJW-RR 2001, 382 – Starhilfegewährung als Gefälligkeitsvertrag; dagegen hat der BGH für Gefälligkeitsfahrten außerhalb einer Fahrgemeinschaft einen Gefälligkeitsvertrag abgelehnt, BGH 14.11.1991 NJW 1992, 498, 499 (bloßes Gefälligkeitsverhältnis). Zu den objektiven Kriterien der Abgrenzungsentscheidung BGH v. 3.11.1983 BGHZ 88, 373, 382. 79 Siehe dazu oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (aa), S. 349 ff. 80 OLG Köln v. 21.1.1994 OLG-Report 1994, 61 (Letter of Intent bez. Aktienanteilskaufvertrag); OLG Frankfurt v. 9.7.1998 – 3 U 61/97 Juris-Datenbank Nr. KORE 512112000 (Letter of Intent bez. Bauträgervertrag); OLG München v. 21.2.2001 RIW 2001, 864 (Quick note über internationalen Filmvertrieb). 77

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C. Systematischer Teil

(2) Schlichte Vereinbarungen und Verträge ohne primäre Leistungspflicht Weitere Beispiele für schuldrechtliche Vereinbarungen ohne Leistungsversprechen führen in einen gesetzlich und dogmatisch nicht gesicherten Handlungsbereich bloßer Vereinbarungen (pactum)81. Herausgebildet haben sich als eine neue Kategorie die sog. Verträge ohne primäre Leistungspflicht82. Die damit einhergehende Anerkennung als Vertrag ist im Hinblick auf die haftungsrechtlichen Folgen aber ohne praktische Bedeutung. Das rechtsgeschäftsähnliche gesetzliche Schuldverhältnis, das bereits aus einem „ähnlichen geschäftlichen Kontakt“ (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) folgt, erfasst auch das einfache pactum. Schutz- und Obhutspflichten können also auch aus dem Gesetz entwickelt werden und deren Verletzungen sind schadensersatzrechtlich sanktioniert. Im Bereicherungsrecht sind diese Verträge als bloße Rechtsgrundabreden anerkannt83. In die Kategorie eines wirksamen Vertrages ohne primäre Leistungspflicht84 gehören der Rahmenvertrag und, als dessen besondere Ausprägung, der allgemeine Bankvertrag85. Auch andere Rechtsverhältnisse ohne Leistungspflicht können hier genannt werden. Das betrifft ewa das arbeitsrechtliche „Einfühlungsverhältnis“86, die Vereinbarung einer Probefahrt beim Gebrauchtwagen81 Die von Mayer-Maly vorgeschlagene quasivertragliche Kategorie der schlichten Vereinbarung, die historisch an das römisch-rechtliche pactum anschließt, ist im Schrifttum jedoch ganz überwiegend abgelehnt worden. Eine vertragsersetzende bloße Vereinbarung ist neuerdings gesetzlich positiviert in § 1 ProstG zu finden. Aus ihr erwächst die Lohnforderung der Prostituierten. Dogmatisch betracht entsteht hier also umgekehrt eine Forderung ohne Vertrag. Vgl. dazu oben C. IV. 5. i) bb) (1), S. 548. 82 Der Vertrag ohne primäre Leistungspflicht ist als dogmatische Kategorie anerkannt (bspw. der Rahmenvertrag, BGH v. 30.4.1992 NJW-RR 1992, 977, 978 – Architektenrahmenvertrag mit Bauübernehmer; aufgegeben in der Form des allgemeinen Bankvertrages, BGH 24.9.2002 NJW 2002, 3695, 3697 (überflüssig). Er liegt nach der Schuldrechtsreform auch in Fällen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit nach § 311 a Abs. 2 BGB vor, vgl. Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499, 506; Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 311 a Rn. 4. Allerdings wird nicht immer klar zwischen Vertrag und Forderung unterschieden. So etwa St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 52, der Verpflichtungen anerkennt, „welche zur Vermeidung des Nichtigkeitsverdikts einer privatautonom gesetzten Lösungsmöglichkeit bedürfen, die also nur dann als wirksam betrachtet werden können, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Lösungsmöglichkeit auch bei bloßem Sinneswandel möglich ist.“ Verpflichtung und freie Lösungsmöglichkeit schließen sich aber als konträre Gegensätze aus. Auch hier wird man daher von Verträgen ohne primäre Leistungspflicht ausgehen müssen. 83 Missbilligte Geschäfte und tolerierte Leistungen als eine eigenständige Gruppe von Erwerbsgründen, vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 IV, S. 98 ff. Jauernig/Stadler, BGB, 11. Aufl. 2004, § 812 Rn. 15 (Anwendungsfälle der condictio ob rem bei fehlender Leistungsverpflichtung). 84 Vgl. oben Fn. 82 und näher oben C. III. 2. a) cc), S. 382. 85 Vgl. oben Fn. 82 und näher oben C. III. 2. a) cc), S. 383 f. 86 Das „Einfühlungsverhältnis“ (auch Schnupperverhältnis genannt) ist vom Probearbeitsverhältnis zu unterscheiden, weil es ohne Arbeitspflicht und ohne Vergütungsan-

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kauf 87 und die Absprache innerhalb einer Lottospielgemeinschaft, dass einer der Mitspieler den Wettschein ausfüllen und einreichen soll, um dadurch den Wettabschluss für die Spielgemeinschaft zu tätigen88. Mangels einer Leistungsforderung kommt auch die Vereinbarung einer Naturalobligation in diesen Fällen nicht in Betracht. (3) Unverbindlichkeitsabrede Für die rechtsgeschäftliche Begründung von Naturalobligationen bedeutsam ist der Fall, in dem die Unverbindlichkeit ausdrücklich im Vertrag vereinbart wurde. Eine Vertragsklausel legt fest, dass eine rechtliche Leistungsbindung der Parteien nicht entstehen soll89. Eine solche „no binding clause“ wirft Auslegungsfragen auf. Die Abrede kann als Indiz dafür verstanden werden, dass etwaige Leistungszusagen nur als Absichtsbekundungen verstanden werden sollen. Enthält der Vertrag aber klare und unzweideutige Leistungsversprechen, so erzeugt die „no binding clause“ einen Widerspruch. Wer sich durch Leistungszusagen bindet, kann nicht gleichzeitig die Bindung wieder aufheben. Versprechen und Unverbindlichkeit sind konträre Gegensätze 90. Die Wispruch besteht. Entsprechend fehlt das Direktions- und Weisungsrecht, Maties, Generation Praktikum. Praktika, Einfühlungsverhältnisse und ähnliche als umgangene Arbeitsverhältnisse? RdA 2007, S. 135, 141 f.; Löw, Das Einfühlungsverhältnis, RdA 2007, S. 124; Richardi, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, Rn 53; Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2006, § 611 BGB Rn 181 ff. Vgl. näher oben C. III. 2. a) cc), S. 382 f. 87 BGH v. 19.3.1968 DAR 1968, 239, 240 (Haftung aus cic); MünchKomm/Emmerich, BGB, 4. Aufl. 2003, § 311 Rn. 93 (wechselseitige Schutz- und Obhutspflichten bei Vereinbarung einer Probefahrt mit einem Kraftfahrzeugverkäufer (§§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2). 88 BGH v. 16.5.1974 NJW 1974, 1705. Der BGH verneint die Leistungspflicht des beauftragten Mitspielers, obgleich durchsetzbare Ansprüche auf Bezahlung des Spieleinsatzes und auf Auszahlung eines Gewinnanteiles anerkannt werden. Grundlage ist die Auslegung der Vereinbarung und ergänzend eine nach § 242 BGB vorzunehmende Interessenabwägung („Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Verkehrssitte“), die gegen eine Verpflichtung sprach (ebd. 1706). 89 Die vertragliche Unverbindlichkeitsabrede ist zu trennen vom einseitigen Ausschluss der Gebundenheit an den Antrag im Sinne von § 145 Hs. 2 BGB. Die Antragsbindung ist keine obligatorische Leistungsbindung, sondern eine konsequentialistische Bindung an das gegebene Versprechen. Der Antragende ist an seinen Antrag und damit an das Versprechen, aber noch nicht aus diesem Versprechen zur Leistung gebunden. Vgl. oben C. III. 1. c) bb) (1) (a), S. 343. Entsprechend sind Formulierungen beim Antrag wie „freibleibend, ohne Obligo, unverbindlich, frei“ entweder als Ausschluss der Antragsbindung im Sinne von § 145 Hs. 2 BGB oder als invitatio ad offerendum zu verstehen, vgl. mN Staudinger/Bork, BGB, 2003, § 145 Rn. 26 ff.; AnwK-BGB/Schulze, 2005, § 146 Rn. 15 ff. u. 18. 90 Vgl. Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004 Rn. 4 (aufschiebende Wollensbedingung und Bindungswille der Partei, die auch ihr Nicht-Wollen noch erklären kann, widersprechen sich).

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dersprüchlichkeit kann im Rahmen der Auslegung unterschiedlich gewürdigt werden. Ein unverbindliches Versprechen kann unter dem Gesichtspunkt einer Perplexität des Vertragsinhalts die Vertragsentstehung überhaupt hindern (logischer Dissens). Der Vertrag ist in diesem Fall nicht zu Stande gekommen. Möglich erscheint in diesen Fällen aber auch, die „no binding clause“ als treuwidrig zurückzuweisen (§ 242 BGB). Der Schuldner kann sich nicht auf sie berufen. Der Vertrag ist zu Stande gekommen und wirksam und die aus ihm folgenden Forderungen sind durchsetzbar 91. Der Widerspruch zwischen Leistungsversprechen und Unverbindlichkeitsabrede lässt sich drittens auch durch eine Differenzierung der „no binding clause“ auflösen. Dafür kommen zwei Alternativen in Betracht. Die Unverbindlichkeitsabrede soll die Rechtsbindung isoliert aufheben. Extralegale gesellschaftliche oder moralische Bindungen aus den gegebenen Versprechen sollen entstehen. Bindung ist gewollt, aber nicht staatlich geschützt. Denkbar ist deshalb auch, dass statt Zivilobligationen nur Naturalobligationen entstehen und mit „no binding“ lediglich der Rechtszwang abbedungen sein soll. In diesem Falle ist die innerrechtliche Differenzierung zwischen Zivil- und Naturalobligation angesprochen. Diese zweite Alternative erscheint im Ergebnis vorzugswürdig und wird nachfolgend näher ausgearbeitet. Sind Leistungspflichten nicht begründet worden, so kommt auch eine Naturalobligation nicht in Betracht92. Ist dagegen eine Leistung versprochen, so ist es eine weitergehende Auslegungsfrage, ob auf der Ebene einer Leistungspflicht Zwangsbefugnisse zu ihrer Durchsetzung bestehen sollen oder nicht93. bb) Unwirksames Leistungsversprechen (bindungsfeindliche Geschäfte) Die Annahme einer Naturalobligation scheidet ebenfalls aus, wenn die Leistungspflicht nicht wirksam vereinbart werden konnte. Das Verbot richtet sich in diesen Fällen nicht gegen das Rechtsgeschäft als solches, sondern isoliert gegen die Leistungsbindung 94. Ein Bindungsverbot kann aus §§ 134, 138 BGB 91 Die Cour de Cassation hat eine Unterlassungsverpflichtung unter Kaufleuten, die nur als moralische Pflicht vereinbart war, für durchsetzbar erklärt. Wettbewerber aus der Textilmodebranche hatten vereinbart, keine Modelle des anderen zu kopieren und unter einem eigenen Produktnamen zu vertreiben. Cass. 23.1.2007, D. 2007, 442; siehe oben B. II. 2. a) aa), S. 214. 92 Naturalobligation und Zivilobligation unterscheiden sich im Hinblick auf die obligatorische Leistungspflicht nicht. Für die Anstandsrücksicht siehe oben C. III. 2. b) cc) (2), S. 392. 93 Im Bereich der sog. Gefälligkeiten sind allerdings bislang keine Fälle bekannt, in denen etwa eine nichtdurchsetzbare Leistungspflicht vereinbart worden wäre. Zu den sonstigen Anwendungsbereichen nachfolgend im Text. 94 Krawielicki, Grundlagen des Bereicherungsrechts, 1936, S. 148 ff. fasst diese als verpflichtungsfeindliche Leistungen zusammen. Mit Beispielen aus der älteren Rechtsprechung

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folgen oder auch einzelgesetzlich angeordnet sein. Zu nennen sind einmal Geschäfte im höchstpersönlichen Bereich, die einer Pflichtbindung entgegenstehen. So etwa die Dienstverpflichtung der Prostituierten, die aus Gründen der sexuellen Selbstbestimmung nicht möglich ist 95. Ebenfalls keine Bindung entsteht aus einem Leihmuttervertrag 96, mit dem gegen Entgelt das Austragen eines biologisch fremden Kindes vereinbart wurde. Auch eine Vereinbarung über die Empfängnisverhütung dürfte als bindungsfeindlich einzustufen sein, selbst wenn sie obligatorisch verpflichtend gewollt war97. Ob der Ämterkauf sittenwidrig oder in Einzelfällen zulässig sein kann, stellt eine Wertungsfrage dar98. Das gilt ähnlich für Verträge über das Hellsehen, Geistheilen oder unsinnige Leistungen. Hält man diese Leistungsversprechen für zulässig, so käme die Vereinbarung einer Naturalobligation hier in Betracht 99. Zu den Fällen einer unzulässigen Leistungsbindung gehören schließlich die gesetzlichen Bindungsverbote, wie etwa im Hinblick auf Wettbewerbsverbote (§§ 74 a ff. HGB), die darum auch dogmatisch zutreffend als „nicht verbindlich“ bezeichnet werden.

3. Rechtsgeschäftliche Außengrenzen und innere Gestaltungsgrenzen Die Abschluss- und die Inhaltsfreiheit sind Ausprägungen der Vertragsfreiheit. Beide werden durch die Verbote aus §§ 134, 138 BGB begrenzt. Ein Gesetzesverstoß wie auch ein Verstoß gegen die guten Sitten sind kraft zwingenden Rechts verboten und jeder Parteidisposition entzogen100. Das gilt ebenso für das unabdingbare Redlichkeitsgebot. Der rechtsgeschäftliche Ausschluss des § 242 BGB ist nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig101. Man kann von den Außengrenzen der Privatautonomie sprechen. Davon lassen sich als Innengrenzen die aus § 242 BGB abgeleiteten Ausübungsschranken einer zulässig begründezu Verträgen über Bluttransfusion, Rücknahme einer Strafanzeige, Religionswechsel, Heirat oder Scheidung (ebd.). 95 Vgl. oben C. IV. 5. i) bb) (1), S. 548. 96 OLG Hamm v. 2.12.1985, NJW 1986, 781 = VersR 1986, 243, 244 f. (sittenwidrig). 97 BGH v. 17.4.1986, BGHZ 97, 372, 379 = BGH VersR 1986, 656, 658, näher oben C. IV. 5. i) cc) (1), S. 551. 98 Vgl. oben C. IV. 5. i) cc) (2), S. 553. 99 Vgl. oben ebenda. 100 AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 134 Rn. 1 u. § 138 Rn. 1; Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 138 Rn. 1. Hinzukommen die gesetzlichen Schranken von AGB §§ 307, 309 Nr. 7 u. 8 BGB. 101 Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 108 (Redlichkeitsgebot des § 242 BGB ist unabdingbar); Jauernig/Mansel, BGB, 11. Aufl. 2004, § 242 Rn. 2; Palandt/ Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 15.

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ten Rechtsposition abgrenzen102. Das führt zu der von der Rechtsprechung aufgegriffenen103 Unterscheidung bei der Vertragskontrolle in Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle. § 138 BGB legt als Außengrenze einen weniger strengen Maßstab an, als der für die Ausübung der Rechte innerhalb der Sonderbeziehung geltende § 242 BGB104. Die Vereinbarung einer Naturalobligation ist danach zunächst am Maßstab des § 138 BGB als rechtsgeschäftliche Außengrenze zu messen.

a) Ausschluss der Klagbarkeit als Vereinbarung einer Naturalobligation Die Diskussion über die Zulässigkeit einer gewillkürten Naturalobligation tritt in der Praxis meist verknüpft mit der Vereinbarung eines Klageauschlusses auf. Die im Rahmen der Auslegung zu klärende Frage richtet sich auf den Umfang der Verzichtswirkung. So ist der Rechtswegausschluss der am weitesten reichende Versuch, das Schuldverhältnis zu entrechtlichen. Soll dagegen der prozessual geltend gemachte Anspruch ausgeschlossen werden, so handelt es sich um einen Klageverzicht im Sinne von § 306 ZPO. Ist es das Ziel der Parteien, neben dem prozessualen Klagerecht – falls man hier eine Unterscheidung anerkennt – auch das materiellrechtliche Klagerecht aufzuheben, so entsteht eine unklagbare Forderung. Sollen zusätzlich die privaten Zwangsbefugnisse (Selbsthilfe, Aufrechnung, Zurückbehaltung) entfallen, so liegt die Vereinbarung einer Naturalobligation vor. Soll noch weitergehend auch die Fälligkeit der Forderungen beseitigt werden, sind die betroffenen Rechte gehemmt und bleiben als betagte Forderungen bestehen. Die hier skizzierte Differenzierung ist in der Praxis selten erforderlich, weil und soweit in den entschiedenen Fällen regelmäßig nur das Bestehen des prozessualen Klagerechts streitig ist. Nach allen genannten Gestaltungen entfällt es. Betrachtet man die Rechtsprechung zur Vereinbarung von Klagbarkeitsausschlussvereinbarungen so ergeben sich daraus aber Hinweise für die Gestaltungsgrenzen rechtsgeschäftlich begründeter Naturalobligationen. 102 Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 368; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 19; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, 2003, § 242 Rn. 35; Schapp/ Schur, Einführung in das Bürgerliche Recht, 3. Aufl. 2003, Rn. 487, S. 228. Wie die grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 242 BGB zeigt, ist damit nicht gesagt, dass auch die schwächeren Innengrenzen der Rechtsausübung der Parteidisposition unterworfen sind, so Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 109 (je nach Fallgruppe und Funktionskreis). 103 BGH v. 11.2.2004 NJW 2004, 930, 935; BGH v. 14.9.2004 NJW 2005, 139, 140; BGH v. 16.1.2005 NJW 2005, 2386. 2387 ff. (jeweils zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen). 104 § 138 BGB garantiert danach ein sozialethisches Minimum, während § 242 BGB gesteigerte sozialethische Anforderungen stellt, Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 367; vgl. zu dem notwendigen Gerechtigkeitsgehalt des Schuldverhältnisses oben C. III. 2. c) S. 398 ff.

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aa) Der Rechtswegausschluss Die weitestgehende Immunisierung eines Vertrages geht von der Vereinbarung aus, mit der die Parteien den (Zivil-) Rechtsweg ausschließen. Zwar verfolgen die Parteien durch eine solche Abwahl der Gerichtsbarkeit möglicherweise nur das Ziel, den Klageweg zu versperren. Jedoch ist mit dem Rechtswegausschluss auch die Überprüfung des Leistungsverhältnisses im Rückforderungs- oder auch im Feststellungsstreit ausgeschlossen. Diese Abrede ist wegen der praktischen Gefährlichkeit für die schwächere Partei generell als unzulässig anzusehen. Das OLG Celle hat einen Rechtswegausschluss regelmäßig als Verstoß gegen § 138 BGB eingestuft105. Der BGH geht weiter, indem er § 13 GVG für zwingendes Recht und damit eine solche Abrede unabhängig von den Voraussetzungen des § 138 BGB für unzulässig erklärt. Er stellt fest:106 „Zutreffend hat das Berufungsgericht im Hinblick auf die zwingende Rechtsbestimmung des § 13 GVG den Ausschluß des Rechtswegs vor den ordentlichen Gerichten für eine zivilrechtliche Streitigkeit für nichtig erachtet.“

Die Entscheidung betraf die Wirksamkeit einer unter Ausschluss des Rechtsweges übernommenen Verpflichtung einer Gemeinde über die Ausübung einer Grunddienstbarkeit. Der BGH hatte eine Auslegung dahin, die Parteien hätten den Anspruch als eine unvollkommene Verbindlichkeit ausgestalten wollen, verneint107. Die angenommene Nichtigkeit der Vereinbarung ist überzeugend. Die Immunisierung gegen jegliche gerichtliche Kontrollmöglichkeit entzieht der Vertragsvereinbarung die Geltungsgrundlage. Die Parteien können nicht staatliche Anerkennung ohne jegliche staatliche Kontrolle erlangen. Der Ausschluss des Rechtsweges ähnelt anderen Gestaltungsformen außergerichtlicher Streitbeilegung. So ist durch eine Schiedsabrede verbunden mit der Wahl nichtstaatlichen Rechts (§ 1051 Abs. 1 ZPO)108 oder mit der Ermächtigung zur Entscheidung nach Billigkeit (§ 1051 Abs. 3 ZPO) eine weitgehende Entstaatlichung erreicht. In gewisser Hinsicht gilt dies auch für eine Media-

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OLG Celle v. 5.4.1968 OLGZ 1969, 1, 2. BGH v. 12.2.1971 LM § 1018 Nr. 19, Bl. 4 = MDR 1971, 657. 107 BGH v. 12.2.1971 LM § 1018 Nr. 19, Bl. 2. Von einer unvollkommenen Verbindlichkeit war noch das OLG Schleswig als Vordergericht ausgegangen. 108 Die Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts wird im europäischen Vertragskollisionsrecht nur sehr eingeschränkt anerkannt. Erwägung Nr. 8 b und c im Bericht des Europäischen Parlaments vom 21. November 2007, A6–0450/2007 über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15. Dezember 2005, KOM (2005), 650 endg. in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 sah vor, dass „auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts“ gewählt werden können. Erfasst werden sollten UP, PECL und das künftige optionale Gemeinschaftsinstrument (Kodex). Alleine das letztere wird in der künftigen Verordnung noch zugelassen. 106

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tionsabrede109. Anders als bei diesen alternativen Streitschlichtungsformen findet bei einem Rechtswegausschluss keinerlei staatliche Anerkennungskontrolle statt. Die allein verbleibenden gesellschaftlichen Reaktionen sind nicht institutionalisiert und können auch nicht als andersartige Gerichtsinstanz aufgefasst werden. Damit überschreitet diese Gestaltung den für die Annahme von „Recht“ erforderlichen institutionellen Mindeststandard110. Zwar ließe sich der Vertrag im Hinblick die Wirksamkeit des Rechtswegausschlusses gerichtlich prüfen, denn eine solche Prüfung bleibt als (logische) Voraussetzung für den umfassenden Ausschlusses möglich111. Im Rahmen dieser Prüfung könnte dann auch der sonstige Vertragsinhalt auf die Frage seiner Zulässigkeit hin geprüft werden. Eine solche Prüfung vermag aber nicht die Einhaltung des Vertragswerkes sicherzustellen und ist von daher kein ausreichender Ersatz für die im Übrigen fehlende Drittkontrolle. Ein Rechtswegausschluss kann daher nicht wirksam vereinbart werden. bb) Klagbarkeitsausschluss, Abbedingung aller Zwangsbefugnisse (Naturalobligation) oder der Einforderungsbefugnis (Betagung) Vertragliche Abreden, die auf den Ausschluss der Klagbarkeit oder des Erfüllungszwanges gerichtet sind, werden anerkannt. Der BGH hält die rechtsgrundsätzliche Frage für geklärt, dass auf die Klagbarkeit eines Anspruchs auch außergerichtlich verzichtet werden kann112. Im Einzelnen sei zwar vieles streitig113, soweit ersichtlich werde aber

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Habscheid, Die außergerichtliche Vermittlung (Mediation) als Rechtsverhältnis, AJP/ PJA 2001, 938 ff. Im internationalen Kontext vgl. Eidenmüller, Hybride ADR-Verfahren bei internationalen Wirtschaftskonflikten, RIW 2002, 1 ff.; Koch, Mediation im internationalen Streit, in: Bachmann (Hg), FS für Peter Schlosser, 2005, S. 399, 404. 110 Zur Notwendigkeit einer Kontrollinstanz vgl. N. Luhmann, Die Rückgabe des zwölften Kamels, ZRSoz 21 (2000) 3, 52; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 297, 317. Die rechtliche Mindestbedingung einer Kontrollinstanz ist maßgeblich eine Erkenntnis des amerikanischen und des skandinavischen Rechtsrealismus, vgl. für die USA Albert A. Ehrenzweig, Foreign Rules as sources of law, in: Legal Thougth in the USA under contemporary pressure, S. 71 ff.; zur Rezeption der späteren skandinavischen Strömung, Carla Faralli, The Reception of Scandinavian Legal Realism, in: Atienza u.a. (Hg.), FS für Werner Krawietz, 2003, S. 485 ff. 111 Ähnlich wie eine behauptete Prozessunfähigkeit einer Partei gerichtlich überprüfbar bleibt, vgl. § 56 ZPO, vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 56 Rn. 2. 112 Es handele sich bei dieser Frage, so der BGH, um die Entscheidung eines Einzelfalls auf der Grundlage anerkannter Rechtssätze (§ 543 Abs. 2 ZPO). BGH v. 12.4.2006 – Az. III ZR 153/05 – Umdruck S. 3 = BeckRS 2006 05541 (Beschluss über Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO). 113 Ebd., unter Verweis auf Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 391 ff.

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„nicht in Zweifel gezogen, dass der materiell-rechtliche Anspruch von einem zulässigen gewillkürten Klageverzicht dem Grunde nach – zumindest als Naturalobligation – unberührt bleibt (…). Das kann im Einzelfall zwar insbesondere mit Rücksicht auf eine Auslegung der Parteierklärungen als Scheingeschäft (§ 117 BGB) oder als nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung (§ 118 BGB) anders liegen. …“

Der BGH lässt mithin eine Auslegung zu, wonach bei einem Klageverzicht der materiell-rechtliche Anspruch zumindest als Naturalobligation zurückbleibe. Durch Auslegung ist festzustellen, ob Leistungspflichten begründet werden sollten, die aber nicht erzwingbar sind114. Wann und unter welchen Voraussetzungen ein prozessualer Klageverzicht oder stattdessen eine Naturalobligation vorliegt, ist der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen. Auch frühere Entscheidungen zu dieser und ähnlich liegenden Gestaltungen sind insoweit unklar115. (1) So hatte das OLG Dresden im Jahre 1909 über eine Zahlungsklage für die Erbringung von Diensten zu befinden. Die zu Grunde liegende Vereinbarung lautete:116 „Ich schulde Herrn S. für geleistete Dienste in meiner Angelegenheit …, die Herr S. zu meiner vollsten Zufriedenheit erledigt hat, den Betrag von 1.500,- Mark. Dieser Betrag soll gezahlt werden wie folgt. … Ich erkläre noch ausdrücklich, dass dieses Honorar ein von mir freiwillig gezahltes ist und dass zur Geltendmachung des Anspruchs des Herrn S. ein gerichtliches Verfahren ausgeschlossen sein soll.“

Land- und Oberlandesgericht hielten die Klagbarkeit der Honorarforderung für abbedungen, so dass es auf die Frage über das Zurückbleiben einer Naturalobligation nicht ankam. (2) Das Hanseatische OLG Hamburg deutete im Jahr 1953 einen Vertrag zur Abdeckung einer Schuld als eine nicht klagbare Zahlungsverpflichtung, weil die Parteien ihn als „Gentlemen’s Agreement“ bezeichnet hatten117. Die gewählte Bezeichnung müsse doch einen Sinn gehabt haben und dieser sei: „Es wird von dem Schuldner als Gentleman erwartet, dass er die Zahlung leistet, soweit und sobald er dazu in der Lage ist, und es wird dafür an seinen Ruf als anständiger Kaufmann appelliert.“

Der nur knapp mitgeteilte Sachverhalt deutet hier auf eine Besserungszusage eines verarmten Schuldners hin118. Die Besserungszusage ist eine besonders ge114

Siehe auch oben C. V. 2. d) aa), S. 577. Zu den Entscheidungen bezüglich eines zeitlich begrenzten Klageausschluss oben C. IV. 4. c) aa) (3) (b), S. 484. 116 Zit. nach Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 7 Ziff. 8. S. 94 f. 117 OLG Hamburg v. 17.3.1953 MDR 1953, 482 (Unklagbarkeit eines als „Gentlemen’s Agreement“ bezeichneten Abkommens). 118 Wie sich den kurzen Urteilsgründen entnehmen lässt, sollte der Schuldner Zahlung leisten, „soweit und sobald er dazu in der Lage ist“, ebd. Die Vereinbarung steht damit zumindest in der Nähe einer sog. Besserungszusage; vgl. nachfolgende Fn. 115

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C. Systematischer Teil

staltete Stundung und beseitigt die Fälligkeit der Forderung119. Entscheidungserheblich war nur die Klagbarkeit der Forderung, so dass eine dogmatische Differenzierung zwischen klagloser Forderung, Naturalobligation und betagter Forderung unterbleiben konnte. (3) Der BGH hatte 1964 über einen Vertrag zu entscheiden, der eine Meistbegünstigung des klagenden Käufers bei Bestellungen bei der beklagten Verkäuferin vorsah und der von beiden Vertragspartnern als „Gentlemen’s Agreement“ bezeichnet worden war. Der BGH sah in dieser Abrede den Verzicht auf eine klagbare Auskunftspflicht der Beklagten120. Der begünstigte Kläger solle nicht zur Auskunft über die von Dritten aufgegebenen Bestellungen gezwungen werden können. Sein Recht auf Meistbegünstigung werde primärrechtlich nicht geschützt121. (4) In einer Entscheidung aus dem Jahr 1983 ließ der BGH offen, ob ein Ausschluss der Klagbarkeit überhaupt eine materiellrechtliche Wirkung habe. Im Kaufvertrag über eine Tierarztpraxis war vereinbart worden, dass vor dem Beschreiten des Rechtsweges die Schlichtungsstelle der Tierärztekammer einzuschalten war122. Die obligatorische Schlichtungsvereinbarung sei als temporärer Klageverzicht anzusehen. Die Klage des Käufers wurde als zurzeit unzulässig abgewiesen. cc) Leitlinien für eine zulässige Abbedingung von Erfüllungszwang Erste dogmatische Strukturen lassen sich einer Entscheidung des OLG Celle aus dem Jahr 1968 entnehmen. Eine Vereinbarung, wonach die vertraglichen Ansprüche einer Partei dauerhaft unklagbar bleiben sollten, deutete das OLG Celle wahlweise als prozessualen Klageverzicht oder als Vereinbarung einer Naturalobligation. Die Naturalobligation stufte es als regelmäßig sittenwidrig ein, es sei denn, es lägen einleuchtende Gründe dafür vor, dass die Erfüllung einer Verbindlichkeit weitgehend ins Belieben einer Partei gestellt werde. 119 Der verarmte Schuldner muss Ratenzahlungen anbieten, sobald er dazu in der Lage ist. Dogmatisch handelt es sich entweder um eine besonders gestaltete Stundungsabrede, so Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 271 Rn. 14, oder – zur Vermeidung der Insolvenzreife des Schuldners – um einen Erlass verbunden mit der aufschiebend bedingten Neubegründung einer Forderung gleichen Inhalts, Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Bearb. 1995, Einl. § 241 Rn. 155; offenlassend Staudinger/Bittner, BGB, 2005, § 271 Rn. 11. Zur Abgrenzung der betagten Forderung gegenüber der Naturalobligation vgl. oben C. IV. 4 c) aa) (1), S. 476. 120 BGH v. 22.1.1964 MDR 1964, 570. 121 Allerdings räumte der BGH dem Kläger das einseitige Recht ein, von dem Verzicht abzugehen, wenn er Grund zu der Annahme hatte, das die Beklagte das in sie gesetzte Vertrauen des Klägers missbrauche, BGH v. 22.1.1964 MDR 1964, 570. 122 BGH v. 23.11.1983 NJW 1984, 669, 670 = ZZP 99, 90, mit krit. Anm. Prütting, der auf die Schwächen privaten Rechtsschutzes verweist (ebd. 93).

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Es sei überdies in jedem Falle sittenwidrig, wenn in einem gegenseitigen Vertrag123, „… gerade der wirtschaftlich wesentlich schwächere Vertragspartner sich einseitig der Möglichkeit begeben hat, seine eventuellen Ansprüche notfalls klageweise durchzusetzen. Bedenklich ist es ferner, dass nicht ein ganz bestimmter, festumrissener Anspruch klaglos gemacht wird, sondern dass § 8 des Vertrages alle künftigen Ansprüche erfasst.“

Streitgegenständlich war ein Kaufvertrag mit einer Mindestabnahmeverpflichtung. Dem Abnehmer wurde die gerichtliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Vertrag verwehrt. Stattdessen wurde er auf eine Schlichtung vor einem Rechtsanwalt und Notar verwiesen. Das OLG Celle sah keinen Grund, der den Ausschluss der Klagbarkeit der Ansprüche des Käufers hätten rechtfertigen können. Es nennt in Anlehnung an die nachfolgend aufgeführten älteren Judikate (1–4) mögliche Rechtfertigungsgründe für eine solche vertragliche Gestaltung. (1) So hatte das OLG Düsseldorf die in einer Vereinssatzung festgelegte Regelung akzeptiert, wonach die Hinterbliebenen der Vereinsmitglieder einer Sterbegeldkasse das versprochene Sterbegeld nicht einklagen konnten. Bei dem Sterbegeld handele es sich um eine karitative Unterstützungsleistung. Der Ausschluss der Klagbarkeit sei daher zulässig124. (2) Das Reichsgericht hatte eine Zusage des Finanzamtes gebilligt, wonach die Anzeige von Steuerstraftaten mit 5 % der nachversteuerten Beträge und Strafen belohnt werden sollte. Die Zusage war schriftlich gemacht und als nicht einklagbar bezeichnet worden. Der daraufhin seine Provision einklagende Denunziant wurde zurückgewiesen. Die Vereinbarung sei aus Gründen der Vertraulichkeit zulässig und die Klagbarkeit daher ausgeschlossen. Es wäre auch zulässig gewesen, hätten die Parteien eine Naturalobligation vereinbart125. (3) Bereits in einer früheren Entscheidung hatte das Reichsgericht eine Vereinbarung gebilligt, nach der die Darlehensrückzahlung in das Ermessen des Schuldners gestellt und der Ausschluss des Klageweges vereinbart worden war126. (4) Schließlich hielt das OLG Frankfurt a.M. die vereinbarte Klaglosigkeit des Kündigungsrechts eines Siedlungsvertrages für zulässig, weil über die Kündigung im öffentlichen Siedlungswesen letztlich eine staatliche Instanz (der Re-

123 OLG Celle v. 5.4.1968 OLGZ 1969, 1, 2 (Ausschluss des Klageweges verstoße im Regelfall gegen § 138 BGB). 124 OLG Düsseldorf 18.2.1932 JW 1933, 67 (allerdings hat es jeden Rechtsanspruch damit ausgeschlossen, dagegen zutreffend die Anm. Hoeniger, (ebd.), der eine obligatio naturalis bejaht). 125 RG v. 17.12.1929 JW 1930, 1062 Nr. 7 (Naturalobligation). 126 RG v. 7.2.1908 RGZ 67, 390, 392. Siehe auch oben C. V. 1., S. 565.

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gierungspräsident) entschied127. Das OLG Frankfurt a.M. stellt in dieser Entscheidung darauf ab, ob im konkreten Fall eine Machtstellung ausgenutzt werde, um dem Vertragspartner den Verzicht auf die Rechtsverfolgung aufzulegen und verneint dies im konkreten Fall128. Die Entscheidung des OLG Celle zeigt somit Grundsätze für eine zulässige Gestaltung auf. Danach bedarf es konkreter Rechtfertigungsgründe für den Ausschluss der Klagbarkeit. Genannt wurden die Satzungsgewalt eines Vereines, das besondere Interesse an Vertraulichkeit oder die ersatzweise Entscheidung durch eine staatliche Behörde. Ferner darf keine einseitige Machtposition ausgenutzt worden sein. Damit sind die Grundsätze einer Inhaltskontrolle von Verträgen mit gestörter Vertragsparität angesprochen129. Für die vertragliche Begründung von Naturalobligationen ergeben sich danach folgende Leitlinien: Im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine Naturalisierung einzelner oder sämtlicher Forderungen zu Naturalobligationen als Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 BGB nicht zulässig. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Klauselgegners folgt aus der Einschränkung seiner Rechte und der sich daraus ergebenden Gefährdung des Vertragszwecks130. Individualvertraglich ist die Vereinbarung einer Naturalobligation für deliktische Forderungen wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung aus § 826 S. 1 BGB und wegen eigener vorsätzlicher Straftat aus § 823 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Diese Beschränkung folgt bereits aus den rechtsgeschäftlichen Schranken der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB. Die Haftung für vorsätzliche Pflichtverletzungen kann nicht erlassen werden, § 276 Abs. 3 BGB. Auch die Haftung für Arglist kann nicht ausgeschlossen werden (§§ 444 Alt. 1, 536 d, 639 127 OLG Frankfurt a.M. v. 14.1.1949 NJW 1949, 510, 513 (Unklagbarkeit eines Kündigungsrechts aus wichtigem Grund). 128 OLG Frankfurt a.M. v. 14.1.1949 NJW 1949, 510, 513. 129 Vgl. dazu Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 463 f. (strukturelle Ungleichheit der Vertragspartner); zur Indizwirkung von Haftungsausschlussvereinbarungen für die Sittenwidrigkeit, vgl. Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 170. (Indiz für knebelungsähnliche Fremdbestimmung). 130 Rechtsprechung und h.L. gehen davon aus, dass vollumfängliche Haftungsfreizeichnungen für die Verletzung von Kardinalpflichten unwirksam sind und Haftungsbegrenzungen einer am Aushöhlungsverbot orientierten Kontrolle unterliegen; vgl. statt aller Palandt/ Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 307 Rn. 33 ff. So kann die Haftung für die Verletzung von Kardinalpflichten (wesentliche Vertragspflichten im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) dem Grunde nach nicht eingeschränkt werden. Für die Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbegrenzung, Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung 2003, S. 244 f. Im Arztvertragsrecht besteht aufgrund der vertrauensschutzrechtlichen Sonderstellung des Arztes die Tendenz, auch einen individualvertraglichen Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit als standeswidrig und gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßend anzusehen, vgl. Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl. 1999, § 94 Rn. 1.

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Alt. 1 BGB, fraus corrumpit omnia). Für Abreden mit Garantiecharakter im gegenständlichen Umfang der Zusicherung (§§ 444 Alt. 2, 639 Alt. 2 BGB)131 kann die Vereinbarung einer Naturalobligation ebenfalls nicht erlaubt sein. Eine zwingende Haftung besteht ferner beim Verbrauchsgüterkauf gemäß § 475 Abs. 1 und Abs. 3 BGB. Nach § 619 BGB ist die Schutzpflichthaftung beim selbständigen Dienstvertrag aus §§ 617 f. BGB nicht abdingbar132. Die Vereinbarung einer Naturalobligation überschreitet die äußeren Grenzen schuldrechtlicher Gestaltungsfreiheit also nicht losgelöst von den jeweiligen Fallumständen. Ihre Anerkennung ist eine Einzelfallfrage. Die Gestaltung unterliegt ferner den zwingenden Innenschranken des Schuldvertragsrechts. Ansatzpunkt sind die Spielräume, innerhalb derer auch eine Haftungsfreizeichnung möglich wäre.

b) Gründe, die eine Abbedingung von Erfüllungszwang im Einzelfall rechtfertigen können Die Gestaltung als Naturalobligation ist rechtfertigungsbedürftig. Aufgrund der Vielgestaltigkeit möglicher rechtsgeschäftlicher Situationen lassen sich diese Gründe jedoch nicht abschließend erfassen. aa) Verbesserte Erfüllungschance bei fehlendem Zwang Verschlechtert eine Zwangsbedrohung des Schuldners die Chancen der Vertragserfüllung, kann die Abbedingung von Zwangsbefugnissen einem legitimen Interesse folgen. Denkbar ist zunächst, dass der Schuldner durch die Bedrohung mit staatlichem Rechtszwang von der Übernahme der Pflicht überhaupt abgehalten würde. In Betracht kommen höchstpersönliche, besonders sensible oder hochkomplexe Handlungsbereiche. In den höchstpersönlichen Handlungsbereich fallen etwa innerfamiliäre Absprachen wie die Vereinbarung über eine heterologe Insemination133, die Vereinbarung über ein dauerndes Recht zum Getrenntleben ungeachtet des § 1353 Abs. 2 BGB134 oder die Verein131 Jauernig/Chr. Berger, BGB, 11. Aufl. 2004, § 444 Rn. 13 (Verbot widersprüchlichen Verhaltens). 132 BGH v. 15. 6. 1971 BGHZ 56, 269, 274 f.; Jauernig/Schlechtriem, BGB, 11. Aufl. 2004, § 619 Rn. 6. 133 Anzuerkennen, wenn das Recht des Kindes auf Kenntnis der genetischen Abstammung sichergestellt ist und mögliche Konflikte zwischen sozialer und genetischer Abstammung ausgeräumt werden, Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 451; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 48. 134 Der Rechtsanspruch und die Klage auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft nach § 1353 Abs. 1 BGB sind gem. § 1353 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn das Verlangen rechtsmissbräuchlich oder die Ehe gescheitert ist. Nach h. M. liegt in einer Vereinbarung, die diese Rechtspflicht abbedingt, ein Verstoß gegen das Institut der Ehe, Palandt/Heinrichs, BGB,

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barung über einen Religionswechsel. Hier wird im Einzelfall zu entscheiden sein, ob nicht bereits der gewollten Leistungsbindung objektives Recht entgegensteht (bindungsfeindliches Geschäft) 135. Zu besonders sensiblen oder hochkomplexen Handlungsbereichen gehören Projektentwicklungsverträge und Verträge über bestimmte technische, wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen136. Nichts spräche dagegen, eine Leistungspflicht über die Herstellung eines Kunstwerks zu vereinbaren, dessen Erfüllung nicht erzwungen werden kann und soll (Auftragskunst). Derartige Sondersituationen lassen auch die Vereinbarung von bloßen Naturalobligationen gerechtfertigt erscheinen. Desgleichen kommen Verpflichtungen ohne Zwangsbewehrung in Betracht, wenn der Einsatz rechtlichen Zwanges der Pflichterfüllung eher abträglich erscheint. Der Rechtszwang ist in diesen Fällen nicht funktional für die Pflichtbefolgung. Er bietet kein angemessenes und lenkungswirksames Sanktionsinstrumentarium. Denkbar ist dies etwa bei den freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft gegenüber dem Staat, die auf Basis nicht durchsetzbarer Pflichten mutmaßlich effektiver funktionieren und mehr Flexibilitätsreserven der Pflichtigen zu mobilisieren versprechen, als gesetzliche zwangsbewehrte Pflichtstellungen137. Zu denken ist ferner an Ehrenkodizes zur Einhaltung branchenüblicher Verhaltensstandards, die ebenfalls, so nimmt man an, eine höhere Funktionalität besitzen als schadensersatzrechtlich bewehrte Pflichtstellungen138. Allerdings ist der Corporate Governance Kodex für die Unternehmensführung von börsennotierten Aktiengesellschaften nicht auf Leistungspflichten, sondern auf die Einhaltung von Verhaltensstandards bezogen139 und entspricht damit den konsequentialistischen Verhaltensbedingungen.

65. Aufl. 2006, § 138 Rn. 46. a.A. AnwK-BGB/Looschelders, 2005, § 138 Rn. 185 als Entscheidung über eine bestimmte Lebensgestaltung anzuerkennen. Die damit anerkannte vertragliche Unterlassungspflicht könnte als nicht durchsetzbare Naturalobligation eingestuft werden. 135 Entsprechend sind etwa Leihmutterverträge oder die Verpflichtung Verhütungsmittel zu benutzen nicht in obligatorischer Weise verpflichtend möglich, siehe zuvor oben C. IV. 5. i) cc) (1), S. 551; zur Vereinbarung über eine heterologe Insemination und zur vertraglich übernommen Pflicht zum Getrenntleben die beiden vorherigen Fn. 136 Diese Verträge einschließlich jener über eine künstlerische Leistung fallen in den Anwendungsbereich des Werkvertragsrechts, Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 651 Rn. 5. 137 Über die Effektivität dieser Gestaltungsformen wird gestritten, was hier aber ohne Belang ist, vgl. näher oben C. IV. 5. i) dd), S. 554 ff.; zu den Vorteilen des Abschlusses eines Gentlemen’s Agreement siehe unten C. V. 4. b) cc) (2), S. 611 f. 138 Kritisch Nowak/Rott/Mahr, Wer den Kodex nicht einhält, den bestraft der Kapitalmarkt. Eine empirische Analyse der Selbstregulierung und Kapitalmarksrelevanz des Deutschen Corporate Governance Kodex, ZGR 2005, 252, 278 (der erwartete Effekt sei bislang nicht feststellbar). 139 Vgl. dazu oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (ee), S. 355.

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bb) Wirtschaftlicher Nutzen freiwilliger Pflichterfüllung Eine Rechtfertigung nicht zwangsbewehrter Leistungspflichten könnte sich ergeben, wenn der Schuldner durch sie ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit generieren kann, als durch die freiwillige Erfüllung einer zwangsbewehrten Schuldpflicht. Glaubwürdigkeit ist ein marktwirtschaftlich bewertetes Gut, wenn nicht gar ein Machtfaktor, weil er sich positiv im Hinblick auf künftige Geschäfte auswirkt. Reputationsgewinne könnten etwa beim Handel auf Internetplattformen dadurch zu erzielen sein, dass der Schuldner auch ohne eine Zwangsbedrohung freiwillig erfüllt. Die im Internet erzeugte Publizität von Glaubwürdigkeit durch Bewertungssysteme der Marktteilnehmer honoriert Vertragstreue. Diese Argumentation bleibt aber spekulativ, weil der Schuldner ebenso durch die Erfüllung einer erzwingbaren Pflicht Glaubwürdigkeit erwirbt. Ein zusätzlicher Reputationsgewinn aus der Befolgung einer nicht zwangsbewehrten Pflicht ist nicht eindeutig nachweisbar. cc) Besonderes Geheimhaltungsinteresse Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse der Parteien kann die vertragliche Vereinbarung einer Naturalobligation nur ergänzend rechtfertigen. Das Diskretionsbedürfnis lässt sich durch einen Klagbarkeitsausschluss oder über die Einschaltung von Schiedsgerichten verwirklichen. Die mit der Naturalobligation bewirkte Aufhebung des Haftungsverhältnisses wird durch ein Geheimhaltungsinteresse für sich genommen nicht gerechtfertigt. Die völlige Zurückweisung staatlicher Kontrolle aus Gründen der Geheimhaltung kann rechtlich nicht anerkannt werden, wie die Fälle eines vereinbarten Rechtswegausschlusses zeigen140. c) Keine ausreichenden Gründe aa) Selbstverständlichkeit der Erfüllung Die Vereinbarung einer Naturalobligation lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass eine sehr hohe Erfüllungschance bestünde. Erscheint die Erfüllung einer Leistungspflicht selbstverständlich oder wird sie für selbstverständlich gehalten, so spricht dies nicht gegen die Zwangsbewehrung der Forderung, sondern macht Rechtszwang überflüssig. Je höher die Erfüllungswahrscheinlichkeit ist, desto geringer ist das Bedürfnis des Gläubigers, die Forderung mit Hilfe von Zwangsbefugnissen durchsetzen zu können. Nichts zwingt in diesem Fall dazu, dem Gläubiger die Befugnisse auch tatsächlich zu nehmen und nichts

140

Vgl. zuvor oben C. V. 3. a) aa), S. 536.

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spricht dafür, den Schuldner von der Zwangsbedrohung zu befreien. Die Zwangsmacht ist bei unterstellter Erfüllungsbereitschaft des Schuldners lediglich funktionslos und daher bestenfalls überflüssig. Die als gentlemanlike geltende hohe Wahrscheinlichkeit und Selbstverständlichkeit der Versprechensbefolgung liefern also keine Gründe für die Entwaffnung des Gläubigers. bb) Geringes Leistungsinteresse des Gläubigers Keine geeignete Rechtfertigung bietet der Umstand, dass der Gläubiger auf die Leistung und damit auf die Einhaltung der Pflicht nicht unmittelbar angewiesen ist oder gar an ihr nicht besonders interessiert ist. Ein geringes Leistungsinteresse, das ohnehin schwer feststellbar wäre, macht zwar auch die Zwangsbewehrung entbehrlich. Die Zwangsbefugnisse schaden aber nicht. Der Gläubiger muss die Forderung nicht durchsetzen, wenn er an ihr kein ausreichendes Interesse hat. cc) Geringe Durchsetzungschancen Nicht ausreichend zur Rechtfertigung von Naturalobligationen sind ebenso Durchsetzungshindernisse oder die weitgehende Wirkungslosigkeit rechtlicher Zwangsmittel. Die Ineffektivität einer Schuldbeitreibung, etwa weil der Schuldner kein nennenswertes Vermögen besitzt oder weil andere praktische Schwierigkeiten der Realisierung entgegenstehen141, macht wieder nur den Zwang überflüssig, begründet aber nicht seine Abbedingung. dd) Die Geschäftsehre des Schuldners als Ersatz für den Haftungszugriff Soll die Geschäftsehre des Schuldners dazu eingesetzt werden, die Zwangsmacht des Gläubigers zu beseitigen, so werden die Handlungsanreize für den Schuldner verändert. Der Handlungsanreiz aus der Zwangsbedrohung entfällt. An seine Stelle tritt der Gesichtspunkt der Ehre. Die Erfüllungswahrscheinlichkeit hat sich durch das Ehrversprechen regelmäßig dramatisch verschlechtert und die hier oft pathetisch vorgeschobene Ehre verschleiert diesen Umstand nur. Einen Grund für den Verzicht des Gläubigers auf seine Zwangsbefugnisse liefert das Ehrversprechen für sich genommen nicht. Damit kann zunächst festgehalten werden, dass die Vereinbarung einer nicht erzwingbaren Leistungspflicht zwar grundsätzlich zulässig, aber in jedem Einzelfall rechtfertigungsbedürftig ist. Die Privatautonomie stößt hier an ihre 141 Instruktiv Edenfeld, Der Schuldner am Pranger – Grenzen zivilrechtlicher Schuldbeitreibung, JZ 2002, 645, 646.

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Grenzen und erlaubt daher keine generelle Freigabe für diese Gestaltung. Das Ehrversprechen und damit eng verwandt das sog. Gentlemen’s Agreement erfordern nun eine eingehendere Betrachtung, weil sie weitergehend auch den Anspruch erheben, die Grenzen des Rechts zu überschreiten.

4. Ehrversprechen und Gentlemen’s Agreement Ehre ist der Ausdruck sozialer Anerkennung einer Person und ihr persönliches Gut. Der Bundesgerichtshof spricht vom verdienten Achtungsanspruch und dem Geltungswert des Betroffenen142. Dabei steht der schutzrechtliche Aspekt der persönlichen Ehre im Vordergrund. Das Bürgerliche Recht schützt die Ehre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts143. Sie gilt als ein „sonstiges Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB und genießt negatorischen Unterlassungsschutz (§ 1004 BGB analog). Der strafrechtliche Ehrenschutz wird zivilrechtlich von § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 185 ff. StGB sowie durch § 826 BGB erfasst. Dem Ehrenschutz im Zusammenhang mit beruflicher und gewerblicher Tätigkeit dienen ergänzend und speziell die Haftung wegen Kreditgefährdung (§ 824 BGB) und wegen Anschwärzung oder geschäftlicher Verleumdung (§§ 14, 15 UWG). Als speziellere Vorschriften gehen die Regeln zum Schutz des „guten Rufs“ dem allgemeinen Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus § 823 Abs. 1 BGB vor. Die Ehre kann hingegen nicht ohne weiteres in vermögensrechtlichen Beziehungen nutzbar gemacht werden144. Diesen Grundsatz hat bereits das Reichsgericht aufgestellt. Danach könne die Ehre145 „in vermögensrechtlichen Beziehungen nicht zugunsten anderer verwendet werden, weil sie als ideales Gut einen Teil des Persönlichkeitsrechts des Menschen bildet und eine Grundlage seiner Existenz ist.“

Die Ehre ist Bestandteil des Persönlichkeitsrechts146. Das BGB stellt keinen Zusammenhang zwischen Ehre oder einem Ehrversprechen und rechtsgeschäftli142 BGH v. 15.3.1989 BGHSt 36, 145, 148; zur Verknüpfung des engeren personalen mit dem weiteren sozialen Geltungswert, Hilgendorf, LK-StGB, 11. Aufl. 2005, § 185 Rn. 9 ff., 21 ff.; Rühl, Die Semantik der Ehre im Rechtsdiskurs, KritJ 2002, 197. 143 Siebrecht, Der Schutz der Ehre im Zivilrecht, JuS 2001, 337 ff. 144 Staudinger/Sack, BGB, 2003, § 138 Rn. 406 (zur Sittenwidrigkeit von Ehrenwortklauseln im Arbeitsrecht) und MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 70 halten die Ehre aus diesem Grunde für generell ungeeignet rechtgeschäftlich verwendet zu werden. 145 Als Grundsatz mit Ausnahmen RG v. 21.2.1908 RGZ 68, 229, 230 f.; RG v. 8.11.1910 RGZ 74, 332, 332 f.; RG v. 23.1.1912 RGZ 78, 258, 260. 146 Zur Verankerung der Ehre im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, vgl. AnwK-BGB/ Katzenmeier, 2005, § 823 Rn. 223 ff.

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chem Handeln her147. Die eidliche Bekräftigung von Verträgen war bereits nach PrALR I. 5. § 199 untersagt und auch im gemeinen Recht nur noch eingeschränkt anerkannt148.

a) Die Verpfändung der Geschäftsehre oder des Ehranspruches Die Geschäftsehre und der aus ihr folgende Ehranspruch dürften in der Praxis nicht selten in die Waagschale der Vertragsverhandlung gelegt werden. Die verdiente Selbstgeltung der Person, ihr sozialer Geltungswert, steigert die Vertrauenswürdigkeit als Vertragspartner und erhöht damit die Chancen auf potentielle Vertragsabschlüsse. Inhalt und Umfang der vorvertraglich entstehenden Schutzpflichten können davon bestimmt werden (§ 311 a Abs. 2 BGB). Für die rechtliche Beurteilung sind die Chancen auf einen Vertragsabschluss im Regelfall aber irrelevant. Überdies dürfte es praktisch nur in Betrugsfällen möglich sein, eine verdiente von einer nur behaupteten Selbstgeltung klar zu unterscheiden. Die rechtsgeschäftliche Verpfändung des Ehranspruches müsste ferner zur Folge haben, dass der Schuldner die behauptete Selbstgeltung partiell oder vollständig einbüßt, sofern er seine Pflichten verletzt. Das ist selten eindeutig prüfbar und setzt einen hohen Grad an gesellschaftlicher Integration der Marktteilnehmer voraus. Auch ist bislang nur in Ansätzen versucht worden, einen Sanktionsmechanismus zu institutionalisieren. Instrumente hierfür sind der Ausschluss von Marktzugängen, schwarze Listen und prinzipiell alle Formen adverser Publizität. Sie dienen dazu, eine normative Ordnung durch Sanktionen aufrecht zu erhalten und eine interne Marktsteuerung zu ermöglichen. So sind etwa auf Internetmarktplätzen oder in Versteigerungsportalen Bewertungssysteme in Gebrauch, mit denen sich die Marktteilnehmer selbst einstufen und gegenseitig bewerten149. Rechtsgeschäftliche Bedeutung besitzen die geführten Reputationskonten aber nicht. Vielmehr sollen die Folgen der Anonymität der über das Internet abgewickelten Transaktionen kompensiert werden. Von der Rechtsprechung wird die rechtsgeschäftliche Relevanz der Ehre als randständiges Phänomen noch anerkannt150. Geschäftsformen, wie etwa die

147 Zu den gesetzlichen Regeln bei denen dies doch geschieht, namentlich in § 74 a Abs. 2 S. 1 Alt. 2 HGB, vgl. nachfolgend im Text. 148 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 9. Aufl. 1906, § 83a; v. Gierke, Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, insbesondere die Form der Schuldund Haftungsverhältnisse, 1910, S. 245 Anm. 36 u. 37. 149 Bekanntes Beispiel ist der Handel auf Ebay-Portalen. Vgl. Janal, Profilbildende Maßnahmen: Möglichkeiten der Unterbindung virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda, NJW 2006, 870 ff. 150 Rühl, Die Semantik der Ehre im Rechtsdiskurs, KritJ 2002, 197; Widmann, Das Ehrenwort im Recht, NJW 2001, 205; Sandrock, Subjektive und objektive Geltungskräfte bei der Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, AcP 159 (1960), 481, 517 f.

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weiche Patronatserklärung oder das Gentlemen’s Agreement, zeigen, dass die Geschäftsehre rechtsgeschäftlich noch Bedeutung besitzt. aa) Ehrversprechen zur Bekräftigung einer Schuld Ehrversprechen ebenso wie Beteuerungen der Redlichkeit, des Anstands oder der Treue können den Sinn haben, Leistungs- oder Unterlassungspflichten zu bekräftigen. Sie sollen die Schuld verstärken. Zur lediglich ergänzenden Funktion der Ehre führt das Reichsoberhandelsgericht im Jahre 1873 aus151: „Wird ein Versprechen auf Ehrenwort geleistet, oder in anderer Weise die Ehre zur Erfüllung eines Versprechens verpfändet, so liegt hierin die Absicht einer Verstärkung der rechtlichen Verpflichtung, indem diese noch in ein anderes (lediglich sittliches) Gebiet hinüber gezogen wird.“

Der Bürgschaftsgläubiger hatte dem Bürgen gegenüber erklärt, dass er „… es stets als eine Ehrenpflicht betrachten werde, Sie [den Bürgen] wegen dieser Freundlichkeit nie in Ungelegenheit zu bringen.“

Er hatte dann aber doch Klage aus der Bürgschaft erhoben. Das Gericht verneinte ein pactum de non petendo und sah auch in der Ehrbekundung kein Hindernis für eine Klageerhebung. Die Ehrenerklärung habe nur eine verstärkende, nicht aber eine hindernde Wirkung152. Der Gedanke der bloßen Verstärkung ist plausibel. Die Ehrenerklärung dient der Stärkung der Schuld. Rechtlich ist dies allerdings ohne Belang, denn die Leistungshandlung des Schuldners ist ohnehin unabweisbar geboten und auch eine rechtliche Treuepflicht besteht bereits (§ 242 BGB). Eine Verstärkung des Gläubigerrechts und eine Steigerung der korrespondierenden Schuldpflicht bleiben rechtlich unerheblich. Die Ehrenbekundung kann genau genommen nicht einmal zu der rechtlichen Pflicht hinzutreten und „noch in ein anderes Gebiet hinüber gezogen“ werden. § 242 BGB hat die Treuepflicht verrechtlicht und lässt diesbezüglich keinen Raum für extralegale Pflichtstellungen des Schuldners. Dessen Geschäftsehre steht mit der Erfüllung der Rechtspflicht bereits auf dem Spiel; sie ist nicht nochmals verpfändbar. Ob die Erfüllungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Ehrenbekundung tatsächlich steigt, kann hier dahinstehen. In Arbeits- und Dienstverträgen hatte das Reichsgericht Ehrerklärungen zur Verstärkung einer rechtlichen Schuld für sittenwidrig gehalten153. Daran hat sich der Gesetzgeber des 1914 in 151

ROHG v. 28.6.1873 SeuffA 29, Nr. 17. Die bestärkende Wirkung der Ehrenpflicht bezog sich hier allerdings auf die Nichtgeltendmachung der Bürgschaft und nicht auf die Bürgschaftspflicht. Konsequenter Weise hätte danach ein pactum de non petendo bejaht und die Klage abgewiesen werden müssen. 153 RG v. 21.2.1908 RGZ 68, 229, 232 (unverhältnismäßig hohes Strafversprechen für ein Wettbewerbsverbot unter Ehrenwort). RG v. 8.11.1910 RGZ 74, 332, 332 (Wettbewerbsverbot 152

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das HGB eingefügten § 74 a orientiert154. Nach § 74 a Abs. 2 S. 1 Alt. 2 HGB ist ein vereinbartes Wettbewerbsverbot nichtig, „wenn … sich der Prinzipal die Erfüllung auf Ehrenwort oder unter ähnlichen Versicherungen versprechen lässt.“

Hinter dieser gesetzlichen Regel steht die Annahme, dass die Verpfändung des Ehrenworts vor allem im Zusammenhang mit der Ausnutzung von wirtschaftlicher oder persönlicher Übermacht zur Sittenwidrigkeit der so abgesicherten Verpflichtung führt155. Die Knebelungswirkung des Ehrenworts und der eidlichen oder eidesstattlichen Versicherung folgt aus dem zusätzlich erzeugten Gewissenszwang, eine schuldrechtliche Pflicht zu erfüllen. Der Prinzipal muss daher selbst ein spontan gegebenes Ehrenwort in angemessener Frist zurückweisen und dadurch unschädlich machen156. Das Reichsgericht hatte in seiner Rechtsprechung ferner darauf verwiesen, dass diese Schuldverstärkung zu einer ungerechtfertigten Ehrenminderung führen könne, insbesondere wenn für alle Vertragspflichten eine Ehrenerklärung abgegeben werde. Der Vorwurf des Bruchs des Ehrenwortes könne dann auch schon bei kleinen Unachtsamkeiten und Unbotmäßigkeiten erhoben werden157. Dagegen blieben Ehrerklärungen als Schuldverstärkungen in anderen Fällen, also außerhalb des Arbeits- und Dienstrechts, von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt158. Aufschlussreich sind die Hinweise auf eine zulässige Einbeziehung des Ehrversprechens. Die Sittenwidrigkeit habe nur für die Regelfälle zu gelten und Ausnahmen blieben möglich und zwar:159 „Nur zum Schutze besonderer, wichtiger Interessen kann der Gewissenszwang, den die Verpfändung der Ehre auf den Schuldner ausübt, gerechtfertigt sein, und nur einer wirklich ehrlosen Handlung darf durch eine Verpfändung der Ehre vorgebeugt werden.“

Die Ehrenbekräftigung zum Schutz besonders wichtiger Interessen und zur Vorbeugung wirklich ehrloser Handlungen deutet die schwierige Handhabung rechtsgeschäftlicher Ehrenbekundungen an. Soll die Verpfändung des Ehranfür einen angestellten Konstrukteur, das mit einer Vertragsstrafe und der „Verpfändung des Ehrenworts“ abgesichert wurde); RG v. 23.1.1912 RGZ 78, 258, 263 (Wettbewerbsverbot für einen Bürochef, das mit einer Vertragsstrafe und einem feierlichen „Ehren- und Manneswort“ gesichert war); vgl. auch Sandrock, Subjektive und objektive Geltungskräfte bei der Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, AcP 159 (1960), 481, 517. 154 Sandrock, Subjektive und objektive Geltungskräfte bei der Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, AcP 159 (1960), 481, 518. 155 MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 70. 156 Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 74 a Rn. 6; ebenso Boecken in: Ebenroth/ Boujong/Joost, HGB, 2001, § 74 a Rn. 25 f. 157 RG v. 23.1.1912 RGZ 78, 258, 264. 158 So etwa in RG v. 26.5.1909 LZ 1909, Sp. 690 Nr. 10; RG v. 21.3.1910 Recht 1910 Nr. 1912. 159 RG v. 23.1.1912 RGZ 78, 258, 262.

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spruches ehrlosen Handlungen vorbeugen, so stellt sich der Erklärende mit einer solchen Bekräftigung selbst in das Licht der Ehrlosigkeit. Diese Paradoxie lässt sich nur schwer auflösen160. Verallgemeinernd kann man sagen, dass der Gesetzgeber Ehrerklärungen zur Erfüllung vertraglicher Pflichten indifferent gegenübersteht. Die beschriebenen Grundsätze der Rechtsprechung können heute auch nicht mehr in gleicher Weise Geltung beanspruchen wie zur Zeit ihrer Aufstellung. Ein unrechtmäßig knebelnder Gewissenszwang wird nicht mehr ohne weiteres unterstellt werden können. Spekulativ ist die Prämisse, dass eine Rechtsbindung durch die Ehrenbekräftigung tatsächlich gestärkt werde. Auch ihre Schwächung ist möglich. Insgesamt wird man sagen müssen, dass Ehrbekundungen zur Bestärkung einer Schuld grundsätzlich, d.h. außerhalb des Anwendungsbereichs von § 74 a HGB, der eine Ausnahmevorschrift darstellt161, nicht schadet. Sie ist unter einer rational rechtlichen Betrachtung vielmehr bedeutungslos. Die bloße Unbeachtlichkeit der hinzutretenden Ehrenerklärung hat zur Folge, dass eine Anwendung des § 139 BGB nicht in Betracht kommt, sofern einzelne Vertragspflichten mit zusätzlichen Ehrenerklärungen versehen sind162. bb) Ehrversprechen zur Ersetzung einer Schuld Problematisch sind Ehrenversprechen, wenn sie an die Stelle rechtlich durchsetzbarer Leistungsversprechens treten. Dann ersetzen die verdiente Selbstgeltung und der daraus folgende Ehranspruch des Versprechenden163 den Rechtsanspruch samt Haftungszugriff. Damit erhält der Gläubiger tatsächlich keinen Ersatz für eine durchsetzbare Forderung, sondern nur ein Sicherungsmittel eigener Art. Es besteht im Selbstzwang des Gewissens und in der Furcht des Schuldners vor gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Reputationsverlusten. Bestenfalls steht damit der gute Ruf des Schuldners auf dem Spiel. Der Gläubiger verliert die Forderung und die Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Schuldners, erwirbt aber keine kompensatorischen Vorteile. Ihm bringt der Ansehensverlust des Schuldners im Regelfall nichts. Der Gläubiger bekommt damit praktisch nichts in die Hand. Die Missbräuchlichkeit liegt hier auf der Hand.

160

Vgl. näher sogleich unten S. 624 ff. von Hase, Vertragsbindung durch Vorvertrag, 1999, S. 45 (§ 74 a Abs. 2 S. 2 Alt. 2 HGB ist der direkte Gegensatz zum kanonischen pacta sunt servanda-Grundsatz). 162 Sandrock, Subjektive und objektive Geltungskräfte bei der Teilnichtigkeit von Rechtsgeschäften, AcP 159 (1960), 481, 519 f. Die objektive Gestaltungskraft des Rechts soll sich hier über den Parteiwillen hinwegsetzen. 163 Den Ehranspruch richtet die Person an sich selbst und in Form von Respekt auch an ihre soziale Umwelt. 161

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(1) Ehrversprechen betreffend die Erfüllung eines rechtsunwirksamen Vertrages Schuldersetzende Ehrvereinbarungen sind anzutreffen, wenn die Einhaltung rechtsunwirksamer Verträge gesichert werden soll. Das ist etwa der Fall, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Form bewusst nicht eingehalten wird, das Geschäftsziel aber auf der Grundlage der Ehrenbindung und den rechtlichen Heilungsvorschriften erreicht werden kann. Das Reichsgericht hatte im Edelmannfall ein nicht beurkundetes Versprechen einer Grundstückszuwendung trotz eines Ehrversprechens für nichtig erklärt (§§ 313 S. 1 a.F., 125 S. 1 BGB)164. Wer sich dem Edelmannswort unterstellt, muss sich an den Edelmann halten, ist der Grundgedanke dieser Entscheidung165. Darin liegt paradoxer Weise zugleich eine Form der Anerkennung der Ehrenvereinbarung. Das Gericht respektiert den übereinstimmenden Willen der Parteien, einen rechtunwirksamen Vertrag im Vertrauen auf ein Ehrenwort zu schließen. Im Falle der Erfüllung wäre Heilung eingetreten (§ 313 S. 2 BGB a.F.). Damit geht das Konzept des „Edelmanns“ auf. Er bleibt ungebunden. In einer Reihe weiterer Fälle zu Grundstückübertragungen hat der Bundesgerichtshof dann aber die Missbräuchlichkeit einer solchen Schuldersetzung durch bloßes Ehrversprechen angenommen. Nach § 242 BGB bleibt derjenige Erklärungsbestandteil unbeachtet, aus dem sich ergibt, dass die Parteien an ihre Versprechen rechtlich nicht gebunden sein wollen.166. Das bloße Ehrversprechen wird damit verrechtlicht. Grundlage ist § 242 BGB. Voraussetzung der Verrechtlichung nach Treu und Glauben sind besondere Umstände. Beim Grundstückskauf wurde ein schlechthin untragbares Ergebnis für den Käufer oder Bürgen167, das Hervorrufen des Irrtums über die Formbedürftigkeit168 oder das widersprüchliche Verhalten des Verkäufers

164 Der Generaldirektor einer Gesellschaft hatte sich gegenüber einem angestellten Betriebsleiter als Mann von Adel bezeichnet, einen notariellen Akt „zwischen uns beiden“ für unnötig und sein Edelmannswort für ausreichend erklärt, RG v. 21.5.1927 RGZ 117, 121, 122. 165 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 15 III 4; zust. Medicus, Bürgerliches Recht, 17. Aufl. 1996, Rn. 181. 166 Im Unterschied zur reservatio mentalis des § 116 BGB ist bei als fehlend deklariertem Rechtsbindungswillen tatsächlich nur die „rechtliche“ Bindung nicht gewollt, wohl aber soll der Erklärungsinhalt auf der Grundlage einer extralegalen Bindung gelten. Es ist überaus fraglich, ob eine solch isolierte Abdingbarkeit rechtlicher Bindung möglich ist. Ich lehne das ab, vgl. unten S. 614 ff. 167 St. Rspr. BGH v. 25.2.1966 BGHZ 45, 179, 184; vgl. mN und zur Konkretisierung des Merkmals „schlechthin untragbar“, Armbrüster, Treuwidrigkeit der Berufung auf Formmängel, NJW 2007, 3317 f. Es lassen sich danach zwei Fallgruppen unterscheiden und zwar die Existenzvernichtung und die besonders schwere Treuepflichtverletzung. Die letztere Fallgruppe wird eingehend aufgearbeitet, ebd., 3318 ff. 168 RG v. 28.11.1923 RGZ 107, 357, 360 ff. (schuldhaft hervorgerufener Irrtum über die rechtliche Notwendigkeit der Form).

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verlangt169. Schließlich soll es genügen, dass der Schuldner die Erfüllung des formnichtigen Vertrages im Hinblick auf seine Gepflogenheiten und sein Ansehen in so nachdrücklicher Weise in Aussicht stellt, dass er sich nicht ohne Verstoß gegen Treu und Glauben davon lossagen kann170. Das widersprüchliche Verhalten und die Bindung aus Treu und Glauben können namentlich durch ein Ehrenversprechen hervorgerufen sein. Die Grundlage der jeweils bejahten Rechtsbindung ist § 242 BGB. Der Schuldner wird an seinem Wort festgehalten. Die materielle Gerechtigkeit erlangt Vorrang vor dem Grundsatz der Formstrenge. Das (formlose) Versprechen führt zu einem Erfüllungsanspruch aus Treu und Glauben. Dieses Ergebnis wird rechtskonstruktiv durch eine Gegeneinrede der geschützten Partei wegen Treuwidrigkeit des Vertragspartners erreicht. Der Bundesgerichtshof versagt dem Versprechenden die Berufung auf den Formmangel. Diese aktionenrechtliche Formulierung bedeutet eine auf den Einwand des Formmangels gerichtete replicatio doli. Der Formmangel ist jedoch selbst keine Einrede, sondern ein Wirksamkeitshindernis171, so dass streng genommen auch kein Raum für eine replicatio doli besteht. Die sich gegen das Formgebot durchsetzende Wertung aus Treu und Glauben muss deshalb dem „an sich“ formnichtigen Vertrag zur Wirksamkeit verhelfen172. Der Ehrenmann kann im Ergebnis keine anerkennenswerten Gründe ins Feld führen, weshalb das Erklärte nur als Ehrenpflicht gelten sollte. Das Ehrversprechen wird in dieser Fallkonstellation verrechtlicht und begründet eine durchsetzbare Schuld173. Die ebenfalls gewollte Rechtsfolge der rechtlichen Ungebundenheit bleibt als missbräuchliche Gestaltung unbeachtet. Zu einer Naturalobligation kommt es nicht.

169 RG v. 12.11.1936 RGZ 153, 59, 61 (formnichtiger Pachtvertrag mit Ankaufsecht, der jahrelang als gültig behandelt worden war). 170 BGH v. 27.10.1967 BGHZ 48, 396, 399 f. („königlicher Kaufmann“). 171 Die Konstruktion einer Gegeneinrede ist unnötig, weil die Form vom Richter von Amts wegen zu prüfen ist. Vgl. ebenfalls krit., aber mit abweichendem Ergebnis Armbrüster, Treuwidrigkeit der Berufung auf Formmängel, NJW 2007, 3317, 3320 (Wahlrecht der betreffenden Partei zwischen Nichtigkeit und Wirksamkeit nach § 242 BGB). 172 Die Gegenauffassung, die den Vertrag nichtig sein lässt (Armbrüster, der Berufung auf Formmängel, NJW 2007, 3317), muss die Treuepflichten, die auf eine Vertragserfüllung gerichtet sind, aus einem rechtsunwirksamen Vertrag herleiten, was wenig überzeugend erscheint. Ein Wahlrecht legt die Entscheidung über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit überdies einseitig in die Hand der betreffenden Partei. Ein rechtsbegründendes Gestaltungsrecht (als Gegenstück zum Widerrufsrecht) erscheint unter Gerechtigkeitsgesichtpunkten zwar plausibel, eine gesetzliche Grundlage für eine solche Vertragsoption fehlt aber. Sie wird erst durch den systemfremden aktionenrechtlichen Gebrauch des § 242 BGB möglich. 173 Darin ähnelt diese Fallgruppe den Fällen der Gewinnzusagen im Sinne von § 661 a BGB, bei denen der Erfüllungsanspruch als gesetzliche Sanktion erscheint, vgl. oben C. V. 2. a) aa), S. 566. Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Cour de Cassation v. 23.1.2007, D. 2007, 442. Die Cour hielt die Vereinbarung einer bloß moralischen Pflicht für durchsetzbar (»valeur contraignante»), vgl. oben B. II. 2. a) aa), S. 212.

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(2) Ehrversprechen als Ersatz für das Klagerecht In einer zweiten Fallgruppe bildet das Ehrversprechen ebenfalls einen Ersatz für die rechtliche Schuld. Es liegen in diesen Fällen aber keine offen und gewollt unwirksamen Rechtsgeschäfte vor, sondern den Parteien geht es darum, die rechtliche Kontrolle über ihre Vereinbarungen aufzuheben. Das Reichsgericht hatte eine als Ehrenschuld bezeichnete Zahlungsschuld über 200.000,- Reichsmark für rechtswirksam gehalten174. Die Schuldner hatten erklärt: „Wir erkennen den Verlust, den Du … erleidest als eine Ehrenschuld an und verpflichten uns, … dieselbe nebst Zinsverlust abzutragen, sobald wird dazu in den Besitz genügender Mittel kommen sollten.“

Das Reichsgericht sah hierin eine rechtswirksame Besserungszusage175 des verarmten Schuldners. Die rechtliche Schuld war damit zwar nicht durch eine Ehrenschuld ersetzt worden, aber die Auslegung als Besserungszusage bedeutete den Wegfall des Einforderungsrechts auf unbestimmte Zeit176. In einer weiteren Entscheidung bestimmte das Reichsgericht durch Auslegung, dass aufgrund des bloß „ehrenwörtlichen Versprechens“ die Klagbarkeit der Schuld ausgeschlossen sein sollte177 und hielt dies für zulässig178. Auch in diesem Fall liegt zwar keine Schuldersetzung vor, aber es tritt doch eine Schwächung der rechtlichen Schuld durch den Verlust der Klagbarkeit ein. In beiden Entscheidungen wären auch Naturalobligationen denkbare Lösungen gewesen, was aber nicht erwogen wurde. Auch die Vereinbarung sog. „Gentlemen’s Agreements“ kann als Vereinbarung eines Klageausschlusses ausgelegt werden179. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hatte entsprechend die Klagbarkeit eines als Gentlemen Agreement bezeichneten Abkommens unter Hinweis auf die Gebräuche der „hiesigen Kaufmannschaft“ verneint180. Ebenso lehnte der Bundesgerichtshof die Klagbarkeit aus einer als Gentlemen’s Agreement bezeichneten Vereinbarung, mit der dem klagenden Käufer eine Meistbegünstigung bei Warenbestel-

174 RG v. 11.12.1897 RGZ 40, 195, 199; ebenso für das bewusst unwirksam vereinbarte Rechtsgeschäft, RG v. 1.5.1908 RG 68, 322, 324. 175 Zur rechtlichen Qualifikation der Besserungszusage vgl. oben C. V. 3. a) bb), S. 585 f. u. Fn. 119. 176 Die Forderung wird erst fällig, sobald die Vermögensverhältnisse des Schuldners eine Zahlung zulassen, vgl. dazu näher oben C. IV. 4. c) aa) (1), S. 476. 177 RG v. 26.5.1909 LZ 1909, Sp. 690 Nr. 10 (ehrenwörtliches Versprechen des Verkaufs von Mobiliargegenständen und der Abtretung von Forderungen). 178 Ebenda. 179 Siehe oben C. V. 3. a) bb) S. 584 ff. (zulässige Abbedingung von Erfüllungszwang). 180 OLG Hamburg v. 17.3.1953 MDR 1953, 482.

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lungen zugesagt worden war181. Eine unverbindliche Vereinbarung könne nicht nur dann in Betracht kommen, wenn die Parteien ihre Abrede nur deshalb nicht der Rechtsordnung unterwerfen wollen, weil ihrer Wirksamkeit zwingende Vorschriften entgegenstehen würden, „sondern auch in anderen Fällen, in denen es die Partner für ausreichend halten, eine allgemeine Übereinstimmung zu erzielen, deren Ausgestaltung im einzelnen dem beiderseitigen kaufmännischen Anstand überlassen wird, ohne dass die Parteien klagbare Ansprüche wollen.“

Der Kläger könne aufgrund der Vereinbarung als Gentlemen’s Agreement keine Auskunft über die Bestellungen Dritter verlangen, sondern sei auf ihr Vertrauen in die Beklagte angewiesen. Diese müsse ihrerseits, da das Abkommen in besonderem Maße auf gegenseitiges Vertrauen gegründet war, alles vermeiden, was diese Vertrauensgrundlage stören und dem Kläger berechtigten Anlass geben könnte, der loyalen Handhabung der Klausel durch die Beklagte zu misstrauen. Die Rückkehr in die Verbindlichkeit erfolgt nach § 242 BGB, wenn der Kläger darlegt182, „er habe berechtigten Grund zu der Annahme, der Beklagte habe sich von seiner freundschaftlichen Einstellung entfernt.“

Das Verhalten der Parteien steht trotz der Abrede als Gentlemen’s Agreement unter dem Gebot des § 242 BGB und sanktioniert illoyales Verhalten mit der Klagbarkeit. Eine dritte Entscheidung zu Gentlemen’s Agreements betrifft ein mündliches Versprechen, welches der Verpächter einer Tankstelle dem Pächter im Hinblick auf eine für den Geschäftsbetrieb nachteilige Autobahneröffnung gegeben hatte. Der Verpächter hatte erklärt, er werde den Pächter in diesem Falle „nicht im Regen stehen zu lassen“. Das OLG Nürnberg hat hierin unter Berufung auf die Entscheidung des BGH zur Meistbegünstigung ein Gentlemen’s Agreement gesehen183, „… also eine Übereinkunft, bei der die Partner es für ausreichend erachteten, eine allgemeine Einigung zu erzielen, deren Ausgestaltung dem geschäftlichen Anstand überlassen wird, ohne dass damit ein klagbarer Anspruch verbunden sein soll.“

Eine solche Zusage ist nach Auffassung des OLG Nürnberg nicht bedeutungslos, sondern sie sei als Beschreibung einer vereinbarten Geschäftsgrundlage anzusehen. Danach sei hier dem Verpächter das wirtschaftliche Risiko zugefallen,

181

BGH v. 22.1.1964 MDR 1964, 570 (Meistbegünstigung). Ebenda. 183 OLG Nürnberg v. 11.8.2000 NJW-RR 2001, 636 f. (Gentlemen’s Agreement als Beschreibung einer Geschäftsgrundlage). 182

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die sich aus der geschäftlichen Verschlechterung im Zusammenhang mit der Autobahneröffnung ergab. Die Annahme eines Gentlemen’s Agreement ist dannach aber ohne Aussagekraft. Sachlich ist das Ausweichen auf eine Geschäftsgrundlagenabrede ungeachtet der Bezeichnung überzeugend. Die unbestimmte Formulierung des Verpächters konnte nicht als Garantieversprechen für eine Umsatzentwicklung gewertet werden und auch keine Ausfallhaftung begründen. Der Sache nach fehlt in diesem Falle aber die Begründung einer obligatorischen Schuld. Risikozuweisung und Leistungsverpflichtung sind nicht dasselbe. Auch eine Naturalobligation kam mangels Bestimmtheit nicht in Betracht. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Ersetzung der Schuld durch ein Ehrversprechen schwächt die Gläubigerposition. Die Auslegung kann hier zum Ausschluss der Klagbarkeit führen oder weitergehend eine die Fälligkeit hinausschiebende Stundungsabrede (Besserungszusage) bedeuten. Soll die Ehrenschuld die rechtliche Schuld ersetzen, so bleibt der Vorbehalt rechtlicher Ungebundenheit grundsätzlich unbeachtlich. § 242 BGB verrechtlicht also die Ehrenschuld. Die Gestaltung einer Ehrenschuld führt hin zu dem sog. Gentlemen’s Agreement, mit welchem jeglicher Rechtszwang ausgeschlossen werden soll184. Abschließend ist daher der Frage nachzugehen, ob und wie eine solche Gestaltung für zulässig angesehen werden kann.

b) Das Gentlemen’s Agreement aa) Bezeichnung und Begriffsbild Die positive Bedeutung im Begriffsbild des gentleman zeigt die Definition185: „Gentleman. Refers to man of birth, but not noble; a man raised above the vulgar by his charakter or his past“

„Gentleman“ ist damit eine persönliche Eigenschaft, die auf einer gesellschaftlichen Zuschreibung beruht. Die Eigenschaft ist nicht klar bestimmbar oder feststellbar186. Jedenfalls kann sie nicht durch eine Selbstzuschreibung erworben werden, sondern stellt, wie der Ehrbegriff, auf die verdiente Selbstgeltung des Betroffenen ab.

184 Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 90 (Gentlemen’s Agreement als Ersetzung rechtlicher Bindung durch Ehrenwort). 185 Black’s Law Dictionary, Campbell Black (Hg.), St. Paul, Minnesota, USA 1951, S. 815. 186 In Entscheidungen aus dem 19. Jahrhundert wird betont, dass „the term of „gentleman“ ist vague and gives no information“. Vgl. Saunders, Words and Phrases legally defined, 3. Aufl. 1989, Vol. 2, Stichwort Gentleman, S. 316.

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(1) Geistesgeschichtliche Grundlage Die Rede vom „gentleman“ geht auf die angelsächsische Rezeption stoischer Verhaltensideale zurück187. Der Begriff ist Synonym für innere und äußere Selbstbeherrschung und eine selbstbestimmte Lebensführung188. Im Begriff des gentleman verkörpert sich zugleich ein subjektiv bestimmtes Gerechtigkeitspostulat. Es ist die in der Antike herrschende und auf Platon zurückgehende Vorstellung, dass Gerechtigkeit eine vorzügliche Charaktereigenschaft des Menschen sei (Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Treue)189. Auch Justinian ging noch von einer subjektiv bestimmten Gerechtigkeit aus, Ulpian D. 1, 1, 10 pr.:190„Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi.“, woran sie die praecepta iuris „honeste vivere, alterum non laedere und suum cuique tribuere“ anschließen. Diese Vorstellung tritt gegen den heutigen, weitgehend am Legalismus ausgerichteten objektiven Gerechtigkeitsbegriff an191. Innere Einstellung und gesellschaftliche Anerkennung erschließen auch den rechtstechnisch verwendeten Begriff des „Gentlemen’s Agreement“.192 „Gentlemen’s agreement: An unwritten agreement that, while not legally enforceable, is secured by the good faith and honor of the parties.

Abweichend von der Definition kommt es bei einem Gentlemen’s Agreement auf die Formlosigkeit aber nicht an. Richtig ist nur, dass ein solches Agreement keiner Form bedarf, nicht selten aber schriftlich niedergelegt wird193. 187 Die stoische Ethik ist noch heute, namentlich in der angelsächsischen Welt, lebendig. Ihr entspricht das Erziehungsideal des „Gentleman“ vgl. Schmidt/Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl. 1982, S. 670 f. 188 In den Quaestiones naturales des Seneca wird die Synthese von Natur und Ethik gezogen. Das secundum naturam vivere besteht in der Selbstbeherrschung, Unterdrückung der Begierden, Unempfindlichkeit gegen Schicksalsschläge und die Todesbereitschaft. Hierdurch gewinnt der Mensch Freiheit nach dem Gesetz der Natur. Vgl. Kullmann, Antike Vorstufen des modernen Begriffs des Naturgesetzes, in: Behrends/Sellert (Hg.), Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, 1995, S. 36, 75. 189 Zur Gerechtigkeit als einem Charakterzustand bei Platon, vgl. R. Kraut, The defense of justice in Plato’s Republic, in: ders. (Hg.), The Cambridge Companion to Plato, Cambridge 1992, 311, 322 ff. Die Akzentuierung personaler Gerechtigkeit bestimmt auch die Position der Stoa; die Stoiker (Chrysipp und Zenon) behandelten Gerechtigkeit als personale Tugend des Weisen. Bei Cicero wird die stoische Position als soziale Tugend rezipiert. Vgl. Horn/Scarano, Philosophie der Gerechtigkeit, 2002, S. 33 f. 190 „Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren.“ Übersetzung nach Behrends, Knütel, Kupisch, Seiler, Corpus Iuris Civilis, Institutionen, 2. Aufl. 1997. 191 Horn/Scarano, Philosophie der Gerechtigkeit, 2002, 235 ff., 248. 192 Black’s Law Dictionary, Garner (Hg.), St. Paul, Minnesota, USA 1999, S. 695; ähnlich auch Oxford English Dictionary, 1989, Stichwort: Gentlemen’s Agreement: „An agreement which is not enforceable at law and is binding as a matter of honour“. Keine Nachweise dagegen bei Saunders, Words and Phrases legally defined, 3. Aufl. 1989, Vol. 2. 193 Ominsky, Counseling the Client on „Gentleman’s Agreements“. Practical Lawyer 36 (1990) Nr. 8, S. 25, 27. Ebenso http://de.wikipedia.org/wiki/Gentlemen-Agreement. Aus der

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(2) Agreement statt contract Bedeutsam für das Verständnis eines Gentlemen’s Agreements ist die historisch entstandene Unterscheidung von agreement und contract in der angelsächsischen Dogmatik. In romanistischer Tradition meint contractum die gekreuzten stipulationes, mithin die gegenseitig bestehenden klagbaren Leistungsversprechen194 samt der daraus folgenden obligationes. Ein Vertrag ohne eine obligatio ist als Kontrakt nicht möglich. Die obligatio konstituiert den Vertrag 195. Kennzeichen des pactum hingegen ist es, die fehlende Klagbarkeit zu bezeichnen196. Mit der Aufgabe des Kontraktsystems und der grundsätzlichen Klagbarkeit aller auch formloser pacta im usus modernus pandectarum197 ist der Unterschied schriftlichen Niederlegung ergibt sich nicht automatisch ein Klagerecht. Historisch war das pactum nudum allerdings aus diesem Grunde unklagbar. Zur Vermeidung einer Fehlinterpretation eines Gentlemen’s Agreements zu Gunsten eines durchsetzbaren Vertrages empfiehlt sich die schriftliche Fixierung gar, vgl. Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 238. 194 Contractum ist als zweiseitiges Rechtshandeln synonym zu einem Vertragsbegriff, der Verbindlichkeiten hervorbringt und aus dem geklagt werden kann, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 38 Rn. 1; Meyer-Pritzl, Pactum, conventio, contractus. Zum Vertrags- und Konsensverständnis im klassischen römischen Recht, in: Dufour/ Rens/Meyer-Pritzl/Weniger (Hg.): Pacte, convention, contrat. Mélanges en l’honneur du Professeur Bruno Schmidlin, 1998, S. 99, 107. Zur Bedeutung des Contractum für die Bindung aus einem Vertrag, vgl. oben C. III. 1. b) aa) (1) u. (2), S. 264 ff. 195 Der Kontrakt denkt den Vertrag von der obligatio aus. Eine Erklärung liefert Behrends, Das Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, seine Kodifikationsgeschichte, sein Verhältnis zu den Grundrechten und seine Grundlagen im klassisch-republikanischen Verfassungsdenken, in: Behrends/Sellert (Hg.), Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 9, 69 u. Fn. 132: Contractum ist gegenüber dem ‚pactum conventum‘ der ältere Begriff. Für das ursprüngliche klassische Vertragsrecht war kennzeichnend, dass die Obligationen des Austauschvertrages oder die einzelne Obligation des Leistungsversprechens das Vertragsverhältnis unmittelbar darstellten. Die Verbindlichkeiten verleihen der (tatsächlichen) Verständigung die Rechtsform. Die Obligationen qualifizieren sodann die Vereinbarung als Vertrag. Bei Labeo bezeichnet actum (Rechtshandlung) die einseitige Verbindlichkeit (obligatio); contr-actum dagegen die zweiseitige Verbindlichkeit, vgl. Ulpian D. 50,16,19. Ähnlich auch Ulpian D. 2, 14, 1, 3: Contractum ist das zweiseitige Schuldverhältnis gegenüber der obligatio als dem einseitigen Schuldverhältnis. 196 Pactum ist der nicht klagbare Schuldvertrag, bzw. untechnisch die nicht oder nicht selbständig klagbare Vereinbarung vgl. Meyer-Pritzl, Pactum, conventio, contractus. Zum Vertrags- und Konsensverständnis im klassischen römischen Recht, in: Dufour/Rens/ Meyer-Pritzl/Weniger (Hg.), Mélanges Schmidlin, 1998, S. 99, 115. Im altrömischen Recht bezeichnete pactum die formfreie Vereinbarung einer Haftungslösung. Daneben heißt pactum im klassischen Recht die prätorisch, kraft exceptio pacti wirkende Erlass- oder Stundungsabrede. Ferner werden auch (klagbare) Nebenabreden als pacta adiecta erfasst, Kaser/ Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 38 Rn. 13. Da der Tausch im klassischen Recht nicht als eigener Kontrakt angesehen wurde, entstand möglicherweise der Parallelbegriff des pactum conventum, vgl. Mayer-Maly, Pactum, Tausch und laesio enormis in den sog. leges Barbarorum, SZ 108 (1991) S. 213, 222. 197 Der Prozess ist im 17. Jhrt abgeschlossen, Wesener, Zur Verflechtung von Usus moder-

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zwischen contractum und pactum zwar entfallen. Das pactum bildete daneben aber immer auch den Grundbegriff für eine friedenstiftende, unspezifische Absprache oder Vereinbarung, der ein Konsens zugrunde lag198. In diesem weiteren und allgemeineren Verständnis hat das römische pactum sich im angelsächsischen agreement offenbar erhalten199. Contract ist der Tausch gegenseitiger Versprechen, der formgebunden (under seal) oder auf Grundlage einer consideration erfolgt200. Agreement ist dagegen der weitere, bloße Abreden und Vereinbarungen umfassende Begriff201, wie er auch das Gentlemen’s Agreement kennzeichnet202. In der deutschen Dogmatik hat sich diese Dichotomie nicht etabliert. Als Pendant zum Agreement kommen hier nur Absprachen, Abreden oder Vereinbarungen 203 in einem untechnischen Sinne in Betracht204. Eine rechtsdogmatisch anerkannte Kategorie bildet der Vertrag ohne primäre Leistungspflicht205. Das Gentlemen’s Agreement zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass nus pandectarum und Naturrechtslehre, in: Koziol (Hg.), FS für Franz Bydlinski, 2002, S. 473, 485. 198 Behrends, Die Unklarheitenregel des römischen Rechts. Rechtsphilosophischer Ursprung und juristische Ausarbeitung eines erfolgreichen Auslegungsprinzips. In: Baumann u.a. (Hg.), FS für Gerhard Otte zum 70. Geburtstag, 2005, S. 457, 463. 199 Beale, Chitty on Contracts, Vol. I – General Principles, 29. Aufl. 2004, 87 ff.; Giesen, Zur Konstruktion englischer Vertragsvereinbarungen, JZ 1993, 16, 18; bereits Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 490. 200 Siehe oben C. III. 1. b) bb) (1), S. 311. Der Begriff ‚treaty‘ bezeichnet dagegen ein umfangreicheres Vertragswerk, einen völkerrechtlichen Vertrag oder auch ein Übereinkommen. 201 Agreement wird als der allgemeinere Begriff und damit als Oberbegriff für jegliche zweiseitige Vereinbarung verstanden, Beatson, Anson’s Law of Contract, 27. Aufl., Oxford 1998, S. 27: „The outward expression of a common intention and of expectation normally takes the form of an agreement“. Beale, Chitty on Contracts, Vol. I – General Principles, 29. Aufl. 2004, 182 f.; Saunders, Words and Phrases legally defined, 3. Aufl. 1988, Vol. 1, Stichwort Contract, S. 337; Treitel, The Law of Contract, 9. Aufl. 1995, S. 160: „No one disputes that an agreement is not a contract if the parties expressly provide that is it not legally binding“. 202 Vgl. M. Karassis, Simfonia Kirion (Gentlemen’s agreement) according to Greek Law, RHDI 51 (1998) 49, 50 f. 203 Der Begriff Vereinbarung wird etwa in § 1 ProstG als Grundlage für das klagbare Entgeltversprechen des Freiers verwendet. Vgl. AnwK-BGB/Looschelders, 2005, Anhang zu § 138 Rn.14 ff.; ferner die Rahmenvereinbarung über die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Voraus, § 305 Abs. 3 BGB, vgl. PWW/KP Berger, 2006, § 305 Rn. 47. 204 Das zeigt die in der deutschen Vertragsrechtsdogmatik zwar immer wieder erwogene Anerkennung einer einfachen Vereinbarung neben dem Vertrag als rechtsgeschäftliche Handlungsform. Eine bloße Vereinbarung hat sich so aber nicht durchgesetzt. Unter den Begriffen pactum (Mayer-Maly), Vertrag ohne primäre Leistungspflicht (Wolf ) und der (erlaubten) kartellrechtlichen Absprache im Zusammenhang mit der Ausweitung des kartellrechtlichen Vertragsbegriffs, ist diese Diskussion geführt worden, vgl. Willoweit, Abgrenzung und Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969. Die notwendige Verknüpfung der Willenserklärung mit dem Rechtsfolge- bzw. Rechtsbindungswillen erschwert die Annahme von Vereinbarungen ohne Leistungspflichten. Als zweiseitiges Rechtsgeschäft kennt die Dogmatik nur den Vertrag, vgl. Medicus, BGB AT, 7. Aufl. 1997, § 19 Rn. 203. 205 Siehe dazu oben C. III. 2 a) cc) S. 382.

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Leistungspflichten vereinbart werden können, die auch als rechtlich nicht einklagbare Pflichten verstanden werden. Diese Gestaltung ist dogmatisch bislang nicht erfasst. (3) Souveränität der Parteien Für ein „Gentlemen’s Agreement“ ist ferner kennzeichnend, dass die Vertragspartner für sich und ihre Rechtsbeziehung Souveränität in Anspruch nehmen. Die Bindung wird nicht aus dem Recht abgeleitet, sondern im eigentlichen Wortsinne aus der Selbstherrlichkeit der Partner. Ihr Ziel ist es, sich weitest gehend von (staatlichen) Kontrollformen freizustellen 206. Es handelt sich danach um vertragssubstituierende, bindende Vereinbarungen, die sich allein auf das Wort des Partners, d.h. sein Versprechen verlassen 207. „Nur Ehre und Moral verpflichteten die Parteien, ihre Versprechen zu halten“208. In einer deutschen Übersetzung lässt sich von einem Vertrauenspakt 209 sprechen, dessen Einhaltung von rechtlich nicht stabilisierten Verhaltenserwartungen und damit vom Glauben an Tugenden oder Eigenschaften des Partners, seine Redlichkeit, Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Beständigkeit abhängt. bb) Anwendungsgebiete und Erscheinungsformen Die Anwendungsgebiete und Erscheinungsformen des Gentlemen’s Agreement sind sehr inhomogen. Bahntje hat eine eingehende Studie zu den Formen und Inhalten sog. GA’s im Zivil-, Kartell- und Völkerrecht vorgelegt210. Der Anwendungsbereich ist danach denkbar weit. Es kommen prinzipiell alle Sachbereiche des Zivilrechts in Betracht. Besondere Verbreitung gefunden haben Gentlemen’s Agreements aber im Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht. Daneben sind sie im Völkerrecht als eine spezifisch rechtliche Handlungsform anerkannt 211. 206 Zzur Möglichkeit, den über dem Gesetz stehenden Princeps durch Vertrag doch zu binden, Mohnhaupt, Vertragskonstruktion und fingierter Vertrag zur Sicherung von Normativität: Gesetz, Privileg, Verfassung, in: Kervégan/Mohnhaupt (Hg.), Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung in Rechtsgeschichte und Philosophie, 1999, S. 1, 12. 207 Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 25; zust. insoweit Emmerich Rez. AcP 183 (1983) 807. 208 Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 489. 209 So mein Vorschlag AnwK-BGB/Schulze, 2005, Vor §§ 145 ff. Rn. 23 u. 26. Die rechtliche Qualifikation und Zulässigkeit kann sich am Verständnis eines Vertrauenspakts als Oberbegriff etwas klarer orientieren, wobei selbstverständlich auch hiergegen eingewandt werden kann, dass jeder Vertrag einen Vertrauenspakt darstellt, nun aber auch ein Gentlemen’s Agreement mitumfasst. 210 Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 16 ff. 211 Liczbanski, Die nicht rechtlich bindende Vereinbarung in den internationalen Beziehungen – eine theoretische und praktische Abgrenzung, 2004, S. 33 ff.; Fiedler, Gentlemen’s

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(1) Gentlemen’s Agreements im Völkerrecht Die völkerrechtlichen Gentlemen’s Agreements besitzen eine auf den bilateralen zwischenstaatlichen Verkehr ausgerichtete Bedeutung. Ihre Rechtsnatur wird ganz ähnlich den zivilrechtlichen Gentlemen’s Agreements als „außerrechtlich“ und deshalb rechtlich nicht bindend angesehen. Gleichwohl sollen sie auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückzuführen sein212. Die Nichtbeachtung solcher völkerrechtlichen Absprachen berechtigt nicht zu Repressalien, sondern nur zur Retorsion, d.h. zu unfreundlichem Verhalten 213. Auch hier ist also das Zwangsinstrumentarium aufgehoben und zu Gunsten schwächerer kommunikationsbezogener Sanktionsmittel verändert. (2) Gentlemen’s Agreements im Wettbewerbsrecht Diese Gruppe von Gentlemen’s Agreements betrifft Kartellabsprachen, die auf gleichlaufendes Verhalten zur Reduktion von Wettbewerb abzielen. Ihr Gegenstand sind etwa Preisabsprachen unter Wettbewerbern. Die Gentlemen’s Agreements beinhalten dabei im Regelfall keine echten Leistungsversprechen, etwa ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, sondern stimmen wettbewerbliches Verhalten (nur) ab214. (3) Gentlemen’s Agreements im Zivilrecht Die hier interessierenden zivilrechtlichen Gentlemen’s Agreements lassen sich mit Bahntje215 in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe betrifft Vereinbarungen mit umstrittener Legalität 216. Die zweite Gruppe erfasst erlaubte, aber bindungsfeindliche Geschäfte. Das sind solche, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen speziell eine Leistungsbindung nicht zulassen 217. Die dritte Gruppe bezieht sich auf Vereinbarungen, die von der guten Treue (bona fides) Agreement, Encyclopedia of Public International Law, Bd. 2, 1995, S. 547; Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 280. 212 Treu und Glauben statt der Annahme einer moralischen Verpflichtung. Vgl. Liczbanski, Die nicht rechtlich bindende Vereinbarung in den internationalen Beziehungen – eine theoretische und praktische Abgrenzung, 2004, S. 44 f., der auch eine Gleichstellung moralischer Verpflichtungen mit einer völkergewohnheitsrechtlichen Regelung ablehnt (ebd. S. 125). 213 Fiedler, Gentlemen’s Agreement, Encyclopedia of Public International Law, Bd. 2, 1995, S. 547; Döhring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 280. 214 Bspw. KG v. 29.4.1975 WuW/E, S. 1627, 1630 – Mülltonnen ; Bunte, Kartellrecht, 2003, S. 58 f.; Emmerich, GWB Kommentar, 2001, § 1 Rn. 124. 215 Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, 20 f. 216 Absprachen, die ggf. gegen §§ 134, 138 Abs. 1 BGB verstoßen. 217 Verbotene und bindungsfeindliche Geschäfte sind hier vom Anwendungsbereich der Naturalobligation ausgegrenzt worden, oben C. V. 2. d) bb), S. 580.

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getragen, einen theoretisch möglichen rechtsgeschäftlichen Vertrag aus unterschiedlichen gesellschafltlich-soziologischen Gründen bewusst und gewollt ersetzen sollen. Diese dritte Gruppe der vertragsersetzenden Gentlemen’s Agreements sind im Hinblick auf eine Anwendung der Naturalobligation von Bedeutung. Sie zeichnen sich durch die Legalität ihres Vereinbarungsinhalts aus. Rechtswidrige Vereinbarungen bis hin zu Verbrechensabsprachen bleiben mithin ausgeschlossen. Ferner setzen sie die prinzipielle Möglichkeit einer Rechtsbindung voraus, so dass objektiv bindungsfeindliche Geschäfte entfallen. Dabei ist eine zusätzliche Einschränkung erforderlich. So kommen für die Anwendung von Naturalobligationen zur dogmatischen Erfassung bestimmter Gentlemen’s Agreements nur solche Fallgestaltungen in Betracht, in denen eine oder beide Parteien Leistungsversprechen abgeben. Damit scheiden bloße Absichtserklärungen, Comfort Letters, weiche Patronatserklärungen, unbestimmte Ankündigungen über ein eigenes künftiges Verhalten oder wechselseitige Empfehlungen, über deren Befolgung sich die Beteiligten einig sind 218, aus. Sie gehören zwar ebenfalls in den Sachbereich, der durch Gentlemen’s Agreements erfasst werden kann. Sie besitzen aber keinen obligatorischen Inhalt, weshalb sie hier außer Betracht bleiben. Schließlich müssen ebenso die im Kartellrecht als Gentlemen’s Agreements bezeichneten Absprachen über ein gleichlaufendes abgestimmtes Verhalten (§ 1 GWB) und die daran anknüpfende Diskussion über einen erweiterten kartellrechtlichen Vertragsbegriff219 nicht weiter verfolgt werden. Daraus ergibt sich lediglich, dass die technische Bezeichnung Gentlemen’s agreement für sich genommen wenig aussagekräftig ist, weil die rechtlich qualifizierte Handlungsform (obligatorisches Leistungsversprechen, Absichtserklärung, abgestimmte Verhaltensabsprachen) durch den Begriff nicht präjudiziert wird, also offen bleibt. Gentlemen’s Agreements bedürfen stets einer auf den jeweiligen Vereinbarungsgehalt ausgerichteten Aus-

218 Meyer-Cording, Wettbewerbsbeschränkungen durch Empfehlungen, NJW 1953, 565, 566 (Unverbindliche Empfehlungen am runden Tisch). 219 Diese im Anschluss an den Teerfarbenbeschluss des BGH v. 17.12.1970, NJW 1971, 521, 524 (Vertrag verneint) geführte Diskussion ist durch Änderung des § 1 GWB und die Integration des abgestimmten Verhaltens in den erweiterten kartellrechtlichen Vertragsbegriff im Wesentlichen erledigt: Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 1998, § 1 GWB Rn. 31 (erweiterter kartellrechtlicher Vertragsbegriff, der das Gemtlemen’s Agreement mit umfasst); Emmerich, GWB Kommentar, 2001, § 1 Rn. 125. Zu den verschiedenen Theorieansätzen Immenga, Zivilrechtsdogmatik und Kartellrecht, in: ders. (Hg.), Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte, 1980, S. 197, 199 ff. Eine Erweiterung des Vertragsbegriffs ist nicht erforderlich, sofern man dem Parteiwillen objektive Grenzen zieht und ein Heraustreten der Parteien aus dem rechtsgeschäftlichen Bereich ausschließt, Willoweit, Rechtsgeschäft und einverständliches Verhalten. Rechtsdogmatische Randbemerkungen zum „Teerfarben“-Beschluß des BGH v. 17.12.1970, NJW 1971, 2045, 2050.

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legung im Einzelfall 220. Wohin aber kann eine solche Auslegung führen? Die Internationale Akademie für Rechtsvergleichung hat sich mit dieser und weiteren Fragen über die rechtliche Bedeutung des Gentlemen’s Agreement befasst. Die Ergebnisse werden nachfolgend skizziert. cc) Die Internationalität der Fragestellung Der XV. Kongresses der Internationalen Akademie für Rechtsvergleichung in Bristol im Jahre 1998 stand unter dem Generalthema Gentlemen’s Agreement. Behandelt wurden Rechtsfragen, die entstehen, wenn redliche und kompetente Parteien bewusst den Ausschluss des Rechts aus ihrer Beziehung vereinbaren. Die Ergebnisse zeigen eine weltweite Akzeptanz und Verbreitung dieser Geschäftsform 221. Zugleich erweist sie sich als Geschäftsform, die naturgemäß kaum Rechtsprechung hervorbringt und auch in der Lehre nur wenig Beachtung findet. Deutlich wurden zugleich die bestehenden dogmatischen Unsicherheiten. Das Gentlemen’s Agreement wurde unter rechtstheoretischen und rechtspraktischen Fragen analysiert. (1) „Can we outlaw ourselves entirely?“ Der Generalberichterstatter Bernard Rudden222 hatte auf seine rechtstheoretische wie rechtsdogmatische Grundfrage „Can we outlaw ourselves entirely?“ in 15 Länderberichten ein einhelliges und klares Nein erhalten. Das kaum überraschende Ergebnis beruht auf dem allseits geteilten Axiom von der Herrschaft des Rechts über die Frage, ob eine rechtliche Regelung vorliegt oder nicht. Das Rechtsregime (legal order, ordre juridique) kann nicht durch den Parteiwillen überwunden werden 223. Eine Akzentverschiebung ergibt sich für Belgien, Eng220 Das wird allenthalben zu Recht betont, BGH v. 22.1.1964 MDR 1964, 570; Staudinger/J. Schmidt, 13. Bearb. 1995, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 239. 221 Das wird in den Länderberichten hervorgehoben, etwa Sica, The gentleman’s agreement in legal theory and in modern practice. In: Italian National Reports to the XVth International Congress of Comparative Law Bristol 1998. Mailand 1998, S. 147. 222 Rudden, The Gentleman’s Agreement in legal theory and in modern practice, European Review of Private Law, 1999, S. 199–220; nur wenige der Länderberichte sind veröffentlicht worden (Italien, Griechenland, Belgien, USA). Die nicht veröffentlichten werden hier nach dem Generalbericht zitiert. 223 Rudden, (vorherige Fn.), S. 205 f. ausdrücklich genannt werden für eine streng objektive Sicht die Länderberichte Japans, Englands, Spaniens, Italiens und Québecs (über das französische Recht). Für Italien Sica, The gentleman’s agreement in legal theory and in modern practice. In: Italian National Reports to the XVth International Congress of Comparative Law Bristol 1998. Mailand 1998, S. 147, 151. Einen objektivrechtlichen Ansatz verfolgt das französische Recht, Oppetit, L’engagement d’honneur, D.S. 1979 (107) 114 n. 18; Carbonnier, Flexible Droit. Pour une sociologie du droit sans rigueur, 10 ed. 2001, p. 126. Ebenso unter Hinweis auf die im griechischen Recht anerkannten „imperfect obligations“, Karassis,

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land und die USA. Hier erhalten die Parteien zwar grundsätzlich die Kompetenz, sich jeglicher Einmischung durch das Recht zu entziehen 224. Die entsprechende Abwahl staatlicher Kontrolle steht aber unter der Bedingung, dass sie nicht gegen den ordre public, die guten Sitten und die Regeln zum Schutz der schwächeren Partei verstößt 225. Damit ist ein Rechtsregime für den Schritt in rechtsfreie Räume maßgebend. Im Ergebnis soll es den Parteien auf diese Weise nur freistehen, die Durchsetzbarkeit ihrer Vereinbarung zu modulieren 226. Nahe an den Kontrollverlust des Rechts führt allein die deutsche Auffassung von Meinrad Dreher, der in seinem Länderbericht 227 dem Gentlemen’s Agreements die Eigenschaft eines Rechtsgeschäfts abspricht. Grund sei der fehlende, aber notwendige Wille der Parteien, eine Rechtsfolge hervorzubringen 228. Dem Gentlemen’s Agreements fehle per definitionem ein Rechtsfolgewille. Ferner verwies Dreher auf die Rechtsfolge des § 116 S. 2 BGB, der im Falle eines vom Empfänger durchschauten Vorbehalts des Erklärenden die Nichtigkeit des Simfonia Kirion (Gentlemen’s agreement) according to Greek Law, RHDI 51 (1998) 49, 54: „The absence of the element of compulsion does not affect the nature of the obligation as legal relation.“ 224 Unter Ablehnung eines staatlichen Paternalismus und mit Hinweis auf die Willensautonomie für Belgien Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 235 (compétence de renoncer à toute interférence par l’ordre juridique). Ebenso für die USA Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 88. Für England ist die klassische Auffassung, wonach die Privatautonomie nicht nur das Recht gebe, sich rechtlich zu binden, sondern notwendigerweise auch das Recht, sich rechtlich nicht zu binden, nicht mehr in einer radikalen Weise dahin zu verstehen, dass eine vollständige Abwahl aller staatlichen Regeln die Folge ist, zitiert bei Rudden, (oben Fn. 222), S. 205 f. Ausgangspunkt ist der klassische englische Fall Rose and Frank Co. v. J.R. Crompton and Bros., Ltd. [1923] 2 K.B. 261, 288, 293: „This arrangement is not entered into, nor is this memorandum written, as a formal or legal agreement …“. Vereinbarungen der Parteien, sich rechtlich nicht oder nur ehrenhalber zu binden werden danach als zulässig und wirksam betrachtet, sowie unter dem Begriff Gentlemen’s Agreement zusammengefasst, vgl. Christian Ulrich Wolf, Die Patronatserklärung, 2005, S. 122. 225 Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 236. Das GA stelle aber mangels Rechtsbindungswillens (animus contrahendae obligationis) keinen Vertrag, sondern eine Rechtstatsache (un fait avec lequel le juge doit tenir compte) dar (ebd. S. 237 f.). 226 Le principe de l’autonomie de la volonté permet aux parties de moduler la force contraignante de leur accord, Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 237; Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 88 (…the contract will not be legally enforceable). 227 Der Bericht ist nicht veröffentlicht. Die Angaben folgen aus dem Generalbericht von Rudden, The Gentleman’s Agreement in legal theory and in modern practice, European Review of Private Law, 1999, S. 199–220. 228 Einen «animo contrahendae obligationis» fordert auch die französische Cour de Cassation, vgl. Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 235 mit Verweis auf Cass. 2.12.1875 Pas., 1876, I, 37.

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Rechtsgeschäfts zur Folge habe229. Das deutsche Recht stünde – so Rudden – in dieser Bewertung allein. Er weist dabei auch auf den Umstand hin, dass Vertragsänderungen und Vertragsaufhebungen ohne Zweifel Rechtsgeschäfte seien und so könne es keinen Unterschied bedeuten, ob ein Vertrag von Beginn an oder erst im Nachhinein für rechtlich nicht bindend erklärt werde 230. Der Rechtsaktcharakter des Gentlemen’s Agreements sei folglich zu bejahen. An diese Feststellung schließt sich die Frage nach der dogmatischen Gestalt des Gentlemen’s Agreements an, das keine durchsetzbaren Leistungspflichten begründet. Mehrere Länderberichte halten dafür, dass es Naturalobligationen hervorbringt 231. Das entspricht auch der hier vertretenen These. (2) „Express honour-only clause“ Die Zulässigkeit von Ehrenerklärungen, die an die Stelle durchsetzbarer Leistungspflichten treten (sog. „express honour-only clause“) wird von den befragten Länderrechten grundsätzlich anerkannt232. Die Abgrenzung zu bloßen Gefälligkeiten erfolgt abhängig von einer eher subjektiven oder objektiven Sicht 233. Jedenfalls könnten rationale und anerkennenswerte Gründe dafür sprechen, eine auf Ehre aufbauende Beziehung (honour-only relationship) zu wählen. So könne es genügen, wenn bestimmte Faktoren vorlägen, um ein Geschäft auf der 229

Zitiert nach Rudden, (vorherige Fn.), S. 202 und S. 204. Rudden, (oben Fn. 227), S. 202. 231 Rudden, (oben Fn. 227), S. 204, für Belgien unter Verweis auf Art. 1235 Cc Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 229 und mit Hinweis auf eine Entscheidung des Juge de Paix de Bruges, 17.10.1975, RW 1978–79, p. 1861 (bez. Ausschlusses der Rückforderung von Verlobungsgeschenken); genannt wird ferner ausdrücklich der spanische Bericht von Egusquiza Balmaseda u. Arcos Vieira. Ähnlich spricht Karassis, Simfonia Kirion (Gentlemen’s agreement) according to Greek Law, RHDI 51 (1998) 49, 51 von einem „natural agreement“ das von natürlicher Überzeugung getragen werde. Es soll sich allerdings um ein soziales Gebilde handeln und dadurch von der ebenfalls nicht durchsetzbaren „imperfect obligation“ zu unterscheiden sein. Die „imperfect obligation“ bildete etwa mit der verjährten Forderung (Art.272 Abs. 2 griech. ZGB) sowie Spiel und Wette (Art. 844 f. griech. ZGB) ein Rechtskonzept, weil sie dem Gläubiger eine „juridical obligation“ geben. Das Gentlemen’s Agreement beruhe dagegen auf dem privaten Willen (ebd. S. 52 ff. u. Fn. 7). Für das niederländische Recht Wessels, Gentlemen’s Agreement Regulating Business Relations under Dutch Civil Law, N.I.L.R. 1984, 214, 227 f. Zur Abgrenzung der Naturalobligation gegenüber den „leges imperfectae“ des römischen Rechts, die einen anderen historischen Ursprung haben und nur, wie es § 134 BGB voraussetzt, ohne Anordnung einer zivilrechtlichen Rechtsfolge geblieben sind. Siehe oben C. II. 2. a) bb), S. 269. 232 Rudden, (oben Fn. 227), S. 205; für Belgien Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 235. 233 Überwiegend werden hierzu, wie im deutschen Recht, sowohl subjektive (Parteiwille) als auch objektive Elemente (rechtliche Relevanz) herangezogen, etwa für Belgien Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 228. 230

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Grundlage eines Gentlemen’s Agreement abzuwickeln. Genannt werden das Gewissen, andere Beziehungen unter den Parteien (ethnische, religiöse, sprachliche oder verwandtschaftliche), eine gemeinsame Kultur des Vertrauens (culture of trust), eine Bedeutung für das Ansehen, die hohe Wahrscheinlichkeit der gesellschaftlichen Sanktionierung oder Nachteile im Hinblick auf künftige Geschäfte zwischen den Parteien234. Für eine Abwahl des Rechts sprächen die unfreundliche Sprache (ugly language), die hohen Kosten eines Rechtsstreits, die Unvorhersehbarkeit künftiger Situationen oder die ungenügende Berücksichtigung der Besonderheiten einer Transaktion oder eines Marktes235. Die Entscheidung sei vernünftig, wo das Risiko der Nichtleistung wegen der fehlenden Zwangsbedrohung im Verhältnis zu den Kosten eines ausgearbeiteten Vertrages (im amerikanischen Stil) gering ist236. Einigkeit bestand aber auch in der Folgefrage betreffend den gerichtlichen Rechtsschutz. Wird ein Gentlemen’s Agreement als honour-only relationship ausgelegt und zugelassen 237, so bedürfe es eines besonderen Rechtsschutzes. Sichergestellt werden müsse, dass ungerechtfertigte Leistungen zurückverlangt werden könnten. Ebenso sei Ersatz für enttäuschtes Vertrauen zu leisten. Es gelte wie in den Common lawRechten die Theorie des estoppel 238. Dabei handele es sich um den nicht abdingbaren außervertraglichen Schutz (extra-contractual legal remedies)239, der hier

234 Bezogen auf das niederländische Recht Charny, Nonlegal Sanctions in Commercial Relationships, HLR 104 (1990) 373 ff. 235 Rudden, (oben Fn. 227), S. 209. 236 Amerikanischer Stil meint hier die in der Vertragspraxis der USA umfassende vertragliche Regelung, der eine praktisch gesetzesersetzende Bedeutung zukommt (self regulatory contract). H.Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 109. 237 Auch die belgische Rechtsprechung ist zurückhaltend mit der Anerkennung von Vereinbarungen als Gentlemen’s Agreement. Cass. 11.1.1978, Pas. 1978, I, 530 hatte eine Zusatzvereinbarung über eine Mindestlaufzeit eines Arbeitsvertrages von mindestens 5 Jahren, die als Gentlemen’s Agreement bezeichnet worden war, für eine rechtswirksame Vertragsergänzung eingestuft. Zustimmend Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 239 f., der auch die bewusst unwirksame Vertragsabrede für eine zulässige Form eines GA hält. 238 Rudden, (oben Fn. 227), S. 209. H. Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 92; promissory-estoppel im englischen Common Law entspricht im Grundsatz der aus § 242 BGB entwickelten Theorie widersprüchlichen Verhaltens, vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB, 2005, § 242 Rn. 1118; dagegen ist in den USA die „duty to good faith“ anerkannt, (ebd. Rn. 1121). 239 Rudden, (oben Fn. 227), S. 219; M. Karassis, Simfonia Kirion (Gentlemen’s agreement) according to Greek Law, RHDI 51 (1998) 49, 55 (principle of good faith); Sica, The gentleman’s agreement in legal theory and in modern practice. In: Italian National Reports to the XVth International Congress of Comparative Law Bristol 1998. Mailand 1998, S. 147, 177; H.Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 109. Gegen eine Schadensersatzpflicht nach Ver-

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allerdings gegenüber dem herkömmlichen Integritätsschutz abweichend an das Versprechen anknüpfe, welches einseitig nicht eingehalten wurde240. Beispiele für die praktische Anwendung von Gentlemen’s Agreements im modernen Recht werden unter anderem 241 im internationalen Sport, etwa die Unterwerfung unter die Regeln von Sportverbänden gesehen. Die US amerikanischen Berichterstatter Herbert Bernstein und Joachim Zekoll nennen als Paradebeispiel die internationale Diamantenindustrie. Dort seien eigene Regeln und Institutionen geschaffen worden und die Streitigkeiten würden intern beigelegt 242. (3) Internationale Diamantenindustrie Die internationale Diamantenindustrie zeichnet sich nach der Analyse von Lisa Bernstein durch eine Reihe spezifischer Merkmale aus, die ein Handeln auf der Grundlage nicht durchsetzbarer Verträge möglich machen. Die entscheidenden Faktoren im Markt für rohe und geschliffene Diamanten sind „trust and reputation“. Vertrauen und Ansehen haben einen messbaren Marktwert und werden über eine eigene Börse und Broker in einem überschaubaren Markt zuverlässig kommuniziert. Die begrenzte Zahl der Marktteilnehmer ist davon überzeugt, dass dies gut für das Geschäft ist und einen Weg darstellt, Geld zu verdienen 243. Sie haben ein System entwickelt, das auf gesetzlich nicht durchsetzbaren Verträgen, namentlich Kaufverträgen in Form von Gentlemen’s Agreements auftrauensgrundsätzen Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 241. 240 Daher halte ich es für überzeugender, an das Versprechen in Form der Naturalobligation anzuknüpfen und so eine Vertragshaftung beschränkt auf das Integritätsinteresse anzunehmen. 241 Bezüglich einer Vertragsabrede in einem Versicherungsvertrag, in dem die Versicherung gegenüber dem Arbeitgeber auf Ehre erklärt, keinen Rückgriff bei den Arbeitnehmern des Versicherten zu nehmen. Sica, The gentleman’s agreement in legal theory and in modern practice. In: Italian National Reports to the XVth International Congress of Comparative Law Bristol 1998. Mailand 1998, S. 147, 177 ff. Die Verpflichtung der Versicherung gegenüber der Rückversicherung alle relevanten Information auch ungefragt mitzuteilen wird in den USA als Gentlemen’s Agreement bezeichnet, vgl. H.Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 90. Ferner ein Comfort Letter in Gestalt einer Patronatserklärung, (ebd. 98 ff.). Für Belgien Dirix, Le Gentlemen’s Agreement dans la théorie du droit et la pratique contemporaine, Rev belge dr int 1999, p. 223, 235; vgl. dazu aus deutscher Sicht oben C. III. 1. c) bb) (1) (d) (aa), S. 349. 242 Rudden, (oben Fn. 227), S. 215 ff. H. Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87, 88; Lisa Bernstein, Opting Out of the Legal System: Extralegal Contractual Relations in the Diamonds Industry, J. Leg. St., 21 (1992) 115 – 157. 243 Lisa Bernstein, Opting Out of the Legal System: Extralegal Contractual Relations in the Diamonds Industry, J. Leg. St., 21 (1992) 115, 157.

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baut, für die eigene Regeln aufgestellt wurden 244. Streitigkeiten werden durch ein internes Schiedsgericht mit Sitz in New York beigelegt, an dessen Entscheidung keine Zwangsbefugnisse geknüpft sind 245. Die Kostenersparnis durch eine schnelle und einfache Streitbeilegung sowie das hohe Maß an Diskretion werden als entscheidende Vorteile angesehen 246. Die Grundlage der Gentlemens’s Agreements liegt in der außerrechtlichen Bindung, die auf inneren Bindungselementen, wie Geschäftsehre, Treue, Anstand oder wirtschaftliche Vernunft, aufbauen und die äußere Sanktionen im „sozialen Bereich“ in einem weiteren Sinne vorsehen. Dazu zählen etwa der Abbruch von Geschäftsbeziehungen oder der Ruf- und Ansehensverlust. dd) Einordnung und Abgrenzung des Gentlemen’s Agreement aus deutscher Sicht In der deutschen Schuldrechtsdogmatik wird das Gentlemen’s Agreement verbreitet als unverbindliche Absprache247 eingeordnet, weil es den Parteien am Rechtsbindungswillen fehle248. Die Einstufung als unverbindlich wirft zunächst die Frage nach der Möglichkeit privatautonomer Rechtsausgrenzung auf (1). Anschließend bedarf das Gentlemen’s Agreement der dogmatischen Einordnung im schuldrechtlichen System (2). (1) Recht oder Nicht-Recht Der Wille der Parteien, ihre Vereinbarung dem Recht zu unterstellen oder dies nicht zu tun, ist von der willentlichen Gestaltung bestimmter einzelner Rechtsfolgen zu unterscheiden. Die generelle Unterstellung ist aufgrund des Geltungsvorrangs des objektiven Rechts vom Parteiwillen unabhängig.

244 Nach Section One der Trade Rules ist ein mündlicher Vertrag dann bindend, wenn er durch Handschlag und die Worte „Mazel and Broch“ oder in vergleichbarer Weise mündlich bestätigt wurde, zit. nach Lisa Bernstein, aaO., S. 115, 122. 245 Diamond Dealers Club Arbitration Board, Lisa Bernstein, (oben Fn. 243), S. 115, 124. 246 Lisa Bernstein, (oben Fn. 243), S. 115, 157. Grundsätzlich verlangt sie: „The private regime must be Pareto superior to the established legal regime in order to survive“ (ebd. S. 117). 247 Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem. zu §§ 145 ff Rn. 3; MünchKomm/Kramer, BGB, 4. Aufl. 2003, Einl. Schuldrecht, Rn. 44; Erman/Hefermehl, BGB, 10. Aufl. 2000, Vor § 145 Rn. 5; Erman/Armbrüster, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 145 Rn. 8; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, Einl v § 241 Rn. 9 ebenso Koziol, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. I, Wien 2002, S. 88. 248 Entsprechend hatte es auch Dreher in seinem Länderbericht dargestellt. Siehe oben C. V. 4. b) cc) (1), S. 609.

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(a) Geltungsvorrang des objektiven Rechts Der Rechtsordnung steht die vorrangige Kompetenz zu, eine Entscheidung über die Anerkennung von Parteivereinbarungen zu treffen 249. Die darin zum Ausdruck kommende Suprematie des Rechtssatzes gegenüber anderen selbst geschaffenen (nichtstaatlichen) Normen stellt sicher, dass auch die den Ordnungsrahmen betreffenden Entscheidungen nur aus der Sicht des Rechts entschieden wird. Das bedeutet, dass über die Frage, ob ein Rechtsakt oder eine rein gesellschaftliche Abrede vorliegt, nur objektiv entschieden werden kann 250. Systemtheoretisch folgt dies bereits aus dem Teilnehmerstatus des Fragenden zum gesellschaftlichen Subsystem Recht. Aus der Teilnehmerperspektive ist es ausgeschlossen über die Zuordnung eines Geschäfts zum Recht anders als aus der Sicht des Rechts zu entscheiden. Die Zuordnung ist damit eine genuin rechtliche Systementscheidung251. Eine parallel liegende Problematik wird im Kollisionsrecht diskutiert und bestätigt diese Grenzziehung für die Privatautonomie. Hier ist die Frage aufgeworfen, ob eine parteiautonome Wahl nichtstaatlichen Rechts von staatlichen Gerichten anzuerkennen und zu befolgen ist. Dabei geht es namentlich um die Rechtswahl zu Gunsten der nichtstaatlichen UNIDROIT-Principles für internationale Handelsgeschäfte sowie der Principles of European Contract Law (PECL) im Rahmen von Art. 27 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Art. 3 Abs. 1 S. 1 des Römischen Schuldvertragübereinkommens vom 19.6.1980 [EVÜ]) 252. Die Auffassungen gehen aus249 Wank, Objektsprache und Metasprache, Rechtstheorie 13 (1982) S. 465, 491: Im Rechtsstaat kann es keine primäre Autonomie neben staatlichen Gewalten geben. Vielmehr besteht eine Autonomie nur insoweit, als die Rechtsordnung sie positiv-rechtlich anerkennt, wie in unserer Rechtsordnung durch Art. 2 Abs. 1 GG geschehen. … Die Berufung auf den Geltungsvorrang einer vorstaatlichen Autonomie führt leicht zur Anerkennung eines rechtsfreien Raumes, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Zustimmend auch Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge. Rechtsfindung und Inhaltskontrolle. 2001, S. 195. 250 Das folgt aus dem Geltungsvorrang des Rechts gegenüber anderen gesellschaftlichen Normenordnungen. Es ist ein Merkmal des Rechtsbegriffs, dass eine Ausschlusswirkung gegenüber anderen rechtlichen Erscheinungen in demselben Geltungsbereich besteht und sich das Recht gegenüber diesen durchsetzt, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 48 f.; Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, JuS 1987, 181, 184; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 146 (sog. Dominanzkriterium). S. 227). 251 Zur Selbstbeschreibung des Rechtssystems und der sich daraus ergebenden Paradoxie, dass die interne Beschreibung so behandelt wird, als ob es eine externe Beschreibung wäre, die über objektive Sachverhalte berichten könnte, Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 496, 545. 252 Etwa Kappus, „Lex mercatoria“ als Geschäftsstatut vor staatlichen Gerichten im deutschen internationalen Schuldrecht: IPRax 1993, 137; Mankowski, Stillschweigende Rechtswahl und wählbares Recht, in: Leible (Hg.), Das Grünbuch zum internationalen Vertragsrecht (2004) 63 ff.; die parallele Frage für das Schiedsrecht hängt von der Anwendbarkeit der Artt. 27 ff. EGBGB im Rahmen des § 1051 I ZPO ab; vgl. G. Wagner, Die Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahren, in: FS für Ekkehard Schumann (2001) 535, 557. Eine entsprechende ausdrückliche Zulassung war im Entwurf der Rom-I VO enthalten. Sie wurde aber schließlich gestrichen. Vgl. Nachweise oben C. V. 3. a) aa) Fn. 9, S. 537.

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einander253. Richtigerweise können die Parteien auch hierüber nicht selbst und autonom entscheiden, sondern das staatliche Recht muss diesen Weg erst freigeben 254. Das gilt ferner für die Anwendbarkeit anderer nichtstaatlicher Rechte, wie etwa die religiöse Sharia, die im Islamic Banking verbreitet ist255, oder das sog. Cyberlaw für Geschäfte im Internet 256. Ein vertragliches opting out ab legibus soluti wird abgelehnt 257. Der Parteiwille muss sich den Grenzen des Rechts, die der Gesetzgeber vorgibt, unterordnen 258. Die Parteien eines Gentlemen’s Agreements, die der rechtlichen Kontrolle ausweichen wollen, treffen ein wertendes Urteil über die Rechtserheblichkeit ihrer konkreten Abrede. Ein Urteil, welches aber der Rechtsordnung und nicht den Parteien obliegt 259. Die Rechtsordnung legt den Erfassungsbereich rechtlicher Regelungen fest und kann grundsätzlich auch über die Zulässigkeit einer Abwahl des staatlichen Rechts eine Entscheidung treffen 260. Trifft sie aber keine Entscheidung, so bleibt der Vorrang des 253 Vgl. vorherige Fn. und Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 2005, S. 19 und 136 ff. der eine Öffnung auch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung auf der Grundlage eines eigenständigen Geltungsbegriffs nichtstaatlichen Rechts für zulässig hält; krit. Rez. G. Schulze, RabelsZ 71 (2007) 852, 866 f. 254 Mankowski, Stillschweigende Rechtswahl und wählbares Recht, in: Leible (Hg.), Das Grünbuch zum internationalen Vertragsrecht, 2004, S. 63. 255 Bälz, Das islamische Recht als Vertragsstatut?, IPRax 2005, 44. 256 Krit. Pfeiffer, Welches Recht gilt für elektronische Geschäfte?, JuS 2004, 282 (Verbot rechtsordnungsloser Verträge). 257 Legibus solutus meinte – das ist ergänzend hinzufügen – historisch nicht auch pactis solutus. Der auf Befreiung vom Eherecht gerichtete römisch-rechtliche Obersatz (Iulian et Papinian D 1.3.31: „princeps legibus solutus est“, d.i. die Befreiung des Kaisers [Fürsten] vom Gesetz) sowie Ulpian D. 1.4.1. pr „Ouod principi placuit, legis habet vigorem …“ Was der Kaiser bestimmt, hat Gesetzeskraft …) konnte durch Vertrag eingeschränkt werden. Die mittelalterliche Legistik deutete die Gesetzgebung als pactum, um dadurch das unilaterale Gesetz als Zeichen monarchischer Souveränität zu überwinden. Durch Vertrag ließ selbst der Fürst sich binden. Vgl. D. Wyduckel, Princeps legibus solutus, Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, 1979, S. 83, 86. Der Grund liegt darin, dass vertragliche Normen – ebenso wie göttliches und Naturrecht – nicht (allein) vom Herrscher gesetzt wurden; vgl. Starck, Gesetz und Vertrag – Grundbegriffliche Klärungen, in: Behrends/ Starck, Gesetz und Vertrag, II, 2005, S. 17; ebenso Mohnhaupt, Vertragskonstruktion und fingierter Vertrag zur Sicherung von Normativität: Gesetz, Privileg, Verfassung, in: Kervégan/Mohnhaupt (Hg.), Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung in Rechtsgeschichte und Philosophie, 1999, S. 1, 12. 258 Dies gilt jedenfalls soweit keine gleichwertigen Rechtssysteme neben oder an die Stelle des staatlichen Rechts und staatlicher Gerichte getreten sind. Schiedsgerichte, die auf der Grundlage von Unidroit-Principles entscheiden, bilden gegenwärtig die äußerste Grenze für eine Loslösung vom staatlichen Rechtssystem (§ 1051 Abs. 1 ZPO), vgl. oben C. V. 3. a) aa), S. 583 f. 259 Willoweit, Schuldverhältnis und Gefälligkeit, Dogmatische Grundfragen, JuS 1984, 909, 916. 260 Eine weitere Frage ist es, ob der Gesetzgeber zur Preisgabe seiner Souveränität insoweit befugt ist; zur Rechtswahl nichtstaatlichen Rechts vgl. kritisch P. Mankowski, Stillschweigende Rechtswahl und wählbares Recht, in: Leible (Hg), Das Grünbuch zum internationalen Vertragsrecht, 2004, S. 63 ff. Eine Grenze dürfte jedenfalls dort liegen, wo durch die

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staatlichen Rechts bestehen und es ist dann eine rein innerrechtliche Frage, ob eine bestimmte Vereinbarung ein Rechtsgeschäft darstellt oder nicht und welche Folgen daran jeweils zu knüpfen sind. Die Grenzen der Privatautonomie können nicht privatautonom verschoben werden 261. (b) Nicht gerechtfertigter Rückzug ins Private Ein Parteiwille, der dahin geht, das Recht insgesamt zu meiden und sich seiner Kontrolle zu entziehen, ist auch aus rechtsethischen Gründen zurück zu weisen. Der Rückzug ins Private ist ohne Legitimation. Es besteht eine rechtsethische Pflicht zum Handeln in rechtlichen Formen und einen favor iuris, dessen rechtliche Grundlage § 242 BGB ist. Das rechtlich erhebliche Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist so zu deuten, dass es rechtlichen Kategorien und Kontrollen unterliegt. Das Recht besitzt insoweit durchaus einen bekenntnishaften Zug. Den Wechsel vom gesellschaftlichen Naturzustand in den bürgerlichen Zustand hat Kant als ein ethisch zwingendes Gebot beschrieben, aus dem das Postulat des öffentlichen Rechts hervorgeht 262. Dieses Gebot findet in der rechtlichen Qualifikation des Gentlemen’s Agreements seinen Ausdruck. (c) Delegierte oder anerkannte Autonomie Die von Bernhard Rudden aufgeworfene Frage, ob wir uns selbst außerhalb des Rechts stellen können, muss mangels einer staatlich gesetzten und damit legitimierten Abwahlregelung im geltenden deutschen Recht zu einem klaren Nein führen. Wie bereits die rechtsvergleichende Untersuchung erbracht hat, ist von der gesicherten Erkenntnis auszugehen, dass nur innerhalb der Dispositionsspielräume des Schuldrechts eine Erfassung des Gentlemen’s Agreements möglich ist. Die Maßgeblichkeit des objektiven Rechts zeigt sich in § 311 Abs. 1 BGB. Die vertragliche Regelungsmacht der Parteien folgt aus der gesetzlichen Ermächtigung zur Vertragsfreiheit. Die Parteien sind nur kraft gesetzlicher Delegation zur Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse ermächtigt263. Der Vorrang Öffnung eine gerichtliche Organisation entsteht, in der es unmöglich wird, die Entscheidung der Öffnung selbst wiederum auf demokratischem Wege rückgängig zu machen. Zur regulierten Selbstregulierung als eine Möglichkeit rationaler Rechtspolitik Ch. Engel, Rationale Rechtspolitik und ihre Grenzen: JZ 2005, 581, 590. 261 A.A. Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 305 f. Siehe dazu oben C. V. 2. d) bb), S. 580. 262 Kant, Metaphysik der Sitten, Weischedel (Hg.), Werkausgabe Bd. VIII, 1989, S. 424 (AB 157); Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 896. 263 Sog. Delegationstheorie, Adomeit, Rechtstheorie für Studenten. Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitologie, 1998, S. 50 f. Bei der Privatautonomie handelt es sich nicht um eine natürliche vorrechtliche Freiheit, sondern um eine Freiheit im „Rechtsleben“; vgl. BVerfG v. 19.10.1993 BVerfGE 89, 214, 231 (Ehegattenbürgschaft). Die staatliche Ausgestal-

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des objektiven Rechts gilt selbst dann, wenn die Privatautonomie als ein natürliches, jeder Rechtsordnung vorgegebenes Recht angesehen wird264. Selbst bei dieser Betrachtung behält das objektive Recht die Funktion, den individuellen Willen als Quelle des Rechts anzuerkennen und ihm dadurch die legitimatorische Kraft des Rechts zu verleihen 265. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit bleiben stets eine Entscheidung des schuldrechtlichen Systems. (2) Dogmatische Einordnung im schuldrechtlichen System Die dogmatische Einordnung des Gentlemen’s Agreements in der Rechtsgeschäftslehre ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht eindeutig geklärt. In Betracht kommen ein sog. Nicht-Rechtsgeschäft, ein unwirksames Rechtsgeschäft, ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht oder ein Vertrag, der Naturalobligationen begründet. (a) Nicht-Rechtsgeschäft Der Rechtsbindungswille ist Tatbestandsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts. Sein Fehlen hindert folglich die Entstehung des Rechtsgeschäfts. Entsprechend werden etwa Abreden im Gefälligkeitsbereich, beispielsweise die gegenseitige Kinderbeaufsichtigung unter Nachbarn, als Nicht-Rechtsgeschäfte eingestuft266. Ein solches Nicht-Rechtsgeschäft hat der Bundesgerichtshof ferner tung ist also für den Gebrauch der Freiheit konstitutiv. Zustimmend Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Geltungsmacht, 2004, S. 22; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, 2001, S. 41. 264 Die Gleichursprünglichkeit der Privatautonomie ist in Art. 1134 CCfr. angedeutet. Danach stehen Gesetz und Vertrag auf derselben Stufe. „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“. Die Vorschrift dient neuerdings etwa als Beleg für die These, dass rechtliche Bindung ohne eine gesetzliche Grundlage entstehen kann, Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 2005, S. 220. Dagegen zeigt die Entstehungsgeschichte des Art. 1134 I CCfr, dass auch hier die Vereinbarung nicht das Gesetz überwindet. Jean-Louis Halpérin, Le fondement de l’obligation contractuelle chez les civilistes françaises du XIXe siècle, in: Kervégan/Mohnhaupt (Hg.), Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung in Rechtsgeschichte und Philosophie, 1999, S. 322, 329: „Nul doute que le caractère obligatoire du contrat vienne de la loi, une loi positive s’inspirant du droit naturel et lui donnant toute la force nécessaire pour contrer les passions humaine. La volonté des parties n’intervient que pour former le contrat et en déterminer le contenu.“ 265 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 9; Kramer, Die Krise des liberalen Vertragsdenkens. Eine Standortbestimmung, 1974, S. 36; Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 2004, S. 23 Rn. 32; ebenso BVerfG v. 07.02.1990 NJW 1990, 1469, 1470 (Karenzentschädigung für Wettbewerbsverbot gegenüber Handelsvertreter: Die Privatautonomie besteht nur im Rahmen der Gesetze). Ebenso St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag. Eine Untersuchung von Möglichkeiten und Grenzen der Abschlußkontrolle im geltenden Recht, 1997, S. 17. 266 BGH v. 2. 7. 1968 NJW 1968, 1874 f. (maßgeblich sei eine objektive Betrachtung); wei-

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aber auch für den Fall bejaht, dass die Parteien bewusst ein unwirksames Geschäft schließen. Typischer Fall ist der Grundstücksschwarzkauf267 mit dem die Parteien in der Regel Steuern und Vertragskosten sparen wollen. Die gesetzlich eingeräumte Heilungschance (§ 311 b Abs. 1 S. 2 BGB) bietet die Möglichkeit, den Vermögenstransfer durch einen gezielten Schwarzkauf zu erreichen 268. Die Parteien wollen einen Vertrag ohne Rechtsbindung schließen. Wird dieser (rechtsgeschäftliche) Wille beachtet, so könnte das Geschäft als rechtsgeschäftlich nicht existent zu betrachten sein. Rechtsgrundlage wäre ein gesetzliches Schuldverhältnis nach §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB, das Integritätsschutz und Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt enttäuschten Vertrauens gewährt269. Vor diesem Hintergrund könnte auch das Gentlemen’s Agreement als Nicht-Rechtsgeschäft angesehen werden 270. (b) Unwirksames Rechtsgeschäft Vom Nicht-Rechtsgeschäft lässt sich das nur fehlerhafte (unwirksame, nichtige) Rechtsgeschäft abgrenzen. Zu dieser Kategorie zählt Jauernig das bewusst unwirksam geschlossene Geschäft271. Beleg ist § 117 Abs. 1 BGB, der den Abschluss eines bewusst unwirksamen Geschäfts, das Scheingeschäft, regelt. Nach dieser Auffassung käme dem Gentlemen’s Agreement der Status eines unwirksamen tere Beispiele bei Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 104 Rn. 17 etwa die Gefälligkeitsfahrt, die Übergabe eines Reitpferdes an einen Sportkameraden, die Vermögensverwaltung ohne Rechtsbindungswillen durch einen Ehegatten (mN. ebd.). 267 BGH v. 29. 6. 1966 BGHZ 45, 379: Wissen die Parteien bei Vertragsabschluß, dass ein Teil ihrer Abmachungen wegen Nichtbeachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form unwirksam ist, so wird das Rechtsgeschäft lediglich von den übrigen Vertragsbestimmungen gebildet. Der BGH konnte damit eine Anwendung des § 139 BGB verneinen und den formwirksamen (rechtsgeschäftlichen) Teil aufrecht erhalten; kritisch Keim, Keine Anwendung des § 139 BGB bei Kenntnis der Parteien von der Teilnichtigkeit?, NJW 1999, 2866. Anders aber BGH 14.10.1988, NJW 1989, 898 f. bezüglich der mündlichen Zusage durch einen Bürgermeister bei beurkundungsbedürftigem Rechtsgeschäft. Hier führte § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit. 268 Noch weitergehend BGH v. 26. 10. 1979 NJW 1980, 451, wonach bereits vor der Heilung der Rücktritt des Käufers nach § 815 BGB treuwidrig sein kann. 269 Staudinger/Bork, BGB, 2003, Vorbem. zu §§ 145 ff Rn. 3; Jauernig/Mansel, BGB, 2004, § 241 Rn. 25. Das Gentlemen’s Agreement begründet einen „geschäftsähnlichen Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB, sodass Schutzpflichten aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis bestehen, sofern nicht auch sie nach dem Parteiwillen ausgeschlossen sein sollen und eine solcher Enthaftungsvereinbarung (Larenz) für zulässig gehalten wird. 270 Ähnlich Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 202 ff., der davon ausgeht, dass die soziologisch zu verstehende Pflichtenbeziehung des Gentlemen’s Agreement der Annahme einer Naturalobligation als einer rechtlichen Verbindlichkeit entgegenstehe. Die Einstufung des GA als Nicht-Recht teilt auch Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 526, der aber letztlich keine klare Aussage trifft. 271 Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, Vor § 104 Rn. 17.

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Rechtsgeschäfts zu, was die Anwendbarkeit der rechtsgeschäftlichen Regeln eröffnet und auch Anknüpfungspunkt für eine Schadensersatzpflicht sein kann (§ 122 BGB). Ferner lässt sich damit § 139 BGB auf das Gentlemen’s Agreement anwenden. Wer in Kenntnis der Teilnichtigkeit ein Rechtsgeschäft abschließt, der erklärt, dass er den wirksamen Teil auch allein will 272. Das bewusst teilunwirksame Rechtsgeschäft ist daher entgegen der Auslegungsregel des § 139 BGB restlich wirksam. Für den Fall einer Gesamtnichtigkeit gilt: Wissen die Beteiligten, das sie sich mit den gewählten Mitteln rechtlich nicht binden können, so spreche man hier von einem gentlemen’s agreement (Medicus). In solchen Fällen sollte eine rechtliche Bindung auch nicht über § 242 herbeigeführt werden 273. Die Einstufung des Gentlemen’s Agreement als unwirksames Rechtsgeschäft überzeugt nicht. Sie eignet sich schon nicht für die Annahme, der Gesetzgeber erlaube den Abschluss von Gentlemen’s Agreements. Als unwirksames Rechtsgeschäft vermittelt es keinen Rechtsgrund zum Behalten der Leistung, sondern gegebenenfalls ein Behaltensrecht als Folge eines Kondiktionsausschlusses (§ 814 Hs. 1 BGB). Ferner kann keine Abschluss- und Inhaltskontrolle vorgenommen werden (§§ 134, 138 BGB). Ein unwirksames Rechtsgeschäft kann nicht abermals oder weitergehend unwirksam werden. Auch sind Missbräuche sowie Nicht- und Schlechtleistungen bei einem ohnehin unwirksamen Rechtsgeschäft nicht sinnvoll kontrollierbar. Entsprechend verneint Medicus bei einem als Gentlemen’s Agreement bezeichneten Leihmuttervertrag auch die Anwendbarkeit des § 138 BGB. Nach dem Inhalt der Vereinbarung sollten die Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts nicht eintreten. § 138 BGB, der den Wegfall der Rechtsfolgen regele, gehe daher ins Leere274. Damit setzt Medicus ein unwirksames Rechtsgeschäft voraus und beachtet den Parteiwillen in dieser Zuordnungsfrage. Den logischen Vorrang des Parteiwillens vor den diesen Willen beschränkenden gesetzlichen Regeln begründet er nicht, hebt aber zu Recht hervor, dass die Bestimmung der Grenzen der Privatautonomie von der Sittenwidrigkeitsfrage getrennt zu behandeln und zu beurteilen sei. Daraus folgt aber 272 Medicus, BGB AT, 7. Aufl. 1997, Rn. 507, S. 193 f. (Wenn die Parteien anerkanntermaßen Unwirksames aufgenommen haben, steht fest, dass sie die übrigen Teile trotzdem gewollt haben. Fragen kann man dann bloß, ob nicht die Erfüllung auch des nichtigen Teils Bedingung für die Wirksamkeit der an sich wirksamen Vereinbarung sein sollte. Das aber ist nicht mehr die Frage des § 139 BGB). Zustimmend Staudinger/H. Roth, BGB, 2003, § 139 Rn. 24; Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 139 Rn. 13; Keim, Keine Anwendung des § 139 BGB bei Kenntnis der Parteien von der Teilnichtigkeit?, NJW 1999, 2866, 2867. 273 Medicus, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 4. Aufl. 2000, Rn. 86; ders., Bürgerliches Recht, 17. Aufl. 1996, Rn. 181 mit Kritik an BGH v. 27.10.1967 BGHZ 48, 396, 399 f. Berufung auf Formnichtigkeit als unzulässige Rechtsausübung. Wirksamkeit eines formunwirksamen Vertrages aufgrund einer Bekräftigung der kaufmännischen Ehrbarkeit. Ebenso Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1957, II A 1 S. 898; zustimmend BGH v. 22.1.1964 MDR 1964, 570 (Meistbegünstigung). 274 Medicus, Das fremde Kind – Komplikationen bei Leihmutterschaften, Jura 1986, 302, 306.

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nicht, dass über die Grenzen der Privatautonomie auch disponiert werden kann und ein opting-out ohne rechtliche Kontrolle allein aus „respektablen Gründen“ zu gestatten ist275. An dieser Stelle zeigt sich erneut das Problem eines als unwirksam eingestuften Geschäfts. Wie beim Ehemaklerlohn sowie bei Spiel und Wette (§§ 656, 762 f. BGB) erscheint es sinnwidrig, die Regeln über das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften auf unwirksame Verträge anzuwenden. Die Frage, ob der Gläubiger die Leistung aus einem „unwirksamen Rechtsgeschäft“ behalten darf, ist bei unterstellter Wirksamkeit danach zu beantworten, ob ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Die Konkretisierung der Rückforderungsausschlüsse bestimmt sich im Ergebnis nach Grundsätzen des Leistungsstörungsrechts276. Soll das Gentlemen’s Agreement als rechtlicher Handlungsakt anerkannt werden, so erscheint es daher nicht funktional, die Anerkennung auf der Ebene eines unwirksamen Rechtsgeschäfts zu vollziehen. (c) Vertrag ohne primäre Leistungspflicht Zu erwägen ist deshalb, ob ein Gentlemen’s Agreement nicht doch als Rechtsgeschäft (Vertrag) eingestuft werden kann. Dabei geht es um solche Agreements, die objektiv einen Vertrag darstellen würden und erst durch den ausdrücklich als fehlend angegebenen Rechtsbindungswillen ihre rechtsgeschäftliche Qualität verloren haben. In den vorherigen Einordnungen (a) und (b) wird die gewollte Nichtverbindlichkeit der Sache nach als bloße Wissenserklärung behandelt. Die Parteien deklarieren danach den als fehlend erklärten Rechtsbindungswillen als eine innere Tatsache. Damit wird aber der Handlungssinn der Erklärungen nicht voll erfasst. Beim Gentlemen’s Agreement wollen die Vertragsteile ihre Regelung gezielt anderen Grundsätzen unterstellen, als sie für den verwirklichten Geschäftstyp sonst gelten würden. Die Abbedingung rechtlicher Bindung erfolgt ihrerseits mit Rechtsbindungswillen. Hierfür verlangen die Parteien rechtliche Anerkennung, die ihnen sowohl bei einer Einstufung als Nicht-Rechtsgeschäft als auch als unwirksamem Rechtsgeschäft gewährt wird. Das Gentlemen’s Agreement stellt insoweit auch ein vertragliches Rechtsgeschäft dar277. Die Erklärung, sich nicht dem Recht, sondern nur der Ehre und den Regeln des Anstandes zu unterstellen, ist als eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung zu verstehen. Bereits die Abwahl der Vertragseigenschaft bedeu-

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Ebenda. Siehe oben C. IV. 1 c) bb) (4), S. 446. 277 Daher zu Recht Krebber, Der nicht zufällige Kontakt ohne Vertragsnähe auf der Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, VersR 2004, 150, 156: Das Gentlemen’s Agreement als Vertrag ohne primäre Leistungspflicht falle deshalb nicht unter § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Ebenso von Hase, Vertragsbindung durch Vorvertrag, 1999, S. 32. 276

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tet einen Vertrag 278. Nichts anderes dürfte gemeint sein, wenn im Gentlemen’s Agreement der Spezialfall einer wirksamen vertraglichen Einigung unter gleichzeitigem Ausschluss der Rechtsverbindlichkeit gesehen wird279. Für diese Lösung entscheidet sich auch Bahntje, der das Gentlemen’s Agreement nicht als Vertrag, sondern als „schlichte Einigung mit faktischer Durchsetzungschance“ umschreibt280. Das Rechtsgeschäft der „schlichten Einigung“ ist dogmatisch unpassend, weil es diesen rechtsgeschäflichen Typus nur bei Verfügungsgeschäften, namentlich im Sachenrecht oder bei der Abtretung gibt, und damit die rechtsgeschäftlich gewollte Abwahl als schuldrechtliche Grundlage ausblendet. Funktionell entspricht das Gentlemen’s Agreement vielmehr jenen Abreden, die sich auf das Zustandekommen des Vertrages (Vertragsabschlussklausel)281, das auf den Vertrag anzuwendende Recht (Rechtswahlklausel) oder seine rechtliche Qualifikation (Vereinbarung über den Vertragstyp)282 beziehen. Gegenstand dieser selbstbezüglichen Vertragsabreden ist der gedanklich davon zu trennende (Haupt-) Vertrag. Diese Struktur wird deutlich im Falle einer Rechtswahlklausel, mit der die Parteien das auf den Vertrag anzuwendende Recht vertraglich festlegen (Art. 27 EGBGB). Die Rechtswahlklausel bildet dabei einen eigenständigen Vertrag, der sach- und kollisionsrechtlich gesonderten Regeln unterliegt (Art. 27 Abs. 4 EGBGB) und der gleichzeitig Bestandteil des (Haupt-) Vertrages ist283. Geht man davon aus, dass mit dem Gentlemen’s Agreement nach dem Willen der Parteien Leistungspflichten vereinbart wurden, die aber als nicht rechtlich bindend behandelt werden sollen, so liegt es nahe, hier von einer vertraglichen Abwahl des Rechts auszugehen. Die vertragliche Unverbindlichkeitsabrede ist der Sache nach Rechtsabwahl284. Die Einräumung der 278

Staudinger/Olzen, BGB, 2005, § 241 Rn. 90 spricht von einem bewussten Ausschluss des Leistungsanspruchs. Das Kennzeichen bestehe häufig darin, dass die Parteien die mangelnde rechtliche Bindungswirkung lieber durch Sanktionen im sozialen Bereich ersetzen, z.B. durch ein Ehrenwort. 279 Staudiner/Dilcher, BGB, 12. Aufl. 1980 Vorbem. zu §§ 145 ff. Rn. 16. 280 Bahntje, Gentlemen’s Agreement und Abgestimmtes Verhalten, 1982, S. 117; dagegen Emmerich, der dies als „überflüssig und methodisch kaum vertretbar“ beurteilt, aber nicht erkennen lässt, wie seiner Auffassung nach ein dogmatischer Ansatz aussehen könnte, AcP 183 (1983) 807, 808. 281 Deren Regelungsgehalt erschöpft sich im Vertragsschluss, vgl. MünchKomm/Basedow, 4. Aufl. 2003, § 308 Rn. 3 f.; Staudinger/Coester-Waltjen, BGB, 2006, § 309 Rn. 3 f. 282 Qualifikationsabrede über den Vertragstypus, vgl. Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, 2001, S. 193 ff. u. 634. 283 Ähnlich sind ferner reine Haftungsausschlussvereinbarungen (sog. Enthaftungsvertrag, Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 31 III S. 554), die aber den Schuldinhalt nicht verändern. Die Funktion von Vertragsabschlussklauseln, mit denen die Parteien das Zustandekommen des Vertrages eigenständig regeln, betrifft das Abschlussverfahren. Der Regelungsgehalt hat sich mit dem Zustandekommen des Vertrages erledigt (MünchKomm/Basedow, BGB, 4. Aufl. 2003, § 308 Nr. 1 BGB Rn. 3). 284 Da sich die Abrede der Unverbindlichkeit nur auf die Rechtspflicht, nicht aber auf die außerrechtliche (persönliche, gesellschaftliche) Pflicht beziehen soll, führt die Rede von der

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entsprechenden Dispositionsbefugnis vorausgesetzt, wäre damit von einem Vertrag ohne primäre Leistungspflicht auszugehen, dessen Inhalt darin besteht, den restlichen Teil des Vertrages (Hauptvertrag) von rechtlicher Beurteilung frei zu stellen. Die Abwahlklausel bildet den rechtserheblichen Teil des Vertrages, der in den Grenzen des zwingenden Rechts, der guten Sitten und der übrigen Maßstäbe zulässiger Inhaltskontrolle zu prüfen und zu beachten wäre. Der über die Abwahl regulierte restliche Vertrag (Hauptvertrag) beinhaltet dagegen – entsprechend dem Parteiwillen – keine rechtlichen Leistungspflichten. (d) Vertrag mit primärer Leistungspflicht (Naturalobligation) Auch die Annahme einer solchen Rechtsabwahl ist nicht unbedenklich. Die Parteien haben Leistungsversprechen abgegeben, die rechtlich nicht erfasst werden sollen und an die sie nicht rechtlich gebunden sein wollen. Das aber führt in einen Widerspruch, weil Versprechen durch den Bindungswillen des Erklärenden konstituiert werden. Der Widerspruch einer unverbindlichen Bindung löst sich erst durch eine Dichotomie der Bindungen auf. Die Trennung in rechtliche und nichtrechtliche (gesellschaftliche) Bindung ermöglicht eine Abwahl rechtlicher Bindung. Das Leistungsversprechen bleibt hier nur deshalb möglich, weil es gesondert als gesellschaftlich bindend gedacht werden kann, während es gleichzeitig als nicht rechtlich bindend gelten soll. Aus rechtlicher Sicht liegt ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht vor. In außerrechtlicher Betrachtung sind dagegen Pflichten begründet worden. Legt man an diese extralegalen Pflichtbindungen in einem weiteren Schritt wiederum Kriterien wie Treu und Glauben, einen internen ordre public, die Grundsätze der estoppelHaftung oder andere rechtliche Prinzipien an 285, so wird eine eigene und neue Rechtskategorie geschaffen, und zwar die der „nichtrechtlichen Leistungspflicht“. Dabei handelt es sich um extralegale gesellschaftliche, soziale oder moralische Pflichten. Die Grundsätze ihrer Behandlung hängen weitgehend in der Luft und sind von der Konkretisierung der generalklauselartigen Prinzipien wie § 242 BGB abhängig. Auch daraus ergibt sich ein Widerspruch, denn das gesamte schuldrechtliche System stellt sich als eine Konkretisierung des § 242 BGB dar und reguliert Handlungsspielräume im Rahmen des dispositiven Gesetzesrechts. Eine freie Konkretisierung des § 242 BGB müsste immer wieder auf die schuldrechtlichen Normen zurückgreifen und könnte sich auch nicht über die zwingenden Inhaltsgrenzen des schuldrechtlichen Systems hinwegsetUnverbindlichkeit zu Missverständnissen. Das GA, das vertragsersetzende Funktionen übernimmt, soll Pflichten vermitteln und ist daher gerade nicht unverbindlich. Es ist daher vorzugswürdig von einer Rechtsabwahl und einer Abwahlklausel zu sprechen. 285 Vgl. die dringende Empfehlung einer rechtlichen Mindestkontrolle nach den Ergebnissen des XV. Kongresses der Internationalen Akademie für Rechtsvergleichung in Bristol 1998, oben C. V. 4. b) cc) (2), S. 611.

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zen. Der Weg über die extralegale Bindung läuft danach wieder zurück auf eine schuldrechtliche Bindung unter Ausnutzung der Dispositionsspielräume des positiven Rechts. Insofern erschiene es überzeugender mit der Naturalobligation eine Rechtsfigur zugrunde zu legen, die den Dispositionsspielraum durch die Freistellung von Erfüllungszwang weitgehend ausschöpft. Die Bejahung einer nur nicht erzwingbaren schuldrechtlichen Forderung ermöglicht ein Mindestmaß an Rechtskontrolle und Rechtsschutz. Der grundlegendere Einwand gegen die Annahme einer extralegalen Leistungspflicht im Falle eines Gentlemen’s Agreement richtet sich gegen die Rechtsabwahl durch Vertrag. Es ist aber eine Entscheidung der Rechtsordnung, wie sie ein gegebenes Versprechen und die daraus folgenden Bindungen qualifiziert und ob sie eine Abwahl der Rechtsbindung zulässt. Es läge daher durchaus nahe, das Ehrversprechen als ein rechtswirksames aber nicht erzwingbares Versprechen zu erfassen und so im Gentlemen’s Agreement einen Vertrag anzuerkennen, aus dem Naturalobligationen hervorgehen. Der nur eingeschränkte Rechtsschutz folgt aus der Rechtsfigur der Naturalobligation, die einseitigen Erfüllungszwang nicht kennt und auch keinen durchsetzbaren Anspruch auf den Erfüllungsschaden gibt. Möglich bleibt die schuldrechtliche Kontrollfähigkeit. Gegenstand ist ein Forderungsrecht für das festzustellen ist, ob der Empfänger die Leistung behalten darf. Der Schutz des negativen Vertragsinteresses sowie der Integritätsschutz bleiben aus dem Vertrag ableitbar und geben dem Gentlemen’s Agreement eine klare rechtliche Grundlage.

c) Die paradoxale Struktur des Ehrversprechens (Gentlemen’s Agreement) Die Missbrauchsgefahren und die im Schrifttum verbreitet anzutreffende ablehnend distanzierte Haltung gegenüber der Geschäftsform Gentlemen’s Agreement kommen treffend in einer ironisierenden Umschreibung zum Ausdruck. Sie lautet:286 „A gentlemen’s agreement is an agreement which is not an agreement, made between two persons, neither of whom is a gentleman, whereby each expects the other to be strictly bound without himself being bound at all.“

Irreführung und Täuschungsabsicht werden den selbsternannten „Gentlemen“ hier unterstellt. Betrachtet man die angestrebte Entrechtlichung so bestätigt sich dieses Misstrauen. Oftmals bleibt unklar, welche konkrete Handlungsausführung der Versprechende schuldet. In Anlehnung an das LG München I kann dies zu einer irritierenden Suggestivwirkung führen 287. An die Stelle obligato286 Bernstein/Zekoll, The Gentleman’s Agreement in Legal Theory and in Modern Practice: United States, AmJCompL 46 (1998) 87. 287 Das LG München I v. 2.3.1998, WM 1998, 1285 hielt die konkrete Schuld des Patrons

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rischer Schuldigkeit tritt bloßer „good will“. Die verpfändete Ehre soll nicht lediglich eine rechtliche Bindung stabilisieren und ergänzen, sondern an ihre Stelle treten. Rechtszwang unter „Gentlemen“ wird also nicht für überflüssig gehalten, sondern als unerwünscht abbedungen. aa) Überhöhung rechtlich geschuldeter Verhaltensweisen Der pflichttheoretische Grund für das Misstrauen gegen jegliche Form von Ehrvereinbarungen liegt in der auffälligen Überhöhung des Selbstverständlichen. Mit dem Einsatz ihrer Ehre bekennen sich die Parteien zur Ernstlichkeit der Pflichtübernahme und bekräftigen ihre Erfüllungsbereitschaft. Sie sagen, dass sie es ehrlich meinen und bekennen sich zu einer Leistungsbewirkung, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Alle diese Aussagen sind überflüssig, denn sie werden beim redlichen rechtsgeschäftlichen Handeln unterstellt. Die Ehrenschuld besitzt einen bekenntnishaften Zug. In der Beteuerung eines intrinsischen Pflichthandelns zeigt sich ihre Eigenständigkeit. Werte wie Treue, Anstand und Beständigkeit liegen dem Rechtsgeschäftsverkehr ebenso wie anderen Normsystemen zu Grunde. Die Pflichterfüllung aus Überzeugungen und Werten heraus, die das Recht nicht verlangt, aber auch nicht behindert oder verbietet, wird im Ehrenversprechen aber instrumentalisiert. Die Umstellung von einer Rechtspflicht auf ein intrinsisches Pflichthandeln aus Ehre bedeutet zugleich eine ehrenhafte und damit meritorisch wertvolle Handlung288. Wer erfüllt, der wird seinem Ehranspruch gerecht. Die Einhaltung einer persönlich übernommenen Verpflichtung ist im Geschäftsverkehr aber grundsätzlich weder ehrenvoll noch wertschaffend, sondern in reziproken Äquivalenzverhältnissen kompensierend für den Erhalt fremder Leistungen. Die Erfüllung einer obligatorischen Schuld ist eine negative Größe, die durch die entsprechende Leistungshandlung auf Null gebracht wird. Rechtspflichterfüllung ist deshalb in keiner Weise auszeichnungswürdig, sondern wertungsmäßig eine Selbstverständlichkeit 289. Bezogen auf die Gefahren supererogatorischer Pflichttatbestände kommt Wolfgang Kersting zu dem Schluss: 290 „Das Streben nach Verdienst muss in der Pflichterfüllung aufgehen, um nicht durch

aus einer harten Patronatserklärung für nicht ausreichend bestimmbar und die Haftungserklärung daher für sittenwidrig, § 138 Abs. 1 BGB. 288 Dieser Moralitätsbeweis wird dagegen durch die Zwangsbedrohung des Rechtsbruches verhindert. Zu dem meritorischen Effekt der freiwilligen Pflichterfüllung bereits oben C. III. 2. b) ff) (3), S. 396. 289 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 5 IV 4 d), S. 105: Es wird rite geleistet. 290 W. Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 120.

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eigenliebige Einbildung des Verdienstlichen den Gedanken der Pflicht zu verdrängen.“ bb) Versprechen auf Ehre als Indiz für die Unehrenhaftigkeit Jede reziproke Erfüllungsleistung belegt, dass der Schuldner sein Interesse an der eigenen Leistung seiner Erfüllungspflicht nachordnet. In dem unterstellten Konflikt von Pflichterfüllung und kalkulatorischem Rechtsbruch zeigt die Erfüllungshandlung zugleich die Moralität des Schuldners291 oder schafft zumindest ein Indiz für moralisches Pflichthandeln. Regelmäßig sind solche Beweise oder Indizien für ein moralisches Handeln aber im Geschäftsverkehr weder erforderlich noch funktional. Wer die Pflichterfüllung zur moralischen Handlung erklärt, offenbart vielmehr eine indifferente Haltung gegenüber missbräuchlichen Verhaltensweisen. Mit dem Gentlemen’s Agreement wird gleichsam die Ehrlichkeit der Handlungsabsicht auf Ehre versprochen. Das impliziert eine Indifferenz zum Rechtsbruch und zur Unehrenhaftigkeit, die nun als Grundlage des Geschäfts erscheinen. Bereits Kant 292 stellte darauf ab, dass die Rechtschaffenheit nicht verdienstlich sei und daher unauffällig bleibe, denn „wo die Ehrlichkeit Ehre erwirbt und wo es ein Punkt der Ehrbegierde wird, ehrlich zu sein, … da ist schon Korruption der Sitten, da ist die Ehrlichkeit selten“.

Die Betonung des Ehrenhaften verdeckt, dass die Erfüllung einer obligatorischen Leistungspflicht eine Selbstverständlichkeit darstellt. Die Beteuerung auf Ehre ist unschädlich soweit eine rechtlich erzwingbare Schuld nur bekräftigt werden soll. Dagegen entsteht ein Wertungswiderspruch bei Ehrversprechen, die zugleich die Zwangsmacht des Rechtsinhabers abbedingen. Dem Erfüllungsversprechen wird der Rechtsschutz entzogen. Mit der Selbstnobilitierung der Vertragspartner im Gentlemen’s Agreement ist die Entmachtung der Gläubigerposition verbunden. Eine Schuld auf Ehre zu erfüllen kann daher auch nicht als Kennzeichen für ein höheres Maß an Autonomie der Parteien gewertet werden, weil die durch sie legitimierte Folge, der Rechtszwang, abgelehnt wird. Grundannahme des selbstständigen, von rechtlichen Folgen gelösten Ehrversprechens ist die Möglichkeit des Rechtsbruches und die Unehrenhaftigkeit. Darin liegt die paradoxale Struktur des im Gentlemen Agreement angelegten „Ehrversprechens“. Die instrumentelle Verpfändung der Ehre ist als Indiz für eine sittenwidrige Gestaltung zu werten. Der Widerspruch, der in der Übernahme einer Pflicht ohne gleichzeitige Einwilligung in die notfalls rechtliche 291 Bezogen auf den Beweis der Moralität aus der Entscheidung aus Pflicht oder Neigung in der Rechtsphilosophie Kants, O. Höffe, Kants nichtempirische Verallgemeinerung: zum Rechtsbeispiel des falschen Versprechens. In: Höffe (Hg.): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kooperativer Kommentar. 1989, S. 206, 216. 292 Kant, Eine Vorlesung über Ethik, Gerhard (Hg.), Nachdruck 1990, S. 242.

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Zwangsdurchsetzung liegt, muss im Einzelfall durch vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Abbedingung der Zwangsmacht aufgelöst werden können, anderenfalls ist die Abrede sittenwidrig und nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). cc) Naturalobligation als Grenzpunkt einer gegebenenfalls noch zulässigen rechtsgeschäftlichen Gestaltung Das Rechtsverhältnis Gentlemen’s Agreement lässt sich als Vertrag qualifizieren, dessen Leistungsversprechen Naturalobligationen statt Zivilobligationen hervorbringen. Für eine solche Sichtweise spricht, dass auch im Gentlemen’s Agreement keine anderen sozialethischen Werte zugrunde gelegt werden können, als jene, die die Rechtsordnung für die Vertragspartner im Hinblick auf Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Beständigkeit unterstellt. Die allenthalben anzutreffende Rückführung dieser Absprachen auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) belegt diese Annahme293. Selbst wenn man extralegale oder moralische Pflichten für wirksam hielte, so sind diese doch in eine rechtliche Struktur zu überführen. Dazu müssen sie von intrinsischen Überzeugungen gelöst werden und einer objektiven Beurteilung zugänglich gemacht werden. Die Naturalobligation bietet sich als rechtsdogmatische Grundlage für derartige Versprechenstatbestände an. Sie erhält den Gedanken (obligatorischer) Pflicht gegen die eigenliebige Einbildung des Verdienstlichen aufrecht (Kersting)294. Voraussetzung ist, dass die Gentlemen tatsächlich Versprechen gegeben und nicht etwa nur vage Erklärungen oder Absichten geäußert haben. Nur in diesen Fällen sind die Gentlemen’s Agreements als Verträge mit primären Leistungspflichten einzustufen. Es entstehen nicht durchsetzbare Forderungen, was die Möglichkeit eröffnet, Regelungsfragen und Rechtsfolgen an die Vereinbarungen zu knüpfen und ein Mindestmaß an Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen. Wer danach verspricht, aber nicht zumindest eine Naturalobligation will, der will in Wirklichkeit kein Versprechen abgeben und ein Leistungsrecht des Versprechensempfängers oder Dritter begründen 295, sondern täuscht seinen Partner oder die Dritten wie auch alle mittelbar Betroffenen und die Rechtsgemeinschaft. Bei übereinstimmendem Willen der Parteien führt eine solche Gestaltung auch nach Maßgabe von § 117 Abs. 1 und 2 BGB zur Nichtigkeit. Der Be293 Reuss, Die Intensitätsstufen der Abreden und die Gentlemen-Agreements, AcP 154 (1954) 485, 524 hält dafür, das GA im Einzelfall „von den Nachbarlinien aus Vertrag, Naturalobligation und Gefälligkeitsabrede in Funktion und Wirkung zu erschließen“. 294 W. Kersting, Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit, in: Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, 1997, S. 74, 120. 295 Vgl. zu der Auslegungsfrage, ob bei Parteivereinbarungen mit denen der Rechtszwang gänzlich abbedungen werden soll, ein Anspruch überhaupt begründet werden sollte, Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 3, S. 80.

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reich rechtlicher Anerkennungsfähigkeit ist hier – wie in den Fällen des verabredeten Schwarzkaufs von Grundstücken – überschritten 296. Den Parteien ist mangels einer Abwahlbefugnis das Tor in den rechtsfreien Raum verschlossen. Aus § 242 BGB folgt ein rechtsethisches Gebot zum Handeln in den Formen des Rechts297. Die Grenze zulässiger rechtlicher Gestaltungsfreiheit liegt hier in der Begründung von nicht erzwingbaren Leistungspflichten (Naturalobligationen). Die Abschluss- und Inhaltkontrolle eines Gentlemen’s Agreements muss die Besonderheiten dieser Geschäftsform berücksichtigen. Aufgrund der erheblich verminderten Gewinnchancen und der gleichzeitig erhöhten Verlustrisiken sind dahingehende Vereinbarungen im Regelfall sittenwidrig. Wie in anderen Fällen einer rechtsgeschäftlichen Begründung von Naturalobligationen muss daher gefragt werden, aus welchen Gründen die Leistungspflicht nur als Naturalobligation begründet werden sollte298. Dafür sollte es aus der Sicht eines verständigen Dritten aus dem Verkehrskreis der Handelnden plausible Gründe geben. In Betracht kommen eine verbesserte Erfüllungschance bei fehlendem Zwang, ein messbarer wirtschaftlicher Nutzen aus dem Beweis moralischen Handelns durch freiwillige Pflichterfüllung und gegebenenfalls ein legitimes, besonderes Geheimhaltungsinteresse. Sofern sich die selbst so bezeichnenden Gentlemen zu bestimmten oder bestimmbaren Leistungen gegenseitig verpflichten, kann und sollte die Obligationsstruktur des § 241 Abs. 1 zugrundegelegt werden. Mit deren Hilfe wird die Beziehung auch gegen den Willen ihrer Akteure rationalisiert und verrechtlicht. Auf dieser Basis kann die Vereinbarung einer Abschluss- und Inhaltkontrolle nach den allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln unterworfen werden. Die Naturalobligation bildet sonach den Grenzpunkt einer gegebenenfalls noch zulässigen rechtsgeschäftlichen Gestaltung.

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Der rechtsunwirksame Vertrag bildet keine geeignete Rechtskategorie, vgl. oben C. V. 4. b) dd) (2) (a) u. (b), S. 619 f. 297 Abgeleitet aus Kants rechtsethischem Postulat des öffentlichen Rechts, Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie. JZ 1991, 893, 896 und oben C. V. 4. b) dd) (b), S. 617. 298 In Anlehnung an Unger, Die Naturalobligationen des österreichischen Rechts, GrünhZ 15 (1887/88) 371, 372 f. Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung. Rückforderungsausschluss und Heilung nach § 1432 ABGB, Wien, 1998, S. 173 (Wesen der formnichtig erfüllbaren Schuld und Modell der Naturalobligation); siehe oben C. IV. 5., S. 509.

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VI. Justiziabilität der Naturalobligation Wie die vorstehende Analyse gezeigt hat, stellt die Naturalobligation in der hier vorgestellten dogmatischen Gestalt eine subjektive Rechtsposition dar. Sie ist damit auch justiziabel1.

1. Prozess- und Prozesshandlungsvoraussetzungen Das Forderungsbegehren aus einer Naturalobligation ist relational, unabweisbar und ausreichend bestimmt. Ein Klagegegenstand kann daher durch den Klageantrag klar gefasst werden (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)2. Auch die sachlichen und die persönlichen Prozessvoraussetzungen liegen vor. So ist für Klagen aus Naturalobligationen der (Zivil-) Rechtsweg eröffnet (§ 13 GVG)3. Der Naturalschuldner unterliegt ferner der Gerichtsbarkeit und ist nicht von ihr befreit (§§ 18 – 20 GVG)4. Die Naturalobligation ist nicht Ausdruck eines minderen Rechtsstatus der aus ihr Berechtigten oder Verpflichteten. Anders als beim Sklaven im römischen Recht, liegt kein Fall fehlender Parteifähigkeit vor (§ 50 1

Der Rechtsbegriff ist auf justiziable Regeln des äußeren Verhaltens ausgerichtet und zugleich auf sie beschränkt, vgl. H. Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, 1963, S. 93 (Recht ist die Gesamtheit justitiabler Regeln des äußeren Verhaltens); die Gerichtsfähigkeit ist zugleich das Abgrenzungsmerkmal zwischen Recht und Gewohnheit. Es tritt an die Stelle von Zwang, der in frühen Gesellschaften ohnehin nicht nur physische, sondern auch psychische, religiöse, magische, materielle und gesellschaftliche Zwänge kennt, vgl. U. Wesel, Bemerkungen zu einer evolutionistischen Theorie des Rechts. In: Nörr, Simon (Hg.): GS für Wolfgang Kunkel, 1984, S. 523, 552 f. An die Stelle von Zwang tritt damit die Kontrollfähigkeit einer äußeren Verhaltensregel. Unter Bezugnahme auf Kantorowicz Jean Carbonnier, Rechtssoziologie, 1974, S. 126 (Es kommt für die Rechtsdefinition auf die Möglichkeit eines Urteils an). 2 Rechtsschutzform und Rechtsfolgen werden durch den Klageantrag eindeutig bestimmt festgelegt, zur Bedeutung des Klageantrags, Thomas/Reichhold, ZPO, 24. Aufl. 2002, Einl. II Rn. 15 u. § 253 Rn. 11. 3 Selbst eine dahingehende Parteivereinbarung wird nicht als Rechtswegausschluss anerkannt, sondern, sofern nicht im konkreten Fall sittenwidrig, als Klagbarkeitsausschluss. Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 13 GVG Rn. 5. Darunter sei die vertragliche Abschwächung des materiellrechtlichen Anspruches (ähnlich den kraft Gesetzes unklagbaren Ansprüchen aus Spiel und Wette usw) zu verstehen (ebd.). 4 Selbständiges Prozesshindernis der sachlichen oder persönlichen gerichtlichen Immunität, Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl. 2005, Vorbem. zu §§ 18–20 GVG Rn. 3.

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ZPO). Ebenso wenig fehlt die Prozessfähigkeit (§§ 51, 52 ZPO), wie bei den obligationes naturales der Ehefrau sowie der Kinder und Mündel im römischen Recht5. Die an die Kaufmannseigenschaft oder den Informationsstand anknüpfende Börsentermingeschäftsfähigkeit, mit der eine eigene Börsenrechtssphäre abgegrenzt werden sollte 6, ist nie als eine Frage der Prozessfähigkeit eines Beteiligten verstanden worden. Klagen von oder gegen nicht terminfähige Personen (§§ 52, 53 und 55 BörsG a.F.) scheiterten also nicht an einer gegenständlich beschränkten Prozessunfähigkeit der handelnden Person 7. Das fehlende Klagerecht war die Folge des Termineinwandes, einem dem Schuldner zugewiesenen unselbständigen materiellen Gegenrecht(§ 55 BörsG a.F.). Der Termineinwand musste nicht erhoben werden, sondern war ebenso wie Spiel- und Differenzeinwand (§§ 762 Abs. 1 S. 1, 764 BGB) von Amts wegen zu berücksichtigen8. Auch Einredepositionen, die zu einer Naturalisierung des Hauptrechts führen, wie etwa aufgrund des gesetzlichen Verjährungseintritts oder aufgrund eines dahin ausgestalteten pactum de non petendo, werden materiellrechtlich geregelt9.

2. Materielles Gegenrecht des Schuldners zur Befreiung von prozessualem Zwang Die materiellrechtliche Regelung einer Naturalobligation kann auch aktionenrechtlich verstanden werden. Termin-, Spiel- und Differenzeinwand zeigen die Besonderheit, dass sie nicht erhoben werden müssen10 und zugleich keine rechtszerstörende Wirkung haben. Die Forderung bleibt erfüllbar und die Gleichwohl5

Siehe dazu oben B. I. 1. b) dd), S. 68. Assmann, Börsentermingeschäftsfähigkeit, in: Kübler (Hg.), FS für Theodor Heinsius, 1991, 1, 11 „Konzept, demzufolge verbindliche Börsentermingeschäfte nur innerhalb einer durch personelle Ein- und Ausgrenzung der Teilnehmer herbeizuführenden, im übrigen aber unreglementierten „Börsenrechtssphäre“ geschlossen werden können“. 7 Partielle Prozessunfähigkeit als Gegenstück partieller Prozessfähigkeit etwa bei teilgeschäftsfähigen Minderjährigen (§§ 112, 113 BGB), Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 52 Rn. 8 u. 10. 8 Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2002, § 762 Rn. 14 u. § 764 Rn. 23; der Einwand führt zur beschränkten Wirksamkeit des Börsentermingeschäfts, die eine Naturalobligation bedeutet. Der Gläubiger darf Erfüllung verlangen, der Schuldner kann schuldbefreiend erfüllen, aber er kann rechtlich nicht zur Erfüllung gezwungen werden, vgl. Schwark, BörsG, 2. Aufl. 1994, § 55 Rn. 11 ff. (Grundlage sei eine sittliche Pflicht). 9 Zur historischen Entwicklung eines materiell-rechtlichen Einredebegriffs im gemeinen Recht, der in seinem heutigen Verständnis maßgeblich durch Windscheid beeinflusst wurde, vgl. Roth, Die Einrede im Bürgerlichen Recht, 1988, S. 8 ff., 28 f. (Paradigmenwechsel in der Einredelehre). 10 Darin liegt der spezifische Unterschied zwischen der Einwendung und der Einrede, vgl. grundlegend Roth, Die Einrede im Bürgerlichen Recht, 1988, S.126 ff., 128; Medicus, Allg. Teil des BGB, 7. Aufl. 1997, § 13 Rn. 92. A.A. P. Schlosser, Selbständige peremptorische Einrede und Gestaltungsrecht im deutschen Zivilrecht, JuS 1966, 263, 265; Roth verlangt ge6

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leistung darf behalten werden (§§ 762 Abs. 1 S. 2, 764 S. 1 BGB a.F., § 55 BörsG). Dauernde Einreden haben dagegen grundsätzlich eine starke Wirkung, d.h. sie zerstören die Forderung. Die Gleichwohlleistung ist rückforderbar (§ 813 Abs. 1 S. 1 BGB). Ausnahmen gelten für die verjährte und für die gestundete Forderung (§§ 813 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB). Termin-, Spiel- und Differenzeinwand werden damit von der üblichen Einteilung nicht erfasst11. Der Einwand bedeutet in der Sache eine eigenständige Rechtsfolgengestaltung. Die Forderung ist nicht unwirksam oder nichtig, sondern nur ihre Durchsetzbarkeit ist dauernd aufgehoben. Regelungstechnisch haben Gegenrechte den Vorteil, dass das Hauptrecht erhalten bleibt12. Das Gegenrecht schwächt oder neutralisiert das Hauptrecht. Entfällt es, so kann die Forderung unbeschränkt fortbestehen, ohne dass es eines neuen Begründungsaktes bedürfte. Eine solche „Wiederbelebung“ geschieht, wenn dem Schuldner das Gegenrecht, etwa aufgrund seines unredlichen Verhaltens, durch die replicatio doli genommen wird (§ 242 BGB)13. Mit dem Wegfall des Gegenrechts erlangt das Forderungsrecht die Eigenschaft (zurück), durchsetzbar zu sein14. Die Forderungsposition wird damit unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverhaltens variabel gestaltbar.

gen die h. L. ferner die gerichtliche Geltendmachung und stuft die Einrede als Gestaltungsbeklagtenrecht ein. Ebd. S. 129. 11 Vgl. Medicus, Allg. Teil des BGB, 7. Aufl. 1997, § 13 Rn. 94; Roth, Die Einrede im Bürgerlichen Recht, 1988, S. 37. 12 Sonst macht diese Gestaltung keinen Sinn. Gegenrechte werden in der richterlichen Prüfung erst berücksichtigt, wenn das Hauptrecht besteht (d.i. schlüssig dargelegt wurde) und der entsprechende Vortrag daher rechtlich erheblich ist. Das entspricht richterlicher Relationstechnik. 13 BGH NJW 1991, 2705, 2706; vgl. Lang, ‚Börsentermingeschäftsfähigkeit‘ von privaten Anlegern auch ohne Unterzeichnung des Informationsmerkblatts? ZBB 1999, 218, 226: Der wohlinformierte Anleger mit überlegenem Wissensstand könne sich nach Treu und Glauben nicht auf den Termineinwand berufen. Die Forderung sei daher verbindlich. Im geltenden Recht ist § 242 BGB allerdings nicht mehr als ein Gegenrecht (exceptio und replicatio) ausgestaltet, vgl. Kupisch, Exceptio doli generalis und indicium bonae fidei – zur Frage der Inhärenz bei Verträgen nach Treu und Glauben, in: Baums, u.a. (Hg.), Festschrift für Ulrich Huber, 2006, S. 401, 407. 14 Oftmals geschieht dies in aktionenrechtlicher Diktion dahin, dass sich der Schuldner auf bestimmte Umstände nicht (mehr) berufen könne. Das ermöglicht eine konsistente Dogmatik, wenn nur einzelnen Personengruppen bestimmte Rechtswohltaten erhalten sollen. So hat der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform in § 475 Abs. 1 S. 1 BGB dem Unternehmer in der Schuldnerstellung Gegenrechte entzogen, die dieser sich vertraglich einräumen ließ. Danach „kann“ sich der Unternehmer auf vereinbarte Haftungsfreizeichnungen gegenüber Verbrauchern (vertragliche Gegenrechte) nicht berufen.

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C. Systematischer Teil

3. Fehlende Klagebefugnis (Ausschluss der Klagbarkeit) Klagebefugnis und Klagbarkeit bedeuten dasselbe. Die Klagebefugnis ist die subjektive Rechtsposition des Gläubigers, das materielle Recht klageweise geltend zu machen. Die Klagbarkeit beschreibt diese Rechtsposition dagegen als eine Eigenschaft der Forderung. Im Falle der Naturalobligation fehlt dem Gläubiger auch die Befugnis zur Erhebung einer Leistungsklage. Die Forderung ist nicht klagbar, d.h. sie kann nicht im Klagewege durchgesetzt werden15. Streitig ist die rechtliche Qualifikation der Klagebefugnis bzw. der Klagbarkeit. Rechtsprechung und herrschende Lehre stufen sie als eine materiell-rechtlich geregelte Eigenschaft des subjektiven Rechts ein16. Das führt im Falle ihres Fehlens zur sachlichen Abweisung der Klage als unbegründet17 und verweist auf eine materiellrechtliche Spezifizierung der Forderung. Nach anderer Auffassung stellt die Klagbarkeit die durch das Prozessrecht geregelte Befugnis dar, einen Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Fehlende Klagbarkeit führt dann zur Klageabweisung als unzulässig18. In diesem Streit hat Gerhard Wagner sich für eine prozessuale Qualifikation des Klagerechts entschieden. Sein Hauptargument geht dahin, dass eine eigenständige materiell-rechtliche Klagbarkeit eine redundante Verdopplung der materiellen Einforderungsbefugnis darstelle19. Für eine materiellrechtlich verstandene Klagbarkeit sieht er im Anschluss an Ernst Wolf 20 keinen Bedarf. Die herrschende Meinung geht stattdessen von einem materiellrechtlichen Klagerecht parallel zu einem prozessualen Klagerecht aus. Das prozessuale Klagerecht entscheidet über die staatliche Rechtsschutzgewährung unter spezifisch öffentlich-rechtlichen (hoheitlichen) Gesichtspunkten 21, aber nicht unter dem Blickwinkel der Berechtigung zur Klage inter partes. 15

Differenzierungen im Rahmen der „Klaglosigkeit“ bleiben möglich, wie insbesondere der Entzug der Befugnis zur Leistungsklage unter Erhalt der Befugnis zur Feststellungsklage, vgl. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 4 III 2, S. 78. 16 Vgl. Roth, Die Einrede im Bürgerlichen Recht, 1988, S. 302 mN (selbst offen lassend). 17 BGH v. 4.3.2004, NJW-RR 2004, 778, 780 (Partnerschaftsvermittlung). 18 G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 412 ff. Zustimmend Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, Vor § 253 GVG Rn. 19; ebenso Thomas/Reichhold, ZPO, 24. Aufl. 2002, Vorbem. § 253 Rn. 33. Es handelt sich danach um eine eigene Prozessvoraussetzung. Denkbar wäre auch, einen Fall fehlender Prozessführungsbefugnis kraft prozessualen Rechts im Sinne von § 51 ZPO anzunehmen. 19 G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 415 (gegen die Annahme einer materiell-rechtlichen Klagbarkeit). Unstreitig kann aber zwischen der Disposition über das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis und über das Prozessrechtsverhältnis unterschieden werden, wie insbesondere der innerprozessuale Klageverzicht und die Klageanerkennung (§§ 306 f. ZPO) zeigen. 20 E. Wolf, Zum Begriff des Schuldverhältnisses, in: Schwinge (Hg.), Festgabe für Heinrich Herrfahrdt, 1961, S. 197, 204 (Klagbarkeit ist rein prozessrechtliche Berechtigung). 21 So ist der öffentliche Rechtsschutzanspruch etwa in Fällen von Immunität betroffen (§§ 18–20 GVG).

VI. Justiziabilität der Naturalobligation

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Zurückzuweisen ist die Argumentation Wagners, dass Klagebefugnis und Einforderungsbefugnis auf materiell-rechtlicher Ebene eine redundante Verdopplung bedeuten. Die Naturalobligation belegt das Gegenteil. Eine Klagebefugnis kann von der Einforderungsbefugnis getrennt gesehen und eigenständig zu- oder aberkannt werden. Insbesondere entfällt die Einforderungsbefugnis nicht bereits dann, wenn die Klagbarkeit fehlt. Die Einforderungsbefugnis bildet die Grundlage für eine Reihe von Einzelbefugnissen des Gläubigers, ohne deshalb mit ihnen jeweils notwendig verknüpft zu sein. Die rechtlichen Zwangsmittel, zu denen auch die außergerichtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten wie etwa die Aufrechnung gehören, können fehlen, ohne dass deshalb die Einforderungsbefugnis entfällt. Das Einforderungsrecht kann ohne das Klagerecht gedacht werden. Beide sind also weder identisch noch notwendig miteinander verknüpft. Eine materielle Klagebefugnis muss deshalb keine redundante Verdopplung der materiellen Einforderungsbefugnis sein 22. Die Naturalobligation zeigt diese Entkopplung, weil bei ihr die Einforderungsbefugnis besteht und dennoch alle rechtlichen Zwangsbefugnisse fehlen. Die Sachabweisung ist hier also nicht mangels Einforderungsbefugnis, sondern mangels materiellrechtlicher Klagebefugnis geboten.

4. Rückforderungsklage und Feststellungsbefugnis Die Bestimmtheit der Naturalobligation und die grundsätzliche Zwangseignung ermöglichen eine gerichtliche Prüfung. Die Naturalobligation schließt nur die Leistungsklage aus. Damit ist die Klage auf Erfüllung einschließlich der Nacherfüllung, auf Schadensersatz statt der Leistung sowie auf Schadensersatz wegen verzögerter Leistung ausgeschlossen. Alle anderen Rechtsschutzformen bleiben aber bestehen und sind gerichtlich durchsetzbar. Entstehung, Inhalt und Umfang einer Naturalobligation werden im Regelfall im Rückforderungsstreit als Negativmerkmal des Rückforderungsrechts relevant. Die Klage kann hier aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Rücktrittsrecht, aus einer Minderung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung resultieren. Ist etwa im Falle von Spiel und Wette nach dem Vertragsschluss die Spielveranstaltung aus Gründen ausgefallen, die der Spieler nicht zu vertreten hat, so folgt das Rücktrittsrecht und das Rückforderungsverlangen seines Einsatzes aus §§ 762 Abs. 1, 323 oder 326, 346 ff. BGB. Das Behaltensrecht entsteht erst, wenn das Spiel wie ver-

22 So G. Wagner, Prozeßverträge. Privatautonomie im Verfahrensrecht, 1998, S. 415 (Das materiell-rechtliche Verständnis der Klagbarkeit führt zu einer redundanten Verdopplung der Einforderungsbefugnis). Wagner hält die Naturalobligation aber auch für einen Fall fehlender Einforderungsbefugnis, so dass diese seiner These nicht entgegensteht (ebd. S. 414).

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C. Systematischer Teil

einbart stattgefunden hat 23. Der Spielveranstalter erwirbt es dadurch, dass er seine (naturale) Verpflichtung aus dem Spielvertrag erfüllt. Über den Bestand des Forderungsrechts kann ferner im Wege der positiven oder negativen Feststellungsklage entschieden werden. Voraussetzung ist ein rechtliches Interesse an der Feststellung (§ 256 ZPO). Wann ein solches Feststellungsinteresse anzuerkennen ist, muss an dieser Stelle nicht abschließend bestimmt werden. Die Zuerkennung einer Naturalobligation durch den Gesetzgeber bedeutet jedenfalls die Einräumung einer subjektiven Rechtsposition, so dass deren positive oder negative Feststellung auch ein berechtigtes rechtliches Interesse darstellen kann. Voraussetzung ist ferner, dass der Schuldner seine Leistungspflicht bestreitet 24. Anerkennt er die Leistungspflicht und erfüllt er sie dennoch nicht, so muss der Gläubiger die Pflichtverletzung klaglos hinnehmen. Auch ein dahingehendes Feststellungsinteresse besteht nicht. Der Schuldner kann daher die Rechtsbehauptung des Gläubigers, er, der Schuldner, erfülle seine Pflicht nicht, ebenfalls nicht abwehren. Besteht die Naturalobligation, so ist die negative Feststellungsklage des Schuldners als unbegründet abzuweisen. Bestreitet der Schuldner das Recht, so kann der Gläubiger dessen Bestehen positiv feststellen lassen (§ 256 ZPO). Eine Klage auf Feststellung ist bei erst festzustellender „sittlicher Pflicht“ ausgeschlossen. Die einschlägigen Normen knüpfen tatbestandlich an eine bereits erfolgte Leistung an und erlauben die richterliche Feststellung nur ex post. Das betrifft zunächst die Fälle der sittlichen Pflicht oder Anstandsrücksicht als unbestimmten konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriffen (obligatio ex societate). Ferner gilt es aber auch im Rahmen des schenkungsrechtlichen Sonderregimes für bestimmte Zuwendungen in Erfüllung sittlicher Pflichten (§§ 534, 1375, 1425, 1641, 1804, 2113, 2205, 2207, 2330 BGB) und im Rahmen von § 814 Hs. 2 BGB. Auch im Falle des § 1624 BGB ist durch die tatbestandliche Fassung klargestellt, dass erst nach einer erfolgten Leistungsbewegung ein Leistungspflichtverhältnis festgestellt werden kann. Aufgrund dieser ex post Regelung ist ein Anspruch auf Erfüllung sittlicher Pflichten und entsprechend auch eine gerichtliche Feststellung des Bestehens dieser Pflicht vor ihrer Erfüllung ausgeschlossen. 23 Auf diese Frage findet sich in der Literatur keine klare Antwort. Die Rückforderung wird zugelassen, wenn der Spielvertrag nichtig (wegen Geschäftsunfähigkeit, Gesetzesverstoß oder Sittenwidrigkeit) oder angefochten (Irrtum, Täuschung) ist. Wird die Spielteilnahme nach Vertragsschluss einseitig verweigert, so soll ein Fall des § 812 Abs. 1 S. 2 (condictio ob rem) vorliegen, der die Rückforderung eröffnet. § 815 BGB stehe nicht entgegen, da die Verhinderung des Erfolgseintritts erlaubt sei und damit nicht gegen Treu und Glauben verstoße, vgl. Staudinger/Engel, BGB, 13. Bearb. 2002, § 762 Rn. 27. Hier scheint es vorzugswürdig, die Bejahung des Spielvertrages ernst zu nehmen und Leistungsstörungen über eine Naturalobligation nach Vertragsrecht zu behandeln, denn es geht nicht darum den Schuldner zur Erfüllung zu zwingen. Siehe oben C. IV. 5. c), S. 522. 24 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, § 93 III, S. 521 f.

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1. Die personale Bindung ist in den Anfängen des antiken Rechts im Bild des gefesselten Schuldners virtualisiert. Das physische Gebundensein wandelt sich zu einer rechtlichen Bindung, dem iuris vinculum. Die Rechtsfessel beschreibt die Verpflichtung des Schuldners (obligatio) und folgte entweder unmittelbar aus einem Treueversprechen oder wurde aus der Zwangsdrohung für den Fall des Rechtsbruches reflexhaft erzeugt. Nach anderer Auffassung drückte die obligatio nur die Herrschaft des Gläubigers über den gebundenen Schuldner aus und beschrieb das Unterwerfungsverhältnis, im neuzeitlichen Sinne die Haftung des Schuldners. Auch der die Verpflichtung begründende Rechtsakt wurde als obligatio bezeichnet. Natura bedeutete vermutlich die Natur des Rechtsgebildes Obligation. Natural kennzeichnet mithin die ursprünglichen und notwendigen Eigenschaften der Obligation als einer normativen Gegebenheit mit bindender Wirkung unter Personen. Mit der obligatio naturalis könnte ferner die natürliche menschliche Fähigkeit ausgedrückt worden sein, sich jemanden zu verpflichten oder von jemandem verpflichtet zu werden. B. I. 1. a), S. 49. 2. Die obligatio naturalis dürfte im ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert als rechtstechnische Figur entwickelt worden sein. Ihre Funktion bestand in der rechtlichen Erfassung von Leistungsbewegungen, an denen Sklaven oder andere nicht rechtsfähige Personen (Kinder, Ehefrauen, Mündel) beteiligt waren. Obligatio naturalis steht für die gerichtlich nicht durchsetzbare Verbindlichkeit. Sie ist der obligatio civilis nachgebildet. Praktisch bedeutsam ist sie für die aktive und passive Sklavenschuld. Zweck dieser Rechtsbildung war jedoch nicht der Schutz des Sklaven, sondern seine Funktionalisierung im Geschäftsverkehr. Über das dem Herrn gehörende, aber dem Sklaven zugeordnete Sondervermögen (peculium) konnte der Herr eigenwirtschaftliche Ziele verfolgen und dabei eine Haftungsbeschränkung in Höhe des peculiums erreichen. Ganz oder partiell geschäftsfähige Personen konnten in den Kreis potentieller Gläubiger und Schuldner aufgenommen und in den Geschäftsverkehr integriert werden. B. I. 1. b), S. 57. 3. Bei der obligatio naturalis ist von einer herkömmlichen Obligation auszugehen, welche auch durch ein Leistungsversprechen begründet werden konnte. Die Rückforderung erbrachter Leistungen war ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich der obligatio naturalis war nicht auf den Fall einsichtsfähiger, aber nicht rechtsfähiger Menschen beschränkt. Wie das nur formlos gegebene Zinsversprechen zeigt, konnte der aus Sicht des ius civile spezifisch rechtliche Mangel, der zur obligatio naturalis führte, seine Ursache auch im Verpflich-

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tungsgrund haben. Obligatio naturalis meint in einer weiteren Abstraktionsstufe insgesamt Rechtsstellungen, aus denen aus bestimmten Gründen nicht geklagt und nicht vollstreckt werden kann. Funktional kennzeichnet „obligatio naturalis“ damit die obligatorische Gebundenheit des Schuldners ohne einen gerichtlichen Schutz für den Gläubiger. B. I. 1. c), S. 69. 4. Die römischrechtliche Quellenlage ist insoweit unsicher, als über die Klassizität des weiter gefassten, aus dem ius gentium abgeleiteten und ratio naturalis verwendeten Begriffs der obligatio naturalis keine Einigkeit besteht. Ein maßgeblicher Grund hierfür dürfte in der nur undeutlich rekonstruierbaren Vorstellung von den Rechtsquellen und ihren wechselseitigen Verschränkungen liegen. Ius civile, ius gentium und ius naturale stehen nicht selbständig nebeneinander, sondern überschneiden sich. Die herrschende Auffassung geht dahin, dass das ius gentium das ius naturale mitumfasste und dem ius civile gegenübertritt. Das ius naturale ist jedenfalls aus moderner Sicht ein Motiv der Regelbildung, aber nicht selbst Rechtsquelle. Das römische Recht hat keine feststehende Theorie der obligatio naturalis entwickelt. Im Laufe der Zeit übernahm die Rechtsfigur die Funktion einer Billigkeitsregel und rechtfertigte Güterbewegungen unter dem Gesichtspunkt einer naturalen Pflicht des Gebers gegenüber dem Empfänger (Erfüllung eines formfehlerhaften Versprechens, Arbeitspflichten des freigelassenen Sklaven usf.). Die operationale Gestalt als Forderung drohte verloren zu gehen, weil die pflichtenbegründenden Tatbestände nicht klar abgrenzbar und nicht systematisch erfassbar erschienen. Die Ausweitung des Begriffsfeldes hin zur aequitatis naturalis führt zu einer kaum fassbaren Obligation aus Billigkeitsgründen, die auch in der Rezeption zu Missverständnissen und Kritik Anlass gab. B. I. 1. d), S. 74. 5. Den germanischen Volksrechten ist die Naturalobligation nicht bekannt gewesen. Die Trennung von Pflicht und Gerichtszwang zeigt die rechtliche Ausformung der Wette im germanischen Recht. Die Wette war danach in alter Zeit verbindlich und rechtwirksam, vermittelte aber keine Klagebefugnis. Der Grund lag in dem praktischen Umstand, dass der Wettende mit seinem Wetteinsatz bereits die Ersatzleistung erbracht hatte. Erwies sich seine Behauptung als unrichtig verfiel der Wetteinsatz. Für Leistungsklage und gerichtliches Urteil blieb kein Raum. Die Wette wurde aus diesem Grunde als „Verwillkürung“ im Sinne einer rein privaten Abwicklung verstanden; sie war verbindlich, aber nicht klagbar. Die Anerkennung von Verträgen bei gleichzeitig fehlender Klagebefugnis ist als Modell in die Vorschriften der §§ 762 f. BGB für Spiel- und Wettverträge eingegangen. B. I. 2. a) aa), S. 82. 6. In seiner naturalistischen Grundstruktur entsprach das vertragliche Versprechen des germanischen Rechts einer Wette. Die Behauptung, dass ein bestimmtes künftiges Ereignis eintreten werde, wurde mit einer bedingten Selbstverurteilung für den Fall verbunden, dass es nicht eintritt. Die Wette bildet so eine Art Urform für die Entstehung einer Handlungspflicht durch Selbstver-

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pflichtung. Sie zeigt dabei das Gegenmodell zu einer Verpflichtung nach der römisch-rechtlichen stipulatio, die die Handlungspflicht aus dem Antwortverhalten des Schuldners ableitet. Mit dem Wetteinsatz zur Bekräftigung der eigenen Behauptung hat sich ein Geschäftsmodell entwickelt, das ohne Gerichtsschutz funktionsfähig gewesen zu sein scheint. B. I. 2. a) bb), S. 83. 7. Die Vertragshaftung wurde bereits in germanischer Frühzeit durch eine Personen- oder Sachhaftung sichergestellt, wobei das Leistungsversprechen und die Sanktion getrennt voneinander gedacht werden (Vergeiselung, Verfallpfand). Mit dem Versprechen bindet (verwillkürt) sich der Schuldner selbst und begründet eine Schuld. Das Selbsturteil kann eigenständig als eine bedingte Haftungsfolge gesehen und rechtlich ausgestaltet werden. An diese Trennung zwischen verletzter Pflicht und Zugriffrecht knüpft die im 19. Jahrhundert entstehende Lehre von Schuld und Haftung an. B. I. 2. a) cc), S. 85. 8. Die mittelalterliche Rezeption des römischen Rechts übernimmt das weite, eher unspezifische Begriffsverständnis der obligatio naturalis als Billigkeitsregel. Sie ist Ausdruck allgemeiner und ursprünglicher Verpflichtung. Die Naturalobligation der Frührezeption ist der Vorläufer einer sich auf scholastischen Grundlagen ausbildenden unvollkommenen Verbindlichkeit. Nach der Glossa ordinaria des Accursius besitzt jede Obligation ein naturales und ein ziviles Element. Das zivile kann aber unter Umständen entfallen und lässt dann die nur naturale Schuld übrig (obligatio naturalis tantum). Die systematische Erschließung orientierte sich nach dem ius civile. Dieses entscheidet, ob eine obligatio naturalis das Attribut „naturalis tantum“ erhält. Naturalis tantum wird zum Kennzeichen eines engeren, eigentlichen oder technischen Begriffs der Naturalobligation. Es ist die vom ius civile nicht anerkannte obligatio. B. I. 2. b) aa), S. 87. 9. Vertreter der französischen Schule haben im 16. Jahrhundert die Einteilung der obligationes verändert. Cujacius erklärt die natürliche aequitas zur Quelle allen Rechts. Die ursprünglich unvollkommene naturale Pflicht entwickelt und vervollkommnet sich zur Rechtspflicht, dem iuris vinculum. Donellus unterscheidet obligatio perfecta und obligatio imperfecta. Zu den unvollkommenen Rechtspflichten gehören die obligatio naturalis tantum und die obligatio civilis nuda. Donellus sieht das Kennzeichen der unvollkommenen Obligation im fehlenden Klagerecht. B. I. 2. b) bb), S. 89. 10. Vertreter der deutschen Schule entwickeln in scholastischer Tradition die Pflichtlehren aus der göttlich geprägten lex naturalis. Giphanius unterscheidet die technisch-juristische obligatio naturalis, von der obligatio naturalis im philosophischen Sinne. Der ersten fehle die actio, die zweite werde vom ius civile ganz ignoriert. Zu ihr zählen Dankesschulden und Gehorsamspflichten, die nicht durch Erfüllung erlöschen, sondern fortdauern. Stryk unterteilt die obligationes naturales in rechtliche obligationes plenae und religiös-ethische obligationes minus plenae. B. I. 2. b) cc), S. 90.

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11. Die neueren naturrechtlichen Lehren übernehmen die Aufgabe, Recht und Ethik zu trennen und die religiösen Überformungen abzustreifen. Noch im neuzeitlichen Naturrecht steht hinter der obligatio naturalis aber auch ein philosophisches Grundkonzept. Die lex naturalis bringt den göttlichen Willen zum Ausdruck und ist Quelle allen Rechts. Sie kennzeichnet damit den religiös und später metaphysisch fundierten Rechtsbegriff. B. I. 3.), S. 91. 12. Die naturrechtlichen Pflichtlehren beruhen auf der Annahme, es gäbe eine vorpositive Grundlage allen Rechts. Das Recht entwickele sich aus einem status naturalis. Mit einem „natürlichen Privatrechtsbegriff“ werden den Untertanen im 17. und 18. Jahrhundert Freiräume erhalten. Eine obligatio naturalis beschreibt hier Bindungstatbestände, die auf natürlichen Vergesellschaftungsprozessen beruhen. Bei Wolff ist Ursprung der obligatio naturalis die Natur, die im Wesen des Menschen und der Dinge ihren hinreichenden Grund hat. Der Mensch stellt sich kraft eigener Vernunft unter das teleologisch gedachte und auf Vollkommenheit abzielende natürliche Gesetz. Den natürlichen Pflichten korrespondieren natürliche angeborene Rechte, die iura connata. Das Bild eines ursprünglichen Zustandes findet auch auf die Vertragsgemeinschaft Anwendung. Ein natürliches Vertragsrecht postuliert die bindende Kraft von menschlichen Handlungen und Verträgen unabhängig von einem Gesetzgeber. Die bindende Kraft ist bereits vorrechtlich im status naturalis vorhanden. In der rechtlich verfassten Gesellschaft wird Vollkommenheit erst in der staatlich verfassten Gemeinschaft erreicht. Dem status naturalis ist ein status civilis entgegengesetzt, der nach den Präzisierungen Kants seine Grundlage im öffentlichen Staatsrechts hat. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass das öffentliche Recht auch die Grundlage für das Privatrecht bilde. B. I. 3. b) aa), S. 99. 13. Für die naturrechtliche Epoche ist ein theoretischer Zusammenhang von Verbindlichkeit und Zwang kennzeichnend. Die vis coactiva gilt zunächst als notwendiges Merkmal der Rechtspflicht, die aus Furcht vor äußerem Zwang befolgt wird. Es ist Christian Wolff der erstmals die Vorstellung von einer Rechtsverbindlichkeit ohne Zwang entwickelt. Die sittliche Pflicht ist nach seiner Lehre ein Bestandteil des Rechts. Im vernunftrechtlichen Denken entsteht die obligatorische Bindung aus der sittlichen Pflicht, die schließlich keine religiöse Grundlage mehr voraussetzt. Kant ist verantwortlich für das Verständnis eines aus Vernunft und Freiheit metaphysisch begründeten Sittengesetzes, das die Einhaltung des Versprochenen als eine unabweisbare Verbindlichkeit ausweist. Kant überwindet damit die Zwangsbedingung des Rechts durch das Freiheitspostulat. Das Recht als Ausprägung des Sittengesetzes legitimiert den Zwang, setzt ihn aber nicht voraus. Auch eine Pflicht zur Zwangsanwendung besteht nicht. B. I. 3. b) bb), S. 103.

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14. Der Terminus unvollkommene Verbindlichkeit geht auf die Vollkommenheitsvorstellung des Naturrechts zurück. Die Aufmerksamkeit galt der Frage, die Pflichtenstellung des Menschen zu differenzieren, namentlich Rechtspflichten von religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Pflichten zu unterscheiden. Unter Zurückdrängung geistlicher Deutungsherrschaft wurde die Vollkommenheit einer Pflicht mit der Rechtspflicht identifiziert. Unter einer unvollkommenen Verbindlichkeit war danach die bloß sittlich-moralische Pflicht zu verstehen. B. I. 3. c), S. 105. 15. Die vormodernen Naturrechtslehren entwickeln den Begriff der unvollkommenen Verbindlichkeit. Hugo Grotius und Samuel Pufendorf bereiten die Begriffsbildung vor, indem sie die Pflichten der Mitmenschlichkeit, die officia humanitatis, als minus perfecta facultas einstufen. Der vollkommenen Rechtspflicht steht die unvollkommene Moralpflicht zur Seite. Domat dagegen rezipiert die römisch-rechtliche obligatio naturalis unter der Kategorie der obligation imparfaite, weil ihr die Klagbarkeit fehle. Thomasius trennt die lex naturalis von dem erzwingbaren positiven Recht. Sie ist unvollkommene, sittliche Pflicht ohne Rechtscharakter. Gundling reintegriert die unvollkommene Pflicht in den von ihm einheitlich gedachten Bereich von Sitte und Recht. Pothier greift die auf Thomasius zurückgehende Recht-Pflicht-Korrespondenz als principium iusti auf. Die zwanglose obligatio naturalis vermittelt aber ebenso einforderbare Rechte gegen andere Menschen und ist danach ebenfalls „juridique et parfaite“. „Imparfaite“ sind dagegen die religiösen Pflichten gegenüber Gott. Die Systematisierung der Pflichten im vormodernen naturrechtlichen Denken orientiert sich an deren Zweck für die Gemeinschaft. Unterschieden werden das negative Prinzip der Koexistenz zum Bestand der Gemeinschaft und das positive Prinzip der guten Gemeinschaft. Für ersteres werden vollkommene Rechte und Pflichten begründet, während letzteres nur unvollkommene Rechte und Pflichten kennt. B. I. 3. c) aa), S. 105. 16. Im aufgeklärten Vernunftrecht tritt die Natur des Menschen als Geltungsgrund individueller Rechte und Pflichten in den Vordergrund. Verstand und Vernunft werden zu Rechtsquellen. Die Pflichtlehren der Vollkommenheit wurden dementsprechend nach Vernunftkriterien entworfen. Christian Wolff leitete eine natürliche Verbindlichkeit aus dem sozialen Liebesgebot ab. Der Einzelne ist danach gehalten, das gemeinsame Wohl mit vereinigten Kräften zu befördern. Das Rechtssystem hat die Aufgabe, die moralischen Normen zu verwirklichen. Zivile Rechte realisieren Naturrechte. Pütter und Achenwall entwickelten das Naturrecht entsprechend und in Anlehnung an Wolff unter dem überwölbenden Begriff der moralischen Verpflichtung nach dem Gebot der Selbstvervollkommnung. Es kommt zu einer starken Moralisierung der Rechtsverhältnisse. B. I. 3. c) bb) (1), S. 116. 17. Die Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts ist bestrebt, die bestimmenden Merkmale für die Unterscheidung vollkommener gegenüber unvollkommenen

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Pflichten präzise herauszuarbeiten. Nach Achenwall bildet die innere, moralische Gewissenspflicht den Kern einer sie umschließenden äußeren Rechtspflicht. Den inneren Kern bezeichnet er als obligatio naturalis. Achenwall verändert damit die Einteilung in äußere und innere Pflichten hin zu einer Binnendifferenzierung der einheitlich betrachteten sittlich-rechtlichen Pflicht. Der innen/außen Unterschied meint zwei Seiten ein- und derselben Rechtspflicht. B. I. 3. c) bb) (2), S. 118. 18. Höpfner sieht im Zwang kein pflichtenbegründendes Merkmal, sondern einen Handlungsanreiz. Der Schuldner ist bestrebt, durch Pflichterfüllung den Zwang zu vermeiden. Der Zwang ist ein Mittel zur Sicherung der Pflichterfüllung. Sulzer und Mendelssohn gelangen durch das Merkmal der inhaltlichen Bestimmtheit der Pflicht zur vollkommenen Rechtspflicht. Der Inhalt einer unvollkommenen Pflicht sei dagegen nur aus den persönlichen Umständen des Pflichtigen heraus erkennbar. B. I. 3. c) bb) (2), S. 119. 19. Kant hat vollkommene Pflichten zunächst nach dem Kriterium ihrer ausnahmslosen Gültigkeit bestimmt. Später hat er die Generalisierungshinsicht zugunsten des Bestimmtheitsmerkmals geändert. Ethische Pflichten sind unvollkommen, weil sie auf einem Zweckprinzip beruhen. Die Zweckorientierung macht sie notwendig unbestimmt. Das Zweckprinzip wird von Handlungsmaximen gesteuert und gebietet apriori die verdienstlich gute Handlung. Die unvollkommene Verbindlichkeit nennt Kant daher Tugendpflicht (officium ethicum). Bei der vollkommenen Rechtspflicht dagegen bleibt die Gesinnung des Pflichtigen gleichgültig. Die Rechtspflicht reguliert nicht die Erfüllungsmotivation, während die Tugendpflicht gerade auf diese Motivation abstellt und auf ihr aufbaut. Das intrinsische Handeln aus Pflicht ist die differentia specifica der Moral gegenüber dem Recht. B. I. 3. c) bb) (3) (a), S. 122. 20. Kants Pflichtenlehre hat kein inhaltliches Kriterium der Vollkommenheit hervorgebracht. Die unterschiedliche Bestimmtheit bringt keine Wertstufung der Verbindlichkeit zum Ausdruck. Unvollkommene Pflichten sind keine Pflichten minderer moralischer Dringlichkeit. Umgekehrt besitzen alle Rechtsgebote dieselbe sittlich verpflichtende Kraft. Der göttliche Wille ist für Kants Pflichtenkonzept nur noch als regulative Idee vorhanden. Der Gedanke ursprünglicher Verschuldung wird vom Freiheitspostulat abgelöst. Kant fasst das Naturrecht von der selbstgesetzgebenden Vernunft aus neu und zerstört damit das naturrechtlich-philosophische Konzept der naturalis obligatio. B. I. 3. c) bb) (3) (b), S. 124. 21. Kant geht es in dem Zitat aus der Metaphysik der Sitten, „Recht und die Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei“, um die Legitimation von Zwang. Die Funktion der Rechtsnorm ist es, Zwang zu legitimieren. Die Zwangsbefugnis ist die Folge, nicht aber ein konstitutives Element der Rechtspflicht. B. I. 3. c) bb) (3) (c), S. 126.

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22. Kant hat sich zu den Rechtsbegriffen unvollkommene Verbindlichkeit oder Naturalobligation nicht geäußert. Unter einer vertraglichen Obligation versteht Kant nicht eine physische Herrschaftsmacht des Gläubigers über den Schuldner. Kraft des Vertrages erwirbt der Gläubiger eine aktive Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des Schuldners. Die aktive Obligation ist aber nicht selbst Macht, sondern ein Recht und zwar die Einwirkungsbefugnis des Gläubigers auf den Willen des Schuldners. V. Savigny hatte dagegen angenommen, der Gläubiger erwerbe ein Stück Handlungsfreiheit („Freiheitspartikel“) des Schuldners. Diese Lehre ist als Sandhaufentheorie der Freiheit in die Rechtsgeschichte eingegangen. Kant meinte aber nur das Recht auf Einwirkung auf den Willen. Nach heutiger Diktion erwirbt der Gläubiger die Einforderungsbefugnis im Sinne von § 241 Abs. 1 BGB. Er kann auf den Willen des Schuldners auch durch die Formen des Rechtszwanges einwirken, die primäre Form der Einwirkung findet aber auf der Ebene der Kommunikation statt. Schon die Leistungsaufforderung wie auch das Anhalten zur Leistung sind Einwirkungen auf den Willen des Schuldners. Das schafft Raum für die Anerkennung einer Obligation, deren Einwirkungsbefugnisse auf die kommunikativen Funktionen des Aufforderns und Anhaltens zur Leistung beschränkt sind. B. I. 3. c) bb) (3) (d), S. 127. 23. Hegel hält die Einteilung in vollkommene Rechtspflichten und unvollkommene Moralpflichten für missverständlich. Man könnte ebenso das Umgekehrte sagen. Die naturrechtlichen Pflichtlehren der Vollkommenheit sind für das heutige Verständnis der schuldrechtlichen Figur „unvollkommene Verbindlichkeit“ nur insofern von Bedeutung, als sie die Aufgabe des Begriffes nahe legen. B. I. 3. c) bb) (4), S. 131. 24. Alexy hat die Idee des vollkommenen Rechts wiederbelebt. Ihm geht es um die Spannung zwischen faktischem und angestrebtem Rechtszustand. Denkbar sei die Annahme einer unendlichen Kluft zwischen vollkommener Idealität und vollständiger Faktizität. Der Ansatz steht mit den naturrechtlichen Pflichtenlehren in keinem expliziten Zusammenhang und dient auch nicht der Abgrenzung von Sittlichkeit und Recht. B. I. 3. d), S. 133. 25. Die „unvollkommene Pflicht“ wird im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 neben der „bloß moralischen Verbindlichkeit“ rezipiert. Die Naturalobligationen werden im französischen Code Civil von 1804 und dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 verankert. B. I. 3. e), S. 135. 26. Die Unterscheidung zivile und natürliche Forderung hat nach Savignys Auffassung nichts mit der Trennung von Recht und Moral zu tun. Es gehe vielmehr um die aus dem römischen Recht stammende Trennung von ius civile und ius gentium. Die obligatio naturalis sei eine Obligation des ius gentium, die vom ius civile nicht anerkannt werden könne. Die Aberkennung des Klagerechts durch das strengrechtliche ius civile gilt danach in Fällen mangelhafter Form,

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bei fehlender oder eingeschränkter Rechtsfähigkeit, bei strengen Konsequenzen im Civilrecht wie etwa der Verjährung sowie bei diversen „eigenthümlichen Verhältnissen des Klagerechts“, wie etwa dem unrichtigen aber rechtskräftigen Urteil. Obligatio civilis und naturalis unterscheiden sich strukturell nur dadurch, dass bei letzteren das Klagerecht fehlt. B. I. 4. a), S. 140. 27. Die Abgrenzung aus den römischen Rechtsquellen war für eine überzeugende systematische Ausformung der obligatio naturalis zu undeutlich. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine positivistische Sicht, nach der an die Stelle einer Anerkennung in den Rechtsquellen die Anerkennung durch den Gesetzgeber tritt. In „7 Sätzen über die naturalis obligatio“ zeigte Alois Brinz eine analytische Vorstellung der Rechtsfigur. Danach sollten Naturalobligationen in zwei Klassen eingeteilt werden: Solche, „die ohne Jurisprudenz und vor ihr da sind“, und solche, „welche durch die Jurisprudenz vermittelt, zum Theile sogar geschaffen werden“. Brinz anerkennt die Naturalobligation bei mangelnder Rechts- oder Handlungsfähigkeit, wie vormals bei Sklaven und den der Hausgewalt unterworfenen Personen sowie in Fällen einer unbillig strengen Consequenz des Civilrechts, insbesondere bei der Verjährung und der irrigen Freisprechung eines wirklichen Schuldners. Ernst Immanuel Bekker lehnte Savignys Vorstellung einer vom ius civile nicht anerkannten obligatio ex iure gentium ebenfalls ab. Jeder vom Civilrecht anerkannten Obligation sei auch das naturale Element eigen. Alles hänge von der Ausgestaltung im positiven Recht ab. Die Naturalobligation wird damit nicht mehr aus einer Theorie heraus erklärt, sondern zu einer Rechtsfigur funktionalisiert. Als Gestaltungsmittel steht es dem Gesetzgeber frei, sie in geeigneten Fällen einzusetzen. B. I. 4. b), S. 143. 28. Windscheid bezeichnet die Naturalobligation als „uneigentliche Verbindlichkeit“. Es handle sich um die Obligation des natürlichen Rechtsgefühls. Aus der Vielzahl der nach natürlicher Auffassung gegebenen natürlichen Verbindlichkeiten kann das Recht einzelne in dieser oder jener Beziehung gelten lassen. Die naturalis obligatio könne außer dem Klagerechte alle Rechtswirkungen haben, ohne sie haben zu müssen. Zu den Naturalobligationen zählt Windscheid auch die sittliche Pflicht, die er als Schuldgrund anerkennt. In Folge der Verjährung soll nach Windscheid die Obligation ganz entfallen. Windscheid spricht sich im Rahmen der Beratungen zum BGB dann aber gegen eine „zerstörliche Einrede“ und für die schwache Wirkung der Verjährung mit einer verbleibenden Naturalobligation aus. B. I. 4. c), S. 147. 29. Dernburg lässt die obligatio naturalis als randständige Rechtsfigur gelten. Gewisse Verbindlichkeiten respektiere die bürgerliche Gesellschaft mit Rücksicht auf merkantilen Kredit und Ruf oder als Postulate der Sitte und des Anstandes, während ihnen der Staat aus rechtspolitischen Gründen den Weg der Klage verschließe. In Anlehnung an Windscheid hält er die natürliche Verbindlichkeit für eine Gefühlsreaktion, die sich zeige, wenn das Gesetz die Klag-

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barkeit versagt und dennoch eine gewisse rechtliche Verbindungskraft bestehe. B. I. 4. d), S. 151. 30. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des BGB erkannte die Naturalobligation als Rechtsfigur an. Allerdings verwendet sie die Bezeichnung nicht einheitlich. Zwischen Naturalobligationen, natürlichen Verbindlichkeiten, sittlichen Pflichten und unvollkommenen Verbindlichkeiten wird nicht klar unterschieden. Das Reichsgericht stufte Pflicht- und Anstandsschenkungen erst nach einigem Zögern als unentgeltliche Zuwendungen ein. Die vom Gesetzgeber in § 534 BGB vorgegebene Schenkungscausa verdrängt die sittliche Pflicht als Rechtsgrund und verhindert so die Klagbarkeit des formlosen Erfüllungsversprechens. B. I. 4. e), S. 152. 31. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand die Lehre von Schuld und Haftung. Ihr diente die Naturalobligation als Beleg für die Grundthese, wonach Schuld und Haftung zwei getrennte Elemente der obligatio sind. Die Naturalobligation stimmt mit den Prämissen der Lehre von Schuld und Haftung insofern überein, als das Pflichtverhältnis (die Schuld) von den Zwangsbefugnissen getrennt betrachtet wird. Für das Verständnis der Naturalobligation ist es jedoch ganz gleichgültig, ob die Zwangsbefugnisse in ein eigenständiges Haftungsverhältnis integriert werden, welches mehr oder minder unabhängig von der Schuld gestaltet sein kann und angibt, auf welche Vermögensgegenstände der Gläubiger zugreifen darf. Ebenso ist die Frage nach einer Sach- und/ oder Personalhaftung für die Erfassung der Naturalobligation ohne Bedeutung. Ob die Einforderungsbefugnis des Gläubigers ein analytisches Merkmal der Schuld oder bereits Ausdruck einer primären Personalhaftung ist, kann offen bleiben. Es ist daher zwar richtig, die Naturalobligation als eine Schuld ohne Haftung einzuordnen, gleichzeitig ergeben sich daraus aber auch keine weitergehenden Erkenntnisse für das Verständnis dieser Rechtsfigur. B. I. 4. f), S. 155. 32. Die überwiegende Ablehnung der Theorie v. Savignys, wonach die Naturalobligation aus den römischen Rechtsquellen erklärbar sei, führte den BGBGesetzgeber zu dem bis heute gültigen positivistischen Verständnis. Es geht um eine unvollständige Aberkennung, Zuerkennung oder Aufhebung des Obligationsstatus. Die Obligation bleibt im Kern bestehen, sie wird aber nicht mit Zwangsbefugnissen ausgestattet. Die 1. Kommission hatte „in Ansehung der sogenannten Naturalobligation“ eine anerkennende Grundentscheidung für Einzelfälle getroffen, aber gleichzeitig entschieden, den Ausdruck ‚natürliche Obligation‘ im Gesetz zu vermeiden. Erst die Vorkommission des Reichsjustizamts beschloss, weitergehend auch eine allgemeine Regel, bezogen auf sittliche Pflichten und Anstandsrücksichten, aufzunehmen. Mit § 814 Hs. 2 BGB sollte der Leistungsempfänger geschützt und die Erfüllung sittlich gebotener Leistungspflichten anerkannt werden. So weit müssten Recht und Moral in Einklang gebracht werden. Offen blieb, ob § 814 Hs. 2 BGB die Leistung einer

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Nichtschuld meine und wegen der sittlichen Pflicht die Rückforderung versage oder ob die sittliche Pflicht selbst ein Rechtsgrund sei. Zu den Einzelfällen im BGB zählen die verjährte Forderung, die Heiratsvermittlung, Spiel und Wette, das Verlöbnis sowie die Ausstattung des Kindes. B. I. 5. a), S. 163. 33. Die Diskussion nach Inkrafttreten des BGB zeigt ein gemischtes Bild. Gegner und Befürworter einer Anerkennung der Naturalobligation halten sich in etwa die Waage. Eine Sonderstellung unter den Befürwortern nimmt Andreas von Tuhr ein, der die Naturalobligation als eine reine Rechtspflicht einstuft. Er versteht darunter eine Pflicht, der kein korrespondierendes Recht gegenüber steht. Strukturell entsprechen derart solitäre Pflichtstellungen den der Ethik zuzurechnenden Gewissenspflichten. B. I. 5. b), S. 176. 34. Hans Reichel hat den klaglosen Anspruch und Jürgen Stech die unklagbare Verbindlichkeit als schuldrechtliche dogmatische Figuren herausgearbeitet. Damit ließ sich die Klagbarkeit als eine nur fakultative Eigenschaft des Anspruchs bzw. der Forderung ausweisen. Sie ist als eine materiell-rechtliche Befugnis zu verstehen, den Anspruch bzw. die Forderung im Wege der öffentlichen Klage geltend zu machen. In Abgrenzung zu den seltenen Fällen einer unklagbaren Verbindlichkeit steht die unvollkommene Verbindlichkeit. Stech führt deren generelle Zwanglosigkeit auf ein materiell-rechtliches Defizit in der Struktur der Forderung zurück. Es handele sich um einen materiellrechtlichen Torso, der keine rechtlichen Zwangsbefugnisse begründe. Das materiell-rechtliche Defizit der unvollkommenen Forderung erklärt er nicht. Es wird heute verbreitet dahin bestimmt, dass dem Gläubiger die Einforderungsbefugnis fehle. Die klare Struktur eines Forderungsrechts ohne Zwang geht mit der Aberkennung der Einforderungsbefugnis verloren. Die unvollkommene Verbindlichkeit steht hier der betagten und der gehemmten Forderung gleich. B. I. 5. c), S. 179. 35. Das heutige Meinungsbild zur Frage der Anerkennung und zur dogmatischen Struktur der Naturalobligation ist unübersichtlich. Die Begriffsvielfalt mit vielfach synonym gebrauchten Begriffen zeigt die fehlende dogmatische Durchdringung. Überwiegend wird das nicht zwangsbewehrte Forderungsrecht gleichbedeutend als Naturalobligation oder unvollkommene Verbindlichkeit verstanden. Auch die lateinischen Bezeichnungen obligatio naturalis oder obligatio tantum naturalis haben keinen abweichenden Bedeutungsgehalt. B. I. 5. d), S. 188. 36. Zwei grundlegende Theorien über die Naturalobligation haben sich in den europäischen Kodifikationen niedergeschlagen. Nach der klassischen an der römischen obligatio naturalis orientierten objektiven Theorie ersetzt die Naturalobligation die Zivilobligation in Fällen, in denen eine zwangsweise Durchsetzung nicht oder nicht mehr zugelassen werden soll. Der Entzug der Zwangsbefugnisse erfolgt kraft gesetzlicher Anordnung und aus Gründen des sozialen Nutzens. Typisch ist die wegen Zeitablaufs geschwächte und als Na-

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turalobligation fortbestehende verjährte Forderung. Nach der subjektiven oder modernen Theorie, die sich am modernen Naturrecht orientiert, finden die Beweggründe des Schuldners Beachtung. Der Schuldner muss die Pflicht persönlich anerkennen, was eine Leistung in voller Kenntnis der Umstände verlangt. Nur der Schuldner, der in Ansehung der Pflicht weiß, dass er zur Leistung nicht gezwungen werden kann (debitor sciens), handelt indiziell „aus Pflicht“ und anerkennt die an ihn gerichtete Forderung als für sich bindend. Dieser Anerkennungsakt kann auch in der Form eines Leistungsversprechens erfolgen, das dann eine durchsetzbare Leistungspflicht begründet. Typisch ist der gesetzlich nicht aufgenommene Geschwisterunterhalt. B. II. 1. a) u. b), S. 206. 37. Die subjektive Theorie setzt die persönliche Initiative des Schuldners (Autorschaft), die Freiheit von Zwang und zusätzlich die genaue Kenntnis aller Handlungsumstände voraus. Die Transposition der „sittlichen Pflicht“ aus einem extralegalen Normbereich in das Recht verlangt den Anerkennungsakt des Schuldners. Um das moralische Motiv des Schuldners feststellen zu können, findet sich auch die Voraussetzung einer „spontanen“ Leistung. Damit ist das impulshafte und gefühlte Rechtsempfinden ohne Abwägung oder Überlegung angesprochen. Der gesetzliche Rückforderungsausschluss schützt insofern die Leistungsbewegung aus moralischer Pflichterfüllung. Die objektive, klassische Theorie zeichnet sich dagegen durch die Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums über die Erzwingbarkeit der Schuld aus. Der Gläubiger darf die Leistung auch dann behalten, wenn der Schuldner irrig annahm, zur Leistung gezwungen werden zu können (sog. Klagbarkeitsirrtum). Auf das Handlungsmotiv bei der Erfüllung und damit auf die Kenntnis des Schuldners vom sittlichen Gebot und der fehlenden Zwangsbewehrung kommt es nicht an. Die sittliche Pflicht wird ex post durch das Gericht festgestellt. Die objektive richterliche Feststellung bewirkt den Statuswechsel von der extralegalen Sitte zur Rechtspflicht. Die subjektive Theorie schaltet dagegen den subjektiven Anerkennungsakt gleichsam zwischen die beiden Normsphären. B. II. 1. c), S. 209. 38. Eine Regelung der Naturalobligation nach den Grundsätzen der subjektiven Theorie zeigt sich in den Art. 2034 des ital. CC, Art. 403 Abs. 1 und 2 des port. CC und – unter gewissen Einschränkungen – in Art. 1235 Abs. 2 des franz. CC. Nach dem französischen Zivilrecht genügt für die Anerkennung einer obligation naturelle nicht allein die „intention libérale“, sondern der Schuldner muss „afin de remplir un devoir impérieux de conscience et d’honneur“ geleistet haben. Eine Aufzählung im Gesetz sei nicht möglich und die Anerkennung im Einzelfall der Rechtsprechung überlassen. Die obligation naturelle kann einseitig vom Schuldner in eine obligation civile umgewandelt werden. Nach Art. 1151 des Vorentwurfs einer Reform des Schuldrechts aus dem Jahre 2005 erhält die Naturalobligation eine eigenständige Regelung außerhalb des

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Bereicherungsrechts. Die Rechtslage bliebe danach vermutlich unverändert. B. II. 2. a) aa), S. 211. 39. Auch das italienische Recht folgt in der dogmatischen Ausgestaltung der obbligazioni naturali der subjektiven Theorie. Art. 2034 ital. CC anerkennt die soziale und moralische Pflicht (Abs. 1) und regelt die gesetzlich angeordneten Fälle (Abs. 2). Die Erfüllung einer nicht erzwingbaren moralischen oder sozialen Schuld setzt die freiwillige Leistung (spontaneamente prestato) voraus. Erzwungene Erfüllungsleistungen, und zwar auch solche, die nur unter kompulsivem Zwang erfolgt sind, können zurückverlangt werden. Nach teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum ist Art. 2034 Abs. 2 ital. CC der objektiven Theorie zuzurechnen, weil das Merkmal „spontaneamente“ nicht für die gesetzlich angeordneten Fälle gelte. B. II. 2. a) bb), S. 217. 40. Das portugiesische Zivilrecht erfasst in Art. 402 – 404 port. CC soziale Beziehungen, die in ihrer Struktur denen der Zivilobligation entsprechen. Bei der obrigação natural darf die Erfüllung aber nicht erzwungen werden. Andere Abweichungen gelten nur, soweit sie das Gesetz speziell anordnet (Art. 404). Verlangt wird, dass die Leistung freiwillig, in Kenntnis der fehlenden Zwangsmacht des Gläubigers und spontan erfolgt ist. Der Rechtsirrtum des Schuldners über eine bestehende Zwangsbefugnis des Gläubigers ist beachtlich und eröffnet die Rückforderung. Nicht gefordert wird dagegen ein moralisches Bewusstsein; es genügt eine consciência jurídica. Ehrenvereinbarungen stellen eine rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation dar. Das Merkmal der Spontaneität nimmt ein psychologisches Moment auf, das auf der Annahme beruht, spontan handelnde Menschen folgten ihrem inneren Gerechtigkeitsgefühl. Hier zeigen sich kulturbedingt unterschiedliche Sichtweisen, denn das Erfordernis der Spontaneität benachteiligt den nachdenklich und gewissenhaft entscheidenden Menschen. B. II. 2. a) cc), S. 220. 41. Nach § 1431 des österreichischen ABGB werden verjährte, formfehlerhafte und kraft gesetzlicher Anordnung nicht klagbare Forderungen von der Schuldrechtsdogmatik als Naturalobligationen anerkannt. Die Kenntnis des Schuldners von der fehlenden Zwangsmacht des Gläubigers ist keine Voraussetzung für die Erfüllungswirkung. Bei den Naturalobligationen handele es sich um „wirkliche Schulden“. Die Leistung ist Schuldtilgung nicht Schenkung, weshalb kein Widerruf aus den Gründen des Schenkungsrechts möglich ist. B. II. 2. b) aa), S. 223. 42. § 814 Hs. 2 BGB regelt den sog. Klagbarkeitsirrtum. Danach ist es gleichgültig, aus welcher Vorstellung heraus der Schuldner eine sittliche Pflicht erfüllt hat, wenn nach den Feststellungen des Gerichts eine solche Pflicht zur Leistung objektiv bestand. Die „sittliche Pflicht“ ist nicht von subjektiven Überzeugungen und sittlichen Motiven des Leistenden abhängig. Sie wird weiterhin dem Schenkungsrecht unterstellt (§ 534 BGB). B. II. 2. b) bb), S. 225.

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43. Das schweizerische Obligationenrecht folgt in Art. 63 SchwOR ebenfalls der objektiven Sichtweise. Die sittliche Pflicht wird als ein eigenständiger Schuldgrund angesehen. Sie bedeutet aber keine Schenkung (Art. 239 Abs. 3 SchwOR) und kann formlos in eine Zivilobligation umgewandelt werden. B. II. 2. b) cc), S. 226. 44. Das niederländische Schuldrecht sieht sich in der Tradition des römischen Rechts und hat den engen objektivrechtlichen und aus dem klassischen römischen Recht stammenden Begriff der obligatio naturalis umgesetzt. In Art. 3–5 im 6. Buch des nied. BW werden unter dem Begriff Naturlijke verbintenis gesetzlich präformierte Pflichttatbestände sowie Pflichten nach gesellschaftlicher Anschauung erfasst. Sie werden nach ihren Entstehungsgründen (Gesetz, rechtsgeschäftlicher Wille und gesellschaftliche Anschauung) in drei Typen eingeteilt. Im Falle der gesetzlichen Anordnung ist es nicht erforderlich, dass eine dringende moralische Verpflichtung bestand, so dass die subjektive Theorie hier schon im Ansatz ausscheidet. Aber auch in den Fällen, die die Feststellung einer dringenden moralischen Verbindlichkeit durch den Richter erfordern, soll die Anerkennung allein richterlicher Wertung überlassen bleiben. Insbesondere soll es nicht darauf ankommen, weshalb der Leistende subjektiv die Pflicht befolgte. Die gesetzlichen Bestimmungen des Schuldrechts sind nach Buch 6, Art. 4 BW auch auf die natürlichen Verbindlichkeiten anzuwenden. Das niederländische Schuldrecht geht von Forderungen und nicht nur von einseitigen Pflichtstellungen oder bloßen Behaltensgründen aus. B. II. 2. b) dd), S. 228. 45. Die Nichtschuld im Sinne des § 814 Hs. 1 BGB ist die bewusst unterstellte Schuld, unabhängig davon, ob sie tatsächlich besteht. Der Leistende irrt nicht, sondern er nimmt ein mögliches Fehlen des Schuldgrundes bewusst in Kauf. Aus dieser Regelung ergibt sich e contrario, dass grundsätzlich alle Tatsachenund Rechtsirrtümer des Leistenden beachtlich sind und die condictio indebiti eröffnen. Nur der bloße Klagbarkeitsirrtum bildet eine Ausnahme. Er bleibt unbeachtlich (§ 814 Hs. 2 BGB). Die sittliche Pflicht nimmt danach keine rechtliche Sonderstellung ein. § 814 Hs. 2 BGB ist ein Lehrsatz über die Unbeachtlichkeit des bloßen Klagbarkeitsirrtums. Dieser Irrtum besitzt eigenständige Bedeutung nur dort, wo es objektive Schuldgründe gibt, deren Erfüllung tatsächlich nicht einklagbar ist. Das sind die Naturalobligationen. B. II. 2. c) aa) und bb), S. 230 u. 233. 46. Das Recht aus der Naturalobligation ist forderbar, aber nicht erzwingbar. In dogmatischer Sicht handelt es sich um ein wirksames und verbindliches Forderungsrecht, § 241 Abs. 1 BGB, welches auch einen materiell-rechtlichen Anspruch ausbildet, § 194 Abs. 1 BGB. Der Forderungsbegriff wird danach in eine Zivil- und in eine Naturalobligation differenziert. Bereicherungsrechtlich stellt die Naturalobligation einen Schuldgrund, debitum, im Sinne von § 812 Abs. 1 BGB dar. Historisch knüpft sie an die Figur der obligatio naturalis des klassischen römischen Rechts an, die als objektive Theorie der obliga-

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tion naturelle Eingang in die neuzeitliche Schuldrechtsdogmatik gefunden hat. C. I. 1., S. 239. 47. Die Naturalobligation bedeutet eine Rechtspflicht, die freiwillig erfüllt wird. An die Freiwilligkeit der Pflichtbefolgung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Der Schuldner muss lediglich Autor der Erfüllungshandlung sein. Drittleistung und auch Stellvertretung sind möglich. Ebenfalls wird kein subjektives Handlungsmotiv des Schuldners vorausgesetzt und die Kenntnis des Schuldners von der fehlenden Zwangsbefugnis ist unerheblich. C. I. 2. a), S. 241. 48. Die freiwillige Erfüllungsleistung bedeutet nicht selbst ein Rechtsgeschäft. Sie stellt insbesondere keinen Verzicht des Schuldners auf einen Kondiktionsanspruch dar (§ 397 BGB) und in der Erfüllung liegt auch kein kausales oder abstraktes Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis (§§ 780 f. BGB). Die Leistungshandlung lässt sich auch nicht ohne weiteres als Handschenkung verstehen und sie bedeutet nicht den Eintritt einer Wollensbedingung. Der Schuldner übt schließlich kein Reurecht aus, wenn er die Erfüllungshandlung unterlässt, sondern er verletzt seine obligatorische Leistungspflicht, weshalb die Verweigerung der Erfüllungsleistung auch nicht mit dem verbraucherschützenden Widerrufsrecht vergleichbar ist. C. I. 2. b) aa) – bb), S. 243 u. 245. 49. Die freiwillige Erfüllungsleistung setzt voraus, dass der Schuldner eine eigene, freie Entscheidung über die Erfüllung treffen konnte und lässt offen, was den Schuldner im Falle einer positiven Entscheidung zur Erfüllung motiviert hat. Der BGB-Gesetzgeber hat sich mit den §§ 214 Abs. 2, 656 Abs. 1 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 814 Hs. 2 BGB gegen jede Motivationsprüfung und damit auch gegen eine Feststellung der Freiwilligkeit im konkreten Fall entschieden. Die Freiwilligkeit entfällt erst dann, wenn der Schuldner zur Leistung gezwungen wird. Das Freiwilligkeitserfordernis ist damit nicht aufgegeben, sondern nur zugunsten der Pflichterfüllung zurückgedrängt. Im Ergebnis wird das Freiwilligkeitserfordernis damit im Falle der direkten zwangsweisen Durchsetzung der Leistungspflicht und der damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlungen verletzt. In allen anderen Fällen handelt der Schuldner noch freiwillig. Die Naturalobligation verlangt damit keinerlei ethisch-moralischen Handlungsmotive des Schuldners. C. I. 2. b) cc), S. 246. 50. Die naturale Forderung ist in ihrer Wirkung vermindert, weil die verhaltenssteuernde Bedrohung des Schuldners mit einer möglichen Zwangsdurchsetzung entfällt. Die volle Funktionalität der Obligation bleibt erhalten. Sie zeigt sich in der Einforderungsbefugnis des Gläubigers und deren Realisierung in der Anspruchserhebung. C. I. 2. c), S. 247. 51. Die abgeschwächte Wirkung der Forderung setzt sich auch auf der sekundären Einstandsebene fort. Die Ansprüche aus §§ 280 Abs. 2 u. 3, 281–283, 286 BGB sind nicht erzwingbar. Die Durchsetzungsschwäche betrifft ferner die Nacherfüllungsansprüche (§§ 439, 635 BGB) als Modifikationen des Leis-

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tungsanspruches. Die Naturalobligation ist deshalb nicht zu verwechseln mit der Lehre von der specific performance im angelsächsischen Recht, nach der im Grundsatz schon kein Anspruch auf die Primärleistung besteht. Hintergrund dieser Lehre ist die Annahme, dass die vertragliche Pflicht erst aus dem Vertragsbruch als einer deliktischen Handlung hervorgeht. Die Naturalobligation steht dem Rücktritt oder der Minderung nicht entgegen. Sie sind zwangsweise durchsetzbar (§§ 323, 326 Abs. 5, 441 BGB). Das gilt ebenso im Falle der Rückabwicklung aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Ferner ist der Ersatz frustrierter Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung durchsetzbar, § 284 BGB. Das Konzept der Naturalobligation zeichnet sich durch diese verbleibenden Rechtsschutzmöglichkeiten aus. Die dogmatische Struktur einer obligatorischen Leistungspflicht erlaubt es, anhand schuldrechtlicher Grundsätze über das Behaltensrecht zu entscheiden. Nur weil eine Leistungspflichtstruktur vorliegt, kann im Rückforderungsstreit über die rechtsbeständige Leistungspflichterfüllung entschieden werden. C. I. 2. d), S. 248. 52. Dem Gläubiger einer gehemmten oder betagten Forderung fehlt die Einforderungsbefugnis und damit Fälligkeit und Anspruch. Von den praktisch seltenen klaglosen Forderungen unterscheidet sich die Naturalobligation durch den Umfang des Zwangsausschlusses. Bei jenen ist nur das Klagerecht aufgehoben, während der private Rechtszwang (Selbsthilfe, Aufrechnung, Zurückbehaltung) weiterhin gestattet bleibt. C. I. 2. e), S. 250. 53. Naturalobligationen lassen sich nach den Bedingungen ihrer Setzung in gesetzlich präformierte Leistungspflichtverhältnisse (institutionelle Naturalobligation) und in richterlich festgestellte Leistungspflichtverhältnisse (feststellungsbedürftige Naturalobligationen) einteilen. Die Einteilung nach Regelungstypen ist angelehnt an die Regelung im niederländischen Burgerlijk Wetboek. Im BGB wird der Erfüllungszwang aufgehoben bei der verjährten vertraglichen Forderung (§ 214 BGB), beim Lohnanspruch des Ehemaklers (§ 656 Abs. 1 BGB), bei Forderungen aus Spiel und Wette (§§ 762 f. BGB), beim Verlöbnis (§ 1297 BGB) sowie für das Recht des Kindes auf angemessene Ausstattung (§ 1624 BGB). Außerhalb des BGB entstehen Naturalobligationen kraft Gesetzes bei der formfehlerhaften anwaltlichen Vergütungsabrede (§ 4 RVG, § 3 BRAGO a.F.), bei der Ausfallforderung des Insolvenzgläubigers nach einem Zwangsvergleich (§ 254 Abs. 3 InsO bestätigter Insolvenzplan) sowie im Falle der Restschuldbefreiung (§ 301 Abs. 3 InsO). Bei den feststellungsbedürftigen Naturalobligationen ist der Richter zur konstitutiven Feststellung der Rechtspflicht ermächtigt. Die rechtlich anerkannte „sittliche Pflicht“ ist Rechtspflicht. C. I. 3., S. 251. 54. Die Naturalobligation empfiehlt sich als dogmatische Rechtsfigur zur Integration in ein europäisches Rechtsinstrument. Die Aufnahme in eine Kodifikation könnte an den gesetzlichen Regelungen des niederländischen Burgerlijk Wetboek (BW) Buch 6, Abschnitt 1, Art. 3–5 sowie systematisch ebenso an den

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Art. 402 – 404 Código Civil Português, (port. CC) orientiert werden. C. I. 4., S. 261. 55. Die historischen Entwicklungslinien, das römische Recht und das neuzeitliche Naturrecht, haben zu den Rechtsbegriffen Naturalobligation und unvollkommene Verbindlichkeit geführt. Beide bezeichnen dieselbe Rechtsfigur und werden deshalb in weiten Teilen des Schrifttums und von der Rechtsprechung zu Recht synonym gebraucht. Von Maximilian Fuchs ist vorgeschlagen worden, Naturalobligationen und unvollkommene Verbindlichkeiten als zwei getrennte Begriffskonzepte zu verwenden. Die Naturalobligation erfasse sittliche Pflichten und Anstandsrücksichten (§ 814 Hs. 2 BGB) während die unvollkommene Verbindlichkeit ihre Grundlage im schuldrechtlichen Vertragstypus habe, dessen Pflichten nicht durchsetzbar seien (§§ 656, 762, 764 BGB). Diese begriffliche Dichotomie entspricht der hier bevorzugten Binnendifferenzierung einer einheitlich verstandenen Rechtsfigur unter einer Bezeichnung. Die vorgeschlagene Begriffsdifferenzierung ist historisch nicht gerechtfertigt und erlaubt in einer Reihe von Fällen keine klare Zuordnung. Sie ist auch nicht sinnvoll. Einen überzeugenden Grund, die einen so und die anderen so und nicht umgekehrt, zu bezeichnen, sehe ich nicht. C. II. 1., S. 262. 56. Sowohl historische als auch dogmatische Gründe sprechen gegen eine Verwendung des Begriffs unvollkommene Verbindlichkeit. Gegen diesen Terminus spricht insbesondere dessen negative Konnotation. Mit der Versagung rechtlicher Zwangsbefugnisse kann zwar eine negative Bewertung des Rechtsgrundes zusammenfallen, wie etwa für die Lohnforderung des Ehemaklers oder für die Forderungen aus Spiel und Wette, sie muss es aber nicht, wie etwa die verjährte Forderung, das Verlobungsversprechen oder die insolvenzrechtliche Ausfallforderung zeigen. C. II. 2., S. 267. 57. Funktional ist die unvollkommene Verbindlichkeit mit der römischen obligatio naturalis identisch. Hier halte ich eine Anknüpfung an die römische Tradition für überzeugender. Die Naturalobligation reflektiert den historischen Kontext ihrer Entstehung im klassischen römischen Recht und übernimmt von dort die pragmatische, an Zweckmäßigkeiten des Rechtsverkehrs orientierte funktionale Ausrichtung. Naturalis obligatio ist die unter dem Gesichtspunkt einseitiger Durchsetzungsmacht geschwächte Verbindlichkeit. Die Substraktion rechtlicher Zwangsbefugnisse vermindert den Wirkungsgrad der Obligation, sie macht die Naturalobligation jedoch nicht zu einer natürlichen Pflicht im Sinne des Naturrechts. C. II. 3. a), S. 273. 58. Naturalisierung meint Aberkennung von Zwangsbefugnissen. Nur die Forderung ist vorhanden. Darin liegt ein gestalterisches Mittel des Gesetzgebers zur rechtspolitischen Steuerung bestimmter Geschäftsformen. Das Begriffsmerkmal natural drückt keine material-inhaltliche Wertung aus. Die sittliche Pflicht (etwa in den §§ 534, 814 Hs. 2 BGB) meint eine spezielle gesellschaftliche Verhaltenserwartung, die als Realfaktor für die Rechtsbildung durch den Richter

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festzustellen ist. Damit rekurriert das Gesetz zwar auf eine vor- oder außerrechtliche Erwartung, nicht aber auf eine naturgegebene oder apriorische Verbindlichkeit. Bei den sittlichen Pflichten vollzieht der Richter den Setzungsakt. Durch einen ausfüllungsbedürftigen objektivrechtlichen Pflichtbegriffs, der inhaltlich unbestimmt und damit wertausfüllungsbedürftig bleibt, gelingt die rechtliche Anerkennung durch das Aufgreifen von Verhaltensregeln anderer gesellschaftlicher Subsysteme (Familie, Freundeskreis, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik). Keine Nachbarwissenschaft vermag über sittliche Pflichten in einer für die Rechtsordnung praktisch verwertbaren Weise Auskunft zu geben. Die extralegale Erwartung wird deshalb durch Anerkennung als Tatsache mit bestimmten Rechtsfolgen versehen und damit in eine Rechtspflicht umgewandelt. Das Prädikat natural legt eine auf sich selbst verweisende Betrachtung des Forderungsbegriffs nahe. Bezogen auf den Forderungsbegriff verweist natural reduktiv auf die notwendigen und untrennbaren Eigenschaften der obligatorischen Pflicht. Gemeint ist die Natur der Forderung (Obligation) im Sinne ihrer Eigenschaften, ihrer gedanklichen Konstruktion und Funktionsweise. Eine Orientierung an den im BGB verwendeten Sprachbildern bei der Verwendung des Attributs „natural“ zeigt, dass natural auch sonst nicht normativ naturrechtlich verstanden wird. Die Gleichstellung von Zivil- und Naturalobligation folgt aus der kongruenten Struktur des gemeinsam zugrundeliegenden Forderungsbegriffs im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB. Wie der rechtsvergleichende Blick zeigt, ist der Terminus Naturalobligation auch europaweit anschlussfähig und damit in eine europäische Privatrechtslehre integrierbar. C. II. 3. b) – c), S. 273. 59. Das Attribut „natural“ führt zu einem rechtsethischen Naturalismus heutigen Zuschnitts und damit zur rationalen Handlungstheorie. Im Zentrum steht ein ethischer Rationalismus, der nach guten Handlungsgründen der Akteure innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft fragt. Rationalistische Annahmen können auch für eine naturalistische Modellvorstellung der obligatorischen Pflicht übertragen werden. Dieser Rechtsrationalismus beruht auf den Grundsätzen kommunikativen Handelns und baut auf Vernunftgründen auf. Die rechtliche Forderung besitzt eine dogmatisch bislang weithin unbeachtet gebliebene primäre Kommunikationsfunktion, die bei der Naturalobligation eigenständig hervortritt. Mit der Anerkennung der Leistungsanforderung macht sich der Anerkennende zum Schuldner und den Befehlsgeber zum Gläubiger im Rechtssinne. C. II. 4., S. 279. 60. Das fehlende Zwangselement führt zu der Frage nach der Entstehung und dem Fortbestand obligatorischer Rechtsbindung. Nach Durchsicht der in Betracht kommenden Bindungsmodelle erscheint allein eine naturalistische Modellvorstellung überzeugend. Die obligatorische Leistungspflicht lässt sich als Akt der Selbstbindung aus einem Antwortverhalten verstehen. Aus der Anerkennung eines fremden Leistungsbefehls folgt die bindende Wirkung. C. III. 1. a) – c), S. 289.

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61. In einem Relationalverhältnis lassen sich nach der Intensität des Fremdbezuges zwei Selbstbindungsformen, die schwächere konsequentialistische Verhaltensbindung und die stärkere obligatorische Leistungsbindung (Schuldpflicht), unterscheiden. Bei der konsequentialistischen Bindung muss der Handelnde das fremde Interesse an der Vornahme der angekündigten Handlung im Rahmen der eigenen Interessenverfolgung berücksichtigen. In der Reflexion fremder Interessen ist der eigeninteressierte Handlungsvollzug eingeschränkt, woraus eine normative Bindung folgt. Bei der stärkeren obligatorischen Pflicht ist dagegen das fremde Interesse handlungsleitend. Es ist vom Handelnden zu wahren und zu verfolgen. Kommunikationstheoretisch entspricht diese Unterscheidung dem schwachen Modus der Verständigung über die ernste Absicht, wenn der Geltungsanspruch aus den Gründen des Aktors anerkannt wird (Absichtserklärung) und dem starken Modus des Einverständnisses über eine Tatsache, wenn der Geltungsanspruch aus geteilten Gründen akzeptiert wird (Versprechen). C. III. 1. c) bb), S. 340. 62. Der Schuldner einer obligatorischen Leistungspflicht ist im Erfüllungszeitpunkt rational wehrlos. Die propositionalen Gehalte von Befehl und Versprechen waren im Verpflichtungszeitpunkt deckungsgleich. Im Erfüllungszeitpunkt ist daher auch der Handlungsgrund des Gläubigers (Forderung) mit dem Handlungsgrund des Schuldners (Versprechen) identisch. Der Schuldner vermag der Einwirkung auf seinen Willen daher insoweit keine rationalen Gründe mehr entgegenzusetzen. Die kommunikative Wehrlosigkeit gilt in zweierlei Hinsicht. Jedes Versprechen ist sowohl eine physische Tatsache als auch ein mentaler Akt mit intentionalem Charakter. Der physische Verpflichtungsakt ist wahrheitsfähig und als äußere Tatsache beweisbar. Das Verpflichtungsgeschehen kann vom Schuldner mithin nicht in Abrede gestellt werden und bildet den auf Wahrhaftigkeit gerichteten Bezugspunkt der Forderung. Ferner kann der gestellten Forderung mental nichts entgegengehalten werden, denn der Schuldner hat keinen sachlichen Grund, der Forderung auszuweichen. Das Recht enthält eine Reihe von Befreiungsgründen, auf die sich der Schuldner ausnahmsweise berufen kann. Liegt kein Befreiungsgrund vor, so muss sich der Schuldner die Forderung vorhalten lassen, das Leistungsurteil muss er hinnehmen und notfalls rechtlichen Zwang bis hin zur Zwangsvollstreckung dulden. C. III. 1. c) cc), S. 359. 63. Die rationale Wehrlosigkeit zwingt den Schuldner dazu, sich zu seinem Sprachhandeln zu bekennen und die gesellschaftlichen Folgen seiner Erklärungsnot zu tragen. Damit wird der Gedanke des Rechtszwanges aus der Perspektive des Schuldners auf die primäre kommunikative Ebene rechtlicher Auseinandersetzung übertragen. Nicht erst die Wehrlosigkeit gegenüber vollstreckenden Rechtsakten des Gläubigers, sondern bereits die Wehrlosigkeit gegenüber kommunikativ eingeforderten Leistungsvollzügen kennzeichnet die Perspektive des Schuldners. Die Aufforderung zur Leistung ist die primäre Form der Einwirkung auf den Schuldner. An diese Kommunikationsfunk-

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tion des obligatorischen Forderungsrechts schließen sich die weitergehenden Zwangsbefugnisse nur an. C. III. 1. c) cc) (3), S. 366. 64. Historisches Vorbild ist die römische stipulatio. Bei der Stipulation handelt es sich um eine soziale Technik zur Begründung der obligatio. Die freiwillige Unterwerfung des Schuldners unter den Leistungsbefehl des Gläubigers verlangt keinen umfassenden Konsens im vertragsrechtlichen Sinne, wenngleich auch in ihr im Anerkennungsakt ein konsensuales Element enthalten ist. Die Schuldbegründung geht vom fragenden und fordernden Gläubiger aus (spondesne, fidepromittis, dabis?). Der Schuldner verpflichtet sich durch die bejahende Antwort (spondeo, fidepromitto, dabo!). Die Selbstverpflichtung folgt also aus einem Antwortverhalten. Der durch Aufforderung reaktiv erzeugte Versprechensakt kommt im entwickelten Recht häufig als Tätigkeit des Gläubigers zum Ausdruck (‚stipulari‘ sich eine Leistung versprechen lassen). Entscheidend ist die Anerkennung des Schuldners, der mit der Antwort sein künftiges Handeln, neuzeitlich seinen Willen, an das fremde Interesse bindet und so das Versprechen bildet. Die Technik der Stipulation gibt dem Schuldner das letzte Wort und schützt ihn vor ungewissen Schwebelagen seiner Bindung. Die Antwortposition ermöglicht ferner eine Verknüpfung mit reziproken Leistungsversprechen des Schuldners. Daneben sichert sie den Abgleich der wechselseitigen Erklärungsinhalte durch klare und unzweideutige Erklärungen und beugt so einem Dissens vor. C. III. 1. c) dd) u. ee), S. 372. 65. Das Bestimmtheitserfordernis grenzt die rechtliche gegenüber der moralischen Forderung ab. Die subjektive Strebsamkeitsmaxime für einen als gut ausgezeichneten Zweck ist der Grund für die Unbestimmtheit und die Entgrenzung der moralischen Pflicht. C. III. 2. a) aa), S. 376. 66. Das Bestimmtheitserfordernis trennt ebenso den verbindlichen vom unverbindlichen Handlungsakt. Es ist Indiz für die Ernstlichkeit einer rechtsgeschäftlichen Erklärung und Inhaltserfordernis. Unkonkrete und unbestimmbare Erklärungen, etwa aufgrund offener oder ungenauer Formulierungen, hindern die Entstehung obligatorischer Rechtsbindung. Auch die Naturalobligation kann nicht unbestimmt begründet werden. C. III. 2. a) bb), S. 379. 67. Der unverbindliche Vertrag ist ein Vertrag ohne Forderung. Dogmatisch erfasst wird er in der Kategorie des Vertrages ohne primäre Leistungspflicht. Eine unverbindliche Forderung gibt es dagegen nicht. Es ist sachlich falsch und nach dem Satz des Widerspruchs unzulässig, die Naturalobligation als unverbindlich zu bezeichnen. C. III. 2. a) cc), S. 382. 68. Die Unabweisbarkeit der Forderung folgt aus dem kategorischen Leistungsbefehl bei gleichzeitigem Fehlen von Einwendungen. Schwächere und stärkere Pflichten, wie sie als supererogatorische Handlungen im Bereich der Ethik diskutiert werden, sind im Zivilrecht bislang nicht rezipiert worden. Der Gesetzgeber hat auch für die Rechtsbegriffe sittliche Pflicht und Anstandsrücksicht (§ 814 Hs. 2 BGB) keine supererogatorischen Pflichtformen, also an-

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geratene und abgeratene Verhaltensweisen sowie verdienstliche Handlungen, eingeführt. Weder Schrifttum noch Rechtsprechung sehen bei der Anstandsrücksicht einen Unterschied in der Pflichtstruktur gegenüber der sittlichen Pflicht. C. III. 2. b) aa) – cc), S. 387. 69. Der Schuldner einer Naturalobligation ist obligatorisch gebunden. Befolgungsprivilegien, wie die Erfüllung auf Zusehen hin oder die Besserungszusage, sind dagegen Vereinbarungen über die Fälligkeit. Die Eröffnung eines Entscheidungsspielraumes für den Adressaten erscheint nur dort angebracht, wo ein Belohnungssystem – wie bei den sog. Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht – Anreize für ein rechtlich freigestelltes Handeln bietet. C. III. 2. b) dd) – ee), S. 397. 70. Hervorzuheben ist der Ausnahmecharakter der Naturalobligation. Gewinnchancen ohne Haftungsrisiko und Verlustrisiken ohne Ausgleichschancen bedeuten das Gegenteil dessen, was das Schuldrecht im Kern erreichen will. Transaktionen in Geschäftsbereichen, wie insbesondere der Ehevermittlung oder Spiel und Wette, die der Gesetzgeber nicht generell verbieten kann oder will, kann er durch die Aberkennung von Zwangsbefugnissen aber einzudämmen suchen. Dies gelingt, weil die Stabilität der rechtsgeschäftlichen Transaktion gemindert und die Erfüllungschancen verschlechtert werden. Der erheblich geschwächte Wirkungsgrad des Forderungsrechts zwingt die Marktteilnehmer zu Handgeschäften oder riskanten Vorleistungen und wirkt so einer Geschäftsausweitung nach den Regeln des Marktes entgegen. Die selbstregulierenden Marktkräfte erlauben ungesicherte Tauschgeschäfte nur unter Faktoren wie der persönlichen Kenntnis des Partners, einer Vernetzung der Marktteilnehmer, die Angewiesenheit der Teilnehmer auf wiederholte Transaktionen oder eine Zusammenarbeit auf eine längere Sicht. Die faktische Erleichterung des Rechtsbruchs kann zugleich problematisch werden, weil durch ihn bestehende Rechtswertungen erodieren. Die Entscheidung des Pflichtigen konkurriert mit der Entscheidung des Rechts. Die Kehrseite der Erosion sind mögliche Geltungsdemonstrationen zu Gunsten der Rechtsregel. Die Übung guten Rechts hat freilich nur dort tatsächlich einen Sinn, wo die Richtigkeit der Regel gerade zweifelhaft ist und durch Befolgung gestärkt werden soll. Die freiwillige Rechtsbefolgung schafft mithin einen Raum verdienstvoller Legalität. Das ist dem Schuldrecht an sich fremd, weil die Pflichterfüllung kein Verdienst, sondern Schuldigkeit bedeutet. In der hypothetischen Situation eines Konfliktes von Pflichterfüllung und kalkulatorischem Rechtsbruch bezeugt die Pflichterfüllung aber, dass der Handelnde auf sein Selbstinteresse um der bestehenden Pflicht willen verzichtet hat. Die Beweisbarkeit moralischen Handelns ist ein möglicher Effekt fehlender Zwangsmacht des Gläubigers. Die kalkulierte Erosion wie auch die kalkulierte Geltungsdemonstration der Rechtsregel erhellen die Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Die nicht zwangsbewehrte Forderung dient insofern als Flexibilitätsreserve zur Entwicklung einer klaren Grenzlinie in Bereichen, wo die Meinungsbildung über die Rechtmäßigkeit,

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Richtigkeit oder Angemessenheit eines bestimmten Verhaltens schwierig oder noch nicht abgeschlossen ist. C. III. 2. b) ff), S. 394. 71. Der Sittlichkeitsgehalt einer Naturalobligation ist nicht anders zu bewerten als der einer Zivilobligation. Verlangt wird einen Mindestgehalt materialer Sittlichkeit, das auf den Anspruch materialer Richtigkeit reduziert ist. Dem Anspruch auf materiale Richtigkeit wird entsprochen, wenn der Andere und seine Rechte als Teilnehmer im Verkehrskreis geachtet werden. Grundlage dieser Basismoral des Schuldrechts sind die sozialethischen Maßstäbe, wie sie in den §§ 138, 242 BGB ausgedrückt sind. Aus heutiger Sicht entsteht das Rechtsverhältnis aus kommunikativen Handlungsakten. Die Person ist unter rechtsethischem Gesichtspunkt vor Verletzungen zu schützen, die aus der Missachtung ihrer kommunikativ hergestellten Selbstbeziehung folgen und die damit ihre Identität als Teilnehmer am Rechtsverkehr gefährden. Auf dieser Grundlage lässt sich von den „minima moralia“ (Adorno) des Schuldrechts sprechen. Sie repräsentieren eine unaufgebbare Einbruchstelle für Subjektivität, ohne deshalb bloße Affekte für maßgeblich zu erklären oder beliebige, willkürlich gefasste Werte anzuerkennen. C. III. 2. c) aa), S. 399. 72. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils in § 241 Abs. 2 BGB betreffen als sog. Schutzpflichten das Erhaltungs- (Integritäts-)interesse des „anderen Teils“. Von den guten Sitten und der Verkehrssitte als Termini des rechtsgeschäftlichen Verkehrs (§§ 138, 157, 826 BGB) unterscheidet sich die „sittliche Pflicht“ der Funktion und Form nach allein darin, dass aus ihr ein Leistungspflichtverhältnis abgeleitet wird. Auf eine innere Überzeugung des Leistenden kommt es nicht an. C. III. 2. c) bb), S. 403. 73. Das Schuldverhältnis lässt sich als eine prototypische rechtsethische Grundstruktur verstehen. Es ist eine durch kommunikative Handlungen hergestellte, soziale Beziehung, aus der schuldrechtliche Pflichten erwachsen. In dieser Beziehung wird im Stipulationsmodell durch die Anerkennung eines fremden Befehls Normativität in Gestalt obligatorischer Bindung hergestellt. Das Schuldverhältnis schafft so auch in rechtsethischer Hinsicht eine geeignete Modellvorstellung für die Herstellung rechtlicher Bindung in der Gestalt der Forderung. Bei ihr handelt es sich mithin um eine bestimmte oder bestimmbare und unabweisbare Handlungsanforderung im Interesse eines Anderen, die den Anspruch auf materiale Richtigkeit erhebt. C. III. 2. c) cc), S. 404. 74. In der modernen Zivilistik wird eine notwendige Verknüpfung des Rechtssatzes mit einer Sanktion ganz überwiegend abgelehnt. Alle Mittel des Rechtszwanges stehen außerhalb der Forderung und damit auch außerhalb der Schuld (Gernhuber). C. III. 3. a) aa) – cc), S. 406. 75. Die Funktion des Zwanges liegt im Anreiz für die Pflichterfüllung. Die Zwangsbefugnisse sind regelmäßig vorhandene Verstärkungen des Rechts. Die rechtmäßige Zwangsausübung muss nur möglich sein. Entscheidend ist die

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Zwangseignung, nicht auch die Zwangsbewehrung. Die Zu- oder Aberkennung von Zwangsbefugnissen ist dagegen eine Entscheidung, die sich in der Rechtsfigur der Naturalobligation ausdrückt. C. III. 3. a) dd), S. 412. 76. Die obligatorische Unterpflichtstellung beruht auf der Denkfigur der Selbstgesetzgebung. Wer einem Leistungsrecht als Adressat unterworfen ist, muss sich zugleich als dessen Urheber verstehen können. Es geht um die Legitimation von Eingriffen in die Rechts- und Interessensphäre der sich selbst bestimmenden Person. Bereits den gegen ihn erhobenen Anspruch kann der Schuldner nicht zurückweisen, wenn er seiner eigenen Gesetzgebung entspricht. Die Autonomie ist damit nicht nur Legitimationsfigur für rechtliche Zwangsmittel und physische Zwangsanwendung. Sie begründet allgemein die aus dem Forderungsrecht folgende Gläubigerposition. C. III. 3. b) aa), S. 413. 77. Die Parömie „stat pro ratione voluntas“ bringt die privatrechtstheoretische Isolation der sich selbst bestimmenden Person zum Ausdruck. Die Schwäche dieses Bildes über die Erzeugung von Normativität liegt darin, dass die Selbstgesetzgebung nicht deutlich hervortritt. Beschrieben wird ein heteronomer und potentiell erpresserischer Befehlsakt ohne Einbeziehung des Anderen. Eine Verabsolutierung der Eigenvernunft ist ferner eine irrationale Konzeption des menschlichen Selbst und deshalb nicht als Leitbild rechtsgeschäftlichen Handelns geeignet. Die Projektion führt zur Annahme einer prätentiösen, ständig wechselnden Wünschen folgenden, unberechenbaren und endlich insoweit unvernünftigen Person. Mit der Parömie „volenti non fit iniuria“ ist die Zustimmung des Schuldners in den nötigenfalls gewaltsamen künftigen Zugriff angesprochen. Der im Verpflichtungsakt bekundete Leistungswille wird bis in das Erfüllungs- und Vollstreckungsstadium hinein perpetuiert. Die Kritiker halten dies für eine Fiktion. Sie lässt sich aber retrospektiv als Rechtfertigung eines Zwangsakts verstehen. C. III. 3. b) bb), S. 414. 78. Die Naturalobligation ermöglicht eine Ausdifferenzierung von Gründen für und gegen die staatliche Zwangsbewehrung. Die Gründe für die Aufhebung der Zwangsmacht sind nicht festgelegt. Recht-Pflicht-Verhältnisse werden auch in Bereichen möglich, in denen eine rechtliche Zwangsdurchsetzung unbillig, rechtspolitisch unerwünscht oder nicht funktional ist. Die erhaltene Befugnis zur kommunikativen Einwirkung auf den Schuldner stellt bereits für sich genommen ein gewisses Machtmittel dar. Die Zuerkennung des Forderungsrechts bedeutet eine Verbesserung der Durchsetzungschance, denn sie übt nach den Regeln der Kommunikation Druck auf den Adressaten aus, der Leistungsaufforderung nachzukommen. Forderungsrechte ohne Zwangsmacht halten den Schuldner unter der Spannung der Schuld. Er muss sich zum Rechtsbruch entschließen und ggf. mit einer gesellschaftlichen Sanktion rechnen. Die Rechtsordnung nimmt seinen Regelverstoß nur hin und duldet aus unterschiedlichen Gründen die tatsächliche Verweigerung der Leistung. Damit legitimiert und kontrolliert sie die Auslösung außerrechtlicher Sanktionsme-

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chanismen. In einem institutionellen Rahmen lässt sich von adverser Publizität sprechen, wenn die negative gesellschaftliche Sanktion mit Reputationsverlusten und wirtschaftlichen oder persönlichen Nachteilen verbunden ist. Reaktionen in einer eng vernetzten Gemeinschaft bedrohen den Schuldner zwar nicht zwangsrechtlich, sie setzen ihn aber unter Rechtfertigungszwang. Der Pflichtige muss in seiner gesellschaftlichen Umwelt gute Gründe haben, um im Falle der Nichterfüllung nicht mit dem Makel des Rechtsbruchs belastet zu werden. Die Herstellung von Publizität und Transparenz steigert diesen Verantwortungszusammenhang. Naturalobligationen ermöglichen eine Rationalisierung dieses Prozesses, weil sie die Obligationsstruktur mitsamt der schuldrechtlichen Regelung zur Verfügung stellen, so dass außerrechtliche Sanktionen sich an rechtlichen Maßstäben orientieren können. Das ist für Rechtspositionen in der Kommunikationsgesellschaft von Interesse. C. III. 3. c), S. 418. 79. Rechtliche Zwangsbefugnisse sind gestaltbare Ausstattungsmerkmale einer Forderung. Dabei geht es um die gestufte praktische Wirkung und um die ökonomische Werthaltigkeit der Forderung. Ohne Zwangsmacht sinkt die Wahrscheinlichkeit der Pflichtbefolgung im Regelfall erheblich. Das macht diese Gestaltung in den meisten Fällen ungeeignet. Auf der anderen Seite kann eine Marktentfaltung durch den geschwächten Wirkungsgrad der Forderung eingedämmt werden. Ferner entsteht ein spezifisches Schutzkonzept für den schwächeren Vertragspartner, respektive für den Verbraucher verbinden. Durch die gesetzliche Gestaltung können die Betroffenen vor situativ typischen Verhaltensfehlern geschützt werden, die von anderen Schutzkonzepten, wie etwa einem Informationsmodell, nicht oder nicht ausreichend geleistet werden können. Nicht erzwingbare Rechtspositionen können ferner in eng vernetzten Märkten oder Gesellschaften von Vorteil sein. Grundlage ist einerseits die unterstellte kommunikative Vernunft der Akteure und andererseits die Notwendigkeit der Einhaltung von Teilnahmebedingungen zur Sicherung des dauerhaften Zugangs zu dem entsprechenden Markt. Die Grundannahmen des sog. Relationalvertrages sind über das einzelne Vertragsverhältnis hinaus auch auf die Teilnehmer eines geschlossenen Marktes übertragbar. C. III. 3. d), S. 421. 80. Rechte ohne Zwang markieren einen Grenzbereich zwischen sozialer Regel und Recht. Die sozial anerkannte Regel kann in einem ersten Schritt als Naturalobligation in das Recht integriert werden. Die Obligationsstruktur erfüllt die Aufgabe des Rechts, denn sie ermöglicht eine Rationalisierung und Abgrenzung gesellschaftlicher Normen und Zwänge. Gesellschaftliche Sanktionssysteme können ihre Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion an der Recht-Pflicht-Struktur des Schuldrechts ausrichten. Die Rechtsordnung kann damit Sachbereiche regulieren und verrechtlichen, die staatlichem Erfüllungszwang nicht zugänglich sind. Die Rechtsfigur Naturalobligation reagiert damit zugleich auf den informellen Charakter bestimmter gesellschaftlicher

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Erwartungen, die unter dem Begriff der Moral erfasst werden. Unter modernen Bedingungen erweist sich die Moral als ein in vielen Bereichen zu unsicheres und auch zu unpräzises System der Verhaltensregulierung und Konfliktbewältigung. Es bedarf daher institutioneller Mechanismen zur Absicherung. C. III. 3. d) bb) u. cc), S. 421 u. 425. 81. Die Werthaltigkeit einer Forderung hängt von der im Einzelfall gegebenen Erfüllungswahrscheinlichkeit ab. Das Forderungsrecht kann insoweit auch als schutzwürdige Erwartung oder als eine Vermögensaufstockung auf der Grundlage der Willensentscheidung des Schuldners (Lobinger) verstanden werden. Die Chance, dass der Schuldner freiwillig erfüllt, mag im Einzelfall sehr gering sein. Der fehlende Zwang nimmt der Naturalobligation aber nicht jede Erfüllungschance. Das zeigen die Anwendungsgebiete der Naturalobligation. Die Erfüllung einer nicht zwangsbewehrten Pflicht kann auch einen eigenen wirtschaftlichen Nutzen für den Schuldner haben. Das ist in neuerer Zeit insbesondere im Zusammenhang mit den sog. freiwilligen Selbstverpflichtungen erkannt worden. Vertrauens- und Kreditwürdigkeit sind zentrale Kriterien eines Marktes. Der Schuldner vermag bei fehlender Durchsetzbarkeit, seine Autonomie unter Beweis zu stellen. Rechtliche Tugenden wie Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Einsichtsfähigkeit, Vernünftigkeit, Redlichkeit und Anständigkeit werden in höherem Maße demonstrierbar als unter der Zwangsbedrohung. C. III. 3. e), S. 426. 82. Der historische Gesetzgeber hat mit der Formulierung in den §§ 656 Abs. 1 S. 1, 762 Abs. 1 S. 1 BGB „… wird eine Verbindlichkeit nicht begründet“ keine Streichung einer Leistungsstruktur bei Ehemaklerlohn sowie Spiel- und Wettverträgen angeordnet. Wie die Materialien zeigen, liegt der Formulierung eine Sprachkonvention im Vorbeschluss der 1. Kommission vom 3.10.1877 zu Grunde. Die Formulierung ist dahin zu verstehen, dass nur die „klagbare Obligation“ ausgeschlossen ist. Der systematische Ort für die Rechtsfigur ist die Grundnorm § 241 Abs. 1 BGB. Die Annahme einer Pseudoobligation („unecht“, „uneigentlich“, „an sich rechtsgrundlos“) ist dagegen kein tragfähiges Konzept. Die sprachliche Distanzierung „an sich nicht“ sperrt sich (formal) gegen eine Begriffserweiterung hin zu einer Forderung ohne Zwang. Das Zwangsmoment ist aber kein notwendiger Bestandteil der Forderung. Das erlaubt die Integration der Naturalobligation in den Forderungsbegriff. Eine zeitgemäße Betrachtung lässt es gerechtfertigt erscheinen, de lege ferenda eine parallele Regelung auch in das BGB aufzunehmen. Erforderlich ist die gesetzliche Positivierung aber nicht. C. IV. 1. a) – b), S. 432. 83. Die im Schrifttum verbreitet unterstellte Verneinung einer Leistungsstruktur zwingt in bereicherungsrechtlicher Hinsicht zu einer atypischen Gestaltung. So wird der Spieleinwand in § 762 Abs. 1 S. 1 BGB in eine Rechtsschutzversagung umfunktioniert. Die Leistungsbewegung ist nicht gerechtfertigt, sondern deren Rückgängigmachung durch die speziell geregelte Kon-

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diktionssperre ausgeschlossen (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Naturalobligation hält dagegen den Funktionszusammenhang von Vertrag und Forderung aufrecht. Aus einem Spiel- oder Wettvertrag erwächst die residuale, nicht erzwingbare Forderung. Die Rechtsprechung vermeidet eine Aussage über den Rechtsstatus. In Nichtigkeitsfällen, etwa bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote oder gegen die guten Sitten sei der Vertrag „schlechthin nichtig“. Auch diese Unterscheidung in eine schwache und eine starke Nichtigkeit (schlechthin) überzeugt nicht. Fraglos finden die Regeln über die Abschluss- und Inhaltskontrolle (§§ 104 ff., 119 ff., 134, 138 BGB) Anwendung und es werden ebenso so selbstverständlich Spiel- und Wettverträge geschlossen, die durch entsprechende Vertragserklärungen der Parteien zustande kommen. Die Irregularität des Konzepts fehlender Forderungen zeigt sich in der Praxis darin, dass die Fragen der Abschluss- und Inhaltskontrolle sowie der Leistungsstörungen konstruktiv an eine fehlende Forderung und an das Merkmal des Rückforderungsausschlusses (§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB) herangetragen werden. Die Befreiung von der Rückgabeverpflichtung (soluti retentio) muss also an einen hypothetisch wirksamen Vertrag und an eine hypothetisch wirksame freiwillig erfüllte Forderung anknüpfen. Die Notwendigkeit hypothetischer Rechtsvoraussetzungen resultiert aus der dogmatisch nicht begründeten Grundannahme, es liege kein wirksamer Vertrag vor. Die Annahme einer Naturalobligation ermöglicht dagegen die dogmatische Durchformung eines wirksamen Vertrages mit obligatorischer Leistungsforderung ohne Durchsetzungszwang. C. IV. 1. c) aa), S. 438. 84. § 814 BGB kann ebensowenig als Rechtsschutzversagung für rechtlich missbilligte Leistungen verstanden werden. § 814 Hs. 2 BGB versagt die Rückforderung, weil die Leistung den Wertungen des Gesetzgebers (sittlicher Pflicht) entspricht. § 814 sanktioniert also nicht ein schädliches Leistungshandeln aus generalpräventiven Gründen, wie die Parallelnorm § 817 S. 2 BGB, sondern schützt eine anerkannte Leistung. C. IV. 1. c) bb), S. 443. 85. Die Naturalobligation setzt keinen Vertrag voraus, sondern ist systematisch auf der abstrakteren Ebene des Forderungsrechts angesiedelt. Sie gehört zu den Behaltensgründen aus Forderungen (condictio indebiti). Die Naturalobligation bildet einen objektiven Rechtsgrund. Die Umwandlung einer Zivilin eine Naturalobligation und umgekehrt stellt eine Schuldänderung dar. Eine Schuldersetzung (Novation) ist dazu nicht erforderlich und regelmäßig auch nicht sachgerecht. Die Naturalobligation kann grundsätzlich auch durch ein abstraktes Schuldversprechen gesichert werden (§§ 780 f. BGB). Die Sicherung der naturalen Forderung durch ein kausales Schuldversprechen, das wie eine Selbstverbürgung neben die Naturalobligation tritt (constitutum), ist überflüssig, weil eine schuldrechtliche causa existiert. C. IV. 2. a und b), S. 447. 86. Eine Konzeption geht dahin, die Naturalobligation als einen extralegalen Behaltensgrund anzuerkennen. Das bedeutet eine funktionale Gleichstellung des

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sittlichen Behaltensgrundes (§ 814 Hs. 2 BGB) gegenüber den Rechtsgründen (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Sonderstellung des sittlichen Behaltensgrundes bei „an sich“ bestehender Rückforderungslage bedeutet aber einen Rechtsgrund zweiter Klasse. Es gibt keinen Grund, die richterlich festzustellende sittliche Pflicht in § 814 Hs. 2 BGB nicht ebenso als eine Rechtspflicht zu qualifizieren. Eine Anerkennung als Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB erscheint hier als die klarere und darum vorzugswürdige Lösung. C. IV. 2. c), S. 451. 87. Zuwendungen aus sittlicher Pflicht genießen einen besonderen Bestandsschutz im Schenkungsrecht (§ 534 BGB) und sind „sozialhilfefest“. Die Erfüllung sittlicher Pflichten wird ferner dadurch privilegiert, dass sie von gebundenen Rechtsträgern insbesondere im Familien- und Erbrecht weitgehend unbeschränkt erfüllt werden können. Die Auffassung, wonach die Zuwendung aus sittlicher Pflicht Entgeltcharakter besitzt und deshalb keine Schenkung vorliegt, lässt sich mit der Regelung des § 534 BGB nicht vereinbaren. Voraussetzung für eine Pflicht- oder Anstandsschenkung ist aber, dass eine Schenkung tatbestandlich vorliegt. Die Parteien müssen sich über die Unentgeltlichkeit der Leistung geeinigt haben. C. IV. 3. a), S. 454. 88. Der Schenker ist zu einer Schenkung aus „sittlicher Pflicht“ oder „Anstandsrücksicht“ in Gestalt einer Naturalobligation verpflichtet. Er erfüllt die sittliche Pflicht im Wege der formfreien Handschenkung oder durch das formbedürftige Schenkungsversprechen (§ 518 Abs. 1 BGB). Die Erfüllung der Schenkungsschuld beruht damit nur mittelbar auf der sittlichen Pflicht. Mit dieser Konstruktion im Anwendungsbereich des § 534 BGB wollte der Gesetzgeber verhindern, dass bloß mündlich gegebene Leistungsversprechen zur Erfüllung sittlicher Pflichten bereits klagbar werden. Eine Sonderstellung nimmt die (maßhaltende) Ausstattung des Kindes nach § 1624 Abs. 1 BGB ein. Die Vorschrift verwendet nicht den Rechtsbegriff „sittliche Pflicht“, sondern sie bildet eine sittliche Pflicht zur Ausstattung tatbestandlich aus. Wie sich aus § 1624 Abs. 2 BGB ergibt, liegt dem Ausstattungsversprechen der Eltern keine Schenkungscausa zu Grunde. Ein Leistungsversprechen führt daher zu einer Schuldänderung. Das Kind erlangt eine durchsetzbare Ausstattungsforderung. Eine Kondiktion des Versprechens nach § 812 Abs. 2 BGB ist ausgeschlossen, weil die sittliche Pflicht den Rechtsgrund bildet. C. IV. 3. b), S. 455. 89. Die Naturalobligation kann wie die Zivilobligation in Einzelbefugnisse analytisch zerlegt werden. Unter die Einforderungsbefugnis fallen alle Einwirkungsbefugnisse des Gläubigers ohne Zwang. Das sind die Forderungserhebung durch Rechtsbehauptung, das Leistungsverlangen in den verschiedenen Formen des Anhaltens zur Leistung durch Erinnerung (Mahnung) sowie durch Feststellungsklage im Falle der Rechtsleugnung. Der Gläubiger hat ferner ein Verfügungsrecht (Abtretungsbefugnis, Schuldübernahme) über die Forderung, Schutzrechte (Schutzobligation) und es besteht bei synallagmatischer Verknüpfung auch die Möglichkeit zum Rücktritt, zur Minderung oder zum Schadens-

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ersatz bei Rückabwicklung (§§ 323, 324, 326 Abs. 5, 346 ff. BGB). Ferner kann Aufwendungsersatz geschuldet sein (§§ 280, 284 BGB). Fehlt die Dispositionsbefugnis, so schließt dies auch Umgehungsgeschäfte aus (§§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2 BGB). Das betrifft nichtakzessorische Verbindlichkeiten und sonstige Schuldänderungen. Die Reichweite des zwingenden Rechts ist im Einzelfall durch Auslegung festzustellen. Soweit ein Umgehungsverbot besteht, werden daher erweiternd auch die Verpflichtungen aus Hilfsgeschäften zu Naturalobligationen. C. IV. 4. a), S. 461. 90. Für den Gläubiger einer Naturalobligation besteht eine Anspruchsposition, weil der Anspruch nicht notwendig mit Zwangsbefugnissen verknüpft ist. Für die Naturalobligation hat das Grund-Folge-Verhältnis von Forderung und Anspruch die Konsequenz, dass der naturalen Forderung ein materiell-rechtlicher Anspruch entspricht. Dieser Anspruch realisiert sich in seiner Erhebung. C. IV. 4. b), S. 472. 91. Die Naturalobligation lässt sich gegenüber betagten, verhaltenen und in ihren Wirkungen ausgesetzten Forderungen abgrenzen, denen die Einforderungsbefugnis fehlt. Das gilt ferner gegenüber gehemmten Forderungen, denen Einreden entgegenstehen. Die Naturalobligation ist von der „unbestimmten und unverbindlichen Forderung“ (§§ 315, 317 BGB) zu unterscheiden. Ferner unterscheidet sie sich von Sonderformen des Rechtsgeschäfts, wie dem aufschiebend bedingten oder befristeten Rechtsgeschäft und vom schwebend wirksamen Rechtsgeschäft (Anfechtung, Widerruf und Rücktritt). Zu unterscheiden ist die Naturalobligation von anderen Schutzkonzepten, die mit Hilfe von unwirksamen Forderungen konzipiert sind, wie die Heilung und die Genehmigung schwebend unwirksamer Rechtsgeschäfte. Die Erfüllung formfehlerhafter Rechtsgeschäfte führt weder generell zur Heilung noch zur Annahme einer Naturalobligation. Für eine formfehlerhafte, also insbesondere eine mündliche Vermächtnisanordnung kommt die Annahme einer Naturalobligation nicht in Betracht, weil eine dahingehend gesetzliche Regelung fehlt. C. IV. 4. c) aa) – bb), S. 476. 92. Keine Anwendung findet die Naturalobligation im Falle der Leistung auf ein nicht anerkanntes ausländisches Urteil. Gilt das deutsche Schuldstatut, so kommt für das Rückforderungsverlangen § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zum Zuge. Die Rückforderung ist nur ausgeschlossen, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Leistung das Anerkennungshindernis positiv kannte (§ 814 Hs. 1 BGB). Das kommt in Betracht, wenn der Schuldner etwa deshalb leistet, um die Sache aus der Welt zu schaffen oder der drohenden Vollstreckung im Ausland zuvorzukommen. In den übrigen Fällen einer rechtsgrundlosen Leistung bleibt die Rückgabepflicht bestehen. § 814 Hs. 2 BGB kann nicht über eine rechtsgrundlose Leistung hinweghelfen. Aus dem ausländischen Leistungstitel folgt auch keine sittliche Pflicht zur Leistung. C. IV. 4. c) cc), S. 497.

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93. Die Verweisungen der allgemeinen Kollisionsnormen (Art. 7 ff. EGBGB) erfassen auch die Frage, ob eine von ihnen erfasste Forderung als Naturalobligation oder als Zivilobligation ausgestaltet ist (sog. unselbständige Teilfrage). C. IV. 4. d), S. 507. 94. Das Vorliegen einer Naturalobligation kann mithilfe zweier Fragen nach dem Normzweck festgestellt werden. Soll ein Recht auf eine bestimmte Leistung zuerkannt werden und sollen die Durchsetzungsbefugnisse aberkannt werden? Die doppelte Fragestellung ermöglicht getrennte Antworten über das Bestehen eines Recht-Pflicht-Verhältnisses einerseits und über das Fehlen von Zwang andererseits. Die Analyse der Anwendungsfälle zeigt, dass der Gesetzgeber die Gründe nicht abschließend bestimmt hat, die den Erhalt der Forderung bei gleichzeitiger Aufhebung des Erfüllungszwanges rechtfertigen. Die Gestaltung folgt auch keinem einheitlichen inhaltlichen Prinzip oder Rechtsgedanken. Rein rechtspolitische Gründe genügen, was den Schluss rechtfertigt, dass die Figur der Naturalobligation ein gesetzgeberisches Gestaltungsmittel zur funktionalen Differenzierung der Forderung darstellt. C. IV. 5., S. 509. 95. Im Ausgangspunkt unstreitig ist es, dass der gesetzliche Verjährungseintritt die Forderung nicht zum Erlöschen bringt. Die Forderung wird aber geschwächt, weil der Schuldner die Verjährungseinrede erwirbt (§ 214 Abs. 1 BGB). Aufrechnungs- oder eine Zurückbehaltungslagen sowie Einreden des nichterfüllten Vertrages können nicht mehr entstehen, § 215 BGB. Die wirksame Erfüllung einer verjährten Forderung ist nur noch unter der Voraussetzung möglich, dass der Schuldner freiwillig leistet. Leistet er in Unkenntnis der Verjährung, so beseitigt dies die Freiwilligkeit nicht. Der Rechtsirrtum ist nach § 214 Abs. 2 BGB unbeachtlich. Wird die Erfüllung vom Gläubiger dagegen erzwungen, kann die Leistung kondiziert werden (§ 813 Abs. 1 S. 1 BGB). Nach der vom Schrifttum geteilten Auffassung des BGH v. 5.10.1993 NJW 1993, 3318, 3320 hat die Leistung auf eine verjährte Schuld nur unter der Bedingung der Freiwilligkeit Erfüllungswirkung (§§ 214 Abs. 2, 813 Abs. 1 S. 2 BGB). Das Gegenrecht aus der Einrede ist damit so ausgestaltet, dass es die Freiwilligkeit der Schuldnerleistung sichert. Es entsteht daher mit Ablauf der Verjährungsfrist eine Naturalobligation. C. IV. 5. a) aa) – bb), S. 510. 96. Auch das bloße Fallenlassen der Verjährungseinrede lässt sich schlüssig nur über die Annahme einer Naturalobligation erklären, weil der Schuldner in diesem Falle das Einrederecht behält. C. IV. 5. a) cc), S. 515. 97. Die Erhebung der Verjährungseinrede führt zum Verlust der Einforderungsbefugnis des Gläubigers und beseitigt die Leistungspflicht des Schuldners. Der Schuldner steht nach der Einredeerhebung nicht mehr unter dem Leistungsgebot aus der Forderung. Die normative Wirkung der erhobenen Einrede hebt die normative Wirkung des Forderungsrechts auf. Die Forderung ist gehemmt. Die Verjährungseinrede führt zum Verlust der Einforderungsbefugnis und damit zum Anspruchsverlust des Gläubigers. Dieser Verlust erfasst auch

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den Anspruch aus der bereits durch den Zeitablauf entstandenen Naturalobligation. Mit Entstehung der Verjährungseinrede durch den gesetzlichen Verjährungseintritt wird also aus der zivilen eine naturale Forderung. Mit der Erhebung der Einrede durch den Schuldner wandelt sich diese naturale in eine gehemmte Forderung, einen bloßen Behaltensgrund, um. C. IV. 5. a) dd), S. 516. 98. Das dogmatische Verständnis für die Lohnforderung des Ehemaklers (§ 656 BGB) und der ihm gleichgestellten Vermittlern und Dienstleister führt zur Naturaloblgiation. Anknüpfungsgegenstand für die rechtliche Behandlung ist das Zahlungsversprechen des heiratswilligen Kunden. Rechtsprechung und Lehre benötigen in unterschiedlichen Zusammenhängen hier eine Forderungsstruktur, um die aufgeworfenen Rechtsfragen sachgerecht lösen zu können. Die Annahme einer Naturalobligation eröffnet die unmittelbare Anwendung der schuldrechtlichen Regeln über Forderungen. C. IV. 5. b), S. 517. 99. Auch bei Spiel und Wette müssen Entstehung und Wirksamkeit der Verträge sowie Leistungsstörungen reguliert werden. Die Rede von einer Nichtforderung, die die Struktur einer Forderung besitzt, ist nicht überzeugend. Mit der Annahme einer Naturalobligation kann festgestellt werden, ob die Forderung wirksam entstanden und ordnungsgemäß erfüllt wurde. Nichts anderes folgt aus der Formulierung des BGH, dass der Ausschluss der Rückforderung gem. § 762 Abs. 1 S. 2 BGB nur eingreife, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt werde. § 762 Abs. 1 S. 1 BGB ist im Wortlaut parallel zu § 656 Abs. 1 S. 1 BGB gefasst und besagt, dass durch Spiel und Wette keine erzwingbare Verbindlichkeit begründet wird. Die Vorzugswürdigkeit dieser Konstruktion zeigt sich auch im grenzüberschreitenden Fall. C. IV. 5. c) aa) und bb), S. 521. 100. Abweichend von § 763 BGB folgt aus der staatlichen Genehmigung von Pferdewetten nach § 4 Abs. 2 RennwLottG eine nur einseitige Durchsetzbarkeit erlaubter Rennwetten zu Gunsten des Wettenden. § 4 Abs. 2 Satz 3 RennwLottG gesteht dem Rennwettveranstalter und dem Buchmacher aber zumindest eine Verrechnungsbefugnis bezüglich eines noch nicht geleisteten Einsatzes zu. Dieser darf vom auszuzahlenden Gewinn abgezogen werden. Dogmatisch lässt sich das Abzugsrecht nur dahin erklären, dass die naturale Zahlungsforderung des Wettanbieters mit der zivilen Gewinnforderung des Wettenden aufgerechnet werden darf. C. IV. 5. c) cc), S. 524. 101. Das gegenseitige Versprechen der Eheschließung (Verlobung) begründet gegenseitige Forderungen auf Eingehung der Ehe (§ 1297 Abs. 1 BGB). Die Durchsetzungsschwäche dieser Forderungen erlaubt es, den Konflikt zwischen Bindung und Eheschließungsfreiheit angemessen zu lösen. Die herrschende Vertragstheorie ist der Vorstellung eines gesetzlichen Rechtsverhältnisses oder einer Vertrauenshaftung überlegen. Die Anerkennung einer Forderung im Rechtssinne grenzt das Verlöbnis von eheähnlichen Verhältnissen ohne ernstliches Eheversprechen ab. Die Ersatzpflicht knüpft an einen nicht gerechtfertig-

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ten Rücktritt (§ 1298 Abs. 1 u. 3 BGB) oder an einen schuldhaft gesetzten Grund für den Rücktritt des Anderen (§ 1299 BGB) an. Es geht mithin um die Verletzung des Verlobungsversprechens und die deshalb frustrierten Aufwendungen und Dispositionen in Erwartung der Ehe. C. IV. 5. d), S. 525. 102. Die Leistungspflicht ist in den Fällen der §§ 1624 Abs. 1, 534, 814 Hs. 2 BGB aufgrund der gesetzlichen Regelungstechnik erst nach erfolgter Leistung feststellbar und wird durch den Richter bestimmt. Die fehlende Durchsetzbarkeit sittlicher Pflichten und Anstandsrücksichten ist bereits eine Folge der Regelungsstruktur des Gesetzes, wonach stets nur die erfüllte Leistungspflicht der Feststellung unterliegt. Aus dem Blickwinkel rechtlicher Entscheidung ist der Pflichtbegriff immer Rechtsbegriff. Nur die verhaltenssteuernde Anforderung stammt aus einem gesellschaftlichen, rechtlich nicht bereits ausgeformten Kontext (obligatio ex societate). Anhand der Strukturmerkmale der obligatorischen Pflicht kommen Rechtsprechung und Lehre bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „sittliche Pflicht“ zu einer obligatorischen Leistungspflicht. C. IV. 5. e), S. 528. 103. Der Rechtsanwalt darf eine höhere Vergütung als nach den gesetzlichen Sätzen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vertraglich vereinbaren. Verstößt er dabei gegen Form- und Gestaltungsanforderungen, kann er das die gesetzlichen Gebühren übersteigende Honorar nicht mehr einseitig gegen den Willen des Mandanten durchsetzen. Die Mehrforderung wird als Naturalobligation verstanden, die nicht eingeklagt, aber erfüllt werden kann (§ 4 Abs. 1 S. 3 RVG). Dogmatisch betrachtet bringt hier der formlose Parteikonsens (pactum nudum) die Naturalobligation hervor. § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ist im deutschen Recht eine singuläre Abweichung des sonst bei Formfehlern verfolgten Heilungskonzepts. Die rechtsbeständige, freiwillige und vorbehaltslose Erfüllungsleistung nach § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ist dagegen nicht als ein Fall des § 814 Hs. 1 BGB zu verstehen. Die gleichzeitige Verneinung von Rechtsgrund und Rückforderung bildet keine überzeugende dogmatische Grundlage für das Behaltensrecht an der Erfüllungsleistung. § 4 Abs. 1 S. 3 RVG ist auf den formfehlerhaften Teil des Vertrages gerichtet und erkennt diesen in der geschwächten Form einer Naturalobligation an. C. IV. 5. f) aa) – bb), S. 530. 104. Nicht erfasst werden andere Verstöße gegen das anwaltliche Vergütungsrecht. So ist etwa die Rückforderung eines nach §§ 134 BGB, 49 b Abs. 2 BRAO nichtigen Erfolgshonorars der Höhe nach beschränkt auf die Beträge des RVG. Die Rechtsbeständigkeit der Gebührenzahlung in gesetzlicher Höhe folgt aus einer teleologischen Reduktion der Verbotsfolge (§ 134 Hs. 2 BGB). Werden Gebühren unterhalb der gesetzlichen Sätze vereinbart, entsteht keine Naturalobligation in der gesetzlichen Gebührenhöhe. Vielmehr ist eine solche Vereinbarung in gerichtlichen Angelegenheiten unzulässig (§ 49 b Abs. 1 BRAO). C. IV. 5. f) cc), S. 535.

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105. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Insolvenzplan (§§ 217 ff., 254 InsO) oder Restschuldbefreiung (§§ 286 ff., 301 InsO) führt nicht zum Erlöschen der unter Beschlag stehenden Forderungen. Der Grund für die gleichwohl erfolgende Aufhebung der Zwangsbefugnisse liegt in Zweckmäßigkeitserwägungen. Die Ausfallforderungen bleiben mit den für sie bestehenden Sicherheiten erhalten (§§ 254 Abs. 2, 301 Abs. 2 InsO). Diese Regelung entspricht funktional dem Fortbestand von Realsicherheiten nach Eintritt der Verjährung (§ 216 BGB). Die Ausfallforderung ist ferner nicht einklagbar und mit ihr kann nur noch gegen bereits entstandene Forderungen des Schuldners aufgerechnet werden. Das entspricht sachlich der Aufrechenbarkeit verjährter Forderungen mit Aufrechnungslagen aus unverjährter Zeit (§ 215 BGB). Sie kann wieder in eine durchsetzbare Schuld rückumgewandelt werden und entspricht dem nach Eintritt der Verjährung erklärten Verzicht des Schuldners auf die Verjährungseinrede. Der Schuldner kann schließlich ein abstraktes Schuldanerkenntnis oder Schuldversprechen abgeben, dessen Grundlage die Ausfallforderung als kausale Schuld ist. Die Anerkennung der Naturalobligation erscheint auch hier gegenüber dem Gedanken einer irregulären Nichtschuld vorzugswürdig. C. IV. 5. g), S. 535. 106. Die Aufhebung der Klagbarkeit von Forderungen aus Devisenkontrakten gemäß Art. VIII 2 b S. 1 des IWF-Abkommens von Bretton Woods („Exchange contracts … shall be unenforceable …“) folgt einem aktionenrechtlichen Denkansatz. Die Durchsetzungsschwäche lässt sich prozessrechtlich oder materiellrechtlich verstehen. Gegen das prozessrechtliche Verständnis spricht, dass auch Sicherungsgeschäfte sowie Aufrechnung und Zurückbehaltung ausgeschlossen sein sollen. Auch lässt sich eine Erstreckung des Klageverbots auf Umgehungsgeschäfte prozessual kaum begründen. Die ganz überwiegende Auffassung innerhalb der materiellrechtlichen Theorie geht daher zu Recht mit Ebke davon aus, dass eine Naturalobligation anzuerkennen ist. Auf diesem Wege wird nicht lediglich das (prozessuale) Klagerecht, sondern es werden sämtliche materiellen Durchsetzungsbefugnisse aufgehoben. Anders als im Falle der Nichtigkeit bleibt die Forderung aber als Naturalobligation erhalten und verhindert so den Rechtsverlust für den Gläubiger. Der Vorzug einer materiellrechtlichen Betrachtung zeigt sich insbesondere im Rückforderungsprozess. Die prozessuale Klaglosigkeit führt zu einer unbefriedigenden prozessualen Immunisierung von streitigen oder gar offenkundig rechtsunwirksamen Erfüllungsleistungen. Nach der materiellrechtlichen Sichtweise ist der Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB durchsetzbar und insbesondere klagbar. Die Nichtigkeitsfolge überzeugt hier nicht, weil sie dem Schuldner stets die Kondiktion von Gleichwohlleistungen eröffnen würde. C. IV. 5. h), S. 539. 107. Neue Anwendungsgebiete für die Gestaltung nicht erzwingbarer Forderungen sind denkbar. So etwa die staatliche Anerkennung bestimmter privater Schiedssprüche ohne deren Vollstreckbarerklärung. Dogmatisch ließe sich

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dies mit Hilfe der Naturalobligation erklären und umsetzen. C. IV. 5. i) aa), S. 547. 108. Die Entgeltforderung der Prostituierten stellt keine Naturalobligation dar. Der Gesetzgeber des Prostitutionsgesetzes wollte sowohl die Sittenwidrigkeit aus der Welt schaffen als auch die Forderung für gerichtlich durchsetzbar erklären (§ 1 ProstG). Die vereinbarte Dienstleistung der Prostituierten kann ebenfalls nicht als Naturalobligation verstanden werden. Das unveräußerliche Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schließt auch eine nicht erzwingbare Leistungspflicht aus (Art. 1, 2 Abs. 1 GG). C. IV. 5. i) bb), S. 548. 109. Das Austragen eines biologisch fremden Kindes gegen Entgelt kann nicht mit verpflichtender Wirkung vereinbart werden (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). Aus einem Leihmuttervertrag entstehen daher keine Bindungen, so dass auch die Anwendung der Naturalobligation nicht in Betracht kommt. Das gilt ferner für eine Vereinbarung über die Empfängnisverhütung. Bei Fluchthilfeverträgen scheidet eine Naturalobligation aus, weil die Erzwingung der Vergütung nicht missbilligt, sondern zuerkannt wird. Der Verleihung eines Ehrentitels gegen Zahlung eines Entgelts ist sittenwidrig. Bei unsinnigen oder unmöglichen Leistungszwecken (Hellsehen, Geistheilen, Herstellung eines perpetuum mobile) kommt die Annahme von Naturalobligationen in Betracht. C. IV. 5. i) cc), S. 551. 110. Freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden gegenüber der öffentlichen Hand lassen sich als Naturalobligationen verstehen. Die allgemein unterstellte Unverbindlichkeit ist unbefriedigend, weil sie den in der Selbstverpflichtung ausgedrückten Pflichtcharakter nicht aufnimmt. Die Naturalobligation schützt vor Erfüllungszwang, ohne dem Pflichtigen ein Lösungsrecht einzuräumen. C. IV. 5. i) dd) (1), S. 554. 111. Im Begriff der freiwilligen Selbstverpflichtung liegt eine Überhöhung von Selbstverständlichkeiten. Er ist überdies irreführend, weil die Freiwilligkeit bezogen auf die Übernahme einer Selbstverpflichtung stark eingeschränkt ist. In diesen Fällen von Freiwilligkeit zu sprechen dient allein der Abgrenzung hoheitlicher Handlungsformen untereinander. C. IV. 5. i) dd) (2), S. 558. 112. Die Anwendbarkeit der Naturalobligation bietet sich ferner bei Abschluss sog. Gentlemen’s Agreements an. C. IV. 5. i) ee), S. 561. 113. Nach der justinianischen regula iuris darf auf Vorzüge des Rechts verzichtet werden. Die Freiheit der inhaltlichen Ausgestaltung rechtsgeschäftlicher Beziehungen ist heute Teil der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG) und umfasst die Abbedingung rechtlicher Zwangsmittel. Der Einzelne soll als „homo oeconomicus“ seine Rechtsverhältnisse auch insoweit nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten können. Die gleichermaßen verfassungsrechtlich verankerte Rechtsschutzgarantie für den Gläubiger (Art. 2 Abs. 1, 14 GG iVm. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) rechtfertigt kein Verbot der Vereinbarung von Naturalobligationen. Der Verzicht auf die

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Zwangsmacht aus einer obligatorischen Rechtsposition ist anfällig für Missbrauch und verlangt daher eine angemessene Abschluss- und Inhaltskontrolle. Ein weitergehendes generelles Verbot verstieße aber gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Die Anerkennung insbesondere von Aufrechnungsverboten oder dem Ausschluss der Klagbarkeit, ggf. in der Form von Einreden (pactum de non compensando, pactum de non petendo) zeigt, dass es keinen Typenzwang zu Gunsten der Zivilobligation gibt. C. V. 1., S. 563. 114. Die rechtsgeschäftlich begründete Naturalobligation entsteht wie die Zivilobligation entweder als einseitiges Leistungsversprechen oder durch Vertrag (§ 311 Abs. 1 BGB). Eine Auslobung auf der Grundlage einer Naturalobligation erscheint möglich. Schutz vor missbräuchlicher einseitiger Gestaltung bieten die allgemeinen Vorschriften über die Willenserklärung. Ein Versprechen, zu dessen Erfüllung der Versprechende nicht gezwungen werden können will, ist in der Regel aber als nicht ernstlich gemeint einzustufen. Als sog. böser Scherz führt es entweder zur Zivilobligation oder die Erklärung ist insgesamt nichtig (§ 116 BGB analog). Erforderlich ist die klar erkennbare Ausgestaltung als Naturalobligation. Entsprechend ist auch eine Vermächtnisanordnung unter Ausschluss der Klagbarkeit zulässig. Der Erbe ist in diesem Fall mit einer Naturalobligation belastet, weil der Vermächtnisnehmer keine Zwangsmittel besitzt. § 661 a BGB bedeutet hingegen ein gesetzliches Verbot für die Vereinbarung einer Naturalobligation bei Gewinnmitteilungen. C. V. 2. a), S. 566. 115. Für eine vertragliche Abrede zur Begründung einer nicht erzwingbaren Leistungspflicht kommen zwei Gestaltungen in Betracht. Die Naturalisierung kann durch die Abbedingung der Zwangsbefugnisse erfolgen (§ 311 Abs. 1 BGB), so dass der Gläubiger von vornherein keine Zurückbehaltungs-, Selbsthilfe-, Aufrechnungs- und Leistungsklagebefugnis erlangt. Sie kann aber auch dadurch verwirklicht werden, dass der Schuldner ein Gegenrecht erhält, vermöge dessen er die Leistung verweigern darf. Um eine Naturalobligation durch Einrede zu begründen, müssen ergänzend die außergerichtlichen Rechtsbehelfe Aufrechnung, Selbsthilfe und Zurückbehaltungsrechte abbedungen werden. Diese der Verjährung nachgebildete Konstruktion einer vertraglich begründeten Einrede (exceptio pacti) erscheint erforderlich für die Vereinbarung von zeitlich beschränkten Verzichtswirkungen oder bei einem Verzicht zugunsten Dritter. Sie bedeutet ein materiellrechtlich speziell ausgestaltetes pactum de non petendo. C. V. 2. b) aa) (1), S. 568. 116. Die Umwandlung einer Zivil- in eine Naturalobligation bedeutet den einseitigen Verzicht des Gläubigers auf seine Zwangsbefugnisse. Das Vertragsprinzip des § 311 Abs. 1 BGB gilt ausnahmsweise nicht, weil die entfallenden Zwangsbefugnisse allein und einseitig in der Rechtsmacht des Gläubigers liegen. C. V. 2. b) aa) (2), S. 569.

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117. Die Aufhebung der Naturalobligation erfolgt durch Aufhebungsvertrag (contrarius consensus, § 311 Abs. 1 BGB) oder durch Forderungserlass als schuldrechtlicher Vertrag mit verfügender Wirkung (§ 397 Abs. 1 BGB). C. V. 2. b) bb), S. 571. 118. Die Umwandlung der Natural- in eine Zivilobligation erfolgt durch vertragliche Vereinbarung (§ 311 Abs. 1 BGB), weil der nachträgliche Erwerb von Zwangsbefugnissen sich nicht einseitig bewirken lässt. Sind die Zwangsbefugnisse des Gläubigers dagegen durch ein Gegenrecht des Schuldners entkräftet, so genügt wie, bei der Verjährungseinrede, der einseitige Verzicht des Schuldners auf die Einrede. C. V. 2. b) cc), S. 571. 119. Dogmatisch kann die Umwandlung einer Natural- in eine Zivilobligation (und umgekehrt) auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Zur Wahl stehen eine Schuldänderung, eine Schuldersetzung (Novation) und ein Schuldversprechen. Welche Gestaltung gewollt ist, ist Auslegungsfrage. Denkbar ist ferner die Vereinbarung eines (weiteren) kausalen Erfüllungsversprechens, das als formfreie Zusage neben die naturale Schuld tritt. Die Zulassung einer solchen Selbstverbürgung des Schuldners für seine Schuld ist historisch bedingt (sog. pactum geminatum). Sie stammt aus der Zeit als das pactum nudum noch nicht für klagbar gehalten wurde. Die Hinzusetzung eines zweiten kausalen Schuldgrundes ist heute und nach der hier vertretenen Auffassung überflüssig, weil die Naturalobligation selbst einen genügenden objektiven Schuldgrund (causa) bildet und durch Schuldänderung oder Schuldersetzung umgewandelt werden kann. C. V. 2. b) cc) (1) – (2), S. 572. 120. Die Umwandlung einer Natural- in eine Zivilobligation kann gesetzlich verboten sein. Ein Schuldabänderungs- und Schuldersetzungsverbot (Novationsverbot) wie nach den §§ 656 Abs. 2, 762 Abs. 2, 1297 Abs. 2 BGB gilt nicht generell, sondern bedarf gesetzlicher Anordnung. Für sittliche Pflichten gilt die Wertung des § 534 BGB. Die Schenkungscausa bewirkt eine Formpflicht aber sie steht der Umwandlung in eine Zivilobligation nicht als Verbot entgegen. C. V. 2. b) cc) (3), S. 573. 121. Die Vereinbarung einer Naturalobligation lässt den vertraglichen Integritätsschutz unberührt. Grundlage dieser Einstandspflicht ist das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Erfüllung. C. V. 2. d), S. 577. 122. Nur wenn Bindung gewollt und rechtlich zulässig ist, stellt sich die Frage nach einer Aufhebung der Zwangsbefugnisse. Ob eine Leistungsbindung gewollt ist, ist Auslegungsfrage. Geben sich die Parteien unzweideutige Leistungsversprechen und schießen sie gleichzeitig die rechtliche Bindung aus („no binding clause“) entsteht ein Widerspruch. Dieser lässt sich auf zwei Wegen auflösen. Möglich ist eine Aufspaltung des Bindungsbegriffs in eine Rechtsbindung und in eine gesellschaftliche oder moralische Bindung. Die Unverbindlichkeitsabrede lässt nach diesem Verständnis (nur) die Rechtsbindung entfallen und rekurriert auf extralegale gesellschaftliche oder moralische Pflichten. Auch

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das Gentlemen’s Agreement scheint auf dieser Differenzierung zu beruhen. Möglich ist zweitens ebenso eine Aufspaltung des Obligationenbegriffs. Die Unverbindlichkeitsabrede bezieht sich nach diesem Verständnis allein auf den Rechtszwang und lässt ihn entfallen. Die „no binding clause“ meint die innerrechtliche Differenzierung zwischen Zivil- und Naturalobligation. C. V. 2. d) aa), S. 577. 123. Bindungsverbote schließen ebenso die Vereinbarung einer Naturalobligation aus. Das betrifft insbesondere Geschäfte im höchstpersönlichen Bereich, bei denen eine Leistungsbindung gegen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verstößt und gilt ebenso für die Vereinbarung unzulässiger Wettbewerbsverbote (§§ 74 a ff. HGB). C. V. 2. d) bb), S. 580. 124. Die Vereinbarung einer Naturalobligation ist am Maßstab des § 138 BGB zu messen. Der vereinbarte Ausschluss des (Zivil-) Rechtsweges ist wegen der praktischen Gefährlichkeit für die schwächere Partei unzulässig. § 13 GVG ist zwingendes Recht. Anders als bestimmte Gestaltungen außergerichtlicher Streitbeilegung erfolgt beim Rechtswegausschluss keine staatliche Anerkennungskontrolle. Damit überschreitet die Gestaltung den für die Annahme von „Recht“ erforderlichen institutionellen Mindeststandard. C. V. 3. a) aa), S. 583. 125. Vertragliche Abreden, die auf den Ausschluss der Klagbarkeit oder allgemein auf die Aufhebung von Erfüllungszwang gerichtet sind, werden prinzipiell anerkannt. Der BGH hält die rechtsgrundsätzliche Frage für geklärt, dass auf die Klagbarkeit eines Anspruchs auch außergerichtlich verzichtet werden kann. Das gilt ebenso für die rechtsgeschäftliche Begründung einer Naturalobligation. In einer wegweisenden Entscheidung stufte das OLG Celle (OLGZ 1969, 1) die Vereinbarung einer Naturalobligation als regelmäßig sittenwidrig ein, es sei denn, es lägen einleuchtende Gründe vor. Der wirtschaftlich wesentlich schwächere Vertragspartner dürfe sich nicht einseitig der Möglichkeit begeben, seine eventuellen Ansprüche notfalls klageweise durchzusetzen. Zu verlangen sind konkrete Rechtfertigungsgründe für den Ausschluss der Klagbarkeit. Ferner darf keine einseitige Machtposition ausgenutzt worden sein. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist danach die Ausgestaltung einzelner oder sämtlicher Forderungen als Naturalobligationen ein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 BGB und damit unzulässig. Individualvertraglich gelten die rechtsgeschäftlichen Schranken, insbesondere der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB. Die Haftung für vorsätzliche Pflichtverletzungen kann nicht erlassen werden, § 276 Abs. 3 BGB. Zu beachten ist das Verbot einer Begrenzung der Haftung für Arglist §§ 444 Alt. 1, 536 d, 639 Alt. 1 BGB (fraus corrumpit omnia). Maßgeblich sind die Spielräume, innerhalb derer auch eine Haftungsfreizeichnung möglich wäre. C. V. 3. a) bb) – cc), S. 584. 126. Die Abbedingung von Zwangsbefugnissen kann einem legitimen Interesse folgen, etwa wenn die Zwangsbedrohung des Schuldners die Chancen

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der Vertragserfüllung verschlechtern. In einem höchstpersönlichen Handlungsbereich kann dies Absprachen betreffen wie etwa die Vereinbarung über ein dauerndes Recht zum Getrenntleben ungeachtet des § 1353 Abs. 2 BGB oder die Vereinbarung über einen Religionswechsel. Sofern in diesen Fällen kein Bindungsverbot anzunehmen ist, erscheint auch die Abbedingung von Zwangsbefugnissen gerechtfertigt. Zu besonders sensiblen oder hochkomplexen Handlungsbereichen gehören ferner Verträge über bestimmte technische, wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen. Nichts spräche dagegen, eine Leistungspflicht über die Herstellung eines Kunstwerks zu vereinbaren, dessen Erfüllung nicht erzwungen werden kann und soll (Auftragskunst). Desgleichen kommen Verpflichtungen ohne Zwangsbewehrung in Betracht, wenn der Rechtszwang nicht funktional für die Pflichtbefolgung ist. Denkbar ist dies etwa bei den freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft gegenüber dem Staat, die auf Basis nicht durchsetzbarer Pflichten mutmaßlich effektiver funktionieren und mehr Flexibilitätsreserven zu mobilisieren versprechen, als zwangsbewehrte Pflichtstellungen. C. V. 3. b) aa), S. 589. 127. Eine Rechtfertigung könnte sich ergeben, wenn der Schuldner durch Erfüllung nicht zwangsbewehrter Schulden ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit generieren kann, als durch die Erfüllung einer zwangsbewehrten Schuld. Ein zusätzlicher Reputationsgewinn ist aber nicht eindeutig nachweisbar. Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse der Parteien kann nur ein ergänzender Aspekt für die Rechtfertigung einer vertraglich vereinbarten Naturalobligation sein. C. V. 3. b) bb) – cc), S. 591. 128. Eine hohe Wahrscheinlichkeit und Selbstverständlichkeit der Versprechensbefolgung rechtfertigt die Vereinbarung einer Naturalobligation nicht. Je höher die Erfüllungswahrscheinlichkeit ist, desto geringer ist das Bedürfnis des Gläubigers, die Forderung mit Hilfe von Zwangsbefugnissen durchsetzen zu können. Nichts zwingt in diesem Fall dazu, dem Gläubiger die Befugnisse auch tatsächlich zu nehmen und nichts spricht dafür, den Schuldner von der Zwangsbedrohung zu befreien. Die Zwangsmacht ist bei unterstellter Erfüllungsbereitschaft des Schuldners lediglich funktionslos und daher überflüssig. Keine geeignete Rechtfertigung bietet aus demselben Grund der Umstand, dass der Gläubiger auf die Leistung nicht unmittelbar angewiesen oder gar an ihr nicht besonders interessiert ist. Das gilt ebenso bei bestehenden Durchsetzungshindernissen oder der weitgehender Wirkungslosigkeit rechtlicher Zwangsmittel. Auch das Ehrversprechen macht eine Zwangsdurchsetzung bestenfalls überflüssig. Einen Grund für den Verzicht des Gläubigers auf seine Zwangsbefugnisse liefert es für sich genommen nicht. C. V. 3. c), S. 591. 129. Das Bürgerliche Recht schützt die Ehre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es stellt aber keinen Zusammenhang zwischen Ehre oder einem Ehrversprechen und rechtsgeschäftlichem Handeln her. Die mit der Ehre angesprochene verdiente Selbstgeltung der Person, ihr sozialer Geltungs-

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wert, steigert die Vertrauenswürdigkeit und erhöht die Chancen auf den Vertragsabschluss. Das ist auch für das Schuldrecht nicht ohne Relevanz. Inhalt und Umfang der vorvertraglich entstehenden Schutzpflichten können durch diese Faktoren bestimmt werden (§ 311 a Abs. 2 BGB). Die rechtsgeschäftliche Verpfändung des Ehranspruches setzt aber einen hohen Grad an gesellschaftlicher Integration der Marktteilnehmer voraus. Auch ist bislang nur in Ansätzen etwa auf Internetmarktplätzen oder in Versteigerungsportalen versucht worden, einen Sanktionsmechanismus für unredliches Verhalten zu institutionalisieren. Instrumente hierfür sind der Ausschluss von Marktzugängen, schwarze Listen und prinzipiell alle Formen adverser Publizität. Von der Rechtsprechung wird die rechtsgeschäftliche Relevanz der Ehre als randständiges Phänomen noch anerkannt und Geschäftsformen, wie etwa die weiche Patronatserklärung oder das Gentlemen’s Agreement, zeigen ihre bleibende praktische Bedeutung. C. V. 4. a), S. 593. 130. Eine Ehrenbekundung zur Bekräftigung einer Schuld ist grundsätzlich zulässig, weil rechtlich ohne Bedeutung. Die Rechtspflicht kann daher aber nicht neben eine Ehrenpflicht treten und damit „noch in ein anderes Gebiet hinüber gezogen“ werden, wie es das Reichsoberhandelsgericht einmal formulierte (SeuffA 29, Nr. 17). § 242 BGB hat die Treuepflicht verrechtlicht und lässt diesbezüglich keinen Raum für darüber hinaus gehende extralegale Pflichtstellungen. Die Geschäftsehre des Schuldners steht mit der Erfüllung der Rechtspflicht bereits auf dem Spiel und ist nicht nochmals verpfändbar. Spekulativ ist auch die Prämisse, dass eine Rechtsbindung durch die Ehrenbekräftigung tatsächlich gestärkt werde. Auch ihre Schwächung ist möglich. In Arbeits- und Dienst verträgen sind Ehrerklärungen zur Verstärkung der Schuld sittenwidrig. Nach § 74 a Abs. 2 S. 1 Alt. 2 HGB ist ein Wettbewerbsverbot nichtig, „wenn … sich der Prinzipal die Erfüllung auf Ehrenwort oder unter ähnlichen Versicherungen versprechen lässt.“ Die Knebelungswirkung des Ehrenworts wird aus dem zusätzlich erzeugten Gewissenszwang gefolgert. Ausnahmsweise sollen Ehrenerklärungen hier zulässig sein, wenn der Gewissenszwang einer wirklich ehrlosen Handlung durch eine Verpfändung der Ehre vorbeugt. Mit einer solchen Bekräftigung stellt sich der Erklärende selbst in das Licht der Ehrlosigkeit. Diese Paradoxie lässt sich nur schwer auflösen. C. V. 4. a) aa), S. 595. 131. Ehrenversprechen sind problematisch, wenn der Gläubiger seine Forderung und die Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Schuldners verlieren soll und keine kompensatorischen Vorteile erwirbt. Praktisch geworden sind schuldersetzende Ehrenversprechen in zwei Fallgruppen. Einmal sind dies bewusst formunwirksam geschlossene Verträge, bei denen das Geschäftsziel auf der Grundlage einer Ehrenbindung und mit Hilfe der gesetzlichen Heilungsvorschriften erreicht werden kann. Das Reichsgericht hat dieses „Geschäftskonzept“ im berühmten Edelmannfall (RGZ 117, 121) gebilligt und die formunwirksame Grundstückszuwendung trotz Ehrenversprechens für nichtig er-

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klärt. Der Bundesgerichtshof ist davon abgerückt. Er hat die Missbräuchlichkeit einer solchen Schuldersetzung hervorgehoben und dadurch das Ehrenversprechen auf der Grundlage des § 242 BGB verrechtlicht. Voraussetzung eines solchen Erfüllungsanspruches aus Treu und Glauben ist das Vorliegen besonderer Umstände, zu denen auch das widersprüchliche Verhalten eines Teils, namentlich wegen eines gegebenen Ehrenversprechens gehört. Das Ergebnis wird rechtskonstruktiv durch eine Gegeneinrede des Versprechensempfängers erreicht. Mit der replicatio doli schneidet dieser dem Versprechenden unter dem Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit die Berufung auf den Formmangel ab. Da der Formmangel jedoch selbst keine Einrede, sondern ein Wirksamkeitshindernis darstellt (§ 125 S. 1 BGB) und der Versprechende sich also nicht auf den Formmangel berufen muss, überwindet § 242 BGB richtigerweise das Formgebot und führt zu einem wirksamen Vertrag. Das ist überzeugend, denn der Ehrenmann kann im Ergebnis keine anerkennenswerten Gründe ins Feld führen, weshalb das Erklärte nur als Ehrenpflicht, nicht aber auch als Rechtspflicht gelten sollte. Das verrechtlichte Ehrversprechen begründet damit eine durchsetzbare Schuld. Zu einer Naturalobligation kommt es nicht. C. V. 4. a) bb) (1), S. 598. 132. In einer zweiten Fallgruppe soll das Ehrversprechen ebenfalls die rechtliche Schuld ersetzen. Es liegen in diesen Fällen aber keine offen und gewollt unwirksamen Rechtsgeschäfte vor. Den Parteien geht es darum, die rechtliche Kontrolle über ihre Vereinbarungen aufzuheben. Entsprechend hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (MDR 1953, 482) die Klagbarkeit aus einem als Gentlemen Agreement bezeichneten Abkommen unter Hinweis auf die Gebräuche der „hiesigen Kaufmannschaft“ verneint. Ebenso verneint der BGH (MDR 1964, 570) die Klagbarkeit aus einer als Gentlemen’s Agreement bezeichneten Vereinbarung. Die Rückkehr ins zwingende Recht erfolgt nach § 242 BGB, wenn der Kläger darlegt, „er habe berechtigten Grund zu der Annahme, der Beklagte habe sich von seiner freundschaftlichen Einstellung entfernt.“ Auch das mündliche Versprechen, den Vertragspartner in einem bestimmten Falle „nicht im Regen stehen zu lassen“ wurde vom OLG Nürnberg (NJW-RR 2001, 636 f.) betrachtet als „Übereinkunft, bei der die Partner es für ausreichend erachteten, eine allgemeine Einigung zu erzielen, deren Ausgestaltung dem geschäftlichen Anstand überlassen wird, ohne dass damit ein klagbarer Anspruch verbunden sein soll.“ C. V. 4. a) bb) (2), S. 600. 133. Die Bezeichnung „Gentleman“ beschreibt eine persönliche Eigenschaft, die auf einer gesellschaftlichen Zuschreibung beruht und nicht durch Selbstzuschreibung erworben werden kann. Ähnlich dem Ehrbegriff ist die verdiente Selbstgeltung des Betroffenen angesprochen. Geistesgeschichtlich geht die Rede vom „gentleman“ auf die angelsächsische Rezeption stoischer Verhaltensideale zurück. Der Begriff steht für innere und äußere Selbstbeherrschung und eine selbstbestimmte Lebensführung. Zugleich zeigt er die Vorstellung, dass Ge-

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rechtigkeit eine menschliche Charaktereigenschaft ist und steht damit gegen den heutigen, am Legalismus ausgerichteten objektiven Gerechtigkeitsbegriff. C. V. 4. b) aa), S. 602. 134. In der deutschen Dogmatik hat sich die angelsächsische Dichotomie von agreement und contract nicht etabliert. Als Pendant zu dem unfassenden Begriff des Agreement kommen Absprachen, Abreden oder Vereinbarungen in einem untechnischen Sinne in Betracht. Ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht passt nicht ohne weiteres, weil das Gentlemen’s Agreement auch Leistungspflichten beinhalten kann. Für ein Gentlemen’s Agreement ist ferner kennzeichnend, dass die Vertragspartner für sich und ihre Rechtsbeziehung Souveränität in Anspruch nehmen. In deutscher Übersetzung ließe sich von einem Vertrauenspakt sprechen, dessen Einhaltung von rechtlich nicht stabilisierten Verhaltenserwartungen und damit vom Glauben an Tugenden oder Eigenschaften des Partners, seine Redlichkeit, Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Beständigkeit abhängt. C. V. 4. b) aa) (2) u. (3), S. 604. 135. Die Anwendungsgebiete und Erscheinungsformen des Gentlemen’s Agreement sind sehr inhomogen. Besondere Verbreitung gefunden haben Gentlemen’s Agreements im Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht. Daneben sind sie im Völkerrecht als eine spezifisch rechtliche Handlungsform anerkannt. Die Gruppe der vertragsersetzenden Gentlemen’s Agreements sind für die Anwendung von Naturalobligationen von Interesse. Sie zeichnen sich durch die Legalität ihres Vereinbarungsinhalts, durch die prinzipielle Möglichkeit einer Rechtsbindung und durch die Abgabe von ein- oder gegenseitigen Leistungsversprechen aus. C. V. 4. b) bb), S. 606. 136. Die Internationale Akademie für Rechtsvergleichung hat das Gentlemen’s Agreement als Generalthema auf seiner XV. Tagung 1998 behandelt. Untersucht wurden Rechtsfragen, die entstehen, wenn redliche und kompetente Parteien bewusst den Ausschluss des Rechts aus ihrer Beziehung vereinbaren. Der Generalberichterstatter hatte auf seine rechtstheoretische wie rechtsdogmatische Grundfrage „Can we outlaw ourselves entirely?“ in 15 Länderberichten ein einhelliges und klares Nein erhalten. Das beruht auf dem allseits geteilten Axiom von der Herrschaft des Rechts über die Frage, ob eine rechtliche Regelung vorliegt oder nicht. Die Parteien können der rechtlichen Qualifikation ihrer Abrede daher nicht entgehen. Die Zulässigkeit von forderungsersetzenden Ehrenerklärungen (sog. „express honour-only clause“) wird von den befragten Länderrechten aber mehrheitlich bejaht. Rationale und anerkennenswerte Gründe könnten dafür sprechen, eine auf Ehre aufbauende Beziehung (honouronly relationship) zu wählen. So könne es genügen, wenn bestimmte Faktoren vorlägen, um ein Geschäft auf der Grundlage eines Gentlemen’s Agreement abzuwickeln. Genannt werden das Gewissen, andere Beziehungen unter den Parteien (ethnische, religiöse, sprachliche oder verwandtschaftliche), eine gemeinsame Kultur des Vertrauens (culture of trust), eine Bedeutung für das Ansehen,

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die hohe Wahrscheinlichkeit der gesellschaftlichen Sanktionierung oder Nachteile im Hinblick auf künftige Geschäfte zwischen den Parteien. Für eine Abwahl des Rechts sprächen die unfreundliche Sprache (ugly language), die Kosten eines Rechtsstreits, die Unvorhersehbarkeit künftiger Situationen oder die ungenügende Berücksichtigung der Besonderheiten einer Transaktion oder eines Marktes. Die Entscheidung sei vernünftig, wo das Risiko der Nichtleistung wegen der fehlenden Zwangsbedrohung im Verhältnis zu den Kosten eines ausgearbeiteten Vertrages gering ist. C. V. 4. b) cc) (1), S. 609. 137. Wird ein Gentlemen’s Agreement als honour-only relationship ausgelegt und zugelassen, so bedarf es nach der einhelligen Auffassung der Berichterstatter eines besonderen Rechtsschutzes. Sichergestellt werden müsse, dass ungerechtfertigte Leistungen zurückverlangt werden könnten. Ebenso sei Ersatz für enttäuschtes Vertrauen zu leisten. Es gelte wie in den Common law-Rechten die Theorie des estoppel. Dabei handele es sich um den nicht abdingbaren außervertraglichen Schutz (extra-contractual legal remedies), der hier allerdings gegenüber dem herkömmlichen Integritätsschutz abweichend an das Versprechen anknüpfe. Beispiele für die praktische Anwendung von Gentlemen’s Agreements im modernen Recht werden unter anderem im internationalen Sport, etwa die Unterwerfung unter die Regeln von Sportverbänden genannt. Die US amerikanischen Berichterstatter nennen als Paradebeispiel die internationale Diamantenindustrie. Die internationale Diamantenindustrie zeichnet sich durch eine Reihe spezifischer Merkmale aus, die ein Handeln auf der Grundlage nicht durchsetzbarer Verträge möglich machen. Die entscheidenden Faktoren sind „trust and reputation“. C. V. 4. b) cc) (2) u. (3), S. 611. 138. In der deutschen Schuldrechtsdogmatik wird das Gentlemen’s Agreement verbreitet als unverbindlich eingeordnet, weil es den Parteien am Rechtsbindungswillen fehle. Die vereinbarte Bindungslosigkeit ist jedoch ihrerseits bindend gewollt. Auch steht der Rechtsordnung die vorrangige Kompetenz zu, eine Entscheidung über die Anerkennung von Parteivereinbarungen zu treffen. Die Frage, ob ein Rechtsakt oder eine rein gesellschaftliche Abrede vorliegt, ist eine genuin rechtliche Systementscheidung. Die Grenzen der Privatautonomie können mit anderen Worten nicht privatautonom verschoben werden. Eine Abwahl jeglicher rechtlicher Kontrolle ist überdies auch aus rechtsethischen Gründen abzulehnen. Der Rückzug ins Private erfolgt hier ohne Legitimation. Es besteht vielmehr eine rechtsethische Pflicht zum Handeln in rechtlichen Formen und einen favor iuris, dessen rechtliche Grundlage in § 242 BGB liegt. Den Wechsel vom gesellschaftlichen Naturzustand in den bürgerlichen Zustand hatte bereits Kant als ein ethisch zwingendes Gebot beschrieben (Postulat des öffentlichen Rechts). C. V. 4. b) dd) (1), S. 614. 139. Für die dogmatische Einordnung des Gentlemen’s Agreements im schuldrechtlichen System kommen ein sog. Nicht-Rechtsgeschäft, ein unwirksames Rechtsgeschäft, ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht oder ein Ver-

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trag in Betracht, aus dem die Parteien auf der Grundlage von Naturalobligationen verpflichtet sind. Die Einstufung als Nicht-Rechtsgeschäft oder unwirksames Rechtsgeschäft widerspricht der Annahme, der Gesetzgeber erlaube den Abschluss von Gentlemen’s Agreements. Als unwirksames Rechtsgeschäft vermittelt es keinen Rechtsgrund zum Behalten der Leistung, sondern gegebenenfalls ein Behaltensrecht als Folge eines Kondiktionsausschlusses (§ 814 Hs. 1 BGB). Ferner kann keine Abschluss- und Inhaltskontrolle vorgenommen werden (§§ 134, 138 BGB). Auch sind Missbräuche sowie Nicht- und Schlechtleistungen bei einem ohnehin unwirksamen Rechtsgeschäft nicht sinnvoll kontrollierbar. Das spricht für eine Einstufung als Vertrag. Auch erfolgt die Abbedingung rechtlicher Bindung mit Rechtsbindungswillen, so dass von einer vertraglichen Unverbindlichkeitsabrede auszugehen ist. Die Abwahlklausel bildet den rechtserheblichen Teil des Vertrages, der in den Grenzen des zwingenden Rechts, der guten Sitten und der übrigen Maßstäbe zulässiger Inhaltskontrolle zu prüfen und zu beachten wäre. Auch die Annahme einer solchen vertraglichen Rechtsabwahl ist nicht unbedenklich. Was gilt im Falle der Vertragsdurchführung? Legt man an die extralegalen Pflichtbindungen in einem weiteren Schritt wiederum Kriterien wie Treu und Glauben, einen internen ordre public, die Grundsätze der estoppel-Haftung oder andere rechtliche Prinzipien an, wie dies weiterhin befürwortet wird, so wird unbewusst eine eigene und neue Rechtskategorie geschaffen, und zwar die der „nichtrechtlichen Leistungspflicht“. Die Grundsätze ihrer Behandlung hängen gleichsam in der Luft und sind von der Konkretisierung der generalklauselartigen Prinzipien wie § 242 BGB abhängig. C. V. 4. b) dd) (2), S. 618. 140. Es läge deshalb näher, das Ehrversprechen als ein rechtswirksames aber nicht erzwingbares Versprechen zu erfassen und so im Gentlemen’s Agreement einen Vertrag anzuerkennen, aus dem Naturalobligationen hervorgehen. Der nur eingeschränkte Rechtsschutz folgt aus der Naturalobligation, die einseitigen Erfüllungszwang nicht zulässt und keinen durchsetzbaren Anspruch auf den Erfüllungsschaden gibt. Möglich bleibt die schuldrechtliche Kontrollfähigkeit. Gegenstand ist ein Forderungsrecht, das festzustellen ist. Der Schutz des negativen Vertragsinteresses sowie der Integritätsschutz bleiben aus dem Vertrag ableitbar. C. V. 4. b) dd) (2) (d), S. 623. 141. Die Missbrauchsgefahren vereinbarter Naturalobligationen sind nicht zu übersehen. An die Stelle obligatorischer Schuldigkeit tritt bloßer „good will“. Insbesondere bei Ehrenerklärungen liegt der Grund für das Misstrauen gegen derartige Abmachungen in der auffälligen Überhöhung des Selbstverständlichen. Aus der Selbstverständlichkeit der Vertragserfüllung wird eine verdienstvolle Handlung. Wer eine Schuld übernimmt hat rite zu leisten und erwirbt damit keine Ehre. Die Ehrenschuld besitzt, und hierin liegt ihre Eigenständigkeit, einen bekenntnishaften Zug. Werte wie Treue, Anstand und Beständigkeit liegen dem Rechtsgeschäftsverkehr ununterscheidbar gegenüber

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anderen Normsystemen zu Grunde. Die Pflichterfüllung aus Überzeugungen und Werten heraus, die das Recht nicht verlangt, aber auch nicht behindert oder verbietet, wird im Ehrenversprechen instrumentalisiert. Wer aber die Pflichterfüllung zur moralischen Handlung erklärt, offenbart eine indifferente Haltung gegenüber missbräuchlichen Verhaltensweisen. Mit dem Gentlemen’s Agreement wird gleichsam die Ehrlichkeit der Handlungsabsicht auf Ehre versprochen. Das impliziert eine Indifferenz zum Rechtsbruch und zur Unehrenhaftigkeit, die nun als Grundlage des Geschäfts erscheinen. Die instrumentelle Verpfändung der Ehre ist deshalb als Indiz für eine sittenwidrige Gestaltung zu werten. Der Widerspruch, der in der Übernahme einer Pflicht ohne gleichzeitige Einwilligung in die notfalls rechtliche Zwangsdurchsetzung liegt, muss im Einzelfall durch vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Abbedingung der Zwangsmacht aufgelöst werden können, anderenfalls ist die Abrede sittenwidrig und nichtig. C. V. 4. c) aa) – bb), S. 625. 142. Das Rechtsverhältnis Gentlemen’s Agreement als Vertrag zu qualifizieren, dessen Leistungsversprechen Naturalobligationen statt Zivilobligationen hervorbringen, ermöglicht eine rechtliche Kontrolle und Operationalisierung. Dafür spricht ferner, dass auch im Gentlemen’s Agreement keine anderen sozialethischen Werte zugrunde gelegt werden können, als jene, die die Rechtsordnung für die Vertragspartner im Hinblick auf Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Beständigkeit unterstellt. Selbst wenn man extralegale oder moralische Pflichten für wirksam hielte, so sind diese doch in eine rechtliche Struktur zu überführen, also von intrinsischen Überzeugungen zu lösen und einer objektiven Beurteilung zugänglich zu machen. Die Naturalobligation bietet sich als rechtsdogmatische Grundlage für derartige Versprechenstatbestände an. Den Parteien ist mangels einer Abwahlbefugnis das Tor in den rechtsfreien Raum verschlossen. Aus § 242 BGB folgt ein rechtsethisches Gebot zum Handeln in den Formen des Rechts. Die Grenze zulässiger rechtlicher Gestaltungsfreiheit liegt hier in der Begründung von Naturalobligationen. Sie bildet den Grenzpunkt einer gegebenenfalls noch zulässigen rechtsgeschäftlichen Gestaltung. C. V. 4. c) cc), S. 627. 143. Die Rechtsfigur Naturalobligation ist in der hier vorgestellten dogmatischen Gestalt als subjektive Rechtsposition justiziabel. Das Forderungsbegehren auf der Grundlage einer Naturalobligation ist ausreichend bestimmt, so dass ein Klagegegenstand durch einen Klageantrag gefasst werden kann (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Für Klagen aus Naturalobligationen ist der (Zivil-) Rechtsweg eröffnet (§ 13 GVG). Anders als im römischen Recht ist die Naturalobligation nicht die Folge eines defizitären Rechtsstatus. Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit (§§ 50 ZPO ff.) werden nicht in Frage gestellt. Entsteht die Naturalobligation aufgrund einer Einredeposition, wie bei beim gesetzlichen Eintritt der Verjährung, so gilt die Einrede zwar prozessual als selbständige Verteidigungsmittel (§ 146 ZPO), dennoch bleiben Einrede und Einredewirkung materiell-

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rechtliche Regelungsmaterien. Das gilt namentlich auch dann, wenn die aktionenrechtliche Sichtweise auf das materielle Recht übertragen wird. C. VI. 1., S. 629. 144. Termin-, Spiel- und Differenzeinwand zeigen die Besonderheit, dass sie einerseits nicht erhoben werden müssen und zugleich das Hauptrecht gegen das sie sich richten nicht zerstören. Die Forderung bleibt erfüllbar (§§ 762 Abs. 1 S. 2, 764 S. 1 BGB a.F., § 55 BörsG). Der Einwand bedeutet in der Sache eine eigenständige materiellrechtliche Rechtsfolgengestaltung, denn nicht die Forderung, sondern nur deren Durchsetzbarkeit ist dauernd aufgehoben. C. VI. 2., S. 630. 145. Bei der Naturalobligation fehlt dem Kläger neben den außergerichtlichen Zwangsbefugnissen die Befugnis zur Erhebung einer Leistungsklage. Rechtsprechung und herrschende Lehre stufen die Klagebefugnis bzw. die Klagbarkeit als eine materiell-rechtliche Eigenschaft des subjektiven Rechts ein. Das führt im Falle ihres Fehlens zur sachlichen Abweisung der Klage als unbegründet. Zurückzuweisen ist die Auffassung Wagners, dass Klage- und Einforderungsbefugnis eine redundante Verdopplung auf materiell-rechtlicher Ebene bedeuten und die Klagebefugnis deshalb als prozessuales Recht eingestuft werden könne. Die Naturalobligation belegt das Gegenteil. Die Einforderungsbefugnis beschränkt sich nicht auf das Klagerecht, sondern bildet die Grundlage für eine Reihe von Einzelbefugnissen des Gläubigers. Sie bleibt auch dann bestehen, wenn eine materiell-rechtlich verstandene Klagebefugnis entfällt. Das Klagerecht und das Einforderungsrecht sind weder identisch noch notwendig miteinander verknüpft. Die Naturalobligation zeigt die Entkopplung, weil bei ihr die Einforderungsbefugnis besteht und doch alle rechtlichen Zwangsbefugnisse fehlen. Die Sachabweisung ist hier also nicht mangels Einforderungsbefugnis, sondern mangels materiellrechtlicher Klagebefugnis geboten. C. VI. 3., S. 631. 146. Die Bestimmtheit der Naturalobligation und die grundsätzliche Zwangseignung ermöglichen eine gerichtliche Prüfung. Die Naturalobligation schließt nur die Leistungsklage aus. Damit ist die Klage auf Erfüllung einschließlich der Nacherfüllung, auf Schadensersatz statt der Leistung sowie auf Schadensersatz wegen verzögerter Leistung ausgeschlossen. Alle anderen Rechtsschutzformen bleiben bestehen und sind gerichtlich durchsetzbar. Das gilt namentlich für den Rückforderungsstreit aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Rücktrittsrecht, aus einer Minderung oder aus ungerechtfertigter Bereicherung. Über den Bestand des Forderungsrechts kann ferner im Wege der positiven oder negativen Feststellungsklage entschieden werden. Voraussetzung ist ein rechtliches Interesse an der Feststellung (§ 256 ZPO) und daher das Bestreiten der Leistungspflicht durch den Schuldner. Anerkennt dieser die Leistungspflicht und erfüllt sie dennoch nicht, so muss der Gläubiger die Pflichtverletzung klaglos hinnehmen. Auch ein dahingehendes Feststellungsinteresse besteht nicht. Der Schuld-

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ner muss umgekehrt die entsprechende Rechtsbehauptung des Gläubigers, der Schuldner erfülle seine Pflicht nicht, hinnehmen. Bestreitet der Schuldner die Pflicht, so kann der Gläubiger ihr Bestehen positiv, der Schuldner ihr Nichtbestehen negativ feststellen lassen (§ 256 ZPO). Die Klagemöglichkeit auf Feststellung gilt nicht für die Fälle einer erst festzustellenden „sittlichen Pflicht“, weil die gesetzliche Regelung stets ex post an eine bereits erfolgte Leistung anknüpft. C. VI. 4., S. 633.

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Schluss Die dogmengeschichtliche Entwicklung der Naturalobligation von der obligatio servi des klassischen römischen Rechts über die Abgrenzung rechtlicher Pflichten gegenüber außerrechtlichen Moralgeboten im Sinne unvollkommener Pflichten hat zu einer Begriffsklärung der obligatio und damit des schuldrechtlichen Forderungsbegriffs selbst geführt. Die Forderung als subjektives Recht und Schuldverhältnis im engeren Sinne ist die bestimmte und unabweisbare Handlungsaufforderung im Interesse eines Anderen, die Anspruch auf materiale Richtigkeit erhebt. Sie besteht aufgrund der Berechtigung ihres Inhabers zum Erhalt der Leistung, nicht auf einer verliehenen Zwangsmacht. Der Schuldner kann die kommunikativ zur Geltung gebrachte Forderungsberechtigung nicht zurückweisen. In einem rechtlichen Begründungszusammenhang ist er wehrlos. Das legitimiert die hieran anschließenden und regelmäßig gewährten Zwangsbefugnisse, setzt diese aber weder begrifflich voraus noch gebietet ausnahmslos deren Zuerkennung. Auf der anderen Seite werden die Beweggründe des Schuldners, eine gegen ihn erhobene Forderung zu erfüllen, rechtlich nicht reguliert. Das gilt ebenso für die Naturalobligation. Als Forderung ohne Zwangsbefugnisse verkörpert die Naturalobligation den Mindestbestand einer wirkungsverminderten, aber noch anerkannten obligatorischen Rechtspflicht. Sie hat ihren systematischen Ausgangspunkt neben der Zivilobligation im Forderungsbegriff (§ 241 Abs. 1 BGB). Damit setzt sie sich von anderen, im schuldrechtlichen System nicht eigenständig ausgebildeten und vertypten, schwächeren Bindungsformen ab. Forderungen ohne Zwangsmacht und Leistungspflichten ohne Erfüllungszwang bedeuten eine atypische Gestaltung und sind daher rechtfertigungsbedürftig. Der Gesetzgeber hat im geltenden Recht eine Reihe solcher atypischen Gestaltungen anerkannt und tatbestandlich unterschiedlich ausgeformt. Zwang ist nicht stets angemessen und funktional. Individualrechtliche und rechtspolitische Gründe können dafür sprechen, den Erfüllungszwang ausnahmsweise aufzuheben. Die Geschäfte sind zwangsfeindlich, aber nicht bindungsfeindlich. Die Naturalobligation bietet damit ein Gestaltungsmittel zur funktionalen Differenzierung der Forderung. Die im BGB retrospektiv zugelassene richterliche Feststellung sittlicher Pflichten (§§ 814 Hs. 2, 534 BGB) eröffnet erst über die Naturalobligation eine handhabbare, rechtlich dogmatische Figur zur Inkorporation bestimmter gesellschaftlicher Wertungen in das Recht. Eine Reihe

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europäischer Rechte kennt entsprechende Regelungen. Als Forderung ohne Zwangsbefugnisse gehört die Naturalobligation zu den Rechtsfiguren, die in einer auf historischen Grundlagen zu erneuernden europäischen Zivilrechtsdogmatik nicht fehlen darf. Auch die rechtsgeschäftliche Begründung einer Naturalobligation ist nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Abbedingung von Erfüllungszwang begründet jedoch ein starkes Indiz für eine entweder nicht ernstliche oder eine sittenwidrige Gestaltung. Das gilt insbesondere dann, wenn durch Ehrenversprechen die Entwaffnung des Gläubigers überdeckt wird, etwa im Rahmen von Gentlemen’s Agreements. Die funktional mögliche Vereinbarung einer Naturalobligation birgt erhebliche Missbrauchsgefahren. Die Abrede über den Verzicht jeglicher Zwangsbefugnisse unterliegt deshalb einer strengen Abschluss- und Inhaltskontrolle und ist im Einzelfall rechtfertigungs- und klarstellungsbedürftig. Mit Hilfe der Rechtsfigur Naturalobligation können selbstregulierende Wirkungsmechanismen im Rechts- und Geschäftsverkehr gleichwohl gestärkt werden, gerade weil Anknüpfungs- und Orientierungspunkt das rechtlich durchgebildete Forderungsverhältnis ist, wie es die Schuldrechte aller europäischen Rechte kennen und ihrem zivilrechtlichen System zu Grunde legen.

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Register Absicht 123, 285, 307105 , 319171, 342 ff., (siehe auch Bindung – konsequentialistisch) – Absichtsbindung 13, 36, 42, 319, 349 ff. – Absichtserklärung 2470 , 39, 200, 341 f., 349 f, 351, 352 – Abbruch von Vertragsverhandlungen 357 – Bekräftigung durch Ehrenversprechen 595 – Gentlemen’s Agreement 608 – Handlungsmaxime 123 – Handlungsgrund (Kommunikation) 285110 , 341, 342 f., 364, 654 – Konzept 343 – Unabänderbarkeit 334 – Verbot widersprüchlichen Verhaltens 358 – Versprechensabsicht (Antragsbindung) 343 Accursius 87 f., 639 Achenwall, Gottfried 118 f. actio 5429, 55 – aktionenrechtliches Denken 64, 479, 485259, 487, 488270 , 56725 , 599, 630 f., 63114, 667, 679 adjektizistische Haftung 55, 67, 76 Adorno, Theodor W. 29226 , 402, 657 Ämterkauf 18, 553, 581 Aequitas, civilis/naturalis 76, (siehe auch vinculum aequitatis) Äquivalenz 360 agreement 605 Alexy, Robert 1036 , 126 444, 133 f., 398523, 410 587, 412, 643 Allgemeine Geschäftsbedingungen 520, 588, 605203, 671 – Allgemeine Geschäftsbedingungen von Ehemaklern 520 f.

Amira, Karl von 157624 , 159 Ambrosius 94 f., 106, 268 Anerkenntnis 12, 200 842 , 363, 506, (siehe auch Schuldanerkenntnis) Anerkennung 403, 593 – Anerkennung eines Gläubigerbefehls 30278 , 359 ff., 366 f., 371, 374 – Anerkennungshandlung 285 f., 29854, 373, 380447 – Anerkennungsklage 374425 – Anerkennungstheorien 361370 – Anerkennungsverhältnis 372415 , 373, 399, 401, 404, 414606 – Anerkennung und Vollstreckung 498 f., 547 ff. – Klageanerkennung 63219 – moralisches Axiom 402543 – richterlicher Anerkennungsakt 276, 374427, 398522 – sozialethische Pflicht 399 ff. – Verpflichtung durch Anerkennung 42 f., 85, 208, 209, 210, 218, 21971, 222, 24633, 255, 299, 325197, 359 ff., 361, 363 ff., 372415 , 373422 , 374, 647, 653, 655 Anspruch 824, 148, 186 f., 247 f., 278, 462, 472 ff., 474, 646, 663 – Aussteueranspruch 176717, 459132 – Anspruchserhebung 248, (aktionenrechtlich) 473 – Anspruchsgebärde 475208 – Ehranspruch 597, 625, 673 – Forderung 184768 , 187780 , 363, 476 – gehemmte Forderung 484 – Geltungsanspruch 326203, 331, 342 f., 373, 415611, 654 – Gewinnzusage 567 – Gläubigerbefehl 363 – Kommunikation 415611 – Klagbarkeit 632

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Register

– materiellrechtlicher Anspruch 149574, 177, 182752 – materiale Richtigkeit 398 ff., 657, 681 – Naturalobligation 240 f., 247 f., 472 ff., 649, 663 – Sanktion 184768 – sekundärer Anspruch 55, 527, 575, 650 – specific performance 24948 – unklagbarer Anspruch 9, 179 ff., 181 ff. – unvollkommener Anspruch 20 45 – Verjährung 170 ff., 511 – Windscheid 146556 , 148 f. – Zwang 406562 , 463153, 473 f. Anstandsrücksicht 18, 41, 76, 166 ff., 260 f., 26199, 377, 390 ff., 434, 454 ff., 528 ff., 652 (siehe auch sittliche Pflicht) – Handlung – supererogatorische (siehe dort) – materiale Richtigkeit 398 ff. – Pflichtbegriff 387 ff., 390 ff., 655, 666 – Paarformel 391494, 656 – Schenkung 155608 , 457 ff., 574 Antragsbindung 343 f. Antwort 299, 373 – Antwortpflicht 367, 415 611 – Antwortposition 299, 655 – Antwortverhalten 85, 286112 , 299, 373, 639, 653, 655 – stipulatio 299 Arbeitsrecht – Direktionsrecht 397517 – Einfühlungsverhältnis 384 f., 578 f., – Zielvereinbarungen 393 Architektur 96 Aristoteles 93, 20916, 17, 21019, 22293 auctoritas non veritas facit legem 282, 421 Auflösungserscheinung des Rechts 27, 561 Aufrechnung 9, 58, 64, 651, (siehe auch compensatio) – Abzugsrecht bei Pferdewette 2392 , 524 f. – Aufrechnung gegen eine Naturalobligation 147, 207, 230, 2392 , 467 – Aufrechnung mit einer Naturalobligation 2076 , 216, 22499, 227, 230135 , 467 – Aufrechnungsbefugnis 239, 568

– Aufrechnungslagen 466, 480 236 , 511 f., 664, 667 – Aufrechnungsverbot, gesetzlich 413601, 565, 56830 – Aufrechnungsverbot, vertraglich 473199, 487, 56830 , 570, 582, 669, (siehe auch pactum de non compensando) – außergerichtliche Zwangsbefugnisse 9, 181, 463, 465 – Devisenforderung 542, 543547, 549, 667 – Einforderungsbefugnis 633 – Insolvenz 667 – Klagbarkeitsirrtum 13 – Verjährung 480, 511 f., 664 Auslobung 327205 , 329220 , 335250 , 351 f., 352332 , 566, 669 Aussetzung der Forderungswirkungen 477 f. Ausstattung 165, 176, 456, 459 f., 466 – Ausstattungsversprechen 127, 17, 200, 234155 , 253, 454106 – Patronatserklärung 350, 380448 – sittliche Pflicht 25677, 455107, 457 – Übermaßausstattung 200, 253, 259 Austin, John Langshaw 321, 322 f. Bähr, Otto 29856 , 374 Baumgarten, Alexander Gottlieb 97 f. Bedingung 29, 490 f., 490 283 – Annahmeerfordernis 30279, 309115 , 327208 – Marktbedingungen 423644 , 659 – Potestativbedingung 347309, 490 280 – Wirksamkeitsbedingung 384 – Wollensbedingung 12, 244, 356353, 394, 490, 57990 , 650 – Zwangsbedingung 104, 126, 407569, 410, 640 Befugnis (siehe subjektives Recht) – Einwirkungsbefugnis 366, 367 f. Begriffsjurisprudenz 35, 80174, 164, 279 f. Behandlungsvertrag 339 f., (siehe auch Ulysses Contract) Behrends, Okko 53, 75 Bekker, Ernst Immanuel 67, 140, 143, 146 f., 157, 644 Bereicherungsrecht – Behaltensgrund 431

Register

– freiwillige Leistungshandlung 497323 – Kondiktionssperre 168 679, 438, 443 ff., 447, 450, 576, 660 f. Besserungszusage 393, 476, 585, 600, 602, 656 Bestimmtheit 376 ff. – Bestimmungsrecht 377 Bieri, Peter 366 Bindung 287 – Abbruch von Vertragsverhandlungen 357 – Antragsbindung 343 – Emergenz 308 f. – Freiheitsgebrauch, geordnet 306 – Gewissensbindung 27, 38, 91, 94, 109, 112, 114, 135497, 291, (siehe auch Gewissen und Pflicht – Gewissenspflicht) – Identifikation 295 – interpersonal 27, 39, 114, 179, 305, 332, 335 ff., 340, 371, 372 f., 376, 401, 404 f. – intrapersonal 4, 27, 39, 40, 300, 329, 333 f., 335 f., 340, 346, 347308 , 371, 374, 415610 , (siehe auch Gewissen – forum internum) – konsequentialistisch 13, 4019, 42, 85194 , 319, 325, 334, 335249, 336, 341, 342 f., 347, 349 ff., 357, 506362 , 526 461, 654 – materiellrechtlich 52 f. – naturalistisch 54, 289 ff., 292 ff., 360365 – obligatorisch 288, 353, 558, 577, 57989, 560, 654 – Pfadabhängigkeit 289 – Rechtsgefühl 291 – Rechtsvernunft, praktische 293 f. – Reziprozität 309 ff. – Selbstbestimmung als Handlungsanreiz 294 – Steuerungsvermögen 292 – Sucht 290 – Treuebindung 53, 301, 30273 – Versprechensbindung 296 ff. – Vertragsbindung 296 ff. billiges Ermessen, Leistung nach 488 f. Binder, Julius 160, 361370 Bittleihe (siehe Prekarium) Börsentermingeschäft 22 f., 197 f., 25260 , 418, 440 44, 470, 630 f. Brauchbare Illegalität 396

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Bretton Woods (IWF-Abkommen) (siehe Devisenforderung) Brinz, Alois 143 ff., 157 Bydlinski, Franz 360, 400 Canaris, Claus-Wilhelm 293, 322, 360, 403547, 417, 527463, 532, 550, 57672 causa 63 f., 30594, 95 , 316 ff., 319, 516 f. 538 – arteigene causa 459, (siehe auch sittliche Pflicht – Behaltensgrund) – causa acquirendi 450, – Causa-Lehre 316 ff. – consideration 321 – Kreß-Schule 318 Christliche Tugendethik 95 Cicero, Marcus Tullius 74150 , 94, 270, 27345 , 329, 603189 Comfort Letter 4, 351, 608 compensatio 58, 6486 , 142 condemnatio pecuniaria 5430 consideration – Beweisregel 313138 – Bewirken der Gegenleistung 311 f. – causa 321 – Lehre der Consideration 311 ff. – philosophische Grundlage 312136 – Reziprozität 311, 315 – Seriositätsindiz 313137, 138 constantia 314144, 329 contractum 299, 604194 , 604195 Corporate Governance Kodex 4 f., 355 ff., 420 631, 560, 590 – Comply-or-Explain 5, 355, 398520 , 420 632 Cujacius, Jacobus 88 Cyberlaw 616 Dankesschuld 70 Darjes, Joachim Georg 117 debitum naturale 69 f. Deontisches Begriffssystem 362374 Dernburg, Heinrich 140, 151, 187780 , 327205 , 474202 , 513393, 534496 , 644 Devisenforderung (IWF) 21, 197, 539 ff., 667 Diamantenindustrie 29, 423, 427659, 613 f., 676

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Register

Differenzgeschäft 2365 , 152, 180, 197 f., 25260 , 536504 Domat, Jean 106 f., 113, 114, 115, 139, 140 522 , 2062 , 641 Donellus, Hugo 88 f. Duldung 477221, (siehe auch Prekarium) Ehemakler 5, 173, 182, 193, 197, 252, 264, 395 f., 422, 435, 508, 517 ff., 621, 651, 665 Ehre 593 – Ehranspruch 673 – Ehrenschutz 593 – Ehrversprechen 595, 624 ff., 672 – Ersetzung einer Schuld 597ff. – Gentlemen’s Agreement 624 – meritorischer Gehalt 625 – Unehrenhaftigkeit 596 f., 626, 678 – Verpfändung der Geschäftsehre 594, 597 – Wettbewerbsverbot 596 Eid 60 63, 111, 329 Einrede, materiellrechtlich (siehe Verjährung) – aktionenrechtliche Wirkung 20, 158628 , 215, 216, 311128 , 482, 485, 488270 , 515 – normative Wirkung 20, 482 f. Einwirkungsbefugnis des Gläubigers 366 Emergenz 308 f. Engisch, Karl 406 Entgeltvereinbarung 549 ff., 57881 Entsprechenserklärung 356, 485259 Erfolgshonorar 535 Erfüllung – Drittleistung 242 – Erfüllungschance 394, 428 – Erfüllungsversprechen (kausal) 471186 , 572, 650 Erlass 24 f., 153, 394505 , 462, 464, 476216 , 500 f., 569, 571, 670 – Aufhebungsvertrag 57042 , – beschränkte Erlasswirkung 536 – Besserungszusage 586119 – pactum 604196 – Teilerlass 570 – Verzicht 501 Ethik, kontraktualistische 407 ff.

Europäisches Rechtsinstrument, Integration 33, 261 f., 279, 437 f., 651 f. exceptio doli 76 Familienrecht 33 – Ausstattung 176, 459, 466 – Verlöbnis 174, 525 f. Fichte, Johann Gottlieb 2990 , 372415 , 373422 , 401, 404 Fidelitas, Pflicht zur 302 Fluchthilfe 551 f., 668 Forderung – ausgesetzte Forderung 478 – betagte (nicht fällige) Forderung 14, 33, 187 f., 250, 426, 472, 476 f., 483, 484, 582, 646, 651, 663 – befristete Forderung 491284 , – Forderungsbegriff 9, 333, 240, 24739, 277 f., 425, 431, 436 f., 462151, 463, 507, 649, 653, 660, 681 – Forderungstorso 929, 182, 185, 186 f., 192, 461, 476, 478, 646, (siehe auch Zwang – Einforderungsbefugnis) – gehemmte Forderung 33, 250, 478 f., 484, 582, 646, 651, 663 – Kommunikationsfunktion 285 – Recht-Pflicht-Korrespondenz 359 – Rechtspositionen und Rechtsbehelfe 463, 464 f. – unbestimmte Forderung 488 f. – unverbindliche Forderung 488 f. – verhaltene Forderung 477 f. – vollwirksame Forderung 491285 favor iuris 617 Flume, Werner 54, 192, 416 Formmangel 203, 495 f., (siehe auch Heilung) – Treuwidrige Berufung (replicatio doli) 56725 , 599 – verabredeter Schwarzkauf 26, 214, 496, 499, 619, 628 Freiheit 99279, 100, 134, 282, 29016 , 29123, 29125 , 305, 331231, 366 – Autonomie 126 448 , 338266 , 414 – Entscheidungsfreiheit 366 – Freiheit des Willens 208 – Freiheit von staatlichem Erfüllungszwang 241, 247, 559 f.

Register

– Habitus der Freiheit 292 – Hindernis der Freiheit 128454, 132483 – Kausalität der Freiheit 124435 , 29125 , 30486 – natürliche Freiheit 5748 , 103306 , 109, 156, 283, 291, 603188 – normative Freiheit 28074, (siehe auch rechtsfreier Raum) – rechtliche Freiheit 156, 29015 – rechtsgeschäftliche Freiheit 267261, 504, 563 ff., 617263 – Sandhaufentheorie der Freiheit 51, 129, 130, 643 – vernünftige Freiheit 104, 292 26 , 415, 640 Freiwillige Selbstverpflichtung 3, 27, 38, 83, 85, 200, 409579, 429, 554 ff., 558, 590, 660, 668, 672 Freiwilligkeit 13, 241 f. – Autorschaft 209 – Bedrohungsmotiv 13, 245 ff., 406563 – freiwillige Mehrleistung 21, 496313, 533 f. – freiwillige Selbstverpflichtung (siehe dort) – freiwillige Schuldnerleistung 208, 241 ff., 244, 481, 512 ff., 531 f., 534 – freiwillige Unterwerfung des Schuldners 298, 30278 – Freiheit von Zwang 209, 24737 – Glaubwürdigkeitsgewinn 390 f., 591, 656 – Irrtum über die Erzwingbarkeit 216, 26619, 481 – Kenntnis der Handlungsumstände 209 – Kompulsiver Zwang 22294 , 247, 403550 – Pflichterfüllung 92241 – Seneca 58 – spontane Leistung 211 – Sklavenfreilassung (siehe dort) – verjährte Forderung 512 ff. – Vermutung der Pflichterfüllung 246 – vernunftgeleitete Entscheidung 21019 – Willensbeeinträchtigung 368 – Zahlung an Gerichtsvollzieher 24738 , 534 – Zahlung auf verjährte Schuld 20

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Gaius 52, 53, 5427, 56, 56 40 , 5956 , 6274, 6594, 74149, 77, 79167, 168 , 94249, 270, 30591, 308 f., 321, 384465 Gebot 362374, 476214, 482243 – Achtungsgebot 329, 400 f. – Anstandsgebot 387481, 458 – Außerrechtliches Gebot 529 – Erwiderungsgebot 310 – Ethisches Gebot 378 – Gebot der Gleichbehandlung 399 – Gebot der Nächstenliebe 256 – Gebot der Rechtlichkeit (Gebot zum Handeln in den Formen des Rechts) 28, 601, 617, 628, 676, 678 – Gebot der Redlichkeit 581 – Gebot der Wahrhaftigkeit 301 – Gebot zu einer naturgemäßen Lebensweise 5748 , 282 – Gleichmaßgebot der Gerechtigkeit 400 – iuris praecepta 91231, 29437 – Leistungsgebot 168, 645 – Liebesgebot 116390 , 641 – moralisches Gebot 112, 122, 681 – natürliche Gebote 77 ff., 101291, 275 – schwaches Gebot 255 68 , 389487 – sittliches Gebot 391 ff., 642 – Streben nach Vollkommenheit 118, 641 – Vernunftgebot 112 Geistheilen 18, 553, 581, 668 Gentlemen’s Agreement 3, 19, 24, 27 ff., 200, 229, 253, 294, 376, 561, 576, 668, 670 f. – agreement 604 f. – Abgrenzung 614 – Besserungszusage 585 – Definition 603 – Dogmatische Einordnung 618 ff., 675 – Ehrversprechen 593 ff., 624, 674 – Gentleman 2470 , 282, 602 ff. – Geschäftsgrundlagenabrede 381, 601 – Gewissen 612, 675 – Klageausschluss 600 – Leihmuttervertrag 386 479, 551590 – Missbrauchsgefahr 624 – Naturalobligation 608 – Natürliches Privatrecht 427 – Rechtsschutz 611, 676 – Rechtsvergleichung 609 ff.

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Register

– Souveränität 606 – Sittenwidrigkeit 628 – Unverbindlichkeit 623284 – Verzicht 5649, 586 – Völkerrecht 606, 675 – Wettbewerbsrecht 607 Geltungsdemonstration der Rechtsregel 397 Gelübde 60 63, 111, 329 Gerechtigkeitsethik 399528 Germanisches Recht 82 ff. Gernhuber, Joachim 234155 , 411, 460, 472, 493, 526, 657 Geschäftsfähigkeit – beschränkte Rationalität 422 – Erwachsener 202 f. – Geschäfte beschränkt Geschäftsfähiger 22 – portugiesisches Recht 22187 – Taschengeldgeschäfte 22, 201 f. Gewissen 27, 96261, 106323, 125, 135497, 137509, 21867, 291, 334242 , 377, 612 – forum internum 334242 , (siehe auch Bindung – intrapersonal) – Gewissenhaftigkeit 169 683, 223, 648 – Gewissensnot 25881, 397, 397517, 673 Gierke, Otto von 83180 , 86198 , 159635 , 166, 175713 Giphanius, Hubertus 89 Gläubigerbefehl 362 f. – Anerkennung 363 – Integration des Gläubigerinteresses 332 Glossa ordinaria 87 f., 639 good will 29, 382459, 625, 673 Grotius, Hugo 87, 91230 , 103306 , 105 f., 115, 300, 327, 641 Gundling, Nicolaus Hieronymus 103307, 112 f., 115, 641 Habermas, Jürgen 352 , 4231, 284, 29226 , 324, 326, 341 f., 364383, 365389, 370409, 402544, 405558 , 409578 , 415611 Haftung 82, 85, 158626 , 159633, 160 644 , 187780 , 27141, 315, 462, 474, 502341, 503 f., 504 f., 637 – adjektizistische Haftung 55, 6487a , 65 f., 76

– estoppel 314, 612238 , 623, 676, 677 – Haftungsbeschränkung 160 644 , 161, 426, 502 ff., 5646 , 56514, 588130 , 637 – Haftungsgeschäft 50, 5430 , 56, 158630 , 181749, 469 f. – leibliche Haftung 86198 Handlungen – Handlungsgründe 286111, 364, 365 – Handlungstheorie, rationale 283 ff., 292, 364383, 365389, 370 f., 653 – supererogatorische Handlungen 13, 40, 4123, 94250 , 20811, 389 ff., 393, 490, 625 – verdienstliche Handlungen (siehe Handlungen – supererogatorisch) Hattenhauer, Hans 92 Haussohn 67, 142535 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 10, 94252 , 125437, 131 f., 27553, 281, 312133, 313136 , 401 f., 404, 643 Heilung (siehe auch Formmangel) 20, 21, 26, 72136 , 202, 203, 24844, 314141, 44252 , 492, 494, 495 f., 499, 532, 550, 598, 619, 663, 666, 673 Hellsehen 18, 553, 581, 668 Heterologe Insemination 18, 2471, 589, 590135 Hirnforschung 29229 Hobbes, Thomas 99, 101291, 103, 108345 , 282 f., 421634 Höpfner, Ludwig Julius 119, 642 Hoffmann-Riem, Wolfgang 557 Honsell, Heinrich 63, 74, 400 Internet 46 , 409579, 424, 616 – Reputationsgewinn 4 6 , 591 – Bewertungssystem 409579, 591, 594 – Sanktionsmechanismus 593, 673 Insolvenz (Ausfallforderung) 252, 253, 535 ff., 651 – Aufrechnung 538 – Umwandlung in Naturalobligation 538 – Umwandlung in Zivilobligation 57255 , 574 – Sicherheiten 537, 667 Institutionen 75, 77, 132, 322 ff., 365388 , 427, 584, 613

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Irrtum – Entschuldbarkeit des Irrtums 44460 – Irrtumserfordernis im Bereicherungsrecht 301, 444, 44876 , 45293 – Klagbarkeitsirrtum (siehe dort) – Rechtsirrtum 13, 2151, 45, 70123, 148570 , 168, 169, 210, 216, 219 f., 223 ff., 231 ff., 24428 , 257, 265 f., 295, 30168 , 315150 , 43732 , 444, 481, 512, 538, 598, 647, 648, 649, 664 – unjust enrichment 30168 , 315150 – Willenskonsens und Irrtumsfreiheit 300 Isay, Hermann 159, 160 644 ius naturale 6273, 74 ff., 78164, 88 ius gentium 71, 75152 , 88, 91 Jhering, Rudolf von 3, 1522 , 38, 83180 , 174, 193813, 337257, 382457, 411 jussus imperantis 112 Jayme, Erik 98265 , 505356 Kant, Immanuel 1035 , 2890 , 29, 378 , 39, 43, 93, 96264 , 98, 100 286 , 101, 104, 135497, 111, 116387, 118, 119411, 120 ff., 130 f., 133489, 134, 135, 138, 156, 209, 25676 , 25779, 268 f., 283, 29015 , 291, 29226 , 29332 , 297, 30167, 303 ff., 306, 314, 319 f., 328 f., 330 f., 333, 334242 , 336, 349316 , 364382 , 367, 370409, 371, 372415 , 376 433, 378, 389, 390492 , 397519, 400, 401, 406563, 409 f., 414, 415, 417, 451, 558629, 617, 626, 628297, 640, 642 f., 676 Kaser, Max 57, 79 Kegel, Gerhard 321, 326, 371 Kelsen, Hans 376 , 77163, 27760 , 319168 , 330 f., 400 534, 407 f., 615250 Kersting, Wolfgang 29, 412, 625, 627 Klagbarkeit (Klagebefugnis) 8, 20 47, 115, 140, 141, 144, 147, 151, 179, 180, 181, 184, 544 f., 565, 582 f., 632 ff., 646 – Anspruch 474 – actio 81, 83, 88, 141 – BGB 164 – Ehrversprechen 600, 674 – Einrede 2573, 484, 485257, 57041 – Gentlemen’s Agreement 601 f., 604, 674 – naturalis tantum 88, 189 790

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– pactum geminatum 573, 670 – prozessuale 541538 , 543545 , 544, 63219, 633 – Rechtsnatur 474200 , 517407, 633, 679 – vertraglicher Ausschluss 181748 , 200, 565, 582 f., 584 ff., 6293, 632, 669, 671 – Theorie der Naturalobligation 207 Klagbarkeitsirrtum 1312 , 2151, 148570 , 169, 232, 26619, 444, 45293, 533, 540, 647 f., 649 Köndgen, Johannes 296, 310, 321, 324 ff. Kollisionsrecht 507 ff., 664 – Anerkennung 497 ff. – Datumtheorie 505355 – Ehevermittlung 44772 – Gewinnzusage 56722 – internationale Sachnorm 539 – ordre public 472192 , 509, 524, 527 466 – Rechtswahl 30 97, 337263, 583108 , 615, 622 – Teilfrage 508, 524449, 664 – Testament, mündlich 493300 Kommunikation – Befugnisse 468 – Kommunikationsfunktion 285, 341, 342 f., 369, 373, 429, 468 f. – Verstrickung durch kommunikatives Verhalten 326, 371 – Rechtfertigungszwang 343, 417, 419 ff., 659 Kondiktion 72 f. Kongress der Internationalen Akademie für Rechtsvergleichung 28, 609 ff., 623285 Konsens 42, 80173, 128, 130, 298, 303, 306, 320, 329, 604194 , (siehe auch pactum) – agreement 605 – Auslobung 329220 – äußerer/innerer Konsens 300 f., 303 f., (siehe auch translative Versprechensübertragung) Koziol, Helmut 368399 Versprechensübertragung) – consensus in varietate 97 – contractum 29855 , 300 66 – diskurstheoretischer Konsens 307107 – faktischer Konsens 202851

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– formfehlerhafter Konsens 203, 495, 531, (siehe auch pactum nudum) – Freiheitsgebrauch 306, 328 – Geltungskonsens 307 – Irrtumsfreiheit 300 – materieller Konsens 30274, 304, 306 – natürlicher Konsens 306101, 307 – Rechtsbegriff 306 – Reziprozität 320 ff. – Richtigkeitsgewähr 320 – römisches Recht 307 – stipulatio 29854, 299, 373, 374, 655 – Versprechenskonsens 30167 – Vertragsabschluss 300 65 , 307 – Vertragskonsens 329, 373, 501 – Willenskonsens 302, 303 ff., 329 Konsequentialverhalten 342 Konstitut 142552 Kontrahierungszwang 559631 Kooperation 28397, 29120 , 554, 558 – Kooperationspflichten (siehe Pflicht) Kramer, Ernst A. 321, 331, 361, 362 Krause, Karl Christian Friedrich 372 f., 404 Kübel, Franz Philipp von 159638 , 163, 302, 306100 , 343, 344292, 293, 298 , 352332 , 436 Leihmuttervertrag 1944, 551 f., 562641, 581, 590135 , 620, 668 Leistungsbestimmung 488 f. Leistungspflicht 249, 256 f. – aktionenrechtlich 311128 – Maßstabs- und Beurteilungsregel 529 f. – Integritäts- und Leistungsschutz 575 Letter of Intent 4, 42, 349 f., 357, 577 Leonhardi, Hermann Karl 372 lex contractus 307 Lorenz, Stephan 386 Lorenz, Werner 485 Lottospielgemeinschaft 385 Luhmann, Niklas 278 65 , 396, 424, 584110 Mahnung 467 f. Mansel, Heinz-Peter 193, 313 ff. Mayer-Maly, Theo 400, 416, 550 Mediationsabrede 26, 583 f.

Mendelssohn, Moses 120, 121, 376 433, 642 Mentalreservation, durchschaute 26, 499, 610 minima moralia des Schuldrechts 25779, 26827, 398, 402, 657 Moral 124 – Innerlichkeit 94 – Maximenbildung 122 f. – Triebfeder 123 – Zweckprinzip 122 narrative Norm 505356 natural 10, 36, 57, 62, 76, 273 ff., 277 f., 653 Naturalismus 279 ff., 28078 , 284 – kommunitaristischer Naturalismus 281 – naturalistische Ethik 274, 653 – naturalistischer Rationalismus 284 f., 292 ff. – Naturalist 280 Naturalistischer Fehlschluss 77, 78163, 81175 , 28179, 404556 Naturalobligation, Theorie der 74, 114 f. – Bestimmung im Einzelfall 509 – Brinz, Alois 144 f. – Lehre von der natürlichen Verbindlichkeit 102 f. – natürliche Verpflichtungsfähigkeit 62, 6273, 68, 70 – objektive 210 – Regelungstypen 22077, 262 ff., 266 f., 43517, 651 – Savigny, Friedrich Carl von 140 ff. – subjektive 210 – Subtraktion aller Zwangsmittel 102 Naturalobligation (gewillkürte) 24, 26 80 , 252 f., 563, 567 f., 582, 585 – Abschluss- und Inhaltskontrolle 581 ff., 620, 628, 661, 677, 682 – Rechtfertigung 589 ff., 671 f., 681 Naturalobligation (institutionelle) 33, 82, 145, 251, 252 f., 267, 375, 651 – Abschluss- und Inhaltskontrolle 440, 441, 526 460 , 669 – Befugnisse aus einer Naturalobligation 465 ff. Naturalobligation (feststellungsbedürf-

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tige) 199, 251, 253 ff., 267, 434, 574, 651, (siehe auch sittliche Pflichten) Naturalobligation – Aufhebung 571 – Entstehung 59 f., 60 63, 67112 – Formpflicht 573 – Haftungsbeschränkung 502 ff. – Rechtsgrund 447 ff., 453 f. – Sekundärrechte 249, 467 f., 495, 575, 633, 651, 662 f., 679 – Sicherungsmittel 469 ff. – subjektives Recht 33, 241, 426, 461, 681 – Umwandlung 571 f., 573 f. naturalis obligatio (obligatio naturalis) – naturalis tantum 88 Naturbegriff – Antike 94 Naturrecht 78, (siehe auch ius naturale) – natürliches Recht 96, 100 286 , 117 – natürlicher Privatrechtsbegriff 99, 101 – natürliche Rechtsgrundsätze 139 – naturrechtliche Pflichtlehren 98, 116 – Zwang der Natur 28289 Naturzustand des Rechts 99, 282 f., 617 – Antike 99279 – gesellschaftlicher Naturzustand 99 f., 617, 676 – Naturrecht 99 282 , 108345 , 109 Nettelbladt, Daniel 117 Neurobiologie 283, 284101, 290, 29119 – neuronaler Willensimpuls 293, 371 – neurologische Determinierung 29016, 17, 291 Nichtschuld 166, 169, 174, 196, 538, 649 – Erfüllung 206, 230 ff. – qualifizierte Nichtschuld 14, 233, 445 f., 667 – Teilnichtschuld 532 Nichtigkeit, halbseitige Teil- 532 Nietzsche, Friedrich 5111, 29018 , 29540 Novation 200 842 , 470, 471, 471187, 572 – Novationsverbot 471190 – Novation durch den Sklaven 6485 obligatio 49 ff., 52, 56 – Geburt der obligatio 308 f., 321

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obligatio naturalis 57 ff. – Abbildtheorie 60 – Frührezeption 87 ff. – Kant 128 – naturrechtliche 91 – obligatio per abusionem 38, 61, 62 f., 69, 80, 113373, 425, (siehe auch Pseudoobligation) – obligatio servi 58, 5957, 59, 60, 61 ff., 64, 66106 , 80, 27139, 637 – Preußisches Allgemeines Landrecht 138 – Pseudoobligation 15, 63, 71130 , 81, 148569, 194, 425 f., 437, 454, 660 – römischrechtliche 91 – Recheneinheit 63 f. – Sicherungsgeschäfte 64 – unvollkommene Aberkennung, Zuerkennung, Aufhebung 162 Obliegenheit 4, 6, 13, 36, 45, 178736 , 288, 319172 , 345 ff. – Entsprechenserklärung 356 – Einredeerhebung 515 officium 53, 56 40 , 72137, 94, 102, 106, 145, 146553, 269 ff., 336257 – officia humanitatis 106 f., 107336 , 115 f., 641 – officia necessitatis 106, 641 – officium ethicum 122, 145, 642, (siehe auch Pflicht – Tugendpflicht) – officium nobile 494 ökonomische Folgenbetrachtung 426 f. – Glaubwürdigkeitsgewinn 429 f., 591, 672 – Vermögenswert 427 ff., 591 – Vermögensschaden 429 ordre public – interner ordre public 610, 623, 677 – internationaler ordre public (siehe Kollisionsrecht) pactum 2887, 71128 , 29750 , 29852 , 300 66 , 550, 578 f., 604 f., 604196 , 616257 – causa 316 – Klagbarkeit 84191, 174711, 604 – Konsens 29852 , 29855 – Naturalobligation (gewillkürte) 487, 573

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– pactum conventum 5110 , 604195 , 604196 – pactum de contrahendo (siehe auch Vorvertrag) 174 – pactum de non compensando 413, 473199, 565, 570, 669 – pactum de non petendo 24 f., 200 843, 473199, 484 ff., 487, 487267, 542538 , 565, 569, 570, 595669, 630, 669, (siehe auch Stundung) – pactum geminatum 57358 , 670 – pactum nudum 21, 72 f., 89, 144, 146, 30273, 374, 495308 , 531 f., 573, 666 – römisches Recht 604196 – Verzicht 56934 pacta sunt servanda 42, 126 443, 192, 297, 317, 374, 423641, 446, 57359, 597161 Patientenverfügung 339 f., (siehe auch Ulysses Contract) peculium 65 ff., 67111, 70, 637 Patronatserklärung 4, 350, 380448 , 595, 608, 673 – Bestimmtheit 382, 624287 – Suggestivwirkung 382 Pfadabhängigkeit 289 Pferdewette 524 f., 665 – Wettgemeinschaft, Gewinnanteil 215 Pflicht 4125 , 287, 362374 – Ehrenpflicht 91 – Entstehung 359 – Gewissenspflicht 38, 91, 92, 94 f., 104, 111, 118, 135, 146553, 148, 178, 187782 , 212, 217, 257, 263, 269, 280, 646, (siehe auch unvollkommene Verbindlichkeit) – innere/äußere Pflichten 110 – Konzeptpflichten 343, 557 – Kooperations- und Mitwirkungspflichten 13, 347 f. – Leistungspflicht 288, 405, 529, 681 – moralische Pflicht 118, 210, 212, (siehe sittliche Pflicht) – naturalistische Pflicht 4126 , 61 f., 93, 284, 288 f., 341 f., 360, 361, 374, 653 – natürliche Pflicht 92239, 100 f. – obligatorische Pflicht 359, 627 – officia humanitas 106, 116 – Pflichtklassen 269 – Pflichttypen 13, 344

– – – –

Rücksicht 392 Recht-Pflicht-Korrespondenz 359 sittlich-rechtliche Pflicht 399 supererogatorische Pflicht (siehe Handlungen – supererogatorisch) 1733, 25568 , 389, 389488 , 393, 420 632 – Treuepflicht 302 – Tugendpflicht 122, 124 – unvollkommene Pflicht 88 f., 101, 104, 105 ff., 120, 121419 pollicitatio 300 f., 326 f., 332, 374, (siehe auch Versprechen) Postmoderne 98256 , 560 636 , 505536 Pothier, Robert-Joseph 113 f., 212 Prekarium 363375 , 477220 , 515399, (siehe auch verhaltene Forderung, Duldung) principium iusti 111, 114, 115, 191796 , 641, (siehe auch Pflicht – Recht – Pflichtkorrespondenz) Privatrecht, gemeineuropäisch 32, 66104, 279, 318 Prostitutionsvertrag 548 ff. Prozess – Feststellungsklage 248, 374 425 , 467 f., 634 f., 662, 679 – Klagebefugnis 632 f., 669, 679, (siehe auch Klagbarkeit) – Parteifähigkeit 63, 81, 629 f., 678 – Prozessfähigkeit 630, 630 7, 678 – Rückforderungsklage 467, 633 f. Pufendorf, Samuel 91234, 99282 , 103309, 105, 106326 , 107 ff., 26826 , 327, 641, Pütter, Johann Stephan 118 Rat (-schlag) 390 491 Raz, Joseph 4332 , 286111, 365387 Realfaktoren der Rechtsbildung (Vorgegebenheiten des Rechts) 276, 652 Rechtsabwahl 622, 677, (siehe Unverbindlichkeitsabrede) Rechtsbegriff 125436 , 584110 Rechtsbehelfe – außergerichtliche 464 – gerichtliche 465 Rechtsgeschäft – Nicht-Rechtsgeschäft 618 f.

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– unwirksames Rechtsgeschäft 619 f. Rechtsweg 629, 678 – Rechtswegausschluss 26, 582, 583 f., 586, 591, 671 Recht des Stärkeren 28289 rechtsfreier Raum 18, 35, 276, 279 f., 453, 610, 615249, 628, 678 Rechtsgrund – Pseudorechtsgrund 453 Rechtsrationalismus 284 Rechtspositionen 464 Rechtsvergleichung, postmoderne Theorie der 98265 Rechtswirkungsdenken 25, 340277, 356351, 479231, 480, 487, (siehe auch actio – aktionenrechtliches Denken) Rechtswegausschluss 583 Relationalverhältnis 341 replicatio doli 56725 Reurecht 12, 194, 244, 419, 489, 650 Reziprozität 309116 , 310 f. Richtigkeit, Anspruch auf 306101, 320, 398 ff., 401, 529, 657, 681 Röhl, Klaus F. 27, 561 Rückforderung (aktionenrechtlich) 440 Rückruf wegen gewandelter Überzeugung 353, 492 Savigny, Friedrich Carl von 8, 19, 43, 51, 129, 130, 133, 138, 139519, 140 ff., 149, 156, 168, 263, 29855 , 300 65 , 304, 305 ff., 30594 , 320, 328 ff., 367, 478224, 482241, 509376 , 643, 645 Scheingeschäft 26, 499 Schenkung 457 ff. Schiedsgericht 547, 563, 591, 614, 616258 – Schiedsabrede 26, 583 Schmidt, Jürgen 185, 322, 462 Schuld – Schuld ohne Haftung 931, 51, 155 ff., 161, 190 f., 537510 , 645 – Schuld und Haftung 45, 51, 53, 85 f., 155, 159, 160, 161 f., 639, 645 – Schulenstreit 155610 , 159 – Spannung der Schuld 366, 369 f. Schuldänderung 470184, 572 Schuldanerkenntnis 243, 298, 460, 467, (siehe auch Anerkenntnis)

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– abstraktes Schuldanerkenntnis, -versprechen 29856 , 460139, 471190 , 538, 572 f., 650, 667 – Erfüllung einer Nichtschuld 502338 – Insolvenz 538, 667 – Kondiktion 460 – negatives Schuldanerkenntnis 500 330 – Sicherungsgeschäft 470 – Umgehung 466, 471 Schuldersetzung (siehe Novation) Schuldverhältnis – Begriff 372 f., 431, – Schuldverhältnis als rechtsethische Struktur 404 f. Schuldigkeit (siehe Unabweisbarkeit) Schwanert, Hermann August 140, 147 Schwarzkauf (siehe Formmangel und Heilung) – französisches Recht 214 – vereinbarter Schwarzkauf 26, 214, 496, 499, 619, 628 Searle, John 321, 322 f. Selbstbindung der Verwaltung 557 Selbstbindung 324 ff. – Absichtsbekundung 332, 334 – Konsens 344 – Letter of Intent (siehe dort) – Patronatserklärung (weiche) (siehe dort) – Selbstbindungsformen 28912 , 325195 , 341, 344 – Selbstpaternalisierung 333 f., 336 ff. – Versprechen 344 Selbstgesetzgebung 100 286 , 127453, 413 ff., 658 Selbsturteil 84 Selbstverantwortung 360 f. – Verantwortungszusammenhang 361 Selbstverpflichtung 83, 333, 371, 417, 558 f. – siehe freiwillige Selbstverpflichtung – pollicitatio 374 – stipulatio 655 Seneca, Lucius Annaeus 57 f., 28284 , 329, 603188 Sittengesetz 103308 , 120, 124 f., 125437 Sittliche Pflicht 10, 127, 17, 38, 69 f., 72137, 73, 96, 98, 107, 115, 117, 128, 131, 137509,

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152 ff., 177719, 260, 528 ff., 640 f., 644, 681 – Anerkennung 25466 , 399 ff., 647 – ausländisches Urteil 497, 663 – BGB 166 ff., 176, 178, 183, 191, 199, 208, 209, 226, 233 ff., 253, 25364 , 25465 , 260, 275 ff., 376 f., 453, 454 ff., 528 ff., 645 f. – Behaltensgrund 195823, 234, 425, 44462 , 44565 , 446 67, 451 f., 662 – Börsentermingeschäft 630 8 , – causa 18, 148, 227, 245, 316, 432, 446, 57256 – coincidentia oppositorum 41 – Ehrenwort 595 – Entgeltlichkeit 154, 455 f. – Feststellungsklage 634, 680 – französisches Recht 214 – gesellschaftliche Verhaltenserwartung 273, 652 – italienisches Recht 217 f. – kausales Erfüllungsversprechen 466 ff. – Klagbarkeitsirrtum 232, 648 f. – Leistungspflicht 392, 657, 666, 580 92 – materiale Richtigkeit 398 ff. – österreichisches Recht 139, 223 – Paarformel 391494 – Rechtsbegriff 255 ff., 259, 265 f., 28073, 375429, 392, 434, 454 ff., 529 – Rechtsgefühl 272, 29122 – Rechtspflicht 529, 651, 653, 655 f. – Rechtstatsache 277 – retrospektiv 528, 530 – Schenkung 24324, 457 f., 574 – schweizerisches Recht 226 – Sanktionshypothese 387 f. – Spiel und Wette 26517 – Systemtheorie 424 – Umwandlung in Zivilobligation 574, 670 – Unabweisbarkeit 256, 387 f., 390492 , 405 Sittlichkeit 110 f., 120, 131, 162 Sklaven 7, 23, 323, 55, 61, 162, 629, 637 – Ein-Mann-GmbH 67, (siehe auch peculium) – Freilassung 66105 , 70, 638

– Geschäftsfähigkeit / Teilrechtsfähigkeit 66, 67 – Haftung des Herrn 65 f. – Herrschaft über den Sklaven 6590 – natürliche Fähigkeiten 62, 63 – Sklavenschuld / aktive Sklavenobligation (siehe obligatio servi) – Sklavenwirtschaft 65 ff., (siehe auch peculium) – Sklaverei 29018 soluti retentio 72, 138, 142, 165, 171, 177, 180, 195823, 196, 206, 441, 450 f., (siehe auch Behaltensgrund) Souveränität der Parteien 606 soziale Verhaltenserwartungen, Integration 44, 258, 260, 375 ff., 424 f. specific performance 249, 651 Spiel und Wette 5, 252, 522 ff. – BGB 16, 162 f., 165 f., 173 f., 177, 179, 182, 197, 252, 264, 436, 438, 440, 522 ff., 651 f. – französisches Recht 216 – griechisches Recht 611231 – italienisches Recht 219 – Negativkonstruktion 440, 446 ff., 621, 665 – niederländisches Recht 229 – österreichisches Recht 225 – römisches Recht 53, 73, 82 – schweizerisches Recht 227 – Rechtspolitik 395 f., 418, 422 Spiel 7, 440 – Ausspielung 196 830 , 264 – Lotterie 26 – Preußisches Allgemeines Landrecht 136 – Reurecht 489277 – römisches Recht 6596 , 73 – Spieleinwand 198, – Spielleidenschaft 445 – Spielschuld 83, 136504, 138, 470, 471, 500, 665 – Spielsperrvertrag 2472 , 40, 152, 337264 , 338, 500 – Spielsucht 83, 29014, 422 – Spielvertrag 440 ff., 522 ff., 633 – Verhaltensspielregel 276 57 – Würfelspiel 84

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Spontanität 210, (Pflicht – moralische) Sprechakte – Glaubwürdigkeit 324 – Theorie der Sprechakte 322 ff. – Rechtstatsache 298 stat pro ratione voluntas 37, 365389, 406, 413, 414, 416 f., 658 Stemmer, Peter 1033, 25676 , 26932 , 28392 , 388482 , 389488 , 400 534, 407 f. Stillhalteabkommen (siehe pactum de non petendo) Stipulatio 52 – Anerkennung 374, 380 447, 657 – Gentlemen’s Agreement 604 – römisches Recht 52, 5426 , 5957, 67112 – Stipulationsmodell 42, 298 f., 374, 405, 655, 657 Stoa 36, 44, 56 43, 5748 , 62, 78, 69121, 94, 99279, 270, 27345 , 282, 29437, 38 , 338266 , 603187–190 , 674 Stryk, Samuel 89 f. status irrealis 71130 , (siehe auch obligatio naturalis – Pseudoobligation) Stundung 2575 , 570, 393505 , 476, 487268 , 57040 , 586, 602, (siehe auch Besserungszusage) Subjektives Recht 33, 5, 19, 156 f., 156 614, 180746 , 240 f., 426, 461, 483247, 543545 , 681 Sucht 290 Sulzer, Johann Georg 119, 120, 121, 376 433, 642 Systemtheorie – Moral 375430 – strukturelle Kopplung 424647, 453 – Selbstbeschreibung 615251 Tatsache 61, 368, 505353 – Bindung aus Tatsachen 505 f. – Garantiezusagen, Begrenzung von 502 f., 507 – Iteration 356351 – natürliche Tatsachen 404 – Rechtsabgrenzungsvereinbarung 507 – Rechtstatsache 158, 276, 322, 368 f., 371 – soziale Tatsache 70 f., 251, 253 f., 25465 – Tatbestandslösung 502 f., 507

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– Tatsachenanerkenntnis 506 – Tatsachenerklärung 356, 506 – Tatsachenirrtum 232, 44460 – Tatsachenvertrag 45, 506 ff., 507 – tatsächliche Verständigung 45, 506 Testament 493 f. Thomasius, Christian 103, 110 ff. Treue 360 – germanische Treue 84191 – Treuebindung (siehe Absichtsbindungen und Bindung – konsequentialistisch) Treu und Glauben 192801, 358 Tugendhat, Ernst 1033, 26932 , 29543, 388482 , 408 f. Ulysses Contract 339 f. Unabweisbarkeit (kategorische Anforderung) 36, 103 f., 128, 240 f., 347308 , 362, 367, 374, 387 f., 405, 529, 595, 629, 640, 655, 657, 681 Uneigentliche Verbindlichkeit 825 , 1522 , 38, 112 f., 138, 148, 164, 193, 194, 425, 437, 454, 644, 660 Unklagbarkeit (siehe Klagbarkeit) Unverbindlichkeit 19, 27, 204, 386 – dogmatische Kategorie 386 476 , 420 631 – freiwillige Selbstverpflichtung 556, 560, 668 – Unverbindlichkeitsabrede 350, 577, 579 f., 622, 670 f. – Unverbindlicher Vertrag 382 ff., 386, 43939 – Konkurrenzverbot 204 – Tatsachenerklärung 356350 Unvollkommenheit 365 , 95, 122, 162, 193, (siehe auch Vollkommenheit) Unvollkommene Verbindlichkeit 38, 44, 87, 92, 95, 98, 115, 133, 135, 181 ff., 184 f., 193, 262, 267, 437, 544556 , 641 ff. – BGB 162, 189, 646, 652 – obligatio naturalis 92237 – sittliche Pflicht 98, 115 – Gewissenspflicht 135, 135497 – leges imperfectae 269 – officium 270 – Preußisches Allgemeines Landrecht 135 ff., 137507, 643

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– Reichsgericht 152 f., 645 Unwirksamkeitsgrund – Bindungsfeindlichkeit 580 – Rangregel 44355 , Usus modernus pandectarum 89 f. venire contra factum proprium 42, 326198 , 357357, 358, 446 68 , 556 616 , (siehe Absichtsbindungen, widersprüchliches Verhalten) Verbindlichkeit 104310 – moralische Verbindlichkeit 136 f. – Verbindlichkeit ohne Zwangsmittel 45 Verbraucherschutz 422 Vergütung (anwaltliche) 21, 197, 203, 252, 266, 275, 429 673, 530 ff., 651, 666 – freiwillige Leistung 26619, 531 f., 533 f. – Heilung 313141, 495 f., 532 ff. – Umwandlung in Zivilobligation 574, 670 Vereinbarung 2887, 550, 578 f. – siehe auch Entgeltvereinbarung – Vereinbarung über die Benutzung empfängnisverhütender Mittel 18, 2471, 551, 581, 668 – Vereinbarungsdarlehen 470184 Verjährung 5, 19, 275, 418, 470, 630, 644 – aktionenrechtliche Sicht 515, 540 – BGB 165, 170 ff., 177, 179, 433, 509 ff. – Brinz 146 – Devisenforderung 544 – Einrede 20, 172, 478 – Einredeerhebung 185772 , 24216 , 252, 354, 480, 664 – Fallenlassen 199, 483, 515 – Frankreich 207 – Freiwilligkeitserfordernis 512 ff., 664 – gesetzlicher Eintritt 20, 172, 198, 465, 480 f., 664 – Hemmung 478223, 481 ff. – Italien 219 – Naturalobligation 189786 , 207, 216, 480 f. – Naturrecht 114 – Niederlande 229 – Österreich 138, 223 f., 648 – pactum de non petendo 569 – Portugal 221

– Preußisches Allgemeines Landrecht 162 – römisches Recht 73142 , 142 – Schweiz 226 f. – verhaltene Ansprüche 477219 – Verzicht 171, 466, 470181, 483252 , 515, 574, 664, 667, 669 f. – Windscheid 148 ff. Verlöbnis 16, 162, 174 f., 180, 197, 252, 434 f., 525 ff., 646, 651, 665 – Preußisches Allgemeines Landrecht 162 – pactum de contrahendo 174, (siehe auch Vorvertrag) Vermächtnis 24, 493 – französisches Recht 213 – formfehlerhaft 493 f., 494301, 56828 , 663 – Naturalobligation (gewillkürte) 494307, 567 f., 669 Verpflichtungsfähigkeit 29018 Versprechen 329 – Gebot der Wahrhaftigkeit 301 – handlungstheoretisch 341, 364, 365, 654 – Pollizitationstheorie 326 ff. – translative Versprechensübertragung 42, 298, 300 f., 307, 312, 313 f., 320, 327, 451, 545 – Versprechensabsicht 343 – Versprechensmodelle, einseitige 321 ff. Vertrag – Vertragsbegriff, kartellrechtlicher 2887, 605204, 608219 – Relationalvertrag 423, 659 – unverbindlicher Vertrag (siehe Unverbindlichkeit) – unwirksamer Vertrag 439 ff. – Vertrag ohne primäre Leistungspflicht 1941, 383 ff., 439, 491, 553 f., 578 f., 605, 618, 621 ff., 655, 675, 676 – Vertrag mit primärer Leistungspflicht 623 f. – Vertragsprinzip 296, 302, 329, 335248 , 565, 569 f., 57043, 669 Vertragsmodell – Versprechenstausch 300 ff. – Willensvereinigung 303, 306 f., (siehe auch Konsens)

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Vertragswillen – Teilhabe am Vertragswillen 306 – Willensherrschaft (siehe subjektives Recht) Vertrauen 360, 424, 427662 , 526 458 – Erwartung 526 458 , 575 – Ehrenwort 598, 601 – facta propria 42, 357, 358, 56724 – Gentlemen’s Agreement 601, 606, 676 – Glaubwürdigkeit 424, 430, 613, 660, 673 – Kultur des Vertrauens 612, 675 – promissory estoppel (siehe Haftung – estoppel) – riskante Vorleistung 424, 430 – Rückforderung 235160 , 502339 – Sprechakt 324 – Treuepflicht 344296 – ungerechtfertigtes Vertrauen 422639, 496, 496317 – Vertrauenshaftung 42, 358, 469, 525 f., 550, 619, 665 – Vertrauenspakt 606209, 675 – Vertrauensschutz 469, 556 – Vertrauenswürdigkeit 427, 594 – Zurechnung 380 Verwillkürung 83 f. Verzeihung 3914 Verzicht 12, 582, 668 – Anspruchsverzicht (Ausübungsverzicht) 477220 , 515399 – Aufrechnungsverzicht 570 (siehe auch pactum de non compensando) – Rückforderungsverzicht (Erfüllung einer Nichtschuld) 1520 , 243, 501, 502338 , 650 – Einredeverzicht 2048 , 466, 470181, 515, 542, 574, 667 – Einseitiger Verzicht 3912 , 296 46 , 329, 570 f. – Formnichtigkeit 494 – Klageverzicht (prozessual) 582, 586, 63219 – Klagbarkeitsverzicht 2466 , 473190 , 485, 582, 584 f., 632, 671 – libertas naturalis 100 f. – prekaristischer Einredeverzicht 515399, (siehe Verjährung – Fallenlassen)

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– Honorarverzicht unter Kollegen 2472 , 500 – Verzicht auf Normsetzung 36 f., 554 – Verzicht auf Verjährungseinrede (siehe Verjährung) – Verzicht auf Zwangsbefugnisse 252, 500, 507366 , 564 f., 56829, 569, 570 f., 582, 592, 669, 682 – Verzicht zugunsten Dritter 569, 669 – Verzichtsverbot 337 f., 410 586 , 551, 556 – zeitlich beschränkter Verzicht 569, 586, 669, (siehe auch pactum de non petendo) vinculum iuris 41, 52, 56, 57, 88, 109, 114, 157, 207, 288, 298, 308, 637, 639 vinculum aequitatis 5957, 88, 2079 vinculum naturalis libertatis 109 Völkerrecht 32 , 26933, 411 – Gentlemen’s Agreement 606, 675 volenti non fit iniuria 37, 196 829, 406, 413, 414, 417 f., 658 Vollkommenheit 10, 92, 93 ff., 97, 132 f., 135, 640 f., (siehe auch Unvollkommenheit) – Aristoteles 93 – Begriff 96 – Hegel 131 ff., 643 – Kant 120 ff., 642 f. – Pflicht zur Vervollkommnung 104 – perfecta officia 94 – perfecta facultas 106 – Platon 94246 – Prinzip der Vollkommenheit 97 – Sittlichkeit und Moralität 96, 97 – Vollkommenheitsstreben 96 – vollkommene Rechtspflicht 98, 105 ff., 117, 268 – vollkommenes Recht 133 ff. – Zusammenstimmung 97 Vollstreckungsverbot 527 Vorgegebenheiten des Rechts (siehe Realfaktoren der Rechtsbildung) Vorvertrag 174, (siehe auch pactum de contrahendo) Weber, Adolph Dieterich 101293, 102 Weber, Max 507, 5111, 402, 410 583, 419

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Register

Wette (siehe auch Spiel und Wette) – Auslandswette 472, 508 – römisches Recht 53, 73 – germanisches Recht 82 f., 85, 638 – Vertragsversprechen 85, 638 – Pferdewette 215, 524 f., 665 Widerruf – Angebotsbindung 319, 356352 – Patientenverfügung 340 – prekaristische Gestattung 363375 – Schenkungswiderruf 225, 455107, 648 – schwebende Wirksamkeit 491 f., 663 – Verbraucherrechtlicher Widerruf 244, 353 f., 356, 478, 489277, 491 f., 650 – widerrufliche Einwilligung 37 8 , 417622 , 476214 – Widerruf einer Entsprechenserklärung 355 ff., 485259 widersprüchliches Verhalten 358 Wille – causa 30594 – Leistungspflicht 428 663, 526 458 – naturalistischer Wille 29331, 29333, 371, 374 – Vertragswille 304, 306 – Wille zur Rechtlichkeit 331 – Willenserklärung 356352 , 368 Windscheid, Bernhard 8, 825 , 1522 , 19, 38, 55, 6278 , 80, 113, 140, 146, 147 ff., 150, 156 615 , 157, 171, 172696 , 180, 187780 , 193812 , 327205 , 328217, 425, 471186 , 478224, 482241, 509378 , 510, 630 9, 644 Wirksamkeit – Heilungschance 496 – schwebende Unwirksamkeit 492 f. – schwebende Wirksamkeit 491 f. Wittgenstein, Ludwig 35, 279 Wolff, Christian 96 f., 100, 103, 116 ff., 121419, 128 f., 268, 301 f., 640, 641 Zimmermann, Reinhard 321, 326 ff., Zwang – Anspruch 472, 663 – Behaltensbefugnis 242 – coactus-volui-Paradoxon 24636 , 403550 , 406563

– Einforderungsbefugnis 186778 , 24840 , 413, 468, 631, 679 – Erfüllungswahrscheinlichkeit 250, 421, 428 – Erfüllungszwang (vis exigendi) 88 – Freiwilligkeit 247 – Funktion 412, 657 – Geschichte 564 – gesetzliche Aberkennung 395, 468 f., 514 – Gläubigermacht 419 – Haftung 931 – Hegel 132 – Kant 126, 410 – Kelsen 407 f. – kommunikative Zwänge 241, 367, 369, 419 ff., 425 – Pflichtbegründung 37, 121418 , 126 ff., 185, 271, 405 ff. – Pflicht zur zwangsweisen Durchsetzung des Rechts 104, 128454 – rechtsgeschäftlicher Ausschluss 200, 252, 484, 561, 563 ff., 591 ff., 669 f. – Rechtsirrtum 13, 242 – Wirkungsgrad 31, 261, 412, 652 – Zwang des Gewissens 110, 112, 114, 127, 137509, 241, 596, 597, 673 – Zwangsbefugnis 5, 826 , 9, 12, 33, 147, 181 ff., 410, 486, 582, 418, 681 – Zwangslegitimation 38, 127, 410, 413 ff. – Zwangsmittel, außerrechtliche 241, 408, 409 – Zwangsmittel, indirecte 142 – Zwangsmittel, rechtliche 1312 , 33, 242, 370, 464, 633, 668, (siehe auch Rechtsbehelfe) – Zwangsmittel, außergerichtliche 251 – Zwangstheorie 473 – Wirkungslosigkeit von Zwang 592, 672 Zweck (siehe auch causa) – Zweckdenken 30594 , 318 – Normativität einer Zwecksetzung 31, 318 ff. – unjust enrichment 30168